Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
ganz herzlich, wünsche Ihnen einen guten Morgen und
uns intensive, erfolgreiche Beratungen.
({0})
- Ergänzende Wünsche nimmt das Präsidium gerne entgegen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich einige Mitteilungen zu machen. Der Kollege Wolfgang Grotthaus
hat gestern seinen 60. Geburtstag gefeiert. Im Namen
des ganzen Hauses möchte ich dazu nachträglich herzlich gratulieren und alles Gute wünschen.
({1})
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten können, stehen noch Wahlen zu Gremien an. Am 31. Dezember
2006 endete turnusgemäß die Amtszeit der vom Deutschen Bundestag in den Stiftungsrat der Kulturstiftung
des Bundes entsandten Kolleginnen und Kollegen. Die
Fraktion der CDU/CSU schlägt für die neue Periode
wiederum den Bundestagspräsidenten als ordentliches
Mitglied
({2})
sowie die Kollegen Hartmut Koschyk und Wolfgang
Börnsen als stellvertretende Mitglieder vor. Wird deren
Vorstellung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Für die Fraktion der SPD sollen Vizepräsident
Dr. h. c. Wolfgang Thierse als ordentliches Mitglied
und die Kollegin Monika Griefahn als stellvertretendes
Mitglied bestellt werden.
Die Fraktion der FDP benennt als ordentliches Mitglied den Kollegen Hans-Joachim Otto.
Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Das
scheint so zu sein. Dann sind die Kollegin Griefahn und
die genannten Herren gewählt.
Die Fraktion der CDU/CSU teilt mit, dass der Kollege
Wolfgang Börnsen Nachfolger des Kollegen Bernd
Neumann als Vertreter des Deutschen Bundestages im
Präsidium der Filmförderungsanstalt werden soll. Sind
Sie auch damit einverstanden? - Das sieht so aus. Dann
wird der Kollege Wolfgang Börnsen als Mitglied des
Präsidiums der Filmförderungsanstalt benannt.
Schließlich schlägt die Fraktion der CDU/CSU den
Kollegen Michael Stübgen für die Nachfolge des Kollegen Henry Nitzsche als stellvertretendes Mitglied im
Parlamentarischen Beirat der „Stiftung für das sorbische
Volk“ vor. - Auch gegen diesen Vorschlag erhebt sich
offenkundig kein Widerspruch. Dann ist der Kollege
Michael Stübgen als stellvertretendes Mitglied in diesen Parlamentarischen Beirat gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
zu den Antworten der Bundesregierung auf die dringlichen Fragen Nr. 1 und 2 auf Drucksache 16/4537 ({3})
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Eva Möllring,
Ursula Heinen, Rita Pawelski, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Christel
Humme, Ingrid Arndt-Brauer, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt stärken
- Drucksache 16/4558 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller
({5}), Winfried Nachtwei, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
UN-Resolution 1325 - Frauen, Frieden und Sicherheit Nationaler Aktionsplan zur strategischen Umsetzung
- Drucksache 16/4555 Redetext
Auswärtiger Ausschuss ({0})
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
ZP 4 Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung ({2})
TA-Projekt: Grüne Gentechnik - transgene Pflanzen der
2. und 3. Generation
- Drucksache 16/1211 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({3})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({4})
a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
Schienenlärm ursächlich bekämpfen
- Drucksache 16/4562 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({5})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dorothee Bär,
Wolfgang Börnsen ({6}), Peter Albach, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der
Abgeordneten Jörg Tauss, Martin Dörmann, Christoph
Pries, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Weiterentwicklung des Adressraums im Internet
- Drucksache 16/4564 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({7})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der
Europäischen Union
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Grütters, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie des
Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Jörg Tauss,
Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Den Hochschulpakt erfolgreich umsetzen
- Drucksache 16/4563 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({8})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch,
Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Gesundheitsschutz durch Schädlingsbekämpfung mit
Chemikalien erhalten _ Biozid-Richtlinie bürokratievermeidend überarbeiten
- Drucksache 16/4183 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit ({9})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD:
Airbusrestrukturierung - Kernkompetenzen und Zukunftstechnologien in Deutschland erhalten und ausbauen
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel Höhn, Birgitt
Bender, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Rauchverbot im Deutschen Bundestag umsetzen
- Drucksache 16/4400 Überweisungsvorschlag:
Ältestenrat ({10})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael
Goldmann, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Verbraucherinformationsrechte stärken - Neues Verbraucherinformationsgesetz zügig vorlegen
- Drucksache 16/4447 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({11})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({12}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Konsequenzen ziehen aus dem Urteil des Europäischen
Gerichtshofes vom 30. Mai 2006 zur Weitergabe europäischer Fluggastdaten an die Vereinigten Staaten von Amerika
- Drucksachen 16/1876, 16/2962 Berichterstattung:
Abgeordnete Beatrix Philipp
Wolfgang Gunkel
Ernst Burgbacher
Ulla Jelpke
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Burgbacher,
Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Stärkung des Daten- und Rechtsschutzes bei der Weitergabe von Fluggastdaten an die USA
- Drucksache 16/4577 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({13})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 11 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN:
Beschäftigungspolitische Verantwortung der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Personalabbau bei deutschen Großunternehmen
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll - soweit erforderlich - abgewichen werden.
Die Tagesordnungspunkte 5 b und 15 werden abgesetzt, und der Tagesordnungspunkt 12 wird erst nach
dem Tagesordnungspunkt 14 aufgerufen. Zum Tagesordnungspunkt 16 ist eine Aussprache nicht mehr vorgesehen. Er soll zusammen mit den Ohne-Debatte-Punkten
aufgerufen werden.
Schließlich mache ich auf mehrere nachträgliche
Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 76. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({14}) zur Mitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf zur Schaffung deutscher Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen
- Drucksachen 16/4026, 16/4036 überwiesen:
Finanzausschuss ({15})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Die in der 82. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesenen nachfolgenden Anträge sollen zusätzlich
dem Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({16}) zur Mitberatung überwiesen werden.
Antrag der Abgeordneten Wolfgang Wieland,
Cornelia Behm, Katrin Göring-Eckardt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Wirksame Unterstützung für die Verfolgten
des DDR-Regimes
- Drucksache 16/4404 überwiesen:
Rechtsausschuss ({17})
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Antrag der Abgeordneten Sabine LeutheusserSchnarrenberger, Jens Ackermann, Dr. Karl
Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Gerechtigkeit für die Opfer der SED-Diktatur
- Drucksache 16/4409 überwiesen:
Rechtsausschuss ({18})
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Ich vermute, dass Sie mit diesen Vereinbarungen ein-
verstanden sind. - Das ist offenkundig der Fall. Damit ist
das so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c so-
wie die Zusatzpunkte 2 und 3 auf:
3 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe ({19}) zu dem Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
UN-Resolution 1325 - Frauen, Frieden und
Sicherheit - konsequent umsetzen
- Drucksachen 16/3501, 16/4499 Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Burkhardt Müller-Sönksen
Michael Leutert
Volker Beck ({20})
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({21})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard
Schewe-Gerigk, Renate Künast, Matthias
Berninger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt ver-
wirklichen - Innovationshemmnis Männer-
dominanz beenden
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke,
Sibylle Laurischk, Miriam Gruß, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP
Frauenpolitik - Gesellschaftlicher Erfolgs-
faktor
- zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder,
Dr. Lothar Bisky, Diana Golze, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der LINKEN
Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes auf
dem Arbeitsmarkt durchsetzen
- Drucksachen 16/712, 16/832, 16/833, 16/4524 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Eva Möllring
Sibylle Laurischk
Karin Binder
Präsident Dr. Norbert Lammert
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Erster Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Bundesgleichstellungsgesetz
({22})
- Drucksache 16/3776 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({23})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Eva
Möllring, Ursula Heinen, Rita Pawelski, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Christel Humme, Ingrid
Arndt-Brauer, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt
stärken
- Drucksache 16/4558 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({24})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Müller ({25}), Winfried Nachtwei, Irmingard
Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
UN-Resolution 1325 - Frauen, Frieden und
Sicherheit - Nationaler Aktionsplan zur strategischen Umsetzung
- Drucksache 16/4555 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({26})
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Christel Humme für die SPD-Fraktion.
({27})
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
„Weitergehen! Zwei Schritte vor. Keinen zurück“, rufen
uns die Gewerkschaftsfrauen heute, am Internationalen
Frauentag, zu. Ich sage: Auch die Große Koalition wird
in der Gleichstellungspolitik weitergehen; denn das „Europäische Jahr der Chancengleichheit für alle“ fordert
uns geradezu heraus, hier mehr zu tun, und ich verspreche Ihnen: An den Männern und Frauen der SPD-Fraktion wird das nicht scheitern.
({0})
- Gut, das höre ich gerne.
Der heutige Internationale Tag der Frau ist seit
96 Jahren der Tag, an dem wir Frauen Bilanz ziehen und
für unsere Rechte weiter eintreten und kämpfen. Der
Aufruf „Zwei Schritte vor. Keinen zurück“ ist an uns Politikerinnen und Politiker gerichtet und enthält auch ein
bisschen die Befürchtung: Bitte, weicht nicht auf, was
wir bisher erreicht haben!
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten versprechen: Wir gehen nicht zurück. Was wir seit 1998
erreicht haben, kann sich wirklich sehen lassen: Bundesgleichstellungsgesetz, Rechtsanspruch auf Teilzeit, gleiche Tarife für Männer und Frauen in der Riesterrente,
das Gewaltschutzgesetz, eigenständiges Aufenthaltsrecht für ausländische Frauen schon nach zwei Jahren,
das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und das Elterngeld mit den sogenannten Vätermonaten, um nur einige wesentliche Meilensteine auf diesem Weg zu nennen.
({1})
Hier müssen wir weitergehen, und wir versprechen: An
uns Männern und Frauen der SPD-Fraktion wird das mit
Sicherheit nicht scheitern.
({2})
- Wunderbar, das höre ich gerne. - Wir halten an diesem
gleichstellungspolitischen Kurs fest.
({3})
Wichtig ist uns, dass alle Entscheidungen, die wir hier
im Bundestag treffen, darauf überprüft werden, wie sie
auf Männer und Frauen wirken. Das ist ein Prinzip, das
seit 1999 in allen Ministerien gilt oder - wie ich vorsichtig sage - gelten soll. Es ist ein Prinzip, das wir seit der
Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 Gender-Mainstreaming nennen. Ich gebe zu, da müssen einige in der
Großen Koalition noch ein bisschen üben, damit ihnen
der Begriff genauso leicht über die Lippen geht wie
Shareholdervalue, E-Commerce, New Economy, Benchmarking usw.
„Frauen verdienen mehr!“ haben sozialdemokratische
Frauen zu ihrem Motto des Internationalen Frauentags 2007 gemacht. Das ist eine Aufforderung an uns,
genau hinzuschauen, wie es mit den Frauen auf dem
Arbeitsmarkt steht. Wal-Mart, der größte auch in
Deutschland vertretene Einzelhändler der Welt, hat seiChristel Humme
nen weiblichen Mitarbeitern in den USA grundsätzlich
weniger gezahlt. Frauen wurden bei Beförderungen systematisch benachteiligt. Dagegen können in den USA
bis zu 1,6 Millionen Frauen juristisch zu Felde ziehen.
Bei uns ist das nicht möglich. Wir haben das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz, Gott sei Dank.
({4})
Aber ich gebe zu, ich hätte mir ein Verbandsklagerecht
gewünscht, um den Frauen besser zu ihrem Recht zu
verhelfen; denn Tatsache ist leider immer noch: In
Deutschland verdienen Frauen bei gleicher Tätigkeit in
einer Vollzeitstelle bis zu 26 Prozent weniger als ihre
männlichen Kollegen.
In Deutschland sind die Tarifparteien, Arbeitgeber
und Arbeitnehmer, gefordert, für Entgeltgleichheit zu
sorgen. Darüber hinaus erwarten wir, dass die jetzt eingerichtete Antidiskriminierungsstelle im Familienministerium das Thema Entgeltgleichheit befördert und die
benachteiligten Frauen unterstützt.
({5})
Im Rahmen der Lissabonstrategie haben wir uns verpflichtet, die Frauenerwerbsquote auf 60 Prozent zu erhöhen. Die Tatsache, dass wir 2005 in Deutschland eine
Frauenerwerbsquote von 59,6 Prozent hatten, darf uns
nicht in Sicherheit wiegen, im Gegenteil. Diese Zahl darf
nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Arbeitsvolumen
in Deutschland gesunken ist. Immer mehr Frauen arbeiten
Teilzeit oder in geringfügigen Beschäftigungen. Der
Niedriglohnsektor ist eindeutig „weiblich“. Das hat für
Frauen fatale Folgen: Ihre geringere Entlohnung sowie
die unterbrochenen Erwerbsbiografien aufgrund von Kindererziehung schränken die Möglichkeiten der Frauen
deutlich ein, eine eigenständige Rente aufzubauen.
Außerdem führen die überkommenen Rollenmuster
immer noch zu typischen Männer- und Frauenberufen. Wenn die Frauenbeschäftigung tatsächlich einen
Zuwachs verzeichnet, dann dort, wo schon vorher viele
Frauen tätig waren. Ich bin überzeugt: Diese Rollenzuweisung müssen wir unbedingt auflösen.
({6})
Frau Ministerin, wir haben mit der Debatte über Kinderbetreuung in den letzten Wochen in den männlichen
und auch in den weiblichen Köpfen viel bewegt. Das gilt
auch für einige Mitglieder des Bundestages. Auch an
dieser Stelle müssen wir weitergehen. Denn Gleichstellung kommt nicht von selbst; sie muss hart erkämpft
werden. Das zeigen 100 Jahre Frauenbewegung. Frauen
in Führungspositionen lassen sich nach wie vor nur mit
der Lupe finden. Darum ist es richtig, den Ausbau von
Kinderbetreuungsplätzen für unter Dreijährige voranzutreiben und so schnell wie möglich für einen Rechtsanspruch zu sorgen.
({7})
Die freiwillige Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und der Wirtschaft - auch das ist etwas, was wir
uns vorgenommen haben - muss konkrete, überprüfbare
Zielvorgaben zur Gleichstellung entwickeln; sonst bewegt sich nichts.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wir wissen alle:
Diese Bundesregierung, getragen von einer Großen Koalition, wird von einer Frau geführt. Sie, Frau Ministerin
wie auch Ihre Kanzlerin bzw. die Kanzlerin der Großen
Koalition,
({8})
werden sich irgendwann fragen lassen müssen: Was hat
die Bundesregierung konkret getan, um die Gleichstellung von Männern und Frauen voranzubringen und Rollenzuweisungen aufzulösen?
({9})
Nach wie vor signalisiert unser Steuerrecht den
Frauen: Schatz, bleib du doch zu Hause; eine Arbeit
lohnt sich für dich nicht.
({10})
- Frau Lenke, das mit Steuerklasse V ist richtig. - Mit
dem Ehegattensplitting und der Wahlmöglichkeit wird
der alleinverdienende Ehemann mit bis zu 9 000 Euro
jährlich subventioniert. Je kleiner der Einkommensunterschied zwischen Mann und Frau, das heißt, je mehr
Frauen dazuverdienen, desto kleiner ist dieser Steuervorteil. Rollen werden durch das Steuerrecht vorgeschrieben. Wo bleibt da die Wahlfreiheit?
({11})
Frau Kollegin Humme, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?
Immer an der gleichen Stelle; aber macht nichts.
Frau Lenke, bitte schön.
Frau Humme, solange hier im Bundestag politisch
nichts geändert wird, solange werden auch meine Fragen
kommen.
Frau Humme, Sie haben eben gesagt, dass das Ehegattensplitting für Verheiratete einen Vorteil von bis zu
9 000 Euro bringt. Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, dass gerade die SPD Millionären und gutverdienenden Ehepaaren durch die Reichensteuer und
das Ehegattensplitting bis zu 15 000 Euro im Jahr
schenkt. Sie sagen immer wieder, Sie wollten das Ehegattensplitting deckeln oder abschaffen. Gleichzeitig bewirken Reichensteuer und Ehegattensplitting, dass bestimmten Personen bis zu 15 000 Euro im Jahr geschenkt
werden. Können Sie mir diese Dissonanz einmal erklären?
Vielen Dank, Frau Lenke. - Diese Zahl kann ich so
nicht nachvollziehen.
({0})
Sie haben gehört, wie hoch der Steuervorteil ist. Aber
ich sage Ihnen auch: Klar, dieser Steuervorteil ist ungerecht. Er bevorzugt Alleinverdienerehepaare mit einem
hohen Einkommen. Das ist keine Frage. Wir haben vorgeschlagen, das Ehegattensplitting zu kappen. Das wäre
sozial gerecht,
({1})
und es würde gerade Familien im unteren und mittleren
Einkommensbereich helfen.
Noch etwas ist mir wichtig: Wenn wir Frauen im globalen Wettbewerb - Stichwort „Wal-Mart“ - schützen
wollen, dann brauchen wir einen Mindestlohn; denn ein
Mindestlohn bedeutet existenzsichernde Erwerbsarbeit.
Er ist eine wichtige Voraussetzung für Armutsbekämpfung und natürlich auch für die Steigerung der Frauenerwerbsquote. An dieser Stelle rufe ich Ihnen zu: Gehen
wir gemeinsam weiter, zwei Schritte vor und keinen zurück!
Schönen Dank.
({2})
Frau Kollegin Humme, ich erlaube mir eine Anmerkung, gleichzeitig als Anregung für die Debatte. Wenn
es uns gelänge, den Begriff Gender-Mainstreaming
durch einen Begriff zu ersetzen, der auch der deutschsprachigen Minderheit im Lande sofort verständlich
wäre,
({0})
sodass die bei Nennung des Stichworts eine Vorstellung
davon hätte, worum es eigentlich geht, könnten wir für
den Internationalen Frauentag 2007 einen ersten konkreten nachweisbaren Fortschritt melden.
({1})
Das Wort hat nun die Kollegin Ina Lenke für die FDPFraktion
({2})
Herr Präsident, ich würde gern aufklärerisch tätig
werden. Wir haben hier im Bundestag in den letzten
50 Jahren Frauenförderung betrieben. Wir haben Frauen
in allen Lebenslagen gefördert. Was mit dem Begriff
Gender-Mainstreaming gemeint ist, ist etwas ganz anderes und viel Besseres; das betrifft nämlich auch die
Männer.
({0})
Wir wollen auch die Männerdiskriminierung abschaffen.
({1})
Zum Beispiel sollen Männer von Arbeitgebern nicht
mehr gedrängt werden können, ganztags berufstätig zu
sein; vielmehr sollen die Arbeitgeber Verständnis dafür
haben, dass Väter bei ihren Kindern sein wollen. Wir
wollen also die Diskriminierung von Männern abschaffen. Wir wollen, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Wenn Sie dazu „Männerförderung“ sagen würden, wäre mir das genauso recht.
Meine Damen und Herren, am Internationalen Frauentag ist es gute Tradition im Bundestag, über die
Gleichstellung von Männern und Frauen und natürlich
auch über Fortschritte zu diskutieren, die in unserem
Land zu verzeichnen sind.
Das Europäische Jahr der Chancengleichheit lenkt
den Blick auf unsere Nachbarstaaten und den Fokus auf
die Situation von Frauen in unserer Gesellschaft. Wir
mögen gute Wirtschaftsdaten vorweisen, gute Unternehmen, die auf dem europäischen Markt und auf dem Weltmarkt erfolgreich sind; aber in der Arbeitswelt in
Deutschland kommt die Teilhabe von Frauen auf dem
Arbeitsmarkt nur schleppend voran. Die Frauenerwerbsquote bleibt niedrig, wie Frau Humme schon sagte,
ebenso wie die - zu niedrige - Erwerbsquote älterer
Menschen. Frauen sind in Chefetagen deutscher Unternehmen mit 15 Prozent nach wie vor unterrepräsentiert.
Das korrespondiert mit der schlechten Kinderbetreuung
der unter Dreijährigen und, meine Damen und Herren
von der Großen Koalition, der schlechten Betreuung der
über Sechsjährigen.
({2})
Jeder, der einmal sechs Wochen Ferienbetreuung im
Sommer abdecken musste, weiß, dass das mit den Urlaubszeiten eines normalen Arbeitnehmers überhaupt
nicht möglich ist.
({3})
Frau von der Leyen, ich bitte Sie, dann, wenn Sie die jetzige Schlacht geschlagen haben, gleich das Problem der
fehlenden Betreuung der Grundschulkinder anzupacken und zusammen mit den Ländern und Kommunen
Konzepte zu entwickeln; denn für alle alleinerziehenden
und berufstätigen Eltern ist das wirklich ein Megaproblem.
Die vorliegenden Anträge aller Fraktionen zeigen den
immer noch vorhandenen großen Handlungsbedarf in
der Gleichstellungspolitik. Besonders am Internationalen Frauentag lohnt sich ein Blick ins Grundgesetz,
({4})
und zwar auf Art. 3, in dem der Staat die Selbstverpflichtung eingeht, die tatsächliche Durchsetzung der
Gleichberechtigung von Frauen und Männern, Herr Präsident, zu fördern und auf die Beseitigung bestehender
Nachteile hinzuwirken. Das gilt auch - so sage ich das
als Liberale - für Männer.
Das setzt allerdings auch einen gesellschaftlichen
Wandel im weiblichen und männlichen Rollenverständnis voraus, der sich bisher weder in der Wirtschaft noch
im privaten Bereich noch hier im Deutschen Bundestag
widerspiegelt. Die Wertschätzung der besonderen Talente von Frauen, verbunden mit mehr Freiheit, das persönliche Leben zu gestalten, ist der Schlüssel zu einer liberalen Bürgergesellschaft.
({5})
Meine Damen und Herren, gestern haben wir in einer
Aktuellen Stunde im Bundestag das größte Hemmnis für
die Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt diskutiert: die
fehlende Betreuung der Kinder. Nach dem Auslaufen
des Elterngeldes - das ist meine Kritik an der Großen
Koalition - werden die Betroffenen in einer Betreuungsfalle landen. Kurios bei dieser Diskussion finde ich allerdings, dass sich alle, auch der Deutsche Städte- und
Gemeindebund, mit Zahlen zum Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen geradezu überbieten: 500 000, 750 000.
Meine Herren und meine Damen, junge Familien berauschen sich nicht an Zahlen, sondern an einem Krippenplatz für ihr Kind, und zwar jetzt und nicht erst 2010
oder 2013.
({6})
Deshalb gehören mehr Wettbewerb und mehr Privatisierungen auf den Kinderbetreuungsmarkt.
({7})
Im Zusammenhang mit der Berufsausbildung junger
Mütter fehlen noch viele Rahmenbedingungen: Teilzeitumschulung, Unterstützung von Studentinnen mit Kindern durch ein „Baby-BAföG“, ein modulares Ausbildungssystem, bessere Berufsberatung und Information,
aber - das sage ich ganz deutlich in Richtung der jungen
Frauen - natürlich brauchen die Frauen selbst auch Mut,
und sie müssen Eigeninitiative aufbringen.
({8})
Auch im öffentlichen Dienst, der aufgrund der Arbeitsplatzsicherheit eigentlich beste Rahmenbedingungen für die Karriere von Frauen bereithält - der Erste
Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Bundesgleichstellungsgesetz, der heute mitberaten wird, liegt
endlich vor -, sind die Ergebnisse bescheiden: In den
Dienststellen der Bundesverwaltung liegt der Frauenanteil bei 45 Prozent. Bei der Teilzeit liegt der Frauenanteil
- Frau Humme, Sie haben das gelesen - bei 91 Prozent.
Sogar im öffentlichen Dienst ist das Einkommen von
Frauen um 20 Prozent niedriger als das der Männer. Mit
der im Gesetz verankerten Quotenregelung ist natürlich
auch kein Staat zu machen. Wir müssen lesen:
Die einzelfallbezogene Quote hat bisher keine signifikante praktische Bedeutung erlangt.
Die FDP-Bundestagsfraktion fordert die Bundesregierung dazu auf, erfolgreichere Initiativen und Fahrpläne zu entwickeln, damit der nächste Erfahrungsbericht zum Bundesgleichstellungsgesetz - 2009 - bessere
Ergebnisse vorweist.
Ich komme zum Schluss. Alle Arbeitsmarktdaten zeigen, dass Frauen, ob in der Wirtschaft oder im öffentlichen Dienst, von einer echten Teilhabe und Chancengleichheit noch meilenweit entfernt sind.
({9})
Das muss für uns Politikerinnen und Politiker Ansporn
sein, mit intelligenten und kreativen Lösungen und Initiativen von hier aus für eine echte Gleichberechtigung
von Frauen und Männern zu sorgen.
({10})
Das Wort erhält nun die Bundesministerin Dr. Ursula
von der Leyen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der aktuellen Debatte lesen wir viele Überschriften. Sie reichen von „Die gescheiterte Emanzipation“ bis zu „Der
neue konservative Feminismus“. Das Thema bewegt,
und das ist gut so.
Es hilft aber auch, auf die nüchternen Zahlen zu
schauen, beispielsweise auf die Zahl der Frauen in Führungspositionen: Dort sind Frauen viel zu selten zu finden. Schauen wir auf die Einkommensunterschiede, die
eben schon angesprochen worden sind - für gleiche Arbeit ungleicher Lohn -, oder auf die Lage der Frauen im
Alter: Ein Drittel der Männer über 65 bezieht Sozialhilfe, aber zwei Drittel der Frauen. Diese Zahlen dürfen
uns nicht unbeschäftigt lassen.
Es gibt aber genauso aussagekräftige Zahlen für den
Erfolg der Frauenbewegung: Frauen haben die Bildung
erobert. 1970 waren 23 Prozent der Studierenden an
Hochschulen oder Universitäten Frauen, heute sind es
mehr als die Hälfte. Mädchen lernen erfolgreich. Sie
profitieren von Schule. Sie investieren in ihre Ausbildung und wollen sie beruflich nutzen. Der Anteil von
Frauen in den Landes- und Bundesparlamenten ist seit
1980 sprunghaft gestiegen. Heute haben wir mit Angela
Merkel die erste Bundeskanzlerin unseres Landes. Darauf sind wir stolz. Das ist auch ein Erfolg der Frauen.
({0})
In diesen Zahlen und Tatsachen liegt aber auch die
große Herausforderung unserer Zeit. Im Grundgesetz
steht:
Männer und Frauen sind gleichberechtigt.
Aus gutem Grund, aber erst Jahre später, ist dies durch
den Satz ergänzt worden:
Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der
Gleichberechtigung von Frauen und Männern und
wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile
hin.
Mit anderen Worten: Zwischen dem Anspruch des
Grundgesetzes und der Wirklichkeit klafft immer noch
eine breite Lücke.
Deshalb stehen für mich drei Kernanliegen im Mittelpunkt einer modernen Gleichstellungspolitik:
Erste Säule. Gleiche Teilhabe von Frauen und Männern am Erwerbsleben.
({1})
Es kann nicht so bleiben, dass Frauen zwar bis zum
30. Lebensjahr im gleichen Maße wie Männer in Führungspositionen sind, danach aber erbarmungslos an
die gläserne Decke stoßen. Das Verhältnis verschiebt
sich dann so, dass mehr als drei Viertel aller Führungspositionen von Männern besetzt sind. Dies kann nicht so
bleiben. Wir brauchen diese talentierten Frauen ebenso
wie die talentierten Männer, und zwar mit gleichen
Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
({2})
Wir müssen auch vor unserer eigenen Haustür kehren;
das sage ich hier ganz deutlich. Nicht nur in der Wirtschaft und in der Wissenschaft sind Frauen trotz gleicher
Qualifikationen in den Führungspositionen weiter erheblich unterrepräsentiert, sondern auch in der öffentlichen
Verwaltung. Das zeigt der von der Bundesregierung am
7. Dezember 2006 vorgelegte Erfahrungsbericht zum
Bundesgleichstellungsgesetz. Der Anteil der Frauen an
den Referatsleitungen in den obersten Bundesbehörden
ist von 2000 bis 2005 von 13,5 auf 20 Prozent gestiegen.
Aber das reicht nicht. Auch der Anteil der Abteilungsleiterinnen stieg 2006 auf nur 15 Prozent nach rund
9 Prozent im Jahr 2000.
({3})
- Ich höre gerade von der Seite: Schneller als bisher. Das
ist richtig. Dennoch müssen wir uns selber sagen: Wir
kommen voran, aber es liegt noch eine erhebliche Wegstrecke vor uns. Das dürfen wir nicht vergessen. Wir
wollen zügig weitermarschieren.
({4})
Deshalb will ich positiv sagen: Die Große Koalition
hat wieder eine Bastion gestürmt. Endlich sind 2006 im
Auswärtigen Amt und im Bundesinnenministerium erstmals Frauen zu Abteilungsleiterinnen ernannt worden.
({5})
Auch die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie
und Erwerbstätigkeit ist ein ausdrückliches Ziel des
Bundesgleichstellungsgesetzes. Die eben erwähnte gläserne Decke für Frauen ist auch deshalb so schwer zu
durchdringen, weil viele Mütter und immer mehr engagierte Väter nicht bereit sind, die Familie für den Beruf
oder den Beruf für die Familie zu opfern. Recht haben
sie. Wir brauchen beides!
({6})
Deshalb ist für mich die zweite Säule moderner
Gleichstellungspolitik die Erweiterung der Rollen. Wir
brauchen keine Rollenklischees mehr. Das sage ich ganz
ausdrücklich. Gleichstellung ist keine Einbahnstraße.
So, wie für Frauen gilt, dass sie zu Recht um die Erweiterung ihrer Rolle kämpfen, gilt das genauso für Männer.
Männer sind nicht nur Menschen, die im Beruf stehen.
Männer haben ein Recht darauf, aktive Väter zu sein,
({7})
und auch ihre Fragen nach Vereinbarkeit von Beruf und
Familie gehören in den Mittelpunkt.
Dies sage ich auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels. Wenn immer weniger junge Menschen immer mehr älteren Menschen gegenüberstehen,
dann stellt sich die Frage, mit der die European
Women’s Lobby zum Internationalen Frauentag 2007
antritt - der Herr Bundestagspräsident möge mir verzeihen, dass ich die Frage im Wortlaut stelle -: „Who cares?“
Das Spannende an „Who cares?“ ist, dass man die Frage
im deutschen Kontext, Herr Bundestagspräsident, im
doppelten Sinne des Wortes auslegen kann. Man kann
mit einem Schulterzucken sagen: Wen kümmerts? Man
kann sie aber auch übersetzen mit „Wer kümmert sich?“ um Kindererziehung, um hilfsbedürftige Menschen, um
Pflege und Begleitung älterer Angehöriger. Wie wir
„Who cares?“ auslegen werden, ob wir die Frage mit einem humanen Akzent auslegen, hängt auch damit zusammen, ob Fürsorge nur eine weibliche Rolle bleibt,
das heißt eine Rolle der Töchter, oder auch eine akzeptierte, engagierte männliche Rolle, eine Rolle der Söhne,
wird.
({8})
Die dritte Säule unserer Gleichstellungspolitik - das
ist ebenfalls eine wichtige Säule - bezieht sich auf die
Unterstützung von Frauen, die Gewalt erfahren. Das beginnt bei dem Thema häusliche Gewalt. Dabei sind wir
einen großen Schritt vorangekommen. Ich merke dies
gerade im internationalen Kontext, wenn ich das sagen
darf; denn mit der Einführung des Paradigmas „Wer
schlägt, muss gehen“ im Rahmen des Gewaltschutzgesetzes wurde Enormes in diesem Land bewegt. Dennoch
gibt es nach wie vor häusliche Gewalt. Der Bogen beim
Thema „Schutz vor Gewalt“ spannt sich dann weiter bis
hin zu Zwangsverheiratung oder Zwangsprostitution.
Das heißt, eine ganz grundlegende Anforderung an
Gleichberechtigung ist die Garantie, leben zu können
ohne Angst vor Bedrohung und ohne Angst vor Gewalt.
Deshalb ist Gewaltschutzpolitik auch im 21. Jahrhundert wesentlicher Bestandteil von Gleichstellungspolitik.
({9})
Ich werde Ihnen dazu noch in diesem Jahr den neuen
Aktionsplan gegen Gewalt vorlegen, der in den nächsten
Wochen zwischen meinem Haus und den anderen Ressorts abgestimmt wird.
Meine Damen und Herren, Rollen erweitern, Perspektiven gewinnen, Gleichstellung verwirklichen - das ist
das Motto meines Ministeriums zu seinem 20. Geburtstag. Wir haben in den letzten Jahren viel erreicht, aber
mindestens ebenso viel liegt noch vor uns. Ich freue
mich auf die gemeinsame Arbeit.
Vielen Dank.
({10})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Binder, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf
den Balkonen! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist
nun ein Jahr her, dass wir von der Linken und die anderen Oppositionsparteien Anträge zur Gleichstellung auf
dem Arbeitsmarkt eingebracht haben. Heute, genau ein
Jahr später, liegen nun dieselben Anträge zur abschließenden Beratung wieder auf dem Tisch. Ist das nicht
oberpeinlich?
({0})
In diesem Jahr hat sich bzw. haben wir an der Situation der Frauen in Deutschland nichts wesentlich geändert. Es gibt zum Beispiel noch immer kein umfassendes
Antidiskriminierungsgesetz; stattdessen müssen wir uns
mit einer Lightversion namens Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz abfinden. Wir haben noch immer kein
Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft, obwohl einige meiner Vorrednerinnen, auch die Ministerin,
genügend Gründe dafür in ihren Redebeiträgen geliefert
haben. Frauen bekommen immer noch nachweislich um
20 Prozent niedrigere Gehälter als ihre männlichen Kollegen in Deutschland. Bei Arbeiterinnen sieht es noch
verheerender aus: Sie haben laut Bericht des Statistischen Bundesamtes von 2006 im Schnitt 26 Prozent weniger. Sie bekommen auch eine wesentlich niedrigere
Rente als ihre männlichen Kollegen.
Im Jahr 2004 bezogen Männer in Deutschland im
Durchschnitt eine Versichertenrente in Höhe von
1 000 Euro. Ihre Kolleginnen dagegen erhielten gerade
einmal im Schnitt zwischen 382 und 712 Euro. Die
Bandbreite der Zahlen entsteht durch die Unterschiede
zwischen Arbeiterinnen und Angestellten wie auch
durch das Ost-West-Gefälle. Mehr Informationen können Sie ebenfalls dem Bericht des Statistischen Bundesamtes entnehmen. - Das bedeutet für viele Frauen schon
heute Altersarmut. Daran wird auch das Familiensplitting nichts ändern, Frau Humme; denn damit werden
ebenfalls wieder die Besserverdienenden bedient.
Dann kommt noch die Rente mit 67. Von den derzeit
nicht einmal 700 Euro gibt es dann auch noch Abzüge
dafür, dass frau mit 65 in Rente gehen möchte. Aber
dummerweise war sie eben keine 45 Jahre sozialversichert beschäftigt. Pech! Die SPD jedenfalls weicht keinen Schritt zurück. Ist es nicht so, Frau Humme?
Vor diesem Hintergrund soll also morgen die Rente
mit 67 beschlossen werden. Ich halte dies für einen verfassungsrechtlich bedenklichen Vorgang.
({1})
Nach Meinung zahlreicher Experten, auch in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, führt dies
zu einer weiteren Benachteiligung von Frauen, vor allem
durch die 45er-Regelung. Auch deshalb werden wir von
der Linken dieses Gesetz ablehnen.
({2})
Eine Ursache für diese Problematik liegt in den unterbrochenen Erwerbsbiografien vieler Frauen. Daran wird
sich wahrscheinlich auch in absehbarer Zeit nicht wirklich etwas ändern, trotz der Bemühungen, die Frau von
der Leyen in Sachen Kinderbetreuung derzeit an den Tag
legt. Die Realitäten in Deutschland sehen nämlich so
aus: insbesondere im Südwesten fehlende Kinderbetreuungsplätze, bundesweit fehlende Ausbildungsplätze,
hohe Arbeitslosigkeit, sinkende Reallöhne und eine
wachsende Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse.
Dies alles trifft Frauen in besonderem Maße. Zwar mag
die Beschäftigungsquote von Frauen inzwischen gestiegen sein; aber immer mehr Frauen arbeiten heute in nicht
versicherten, prekären Beschäftigungsverhältnissen. Das
bedeutet: keine Vorsorge, keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld oder gar Rente; noch mehr Altersarmut ist vorprogrammiert.
Dazu kommt, dass knapp 21 Prozent aller abhängig
Beschäftigten in Deutschland im Niedriglohnbereich
arbeiten, sagt das IAT in Nordrhein-Westfalen. Weit über
die Hälfte davon sind Frauen. Bestimmt erstaunt niemanden, dass insbesondere Jüngere, Geringqualifizierte
und Migrantinnen betroffen sind. Zwei Drittel der Vollzeitbeschäftigten mit Niedriglöhnen sind weiblich. Dass
Teilzeitbeschäftigte und Minijobberinnen überdurchschnittlich von diesen niedrigen Stundenlöhnen betroffen sind, wundert sicher ebenfalls niemanden.
Es mag zynisch erscheinen, aber der Niedriglohnsektor ist eine Frauendomäne. Das liegt auch an dem hohen
Beschäftigungsanteil der Frauen in Dienstleistungsberufen. Dort sind die Niedriglöhne besonders verbreitet. Betroffen sind vor allem Berufe, die überwiegend von
Frauen ausgeübt werden. 98 Arzthelferinnen zum Beispiel steht ein Arzthelfer gegenüber; bei Friseurinnen ist
das Verhältnis vier zu eins. Eine ausgelernte Friseurin in
Sachsen bekommt gerade einmal skandalöse 3,82 Euro.
Aber es gibt noch schlimmere Beispiele.
Ein gesetzlicher Mindestlohn von 8 Euro, wie wir
ihn fordern, käme all denen zugute, deren derzeitige Tariflöhne viel zu niedrig sind, um von ihrer eigenen Arbeit leben zu können.
({3})
Ein existenzsichernder gesetzlicher Mindestlohn würde
auch den Frauen in vielen Berufsgruppen helfen, die bisher ohne tarifliche Absicherung arbeiten müssen. Dies
trifft vor allem die inzwischen zahlreichen, meist weiblichen Beschäftigten in Teilzeit- und Minijobs; ich erwähnte es bereits. Wer in einem Minijob arbeitet, tut dies
häufig unterhalb von tariflichen Konditionen und überwiegend zu einem Niedriglohn.
Am Thema Niedriglohn zeigt sich: Die frauenpolitische Forderung nach gleichem Lohn für gleichwertige
Arbeit, die Frauen wie Männern gleichermaßen ein existenzsicherndes Einkommen garantieren soll, ist immer
noch aktuell.
({4})
Das Erreichen eines flächendeckenden einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns ist deshalb nur ein Schritt von
vielen, aber immerhin ein Schritt. Aus diesem Grund ist
unsere Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn
auch eine gleichstellungspolitische Forderung, eine Forderung nach mehr Geschlechtergerechtigkeit.
Ich danke Ihnen.
({5})
Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes - ({0})
- Entschuldigung!
({1})
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob in den Reaktionen die
Empörung oder die Erleichterung überwiegt;
({2})
aber ich will Ihnen doch wenigstens zur Rechtfertigung
des Missverständnisses
({3})
die Rednerliste zeigen.
({4})
Ich merke mir jedenfalls für die Zukunft, durch welche
Art von irreführenden Hinweisen Bewegung in die Debatten zu bringen ist.
Frau Kollegin Schewe-Gerigk, nun haben Sie das
Wort und hoffentlich die nötige Aufmerksamkeit für die
Behandlung des Themas.
Ja, nach diesem Vorwort ganz sicherlich. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Verehrte Frau
Ministerin, ich freue mich sehr, dass Sie heute an dieser
Debatte teilnehmen. Ich habe mich auch sehr darüber gefreut, dass Sie die Erfolge der rot-grünen Frauenpolitik
hier ausdrücklich gewürdigt haben: die höhere Beteiligung in Führungspositionen in den Ministerien, das Gewaltschutzgesetz. Das war wirklich sehr schön.
({0})
Aber jetzt muss ich mit den Freundlichkeiten leider aufhören.
Ich habe während Ihrer Rede darauf gewartet, dass
Sie sagen, was Sie nun tun wollen und was Sie vorschlagen. Die Große Koalition ist angetreten, große Probleme
zu lösen. Sie liegen in der Tat vor der eigenen Tür. Das
gilt nicht nur für den Klimaschutz und die soziale Sicherung, sondern gerade auch für den Bereich der Gleichstellungspolitik.
Kürzlich gaben 86 Prozent der Frauen in einer
Emnid-Umfrage an, die Gleichberechtigung sei nicht erreicht. Passend zum 20. Jubiläum des Frauenministeriums sagt das nun auch erstmalig nach eineinhalb Regierungsjahren die Kanzlerin. Da kann ich nur sagen:
Gratulation! Denn in ihren ersten 100 Reden als Regierungschefin hat die Kanzlerin das Wort Gleichberechtigung peinlich vermieden.
Peinlich war das offensichtlich den Abgeordneten von
CDU/CSU und SPD. Den Vorwurf, dass sie zu diesem
Thema nichts zu sagen hätten, wollten sie nicht auf sich
sitzen lassen. Auf den Tag genau ein Jahr ist vergangen
seit der Einbringung unseres grünen Antrages zur
Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt. Heute legen auch
Sie einen Antrag vor. Auf fast neun Seiten beschreiben
Sie detailliert die Benachteiligung von Frauen auf dem
Arbeitsmarkt. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Studien zusammenzufassen, ist nicht die vornehmste
Aufgabe der Politik. Ich frage mich, wo da Ihr politischer Part bleibt.
({1})
Ich zitiere einmal aus Ihrem Antrag. Sie wollen ermutigen, Sie wollen prüfen, Sie wollen hinwirken, Sie wollen werben. Meine Tochter würde das so beschreiben:
„Hallo! Haben die eigentlich erkannt, dass sie in der Regierung sind?“
({2})
Sie sollen umsetzen, Sie sollen verpflichten, Sie sollen
erlassen. Das ist Ihre Aufgabe. Das würde den Frauen in
diesem Land weiterhelfen.
Nehmen wir das Beispiel Privatwirtschaft. In Ihrem
Antrag steht, dass Sie die Wirtschaft zu Aktivitäten ermuntern wollen. Was heißt das eigentlich? Ist das eine
brillante Formulierung dafür, dass Sie weiterhin nichts
tun wollen und trotzdem hoffen, dass sich in der Privatwirtschaft endlich etwas bewegt? Ich finde, das ist nicht
nur frauen-, sondern auch wirtschaftsfeindlich; denn die
Männerdominanz in der Wirtschaft hat sich in Deutschland wahrlich als Innovationshemmnis erwiesen.
({3})
Schauen wir uns den Bericht zum Bundesgleichstellungsgesetz an; er zeigt in die richtige Richtung. Der
steigende Anteil von Frauen auch in höheren Positionen
ist Ergebnis des Gesetzes. Genau so könnte es sich mit
gesetzlichen Regelungen in der Privatwirtschaft entwickeln. Damit könnte Deutschland endlich den Anschluss an die Volkswirtschaften erreichen, die durch
eine höhere Frauenerwerbstätigkeit deutlich innovativer
sind als andere.
Wir brauchen aber auch Anreize. Ich nenne als Beispiel die bevorzugte Vergabe öffentlicher Aufträge an
Firmen, die sich für Chancengleichheit einsetzen. Kommen Sie mir bitte nicht wieder damit, das gehe nicht, das
könne man gesetzlich nicht regeln. Eine europäische
Richtlinie eröffnet diesen Spielraum. Ohne den Rückenwind aus Europa sähe es bei uns geschlechterpolitisch
ziemlich finster aus.
({4})
Immerhin: In der Familienpolitik gibt es dank Ihrer
Anstrengungen, Frau Ministerin von der Leyen, Bewegung, wenn auch mancher CDUler so tut, als würde die
Zwangseinweisung der Säuglinge aus dem Kreißsaal direkt in die Kinderkrippe bevorstehen. Aber in der Frauenpolitik halten Sie, verehrte Frau Ministerin, einen
Dornröschenschlaf. Sie schweigen, wenn Ihr Kollege
Müntefering eine neue abschlagfreie Rente plant, die
Frauen offensichtlich diskriminiert. Sie tun nichts für die
Frauen, die trotz aller Qualifikation an die gläserne
Decke stoßen. Sie berichten zwar darüber, aber Sie unternehmen nichts. Sie tun nichts für die Frauen, die trotz
Vollzeitarbeit ihre eigene Existenz kaum sichern können.
Sie tun überhaupt nichts für die, die Schutz vor Zwangsverheiratung benötigen. In eineinhalb Jahren hat es hier
von Ihnen keine Vorschläge gegeben. Wir haben jede
Menge Anträge eingebracht, die aber alle abgelehnt wurden. Eigene Initiativen der Regierungsfraktionen? Fehlanzeige. Lösung großer Problem? - Fehlanzeige.
Ich möchte heute einen Punkt unseres Antrages in den
Mittelpunkt stellen. Das ist die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern. Wir gehören zu den wenigen Ländern in der EU, in denen sich die Schere zwischen Männer- und Frauenlöhnen nicht etwa schließt,
sondern noch weiter öffnet, und das, obwohl uns doch
dieses Jahr ein Jubiläum ins Haus steht. Vor 50 Jahren
wurden die Römischen Verträge mit dem Grundsatz der
Lohngleichheit unterzeichnet. Das geschah damals nicht
aus Gründen der Gerechtigkeit, sondern weil die französische Regierung Lohndumping durch die berüchtigten
Leichtlohngruppen für Frauen in Deutschland fürchtete.
Diese haben wir nun endlich abgeschafft. Aber nach
50 Jahren beträgt die Differenz laut EU-Kommissar
Spidla, wie er gestern vorgetragen hat, immer noch
22 Prozent. Das ist wahrlich kein Ruhmesblatt.
Interessanterweise sind die Gehaltsunterschiede umso
größer, je höher die Position ist - und das angesichts dessen, dass wir beim Anteil an weiblichen Führungskräften
sehr weit hinten liegen. Es gibt in Unternehmen mit
mehr als 500 Beschäftigten nur 4 Prozent weibliche Führungskräfte; das heißt, 96 Prozent aller Führungskräfte
sind männlich. Meine Herren, sind diese alle so viel besser qualifiziert? Das scheint mir sehr unwahrscheinlich
zu sein. Von den DAX-notierten Unternehmen ganz zu
schweigen: Hier gibt es im Vorstand eine 100-prozentige
Männerquote. Da waren wir schon einmal weiter. Es gab
nämlich einmal eine Frau im Vorstand; aber inzwischen
ist sie nicht mehr da.
Die Bundeskanzlerin hat das gestern einen Skandal
genannt und bestätigt, dass wir von einer Gleichberechtigung weit entfernt sind. Ich sage nur: Schön, dass das
jetzt auch bei ihr angekommen ist; sie war ja auch einmal Frauenministerin.
({5})
Diesen Erkenntnisgewinn sollte sie in politisches Handeln umsetzen. Wie wäre es denn zum Beispiel mit einer
Initiative für mehr Lohngerechtigkeit innerhalb der EU?
Die Ratspräsidentschaft, die Deutschland gerade übernommen hat, bietet sich für eine solche Initiative geradezu an.
({6})
Die schlechtere Bezahlung von Frauen, obwohl sie oft
genug besser qualifiziert sind als ihre männlichen Kollegen, ist ein großes Problem. Dessen Lösung stünde der
ersten Kanzlerin Deutschlands gut zu Gesicht. Also, tun
Sie endlich etwas!
Vielen Dank.
({7})
Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, beginnt die
zweite Runde der vereinbarten Debatte zur Frauenpolitik. Sie wird durch die Kollegin Elke Ferner von der
SPD-Fraktion eröffnet.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
96 Jahre nach dem ersten Internationalen Frauentag und
mehr als zwei Jahrzehnte nach Beginn der neuen Frauenbewegung ist zwar vieles in Bewegung gekommen. Vieles hat sich wirklich verbessert; Frau Humme und andere
haben eben darauf hingewiesen. Insbesondere die
Rechtsposition der Frauen hat sich verbessert. Aber es
ist auch richtig: Vieles muss noch bewegt werden.
({0})
Auch im 21. Jahrhundert kann frau sich manchmal
nicht des Eindrucks erwehren, dass es auch eine Bewegung gibt, die in eine andere Richtung, in eine falsche
Richtung, geht. Dass beispielsweise eine erfolgreiche
Journalistin wie Frau Herman die Frauen, die in ihrer
überwiegenden Mehrheit nicht nur erfolgreich im Beruf,
sondern auch Mutter sein wollen, an den öffentlichen
Pranger stellt, geht für meine Begriffe wirklich in die
falsche Richtung.
({1})
Ob das Motiv nun der inneren Überzeugung entspricht
oder ob es nur eine plumpe Vermarktungsstrategie für
ein neu erschienenes Buch ist, lasse ich einfach einmal
dahingestellt.
Auch dass beispielsweise die stellvertretende Landesvorsitzende der sogenannten Linkspartei im Saarland
Christa Müller, die Ehefrau des Fraktionsvorsitzenden
von der Linken, einem erzkonservativen Bischof mit
pseudowissenschaftlichen Erkenntnissen hilfreich zur
Seite springt, geht in die falsche Richtung.
({2})
Lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Gerne.
Bitte schön.
Verehrte Frau Ferner, darf ich Sie fragen, ob Sie zur
Kenntnis nehmen möchten, dass die Position der Ehegattin des Vorsitzenden nicht die Position der Fraktion Die
Linke und auch nicht die der Partei ist und dass es vor allen Dingen einem entwickelten frauenpolitischen Verständnis entspricht, eine eheliche Beziehung nicht mit
einer geistigen und politischen Übereinstimmung gleichzusetzen? Eine Ehe einzugehen, bedeutet nicht, dass
Meinungsgleichheit bestehen muss. Auch Meinungsdifferenz in Ehen wissen wir Frauen sehr zu schätzen. Das
trifft in diesem Fall zu. Möchten Sie das bitte zur Kenntnis nehmen?
({0})
Ich nehme gerne zur Kenntnis, dass Ihre Parteikollegin Christa Müller zu Beginn dieser Woche in einer Zeitung mit vier großen Buchstaben erklärt hat, dass sie für
die WASG und die Linkspartei im Saarland spricht,
wenn sie beispielsweise ein Erziehungsgehalt fordert,
was von einigen aus Ihrer Partei zu Recht als Herdprämie für Frauen kritisiert wird. Ich gebe Ihnen recht, dass
es, wenn man miteinander verheiratet ist, natürlich auch
weiterhin möglich sein muss, unterschiedliche politische
Auffassungen zu vertreten.
({0})
Ich vermisse allerdings eine öffentliche Aussage Ihres
Fraktionsvorsitzenden zum Thema Gleichstellungspolitik, zum Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“.
({1})
Als Mitglied der saarländischen SPD und langjährige
Vorsitzende der saarländischen Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, und zwar zu der Zeit, als Ihr
Fraktionsvorsitzender Landesvorsitzender der SPD und
saarländischer Ministerpräsident gewesen ist, kann ich
Ihnen sagen, dass er nun gerade nicht derjenige gewesen
ist, der an der Spitze der Frauenbewegung gestanden hat,
sondern eher zum Jagen getragen werden musste.
({2})
Dass sich ausgerechnet einige Frauen, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen und sich nicht damit herumplagen müssen, wie sie ihr Einkommen und den Lebensunterhalt ihrer Kinder sichern, jetzt gegen die Frauen
wenden, die das - ob freiwillig oder unfreiwillig - jeden
Tag tun, geht ein gutes Stück zu weit. Ich kann für beide,
sowohl für Christa Müller als auch für Frau Herman, nur
hoffen, dass die Väter ihrer Kinder zur Stelle sind, um die
Kinder zu betreuen, wenn sie selbst durch die Talkshows
tingeln, damit die Kinder nicht einen dauerhaften Schaden
nehmen.
({3})
Christa Müller hat zu Beginn dieser Woche auch gesagt: Feministinnen fordern nur Sachen, die ihnen gefallen. - Ich muss sagen, diese Frau hat entweder die Frauenbewegung der 70er-, 80er- und 90er-Jahre nicht
wahrgenommen oder versucht wieder, eine dicke
Schlagzeile zu ergattern. Die Frauenbewegung in
Deutschland wollte nie einen bloßen Rollentausch, eine
Diskriminierung mit umgekehrten Vorzeichen, nie. Wir
haben immer gesagt, wir wollen, dass Frauen das bekommen, was ihnen zusteht - nicht mehr, aber auch
nicht weniger. Die Hälfte der Führungspositionen in
Staat, Wissenschaft und Wirtschaft, die Hälfte der Verantwortung für die Familie, die Hälfte der Kindererziehung, die Hälfte der Hausarbeit und die Hälfte des Ehrenamtes werden die Frauen freiwillig und mit
Vergnügen den Männern überlassen; sie wollen nur endlich die Hälfte bekommen, die sie bisher nicht haben.
({4})
Ich begrüße sehr, dass die Bundeskanzlerin zu Beginn
dieser Woche gesagt hat, es sei ein Skandal, dass in den
deutschen DAX-Unternehmen keine einzige Frau im
Vorstand ist. Ich füge hinzu: Wenn es nicht die Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenvertretungen in den
Aufsichtsräten gäbe, dann sähe es in den Aufsichtsräten
noch düsterer aus, als es ohnehin der Fall ist. - Ich sage
aber auch: Den Zustand nur zu beklagen, ohne Maßnahmen zu ergreifen, damit sich daran etwas ändert, reicht
nicht aus. Wir wären gut beraten, insbesondere weil wir
die Ergebnisse der zweiten Bilanz kennen, Frau MinisteElke Ferner
rin, und weil wir wissen, dass es dort im Schneckentempo vorangegangen ist - das zeigt auch, dass das Bundesgleichstellungsgesetz zwar nicht so schnell gewirkt
hat,
({5})
wie wir es eigentlich gern wollten, aber deutlich schneller gewirkt hat als das, was in der Privatwirtschaft mit
der freiwilligen Vereinbarung gemacht worden ist -,
({6})
verbindliche Zielvorgaben für die Privatwirtschaft zu
machen. Ohne diese Zielvorgaben wird nicht nur diese
Frauengeneration, sondern werden auch die nächsten
Frauengenerationen unter der gläsernen Decke hängen
bleiben.
({7})
Es ist richtig - das ist eben schon gesagt worden -:
Die Wirtschaft erweist sich einen Bärendienst, wenn sie
die bestausgebildete Frauengeneration nicht in den beruflichen Aufstieg einbezieht, Frauen den Berufszugang
erschwert und sie zum Teil an betrieblicher Qualifizierung nicht beteiligt. Ich hoffe, dass die Arbeitgeberseite
und die Wirtschaft aufwachen. Denn vor dem Hintergrund eines zurückgehenden Erwerbstätigenpotenzials
wird die Wirtschaft darauf angewiesen sein, das Erwerbspotenzial sowohl der Frauen als auch der Älteren
deutlich besser auszuschöpfen, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben will. Ich bin aber nach wie vor davon überzeugt, dass es ohne Zielvorgaben nicht gehen wird; denn
Freiwilligkeit - das haben wir bereits gesehen - hat nicht
funktioniert.
Ich freue mich auch darüber, dass es in unserem Land
eine Diskussion über die Frage gibt, wie man die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern kann, die
leider immer noch in erster Linie ein Problem der Mütter
ist. Wir haben ein Konzept vorgelegt. Ich freue mich,
dass Frau von der Leyen auf die SPD-Linie eingeschwenkt ist
({8})
und jetzt einen deutlich stärkeren Ausbau der Kinderbetreuung fordert. Ich füge aber hinzu, Frau von der Leyen:
Es reicht nicht aus, Vorschläge über die Anzahl der
Plätze zu unterbreiten. Man muss auch dafür sorgen,
dass man dafür die Mehrheiten in seiner eigenen Partei
und Fraktion hat und dass das Ganze finanzierbar ist.
Nur dann kann es umgesetzt werden.
({9})
Wir haben unsere Vorschläge gemacht. Ich hoffe, dass
die Union in Kürze sagen wird, wie sie das Ganze finanzieren will.
({10})
Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken hat recht, wenn er sagt: Es
haben sich offenbar jene in der Union durchgesetzt,
welche die Realität junger Familien immer noch
nicht wahrhaben wollen und sich hinter der Forderung verstecken, man müsse erst den Bedarf feststellen.
Wer zunächst den Bedarf feststellen lassen will, der lebt
meiner Meinung nach nicht mehr in dieser Welt. Die
Wartelisten in den Tageseinrichtungen und die Wünsche
der Eltern nach Ganztagsschulen sprechen doch eine
deutliche Sprache. Man braucht doch nicht mehr danach
zu fragen, ob wir mehr Plätze brauchen. Stattdessen
müssen wir dafür sorgen, dass die Zahl der Plätze steigt.
({11})
Ich wünsche mir, dass wir nicht nur am Internationalen Frauentag, sondern jeden Tag alles dafür unternehmen, die immer noch vorhandene strukturelle Diskriminierung und Benachteiligung von Frauen in unserer
Gesellschaft zu überwinden. Das muss überall, nicht nur
im Frauenressort, in der Bundesregierung oder im Parlament passieren. Ich freue mich auf den Wettstreit um die
besten Konzepte.
Ihnen allen wünsche ich einen schönen Internationalen Frauentag.
({12})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sibylle Laurischk
für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der
96. Internationale Frauentag ist sicher kein Grund zur
Trauer, aber auch kein Jubeltag. Die andauernden und
nachhaltigen Benachteiligungen von Frauen sind von
meinen Vorrednerinnen ausführlich dargestellt worden.
Von einer echten, alle Lebensbereiche durchdringenden
Gleichberechtigung der Geschlechter in Deutschland
kann nicht die Rede sein. Dennoch: Die Zukunft unserer
Gesellschaft liegt in den Händen der Frauen; uns Frauen
gehört die Zukunft.
({0})
Ich zolle der Familienministerin Respekt für ihr Vorhaben, insbesondere den Männern ein anderes, vielfältigeres Rollenbild abzuringen. Die Honorierung von Vätermonaten beim Elterngeld ist dafür ein aktuelles
Beispiel. Ich hoffe, Frau Ministerin, dass Sie im Familienministerium auch Abteilungsleiterinnen haben.
({1})
Interessant sind die Reflexe auf diese Entwicklung.
Es gibt Kreise, die das Abendland in Gefahr und Frauen
zu Gebärmaschinen herabgewürdigt sehen, wenn Sie neben Kindern auch die Teilhabe an beruflicher Entwick8508
lung umsetzen wollen. Aber Sie, die Herren von der
CDU/CSU-Fraktion, werden Frau Ministerin von der
Leyen schon nicht zu übermütig werden lassen, sicher
auch zum Wohlgefallen Ihres Koalitionspartners, dem
die Ministerin auf diesem Feld bislang kaum Luft zum
Atmen gelassen hat. Die SPD kann jetzt aufatmen, die
Frauen nicht. - Die frauenpolitische Baustelle dieser Koalition bleibt offen. Da hilft auch der 20. Geburtstag des
Frauenministeriums nicht; hierzu übrigens meinen herzlichen Glückwunsch.
Bezeichnend ist schon, dass uns erst in letzter Minute
ein gemeinsamer Antrag der Koalition zu diesem heutigen Tagesordnungspunkt vorgelegt wird. Ein Gesetzentwurf zur Zwangsheirat bleibt uns wohl endgültig vorenthalten. Die Unterhaltsrechtsreform, wiewohl seit
Monaten im Justizministerium fertiggestellt, ist überfällig. Die gravierend ungleiche Bezahlung von Männern
und Frauen ist eine ständige Entmutigung der erwerbstätigen Frauen und nicht hinnehmbar. Gewalt gegen
Frauen ist für viele Alltag; verlässlich finanzierte Frauenhäuser und Unterkünfte für Frauen in Not gibt es immer noch nicht. In jeder einzelnen Kommune kämpfen
die Frauen um jeden Cent zur Finanzierung.
({2})
An meine Kolleginnen und Kollegen von den Grünen
gerichtet möchte ich sagen, dass Ihr Antrag „Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt verwirklichen - Innovationshemmnis Männerdominanz beenden“ etwas dick aufträgt. Zum Dominieren braucht es zwei. Frauen duldsam
darzustellen, halten wir nicht für den richtigen Weg.
Unser Antrag zeigt, dass wir die Chancen der Wirtschaft durch die Beteiligung von Frauen in Führungspositionen sehen. Darüber hinaus sehen wir die Chance,
dass die Wirtschaft dies erkennt. Dabei hat die Wirtschaft ebenfalls zwei Seiten, auch die der Arbeitnehmervertreter. Ein Beispiel ist dabei, dass unter den Gewerkschaftsbossen keine Frau zu finden ist.
({3})
Es ist uns Liberalen fremd, homogene Gruppen einheitlich grauer Anzugträger als Träger von Innovation
und Entwicklung zu sehen. Vielfalt führt zu produktiven
Ergebnissen. Insofern muss die Überschrift unseres Antrags ergänzt werden: Frauenpolitik ist nicht nur ein gesellschaftlicher, sondern auch ein wirtschaftlicher Erfolgsfaktor.
Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung wird das Know-how gut ausgebildeter Frauen für
die Unternehmen unverzichtbar werden. Tatsächlich bedeutet die Entwicklung einer modernen, gleichberechtigten Gesellschaft nicht nur eine Veränderung der Frauen
hin zu mehr Verantwortung und Eigenverantwortung,
sondern auch die Veränderung der Männer, deren Alltag
vielfältiger wird - und das ist gut so.
({4})
Bei der Integration von Migrantinnen, die dem
Islam angehören, wird von ihren Vätern, Männern, Brüdern, Cousins ein ganz besonders großer Kultursprung
nach vorne verlangt. Wir müssen diese Frauen und Mädchen unterstützen, wo wir nur können; denn über die Integration der Frauen und Mädchen gelingt auch die der
gesamten Community. Die absehbare weitere Ausgrenzung gerade von Migrantinnen, die geschieden sind,
muss entschlossen abgelehnt werden. Ich erinnere hier
an einen sehr unglücklichen Antrag aus Niedersachsen.
Abschiebung kann für sie nicht die Antwort sein.
An der Diskussion der vergangenen Wochen hat mich
doch gestört, wie wenig dynamisch die Öffentlichkeit
die Rolle der Frau in der Gesellschaft sieht. Hier das
Karriereweib, dort die biedere Hausfrau und Mutter: Die
Zwischentöne fehlen fast vollständig. Tatsächlich sind
Lebensläufe von Frauen vielfältiger. Lebensläufe sind
lebensphasenbezogen. Da kann es auch eine Phase geben, die „Hausfrau und Mutter“ heißt. Die Frau will
dann nicht unbedingt lebenslänglich Hausfrau und Mutter sein, aber eben doch für einen bestimmten Zeitraum.
Ich will nicht der konservativen Aufgabenverteilung das
Wort reden, aber doch diejenigen Frauen würdigen, die
unter Hintanstellung eigener beruflicher Ambitionen
vieles im Alltag für die Gemeinschaft leisten.
({5})
Wenn es allerdings an die Besetzung der Vorstände geht,
sind es meist doch die Männer, die den Vorstand eines
Vereins oder einer Partei bilden, getreu dem uns Frauen
fremden Motto: einmal im Leben Vorstand sein.
Der Schlüssel zu mehr Verantwortung von Frauen außerhalb von Familie in Beruf und Gesellschaft ist die
Verbesserung der Zeitverteilungsmöglichkeiten. So
muss es auch einer jungen Mutter eines kleinen Kindes
möglich gemacht werden, in Teilzeit eine berufliche
Ausbildung zu absolvieren. In den Unternehmen muss
der Gedanke der Lebensarbeitszeitkonten stärker mit
Leben gefüllt werden, damit eine erwerbsarbeitsfreie
Zeit für Familien- oder Fortbildungsphasen angespart
werden kann, nicht zu reden von der Möglichkeit des
Sabbaticals. Die Einbindung von Menschen mit Familienverantwortung wird immer bedeuten, Flexibilität zu
ermöglichen; denn Familie ist ein lebendiger Organismus mit wechselndem Einsatzbedarf. Die Frauen sind
dabei auch gefragt: Ohne lebenslanges Lernen, die ständige Bereitschaft, sich Neuem zu öffnen und Kenntnisse,
Fähigkeiten und Kompetenzen zu erweitern, wird es
nicht gehen.
Zum Schluss komme ich zum Alter. Die Erhöhung
des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre wird ganz besonders Frauen treffen, die wegen ihrer Übernahme von Familienverantwortung eben nicht eine ununterbrochene
Erwerbsbiografie aufweisen können. Sehr geehrte Frau
Ministerin, bitte nutzen Sie die Zeit der deutschen EURatspräsidentschaft, um Ihre Roadmap zur Gleichstellung der Geschlechter umzusetzen und sich für Deutschland europäischen Rückenwind zu verschaffen.
({6})
Frau Dr. Möllring ist die nächste Rednerin für die
CDU/CSU-Fraktion.
Präsident Dr. Norbert Lammert
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! „Warum willst du dir das denn antun?“ wurde
ich gefragt, als ich für den Deutschen Bundestag kandidierte. Als verheiratete Frau und Mutter könne ich doch
ein Leben zwischen Teilzeitarbeit, Haushalt, Ehrenamt
und Tennisplatz führen. Dieses Beispiel zeigt, welche
Vorbehalte Frauen auch heute noch auf dem Arbeitsmarkt erleben und wie ganz selbstverständlich mit zweierlei Maß gemessen wird.
In der aktuellen Diskussion über Kinderbetreuung
fällt immer wieder das Argument - auch eben gerade -,
dass Frauen auf das Einkommen angewiesen seien. Das
ist richtig, aber es diskriminiert gleichzeitig Mütter mit
berufstätigen Ehemännern. Wer würde einen Mann darauf verweisen, Haus und Kinder zu hüten, bloß weil er
zum Beispiel mit einer Lehrerin verheiratet ist? Deshalb
will ich hier klar sagen - ich hoffe, darin sind wir uns einig -: Als Frau beruflich tätig zu sein, kann nicht den
Sonderfall für Bedürftige darstellen. Vielmehr müssen
alle Frauen, die das wollen, die Chance haben, beruflich
zu arbeiten.
({0})
Deshalb brauchen wir ein breites Angebot flexibler Kinderbetreuungsmöglichkeiten: für Kinder in jedem Alter
und für sehr unterschiedliche berufliche Bedürfnisse. Ich
bin froh, dass diese Regierung endlich die Aufmerksamkeit hergestellt hat, die nötig ist, damit diese Angebotspalette geschaffen wird.
({1})
Unsere Wirtschaft ist gut beraten, wenn sie die berufliche Kompetenz von Männern und Frauen so gut wie
möglich einsetzt und nutzt; das haben viele Unternehmen schon verstanden. Nur, in unseren Köpfen spuken
noch viele alte Bilder herum: der Chefarzt, der Professor, der Physiker und der Geschäftsführer zwischen vielen schwarzen Anzügen beim IHK-Empfang.
({2})
Andererseits: die Friseurin, die Verkäuferin, die Arzthelferin und die Putzfrau. Das sind unsere Bilder, unsere
Schubladen. Sie bestimmen unser Denken, und sie werden zu kleinen Geistern in unserem Hinterkopf. Ich wünsche uns manchmal ein handliches Lasso in der Hosentasche, um diese Geister wegzufangen.
({3})
Herr Präsident, das hat übrigens etwas mit Gender-Mainstreaming zu tun.
({4})
Es wird höchste Zeit, dass wir diese alten Denkschemata überwinden - im Interesse vieler Frauen und auch
im Interesse der Wirtschaft unseres Landes. Denn ein
Drittel der pharmazeutischen Industrie kann offene Stellen nicht mehr adäquat besetzen, wir brauchen
22 000 Ingenieure, und wir brauchen viele Fachkräfte im
Informatikbereich; darüber sind sich alle, auch die Wirtschaftsverbände und Herr Minister Müntefering, einig.
Wir müssen wettbewerbsfähig sein; wir konkurrieren um
die besten Köpfe. Was liegt da näher, als das Potenzial
unserer Frauen zu erschließen, indem wir sie qualifiziert
ausbilden?
Die Anzahl der Studentinnen in den technischen
Fächern ist angestiegen. Aber ihr Anteil liegt nach wie
vor bei 9 Prozent, bei 16 Prozent, bei 20 Prozent. Warum
studieren Frauen nicht Physik, Maschinenbau, Informatik und Elektrotechnik? - Auch weil ihnen die Vorbilder
fehlen und das Selbstvertrauen und die Akzeptanz in diesen Berufen. Deshalb ist es wichtig, dass wir junge Mädchen in diesen technischen Fähigkeiten früh motivieren
und bestätigen und dass sich das in der Schule fortsetzt,
wie es die Finnen mit großem Erfolg vormachen. Es ist
ein guter Weg, dass wir in neuen Studiengängen technische Fähigkeiten mit sprachlichen und kommunikativen
Elementen verbinden. Auf diese Weise gelingt es uns,
diese Ausbildung zukunftsfähig zu machen und gleichzeitig Frauen für diese Berufe zu gewinnen.
({5})
Das ist der richtige Weg. Große Erfolge erzielen wir
auch mit speziellen Frauenstudiengängen in den technischen Bereichen, wie wir es schon lange aus den USA
kennen. Diese Angebote sollten wir weiterentwickeln.
({6})
Denn - ich sage es noch einmal - Frauen verdienen in
Deutschland in Vollzeitstellen inzwischen 23 Prozent
weniger als Männer, bezogen auf den Stundenlohn sogar
26 Prozent. Das ist der letzte Platz in Europa. Die beiden
entscheidenden Ursachen dafür sind die Berufswahl und
die Tatsache, dass Frauen seltener in Führungspositionen kommen. Im mittleren Management beträgt der
Frauenanteil circa 20 Prozent. In den Vorständen der
100 größten deutschen Unternehmen sitzen 685 Männer und vier Frauen. Es gibt also die gläserne Decke, auch
weil viele Arbeitnehmerinnen ihre Entwicklung nicht
strategisch planen, weniger kämpfen und bescheidener
auftreten - nicht alle, aber einige - und weil manch ein
Personalchef unbewusst doch noch alte Rollenmuster im
Kopf hat. Deshalb ist es wichtig, dass Unternehmen sich
das Potenzial und die Einsatzmöglichkeiten ihrer Mitarbeiterinnen klar vor Augen führen. Wir sind gefragt,
diese Entwicklung zu unterstützen, anzuschieben. Wir
haben in unserem breitgefächerten Antrag viele Vorschläge und Maßnahmen erwähnt und vorgestellt. Dazu
gehört ein freiwilliger Lohntest, den wir zur Verfügung
stellen, und dazu gehört auch die Fortschreibung der
Vereinbarung mit der Wirtschaft, entsprechende Zielmarken ins Auge zu fassen.
Ich kann in der verbleibenden Zeit nicht mehr alles
aufzählen. Aber ich will sagen: Ich würde mich sehr
freuen, wenn die Bundesregierung unsere Ideen aufnimmt und das Europäische Jahr der Chancengleichheit
nutzt, um die Chancen der Frauen im Beruf voranzutreiben. Dann sind wir auf einem guten Weg.
({7})
Ich erteile das Wort der Kollegin Monika Knoche,
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Herren und Damen!
Nichts ist passender, als am Internationalen Frauentag
über Frauen, Frieden und Sicherheit, also über die UNResolution 1325, zu sprechen. Die Voraussetzungen
scheinen günstig. Deutschland hat mit seiner Bundeskanzlerin die, so heißt es, derzeit mächtigste Frau der
Welt.
({0})
Aber werden die Frauen der Welt davon profitieren? Die
deutsche EU-Ratspräsidentschaft schließt im Europäischen Jahr der Chancengleichheit diesbezüglich einen
expliziten Gestaltungsauftrag in der Außenpolitik ein.
Da das Thema Naher Osten auf der Agenda der EU
steht, will ich Ihnen sagen: Im Dezember letzten Jahres
hat eine Frauendelegation der Linksfraktion eine Reise
nach Israel und in die palästinensischen Gebiete gemacht. Wir haben dort Frauen kennengelernt, die als
„Frauen in Schwarz“ aktiv sind und mit großem Engagement ununterbrochen für die Anerkennung der Eigenstaatlichkeit der palästinensischen Gebiete werben. Wir
haben Frauen kennengelernt, die sich in zivilen Projekten engagieren, um den innergesellschaftlichen Dialog
zu verbessern, die mit palästinensischen Frauen zusammenarbeiten und die an die Grenzübergänge gehen, um
die Folgen der Besatzung irgendwie zu lindern. Wir haben palästinensische Frauen kennengelernt, die sich
nicht scheuen - das will in der dortigen Gesellschaft
wirklich etwas heißen -, öffentlich die Zunahme sexueller Gewalt gegen Frauen in den Familien anzuprangern,
und diese Entwicklung in einen Zusammenhang mit dem
Bürgerkrieg zu bringen.
Wir haben diese Frauen als Akteurinnen kennengelernt, die außerordentlich kompetent sind. Sie sollten in
die Verhandlungen im Rahmen des Nahostprozesses einbezogen werden. Diese Forderung muss vom Nahostquartett umgesetzt werden. Die hoffnungsvollen Entwicklungen um die Vereinbarung von Mekka zeigen,
dass Frauen nach wie vor ausgeschlossen sind, wenn es
um Befriedungsstrategien geht.
Wie wir wissen, gibt es auch im Iran, einem weiteren
großen Konfliktfeld, Frauen, die mit großem Mut für die
Erhaltung und den Ausbau der Frauenrechte in der dortigen Gesellschaft demonstrieren.
({1})
Diese außenpolitischen Entwicklungen müssen wir als
Frauen außerordentlich goutieren. Sie müssen in unsere
Außenpolitik einfließen.
Morgen, meine Herren und Damen, wird der Einsatz
von Tornados in Afghanistan beschlossen. Schon jetzt ist
klar: Die Zivilbevölkerung wird leiden. Sie wird Tote zu
beklagen haben. Ich frage Sie: Wie kann man einer Frühjahrsoffensive Geleitschutz geben, wenn offenkundig ist,
dass die Taliban mit ihrem frauenverachtenden Menschenbild erstarkt aus dieser Militäroffensive hervorgehen werden?
({2})
Es wird damit gerechnet, dass der Krieg gegen die Taliban noch 15 Jahre dauern wird. Was bedeutet das für
die Frauen? Um den Frauen zu helfen, muss die ganze
Kraft in zivile, nichtmilitärische Politik gesteckt werden.
Es ist Fakt, dass Parlamentarierinnen in Afghanistan mit
Gewalt bedroht werden, weil sie sich gegen die Warlords
in Regierung und Parlament wenden. Da darf der Westen
doch nicht konditionslos die Karzai-Regierung stützen!
({3})
Wir müssen unsere Glaubwürdigkeit bewahren und das
Erstarken islamischer Dogmatiker mit dem Krieg gegen
den Terror in Verbindung bringen. Hier besteht nämlich
ein ursächlicher Zusammenhang.
Als Linke möchte ich nicht, dass die UNResolution 1325 zu einem Feigenblatt verkommt; denn
dafür ist sie wirklich zu wertvoll. Deshalb bin ich den
Regierungsfraktionen sehr verbunden, dass sie ihren Antrag zur Umsetzung dieser Resolution am heutigen Tag
auf die Tagesordnung gesetzt haben. Er beinhaltet unter
anderem die Forderungen nach sozialer Sicherheit und
Freiheit von sexueller Gewalt. Wenn wir das für richtig
erachten, dann müssen wir in unserer Konzeption auch
die Binnenflüchtlinge berücksichtigen. Das macht erforderlich, ein Asylrecht für Frauen zu schaffen, die Opfer
systematischer sexueller Gewalt geworden sind.
({4})
Diese UN-Resolution kann unseres Erachtens nicht
neben einer militarisierten Außenpolitik stehen oder bestehen. Sie muss die Außenpolitik verändern. Dadurch,
dass der umfassende Sicherheitsbegriff im Weißbuch der
Bundeswehr verändert wird, werden in der deutschen
Politik Wege beschritten, die die Umsetzung der UN-Resolution unter Umständen ad absurdum führen können.
Wir dürfen nicht eine „kleine“ Frauenpolitik nebenbei
machen, deren Ziele in der „großen“ Außenpolitik konterkariert werden. Das ist nicht glaubwürdig.
({5})
Wir fordern deshalb, dass die UN-Resolution in einen
nationalen Aktionsplan umgesetzt wird, wie das beispielsweise in Norwegen und einigen anderen skandinavischen Ländern der Fall ist. Dort spricht man im Zusammenhang mit dieser Resolution von einem „living
document“ - einem lebendigen Dokument -, das dafür
sorgt, dass die betriebene Politik immer wieder in den
Kontext zu den Zielen der UN-Resolution gestellt wird.
Ich hoffe sehr, dass sich unsere Frau Bundeskanzlerin
Merkel dieses Verständnis von Frauenpolitik erkennbar
zu eigen macht und es als Vorsitzende der EU-Ratspräsidentschaft offensiv nach außen vertritt. Unseres Erachtens hat die Bundeskanzlerin bisher versäumt, sich als
Frau zur Frauenpolitik in einem emanzipatorischen Sinn
in der Außenpolitik zu äußern
({6})
und die Errungenschaften der Frauenpolitik offensiv zu
vertreten.
({7})
Ich darf sagen - auch das dürfte der Frau Kanzlerin bewusst sein -: Ohne eine emanzipatorische Frauenbewegung wäre sie wahrscheinlich nicht Kanzlerin geworden.
({8})
Kerstin Müller ist die nächste Rednerin für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Ich
freue mich, dass wir heute am Internationalen Frauentag
den Blick nicht nur auf die nationale Situation von
Frauen richten, sondern auch auf ihre weltweite Lage,
und dass wir die Gelegenheit nutzen, über die UNSicherheitsratsresolution 1325, die viel zu wenig bekannt ist und Beachtung findet, zu diskutieren. Bevor ich
dazu komme, möchte ich kurz auf die Situation im Iran
hinweisen. Am Sonntag, den 4. März, wurden 33 Frauen
im Iran festgenommen, weil sie sich in einer Unterschriftenkampagne für Gleichberechtigung und die
Durchsetzung der Menschenrechte eingesetzt hatten. Sie
wurden im berüchtigten Gefängnis Evin inhaftiert. Ich
fordere die Freilassung aller dieser Frauen, die sich für
die Menschenrechte und die Gleichberechtigung eingesetzt haben. Sie haben unsere volle Solidarität.
({0})
Das ist „Frauen, Frieden und Sicherheit“ konkret, also
genau das, was mit der UN-Sicherheitsratsresolution 1325 beabsichtigt ist. Sie ist ein Meilenstein auf
dem Weg zu einer geschlechtersensiblen Friedens- und
Sicherheitspolitik. Zum ersten Mal in der Geschichte der
Vereinten Nationen wurde im Oktober 2000 damit eine
völkerrechtlich verbindliche Vorgabe zur Beteiligung
von Frauen an Entscheidungen über Krieg und Frieden,
aber auch in Nachkriegssituationen beschlossen. Gerade
Frauen sind von Kriegen und gewaltsamen Konflikten in
besonderem Maße betroffen. Ich nenne als Beispiele:
80 Prozent der Flüchtlinge sind Frauen und Kinder. Sie
sind Kindersoldatinnen und Opfer sexueller Gewalt. Ich
erwähne nur Ruanda, den Kosovo, Bosnien oder die aktuelle Krisenregion Darfur. Das zeigt: Es war überfällig
- das war leider viele Jahre nicht selbstverständlich -,
dass Verbrechen sexualisierter Gewalt nun endlich vor
dem Internationalen Strafgerichtshof geahndet werden.
({1})
Frauen haben beim Wiederaufbau von krisen- und
kriegszerrütteten Gesellschaften immens wichtige Erfahrungen einzubringen. Leider orientieren sich unsere
Wiederaufbaukonzepte noch immer sehr stark an den Interessen von Männern, während das Wissen von Frauen
kaum berücksichtigt wird.
Der Blick auf diese verschiedenen Rollen von Frauen,
sowohl Opfer von Krieg und Gewalt als auch Friedensakteurinnen und Gestalterinnen zu sein, ist das zentrale
Thema der Sicherheitsratsresolution 1325. Ich möchte
heute am Internationalen Frauentag vor allen Dingen den
vielen internationalen Frauen-NGOs danken, deren Beharrlichkeit, Initiativen und Veranstaltungen diese Resolution erst ermöglicht haben.
({2})
Wir haben unter Rot-Grün entscheidend dazu beigetragen, dass Deutschland in der zivilen Konfliktprävention - zum Beispiel mit dem Aktionsplan „zivile Krisenprävention“ oder mit der Gründung des Zentrums für
internationale Friedenseinsätze, des ZIF, auch durch dessen integrierten Genderansatz - eine Vorreiterrolle einnimmt. Gerade im Bereich des zivilen Krisenmanagements sind internationale Polizeimissionen der UN und
OSZE ein wichtiges Element. Auch hier muss die Umsetzung der Resolution 1325 in der Ausbildung und Vorbereitung der deutschen Kontingente verwirklicht werden. Gleiches gilt, wenn wir Bundeswehrsoldatinnen
und -soldaten in Auslandseinsätze schicken.
Die hohen Erwartungen an die Resolution haben sich
noch nicht erfüllt. Die Verantwortung für die Umsetzung
- das ist im internationalen Recht im Zusammenhang
mit UN-Resolutionen so vorgesehen - liegt bei uns, den
Mitgliedstaaten. Wir müssen dafür sorgen, dass die Resolution mit Leben gefüllt wird.
Insofern haben Sie, meine Damen und Herren von der
Koalition, einen guten Antrag vorgelegt. Ich denke, wir
sind uns in vielen Fragen einig. Er greift aber an einer
Stelle eindeutig zu kurz: Sie beschränken sich vor allem
auf Absichtserklärungen. Aber wir haben auf nationaler
Ebene die Erfahrung gemacht - das hat die Ministerin
bereits angesprochen -, dass Absichtserklärungen nicht
ausreichen.
({3})
Wir brauchen verbindliche Regelungen, damit die
Resolution 1325 umgesetzt wird. Wir brauchen messbare Ziele, Forschrittsberichte und Zeitvorgaben. Diesen
nationalen Erfahrungen sollten wir auch im Hinblick auf
die internationale Ebene bei der Umsetzung der
Resolution 1325 Rechnung tragen.
({4})
Wir fordern deshalb in unserem Antrag die Bundesregierung auf, einen nationalen Aktionsplan vorzulegen.
Kerstin Müller ({5})
Dabei geht es nicht um mehr Bürokratie; vielmehr greifen wir damit eine Forderung von Kofi Annan auf. Viele
Länder - zum Beispiel Großbritannien, Norwegen, Kanada und die Schweiz - haben bereits Aktionspläne vorgelegt. Warum ist das bei uns noch nicht geschehen? In
einen solchen nationalen Aktionsplan müssen konkrete
Maßnahmen zur Prävention von Kriegen, zur Beteiligung von Frauen, zum Schutz vor sexualisierter Gewalt,
aber auch zur geschlechtersensiblen Vorbereitung der
Akteurinnen und Akteure, die in den Krisenregionen
eingesetzt werden, aufgenommen werden. Wir haben in
unserem Antrag dazu konkrete Vorschläge formuliert.
Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns in den Beratungen der Anträge fraktionsübergreifend verständigen
würden, in welchen Punkten wir übereinstimmen und
welche Vorschläge als sinnvoll erachtet werden. Gerade
am Internationalen Frauentag, an dem wir die internationale Solidarität mit allen Frauen weltweit deutlich machen sollten, halte ich das für eine Chance, uns darüber
zu verständigen, welche konkreten Maßnahmen im
Sinne der Resolution 1325 wir als Deutscher Bundestag
für die Frauen in der Welt beschließen können.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort erhält nun die Kollegin Angelika Graf für
die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am
25. März werden die Römischen Verträge 50 Jahre alt,
und in den Mitgliedstaaten der EU wird heuer das Europäische Jahr der Chancengleichheit begangen. Das passt
gut zusammen, und es passt auch zum Internationalen
Frauentag; denn zu den zentralen Aussagen der Römischen Verträge gehörten - Sie verzeihen, Herr Präsident der Gender-Aspekt und der Grundsatz „Gleicher Lohn
für gleiche Arbeit“.
({0})
Wie kann die Forderung nach Chancengleichheit und
Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt besser beschrieben
werden als mit der Forderung nach gleichem Lohn für
gleiche Arbeit? Das hieße nämlich auch: gleiche Ansprüche auf Weiterbildung, auf eine auskömmliche
Rente, auf Teilhabe am sozialen und gesellschaftlichen
Leben und im Ernstfall auf ein Arbeitslosengeld in einer
vernünftigen Höhe. Ich bedaure aber, dass ich immer
noch im Konjunktiv über dieses Thema sprechen muss.
Das haben meine Vorrednerinnen bereits angesprochen.
Es gab große Anstrengungen in der Regierungszeit
von Rot-Grün, um mehr Chancengleichheit für Frauen
zu erreichen. Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, welches wir nach langen Geburtswehen
schon in dieser Legislaturperiode gemeinsam auf den
Weg gebracht haben, war, denke ich, ein sehr wichtiger
Schritt. Dennoch stelle ich fest: Der Fortschritt ist eine
Schnecke.
({1})
Das zeigen schon - die Frau Ministerin und Frau
Dr. Möllring haben das bereits angesprochen - die Zahl
der Hochschulprofessuren oder - noch schlimmer - ein
Blick in die Managementetagen deutscher Unternehmen.
Dort sind Frauen immer noch „Mangelware“. Vielleicht
sollten wir gemeinsam mit den Unternehmen und den
Unternehmern einmal einen Blick über den Zaun wagen.
In Norwegen wurde vor kurzem eine Frauenquote für
Aufsichtsräte verabschiedet.
({2})
Dass der Niedriglohnsektor im Gegensatz zu diesen
Hochlohnbereichen weiblich ist, ist ein weiteres bekanntes Phänomen, das hier auch schon angesprochen worden ist. Ich denke, unser Ringen um Mindestlöhne macht
deutlich, dass wir auch da den Schutz der Frauen - denn
die Frauen würden mit Mindestlöhnen vor Ausbeutung
und Lohndumping geschützt - in den Vordergrund stellen wollen. Mindestlöhne würden ihnen auch das Gefühl
geben, dass ihre Arbeit etwas wert ist, würden ihnen im
wörtlichen Sinne ein Selbstwertgefühl vermitteln.
({3})
Chancengleichheit durch Bildung und Equal Pay ist
weltweit eines der Fundamente, auf denen sich das
Selbstbewusstsein von Frauen gründet. Dieses Selbstbewusstsein brauchen Frauen auf der ganzen Welt, um
ihren Platz im Leben zu finden und zu verteidigen. Eine
selbstbewusste, gut ausgebildete Frau wird weniger oft
ein Opfer von Gewalt und Zwang. Sie lässt sich nicht
kujonieren, weder vom Chef noch vom Partner, lässt
sich weniger leicht mit einem eventuell drohenden Arbeitsplatzverlust erpressen und kann mit Konflikten besser umgehen, weil sie weiß, was ihr eigener Wert ist. Sie
wird nicht gezwungen, bei einem prügelnden Partner zu
bleiben, weil sie weiß, dass sie sich und die Kinder notfalls auch allein durchs Leben bringen kann. Eine selbstbewusste Frau mit Migrationshintergrund wird sich
leichter tun, sich in unserer Gesellschaft zu integrieren.
Eine selbstbewusste Seniorin kann sich gegen Diskriminierungen im Alltagsleben oder entwürdigende Behandlung in einem Heim eher zur Wehr setzen als eine Frau,
die sich ihr Leben lang untergeordnet hat.
Aufgabe unserer Menschenrechts- und Entwicklungspolitik ist es, in den Ländern, in denen wir tätig sind, in
genau diesem Sinne Frauen fit zu machen und ihnen
mehr Selbstwertgefühl zu geben. Wir müssen sie befähigen, den Kampf zum Beispiel gegen familiäre Gewaltstrukturen, die oft in einem unheiligen Zusammenhang mit militärischer Gewalt und Korruption stehen,
aufzunehmen.
({4})
Der Koalitionsantrag zur UN-Resolution 1325 macht eines sehr deutlich: Frauen sind nicht nur Opfer von Gewalt, wie dies Kerstin Müller gerade beschrieben hat,
sondern sie sind glaubwürdige und wichtige Mitgestalterinnen von Friedensprozessen und oft Garanten für die
Nachhaltigkeit positiver Entwicklungen.
Angelika Graf ({5})
({6})
Ich möchte mich in diesem Zusammenhang herzlich bei
all den mutigen Frauen bedanken, die in diversen Konfliktherden unter schwierigsten Bedingungen eine ganz
wichtige Deeskalationsarbeit leisten,
({7})
die dafür sorgen, dass mit mehr Bildung und eigenständiger Verantwortung auch das Selbstbewusstsein der
Frauen steigt, und die Frauen zu ihrem Recht verhelfen wie zum Beispiel die Hilfsorganisation medica mondiale
in Afghanistan, die sich dafür einsetzt, dass Frauen einen
fairen Prozess bekommen; denn nichts untergräbt den
Selbstbehauptungswillen und das Selbstvertrauen der
Frauen, die Opfer geworden sind, so sehr wie die Straflosigkeit der Täter.
({8})
Chancengleichheit in der Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik hat - da schließt sich der Kreis - neben
dem frauenpolitischen auch ein wirtschaftspolitisches
Gesicht. Das wissen kluge Unternehmer und kluge Banker. Vor circa zehn Jahren hatte ich in Bangladesch die
Möglichkeit, mit dem - damals noch relativ unbekannten heutigen Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus
zu sprechen und mir von ihm das Prinzip der Kleinkredite
seiner Grameenbank erklären zu lassen. Er gab Kredite
nur an Frauen, weil er wusste, dass sie das Geld nicht für
irgendwelchen Schnickschnack ausgeben oder verspielen
wie die Männer,
({9})
sondern mit dem Geld wirtschaften und für sich und ihre
Familien eine Existenz aufbauen.
({10})
Ich habe den Stolz dieser Frauen über das Erreichte gesehen und erlebt, mit welcher Achtung sie von ihrer Familie behandelt worden sind. Ich freue mich über den
Nobelpreis für Herrn Yunus; denn er hat in Bangladesch
einen großen Schritt zu mehr Chancengleichheit möglich
gemacht. Das ist, so denke ich, ganz im Sinne des Internationalen Frauentages und der UN-Resolution 1325.
({11})
Die Kollegin Gerda Hasselfeldt ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
sieht so aus, als ob in dieser Debatte als Redner ausschließlich Frauen auftreten. Ich möchte deshalb ausdrücklich anerkennend erwähnen, dass eine ganze Reihe
von Kollegen an dieser Debatte von Beginn an teilgenommen haben und auch ausharren.
({0})
Ich möchte dafür ausdrücklich danksagen. Sie, liebe
Kollegen, dokumentieren damit nämlich, dass eine Diskussion über Frauen in unserem Land nicht nur die
Frauen betrifft, sondern uns alle, also die ganze Gesellschaft.
({1})
In der Tat ist es so, dass viele Veränderungen in unserer Gesellschaft, beispielsweise die demografische Entwicklung, im Endeffekt auf die Veränderung der Situation der Frauen zurückzuführen sind. Frauen sind heute
ganz selbstverständlich in bewährten Positionen im beruflichen Bereich. Sie haben in aller Regel einen
grandiosen Start nach einer erfolgreichen Schulbildung
und nach einer beruflichen Ausbildung. Frauen sind
heute aus vielen beruflichen Branchen und aus unserem
Leben überhaupt nicht mehr wegzudenken. Nebenbei
sind sie die Stützen im Ehrenamt und, nicht zu vergessen, die Stützen in den Familien.
Ich glaube, auch dieser Internationale Frauentag ist
ein Anlass, allen Frauen in diesem Land dafür Anerkennung, Respekt und Dankbarkeit auszudrücken.
({2})
Es wäre aber zu einseitig, daraus zu schließen: Es ist
alles in Ordnung. Im Laufe dieser Debatte sind schon
viele Defizite angesprochen worden. Ich will mich auf
drei konzentrieren.
Erstens. Uns allen muss bewusst sein, dass die Tatsache, dass Frauen auch bei gleicher Qualifikation weniger
als die Männer verdienen, nicht hingenommen werden
kann.
({3})
Es muss der Grundsatz gelten: Gleiche Qualifikation
bedeutet auch gleiche Bezahlung. Für die Mädchen und
Frauen muss das natürlich bedeuten - das ist vorhin angesprochen worden -, dass sie den Bedingungen am Arbeitsmarkt bei der Berufswahl und beim Einstieg ins Berufsleben ein bisschen mehr Rechnung tragen müssen,
als es bislang der Fall ist, und dass sie vielleicht auch ein
bisschen mehr Selbstbewusstsein zeigen müssen.
Zweitens. Frauen sind in Führungspositionen zu gering vertreten; auch das ist angesprochen worden. In den
Vorständen der DAX-Unternehmen gibt es keine einzige
Frau. Was weibliche Unternehmensvorstandsmitglieder
in Deutschland insgesamt angeht, befinden wir uns europaweit an 21. Stelle. Dafür mag es so manche Gründe
geben, zum Beispiel solche, die mit der Biografie von
Frauen zu tun haben. Aber es gibt mindestens genauso
viele Gründe, die dafürsprechen, mehr Frauen in Führungspositionen zu verankern. Wir alle wissen, dass gerade Frauen neben der fachlichen viele andere Qualifikationen mitbringen, die von Männern so manchmal nicht
an den Tag gelegt werden.
({4})
Ich brauche das gar nicht alles aufzuzählen. Ich
möchte nur ein Beispiel nennen. Wir müssen gar nicht in
die Ferne schauen, wenn wir nach einem Vorbild suchen:
Die Bundeskanzlerin lebt als „Führungskraft in der Bundesregierung“, wenn ich das einmal so sagen darf, gerade diese Eigenschaften in hervorragender Weise vor.
Sie ist uns Frauen nicht nur im politischen, sondern auch
im beruflichen Bereich ein Vorbild, und daran sollten
wir uns alle ein Beispiel nehmen.
({5})
Drittens. In meinen Augen ist es so, dass die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit im Wesentlichen immer noch eine Angelegenheit der Frauen ist.
({6})
Sie sind es, die Teilzeit arbeiten, wenn Kinder zur Welt
gekommen sind. Sie sind es, die auf ihre Berufstätigkeit
entweder ganz oder teilweise verzichten und damit Einkommenseinbußen sowie eine schlechtere soziale Absicherung in Kauf nehmen.
Ich glaube allerdings, dass die Bereicherung - sie
können die Entwicklung der Kinder verfolgen und auf
die Erziehung der Kinder unmittelbar Einfluss nehmen verstärkt auch die Väter erfahren sollen.
({7})
An diesem Beispiel wird deutlich: Es geht nicht nur
um die Situation der Frauen in diesem Land, wenn verbesserte Kinderbetreuung gefordert wird, sondern es
geht um die Situation der Familie und der Gesellschaft
als Ganzes. Wenn von diesem Frauentag heute das Signal ausgeht, dass eine Beschäftigung mit den Frauenthemen nicht nur eine Angelegenheit von Frauen für
Frauen, sondern eine Angelegenheit von uns allen ist,
dann sind wir ein Stück weitergekommen; dann brauchen wir auch nicht für alles, was wir beklagen, eine gesetzliche Regelung,
({8})
sondern können mit vielem ein Vorbild sein oder ein
Beispiel geben, um die Situation für die Frauen und für
die gesamte Gesellschaft zu verbessern.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort erhält nun die Kollegin Christel RiemannHanewinckel für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Noch einmal zurück auf die internationale Ebene. Der
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat im Oktober 2000, also vor fast sieben Jahren, einstimmig die
Resolution 1325 verabschiedet. Diese Resolution befasst sich mit den speziellen und vor allem überproportionalen Auswirkungen von Konflikten und Krisen auf
Frauen. Sie fordert, Frauen und Mädchen in bewaffneten
Konflikten vor jeglicher und vor allem vor sexueller Gewalt zu schützen. Die Resolution 1325 hebt auch die
wichtige Rolle von Frauen bei der Verhütung und Lösung von Konflikten, bei der Friedenskonsolidierung
und beim Wiederaufbau hervor.
Die Verabschiedung der Resolution war damals ein
Meilenstein und löste eine internationale Debatte aus.
Wir haben durch diese Resolution einen internationalen
Rahmen für eine geschlechtersensible Friedens- und Sicherheitspolitik. Seitdem stehen Frauen zum ersten Mal
nicht nur als Opfer, sondern vor allem als Friedensakteurinnen im Mittelpunkt.
Damit Frieden und Entwicklung nachhaltig sein können, fordert die Resolution 1325, dass bei allen Maßnahmen die Auswirkungen auf Frauen und Männer beachtet
werden müssen. Herr Präsident, das ist eine einfache
Formulierung für das etwas umständliche Wort „GenderMainstreaming“. Alle Maßnahmen müssen daraufhin
überprüft werden, wie sie auf Frauen und Männer jeweils wirken.
({0})
Deutschland hat in der Folge die Resolution 1325
durch verschiedene Aktionspläne bzw. Konzepte umzusetzen versucht. Die notwendige Grundlage dafür war
allerdings, dass sich in der 14. Legislaturperiode die
Bundesregierung in ihrer Geschäftsordnung zur Umsetzung des Gender-Mainstreamings verpflichtet hat.
International wirksam ist der Aktionsplan zur zivilen
Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung. Das zentrale Thema in diesem Aktionsplan ist
der Schutz von Frauen vor geschlechtsbezogener Gewalt
auf der internationalen Ebene. Gleichzeitig muss aber
den Frauen auf allen Ebenen die gleichberechtigte Teilhabe an der Friedenskonsolidierung und am Wiederaufbau ermöglicht werden. Das hört sich so einfach an, aber
die, die in den verschiedenen Ländern waren oder Informationen darüber haben, wissen, wie schwer es für die
Frauen ist, ihren Anteil, der notwendig und wichtig ist,
zu erbringen.
Es gibt daneben das überregionale Konzept zur Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedensförderung in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit.
Das ist ganz wichtig für alle die Projekte, die wir von
Deutschland aus in anderen Ländern mit auf den Weg
bringen.
Außerdem hat sich Deutschland intensiv dafür eingesetzt, dass die Geschlechterperspektive in die Mandate
von Friedensmissionen aufgenommen wurde.
Am vergangenen Sonntag und Montag, wenn ich
mich recht erinnere, wurde der Film „Die Flucht“ gesendet. Vielleicht haben manche von Ihnen diesen Film
gesehen. Darüber will ich aber gar nicht reden. Nach
dem zweiten Teil gab es eine Dokumentation. In dieser
Dokumentation wurde ein ehemaliger russischer Offizier
gefragt, warum sich die russischen Soldaten so verhalten
hätten, zum Beispiel Frauen vergewaltigt hätten, ob es
Rache war oder was auch immer sonst. Der ehemalige
russische Offizier sagte, an einer Vergewaltigung sterbe
man nicht, und außerdem müsse man verstehen, dass
Männer nach wochenlangen Kämpfen ein physiologisches Bedürfnis hätten. Das sagt ein ehemaliger Offizier
62 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. In
diesen 62 Jahren haben wir weltweit über viele Krisenherde und Kriege reden müssen und wieder und wieder
über die ungeheuere Gewalt, die Frauen allein dadurch
angetan wird, dass systematische Vergewaltigungen als
Mittel der Kriegsführung eingesetzt werden.
Frauen sind weder Objekte noch Beute noch sind sie
weniger Menschen als Männer. Menschenrechte sind
unteilbar.
({1})
Sie gelten für Männer und Frauen, für Mädchen und Jungen. Das scheint aber noch lange nicht Allgemeingut zu
sein; deshalb ist die Geschlechterperspektive notwendig
und richtig, und zwar nicht nur in Krisengebieten, sondern zu allen Zeiten und an allen Orten.
Wir haben in Deutschland - dazu haben wir hier verschiedentlich schon Ausführungen gehört - einen „Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“ verabschiedet. Dieser Aktionsplan
ist bis 2005 umgesetzt worden. Ein wichtiger Punkt, um
Verhaltensweisen zu ändern, ist danach vor allen Dingen, dass die Gewalt, die Frauen angetan wird, enttabuisiert wird, dass endlich darüber geredet wird und dass
diese Delikte offiziell werden. Ein weiterer wichtiger
Punkt war und ist die Benennung des Unrechtes. Wir
wissen inzwischen, dass nur durch Veränderung von
Strukturen - dazu gehört die Strafbarkeit der Gewalt Veränderungen im Sinne der Frauen möglich sind.
({2})
Wir alle wissen, dass Regierungen und Parlamente all
das allein nicht umsetzen können. Sie brauchen notwendigerweise die enge Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und den Nichtregierungsorganisationen. Da
aller guten Dinge drei sind, möchte ich an dieser Stelle
noch einmal allen Frauen und Männern, die in Deutschland oder in anderen Ländern tätig sind, und allen internationalen Nichtregierungsorganisationen für ihr Engagement und ihre Arbeit danken.
({3})
Die hohen Erwartungen an die Resolution 1325 haben
sich noch nicht erfüllt. Der Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen hat 2005 in einer Erklärung nochmals betont,
wie wichtig und dringlich es ist, diese Resolution wirksam umzusetzen. Die internationale Gemeinschaft hat auf
dem Weltgipfel 2005 ihre Entschlossenheit betont, die
Resolution umzusetzen. Es gibt also vielfältige internationale Appelle. Die Konferenz des UN-Weltbevölkerungsfonds hat 2006 den sogenannten Brüsseler Aktionsplan gegen sexuelle Gewalt initiiert, der sich ausdrücklich
auf die Resolution 1325 bezieht. Damit ist eine Dynamik
in die geschlechtersensible Friedens- und Sicherheitspolitik gekommen. Durch den Antrag der Koalition zur Resolution des Sicherheitsrates wird diese Resolution hier
bei uns im Parlament und damit auch in Deutschland endlich aus dem Dornröschenschlaf geweckt.
Eine zentrale Forderung der Resolution ist - Kerstin
Müller hat es vorhin schon angesprochen - nach wie vor
nicht erfüllt: Deutschland hat keinen nationalen Aktionsplan. Das liegt auch an uns. Seit 2000, seit fast sieben Jahren, gibt es diese Resolution. Das Parlament hat
diese Resolution bisher aber kaum zur Kenntnis genommen und in den letzten Jahren keinen Aktionsplan von
der Bundesregierung gefordert. Kritisch muss ich sagen:
Auch die rot-grüne Bundesregierung hat diesen Aktionsplan nicht auf den Weg gebracht.
Deshalb schlagen wir der jetzigen Bundesregierung
vor bzw. fordern sie auf, den Bericht, der 2004 an die
Vereinten Nationen geliefert worden ist, als Grundlage
zu nehmen, ihn innerhalb eines halben Jahres fortzuschreiben und dem Parlament vorzulegen. Dann können
wir gemeinsam über eine Strategie nachdenken, miteinander darüber reden und befinden, wie die Resolution 1325 in Deutschland umgesetzt werden soll.
In diesem Sinne bitte ich Sie, dem Antrag der Koalition, der heute schon zur Verabschiedung auf der Tagesordnung steht, zuzustimmen, damit wir an dieser Stelle
nicht nur einen Schritt, sondern hoffentlich mehrere
Schritte gemeinsam weiterkommen.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort erhält nun die Kollegin Ute Granold, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Ministerin! Am heutigen Weltfrauentag diskutieren wir an dieser Stelle über die Situation der Frauen nicht nur bei uns in Deutschland, sondern weltweit. Wir
beleuchten die Situation aus den verschiedensten Blickwinkeln. Ich beschränke mich auf die Resolution 1325,
die schon von mehreren Kolleginnen angesprochen
wurde.
Lassen Sie mich zunächst sagen, dass ich mich freue,
dass eine ganze Reihe von Männern anwesend ist. Jetzt
ist ein grüner Mann da, bislang war keiner da. Es würde
mich freuen, wenn dort mehr anwesend wären.
({0})
Es würde mich auch freuen, wenn mehr Frauen vom Kabinett anwesend wären. Unsere CDU-Frauen sind da.
Leider Gottes fehlen die Kolleginnen von der SPD. Vielleicht ist das Kabinett beim nächsten Weltfrauentag
komplett anwesend. Denn die Situation der Frauen ist
ein Thema, das alle Ressorts betrifft. Insofern hätte der
eine oder andere wichtige Punkt aus der Debatte dort in
die Arbeit einfließen können. Ich denke, es werden beim
nächsten Mal mehr anwesend sein.
({1})
Die internationale Situation der Frauen ist aus zwei
Blickwinkeln zu beleuchten: die Rolle der Frauen zum
einen bei der Prävention, zum anderen bei der Konfliktlösung bei kriegerischen Auseinandersetzungen. Hier
müssen wir sehen, dass Frauen keine Außenseiterrolle,
sondern eine echte Teilhabe haben, dass sie bei der Konfliktlösung mitreden können. Es geht aber auch um den
Schutz der Frauen vor sexueller Gewalt und anderen Gewalttaten in Krisen und kriegerischen Auseinandersetzungen.
Die Kollegen haben es im Vorfeld schon gesagt: Es
geht um die Resolution des UN-Sicherheitsrates aus dem
Jahr 2000, in der es um Frauen, Frieden und Sicherheit
geht. Hierbei müssen wir konsequent handeln und bestehende Missstände aufzeigen. Die Resolution wird völlig
zu Recht als Meilenstein behandelt. Deshalb haben wir
von der Koalition aus dem Menschenrechtsausschuss,
der bei diesem Thema federführend ist, einen Antrag
entwickelt, der hier im Hause sehr positiv aufgenommen
wurde. Der Antrag der Grünen, Frau Müller, kommt ein
bisschen spät. Wir wollen heute abstimmen. Wir hatten
schon darüber gesprochen. Ich denke, die Resolution
sollte jetzt zügig umgesetzt werden.
Deutschland gehört zu den Freunden in New York,
die sich der Resolution angeschlossen haben und diese
unterstützen. Die Bundesregierung hat der Gleichstellungspolitik in ihrem Koalitionsvertrag einen hohen
Stellenwert gegeben, um die Gleichbehandlung durchzusetzen und Nachteile auszugleichen. Wir sahen und sehen das als eine Querschnittsaufgabe an, die in allen Bereichen ressortiert. Insofern, denke ich, können wir sehr
flexibel auf aktuelle Krisen hier bei uns, aber auch weltweit reagieren.
Die Bundeswehr wurde angesprochen. Sie hat die
Präventionspolitik und die Menschenrechtspolitik in ihr
Ausbildungspaket eingebunden. Die jungen Soldatinnen
und Soldaten - natürlich auch die älteren - gehen in die
Krisensituationen unserer Welt gut ausgebildet. Das ist
ein guter Weg. Das sollte man hier nicht kritisieren oder
als fehlend bezeichnen.
({2})
Frauen sind sehr oft sexueller Gewalt ausgeliefert,
und zwar als eine gezielte Kriegsstrategie. Sie - auch
ihre Familien und die Gemeinschaft - werden erniedrigt,
bestraft oder auch vertrieben. Denken wir an den Balkan,
denken wir an Ruanda. Gruppenvergewaltigungen und
sexuelle Verstümmelungen wurden angesprochen. Oder
denken wir zum Beispiel - wir waren mit dem Menschenrechtsausschuss in Ruanda - an die Tutsifrauen,
die öffentlich nackt zur Schau gestellt wurden. Denken
wir an die jungen Frauen in Sierra Leone, die sich erklären mussten, wenn sie Jungfrauen waren. Sie wurden
dann jede Nacht von den Offizieren vergewaltigt und
missbraucht. Denken wir an die vielen Kindersoldatinnen weltweit, die zwangsrekrutiert werden, die als
Kämpferinnen, Köchinnen und Sexsklavinnen abgerichtet werden. Wir haben das in Uganda, in Ruanda und im
Kongo gesehen. Sie kehrten nach den Auseinandersetzungen - wenn sie überhaupt zurückgekehrt sind schwer traumatisiert zurück. Sie wurden vergewaltigt,
haben Kinder oder sind aidsinfiziert.
Alle diese Situationen sehen wir nahezu tagtäglich
auf unseren Bildschirmen. Hier müssen wir ein Zeichen
setzen und dürfen nicht die Augen verschließen. Wir
müssen uns darum kümmern, dass diesen Menschen geholfen wird.
({3})
Aber die Gewalt geht nicht nur von Soldaten und
Fremden, bedauerlicherweise sogar von UN-Friedenstruppen, sondern auch von männlichen Familienangehörigen aus, und zwar dann, wenn diese nach Einsätzen
in militärischen Konflikten nach Hause zurückkehren.
Studien der US-Armee haben gezeigt, dass die Aggressionen, die dann noch bestehen, an die Ehefrauen und
Lebensgefährtinnen in diesen Armeefamilien weitergegeben werden. Das ist kein Phänomen, das nur in Amerika auftritt, sondern es handelt sich um ein weltweites
Phänomen, dass sich solche Art von Gewalt noch lange
Zeit auf die Familien und die Kinder auswirkt.
In einer Studie der Weltgesundheitsorganisation
wurde auch festgestellt, dass in Konfliktregionen die Gewalt mittlerweile dadurch relativiert wird, dass die Verbreitung von Waffen schon fast als normal angesehen
wird und Gewaltbereitschaft kein Thema mehr ist, das
diskutiert wird, sondern hingenommen wird. Diese Gewaltbereitschaft, die weit über die Dauer der Konflikte
hinaus bestehen bleibt, bringt sehr viel Leid über die
Menschen.
Es ist auch festzustellen, dass die Gewalt, die insbesondere Frauen erfahren - sexuelle Gewalt, aber auch
andere Gewalt -, häufig nicht geahndet wird, weil die
Justiz nicht funktioniert. Entweder gibt es gar keine entsprechenden Strukturen oder die Justiz ist geschwächt.
Frauen sind nicht allein Opfer, sondern auch Handelnde. Sie sind eine Stütze, wenn die kriegerischen
Auseinandersetzungen vorbei sind. Sie kümmern sich
um die Familie und den Wiederaufbau der Gesellschaft.
Sie nehmen von daher eine wichtige stabilisierende
Funktion wahr.
Die Anliegen der Resolution brauche ich nicht weiter
auszuführen, da sie bekannt sind; meine Vorrednerin hat
sie gerade schon dargestellt. Wir wollen mit unserem
Antrag erreichen, dass auf EU-Ebene, aber auch auf UNEbene eine neue Dynamik zur Umsetzung der Resolution entsteht.
Frau Kollegin!
Hierfür müssen die Aktionspläne der EU wirksam
umgesetzt werden. Dabei besteht über die EU-Ratspräsidentschaft die Möglichkeit, das Thema erneut auf die
Agenda zu setzen.
In diesem Sinne bitte ich Sie, insbesondere Sie von
den Grünen, deren Antrag wichtige Dinge beinhaltet,
aber größtenteils deckungsgleich mit unserem Antrag
ist, heute unserem Antrag zuzustimmen.
Vielen Dank.
({0})
Zum Schluss dieser Debatte erhält die Kollegin
Ursula Heinen für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Debatte zum diesjährigen Weltfrauentag
({0})
zeigt uns, wie ich glaube, sehr deutlich, in wie vielen Bereichen tatsächlich Handlungsbedarf besteht, bis wir von
gleichen Rechten und Chancen für Männer und Frauen
in unserem Land, aber auch international sprechen können. Wir haben gerade sehr intensiv über die internationale Politik und die internationale Situation von Frauen
diskutiert. Es ist aber nicht so, dass hier in Deutschland
alles so schön ist, wie wir uns das wünschen würden.
({1})
Aus diesem Grund haben wir in den Koalitions-, aber
auch in den Oppositionsfraktionen gesagt, dass wir uns
mit dem Thema, wie es mit der Chancengerechtigkeit im
Erwerbsleben - ob die Herstellung von Chancengleichheit wirklich möglich ist, ist eine sehr philosophische
Frage - tatsächlich aussieht, beschäftigen müssen. Wir
erleben da, dass Frauen mit wesentlich mehr Hürden zu
kämpfen haben als Männer. Das führt zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen bei den Verdienst- und Karrieremöglichkeiten.
Fangen wir einmal mit der Erwerbstätigenquote an.
Sie liegt in Deutschland noch nicht einmal bei
60 Prozent. Das ist ein sehr niedriger Wert im europäischen Vergleich. In Ländern wie Dänemark oder Schweden liegen die Frauenbeschäftigungsquoten bei über
70 Prozent.
Eva Möllring hat von der Lohnschere gesprochen.
1995 verdienten die Frauen „nur“ 21 Prozent weniger als
die Männer, heute sind es 23 Prozent weniger. Mit den
Gründen, woran das liegt, müssen wir uns auseinandersetzen. Wenn wir nur die Stundenlöhne betrachten, kommen wir auf einen Unterschied von 26 Prozent.
Ein Grund ist sicherlich die Ausbildungs- und Berufswahl. Die jungen Frauen konzentrieren sich bei ihrer Ausbildungs- und Berufswahl im Grunde auf zehn
Ausbildungsberufe: Bürokauffrau, Kauffrau im Einzelhandel, Arzthelferin, Friseurin, zahnmedizinische
Fachangestellte, Industriekauffrau, Fachverkäuferin im
Nahrungsmittelhandwerk, Kauffrau für Bürokommunikation, Verkäuferin und Hotelfachfrau. Das sind die Berufe, die junge Mädchen wählen. Aber das sind eben
auch die Berufe, die im Schnitt schlechter bezahlt werden als die vergleichbaren - in Anführungsstriche zu setzenden - „Männer-“ oder „Jungenberufe“.
Wir haben das Problem des geringen Anteils von
Frauen in Führungspositionen. Da gilt die einfache Regel: Je größer das Unternehmen, desto geringer der Anteil von Frauen in Führungspositionen, bis hin zu den
DAX-Unternehmensvorständen, in denen keine einzige
Frau sitzt. Ich finde es für ein hochentwickeltes Land
wie die Bundesrepublik Deutschland ein Armutszeugnis,
wenn wir es nicht schaffen, zu erreichen, dass Frauen in
Unternehmen auch in den Toppositionen zu finden sind.
({2})
Wir müssen klar die kleinen und mittelständischen
Unternehmen loben, die es tatsächlich schaffen, Frauen
und Männer zusammenzubringen bzw. die Qualifikationen von Frauen für ihre Bedürfnisse stärker zu nutzen,
als das die großen Unternehmen tun.
Im Hochschulbereich sieht es so aus: Bei den Juniorprofessoren beträgt der Anteil der Frauen noch
30 Prozent; bei den C-4-Stellen liegt er gerade noch bei
10 Prozent. Wir sind froh, dass wir mit Annette Schavan
eine Bildungs- und Forschungsministerin haben, die sich
dieses Themas annimmt und uns dabei unterstützt, zu erreichen, dass die Frauen im Bildungsbereich und in der
Forschung besser anerkannt werden, als das bislang der
Fall gewesen ist.
({3})
Jetzt kommen wir zu einem ganz entscheidenden
Thema, nämlich zu der Frage der familienfreundlichen
Arbeitswelt. Das ist das Kernproblem. Wir haben die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf tatsächlich noch
nicht. An den Frauen - Gerda Hasselfeldt hat es erwähnt hängt die Organisation der Vereinbarkeit von Familie
und Beruf. Nur wenn die Unternehmen sich darauf einstellen, familienfreundlichere Arbeitsplätze einzurichten, haben wir eine Chance, dass es besser wird.
({4})
Das Land Nordrhein-Westfalen hat in Unternehmen
eine Umfrage über freiwillige Regelungen, die die Zusammenarbeit vereinfachen, durchgeführt. Dabei ist herausgekommen, dass gerade einmal 8,4 Prozent der Unternehmen über flexible Arbeitszeitgestaltung verfügen.
Nur 4,6 Prozent bieten tatsächlich Teilzeitarbeit an. Teleheimarbeit gibt es nur bei 2,9 Prozent der Unternehmen.
Das sind große Probleme, die wir haben und an denen
wir arbeiten müssen.
Lassen Sie mich zum Schluss am Weltfrauentag eines sagen: Erst einmal danke ich allen Kolleginnen, die
mitgekämpft haben, dass es uns wesentlich besser geht
und dass wir auf das Thema aufmerksam machen. Es ist,
auch in den eigenen politischen Parteien, nicht immer
leicht, die Frauenthemen in den Mittelpunkt zu rücken,
Hartmut Koschyk.
({5})
Aber ich denke, dass wir auf einem guten Weg sind.
Schließlich sollten wir heute am Weltfrauentag all den
Frauenministerinnen danken, die wir in diesem Land
hatten: angefangen bei Rita Süssmuth über Claudia
Nolte, Angela Merkel, Dr. Christine Bergmann und
Renate Schmidt bis hin zu Ursula von der Leyen, die einen nicht immer ganz einfachen Kampf führt, aber schon
viel für die Sache der Frauen in unserem Land erreicht
hat.
Danke schön.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe auf
der Drucksache 16/4499 zu dem Antrag der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „UN-Resolu-
tion 1325 - Frauen, Frieden und Sicherheit - konsequent
umsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 16/3501 anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich der Stimme? - Dann ist diese Beschlussemp-
fehlung bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen angenommen.
Beim Tagesordnungspunkt 3 b geht es um die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend auf der Drucksache 16/4524.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/712 mit
dem Titel „Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt ver-
wirklichen - Innovationshemmnis Männerdominanz be-
enden“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/832 mit dem Titel „Frauen-
politik - Gesellschaftlicher Erfolgsfaktor“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dage-
gen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/833 mit dem
Titel „Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes auf dem
Arbeitsmarkt durchsetzen“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent-
hält sich? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/3776, 16/4558 und 16/4555 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offen-
kundig der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c sowie
Zusatzpunkt 4 auf:
4 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael
Goldmann, Dr. Edmund Peter Geisen, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes
- Drucksache 16/4143 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Schutz von Mensch und Umwelt bei Freisetzungsexperimenten gewährleisten
- Drucksache 16/4556 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({2}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Cornelia Behm, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Bei gentechnisch veränderten Pflanzen nationales Recht auf Einfuhrverbote und Schutzmaßnahmen nutzen
- Drucksachen 16/1176, 16/4574 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Max Lehmer
Hans-Michael Goldmann
Ulrike Höfken
ZP 4 Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
({3}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung ({4})
TA-Projekt: Grüne Gentechnik - transgene
Pflanzen der 2. und 3. Generation
- Drucksache 16/1211 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({5})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache wiederum eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich bitte, den aufgrund des neuen Tagesordnungspunktes naheliegenden Schichtwechsel erstens möglichst geräuschlos und zweitens möglichst zügig zu vollziehen, damit die Redner die nötige Aufmerksamkeit
finden.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan für die
FDP-Fraktion.
({6})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Kunst des Buchdruckens wurde zuerst in China entwickelt. Johannes Gutenberg - wir müssen uns das eingestehen - kam erst 500 Jahre später. In China setzte sich
die Buchdruckerkunst nicht durch; sie fand keinen
Markt. Warum? Weil die Menschen nicht lesen konnten.
Genauso geht es zurzeit der Grünen Gentechnik. Die
Menschen verstehen ihre Vorteile nicht. Das Bild, das ich
Ihnen gezeichnet habe, ist stimmig. Es stammt aus einer
Rede des SPD-Europa-Abgeordneten Rolf Linkohr.
({0})
Weiter führt er aus: „Doch mit jeder Protestbewegung
verlor Deutschland Zeit und Kompetenz in Schlüsselbereichen der Technik.“ Genau dies wollen wir als FDP
verhindern.
({1})
Der Grünen Gentechnik wird mit Zweifeln begegnet. Das ist bei Innovationen nicht ungewöhnlich; aber
in Deutschland ist es besonders stark ausgeprägt. Eine
Studie der Deutschen-Telekom-Stiftung hat ergeben,
dass das gesellschaftliche Klima in Deutschland besonders innovationsfeindlich ist. Unter zwölf Nationen nehmen wir Platz 10 ein. Es ist eine politische Aufgabe, in
Kenntnis der gesellschaftlichen Erfordernisse dieser Innovationsscheu zu begegnen.
({2})
Wir als FDP nehmen die vorhandenen Zweifel gegenüber der Grünen Gentechnik ernst.
({3})
Zweifel ernst zu nehmen, heißt nicht, Ängste zu bestätigen, für die es keinen nachvollziehbaren Grund gibt.
({4})
Zweifel ernst zu nehmen, heißt, Aufklärungsarbeit zu
leisten. Das tun wir.
({5})
Wenn wir den Kern der Zweifel gegenüber der Grünen Gentechnik einmal genauer untersuchen, dann stoßen wir ausschließlich auf theoretische Überlegungen,
aber nicht auf Tatsachen. Es gibt keine Tatsachen, die
gegen den Anbau von gentechnisch veränderten Sorten
sprechen.
({6})
Zugelassene gentechnisch veränderte Sorten sind sicher
und vielfach anderen Sorten überlegen. Sie sind somit
gentechnisch verbessert.
({7})
Herr Kollege Kelber, wenn Sie Zweifel an der Arbeit
der Zulassungsbehörden der Bundesrepublik Deutschland und an der EFSA haben, dann sind Sie als Regierungspartei gefordert, etwas an der Struktur der Behörden und am gesetzlichen Verfahren zu ändern. Sie
können aber nicht einfach nur herummotzen.
({8})
Es ist im Übrigen nicht überraschend, dass kontinuierlich seit elf Jahren von Jahr zu Jahr mehr gentechnisch
verbesserte Pflanzen angebaut werden. Inzwischen geschieht dies auf über 100 Millionen Hektar. Dies entspricht dreimal der Ackerfläche von Deutschland.
({9})
Nehmen Sie zur Kenntnis: Gentechnisch veränderte
Pflanzen sind ein Erfolgsmodell. Wir von der FDP wollen die Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen für
Verbraucherinnen und Verbraucher genauso wie für
Landwirte.
Deswegen legen wir eine Novelle zum Gentechnikgesetz vor. Unser Gesetzentwurf schafft Rechtssicherheit;
das ist das erste Gebot. Die Forschung wird erleichtert;
das fordern Sie von der Koalition. Die Bürokratie wird
abgebaut; auch das fordern Sie. Die Felder der Landwirte, die in den Regionen des Maiszünslers Bt-Mais anbauen wollen, werden geschützt. Auch das steht in Ihrem
Eckpunktepapier.
({10})
Gleichzeitig wird der hohe Schutz von Natur und Umwelt erhalten.
Nutzen für die Umwelt bringt die Stärkekartoffel;
Umweltminister Gabriel hat es hier im Plenum gesagt.
Nutzen für Natur und Umwelt bietet der Bt-Mais, so das
Bayerische Umweltministerium. Schauen wir in die
Schwellenländer: Dort helfen gentechnisch veränderte
Pflanzen, die Armut zu mindern.
({11})
- Ja, es ist so. Nehmen Sie die Ergebnisse der Universität Hohenheim zur Kenntnis! Dann wissen Sie es.
Die Verzögerung der Zulassung der Stärkekartoffel ist
ärgerlich, aber sachlich unbegründet.
({12})
- Sie ist sachlich unbegründet. Sie wissen, der np-IIMarker ist bewährt und in vielen anderen Konstrukten
ebenfalls enthalten. Eine Verzögerung ist sachlich völlig
unbegründet.
({13})
- Ich habe alle Studien gelesen. Es ist schlicht falsch,
was Sie da behaupten.
({14})
Sie machen Stimmung, und Sie werden Ihrer Aufgabe
nicht gerecht.
({15})
- Die WTO hat etwas zu Kanamycin gesagt.
({16})
- Ich weiß, die WHO hat etwas dazu gesagt. Trotzdem
ist die Kritik nicht gerechtfertigt.
({17})
- Nehmen Sie doch einfach einmal Studien zur Kenntnis. Sie wissen ganz genau, dass wir auf 100 Millionen
Hektar Flächen, auf denen gentechnisch veränderte
Pflanzen angebaut wurden, keinerlei Schwierigkeiten
und keinerlei Probleme gehabt haben, die über andere
Probleme hinausgehen. Das wissen Sie. Nehmen Sie es
endlich zur Kenntnis!
({18})
Nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass die Deutsche
Forschungsgemeinschaft Ihr Eckpunktepapier massiv
kritisiert hat! Nehmen Sie weiterhin zur Kenntnis, dass
die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie die
Grüne Gentechnik befürwortet. Hubertus Schmoldt
sagte - orientieren Sie sich bitte schön auch einmal an
der Weisheit der Gewerkschaften -:
({19})
Die Gentechnik, also auch die grüne Gentechnik,
zählt zu den ganz wichtigen Zukunftsbranchen.
Deutschland darf hier international den Anschluss
nicht verlieren …
({20})
Hubertus Schmoldt weiß, dass Deutschland schon
einmal eine Zukunftschance in den Wind geschlagen hat.
Das war die Sache mit dem Humaninsulin. 1982 wurde
es zugelassen; aber erst 1998 wurde die entsprechende
Fabrik eingeweiht. Im selben Jahr sagten die Grünen in
ihrem Programm:
Gentechnologie ist eine genetische Umweltverschmutzung.
Das ist totaler Quatsch, liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Grünen.
({21})
Innovationen sind wie Äpfel; sie bleiben nicht ewig
frisch. Deutschland hat seine führende Position in der
Pharmazie verloren. Dies hat seine Ursache auch in der
mangelnden Weitsicht politischer Entscheidungsträger, zum Beispiel in der eines Joseph Fischer.
Der Staatssekretär im Forschungsministerium fordert
auf öffentlichen Veranstaltungen „politische Führung“,
das Werben um Akzeptanz für die Grüne Gentechnik.
Aber wo bleibt die politische Führung dieser BundesreDr. Christel Happach-Kasan
gierung, wenn es zum Beispiel um Freisetzungsversuche
in Gatersleben geht, die forschungspolitisch sinnvoll
sind? Wo bleiben Ihre Richtigstellungen, wenn Verbände
absoluten Unsinn behaupten? Ich vermisse diese. Sie reden viel und handeln überhaupt nicht.
({22})
Bei der Grünen Gentechnik sitzen CSU und Grüne in
einem Boot. Lakritz und Spinat traut vereint an der
Pinne; das kann nicht gut gehen. Diese Fahrt führt ins
Schilf. Die flammenden Plädoyers der CSU zur Grünen
Gentechnik haben wir alle noch im Ohr, zum Beispiel
die Forderung von Gerda Hasselfeldt
({23})
nach einer Novellierung des Gentechnikgesetzes sofort
nach Übernahme der Regierung.
({24})
Franz Müntefering hat hier im Parlament gesagt, es
sei unfair, die Politik an Wahlversprechen zu messen. Da
hat er für die CSU gleich mitgesprochen. Doch genau
diese Schnoddrigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen
von CSU und der SPD,
({25})
wenn also Aussagen vor der Wahl nach der Wahl vergessen sind, untergräbt die Glaubwürdigkeit der Politik.
„Wir können es uns nicht mehr leisten, die Gentechnik wie eine heiße Kartoffel vor uns herzuschieben“,
sagte der SPD-Vorsitzende Kurt Beck auf dem Braunschweiger Kreisbauerntag. Er hat selten so viel Beifall
von Bauern bekommen wie auf diesem Kreisbauerntag.
Hören Sie ihm zu!
({26})
Frau Kollegin, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.
Ich komme zum Schluss.
Der Umgang mit Innovationen ist eine Herausforderung für eine alternde Gesellschaft. Innovationsfeindliche Politik ist immer auch mittelstandsfeindlich. Denn
mit den jungen Akademikerinnen und Akademikern verlassen Menschen das Land, deren Wissen uns fehlt, die
hier Aufträge vergeben und den Mittelstand tragen könnten.
Ich bin froh, dass die FDP-Bundestagsfraktion mit der
Vorlage ihres Gesetzentwurfes Bewegung in die Debatte
gebracht hat. Ohne unseren Antrag gäbe es heute noch
kein Eckpunktepapier der Bundesregierung. Ich fordere
die Regierung auf zu handeln, wie sie es den Menschen
im Koalitionsvertrag versprochen hat: für mehr Anwendung der Grünen Gentechnik in Forschung und Landwirtschaft. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({0})
Nächster Redner ist der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Peter Paziorek.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, verehrte Kollegin HappachKasan, ob ich es eben richtig verstanden habe; aber ich
meine, in Ihrem letzten Satz hätten Sie gesagt, die Bundesregierung habe noch kein Eckpunktepapier vorgelegt.
({0})
- Ach so. - Also zur Klarstellung: Die Bundesregierung
hat am 28. Februar 2007 das Eckpunktepapier zur weiteren Novellierung des Gentechnikrechts verabschiedet.
Dieses Eckpunktepapier stellt einen ausgewogenen
Kompromiss dar, der die unterschiedlichen Bewertungen
aus politischer und wissenschaftlicher Sicht aufgreift.
({1})
Ich glaube, dass dieses Eckpunktepapier damit auch
eine politische Antwort auf diese Bewertungen gibt. Die
Bundesregierung hat im Vorfeld der Verabschiedung dieses Eckpunktepapiers einen breiten Dialogprozess
durchgeführt. Alle Interessengruppen sind angesprochen
worden, ganz bewusst auch, um die Risiken, aber auch
die Chancen der Gentechnik in einem solchen Eckpunktepapier aufzugreifen.
Was muss bei einem solchen Abwägungsprozess berücksichtigt werden? Ich stelle diese Frage, Frau
Happach-Kasan, ganz bewusst an den Anfang meiner
Ausführungen. Denn wir müssen natürlich aufpassen.
Sie haben in der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf einen zentralen Satz geschrieben, den ich in dieser Form
nicht unterschreiben möchte. Er lautet: Über die Einführung der Gentechnik entscheidet der Markt.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob der
Markt allein die Kriterien in ausreichendem Umfang zur
Verfügung stellt, um die Gentechnik wirklich verantwortungsbewusst einzuführen. In diesem Punkt gibt es einen
entscheidenden Unterschied zwischen uns und Ihnen.
({2})
Was sind also solche Abwägungskriterien?
({3})
- Ich will gerade den Prozess darstellen, Herr
Goldmann. Sie haben das auch angesprochen.
Wir müssen die Bedenken der Bevölkerung hinsichtlich der Einführung der Gentechnik ernst nehmen. Auf
der anderen Seite erklären viele Forschungseinrichtungen, dass gentechnisch veränderte Pflanzen interessante
Perspektiven bieten können. In diesem Zusammenhang
werden die Bereiche Ernährung, Gesundheit und nachwachsende Rohstoffe angesprochen. In Bezug auf die
nachwachsenden Rohstoffe stellt sich zum Beispiel die
Frage, ob der Energiegehalt verbessert werden kann.
Wenn wir von Energiesicherheit sprechen, ist das eine
spannende Frage. Gibt es darauf eine Antwort?
({4})
Im Bereich der Umweltpolitik stellt sich zum Beispiel
die Frage, ob man mittels der Gentechnik Pflanzen entwickeln kann, die uns helfen, die Probleme bezüglich
der Belastung der Böden zu lösen.
Mit anderen Worten: Es gibt in der Tat interessante
Perspektiven in diesem Bereich. Andererseits weiß niemand, ob diese Chancen Realität werden können. Keiner
in diesem Saal will die Frage nach den Risiken vom
Tisch wischen. Deshalb muss man auch das ernst nehmen.
Wenn Chancen und Risiken gegeben sind, stellt sich
doch die spannende Frage, welcher Weg gefunden werden muss, um diese offenen Fragen zu beantworten. Ich
möchte im Folgenden Antworten zu drei Punkten geben,
nämlich Forschung, Wahlfreiheit der Verbraucherinnen
und Verbraucher sowie Haftung und Transparenz.
Ich sage ganz offen: Wer so an diese Fragen herangeht, nämlich Chancen und Risiken zu sehen, der muss
ein grundsätzliches Ja zur Forschung sagen, ein Ja zur
Sicherheitsforschung und natürlich auch ein Ja zur Entwicklungsforschung, um die Chancen auszuloten.
({5})
Das bedeutet, wir brauchen auch Freisetzungen. Freisetzung bedeutet, nicht nur im Labor, sondern auch in
der Praxis zu schauen, ob das tatsächlich zu realisieren
ist.
Wenn ich mir den Antrag anschaue, den die Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen vorgelegt hat, stelle ich
fest, dass dieser einen Grundtenor hat: überhaupt keine
Freisetzung, also auch keine Forschung draußen. Ich
muss klar und deutlich sagen: Dieser Antrag geht von
dem Grundsatz aus, dass man die Chancen überhaupt
nicht sehen will. Auch eine solche Position muss man,
wenn man verantwortungsvolle Politik macht, ablehnen.
Es wäre völlig falsch, schon jetzt alles abzuschreiben.
({6})
Deshalb, meine ich, müsste der Ansatz so gestaltet
werden, wie es die Koalition und die Bundesregierung in
ihrem Beschluss vom 28. Februar festgelegt haben. Wir
brauchen Forschung unter Sicherheitsaspekten, darüber
hinaus brauchen wir Forschung im Bereich der Entwicklung. Die dazugehörigen Verfahren müssen pragmatisch
umgesetzt werden. Die Bundesregierung hat sich im
Eckpunktepapier dafür ausgesprochen, ein weiteres Gesetz zur Änderung des Gentechnikrechtes auf den Weg
zu bringen, um zum Beispiel Verfahren der Freisetzung,
in denen genügend Sicherheitserfahrungen vorliegen,
einfach auszugestalten.
Mein zweites Stichwort, das für das Papier wesentlich
ist, ist der Grundsatz der langfristigen Einhaltung der
Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher. Ziel unserer Politik muss bleiben, allen tatsächlich
die Möglichkeit einzuräumen, auf gentechnikfreie Lebensmittel zurückzugreifen. Jeder muss selbst entscheiden können, was er kaufen will. Wenn das so angepackt
wird, bedeutet das für die Produktion und Anwendung,
dass ganz bestimmte Koexistenzregeln verabschiedet
werden müssen; denn erst wenn die Koexistenz dieser
Bereiche möglich ist, kann der Verbraucher davon ausgehen, dass er tatsächlich wählen kann. Ich glaube, hierfür haben wir einen guten Ansatz gefunden.
({7})
Wir werden jetzt darangehen, die gute fachliche Praxis bei der Erzeugung gentechnisch veränderter Pflanzen
in einer Rechtsordnung zu definieren. Hier stellt sich die
spannende Frage der Mindestabstände. Wir gehen davon aus, dass der Mindestabstand bei den beiden Anbauarten von Mais 150 Meter betragen soll. Aufgrund wissenschaftlicher Untersuchungen ist dieser Abstand
ausreichend, um für die nötige Sicherheit zu sorgen. Ich
denke, dass wir damit dem Bedürfnis nach Wahlfreiheit
verantwortungsbewusst nachkommen.
Der dritte Schwerpunkt des Eckpunktepapiers umfasst die Regelungen für Transparenz und Haftung.
Der Leitsatz des Eckpunktepapiers lautet: Die Betroffenen informieren und Transparenz sichern. Die Betroffenen wollen wissen, wann sie mit der Gentechnik in Berührung kommen. Allerdings ist es - das muss man
deutlich sagen - in der Vergangenheit immer wieder zur
Zerstörung von Feldern mit gentechnisch veränderten
Pflanzen gekommen. Manche Felder, die zu Forschungszwecken angelegt wurden, sind bewusst zerstört worden.
Das ist nicht richtig. So kann man nicht zur Ausgewogenheit kommen. Die rechtlichen Probleme, die damit
verbunden sind, will ich hier gar nicht erwähnen.
Die Nachbarn der GVO-Verwender werden vom Anbau informiert. Im Standortregister soll in Zukunft nur
noch die Gemarkung angegeben werden. Ich sage das so
deutlich, weil dieser Aspekt in der Öffentlichkeit bisher
noch nicht berücksichtigt worden ist. Jeder soll allerdings die Möglichkeit erhalten, beim BVL eine Anfrage
über das konkrete Grundstück zu stellen, solange bei
ihm nicht Tatsachen den Verdacht begründen, dass die
Anfrage einer Feldzerstörung dienen soll. Mit anderen
Worten: Die Offenheit in dieser Frage ist gegeben. Wir
wollen alles tun, damit es zukünftig nicht zu Feldzerstörungen kommt. Das muss an dieser Stelle politisch deutlich herausgestellt werden.
({8})
- Ihr Zuruf ist sehr interessant, Frau Höhn. Wenn sich
Ihr Zwischenruf „Wenn Sie keine anderen Probleme haben!“ auf meine Ausführungen bezieht,
({9})
dann, muss ich sagen, haben Sie den falschen Ansatz.
({10})
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Höhn?
({0})
Ja, natürlich gern, schließlich habe ich sie direkt angesprochen.
({0})
Herr Paziorek, ich möchte klarstellen, dass sich mein
Zwischenruf nicht auf Sie bezog, sondern auf den Kollegen Kelber.
Das nehme ich zur Kenntnis.
Ich habe deutlich und klar gesagt, dass ich Feldzerstörungen für nicht in Ordnung halte. Das war in der Vergangenheit meine Position und wird auch in Zukunft
meine Position sein.
({0})
Ich nehme das zur Kenntnis, danke.
Ein anderer Aspekt der Transparenz ist die Kennzeichnung. Auf der Grundlage des Eckpunktepapiers
streben wir die Kennzeichnung aller Produkte an, die unter Einsatz gentechnisch veränderter Organismen hergestellt worden sind. Damit würde einer von der Verbraucherseite erhobenen Forderung nach mehr Transparenz
auch bei tierischen Produkten Rechnung getragen werden. Das ist unsere Absicht. Es wäre vielleicht an dieser
Stelle schön, wenn Sie, Frau Höhn, das nachher in Ihrem
Redebeitrag auch einmal lobend erwähnen würden. Es
ist ganz klar, dass wir in dem Eckpunktepapier eine solche Beschlusslage vorgenommen haben.
Eines sage ich aber auch deutlich: Diese Fragen müssen europaweit gelöst werden. Es hätte keinen Zweck,
wenn wir diese Fragen nur national in Deutschland regeln würden. Aufgrund der Offenheit der Märkte würde
das nachher wieder ausgeklinkt werden.
Wir wollen natürlich die Haftungsregelung präzisieren. Gerade das ist in der Presseberichterstattung der
letzten Tage ein ziemlich oft zitierter Punkt gewesen.
Hier muss man klar und deutlich sagen: Dazu gibt es in
der öffentlichen Diskussion viele Missverständnisse. Die
Haftungsfragen bei den Mangelfolgeschäden können nur
im Rahmen der Rechtsprechung, zum Beispiel auch der
obersten deutschen Gerichte, präzisiert werden. Das
heißt also: All das, was - auch von der rot-grünen Vorgängerregierung - mit der sogenannten gesamtschuldnerischen Haftung in dieser Frage vereinbart wurde, hat
zwar den Personenkreis der möglichen Haftenden geklärt - mit all den umstrittenen Diskussionen hier im
Bundestag -, hat aber nicht ein neues Rechtsinstitut geschaffen, mit dem weitere Haftungstatbestände bei Mangelfolgeschäden entwickelt werden könnten. Mit anderen Worten: Hier wird sehr oft eine andere rechtliche
Position bei dem Begriff Haftung unterschoben, die in
der Diskussion bis jetzt nie eine rechtliche Relevanz gehabt hat.
Um das noch einmal mit Öffentlichkeitswirkung nach
außen klarzustellen, haben wir in dem Eckpunktepapier
gesagt: Wir werden uns dieses Thema noch einmal vornehmen und werden dazu auch einen Fachkongress
durchführen, um - ich habe am Anfang gesagt, es gibt
große Bedenken in der Öffentlichkeit - Informationsprozesse zu dieser Frage in Gang zu setzen und die Öffentlichkeit über den Streitstand zu informieren und sie mitzunehmen. Dadurch soll deutlich gemacht werden, was
überhaupt dahintersteckt, wenn hier die Haftungsfrage
kontrovers diskutiert wird.
Wenn man das so zusammenfasst, dann muss ich sagen: Dieses Eckpunktepapier, dieser Beschluss der Bundesregierung ist ein verantwortungsbewusster Umgang
mit der öffentlichen Diskussion, aber auch mit den öffentlichen Kriterien der Chancen und der Risiken. Dieses Papier stellt wirklich einen Ausgleich dar. Ich
glaube, wir können deshalb abschließend sagen: Wir
sind hier mit diesem Eckpunktepapier auf einem richtigen Weg; denn es werden die Interessen von Umweltschutz, Gesundheitsschutz, Verbraucherinformation und
Forschungsförderung berücksichtigt. Damit wird dieses
Papier auch den Vorgaben des Koalitionsvertrages gerecht, die Gentechnik weiter zu fördern, aber mit Augenmaß.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Kirsten
Tackmann für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste! Die vorliegenden Drucksachen
zu dieser Debatte weisen mit einer Ausnahme auf das eigentliche zentrale Problem der Agrogentechnik hin,
nämlich dass gesundheitlichen und ökologischen Risiken ein sehr strittiger Nutzen gegenübersteht. Nur der
Gesetzentwurf von der FDP blendet diese Tatsache aus
und setzt auf grenzenlosen Fortschritt. Aber das kennen
wir. Daher möchte ich mich mit dem Minister auseinandersetzen - Herr Paziorek, da müssen Sie jetzt einmal
durch.
Es hat schon etwas Tragikomisches, liebe Kolleginnen und Kollegen: Da bin ich als Linke einmal in meinem Leben ausnahmsweise der gleichen Meinung wie
der CSU-Generalsekretär, wie eine Bevölkerungsmehrheit in Bayern und wie die katholische Kirche - ich habe
zwar andere Gründe für die Ablehnung der Gentechnik,
aber immerhin -, und ausgerechnet dann verweigert der
zuständige Minister die Gefolgschaft und lässt in der
vergangenen Woche das Eckpunktepapier zur Agrogentechnikförderung, von dem schon die Rede war, im
Kabinett absegnen.
Um die Tragik noch zuzuspitzen: Die SPD-Ministerinnen und -Minister lassen bei dieser Gelegenheit auch
noch ihre eigene Fraktion im Stich. Dabei wäre das Positionspapier der SPD-Fraktion vom Januar 2007 allemal
besser gewesen als das Seehofer’sche Lobbypapier.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie werden heldenhaften Widerstand aufbringen müssen, aber
Sie haben die Chance, Ihre Vertrauenswürdigkeit wiederherzustellen.
({1})
Aber machen wir doch einmal einen Glaubwürdigkeitscheck beim Minister: Er betont immer wieder, dass
die sogenannte Koexistenz zwischen Anwendern und
Nichtanwendern der Agrogentechnik selbstverständlich
garantiert werden müsse, als Anwendungsvoraussetzung
geradezu. Es lohnt sich also ein prüfender Blick.
Bei der sogenannten Koexistenz geht es zum Beispiel
darum, mit welchen Maßnahmen man die Auskreuzungen in das Erntegut des Nachbarn verhindern kann. Ich
denke zwar, dass es beim Mais andere, wichtigere Verschleppungswege gibt, wie Resterntegut auf dem Acker,
Transport- und Verarbeitungswege usw. Aber zu diesen
Hauptrisiken sagt das Eckpunktepapier gar nichts; bleiben wir deswegen bei den Auskreuzungsgefahren. Wir
hatten im Oktober 2006 zu diesem Thema eine Anhörung im Bundestagsausschuss. Einer der Experten war
Dr. Rühl von der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft; das ist die Agrarressortforschungseinrichtung,
die die Politikberatung der Bundesregierung bei diesem
Thema leistet. Er stellte klar, dass für eine Festlegung
des Sicherheitsabstands zwischen Feldern, auf denen
gentechnisch veränderter Mais angebaut wird, und solchen, auf denen konventioneller Mais angebaut wird, aus
seiner Sicht zurzeit noch keine ausreichende Datenbasis
verfügbar ist.
({2})
Ich persönlich würde ohnehin auf internationale Erfahrungen verweisen, die dagegen sprechen, dass es so etwas wie eine dauerhafte Koexistenz geben kann. Aber
ich will jetzt Dr. Rühl wortwörtlich zitieren:
Dafür brauchen wir mehrjährige Feldversuche. Aus
ein- oder zweijährigen Versuchen lässt sich … relativ schlecht etwas Abgesichertes ableiten.
Das sagt also die fachlich zuständige Bundesforschungsanstalt zu den Voraussetzungen von politischen Entscheidungen, die der Herr Minister jetzt kühn fällt. Die
gerade begonnene FAL-Studie ist auf fünf Jahre angelegt; wir werden die Ergebnisse also erst 2010 vorliegen
haben. Die einzig logische Konsequenz müsste dann
doch darin bestehen, im Sinne des Vorsorgeprinzips ein
Moratorium zu verhängen, die Feldversuche zeitweilig
auszusetzen.
({3})
Stattdessen übt sich der Minister kühn im Abschätzen: Er nimmt den fiktiven Wert von 100 Metern Abstand, bei dem angrenzender Mais „nur noch ein bisschen“ verunreinigt werde. Anstatt die technische
Nachweisgrenze von 5 auf 100 000 Körner zum Maßstab zu machen, legt er fest, dass 9 von 1 000 Körnern in
konventionellem Mais gentechnisch verändert sein dürfen, ohne dass dafür jemand haftbar gemacht werden
könnte. Großzügig legt er seinerseits einen Sicherheitsabstand von 50 Metern oben drauf, sodass er auf
150 Meter Abstand kommt. Diese ministerielle Herleitung hat mindestens einen Haken: Sie widerspricht
schlicht den Expertenempfehlungen. Ich zitiere wieder,
was Dr. Rühl von der FAL in der Anhörung gesagt hat:
150 Meter beim Mais ist definitiv keine Garantie
dafür, dass ab diesem Punkt urplötzlich das Ganze
bei Null ist.
({4})
Die EU schreibt ausdrücklich vor, dass Auskreuzungen
nur dann zulässig sind, wenn sie technisch unvermeidbar
oder zufällig sind. Aber wie kann etwas zufällig sein,
wenn die Bundesforschungsanstalt klar sagt, dass auch
jenseits der 150 Meter mit Auskreuzungen gerechnet
werden muss?
({5})
Um einen weiteren Beleg für die Willkürlichkeit der
Seehofer’schen Abstandsregelung zu nennen: Der Sicherheitsabstand soll erstens nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst werden, darf aber
zweitens die Nutzung der Agrogentechnik ausdrücklich
nicht verhindern. Eine so dreiste politische Vorgabe für
wissenschaftliche Untersuchungen habe ich noch nicht
erlebt.
({6})
Aus meiner Sicht wird die Seehofer’sche Koexistenzgarantie damit schleichend zu einer Kontaminationsgarantie.
Der Super-GAU, den wir 2006 hatten - dass gentechnisch veränderter Reis aus einem kleinen Versuchsanbau
in den USA weltweit Kontaminationen verursacht hat -,
muss doch jede Illusion von einer Kontrollierbarkeit der
Agrogentechnik zunichte gemacht haben. Die Behauptung, Koexistenz sei auf Dauer möglich, ist daher Etikettenschwindel und Wählertäuschung.
({7})
Die SPD-Fraktion hat angesichts dieser Situation einen vernünftigen Vorschlag gemacht, den wir unterstützen: Die Bundesregierung soll sich auf europäischer
Ebene dafür einsetzen, dass es möglich wird, gentechnikfreie Zonen, Regionen bzw. Länder einzurichten.
Unsere Ratspräsidentschaft bietet dazu eine gute Gelegenheit. Damit gäbe man zumindest den Menschen, die
diese Risikotechnologie nicht wollen, eine Chance, sich
zur Wehr zu setzen. Eine Alternative wäre, dass der Minister endlich im Sinne der Mehrheit Politik macht. Aber
da bin ich wenig hoffnungsvoll.
Recht herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat nun der Kollege Ulrich Kelber für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich möchte den Gesetzentwurf der FDP zur
Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion kurz charakterisieren:
Erstens. Die FDP hat Angst vor Fachargumenten,
weil diese auch einmal gegen die Nutzung von Gentechnikpflanzen ausfallen könnten. Anders ist nicht zu erklären, dass die FDP die Rechte der Fachbehörden aushebeln will, mögliche Warner also mundtot machen will.
({0})
Zweitens. Der Gesetzentwurf der FDP gefährdet Hunderttausende Arbeitsplätze in der gentechnikfreien Landwirtschaft und Lebensmittelbranche, also 99 Prozent der
gesamten Arbeitsplätze; denn diese stehen in Konkurrenz mit ausländischen Anbietern. Durch die von der
FDP gegenüber dem Entwurf der Regierung geforderten
kürzeren Vorwarnzeiten hätten Landwirte, wenn ein
Nachbar gentechnisch veränderte Pflanzen anbaut, nicht
mehr die Möglichkeit, mit anderen Lieferbedingungen,
mit anderen Anbauarten zu reagieren. Auf die Landwirte, die keine Gentechnikpflanzen anbauen, können
damit Mehrkosten zukommen, die sie in ihrer Konkurrenzfähigkeit gefährden. Gleichzeitig will die FDP die
Haftung der Gentechnikanbauer gegenüber möglicherweise geschädigten Nachbarn unter das im Bürgerlichen
Gesetzbuch übliche Haftungsniveau senken.
({1})
Drittens. Der Gesetzentwurf der FDP atmet in jeder
Zeile Misstrauen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern.
({2})
Es schadet der Glaubwürdigkeit des Staates und übrigens auch der Glaubwürdigkeit der Gentechniknutzer,
wenn die Bürger in Zukunft nicht mehr vom Staat erfahren, auf welchen Flächen Gentechnik zum Einsatz
kommt, sondern wenn sie es dem Internet entnehmen
müssen.
({3})
Wenn Sie nur die Gemarkung zulassen wollen, aber viele
der wirtschaftlich Berechtigten die Gesamtinformation
bekommen, dann wird sie von dort ins öffentliche Internet gelangen. Dann fragt sich der Bürger: Warum verheimlicht der Staat etwas, was ich woanders erfahren
kann? Es schadet der Glaubwürdigkeit, wenn wir diesen
Weg gehen, und das ohne Not. Denn seit der Einführung
des flurstückgenauen Katasters ist die Zahl der zu verurteilenden Feldzerstörungen sogar zurückgegangen. Es
gibt also gar keinen Grund, diesen Weg zu gehen.
({4})
Viertens. Die FDP will den Schutz der Öffentlichkeit
vor Fehlverhalten beim Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen verringern. Sie schlägt vor, die Bußgelder zu senken.
Fünftens. Die FDP will - das ist der wichtigste Punkt auch Ernten, die mit experimentellen, für den Anbau als
Lebensmittel nicht zugelassenen Pflanzen verschmutzt
sind, da auf dem Nachbarfeld ein Versuchsanbau stattgefunden hat, für den Verzehr freigeben.
({5})
Das ist Ihr Vorschlag. Sie möchten die Menschen zu Versuchskaninchen machen, und das ohne eindeutige
Kenntnisse im Hinblick auf die Langzeitwirkungen.
({6})
Diese Forderung entbehrt jedes gesunden Menschenverstandes und jeglicher wissenschaftlicher Basis.
({7})
Was ist im Hinblick auf die Gesetzesnovelle der
Stand der Dinge? Wir haben einen Kabinettsbeschluss
über die Eckpunkte der Reform gefasst. Es war absolut
sinnvoll, dass der Bundesminister zunächst einmal eine
Abstimmung zwischen den verschiedenen Ressorts
durchgeführt hat.
({8})
Er hat seine Kolleginnen und Kollegen im Finanzministerium, im Justizministerium und im Gesundheitsministerium gefragt, welche Meinung ihr jeweiliges Ressort
zu seinen Vorschlägen hat.
({9})
Es ist auch richtig, dass dann der Finanzminister abklärt, was aus finanzieller Sicht zu beachten ist. Von Bedeutung ist darüber hinaus, dass auch das Justizministerium beteiligt wird. Ich freue mich, wenn ein SPDgeführtes Justizministerium zum Beispiel sagt, dass es
mit Einschränkungen bei der Haftung nicht einverstanden ist, und wenn dies dann auch in der geänderten Fassung der Eckpunkte seinen Ausdruck findet. Genau so
sollte die Ressortabstimmung stattfinden.
({10})
Jetzt ist der Deutsche Bundestag gefordert, diese Gesetzesnovelle zu beraten. Man muss ganz offen sagen:
Es gibt Punkte, über die wir in der Koalition noch diskutieren müssen, da wir noch uneins sind. Diese Aspekte
wird jetzt der Bundestag, der Gesetzgeber, klären müssen. Einer dieser Bereiche betrifft die Transparenz. Wir
möchten im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher eine Verbesserung der Transparenz, die für sie
nutzbar ist. Deswegen sind wir für eine Kennzeichnung
aller tierischen Produkte wie Milch und Fleisch, wenn
die Tiere mit gentechnikveränderten Pflanzen gefüttert
wurden.
({11})
Wir sind nicht für die sogenannte Prozesskennzeichnung, die lediglich dazu führt, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher verwirrt werden und keine klare
Unterscheidung zwischen den Produkten mehr möglich
ist. Wir werden in dieser Frage den klaren Beschluss unseres Parteitags umsetzen.
Wie deutlich geworden ist, sind wir nach wie vor für
die Beibehaltung des flurstückgenauen öffentlichen
Standortregisters. Es gibt keinen Grund, dies aufzugeben.
({12})
Der Schwerpunkt der Diskussion innerhalb der Koalition betrifft die Frage: Wie schützen wir die gentechnikfreie Landwirtschaft, wenn es zum vermehrten Einsatz
gentechnisch veränderter Organismen kommt? Die
Grundsatzentscheidung über den Einsatz von GVOs ist
durch europäisches Recht gefallen; das ist nicht die Aufgabe dieser Novelle. Jeder kann hierzu eine private Meinung haben; viele von uns haben sie auch in der Öffentlichkeit deutlich gemacht. Es muss darum gehen: Wie
schützen wir die gentechnikfrei arbeitenden Landwirte
vor zusätzlichen Kosten, wenn der Markt von ihnen zum
Beispiel Tests auf Gentechnikfreiheit fordert? Wie schützen wir sie vor höheren Kosten, wenn mehr GVOs eingesetzt werden, weil sie unterschiedliche Maschinen für
Ernte, Lagerung und Verarbeitung brauchen? Wie schützen wir sie vor Absatzproblemen, wenn der Lebensmittelhandel und die weiterverarbeitende Industrie höhere
Grenzwerte einfordern als die, die im Haftungsrecht vorgegeben sind?
Ich freue mich, dass wir uns innerhalb der Koalition
darauf geeinigt haben, dass dies die existenzielle Frage
dieser Gesetzesnovelle ist. Damit hängt natürlich auch
die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher
eng zusammen. Wir werden eine gemeinsame Fachtagung durchführen, um sinnvolle Regelungen zu finden.
Die Fragen der Abstandswerte, der Haftungsgrenzwerte,
die verbindlichen gentechnikfreien Regionen und alle
anderen Punkte müssen sich an dieser Problematik
orientieren. Dann kann man sie quantifizieren.
Ich möchte eine kritische Bemerkung machen: Der
vielstimmige Chor aus den Reihen des Koalitionspartners macht die Kompromisssuche natürlich nicht leichter. In Bayern tobt CSU-Generalsekretär Söder durch die
Gegend und macht Vorschläge, für die ich durchaus eine
gewisse persönliche Sympathie habe, die aber schlicht
EU-rechtswidrig sind. Wir können nicht einfach für
zehn Jahre aussteigen. Schließlich haben wir vor einigen
Jahren dem europäischen Recht zugestimmt, das nun
verbindlich ist. Hier in Berlin gibt es aber CSU-Kollegen
- sie sitzen heute in vorderer Reihe und werden wahrscheinlich noch sprechen -, die am liebsten den FDPGesetzentwurf unterstützen würden.
({13})
In Bayern mag es klappen, für jeden etwas zu haben.
Aber im Deutschen Bundestag wird sich die CSU irgendwann einmal entscheiden müssen; denn hier
schauen die Menschen etwas genauer hin.
({14})
Wir haben heute schon bei Ihrem ersten Redner,
meine Damen und Herren von der FDP, gemerkt, dass
Sie als seriöser Ansprechpartner in der Gentechnik leider
ausfallen.
({15})
Bei Ihnen gibt es ein gefährliches Gemisch aus Ideologie
und Lobbyismus, das nicht dem Schutz der Menschen
dient.
Ich freue mich, dass wir heute, nach über drei Monaten, wieder etwas von Ihnen, meine Damen und Herren
von der Linken, zu diesem Thema gehört haben. Als ich
mich gestern auf meine Rede vorbereitet habe, habe ich
festgestellt, dass Ihre letzte Äußerung zu diesem Thema
von Dezember letzten Jahres stammt.
Bleibt noch unser ehemaliger Koalitionspartner, die
Grünen. Wir haben gemeinsam vor ein paar Jahren ein
gutes Gesetz gemacht. Immerhin sind die Haftungsregelungen so wegweisend, dass sie nun Grundlage für die
vom Minister vorgeschlagene Neuregelung sind. Aber,
meine Damen und Herren von der FDP, auch die Wirtschaft lehnt die von Ihnen vorgeschlagenen Änderungen
ab; das ist spannend festzustellen.
({16})
Meine Damen und Herren vom Bündnis/90 Die Grünen, Sie wissen genauso gut wie ich, dass das alte Recht
weder die gentechnikfreie Landwirtschaft noch die Verbraucherinnen und Verbraucher vor allen aktuellen Entwicklungen schützt, zum Beispiel dann nicht, wenn die
Schwellenwerte für die Abnahme von Erntegut geringer
sind als die gesetzlichen Kennzeichnungsschwellenwerte. Daher ist es unehrlich, in der Öffentlichkeit zu
fordern: Verzichtet auf die Novelle! Das bedeutete einen
Verzicht auf den Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft. Wir brauchen aber eine richtungweisende Novelle.
Eines ist ganz klar: 80 Prozent der Menschen wollen
keine Agrogentechnik auf ihrem Teller. Auch Landwirte
und Handel lehnen diese mit breiter Mehrheit ab. Aber
alle wollen, dass die Forschung fortgesetzt wird und dass
die Biotechnologie stärker gefördert wird. Das will auch
die Mehrheit im Deutschen Bundestag. Wir werden dafür sorgen, dass es Wahlfreiheit gibt und dass man vom
Fortschritt profitiert.
Vielen Dank.
({17})
Nun erteile ich das Wort der Kollegin Ulrike Höfken
für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Kollege Kelber, es ist gut, das noch zwei
Anträge der Grünen vorliegen, aus denen Sie ersehen
können, was man über das Gesetz hinaus tun kann.
Meine Damen und Herren von der FDP, für Sie
spricht das, was Sie auf Ihrem Deckblatt zur Einladung
zu Ihrem Kongress „Grüne Gentechnik“ geschrieben haben: „Wir danken unseren Sponsoren: KWS, Syngenta,
VCI, Lembke“, also den vier großen Agrogentechnikvertretern.
({0})
Dazu könnte man sagen: Wes Brot ich ess, des Lied ich
sing. Die FDP tritt für die Freiheit des Verkaufens ein,
während wir, die Grünen, für die Freiheit des Lebens
und die Wahlfreiheit der Verbraucher eintreten.
Frau Happach-Kasan, wenn Sie sich unser Programm
anschauen, werden Sie feststellen, dass wir die Gentechnik sehr differenziert sehen. Wir unterscheiden zwischen
geschlossenen Systemen, die nach unserer Meinung beherrschbar sind, und offenen Systemen, den Freisetzungen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Happach-Kasan?
Ja.
Bitte sehr, Frau Happach-Kasan.
Liebe Kollegin Höfken, ich finde es gut, dass Sie die
Unterscheidung zwischen geschlossenen und offenen
Systemen angesprochen haben. Aber wir alle erinnern
uns sicherlich noch an den Fall des Humaninsulins, zugelassen 1982. 14 Jahre hat die Genehmigung der Produktionsstätte gedauert, weil damals unter anderem der
grüne Umweltminister Joseph Fischer in Hessen tätig
war. 1998 wurde die Produktionsphase eingeleitet. Sagen Sie uns doch einmal, wie Sie im Jahr 2000, 18 Jahre
nach der Zulassung von Humaninsulin, dazu gekommen
sind, zwischen geschlossenen und offenen System zu
unterscheiden! Sagen Sie uns einmal, warum Sie erst so
spät eine solche Innovation für die Menschen, die an
Diabetes erkrankt sind, sozusagen als hoffähig anerkannt
haben! Meinen Sie nicht, dass ein bisschen mehr Zukunftszugewandtheit auch für eine grüne Partei ein sinnvoller Weg in die Zukunft wäre?
Wir sind zukunftsgewandt, aber nicht blauäugig.
({0})
Interessant ist doch, wann die Gentechnikgesetze entstanden sind. Wir haben doch erst von der alten Bundesregierung, an der Sie beteiligt waren, die Gentechnikgesetze bekommen, als die entsprechenden Aktivitäten in
vieler Hinsicht schon längst liefen.
Ich denke, es muss so funktionieren: Erst müssen ein
vernünftiger Schutzstandard und die notwendige Regulierung geschaffen werden; dann kann man in die Vollen
gehen. Das berücksichtigen wir sowohl bei den geschlossenen Systemen als auch bei den Freisetzungen.
Dabei kommen wir zu unterschiedlichen Schlüssen,
nämlich das man unter den entsprechenden Voraussetzungen das eine tun kann, das andere aber nicht.
({1})
Zu Ihrem Gesetzentwurf: Die FDP bedankt sich bei
ihren Sponsoren mit einer Eins-zu-eins-Umsetzung ihrer
Interessen, nämlich einer völligen Befreiung der Forschung von Verantwortung und Sorgfalt. Der Gesetzentwurf gipfelt - Frau Tackmann hat es schon erwähnt - in
der völlig rechtswidrigen Forderung, dass jede verseuchte Lebensmittelpflanze, die neben einem Forschungsfeld aufgewachsen ist, auf den Tellern und im
Futtertrog landen soll. Das muss man sich einmal vorstellen. Und jedes gentechnisch veränderte Produkt soll
im Futtermittel- und Lebensmittelbereich von jeglicher
Überprüfung befreit werden - das Thema Umwelt
kommt erst gar nicht vor -, wenn es erst einmal für Forschungsexperimente genehmigt wurde. Die Verbraucher
sollen sich halt nicht so anstellen: An etwas Schweineimpfstoff in der Erbsensuppe oder etwas Cholera-Gen
im Kartoffelsalat ist doch noch keiner gestorben.
({2})
Und wenn doch: dann für die Freiheit der Forschung, deren Vertreter - wie Professor Winnacker, der kürzlich
wieder für „Das Parlament“ geschrieben hat; er ist unter
anderem Aufsichtsratsmitglied bei Bayer - auch gleichzeitig Wirtschaftsvertreter sind. Die Forschung wird mit
Milliarden gepäppelt. Vor einer solchen „freien“ Forschung muss man sich fürchten.
({3})
Herr Seehofer ist heute nicht anwesend. Dann kriegt
der Staatssekretär die Prügel ab. Die Forderungen der
FDP finde ich nicht so schlimm; sie ist schließlich keine
Regierungspartei. Viel schlimmer ist - das sage ich an
die Kollegen der SPD gewandt -, dass diese Ideologie
von Kanzlerin Merkel und Minister Seehofer in die Praxis umgesetzt wird. Herr Seehofer wird Genhofer genannt. Ein Blick in das Eckpunktepapier zeigt, dass es
sich dabei um einen fleischgewordenen Etikettenschwindel handelt.
Herr Seehofer ist eigentlich ein netter Kerl, aber man
muss sich fragen, warum das, was sich im Eckpunktepapier schwarz auf weiß findet, in keiner Weise dem entspricht, was in Worten geäußert wird. Hier würden
keine, auch nicht die geringsten, Risiken für Mensch und
Umwelt eingegangen,
({4})
hat Herr Seehofer zur Forschung festgestellt. Auskreuzungen, sagte er, müssten die Ausnahme sein.
Was aber ist für die Umsetzung vorgesehen? Die Verunreinigung wird danach zur Regel. Die Haftung wird
massiv heruntergefahren. Wer Schaden erleidet, hat weniger Rechte. Und das wird als „gute fachliche Praxis“
definiert: Lächerliche Abstandsregelungen sind das eine;
das Schlimmste ist aber, dass die Verschmutzung bis zu
einem Schwellenwert von 0,9 Prozent - dem Kennzeichnungsschwellenwert, der nie dazu vorgesehen war - nun
ungehemmt möglich ist. Das darf nicht sein, und es ist
meines Erachtens mit EU-Recht nicht vereinbar.
({5})
Transparenz wird nicht gesichert, sondern eingeschränkt. Beim Standortregister - das ist offenbar nicht
in Ihrem Sinne, Herr Kelber - sind ebenfalls Einschränkungen vorgesehen. Was die Forschung angeht, folgt
man im Prinzip der FDP. Als „Lizenz zur Verseuchung“
für Bayer, BASF und Monsanto wird das Eckpunktepapier von den Umweltverbänden und den Bundesverbänden für ökologischen Landbau bezeichnet, und
die Steuerzahler sollen auch noch dafür haften. Stark
vereinfachte Verfahren sollen die Beteiligung der Öffentlichkeit und die Überprüfungsmöglichkeiten einschränken. Das kann doch nicht sein.
Dieser Widerspruch zu den öffentlichen Äußerungen
spricht für sich. Aber es ist noch nicht zu spät, das Vertrauen der Verbraucher zurückzugewinnen.
Ich verweise noch einmal auf unsere Anträge. Herr
Seehofer hält die Aussaat von Raps nicht für vorstellbar.
GVO-Raps sei nicht mit der Koexistenz vereinbar. Dann
nehmen Sie das bitte auch in die gute fachliche Praxis
mit auf! Das vereinfachte Verfahren darf nicht zur Regel
werden. Stoppen Sie das!
Pharma- und Industriepflanzen, wie Kartoffeln und
Erbsen, gehören nicht ins Freiland. Das sollte auch nicht
durch ein vereinfachtes Verfahren ermöglicht werden.
GVO-Weizen darf nicht neben einer Genbank angebaut
werden. Stoppen Sie das!
MON 810 ist übrigens die einzige von Herrn Seehofer
in Deutschland zum kommerziellen Anbau zugelassene
Sorte.
({6})
- Nein, das war nicht seine Vorgängerin, sondern - das
hat Minister Seehofer wohl auch übersehen - er hat in
seiner Zeit als Gesundheitsminister höchstpersönlich
diese Zulassung erteilt. MON 810 ist, wenn er überhaupt
eine Zulassung hat - was wir bezweifeln -, nur für Futtermittel und industrielle Zwecke zugelassen. Was passiert jetzt? Das Zeug ist im Honig. So etwas kann man
doch nicht zulassen. Also auch zurückziehen!
Man kann das noch weiterführen. In der nächsten Woche wird Greenpeace eine Studie zu MON 863 vorstellen. Hier liegen neue Erkenntnisse vor. Daraus müssen
Konsequenzen gezogen werden. Das Mindeste wäre,
dass das Zulassungsverfahren auf der EU-Ebene verbessert wird. Das hat die Kommission zugesagt, und das haben auch Sie verlangt. Also tun Sie es! Die nationalen
Einfuhrverbotsmöglichkeiten müssen genutzt werden.
Das ist rechtlich möglich. Es sollte auch, wie wir vorschlagen, eine Datenbank eingerichtet werden, in der die
ganzen Genkonstrukte aufgeführt werden, damit man
wenigstens in der Kontrolle nachvollziehen kann, was da
so alles kreucht und fleucht.
Wir sagen das vor dem Hintergrund nicht der Chancen, sondern der Risiken, die sich zeigen. Genreis - um
dieses Beispiel zu erwähnen -, der im Rahmen eines
Forschungsexperiments der Firma Bayer ausgekreuzt ist,
hat in den USA einen Schaden von 80 bis 100 Millionen Dollar verursacht, in Deutschland von 10 MilUlrike Höfken
lionen. Das sagt die Industrie. Wo ist denn das Geld?
Wer wird denn dafür haftbar gemacht? Keiner. Bei Bt 10
ist es genau das Gleiche. Auch hier gibt es eine Verunreinigung durch ein Forschungsexperiment. Denken Sie
auch an die Genzucchini, die in Rheinland-Pfalz ausgesetzt wurden. Da entsteht ein Riesenschaden. Das steht
völlig im Missverhältnis zu dem, was sich bisher als
Chancen geboten hat.
Ich nenne das Stichwort Argentinien. Dort waren wir
zusammen, Frau Happach-Kasan. In diesem Land herrscht
das Chaos, weil Monsanto inzwischen Lizenzgebühren
verlangt, die die Bauern nicht zahlen wollen und können.
Inzwischen herrscht ein Riesendurcheinander darüber,
was eigentlich angebaut wird. Keiner weiß, was da eigentlich auf den Feldern steht. Die ganze Effizienz der
bisherigen züchterischen Leistung steht in Argentinien
auf dem Spiel, so wie es jetzt betrieben wird. Es wird
nämlich einfach wild nachgebaut.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Angesichts dieser Situation sage ich: Die Rede, die
Uli Kelber heute gehalten hat, muss er angesichts des
Eckpunktepapiers dieser Bundesregierung noch einmal
halten. § 1 des Gentechnikgesetzes besagt, dass die Regierung die Verpflichtung hat, Menschen, Umwelt und
Sachen zu schützen. Dann tun Sie das auch, wie es die
Mehrheit der Bevölkerung verlangt!
Schönen Dank.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Max Lehmer für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich begrüße es ausdrücklich, dass die Bundesregierung das Eckpunktepapier zur weiteren Novellierung
des Gentechnikrechts nun im Kabinett verabschiedet hat,
und zwar einstimmig. Ich meine ebenfalls, dass damit
ein guter Kompromiss gefunden wurde. Er schafft den
Rahmen für die noch festzulegenden Details der anstehenden Gentechnikrechtsnovelle, über die es, Herr
Kelber, mit Sicherheit noch Diskussionen gibt. Ich
möchte ganz klar darauf hinweisen, dass es die Divergenzen, die Sie einer Partei in die Schuhe schieben, in
allen Fraktionen dieses Hauses gibt. Das habe ich in
meinen vielen Gesprächen erleben können. Sie sind in
jeder politischen Gruppe vorhanden.
({0})
- Setzen Sie sich mit den Aussagen Ihres Parteivorsitzenden oder Ihres Umweltministers im Zusammenhang
mit der Zukunftsperspektive für die Gentechnik auseinander! Dann können wir weiter diskutieren.
({1})
Ich gehe davon aus, dass die Novellierung des Gentechnikrechts zügig angegangen werden kann und dies
möglichst rasch zu klaren Verhältnissen für alle Beteiligten führt. Es muss gelingen, einerseits die berechtigten
Sorgen und Wünsche von Verbrauchern und auch von
Landwirten sowie den Schutz der Umwelt zu berücksichtigen, andererseits muss es ermöglicht werden, die
großen Potenziale der Grünen Gentechnik für die Lebensbereiche Ernährung, Energie und Gesundheit nutzbar zu machen, auch wenn dies nachdrücklich und sehr
oft unsachlich von vielen bestritten wird.
({2})
Ich möchte nun kurz auf wichtige Einzelpunkte eines
künftigen Gentechnikgesetzes näher eingehen. Die Förderung der Forschungsvorhaben in diesem wichtigen
Zukunftsbereich ist - diese Auffassung teilen alle - ein
hochrangiges Ziel. Ein besonders technologieabhängiges
Land wie Deutschland muss durch intensive und zielgerichtete Forschung und Entwicklung auch in dem zukunftsweisenden Bereich der Grünen Gentechnik eine
führende Rolle einnehmen und den derzeitig hohen Standard auf jeden Fall sichern.
({3})
Dabei ist es selbstverständlich - das war und ist auf
allen anderen Forschungsfeldern genauso -, dass neben
der Entwicklungsforschung die Sicherheitsforschung mit
gleicher Intensität vorangetrieben wird.
({4})
Darauf haben die Menschen, die diese Technologie nutzen wollen und auch werden, einen Anspruch. Diesbezüglich darf es doch um Himmels willen keine Divergenzen geben.
Forschung, insbesondere die unabhängige wissenschaftliche Forschung, ist ein wichtiger Garant dafür,
selbstständig und unabhängig zu bleiben und damit globalen Monopolisierungen entgegenwirken zu können.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt; denn viele Menschen
haben in diesem Zusammenhang Ängste und Probleme.
Gerade für die in Deutschland mittelständisch ausgerichtete Pflanzenzüchtung ist das ein wichtiger Gesichtspunkt. Wir müssen auf jeden Fall auf höchstem Niveau
weitermachen, auf Augenhöhe mit den globalen Wettbewerbern bleiben und auf diesem Gebiet die Führerschaft
behalten.
({5})
Ich weise in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf
die Notwendigkeit von Freilandversuchen hin. Nur mit
diesen können Fragen der Koexistenz und Fragen der
Auswirkungen auf die Ökologie beantwortet werden.
Wie denn sonst?
({6})
Bei allen Unterschieden in der Einstellung zur Gentechnik muss doch klar sein, dass Feldzerstörungen
keine Kavaliersdelikte sind, sondern Straftaten.
({7})
Forschung muss in unserem Lande nach den gültigen
strengen gesetzlichen Regelungen, zum Beispiel zur Zulassung von Freilandversuchen, ablaufen, und sie muss
auch frei und ungestört durchgeführt werden können.
Frau Höhn, Sie bezeichnen Freilandversuche im Zusammenhang mit Feldzerstörungen als „provokante Versuchsanstellungen“. Das macht mir Sorgen.
({8})
Es geht doch wohl um die Freiheit und um die Selbstständigkeit von Wissenschaft und Forschung in Deutschland.
({9})
Oder liege ich da falsch?
Eine große Sorge ist für mich die teilweise ablehnende Haltung der Bevölkerung gegenüber der Grünen
Gentechnik. Darüber müssen wir diskutieren. Wir müssen die Sorgen, Ängste und Bedenken ernst nehmen und
- jetzt kommt es - Vorurteile wissenschaftlich fundiert
abzubauen versuchen.
({10})
Frau Höfken, mit den von Ihnen dargestellten Szenarien können Sie dies nicht erreichen. Da ich Ihre Diktion
einfach nicht anders interpretieren kann, unterstelle ich
Ihnen, dass Sie es auch gar nicht wollen.
({11})
Sie wollen Ängste aufrechterhalten
({12})
und diese moderne Technologie bewusst von vornherein
diskriminieren.
({13})
Das kann nicht das Ziel einer fachlich objektiven und zukunftsorientierten Wissenschaftspolitik sein.
({14})
Anstatt Ängste zu schüren, wie es leider allzu oft geschieht, ist die Arbeit zu leisten, objektiv aufzuklären,
wozu ich alle Beteiligten ausdrücklich aufrufen möchte.
Ich fordere ausdrücklich auch die Bundesregierung auf,
über die vielen kompetenten Bundesinstitutionen entsprechende Kommunikationskonzepte zu entwickeln.
({15})
In diesen Institutionen gibt es einen Fundus an Wissen
und Informationen, der nicht oder zumindest zu wenig
genutzt und transparent gemacht wird. Nur Aufklärung
und volle Transparenz können das notwendige Vertrauen
schaffen - nur das!
({16})
Eine klare Kennzeichnungsregelung ist ebenfalls eine
vertrauensbildende Maßnahme und eine wichtige Voraussetzung für die Wahlfreiheit. Herr Kelber, da stimmen wir völlig überein. Ich bin für eine prozessorientierte Kennzeichnung, das heißt, die Angabe darüber
({17})
- lassen Sie uns doch arbeiten! -, ob GVOs in einem
Produktionsprozess eingesetzt worden sind - wie beim
ökologischen Landbau -, und zwar unabhängig davon,
ob GVOs im Endprodukt nachgewiesen werden können
oder nicht. Bei den tierischen Produkten ist das ja nicht
nachweisbar; aber sie werden in der Produktionskette
eingesetzt.
({18})
Ich bin dafür, dass wir die prozessorientierte Kennzeichnung festschreiben, damit die Bürger wissen, an welcher
Stelle der Produktionskette GVOs eingesetzt worden
sind.
({19})
Aber ganz wichtig ist dabei die Feststellung: Das Vorhandensein von GVOs allein hat nichts mit einem Gesundheitsrisiko zu tun. Das muss einmal ganz klar gesagt
werden.
({20})
Ich möchte eindeutig klarstellen: GVO-frei wird es
nicht geben können. Das gibt es schon heute nicht. Die
sachgerechte Kennzeichnung kann nur Aufschluss darüber geben, ob GVOs bei der Herstellung eines Produkts eingesetzt wurden und welcher Anteil toleriert
werden soll; darüber müssen wir diskutieren.
Der Nichteinsatz von Pflanzenschutzmitteln beim
ökologischen Landbau garantiert auch keine Rückstandsfreiheit.
({21})
Da wird nur angegeben: Wir haben ohne Pflanzenschutzmittel gearbeitet. Jeder weiß: Es sind Schwermetalle nachweisbar, und es sind Pflanzenschutzmittelrückstände vorhande, unabhängig davon, in welcher
Konzentration. Rückstandsfrei sind sie nicht.
({22})
Nun zum entscheidenden Punkt einer gesetzlichen
Neuregelung der Koexistenz. Ein Nebeneinander verDr. Max Lehmer
schiedener Produktionsformen auf dem Acker muss
auch in Zukunft - wie in der Vergangenheit - gewährleistet werden. Die Wahlfreiheit für den Landwirt und
den Verbraucher muss garantiert werden können. Dazu
sind klare Anbauregeln nach guter landwirtschaftlicher
Praxis zu definieren, wie sie auch in anderen Produktionsbereichen selbstverständlich sind. Es ist klarzustellen: Koexistenz kann nur auf der Basis gegenseitig anzuerkennender Schwellenwerte realisiert werden; sonst
nicht.
Die Haftungsfrage ist im Zusammenhang mit GVO
einer der entscheidenden Punkte. Da schließe ich mich
vollinhaltlich dem an, was der Staatssekretär schon ausgeführt hat. Die rechtlichen Feinheiten dazu werden in
einer Arbeitsgruppe noch ausgearbeitet. Wir erwarten,
dass die Wirtschaftsverbände der Pflanzenzucht- und
Biotechnologieunternehmen eine Selbstverpflichtung
eingehen, die die Landwirte von Haftungsrisiken für
Schäden, die trotz Einhaltung der guten fachlichen Praxis nicht vollständig auszuschließen sind, entlastet.
({23})
Weiterhin muss der offene Tatbestand der Haftungsnorm des § 36 a Gentechnikgesetz durch eine abschließende Aufzählung präzisiert werden. Wir können hier
keine kumulative Haftung schaffen.
Zu den Fragen der Sicherheit. Ich betone immer wieder: Oberstes Ziel ist die Sicherheit von Mensch, Tier
und Umwelt. Das ist auch die Basis aller Regelwerke,
die es in der EU, in Deutschland und anderswo gibt. Nur
wenn diesbezüglich keine Gefahr zu erwarten ist, darf
der GVO freigesetzt bzw. in Verkehr gebracht werden.
Das ist bereits jetzt die absolute Vorgabe, und das wird
auch in Zukunft durch das jeweilige Zulassungsverfahren gewährleistet bleiben.
Nun zum Anlass der heutigen Debatte, zu den Vorlagen von FDP und Grünen. Etliche Punkte des vorgelegten Gesetzentwurfs der FDP-Fraktion sind in dem beschlossenen Eckpunktepapier aufgegriffen; ich brauche
sie nicht zu wiederholen.
({24})
Der Entwurf der FDP enthält also durchaus akzeptable
Forderungen. Es kann nicht alles Unsinn sein, was in einem Gesetzentwurf vorgeschlagen wird. Diese Gesetzesinitiative ist aber - das muss ich Ihnen sagen - falsch getimt. Soeben haben wir das Eckpunktepapier
fertiggestellt.
({25})
Jetzt müssen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Regierungskoalition schon die Chance lassen,
sich auf die gesetzlichen Formulierungen zu verständigen. Ich teile mit Ihnen die Hoffnung, dass dies schnell
geschehen wird.
({26})
Über den Antrag der Grünen haben wir in dieser Woche schon im Ausschuss diskutiert. Es ist für mich eine
Selbstverständlichkeit, Frau Höfken, dass von Freisetzungsexperimenten mit gentechnisch veränderten Pflanzen keine Gefährdung von Mensch und Umwelt ausgehen darf.
({27})
Das ist ja schon vor der Zulassung zu prüfen.
({28})
Das muss derjenige, der die Zulassung beantragt, über
eine neutrale Stelle nachgewiesen haben.
({29})
Ich verstehe nicht, warum Sie das in einem Versuchsprozess so oft nachgewiesen haben wollen. Der Schutz von
Mensch und Umwelt ist oberstes Ziel aller gesetzlichen
Regelungen zur Grünen Gentechnik.
In ihrem zweiten Antrag, nämlich zu den Einfuhrverboten und Schutzmaßnahmen, versuchen die Grünen mit
verschiedenen Winkelzügen, die mehrfach bestätigte Zulassung der verschiedenen MON-Generationen erneut
auf die politische Bühne zu heben.
({30})
Es gibt nach meiner Meinung keine Grundlage dafür, die
Bewertung dieser Maissorten zu revidieren.
({31})
Sie haben vor Monaten schon einmal gesagt, Frau
Höfken, dass es neue Erkenntnisse gibt. Auch eine gewissenhafte Recherche gibt das nicht her. Insgesamt hat
der Antrag offensichtlich das Ziel, Grüne Gentechnik zu
verhindern. Dem können und wollen wir uns nicht anschließen.
Lassen Sie mich zum Schluss, Frau Präsidentin, bitte
noch kurz die Grüne Gentechnik in einen globalen Zusammenhang stellen. Es ist wichtig, denke ich, dass das
einmal deutlich gesagt wird.
Allerdings sehr kurz, Herr Kollege.
Nach Aussagen führender Wissenschaftler müssen
wir uns in diesem Jahrhundert drei großen globalen Herausforderungen stellen: der Ernährungssicherung, der
Energieversorgung und der Gesundheit. Die Fakten
hierzu sind bekannt und sehr ernüchternd. Die Weltbevölkerung wächst exponentiell, das heißt 2050 werden
über 9 Milliarden Menschen diese Erde bevölkern.
Herr Kollege, jetzt müssen Sie aber wirklich zum
Schluss kommen.
Diese zu ernähren, mit Energie zu versorgen und gesund zu erhalten, erfordert erhebliche Anstrengungen
auf allen Gebieten. Die Pflanze als Organismus ist von
zentraler Bedeutung, weil mit ihr diese beiden Ziele, Ernährungssicherung und Energiegewinnung, erreicht werden können.
({0})
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich bin sofort fertig. - Die Anbauflächen gehen zurück.
({0})
Das erfordert, dass man die Leistungsfähigkeit der
Pflanzen steigert, um diese große Herausforderung meistern zu können.
Vielen Dank.
({1})
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Cornelia Pieper
für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ich habe die Debatte gerade genau verfolgt
({0})
und kann dem Kollegen Dr. Lehmer im Namen der FDPFraktion nur zustimmen. Er hat wissenschaftlich fundierte Argumente vorgetragen und sachlich geredet. Das
habe ich bei den vorhergehenden Rednern der Linken
sowie bei einigen von der SPD und den Grünen vermisst.
({1})
Ich ergreife heute als Forschungspolitikerin in dieser
Debatte das Wort, weil ich den dringenden Appell an die
Bundesregierung richten möchte: Reißen Sie die ideologischen Hürden bei der Behandlung dieses so wichtigen
Zukunfts- und Forschungsthemas nieder. Unsere Gesetzesinitiative zeigt Ihnen den richtigen Weg. Ich hoffe
sehr, dass die Bundesregierung nicht nur mit einem Eckpunktepapier, sondern sehr schnell mit einem eigenen
Gesetzentwurf zu Potte kommt.
({2})
Die Große Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag
festgeschrieben, das Gentechnikgesetz so zu verändern,
dass Forschung zur Grünen Gentechnik in Deutschland
auch mittels Freilandversuchen wieder ermöglicht
wird, damit die Chancen einer späteren wirtschaftlichen
Nutzung nicht vertan werden. Doch noch immer stehen
die Signale für die sogenannte Grüne Biotechnologie auf
Rot, obwohl die Kanzlerin immer wieder fordert, auch in
der Forschung mehr Freiheit zu wagen.
Auf der einen Seite ist es doch so, dass die Bundesregierungen die Forschung für die Grüne Biotechnologie
und die biologische Sicherheit gentechnisch veränderter
Pflanzen seit einem Jahrzehnt mit verschiedenen Programmen und durch gezielte Initiativen fördert. In diesem Zusammenhang sind die Initiativen des BMBF lobend zu erwähnen. Allein um die Gefahren, die von
gentechnisch veränderten Pflanzen für Mensch und Umwelt ausgehen, zu erforschen, hat die Bundesregierung
hohe finanzielle Beiträge geleistet.
Auf der anderen Seite steht eine Front von Gegnern
von Freisetzungsversuchen, die bis in die CSU hineinreicht. Die Wortmeldungen von Herrn Söder gegen das
Eckpunktepapier seines Parteikollegen Seehofer zeigen
mir doch das in den Parteien dieser Bundesregierung
nach grünem Muster vorhandene ideologische Spektrum.
({3})
Ich finde es befremdlich, wenn der Bundeslandwirtschaftsminister für die Bundesregierung ein Eckpunktepapier vorstellt und Herr Söder, der dieser Bundesregierung ja auch angehört,
({4})
in dieser Woche im „Tagesspiegel“ mit den Worten zitiert wird:
Ich bleibe ein grundsätzlicher Skeptiker der grünen
Gentechnik. Beim kommerziellen Anbau wäre ein
Moratorium das beste.
Da ich auch andere Stimmen aus der Koalition kenne,
frage ich mich: Was wollen Sie eigentlich? Bitte zeigen
Sie endlich klar auf, wohin Sie gehen wollen.
Ich frage mich auch, wo heute eigentlich der Bundeslandwirtschaftsminister, Herr Seehofer, ist. Was macht
der Bundeslandwirtschaftsminister am Internationalen
Frauentag,
({5})
wenn im Bundestag über ein Gentechnikgesetz diskutiert
wird? Er gehört eigentlich hierher. Wenn der Verbraucherschutz- und Landwirtschaftsminister den Standort
Deutschland mit der Biotechnologie stärken will, wenn
er Forschungsfreiheit will, muss er auch für dieses Gentechnikgesetz hier, im Bundestag, eintreten.
({6})
Der vorliegende Bericht meines Ausschusses, des
Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, „Grüne Gentechnik - transgene Pflanzen
der 2. und 3. Generation“ öffnet vielleicht den Tunnelblick des einen oder anderen Kollegen. Ja, wir müssen
immer wieder sagen: Es geht nicht allein um gentechnisch veränderte Pflanzen, es geht um viel mehr. Allein
bei der Umsetzung der von allen hier im Haus geforderten Biomassestrategie kann auf gentechnische Züchtungsmethoden nicht verzichtet werden. Sie braucht die
Bewährung auf dem Acker.
Ich will an Staatssekretär Paziorek gerichtet sagen: Es
ist nicht so, dass Biotechnologie in der Bevölkerung nur
verpönt wird. Gerade hinsichtlich alternativer Energiearten und Biokraftstoffen
({7})
oder auch hinsichtlich der Roten Biotechnologie gibt es
große Chancen für den Innovationsstandort Deutschland
und eine außerordentlich große Akzeptanz in der Bevölkerung.
({8})
Deswegen finde ich es von Ihnen, Frau Kollegin Höfken,
unverantwortlich, dass Sie immer wieder die Ängste
schüren und nicht auf die Chancen der Gentechnik hinweisen, vor allen Dingen was die Gesundheit und den
zukünftigen Forschungsstandort Deutschland betrifft.
({9})
Ich glaube, dass wir hier durchaus darauf achten sollten, auch in Zukunft den Standort Deutschland - so sagen Sie es sonst ja immer - nicht schlechtzureden, sondern alles daran zu setzen, eine Politik der Vernunft zu
machen, so wie es Herr Dr. Lehmer gezeigt hat. Dazu
bekenne ich mich. Man sollte in so einer Debatte wissenschaftlich fundierte Argumente vortragen und keine populistische, demagogische Debatte führen, wenn es um
Biotechnologie und Gentechnik geht.
Wir Liberale sagen: Wir stehen für eine Politik der
Vernunft und für die Forschungsfreiheit in Deutschland.
Vielen Dank.
({10})
Für die SPD-Fraktion erteile ich nun das Wort dem
Kollegen René Röspel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wieder einmal liegt uns ein FDP-Antrag vor, in
dem gefordert wird, das Gentechnikgesetz zu verändern.
Wir haben es bei vormaligen Diskussionen schon gesehen: Eines der tragenden Argumente der FDP ist - wie in
vielen anderen Bereichen auch -: Im Ausland passiert etwas und wir dürfen den Anschluss nicht verpassen. Sie
schreiben, dass
weltweit auf mehr als 90 Millionen ha
({0})
gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden…
Der Biotech-Brief der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie - Frau Happach-Kasan, Sie erwähnen es ja - korrigiert diese Zahl:
Der Anbau gentechnisch veränderter ({1})Pflanzen
hat 2006 erneut deutlich zugelegt. Die weltweite
Anbaufläche belief sich auf 102 Mio. Hektar. …
Gegenüber 2005 entspricht dies einem Zuwachs
von 13 Prozent.
In der Tat, da geht das Ausland wirklich streng voran.
Ich habe noch eine Meldung: In China sind erstmals
mehr als 30 Millionen Autos zugelassen. Das entspricht
gegenüber dem Jahr 2005 sogar einem Zuwachs von
24 Prozent. Wenn sie so weiterwachsen, werden sie in
5 Jahren 100 Millionen Autos zugelassen haben.
Die Frage lautet also: Ist Wachstum allein die gute
Nachricht oder muss man nicht vielleicht ein bisschen
hinter die Kulissen schauen? Auch der Biotech-Brief
glaubt übrigens nicht, dass allein die Zahl die Nachricht
ist, und schiebt deswegen einige positive Beispiele Grüner Gentechnik nach. Es wird geschrieben, dass auf den
Philippinen der Ertrag bei gentechnisch verändertem
Mais um etwa 13 Prozent höher lag als der beim konventionellen Mais. Für Indien wird geschrieben, dass die Erträge gentechnisch veränderter Baumwolle deutlich gesteigert werden konnten. Das sind gute Nachrichten.
Sie zitieren übrigens die Daten der ISAAA. Das ist
eine Organisation, die von namhaften Firmen wie
AgrEvo, Bayer, DuPont, Monsanto, Novartis und anderen finanziert wird. Das sind die Konzerne, die mit der
Entwicklung und dem Anbau gentechnisch veränderter
Pflanzen Geld verdienen oder verdienen wollen. Das ist
zunächst nicht schlimm.
({2})
Nun kann man sagen, dass die Fakten auf dem Tisch
liegen. Dann erlebt man als engagierter Parlamentarier
aber auch andere Stunden. Ich wurde vom EED, dem
Evangelischen Entwicklungsdienst, besucht - er ist meines Wissens überwiegend von der Kirche finanziert -,
der ein paar Gäste mitbrachte. Das waren Bauern aus
Georgien, Argentinien, Brasilien, Tansania und Indien.
Das sind die Menschen, die gentechnisch veränderte
Pflanzen gekauft haben. Diese Gäste erzählten auf einmal etwas ganz anderes. Sie erzählten von den Fehlschlägen mit gentechnisch veränderten Pflanzen. Sie erzählten von den Ernteausfällen, die sie nach dem Anbau
gentechnisch veränderter Pflanzen haben. Sie erzählten,
dass der Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln gestiegen statt - wie von den Konzernen versprochen - gesunken ist. Sie erzählten, dass sie auf einmal niedrigere
statt höhere Erträge haben. Sie erzählen von den vernichteten bäuerlichen Existenzen, weil eine nicht gelungene Ernte in den Schwellen- und Entwicklungsländern
schlimmere Folgen nach sich zieht, als wir uns vorstellen können.
({3})
Wem glaubt man denn jetzt?
({4})
Da fand ich es interessant, dass sich das Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Golm dieses Themas in der Studie „BT-Baumwolle in Indien Wirtschaftlicher Durchbruch oder Versagen auf der ganzen Linie?“ auch einmal angenommen hat. Genau da
wird auch gefragt:
Wie passen diese äußerst widersprüchlichen Sichtweisen
- positive Darstellung auf der einen Seite und persönliche Erfahrungen, die etwas ganz anderes berichten, auf
der anderen Seite zusammen?
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Happach-Kasan?
Gern.
Kollege Röspel, wir haben ja schon öfter miteinander
über die Frage der Grünen Gentechnik diskutiert. Es ist
immer sehr gut, wenn man einen solchen Dialog fortsetzt. Ich möchte Sie fragen, ob Sie außer den Einzelbeispielen, die der EED Ihnen präsentiert hat - der EED hat
ja eine ideologisch sehr gefestigte Position gegenüber
der Grünen Gentechnik; er lehnt sie nämlich ganz konkret ab, das muss man einfach so sagen -,
({0})
auch wissenschaftliche Erkenntnisse kennen. Professor
Martin Quaim von der Universität Hohenheim, der sich
insbesondere mit den Ergebnissen des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen in den Schwellenländern beschäftigt, hat dazu zum Beispiel genaue Ausführungen
gemacht. Kennen Sie diese Ausführungen? Kennen Sie
auch seine Untersuchung zu der Frage, welcher Anteil
des Gewinns den Firmen zukommt, zum Beispiel Monsanto, und welcher Anteil den Landwirten zukommt?
Der Untersuchung kann man beispielsweise entnehmen,
dass gerade in China und in Indien der Anteil, der den
Landwirten zukommt, sehr hoch ist, nämlich 70 bis
80 Prozent, und in Argentinien - das korrespondiert mit
dem, was Frau Höfken gesagt hat - der Gewinnanteil der
Landwirte nur 10 Prozent ausmacht. Kennen Sie diese
Untersuchung und in welcher Weise berücksichtigen Sie
sie bei Ihren Ausführungen?
({1})
Ich danke Ihnen für Ihre Frage. Ich kenne diese Untersuchung. Sie gibt mir Gelegenheit, jetzt gleich noch
einmal aus der Veröffentlichung „BT-Baumwolle in Indien“ vom Juli 2006 auf der Internetseite des MaxPlanck-Instituts für Molekulare Physiologie in Golm zu
zitieren, das nicht als ausgewiesen unwissenschaftlich
oder ideologisch behaftet bekannt ist. Dort wird genau
diese Problematik aufgenommen. Es gibt nämlich Ergebnisse, die die eine Sichtweise stützen, und Ergebnisse, die die andere Sichtweise stützen. Hier steht zu
den Erträgen von gentechnisch veränderter Baumwolle
in einigen Staaten Indiens geschrieben:
Durchschnittlich wurden in einigen Staaten
({0})
mit Bt-Baumwolle zwischen 45 % ({1}) und 63 %
({2}) höhere Erträge erzielt.
Das sind die positiven Botschaften, über die auch in den
Biotech-Briefen berichtet wird. Auf der anderen Seite
gibt es die Erfahrungen aus anderen Regionen und anderen Bereichen - in der Hohenheimer Studie wurde leider
wieder nur ein bestimmter Teil angeschaut -, dass die
Erträge deutlich geringer sind. So stand in einem Staat
am Ende ein um durchschnittlich 40 Prozent geringerer
Reingewinn bei der Ernte von gentechnisch veränderten
Pflanzen. Genau darauf will ich hinweisen.
Wenn man sich die Literaturangaben im BiotechBrief und aus den Publikationen von Hohenheim anschaut sowie weitere Literatur und wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema sortiert, dann entwickeln sich
zwei Stapel. Es ist eben nicht so, wie Sie vorhin sagten,
dass es bewiesen ist, dass es keine Probleme gibt. Vielmehr liegen auf einem Stapel die positiven Aussagen,
auf dem anderen Stapel die negativen Aussagen, wobei
die Aussagen in beiden Stapeln, meistens jedenfalls,
wissenschaftlich begründet sind. Am Ende dieses Stapelaufhäufens muss doch mindestens ein Zweifel stehen,
wer denn nun recht hat. Übrigens kann das das MPI
Golm auch nicht endgültig auflösen. Es entstehen eben
diese unterschiedlichen Aussagen aus dem Anhören Betroffener und aus dem Lesen wissenschaftlicher Arbeiten. Die negativen Aussagen sind ja auch wissenschaftlich fundiert; das muss man in der Tat zur Kenntnis
nehmen.
Wenn man dann auch noch die Aussagen zu der Frage
sortiert, welche Auswirkungen eigentlich die Ausbringung gentechnisch veränderter Pflanzen hat - da haben
wir einen Erfahrungszeitraum von zehn Jahren; der ist in
einem Bereich, wo die Evolution Millionen Jahre gebraucht hat, wirklich so kurz, dass er eigentlich kaum relevant ist -, dann entstehen neue Stapel: einerseits ein
Stapel, in dem wissenschaftlich begründete Hinweise
enthalten sind auf Resistenzentwicklungen nach Anbau
gentechnisch veränderter Pflanzen, auf die Schädigung
der Nichtzielorganismen, also der sogenannten Nützlinge, auf Auswirkungen auf die Böden und auf Auskreuzungen, die insbesondere beim Raps relativ deutlich
machen, dass dieser kaum koexistenzfähig ist. Auf der
anderen Seite gibt es den Stapel mit den Gegengutachten. Auch da bleiben schlicht und einfach Zweifel.
Wir haben glücklicherweise beim Bundestag mit dem
Büro für Technikfolgenabschätzung ein Instrument, das
uns helfen kann, diese Zweifel aufzuarbeiten. Auf den
guten Bericht, der übrigens sehr ernüchternd endet, was
die Bilanzierung der gentechnisch veränderten Pflanzen
der zweiten und dritten Generation anbelangt, kann ich
aus zeitlichen Gründen nicht eingehen.
Immer wieder kommt das Argument: Aber schaffen
wir nicht Arbeitsplätze, wenn wir Gentechnik einführen? - Auch dazu gibt es viel Literatur. Ich habe sie einmal gesichtet und auch bei der Bundesregierung angefragt. Vom Bundesministerium für Forschung habe ich
eine interessante Auskunft bekommen: In Deutschland
beschäftigen knapp 50 Unternehmen im Bereich der
Grünen Biotechnologie circa 1 200 Mitarbeiter. - Wenn
wir großzügig rechnen und die Menschen hinzuzählen,
die in den jeweiligen Abteilungen in den großen Konzernen arbeiten, kommen wir in Deutschland vielleicht auf
10 000 Mitarbeiter. Im ökologischen Landbau sind mittlerweile, Tendenz übrigens steigend, 150 000 Menschen
beschäftigt.
({3})
Wir haben also das 15-fache an Arbeitsplätzen in einem
Bereich, der auf gentechnikfreien Anbau dringend angewiesen ist.
({4})
Bei einer Abwägung dieser Arbeitsplatzzahlen würden
wir sicherlich schnell zu der Auffassung kommen, dass
wir vernünftige Regelungen brauchen.
Willy Brandt hat vor über 40 Jahren - in Bonn, lieber
Herr Kelber - einmal gesagt: „Der Himmel über der
Ruhr muss wieder blau werden.“ Damals hat er sich mit
der sichtbaren Umweltverschmutzung befasst, mit dem
Ruß durch die Stahlerzeugung; den kenne ich als Ruhrgebietsmensch. Der Erfolg ist sichtbar: Der Himmel ist
blau geworden. Was man damals nicht sehen konnte,
waren die unsichtbaren Gefahren. Da gab es keine
Zweifel. Es gab auch keine Kenntnis, dass das farb- und
geruchlose Kohlendioxid sich im Laufe von Jahrzehnten
ansammeln und irgendwann eine Klimakatastrophe auslösen könnte.
Wenn man bei einem Thema Zweifel hat - die hatte
man damals nicht, deshalb ist das auch kein Vorwurf;
aber heute muss man Zweifel haben, wenn man mit offenen Augen durch die Landschaft geht -, dann gibt es
zwei Möglichkeiten, zu verfahren: Man kann mutig vorangehen und das Risiko in der Hoffnung eingehen, dass
es gut gehen möge, oder man kann Alternativen suchen,
forschen und abwägen, inwieweit man vorangehen kann.
Bei Fragestellungen, bei denen man sich schadlos irren
kann, weil man die Entscheidung zurückrufen kann, ist
der erste Weg akzeptabel - mutig und risikobereit vorangehen. Bei Entscheidungen aber, die nicht mehr rückholbar sind - und das ist die große Frage, ob es bei den gentechnisch veränderten Pflanzen nicht um eine solche
geht; wie sollen sie zurückgeholt werden, wenn sie einmal ausgebracht sind? -, gerät der erste Weg zum Lottospiel, und das ist politisch nicht verantwortbar. In diesem
Fall ist der zweite Weg - risikoabwägend und absichernd
vorzugehen - der bessere.
({5})
Wir sind als SPD-Fraktion der Auffassung, dass wir
den Weg gehen müssen, das Risiko richtig zu bewerten.
Wir wollen das im Sinne des Schutzes von Umwelt und
Mensch auch tun.
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva BullingSchröter für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine Mehrheit in diesem Land will kein Genfood. Ich
denke, das sollten Sie sich noch einmal auf der Zunge
zergehen lassen. In meinem Heimatland Bayern vergeht
keine Woche, in der nicht mindestens eine Veranstaltung
oder Demonstration zu diesem Thema stattfindet, Ende
des Monats wieder in Pfaffenhofen, dem Produktionsstandort der Firma Hipp, die sich sehr detailliert zu den
Risiken und zu ihrer Ablehnung geäußert hat.
Frau Happach-Kasan, ich sage Ihnen nur eines: Die
Menschen haben sehr wohl verstanden, und sie wollen,
dass die Politik endlich versteht. Das ist, denke ich, der
richtige Weg.
({0})
Herr Kelber, Sie haben von Presseerklärungen gesprochen. Stimmt; da haben wir vielleicht ein bisschen
wenig gemacht. Aber Presseerklärungen sind nicht alles.
Wir unterstützen die Initiativen vor Ort, und davon haben diese manchmal mehr.
({1})
Aber jetzt zu den Anträgen aus den Reihen der Opposition und dem TAB-Gentechnikbericht. Zum Antrag der
FDP zur Änderung des Gentechnikgesetzes gibt es eigentlich nicht viel zu sagen. Jedes gesprochene Wort
wäre eine unverhältnismäßige Aufwertung dieses industriehörigen und verbraucherfeindlichen Vorschlages.
({2})
Jetzt zum Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag. Um es kurz zu
fassen: Er ist ein Nackenschlag für alle, die große Hoffnungen in die Anwendung der Agrogentechnik haben.
Die Gefahren für Mensch und Umwelt nehmen in der
zweiten und dritten Generation eben nicht ab, sondern
zu. Der wirtschaftliche Nutzen ist fraglich. Ich kann
mich noch an das Gejammere der Industrie während unserer Anhörung erinnern.
Der Bt-Mais MON 810 steht europaweit in der Kritik. Wir begrüßen hier die Maßnahmen der Länder Österreich und Ungarn.
({3})
Beide Staaten haben aus berechtigten Zweifeln Konsequenzen gezogen und Regelungen geschaffen, die den
Anbau von MON 810 behindern. Erst wenn alle Unklarheiten beseitigt sind - falls das überhaupt möglich ist -,
könnte der transgene Mais dort angebaut werden. Ich bin
gespannt auf das Greenpeace-Gutachten.
Die Linke fordert hier grundsätzliche Lösungen. Es
muss europaweit die Möglichkeit geben, sich regional
und national gegen den Anbau transgener Kulturpflanzen auszusprechen.
({4})
Es kann nicht sein, dass eine Region, die diese Pflanzen
nicht will, durch europarechtliche Regelungen zum
Anbau gezwungen wird. Anbauverbote und Einfuhrbeschränkungen sollten jedem europäischen Staat zur
Verfügung stehen. Gentechnikfreiheit bietet gerade den
europäischen Landwirtinnen und Landwirten echte Vermarktungschancen. Diese gilt es nicht zu zerstören.
Auch Sie wollen das doch nicht.
({5})
Thema Koexistenz. Die Grünen fordern im Antrag
eine europaweite Regelung - ein guter Vorschlag. Wir
fordern allerdings Klarheit, was unter Koexistenz eigentlich zu verstehen ist. Der Begriff wird genauso gedehnt
und missbraucht wie der Begriff Nachhaltigkeit seit Rio.
Folgt man der Logik von FDP, CDU/CSU und Monsanto, dann heißt Koexistenz, dass es quasi ein Recht auf
Kontamination des Nachbarn bis zu einem Anteil von
0,9 Prozent gibt. Das ist auf keinen Fall zu akzeptieren.
Koexistenz bedeutet für die Linke ein Nebeneinander
ohne jegliche Kontamination, Verschleppung oder Vermischung. Landwirtinnen und Landwirte der gentechnikfreien Produktion haben ein Recht auf ein Nebeneinander. Ein vermischtes Miteinander muss verhindert
werden.
({6})
Nur so ist die viel zitierte Wahlfreiheit der Kundinnen
und Kunden überhaupt möglich. Wer zahlt schon für ein
als gentechnikfrei gekennzeichnetes Produkt, wenn es
bis zu 0,9 Prozent Gentechnik enthalten kann?
({7})
Die Nachweisgrenze liegt heute bei 0,005 Prozent.
Ich wiederhole: bei 0,005 Prozent. Daran muss man sich
orientieren. Können BASF, Monsanto und ihre Freunde
aus der Politik nicht garantieren, dass ihre Pflanzen nicht
in andere Kulturen auskreuzen - egal, wie groß ein Sicherheitsabstand auch sein mag -, dann sollten sie diese
auch nicht anbauen dürfen. Gentechnik muss sicher sein
oder sich vom Acker machen! Das verstehe ich unter
Koexistenz. Das bedeutet ein wirkliches Nebeneinander.
Ganz kurz noch zu den Freisetzungsexperimenten.
Grundsätzlich sieht die Fraktion Die Linke Forschung an
transgenen Pflanzen in Bezug auf Auskreuzungen, Verschleppung und sonstige Kontamination genauso kritisch wie beim kommerziellen Anbau.
({8})
Wir teilen die Kritik vor allem in Bezug auf Haftung,
Referenzmaterial und Forschungsbedarf. Der Aspekt
„Bienen und Gentechnik“ muss noch mehr im Vordergrund stehen.
Forschung im offenen System ist immer risikobehaftet; eine hundertprozentige Sicherheit kann es nicht geben. Wir brauchen den Schutz von Mensch und Tier.
Die Rolle der grünen Gentechnik in diesem Zusammenhang ist sehr fraglich.
Noch eine Bemerkung zu den Ausführungen von Frau
Pieper: Sie hat gesagt, es gehe um mehr. Das stimmt: Es
geht um die Verantwortung, um Verbraucherrechte und
auf der anderen Seite um Millionengewinne von großen
Konzernen. Sie haben die Wahl.
({9})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elvira DrobinskiWeiß für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren von der FDP, Sie haben
uns heute hier den Entwurf für ein Gentechnikgesetz
vorgelegt, das unserem obersten Ziel, nämlich dem
Schutz von Mensch und Umwelt, und dem Vorsorgegrundsatz widerspricht, das die Koexistenzfragen ausschließlich zulasten der gentechnikfreien Lebensmittelproduktion und damit zulasten der Wahlfreiheit der
Verbraucher regelt, das gegen EU-Recht verstößt, das
auf Geheimniskrämerei statt auf Transparenz setzt und
das damit nicht geeignet ist, das Vertrauen und die AkElvira Drobinski-Weiß
zeptanz der Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber der Grünen Gentechnik zu fördern.
({0})
Ich nenne es deshalb ein Akzeptanzverhinderungsgesetz.
Damit erweisen Sie der Lebensmittelwirtschaft, aber
auch der Biotechnologiebranche und der Forschung einen Bärendienst.
({1})
Dass Sie als Erstes die ethischen Werte aus dem Gentechnikgesetz streichen wollen, spricht für sich selbst.
Dass Sie damit nichts Konkretes verbinden können,
glaube ich gern. Aber der wiederholte Versuch, den Begriff des Inverkehrbringens umzudefinieren und die
Weitergabe von Auskreuzungsprodukten aus Freisetzungsversuchen ohne entsprechende Genehmigung zu
ermöglichen, macht mich langsam wütend.
({2})
Dass die EU-Kommission inzwischen mehrfach bestätigt hat, dass solche Produkte nicht weitergegeben
werden dürfen, kann doch auch Ihnen, meine Damen
und Herren von der FDP, nicht entgangen sein. Das ist
nicht nur ein Verstoß gegen EU-Recht. Das widerspricht
auch dem Vorsorgegrundsatz und dem obersten Ziel,
dem Schutz des Menschen und der Umwelt.
({3})
Beinahe schon amüsant finde ich Ihre Erklärung, dass
von kleinteiligen, parzellierten Anbaumaßnahmen auf
Versuchsfeldern keine Auswirkungen auf die Nachbarschaft ausgehen können. Da kann man nur hoffen,
dass die GVOs auch wissen, dass sie sich auf kleinen
Versuchsfeldern befinden, und sich daran halten, dass sie
deshalb nicht auskreuzen dürfen.
({4})
Ein wirkliches Highlight aber ist die Passage in der
Begründung zu Nr. 8. Dort heißt es, dass eine gentechnische Veränderung auch durch Kreuzung, natürliche Rekombination oder andere Arten der Vermehrung übertragen werden kann. Eine derartige Übertragung könne
aber - ich zitiere nur dann zur Entstehung eines gentechnisch veränderten Organismus führen, wenn die Übertragung
absichtlich bewirkt wird, also das Ergebnis einer
Herstellung ist.
Da zufällige Auskreuzungen nicht das Ergebnis eines
„finalen menschlichen Steuerungsprozesses“ sind - dieses Wortmonster stammt aus dem Gesetzentwurf der
FDP -, handelt es sich nach Ihrer Definition dann auch
nicht um gentechnische Veränderungen. Das ist zwar
eine sehr kreative Definition; aber es ist der blanke Unsinn.
({5})
Die Probleme der Koexistenz der verschiedenen Anbauformen lassen sich nicht mit Ihrem Ansatz lösen, dass
nicht sein kann, was nicht sein darf. Hier offenbart sich,
dass Sie keine Lösungen anzubieten haben.
In der letzten Woche bin ich auf einer sehr interessanten Veranstaltung zur Weißen Biotechnologie gewesen.
Ein enormes Potenzial zum Schutz von Umwelt und
Ressourcen und zur Schaffung von Arbeitsplätzen steckt
in diesem Bereich, welches bisher viel zu wenig genutzt
wird - und das, obwohl Deutschland in Sachen Forschung und Technik die Nummer eins in Europa und
weltweit die Nummer zwei gleich hinter den USA ist.
Zum wiederholten Male habe ich dort gehört, dass die
Zurückhaltung in diesem Bereich nichts mit dem Gentechnikgesetz zu tun hat, sondern mit mangelnder Investitionsbereitschaft. Das ist umso erstaunlicher, als die
Weiße Gentechnik im Gegensatz zur Grünen Gentechnik
nicht mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen hat.
Im Unterschied zur Anwendung in der Medizin, also
zu der der Roten Gentechnik, und zur Anwendung von
gentechnisch veränderten Mikroorganismen in der Industrie, also zu der der Weißen Gentechnik, findet die
Anwendung in der Landwirtschaft - hier geht es um die
Grüne Gentechnik - nicht im Labor, sondern im offenen
System, im Freiland statt. Deshalb muss hier verantwortungsvoll und mit besonderer Vorsicht vorgegangen werden.
({6})
Auf dieser Veranstaltung wies ein Teilnehmer zu
Recht darauf hin, dass diese besondere Vorsicht beim
Umgang mit der Gentechnik im Freiland und der Schutz
der biologischen Vielfalt vor gentechnisch veränderten Organismen enorm wichtig sind, damit die Gentechnik weiter für die Biotechnologie genutzt werden
kann. Die Möglichkeiten der Biotechnologie speisen
sich aus der biologischen Vielfalt.
Auch deshalb setzen wir konsequent auf die Vermeidung von GVO-Verunreinigungen. Das fängt beim Saatgut an: Kennzeichnung ab Nachweisgrenze. Wo Gentechnik drin ist, soll das auch draufstehen.
Das geht weiter mit Sicherheitsmaßnahmen beim Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen, die die Verhinderung von Verunreinigungen zum Ziel haben und
nicht die Einhaltung eines Kennzeichnungsschwellenwertes von 0,9 Prozent. Beim Anbau von gentechnisch
verändertem Mais halten wir aus Vorsorgegründen einen
Sicherheitsabstand von 300 Metern zu konventionell
und ökologisch bewirtschafteten Flächen für nötig. Damit liegen wir sogar unterhalb des europäischen Durchschnitts, der für ökologisch bewirtschaftete Flächen bei
rund 330 Metern liegt.
Wichtig ist, dass auch für Schäden unterhalb des
Kennzeichnungsschwellenwertes von 0,9 Prozent ein
Ausgleich möglich sein muss. Wir wollen nicht, dass die
Geschädigten auf den Kosten sitzen bleiben, wenn ihre
Produkte nicht oder nur zu einem geringeren Preis verkauft werden können, weil sie GVO-Anteile enthalten.
({7})
Das ist ein Erfordernis der Realität am Markt. Die
Abnehmer sichern sich ab: Sie verlangen von ihren Zulieferern Nachweise über die GVO-Freiheit ihrer Produkte oder über die Einhaltung von Grenzwerten deutlich unter 0,9 Prozent.
Testmessungen werden also Standard werden. Solche
Tests sollten nicht zulasten der GVO-freien Anwender
gehen; sie sollten vielmehr den GVO-Anwendern vorgeschrieben werden. Im Umfeld der GVO-Anbauflächen
vorgenommen, können solche Tests sicherstellen, dass
GVO-Verunreinigungen direkt auf dem Acker erkannt
werden und nicht erst im Laufe der Produktion oder am
Ende der Warenkette.
({8})
Kolleginnen und Kollegen, der Schutz vor GVO-Einträgen und das frühzeitige Erkennen von Verunreinigungen sind von enormer Bedeutung für die Verbraucher
und für die Lebensmittelbranche. Wir dürfen hier keinen
Vertrauensverlust riskieren. Daran hängen auch viele Arbeitsplätze. Der Kollege Röspel hat schon darauf hingewiesen.
Wie wichtig es ist, dass auch die Wirtschaft davor geschützt wird, zeigt ein aktuelles Beispiel aus den USA.
Dort wurde ein herkömmlicher Reis der Firma BASF
vom Markt genommen, weil er GVO-Material eines
Liberty-Link-Reises der Firma Bayer enthielt. Die Entfernung dieses Reises vom Markt wird nach Angaben eines Sprechers von BASF zu Umsatzausfällen in Millionenhöhe führen.
Es gibt also gute Gründe, auch im Interesse der Wirtschaft und der Biotechnologiebranche sehr vorsichtig
mit der Grünen Gentechnik umzugehen. Der Gesetzentwurf der FDP wird dem in keiner Weise gerecht. Wir
lehnen ihn ab.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Bärbel Höhn für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir führen gerade eine sehr engagierte und sehr kontroverse Debatte. Das hat seinen Grund. Es geht nicht um
irgendeine Lappalie, sondern um ein entscheidendes
Thema. Es geht um die Frage - diese steht zur Entscheidung an -: Können wir in Deutschland und in Europa
auch in Zukunft gentechnikfrei produzieren, ja oder
nein?
({0})
Das ist eine entscheidende Frage, meine Damen und
Herren. Wenn wir bei dieser Technik falsche Entscheidungen treffen, dann gibt es kein Zurück mehr. Dass das
nicht nur eine Theorie, sondern die Praxis ist, sehen wir
in Kanada. Das große Kanada - schauen Sie einmal auf
die Karte, wie groß Kanada und wie klein Deutschland
ist! - kann heutzutage keinen gentechnikfreien Raps
mehr liefern. Weil dort falsche Entscheidungen getroffen
worden sind, gibt es in Kanada die Koexistenz beim
Raps nicht mehr.
Diese Erfahrungen müssen wir weltweit machen. Übrigens profitieren unsere Rapsbauern momentan davon.
Raps wird ja nicht nur für die Energiegewinnung verwendet. Die Tatsache, dass gentechnikfreier Raps zunehmend in der Lebensmittelproduktion eingesetzt wird,
führt dazu, dass für gentechnikfreien Raps heute ein höherer Preis erzielt wird als zu der Zeit, als dieser noch
nicht so knapp war. Es handelt sich also um einen Wettbewerbsvorteil für die Bauern in Deutschland.
({1})
Im Hinblick auf die Frage, ob wir in Zukunft noch
gentechnikfrei werden produzieren können, ist der
Abstand von entscheidender Bedeutung. Frau HappachKasan, Sie sagen - ich erinnere mich sehr genau an eine
Presseerklärung vom Juni letzten Jahres -, bei Mais
- was natürlich etwas anderes ist als Raps - reicht ein
Abstand von nur 70 Metern, weil damit der Grenzwert
der EU von 0,9 Prozent eingehalten werden kann. Sie legen einen Abstand fest, mit dem die Kontamination der
Nachbarfelder in möglichst großem Ausmaß stattfinden
kann. Für Sie ist der Grenzwert ein Türöffner für die
Gentechnik in Deutschland. Uns reicht ein solcher Abstand nicht.
({2})
Denn der Grenzwert von 0,9 Prozent hat einen Zusatz,
den Sie offensichtlich nicht beachten. Ihre Position, den
Abstand auf 70 Meter zu bemessen, ist EU-rechtswidrig.
Im Zusatz heißt es nämlich, dass 0,9 Prozent ohne eigenes Verschulden eingehalten werden müssen. Mit Ihrer
Abstandsbemessung führen Sie eine Verschuldung herbei und stellen die 0,9 Prozent als Normalfall dar.
Herr Seehofer will jetzt einen Abstand von
150 Metern. Dazu sage ich Ihnen: 150 Meter Abstand
sind zu wenig, weil auch damit eine bewusste Kontamination von Nachbarfeldern in Kauf genommen wird. Das
darf nicht sein.
({3})
In solchen Zusammenhängen orientiere ich mich immer an der Wirtschaft. Ich weiß, dass Monsanto seinen
Vertragsbauern einen Abstand zu den Biofeldern von
300 Metern vorschreibt. Die Bauern müssen sich zur
Einhaltung dieses Abstands schriftlich verpflichten. Ich
frage daher: Warum fällt die Bundesregierung hinter den
Abstand, den Monsanto für nötig hält, zurück? Ich habe
für dieses Vorgehen kein Verständnis, insbesondere desBärbel Höhn
halb nicht, weil die meisten anderen Länder der EU
mehr als 150 Meter vorschreiben. Richten Sie sich nach
den Vorgaben der anderen Länder und nehmen Sie sich
an deren Vorsorgeprinzip ein Beispiel! Sie wollen nämlich so ihre Bevölkerung schützen.
({4})
Ich möchte noch kurz auf die Freisetzungsversuche
eingehen. Davon handelt auch unser Antrag. Herr
Lehmer, ich halte das, was Sie hier veranstaltet haben,
für unzulässig. Ich behaupte - das wiederhole ich hier
sehr deutlich -: Momentan lassen Sie Freisetzungsversuche zu, die provokativ sind.
({5})
Wenn Sie aus dieser meiner Bemerkung schließen - was
Sie eben getan haben -, ich würde Menschen zu Feldzerstörungen auffordern, dann muss ich sagen: Das ist
unzulässig; denn das ist ein Totschlagargument. Jede
Kritik an Freisetzungsversuchen wird von Ihnen sofort
mit der Aufforderung zur Felderzerstörung gleichgesetzt. Diese Argumentation lasse ich nicht zu. Man muss
Kritik an diesen Freisetzungsversuchen äußern dürfen,
und das tun wir.
({6})
Wenn Sie Freisetzungsversuche von gentechnisch
veränderten Kartoffeln mit pharmakologischer Wirkung
zulassen, dann lassen Sie die Anpflanzung von Medikamenten zu und nichts anderes. In den USA und Kanada
wird diskutiert, solche Versuche nur in geschlossenen
Systemen und strikt getrennt von der Umwelt und der
Lebensmittelkette zu ermöglichen. Warum wollen Sie
hierzu den freien Feldversuch? Das geht nicht.
({7})
Am Ende meiner Rede sage ich: Die Argumente von
Ihnen allen, insbesondere von Ihnen, Frau HappachKasan, finde ich unterirdisch. Sie, wie auch Herr
Lehmer, präsentieren sich als Vertreter der Gentechnologie, von Genfirmen und achten nicht auf die Interessen
der Bevölkerung. Das ist nicht im Sinne Ihres Mandats
im Deutschen Bundestag.
Danke schön.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Peter Bleser für die
Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was ist
Grüne Gentechnik?
({0})
Grüne Gentechnik ist im Grunde nichts anderes als eine
andere Form der Züchtung, die schneller, gezielter und
breiter in der Anwendung ist.
({1})
Seit Jahrtausenden finden in der Natur Mutationen statt.
Pflanzen haben sich verändert, um sich den neuen Bedingungen anzupassen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Höhn?
Auf Sie, Frau Höhn, komme ich gleich zu sprechen.
1980 hat das Max-Planck-Institut zum ersten Mal in
Deutschland einen Gentechnikversuch durchgeführt, der
gelungen ist.
({0})
Mithilfe eines Agrobakteriums wurde ein anderes Gen in
eine Zelle eingebracht. 1996 begann in den Vereinigten
Staaten von Amerika der kommerzielle Anbau. Heute
werden weltweit 100 Millionen Hektar Land gentechnisch bestellt. 10,3 Millionen Landwirte bauen in 22 Ländern solche Pflanzen an.
Der Zuwachs ist rasant. Es sind 2006 12 Millionen
Hektar mehr als im Jahr davor. Allein in Indien wird auf
3,8 Millionen Hektar Land Baumwolle angepflanzt, die
gentechnisch verändert ist. In Deutschland haben wir gerade einmal 1 000 Hektar. Jetzt können wir natürlich sagen: 10,2 Millionen Bauern irren. Wir können auch sagen: 22 Länderregierungen irren.
({1})
Wir können uns aber auch fragen: Soll am deutschen
Wesen die Welt genesen?
({2})
Oder kann es sein, dass wir uns hier ein Stück verrennen,
zumindest in Teilen dieses Parlamentes und in der Öffentlichkeit?
({3})
Wir müssen den Menschen draußen einmal erklären,
was überhaupt stattfindet. Da wird eine Maissorte ge8540
züchtet, die den Schädling Maiszünsler abhält und eine
chemische Behandlung erübrigt.
({4})
Da wird eine Baumwolle gezüchtet, die schon in der
Pflanze die Färbung ermöglicht und damit später intensive chemische Prozesse vermeiden hilft. Da wird zum
Beispiel aktuell in Mecklenburg-Vorpommern ein Freisetzungsversuch durchgeführt, bei dem es gelingen soll,
Choleraimpfstoffe in Kartoffeln zu erzeugen.
({5})
Auch in den Vereinigten Staaten, wo man mit pflanzenschutzresistenten Sorten begonnen hat, hat man dies ja
nicht ohne Grund getan. Das Ziel war, pfluglos arbeiten
zu können und damit die Bodenerosion zu vermeiden.
Das war doch der Grund, warum diese Technologie dort
genutzt wird.
In der Forschung geht es ja weiter. Wir haben erste
Ansätze für energiehaltigere Pflanzen - im Rahmen der
Klimadiskussion eine ganz entscheidende Entwicklung.
Wir haben den Versuch, Proteinanteile in den Pflanzen
zu erhöhen. Proteinmangel ist ein Problem in vielen
Ländern dieser Erde. Wir haben einen Versuch mit Kartoffeln, bei dem wir den Stärkegehalt und die Form der
Stärke verändern, was dazu führt, dass wir kompostierbare Materialien schaffen können. Das sind alles Dinge,
die sehr hoffnungsvoll sind, die der Umwelt nutzen, die
der Welternährung nutzen, die der Gesundheit nutzen.
Wir müssen den Menschen doch einmal sagen, was das
Ziel dieser Technologie ist.
({6})
Es geht hierbei nicht nur um wirtschaftlichen Profit.
({7})
Ich weiß natürlich auch, dass 72 Prozent der Bevölkerung - von mir aus auch 80 Prozent - Ängste gegenüber
dieser neuen Technologie haben.
({8})
Man muss diese Ängste ernst nehmen, und man muss sie
auch entkräften. Dabei muss man sehr solide vorgehen.
Das darf aber nicht ideologisch sein, Frau Höhn, sondern
das muss man mit wissenschaftlichen, belastbaren Erkenntnissen machen,
({9})
die auch Bestand haben und nicht irgendwelchen politischen Zielen untergeordnet werden. Eine ideologische
Instrumentalisierung dieser verheißungsvollen Technologie wird uns in Deutschland nicht weiterführen.
Dieses Parlament hat 1984 übrigens eine EnqueteKommission eingesetzt, die sich genau mit diesen Fragen der Gentechnik beschäftigt hat. 1987 wurde das Ergebnis dieser Kommission vorgelegt, und diese Technologie wurde begrüßt. Aufgrund dieser Arbeiten ist
übrigens das strenge System entstanden, das bei uns
auch heute noch - auch durch die Europäische Union etabliert ist, nämlich sehr strenge Voraussetzungen und
Sicherheitsvorschriften in Form von Stufen, vom Labor
über Gewächshäuser bis zu Freisetzungsversuchen. Das
dient doch nur der Sicherheit und nicht dem Gegenteil,
wie hier viele unterstellen.
2001 ist die Freisetzungsrichtlinie in Brüssel beschlossen worden. Da waren wir nicht an der Regierung,
Frau Höhn und Frau Höfken. Künast und andere haben
diesen Beschluss mit herbeigeführt.
({10})
2004 hat hier eine andere Koalition die Umsetzung der
europäischen Freisetzungsrichtlinie beschlossen. Auch
das muss man den Menschen sagen. Aufgrund dieser
Rechtsetzung findet heute gentechnisch veränderter Anbau in Deutschland statt. Wir gehen jetzt daran - das ist
sehr zu loben und hervorzuheben -, dieses Recht so zu
verändern, dass es praktikabler wird und dass die Sicherheit für Anbauer und Verbraucher besser wird, nicht
schlechter.
({11})
Das ist unser Ansatz. Deswegen wollen wir uns hier auf
der Grundlage des im Kabinett verabschiedeten Eckpunktepapiers in den nächsten Wochen zusammensetzen.
Herr Kollege Kelber, da stimme ich mit Ihnen voll
überein: Die Linie ist jetzt festgelegt. Wir müssen uns
mit den Fragen, die Sie angesprochen haben, auseinandersetzen. Ich bin der festen Überzeugung: Wenn wir
nach der Maxime vorgehen, niemandem etwas vorzuschreiben, sondern den Rahmen so zu setzen, dass die
Verbraucher die Entscheidungsmöglichkeit behalten,
gentechnisch veränderte Produkte zu kaufen oder nicht,
und dass die Anbauer die Entscheidungsmöglichkeit behalten, gentechnisch veränderte Pflanzen anzubauen
oder nicht,
({12})
dann können wir einen Konsens finden, der in der Bevölkerung verstanden wird.
Dass es da unterschiedliche Einschätzungen gibt,
Kollege Kelber, ist völlig normal. Ich bin da der gleichen
Meinung wie Ihr Kollege Rainer Wend, der sagt:
150 Meter Abstand sind bei guter fachlicher Praxis satt
ausreichend.
({13})
- Diese Meinung können Sie akzeptieren oder nicht. Für mich ist entscheidend, dass diese Grenzen, wenn
Nachbarn diese Produkte anbauen, im Sinne der Praktikabilität auch unterschritten werden können.
Der FDP geht es auch um die Ächtung der Zerstörung von Feldern, insbesondere von Versuchsfeldern.
Ich kann das nur nachdrücklich unterstützen. Wir müssen gemeinsam gegen die vorgehen, die hier Recht brechen wollen. Frau Höhn, ich bin sehr dankbar, dass auch
Sie sich hier in dieser Form positioniert haben.
({14})
Wir müssen diese Forschung ermöglichen, um die
Rechtssicherheit und die Sicherheit für das Produkt, die
wir alle wünschen, herzustellen.
({15})
Ich will wie mein Kollege Lehmer die Bundesregierung, aber auch uns im Parlament, ebenso die Wirtschaft
und die Medien auffordern, einen Zusammenhang, der
so komplex ist, wie es diese Technologie nun einmal ist,
so darzustellen, dass die Bevölkerung versteht, worum
es geht,
({16})
dass ihr die Ängste genommen werden und dass der Bevölkerung auch die Chance gegeben werden kann, die
Vorteile - die eindeutig vorhanden sind - zu nutzen.
Ich komme zum Schluss. Wir wollen einen Rechtsrahmen setzen, der Wahlfreiheit und Koexistenz ermöglicht. Wir wollen die Forschung hier halten; denn nur wo
die Forschung ist, werden auch die dazugehörigen Unternehmen langfristig bleiben. Verhalten wir uns so, dass
uns zukünftige Generationen nicht den Vorwurf machen
können, eine tolle Chance vertan zu haben! Das sollte
unser Anspruch sein.
Herzlichen Dank.
({17})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Dr. Matthias Miersch für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zum Schluss sprechen zwei Praktiker: der Kollege
Bleser aus landwirtschaftlicher Sicht, ich aus juristischer
Sicht. Wir haben uns seit Jahren mit der Problematik
auseinandersetzen können. Lassen Sie mich vorweg sagen: Ich glaube, es ist unstreitig, dass wir hier in die Zukunft blicken und tatsächlich sichere Regelungen auf
diesem Gebiet erreichen wollen.
Wir haben im Koalitionsvertrag in diesem Zusammenhang zwei feste Grundwerte vereinbart, nämlich den
Grundsatz der Koexistenz und den Grundsatz der Wahlfreiheit.
({0})
Ich meine, dass sich alle Regelungen und alle Novellierungen des Gentechnikgesetzes an diesen Grundwerten
messen lassen müssen.
Es ist manchmal ratsam, im Rahmen einer Gesetzesberatung die bisherige Praxis zu betrachten und sie auszuwerten.
({1})
Da müssen wir uns vor allem zwei Bereiche vornehmen
- denn vieles von dem, was wir lesen, sind nur Hypothesen, und bewiesen ist nichts -: Der erste Bereich ist der
Forschungsbereich. Wird die Forschung behindert, wie
es manchmal heißt? Der zweite Bereich ist die tatsächliche Praxis.
Bei der Forschung geht es primär um die Freisetzungsversuche. Ich will jedem, der sagt, dass das Gentechnikgesetz hier zu eng sei, empfehlen, die bisherige
Rechtsprechung zur Kenntnis zu nehmen. Gerichte hier
in Berlin - die zuständigen Behörden saßen hier - haben
sich mit Klagen von Menschen beschäftigt, die versucht
haben, Freisetzungen auf rechtlichem Wege zu verhindern. Diese Bürger sind mit ihrer Klage fast nicht über
die Stufe der Zulässigkeit hinausgekommen. Mir sind jedenfalls nur ganz wenige Verfahren bekannt, die auf
diese Art und Weise infrage gestellt werden konnten.
Auch gehört dazu, dass wir uns anschauen, ob einige
der beabsichtigten Freisetzungsversuche eigentlich
dem Koexistenzgedanken entsprechen, den wir ja zusammen vereinbart haben. Ich will dabei ganz konkret
auf den aktuellen Freisetzungsversuch in Gatersleben
eingehen. Worum geht es? Es geht um die Freisetzung
von gentechnisch verändertem Weizen, und zwar in der
Nachbarschaft einer Genbank, in der jahrhundertealte
Sorten erhalten und zur Erhaltung freigesetzt werden
bzw. in Freilandanbauen gesichert werden. In dieser
Nachbarschaft wird der Freisetzungsversuch stattfinden.
Ich finde es bedenklich - das sage ich an dieser Stelle
auch an die Adresse des Ministeriums -, dass es in einem Brief des Bundesamtes für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit an das entsprechende Institut
heißt:
Unabhängig von der Erteilung der Freisetzungsgenehmigung halte ich es aufgrund der vielen Einwendungen mit Bezug auf die räumliche Nähe zur
Genbank für geboten, den Standort für die Vermehrung der Genbankakzessionen zu verlagern.
({2})
Hier wird verlangt, dass jahrhundertealtes Kulturgut dem
Forschungsdrang weichen soll. Das widerspricht aus
meiner Sicht klar dem Grundsatz der Koexistenz.
({3})
Ich halte es für unangemessen und der Sache nicht dienlich, wenn man sich genau diesen Bereichen zuwendet.
Warum sucht man sich nicht andere Gebiete, die es zweifellos gibt? Warum lässt man es hier auf den Crash ankommen? Das verstehe ich, ehrlich gesagt, nicht.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun ein Blick in die
Praxis - der Kollege Bleser kennt die Befürchtung vieler
Berufskolleginnen und -kollegen; ich bin mir allerdings
nicht immer sicher, ob die Spitze des Deutschen Bauernverbandes hier wirklich für die Mehrheit der Landwirte
spricht -:
({5})
Wenn man sich damit beschäftigt, welche Probleme ein
Landwirt schon heute hat, wenn er Schädigungen an
seinem Saatgut geltend machen will, dann stellt man
fest, dass er vor juristischen Hürden steht, die fast nicht
zu überwinden sind. Halten wir uns nur einmal vor Augen, was es bedeutet, wenn in einer Stadt oder einem
Dorf ein Landwirt gegen einen anderen Landwirt prozessieren muss.
In einem solchen Fall geht es um die Fragen: War
dein Saatgut zuerst „verseucht“? Ist das vielleicht durch
falschen Umgang mit Maschinen geschehen? Hast du
das also selbst und auf deinem eigenen Hof verursacht?
All diese Fragen sind juristisch hochproblematisch. Das
kann zur Folge haben, dass die Landwirte, die auf jahrhundertealte Technik zurückgreifen, plötzlich ins Hintertreffen geraten. Das kann niemand wollen.
({6})
Ich nenne an dieser Stelle immer das unter Landwirten bekannte Beispiel Farino. Als es darum ging, Schädigungen des Saatgutes geltend zu machen und Schadenersatz einzufordern, ist ein großer Teil der betroffenen
Landwirte gescheitert. Ich will nicht, dass wir in Fragen
der Gentechnik etwas Ähnliches erleben. Wenn wir also
Gesetze novellieren, dann müssen wir diese Gegebenheiten in der Praxis zur Kenntnis nehmen und Antworten
darauf finden, wie wir damit umgehen. In der Nachbarschaft von GVO-Feldern muss es vorsorgliche Proben
geben. Die Landwirte müssen sich also überlegen, ob
das, was sie ernten, kennzeichnungspflichtig ist oder
nicht. Wie gehen wir mit Flächen um, die hochsensibel
sind, weil dort beispielsweise Saatgutvermehrung betrieben wird? Das muss meines Erachtens geklärt werden,
wenn wir diese Diskussion ernst nehmen.
Nun zu Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der FDP. Sie fordern, die Transparenz einzuschränken.
Ich glaube, Transparenz ist die Grundlage von Akzeptanz. Sehen Sie sich doch einmal an, was wir im Deutschen Bundestag gerade im Zusammenhang mit der Beteiligung der Öffentlichkeit machen. Ich nenne nur das
Stichwort: Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz. Das, was
Sie vorschlagen, ist das genaue Gegenteil dessen. Ihre
Vorschläge sind aus meiner Sicht europarechtswidrig.
({7})
Man muss sich die Situation vor Ort genau ansehen
- hier ist Bayern ein gutes Beispiel -: Die Landwirte und
die Verbraucherinnen und Verbraucher tun sich zusammen, nehmen die Sache in die Hand und entscheiden
selbst, was sie vor Ort wollen und was nicht. Ich glaube,
es wäre gut, die deutsche EU-Ratspräsidentschaft dazu
zu nutzen, um die Frage der Bürgerbeteiligung, beispielsweise im Hinblick auf die Entscheidung über gentechnikfreie Regionen, in die Diskussion auf europäischer Ebene einzubringen.
({8})
Es würde uns gut anstehen, diese Diskussion sachgerecht und vor allen Dingen vor dem Hintergrund der Erfahrungen zu führen, die wir in der Praxis sammeln.
Dann kann das Gentechnikgesetz in einem positiven
Sinne novelliert werden. Dazu sind Sie alle herzlich eingeladen.
Vielen Dank.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Bezüglich der Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b und
hinsichtlich des Zusatzpunktes 4 wird interfraktionell die
Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/4143
und 16/1211 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache
16/4556 - Tagesordnungspunkt 4 b - soll an dieselben
Ausschüsse wie die Vorlage auf Drucksache 16/4143
überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich
sehe, dass ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.
Tagesordnungspunkt 4 c: Dabei geht es um die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Drucksache
16/4574 zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen mit dem Titel „Bei gentechnisch veränder-
ten Pflanzen nationales Recht auf Einfuhrverbote und
Schutzmaßnahmen nutzen“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 16/1176 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dage-
gen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlussempfeh-
lung bei Gegenstimmen der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 f
und 16 sowie die Zusatzpunkte 5 a bis 5 d auf:
27 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Akte
vom 29. November 2000 zur Revision des
Übereinkommens vom 5. Oktober 1973 über
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
die Erteilung europäischer Patente ({0})
- Drucksache 16/4375 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Akte vom 29. November 2000 zur Revision des Übereinkommens über die Erteilung
europäischer Patente
- Drucksache 16/4382 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. Juni 2003 zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten
von Amerika über Auslieferung, zu dem Abkommen vom 25. Juni 2003 zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten
von Amerika über Rechtshilfe, zu dem Vertrag
vom 14. Oktober 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen, zu dem Zweiten Zusatzvertrag vom
18. April 2006 zum Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
den Vereinigten Staaten von Amerika sowie zu
dem Zusatzvertrag vom 18. April 2006 zum
Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika
über die Rechtshilfe in Strafsachen
- Drucksache 16/4377 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({3})
Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung medizinprodukterechtlicher und anderer
Vorschriften
- Drucksache 16/4455 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({4})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
e) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Wolfgang Nešković, Sevim Dağdelen, Dr. Lothar
Bisky, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der Pressefreiheit
- Drucksache 16/4539 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({5})
Innenausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
f) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für die Verurteilung des Systems der LaogaiLager in China
- Drucksache 16/4559 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({6})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
16 Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJoachim Otto ({7}), Christoph Waitz, Jens
Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Spenden- und Sponsoringeinnahmen nicht von
staatlichen Zuwendungen abziehen - Eigeninitiative von Kultureinrichtungen fördern statt
bestrafen
- Drucksache 16/3353 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({8})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
ZP 5a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD
Schienenlärm ursächlich bekämpfen
- Drucksache 16/4562 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({9})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dorothee Bär, Wolfgang Börnsen ({10}),
Peter Albach, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Jörg Tauss, Martin Dörmann, Christoph Pries,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Weiterentwicklung des Adressraums im Internet
- Drucksache 16/4564 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({11})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Grütters, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann,
Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Den Hochschulpakt erfolgreich umsetzen
- Drucksache 16/4563 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({12})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Kauch, Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Gesundheitsschutz durch Schädlingsbekämpfung mit Chemikalien erhalten - Biozid-Richtlinie bürokratievermeidend überarbeiten
- Drucksache 16/4183 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({13})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Es handelt sich dabei um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe,
das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 j
auf. Es handelt sich dabei um Beschlussempfehlungen
des Petitionsausschusses, zu denen keine Aussprache
vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 28 a:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14})
Sammelübersicht 180 zu Petitionen
- Drucksache 16/4432 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Sammelübersicht 180 ist bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 28 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15})
Sammelübersicht 181 zu Petitionen
- Drucksache 16/4433 Wer ist dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? Die Sammelübersicht 181 ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 28 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16})
Sammelübersicht 182 zu Petitionen
- Drucksache 16/4434 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 182 ist bei Enthaltung der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 28 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17})
Sammelübersicht 183 zu Petitionen
- Drucksache 16/4435 Wer stimmt dafür? - Ist jemand dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 183 ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 28 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 184 zu Petitionen
- Drucksache 16/4436 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 184 ist bei Gegenstimmen
der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 28 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19})
Sammelübersicht 185 zu Petitionen
- Drucksache 16/4437 Wer stimmt dafür? - Ist jemand dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 185 ist bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 28 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20})
Sammelübersicht 186 zu Petitionen
- Drucksache 16/4438 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 186 ist bei Gegenstimmen
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 28 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21})
Sammelübersicht 187 zu Petitionen
- Drucksache 16/4439 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 187 ist bei Gegenstimmen
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 28 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22})
Sammelübersicht 188 zu Petitionen
- Drucksache 16/4440 ({23}) Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 188 ist bei Enthaltung der
FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
angenommen.
Tagesordnungspunkt 28 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({24})
Sammelübersicht 189 zu Petitionen
- Drucksache 16/4441 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 189 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 6 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD
Airbusrestrukturierung - Kernkompetenzen
und Zukunftstechnologien in Deutschland erhalten und ausbauen
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Laurenz Meyer für die CDU/CSUFraktion das Wort.
({25})
Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! Die
EADS hat uns in den letzten Wochen und Monaten stark
beschäftigt. Dabei ist es sehr ungewöhnlich, dass sich
die Politik so intensiv mit einer Unternehmensentscheidung befasst. Das entspricht eigentlich nicht unserem
Grundverständnis.
({0})
EADS ist aber kein normales Unternehmen. Seit Beginn der Entstehungsgeschichte hat die Politik das Unternehmen begleitet. Ohne politische Hilfe und Unterstützung und ohne den politischen Willen wäre es nicht
zur Gründung dieses Unternehmens gekommen. Das betrifft die Finanzen und die Konstruktion, aber auch den
Unternehmenserfolg. Wenn die Politik nicht diese Konstruktion eines gemeinsamen europäischen Unternehmens und der Zusammenarbeit zwischen Deutschland
und Frankreich gewählt hätte, dann wäre dieser starke
Konkurrent zu den amerikanischen Unternehmen nicht
entstanden. Deswegen begrüßen wir nach wie vor die
politische Unterstützung für dieses Unternehmen.
({1})
Das Erfolgsgeheimnis dieses Gemeinschaftsprojekts
zwischen Deutschland und Frankreich besteht aber auch
darin, dass die europäischen Staaten das Vorhaben mit
unterstützt und politisch begleitet haben. Deshalb ist es
meine und unsere feste Überzeugung, dass diese Konstruktion der Zusammenarbeit die Voraussetzung dafür
ist, dass Airbus und EADS auch in Zukunft Erfolg haben.
Starke Verflechtungen sind im Übrigen über Aufträge
entstanden. Der Wirtschaftsminister hat hinreichend darauf hingewiesen.
({2})
Allein die Staatsaufträge, die seit 1999 an den Konzern
gegangen sind, erreichen ein Volumen von 13,5 Milliarden Euro. Das entspricht 1,5 Milliarden Euro pro Jahr.
Insofern ist es nachvollziehbar, dass der Wirtschaftsminister klare Worte gefunden hat.
({3})
- Der Wirtschaftsminister ist durch seinen inzwischen
ernannten Beauftragten für Luft- und Raumfahrt vertreten. Das zeigt übrigens auch, welche Bedeutung dieser
Wirtschaftszweig aus Sicht der Bundesregierung für
Deutschland und uns alle hat.
({4})
Angesichts der Tatsache, dass in Frankreich zurzeit
Wahlkampf ist, sollten wir die eine oder andere Äußerung französischer Politiker in dieser Phase nicht auf die
Goldwaage legen.
Ich will aber für meine Fraktion klipp und klar festhalten: Wir wollen keine Änderung in der Eigentümerstruktur. Wir werden alles tun, um das Gleichgewicht in
diesem Konzern zu halten.
({5})
Es hat immer wieder Versuche gegeben, die Strukturen in
diesem Konzern zu ändern - man mag das bedauern, aber
wir kennen das auch von einzelnen deutschen Bundesländern; gewisse Eigenwilligkeiten sind möglicherweise
vom Umgang mit den Kollegen aus Bayern bekannt -,
die wir aber alle zurückgewiesen haben. Auch für die Zukunft gilt - unabhängig davon, ob Kapitalerhöhungen für
notwendig gehalten werden -: Wir wollen die bestehenden Strukturen erhalten, weil sie die Voraussetzung für
ein Gleichgewicht hinsichtlich der Arbeitsplätze sind.
Besonders wichtig ist uns das Gleichgewicht, was die zukünftigen technologischen Entwicklungen in dem Konzern angeht; denn EADS soll kein französisches Unter8546
Laurenz Meyer ({6})
nehmen werden, sondern Deutschland und Frankreich
sollen in gleicher Weise beteiligt sein.
({7})
Wir sind der Überzeugung, dass es sich bei der Luftfahrtindustrie um eine Zukunftstechnologie handelt. Ich
sage das ganz bewusst vor dem Hintergrund der Diskussion über die CO2-Emissionen. Die Zukunft der Luftfahrtindustrie ist hier von ganz entscheidender Bedeutung. Es gibt nur zwei große Unternehmen in der Welt,
die einen Beitrag zur Reduzierung des Schadstoffausstoßes von Flugzeugen leisten können.
Ich will mich für meine Fraktion ganz ausdrücklich
bei der Bundeskanzlerin für ihren Einsatz bedanken, insbesondere auch beim Wirtschaftsminister, der einen
wirklich guten Beitrag geleistet hat, damit es zu diesem
Ergebnis der gleichgewichtigen Restrukturierung kommen konnte.
({8})
Das Unternehmen spricht inzwischen von Managementfehlern. Hinzu kommt sicher die Entwicklung des
Dollarkurses, die sich auf die Preise des großen Konkurrenten in den USA ausgewirkt hat. Man muss feststellen,
dass das eine objektive Entwicklung ist. Wir haben auch
Verständnis für die Sorgen und Nöte der Arbeitnehmer
an den Standorten, gerade für die in Deutschland, aber
auch insgesamt. Wenn Restrukturierungsmaßnahmen
notwendig sind, dann müssen die Einzelentscheidungen
darüber - das ist unser Grundverständnis von Wirtschaftspolitik -, wo und an welcher Stelle Veränderungen vorgenommen werden müssen, welche Fertigung in
diesem Unternehmen selbst erfolgen muss und in welchem Umfang Zulieferungen erfolgen müssen, nach einer Diskussion zwischen dem Management und den Arbeitnehmervertretern im Unternehmen getroffen werden.
Die darf die Politik nicht beeinflussen. Wir wollen dann,
wenn wir das Gleichgewicht wieder hergestellt haben,
darauf achten, uns aus diesen Einzelentscheidungen herauszuhalten. Es kann und darf nicht sein, dass die Politik in die Einzelentscheidungen hineinregiert.
Herr Kollege.
Ich bin fertig, Frau Präsidentin.
Das ist schön.
Wir sehen für dieses Unternehmen, für den Konzern
und für die Arbeitsplätze in Deutschland und insgesamt
eine gute Zukunft, und wir hoffen, dass mit einem Erfolg
dieser Restrukturierung am Ende des Prozesses mehr Arbeitsplätze in dieser Zukunftsindustrie vorhanden sein
werden, als es heute sind.
({0})
Das Wort hat der Landesminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr in Niedersachsen, Walter Hirche.
({0})
Walter Hirche, Minister ({1}):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 30 000
Arbeitsplätze inklusive der Leiharbeitsplätze - das ist
eine gewaltige Zahl, die alleine schon rechtfertigen
würde, dass man sich mit dem Thema beschäftigt. Aber
darüber hinaus - Herr Meyer hat das eben dargestellt ist Airbus von Anfang an in seiner Konstruktion von der
Politik begleitet worden. Insbesondere Franz Josef
Strauß hat dabei eine große Rolle gespielt. Airbus ist als
deutsch-französisches und darüber hinaus europäisches
Gemeinschaftsunternehmen konzipiert worden. Wenn
Airbus nicht vorhanden wäre, hätte Boeing heute ein
Monopol in der Luftfahrtindustrie. So haben wir wenigstens ein Duopol, und Europa spielt bei der Entwicklung
dieser wichtigen Technologien eine wesentliche Rolle.
Das muss man, so glaube ich, auch in Zukunft beachten.
Deswegen ist es richtig, dass wir von der Politik einige Fragen stellen, dass wir den Dialog einerseits mit
den Betriebsräten, andererseits aber auch mit dem Management intensivieren. Das muss auf der Linie geschehen, die Sie, Herr Meyer, eben geschildert haben. Die
operativen Geschäfte sind nach dem Verständnis unserer
sozialen Marktwirtschaft Sache des Managements und
im Dialog mit den Betriebsräten zu diskutieren und dann
zu entscheiden.
Die Luftfahrtindustrie ist nach wie vor eine Wachstumsbranche. Kenner rechnen damit, dass wir in den
nächsten 20 Jahren etwa 20 000 neue Flugzeuge in der
Welt benötigen. Das zeigt schon, welcher technologische
Schub erwartet wird. Wir wissen, dass die Probleme
nicht nur durch die Dollarschwäche entstanden sind.
Auch die beträfe das Management; denn Kursabsicherung im internationalen Geschäft gehört zu den allgemeinen Grundfertigkeiten, die man beherrschen muss.
({2})
Es gibt in diesem Zusammenhang andere Fehler, die in
jedem Unternehmen passieren können - auch das will
ich sagen -, die aber nicht so auffallen wie beispielsweise die Verzögerung bei der Fertigstellung der Software für den A380, wenn man nicht ein so großes und
bedeutendes Unternehmen hat.
Tatsache ist doch: Zurzeit ist das Produktionsvolumen
der Werke zu 100 Prozent ausgelastet. Die Auslastung
liegt, wenn man so will, sogar bei 120 oder 130 Prozent;
schließlich müssen diejenigen Aufträge abgearbeitet
werden, deren Nichtbearbeitung zu einer Verzögerung
geführt hat. In dieser Situation muss man schon die
Frage stellen, ob es richtig ist, die Produktionskraft in
den Unternehmen, nämlich die Arbeitnehmer, so zu verunsichern, dass im Grunde eine geringere Gewähr besteht, dass man die Aufträge termingemäß oder möglichst terminnah bearbeiten kann.
Es geht nicht in erster Linie darum, die provinzielle
Brille eines Landesministers aufzusetzen, allein auf die
deutschen Standorte zu blicken und zu sagen: Zum Beispiel in Niedersachsen gibt es vier Standorte; BadenWürttemberg hat einen Standort; auch Hamburg und
Bremen sind betroffen. Das ist nur das eine. Es geht im
Grunde darum, zu fragen - da schließe ich mich Herrn
Meyer durchaus an -: Wie ist der Gesamtkonzern eigentlich aufgestellt? Es würde uns überhaupt nichts helfen,
wenn ein Standort vollständig auf die Zukunft ausgerichtet wäre, die Wettbewerbsfähigkeit von morgen aber dadurch verspielt würde, dass schlechte Strukturen im
Konzern fortbestehen.
({3})
Wir haben deswegen eine doppelte Aufgabe.
Ich will gern einräumen: Wir müssen ein Stück weit
eine Gratwanderung vollziehen. Einerseits muss die
deutsche Politik dafür sorgen, dass es hier keine Schieflage gibt, und zwar nicht nur wegen der Arbeitsplätze,
sondern auch wegen der technologischen Aspekte, die
damit verbunden sind. Das ist eine Zukunftsindustrie.
Wir haben es mit Auswirkungen auf andere Bereiche zu
tun.
In Stade, also in einer Stadt in meinem Bundesland,
spielt die neue CFK-Technologie, also die Verarbeitung
von Kohlefaserverbundwerkstoff, eine wesentliche
Rolle. Wir wollen natürlich, dass dort, wo solche Technologien entwickelt worden sind, Kernpunkte für die
künftige Entwicklung bleiben, und zwar nicht nur hinsichtlich des Heckbereichs, sondern auch hinsichtlich
anderer Bereiche.
({4})
Wir wollen insbesondere, dass man sich in einer solchen Situation - alle Unternehmen müssen ständig darüber nachdenken, wie sie Fertigungsstrukturen optimieren - gründlich überlegt, ob das Analystenpatentrezept,
möglichst alles outzusourcen, damit man am Ende ganz
schlank dasteht und damit angeblich den höchsten Unternehmenswert erzielt, in diesem Fall eigentlich richtig
ist.
({5})
Es geht immer darum, optimierte Strukturen zu haben. Deswegen kann ein solches Vorgehen in dem einen
Fall richtig und in einem anderen Fall falsch sein. Es
lässt sich beobachten - das muss man gerade dann feststellen, wenn man am Wert von Unternehmen interessiert ist -, dass mal die eine Struktur die richtige ist und
mal die andere. Die Wirtschaftsgeschichte hat gezeigt,
dass es kein Patentrezept für Strukturen gibt. Wenn man
20 oder 30 Jahre zurückschaut, dann sieht man, dass es
in Krisensituationen immer auch Gewinner und in
Boomphasen immer auch Verlierer gegeben hat. Das
liegt daran, dass man sich den Situationen unterschiedlich angepasst hat.
Wir fragen hier im Interesse des Gesamtunternehmens - nicht im Interesse der einzelnen Standorte -:
Sind die in Frankreich, in Deutschland und an den anderen Standorten dahinterstehenden Grundüberlegungen
bezüglich der Reorganisation dauerhaft erfolgversprechend, was Arbeitsplätze und Technologiesicherung angeht?
Eines wissen auch die Verantwortlichen bei Airbus
- wir im politischen Raum müssen es ebenfalls wissen -:
Wenn hier grobe Fehler gemacht werden, dann haben
wir auf dem Weltmarkt vielleicht noch fünf Jahre lang
die Nase mit vorn; aber nach diesen fünf Jahren wäre
Boeing unaufholbar entschwunden.
({6})
In einer Situation, in der auf dem Markt zunächst einmal der Nachweis von Solidität und Qualität erbracht
werden muss, ist es deswegen ganz wichtig, dass die Arbeits- und Qualitätssicherungsabläufe nicht gestört werden. Ich glaube, es lassen sich durchaus einige Anfragen
in Richtung Management formulieren. Sie stehen auch
im Raum, ohne dass man sie im Einzelnen aussprechen
muss. Ich will es einmal höflich sagen: Die innere Logik
ist der Öffentlichkeit in diesem Zusammenhang noch
nicht richtig klargemacht worden. Es ist deswegen für
mich verständlich, dass die Emotionalität der Arbeitnehmer zu Arbeitsniederlegungen geführt hat. Aber ich begrüße, dass an den Standorten so viel Rationalität vorhanden ist - das haben auch meine Gespräche mit den
Betriebsräten in unserem Bundesland ergeben -, zu sagen: Wir wollen arbeiten. Wir wollen Qualität bringen.
Lasst uns diese Qualität bitte weiter bringen und nach
vorn marschieren! - Deswegen gibt es einen kleinen
Hoffnungsschimmer in dem Zusammenhang. Den sollte
man aufgreifen.
Herr Gallois hat erklärt, man wolle sich als Unternehmen für die Umsetzung der Vorschläge, die man selbst
erarbeitet habe, Zeit lassen. Wenn das so ist, dann sind
an dieser Stelle sowohl für den politischen Dialog wie
insbesondere auch für den gesetzlich vorgesehenen Dialog zwischen Betriebsräten und Management genügend
Anhaltspunkte vorhanden. Ich würde sehr dafür plädieren, die zu nutzen.
Ich bedanke mich auch im Namen meiner Länderkollegen für das Engagement der Bundesregierung, durch
das erreicht worden ist, dass wir hier keine Schieflage
zwischen Deutschland und Frankreich haben. Aber ich
füge hinzu: Mit dem Erreichen eines Gleichgewichts
oder auch der Sicherung der dritten Linie für Hamburg
sind die Probleme noch nicht gelöst. Vielmehr stehen
durch Entscheidungen, die nicht bis zum Schluss durchdacht worden sind
({7})
und nicht bis zum Schluss erklärt werden, noch Probleme im Raum.
({8})
Minister Walter Hirche ({9})
Diese Probleme erzeugen im Augenblick mehr Unsicherheit an den Standorten, als uns allen lieb sein kann.
Airbus ist bis zum heutigen Tag eine Erfolgsgeschichte
und soll es auch bleiben. Unsere Mitverantwortung liegt
darin, diese Erfolgsgeschichte durch niemanden gefährden zu lassen.
Vielen Dank.
({10})
Bevor ich das Wort dem Kollegen Dr. Rainer Wend
gebe, gratuliere ich Ihnen, Herr Kollege Wend, recht
herzlich zu Ihrem heutigen Geburtstag und wünsche Ihnen alles Gute.
({0})
Herr Kollege, Sie haben das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank
für die freundlichen Glückwünsche. Ich bitte Sie alle darum, mich auch während dieser Rede ähnlich unfreundlich wie sonst zu behandeln. Ich möchte heute keine
Ausnahme.
Wir reden heute über Technologie - das ist richtig -,
und wir reden über den Standort Deutschland. Auch das
ist richtig. Aber ein allererstes Wort muss hier und heute
im Bundestag an die Beschäftigten - und ihre Familien der Airbusstandorte gehen, vor allem der Standorte
Laupheim, Varel und Nordenham, denen eine Veräußerung oder Teilveräußerung droht.
Es sind viele Fehler gemacht worden - das sage ich
gerade in Richtung des Unternehmens -: Fehlentscheidungen beispielsweise beim Programm des A380, Unterschätzung der Neuentwicklung der Boeing 787, keine
marktgerechte erste Version des A350, um nur einiges zu
nennen. Aber keiner dieser Fehler, die in den letzten Jahren im Unternehmen gemacht worden sind, ist von den
Beschäftigten gemacht worden. Diese Fehler sind vom
Management des Unternehmens gemacht worden.
({0})
Es kann nicht richtig sein - die Ansicht teilen wir -, dass
unter den Fehlern des Managements nun ausschließlich
die Beschäftigten an den Standorten leiden müssen.
Ein Appell geht jetzt auch von hier aus an das Management. Das Management ist nun gefordert. Es muss
alles getan werden, um die Arbeitsplätze an allen Standorten zu halten, und zwar in Frankreich und in Deutschland.
({1})
Spitzentechnologie ist zu fördern. Innovationspartnerschaften sind anzustreben. Perspektiven für die Zukunft
sind zu schaffen. Es darf nicht der Abbau von Arbeitsplätzen im Vordergrund stehen.
Wir Politiker müssen uns natürlich fragen: Was können wir leisten? Was können wir beitragen? Da möchte
ich einerseits vor Illusionen warnen, andererseits aber
auch deutlich sagen: Wir haben sehr wohl eine Rolle zu
spielen. Das Warnen vor Illusionen geht in Richtung der
PDS und ihres Antrags, den wir morgen behandeln. Sie
verlangen eine Aufstockung des Staatsanteils bei Airbus.
Das suggeriert, betriebswirtschaftliche Probleme seien
durch einen höheren Staatsanteil quasi automatisch lösbar. Ich halte das für eine Illusion.
({2})
An die Aussage, dass ein Unternehmen besser geführt
wird, wenn es mehrheitlich dem Staat gehört, kann man
ein Fragezeichen machen.
({3})
Selbst wenn es staatlich geführt würde, müsste es sich in
einem internationalen Wettbewerb behaupten. Niemand
kann die Hoffnung bzw. die sichere Erwartung haben,
dass ein solcher Staatsanteil automatisch zu mehr Beschäftigung führt. Sie müssen Ihre diesbezüglichen Positionen überprüfen.
({4})
An die andere Seite des Hauses sage ich Folgendes:
Herr Hirche, das, was Sie eben gesagt haben, hat in meinen Ohren wohl geklungen. Ich hätte es aber lieber gesehen, wenn auch die Kollegen Westerwelle und Brüderle
in den letzten Wochen Ihre Position, die Sie heute hier
vorgetragen haben, geteilt hätten.
({5})
Die FDP-Bundestagsfraktion hat uns in den letzten Wochen immer wieder gesagt: Es ist des Teufels, wenn der
Staat bei Airbus Einfluss ausübt.
({6})
Was wäre wohl gewesen, wenn wir diesen Rat der FDP
angenommen hätten? Was wäre mit den Standorten in
Deutschland geschehen? Was hätte das für das Thema
Spitzentechnologie bedeutet?
({7})
Deswegen sage ich: So falsch es ist, auf einen Automatismus nach dem Motto „Der Staat wird es schon
richten!“ zu hoffen, genauso falsch ist es, darauf zu setzen, dass der Markt es schon richten wird. Beide Extrempositionen werden von der SPD nicht geteilt.
({8})
Minister Walter Hirche ({9})
Was können wir in einer solchen Situation tun? Wie
problematisch diese Situation ist, sieht man, wenn man
nach Frankreich schaut.
({10})
Ob es der Kandidat der bürgerlichen Partei UMP,
Sarkozy, oder die Sozialistin Royal ist: Im Wettbewerb
der Versprechen und Zusagen überbieten sie sich gegenseitig.
({11})
Ich rate dringend davon ab, dass wir uns an einem solchen Wettbewerb beteiligen.
({12})
Der Staat muss Rahmenbedingungen setzen und in
den Aufsichtsgremien, in denen Staatsvertreter sitzen,
dafür sorgen, dass die Entscheidungen dieses Unternehmens eine Perspektive für die Beschäftigten bieten und
nicht auf den Abbau von Arbeitsplätzen zielen. Nehmen
wir diese Verantwortung mit Realismus wahr.
({13})
Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Herbert
Schui, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn
im Zusammenhang mit EADS und Airbus von Zukunftstechnologie die Rede ist, müssen wir uns darüber im
Klaren sein, dass nicht alles Zukunft haben sollte, vor allen Dingen die Rüstungssparte des Konzerns nicht. Wir
wünschen uns das.
({0})
Airbus ist nicht in der Krise - auch das sollte man
feststellen -, Airbus hat lediglich zwei Probleme zu lösen. Das eine Problem ist, dass eine Kommunikation
zwischen Verkauf und Produktion nur unzureichend oder
gar nicht stattgefunden hat. Die Verkäufer schwirrten um
den Globus, versuchten den A380 zu verkaufen, waren
erfolgreich, haben aber zu viele Flugzeuge zu Terminen
verkauft, die nicht einzuhalten waren.
({1})
Der Power-8-Plan weist nicht aus, dass diese Kommunikation verbessert würde; das fehlt. Die einfachste
und beste Lösung, um dieser Sache Herr zu werden - irgendwann werden die Konventionalstrafen fällig -, ist,
ganz einfach einen Kredit aufzunehmen und diesen Kredit nach und nach - die Auftragslage ist gut - abzulösen.
Dazu braucht man kein „Power 8“, keine neue Strukturierung des Konzerns. Es geht lediglich um die Überwindung eines Liquiditätsengpasses.
({2})
- Wenn das der Fall ist, brauchen sie „Power 8“ erst
recht nicht. Das ist doch logisch. Dann können wir uns
den ganzen Senf doch sparen.
({3})
Bei „Power 8“ geht es darum, die Gewinne Jahr für
Jahr um 2 Milliarden Euro zu erhöhen. Das stellt die Aktionäre zufrieden, ob es aber den Technologiestandort
Deutschland in Zukunft sichert, ist aber mehr als fraglich.
Das zweite Problem ist der Kapitalbedarf beim A350.
Das ist eine ganz wesentliche Sache. Hier kommt in der
Tat Zukunftstechnologie zum Zuge: neue Materialien,
neue Produktionsverfahren. Wieso muss das Geld für die
Kapitalerhöhung, für die Finanzierung dieser Reihe
durch Lohndrückerei, Outsourcing usw. aufgebracht
werden?
({4})
Das ist eine ziemlich unkonventionelle Methode. Wenn
ein Konzern mehr Mittel braucht, besorgt er sie normalerweise extern, und das reicht. Wenn die Bilanz gut ist,
dann wird er diese Mittel ohne Weiteres durch den Verkauf junger Aktien usw. bekommen können. Die Probleme lassen sich also anders lösen.
Wenn man Boeing übertrumpfen will, kann man vor
allen Dingen nicht bei Boeing kopieren, dann muss man
sich etwas Neues ausdenken. „Power 8“ mit Outsourcing
usw. ist nichts anderes als eine Kopie von Boeing: Die
Endmontage bleibt beim Konzern, und der Rest wird
ausgelagert. Das wäre dann das, was Herr Sinn vom IfoInstitut als Basarökonomie geißeln würde.
({5})
Dann würde die Produktionslinie keine eigene Technologie mehr enthalten, sondern alles, was wichtig ist, würde
in irgendeiner Weise besorgt. Haben Sie schon einmal
darüber nachgedacht, wie die Liefertreue, die Qualitätsstandards und anderes sein werden?
Die Belegschaften haben Recht, wenn sie sich gegen
„Power 8“ wenden. 2400 bestellte Flugzeuge, Aufträge
für fünf bis sechs Jahre - damit könnte die Beschäftigung sichergestellt sein, Entlassungen wären nicht möglich. Es müssten sogar noch mehr eingestellt werden.
Der Verkauf von Zulieferern und Auslagerungen sind in
der gegenwärtigen Situation überhaupt nicht erforderlich. Die Belegschaften allerdings dürfen „Power 8“
nicht akzeptieren. Vor allen Dingen dürfen sie „Power 8“
nicht akzeptieren und dann in Streitigkeiten miteinander
geraten, wer welche Last bei dieser Anpassung zu tragen
hat. Das ist keine Lösung.
({6})
Die Lösung ist auch keine Einwilligung in eine Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich, wobei die Fran8550
zosen mit ihrer gesetzlichen 35-Stunden-Regelung bei
dieser Negativstrategie im Nachteil wären.
Eine letzte Bemerkung zur Industriepolitik: So wie
die Dinge jetzt gestrickt sind, gibt es eine öffentliche Beteiligung Spaniens, Frankreichs und Deutschlands am
EADS-Konzern und damit an Airbus. Das Stimmrecht
ist im Rahmen des Aktionärpaktes im Falle von
Deutschland an Daimler abgetreten. Das halte ich für
eine unendlich schlechte Lösung. Denn erstens möchte
sich Daimler der Sparte entledigen, so wie Lagardère das
will. Sie wollen sich wieder auf das Kerngeschäft konzentrieren. Zweitens ist Daimler als Industriepolitiker
nach den Erfahrung etwas ungeeignet.
({7})
Denken Sie einmal an die Milliarden, die beim FockerEngagement in den Sand gesetzt worden sind.
({8})
Denken Sie an die Milliarden, die beim Mitsubishi-Engagement in den Sand gesetzt worden sind. Denken Sie
an die Milliarden, die bei Chrysler in den Sand gesetzt
werden. Wollen Sie denn einem solchen Konzern, der so
seine Kompetenz unter Beweis gestellt hat, die deutsche
Industriepolitik anvertrauen?
({9})
Ich zweifle daran, dass das zweckmäßig ist.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Peter Hintze.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Gründungsidee von Airbus ist faszinierend:
Europäer bündeln ihre technologischen Kompetenzen
und schaffen einen starken Wettbewerber im Flugzeugbau. Airbus ist ein Identifikationsobjekt für die Menschen in Europa und ein Beitrag zur europäischen Identität.
Deutschland und Frankreich sind Hauptträger dieser
Idee. Wenn der französische Wirtschafts- und Finanzminister Breton gestern im französischen Rundfunk gefordert hat, das Verhältnis von 50 : 50 zwischen Deutschland und Frankreich müsse in 60 : 40 zugunsten von
Frankreich geändert werden, so widerspreche ich ihm im
Namen der Bundesregierung ausdrücklich.
({0})
Deutschland ist für eine strikte Parität. Die Balance zwischen Deutschland und Frankreich muss erhalten bleiben.
Nun haben hier heute verschiedene Redner - der von
mir geschätzte Walter Hirche und andere - darauf hingewiesen, dass Airbus im Moment eigentlich in einer günstigen Situation ist.
Ich finde, die genaue Analyse zeigt, dass Airbus Erfolg und Krise im Moment als Geschwisterpaar erlebt.
Auf der einen Seite hat Airbus im Jahr 2006 mehr Flugzeuge als jemals zuvor in seiner Geschichte ausgeliefert
und Boeing überflügelt; Airbus ist stark am Markt positioniert. Diese positive Geschäftsentwicklung kann einen möglicherweise davon ablenken, dass wir auf der
anderen Seite eine veritable Krise zu schultern haben:
massive Probleme beim neuen Supergroßraumflugzeug
A380 in Form einer hochgradig kritischen Auslieferungsverzögerung, verbunden mit wirtschaftlichem
Schaden, einem Imageschaden und einem beachtlichen
Ertragseinbruch im Unternehmen. Dazu kommt ein gefährlicher Entwicklungsrückstand beim A350 aufgrund
einer falschen Markteinschätzung.
Im Flugzeugbau findet im Moment der technologische Sprung vom Metall- ins Kunststoffzeitalter statt.
Die Flugzeuge werden dadurch leichter und damit auch
verbrauchsgünstiger. Der Markt verlangt nach Flugzeugen, die auf dieser neuen Technologie basieren. Da ist
ein Rückstand von vier oder fünf Jahren auf den wichtigsten Wettbewerber schon kritisch. Das Know-how für
diese neue Technologie ist im Unternehmen - ich konnte
mich davon vorgestern einmal persönlich in Stade bei
Airbus überzeugen, wo ich auf Einladung der Kollegin
Krogmann zu Besuch war -; es muss jetzt aktiviert werden.
Schließlich macht auch der schwache Dollar dem Unternehmen zu schaffen. Airbus produziert in Euro und
verkauft in Dollar.
Nun habe ich dem Wirtschaftsminister von Niedersachsen gut zugehört. Er hatte hier heute eine schwierige
Gratwanderung zu beschreiten. Die Ordnungspolitiker
der FDP sind dieser Debatte sicherheitshalber weitgehend ferngeblieben.
({1})
- Das mag wohl sein.
({2})
Ich möchte nur noch einmal darstellen, was unser Geburtstagskind, Herr Wend, und ich uns im Zusammenhang mit Airbus von den ansonsten geschätzten Kollegen der FDP anzuhören hatten. Sie sagten, wir sollten
uns heraushalten und anderes. All das stand in einem
spannungsreichen Widerspruch zu dem, was der Redner,
den die FDP heute in die Debatte geschickt hat, gesagt
hat.
({3})
Im Himmel ist ja mehr Freude über die Umkehr eines
Sünders als über 99 Gerechte. Insofern hat das ja seine
Ordnung.
({4})
In einer großen Kraftanstrengung muss Airbus seine
Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen. Viele raten ja - solche Töne kommen von unterschiedlichen Seiten -, man
solle doch alles so lassen, wie es ist, das ginge schon. Ich
sage aber: Wer sich mit dem Status quo vermählt, wird
rasch Witwer. Ein Unternehmen, das aufkommende Gefahren nicht erkennt, das neue Herausforderungen ignoriert
und das das Davonziehen des Wettbewerbers kaltlässt, kann
blitzschnell ins Trudeln kommen und abstürzen. Airbus
muss handeln, um seine Zukunftsfähigkeit zu sichern. Airbus muss handeln, um auf dem Markt zu bestehen. Airbus
muss auch handeln, um die hoch qualifizierten Arbeitsplätze der Flugzeugindustrie in Deutschland zu sichern.
({5})
Das Hauptthema in dieser Diskussion ist ja die Frage
nach der Einflussarchitektur bei Airbus. Für die Bundesregierung ist eines klar: Die industrielle Führung des Unternehmens muss auch in Zukunft bei der Wirtschaft liegen.
({6})
Die Verantwortung für den Restrukturierungsprozess
und seine Folgen liegen einzig und allein beim Unternehmen.
({7})
Nun hat der eine oder andere Redner darauf hingewiesen, dass das Unternehmen Fehler gemacht hat. Das ist
richtig. Aber daraus den Schluss zu ziehen, den Unternehmen ginge es besser, wenn nicht mehr die Wirtschaft,
sondern der Staat den Kurs bestimmt, wäre töricht. Dafür gibt es ganz gravierende Beispiele in der Geschichte,
an die sich wohl jeder hier im Raum erinnern wird. Ein
Zurück in die Staatswirtschaft wäre ein Fehler.
({8})
- Das ist richtig.
Die Politik liefert Beiträge zur Statik der Luftfahrtindustrie. Die Bundesregierung setzt sich für eine Balance
zwischen Deutschland und Frankreich, für einen fairen
Ausgleich von Lasten und Chancen und für einen fairen
Austausch bei den Technologiekompetenzen ein. Wir
fördern die Luftfahrtforschung und im Rahmen der
Hightechstrategie der Bundesregierung auch ihr direktes
Umfeld. Wenn wir heute eine Zwischenbilanz zögen,
was die Bundesregierung zur Statik der Luftfahrtindustrie geleistet hat, könnten wir feststellen, dass wir einen
klaren Erfolg im Blick auf den Chancen- und Lastenausgleich mit Frankreich erzielt haben, dass die Rahmenbedingungen stimmen, dass der Einsatz der Kanzlerin, des
Wirtschaftsministers und vieler Kollegen hier im Hause
sich gelohnt hat. Die Rahmenbedingungen sind also da.
Jetzt ist das Unternehmen am Zug, daraus etwas Gutes
zu machen.
({9})
Ich will auch etwas zum Programm „Power 8“ sagen.
Ob das Maßnahmenpaket „Power 8“ mit seinen Wirkungen auf die Betriebsabläufe, die Mitarbeiter, die Wettbewerbsfähigkeit und das wirtschaftliche Ergebnis richtig
ist, liegt ausschließlich in der Verantwortung des Unternehmens. Das Unternehmen sieht in dem Programm eine
Chance. Auf der anderen Seite sieht es, dass auch
schmerzhafte Entscheidungen in Bezug auf die Mitarbeiter damit verbunden sind, insbesondere mit Blick auf die
Frage: Wie wird die Sicherheit meines Arbeitsplatzes an
meinem Standort in Zukunft aussehen?
Das verstehe ich gut; auch hier kann ich mich den
Worten meines Kollegen Wend anschließen. Ich bin mit
meinem Herzen bei den Mitarbeitern und ihren Familien. Ich weiß aus dem Gespräch mit den Mitarbeitern,
dass ihnen die Ungewissheit, wie es wird, schwer zu
schaffen macht. Jeder, der versucht, sich da hineinzufinden, wird das nachempfinden können.
Ich finde es wichtig, dass wir das Unternehmen begleiten und gemeinsam daran arbeiten, dass die Mitarbeiter an allen deutschen Standorten - in Varel, in Laupheim, in Hamburg, in Bremen, in Stade, in Buxtehude, in
Nordenham - eine Perspektive haben. In welcher Organisationsform, in welchem betrieblichen Zusammenhang
wissen wir heute nicht; das ist eine Entscheidung des
Unternehmens. Aber wichtig ist, dass eine gute Perspektive besteht. Die Gewinnung eines starken Partners, der
ins Risiko und in die Investitionen mit einsteigt und der
eigenes Know-how einbringt, kann solche Standorte sicherer und stärker machen und auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Ende Unterstützung und
Hilfe sein. Das möchte ich hier noch einmal klar sagen.
({10})
Ich weiß aus meinen Gesprächen mit Betriebsräten
von Airbus, dass sich die Mitarbeiter und ihre Vertreter
ernsthafte Gedanken über die Zukunft des Unternehmens machen. Ich weiß ebenso, dass sie gute Ideen und
auch kritische Fragen haben. Ich fordere das Unternehmen auf, die Mitarbeiter in den Diskussionsprozess, der
jetzt läuft, mit einzubeziehen.
({11})
Lassen Sie mich zum Schluss noch Folgendes sagen:
Airbus-Chef Gallois hat gestern zusätzlichen Finanzbedarf für die Entwicklung des A350 angemeldet. Er
sprach von 5 Milliarden Euro. Ein Teil davon wird möglicherweise über eine Kapitalerhöhung gedeckt. Die
Bundesregierung hält das für einen gangbaren Weg.
Voraussetzung ist allerdings, dass die Struktur des Aktionärspaktes und damit die deutsch-französische Balance
erhalten bleibt; das muss sichergestellt werden. Ein Weg
zu diesem Ziel könnte etwa der Ausschluss der Altaktionäre vom Bezugsrecht sein, was im Unternehmen die
Wirkung hätte, dass der Aktionärspakt in seiner Konstruktion erhalten und die Balance gewährt bliebe.
In diesen Tagen wird auch über die Doppelstruktur in
der Führung der Airbus-Mutter diskutiert. Auch darüber
muss das Unternehmen entscheiden. Ich kann mir vorstellen, dass die horizontale Doppelstruktur durch eine
vertikale Struktur ersetzt wird, sodass jede Position nur
mit einer Person besetzt wird. Auf der anderen Seite
würde dann der Ausgleich für die deutsche und die französische Seite zwischen den unterschiedlichen Ebenen
wiederhergestellt. Aber das sind wirtschaftliche Entscheidungen, die im Unternehmen zu treffen sind.
Als Koordinator der Bundesregierung für die Luftund Raumfahrt werde ich die Fortentwicklung des Unternehmens hellwach begleiten. Ich werde mit dem Unternehmen, den Betriebsräten, den Mitarbeitern sprechen, mit der Forschung, auch mit unseren Partnern im
europäischen Ausland. Ich wünsche mir, dass Airbus aus
diesem Prozess gestärkt hervorgeht - im Interesse seiner
Mitarbeiter, im Interesse des Technologiestandortes
Deutschland und, wie ich denke, im Interesse einer großartigen europäischen Idee.
Ich danke Ihnen.
({12})
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Andreae, Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben morgen eine Debatte zu diesem
Thema aufgrund eines Antrags der Linken. Da wir auch
heute über dieses Thema debattieren, erlauben Sie mir,
dass ich ganz kurz auf diesen Antrag eingehe.
Ich finde, der Antrag zeugt wieder von der ökonomischen Ahnungslosigkeit der Linken bei der Frage: Macht
es Sinn, das Ganze aus dem rein nationalen Blickwinkel
zu betrachten? - Sie fordern eine Sperrminorität für
Deutschland. Sperrminorität bedeutet 25 Prozent plus
eine Aktie. Das würde sich Frankreich aber nicht gefallen lassen; das heißt, Frankreich würde mindestens mit
25 Prozent plus einer Aktie nachziehen.
({0})
- Das ist von Ihnen beabsichtigt; Sie berücksichtigen dabei aber nicht die Folgen. - Das heißt, wir hätten eine
Verstaatlichung des Betriebes, die wir nicht wollen. Wir
halten daher den Antrag der Linken für falsch.
({1})
Was passiert im Moment? Airbus ist Teil des französischen Wahlkampfgetöses geworden. Da werden sinnige,
aber auch viele unsinnige Vorschläge gemacht. Die Gewerkschaften spielen Frankreich gegen Deutschland aus.
Sarkozy spricht sich gegen eine Doppelspitze aus und
unterstützt die Schaffung einer einzigen Spitze, natürlich
einer französischen.
Ich stimme darin überein, dass der Weg nicht sein
kann, die Balance aufzugeben und die Entwicklung hin
zu einem französischen Staatsbetrieb zuzulassen. Der
französische Wahlkampf zeigt, wie wichtig es ist, dass
sich die Politik aus unternehmerischen Entscheidungen
heraushält.
({2})
Eine Problemanalyse lohnt sich durchaus. Viele Redner haben bereits die Spätauslieferungen und die Managementfehler erwähnt, die zulasten der Beschäftigten
gehen. Aber man sollte schon den schwachen Dollarkurs
berücksichtigen, der einen Großteil des Problems ausmacht.
Auf der anderen Seite gibt es volle Auftragsbücher.
Im ersten, zweiten und dritten Quartal 2006 gab es Gewinne. Aktuell gibt es aber eine finanzielle Schwäche.
Aufgrund der Spätauslieferungen und der Strafzahlungen gibt es Einnahmeverluste und zusätzliche Ausgaben.
Das Unternehmen hat eine Kapitalerhöhung angekündigt. Am 4. Mai soll auf einer Hauptversammlung diese
Erhöhung beschlossen werden. Wir meinen, die staatlichen Anteile jetzt zu erhöhen, ist der falsche Weg.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, die Balance
müsse gehalten werden. Diese Auffassung teilen wir.
Wenn das Unternehmen eine Kapitalerhöhung für den
richtigen Weg hält, dann ist es in Ordnung. Aber diese
darf nicht über die Erhöhung der Staatsanteile erreicht
werden.
({3})
Ich möchte in diesem Zusammenhang erwähnen, dass
Ministerpräsident Oettinger aus Baden-Württemberg gewohnt unklar, aber doch sehr locker im Umgang mit
Steuergeldern vorgeschlagen hat, das Land solle seinen
Anteil erhöhen. Er tut so, als ob er so stimmberechtigte
Anteile erwerben könnte und als ob es irgendeine
Chance gäbe, dass das Land Baden-Württemberg über
eine Kapitalerhöhung Einfluss auf Standortentscheidungen hätte.
({4})
Wir brauchen Verlässlichkeit. Die Wirtschaft muss
sich mehr engagieren. Das derzeitige Hin und Her sorgt
dafür, dass der Aktienkurs sinkt. Wir wissen, dass Airbus
kein normales Unternehmen ist. Es besteht ein Interesse
an einem Work-share zwischen Unternehmen und Politik. Es gibt eine staatliche Beteiligung; es gibt Gewährleistungen und Bürgschaften. Außerdem gibt es ein Interesse des Bundes am Halten innovativer Technologien
im Lande.
Wir wissen, dass Airbus über Jahre hinweg hochprofitabel gearbeitet hat. Die Standorte sind sehr leistungsfähig. Die Standorte Varel, Laupheim und Nordenham
liegen mit ihrem Know-how im Ranking des Unternehmens ganz weit vorne. Die Innovationen müssen gehalten werden. Deswegen ist es wichtig, die Standorte zu sichern; das Know-how ist nicht disponibel.
({5})
Wir müssen die starken Standorte halten. Gleichzeitig
muss man dem Unternehmen aber die Freiheit lassen, zu
entscheiden, auf welche Weise es das tun will.
Die Aufgabe der Politik besteht darin, Innovationen
zu fördern, regionale Forschungskapazitäten zu unterstützen und das Know-how in diesen Regionen zu stärken. Die zurzeit vorhandene Schieflage muss behoben
werden. Das Unternehmen hat die Verantwortung für die
Krise. Zum Teil wurden - Sie haben es schon angesprochen - große Managementfehler gemacht. Aber bei alledem muss die Solidarität mit der Belegschaft bedacht
werden. Das Versprechen, keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen, muss nach unserer Meinung
gehalten werden.
Die letzten Wochen waren gekennzeichnet durch Verunsicherung und Hinhaltetaktik. Es wurden Ängste und
Sorgen geschürt. Das ist nicht verantwortungsbewusst.
Die Menschen dürfen nicht zum Spielball des französischen Wahlkampfs werden. An Airbus wird sich zeigen,
wie konkurrenz- und zukunftsfähig Europa im Wettbewerb mit den USA und mit China ist. Wir sind der Meinung, dass es wichtig ist, die Vision einer europäischen
Luftfahrtindustrie weiter zu beleben und Airbus langfristig zu einem produktiven und wettbewerbsfähigen Konkurrenten zu machen.
Vielen Dank.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ditmar Staffelt,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich will im Zusammenhang mit der heutigen
Aktuellen Stunde einige Punkte ansprechen. Zunächst
möchte ich ein kritisches Wort über unsere französischen
Freunde verlieren. Ich finde, wir haben das EADS- und
das Airbus-Geschäft bisher sehr erfolgreich gemeinsam
betrieben. Aber EADS ist auch ein Beispiel für - so will
ich es einmal formulieren - deutsch-französische Unternehmenszusammenarbeit. Das ist ein hohes Gut; mit diesem hohen Gut muss man behutsam umgehen.
Ich finde es gänzlich daneben, wenn wir in der sehr
schwierigen Lage, in der sich das Unternehmen befindet,
Diskussionen aus Frankreich hören, die wieder an die
Fragen anknüpfen, die wir schon vor Jahr und Tag im
Zusammenhang mit Herrn Forgeard, Herrn Humbert und
anderen Nachfolgefragen bei EADS und Airbus hatten:
Brauchen wir eine Doppelspitze? Sollen wir die Doppelspitze in eine Einpersonenspitze verändern, und wie
steht es um die Staatsanteile? - Trotz Wahlkampfs wäre
ein Stück Zurückhaltung sicherlich besser und der Sache
angemessen.
({0})
Ein zweiter kritischer Punkt, den ich hier anmerken
möchte, ist folgender: Daimler-Chrysler hat so etwas
wie eine Treuhänderschaft für unsere EADS-Anteile.
Deutschland hatte bis vor kurzem keine eigenen Staatsanteile. Es besteht auch heute nur in einem sehr indirekten Verfahren eine Beteiligung. Man sollte übrigens bei
allen Diskussionen nicht vergessen: Entgegen einigen
Meinungen hier haben wir nicht einmal einen Platz im
Aufsichtsrat. - Aber man sollte Daimler-Chrysler schon
einmal kritisch fragen: War es in dieser schwierigen Zeit
wirklich erforderlich, sich von einem Aktienanteil von
7,5 Prozent zu trennen?
({1})
Wäre es nicht besser gewesen, ein bisschen zuzuwarten,
bis das Unternehmen wieder stabiler ist, und dann über
diese Frage zu reden?
Ich erinnere übrigens an Folgendes: In meiner Zeit als
Staatssekretär im Wirtschaftsministerium waren beide
Seiten einig: Wir reduzieren den Anteil auf jeweils
15 Prozent. Der Free Flow an der Börse soll erhöht werden. - Genau das braucht das Unternehmen. Es benötigt
unternehmerische Beweglichkeit und nicht mehr staatlichen Einfluss.
({2})
Wir dürfen uns in keine Situation hineinmanövrieren, in
der beide Seiten glauben, nur über mehr staatlichen Einfluss könnten sie letztendlich das Wohl und Wehe des
Unternehmens bestimmen. Damit fährt man das Unternehmen gegen die Wand.
({3})
Dritter Punkt: Managementfehler. Auch diese Kritik
ist zwar richtig, hilft uns im Moment aber nicht weiter.
Ja, wir kämpfen um Arbeitsplätze; aber wir müssen auch
daran denken: Wie geht es in der Zukunft weiter?
Dazu will ich auch noch ein Wort verlieren. Ich verstehe die Betriebsräte; ich verstehe die Gewerkschaften,
die jetzt unmittelbar um jeden einzelnen Arbeitsplatz bei
Airbus kämpfen. Aber wir sollten auch nach den Chancen suchen. Wir sollten uns überlegen, ob Partner wie
Diehl, OHB oder Spirit, die alle schon in der Öffentlichkeit genannt worden sind, das Geschäft nicht sogar erweitern und ein breiteres Standing für bestimmte Unternehmensteile bewirken können.
Ich jedenfalls finde, wir sollten uns nicht in einen
Tunnel der Dunkelheit hineinbewegen, sondern bestehende Chancen nutzen. Da erwarte ich vom EADS-Management, dass uns nur Partner präsentiert werden, die
eine Güteklasse mitbringen, durch die das Geschäft
letztendlich auf breitere Füße gestellt wird und à la longue mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. Das ist eine
Voraussetzung, an der wir allesamt nicht vorbeigehen
können.
({4})
Schließlich ein Wort zu den Zulieferern. Wir reden
hier immer über die große Airbus-Familie; das ist auch
schön. Aber es gibt in diesem Lande Zulieferer, die unter
den Problemen, die im Zusammenhang mit dem A380
bestehen, massiv leiden, die Kapitalbindungen haben
und die in einem erheblichen Umfang in die Produktion
von Zulieferteilen für den A380 investiert haben. Denen
muss geholfen werden; die brauchen Unterstützung. Ich
bin dankbar - auch wenn es ein bisschen gedauert hat -,
dass sich das Wirtschaftsministerium jetzt dieser Frage
annimmt und denen, denen geholfen werden muss, Hilfe
zuteil werden lässt.
({5})
Mein letzter Punkt: Ja, wir wollen den Technologiestandort auch in der Luftfahrtindustrie erhalten und weiterentwickeln. Wir wollen die Arbeitsplätze erhalten.
Aber ich bitte, bei dieser Diskussion eines nicht zu
vergessen: Wir brauchen eine Wettbewerbsfähigkeit, die
uns in die Lage versetzt, gegenüber Boeing einen Auftritt zu haben, der letztlich erfolgreich ist und uns nicht
in die Defensive geraten lässt. Dies ist aller Anstrengungen wert. Hier gilt es auch, mit allen Möglichkeiten, die
Unternehmen haben, in die Zukunft zu investieren. Das
heißt nicht, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer freizusetzen; vielmehr muss genau überlegt werden, wie
viel Know-how wir langfristig brauchen
Herr Kollege!
- und wen wir im Zusammenhang mit der Restrukturierung im Unternehmen halten können.
Schönen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Franz Obermeier,
CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Airbus hat eine ganz besondere
Konstruktion in der deutschen und der europäischen Industriepolitik. Das Thema, das wir heute behandeln, mit
dem wir uns schon seit Wochen oder Monaten beschäftigen, ist einigermaßen obskur. Das, was Herr Staffelt
gerade hinsichtlich der Ursachenforschung und der Thematik vorgetragen hat, wie die Finanzierung des Unternehmens à la longue gesichert werden kann, war richtig
wohltuend. Es ist deswegen ein etwas obskures Thema,
weil ich nur selten Turbulenzen in einem Unternehmen
erlebt habe, das einen derart glänzenden Auftragsbestand hat, dem es nicht an Liquidität fehlt und in dem es
dennoch Schwierigkeiten gibt.
Wenn es das einzige Mittel ist, dieses erfolgreiche
Unternehmen zu filetieren, muss man das Ganze natürlich mit größter Vorsicht beobachten. Wenn es dazu
führt, wie es in anderen deutschen Großunternehmen der
Fall gewesen ist, dass zum Schluss die Mitarbeiter der
einzelnen Standorte durch unterschiedliche Verschlechterungen bei den Arbeitsbedingungen die Defizite bezahlen müssen, die man gemeinhin als Managementfehler bezeichnet, dann ist das ein hoher Preis. Angesichts
dessen sollten wir uns überlegen, wie man diesen Dingen begegnen kann.
Ich möchte, nachdem schon sehr viel Richtiges, aber
leider auch sehr viel Falsches gesagt worden ist, noch
einmal auf die Ursache eingehen. Wir müssen uns immer
wieder vor Augen führen, dass die enormen Entwicklungskosten für den A380 und für den A350 sowie die
Schwierigkeiten bei der Konfiguration der verkauften
A380 zu diesen Turbulenzen geführt haben. Das ist unumstößlich. Deswegen werden vermutlich mit Zeitverzögerung Liquiditätsprobleme eintreten.
Wenn sich nun der Ministerpräsident eines Bundeslandes aus der Sorge um die Arbeitsplätze an seinem
Hochtechnologiestandort dahin gehend einlässt, dass er
sagt: „Dann steigen wir dort ein“, Frau Kollegin
Andreae, halte ich das nicht für einen großen Fauxpax.
Das verstehe ich. Ich glaube zwar nicht, dass es so weit
kommen wird; aber ich verstehe, dass er sagt: Wenn ich
in Laupheim einen so tollen Betrieb mit einem so ausgeprägten Know-how habe, dann lasse ich den nicht über
den Jordan gehen. - Das muss man verstehen.
Lassen Sie mich noch etwas zu den professoralen Irrtümern des Herrn Schui sagen. Herr Schui, es gibt derzeit kein Liquiditätsproblem; das ist in der gestrigen
Ausschusssitzung klar dargelegt worden. Ihr Hinweis
auf die Problematik von Daimler-Chrysler und seine
Verluste bei anderen Geschäften ist nur vordergründig
richtig. Viele Jahre lang hat Daimler-Chrysler die Anteilsführerschaft bei Airbus innegehabt. Das ist eine Erfolgsgeschichte gewesen. In dieser Konstellation ist es
zu einem tollen Unternehmen geworden.
Vor der Debatte über diesen Tagesordnungspunkt
habe ich mit Franz Josef Strauß telefoniert. Ich soll Ihnen Grüße bestellen. Ich habe ihn gefragt: Was sollen
wir tun?
({0})
- Ja, er ist heute in München. - Er antwortete: Sucht die
Verantwortlichen, die euch da hineingeritten haben und
verprügelt sie verbal. Ansonsten seht zu, dass das Unternehmen erfolgreich weitergeführt wird. - Daran werden
wir arbeiten.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Garrelt Duin, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte auf den Punkt zurückkommen, der insbesondere
von Herrn Wend zu Beginn seiner Rede angesprochen
worden ist, und mich mit der Situation der Beschäftigten
befassen. Die Verunsicherung an den Standorten, und
zwar nicht nur an den Standorten, die jetzt möglicherweise verkauft werden, in Norddeutschland, aber auch in
Laupheim, ist zum Greifen. Die Beschäftigten wissen
nicht genau, was passieren wird. Die unklaren Entscheidungen einerseits und der Vertrauensverlust in das Management andererseits haben zu dieser Verunsicherung
der Beschäftigten geführt.
Führen wir es uns noch einmal vor Augen: Herr
Puttfarcken hat im Herbst des vergangenen Jahres gesagt, dass ein Verkauf deutscher Standorte kein Thema
sei, dass das nicht infrage komme. Zu Beginn dieses Jahres wurde die Entscheidung verschoben, weil man sich
noch nicht einig war. Am 28. Februar wurde dann
„Power 8“ präsentiert, aber in einer Art Salamitaktik. Angesichts dessen muss jeder von uns großes Verständnis für die Verunsicherung der Beschäftigten haben.
({0})
Ich will ein Beispiel für die Salamitaktik nennen:
Nordenham. Am ersten Tag stand in „Power 8“, man suche einen strategischen Partner für Nordenham. Wenige
Stunden später wird gesagt, man könne sich auch vorstellen, das Werk ganz zu verkaufen. - Mancher von uns
mag immer auf dem Laufenden sein - das will ich gar
nicht infrage stellen -, aber die Informationspolitik gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern war über
einen viel zu langen Zeitpunkt vollkommen unangemessen.
({1})
Sie ist es immer noch. Oder kennt irgendjemand eine
schlüssige betriebswirtschaftliche Begründung für die
einzelnen Maßnahmen? Warum soll Laupheim verkauft
werden? Gibt es dafür irgendeine sich im öffentlichen
Raum befindliche Begründung, die ein Betriebsrat den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieses Standorts geben könnte? Warum wird für Nordenham ein Partner gesucht, für Varel aber nicht?
Am 2. März 2007 war Herr Puttfarcken in Varel und
hat dort auf viele Fragen nur wenig geantwortet. Genau
ein Jahr zuvor, am 2. März 2006, wurde in Varel ein Jubiläum gefeiert, nämlich das 50-jährige Bestehen - natürlich in unterschiedlichen Konstellationen - dieses
Standortes. Herr Puttfarcken war damals Festredner und
hat den Beschäftigten dort gesagt, der Standort Varel sei
eine Perle im EADS-Verbund, man könne nicht auf ihn
verzichten. Wenn er ein Jahr später keine vernünftige
Antwort auf die Frage geben kann, warum gerade Varel
verkauft werden soll, dann kann ich die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter, die spontan die Arbeit niedergelegt haben, verstehen.
({2})
Auf was soll man sich dort verlassen?
Ich glaube, dass wir als Politiker in dieser Phase gefordert sind, uns dort so einzusetzen, wie das Herr Minister Hirche hier dankenswerterweise dargestellt hat.
Ich denke, dass das nicht allein Aufgabe der betroffenen
Bundesländer ist, sondern dass Bund und Länder das als
gemeinsame Aufgabe betrachten müssen; denn sonst
werden wir wenig Chance auf Erfolg haben. Es geht um
die Frage, wie wir uns einbringen können, damit wir an
den angesprochenen Standorten auch künftig an der
technologischen Entwicklung teilhaben; denn um die
technologische Entwicklung geht es doch. Ein Standort,
der ausgelagert wird, der nicht mehr in den Verbund gehört, wird an der technologischen Entwicklung bei Airbus jedenfalls nicht mehr teilhaben. Das ist die Gefahr,
die besteht. An manchen Standorten wird dann zum Beispiel in CFK-Technologie investiert; aber die, die das
zurzeit noch nicht tun, werden von dieser Entwicklung
abgekoppelt. Ich finde, das sollten wir nicht zulassen.
({3})
Das bringt mich zu dem Thema: gemeinsames Vorgehen von Politik und Staat. Politik und Staat werden gerne
in Anspruch genommen, wenn es um den Ausbau von
Landebahnen oder um das Zurverfügungstellen von entsprechenden Studienplätzen geht. Es kann aber nicht
sein, dass sich der Staat bei allen anderen Entscheidungen heraushalten soll. Rosinenpickerei kann auch hier
nicht zugelassen werden.
({4})
Mein letzter Punkt. Ich will mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanken: bei dem Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrates, Rüdiger Lütjen, und seinem Stellvertreter,
Thomas Busch, aber auch bei der IG Metall Küste, bei
Jutta Blankau und anderen. Sie alle haben dafür gesorgt,
dass man sich an den betroffenen Standorten in diesen
Stunden und Tagen sehr besonnen verhalten hat. Wir erleben bei den Partnern in Frankreich, dass das auch anders ausgehen kann: Dort wiegelt man auf, ganz anders
als hier, wo wir trotz der Ängste, die vorhanden sind, mit
dieser Problematik besonnen und vernünftig umgehen.
({5})
Das ist den Arbeitnehmervertreterinnen und Arbeitnehmervertretern in diesen Unternehmen zu verdanken. Ich
denke, dass es von dieser Stelle aus einmal dieses ausdrücklichen Dankes bedurfte.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Martina Krogmann,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte gegen Ende dieser Aktuellen Stunde gern einige Punkte besonders herausheben. Lassen Sie mich
erstens sagen, dass ich finde, dass wir hier im Deutschen
Bundestag eine sehr sachliche Debatte hatten. Das hebt
sich sehr wohltuend ab von den schrillen Tönen, die aus
dem französischen Wahlkampf zu hören sind. Bei dieser
Linie sollten wir bleiben.
({0})
Zweitens möchte ich ausdrücklich unterstützen, was
Sie, Herr Duin, eben sagten. Ich glaube, dass auch unsere Arbeitnehmervertreter und die Mitarbeiter an den
Standorten einen besonnenen Kurs fahren und eben nicht
versuchen, einzelne Standorte gegeneinander auszuspielen, sondern im Gegenteil sagen: Wir haben nur die
Chance auf Zukunft, wenn wir ein Gesamtkonzept hinbekommen und zusammenhalten, auch wenn die Zeiten
jetzt schwierig sind. - Das ist für Deutschland in der Tat
ein Standortvorteil.
({1})
Drittens. Lassen Sie mich allen Diskussionen zum
Trotz, wonach sich Airbus in der Krise befindet und ein
Imageschaden entstanden ist, unterstreichen: Diese
Branche ist eine Zukunftsbranche. Der neue Luft- und
Raumfahrtkoordinator der Bundesregierung hat dies vorhin unterstrichen: 2005 und 2006 waren, gemessen an
der Zahl der ausgelieferten Flugzeuge, die erfolgreichsten Jahre für Airbus. Für die nächsten 20 Jahre wird
- Herr Minister Hirche hat vorhin darauf hingewiesen ein Bedarf von fast 23 000 neuen Flugzeugen errechnet.
Das heißt also, die Branche ist nicht etwa marode, ihr
fehlt es auch nicht an Aufträgen, sondern sie befindet
sich derzeit lediglich in einer - durch Managementfehler
verursachten - Krise.
Ich freue mich, dass die Bundesregierung jetzt - wenn
auch ein Jahr zu spät aus meiner Sicht - Staatssekretär
Peter Hintze zum Koordinator der Bundesregierung für
Luft- und Raumfahrt ernannt und damit zum zentralen
Ansprechpartner gemacht hat.
({2})
Herr Staatssekretär, indem Sie bereits eine Woche nach
Ihrer Berufung das Airbuswerk in Stade besucht haben,
haben Sie ein klares Zeichen für die Zukunftsfähigkeit
der gesamten Branche gesetzt. Stade ist führend in der
Welt, was die CFK-, die neue Kohlefaserverbundstofftechnologie, anbetrifft. Dort ist, auch durch kluge Ansiedlungspolitik, das CFK-Valley gegründet worden. In
ihm sind inzwischen 500 Arbeitsplätze entstanden, auch
bei kleineren und mittleren Unternehmen; die gehören ja
auch dazu. Stade ist ein Hochschulstandort geworden für
diese neue Technologie. Deshalb fand ich es ein bemerkenswertes Signal, dass Ihr erster Besuch nach Stade
ging. Sie haben damit gezeigt: Der Standort Deutschland
insgesamt hat die Chance, vorne mit dabei zu sein und
von den großen Chancen, die dieses europäische Projekt
in den nächsten Jahren bietet, zu profitieren.
({3})
Natürlich war das auch ein klares Signal für die Beschäftigten. Die Verunsicherung bei den Mitarbeitern der
Werke - ich weiß es vor allem für Niedersachsen zu beurteilen, weil ich von dort komme -, aber auch bei den
Mitarbeitern der Zulieferbetriebe ist enorm groß. Dazu
beigetragen hat die Kommunikationspolitik des Unternehmens: Entscheidungen wurden in Salamitaktik präsentiert, und die Arbeitnehmervertreter, die Betriebsräte,
wurden teilweise spärlich, teilweise spät informiert. Die
Mitarbeiter und die Betriebsräte erwarten, dass sie in den
Entscheidungsprozess künftig stärker eingebunden werden. Ich teile diese Auffassung und fordere von hier aus
die Konzernführung auf, die Betriebsräte stärker einzubinden.
({4})
Denn eines ist klar: Mit dem Programm „Power 8“
steht zwar der Rahmen. Aber das letzte Wort kann noch
nicht gesprochen sein, weil die Feinsteuerung, weil viele
entscheidende kleine Dinge wie die Verteilung ganzer
Bauteile noch gar nicht feststehen. Es wird in den nächsten Wochen und Monaten darauf ankommen, dass es uns
gelingt, die faire Balance zwischen Deutschland und
Frankreich im Konzern auch bei den Zukunftschancen,
bei den Zukunftstechnologien zu wahren.
({5})
Vieles ist schon gesagt worden zum Einfluss des Staates. Natürlich liegen die operativen Entscheidungen in
der Verantwortung des Managements; das ist völlig klar.
Man darf aber nicht vergessen, dass EADS immer auch
ein politischer Konzern war; er ist ja auch politisch entstanden: als europäisches Projekt, als Erfolgsprojekt.
Deshalb - lassen Sie mich das als letzten Punkt sagen habe ich wenig Verständnis dafür, wenn es aus der Wissenschaft und - glücklicherweise nicht heute, aber sonst aus den Reihen der Liberalen heißt, wir bräuchten vom
Schreibtisch aus eine klare ordnungspolitische Linie,
und theoretisch darüber philosophiert wird, dass der
Staatsanteil zurückgedrängt werden sollte.
Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit schon sehr
deutlich überschritten.
({0})
Frau Präsidentin, wenn Sie mir noch ein paar Worte
erlauben würden, auch weil es so richtig ist, wie mein
Kollege Wend bemerkt! - Deshalb ist es wichtig, die
Verantwortlichkeiten ganz klar zu trennen: Das Unternehmen trifft die operativen Entscheidungen, und die
Politik hat dafür zu sorgen, dass bei diesem europäischen Projekt die Balance, auf die man sich geeinigt hat,
auch in Zukunft erhalten bleibt.
Vielen Dank.
({0})
Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Kollege Martin Dörmann, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Unternehmen Airbus ist in Turbulenzen geraten.
Jetzt kommt es darauf an, dass mit klaren, zukunftsorientierten unternehmerischen Entscheidungen ein stabiler
Kurs eingeschlagen wird, um die Erfolgsgeschichte, die
Airbus ist, fortzuschreiben. Dabei muss ein Weg gefunden werden, der sowohl die Wettbewerbsfähigkeit als
auch die Beschäftigung dauerhaft sichert. Nur so kann
die Perspektive der wichtigen Zukunftsbranche Luftfahrtindustrie auch in Deutschland langfristig gestärkt
werden.
In erster Linie geht es dabei - das wurde heute schon
an mehreren Stellen erwähnt - um Entscheidungen, die
die Unternehmensleitung von Airbus und EADS zu treffen hat, und zwar im Rahmen eines Gesamtkonzepts, das
dann zusammen mit den betroffenen Arbeitnehmervertretern umzusetzen ist. Klar ist aber - auch das ist bereits
angesprochen worden -: Airbus ist kein Unternehmen
wie jedes andere. Der Einfluss der Politik ist noch immer
größer als anderswo. Das hat mit der Geschichte von
Airbus und mit den erheblichen staatlichen Hilfen zu
tun, die damit verbunden sind, aber auch mit seiner Eigenschaft als ein europäisches Gemeinschaftsprojekt, in
dem vor allem Frankreich und Deutschland eine besondere Rolle spielen.
Auf genau diesen Aspekt möchte ich gerne näher eingehen. Es ist wahr: Die deutsch-französische Partnerschaft wird gerade in diesen Tagen auf eine besondere
Probe gestellt. Für die Zukunft des Unternehmens wird
viel davon abhängen, wie diese Herausforderungen gelöst werden. Ziehen Deutschland und Frankreich an einem Strang, oder lassen sie sich in schwierigen Zeiten
auseinanderdividieren?
Immerhin, der gefundene Kompromiss gibt Anlass
zur Hoffnung, dass man mit vereinten Kräften nach
vorne schreitet. Deshalb will ich der Bundesregierung
ausdrücklich dafür danken, dass sie sich erfolgreich für
eine faire Verteilung der Lasten unter den beteiligten Nationen eingesetzt hat. Ich will in diesen Dank auch die
vielen Kolleginnen und Kollegen aus diesem Haus, insbesondere die aus den Koalitionsfraktionen, einbeziehen; auch wir in Berlin haben in den letzten Wochen
nämlich eine ganze Reihe von Gesprächen mit den Verantwortlichen, insbesondere mit denen von EADS, geführt.
({0})
Mit ihrer Unterstützung konnte erreicht werden, dass
Deutschland weiterhin ein entscheidender Produktionsstandort bleibt, und zwar sowohl im Hinblick auf die
Kernkompetenzen und die wichtige CFK-Technologie
als auch bei der Fertigung des Modells A380 und der
A320er-Familie.
Einige aktuelle Äußerungen französischer Politiker,
die auf eine Ausweitung des französischen Einflusses
setzen, machen uns jedoch Sorgen. Ich sage an dieser
Stelle sehr deutlich: Das werden wir nicht zulassen. Wer
glaubt, er könne einseitig zulasten der deutschen Seite
französische Interessen durchsetzen, wird scheitern. Er
würde letztendlich nur den Erfolg des Unternehmens
aufs Spiel setzen, und er würde eine ernste Belastungsprobe für die deutsch-französische Partnerschaft heraufbeschwören. Das kann niemand wollen. Ich glaube allerdings, dass sich, wenn das Wahlkampfgeklingel
abgeklungen ist, auch in Frankreich die vernünftigen
Positionen durchsetzen werden, die eine faire Partnerschaft wollen. Das interne Konkurrenzdenken muss jetzt
so schnell wie möglich überwunden werden. Es geht in
erster Linie darum, in der Konkurrenz mit Boeing vorne
zu liegen, nicht untereinander.
Die Zahlen von Airbus sind nach wie vor beeindruckend: Die Auftragsbücher sind mit über 2 500 Bestellungen voll. Mit 434 Auslieferungen - das waren übrigens mehr, als Boeing vorzuweisen hatte - ist im letzten
Jahr eine Rekordzahl erreicht worden. Die Produktion ist
für fünf Jahre ausgelastet.
Diese Tatsachen machen es den Beschäftigten in den
Betrieben natürlich schwer, einzusehen, dass nun seitens
der Unternehmensleitung ein Sanierungsprogramm aufgelegt wird, das viele Tausend Beschäftigte belastet. Sie
leisten nach wie vor hervorragende Arbeit und sind hoch
qualifiziert. Sie sind nicht schuld daran, dass das Unternehmen gegenüber Boeing unter erheblichem Kostendruck steht und ein Sparprogramm vorlegen muss. Nein,
neben den besonderen Nachteilen aufgrund der Abhängigkeit vom Dollarkurs waren es vor allem gravierende
Fehler des früheren Managements, die das Unternehmen
in diese Turbulenzen gebracht haben. Insofern ist die
Wut in den Betrieben vor Ort mehr als verständlich.
Es ist jetzt Sache der Unternehmensleitung, das verloren gegangene Vertrauen der Belegschaften zurückzugewinnen, und zwar durch klare und faire Konzepte,
durch eine offene Kommunikation und durch das aktive
Einbeziehen der Arbeitnehmervertreter in die weiteren
Planungen. Je schneller die Beteiligten eine gemeinsam
getragene Linie finden, umso besser für die Wettbewerbschancen von Airbus.
Die Politik wird diesen Prozess unterstützen. Sie
sollte sich aber nicht in einzelne unternehmerische Entscheidungen einmischen. Airbus wird auf Dauer umso
erfolgreicher sein, je mehr sich die Politik aus dem Unternehmen heraushalten kann. Auch unter diesen Ge8558
sichtspunkten ist zu wünschen, dass Deutschland und
Frankreich an einem Strang ziehen. Uns muss das Ziel
einen, die Erfolgsgeschichte Airbus gemeinsam fortzuschreiben, und zwar im Interesse der Beschäftigten und
im Interesse der europäischen Luftfahrtindustrie als einer wichtigen Zukunftsbranche.
Vielen Dank.
({1})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz
Meyer ({0}), Eckhardt Rehberg, Wolfgang
Börnsen ({1}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Dr. Margrit Wetzel, Garrelt Duin, Dr. Rainer Wend,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Maritime Wirtschaft in Deutschland stärken
- Drucksache 16/4423 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({3}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Rainder Steenblock, Winfried
Hermann, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Umweltfreundliche Stromversorgung von
Schiffen in Häfen unterstützen
- Drucksachen 16/2791, 16/4457 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Margrit Wetzel
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Dagmar Wöhrl.
({4})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nicht nur die Koordinatorin der Bundesregierung für die
maritime Wirtschaft sollte um die große Bedeutung der
maritimen Wirtschaft wissen. Dieser Wirtschaftszweig
ist ein wichtiger Anker des Wirtschaftsstandorts
Deutschland. Hier geht es nicht nur um den Schiffbau,
die Häfen und die Schifffahrt, sondern unter anderem um
die Meerestechnologie und so wichtige Themen wie die
Förderung von Öl- und insbesondere Gastechnologien,
das energieeffiziente Schiff sowie den Transport von Öl
und Gas, mit denen wir uns in Zukunft verstärkt befassen werden. Was ich damit sagen will: Dieser Bereich ist
hochinnovativ. Wenn man sieht, dass heute über
90 Prozent der internationalen Warenströme über das
Meer abgewickelt werden, dann muss man feststellen,
dass wir ohne diesen Bereich nicht - darauf sind wir
stolz - Exportweltmeister wären.
({0})
Davon profitieren nicht nur die Küstenländer. Vielmehr kommt der größte Teil der über 70 000 Beschäftigten der großen Zulieferer im Schiffbau aus den süddeutschen Bundesländern. Dieser Bereich hat sicherlich
schwierige Zeiten mit strukturellen Veränderungen
hinter sich. Aber nun sind die Zeiten gut. Die Auftragsbücher der Werften sind voll, teilweise bis 2010. Wir stehen mit unseren Werften international an der Spitze,
weltweit belegen wir den vierten, europaweit den ersten
Platz. Zudem verfügen wir über die drittgrößte Handelsflotte mit den modernsten Containerschiffen. Die Containerhäfen boomen. Ihr Umsatz soll sich laut Prognosen
bis 2050 verdoppeln. Allein in diesem Jahr erwarten wir
einen Umschlag von 320 Millionen Tonnen.
So positiv das alles ist, es zeigt auch, dass die Herausforderungen in diesem Bereich zunehmen werden und
dass unsere Verkehrsinfrastruktur leistungsfähig sein
muss. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an den
kombinierten Verkehr und die Hinterlandanbindungen.
Das von uns in Kraft gesetzte Infrastrukturbeschleunigungsgesetz muss zur Anwendung kommen, um die Projekte, die im Investitionsrahmenplan aufgeführt sind,
schnell zu realisieren.
({1})
Es sind Erfolge da; das ist unstrittig. Aber das heißt
nicht, dass wir uns zurücklehnen dürfen und sagen können: Wunderbar, es läuft alles, und die Auftragsbücher
sind voll. Die Erfolge dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Branche sich in einem harten Preiskampf befindet und einem sehr starken Verdrängungswettbewerb ausgesetzt ist. Die Schwellenländer schlafen
nicht. Sie investieren inzwischen mehr in Forschung und
Entwicklung sowie in Ausbildung als wir. Zukünftig
werden sie sich nicht länger nur auf den Bau von Standardschiffen konzentrieren und uns den Bau von Spezialschiffen überlassen. Vielmehr werden sie zu einer
ernst zu nehmenden Konkurrenz im Bereich des hochtechnologischen Schiffbaus.
({2})
Im Übrigen werden nicht nur die jetzt schon bekannten Konkurrenten auf dem Weltmarkt aktiv sein, sondern
es werden auch neue Konkurrenten hinzukommen. Die
Vietnamesen, Brasilianer und Indonesier sind schon in
den Startlöchern. Das bringt für uns große Herausforderungen mit sich, mit denen wir uns auseinandersetzen
müssen.
({3})
Wenn wir wettbewerbsfähig bleiben und unsere Weltmarktanteile weiter ausbauen wollen, dann müssen wir
Forschung und Entwicklung ausbauen und noch stärker
in Innovationen investieren.
({4})
Wir als Regierung haben unsere Hausaufgaben dahin
gehend gemacht, dass wir unsere Förderprogramme in
Forschung, Entwicklung und Innovation auf 150 Millionen Euro bis zum Jahr 2009 aufgestockt haben. Jetzt
kommt es darauf an, dass die vorhandenen Förderprogramme auch in Anspruch genommen werden. Daran
mangelt es leider.
Wenn wir uns fragen, warum die Förderprogramme
nicht genutzt werden, stellen wir fest, dass die Ursache
dafür in der Rückforderung der Fördermittel liegt, die es
in anderen Ländern - zum Beispiel Frankreich - nicht
gibt.
Ähnlich verhält es sich mit dem CIRR-Zinsausgleichsystem für Schiffsfinanzierungen. Alle anderen Länder
mit Ausnahme von Deutschland wenden es an. Bei der
Vergabe von Aufträgen ist es oft das Zünglein an der
Waage, ob dieses Instrumentarium zur Anwendung
kommt.
({5})
Wir haben viele Aufträge an unsere Mitwettbewerber im
Ausland verloren, weil das System in den letzten zwei
Jahren nicht genutzt worden ist.
Wir müssen uns bemühen, mit dem Finanzministerium zu einer Einigung zu kommen, um eine andere
Grundlage zu finden. Wir haben inzwischen Gespräche
geführt, und ich bin zuversichtlich, dass wir zukünftig
neue Wege einschlagen können, um die Wettbewerbsvoraussetzungen an die anderer Länder anzugleichen.
({6})
Unsere Fünfte Maritime Konferenz war, glaube ich,
ein großer Erfolg. Wir sind vorangekommen. Wir haben
ein Pflichtenheft auferlegt, das es abzuarbeiten gilt. Forschung und Entwicklung waren ein Schwerpunktthema,
die Ausbildung ein weiteres. Das ist zu begrüßen, weil
dieser Bereich nicht nur für die Zukunft wichtig ist, sondern weil bereits jetzt ein großer Fachkräftemangel im
Schiffsbaubereich besteht, sei es an Ingenieuren, Nautikern oder Schiffsbetriebstechnikern. Ich bin froh, dass
die Bedeutung dieses Themas erkannt worden ist und
dass jetzt alle - die Sozialpartner, die Länder, die Politik
oder die maritime Wirtschaft - an einem Strang ziehen.
Wir müssen zu Ergebnissen kommen. Es geht nicht
länger an, dass uns über 500 Nautiker per anno fehlen.
Wir brauchen in diesem Bereich zusätzlich 120 Ingenieure im Jahr. In den Ingenieurstudienfächern beträgt
die Abbrecherquote derzeit 40 Prozent. Die Zahl derjenigen, die ihr Studium zum Abschluss bringen, ist viel zu
gering.
Für uns heißt dies: Wir müssen für diese hoch innovative, technologisch orientierte Branche werben.
({7})
Jungen Menschen bietet sich eine große Zukunftschance, wenn sie diesen Berufsweg einschlagen. Es ist
wichtig, dass wir das Image einer hilfebedürftigen Sunsetindustrie abstreifen und deutlich machen, was es mit
der maritimen Wirtschaft und der Schiffsbauindustrie
auf sich hat. Wir sind stolz auf diese Industrie in unserem Land.
({8})
Wir müssen aber auch die vorhandene Wettbewerbsfähigkeit erhalten und ausbauen. Ich glaube, wenn alle
zusammen an einem Strang ziehen, dann braucht es uns
darum nicht bange zu sein.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Hans-Michael Goldmann,
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich möchte mich vorweg ganz herzlich
bei Ihnen, Frau Wöhrl, für die gute Rede und die von
Ihnen übermittelte Botschaft bedanken. Man hat gemerkt, dass die maritime Wirtschaft Ihnen am Herzen
liegt und in Ihrem Kopf verankert ist. Das war ein sehr
positives Signal. Wenn Sie demnächst einmal wieder
auf der Meyer-Werft in Papenburg sind, dann können
Sie auch mich gerne einladen; denn ich komme aus der
Stadt, und wir in der Region sind stolz darauf, dass am
letzten Wochenende gerade wieder ein Schiff der
Meyer-Werft ausgedockt wurde, das am nächsten Wochenende die Ems herunterfährt. Wenn Sie sich ein
Bild davon machen wollen, wie leistungsfähig die maritime Wirtschaft ist, dann können Sie das verfolgen.
Die Aida Diva wird Ihren kühnsten Erwartungen entsprechen.
({0})
Liebe Freunde, seit vielen Jahren bemühe ich mich,
wie auch Kollegen in der FDP insgesamt, um die maritime Wirtschaft. Wir sehen das Thema aber nicht so eng,
wie Sie es in Ihrem Antrag zum Ausdruck gebracht haben, obwohl ich viele Dinge in dem Antrag richtig und
gut finde. Unser Ansatz entspricht vielmehr dem der EU,
die ein Grünbuch veröffentlicht hat, das im Moment diskutiert wird und in dem der gesamte maritime Sektor, die
Meerespolitik als Einheit gesehen wird. Ich finde es
schade, dass Sie mit Ihrer Mehrheit verhindert haben,
dass unser Antrag heute auf die Tagesordnung kommt.
Das ist bei denjenigen, die sich für die maritime Wirtschaft insgesamt engagieren, nicht angebracht.
({1})
Meine Kollegen aus dem Umweltbereich, dem europäischen Verkehrsbereich und dem Forschungsbereich
und ich haben an diesem Antrag mitgewirkt. Ich glaube,
wenn Sie ihn lesen, werden Sie feststellen, dass wir sehr
viele Dinge aufgreifen und an viele Dinge anknüpfen,
die wichtig sind. Es geht um die Vernetzung der Küste
mit dem Binnenland. Frau Staatssekretärin Wöhrl, Sie
haben zum Ausdruck gebracht, dass die Zeit, in der wir
mit dem Rücken zum Meer standen, endgültig zu Ende
sein muss. Ich finde es gut, dass Sie auch die Verbindung
zur Wertschöpfung im Binnenland hergestellt haben. Die
Maschinen in den großen deutschen Schiffen kommen
nicht nur aus Papenburg, Leer, Emden, Bremen oder
Nordenham, sondern sogar überwiegend aus Nürnberg,
Augsburg und aus dem Münchener Raum.
Wir brauchen gleiche Wettbewerbschancen für die
maritime Wirtschaft. Sie haben den Bereich der Bildung
in diesem Zusammenhang völlig zu Recht angesprochen. Ich habe mit Nachdenklichkeit verfolgt, welche
Diskussionen es zum Beispiel in Niedersachsen über
eine Seefahrtsschule in Leer und eine in Elsfleth gegeben hat. Als ob es da eine Konkurrenz gäbe! Ganz im
Gegenteil, da ist ein gegenseitiges Befruchten möglich.
Das wird der maritimen Wirtschaft insgesamt nützen.
Wir müssen den Bereich Safety & Security in besonderer Weise im Auge behalten. Ich finde es gut, dass Sie
in Ihrem Antrag die Überlegung ansprechen, das Havariekommando weiterzuentwickeln. Ich kann nur sagen:
Tun Sie es bitte. Wir können durchaus sinnvolle Weichenstellungen vornehmen.
({2})
Es geht um Küstenschutz - das ist überhaupt keine
Frage -, und es geht natürlich um das, was sich vor den
Deichen tut. Ganz konkret geht es, insbesondere vor dem
Hintergrund der globalen Erwärmung, um Deichschutz.
Ich sage hier in aller Deutlichkeit: Die anderen Bundesländer können die Küstenländer bei Maßnahmen des
Deichschutzes nicht alleine lassen. Die Lasten können
wir nicht tragen. Da brauchen wir die Hilfe aller Bundesländer.
({3})
Zudem brauchen wir eine schlanke, transparente Verwaltung - Sie alle kennen die lange Diskussion über die
Effektivität der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung und einen aktivierenden Staat. Wir werden auf die Dauer
nicht in der Lage sein, öffentliche Infrastrukturmittel in
einem Maße bereitzustellen, wie es erforderlich wäre,
um schnell auf das Potenzial in diesem Bereich reagieren
zu können. Wir bauen in einer Kraftanstrengung einen
großen Hafen in Wilhelmshaven und diskutieren über
die Notwendigkeit der Vertiefung von Elbe und Weser.
Es kann nicht angehen, dass das eine Bundesland sagt,
die Deiche seien nicht sicher, das andere Bundesland
aber unbedingt eine Vertiefung der Elbe will, um auch
die ganz großen Pötte nach Hamburg zu bringen. Wir
müssen über Feederverkehre nachdenken. - In all diesen
Bereichen müssen wir zu gemeinsamen Lösungen kommen und zusätzliche Aktivitäten entwickeln.
Frau Staatsekretärin, Sie haben die bedarfsgerechte
Infrastruktur angesprochen. Ich finde es gut, dass es
die maritimen Konferenzen gibt. Die Weichen dafür
wurden im ostfriesischen Raum gestellt. In diesem Zusammenhang muss man Reinhold Robbe erwähnen, aber
auch den ehemaligen Bundeskanzler.
({4})
- Von mir aus auch gerne Sie, Herr Duin. Das ist mir
völlig schnuppe. Hauptsache, wir ziehen im Bereich der
maritimen Wirtschaft an einem Strang. Wir sind uns darüber im Klaren, dass wir, um in diesem Bereich das
Potenzial zu nutzen, zu einem klugen Miteinander von
Naturschutzinteressen und der Erschließung von zusätzlichem Umschlagspotenzial kommen müssen. Dabei
müssen wir unbedingt auch die ökologischen, sozialen
und marktwirtschaftlichen Gesichtspunkte im Auge behalten.
({5})
Ich habe immer wieder die Sorge, dass nicht alle diese
Dinge verinnerlichen. Wir sind auf den Nationalpark
Wattenmeer stolz. Wir sind stolz darauf, dass die Ems in
den Geltungsbereich der FFH-Richtlinie fällt. Wir sind
nicht bereit, unsere Potenziale in diesem Bereich grundsätzlich zu opfern, weil der eine oder andere darin eine
unzulässige oder eine uns Probleme schaffende ökologische Belastung sieht. Ich meine, wir können die Dinge
miteinander in Einklang bringen.
Aber es ist natürlich eine Katastrophe, wenn man bei
der Errichtung eines Emssperrwerkes Lastwagen
braucht, um Unterlagen wie Aktenordner durch die Gegend zu transportieren. Wir befinden uns immer noch in
rechtlichen Auseinandersetzungen. Ich meine, wir müssen klipp und klar sagen: Vorfahrt für Umweltschutz,
aber auch Vorfahrt für Arbeitsplätze, die in diesem Bereich entstehen können.
Ich bitte Sie alle darum, mitzuarbeiten und sich mit
dem Grünbuch „Die künftige Meerespolitik der EU“ zu
beschäftigen. Nebenbei gesagt, es ist im Jahr 2006 veröffentlicht worden; es ist also nicht ganz neu. Deswegen
ist es erstaunlich, dass wir hier darüber bis jetzt so wenig
reden konnten. Wir haben zu diesem Thema eine Anhörung durchgeführt. Ich war sehr froh darüber, dass das
Who’s who der deutschen maritimen Wirtschaft in Bremen war. Wir haben die Dinge gründlich beleuchtet.
Ich kann Sie nur bitten: Lesen Sie unseren Antrag,
und gehen Sie auf ihn ein! Lassen Sie uns die Angelegenheit gemeinsam weiterentwickeln! Lassen Sie uns
auch darüber nachdenken, ob die Weichenstellung, die
Sie mit der Unternehmensteuerreform vornehmen, für
die maritime Wirtschaft klug ist! Die Zinsschranke bedeutet für eine Werft wie die Meyer-Werft, die für so einen „Pott“ am Anfang 10 Prozent von 450 Millionen Euro bekommt, unüberwindbare Hindernisse. Diese
Hindernisse kann sie allein nicht überwinden, und dieses
Problem wollen wir gemeinsam mit ihr lösen. Meiner
Meinung nach darf es da keinen Unterschied zwischen
den Parteien geben; vielmehr müssen einfach kluge Weichenstellungen vorgenommen werden, um die maritime
Wirtschaft insgesamt voranzubringen.
({6})
Was haben wir, sämtliche Mitglieder der Parlamentariergruppe Binnenschifffahrt, um § 6 b Einkommensteuergesetz gekämpft! Es ist gut, dass diese Weichenstellung mittlerweile vorgenommen worden ist; aber das
reicht nicht aus. Frau Wöhrl, Sie haben es angesprochen:
Es geht in ganz entscheidender Weise darum, die Einstellung zur maritimen Wirtschaft dahin gehend zu
ändern, dass die Menschen die Chancen erkennen, die in
diesem Bereich liegen. Wer aus dem Binnenland kommt
und die Geschehnisse vor Ort vielleicht nicht so gut
kennt, der sollte nicht nur nach Hamburg und Bremen
fahren, sondern zum Beispiel auch einmal nach Papenburg oder nach Leer. Sie wissen ja alle, dass Leer die
zweitgrößte Reederstadt der Bundesrepublik Deutschland ist. Dort kann man verfolgen, wie klug es ist, auf
dem Gebiet der maritimen Wirtschaft zusammenzuarbeiten, um gemeinsam Erfolg im Hinblick auf Arbeitsplätze
und die Chancen, die in diesem Bereich liegen, zu haben.
Herzlichen Dank.
({7})
Die „Aida“ soll am Sonntag zu Wasser gelassen werden.
Da sie nicht so furchtbar viel Tiefgang hat, gehe ich einmal davon aus, dass das Ganze auch klappt.
Herr Kollege Goldmann, Sie haben schon „Herzlichen Dank“ gesagt.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Margrit Wetzel,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Goldmann, an Fritz Niemeiers Geburtstag hat Bundeskanzler Gerhard Schröder 1999 in Emden die maritimen Konferenzen ins Leben gerufen und damit einen Dialog zwischen Politik und Wirtschaft geschaffen, der den
Blick auf einen Wachstumsmotor in Deutschland richtet und fragt: Was kann eigentlich jeder der Beteiligten
tun, um diesen Wachstumskurs trotz knallharter weltweiter Konkurrenz zu stützen und zu fördern? Er hat damit
wesentlich zur Erfolgsgeschichte der maritimen Wirtschaft in Deutschland beigetragen.
Die Auftragsbücher der Werften sind voll. Immer
mehr Schiffe werden gebraucht. Der Deutsche Bundestag ist - ich glaube, das kann ich für alle Beteiligten
sagen - stolz auf die Flexibilität, die Innovationsfreudigkeit, die Zuverlässigkeit und die Liefertreue der deutschen Werften.
({0})
Größe, wie sie die asiatischen Werften aufweisen, ist
längst nicht alles. Die Sozialpartner halten in diesem Bereich wie kaum irgendwo anders fest zusammen, um innovative Aufträge und zukunftssichere Arbeitsplätze zu
erhalten und auszubauen.
Zu Recht kümmert sich die Politik jetzt darum, ob
und, wenn ja, wie das Kreditzinssicherungssystem CIRR
wettbewerbsfähig umgestaltet werden kann und wie es
mit der Innovationsförderung aussieht, die von manchen
Werften überhaupt nicht in Anspruch genommen werden
kann. Wir müssen deshalb die bedingte Rückzahlbarkeit
auf den Prüfstand stellen. Wir müssen dies sehr ernsthaft
tun; denn im deutschen Schiffbau steckt vor allem Entwicklung.
Außerdem gilt: Wir brauchen Nachwuchs; denn der
Jagd der asiatischen Konkurrenten nach Marktanteilen
können die Länder - das betone ich - nur durch Investitionen in die Nachwuchsförderung begegnen. Wir können ihr begegnen, indem wir unseren Standort mit
wettbewerbsfähigen steuerlichen Rahmenbedingungen
langfristig sichern.
Diesen Erfolgskurs müssen wir auch in der Meeresforschung, in der Meerestechnik und in der OffshoreIndustrie fortsetzen. Ergebnisse aus Forschung, Entwicklung und Aufbau müssen jetzt in dauerhafte Wertschöpfung, in Marktanteile und Exportfähigkeit sowie in
sichere Arbeitsplätze in Deutschland umgewandelt werden. Deshalb müssen wir unsere EU-Ratspräsidentschaft
auch dazu nutzen, eine eigenständige Forschungs- und
Förderstrategie aufzubauen.
({1})
Ich freue mich darüber, dass wir uns so einig sind.
({2})
Der Klimawandel zwingt uns geradezu, die Aktivitäten in polaren Zonen und in der Tiefsee deutlich zu verstärken; denn für die Sicherung der Energie von morgen sind Windparks über dem Meer, die nicht nur nasse
Füße haben, sondern die richtig im Meer verankert sind,
und die Nutzung der Tiefsee zur Energiegewinnung,
zum Beispiel aus Gashydraten, aber auch als Lagerstätte
für CO2, Herausforderungen, auf die meines Erachtens
die Hightechstrategie der Bundesregierung die einzig
richtige Antwort ist.
({3})
Für unsere deutschen Häfen sind wettbewerbsfähige
Rahmenbedingungen in Europa ein Dauerthema. Sie
sind wachsende Verkehrsdrehscheiben und zugleich
auch Wertschöpfungspotenziale in ihrer boomenden Sekundärwirtschaft. Die Ausbildungseinrichtungen entdecken die hohe Bedeutung funktionierender Logistikketten. Der Masterplan Logistik, von der Bundesregierung
in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft entwickelt,
wird Stärken und Vernetzungsfähigkeit der Häfen wesentlich unterstützen.
Weil das explodierende seewärtige Verkehrsaufkommen sich im Zulauf oder bei der Verteilung auf Straße
und Schiene ins Binnenland hinein nicht stauen darf, hat
der bedarfsgerechte Ausbau der Hafenhinterlandanbindung für uns absolute Priorität. Natürlich denken wir dabei auch über alternative Finanzierungsmöglichkeiten
nach.
In den Häfen wird jetzt ein Problem neu entdeckt,
unter dem die Seeleute schon ewig leiden: die Lärmund Abgasbelastung. Aber landgestützte Stromversorgung für Schiffe ist keine Wunderwaffe. Wenn Hafenbetreiber und Stromversorger mitmachen, dann ist das
sicherlich eine gute Lösung für Fähren mit festem Liegeplatz. Aber für große Containerschiffe mit Kühlcontainern, die 5 bis 7 Megawatt Strom brauchen, wäre das
eine Katastrophe, weil in den Häfen große neue Kraftwerke gebaut werden müssten. Ich halte es für besser,
wenn wir über schadstoffarme Treibstoffe, über neue
Antriebe und über wirksame Filtertechniken weltweit
nachdenken. Das würde erheblich mehr Nutzen bringen. Wir brauchen einen Wettbewerb der verschiedenen Methoden für eine saubere Umwelt über dem Meer
und natürlich - das ist klar - nicht die Vogel-StraußMethode.
Der Vogel Strauß gibt das Bild: Der hocherhobene
Kopf und der Weitblick sind auch in der Schifffahrt nötig. Über Jahrzehnte wurde viel zu wenig ausgebildet.
Jetzt hat sich das Blatt zum Glück gewendet. Die Zahl
der Auszubildenden hat sich verdoppelt und steigt kontinuierlich weiter an. Der Bund fördert - auch zugunsten
der Sekundärwirtschaft! - jeden Ausbildungsplatz auf
einem Schiff mit 25 500 Euro; der Reederverband gibt
noch 10 000 Euro dazu. Die Länder bemühen sich mit
lobenswerter Unterstützung von Reedern und Verband,
Fehler der letzten Jahre - dabei spreche ich insbesondere
Hamburg an - wiedergutzumachen. Sie müssen jetzt
dauerhaft sichere Ausbildungsplatzkapazitäten schaffen,
damit kein NC greifen muss. Die Auszubildenden haben
heute eine Arbeitsplatzgarantie. Sie sind gefragt wie nie
zuvor.
Wenn die Arbeitsbedingungen an Bord konsequent
verbessert würden, dann würde sich auch die Verweildauer der Seeleute an Bord erhöhen, die mit fünf Jahren
viel zu gering ist - zwei Jahre mehr und wir hätten überhaupt keinen Mangel an Offizieren in der Seeschifffahrt -;
denn immer noch ist es für Seeleute verlockender, an
Land als an Bord zu arbeiten. Aber maritimes Fachwissen
erlangt man nun einmal nur auf Schiffen.
Die Bedingungen für die Reeder sind ausgezeichnet.
Die Charterraten der letzten Jahre waren hervorragend.
Tonnagesteuer und weitere Beihilfen, allem voran § 7
des Flaggenrechtsgesetzes haben dafür gesorgt, dass von
Deutschland aus die mit Abstand größte Flotte bereedert
wird. Diese Riesenflotte muss doch wohl für den Erhalt
des maritimen Know-how in Deutschland sorgen können.
Die 3. Nationale Maritime Konferenz in Lübeck hat
deshalb entsprechend der europäischen Beihilfeleitlinien
die Rückflaggungsforderung von 100 plus X Schiffen
begründet. Das ist auf der 5. Nationalen Maritimen Konferenz in Hamburg aufgegriffen worden. Dort haben wir
neue Ziele abgesteckt: 500 Handelsschiffe ab 2008 unter
deutscher Flagge und 600 Schiffe bis 2010.
Dass auf dem deutschen Hoheitsgebiet „Schiff“ wenigstens noch ein einziger Seemann, nämlich der verantwortliche Kapitän, deutsch spricht und versteht, ist für
uns eine Conditio sine qua non.
({4})
Wer den Ausguck auf seinem Personalradar besetzt
hatte, hat auch rechtzeitig Manöver eingeleitet, um eine
Kollision zu vermeiden.
Verlassen wir uns also auch auf den Weitblick deutscher Reeder, die in ihrem Jahresbericht selbst sagen
- ich zitiere -:
Die Perspektiven für einen weiteren Ausbau des
deutschen Schifffahrtstandorts in den nächsten Jahren sind gut.
Packen wir es also an!
Ich möchte mit einem Dank an den Koalitionspartner
abschließen. Die Zusammenarbeit war hervorragend. Ich
glaube, das darf man auch einmal sagen.
Herr Goldmann, noch eine Anmerkung zum Antrag
der FDP - Sie haben das explizit erbeten -: Wir sollen in
einem einzigen Antrag - ich habe ihn gelesen - 80 Punkte beschließen.
({5})
Dazu sage ich: Nein, das ist nichts zum Beschließen. Ich
empfehle Wikipedia mit Quellenangabe. Das wäre ein
tolles Kompendium, für einen Antrag ist das aber nicht
besonders seriös.
Vielen Dank.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Lutz Heilmann,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Frau Staatssekretärin, ich bin enttäuscht. Sie haben in Ihrer Rede nicht ein einziges Mal das Wort „Umwelt“ gebraucht,
({0})
und das, obwohl der Bereich, über den wir hier sprechen,
eindeutig von der Umwelt geprägt wird. Sie haben damit
sogar ein Interview, das Sie kürzlich in der Zeitschrift
„Deutsche Seeschifffahrt“ gegeben haben, getoppt. Sie
haben gezeigt, wohin die Reise mit Ihnen gehen wird.
({1})
Die Linke sieht die Frage der maritimen Wirtschaft
als einen Komplex. Die Linke ist für die Stärkung und
Sicherung der maritimen Wirtschaft, für den Erhalt der
Werften und für den Ausbau der Meerestechnik.
({2})
Die Linke ist aber auch und insbesondere für die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Das „Bündnis
für Beschäftigung und Ausbildung in der Seeschifffahrt“
ist hierfür ein gutes Beispiel. Bei den Häfen sieht es
nicht so gut aus. Seit Jahren wird dort Arbeitsplatz für
Arbeitsplatz abgeschafft. Die Linke steht für den Erhalt
der Lebensgrundlagen. Wir sind für Artenvielfalt und
den Erhalt der Küsten und Inseln.
Wird der Antrag der Koalition diesen Anforderungen
gerecht? Wir sagen Nein. Sie schreiben zwar ein Bekenntnis zur nachhaltigen Entwicklung hinein, der Umweltbereich bleibt aber im Weiteren völlig unterbelichtet. Die Frau Staatssekretärin hat den Klimawandel nicht
ein einziges Mal erwähnt; die Kollegin von der SPD hat
das wenigstens kurz angesprochen.
({3})
- Doch, der Klimawandel beschäftigt die gesamte Gesellschaft und ist zurzeit das herausragende Thema. Gestern Abend sprach Umweltminister Gabriel in der ARD
dazu. Vielleicht hätten Sie da einfach einmal reinschauen sollen.
({4})
Für mich als Bundestagsabgeordneter aus SchleswigHolstein haben Umweltprobleme im Zusammenhang mit
der maritimen Wirtschaftspolitik eine herausragende Bedeutung; denn der steigende Meeresspiegel bedroht die
Menschen. Deshalb müssen der Hochwasserschutz und
der Küstenschutz absoluten Vorrang haben.
({5})
Wer im Januar mitbekommen hat, dass am Hauptbahnhof ein Stahlträger abgefallen ist, wird auch mitbekommen haben, dass der Sturm „Kyrill“ erhebliche Schäden
an den Küsten Schleswig-Holsteins angerichtet hat. Wir
sprechen hier über den Schutz der Bäume und der Inseln,
zuallererst aber vom Schutz der Gesundheit der Menschen und des Lebens.
Nun einige Gedanken zu Themen in Ihrem Antrag.
Zum Thema Hafen. Auch wir haben nichts gegen den
Ausbau von Häfen, aber wir fordern - das ist seit langem
überfällig - von der Bundesregierung ein Seehafenkonzept,
({6})
in dem die Struktur der Häfen im Einzelnen festgelegt
und eine Antwort auf die Frage, welche Häfen es geben
soll, gegeben wird. Wir fordern einen Tiefwasserhafen in
der Bundesrepublik. Er soll bitte schön in Wilhelmshaven liegen.
({7})
Bis dahin und darüber hinaus, bis die Bundesregierung
endlich ein Seehafenkonzept vorlegt, wenden wir uns
gegen jegliche Ausbaumaßnahmen an Elbe und Weser.
({8})
Ein weiterer wichtiger Punkt, den ich nennen möchte,
ist der Meeresumweltschutz. Sie erwähnen ihn in Ihrem
Antrag. Substanzielle Aussagen dazu treffen sie allerdings nicht: kein Wort zum Grünbuch der EU zur Meerespolitik, kein Wort zur Meeresschutzstrategie und kein
Wort zu einer möglichen Meeresschutzrichtlinie der Europäischen Union. Meeresumweltschutz wird so nicht
gemacht. Wir brauchen großflächige Schutzgebiete. Wir
brauchen keine Hochrisikotechnologien: die Nutzung
von Methanhydrat oder die Verpressung von CO2 im
Meer.
Da muss ich Ihnen ausdrücklich widersprechen, Frau
Kollegin Wetzel. Gestern führte der Umweltausschuss
des Bundestages eine Anhörung durch. Dort sprachen
sich zwei Sachverständige ausdrücklich gegen die Verpressung von Kohlendioxid in tiefe Meeresschichten
aus, da dies unabsehbare Schäden für das Meeressystem
haben könnte. Vielleicht sollten sie einmal an solchen
Veranstaltungen teilnehmen.
({9})
Ein letzter Bereich, den ich ansprechen möchte, sind
die Schiffsemissionen. Schiffsemissionen haben einen
erheblichen Anteil an der Feinstaubbelastung in Hafenstädten. Glauben sie mir, ich weiß, wovon ich spreche.
In Lübeck sind es 65 Prozent; das ist meine Heimatstadt.
Wir sprechen hierbei über den Schutz der Gesundheit
der Menschen. Deshalb sind schnelle und effektive Maßnahmen notwendig. Auch hier möchte ich Ihnen wieder
ausdrücklich widersprechen, Frau Kollegin: Es geht
nicht darum, dass wir uns hinter internationalen Absprachen und Abkommen verstecken. Wir müssen jetzt handeln. Die Bundesrepublik sollte nach meinem Dafürhalten hier eine Vorreiterrolle einnehmen.
Bündnis 90/Die Grünen sprechen in ihrem Antrag
eine Möglichkeit zur Senkung der Emissionen bei Schiffen an: die landseitige Stromversorgung der Schiffe.
Also, Schiffe ganz einfach an die Steckdose? So einfach
geht das nicht. Sie machten das richtig deutlich, Frau
Kollegin. Woher soll der Strom kommen? Wollen wir
neue Kohlekraftwerke bauen oder gar wieder ins Atom8564
zeitalter zurück? Sind die Netze, die den Strom zu den
Häfen bringen, überhaupt dafür ausgelegt? Wollen wir
eventuell die landseitige Stromversorgung durch eine
Befreiung oder eine Ermäßigung bei der Stromsteuer
fördern? Das sind Fragen, die wir alle besprechen und
klären müssen, bevor wir das ganz konkret angehen. Es
gibt noch weitere Maßnahmen, zum Beispiel emissionsabhängige Hafengebühren. In Schweden sind sie seit
1998 üblich. Warum nicht in Deutschland?
Lassen Sie mich ein Fazit ziehen: Der Antrag der Koalition leistet keinen aktiven Umweltschutz. Er ist rückwärtsgewandt und technologiegläubig. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Sie haben mit
diesem Antrag wieder einmal gezeigt, dass Sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben.
({10})
Deshalb werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.
Ein letztes Wort zum Antrag der Grünen: Er geht in
die richtige Richtung. Wir halten ihn aber für unausgegoren und werden uns daher enthalten.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat der Kollege Rainder Steenblock, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die maritime Wirtschaft ist ein wichtiger Standortfaktor
in Deutschland. Darüber gibt es zwischen uns, glaube
ich, überhaupt keine Meinungsverschiedenheiten. Deshalb ist es ein ganz zentraler Punkt der deutschen Politik,
sie dafür zu nutzen, dass das Marktpotenzial - es wird
weltweit auf 150 Milliarden Euro geschätzt, das ist ein
riesiger Bereich, in dem die deutsche Technologie mitführend ist - ausgeschöpft wird. Wir wollen diese
Marktchancen und diese Innovationsmöglichkeiten nutzen. Wir als Grüne sagen aber auch sehr deutlich: Eine
florierende maritime Wirtschaft ist auf ein intaktes Ökosystem Meer angewiesen. Deshalb müssen wir beides
zusammendenken: Wir brauchen eine nachhaltige Meerespolitik, die Meeresnutzung und den Schutz des Ökosystems Meer zukunftsfähig miteinander verbindet.
({0})
Wenn man sich den Zustand des Meeres anschaut,
stellt man fest: überfischt, vergiftet, als Müllkippe missbraucht. So heißt es nicht nur in Papieren der Grünen,
sondern so steht es auch im Fischereibericht der Welternährungsorganisation. Danach sind ein Viertel der
weltweiten Fischbestände gefährdet. Über die Hälfte
der Fischbestände sind so stark ausgebeutet, dass keine
Steigerung bei der Befischung mehr möglich ist. Beim
Kabeljau - das ist ein ganz aktuelles Beispiel - empfehlen die Experten schon seit Jahren eine Nullquote für die
Befischung. Aber der für die Fischerei zuständige EUMinisterrat fordert jedes Jahr neue Fangquoten: für dieses Jahr über 20 000 Tonnen Kabeljau. Das ist unverantwortlich, nicht nur, weil es den Artenschutz und die Artenvielfalt in der Nord- und Ostsee gefährdet, sondern
auch, weil es natürlich Arbeitsplätze gefährdet. Daran
wird deutlich, dass die derzeitige Politik nicht nachhaltig
ist. An der Fischereipolitik kann man, wie ich glaube,
sehr deutlich sehen - das haben ja Nicholas Stern und
andere gesagt -, dass unterlassener Umweltschutz und
damit eine nicht nachhaltige Politik ökonomisch und
ökologisch letztendlich den kurzfristigen ökonomischen
Vorteil mehr als aufwiegt.
({1})
Ein zweiter Bereich, wo es aus unserer Sicht noch
nicht richtig läuft, ist der Bereich der Schiffsemissionen.
Der kommerzielle Schiffsverkehr hat unter den Bedingungen der Globalisierung enorme Zuwachsraten. Der
Kurzstreckenseeverkehr hat auch in Deutschland und
Europa höhere Wachstumsraten als der Straßengüterverkehr. Es handelt sich also um den Verkehr, der am meisten zunimmt. Auch wenn die Schifffahrt im Großen und
Ganzen ökologisch ist, so muss man zugleich deutlich
machen, dass von ihr auch extreme Belastungen in Form
der Schwefeldioxid- und anderer Schwefelemissionen,
der Stickstoffemissionen und der CO2-Emissionen der
Schiffe ausgehen. In den Hafenstädten ist der Schiffsverkehr mittlerweile mit Abstand der größte Umweltverschmutzer. Das müssen wir ändern.
({2})
Wir müssen hierzu eine Reihe von Maßnahmen ergreifen:
Erstens müssen wir an die Treibstoffe ran. Es kann
nicht angehen, dass in den Schiffen immer noch Raffinerieabfälle und Sondermüll verbrannt werden. Das ist
technisch überhaupt nicht notwendig.
Zweitens müssen auch bei der Schifffahrt Filtertechnologien zum Standard werden. Es ist überhaupt keine
Frage: Wir brauchen Grenzwerte für die Schiffsemissionen.
Drittens halten wir es für wichtig, über die Landstromversorgung in den Häfen nachzudenken. Das wäre
eine zusätzliche Möglichkeit, gerade in den Hafenstädten Emissionen zu reduzieren. Ich bin froh, dass das
mittlerweile nicht nur im Antrag der Grünen, sondern
auch in den Anträgen der anderen Fraktionen enthalten
ist. Seit der letzten Verkehrsausschusssitzung ist hier ein
deutlicher Lerneffekt festzustellen. Ich freue mich darüber, dass die Einführung einer Landstromversorgung
als ein Element zur Reduktion der Emissionen von
Schiffen akzeptiert ist.
Wir brauchen wie in anderen Bereichen auch in diesem Bereich eine verursachergerechte Anlastung von
Kosten. Das ist ein grünes Zentralprinzip, um Nachhaltigkeit herzustellen. Die Hafengebühren in Deutschland
sind lächerlich im Vergleich zu den Gebühren, die in
Asien gezahlt werden müssen. Eine Anhebung wäre nötig, um die notwendigen Infrastrukturkosten tatsächlich
auf die Verursacher umzulegen.
Man schaue sich einmal an, mit welch hohen Subventionen die Infrastruktur in Hafenstädten und die Hinterlandanbindung finanziert werden und welch geringe
Rolle zugleich Kooperationen spielen. Wir Grünen haben wiederholt gefordert, dass eine Kooperation zwischen dem Tiefwasserhafen Wilhelmshaven und den Hafenstädten Hamburg und Bremerhaven nötig ist. Nur
durch eine solche Kooperation können überflüssige Infrastrukturinvestitionen wie die in eine Elb- oder Weservertiefung vermieden werden.
({3})
- Das ist aus unserer Sicht völliger Unfug. Sie wissen
genau - Sie kommen aus Niedersachsen, Kollege
Goldmann -, welche großen Probleme die Elbvertiefung
in Niedersachsen verursachen kann. Deichsicherheit ist
eines der zentralen Probleme; Hafenschlick ist ein anderes Problem. Das ist ökonomischer und ökologischer
Unfug. Die Schadensdimensionen durch die Schlickproblematik sind überhaupt nicht abzuschätzen.
Deshalb müssen die Hafenstädte kooperieren. Dann
kann Deutschland da gut aufgestellt sein. Die Kleinstaaterei und die unsinnige Konkurrenz zwischen den deutschen Seehäfen müssen aufhören.
({4})
Wir brauchen sicherlich auch - da stimme ich Ihnen
zu, Herr Goldmann - mit Blick auf die Sicherheit auf
dem Meer eine nationale Küstenwache, die diesen Namen auch verdient. Den Föderalismusunfug in Fragen
der Seesicherheit sollten wir abschaffen. Eine nationale
Küstenwache, integriert in ein europäisches Schiffssicherheitskonzept, ist vernünftig. Es ist sehr schade, dass
die Bundesregierung - egal welcher Couleur, muss man
leider sagen - sich da zu wenig bewegt. Hier brauchen
wir eine vernünftige Sicherheitsstruktur.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen, wo wir die
Zukunftschancen sehen. Ich habe es in Bezug auf die
Schiffsantriebe schon gesagt: Mit dem European-CleanShip-Konzept können wir eine Struktur aufbauen, mit
der die deutsche und die europäische Schiffsbauindustrie
vor dem Hintergrund der ökologischen Belastung wettbewerbsfähig gemacht werden können.
Es gibt aber in diesem Bereich der Innovation und der
Forschung eine Reihe von Feldern. Unterwasserbergbau
ist ein Thema, dem man sich zuwenden muss. Dazu sage
ich sehr deutlich: Wir sind nicht im Grundsatz dagegen,
dass Mineralien aus dem Meer, zum Beispiel Mangan,
gefördert werden. Aber wir brauchen Umweltstandards,
die diese Form von Unterwasserbergbau ökologisch verträglich machen, damit wir nicht die gleichen Fehler wie
in der Fischerei machen, wo durch Grundschleppnetzfischerei massive ökologische Schäden in den Meeren angerichtet werden.
Von Methanhydraten war hier die Rede. Ich halte den
Abbau von Methanhydraten für einen Irrweg. Die Klimabelastung und das Risikopotenzial sind enorm. Wenn wir
angesichts der Erwärmung der Meere nicht versuchen,
hier so weit wie möglich eine Stabilisierung zu erreichen,
dann werden wir riesige Klimaprobleme bekommen. Wir
haben das in der Erdgeschichte schon einmal erlebt. Deshalb halte ich es für fahrlässig, locker darüber hinwegzugehen.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Herr Kollege, das wäre ein gutes Schlusswort gewesen.
ja, meine sehr verehrte Frau Präsidentin, mein letzter
Satz -, der Antrag der Regierungskoalition heißt: „Maritime Wirtschaft in Deutschland stärken“. Vor zwei Jahren
hat die rot-grüne Regierung zum gleichen Thema einen
Antrag mit dem Titel „Maritimen Standort Deutschland
stärken - Innovationskraft nutzen“ vorgelegt. Die Innovationskraft ist dieser Regierung abhandengekommen. Das
ist schlecht für die maritime Wirtschaft, aber nicht nur dafür.
({0})
Das Wort hat der Kollege Eckhardt Rehberg, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! „Maritime Wirtschaft in Deutschland stärken“,
dieser Antrag hat ein Stück Kontinuität. Deswegen bin
ich von den Reden der Kollegen Heilmann und
Steenblock ein bisschen enttäuscht.
({0})
Wir haben hier als Norddeutsche die einmalige Chance,
deutlich zu machen, dass die maritime Wirtschaft zum
einen eine große Breite und Tiefe hat - vom Schiffsbau
bis zur Nutzung der natürlichen Meeresressourcen -,
zum anderen aber auch - ich blicke auf die Aktuelle
Stunde, die wir vorhin hier zum Thema Airbus gehabt
haben - Hightechindustrie, Hightechwirtschaft ist:
Schiffbau, Schifffahrt, Seeverkehrs- und Hafenwirtschaft, nachhaltige Meerespolitik unter Einbeziehung
von Umweltschutz und Meeressicherheit.
({1})
Wir sollten an dieser Stelle nicht unsere Chance vertun,
indem sich jeder sein Stückchen heraussucht und das
Ganze infrage stellt.
({2})
Ich komme aus einem Land, wo seit 1990 gerade im
Schiffbau ungeheure Umbrüche vonstatten gegangen
sind. Wir hatten 1990 in der Schiffbauindustrie 60 000
Beschäftigte. Heute haben wir fünf hochmoderne Werften, ganz unterschiedlich geführt, eigentümergeführt wie
in Wolgast oder wie die Neptun-Werft in Warnemünde,
konzerngeführt wie in Warnemünde, Wismar oder Stralsund. Wir haben Krisen durchgemacht. 1992 gab es die
Werftenprivatisierung und 1996 die Vulkan-Krise. Im
Jahr 2007 kann man sagen: In Mecklenburg-Vorpommern gibt es die modernsten Werften nicht nur in Europa, sondern weltweit.
Man muss sich einmal anschauen, was die Politik in
den letzten Jahren geleistet hat. Man muss sich außerdem anschauen, was im Bereich von Forschung, Entwicklung und Innovation miteinander vereinbart worden
ist. Die Förderung war nicht allein darauf fokussiert, die
Produktivität zu steigern. Deutschland ist Vorreiter,
wenn es darum geht, Meeressicherheit, Schiffssicherheit und ökologische Aspekte in den Blick zu nehmen.
Angesichts dieser Tatsachen, Herr Kollege Heilmann,
können Sie nicht sagen, unser Antrag sei rückwärts gewandt. Entschuldigen Sie bitte, aber das ist völlig daneben.
({3})
In Vier- oder Sechsaugengesprächen und auch heute
in der Debatte kommt immer wieder zum Ausdruck, die
maritime Wirtschaft sei ein Subventionsempfänger.
Nennen Sie mir einmal einen Bereich, bei dem ein Einsatz von 1 Euro aus der Staatskasse einen Ertrag von
11 Euro erbringt. Die PwC-Studie zur 3. Nationalen Maritimen Konferenz in Lübeck hat nachgewiesen, dass die
vereinbarten Maßnahmen wirksam waren. Frau Staatssekretärin Wöhrl und Frau Kollegin Wetzel sind schon
darauf eingegangen. Bei diesen Maßnahmen, die zum
Teil schon in den 90er-Jahren eingeführt wurden, handelt
es sich um die Umgestaltung des CIRR-Systems, die
Rückzahlbarkeit von Innovations- bzw. F-und-E-Mitteln, die Tonnagesteuer und den Lohnsteuereinbehalt.
Laut PwC-Studie erbringt ein Einsatz von 100 Millionen
Euro, Primär- und Sekundäreffekte eingeschlossen, weit
mehr als 1 Milliarde Euro. Ich bin der Meinung, dass an
dieser Stelle Staatsgelder sehr gut angelegt worden sind.
({4})
Weil dieser Punkt immer von der FDP angesprochen
wird, sage ich: Ja, wir werden uns auch mit dem Thema
Zinsschranke, was die Schiffsfinanzierung als Objektfinanzierung angeht, befassen müssen. Aber ich sage
gleichzeitig: Hier ist nicht nur eine Zinsschranke vorgesehen, sondern auch eine Escape-Klausel. Deswegen
brauchen wir - ich glaube, das ist die parteiübergreifende Meinung im Deutschen Bundestag - belastbare
Daten aus der Schiffbauindustrie, um das Problem zu
verdeutlichen. Man kann an diesen Daten erkennen, wie
die Werften in der Breite aufgestellt sind, ob sie eigentümergeführt sind oder als internationaler Konzern ausgerichtet sind.
Die Unternehmensteuerreform bringt aufgrund der
Absenkung der Steuersätze einen Vorteil. Auf der anderen Seite darf sie nicht dazu führen, dass wir im Bereich
der Schiffsfinanzierung Wettbewerbsnachteile haben.
({5})
- Herr Kollege Goldmann, schauen Sie sich die Situation auf den einzelnen Werften an. Es gibt Werften, die
Schiffe für die Marine bauen. Es gibt Werften, die Aufträge für den Bau von zwei Schiffen im Wert von
1 Milliarde Euro haben. Es gibt Werften, die sechs bis
sieben Containerschiffe bauen. Außerdem gibt es Unterschiede bei der Baufortschrittsfinanzierung. Wir können
all diese Werften nicht über einen Kamm scheren. Hier
ist sorgfältige und gründliche Arbeit vonnöten. Das werden wir tun.
({6})
Lassen Sie mich zum Schluss noch einige wichtige
Punkte nennen.
Erstens. Wir als Politiker haben dazu beigetragen,
dass es einen Imagewandel der maritimen Wirtschaft
gibt. Denn viele junge Menschen sagen Ja zu dieser
Wirtschaft, indem sie als Schiffsbauingenieur arbeiten
wollen oder auf einem Schiff fahren wollen.
Zweitens. Wir werden weiter über das Thema Meerespolitik im Deutschen Bundestag reden. Die Beratung
Ihres Antrages, meine Damen und Herren von der FDP,
wird nicht zu kurz kommen. Das Grünbuch zur Meerespolitik wird auf der Tagesordnung stehen. Wir werden den Bereich Meerespolitik ganz weit fassen müssen,
auch unter Einbeziehung, Herr Kollege Steenblock, der
ökologischen Aspekte. Ich sehe es genauso wie Sie:
Wenn wir die Nutzung von Meeresressourcen in den
Blick nehmen, dann müssen wir von Beginn an unbedingt auf die Einhaltung entsprechender Umweltstandards achten. Ohne diese geht es nicht. Gerade in der
Klimaschutzdebatte bedeutet dies, dass wir mit dem Gut
Meer behutsam umgehen sollten.
Eine letzte Bemerkung. Ich denke, wir sollten hier
und heute deutlich machen: Ob Schiffbau, ob Seeverkehrs- oder Hafenwirtschaft, dies ist eine nationale Aufgabe; denn zwei Drittel der Wertschöpfung in diesem
Bereich entstehen in den Küstenhinterländern. Dies kann
nicht allein Sache der norddeutschen Länder sein.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Garrelt Duin von der SPDFraktion. - Bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! „Maritime Wirtschaft in Deutschland stärken“,
diese Überschrift ist in der Tat, Kollege Steenblock, für
den heute vorliegenden Antrag gewählt worden. Ich bin
mir ganz sicher, dass Sie nicht nur die Überschrift, sondern den ganzen Antrag gelesen haben und deswegen
wissen, dass der Aufruf zu Innovationskraft ein ganz
entscheidender Bestandteil dieses Antrages ist. Die etwas verkürzte Überschrift zu kritisieren, entspricht nicht
wirklich dem, was die Große Koalition in diesem Antrag
angelegt hat. Innovation und - dies füge ich hinzu, um
einen sicherlich auch Ihnen sehr nahe stehenden Begriff
zu verwenden - Nachhaltigkeit, beides hat, wie ich
finde, an prominenter Stelle Eingang in diesen Antrag
gefunden.
({0})
Die maritime Wirtschaft ist einer der wichtigsten und
fortschrittlichsten Wirtschaftszweige in unserem Land.
Sie ist ein wesentlicher Eckpfeiler für die wirtschaftliche
Stärke und unsere Position im Export. Die Perspektiven
für einen weiteren Ausbau des deutschen Schifffahrtstandortes in den nächsten Jahren sind gut; auch das ist
von vielen Vorrednern unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Fraktion bestätigt worden. Auch international steigt die Attraktivität des maritimen Standortes
Deutschland.
Ich will ein bisschen auf den Schiffbau eingehen;
denn dort kann man dies besonders deutlich sehen. Die
Zahlen im Schiffbau und in der Schiffbauzulieferindustrie sprechen für sich: 6,8 Prozent Wachstum im vergangenen Jahr und eine Steigerung um voraussichtlich
8 Prozent in diesem Jahr sowie eine Exportquote von
65 Prozent. Das unterstreicht die Wichtigkeit der maritimen Wirtschaft für uns und unsere Position auf dem
Weltmarkt. Deutschland steht an vierter Position im
Weltschiffbau. Die Umsätze deutscher Werften - ob im
Handels-, Jacht- oder Marineschiffbau sowie im Reparaturgeschäft - beliefen sich im Jahr 2005 auf
6,1 Milliarden Euro. Insgesamt sind mit der Zulieferindustrie über 100 000 Menschen in dieser Branche direkt beschäftigt. Die Auslastung der meisten Werften ist
bis zum Jahr 2009 gesichert.
Unsere Aufgabe ist es, diese positive Entwicklung der
maritimen Wirtschaft insbesondere im Schiffbau weiterzuführen und zu stabilisieren. Schlimme Erfahrungen
wie zum Beispiel das Unglück der „Pallas“ und anderer
Schiffe mit katastrophalen Folgen haben uns vor Augen
geführt, wie wichtig hohe Qualitätsstandards im Schiffbau einerseits, aber natürlich in der Schifffahrt insgesamt
andererseits sind.
Mit Blick auf den zunehmenden Schiffverkehr - wir
alle, die sich mit diesem Thema auseinandergesetzt haben, kennen die Zahlen - mit immer größer werdenden
Schiffen und einem hohen Anteil an Gefahrengutladung
stehen wir vor neuen Herausforderungen. Hier muss die
Politik Rahmenbedingungen schaffen, die Innovationen
und strukturelle Verbesserungen im Schiffbau fördern.
Ein nachhaltiger Schiffbau mit hohen Sicherheits-,
Qualitäts- und Umweltstandards rückt so in den Mittelpunkt.
Mit konsequenter Berücksichtigung dieser Standards
erreichen wir, dass technologischer Fortschritt Hand in
Hand mit dem Schutz der Meere und dem Schutz der
Umwelt geht. Darin können wir Vorbild sein. Nur so
wird Deutschland seine technologische Spitzenposition
und die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt weiter
ausbauen können.
Wir benötigen konkrete Maßnahmen zur Qualifizierung des Nachwuchses in den maritimen Bereichen;
Frau Staatssekretärin ist darauf in Ihrer Rede eingangs
eingegangen. Wir brauchen pro Jahr zum Beispiel - die
Zahlen sind genannt worden - 650 Nautiker von den
Hochschulen. Es schließen zurzeit aber im Durchschnitt
nur ungefähr 200 ihr Studium ab. Deswegen ist - lassen
Sie es mich vorsichtig sagen - eine gute Zusammenarbeit mit den Ländern sehr erforderlich. Man könnte es
auch drastischer formulieren: Wir müssen bei all der Berücksichtigung dessen, was wir hinsichtlich des Föderalismus beschlossen haben und was mehrheitlich gewollt
war, die Länder in die Pflicht nehmen. Die Länder sind
in der Pflicht, entsprechende Studiengänge und Professuren zur Verfügung zu stellen, meine Damen und Herren.
({1})
Wir erleben es leider gerade in dem Bundesland, in
dem wir uns jetzt befinden, dass darüber nachgedacht
wird, von zwei Professuren an der TU im Bereich
Schiffs- und Meerestechnik eine zu streichen. Das sind
Überlegungen, die wir von unserer Seite nicht unterstützen dürfen und bei denen wir im Gegenteil gegensteuern
müssen, um klar zu machen: Wir brauchen solche Ausbildungsmöglichkeiten für unsere jungen Leute. Wir
müssen die Ausbildungssituation verbessern. Es ist zu
Recht davon gesprochen worden, dass wir dafür auch die
Attraktivität der maritimen Berufe steigern und Perspektiven eröffnen müssen.
Wir haben vorhin in der Aktuellen Stunde über die
Luft- und Raumfahrt im weiteren Sinne gesprochen.
Dieser Bereich gilt bei jungen Leuten weithin als die
saubere Technik, in der man gern ein Studium aufnimmt.
Der Bereich des Schiffbaus hat immer noch das Image
des etwas Schmutzigen, das nicht ganz so attraktiv ist.
Diesem Image müssen wir mit geeigneten Maßnahmen
entgegenwirken. Neben der Sicherung des hochqualifizierten Nachwuchses brauchen auch die heutigen Fachund Führungskräfte im maritimen Bereich eine stabile
Zukunft. Der Austausch von Personal und Know-how
muss auf allen Qualifikationsebenen, quasi vom Arbeiter
bis zum Akademiker, organisiert werden. Beispielhaft
will ich in diesem Zusammenhang das Pilotprojekt des
Arbeitskräftepools in der Schiffbauwirtschaft nennen.
Dieser verfolgt die Ziele, Entlassungen zu vermeiden,
Beschäftigungsschwankungen zwischen den Werften
auszugleichen und die Weiterbildung der Mitarbeiter zu
unterstützen.
In technologieintensiven Beschäftigungsfeldern wie
dem Schiffbau ist Wissen ein Erfolgsgarant. Nur in Europa gibt es ein so dichtes Netz von Werften, Ausrüstern,
Forschungszentren und Anbietern von Spitzentechnik.
Deswegen war es gut und richtig, dass auf der europäischen Ebene schon vor einigen Jahren mit der Initiative
Leadership 2015 die Interessen der europäischen Hersteller gebündelt wurden, damit diese nicht von Dritten
überholt werden.
Ich glaube, dass wir Ähnliches in unserem Antrag
vorschlagen. Wir brauchen quasi ein Leadership
Deutschland, um den Schiffbau in unserem Land zu unterstützen. Wir wollen diesen bedeutenden Wirtschaftszweig zukünftig in ruhiges Fahrwasser steuern. Andere
Dinge, die in diesem Zusammenhang zu nennen wären,
will ich jetzt nicht vertiefen, wie etwa das Thema Unternehmenssteuerreform, das von den Vorrednern angesprochen worden ist.
Herr Goldmann, Sie hatten Recht, als Sie darauf hingewiesen haben, dass wir am Wochenende wieder im
Fernsehen, bis hin zur Tagesschau, sehen werden, dass
ein deutsches Produkt aus dem Papenburger Hafen auslaufen wird, die Aida Diva, ein wirkliches Vorzeigeprodukt für den Schiffbau in Deutschland. Ich denke, dass
wir alle gemeinsam die Daumen drücken, dass wir auch
in Zukunft solche Überführungen von Deutschland aus
erleben werden. Beim letzten Mal ist in halb Europa der
Strom ausgefallen.
({2})
Das war Product Placement der besonderen Art. Darauf
wollen wir am Wochenende verzichten. Aber wir wollen
gemeinsam dafür kämpfen, dass der deutsche Schiffbau
international eine Zukunft hat. In diesem Sinne vielen
Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Börnsen von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die Rede und das Handeln unserer maritimen Koordinatorin Dagmar Wöhrl haben gezeigt, dass Kompetenz
wichtig ist und dass es nicht darauf ankommt, einen Segelschein zu besitzen. Sie hat es verstanden, in kürzester
Zeit deutlich zu machen, dass man, auch wenn man aus
Bayern kommt, ein Gefühl und ein Verständnis dafür
entwickeln kann, dass die maritime Wirtschaft für uns
alle ein nationales Anliegen ist und von uns allen unterstützt und gestärkt werden sollte.
({0})
Der vorliegende Antrag ist von Eckhardt Rehberg und
Margrit Wetzel, wie ich finde, ausführlich und grundlegend erläutert worden, von beiden mit der Ausrichtung,
dass es notwendig ist, den Standard des deutschen
Schiffbaus, den wir erreicht haben, nämlich eine Spitzentechnologie in Europa zu haben, auch in Zukunft zu
erhalten.
Wir wollen, dass diese Vorzeigebranche in Deutschland auch weiterhin Modellcharakter für uns, aber auch
international hat. Darin liegt der besondere Ansatz des
Antrags. Er bestätigt dieses Anliegen und macht gleichzeitig deutlich, dass wir nur dann eine Zukunftschance
haben, wenn wir die Kombination von Werftenverbund,
Seeschifffahrt, Hafenwirtschaft und Meerespolitik
durchsetzen und diesen Verbund europäisch und international ausrichten.
Darin liegt die große Chance, dass 400 000 Arbeitsplätze, die es zurzeit in diesem Bereich gibt, eine Zukunft haben und auch zukünftig 435 Milliarden Euro in
diesem Bereich umgesetzt werden. Diese Summe wird
zu Wachstum und Beschäftigung, damit gleichzeitig zur
Stabilität und Sicherheit unseres Landes beitragen.
Die Ausrichtung dieses Antrags orientiert sich an der
Herausforderung, vor der wir stehen. Unsere Kollegin
Dagmar Wöhrl hat es bereits ausgeführt: Der weltweite
Wettbewerb wird immer stärker, immer zwingender und
führt immer mehr dazu, dass wir uns in unseren Fähigkeiten weiter optimieren müssen.
Im Jahr 2015 will die Volksrepublik China Schiffbauland Nummer eins sein. Im Jahr 2015 will die Volkrepublik China Handelsschifffahrtsnation Nummer eins
sein. Im Jahr 2015 will die Volksrepublik China in der
Hafenwirtschaft weltweit mitbestimmen. Was bedeutet
das für uns? Das bedeutet, dass die Volksrepublik China
in den Bereichen stark sein wird, in denen bisher andere
Schiffbaunationen erfolgreich arbeiten. Korea wird zu
Nischenprodukten wechseln, die zurzeit für uns wichtig
sind: Kreuzfahrtschiffe, Containerschiffe und Gastanker.
In den Bereichen, in denen wir zurzeit stark sind, werden
wir eine neue und viel stärkere Konkurrenz bekommen.
Das wird sich auf die gesamte Wirtschaft auswirken.
({1})
Darin liegt die große Herausforderung und im Grunde
genommen auch die Notwendigkeit für das Parlament
und die Regierung, Rahmenbedingungen zu schaffen,
die uns befähigen, diesen neuen Herausforderungen gestärkt entgegenzutreten.
({2})
Denn die Volksrepublik China und andere Mitwettbewerber, vor allem diejenigen aus Asien, arbeiten nicht
immer mit fairen Mitteln. Arbeitnehmerinteressen gelten dort weniger als bei uns. Ökologische Interessen gelten viel weniger als bei uns. Die Notwendigkeit, auf den
Klimawandel einzugehen, gilt wenig. Man will den
Weltmarkt beherrschen.
({3})
Weil ungeheure Wettbewerbsverzerrungen stattfinden, müssen wir ein Konzept entwickeln, mit dem wir
diesen Wettbewerbsverzerrungen begegnen können. Der
Kollege Hans-Michael Goldmann hat zusammen mit seinen Freunden einen, wie ich finde, klugen Antrag ergänzend zu unserem eingebracht.
({4})
- Hier sind wir uns bis auf die Linken im Grundsatz alle
einig. Bei Rainder Steenblock muss man den provozierenden Charakter seiner Worte abbauen, dann ist das,
was er gesagt hat, im Kern vernünftig.
Wolfgang Börnsen ({5})
({6})
Das war ja bisher immer so, Rainder.
({7})
Wir haben 20 Jahre lang eine Erfolgsgeschichte in der
maritimen Wirtschaft erlebt, weil nicht nur die Küste etwas gemacht hat, sondern weil wir insgesamt zusammengearbeitet haben.
({8})
Ich möchte auf das, was wir brauchen, zurückkommen: ein europäisches Konzept.
({9})
Wir brauchen einen europäischen Werftenverbund und
eine europäische Zusammenarbeit der Hafenstädte. Wir
brauchen eine europäische Kooperation der Aktiven in
der Seehandelspolitik. Wir brauchen eine europäische
Ausrichtung. Wir haben die EU-Ratspräsidentschaft inne
und müssen deshalb auf Nachhaltigkeit setzen. Das ist
der richtige Weg, weil wir damit einen Maßstab entwickeln, dem sich alle unterordnen müssen. Das, was für
die EU gilt, gilt auch für die G-8-Nationen. Wir brauchen weltweit akzeptierte Standards, dann sind wir
auch in Zukunft wettbewerbsfähig. Dann können wir uns
bei fairen Wettbewerbsbedingungen durchsetzen. Dann
haben die 400 000 Beschäftigten in diesem Bereich auch
eine Perspektive.
Wir müssen aber Tempo machen. Es genügt nicht, in
der EU einen Kommissar zu bestimmen.
Herr Börnsen, kommen Sie bitte zum Schluss.
Das Entscheidende dieses Ansatzes ist: Es muss mit
Nachdruck daran gearbeitet werden und dafür gesorgt
werden, dass wir mit dieser Nachhaltigkeit und diesem
Tempo die Zukunft der Maritimwirtschaft bestimmen.
Herzlichen Dank.
({0})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
spricht der Kollege Martin Burkert von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Herr Heilmann, hören Sie jetzt gut zu, ich
werde einmal etwas zu den wirklich guten Umweltaspekten in diesem Antrag sagen.
Das Meer ist ein Wirtschaftsraum mit großen Perspektiven und Chancen, die es zu nutzen gilt. Dafür stellen wir in dem vorliegenden Antrag der Koalition wichtige Weichen. Aus umweltpolitischer Sicht ist für mich
und für meine Fraktion entscheidend: Der Lebensraum
Meer ist das größte zusammenhängende Ökosystem der
Erde, dessen Funktionen wir schützen und erhalten müssen. Den obersten Stellenwert bei der wirtschaftlichen
Nutzung des Meeres muss somit die Nachhaltigkeit haben. Dies haben wir als Prinzip in dem vorliegenden Antrag durchgängig verankert. Ökologische, wirtschaftliche und auch soziale Aspekte müssen bei der künftigen
Nutzung und Erforschung des Lebensraums Meer - dazu
zählen auch Küsten und Häfen - gleichberechtigt zum
Tragen kommen.
Ein wichtiger Erfolg: Wir bekennen uns dazu, dass
der Ausbau von Elbe und Weser nicht - wie vielfach
gefordert - über die bisherigen Planungen hinaus fortgesetzt wird. Die Vertiefungen der Fahrrinnen haben bereits schwere ökologische Belastungen mit sich gebracht
und zu gravierenden Veränderungen in der Landschaft
geführt.
({0})
Flachwasserzonen und Auwälder wurden vernichtet, lieber Herr Kollege, nicht nur mit Folgen für die Artenvielfalt. Auch die Menschen, die im Einzugsbereich der ausgebaggerten Flüsse leben, sind von Hochwasser und
Überschwemmungen viel mehr als früher bedroht, weil
die natürlichen Rückhaltebecken in Form von Freiflächen fehlen. Wir stehen aber zu unserem Wort, den Verkehrsträger Binnenschifffahrt zu stärken, indem wir eine
verlässliche Schiffbarkeit von Elbe und Weser gemäß
dem Vertrag zwischen Bundesumwelt- und Bundesverkehrsministerium aus dem Jahr 2005 gewährleisten.
Die Förderung der Schifffahrt ist ein wichtiges Anliegen der Umweltpolitik; denn das Schiff ist - ähnlich wie
die Eisenbahn - ein Transport- und Verkehrsmittel, das
das Klima schont. Moderne Schiffe zeichnen sich nicht
nur durch hohe Energieeffizienz aus; sie stoßen auch
vergleichsweise geringe Mengen von Luftschadstoffen
und CO2 aus. Die Einhaltung hoher Umweltstandards
schon beim Bau von Schiffen - heute öfter erwähnt wollen wir deshalb gesetzlich regeln. Dies wird die
Wettbewerbsfähigkeit deutscher Schiffsbauer mit ihren
anerkannt hohen Qualitätsstandards und ihre Marktposition international - in Europa und auf der Welt - stärken.
Gleichzeitig minimieren wir das Risiko verheerender
Umweltkatastrophen. Ich denke dabei zuerst immer an
Tankerunglücke.
Ein sehr wichtiges Arbeitsfeld im Schnittpunkt von
wirtschaftlicher Nutzung des Meeres und ökologischer
Energieerzeugung ist die Förderung bzw. der Ausbau von
Offshore-Windanlagen. Mit dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz ist es uns bereits gelungen, die
Rahmenbedingungen und damit die Wirtschaftlichkeit im
Bereich des notwendigen Netzausbaus zu verbessern. Die
Netzbetreiber müssen die von ihnen eingegangene Selbstverpflichtung zum Ausbau des vordringlichen Bedarfs
nun zeitnah umsetzen. Dies alleine reicht aber bei weitem
nicht, um den Ausbau der Offshore-Anlagen wirkungsvoll
zu fördern. Auf die zwingende Notwendigkeit dieses Ausbaus brauche ich vor dem Hintergrund des uns alle betref8570
fenden Klimawandels sicherlich nicht gesondert einzugehen.
Zum Schluss möchte ich Folgendes anmerken. Wir
brauchen eine Regelung, die die Einspeisungsvergütungen und -fristen im Erneuerbare-Energien-Gesetz so anpasst, dass Offshore-Anlagen den substanziellen Beitrag
leisten können, der nötig ist, um unsere Ziele bei der
Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zu erreichen. Daran halte ich und daran hält die SPD-Fraktion
im Deutschen Bundestag fest.
Herzlichen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/4423 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 16/4457 zu
dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
mit dem Titel „Umweltfreundliche Stromversorgung von
Schiffen in Häfen unterstützen“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/2791 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen-
stimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegen-
stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung
der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke angenom-
men.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 d auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Hans-Kurt Hill, Eva Bulling-Schröter,
Lutz Heilmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der LINKEN
Strom- und Gasnetze in die öffentliche Hand
- Drucksachen 16/2678, 16/3357 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Joachim Pfeiffer
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({1}) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Dr. Herbert Schui, Hans-Kurt Hill,
Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der LINKEN
Regelmäßige technische Überprüfung der
Stromnetze
- Drucksachen 16/1447, 16/3249 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Matthias Berninger
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Martin Zeil, Jens Ackermann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Mehr Wettbewerb für die deutschen und europäischen Energiemärkte - Europäischen Impuls aufnehmen
- Drucksache 16/4187 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel
Höhn, Dr. Thea Dückert, Hans-Josef Fell, Kerstin
Andreae und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Wettbewerb auf den Energiemärkten stärken,
eigentumsrechtliche Entflechtung der Transportnetze umsetzen und Möglichkeiten zur
Entflechtung bei marktbeherrschenden Stellungen schaffen
- Drucksache 16/4557 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({3})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer von der
CDU/CSU-Fraktion.
({4})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir setzen die Aussprache vom letzten
Donnerstag zum Thema „ordnungspolitischer Kompass“
heute nahtlos fort. Es geht um die Grundsatzfrage: Wie
wollen wir die Energieversorgung in Deutschland - die
Stromversorgung und die Gasversorgung - im europäischen Kontext sicherstellen? Die Grundsatzfrage lautet:
Beschreiten wir den Weg des Marktes, oder beschreiten
wir den Weg einer staatlichen Planwirtschaft?
Die Linke fordert mit ihrem Antrag die Vergesellschaftung der Netze. Das ist nicht der Weg der Union
und sicher auch nicht der Weg der Bundesregierung. Der
Weg, den wir im neunten Jahr der Liberalisierung - sie
begann 1998 - gehen, ist ein grundsätzlich anderer: Wir
sagen, dass der Staat die Rahmenbedingungen setzen
muss, die dann von den Marktteilnehmern auszufüllen
sind. Wir wollen einen sukzessiven Rückzug der staatlichen Aktivitäten aus diesem Bereich, wenn denn der
Wettbewerb sich in allen Bereichen so entwickelt, wie
wir uns das vorstellen. Darüber besteht in diesem Hause
erfreulicherweise relativ großes Einvernehmen: Auch
die Anträge der FDP und der Grünen gehen, was Markt
und Wettbewerb anbelangt, ordnungspolitisch in die
gleiche - aus meiner Sicht: richtige - Richtung.
Gleichwohl ist die Situation heute, im Jahre 2007, so,
dass der Wettbewerb in den beiden grundlegenden Bereichen, die wir haben - beim Gas und beim Strom -,
wegen des natürlichen Monopols der Netze noch nicht in
dem Umfange und in der Intensität funktioniert, wie wir
es brauchen und wie wir es uns wünschen. Nach anfänglich eher zögerlichem Vorankommen sind wir im Bereich der Netze allerdings auf dem richtigen Weg. Mit
der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes, die
2005 ebenfalls in großem Einvernehmen erfolgt ist, haben wir, denke ich, endlich die richtigen Instrumente gefunden, damit der Wettbewerb im Bereich des natürlichen Monopols der Netze in Gang kommt. Zunehmend
treten neue Wettbewerber in den Markt ein, was sich
auch preislich auswirkt.
Die Bundesnetzagentur, die hier gute Arbeit leistet,
hat erst unlängst festgestellt: Wir haben aktuell 2,8 Milliarden Euro an nicht genehmigten Entgelten. Damit stehen Netzentgeltsenkungen an, die direkt der Wirtschaft
und auch dem Verbraucher zugutekommen. Des Weiteren sind wir in diesem Bereich mit der Ausgestaltung der
Anreizregulierung - ich werde dazu gleich noch etwas
sagen - und auch bei der Netzanschlussverordnung auf
dem richtigen Weg.
Das heißt, dass ein Eingriff in das Eigentum, über den
auf europäischer Ebene zum Teil diskutiert wird, zum
jetzigen Zeitpunkt auf jeden Fall nicht das richtige Mittel
wäre. Wir befinden uns in einem Prozess, durch den der
Wettbewerb implementiert wird. Seine positiven Folgen
werden bereits deutlich. Ein Eingriff in das Eigentum
kann nur das letzte Mittel sein, das dann angewandt werden muss, wenn keine anderen Maßnahmen greifen. Allerdings zeigen die Schritte, die unternommen worden
sind, mittlerweile Wirkung, sowohl in der gegenwärtigen Übergangsphase als auch im Rahmen der Anreizregulierung.
Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Netznutzungsentgelte durch die Anreizregulierung nicht nur stabil
zu halten, sondern auch dafür zu sorgen, dass sie dauerhaft gesenkt werden. Durch die Anreizregulierung, die
von der Bundesregierung nach Zustimmung des Bundesrates im Rahmen einer Verordnung auf den Weg gebracht wird, wird der mehrjährige Prozess eines Erlöspfads nach unten vorgezeichnet.
Derzeit liegen die Netznutzungsentgelte im Strombereich in einer Größenordnung von mehr als 23 Milliarden Euro pro Jahr. Die Anreizregulierung wird dazu führen - das ist die einmütige Bewertung von Politik und
Wirtschaft -, dass die Netznutzungsentgelte auf jährlich
17 bis 18 Milliarden Euro gesenkt werden können. In einem Zeitraum von fünf bis sieben Jahren werden wir es
schaffen, nicht nur keinen Anstieg der Entgelte verzeichnen zu müssen, sondern sogar auf eine Entlastung in
Höhe von etwa 5 Milliarden Euro pro Jahr verweisen zu
können, die allen zugute kommt.
Im eigentlichen Wettbewerbsbereich, in dem wir
schon im Jahre 1998 tätig geworden sind, konnten anfänglich durchaus positive Effekte erzielt werden, die bis
heute Bestand haben. Der Liberalisierungs- und Rationalisierungseffekt, der in diesem Wettbewerbsbereich seit
1998 eingetreten ist, hat einen Umfang von jährlich ungefähr 8,5 Milliarden Euro. Hier herrscht zwar Wettbewerb, aber die Wettbewerbsstruktur und vor allem die
Zahl der Wettbewerber sind noch unbefriedigend. Es ist
nach wie vor so, dass - je nach Schätzung bzw. Berechnung - 80 bis 90 Prozent der Stromerzeugung in den
Händen der vier großen Unternehmen liegen.
Wir versuchen, auch hier Fortschritte zu erzielen und
die Wettbewerbsbedingungen zu verbessern, und zwar
durch eine Verbesserung des Angebots, zum Beispiel im
Hinblick auf die Netzanschlussverordnung, die Netzausbauten oder die Verbindung der Kuppelstellen im Stromund Gasbereich mit anderen europäischen Ländern.
({0})
In diesem Bereich werden wir in das Marktgeschehen
eingreifen müssen. Wir werden das Kartellrecht temporär verschärfen müssen, um Möglichkeiten dafür zu
schaffen, dass sich der Wettbewerb auf diesem Gebiet
weiterhin dynamisch entwickeln kann.
({1})
Auch hier gilt: Der Eingriff in die Marktstruktur kann
nur Ultima Ratio sein. Das sage ich, weil manche der
Vorschläge, die gemacht werden, quasi in eigentumsrechtliche Eingriffe münden. Das ist sicherlich nicht unser Ziel. Wir haben eindeutig einen marktwirtschaftlichen Weg beschritten. Dieser Weg ist richtig.
Angesichts des heutigen EU-Gipfeltreffens möchte
ich diese Gelegenheit nutzen, einige Aspekte der Energiepolitik, die vielleicht noch nicht allen ganz klar sind,
etwas näher zu beleuchten. Die Energiepolitik wird zukünftig mehr denn je europäisch geprägt sein. Wenn wir
es ernst damit meinen, einen europäischen Binnenmarkt für Energie, also für Strom und Gas, zu schaffen,
dann werden wir manche Instrumente, die heute noch
rein national ausgerichtet sind, anpassen müssen. Das
würde bedeuten, dass der Verbraucher in Zukunft frei
wählen kann - das gilt sowohl für Haushalts- als auch
für Industriekunden -, von wo er seine Energie bezieht,
welche Art von Energie er bezieht und zu welchem Preis
er sie bezieht, wie er es bereits heute bei anderen Waren
und Dienstleistungen tut. Das wird natürlich Auswirkungen haben, an die wir in der laufenden Klimadebatte
noch gar nicht denken.
Es gibt zum Beispiel eine europäische Verpflichtung
zur Reduktion des Ausstoßes von CO2, die wir mit dem
Instrument des Emissionshandels erreichen wollen. Zukünftig wird aber der Stromexport zunehmen. Deutschland ist bislang ein kleiner Stromexporteur. Der Strom,
der in Deutschland verbraucht wird, wird nominal auch
hier erzeugt. Auf einem europäischen Energiemarkt wird
das nicht mehr zwingend der Fall sein. Italien bezieht
bereits 30 Prozent seines Stroms aus Frankreich. Das hat
auf den Klimaschutz und den Emissionshandel nur deshalb keine Auswirkungen und führt nicht zu Verschiebungen bei den Budgets, weil dieser Strom weitestgehend aus französischen Kernkraftwerken kommt. Wenn
dieser Strom aus deutscher Braunkohle oder Steinkohle
produziert und in stärkerem Maße exportiert werden
würde, dann wären der Emissionshandel und unsere heutigen nationalen Ziele im europäischen Kontext nicht
mehr haltbar. Ich möchte nur auf bestimmte Entwicklungen aufmerksam machen. Wenn wir Ja zu einem europäischen Binnenmarkt für Energie sagen, dann erfordert das
in vielen Bereichen unserer Politikgestaltung andere Lösungsansätze. Dann dürfen wir die Dinge nicht länger
rein national betrachten.
({2})
Herr Kollege Pfeiffer, kommen Sie zum Schluss.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.
Die Richtung stimmt. Wir sind auf dem richtigen
Weg, wenngleich steinige Wegstrecken und mancher
Hügel noch vor uns liegen, bis wir einen europäischen
Binnenmarkt für Energie geschaffen haben. Aber das ist
des Schweißes der Edlen wert, auch in diesem Hause.
Mithilfe der vorhandenen Instrumente - diese müssen
wir weiterhin justieren - werden wir in absehbarer Zeit
den europäischen Binnenmarkt für Energie im Interesse
von Wirtschaft und Verbrauchern zum Leben erwecken.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Gudrun Kopp von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Uns liegt eine ganze Bandbreite von Anträgen vor,
die Vorschläge zur Stärkung des Wettbewerbs enthalten.
Die einen Antragsteller haben die Verstaatlichung zum
Ziel. Die anderen schlagen eine eigentumsrechtliche
Entflechtung vor, was auf eine Enteignung hinausläuft.
Wiederum andere gehen den Mittelweg. Wir, die FDPBundestagsfraktion, legen Ihnen einen Antrag vor, in
dem wir unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten eine
Wettbewerbsstärkung beschreiben.
Man kann nicht bestreiten, dass eine eigentumsrechtliche Entflechtung, also die Trennung von Produktion
und Netzen, rein ordnungspolitisch gesehen auf dem
Reißbrett geboten wäre, gar keine Frage. In letzter Konsequenz sind wir Liberale dafür offen. Wenn gar nichts
hilft, Wettbewerb auf dem Energiemarkt herzustellen,
müssen wir dieses Instrument anwenden.
Es stellt sich allerdings die Frage, inwieweit wir unsere Arbeit ernst nehmen. Wollen wir nur darauf warten
und evaluieren, ob und auf welche Weise die vorhandenen Instrumente - davon gibt es einige - tatsächlich wirken? Wir sollten sehr genau darüber nachdenken, ob es
bereits zum jetzigen Zeitpunkt notwendig und richtig ist,
das Instrument des eigentumsrechtlichen Unbundlings
anzuwenden, was einer Enteignung gleichkäme. Ich
möchte in diesem Zusammenhang den Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio zitieren: „Eigentum verpflichtet, aber nicht zur Aufopferung ({0}).“
Wir hätten wahrscheinlich Klagen zu erwarten, die
sich zudem über einen längeren Zeitraum hinziehen würden. Der Ausgang der Klagen wäre ungewiss. In einer
solchen Phase der rechtlichen Unsicherheit würde sicherlich niemand in die Netze investieren. Insofern müssen wir uns das sehr genau überlegen.
Wir stehen, wie gesagt, einer solchen Lösung aufgeschlossen gegenüber, aber sie steht für uns am Ende des
Weges. Wir sind noch nicht den ganzen Weg gegangen
und haben die Erfordernisse noch nicht ausreichend ermittelt.
Wichtiger als die Frage der Entflechtung ist aber, inwieweit die Regulierung konsequent durchgeführt wird.
Denn wir müssen eines bedenken: Unabhängig davon,
wer Eigentümer der Netze ist, haben die Netzbetreiber
ein natürliches Monopol, das reguliert werden muss, um
einen diskriminierungsfreien Netzzugang zu gewährleisten.
In den letzten Tagen wurde in den Medien über sogenannte Zwischenlösungen berichtet. Einige Energieversorger haben vorgeschlagen, dass sich regionale Netzbetreiber verschiedener Länder zu einer Gemeinschaft
zusammenschließen und ihre Übertragungsnetze bündeln. Das mag zwar hilfreich sein, aber es bleibt Makulatur, wenn sich die Betreiber nicht zu einer unabhängigen
Gesellschaft zusammenschließen. Insofern muss man
darauf achten, dass dies keine Mogelpackung wird.
Die Frage ist, wie wir neue Impulse schaffen können,
um den Wettbewerb zu fördern. Ich möchte in diesem
Zusammenhang feststellen, dass Minister Glos und die
gesamte Bundesregierung dringend tätig werden müssen. Wir vermissen vonseiten der Bundesregierung ein
energiepolitisches Gesamtkonzept, wie wir es bereits
vorgelegt haben. Auf gar keinen Fall sollte die Tarifaufsicht für Strompreise verlängert werden. Das wäre kontraproduktiv und würde den Marktzugang für Wettbewerber versperren, statt ihn zu öffnen.
Wir brauchen des Weiteren dringend - ohne weitere
Verzögerungen - die angekündigte Kraftwerksanschlussverordnung sowie die Verordnung zur Einführung der Anreizregulierung ab 2008. Wir sollten zudem
- auch dafür haben wir uns in unserem Antrag ausgesprochen - das Bundeskartellamt bei einer effektiven
Missbrauchsaufsicht unterstützen. Wir müssen dem
Bundeskartellamt dafür die notwendigen Instrumente
zur Verfügung stellen.
Des Weiteren sind Impulse für den Ausbau von
Grenzkuppelstellen zum Transport von Strom notwendig. Auch dazu liegt dem Hohen Haus eine entsprechende Forderung in unserem Antrag vor.
({1})
Ich komme zum letzten Punkt, einem Appell an die
Bundesregierung und die sie tragenden Regierungsfraktionen: Lassen Sie den Wettbewerb über den künftigen
Energiemix offen! Geben Sie keine Technologien vor,
sondern öffnen Sie die Türen auch in diesem Punkt für
den Wettbewerb und die effizientesten Lösungen für die
Verbraucher und zum Wohle des Umweltschutzes!
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Rolf Hempelmann von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Energiepolitik steht offensichtlich ganz oben auf der nationalen wie auch auf der internationalen Tagesordnung.
Heute und morgen beschäftigt sich der EU-Frühjahrsgipfel mit Energiefragen. Schon in der letzten Woche hat
sich der Deutsche Bundestag mit dem Thema Energie
befasst, insbesondere mit Anträgen der Opposition dazu.
Heute liegen erneut vier Anträge aus den Reihen der
Opposition vor. Zwei davon, die Anträge der Linken, haben wir schon einmal im Plenum erörtert und sie auch in
den Ausschüssen beraten und abgelehnt. Ich denke, dass
das auch das Ergebnis der heutigen Debatte sein wird.
({0})
Die Linken sorgen sich - das geht aus Ihren Anträgen
hervor - um die Zuverlässigkeit der Netze und fordern
eine regelmäßige technische Überprüfung.
({1})
Damit wird suggeriert, dass die Bundesregierung bisher
auf diesem Gebiet untätig gewesen ist. Das muss ich mit
Abscheu und Empörung zurückweisen. Der Gesetzgeber
hat schon gehandelt, als die Linke zumindest formell
noch gar nicht existierte.
Der Gesetzgeber hat in Form aller ansonsten hier im
Bundestag vertretenen vier Fraktionen durch ein rotgrünes Gesetz, dass hier im Bundestag verabschiedet
worden ist, gehandelt. Letztlich hat er ein Energiewirtschaftsgesetz verabschiedet, das auch im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat bestätigt worden ist.
Mit diesem Energiewirtschaftsgesetz haben wir eine
Bundesnetzagentur geschaffen, die ausdrücklich und
von Anfang an den Auftrag hatte, nicht nur auf effizienten Netzbetrieb, sondern auch auf Netzqualität zu achten.
({2})
Dazu sind zum Beispiel die Übertragungsnetzbetreiber
verpflichtet, alle zwei Jahre einen Bericht über Netzzustand und Netzausbauplanung zu geben. Jährlich müssen
sie eine Schwachstellenanalyse zur Vermeidung schwerwiegender Versorgungsstörungen erarbeiten, gegebenenfalls auch Gegenmaßnahmen einleiten. Ähnliche Voraussetzungen müssen auch die Verteilnetzbetreiber erfüllen.
Sie müssen außerdem jegliche Versorgungsunterbrechung an die Bundesnetzagentur melden. Diese kann
dann Aufsichtsmaßnahmen treffen. Ihr stehen dazu erhebliche weitere Auskunftsrechte zu. Das zeigt schon,
dass entsprechend Vorsorge getroffen worden ist.
Es soll vorkommen, dass es trotzdem zu Netzunterbrechungen kommt. So geschehen zum Beispiel im letzten Jahr. In einem solchen Fall hat die Bundesnetzagentur wiederum ganz erhebliche Befugnisse. In einem
Abschlussbericht hat sie deutlich gemacht, welche Ursachen sie für solche Netzunterbrechungen gesehen hat. In
dem einen Fall war es beispielsweise menschliches Versagen. Sie hat aus der Erfahrung solcher Unterbrechungen wiederum Schlussfolgerungen gezogen und von den
Netzbetreibern verlangt, eine automatische Überprüfung der sogenannten ({3})-Sicherheit sicherzustellen.
Das heißt, die Unternehmen müssen die Netze so betreiben, dass die Sicherheit auch gewährleistet ist, wenn ein
Betriebsmittel ausfällt. Ich denke, hiermit ist ganz deutlich gemacht, dass der Qualitätsaspekt schon im bisherigen gesetzgeberischen Handeln eine erhebliche Rolle
gespielt hat.
Das Gleiche soll für die Anreizregulierung gelten.
Auch hier hat der Gesetzgeber schon in den Rahmenbedingungen für die Anreizregulierung deutlich gemacht,
dass er sowohl eine Effizienz- als auch eine Qualitätsregulierung erwartet. Deswegen sind wir auch gespannt
darauf, wie letztendlich die Verordnung zur Anreizregulierung ausgestaltet sein wird.
Eben hat Herr Dr. Pfeiffer deutlich gemacht, dass er
Spielräume in Höhe von 5 Milliarden Euro zur Senkung
von Netzentgelten sieht. Ich sage ganz deutlich, dass ich
dieses Vorurteil nicht teile. Es ist ein Urteil, das sozusagen vor der Zeit - das meine ich mit Vorurteil - getroffen
worden ist. Wir werden sehen, wie viel Spielraum es
gibt, wenn man gleichzeitig eine mindestens gleichbleibende, vielleicht sogar eine ansteigende Netzqualität
zum Ziel hat.
Die Linken wollen die Verstaatlichung der Netze.
({4})
Dazu ist schon einiges gesagt worden. Ich mache ausdrücklich darauf aufmerksam, dass es gewisse Erfahrungen aus der Vergangenheit mit der Verstaatlichung solcher Bereiche gibt, die nicht unbedingt für ein solches
Plädoyer sprechen.
({5})
Deswegen werden wir uns diesem Petitum, wie Sie
wahrscheinlich erwartet haben, nicht anschließen.
Die Grünen möchten die eigentumsrechtliche Entflechtung. Ich sehe da nicht nur verfassungsmäßige Bedenken, die teilweise von der FDP angeführt worden
sind, sondern ich glaube auch, dass das Ganze am Ende
nicht zielführend sein würde.
Ich glaube aber, dass das Modell des sogenannten
Independent Service Operators prüfenswert ist. Das
spielt auch in den Überlegungen der Europäischen Kommission eine Rolle. Das scheint mir auch der Hintergrund für den Vorschlag zu sein, der jetzt aus dem Bereich europäischer Netzbetreiber gekommen ist. Ich sage
prüfen, ich sage nicht, dass das das Ei des Kolumbus ist.
Aber wenn das schon von der Unternehmensseite und
aus dem Bereich der Europäischen Kommission kommt,
dann verdient das jedenfalls eine intensive Prüfung.
Wenn das handhabbar wäre, hätte das den Charme einer
länderübergreifenden Lösung, die auch das Zusammenwachsen regionaler Märkte ermöglichen, vielleicht sogar
befördern würde.
Wir sind gegen Zwangsverkauf sowohl der Netze als
auch von Erzeugungskapazitäten. Das ist eine Forderung, die auf Länderebene erhoben wird, zum Beispiel
von dem ansonsten sehr schönen Bundesland Hessen.
Wir sind im Gegenteil dafür, dass wir versuchen sollten,
alle Elemente, die Wettbewerb befördern können, tatsächlich zu unterstützen. Die Bundesregierung hat auch
dazu bereits einiges deutlich gesagt. Sie wendet sich
zum Beispiel gegen eine Verlängerung der staatlichen
Tarifpreisaufsicht. Dieser Vorschlag ist allerdings aus einem anderen Bundesland gekommen, wenn auch von einem Mitglied der gleichen Partei.
Wir wünschen uns eine marktkonforme GWBNovelle. Ich glaube, das macht deutlich, dass wir noch
ein bisschen Gesprächsbedarf haben. Ich habe schon in
der letzten Woche gesagt: Wir werden eine gemeinsame
Lösung finden, die das Bundeskartellamt nicht nur personell, sondern auch in der Sache stärkt und ihm die
Möglichkeit gibt, den eventuellen Missbrauch einer
marktbeherrschenden Stellung festzustellen und zu sanktionieren.
Wir brauchen dringend - ich glaube, das ist in diesem
Kontext vielleicht sogar der wichtigste Bestandteil - die
Kraftwerksanschlussverordnung - auch das war hier
schon Thema -, weil es vor allen Dingen um die Vermehrung von Liquidität auf dem Strommarkt geht und
sicherlich auch um die Erhöhung der Anzahl von Anbietern in diesem Bereich. Das können wir über eine klug
ausgestaltete Kraftwerksanschlussverordnung organisieren. Es geht nicht nur um den unmittelbaren Anschluss,
sondern auch um das Engpassmanagement, und es geht
darum, wie man zusammen mit einer Kraftwerksanschlussverordnung und einer Anreizregulierung dafür
sorgen kann, dass Engpässe beseitigt werden, dass der
Netzausbau also so abläuft, dass die Kraftwerke, die ans
Netz gehen, dem Endverbraucher möglichst kurzfristig
100 Prozent der produzierten Strommenge zukommen
lassen können.
Man sieht also: Die Sorgen der Opposition sind eher
unbegründet. Die Dinge sind bei uns schon weit fortgeschritten und in guten Händen. Ich fürchte, dass die beiden nächsten Redner meine Auffassung trotzdem nicht
zu 100 Prozent teilen werden.
({6})
Aber auch Teilzustimmung würde mich natürlich sehr
freuen. In diesem Sinne bitte ich Sie, uns bei unserer Arbeit zu unterstützen. Ohne dass wir jetzt zu viel Lob erwarten: Machen Sie sich selber ein bisschen glaubwürdig, indem Sie das Positive unserer Arbeit hervorheben.
Dann sind wir auf einem guten, gemeinsamen Weg.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulla Lötzer von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Mittlerweile weiß in Europa jeder - außer den Energiekonzernen selbst -, dass RWE und Co ihre Marktmacht missbrauchen. Selbst die Deutsche Bank ist mit uns der
Überzeugung, dass „eine vollständige Trennung der
Stromerzeugung von den Netzen“ ideal wäre.
({0})
Denn:
Bis dato ermöglichen die Leitungsmonopole den
Stromkonzernen, die Konkurrenten klein- und die
Preise hochzuhalten.
Trotz Ihrer Vorsorge, Kollege Hempelmann, haben
die Energieversorger letztes Jahr mit Netzentgelten
23 Milliarden Euro eingenommen, aber nur 2,5 Milliarden Euro investiert. Da stellt sich auch der Bürgerin und
dem Bürger beim Blick auf die Stromrechnung die
Frage: Was ist mit dem Rest passiert? Die Antwort ist
einfach: Man hat nicht investiert, sondern man hat es für
hohe Managementgehälter, Dividenden oder die EndesaÜbernahme ausgegeben, um seine Monopolmacht auszuweiten.
Die Stromausfälle 2005 und 2006 haben gezeigt, dass
mangelnde Investitionen die Sicherheit der Energienetze
immer noch gefährden. Kollege Hempelmann, wenn Sie
nicht sehen, dass Sie trotz des beschlossenen Maßnahmepakets mehr tun müssen, dann sitzen wir bald öfter im
Dunkeln, als uns allen lieb ist.
({1})
Die Energieriesen nutzen ihr Monopol auch zu einer
Energiepolitik gegen den Klimawandel. Es ist doch absurd, dass Windanlagen an der Küste abgeschaltet werden müssen, wenn viel Wind bläst, weil die Netze für die
Strommenge nicht ausreichen. Der dringend erforderliche Netzausbau für erneuerbare Energien wird aber unterlassen. Insofern ist es dreist, wenn RWE nötige Investitionen unter den Vorbehalt stellt, dass beim
Klimaschutz Abstriche gemacht werden. Deshalb begrüßen wir, dass die EU-Kommission eine Debatte über die
Entflechtung von Netzen und Stromerzeugung begonnen
hat. Dass die Energiekonzerne drohen, auch darauf mit
einem Investitionsstopp zu reagieren, bestätigt nur eines:
dass ihre Monopolstellung tatsächlich beendet werden
muss.
({2})
Ja, Kollegin Kopp, das Angebot der Energieriesen
von dieser Woche ist eine Mogelpackung. Eine Netzgesellschaft gemeinsam mit Frankreich und den Beneluxstaaten, bei der ihr Eigentum erhalten bleibt, schränkt
ihre Macht nicht ein; im Gegenteil: Es würde ihr Monopol auf die gesamte europäische Region ausweiten. Das
halten wir für nicht hinnehmbar.
Handeln ist über die bisherigen Vorschläge hinaus
gefragt, doch die Bundesregierung nutzt ihre Ratspräsidentschaft zur Blockade einer Entflechtung. Mit Ihren
Maßnahmen, Kollege Pfeiffer und Kollege Hempelmann,
lassen Sie sich von den Energiekonzernen am Nasenring
durch die Arena führen.
Wir freuen uns, dass die Deutsche Bank mit uns die
Forderung erhebt, die Energiekonzerne zu zerschlagen.
({3})
Mit ihr teilen wir die Auffassung, dass der Eingriff in die
Eigentumsrechte in diesem Fall legitim und verfassungsgemäß ist. Wie tief sind Sie gesunken, Kollege Wend,
wenn die Deutsche Bank zur Herstellung von Verfassungsmäßigkeit schon die Linke als Bündnispartner
braucht?
({4})
Völlig zu Recht stellt die Deutsche Bank fest, dass die
Energieriesen die hohen Gewinne und ihr Kapital unrechtmäßig mit Monopolrenditen erwirtschaftet haben.
Damit haben sie ihre Entschädigung für die Enteignung
eigentlich schon vorab kassiert, und der Weg ist frei, die
Netze in die öffentliche Hand zu überführen;
({5})
denn es geht nicht darum, sie zum Spekulationsobjekt
für andere Private zu machen, indem man sie ihnen zum
Kauf anbietet, erst recht nicht für Private-Equity-Fonds;
das wäre tatsächlich keine Alternative.
In anderen europäischen Staaten - Finnland, Dänemark, Griechenland - ist man diesen Weg längst gegangen und sind die Netze in öffentlicher Hand.
({6})
Erst 2005 haben die Niederlande das Gasunternehmen
Gasunie aufgespalten und die Gasnetze komplett in die
öffentliche Hand überführt.
({7})
Versorgungssicherheit, die Verhinderung von preislichem Missbrauch und der Klimawandel erfordern europaweit eine Entflechtung, aber auch die Überführung
der Netze in die öffentliche Hand, wie wir es in unserem
Antrag dargelegt haben. Die Bundesregierung fordern
wir auf, bei der Ratssitzung ihre Blockadehaltung endlich aufzugeben.
Danke.
({8})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Bärbel Höhn vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vier große Konzerne haben den Strommarkt in Deutschland aufgeteilt. Das sind Eon, RWE, Vattenfall und
EnBW. Sie kontrollieren 90 Prozent der Stromproduktion und 100 Prozent der großen Transportnetze in
Deutschland. Das heißt: fehlender Wettbewerb. Dieser
fehlende Wettbewerb schadet den Verbrauchern, belastet
die Wirtschaft und behindert den Klimaschutz. Und das
ist nicht gut.
({0})
Deshalb brauchen wir dringend eine Politik, die für
mehr Wettbewerb sorgt. Insofern hat sich die Bundesregierung bisher nicht sehr hervorgetan. Ich erinnere nur
an einen Termin im Juni letzten Jahres. Da haben sich
die Netzregulierer getroffen und eigentlich ein gutes Ergebnis erzielt. 24 Mitgliedstaaten haben sich für eine
Trennung von Stromnetz und Stromproduktion eingesetzt. Ein Land hat dagegen gestimmt. Wie hieß dieses
Land? Es war - das ist vielleicht wichtig zu wissen Deutschland. Deutschland hat blockiert. Deutschland hat
genau diese Trennung blockiert. Das ist nicht gut. Dadurch ist kein Wettbewerb vorhanden.
Frau Kollegin Höhn, entschuldigen Sie, dass ich Sie
unterbreche. Erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kopp?
Aber bitte, Frau Kopp.
Bitte schön, Frau Kopp.
Danke schön. - Frau Höhn, Sie haben eben zu Recht
die große Konzentration auf dem Energiemarkt in
Deutschland beklagt. Sind Sie bereit, selbstkritisch festzustellen,
({0})
dass zu Zeiten der Regierung von Rot-Grün Ihre Fraktion daran beteiligt war, dass beispielsweise der Zusammenschluss von Eon und Ruhrgas zu einer weiteren
Konzentration beigetragen hat, die Sie heute beklagen?
Liebe Frau Kopp, der erste Punkt ist: Die Möglichkeiten und Instrumente, die die EU der rot-grünen Bundesregierung zur Entflechtung an die Hand gegeben hatte,
waren erst 2003 - das wissen Sie auch - richtig wirkungsvoll. Die Maßnahmen, die Ende des letzten Jahrtausends haben getroffen werden können, waren leider
noch nicht optimal.
Der zweite Punkt. Ich finde es immer problematisch,
wenn nach einer Ministerentscheidung
({0})
der zuständige Staatssekretär in den betreffenden Bereich wechselt, wie wir das gerade bei Ruhrgas erlebt haben. Das habe ich nie gutgeheißen. Ich glaube, das kann
man auch nicht gutheißen. Wir müssen für mehr Wettbewerb sorgen, damit so etwas in Zukunft nicht mehr passiert, liebe Frau Kopp.
({1})
Wie schwierig die Situation ist, die sich daraus ergibt,
dass kein Wettbewerb besteht, will ich an drei Punkten
deutlich machen, über die heute in den Zeitungen zu lesen ist und die alle dieselbe Wurzel haben:
In den Zeitungen heißt es heute - diese erste Meldung ist sozusagen ein Lobbyerfolg von RWE und Vattenfall -, die Union wolle Braunkohlekraftwerke in
der Klimadebatte schützen. Das, meine Damen und
Herren von der Union, ist ein schwerwiegender Fehler.
Die Bundeskanzlerin kann sich nicht in Brüssel hinstellen und sagen, dass sie etwas für den Klimaschutz tun
will und dass sie dabei ehrgeizige Ziele hat, wenn Sie
gleichzeitig die Kraftwerke, die den größten CO2-Ausstoß und die niedrigste Effizienz haben, schützen wollen. Wenn wir die Braunkohlekraftwerke, die wir haben,
durch neue ersetzen, werden wir die ehrgeizigen Klimaschutzziele in Deutschland nie erreichen, da können wir
noch so lange über Glühlampen und autofreie Sonntage
reden.
({2})
Der zweite Punkt - das ist ein genauso schwieriger
Punkt - bezieht sich auf die gestiegenen Gewinne von
Eon. Die Gewinne von Eon sind im letzten Jahr um
20 Prozent auf 4,4 Milliarden Euro gestiegen - eine
gigantische Summe -, und das durch ungerechtfertigte
Preiserhöhungen. Solche Gewinne und solche ungerechtfertigten Preiserhöhungen kann man nur in einer
solchen Situation wie der jetzigen erreichen, nämlich
ohne Wettbewerb. Die Energieunternehmen belasten die
Wirtschaft und die Verbraucher momentan mit ungefähr
5 Milliarden Euro jährlich, indem sie den Preis für die
Emissionszertifikate, die ihnen die Bundesregierung geschenkt hat, umlegen.
({3})
Ein Geschenk, für das sie nichts bezahlt haben, können
sie nur deshalb auf den Preis aufschlagen, weil es keinen
Wettbewerb gibt. Deshalb ist es falsch, diesen Weg weiterzugehen. Wir müssen zu mehr Wettbewerb kommen.
({4})
Der dritte Punkt, der die Sache nur noch schlimmer
macht, ist, dass durch die Milliardengewinne, die hier
eingestrichen werden, weitere Unternehmen aufgekauft
werden - ich erinnere nur an die Pläne von Eon zur
Übernahme von Endesa -; denn dadurch wird die marktbeherrschende Struktur, die wir jetzt in Deutschland haben, auf Europa ausgedehnt. Damit werden die Missstände noch verstärkt.
Deshalb sagen wir in unserem Antrag: Wir wollen die
marktbeherrschende Stellung der Energiekonzerne
aufbrechen. Dazu machen wir zwei Vorschläge: erstens
Enteignung der Transportnetze der großen Energiekonzerne und zweitens kartellrechtliche Entflechtung
der marktbeherrschenden Unternehmen nach amerikanischem Vorbild. Die USA sind sicher nicht sozialistisch.
Dort wurde AT & T einfach entflochten; sieben Babybells wurden daraus gemacht. Das war richtig; denn
Markt funktioniert nur, wenn man auch Markt herstellt.
Ein Markt, der den Unternehmen nur die Vorteile des
Marktes garantiert, weil er eigentlich ein Oligopol ist, ist
kein Markt, den wir wollen, das ist auch kein Markt, den
Sie sich wünschen können.
Ich komme zum Schluss. Mit diesen Forderungen befinden wir uns in illustrer Gesellschaft: Der Wirtschaftsminister von Hessen verfolgt ein ähnliches Ziel - interessanterweise hat kein großer Energiekonzern seinen
Sitz in Hessen -; die Deutsche Bank hat gerade in dieser
Woche noch einmal von der Enteignung der Stromnetze
gesprochen und auch „Financial Times Deutschland“
titelte vor wenigen Tagen: „Enteignet Eon!“.
Die Oligopolstruktur der Energiewirtschaft ist zu einem Risiko für den Standort Deutschland geworden. Hören Sie auf die Deutsche Bank! Hören Sie auf die Grünen! Hören Sie auf die EU-Kommission! Dann wird es
besser, weil es dann mehr Wettbewerb auf dem Strommarkt geben wird. Das ist besser für Verbraucher, Wirtschaft und Klima. Tun Sie etwas!
Vielen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 16/3357 zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel „Strom- und Gasnetze in die öffentliche
Hand“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 16/2678 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FrakVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
tion Die Linke und bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft
und Technologie auf Drucksache 16/3249 zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Regelmäßige
technische Überprüfung der Stromnetze“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/1447
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der
Fraktion Die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/4187 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf
Drucksache 16/4557 - Tagesordnungspunkt 6 d - soll an
dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes
- Drucksache 16/3226 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0})
- Drucksache 16/4209({1}) Berichterstattung:
Abgeordnete Julia Klöckner
Dr. Volker Wissing
Ulrike Höfken
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Julia Klöckner von der
CDU/CSU-Fraktion.
({2})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Jetzt geht es um ein Produkt. Ich glaube, wir
sind uns alle einig, dass es uns Spaß macht, trotz Fastenzeit dieses Produkt zu genießen. Deutschland hat viele
schöne Seiten, und ganz gewiss prägen unsere Weinlandschaften unser Land. Wir haben bei uns in Deutschland rund 100 000 Hektar Weinanbau und -ausbau. Der
Weinbau ist bei uns in Deutschland sehr traditionsreich.
Deshalb gibt es bei uns im Parlament eine fraktionsübergreifende Initiative, ein parlamentarisches Weinforum.
Ich freue mich, dass wir zusammenarbeiten, um den
deutschen Weinbau, um die Produkte unserer Winzerinnen und Winzer nach vorne zu bringen.
Nun ist es aber nicht so, dass Deutschland nur ein traditionsreiches Weinland ist, sondern Deutschland ist
auch der Weinmarkt, auf dem wir die meisten Weinimporte feststellen können.
({0})
Das heißt, unsere deutsche Winzerinnen und Winzer stehen in einem Wettbewerb, seit die Handelsschranken
gefallen sind und die Weine aus den Drittländern als interessant und exotisch angesehen werden. Die Herausforderung ist, dass man sich dem Wettbewerb, aber auch
dem Marketing stellt. Wir brauchen gemeinsame Marketinganstrengungen, Vermarktungsanstrengungen.
Das Weingesetz, das wir in Deutschland haben, ist eines der strengsten Weingesetze. Es ist richtig, dass das
Produkt Wein ein reines Produkt ist,
({1})
dass wir hohe Anforderungen an dieses Produkt haben.
Eines ist auch wichtig: Wir müssen darauf achten, dass
unsere Handschrift erhalten bleibt, dass wir kein Massenprodukt, keine Industrieware herstellen, sondern der
Geschmack des Jahrgangs erhalten bleibt und wir unseren Winzerinnen und Winzern keine Steine in den Weg
legen. Denn gute Produkte werden nicht am Schreibtisch
gemacht, sondern im Weinberg. Das ist ganz wichtig;
das ist CDU/CSU-Politik.
({2})
Warum sind wir heute beieinander? Nicht zu einer
Weinprobe, sondern um die Änderungen des Weingesetzes zu besprechen. Das Weingesetz ist in die Europäische Weinmarktordnung eingebunden. Es gibt viele
lebensmittelrechtliche und marktordnungsrechtliche
Vorschriften. Sie müssen nach und nach angepasst werden. Deshalb bin ich froh, dass wir sehr einvernehmlich
- über die Fraktionsgrenzen hinweg - zusammen mit der
Weinwirtschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip - das
heißt, die Vorschläge kamen von unten nach oben; der
Gesetzgeber hat nicht einfach etwas vorgeschlagen, sondern das BMELV, also das Verbraucher- und Agrarministerium, hat sich mit den einzelnen Wirtschaftstreibenden in der Weinwirtschaft zusammengesetzt - nach
Lösungen und Änderungen gesucht haben.
Es wird keine großen, spektakulären Änderungen geben. Es geht unter anderem darum, Wiederbepflanzungsrechte leichter und flexibler zu handhaben. Es geht um
die Hektarertragsregelung und um die Bezeichnungsrechte. Die Länderermächtigung ist zum Beispiel für
Rheinland-Pfalz wichtig. Wir haben sechs Weinanbaugebiete. Herr Bleser, der hier ganz aufmerksam zuhört,
vertritt die Mosel.
({3})
Die Wiederbepflanzungsrechte spielen eine ganz
große Rolle. Die Länder sollen ermächtigt werden, bestimmte Flächen zwischen den einzelnen Anbaugebieten
zu übertragen, wenn es denn notwendig ist. Wir möchten, dass die Probleme da gelöst werden, wo sie auftreten. Deshalb sollen die Länder selbst entscheiden.
({4})
Sinnvoll ist es auch, den Steillagenweinbau an der
Ahr, an der Mosel, am Mittelrhein und bei mir an der
Nahe zu unterstützen.
({5})
- In Franken ist das mit dem Steillagenweinbau so eine
Sache. Ihr habt da nur noch ein bisschen, lieber Kollege.
({6})
- Alles hervorragende Weine. - Es ist also sehr wichtig,
dass wir den Steillagenweinbau, der das touristische Bild
in vielen Gegenden - ich denke nur an das Mittelrheintal prägt, fördern. Es wäre fatal, wenn die Weinbergslagen
dort brachlägen. Doch für diese Lagen haben die Winzerinnen und Winzer sehr hohe Aufwendungen, die vom
Verbraucher leider nicht immer bezahlt werden. Es ist
ganz klar, hier stehen wir im Wettbewerb. Zugleich
möchten wir, dass diese Kulturlandschaft weiterhin gepflegt wird; das ist für uns sehr wichtig. Deshalb werden
wir den Steillagenweinbau in der Form unterstützen,
dass dessen Hektarerträge mit den aus Flachlagen innerbetrieblich saldiert werden können.
Nun komme ich zur Destillation: Destillation gibt es
dann, wenn zu viel Wein produziert wird. Es blutet einem immer das Herz, wenn Wein vernichtet werden
muss.
({7})
- Trinken ist eine Möglichkeit. Wir werden aber darüber
hinaus die Möglichkeit eröffnen, dass man nicht den betreffenden Jahrgang selber destillieren muss. Wenn es
ein hervorragender Jahrgang mit bester Qualität ist, wäre
es doch unsinnig, diesen Wein zu destillieren. Destillationsmengen können jetzt zwischen Jahrgängen übertragen bzw. überschrieben werden.
({8})
Das ist nützlich und auch sehr praxisgerecht.
({9})
Ich greife auch gerne den Zwischenruf „Trinken!“ auf
und ermuntere Sie: am besten trinken!
Nun komme ich zu den Bezeichnungen; das wird
insbesondere für die Verbraucherinnen und Verbraucher
von Interesse sein. Was bringt es, wenn auf dem Etikett
lange Bezeichnungen stehen und es schwierig zu erkennen ist, was sie bedeuten. „Qualitätsweine mit Prädikat“
werden umbenannt und heißen nach einer Übergangszeit
von zwei Jahren nur noch „Prädikatsweine“. Das Anbaugebiet „Mosel-Saar-Ruwer“ ist im In- und Ausland unter
dem knackig-kurzen Begriff „Mosel“ bekannt. So wird
es zukünftig auch heißen. Die Kategorie „Qualitätswein
garantierten Ursprungs“ hat sich weltweit, aber auch in
Deutschland überhaupt nicht durchgesetzt. Da das
Agrarministerium sich entschieden hat, Bürokratie abzubauen und Dinge, die man nicht braucht, zu streichen,
haben auch wir den Mut, diese Kategorie einfach zu
streichen. Wir brauchen sie nämlich wirklich nicht.
Auch das ist praxisgerecht.
({10})
Nun komme ich zu einem Knackpunkt; darüber haben
wir - ich denke besonders an den Kollegen Herzog lange mit den beteiligten Kellereien geredet: Es geht um
die Abgaberegelung. Wir brauchen ein Gemeinschaftsmarketing, das über den Anstrengungen der einzelnen
Unternehmen, Kellereien oder Kleinbetriebe steht. Dieses Gemeinschaftsmarketing muss auch finanziert werden. Diese Finanzierung ist wie so häufig, wenn es ums
Geld geht, umstritten. Mit der neuen Abgaberegelung erreichen wir nun, dass diejenigen zur Abgabe herangezogen werden, die auch mit dem Wein handeln. Zwar
musste auch bisher der Gastronom oder der Einzelhändler eine Abgabe zahlen. Weil aber die Geschäftsbeziehungen des Weinverkäufers mit dem Handel und der
Gastronomie dadurch ein bisschen belastet wurden, hat
de facto jener häufig die Abgabe für Handel und Gastronomie übernommen. Wir hatten also eine ganz andere
Praxis als im Gesetz vorgesehen. Das möchten wir ändern.
Im Einvernehmen mit allen Beteiligten haben wir
jetzt ein Abgabesystem geschaffen, das sehr effektiv und
transparent ist. Die bisherige Flächenabgabe wird beibehalten, aber die Handelsabgabe wird neu definiert. Eines
ist dabei uns allen, die beteiligt waren, sehr wichtig: Die
Kellereien, die dagegen eine Klage angestrengt hatten,
werden, wenn wir heute für das Gesetz stimmen und das
Gesetz in Kraft getreten ist, ihre Klagen zurückziehen.
Dadurch kann das Gemeinschaftsmarketing ohne große
Reibereien - normale Leute haben ordentlich miteinander geredet - beibehalten werden. Dafür danke ich allen
sehr herzlich.
({11})
Zum Gesamtpaket gehört auch, dass die Zahl der Aufsichtsratssitze beim Deutschen Weinfonds von sieben
auf neun erhöht wird.
({12})
- Lieber Herr Kollege Goldmann, ich bin noch nicht fertig gewesen. Sie haben mir das Stichwort „Bürokratieabbau“ aus dem Mund genommen: Es gab den Vorschlag,
in den Verwaltungsrat Vertreter der Politik mitaufzunehmen. Nun sind Vertreter der Politik, sprich: Bundestagsabgeordnete, schier unbegrenzt in ihrer Weisheit;
({13})
darüber sind wir uns alle einig. Aber nicht überall bringen sie auch ein Mehr an Erkenntnis. Deshalb haben wir
ganz selbstkritisch gesagt: Was soll diese Bürokratie?
Warum sollen Abgeordnete jetzt noch in Aufsichtsratssitzungen die belegten Brötchen essen?
({14})
- Keine Diffamierung; ich habe es spaßig gemeint. - Wir
haben ganz klar gesagt: Die Fachleute sollen sich über
ihre Belange austauschen und nicht womöglich noch
durch politische Streitereien behindert werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch einen Blick auf die Europäische Union werfen. Auf der
europäischen Ebene ist zurzeit die Weinmarktordnung in
der Debatte. Wir halten es für wichtig, dass diese Marktordnung reformiert wird. Aber entscheidend ist dabei,
dass wir das nicht nach dem Gießkannenprinzip machen.
Wir müssen die Destillationskosten und die Interventionskosten minimieren und die Probleme dort lösen, wo
sie entstehen. Deutschland steht prima da. Es kann nicht
sein, dass Deutschland Gelder gestrichen oder Auflagen
gemacht werden, wenn das unbegründet ist. Wir müssen
unsere traditionelle Weinbereitung beibehalten.
Ich bedanke mich zum Schluss bei unseren Winzerinnen und Winzern, die sich an den Markt anpassen, auf
Qualität setzen, den Verbraucher im Blick haben und vor
allen Dingen auf einen mäßigen, aber regelmäßigen
Konsum setzen.
({15})
Deshalb lassen Sie uns alle gemeinsam gegen die EURegelungswut vorgehen. Es ist falsch, wenn Wein als
Alkohol abgestempelt und letztlich ein Werbeverbot gefordert wird.
({16})
Wir sind für den selbstständigen Umgang des mündigen
Bürgers mit diesem Thema.
Ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, beim Ministerium und auch bei der Weinwirtschaft.
Der Wein ist eine kulturelle Bereicherung Deutschlands,
und so soll es auch bleiben.
({17})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Michael
Goldmann von der FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Was im heutigen Weingesetz steht, ist weitestgehend Konsens zwischen den Fraktionen. Das gilt nicht
nur für den Bundestag, sondern auch für die Betroffenen
in den Branchen. Deswegen lassen Sie mich den Blick
auf die Dinge lenken, die nicht im Entwurf enthalten
sind.
Die Weinbaupolitik der Großen Koalition ist vor allem durch große Ankündigungen, aufgeblasene Forderungen und leider minimale Ergebnisse geprägt.
({0})
Was hat uns der Landwirtschaftsminister - so will ich
ihn einmal nennen -, der gleichzeitig weinbaupolitischer
Minister ist, nicht alles versprochen?
({1})
Er hat eine Kennzeichnungspflicht für sogenannte
amerikanische Kunstweine gefordert. Nun konsumiere ich, obwohl ich aus dem Norden komme, ohnehin
kaum amerikanische Weine, sondern bevorzuge durchaus die aus der Pfalz. Aber mir ist in keinem Laden eine
einzige Flasche begegnet, auf der ein Warnhinweis gewesen wäre, dass es sich um einen amerikanischen
Kunstwein handelt. Da frage ich mich dann doch: Was
sollte eigentlich die politische Zielsetzung sein, die Herr
Minister Seehofer mit dieser Forderung verbunden hat?
Eigentlich keine. In der Weinpolitik ist viel angekündigt
und kaum etwas gemacht worden.
({2})
Herr Minister Seehofer wollte doch das EU-Weinhandelsabkommen mit den USA, liebe Frau Klöckner,
neu verhandeln. Was hat er stattdessen gemacht? Er hat
ihm zugestimmt.
({3})
- Doch, das stimmt, Frau Klöckner. - Ein Großteil der
Seehofer’schen Forderungen war kaum erhoben, da wurden sie vom eigenen Haus auch schon wieder dementiert.
Herr Kollege Goldmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Klöckner?
Ja, gerne.
Bitte schön, Frau Klöckner.
Sehr geschätzter Herr Kollege Goldmann, es kann ja
sein, dass in der Hitze des Gefechtes ab und zu einige
Fakten untergehen. Nehmen Sie denn zur Kenntnis, dass
Herr Minister Seehofer im Dezember 2005 mit dem Kollegen aus Österreich und anderen Verbündeten gegen das
Weinhandelsabkommen und die Inhalte dieses Abkommens gestimmt hat? Oder können Sie mir andere, neue
Erkenntnisse mitteilen?
({0})
Erstens nehme ich das, was Sie sagen, zur Kenntnis.
Zweitens bin ich nach wie vor der Meinung, dass der
Ansatz des Herrn Ministers, das gesamte EU-Weinhan8580
delsabkommen mit den USA neu zu verhandeln, nicht
zustande gekommen ist. Das wissen Sie so gut wie ich.
({0})
- Sie können gerne eine Nachfrage stellen, aber Sie sollten mich jetzt nicht unterbrechen; denn sonst haben Sie
nicht die Chance, meine Ausführungen zu hören. Sie
wissen selbst, dass die Fakten, die ich eben genannt
habe, den Gegebenheiten entsprechen.
({1})
Einige Punkte sind zum Teil - ich habe es bereits gesagt - vom eigenen Haus dementiert worden.
Ich komme nun zu einem in meinen Augen absolut
unrühmlichen fachlichen Höhepunkt. Frau Klöckner, hören Sie gut zu, damit Sie hinterher nicht behaupten, ich
hätte etwas Falsches gesagt
({2})
- Ich gestehe Ihnen zu, dass Sie vom Wein mehr Ahnung
haben als ich. Aber wir sind hier in einer politischen
Auseinandersetzung. - Ich möchte in Erinnerung rufen,
dass der Minister - das werden Sie mir sicherlich bestätigen - ein Reinheitsgebot für Wein gefordert hat.
({3})
Kaum wurde dieses Reinheitsgebot vom Minister überall
angekündigt, erklärte sein eigenes Haus auf Nachfrage
der FDP, dass das alles nicht so gemeint sei. Es wurde
gesagt: Inhaltlich ist das Reinheitsgebot auf den Weinsektor nicht zu übertragen.
Was sind das für Zustände im Haus des Ministers?
Angesichts der Aktion des Ministers muss man sich
wirklich fragen, wie eine solche Botschaft ausgesendet
werden kann. Ich will Ihnen im Vertrauen sagen, dass ein
geschätzter Kollege nach den Inhaltsstoffen des Weines
gefragt hatte. Dabei stellte sich heraus, dass im Wein bis
zu 100 qualitätsverbessernde Inhaltsstoffe enthalten
sind, und zwar richtigerweise. Eine Übertragung des
Reinheitsgebots für Bier auf den Wein ist also völlig absurd und wird vor allen Dingen den Qualitätsweinen,
wie Sie wissen, überhaupt nicht gerecht.
({4})
Die Reinheitsgebotsnummer von Herrn Seehofer war
wirklich eine absolute Luftnummer. Mittlerweise redet
der Herr Minister auch nicht mehr davon.
({5})
Was ist geblieben? - Ein Kodex. Damit ist er zufrieden. Dieser Kodex bezieht sich nicht mehr auf alle deutschen Weine, sondern eben nur auf die Prädikatsweine.
Selbst in diesem eng begrenzten Qualitätssegment sind
wir richtigerweise - ich sagte es bereits - von einem
Reinheitsgebot wie beim Bier weit entfernt. Denn es ist
einfach unsachgemäß, Regelungen aus speziellen Bereichen auf andere Bereiche zu übertragen. Das würde auch
dem Verbraucherschutz schaden; denn der Begriff „rein“
wird von jedem Verbraucher völlig anders definiert und
führt nur zur Verwirrung. Meiner Meinung nach hat die
Diskussion um ein Reinheitsgebot für Wein dem Wein
und vor allem dem Qualitätswein geschadet. Das hätte
der Minister verhindern müssen.
({6})
Ich habe leider den Eindruck - das sage ich jetzt wirklich ohne jede Anspielung -, dass der Minister an dem
Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz insgesamt kein sehr hohes Interesse hat; wir erleben das im Ausschuss ein um das andere Mal. Ich muss
wohl Verständnis dafür haben, dass er bei der heutigen
Debatte nicht anwesend sein will.
({7})
- Aber das ist schon ein Problem. Angesichts der Tatsache, dass wir über dieses wichtige Gesetz, das Auswirkungen auf den Markt hat, diskutieren und dass wir über
die Weinmarktordnung auf europäischer Ebene reden
müssen, ist es sicherlich gut, dass Sie, Herr Staatssekretär, hier sitzen und zuhören. Aber ich fände es schon gut,
wenn an einem Tag, an dem das Weingesetz, das Gentechnikgesetz und - heute Abend - auch noch das Verbraucherinformationsgesetz auf der Tagesordnung stehen, der Minister anwesend wäre, ganz egal, an welcher
Stelle in Deutschland Wein oder Bier vernichtet wird.
Ich kann sein Verhalten nicht gutheißen.
({8})
Ich bin der Meinung, das Ministerium befindet sich
nicht nur, was die Behandlung des Themas Wein angeht,
sondern auch in anderen Bereichen in einem schlechten
Zustand.
({9})
Insgesamt können wir mit der gesetzlichen Ausgestaltung zufrieden sein. Aber wir mahnen sehr nachdrücklich eine tiefere Durchdringung von fachlichen Themen
im Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz an.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat jetzt der Kollege Gustav Herzog von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
habe einmal gelernt, dass man mit gutem Beispiel vorangehen sollte. Herr Kollege Goldmann, Sie fordern die
tiefere fachliche Durchdringung durch das Ministerium
ein. Aber genau das haben Sie in Ihrer Rede nicht geleistet.
({0})
Sie haben zum Gesetz kaum etwas gesagt. Wenn man
aus Ihrer Rede das Reizwort „Reinheitsgebot“ herausGustav Herzog
streichen würde, dann hätten Sie eigentlich nicht nur
nichts, sondern gar nichts gesagt. Das ist einfach schade.
({1})
Im Übrigen halte ich die Debatte über den sogenannten Industriewein aus den USA - vielleicht unterscheide ich mich da etwas von der Kollegin Klöckner für überzogen.
({2})
Denn bislang hat mir niemand gezeigt, dass in den Regalen des Fachhandels oder des Lebensmitteleinzelhandels
Batterien von Flaschen stehen, die, so hergestellt, aus
den USA hierhergekommen sind.
({3})
Im Gegenteil: Die Diskussion hier hat dazu geführt, dass
der Umsatz mit Wein aus den USA um 20 Prozent eingebrochen ist.
Zurück zu dem Gesetzentwurf, der uns hier beschäftigt. Dieser Gesetzentwurf konnte deshalb so gut beraten
werden, wie die Kollegin Klöckner gesagt hat, und im
Ausschuss einstimmig beschlossen werden,
({4})
weil wir, Herr Kollege Goldmann, eine gute Strategie
angewandt haben.
({5})
Wir haben zum Beispiel der Weinwirtschaft gegenüber
signalisiert: Wir nehmen eure Anregungen gerne auf,
({6})
aber nur dann, wenn ihr nicht versucht, uns gegeneinander auszuspielen, sondern euch vorher in euren Reihen
einigt.
({7})
Wir haben in diesem Gesetzentwurf eine ganze Reihe
von Dingen festgelegt, die vielleicht auch für die Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fachbereichen beispielhaft wären. Wir haben Überflüssiges wie zum Beispiel die Kategorie des Qualitätsweins garantierten
Ursprungs gestrichen. Er hatte keine Marktrelevanz. Wir
haben das Bezeichnungsrecht etwas zugespitzt und für
den Verbraucher deutlicher gemacht. Daher darf ich alle
auffordern, die Gelegenheit zu nutzen, in der Region
Mosel-Saar-Ruwer, in Ihrer Region, Herr Kollege
Bleser, noch schnell Wein zu kaufen.
({8})
Denn diese Bezeichnung steht so bald nicht mehr auf
dem Etikett. Auch das Wortungetüm „Qualitätswein mit
Prädikat“ haben wir vereinfacht.
Wir haben darüber hinaus eine Reihe von Regelungen
einfacher gestaltet und näher an die Realität gebracht. Es
ist nun einmal so, dass bei den allermeisten Winzern die
Übermenge, die anfällt und zu entsorgen ist, bei unter
1 000 Litern liegt. Der Aufwand, dies zu einer Brennerei
zu bringen, steht in keinem Verhältnis zu dem materiellen Wert, der damit verbunden ist. Deswegen ist es gut,
dass dies jetzt auch anders entsorgt werden kann. Wir
haben eine Reihe von Bestimmungen, zum Beispiel die
Wiederbepflanzungsrechte und die Verrechnung der
Hektarhöchsterträge, in die Verantwortung der Länder
gegeben. Dies gilt auch für die Nutzung der Daten aus
der EU-Weinbaukartei für andere Zwecke, damit hier
keine doppelte Erhebung stattfinden muss.
Aufgrund einer weiteren Anregung aus der Weinwirtschaft und unserer eigenen Erkenntnisse sind wir zu der
Entscheidung gekommen, den Perlwein nicht aus dem
Kontingent „Verarbeitungswein“ herausproduzieren zu
können, weil wir der Auffassung sind: Hier haben unsere
Winzerinnen und Winzer Hervorragendes geleistet. Qualität hat sich ausgezeichnet. Das wollten wir nicht in Gefahr bringen.
Ich bin der Auffassung, wir hätten als Abgeordnete
im Verwaltungsrat des Deutschen Weinfonds eine
ganz gute Rolle gespielt. Aber das ist nicht notwendig;
das können die Betreffenden auch gut allein. Einigen
Anregungen sind wir aber nachgekommen: Wir haben
die Zusammensetzung verändert. Ich denke, das ist eine
vernünftige Sache. Ebenso erfolgte eine Umstellung von
der Handels- auf die Erzeugerabgabe, auch wenn ich
hierzu sagen muss: Nicht alle sind darüber glücklich.
Mit den Vertretern der Sektkellereien werden wir noch
ein Gespräch führen. Sie sind durch unseren Gesetzentwurf nicht schlechter gestellt worden. Aber andere haben einen kleinen Vorteil.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es waren gute Beratungen unter den Berichterstattern. Auch die Kontakte
zu den Ländern haben geholfen. Insbesondere Rheinland-Pfalz hat wichtige Anregungen gegeben. Herr
Staatssekretär, ich danke auch für die Formulierungshilfen
({9})
aus dem Ministerium zum Änderungsantrag der Fraktion. Ich hoffe, dass wir die Einstimmigkeit im Ausschuss, Herr Kollege Goldmann, auch hier wiederfinden.
({10})
Ich habe noch etwas Redezeit; deswegen lassen Sie
mich noch zu drei weiteren Punkten etwas sagen: zunächst zum Thema Bundesressortforschung, das den
Ausschuss in dieser Woche auch beschäftigt hat.
({11})
Ich bitte Sie, Herr Kollege Müller, Herrn Paziorek meinen Dank zu sagen. Es waren gute Gespräche mit ihm,
was den Wein angeht. Dass wir die Forschung jetzt am
Standort Siebeldingen konzentrieren und gleichzeitig
- das freut den Kollegen Bleser - eine Forschungsstation
in Bernkastel-Kues erhalten, ist eine kluge Entscheidung, die zeigt: Wir sind in der Lage, zu konzentrieren,
ohne dass wir Bereiche der Forschung wie die im Steillagenbau aufgeben müssen.
({12})
Zur Lage der deutschen Weinwirtschaft. Der Weinmarkt ist stabil. Die Marktführerschaft der deutschen
Weine im Inland wird ausgebaut. Der Weißwein gewinnt
international immer mehr an Anerkennung. Auch der
deutsche Rotwein kann sich sehen lassen.
Was die EU-Weinmarktordnung angeht, denke ich,
liegt die Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu
den Vorschlägen der Kommission auf unserer Linie. Wir
wollen mehr Marktnähe und weniger Intervention. Wir
wollen aber auch, dass regionaltypische Weinbehandlungsmethoden wie die Saccharose-Anreicherung unbedingt erhalten bleiben. Ich glaube, darin sind wir uns in
diesem Hause einig.
Wir sind sicherlich auch gemeinsam der Auffassung,
dass wir uns bei den önologischen Verfahren Neuerungen nicht verschließen, dass aber auch sichergestellt sein
muss, dass es eine Übereinkunft zum Beispiel über das
internationale Weinamt gibt.
Was die Rodung und die Strukturänderungen angeht,
die in den Ländern möglich sind, denke ich, dass es vernünftig ist, wenn dies vor Ort gemacht wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss: Ich
weiß nicht, was Sie am Wochenende vorhaben.
({13})
In meiner pfälzischen Heimat beginnt die Saison der
Weinfeste. Das Mandelblütenfest war noch nie so früh
wie in diesem Jahr, nämlich an diesem Wochenende.
Dies ist sicherlich ein Ergebnis - ich will nicht sagen:
des Klimawandels - der aktuellen Wetterverhältnisse.
Die Weinwirtschaft hat in diesem Halbjahr schon eine
Reihe von Veranstaltungen durchgeführt, auf denen sie
sich mit dem Klimawandel und mit der Frage beschäftigt hat, welche Chancen dieser für uns bringt
({14})
und welche Risiken damit verbunden sind, etwa in der
Form, dass Krankheiten und Schadorganismen, die es
bei uns früher nie gab, jetzt in den Norden wandern. Ich
denke, unsere Aufgabe ist es, der Weinwirtschaft dabei
zu helfen, diese Chancen und Risiken wahrzunehmen.
Mit dem heutigen Gesetz haben wir einen kleinen, aber
wichtigen Beitrag dazu geleistet.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({15})
Das Wort hat der Kollege Roland Claus von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist schon über das große Einvernehmen bei
der Behandlung dieses Gesetzentwurfs berichtet worden.
Ich will in dieser Hinsicht auch kein Wasser in den Wein
gießen, sondern für meine Fraktion die Zustimmung erklären.
({0})
Ich glaube, das ist ein gutes Signal an die Winzerinnen
und Winzer in Deutschland: Der Bundestag kann auch
einmal etwas gemeinsam leisten.
({1})
Ich möchte aber - ich glaube, im Namen des ganzen
Hauses - einem vielleicht aufkommenden Gerücht entgegenwirken, das da lauten könnte: Sie streiten sich ansonsten wie die Kesselflicker; nur beim Wein waren sie
sich einig.
({2})
Daraus könnte man falsche Schlüsse ziehen. Aber es
sind immer noch zwei Drittel der Anträge, die wir im
Bundestag einvernehmlich beschließen. Das nur zur Erinnerung.
Ich halte diese Gemeinsamkeit auch für wichtig im
Hinblick auf anstehende Konflikte in und mit der Europäischen Union. Darauf ist hier schon hingewiesen worden. Die EU-Weinmarktordnung ist ein Problem, besonders für kleine Weinanbaugebiete und gerade für meinen
Wahlkreis, die Saale-Unstrut-Region, eine hervorragende Weinlandschaft,
({3})
aber auch für den Weinanbau an der sächsischen Elbe. Es
ist nötig - insoweit verpassen wir auch keine Chance -,
immer wieder zu erklären, dass es auch sehr gehaltvolle,
qualitativ gute Weine aus den neuen Bundesländern
gibt. Das soll hier auch erwähnt werden.
({4})
In meiner Region, an Saale und Unstrut, gibt es in der
Tat viele Leuchttürme, entstehende Industrie, eine große
Geschichte, den Naumburger Dom, die Himmelsscheibe
von Nebra. Trotzdem ist es der Wein, der der Region die
Identität gibt.
Schon im Jahr 998 wird der Weinbau an Saale und
Unstrut von Kaiser Otto III. urkundlich attestiert. Aber
wir haben auch Neuigkeiten einzubringen, wie Weinberge an renaturierten Tagebauhängen. Die gesamtdeutsche Weinprinzessin Sandra wohnt im Herzen von Kohlebergbau und Chemieindustrie.
({5})
- Das sind Transformationsprozesse, die Sie auch für
sich erschließen können. Kommen Sie zu uns, und
schauen Sie sich das an!
Wenn, wie es bei uns der Fall ist, die Nachfrage nach
Saale-Unstrut-Wein bereits das Angebot übersteigt, hätte
eine Reduzierung der Anbaufläche fatale Folgen. Ich
weiß, dass wir hier gemeinsam agieren und vom Minister unterstützt werden.
Die Linke hat zeitig die Bedeutung des Weines erkannt. Ein namhafter Weinkenner, Friedrich Engels, hat
bereits 1876, also lange vor der rheinischen Frohnatur
Kurt Beck,
({6})
Folgendes festgestellt:
Ernstliche und besonders erfolgreiche Aufstände
kamen nur in Weinländern … vor
({7})
Er begründet es dann: Dort habe der preußische Kartoffelschnaps, irreführend Branntwein genannt, noch
nicht seine verheerende, die Arbeiter ins Verderben stürzende Wirkung entfaltet.
Ich will mit Heinrich Heine schließen, der uns diesen
schönen Vers mit auf den Weg gab:
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.
({8})
Das ist für mich die Gelegenheit, hier mit einer Fehlinterpretation bezüglich der neuen Linken aufzuräumen:
Wir predigen nicht Wasser; wir predigen Wein, und den
für alle, natürlich - ich sage das mit Blick auf die Tribüne - unter Wahrung des Kinder- und Jugendschutzes.
({9})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Nur zur Klarstellung: Karl Marx kam aus
Trier, von der Mosel; Kurt Beck kommt aus der Pfalz.
({0})
- Friedrich Engels kommt aus Wuppertal, wo es ausnahmsweise keinen Weinanbau gibt. Das macht aber
nichts. Wir können diesem Thema durchaus etwas Verbindendes abgewinnen, was sich auch im Abstimmungsverhalten zeigen wird.
Die Regelungen, die von meinen Kolleginnen und
Kollegen schon vorgestellt wurden, entsprechen im Großen und Ganzen dem Wunsch der Weinwirtschaft; sie
sind sinnvoll. Insofern sind sie zu unterstützen. Allerdings bringen sie in keinem Sinne eine revolutionäre
Veränderung; sie sind von nicht allzu großer Tragweite.
Ich denke aber, sie führen uns ein Stück weiter.
Ich will einen Blick auf das werfen, was unter der
deutschen EU-Ratspräsidentschaft stärker in den Gesichtswinkel rücken sollte: die EU-Weinmarktordnung. Ich möchte auf das Reinheitsgebot zurückkommen, das Minister Seehofer gefordert hat. Bei ihm
besteht der Mangel, dass auf die Worte keine Taten folgen. Ich will ihn aber ein wenig verteidigen, Herr
Goldmann: Ich glaube, die Intention von Herrn Seehofer
war schon ganz richtig; er wollte nämlich die Botschaft
senden - ich hoffe, dass das hinterher mit Taten verbunden wird -, dass es beim Wein gerade in Deutschland um
ein Kulturgut geht: um ein Kulturerbe, das eng mit unseren Regionen und unserer Tradition verbunden ist, um
ein kunsthandwerkliches Produkt. Wir müssen uns einmal intensiver mit der Frage auseinandersetzen, was uns
die Weinmarktordnung diesbezüglich bietet: Ist das
wirklich mit den Zielen, die wir Deutsche uns setzen
müssen und wollen, zu verbinden?
Ich möchte daran erinnern, dass es in der europäischen Weinwirtschaft 2,5 Millionen Arbeitnehmer und
Arbeitnehmerinnen gibt. Es ist ein Sektor von großer
Bedeutung, für Deutschland nicht so sehr wie für Spanien, Frankreich oder Italien. Er ist aber auch für uns,
gerade aus diesem kulturhistorischen Verständnis heraus, sehr wichtig.
Da muss man sich fragen: Welche Linie verfolgen
Herr Seehofer und die Bundesregierung dabei? Ich
denke, die Frage der Verringerung der Erzeugung stellt
sich natürlich, weil wirklich enorme europäische Mittel
für die Destillation verwendet und - ich sage auch - verschwendet werden. Das kann sich aber nur auf die geringeren Qualitäten beziehen; das heißt, Tafelweine und
Fassweine müssen destilliert und vernichtet werden.
Was ist die europäische Antwort hierauf? Die Weinmarktordnung spiegelt technokratische Lösungen wider:
Ausrodungen, technische Maßnahmen. Es fehlt etwas,
was ich für notwendig halte: Die Verringerung der
Menge sollte durch Qualitätsanforderungen erreicht
werden.
({1})
Ich denke, da muss massiv nachgebessert werden.
Das würde für mich auch heißen, dass die Anforderungen an die Hektarhöchsterträge massiv in die Diskussion
gebracht werden müssen. Wir müssen dazu kommen,
dass man nicht mehr massenhaft Geld für die Rodung
bereitstellt. Vielmehr müssen wir diese Maßnahmen dahin gehend überprüfen, ob sie nachhaltig sind, ob mit ihnen die Qualitätsanforderungen erfüllt werden können,
ob damit die Verbraucherwünsche respektiert werden
und ob sie sozial in dem Sinn sind, dass sie Arbeitsplätze
und Betriebe sichern, und das europaweit. Ich glaube, da
haben wir noch eine enorme Aufgabe vor uns.
Danke schön.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Weingesetzes, Drucksache 16/3226. Der
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/4209 ({0}), den Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zwei-
ter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-
nommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJosef Fell, Cornelia Behm, Winfried Hermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Einführung eines Erneuerbare Energien Wärmegesetzes - EEW
- Drucksache 16/3826 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({2}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske,
Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Für eine sichere Energieversorgung im
21. Jahrhundert - Energieeinsparung und er-
neuerbare Energien statt Öl, Atom und Kohle
- Drucksachen 16/579, 16/1015 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Marco Bülow
Hans-Kurt Hill
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Cornelia Behm,
Dr. Reinhard Loske, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Biogaseinspeisungsstrategie entwickeln und
Biogaseinspeisungsgesetz vorlegen
- Drucksachen 16/582, 16/4118 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Axel Berg
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten sollen. Gibt es
Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Hans-Josef Fell von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Klima und Energie
stehen im Zentrum der letzten Gipfeltreffen, die stattgefunden haben, auch heute wieder auf dem EU-Gipfel in
Brüssel. Es ist wichtig, dass wir uns darum kümmern.
Frau Merkel rühmt sich jetzt, den Klimaschutz voranzutreiben, und macht auch Vorschläge zur Energieversorgungssicherheit. Doch für beides schlägt sie nicht die
entscheidenden Ziele und schon gar nicht die entscheidenden Maßnahmen vor.
20 Prozent CO2-Minderung ist angesichts der Herausforderung, vor der wir im Klimaschutz stehen und auf
die uns die Klimaforscher immer wieder hinweisen, viel
zu wenig. Gerade heute hat Greenpeace eine Studie veröffentlicht und nachgewiesen, dass diese 20 Prozent sogar eine Mogelpackung sind. Unter Einbeziehung der
osteuropäischen Staaten wird das de facto nur 5 Prozent
Emissionsminderung bedeuten. Das ist viel zu wenig.
Eine solche Mogelpackung halten wir für falsch.
({0})
20 Prozent sollen auch für erneuerbare Energien als
Ziel dastehen. Auch das ist viel zu wenig und wird nicht
den Notwendigkeiten und Möglichkeiten gerecht, die
darin stecken. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für globale Umweltfragen hat vor kurzem erst
in seinem Policy-Paper vorgerechnet, dass bis 2025 zwei
Drittel der globalen Stromerzeugung aus erneuerbaren
Energien gedeckt werden könnten. Wenn man das weiterrechnet, wäre eine vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien bis 2030 möglich. Warum hören denn
Frau Merkel und die Bundesregierung nicht auf die eigenen Wissenschaftler und machen sich solche Ziele nicht
zu eigen? Es ist viel mehr möglich, als in den Zielen der
Bundesregierung vorgeschlagen wird.
Die Maßnahmen der Kanzlerin zur Sicherung der
Energieversorgung sind sogar kontraproduktiv für den
Klimaschutz. Sie hat Reisen in die Emirate und nach
Russland gemacht und versucht, Erdöl und Erdgas noch
in den letzten Mengen zusammenzukarren. Was bedeutet
das denn? Erneut wird Kohlenstoff aus sicheren LagerHans-Josef Fell
stätten herausgeholt und in die Atmosphäre entlassen.
Das ist doch kein Klimaschutz, sondern das ist Klimazerstörung. Wir müssen aufhören damit.
Und Energieversorgungssicherheit bringt das schon
gar nicht - die Pipelineabschaltungen und die steigenden
Preise mögen uns mahnen. Nein, das Verharren dieser
Bundesregierung bei fossiler und, vor allem bei der
Union, atomarer Energieerzeugung löst weder die Klimaprobleme, noch bringt es Versorgungssicherheit.
Nicht nur ambitionierte Ziele sind erforderlich, sondern auch Maßnahmen, die entscheidend wirken können.
Warum schlägt Frau Merkel auf der heutigen Konferenz
der EU-Staaten nicht vor, EU-weit ein ErneuerbareEnergien-Gesetz einzuführen, wie es Deutschland, Spanien und inzwischen auch andere Länder erfolgreich
vorgemacht haben? Warum schlagen Sie nicht vor, eine
europäische Biogasstrategie auf den Weg zu bringen?
Auch vermisse ich richtigen Druck für eine europäische
Richtlinie im Wärmebereich. Überall Fehlanzeige!
Das gilt auch für die nationale Ebene. Anstatt dass Sie
neue Maßnahmen auf den Weg bringen, besteuern Sie
beispielsweise die Biokraftstoffe, was die ersten Arbeitslosen in diesem Bereich zur Folge hat. Soll das Klimaschutz sein? Soll das Versorgungssicherheit sein?
Wir machen das anders: Wir schlagen - ganz in der
Tradition von Rot-Grün - Gesetze vor. Damit haben wir
ja immer neue Maßnahmen erfolgreich auf den Weg gebracht. So haben wir heute einen Antrag für die Einführung eines Wärmegesetzes eingebracht. Derzeit werden
nur 5,4 Prozent der in Deutschland verbrauchten Wärme
aus erneuerbaren Quellen gedeckt. Wenn man das
Marktanreizprogramm so fortführen würde, wie es die
Bundesregierung vorschlägt, werden das 2020 erst
7 Prozent sein. Das ist zu wenig. Wir brauchen ein Wärmegesetz; das ist zwingend erforderlich.
Jeden Tag hören wir von Umweltminister Gabriel
dazu etwas Neues, dabei sind die Gesetzentwürfe längst
fertig und liegen sogar schon auf der Homepage des Umweltministeriums - Sie müssen sie nur noch umsetzen.
({1})
Mit einem anderen Antrag schlagen wir eine Biogasstrategie vor. Dieser Antrag ist in den Ausschüssen abgelehnt worden. Ich frage mich: Warum? Bis 2020 werden wir - dies sagen uns die Gasversorger genauso wie
viele Wissenschaftler - im europäischen Netzverbund
bei Erdgas eine Versorgungslücke von etwa 20 Prozent
bekommen. Händeringend wird nun überall Erdgas
nachgefragt. Doch kaum jemand hat hingeschaut, wie
viel uns Biogas bringen könnte; Biogas wird immer belächelt und abgetan. Darum haben wir von der GrünenBundestagsfraktion eine Studie in Auftrag gegeben. Die
Wissenschaftler aus Leipzig und aus Darmstadt haben
uns vorgerechnet, dass wir den europäischen Erdgasbedarf bis 2020 durch Biogas, das in der Nähe der europäischen Gaspipelines erzeugt wird, ersetzen könnten. Allein das brächte 15 Prozent CO2-Reduktion in Europa.
Darüber hinaus würden in Europa 2,7 Millionen Arbeitsplätze entstehen.
Das, meine Damen und Herren, sind Antworten für
Klimaschutz und Versorgungssicherheit. Doch ich weiß,
Sie lehnen das ab. Eigene Vorschläge in dieser Richtung
bringen Sie aber nicht. Ich bin gespannt, was Umweltminister Gabriel antworten wird. Vielleicht hören wir heute
ja doch etwas Neues. Dann würde ich mich freuen. Aber
wenn es so weitergeht wie bisher, meine Damen und
Herren der Koalition, dann werden Sie in punkto Klimaschutz und Energieversorgungssicherheit scheitern zum Schaden der Menschen und der Umwelt.
({2})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Sigmar
Gabriel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Fell, ich weiß nicht, ob ich Ihnen etwas Neues erzähle. Zumindest muss ich erneut ein paar Fehldarstellungen von Ihnen korrigieren:
Erstens. Wir verhandeln in der Europäischen Union
über ein internationales Klimaschutzziel von 30 Prozent,
nicht von 20 Prozent. Schon bevor die internationalen
Verhandlungen begonnen haben, sagen wir in der Europäischen Union: Wir machen mindestens 20 Prozent,
selbst wenn kein anderer mitmacht. Finden Sie einmal
international irgendjemanden, der dazu bereit ist! Erzählen Sie der Öffentlichkeit also nicht ständig, wir würden
20 Prozent anstreben - wir streben 30 Prozent an!
Die von Ihnen Zitierten sollten zumindest akzeptieren, dass bei diesem 30-Prozent-Ziel - bzw. bei dem
vorab erklärten EU-Ziel von mindestens 20 Prozent auch die osteuropäischen Staaten sich erstmals auf das
Basisjahr 1990 beziehen und nicht wie im Kiotoprotokoll auf 1986 oder andere Basisjahre. Deshalb haben wir
wesentlich realistischere Ausgangsbasen für die Vergleichbarkeit des Reduktionspotenzials. Versuchen Sie
nicht immer, in der Öffentlichkeit Dinge zu erzählen, die
in der Sache schlicht und ergreifend falsch sind.
({0})
Zweitens. Wenn Sie wirklich wissen wollen, was wir
gemacht haben, dann nenne ich Ihnen ein paar Beispiele:
Wir haben die Mittel für das gute rot-grüne Marktanreizprogramm zur Förderung erneuerbarer Energien um
rund 80 Millionen Euro auf 213 Millionen Euro erhöht.
({1})
Sie sollten einmal sagen, dass Sie das damals nicht hinbekommen haben, dass CDU/CSU und SPD das allerdings geschafft haben.
({2})
- Ich kann nichts dafür, dass Sie das damals nicht hinbekommen haben. Sie können mir doch jetzt nicht vorwerfen, dass wir besser sind, als Sie es waren. Entschuldigung, aber das geht nicht.
({3})
Drittens. Wir haben die Mittel für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm auf 1,4 Milliarden Euro pro Jahr
vervierfacht. Sagen Sie also nicht, wir hätten nichts getan.
Viertens. Wir haben die Probleme der Infrastrukturplanung gelöst. Wir haben eine Politik eingeleitet, in deren Rahmen es möglich wird, die Offshore-Windenergie
weiterzuentwickeln. Wir werden dafür sorgen, dass der
Anteil der erneuerbaren Energien im Strombereich auf
27 Prozent im Jahr 2020 steigen wird. Zu Ihrer Regierungszeit wurde ein Anteil von nur 20 Prozent prognostiziert. Erzählen Sie uns also nicht, wir hätten nichts getan. Das stimmt nämlich hinten und vorne nicht.
({4})
Nun möchte ich auf einen Punkt hinweisen, in dem
wir uns hier im Hause einig sind: Wir müssen die
Wärme aus erneuerbaren Energien stärker nutzen,
wenn wir das Klimaschutzziel, den Ausstoß von Treibhausgasen in der EU bis zum Jahre 2020 um 30 Prozent
zu senken, erreichen wollen.
({5})
- Wir tun das bereits. Sie sollten mir wenigstens zuhören. Wir haben die Mittel zur Förderung von Wärme aus
erneuerbaren Energien um rund 80 Millionen Euro erhöht. Wir streiten uns lediglich über den Weg.
In dieser Diskussion werden drei Vorschläge gemacht:
Der erste Vorschlag, der das Ordnungsrecht betrifft,
sieht vor, dass wir jeden zwingen, in seinem Haushalt
bzw. Wohneigentum Wärme aus erneuerbaren Energien
zu nutzen. Wenn man das macht, bekommt man ein Problem - dieses Problem muss man öffentlich ansprechen -,
und zwar mit den Hausbesitzern, die nicht so hohe Einkommen haben wie Abgeordnete des Deutschen Bundestages.
({6})
Der zweite Vorschlag sieht, wie im Falle des EEG,
den Weg über ein Einspeisegesetz vor. Das hätte eine Erhöhung der Energiekosten für jeden einzelnen Verbraucher zur Folge. Auch das muss man offen sagen.
Die dritte Möglichkeit bestünde darin, dass man den
Bundeshaushalt in den Blick nimmt und hinsichtlich der
Mittel für das Marktanreizprogramm für eine Verstetigung und Verrechtlichung sorgt.
Sie können nicht einfach sagen: Laden Sie sich einmal etwas aus dem Internet herunter. - Wir müssen über
die Möglichkeiten, die wir haben, miteinander diskutieren. Dann müssen Sie sagen, was Sie wollen: ob Sie die
Verbraucher belasten wollen, ob Sie bereit sind, die
Haushaltsmittel zu erhöhen oder ob Sie die Bezieher
kleiner Einkommen durch das Ordnungsrecht belasten
wollen. Sie müssen Farbe bekennen, statt eine Philippika
zu halten, als seien Sie der Erste, der über ein Erneuerbare-Wärme-Gesetz nachdenkt.
Eine Bemerkung zum Thema Biokraftstoffe. Tun Sie
mir einen Gefallen: Seien Sie auch an dieser Stelle redlich. Die Europäische Kommission veranlasst uns, die
Überförderung der Biokraftstoffe der ersten Generation
zurückzunehmen, weil es zu einer seltsamen Ölpreisbindung gekommen ist: Je stärker der Ölpreis gestiegen ist,
desto stärker sind auch die Preise für Biokraftstoffe gestiegen. Das kann man nicht so recht erklären. Führen
Sie diese Debatte bitte sehr sachlich, wie wir es vor kurzem in der Auseinandersetzung über den Klimaschutz,
als wir sehr engagiert diskutiert haben, getan haben.
Wenn Sie aber einen Stein ins Wasser werfen, dann müssen Sie aufpassen, dass Ihre eigenen Füße nicht nass
werden.
Ein letztes Beispiel für die Art und Weise, wie Sie argumentieren. Sie sind derjenige, der uns ständig kritisiert, wenn wir sagen, dass wir auch in Zukunft die
Kohle brauchen. Dann verweisen Sie jedes Mal auf Ihre
Alternative, das Erdgas.
({7})
- Wie wollen Sie das denn schaffen?
({8})
- Sie sagen, dass Sie den Anteil der erneuerbaren Energien bis zum Jahre 2020 auf 100 Prozent steigern wollen. Das glaubt Ihnen nicht einmal Ihre eigene Partei.
Als Sie diesen unsinnigen Vorschlag auf Ihrem Parteitag
gemacht haben, haben Sie Gott sei Dank eine Klatsche
gekriegt.
({9})
Dass das machbar ist, glaubt noch nicht einmal der Parteitag der Grünen.
Ihre Partei führt als Alternative immer das Erdgas an.
Dennoch kritisieren Sie die Bundeskanzlerin dafür, dass
sie die Erdgasversorgung der Bundesrepublik Deutschland sichern und womöglich ausbauen will. Herr Fell,
das ist blanke Rabulistik. Sie erzählen immer das, von
dem Sie glauben, dass es gerade in die Landschaft passt.
Damit können Sie aber noch nicht einmal Ihre eigene
Partei überzeugen. Glauben Sie also bitte nicht, dass Sie
damit die Öffentlichkeit oder sogar mich überzeugen
können!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Kauch von
der FDP-Fraktion.
({0})
Meine Damen und Herren! Ich knüpfe nahtlos an das
an, was der Umweltminister gesagt hat. Herr Fell, selbst
wenn Sie der Meinung wären, dass wir es bis 2020
schaffen könnten, gleichzeitig aus den fossilen Energien
und der Atomkraft auszusteigen, können Sie nicht ernsthaft glauben - es gibt keine Studie, die das stützt -, dass
das weltweit gelingen würde. In der gestrigen Anhörung
im Umweltausschuss hat sich gezeigt, dass die CO2-Abscheidung bei Kohle- und Gaskraftwerken eine machbare und wirtschaftlich tragfähige Option ab 2020 ist. Da
wir Kohle und Gas noch über viele Jahrzehnte nutzen
müssen, müssen wir in der Politik die Voraussetzungen
dafür schaffen, dass dies ohne CO2-Emissionen möglich
ist. Das hat die gestrige Anhörung ganz klar gezeigt.
({0})
- Herr Hill, ich glaube, dass Sie eine selektive Wahrnehmung haben.
Kommen wir nun zu den drei Anträgen der Grünen,
von denen zwei heute zur Abstimmung anstehen. Die
Grünen wollen eine Förderung der Wärmegewinnung
aus regenerativen Quellen. Ich denke, wir sind uns einig
darüber, dass es zwingend erforderlich ist, die Potenziale
der erneuerbaren Energien im Wärmebereich besser
zu nutzen. Es muss uns neben der Energieeinsparung bei
Gebäuden gelingen, die Potenziale, die es in den Bereichen der Geothermie und der Solarthermie gibt, besser
zu erschließen. Umso bedauerlicher ist, dass die Koalition offensichtlich weiterhin plan- und ratlos ist und
nicht weiß, wie das gelingen soll. Der SPD fällt außer einer blanken Kopie des EEG im Strombereich nichts ein.
Immerhin hat die SPD eine Position. Noch schlimmer
sieht es bei der CDU/CSU aus. Frau Reiche, die sich hier
sehr stark aus dem Fenster gelehnt hat, ist heute nicht da.
({1})
- Okay, das ist etwa anderes. - Dennoch muss ich an dieser Stelle fragen, ob das, was Frau Reiche in den letzten
Monaten in den Medien verkündet hat, eine konsistente
Linie erkennen lässt, die deutlich macht, was die CDU/
CSU will. Ich bin sehr gespannt auf die Rede von Frau
Flachsbarth. Jedenfalls hat Frau Reiche am 2. Januar
dieses Jahres der „FAZ“ gegenüber in einem großen Interview erklärt, dass die Union für ein Wärmegesetz mit
Quotenmodell sei. Am 10. Januar erklärte Frau Reiche,
ein Wärmegesetz werde es mit der Union nicht geben,
weil dies die Verbraucher belaste. Entschuldigung, aber
was hätte das von ihr am 2. Januar verkündete Modell
gemacht? Jedes Wärmegesetz wird - wen denn sonst? die Verbraucher belasten. Die entscheidende Frage ist
aber, wie wir die Belastung möglichst gering halten können; darum geht es. Darüber sollten wir uns im Parlament auseinandersetzen.
({2})
Die Grünen fordern darüber hinaus ein Gesetz zur
Einspeisung von Biogas. Das ist ein interessanter Punkt.
Wie sieht es denn momentan bei der Biomasse aus? Es
gibt eine Förderung beim Strom, nicht aber beim Gas.
Im Wärmebereich gibt es eine geringe Förderung durch
das Marktanreizprogramm. Es gibt aber keinerlei Anreize für den Einsatz biologischer Kunststoffe in der
Chemieindustrie. Was ist das Ergebnis? Mit den Quoten
im Biotreibstoffbereich treiben wir die Preise in den
nicht geförderten Bereichen hoch. Die Mittel für die
Biomasse fließen in die Bereiche, in denen der Staat Vorgaben macht, nicht aber unbedingt in die Bereiche, die
nach dem Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen die höchsten CO2-Einsparpotenziale aufweisen. Das sind zum Beispiel die Verstromung oder der
Gasbereich.
Sie haben das Problem zwar richtig erkannt, aber die
Frage ist, wie Sie es lösen wollen. Es gibt zum Beispiel
die Möglichkeit - unabhängig davon, ob man das will
oder nicht -, die erneuerbaren Energien über den Preis,
die Menge oder eine Beimischungspflicht per Quote zu
fördern. Man muss sich insofern entscheiden.
Wie aber verfahren die Grünen in ihrem Antrag? Sie
fordern nach dem Motto „Viel hilft viel“ nicht nur eine
Quote, sondern eine zusätzliche Subvention.
({3})
Das bringt zwar keinen ökologischen Effekt, aber damit
werden noch einmal die Anbieter subventioniert. Das ist
das Gegenteil einer klaren ordnungspolitischen Linie in
diesem Bereich.
({4})
Wir sollten uns abschließend noch einmal mit der
Frage befassen, wie mit den Nutzungskonkurrenzen in
den vier von mir beschriebenen Anwendungen zu verfahren ist. Bevor wir zu einzelnen Gesetzen in jedem Bereich kommen, ist es notwendig, eine Strategie zu entwickeln, wie wir der Biomasse unabhängig von den
Verwendungen einen Marktzugang verschaffen können;
vielmehr sollten wir den Markt anhand der CO2-Einsparungen entscheiden lassen, in welche Sektoren die Biomasse tatsächlich fließt. Solange Sie dafür keine Strategie haben, ist jeder Einzelvorschlag Makulatur.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Maria
Flachsbarth, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Der Klimawandel ist ein hochaktuelles
und hochbrisantes Thema, das viele von uns Rednern
merklich echauffiert. Immerhin hat das auch etwas mit
biogener Wärme zu tun.
Aber die Sache ist ernst. Herr Fell, wenn Sie meinen,
wir täten nichts und die Bundeskanzlerin äußere sich
nicht zu dem Thema,
({0})
dann darf ich Sie darauf hinweisen, dass sie gerade heute
auf dem EU-Gipfel vorgeschlagen hat, die positiven
deutschen Beispiele zur Förderung erneuerbarer Energien zu implementieren. Die Große Koalition stellt sich
den Herausforderungen des Klimawandels und hat bereits vor über einem Jahr einige Instrumente zur Bekämpfung dieses Problems im Koalitionsvertrag verankert. So haben wir uns verpflichtet, bis zum Jahr 2020
die Energieproduktivität gegenüber 1990 zu verdoppeln und damit Deutschland zu einer noch energieeffizienteren Volkswirtschaft zu machen. Damit wollen wir
780 Millionen Tonnen CO2 einsparen.
({1})
Zudem treten wir für den ökologisch und ökonomisch
sinnvollen Ausbau der erneuerbaren Energien ein. Im
Koalitionsvertrag ist deshalb vereinbart worden, dass
wir ambitionierte Ziele für den weiteren Ausbau in
Deutschland verfolgen, unter anderem wollen wir - ich
zitiere die Marktpotenziale erneuerbarer Energien im Wärmebereich durch die Fortführung des Marktanreizprogramms im bisherigen Umfang
- damit sind wir schon weiter sowie durch weitere Instrumente, wie zum Beispiel
ein regeneratives Wärmenutzungsgesetz, besser erschließen.
({2})
Ideen zur Umsetzung dieses Ziels wurden im Rahmen
einer Internetkonsultation des Bundesumweltministeriums im Sommer 2006 diskutiert. Ob Investitionskostenzuschüsse, Sonderabschreibungen, Nutzungs- oder Bonusmodell - für uns, die Union, steht fest: Ökologisch
ambitionierte Ziele müssen mit ökonomisch vertretbaren
Instrumenten erreicht werden. Es darf weder zu einer unabsehbaren Belastung der öffentlichen Haushalte noch
der Verbraucher - in diesem Fall der Mieter durch eine
weitere Erhöhung der zweiten Miete, nämlich der Heizkosten - kommen.
Meine Damen und Herren von den Grünen, es ist unstrittig, dass Ihr Antrag grundsätzlich das richtige Ziel
verfolgt. Allerdings fokussiert er unserer Meinung nach
die Lösung des Problems zu stark auf die Förderung erneuerbarer Energien. Das greift einerseits zu kurz und
geht andererseits nicht weit genug.
Wir setzen auf ein integriertes Wärmekonzept, welches mehrere Instrumente vereint, die dem Ziel des Klimaschutzes und der Kosteneinsparung für Mieter und
Vermieter entgegenkommen. Deshalb wollen wir folgende Bereiche untersuchen und miteinander vernetzen:
Erstens. Wie kann die Wärme in den Häusern und
Wohnungen besser genutzt werden? Zweitens. Wie kann
die Wärme, die derzeit ungenutzt in die Umgebung abgegeben wird, einer Nutzung zugeführt werden? Drittens. Wie kann die Produktion von Wärme möglichst
CO2-arm erfolgen? Viertens. Wie kann die Energieberatung für Private und insbesondere für kleine und mittlere
Unternehmen verbessert werden?
Zum ersten Punkt: Bei der Frage, wie man die im
Haus vorhandene Wärme besser nutzen kann, spielt die
Wärmedämmung von Gebäuden die entscheidende
Rolle.
({3})
Von den 17 Millionen Wohngebäuden in Deutschland
wurden rund 75 Prozent vor 1978 - das heißt vor Inkrafttreten der ersten Wärmeschutzverordnung - errichtet. Außerdem werden rund 87 Prozent des gesamten
Energiebedarfs in privaten Haushalten für die Raumerwärmung und für Warmwasser benötigt.
Nach Angaben der dena haben viele dieser über
30 Jahre alten Gebäude Energieverbräuche von über
250 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr. Das
entspricht mehr als 25 Liter Öl je Quadratmeter pro Jahr.
Diese könnten ohne Probleme um mehr als 50 Prozent
reduziert werden.
Um dieses Potenzial zu erschließen, hat die Bundesregierung die Fördermittel für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm auf 1,4 Milliarden Euro jährlich vervierfacht. Nach Angaben des Bundesbauministeriums
wurden so allein im vergangenen Jahr 265 000 Wohnungen saniert. Die Gebäudesanierung wirkt dabei dreifach:
Zum einen leistet sie einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz, indem sie die Energieeffizienz des Gebäudes
erhöht und den CO2-Ausstoß senkt. Zum anderen macht
sie Wohnen bezahlbarer, da sich die Heizkosten spürbar
reduzieren; bei einer 80 Quadratmeter großen Wohnung
um bis zu 60 Euro pro Monat. So macht sich die Investition sehr schnell bezahlt. Schließlich ist Gebäudesanierung ein wichtiger wirtschaftlicher Impuls für zahlreiche
mittelständische Handwerksbetriebe.
({4})
Nach Zahlen des Bundesbauministeriums sichert jede in
den Gebäudebestand investierte Milliarde Euro der Branche rund 25 000 Arbeitsplätze. Fachleute sprechen von einem Investitionsvolumen von 30 bis 40 Milliarden Euro.
Das Programm wird gut angenommen. Allerdings
gibt es Handlungsbedarf im Bereich der vermieteten
Wohnungen. Diese machen knapp 60 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes aus. Jedoch kann der Vermieter die notwendigen Investitionen aufgrund der Vorgaben im Mietrecht nur sehr begrenzt auf die Mieter
überwälzen. Den Profit einer Sanierungsmaßnahme hat
durch sinkende Nebenkosten aber ausschließlich der
Mieter. Daher müssen wir prüfen, wie wir da eine bessere Regelung finden; denn ohne Zweifel ist es auch für
den Mieter günstiger, die Investition in eine Wärmesanierung mitzufinanzieren, um danach davon zu profitieren, als aufgrund fehlender Wärmedämmung mit steigenden Öl- und Gaspreisen in jedem Jahr höhere
Heizkosten zu haben.
({5})
Zweitens. Effiziente Nutzung von Abwärme. Wärme
fällt in vielen Bereichen der Energieerzeugung, so zum
Beispiel auch bei Biomasseanlagen oder bei der Energienutzung in Kraftwerken oder Industrieanlagen, als Nebenprodukt an. Deren effiziente Nutzung als Fern- oder
Nahwärme muss vorurteilsfrei vor allem in Ballungsräumen geprüft werden.
Drittens. Möglichst CO2-arme Wärmeerzeugung.
Moderne Brennwertkessel haben ihre Berechtigung;
denn auch im Bereich Wärme setzt die CDU/CSU-Fraktion auf den Energiemix. Doch die am umweltfreundlichsten erzeugte Wärme ist natürlich die, bei deren Erzeugung gar kein CO2 anfällt. Daher haben wir bei den
Beratungen zum Haushalt 2007 das Marktanreizprogramm auf 213 Millionen Euro kräftig aufgestockt. Dieses zentrale Förderinstrument der Bundesregierung bezuschusst Investitionen in die Wärmeerzeugung aus
Sonne, Biomasse und Geothermie. Die Ergebnisse des
Evaluierungsberichtes im Auftrag des BMU zeigen, dass
der Zuspruch zum Programm seit 1999 ständig zugenommen hat. Durch die Förderung in Höhe von
284 Millionen Euro wurden bei einer Förderquote von
durchschnittlich 12 Prozent Investitionen von rund
2,3 Milliarden Euro ausgelöst.
({6})
Die zwischen 2004 und 2005 errichteten Anlagen vermeiden jährlich 2 Millionen Tonnen CO2. Es steht außer
Zweifel, dass wir eine Verstetigung dieses erfolgreichen
Programms brauchen.
Doch ist unserer Meinung nach der Vorschlag, diesbezüglich einen Fonds, der aus Abgaben auf fossile Energieträger gespeist wird, einzurichten, gänzlich ungeeignet, würde sich doch so die zweite Miete wieder
erhöhen. Wir halten das auch angesichts der stark gestiegenen Heizkosten in den letzten Jahren gerade für Haushalte mit schmalem Geldbeutel für nicht mehr zumutbar.
({7})
Auch sind wir nicht der Auffassung, für jeden Neubau
oder jede grundlegende Sanierung die Installation erneuerbarer Energieerzeugung zwingend vorzuschreiben. Doch ist der Vorschlag Baden-Württembergs, bei
Neubauten und grundlegenden Sanierungen von Wohnund Bürogebäuden über 500 Quadratmeter mindestens
10 Prozent des Wärmebedarfs aus erneuerbarer Energie
zu erzeugen, ausgesprochen diskussionswürdig.
({8})
Zudem sollte das MAP mit dem CO2-Gebäudesanierungsprogramm besser verzahnt werden, möglicherweise durch einen Bonus, den derjenige erhält, der sowohl gewisse Standards bei der Wärmeisolation als auch
einen gewissen Grad an Bereitstellung von regenerativer
Wärme vorsieht. Schließlich ist auch die kontrollierte
Lüftung mit Wärmerückgewinnung ein marktreifes Instrument für einen nachhaltigen Umgang mit Wärme,
das in einem Gesamtförderkonzept berücksichtigt werden sollte.
Viertens. Wir benötigen in Deutschland einen Ausbau
der Energieberatung. Eine jüngst veröffentlichte Emnid-Umfrage im Auftrag des Bundesbauministeriums
macht deutlich, dass nur 15 Prozent der Deutschen über
die Spareffekte der energetischen Sanierung von Gebäuden Bescheid wissen. Auf der anderen Seite wären
47 Prozent der Deutschen bereit, ihr Eigenheim zu sanieren bzw. der Modernisierung ihrer Wohnung zuzustimmen, wenn sie sich sicher sein könnten, dass sich die
Modernisierungsmaßnahmen innerhalb von fünf Jahren
amortisieren.
({9})
- Dafür haben wir zum Beispiel den Energiepass.
({10})
Das zeigt uns, dass in der Bevölkerung immer noch
ein großer Informations- und Beratungsbedarf besteht,
übrigens auch bei kleinen und mittleren Unternehmen,
wo große Effizienzgewinne zu heben wären.
Lassen Sie uns mit einem integrierten Wärmekonzept auf die Fragen des Klimawandels antworten, mit einem Konzept, das nicht nur die Förderung regenerativer
Energien vorsieht, sondern auch weitere Instrumente,
wie bessere Wärmeeffizienz, bessere Nutzung von Abwärme und den Ausbau der Energieberatung, im Blick
hat.
({11})
Ich bin bzw. wir, Herr Kelber, sind der festen Überzeugung, dass wir dem enormen Potenzial und den Herausforderungen des Wärmesektors so am besten gerecht
werden können.
Herzlichen Dank.
({12})
Jetzt hat Axel Berg das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Fell von den Grünen, Ihre Forderung geht in die
richtige Richtung. Ich könnte jetzt ironischerweise sagen: Viel gelernt aus den ganzen Jahren Rot-Grün. Allerdings erscheint uns der Zeitraum etwas unrealistisch.
({0})
Unser Minister Gabriel hat zu einigen Dingen schon
etwas gesagt: zum Marktanreizprogramm, zum Gebäudesanierungsprogramm, zur Offshore-Windkraft und
zum Gebäudeenergiepass; dazu hat sich auch Frau
Flachsbarth soeben geäußert. Wir wollen natürlich auch
das EEG weiterführen. Wir werden das Kraft-WärmeKopplungsgesetz novellieren. Die Kraft-Wärme-Kopplung sehen wir als Schlüsseltechnologie. Mit dieser
Technologie können wir massive Effizienzpotenziale heben.
Der zweite Antrag der Grünen zum Thema Biogas
geht ebenfalls in die richtige Richtung. Wieder haben
wir es aber mit dem Problem zu tun, dass er aufgrund der
Geschwindigkeit, mit der die in ihm formulierten Forderungen umgesetzt werden sollen, kontraproduktiv wirken könnte. Biogas ist einer der Träger von erneuerbaren
Energien, die überall verwendbar sind. Wir können damit natürlich die Abhängigkeit von den Erdgasimporten
verringern. Das alles ist richtig. Wir müssen da nur aufpassen, dass wir nicht mehrfache oder gar parallele Förderstrukturen konstruieren.
Die rechtlichen Grundlagen zur Einspeisung von Biogas sind bereits im Energiewirtschaftsgesetz geregelt. Interessant fand ich übrigens dieser Tage die Äußerung eines Unionsministers, der ankündigte, dass er eine
Verordnung zur Einspeisung von Biogas ins Erdgasnetz
erlassen will; das schwirrte jedenfalls hier in Berlin herum. Es hat mich natürlich sehr gefreut, das zu hören.
Ich hoffe natürlich, dass die Kollegen von der Union
auch auf ihren Minister hören.
({1})
- Wir lehnen ihn ab, weil er zu forsch ist und weil wir
das nicht zustande bringen.
Ich möchte noch ein paar Worte zu Ihrem Antrag zur
Einführung eines Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetzes sagen. Auch ich halte das für ein sehr wichtiges
Thema. Der Wärmemarkt macht über 50 Prozent unseres Energieverbrauchs aus und hat ein riesiges Potenzial
für eine ganz deutliche kostengünstige Reduzierung von
CO2-Emissionen. Der Minister sagte einiges zu den verschiedenen Wegen, die infrage kommen. Darüber müssen wir jetzt diskutieren.
Herr Kauch, vielleicht noch ein Wort zu Ihnen. Natürlich wirkt so etwas auch verbraucherbelastend. Aber uns
geht es eben darum, dass diejenigen Verbraucher - wir
sind fast alle Verbraucher; die ganze Welt ist Verbraucher -, die viel verbrauchen, entsprechend belastet werden, und zwar zugunsten derjenigen Verbraucher, die
sich vorbildlich verhalten. Ich habe damit kein Problem.
Ich finde, wir sollten nicht den Anschein erwecken, dass
niemand belastet wird. Selbstverständlich wird man belastet werden; ohne Belastungen wird gar nichts gehen.
({2})
Wir als SPD-Fraktion haben unsere Vorstellungen
dazu formuliert. Wir warten jetzt eher auf die Gegenseite. Das bringt mich dazu, einen Appell zu formulieren. Ich halte dieses Thema im Hinblick auf eine nachhaltige, zukunftsfähige Klima- und Energiepolitik in
unserem Land wirklich für entscheidend. Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere von der Unionsfraktion, jetzt können wir alle zeigen, dass wir die Kanzlerin
ernsthaft unterstützen wollen. Sie kämpft heute und morgen in Brüssel auf der EU-Ebene für ambitionierte und
verbindliche Ziele, insbesondere in der Klima- und
Energiepolitik. Frau Merkel will Deutschland zum Vorreiter in Fragen des Klimaschutzes innerhalb der EU und
die EU wiederum zum Vorreiter in globalen Klimafragen
machen.
({3})
Gehen wir doch gemeinsam daran, ihr zu helfen, indem
wir jetzt endlich ein Regenerative-Wärme-Gesetz ausarbeiten, das den Klimaschutz in unserem Land voranbringt, die Wirtschaft stärkt und Deutschland die
Möglichkeit eröffnet, an der Weltspitze für Effizienztechnologien zu stehen! Noch sind wir doch in der Situation, dass wir den Vorteil des „first mover“ haben,
dessen, der sich als Erster bewegt.
({4})
Dann möchte ich noch an eine Tradition erinnern, die
wir eigentlich hatten, jedenfalls seit 1998, seit ich dabei
bin. Ich fand es großartig, dass wir Parlamentarier in Sachen erneuerbare Energien und Effizienztechnologien
über alle Parteigrenzen hinweg zusammengearbeitet haben. Meist waren wir mutiger als unsere jeweiligen Regierungen. Das ist in den letzten Monaten etwas eingeschlafen. Ich will aber die Hoffnung nicht aufgeben und
rufe deshalb sowohl die Union als auch alle Oppositionsparteien dazu auf, sich konstruktiv in den Dialog zum
Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetz einzubringen.
Herr Berg, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum letzten Satz. - Ich bin mir ganz sicher, dass wir dann am Ende gemeinsam ein gutes Gesetz verabschieden werden.
Ich danke Ihnen.
({0})
Für die Linke hat jetzt das Wort der Kollege HansKurt Hill.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
50 Prozent aller Heizungen in Deutschland werden sinnvollerweise mit Erdgas betrieben. Wirksamer Klimaschutz fordert von der Energiewirtschaft Gaskraftwerke
mit effizienter Kraft-Wärme-Kopplung, und zwar anstelle von Kohlekraftwerken, Herr Minister.
Deutschland ist beim Erdgas aber, wie wir wissen,
von wenigen Lieferländern abhängig, insbesondere von
Russland. Woher soll also zukünftig das Erdgas kommen, ohne dass wir in die Gefahr einer Versorgungskrise
geraten? Die Antwort ist: Energieeinsparung, Energieeffizienz und erneuerbare Energien.
({0})
Wenn wir die Einsparpotenziale im Gebäudesektor bei
Heizung und Isolierung konsequent nutzen und im
Kraftwerksbereich endlich auf Kraft-Wärme-Kopplung
umschwenken, dann brauchen wir mittelfristig sogar weniger Erdgas.
Das Umweltbundesamt hat gestern in einer Ausschussanhörung noch einmal deutlich gemacht, dass genau das möglich ist. Die dazu notwendige politische
Durchsetzungskraft ist bei der Regierungskoalition allerdings nicht zu erkennen. Na ja, ich sage mal: Zumindest
ein Teil der SPD erkennt die Richtung. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm soll weiter laufen, und die KraftWärme-Kopplung soll verbessert werden.
Über die Ausführungen von Frau Dr. Flachsbarth
heute bin ich wirklich sehr erstaunt; vielen Dank übrigens für diesen Fachvortrag. Aus den Ausschusssitzungen weiß ich, dass die Klimaschutzblockierer eigentlich
eher in den Reihen der Christdemokraten sitzen.
({1})
Ich höre immer: Klimaschutz ist ein lästiges Beiwerk. Man handelt mehr oder weniger nach dem Motto des
BDI-Lobbyisten Thumann: Man kann es anpeilen, aber
nicht verbindlich machen. - Angesichts dessen hoffe ich,
dass die Appelle, die Herr Dr. Berg heute formuliert hat,
ankommen. Ich hoffe, dass Sie die CDU/CSU in dieser
Richtung zumindest ein bisschen in Schach halten.
Die Anträge der Grünen zeigen deutlich den Handlungsbedarf: Förderung von Wärme aus erneuerbaren
Energien, bessere Bedingungen für Biogas und KraftWärme-Kopplung anstelle von Atomkraftwerken.
Auf zwei Sachverhalte möchte ich näher eingehen.
Die Bundesregierung hat mit dem unsäglichen Energiesteuergesetz die Bioenergiebranche massiv verunsichert. Die Besteuerung und die Verpflichtung zur Beimischung von Biodiesel haben bereits zur Stilllegung
zahlreicher Produktionsanlagen für Ökosprit geführt.
15 000 Menschen haben ihren Arbeitsplatz verloren und
stehen auf der Straße. Ein betroffener Landwirt hat die
Situation auf den Punkt gebracht: Wenn ich jetzt auf
Biogas umschwenke, zieht mir Steinbrück dort das Geld
aus der Tasche.
Wir brauchen deshalb zuverlässige Rahmenbedingungen für den zukünftigen Umgang mit Biogas und endlich
ein Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, das seinen Namen
auch verdient.
({2})
Biogas muss ungehindert in das Erdgasnetz eingespeist
werden können. Dazu muss das Energiekartell, das auf
den Rohren sitzt, geknackt werden. Eine Beimischungspflicht von Biogas als Kraftstoff lehnen wir allerdings
ab. Das ist schon beim Biodiesel nach hinten losgegangen.
Wir brauchen ferner einen gesetzlichen Rahmen zur
Förderung von Wärme aus erneuerbaren Energien.
({3})
Die Große Koalition kommt in diesem Zusammenhang
über Ankündigungen aber nicht hinaus. Da das Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetz auf die lange Bank geschoben wurde, unterstützen wir den entsprechenden
Antrag der Grünen.
Zum Schluss wiederhole ich noch einmal - ich sage
es wahrscheinlich in jeder Rede -: Die Regierung muss
in Richtung Energieeinsparung, Energieeffizienz und erneuerbare Energien mehr Bewegungsenergie freisetzen.
Dann klappt es auch mit dem Klimaschutz.
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/3826 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
auf Drucksache 16/1015 zu dem Antrag der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Für eine sichere Energieversorgung im 21. Jahrhundert - Energieeinsparung und erneuerbare Energien statt Öl, Atom und
Kohle“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 16/579 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der
Koalition und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft
und Technologie auf Drucksache 16/4118 zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit
dem Titel „Biogaseinspeisungsstrategie entwickeln und
Biogaseinspeisungsgesetz vorlegen“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/582 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der FDP
bei Gegenstimmen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke angenommen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Götz, Dr. Joachim Pfeiffer, Dirk Fischer ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ernst
Kranz, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Bericht über die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Deutschland
- Drucksache 16/4570 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Zwischen den Fraktionen ist verabredet, hierzu eine
halbe Stunde zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Kollegen Ernst Kranz für die SPD-Fraktion.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft
leistet einen bedeutsamen Beitrag für die deutsche Wirtschaft und ihre Entwicklung. Sie erwirtschaftet jährlich
rund 250 Milliarden Euro. Das entspricht mehr als
10 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts.
Die Immobilienbranche selbst schätzt ein, dass circa
2,15 Millionen Erwerbstätige - die Zahl stammt aus dem
Jahr 2003 - in der Immobilienwirtschaft beschäftigt
sind. Aufgrund der engen Verflechtung mit anderen
Branchen wird jedoch davon ausgegangen, dass eine wesentlich höhere Zahl von Arbeitsplätzen durch die Aktivitäten der Immobilienwirtschaft gesichert wird. Die
Branche schätzt die Gesamtzahl auf circa 3,4 Millionen
Beschäftigte. Das hebt hervor, dass die Immobilienbranche in der Wirtschaft eine bedeutende Rolle als Arbeitgeber spielt.
Dennoch, die Situation für die Branche war schon
besser. Die Rahmenbedingungen für die Wohnungsund Immobilienwirtschaft haben sich in den letzten Jahren stark verändert, nicht zuletzt aufgrund neuer Anforderungen, die sich aus demografischen Veränderungen,
aus der Globalisierung und neuen Investitionsformen auf
dem Immobilienmarkt, aus dem Wandel in der Erwerbsarbeit, aus neuen Technologien und aus veränderten Ansprüchen an Leben und Wohnen, sowohl im ländlichen
als auch im städtischen Raum, ergeben.
Aus der Wohnungsmarktprognose 2020 des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung kann man erkennen, dass regionale Unterschiede bei der Wohnraumversorgung durch Wanderungen ausgelöst wurden und
noch werden, vor allem durch die Suche nach einem Arbeitsplatz. Die Arbeitsplätze konzentrieren sich aber zunehmend auf die Metropolregionen.
Wie wir alle wissen, nimmt die Bevölkerung ab. Das
bedeutet eigentlich einen nachlassenden Bedarf an Wohnungen. Dem ist aber nicht so. Die Bevölkerungszahl
entwickelt sich regional unterschiedlich. Das heißt, es
gibt Gebiete, die durch Abwanderung und durch geringe
Geburtenzahlen eine drastische Abnahme der Bevölkerung zu verzeichnen haben. Die sozialen Folgen, die
diese Entwicklung nach sich zieht, sind eine Ausdünnung, eine Bestandsgefährdung für die Infrastruktur und
leerstehende Wohnungen, sowohl im gewerblichen als
auch im privaten Bereich.
Die Gesamtabnahme der Bevölkerung ist eine Folge
des demografischen Wandels. Durch die niedrige Geburtenrate und durch eine längere Lebenserwartung verschieben sich die Anteile der jeweiligen Generationen in
der Gesellschaft. Der Anteil der Älteren nimmt zu. Damit steigt der Bedarf an seniorengerechten Wohnungen.
Barrierefreiheit und die Nähe zu Versorgungszentren
sind hier ganz wichtige Kriterien.
Ich möchte an dieser Stelle kurz einige Daten aus der
Wohnungsmarktprognose 2020 des Bundesamtes für
Bauwesen und Raumordnung nennen. Der Bericht prognostiziert die Entwicklung des Neubaus, der Eigentumsquote und der Wohnfläche pro Kopf bis zum Jahr 2020.
Für Deutschland ergibt sich dabei bis zu diesem Jahr ein
spürbares Wachstum der Anzahl der privaten Haushalte
um etwa 3,4 Prozent bei einer Bevölkerungsabnahme
von 0,6 Prozent, wobei im Osten mit einer Abnahme der
Bevölkerung von bis zu circa 6,3 Prozent zu rechnen ist.
Das bedeutet, dass sich bereits heute sichtbare regionale
Unterschiede weiter verschärfen werden.
Wohnungen überdauern Generationen. Junge Menschen haben aber andere Wohnansprüche als die Generation vor ihnen. Die Lebensstile verändern sich. Das
zeigt sich besonders beim Wohnen. Gefragt sind andere
Zuschnitte und verbesserte technische Ausstattungen als
in den vorhandenen Wohnungen. Diese Veränderungen
sind auch in jenen Gegenden zu beobachten, in denen
der Leerstand vorhanden ist. Denn wer es sich dort leisten kann, zieht weg in eine bessere Wohnung mit gehobener Ausstattung und lebenswerterem Umfeld. Hinzu
kommt: Die Zahl der Einpersonenhaushalte wird trotz
abnehmender Bevölkerung größer.
Die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft ist ein
wichtiger Auftraggeber für andere Branchen im Rahmen
von Instandhaltung und Investition. Seit Mitte der 90erJahre geht jedoch der jährliche Neubau von Wohnungen
kontinuierlich zurück, zwar regional sehr unterschiedlich, aber er ist eindeutig zu verzeichnen. Wurden 1995
noch rund 600 000 neue Wohnungen gefertigt, so waren
es 2005 noch knapp 250 000. Während 1998 die Modernisierung und Instandhaltung rund 50 Prozent der
Wohnungsbauleistungen ausmachte, so waren es 2004
schon knapp 65 Prozent. In Zahlen: circa 140 Milliarden
Euro Bestandsinvestitionen im Vergleich zu circa
215 Milliarden Euro Gesamtbauinvestitionen. Für die
Baubranche rücken daher die Instandhaltung und der
Umbau von Wohnungen in den Vordergrund. Hier muss
aber darauf geachtet werden, dass kein Bauen am Bedarf
vorbei passiert.
Die große Herausforderung ist die Globalisierung.
Sie macht auch vor dem Immobilienmarkt nicht halt.
Wir erinnern uns noch an die Schlagzeilen, als Dresden
seinen kommunalen Wohnungsbestand komplett an die
sogenannten Private-Equity-Unternehmen verkauft hat.
Die Internationalisierung und Professionalisierung
der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft schreitet deutlich sichtbar voran. Dies gilt, wie der Erwerb größerer
Wohnungsbestände durch Pensions- und Private-EquityFonds zeigt, auch für kommunale Wohnungsunternehmen. Mit dem Verkauf ihrer Wohnungsbestände geben
Kommunen für eine kurzfristige Liquidität das zentrale
Steuerungselement im Bereich des Wohnungswesens
und der Stadtentwicklung aus der Hand.
({0})
Das ist der Hauptgrund, weshalb bei dem neu einzuführenden Immobilienmarktinstrument REIT die Bestandsimmobilien ausgeklammert werden müssen. Mit REITs
würde ein zusätzlicher Wettbewerbsdruck ausgelöst werden, der den Ausverkauf von Immobilien fördert. Das
bisher in Deutschland praktizierte Wohnungsmanagement über private und kommunale Wohnungsunternehmen hat einen qualitativ guten Bestand zu fairen Preisen
geschaffen.
Festzuhalten ist, dass mehr als bisher die Frage der
Deckung des künftigen Wohnungsbedarfs auf regionaler
Ebene zu beurteilen ist, sowohl in qualitativer als auch in
quantitativer Hinsicht. Kommunale und mehr noch
regionale Strategien und Konzepte müssen zunehmend
an Bedeutung gewinnen.
Sowohl von der Politik als auch von der Wohnungswirtschaft verlangen die genannten veränderten Rahmenbedingungen ein Umdenken. Die Sanierung der Bestände muss gegenüber dem Neubau weiterhin an
Bedeutung gewinnen. Zur Unterstützung und Bewältigung dieser Anforderungen an die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft hat die Politik mit unterstützenden
und zielgerichteten Programmen reagiert. Ich nenne hier
zum Beispiel das Programm „Stadtumbau Ost“. Außerdem wird von uns die selbstgenutzte Wohnimmobilie als
wichtiger Baustein für die Altersvorsorge angesehen.
Wir plädieren deshalb dafür, dass die selbstgenutzte
Wohnimmobilie künftig mehr Anerkennung und Unterstützung bei der privaten Altersvorsorge findet.
({1})
Bei weitem nicht neu, aber gerade in diesen Tagen
wieder hochaktuell ist der Klimaschutz. In diesem Zusammenhang verweise ich auf unser CO2-Gebäudesanierungsprogramm.
Es gibt also eine Reihe von neuen Aufgaben, vor denen wir stehen: Demografischer Wandel, Klimawandel
und Globalisierung erfordern neue Lösungen. Damit wir
die Lösungen angemessen entwickeln können, benötigen
wir Informationen und ausreichend Datenmaterial, das
wir mit diesem Antrag von der Bundesregierung einfordern. Diese Lösungen müssen im Sinne der Immobilienund Wohnungswirtschaft langfristig angelegt sein, aber
auch unseren sozialen, ökologischen und ökonomischen
Anliegen sowie den Bedürfnissen der Mieter und Immobilienunternehmen entsprechen.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Jetzt hat Joachim Günther für die FDP-Fraktion das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Ernst Kranz, vieles bis auf REITs wurde
aus meiner Sicht hier richtig dargelegt. Ich bin deshalb
etwas überrascht, dass Sie diese relativ bekannten Dinge
kurzfristig als Antrag eingebracht haben; bis gestern gab
es ja noch nicht einmal eine Nummer für Ihren Antrag.
({0})
Ich bin mir noch nicht ganz sicher, was wirklich dahintersteckt. - Ich bin mir aber bewusst, dass es richtig ist,
über das Thema Immobilien- und Wohnungswirtschaft
zu diskutieren. Das ist der Bedeutung der Branche angemessen. Deshalb finde ich es gut, dass wir dieses Thema
aufgreifen.
Lassen Sie uns einmal nachschauen, was in Ihrem
Antrag steht. An einigen Stellen - Sie werden das verstehen, auch wenn das jetzt hier besprochen wurde musste ich beim Lesen schon etwas schmunzeln, um es
einmal vorsichtig auszudrücken. So schreiben Sie in Ihrem Antrag: CDU/CSU und SPD verfolgen die Absicht,
die selbstgenutzte Wohnimmobilie in die staatlich
geförderte private Altersvorsorge besser zu integrieren …
Darüber reden wir seit zwei, drei Jahren. Hierbei haben
Sie sich absolut nicht mit Ruhm bekleckert, meine Damen und Herren. Vielleicht können Sie sich noch
schwach daran entsinnen, dass Sie nach Abschaffung der
Eigenheimzulage Wohnimmobilien in das RiesterModell aufnehmen wollten. Eigentlich sollte das selbstgenutzte Wohneigentum zu Beginn des vergangenen
Jahres in die geförderte Altersvorsorge integriert werden. Das waren damals Ihre Versprechen. Mittlerweile
ist der geplante Starttermin eine Art Fata Morgana. Sie
diskutieren darüber, und Sie haben auch schon viele Namen eingebracht: KaNaPE, Sofa, Riester; das sind keine
Schimpfwörter, sondern Bezeichnungen für Fördermodelle. Bloß, angegangen ist sie niemand, und entschieden haben Sie nichts in dieser Richtung.
({1})
Joachim Günther ({2})
Ebenso ist das mit einigen anderen Dingen, die die
Immobilienwirtschaft betreffen und über die wir einmal
reden müssen, zum Beispiel die Unsinnigkeit der neuen
Regelungen in § 35 a Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes. Haben Sie das überhaupt einmal in Ruhe durchdacht? Haben Sie einmal die Wohnungsgesellschaften
gefragt? Als Trostpflaster für die Steuererhöhung zum
Jahresanfang hat die schwarz-rote Regierung in Form einer Ausnahmeregelung die Steuerermäßigung für
haushaltsnahe Dienstleistungen und Handwerkerleistungen eingeführt. Das klingt erst einmal hervorragend.
Im Detail ist es aber so, dass der Mieter, wenn er die
20 Prozent der Personalkosten tatsächlich geltend machen will, ein bürokratisches Monster in Bewegung setzen muss. Ich habe große Zweifel daran, dass die Beseitigung der Schwarzarbeit, was der eigentliche
Grundgedanke war, dadurch vorankommt.
Noch schlimmer ist die Vorstellung, dass die Wohnungsbaugesellschaften oder auch die privaten Vermieter die Betriebskosten ausrechnen, um sie dem Mieter
zur Verfügung zu stellen. Bei diesem Verfahren kommt
es - da können Sie nachfragen - im Endeffekt zu weiteren Betriebskosten, sodass der Mieter überhaupt nicht
entlastet wird. Das ist Bürokratie und kein Fortschritt auf
diesem Gebiet.
({3})
Im Immobilienvisier dieser Koalition - das gehört
dazu, wenn wir über das Thema Immobilien- und Wohnungswirtschaft reden - steht jetzt wieder die Erbschaftsteuer. Wenn Sie schon wieder höhere Steuern im
Hinterkopf haben, dann kann ich nur sagen: Hände weg
von den Eigenheimbesitzern, Hände weg von dem Immobilieneigentum in diesem Land!
({4})
Ich möchte einmal zwei Kollegen der Union wörtlich
zitieren. Kollege Michael Meister, der auf diesem Gebiet
wirklich Sachverstand hat, sagte am Tag der Entscheidungsverkündung des Bundesverfassungsgerichtes: „Erben können sich auf die Unionsfraktion verlassen“. Acht
Tage später sagte sein Kollege Fuchs: Eine höhere Erbschaftsbesteuerung ist nach dem Verfassungsgerichtsurteil unumgänglich.
Angesichts der Wahrnehmungsprobleme im Immobilienbereich in der Union und in der Koalition finde ich
es gut, dass wir dieses Thema jetzt konzentriert betrachten und über Einzelheiten diskutieren. Es ist ein guter
Schritt, dass sich die Koalition von der eigenen Regierung berichten lässt, wie es auf diesem Gebiet aussieht.
Wenn aus dieser Debatte heraus noch gute Vorschläge
und eventuell auch gute Entscheidungen für die Immobilienwirtschaft kämen, dann würde ich das sehr begrüßen.
Mit Blick auf eine gute Diskussion sehe ich dem Ganzen
aufgeschlossen entgegen.
Herzlichen Dank.
({5})
Ich erteile Peter Götz das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft bildet unbestritten einen wichtigen Pfeiler der deutschen Volkswirtschaft. Mit
unserem heutigen Antrag - der, Herr Kollege Günther,
zu Ihrer Information durchaus eine Drucksachennummer
hat, nämlich 16/4570 - möchten wir auf die enorme Bedeutung dieser Branche aufmerksam machen und uns
damit intensiv und vor allen Dingen ganzheitlich auseinandersetzen.
In unserem Antrag bitten wir die Bundesregierung,
ausführlich über die Lage der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft zu berichten; denn diese leistet einen großen Beitrag zur Wertschöpfung in unserem Land. Wir erwarten von der Immobilienwirtschaft auch in Zukunft
wichtige ökonomische und ökologische Impulse.
Der Wohnungs- und Immobilienmarkt entwickelt sich
- das ist eine bekannte Tatsache - regional sehr unterschiedlich. Deshalb war es nur konsequent, im Rahmen
der Föderalismusreform die Zuständigkeit für die unmittelbare Wohnungsbauförderung auf die Länder zu
übertragen. Die demografischen Veränderungen und die
bekannten, vor allem - Kollege Kranz hat es gesagt - arbeitsmarktbedingten Wanderungsbewegungen haben unmittelbare Auswirkungen auf die Einwohnerzahlen in
vielen Städten und Gemeinden. Andererseits erwarten
wir in Deutschland nach der Wohnungsmarktprognose
des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung bis
ins Jahr 2020 eine steigende Zahl der privaten Haushalte. Vor allem die Zahl der Einpersonenhaushalte wird
aufgrund der Individualisierung und der Altersentwicklung in unserer Gesellschaft zunehmen.
Die Konsequenzen kann sich jeder ausmalen. Es entsteht ein Wettbewerb zwischen den Kommunen vor allem um junge Menschen; denn kommunale Einnahmen
sind bekanntermaßen von Steuern und Gebühren, die die
Einwohner entrichten, abhängig. Das räumliche Entwicklungsgefälle verschärft sich sichtbar. Erschwerend
kommt hinzu, dass vor dem Hintergrund der anhaltend
leeren Kassen in vielen Städten dringend notwendige
kommunale Investitionen nicht getätigt werden konnten.
Der erforderliche Umdenkungsprozess hat in vielen
Kommunen, vor allem in den neuen Ländern, längst begonnen. Aber es gibt nach wie vor Städte und Gemeinden, die das einfach noch nicht wahrhaben wollen. Aber
auch diese werden nicht umhinkommen, Wachstumsstrategien durch Umstrukturierungs- und Schrumpfungsstrategien zu ersetzen.
Die „FAZ“ vom Freitag letzter Woche wirft die provozierende Frage auf, ob - abgesehen von Großstädten
wie München, Stuttgart, Frankfurt oder Hamburg - die
Stadtentwicklungsämter künftig als „Stadtschrumpfungsämter“ bezeichnet werden müssen. Bei näherem
Betrachten wird schnell deutlich: Den notwendigen
Stadtumbau ökonomisch und ökologisch zu einem Gesamtkonzept zu entwickeln, ist die größte kommunalpolitische Herausforderung der Zukunft. Was passiert mit
der technischen und sozialen Infrastruktur wie der Versorgung mit Trinkwasser, Fernwärme, Strom und Gas
oder der Abwasserbeseitigung, was passiert mit Straßen,
Kindergärten, Schulen, Sportstätten und Schwimmbädern? Ich könnte diese Liste beliebig fortsetzen. Wer bezahlt den notwendigen Anpassungsprozess? Wir wissen
auch, dass aufgrund der Altersstruktur der Bedarf an Senioren- und Pflegeheimen zunimmt.
All das sind Entwicklungen, die sich unmittelbar auf
die Immobilien-, Wohnungs- und Städtebaupolitik auswirken. Vor allem der Wert der Immobilie wird davon
stark beeinflusst. Wohnungsleerstände und ein sich negativ veränderndes Wohnumfeld mit allen daraus resultierenden gesellschaftspolitischen Folgen unterstreichen
den politischen Handlungsdruck.
Auch die Professionalisierung und Internationalisierung der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft hat weitreichende soziale und städtebauliche Auswirkungen, die
es sehr sorgfältig zu analysieren gilt. Die Ökonomisierung der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft schreitet
sichtbar für alle Beteiligten in Wirtschaft, Verwaltung
und Politik voran. Dies gilt auch für die klassischen
kommunalen Wohnungsunternehmen.
In den vergangenen zwei Jahren haben ausländische
Beteiligungsgesellschaften 20 Milliarden Euro in deutsche Wohnungen investiert. Das heißt, es gibt für deutsche Immobilien nach wie vor einen ganz interessanten
Markt. Nach vorliegenden Studien wird diese Entwicklung in den kommenden Jahren weiter zunehmen.
Lassen Sie mich noch ein anderes Thema ansprechen,
das mir wichtig ist. Wenn wir über die Zukunft der Immobilien nachdenken, müssen wir dies auch im Zusammenhang mit der Klimafrage tun. Die Auswirkungen
der globalen Erwärmung sind besonders in den Ballungsräumen zu spüren. Städte sind von Haus aus bereits
Wärmeinseln. Ziegel, Beton und Asphalt wandeln die
Sonnenstrahlung in Wärme um und speichern sie in Straßen und Gebäuden. Auch darauf müssen sich die Kommunen und die Immobilienwirtschaft einstellen. Grünflächen in der Stadt erhalten eine ganz neue Bedeutung;
denn sie lindern Hitze. Gebäude sollten in Zukunft so
geplant werden, dass eine passive Kühlung erfolgt. Die
falsche Antwort wäre, jedes Gebäude mit elektrischen
Klimaanlagen auszustatten; denn das würde den Energieverbrauch weiter explodieren lassen. Ein verändertes
Verhalten, eine intelligente Stadtplanung und eine neue
Architektur sind also dringend notwendig.
In Deutschland entstehen 20 Prozent aller CO2-Emissionen im Gebäudebereich. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm der Bundesregierung ist die richtige
Antwort auf die daraus resultierenden Fragen. Das Programm ist gut für das Klima, es hilft Mietern und Eigentümern, spart Heiz- und Energiekosten, fördert die Innovationen in der Bauindustrie, nutzt dem örtlichen
Handwerk und sichert langfristig den Wert der Immobilie. Wenn der Bundesverband deutscher Wohnungs- und
Immobilienunternehmen in seiner heutigen Veröffentlichung erklärt, dass Wohnungsunternehmen und Genossenschaften im vergangenen Jahr rund 30 Prozent der
gesamten Fördermittel zur energetischen Sanierung von
57 000 Wohnungen genutzt haben, spricht dies allein für
den Erfolg des Programms.
Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu tagesaktuellen Themen der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft machen. Bei der Unternehmensteuerreform
müssen wir die Auswirkungen der geplanten Zinsschranke auf die Immobilie auf Herz und Nieren prüfen,
damit die Immobilienwirtschaft in Deutschland lebensund wachstumsfähig bleibt. Zur Vermeidung von Irritationen sage ich auch - denn solche kommen immer wieder hoch -: Gewinne aus der Veräußerung von Immobilien sind von der geplanten Abgeltungsteuer ausdrücklich
nicht betroffen. Hier bleibt es unverändert beim bisherigen Steuerrecht.
({0})
Kollege Günther, ich stimme mit Ihnen vollkommen
überein: Die Frage, wie es mit der Immobilie als selbstgenutztem Wohneigentum und als wichtige Anlageform
für die Altersvorsorge weitergeht, muss jetzt dringend
entschieden werden. Hier darf es keinen weiteren Aufschub geben.
Wir brauchen ein besseres Miteinander von öffentlichen und privaten Investitionen im Rahmen eines integrierten Ansatzes der Wohnungs- und Städtebaupolitik. Seit dem 1. Januar haben wir im Baugesetzbuch
dafür neue Instrumente. Danach können Kommunen die
Immobilienwirtschaft viel stärker als bisher in die städtebaulichen Entscheidungen einbinden. Auch die neue Experimentierklausel zur Finanzierung des Stadtumbaus
soll die Zusammenarbeit von Investoren und Kommunen
erleichtern.
Abschließend möchte ich Folgendes feststellen:
Erstens. Erfolge sind dort zu erwarten, wo starke
Kommunen mit Investoren und ihren Bürgern in guter
Partnerschaft zusammenarbeiten.
Zweitens. Wir werden in den nächsten Jahren einen
permanenten - vor allem kommunalen - Anpassungsund Umstrukturierungsprozess erleben, der sich, regional differenziert, spürbar auf die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft auswirken wird.
Drittens. Wir brauchen eine integrierte nachhaltige
Stadtentwicklungspolitik, die die Siedlungs-, die Wirtschafts- und die Infrastrukturentwicklung unter den jeweiligen demografischen und energiepolitischen Rahmenbedingungen vorausschauend koordiniert.
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dafür gute
politische Rahmenbedingungen zu entwickeln!
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt Heidrun Bluhm für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Götz, auch ich hatte bis heute Morgen
keine Drucksachennummer auf meinem Antrag, den die
Koalitionsfraktion hier eingebracht hat. Kollege Hettlich
und ich haben uns diesen Antrag gestern unter konspirativen Bedingungen besorgt,
({0})
damit wir uns auf diese Debatte heute überhaupt vorbereiten konnten. Denn wir vermuteten nach dem Titel auf
der Tagesordnung, dass dieser Bericht längst fertig sei
und in ihm so viel Sprengstoff stehe, dass wir nicht ausreichend Zeit zur Vorbereitung auf diese Debatte hätten. Das ist die Sachlage.
Gestern habe ich den Antrag also gelesen und festgestellt, dass Sie zunächst lediglich beantragen, diesen Bericht einzufordern. Berichte sind ja immer gut. Ich habe
nichts dagegen, dass solche Berichte gefertigt werden.
Sie geben uns von der Opposition mit diesem Antrag die
Möglichkeit, diesen Bericht, der erst gefertigt werden
soll, so zu gestalten, dass er auch unsere im Zusammenhang mit der Wohnungs- und Immobilienpolitik bestehenden Fragen beantworten kann.
({1})
In Ihrem Antrag und vor allem in Ihren Reden, die Sie
hier gehalten haben, ist bisher nicht ein einziges Wort
darüber gefallen, wie die ostdeutschen Problematiken in
diesem Bereich behandelt werden sollen. Ich befürchte,
dass auch in diesem Bericht die Beleuchtung der besonderen Bedingungen der Ostdeutschen nicht vorkommen
wird. Insofern haben wir hier unsere Daseinsberechtigung. Ich denke, die werden wir auch ausfüllen können.
({2})
Zum Beispiel die Altschuldenproblematik drückt
nach wie vor auf die Bilanzen vor allem kommunaler
und genossenschaftlicher Wohnungsunternehmen in den
neuen Bundesländern. Sie wirkt nach wie vor als Hemmschuh beim Stadtumbau Ost, weil sie Eigenkapital, das
für Investitionen dringend notwendig wäre, bindet, indem in diesem Bereich Schulden getilgt werden, die ohnehin nur fiktiv sind.
Im Rahmen des Berichts erwarten wir eine aktuelle
Bestandsaufnahme und vor allem Lösungsvorschläge.
Nach dem Auslaufen der Grunderwerbsteuerbefreiung bei Fusionen kommunaler Wohnungsunternehmen
stellt sich für uns die Frage nach alternativen Instrumenten, um den laufenden Umstrukturierungsprozess insbesondere in der ostdeutschen Wohnungswirtschaft weiter
zu unterstützen.
({3})
Das ist auch deshalb wichtig, weil aus der Wohnungswirtschaft kritische Stimmen zur geplanten Unternehmensteuerreform kommen. Dies ist zum Beispiel der
aktuellen Stellungnahme des GdW zu entnehmen.
In diesem Zusammenhang fordern wir eine Bilanz der
Hartz-IV-Gesetzgebung und ihrer Folgen für die Wohnungswirtschaft und die Stadtentwicklung, insbesondere
unter dem Stichwort der Ghettoisierung. Mietrückstände
mindern die Einnahmen der Unternehmen. Zwangsumzüge führen zur Konzentration bestimmter Bevölkerungsgruppen in einzelnen Stadtquartieren.
Dies erfordert Gegenkonzepte. Hat die Bundesregierung in diesem Zusammenhang mit der Wohnungswirtschaft in ausreichendem Maße Diskussionen geführt?
Aufgrund einer schrumpfenden, älter werdenden und
sich individualisierenden Bevölkerung kommen auf die
öffentliche Wohnungspolitik und insbesondere auf die
Stadtplanung große Aufgaben zu. Deshalb ist es umso
wichtiger, zu wissen, welche Partner der öffentlichen
Hand in der zukünftigen Entwicklung der Wohnungsund Immobilienwirtschaft zur Verfügung stehen werden.
Wir sind vor diesem Hintergrund sehr gespannt auf den
Erfahrungsbericht der Bundesregierung zu den Folgen
der Privatisierung von Wohnungen der öffentlichen
Hand an die international agierenden, renditeorientierten
Immobilienfonds und auf die Rechtfertigung der Einführung von REITs in der Bundesrepublik. Zu diesem
Punkt, Herr Kranz, wünsche ich Ihnen, dass Sie die Position, die Sie heute vorgetragen haben, in Ihrer Fraktion
auch in Zukunft durchhalten können.
({4})
Möchten Sie die Frage zulassen?
Ja, gern.
Ich habe es einfach nicht gesehen. - Bitte schön.
Ich möchte Sie fragen, ob Sie wissen, dass die Dresdner PDS dem vollständigen Verkauf der WOBA zugestimmt hat und dass die Mieten in bestimmten Bereichen
heute schon um mehr als 15 Prozent gestiegen sind. Was
sagen Sie dazu?
Es gibt noch eine Frage der Kollegin Katja Kipping.
Möchten Sie diese Frage auch noch zulassen? Dann können Sie auf beide Fragen zusammen antworten.
({0})
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
- Ich glaube nicht, dass Frau Kipping die Frage beantworten möchte.
Nein. Ich habe natürlich eine Frage an Sie, wie es die
Geschäftsordnung vorschreibt.
Liebe Kollegin, könnten Sie vielleicht die Fragende
darauf hinweisen, dass es erstens schon seit geraumer
Zeit keine Dresdner PDS mehr gibt, sondern nur noch
Die Linkspartei.PDS,
({0})
dass sich zweitens der Stadtverband der Partei mit einer
überwiegenden Mehrheit eindeutig gegen den Totalverkauf der WOBA ausgesprochen hat und dass es neun
Stadträte gegeben hat, von denen drei parteilos sind, die
dafür gestimmt haben, dass aber gegenwärtig ein entsprechender Prozess in der Stadtpartei in Gang gesetzt
worden ist
({1})
und das Votum der Partei ganz eindeutig ausgefallen ist?
({2})
Würden Sie die Kollegin vielleicht auch darauf hinweisen, dass es sich bei der Dresdner Linkspartei um
eine pluralistische Partei handelt,
({3})
die sich sehr klar gegen den Verkauf der Dresdner
WOBA ausgesprochen hat?
({4})
Vielleicht ist Ihnen auch bekannt, dass es einen SPDStadtrat gab, der für den Verkauf der WOBA gestimmt
hat.
({5})
Frau Präsidentin, darf ich jetzt weitersprechen?
Bitte schön.
Frau Kollegin, unabhängig von dem, was meine Kollegin Ihnen über mich vermittelt hat
({0})
- das haben Sie sicherlich gehört -: Das ist genau der
Punkt, zu dem ich im Weiteren noch gekommen wäre.
Natürlich findet so etwas statt, das ist schon in allen
Fraktionen vorgekommen. Auch Mitglieder Ihrer Partei
haben dem WOBA-Verkauf zugestimmt.
({1})
Letztlich ist das ein Ausdruck dafür, dass die Kommunen heute aufgrund finanzieller Zwänge gegen ihren eigentlichen sozialen und gesellschaftlichen Auftrag agieren müssen, den sie zu erfüllen haben. Das ist die Krux
in dieser Angelegenheit. Wir haben Bundesgesetze, die
die Kommunen Dinge tun lassen, die sie eigentlich nicht
tun dürften, weil sie für die Daseinsvorsorge ihrer Bürgerinnen und Bürger Sorge zu tragen haben. Immer wieder haben wir in diesem Zusammenhang gefordert, eine
Gemeindefinanzreform vorzulegen, die diese Missstände letztlich beseitigen würde.
Sie haben jetzt noch ungefähr drei Sekunden, Frau
Kollegin.
Drei Sekunden?
Etwa.
Gut, dann werde ich auf die REITs nicht weiter eingehen.
Ich denke, wir müssen den Bericht abwarten und uns
dann mit diesen Fragen intensiv auseinandersetzen. Ich
bin sehr gespannt auf den Bericht, der demnächst vorliegt. Ich denke, ich kann schon heute sagen, dass er es
wert ist, fortgeschrieben zu werden.
Vielen Dank.
({0})
Jetzt hat der Kollege Peter Hettlich für Bündnis 90/
Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bedanke
mich bei den Kolleginnen Volkmer und Kipping für die
Würze, die sie in diese Debatte, die dahinplätscherte
- passend zu dem in einer rührenden Schlichtheit verfassten Antrag der Großen Koalition -, gebracht haben.
({0})
Mir fällt eigentlich noch mehr Kritik dazu ein; aber
meine Kollegen Günther und Bluhm haben sie eben
schon geäußert. Ich muss Ihnen wirklich sagen: Dieser
Antrag, dessen große Geheimnisse uns bis gestern verborgen blieben, beinhaltet eigentlich nichts sensationell
Neues. Auf die Frage, wie wichtig dieser Bericht ist,
werde ich noch eingehen.
Dieser Antrag ist offensichtlich ein Anzeichen für den
schlechten Zustand der Großen Koalition; denn zwischen dem, was von Ernst Kranz und Peter Götz gesagt
worden ist, und dem, was in diesem Antrag steht, liegt
eine große Kluft.
({1})
Ich will das anhand eines Zitats belegen:
Die Internationalisierung und Professionalisierung
der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft schreitet
deutlich sichtbar voran. Dies gilt, wie der Erwerb
größerer Wohnungsbestände durch Pensions- und
Private Equity-Fonds zeigt, auch für die kommunale Wohnungswirtschaft.
Was schließen wir daraus? Was soll uns dieser Absatz
sagen? - Ernst Kranz hat wenigstens darauf hingewiesen, welche sozialen Komponenten das beinhaltet, und
hat gesagt, dass hierbei beispielsweise REITs und die
Wohnimmobilien von ganz zentraler Bedeutung sind.
Vom Kollegen Peter Götz habe ich dazu nichts gehört.
Manchmal ist es entlarvend, was alles nicht in einem
Antrag steht; das zieht sich wie ein roter Faden durch
diesen Antrag. Er ist ein mühselig zusammengetragenes
Papier, das zeigt, wie weit die beiden Koalitionspartner
offensichtlich voneinander entfernt sind. Ich glaube, damit erweisen Sie sich bei der Frage, wie es in Deutschland mit der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft weitergehen wird, einen Bärendienst.
Ich möchte jetzt auf drei Punkte eingehen, die von
den Kollegen immer wieder angesprochen worden sind.
Erstens: das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Ich
war vorhin in der Debatte zur Einführung eines Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetzes. Minister Gabriel hat
sich damit gebrüstet, was hier durch die Große Koalition
erreicht worden ist. Wir bestreiten das nicht; wir finden
das auch gut. Ich möchte aber an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen: Es war ein sozialdemokratischer Finanzminister, der die Begehrlichkeiten der Grünen
gerade bei der Ausweitung des CO2-Gebäudesanierungsfonds immer wieder abgeschmettert hat, und zwar mit
dem Hinweis, dass kein Geld in der Kasse ist. Ich denke,
an der Stelle sollte man so ehrlich sein, uns nicht vorzuwerfen - wie eben in der Debatte -, dass wir uns nicht
für die CO2-Gebäudesanierung einsetzen. Die Ehrlichkeit gebietet es, dass die Kolleginnen und Kollegen von
den Fraktionen die Bemühungen der Grünen anerkennen; das war gerade nicht der Fall.
Zweitens: der demografische Wandel. Es ist angesprochen worden, dass mit dem Raumordnungsbericht
und der Raumordnungsprognose des Bundesamtes für
Bauwesen und Raumordnung eine ganze Menge Fakten
auf dem Tisch liegen. Wir brauchen gar nicht groß im
Einzelnen zu erklären, was wo passiert. Eines ist uns bewusst: Obwohl es erheblich schrumpfende Regionen
gibt, wo zum Teil dramatische Bevölkerungsrückgänge
zu verzeichnen sind, gibt es auch in diesen Regionen
eine ungebremste Siedlungsentwicklung: Flächen werden weiter in Anspruch genommen.
({2})
- Lieber Kollege Kranz, schauen Sie sich die Grafiken
an! Schauen Sie sich die Prognosen des BBR an! Daraus
geht das eindeutig hervor.
Ich frage mich, warum wir die Bundesregierung fragen, wie sie den Bericht des ihr unterstellten Institutes,
des BBR, interpretiert. Ich denke, wir müssten Manns
genug sein, selbst die Schlussfolgerung aus den Daten,
die uns vorliegen, zu ziehen.
({3})
Drittens - ich bitte alle Kollegen eindringlich, sich
dazu Gedanken zu machen -: selbstgenutzte Immobilien
und die Einbeziehung dieser Immobilien in die Altersvorsorge. Man merkt, dass es hier um eine ganz heikle
Sache geht, wenn man sich anschaut, was mit den Immobilien in Ostdeutschland, aber auch in anderen strukturschwachen Regionen Deutschlands passiert. Da muss
man sich wirklich fragen, ob die Aussage, eine selbstgenutzte Eigentumsimmobilie sei eine gute Altersvorsorge,
tatsächlich noch stimmt; ich bezweifle das. Es ist die
Frage, ob dieses Instrument, bei dem in ganz Deutschland Mittel vergeben werden, tatsächlich zielführend ist;
ich bezweifle das sehr stark. Ich sage Ihnen ganz deutlich: An dieser Stelle werden wir auch im Rahmen der
Debatte über „Wohn-Riester“, KaNaPE oder Sofa noch
erheblichen Diskussionsbedarf im Ausschuss haben.
Wie gesagt, ich lasse mich überraschen, was der Bericht der Bundesregierung bringt. Ich denke, er wird
nicht schaden. Ich sagen Ihnen aber auch: Wir sollten eigentlich nicht so lange warten müssen. Übrigens hat keiner der Kollegen gesagt, bis wann der Bericht eigentlich
eingefordert wird. Vielleicht können Sie mir diese Antwort gleich noch im persönlichen Dialog geben.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 16/4570 zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
und zur Mitberatung an die Ausschüsse für Finanzen,
Wirtschaft und Technologie, Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz sowie Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Da das nicht der Fall ist, ist das so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0})
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz,
Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Der Informationsfreiheit durch transparente und niedrige Gebühren zum Durchbruch verhelfen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar
von Neuforn, Grietje Bettin, Volker Beck
({1}) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Bürgerfreundliche Kostenregelung für das
Informationsfreiheitsgesetz
- Drucksachen 16/659, 16/580, 16/2161 Berichterstattung:
Abgeordnete Beatrix Philipp
Gisela Piltz
Silke Stokar von Neuforn
Hier ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster der
Kollegin Beatrix Philipp, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({2})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Eigentlich wird in diesem Hause ja mit Redezeiten gegeizt,
({0})
manchmal durchaus nachvollziehbar, manchmal auch
überhaupt nicht. Heute hätte man gut eine halbe Stunde
einsparen können, nicht nur, weil eine Diskussion über
Gebühren nicht sehr prickelnd ist, wie die meisten wissen, sondern weil die Praxis inzwischen gezeigt hat, dass
sich die beiden Anträge bereits erledigt haben. Den Antrag der FDP, der dieser Debatte zugrunde liegt - „Der
Informationsfreiheit durch transparente und niedrige Gebühren zum Durchbruch verhelfen“ -, haben wir in einer
Art vorauseilendem Gehorsam bereits erledigt. Auch der
Antrag der Grünen ist eigentlich erledigt, weil eine
„Bürgerfreundliche Kostenregelung für das Informationsfreiheitsgesetz“ - Frau Stokar, so hieß der Antrag ({1})
inzwischen von der Realität überholt ist.
({2})
- Sie machen das jetzt aber nicht wie sonst der Kollege
Tauss, Frau Stokar?! Ein Satz, ein Zwischenruf und dann
habe ich auch die Möglichkeit, darauf zu antworten.
Sonst wird das schwierig.
Vor einem Jahr, als wir an dieser Stelle zum ersten
Mal über die Anträge diskutiert haben, bewegten wir uns
- das muss man schon zugeben - alle ein wenig im Bereich der Vermutungen. Meine Fraktion hat schon damals darauf hingewiesen, dass unterschiedlicher Aufwand auch unterschiedliche Gebühren erforderlich
macht, und die damals geäußerten Befürchtungen nicht
geteilt.
Inzwischen sind wir einen erheblichen Schritt weiter.
Die ersten Zahlen, Daten und Fakten liegen vor, und sie
bekräftigen unsere damalige Argumentation eindrucksvoll. Das Bundesinnenministerium hat ganz aktuell, am
15. Januar 2007, eine Jahresstatistik zum Informationsfreiheitsgesetz vorgelegt, mit der wir uns heute
auseinandersetzen können. Danach lagen den Bundesressorts bis Ende Dezember 2006 - immer noch sehr aktuelle Zahlen - genau 2 278 Anträge auf Information
vor. Davon wurden 410 abgelehnt und 1 379 positiv beschieden. Bei lediglich 8 Prozent dieser 1 379 positiv beschiedenen Anträge haben die Behörden Gebühren erhoben, also nur bei 114 Anträgen. 1 265 Anträge waren
gebührenfrei, in 50 Fällen wurden weniger als 50 Euro,
in 21 Fällen weniger als 100 Euro und in 43 Fällen mehr
als 100 Euro an Gebühren erhoben. Daran zeigt sich
deutlich, dass in der überwiegenden Mehrheit der Anträge auf Information gar keine oder ausgesprochen moderate Gebühren erhoben werden bzw. wurden. Ihre
Sorge, dass überhöhte Kosten anfragewillige Bürgerinnen und Bürger abschrecken könnten, ist also völlig unbegründet und war es eigentlich damals schon.
Es gibt allerdings natürlich auch Anlass zu der Vermutung, dass Sie mit der heutigen Debatte das Thema
Gebühren nutzen wollen, um die gesamte Schublade
Informationsfreiheitsgesetz wieder aufzuziehen. Schließlich sind Gebühren nie populär, und man kann ja einmal
darüber reden! Deshalb noch einmal: Das eigentliche
Ziel war und ist, den Bürgern den Zugang zu Informationen des Bundes zu gewähren, egal ob ein berechtigtes
Interesse vorliegt oder nicht. Das ist im Übrigen ein
Grund, warum wir damals gegen dieses Gesetz gewesen
sind. Aber, darf ich sagen, die Menschen haben es schon
richtig verstanden und auch, dass in besonderen Fällen
Gebühren erhoben werden müssen.
Ich will an dieser Stelle noch einmal wiederholen:
Erstens. Mündliche und einfache schriftliche Auskünfte
sind gebührenfrei.
Zweitens. Bei Ablehnung eines Antrags werden keine
Gebühren erhoben. Das ist nicht unproblematisch. Im
Evaluierungsbericht des Landes Nordrhein-Westfalen,
damals noch unter SPD-Ägide, heißt es - ich zitiere -:
Weiterhin ist darauf hinzuweisen, dass es für die
kommunale Praxis mitunter nicht nachvollziehbar
ist, weshalb bei Antragsablehnung keine Gebühren
erhoben werden können. Denn auch die Antragsablehnung erfordert eine formelle und materielle
Prüfung des Antrags, oftmals verbunden mit einer
Auslegung des Antragsbegehrens, sowie eine inhaltliche Beantwortung.
Es gibt also auch andere Möglichkeiten, damit umzugehen. Aber, wie gesagt, auf Bundesebene wird das nicht
so praktiziert.
Drittens. Die Gebühren sind nicht notwendigerweise
kostendeckend, sie dürfen nicht abschreckend sein. Ich
habe eben schon begründet, dass sie das nicht sind.
Viertens. Wenn es im Einzelfall aus Gründen der Billigkeit oder des öffentlichen Interesses unzumutbar erscheint, Gebühren zu erheben, kann die Befreiung von
Gebühren oder eine Ermäßigung vorgesehen werden.
Aus diesen Gründen finde ich, dass Äußerungen wie
jene, die in der Debatte vor einem Jahr fielen - wie „Demokratie verkommt zum puren Geschäft“ oder „ganze
Bevölkerungsschichten werden von Bürgerrechten ausgeschlossen“ -, völlig unpassend sind.
({3})
Es gehört zur Wahrheit dazu, zu sagen, dass es in Einzelfällen zu Fehlentscheidungen gekommen sein kann,
die dann von der Presse vermarktet wurden. Doch wie es
im Rechtsstaat üblich ist, sind diese Fehlentscheidungen
korrigiert worden.
Ich muss nun auch einmal sagen: Die SPD hat ja mit
den Grünen lange gegackert, bis das Ei gelegt war: sechs
Jahre, wenn ich das richtig in Erinnerung habe.
({4})
Dass man auch der Verwaltung ein wenig Zeit lassen
muss, sich an die neuen Regeln zu gewöhnen und sich
mit ihnen anzufreunden, finde ich nur fair. Der Bundesbeauftragte für Informationsfreiheit, Herr Schaar, hat
am 28. Dezember 2006 genau das zum Ausdruck gebracht - ich zitiere aus seiner Bilanz -:
Die anfänglich häufigen Fälle, in denen die Behörden auf den Antrag auf Informationszugang gar
nicht oder nicht fristgemäß nach § 7 Abs. 5 IFG reagiert haben, sie das IFG nicht kannten oder auf
sich nicht für anwendbar hielten,
- jetzt kommt es! sind im Laufe des Jahres ebenso zurückgegangen
wie Beschwerden über zu hohe Gebühren oder das
Verlangen der Behörden nach Vorkasse.
Weiter sagt er:
Dies zeigt, dass es sich dabei um Anlaufschwierigkeiten handelte, das IFG inzwischen in den Behörden besser bekannt ist und die Verwaltungen offenbar zu einer moderaten Gebührenpraxis gefunden
haben.
So weit Herr Schaar. Wo er recht hat, hat er recht. Man
muss ihn auch einmal loben;
({5})
wir haben ja oft genug Anlass, ihn zu kritisieren.
Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen
der Fraktionen von FDP und Grünen, Ihr beinahe angeborenes Misstrauen gegenüber unserer Verwaltung ist
also auch beim Informationsfreiheitsgesetz nicht berechtigt. Immer bedarf ein Gesetz einer gewissen Anlaufzeit.
Sie wissen, dass der Bundesbeauftragte bis 2008 einen
Bericht vorlegen wird, über den wir dann hier in der gewohnten Gründlichkeit, Seriosität und Sachlichkeit debattieren werden.
Ich bedanke mich herzlich.
({6})
Jetzt spricht Gisela Piltz für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Kollegin Philipp von der CDU, dass Sie keine
Lust haben, über dieses Thema zu sprechen, wo Sie doch
diejenigen gewesen sind, die dieses Informationsfreiheitsgesetz immer abgelehnt haben, wundert mich nicht.
Immerhin haben Sie Ihre Redezeit nicht ausgeschöpft;
das war sozusagen Ihr eigener Zeitsparbeitrag. Aber wir
hätten uns auch von der CDU/CSU ein wenig mehr Bekenntnis zur Informationsfreiheit gewünscht und nicht
nur das Herabspulen von Zahlen und von Anlagen zur
Beantwortung von Anfragen.
({0})
Denn bei der Informationsfreiheit geht es um mehr als
nur um ein Gesetz. Es ist ein Prinzip, das von der Verwaltung verinnerlicht werden muss. Informationen und
Daten sind für die Verwaltung kein Selbstzweck, sondern sie werden im Auftrag der Bürgerinnen und Bürger
erhoben.
({1})
Hier fordern wir ein Umdenken. Die Verwaltung ist
nicht für sich selbst da, sondern für alle Menschen, die in
diesem Land leben. Informationsfreiheit ist ein gelebter
Teil der Demokratie. Von diesem Gedanken haben wir
uns bei diesem Gesetz leiten lassen.
({2})
Unser Idealbild eines Bürgers sieht so aus: Mündige
Bürgerinnen und Bürger kontrollieren die Exekutive. Sie
sind daran interessiert, sich einzubringen, und sie wollen
wissen, in welchem Rahmen sie sich engagieren und
teilhaben können. Dafür müssen wir aber etwas tun. Ein
Beitrag dazu war das Informationsfreiheitsgesetz.
Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass auf die Tagesordnung eine Erfolgsgeschichte des Informationsfreiheitsgesetzes hätte gesetzt werden können. Leider ist die
Geschichte des IFG eine traurige. Sie ist geprägt vom
Misstrauen der Regierung und der Bürokratie gegenüber
den Bürgerinnen und Bürgern. Dabei hat es, wie wir imGisela Piltz
mer wieder festgestellt haben, in den Ländern, in denen
ein solches Informationsfreiheitsgesetz zur Anwendung
kam - in den skandinavischen Ländern genauso wie in
Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein -, keine
Krise gegeben. Auch die Zahl der Querulanten hat sich
in Grenzen gehalten.
({3})
Es stimmt: Ohne das Parlament gäbe es dieses Gesetz
nicht. Aber auch ohne die FDP, wenn ich das so sagen
darf, gäbe es dieses Gesetz nicht.
({4})
Denn wir haben in der letzten Legislaturperiode dafür
gesorgt, dass es den Bundesrat passieren konnte.
({5})
Deswegen ist uns dieses Gesetz wichtig.
({6})
- Ich wollte immer schon einmal Beifall von der SPD
bekommen. Vielen Dank.
({7})
Der Wille des Parlaments ist das eine, die Umsetzung
des Gesetzes ist das andere. Wenn die Verwaltung den
Willen des Parlaments so missachtet, wie sie es heute
mehr oder weniger tut, dann missachtet sie auch den
Willen des Parlaments.
({8})
Die Verwaltung hat zunächst Gebührenbescheide verschickt und 100 Euro für vier Kopien verlangt. Das ist
zwar besser geworden, aber wenn wir das nicht neu regeln, wird es solche Problemfälle auch in Zukunft geben.
Wenn die Bürgerinnen und Bürger befürchten müssen, dass ihre Anfrage mit hohen Gebühren beschieden
wird, werden sie keine Anfrage stellen; das ist nun einmal so. Eine Informationsfreiheit, die nicht genutzt wird,
läuft ins Leere.
({9})
Eine Informationsfreiheit, die davon abhängt, ob man
Geld hat oder nicht, ist mit einem liberalen Rechtsstaatsund Demokratieverständnis nicht zu vereinbaren.
({10})
Wir brauchen Klarheit, Transparenz und eine Verwaltungsvorschrift mit eindeutigen Vorgaben:
Erstens. Gebühren von höchstens 500 Euro können
nicht in jedem Fall kostendeckend sein, weil die Personalkosten so hoch sind. Hier muss man eine Regelung
finden, die nicht nur darin bestehen darf, dass die eine
oder andere Behörde das in der Praxis anders regelt. Wir
wollen, dass das auf klare Grundlagen gestellt wird.
Auch der EuGH gibt uns durch seine Rechtsprechung
recht.
Das zweite Problem ist, dass Vorkasse verlangt wird.
Auch das ist in einem Rechtsstaat sehr merkwürdig.
Das dritte Problem ist die Information über das Informationsfreiheitsgesetz. So gesehen ist unser Antrag sehr
wohl aktuell. Wenn Sie auf die Homepage des Bundesinnenministeriums gehen, dann müssen Sie sich von Link
zu Link weiterklicken: von „Themen A-Z“ über „Verfassungs- und Verwaltungsrecht“ bis zum „Verwaltungsrecht“. Erst dann finden Sie Informationen über das Informationsfreiheitsgesetz. Das ist nicht praktikabel. Das
ist nicht informativ. Das ist peinlich, wenn ich der Bundesregierung das einmal so deutlich sagen darf.
({11})
Auch das, was Sie auf die Frage 8 in einer von den
Grünen gestellten Kleinen Anfrage geantwortet haben,
ist peinlich. Der Bundesregierung, deren Umweltministerium Geld übrig hat, um ein Flugblatt über die Mopsfledermaus zu verbreiten, fällt nichts weiter ein, außer
auf die Informationen auf der Homepage des Bundesinnenministeriums zu verweisen.
({12})
Das sind all Ihre Informationen über das Informationsfreiheitsgesetz. Das kann nicht sein. Seit Jahrzehnten
warten wir auf ein Informationsfreiheitsgesetz. Nun ist
es da. Jetzt müssen Sie auch Werbung dafür machen und
dürfen es nicht in der hintersten Ecke verstecken.
({13})
Wir bitten die Bundesregierung nochmals, unseren
Bedenken Rechnung zu tragen. Ihr Bekenntnis und unser
Bekenntnis zur Informationsfreiheit sind notwendig, damit dieses Gesetz keine leere Hülle bleibt. Stellen Sie die
Weichen, damit die Bürgerinnen und Bürger schnell, unkompliziert und ohne abschreckende Gebühren zahlen
zu müssen, an Informationen kommen können. Stellen
Sie sicher, dass die Behörden kompetent Auskunft erteilen. Setzen Sie vor allen Dingen den Willen des Parlaments konsequent um.
Vielen Dank.
({14})
Jetzt hat Michael Bürsch das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt noch die große Gemeinsamkeit in diesem
Hohen Hause. Diese besteht darin, dass wir alle stolz
und froh sind, dass es ein Informationsfreiheitsgesetz
gibt. Dort heißt es:
Jeder hat … gegenüber den Behörden des Bundes
einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen.
So schön und so klar ist es in § 1 des Informationsfreiheitsgesetzes formuliert. Ich nutze die Gelegenheit, nach
gut einem Jahr zu sagen: Das Informationsfreiheitsgesetz, IFG, bringt Transparenz in die Behördenvorgänge. Es ist ein wichtiger Beitrag zur Demokratie und
stellt ein essenzielles Bürgerrecht dar; darüber gibt es
gar keinen Zweifel. Ich bin froh, dass es dieses Gesetz
gibt. Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich, dass die
FDP im Juni/Juli 2005 das Zustandekommen dieses Gesetzes ermöglicht hat. Ich darf heute die letzte große
Volkspartei im Boot begrüßen: Auch die CDU/CSU ist
mittlerweile ein Anhänger dieses Gesetzeswerks. Die
Rede von Frau Philipp hat bewiesen, dass auch sie froh
ist, dass es ein solches Gesetz gibt.
Nun zu den heute zur Abstimmung anstehenden Anträgen. Ich stimme meiner Koalitionskollegin hundertprozentig zu: Es geht nur um Kostenfragen. In ihren
Anträgen verlangen FDP und Grüne eine „bürgerfreundliche Kostenregelung für das Informationsfreiheitsgesetz“ bzw. „niedrige Gebühren“. Die Praxis nach einem
Jahr Informationsfreiheitsgesetz zeigt: Diese Forderungen sind erfüllt. Ich kann mich dabei - genauso wie Frau
Philipp - auf eine neutrale, objektive Quelle berufen.
Der Bundesbeauftragte für die Informationsfreiheit hat
Ende 2006, also ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes,
erklärt, dass es auf Bundesebene zu Beginn zwar in Einzelfällen Anlaufschwierigkeiten gab, dass aber „die Verwaltungen offenbar zu einer moderaten Gebührenpraxis
gefunden haben“. Sicherlich gab es zu Beginn in Einzelfällen Schwierigkeiten. Meine Nachrednerinnen werden
vielleicht noch weitere Einzelfälle nennen können.
({0})
Aber es verhält sich hier genauso wie mit der Geschwindigkeitsbegrenzung: Wenn irgendwo 50 km/h vorgeschrieben sind, wird es immer ein paar Missetäter geben,
die 75 km/h fahren. Dafür gibt es aber Gesetze. Auch
hier sind die Kosten klar geregelt, genauso wie die Tatsache, dass Vorkasse zu leisten ist und Gebühren nicht
addiert werden dürfen.
Mein Fazit lautet: Nach Maßgabe von § 10 des Informationsfreiheitsgesetzes erheben die Bundesbehörden
angemessene Gebühren für Informationsbegehren der
Bürgerinnen und Bürger. Niemand wird durch erhöhte
Gebühren davon abgeschreckt, seine Rechte auf Information wahrzunehmen. Das Bundesinnenministerium
hat zugesagt, darauf zu achten, dass die Bundesbehörden
auch in Zukunft eine angemessene Gebührenpolitik betreiben. Auf diese Zusage setzen wir von der SPD. Ich
glaube, darauf kann auch das Hohe Haus setzen.
Es gibt eine Erkenntnis von Goethe, die da lautet: Getretener Quark wird breit, nicht stark. - Ich schließe
meine Ausführungen an dieser Stelle.
({1})
Dann erteile ich jetzt das Wort der Kollegin Petra Pau
für Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Überraschen wir uns damit, was möglich ist.“ Das war
der Leitsatz von Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Neujahrsansprache. Ich würde mich heute von der Union
und der SPD gerne überraschen lassen. Aber nach den
Ausführungen meiner Vorredner ist klar, dass sie diese
Überraschung nicht wollen, das heißt, dass sie nicht für
noch mehr Demokratie und Bürgerrechte stimmen wollen. Aber genau darum geht es in der heutigen Debatte.
Das Informationsfreiheitsgesetz soll entfesselt und die
Rechte der Bürgerinnen und Bürger sollen gestärkt werden. Darauf zielen die vorliegenden Anträge der FDP
und des Bündnisses 90/Die Grünen, und genau das will
auch die Fraktion Die Linke. Wir wollen, dass das Gesetz das bewirkt, was es vorgibt, nämlich Informationsfreiheit - und zwar für alle - statt Geheimniskrämerei.
({0})
Das Informationsfreiheitsgesetz sollte jeder Bürgerin
und jedem Bürger zu umfangreichen Einsichten verhelfen. Sie sollen Auskünfte erhalten, Akten einsehen
und Planungen nachvollziehen können, und zwar möglichst ausnahmslos, umgehend und bürokratiefrei. Das
war der Sinn, als der Bundestag vor zwei Jahren endlich
dieses Gesetz schuf.
Aber - auch das gehört zur Geschichte - die Schöpfer
hatten das Informationsfreiheitsgesetz zugleich mit
Mühlsteinen behängt. Einer bewirkt: Wer Auskunft begehrt, soll dafür zahlen, und zwar bis zu einer Obergrenze - davon war schon die Rede - von 500 Euro. Das
ist mehr, als manch einer überhaupt zur Verfügung hat.
So gilt auch hier: Wer arm dran ist, wird auch noch seiner Bürgerrechte beraubt.
({1})
Die Kollegin Piltz hat bereits darauf hingewiesen. Jemand, der mit jedem Cent rechnen muss, wird sich überlegen, ob er eine Auskunft verlangt oder ob er das Geld
lieber für seinen Lebensunterhalt verwendet.
({2})
- Inzwischen gibt es praktische Erfahrungen mit dem
Gesetz, Kollege Bürsch. Anders, als es Kollegin Philipp
dargestellt hat, überwiegen die schlechten die guten Erfahrungen. Es ist schließlich nicht zu rechtfertigen, wenn
zum Beispiel das Auswärtige Amt für eine Auskunft in
Form von vier Fotokopien 100 Euro begehrt.
({3})
Das ist keine Information für freie Bürger, sondern
Wucher. Genau das ließe sich ausschließen, wenn Sie es
heute alle wollten und den vorliegenden Anträgen zustimmen würden.
Die Oppositionsparteien - FDP, die Linke und Bündnis 90/Die Grünen - sind sich einig wie selten: Wir wollen Informationsfreiheit. Aber schon in den Ausschussberatungen hat sich gezeigt, dass sich die CDU/CSU und
die SPD standhaft gegen die Beseitigung der Mühlsteine
wehren. Im Protokoll ist unter dem Stichwort „Lösungen“ festgehalten: Ablehnung der Anträge.
Heute wollte ich mich überraschen lassen, ob wenigstens die Abgeordnete Dr. Merkel die Neujahrsansprache
der Kanzlerin Dr. Merkel verstanden hat.
({4})
Sie hätte heute die Chance gehabt, sich von den rückwärtigen Diensten der Großen Koalition zu emanzipieren und mit der Opposition für Informationsfreiheit zu
stimmen.
({5})
Sie ist leider in Brüssel. Sie haben aber die Möglichkeit,
liebe Kollegen aus der Koalition, das stellvertretend für
Frau Merkel zu tun.
Ich halte es mit Faust: „Der Worte sind genug gewechselt.
({6})
Lasst mich endlich Taten sehen!“ Ich befürchte nur, dass
Ihr Faust wieder recht behalten wird: „Die Botschaft
hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ So geht es inzwischen vielen, wenn sie Silvester wohlfeile Reden hören. Das schafft nur eines, nämlich Demokratieverdruss,
den wir überhaupt nicht gebrauchen können. Deshalb
fordere ich Sie auf: Kehren Sie um, und stimmen Sie den
Anträgen der Kollegen zu!
({7})
Jetzt hat die Kollegin Silke Stokar das Wort für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass
wir heute betonen und feiern müssen, dass eine einfache
Anfrage an die Verwaltung gebührenfrei ist, ist ein peinliches Indiz für den Stand der Verwaltungsreform auf
Bundesebene. Für mich ist es selbstverständlich, dass ein
Bürger oder eine Bürgerin, die eine Frage an die Verwaltung haben, nicht erst einen Kostenbescheid, sondern
eine Antwort erhalten.
Ich will meine kurze Redezeit nutzen, um die Kritik,
die wir nach wie vor an der Kostenverordnung zum
Informationsfreiheitsgesetz haben, noch einmal im Detail zu begründen. Nach wie vor ist eine Anfrage nach
dem Informationsfreiheitsgesetz teurer als eine Anfrage
nach dem Umweltinformationsgesetz. Wie wollen Sie
das den Bürgerinnen und Bürgern erklären? Wir haben
schon auf dieser Ebene zwei völlig unterschiedliche Gebührenordnungen.
Ich möchte auch etwas zu den Auskünften sagen, die
Bürgerinnen und Bürger erhalten, die eine etwas komplexere Frage als die nach einem einfachen Verwaltungsvorgang stellen. Sie erhalten nach wie vor die Auskunft:
Ihre Anfrage kann Gebühren zwischen 15 und 500 Euro
erzeugen. Darüber hinaus sind eventuell entstehende
Auslagen erstattungspflichtig. - Das ist auch heute noch
eine Auskunft, die fragende Bürgerinnen und Bürger bekommen. Ich bleibe dabei: Eine solche Auskunft ist kein
Anreiz zum freien Informationszugang, sondern abschreckend.
({0})
Wir freuen uns natürlich, dass das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes mittlerweile in sechs weiteren
Bundesländern existiert. Aber wie wollen Sie erklären
- Herr Kollege Bürsch, auch Sie sind doch für Bürokratieabbau zuständig -, dass in Deutschland eine Heerschar von Bediensteten des öffentlichen Dienstes damit
beschäftigt ist, zu ergründen, was die Übermittlung einer
vom Staat erstellten DIN-A4-Kopie an die Bürgerinnen
und Bürger wohl im Einzelnen kosten könnte? Auf Bundesebene gibt es mindestens drei verschiedene Gebührenordnungen für diesen Vorgang, und in jedem Bundesland kommt die Heerschar von Bediensteten des
öffentlichen Dienstes wiederum zu anderen Ergebnissen.
Das ist keine bürgerfreundliche Gebührenordnung; vielmehr macht sich der öffentliche Dienst damit lächerlich.
Wir fordern nach wie vor eine bürgerfreundliche und
einheitliche Gebührenordnung für den Informationszugang zu Vorgängen in der öffentlichen Verwaltung.
Lassen Sie mich zum Schluss einen Vorschlag machen. Im Informationsfreiheitsgesetz gibt es die Anregung - so können Sie Kosten sparen -, einfache Verwaltungsvorgänge in das Internet zu stellen, damit ein
Klick ausreicht, um die Information über die Akten zu
bekommen, auf die Bürgerinnen und Bürger Anspruch
haben, ohne lange Anfragen zu stellen. Nicht ein Ministerium hat diese Anregung umgesetzt.
Ein letzter Hinweis zu den Anfragen - das sollten Sie,
meine Damen und Herren von der SPD, auswerten -: Es
sind in erster Linie Journalisten, die Anfragen zu komplexen Themen stellen, weil hinter ihnen eine Redaktion
steht, die das Kostenrisiko trägt. Viele Anfragen kommen auch aus Verbänden. Es ist den Widersprüchen, die
diese Personen eingelegt haben, zu verdanken, dass in
Einzelfällen von den hier genannten horrenden Gebührenforderungen wieder Abstand genommen worden ist.
Es ist also nicht die Gebührenordnung des BMI, die bürgerfreundlich ist, sondern es ist der Widerstand der Bürgerinnen und Bürger gegen eine völlig unsinnige Gebührenordnung gewesen, der zum Einlenken geführt hat.
Das halten wir nach wie vor nicht für richtig.
Danke schön.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 16/2161. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf
Drucksache 16/659 mit dem Titel „Der Informationsfreiheit durch transparente und niedrige Gebühren zum
Durchbruch verhelfen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der FDP und der Linken
bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/580
mit dem Titel „Bürgerfreundliche Kostenregelung für
das Informationsfreiheitsgesetz“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist auch diese Beschlussempfehlung bei
Zustimmung der Koalition, Ablehnung durch die Fraktion Die Linke und die Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen und Enthaltung der Fraktion der FDP angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Kipping, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Verdeckte Armut bekämpfen - Rechte wahrnehmen, unabhängige Sozialberatung ausweiten und Selbsthilfeinitiativen unterstützen
- Drucksache 16/3908 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Es ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile das Wort der
Kollegin Katja Kipping für Die Linke.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Immer
mehr Menschen in diesem Land leben in Armut. Da können wir nicht einfach tatenlos zusehen. Hier müssen wir
handeln.
({0})
Wenn wir über Armut reden, dann müssen wir uns
auch mit dem Problem „verdeckte Armut“ beschäftigen.
2,5 Millionen Menschen leben in Deutschland in Armut.
Das heißt, sie hätten laut Gesetz zwar Anspruch auf Sozialleistungen, stellen aber keinen Antrag. Warum? Die
Bundesregierung ist der Meinung, diese Menschen verzichten freiwillig darauf, weil sie den Bezug von Sozialleistungen vermeiden wollen. Deswegen sieht die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf. Glauben Sie im
Ernst, dass 2,5 Millionen Menschen freiwillig in Askese
leben?
({1})
Die Wissenschaftlerin Irene Becker hat die persönlichen Ursachen von verdeckter Armut untersucht. Im
Übrigen hat die Bundesregierung ihre Kompetenz bei
der Erarbeitung des Armuts- und Reichtumsberichts sehr
zu schätzen gewusst. Das Ergebnis dieser Wissenschaftlerin ist eindeutig: Die Menschen verzichten nicht nur
aus Bescheidenheit; die Gründe reichen vielmehr von
Angst vor Stigmatisierung über schlechte Erfahrung mit
Behörden bis hin zur Unkenntnis, auch wenn die Bundesregierung das nicht wahrhaben möchte. Nur ein Beleg für Unkenntnis: 57 Prozent der verdeckt Armen meinen, man müsse Sozialhilfe zurückzahlen, wenn es
einem besser gehe. Wir wissen, dass das ein Irrtum ist.
Zu den politischen Ursachen von verdeckter Armut.
Da ist an erster Stelle der repressive Charakter Ihrer Sozialpolitik, meine Damen und Herren von SPD und
CDU/CSU, zu nennen. Wer heute einen Antrag auf den
Bezug von Sozialleistungen stellt, muss womöglich mit
dem Besuch von Sozialdetektiven rechnen, die im Einzelfall nicht davor zurückschrecken, die Nachbarn auszufragen. Eine solche Praxis steigert natürlich die Angst
vor Stigmatisierung und führt dazu, dass Menschen darauf verzichten, einen Antrag zu stellen.
Arbeitsmarktinstrumente wie Weiterbildung sollten
den Menschen eigentlich helfen, wieder eine Stelle zu
finden. Aber dieses Anliegen rückt immer mehr in den
Hintergrund. Anstatt Menschen mit Eingliederungsmaßnahmen bei der Jobsuche aktiv zu helfen, geht es doch
vor allen Dingen nur noch um Abschreckung. Die Linke
meint: Dies muss sich schleunigst ändern.
({2})
Besonders hoch ist die Quote der verdeckten Armut
bei den Niedriglöhnern. Hier würde ein Mindestlohn
von 8 Euro die Stunde helfen. Meine Damen und Herren
von der SPD, ich fordere Sie auf, sich einmal in einem
Punkt durchzusetzen - es wird Zeit -; vielleicht setzen
Sie sich mit Ihrer Forderung nach Einführung eines Mindestlohns endlich durch.
({3})
Mit einem Mindestlohn und mit einer repressionsfreien
sozialen Grundsicherung könnte man das Problem „verdeckte Armut“ bei der Wurzel packen.
Ein erster Schritt wäre, zumindest dafür zu sorgen,
dass die Erwerbsloseninitiativen in den Beiräten der
örtlichen Arge und der örtlichen Jobcenter vertreten
sind.
({4})
Sie sind in einigen Städten vertreten, aber nicht überall.
Ich finde, sie sollten überall vertreten sein; denn die
Kompetenz der Betroffenen ist viel zu wertvoll, als dass
die Argen darauf einfach verzichten können.
Außerdem brauchen wir endlich einen Rechtsanspruch der Bedürftigen auf eine unabhängige Beratung. Gegenwärtig berät genau die Stelle, die auszahlen
soll. Es liegt doch aber auf der Hand, dass die zahlende
Stelle andere Interessen hat als diejenigen, die einen Anspruch auf Leistung haben. Wenn Sie sich eine Waschmaschine kaufen wollen, dann fragen Sie doch auch
nicht nur beim Hersteller nach, sondern nutzen unabhängige Institute wie die Stiftung Warentest. Die Linke
meint: Das Recht auf eine unabhängige Beratung muss
auch für Niedriglöhner und Erwerbslose gelten, wenn es
um die Sicherung ihrer Existenz geht.
({5})
Ich fasse zusammen: Verdeckte Armut ist ein zentrales Problem. Handeln tut hier not. Wir haben Ihnen verschiedene Lösungsansätze unterbreitet. Ich kann Sie nur
auffordern, dass wir uns in den gemeinsamen Beratungen auf den Weg machen, Lösungen für dieses große
Problem zu finden.
Besten Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Karl Schiewerling für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! „Verdeckte Armut bekämpfen“ ist der Titel des Antrags der Fraktion Die Linke und
der Anlass dieser Debatte. Verdeckte Armut bekämpfen,
wollen Sie das wirklich? Ich jedenfalls glaube Ihnen das
nicht.
Verdeckte Armut wollen Sie damit bekämpfen, dass
Sie einen Achtpunktekatalog mit viel Verwaltung aufstellen. In Wirklichkeit verfolgen Sie mit diesem Katalog nichts anderes als eine Verfestigung der SGB-IIStrukturen. In Ihrem Antrag verlieren Sie kein Wort
darüber, wie Sie die Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren wollen.
({0})
Sie zeigen vielmehr, wie die Menschen möglichst lange
in dem System bleiben können.
Ich habe auch nicht den Eindruck, dass die Menschen
ihre Rechte nicht kennen. Über 100 000 Klagen vor den
Sozialgerichten sprechen eine andere Sprache.
Was Sie wollen, ist eine ausdifferenzierte Verwaltungsstruktur für SGB-II-Empfänger.
({1})
Mit einem neuen und künstlich aufgeblähten Apparat
von nebenstaatlichen Institutionen, mit mehr Klagen und
Gerichtsverfahren und mit einem schon fast krankhaften
Misstrauen gegenüber den Mitarbeitern unserer Behörden wollen Sie angeblich Armut bekämpfen.
Nein.
({0})
Es gibt in unserem Land Armut. Aber glauben Sie
wirklich, dass Sie mit diesem Antrag die Armut bekämpfen können? Nein, Sie schüren Sozialneid, rütteln an den
Grundfesten unseres Sozialsystems und entmündigen
den einzelnen Menschen, mehr nicht.
({1})
Armut bekämpfen Sie noch nicht einmal im Ansatz.
Das Beste gegen Armut ist Arbeit. Armut kann mit
Mut und Motivation, mit Förderung und Qualifikation
sowie mit der Stärkung von Selbstvertrauen und Eigenverantwortung bekämpft werden. Dazu - das verkenne
ich nicht, und das verkennen wir nicht - ist allerdings
Hilfe nötig. Doch diese Aspekte sind Ihnen völlig fremd,
weil sie nicht Ihrem Menschenbild entsprechen. „Eigenverantwortung“ und „Eigeninitiative“ sind Begriffe, die
Ihr Wortschatz nicht umfasst.
({2})
Sie versprechen den Menschen einen Staat, der sich um
alles kümmert. Doch dieser angeblich rundum versorgende Staat existiert nicht. Ich sage Ihnen: Er darf auch
nicht existieren, weil er die Menschen entmündigt.
({3})
Unser Sozialstaat steht weiterhin vor großen Herausforderungen; das ist richtig. Neben der demografischen
Entwicklung hat vor allen Dingen eine zunehmende Individualisierung in unserer Gesellschaft zu einer Legitimationskrise des Sozialstaats geführt. So glaubten in
der Vergangenheit viele, dass anstelle von Familien der
Sozialstaat eintreten könnte. Man forderte umfassenden
sozialen Schutz, der alle Lebensrisiken absichert. Man
erwartete vom Staat alles und jedes. Aber ohne Gegenleistung, meine Damen und Herren, sind Staat und Gesellschaft überfordert.
({4})
Solidarität ist keine Einbahnstraße.
({5})
Zur Gerechtigkeit in unserem Land muss jeder Einzelne
im Rahmen seiner Möglichkeiten seinen Beitrag leisten
und Verantwortung übernehmen. Nur so wird wirklich
soziale Gerechtigkeit erreicht. Vor den Satz „Er hatte ein
Recht auf …“ gehört der Satz: „Ich habe die Pflicht
zu …“.
({6})
Nur wenn jeder Einzelne Verantwortung übernimmt,
kann man strukturellen Ungleichheiten entgegenwirken.
Dass es diese gibt, verkenne ich nicht.
Ja, es gibt große Armut im Land. Viele Menschen leben in bescheidenen, sehr bescheidenen, ja, in harten
Verhältnissen. Dazu gehören alleinerziehende Mütter,
die auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind, weil
allzu oft die Exmänner den Unterhalt verweigern. Dazu
gehören Frauen, die oftmals unter immensem Druck stehen, weil sie nicht selten halbtags arbeiten und zugleich
noch den Haushalt und die Kinderbetreuung zu meistern
haben.
Ich sehe aber auch jene Menschen, die in dritter Generation von Sozialtransfers leben und die dringend einer konsequenten persönlichen Unterstützung bedürfen,
um aus dieser Situation herauszukommen. Da helfen
keine zusätzlichen Behörden und keine Gerichte; da hilft
nur eine auf den Einzelfall bezogene persönliche Unterstützung.
({7})
In einer Solidargemeinschaft verpflichtet sich jeder Einzelne, seinen Beitrag zu leisten. Jeder oder jede tut das,
was er oder sie mit seinen bzw. ihren Fähigkeiten leisten
kann; denn Solidarität ohne Eigenleistung und Eigenverantwortung funktioniert nicht.
({8})
Dieses Verhältnis von Solidarität und Eigenverantwortung bestimmt, ob und inwieweit unsere Gesellschaft sozial gerecht ist. Chancen- und Teilhabegerechtigkeiten definieren diese soziale Gerechtigkeit. Wir
müssen für alle gleiche Startbedingungen schaffen, damit der Einzelne die Möglichkeit erhält, durch eigene
Leistung im Leben voranzukommen und jene gesellschaftliche Stellung zu erreichen, die er sich wünscht
und die seinen bzw. ihren Fähigkeiten entspricht.
Das erreichen wir mit Ihrem Antrag mit Sicherheit
nicht. Vielmehr müssen wir in Bildung, in die Köpfe und
Herzen der Menschen investieren. Wir müssen sie an
Bildung teilhaben lassen. Vor allem Kinder mit Migrationshintergrund und aus bildungsfernen Schichten müssen so früh wie möglich unsere Unterstützung erhalten.
Nur auf diese Weise können wir den genannten Sozialhilfekarrieren entgegenwirken.
({9})
Wir müssen allen Arbeitslosen sofort ein Angebot unterbreiten, damit die Menschen nicht lange arbeitslos
sind.
({10})
Dass das funktioniert, hat unlängst, in jüngster Vergangenheit, die Kurstadt Bad Schmiedeberg im Südosten
Sachsen-Anhalts gezeigt. Innerhalb weniger Wochen
wurde dort die Zahl der Arbeitslosen im Rahmen der
Bürgerarbeit halbiert. Hier wird Arbeitslosigkeit nicht
als naturgegebenes Schicksal hingenommen. Arbeitslose
Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt kaum Chancen haben, erhalten eine gemeinnützige Beschäftigung
in Vereinen, in der Kirche, in der Jugend- oder Seniorenbetreuung. Statt zusätzliche Behörden und Rechtsbeistände zu schaffen, werden die Menschen hier an die
Hand genommen. In intensiven Beratungsgesprächen
stellt sich schnell heraus, welche Chancen sie haben. Finanziert wird das Ganze - das ist spannend - aus dem
Topf für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen der Arbeitsagentur.
({11})
Das Land Sachsen-Anhalt übernimmt die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung. Je nach Qualifikation erhalten die Menschen zwischen 675 und 975 Euro brutto
im Monat. Wissen Sie, was das Tollste ist? Die Bürgerarbeiter freuen sich über Arbeit und Lohn. Sie freuen sich,
dass sie in unserer Gesellschaft wieder gebraucht werden.
Außerdem sinken die Kosten; denn den Ausgaben für
die Bürgerarbeit stehen Einsparungen gegenüber: Die
Arbeitsagentur gibt für die sogenannten passiven Leistungen wie das Arbeitslosengeld und die Sozialbeträge
weniger aus, und die Gemeinde spart bei den Kosten für
Unterkunft und Heizung. Das Allerbeste ist aber, dass
20 Prozent der Bürgerarbeiter in relativ kurzer Zeit in
den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden konnten.
({12})
So schafft man Arbeit, und so bekämpft man Armut!
Der Arbeitsmarkt kommt in Bewegung.
({13})
Die Arbeitslosigkeit nimmt deutlich ab, und die Zahl der
sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze steigt. Auch
Langzeitarbeitslose profitieren davon, aber längst nicht
in dem Maße, wie wir uns das wünschen.
({14})
Herr Kollege, möchten Sie jetzt eine Zwischenfrage
zulassen?
Nein.
({0})
Den Langzeitarbeitslosen wollen wir eine Perspektive
bieten und sie in Arbeit bringen. Gerade erst hat sich die
Große Koalition auf einen staatlich bezuschussten Kombilohn für die mehr als 50 000 jungen Arbeitslosen unter
25 Jahren verständigt.
Auch den Niedriglohnsektor wollen wir regeln. Insbesondere die Hinzuverdienstgrenze bei Leistungen nach
dem SGB II müssen wir ändern. Vor allem müssen wir
einen Anreiz für Arbeit setzen: Arbeit muss sich lohnen;
die Empfänger sollen nicht nur so viel hinzuverdienen,
dass sie den Anspruch auf Arbeitslosengeld II verlieren.
({1})
Wir gehen die Probleme auf dem Arbeitsmarkt an.
Was wir brauchen, sind nicht möglichst viele Rechtsbeistände in jeder Amtsstube und auch keine staatliche Finanzierung von Interessengruppen, wie es in Ihrem Antrag steht. Wir wollen Armut bekämpfen. Was wir
brauchen, sind fördernde Strukturen und Initiativen wie
in Bad Schmiedeberg und in anderen Orten, damit Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit kommen und keine Verkrustung von Grundsicherungsstrukturen entsteht.
Ich danke Ihnen herzlich für die Aufmerksamkeit.
({2})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt das Wort
der Kollegin Katja Kipping.
Herr Schiewerling, Sie sagten: Das beste Mittel gegen
Armut ist Arbeit.
({0})
Dazu kann ich nur sagen: Leider müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen zunimmt.
({1})
Auch Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass Ihr Satz für
immer mehr Menschen in diesem Land nicht zutrifft,
weil die Zahl derjenigen, die von früh bis spät arbeiten
und trotzdem unterhalb der Armutsgrenze leben, deutlich zunimmt. Das haben wir in unserem Antrag ausgeführt. Das ist durch wissenschaftliche Studien belegt.
({2})
Zweitens. Wenn Sie uns hier vorwerfen, dass wir in
diesem Antrag keine Vorschläge unterbreiten, wie wir
Menschen in Arbeit bringen können, dann kann ich Sie
an dieser Stelle nur noch einmal daran erinnern: Seit
September 2006 liegt ein Antrag meiner Fraktion für einen öffentlichen Beschäftigungssektor vor. Eine unerträgliche Blockade- und Verschleppungspolitik von
CDU/CSU und SPD im Ausschuss für Arbeit und Soziales hat dazu geführt, dass wir leider erst am 7. Mai dieses
Jahres in der Lage sind, eine Anhörung dazu durchzuführen.
Sie haben diesen Modellversuch gepriesen. Da kann
ich nur sagen: Wenn es Ihnen mit dem Lob für diesen
Modellversuch ernst ist - die Leute bekommen dabei übrigens echt schlechte Löhne -, dann sorgen Sie endlich
durch ein Bundesgesetz dafür, dass öffentliche Beschäftigung flächendeckend eingeführt werden kann.
({3})
Herr Kollege Schiewerling.
Frau Kipping, erstens nimmt die Langzeitarbeitslosigkeit nicht zu, sondern die Arbeitslosigkeit nimmt ab.
Nehmen Sie das zur Kenntnis.
({0})
Der zweite Punkt, Frau Kollegin Kipping: Es gibt
viele Leute, die Statistiken lesen können. Auch wir können das, nicht nur Sie. Ich würde Ihnen raten, bei der Gesamtbeurteilung einmal etwas vorsichtiger zu sein.
Ich kenne die Hintergründe Ihrer Arbeit. Sie brauchen
dieses Thema, um sich auf dem Rücken der Arbeitslosen
als Partei zu profilieren, und zwar gegen alle anderen.
Sie haben kein anderes Interesse.
({1})
Sie spielen sich auf als diejenigen, die als einzige die
Wahrheit haben.
Ich sage Ihnen: Erstens beginnt die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit aufzubröckeln. Die Langzeitarbeitslosigkeit geht zurück. Zweitens verweise ich auf das,
was ich Ihnen über Bad Schmiedeberg vorgetragen habe.
Dieses Projekt erfolgt im Rahmen der bestehenden
SGB-II-Strukturen, im Rahmen dessen, was vorgegeben
ist, und zwar mit Unterstützung aller Beteiligten. Wir
brauchen dazu keine zusätzliche Anhörung. Wir brauchen kein zusätzliches Instrument. Wir kommen mit den
vorhandenen Instrumenten prima aus. Wir müssen sie
nur richtig einsetzen.
({2})
Jetzt hat Heinz-Peter Haustein das Wort für die FDPFraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der zur Debatte stehende Antrag der
Linken trägt die Überschrift „Verdeckte Armut bekämpfen“. Der Antrag verweist in hohem Maße auf verdeckte
Armut. Es ist die Rede von 5 Millionen Bedarfsgemeinschaften, die eine Berechtigung haben, Leistungen zu
beziehen, und von nur 4,1 Millionen, die tatsächlich
Leistungen erhalten. Es werden Maßnahmen vorgeschlagen, um den 900 000 Bedarfsgemeinschaften, die zwar
einen Anspruch haben, aber keine staatlichen Leistungen
erhalten, diese zu ermöglichen.
Aber dadurch, dass die Menschen in größerem Umfang staatlich alimentiert werden, ist die Ursache von
Armut nicht bekämpft. Damit bekämpfen Sie die Verdeckung der Armut, nicht aber die verdeckte Armut. Dieser
Titel führt also in die Irre.
Wir als FDP haben das Fortentwicklungsgesetz aus
guten Gründen abgelehnt. Aber wenn Sie in Ihrer Antragsbegründung indirekt unterstellen, das Gesetz hätte
die offensichtliche Funktion, Leistungsberechtigte von
der Beantragung staatlicher Leistungen abzuschrecken,
muss ich gleich eines klarstellen. Sie zitieren als Beleg
in der Begründung:
„Die frühzeitige Unterbreitung von Eingliederungsangeboten ist ein geeignetes Mittel, ... die Bereitschaft des Hilfesuchenden zur Arbeitsaufnahme zu
überprüfen.“
Ich sage Ihnen: Im Interesse aller Menschen, die redlich ihrer Arbeit nachgehen und mit Steuern und Beiträgen staatliche Sozialleistungen ermöglichen, muss es
verantwortungsvolle Praxis sein, die Bereitschaft zur
Arbeitsaufnahme, wenn Angebote vorliegen, einzufordern.
({0})
Sie zitieren eine Studie, die als einen Faktor für die
Nichtinanspruchnahme von Leistungen mangelnde
Kenntnisse der Rechtslage angibt. Daraus leiten Sie die
Notwendigkeit für eine unabhängige Rechtsberatung ab.
Sie vermitteln den falschen Eindruck, nämlich den, dass
die Mitarbeiter der Argen die Anspruchsberechtigten
nicht ausreichend oder sogar falsch beraten.
({1})
Das kann man so nicht stehen lassen. Vielmehr ist
Unkenntnis über die Berechtigung zu einer Leistung
Ursache der Nichtinanspruchnahme, nicht eine falsche
Beratung. So heißt es auch in der von Ihnen zitierten
Studie von Irene Becker:
... möglicherweise ist die Differenz auf Teilzeitoder geringfügig Beschäftigte zurückzuführen, die
ihren ... Anspruch auf ergänzende Leistungen nach
dem SGB II nicht kennen.
Das heißt, die Menschen wissen nichts von ihrem Anspruch. Daraus abzuleiten, sie seien falsch beraten worden, ist nicht hinnehmbar.
({2})
Im Gegenteil: Eigeninitiative ist nicht zu ersetzen. Den
Gang zu einer Arge zur Anspruchsprüfung kann den
Menschen keiner abnehmen, auch nicht der unabhängige
Rechtsberater. Weder beraten die Mitarbeiter der Argen
falsch, noch ist es staatliche Intention, Menschen von der
Leistungsbeantragung abzuschrecken.
({3})
Woher Sie das Geld zur Deckung der Kosten für diese
unabhängige Rechtsberatung nehmen wollen, verschweigen Sie völlig.
({4})
Lassen Sie mich zu dem kommen, worum es gehen
müsste, zur Bekämpfung der verdeckten Armut; denn
dass es verdeckte Armut gibt, bestreitet niemand.
({5})
Dazu brauchen wir keine Studie. Es gibt Menschen, die
vollzeitbeschäftigt sind und trotzdem so wenig verdienen - in meinem Wahlkreis im Erzgebirge sind es
25 Prozent -, dass sie ergänzendes ALG bekommen. So
kann es nicht sein.
({6})
Es muss sich wieder lohnen, arbeiten zu gehen. Es muss
wieder das Gleichgewicht hergestellt werden.
({7})
Dem Lohnabstandsgebot muss wieder zum Durchbruch verholfen werden. Es darf nicht sein, dass jemand,
der arbeitet und sich redlich bemüht, seine Familie zu ernähren, am Ende weniger übrig behält als jemand, der zu
Hause ist und sich auf die Solidargemeinschaft verlässt.
({8})
Wir brauchen eine konsequente Entlastung. Es muss von
dem Erarbeiteten mehr übrig bleiben. Es muss der Anreiz verstärkt werden, sich wenigstens mit kleinen Beschäftigungsverhältnissen teilweise selbst zu ernähren
und so die Chance zu erhalten, wieder in ein reguläres
Beschäftigungsverhältnis zu kommen.
Unser Bürgergeldkonzept liegt ebenso auf dem
Tisch wie Vorschläge zu den nötigen Flexibilisierungen
im Tarif- und Arbeitsrecht. Das ist alles schon vorhanden. Geben wir den Menschen mehr Freiraum, eigenverHeinz-Peter Haustein
antwortlich für ihr Leben zu sorgen! Damit tun wir das
Beste zur Bekämpfung der Armut. Kämpfen wir für Bürokratieabbau, für mehr Investitionen, eben nicht für die
Verwaltung der Arbeitslosigkeit, sondern für mehr Arbeitsplätze!
In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge!
({9})
Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Rolf Stöckel
für die SPD-Fraktion.
Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Verdeckte Armut in Deutschland ist Realität, auch wenn sie abnimmt. Sie muss mit allen geeigneten Mitteln bekämpft werden. Die Notlagen der Betroffenen - da bin ich mir ganz sicher - sind niemandem in
diesem Hohen Hause gleichgültig. Komplett wird aber
selbst der beste Sozialstaat, den wir uns vorstellen können, verdeckte Armut nie abschaffen können. Es gibt
nämlich keine Pflicht, staatliche Hilfen in Anspruch zu
nehmen. Fiktiv wäre das zwar in einem totalitären Staat
möglich; dieser würde aber ganz andere Probleme - Unterdrückung und andere Notlagen für Menschen - mit
sich bringen. Deshalb wollen ja auch die meisten Mitglieder des Hohen Hauses nie mehr einen solchen Staat.
Verdeckte Armut ist naturgemäß wenig erforscht.
Wenn man sich genauer damit beschäftigt, stellt man
fest, dass es hierfür verschiedenste Gründe gibt. Selbst
die im Antrag zitierte Studie von Becker und Hauser im
Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung kann man, so dankbar wir dem DGB für die Thematisierung von verdeckter
Armut sind, bestenfalls als Annahme, Kalkulation bzw.
Hochrechnung betrachten. Die Datengrundlage stammt
nämlich aus dem Jahre 2003 und ist auf die alte Sozialhilfe und auf das sozio-ökonomische Panel von 2004
bezogen. Die Studie berücksichtigt also weder die Einführung der Grundsicherung für Ältere und Erwerbsgeminderte im Jahre 2003 noch die Reform der Sozialhilfe
im SGB XII und das neue Behindertenrecht im SGB IX.
Die rot-grüne Bundesregierung hat damals mit der Einführung einer Einkommensfreigrenze von 100 000 Euro
für unterhaltspflichtige Kinder und Eltern einen Hauptgrund für verschämte Altersarmut abgeschafft. Ich
denke, das war ein wichtiger Grund dafür, dass wir uns
in der Armuts- und Reichtumsberichterstattung speziell
mit den Auswirkungen auf die Grundsicherung von Älteren und Erwerbsgeminderten beschäftigen wollen.
Der Antrag und die Studie berücksichtigen vor allem
nicht die veränderte Lage nach der Zusammenführung
von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe für Erwerbsfähige
im SGB II im Jahr 2005. Wir haben damit die Rechtsansprüche und den Berechtigtenkreis erweitert und Stigmatisierung erheblich abgebaut. Sonst würden nicht so
viele Selbstständige diese Leistung beantragen. Wir haben daneben die Einrichtung von Schiedsstellen, eines
Ombudsrates, der sich auf nationaler Ebene mit Beschwerden beschäftigt, und eine Evaluierung bis zum
Jahr 2008 im Gesetz niedergelegt. Das hat es bisher in
dem Ausmaß nicht gegeben, auch nicht im BSHG.
Sie weisen in Ihrem Antrag zu Recht auf Informationsdefizite von Hilfsbedürftigen sowie Scham und
Schutz von Angehörigen als Gründe für verdeckte Armut hin. Es gibt in der Tat Obdachlose, Drogensüchtige,
auch Analphabeten, die, wenn überhaupt, nur schwer
Zugang zum Sozialstaat finden und besonderer Hilfen
bedürfen. So brauchen viele der fast 3 Millionen überschuldeten Haushalte in Deutschland eine qualifizierte
Schuldnerberatung, damit sie ein menschenwürdiges Leben an der Pfändungsfreigrenze führen können. Der gesetzliche Rahmen für diese Hilfen, den wir als Sozialdemokraten maßgeblich geschaffen haben, muss voll
ausgeschöpft werden.
Daneben gibt es aber weitere soziale Gruppen, die
Leistungen nicht in Anspruch nehmen und die in der
Studie kaum und in Ihrem Antrag überhaupt nicht erwähnt werden. Das sind zum Beispiel Menschen, die
hier illegal leben und aus Angst vor Entdeckung keine
staatlichen Leistungen beantragen. Schätzungen gehen
von zwischen 250 000 und 1 Million Menschen aus. Es
sind auch Menschen, die Einkünfte erzielen, aber wegen
der Mitwirkungspflichten, also zum Beispiel zumutbare
legale Arbeit, Vermögensanrechnung oder Inanspruchnahme von Partnern, keine Leistungen beantragen wollen und von denen wir gar nicht wissen, ob sie tatsächlich in verdeckter Armut leben. Es sind auch nicht
wenige, die aus eigener Leistung Einkommen knapp unter oder an der Bedarfsgrenze erarbeiten und freiwillig
auf Leistungen verzichten, weil sie nicht vom Staat abhängig werden wollen. Darunter sind viele, die wir als
Working Poor bezeichnen könnten, die aber stolz darauf
sind, dass sie sich eben nicht das Maximale, legal oder
auch illegal, vom Staat holen. Ich glaube, angesichts
dessen ist es keine Frage, dass wir als Sozialdemokraten
existenzsichernde Einkommen und Löhne einfordern.
({0})
Ich weiß, dass diese Wahrnehmung nicht in Ihre Ideologie und Parteiinteressen passt. Wer aber diese Realitäten nicht zur Kenntnis nimmt, kann auch keine entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen und politische Taten
daraus entwickeln, mit denen verdeckte Armut bekämpft
werden könnte. Sie bekämpfen als Linke im Bundestag
und auf der Straße in erster Linie die sozialpolitischen
Gegenmaßnahmen des Staates und hoffen, mit der Skandalisierung relativer Armut und der gebetsmühlenartig
vorgetragenen Hetzparole „Hartz IV muss weg!“ Ihre
Parlamentssitze auf populistische Weise erhalten zu können.
Deshalb wollen Sie auch nicht zur Kenntnis nehmen,
dass es seit Mitte des letzten Jahres greifbare Erfolge
beim Abbau der Arbeitslosigkeit und der Zahl der Bedarfsgemeinschaften nach SGB II gibt. Die Argen arbeiten immer besser, und ich sage Ihnen voraus, dass dieser
Trend anhalten und mit den neuen Arbeitsmarktmaßnahmen, die die Koalition zurzeit erarbeitet, noch verstärkt
werden wird.
In den letzten Jahren ist die Fluktuation aus der Armutsfalle immer größer geworden. Bei allen berechtigten Sorgen und Ängsten vor dem sozialen Abstieg können wir mit Recht sagen, dass unsere sozialstaatlichen
Instrumente nicht nur finanziell besser ausgestattet werden, sondern auch immer besser funktionieren. Das ist
neben der selbstverständlichen Notwendigkeit von mehr
Wachstum und Arbeitsplätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt in der Tat der wichtigste Beitrag zur Bekämpfung
der Armut.
Ihr Vorschlag, vom Staat unabhängige Armutsverbände und Selbsthilfegruppen staatlich zu fördern, hat
mit dem Ziel, den Betroffenen zu helfen, ganz wenig zu
tun. Erstens gibt es Sozialverbände und Selbsthilfegruppen, die öffentlich gefördert und unterstützt werden und
die in Sachen Aufklärung über Gesetze, Rechtsansprüche und Interessenwahrnehmung fast überall in der
Republik gut beraten. Zweitens gibt es Selbsthilfegruppen, die aus Gründen der Unabhängigkeit keine öffentlichen und staatlichen Mittel in Anspruch nehmen wollen,
weil sie keine Kontrolle durch den Staat und autonom
ihre Interessen vertreten wollen.
({1})
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die gesetzliche
Pflicht der staatlichen und öffentlich-rechtlichen Träger
nach § 14 im SGB I und nach § 17 im SGB II zur Beratung über Rechtsansprüche auf Leistungen auch durch
Dritte, etwa Wohlfahrtsverbände oder Selbsthilfeinitiativen, und vor allem über Rechtsansprüche auf persönliche Einzelfallhilfe muss in der Praxis qualifiziert und
engagiert umgesetzt werden.
Darüber hinaus haben wir schon damals mit der
Grundsicherung umfassende Informationspflichten der
Sozialhilfeträger geschaffen. Wir haben etwa 500 Servicestellen für Behinderte überall in der Bundesrepublik
nach SGB IX aufgebaut.
Auch wenn es bereits viele engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Profis und Ehrenamtliche, in einer
gut funktionierenden Praxis gibt: Es ist ein flächendeckender Mentalitätswandel notwendig - weg vom hilfebedürftigen Bittsteller bei einem Vater Staat, der mit seiner
kurzfristigen Finanzbrille restriktiv mit den Sozialbudgets umgeht, und hin zu einer Bürgergesellschaft,
({2})
in der es eine konsequente Betroffenenorientierung gibt
und in der die Bürgerinnen und Bürger auch in der
Sozialverwaltung als Auftraggeber der staatlichen Stellen behandelt werden. Diese müssen auch selbst handeln
können.
Wir brauchen eine Bürgergesellschaft, die sich durch
eine gute und hilfreiche Nachbarschaft sowie durch qualifizierte, bedarfsgerechte und vernetzte ambulante soziale Dienste auszeichnet, also eine Geh- statt KommStruktur der professionellen und ehrenamtlichen Sozialarbeit, die dann eine bestmögliche Integration und Barrierefreiheit für besonders Hilfebedürftige schaffen kann.
Wir müssen also wegkommen von einer immer professionelleren Spezialisierung und von kostentreibenden
Sondereinrichtungen hin zu einer neuen Lebensqualität
im Wohnumfeld, wie es etwa die neue Bundesinitiative
„Daheim statt Heim“ fordert.
({3})
Das ist neben der Orientierung auf Selbstbestimmung
und Würde die Philosophie des persönlichen Budgets,
das wir unter Rot-Grün im Behinderten- und Sozialhilferecht geschaffen haben, und das - vom Modell ausgehend - endlich zur praktischen Regel werden muss. Verdeckte Armut kann nur so effektiv und menschenwürdig
bekämpft werden.
Die Bundesregierung verstärkt auf unsere Initiative
hin die Armutsforschung und Berichterstattung zum
Thema verdeckte Armut. Voraussetzung einer erfolgreichen Armutsbekämpfung - damit komme ich zum
Schluss - ist neben dem barrierefreien Zugang zu finanziellen Leistungen vor allem ein ganzheitlicher ressortübergreifender Ansatz der sozialen Integration und
Teilhabe. Das gilt für Frauen auf dem Arbeitsmarkt, für
Kinder, bei denen das Geld oft nicht ankommt und die
deshalb bessere und mehr öffentliche Ganztagsbetreuung und Bildung brauchen, für Migranten, die bessere
Sprachkenntnisse, aber natürlich auch die beidseitige
Bereitschaft zur Integration brauchen, für Langzeitarbeitlose mit einer Jobperspektive sowie für Ältere, Pflegebedürftige und Behinderte durch das persönliche Budget. Wir brauchen die Angebote so niederschwellig und
barrierefrei wie möglich auch für Obdachlose und für
diejenigen Menschen - vor allem für Kinder -, die leider
illegal hier leben müssen, ohne es sich selbst ausgesucht
zu haben.
Meine Damen und Herren, wir haben die besseren
Konzepte zur Bekämpfung der verdeckten Armut. Wir
nennen das vorsorgender Sozialstaat. Deshalb lehnen wir
den Antrag der Linken ab.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat der Kollege Markus Kurth, Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Um es vorweg zu sagen: Auch die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen will verdeckte Armut zurückführen. Auch
wir sehen die steigende Zahl von Verfahren an den Sozialgerichten mit Sorge. Auch wir sind gegen die Vorstöße einiger Bundesländer, Gebühren an den Sozialgerichten einzuführen.
({0})
Aber kann dieser Antrag der Fraktion Die Linke wirklich etwas gegen verdeckte Armut tun? Sie gehen zunächst einmal von falschen Voraussetzungen aus. Sie
zeichnen ein holzschnittartiges Bild: auf der einen Seite
die Arge- oder Jobcenter-Mitarbeiter und die Mitarbeiter
in den Sozialbehörden, die quasi als Übeltäter von Amts
wegen die Leute falsch beraten, um so für die öffentliche
Hand zu Kosteneinsparungen zu kommen, und auf der
anderen Seite die Hilfebedürftigen, denen sozusagen
eine Gegenmacht, eine Beratungsinfrastruktur, gewährt
werden muss.
({1})
Abgesehen davon, dass ich dieses holzschnittartige
Bild nicht korrekt finde, muss man sich auch die Frage
stellen, mit welchen Instrumenten man von Bundesseite
auf möglicherweise nicht vernünftige Beratungsstrukturen oder Beratungsleistungen reagiert. Ich würde zunächst einmal auf das gesetzliche Instrumentarium zurückgreifen, das uns schon zur Verfügung steht. Sie
zitieren doch selbst die Grundsätze aus dem
Sozialgesetzbuch I. Da heißt es in § 14:
Jeder hat Anspruch auf Beratung über seine Rechte
und Pflichten … Zuständig für die Beratung sind
die Leistungsträger, denen gegenüber die Rechte
geltend zu machen … sind.
Weiter heißt es in § 17:
Die Leistungsträger sind verpflichtet, darauf hinzuwirken, daß … jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig erhält …
Wenn ich sehe, dass das womöglich nicht korrekt umgesetzt wird, dann ist es doch nicht unsere Aufgabe, weiter Beratungsstellen aufzubauen - zur Notwendigkeit
sage ich gleich etwas; ich finde schon, dass sie notwendig sind -, sondern in erster Linie, auf die korrekte Umsetzung geltenden Rechts zu achten. Das ist unser
Punkt.
({2})
Wenn man Ihren Antrag auf das Finanzwesen übertragen würde und wir feststellen würden, dass die Finanzbeamten nicht korrekt beraten, was sie eigentlich tun
müssten, dann würde nach der Logik Ihres Antrages die
politische Antwort darauf lauten, dass wir flächendeckend ein Netz von Steuerberatungsbüros aufbauen
müssten. Das kann doch nicht funktionieren.
({3})
Ich sage Ihnen, dass wir unabhängige Beratung
selbstverständlich für notwendig halten.
({4})
- Hören Sie mir erst einmal zu! - Anders als Sie, Herr
Schiewerling, sehe ich in der unabhängigen Beratung
kein Instrument, um Leute im Hilfebezug zu halten. Sie
sollen vielmehr die ihnen zustehenden Leistungen bekommen.
Aber welche Ebene ist die richtige, um diese Beratung zu leisten und die notwendige Infrastruktur aufzubauen? Dazu muss ich sagen: Wir haben eine kommunale Selbstverwaltung. Vor Ort in den Jobcentern und
den Kommunalverwaltungen ist doch am ehesten klar,
welcher Beratungsbedarf besteht. Man kann doch nicht
mit einem zentralistischen Instrument ein flächendekkendes Netz aufbauen - und dies angeblich unabhängig
von den Kostenträgern. Wie soll das denn gehen, wenn
der Bund sowieso schon Kostenträger des Arbeitslosengeldes II ist? Wichtig ist, dass wir vor Ort in den Beiräten diese Initiativen und Beratungsstellen haben. Es ist
Aufgabe der Politik vor Ort, in den Arbeitsgemeinschaften und Vereinbarungen entsprechend darauf hinzuwirken, dass diese Infrastruktur zur Verfügung steht und die
entsprechenden Mittel eingesetzt werden.
({5})
Ich merke bei solchen Anträgen immer genau, worin
der Unterschied zwischen uns besteht. Sie setzen auf
Zentralismus, auf zentralstaatliche Lösungen. Wir vom
Bündnis 90/Die Grünen setzen auf Subsidiarität, eine
unabhängige Beratungsstruktur, auf Selbstständigkeit
und auf die Kompetenz vor Ort, auf die der Bürgerinnen
und Bürger und ihrer politischen Vertretung.
Vielen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/3908 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel
Höhn, Birgitt Bender, Ulrike Höfken, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Rauchverbot im Deutschen Bundestag umsetzen
- Drucksache 16/4400 Überweisungsvorschlag:
Ältestenrat ({0})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen fünf Minuten
erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Birgitt Bender, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Selten war ein Antrag der Grünen so erfolgreich wie der
vorliegende zum Schutz vor Passivrauchen im Bundestag. Monatelang hat sich auf Initiative der Grünen eine
Kommission des Ältestenrates damit befasst, wie man
den Nichtraucherschutz im Parlament wohl umsetzen
könnte, und hat sich vor allem der Bedenkenträgerei dahin gehend gewidmet, dass dies sehr schwierig und jenes
nicht umzusetzen sei.
Seit acht Tagen liegt unser Parlamentsantrag vor. Und
siehe da: Heute Nachmittag hat es der Ältestenrat geschafft, zu beschließen: Erstens. Der Nichtraucherschutz
im Parlament muss verbessert werden.
({0})
- Herr Parr, dies ist immerhin vom Kabinett beschlossen. ({1})
Zweitens. Es sollen im Bundestag gleiche Spielregeln
gelten wie für Einrichtungen des Bundes.
Dies ist ein wichtiger Schritt. Denn es ist bisher nicht
zu erklären, warum die Bürgerinnen und Bürger unseres
Landes im Fernsehen qualmende Abgeordnete in den
Wandelhallen des Parlamentes sehen,
({2})
wenn man gleichzeitig ankündigt, anderen Menschen an
ihrem Arbeitsplatz das Rauchen zu verbieten.
({3})
Es ist nicht zu begründen, warum Besucher und Besucherinnen, Mitarbeiter sowie Mitarbeiterinnen und Abgeordnete kein Recht auf Nichtraucherschutz haben sollten. Ich persönlich kann nur sagen, dass mir diese
informellen Qualmnester auf den Gängen beträchtlich
auf die Nerven und die Atemwege gehen. Ich bin nicht
bereit, das länger zu ertragen.
({4})
Um möglichen Vorwürfen vorzubeugen: Es ist nicht
so, dass wir das Rauchen allgemein verbieten wollen.
Der Pfeifenraucher des Jahres darf gerne weiter seinem
Vergnügen frönen - wenn es denn eines ist -, nur nicht
an jedem Ort, das heißt insbesondere nicht da, wo andere
Schaden erleiden. Meine Damen und Herren, was ist davon zu halten, wenn der Ältestenrat des Bundestags sagt,
es soll so sein, wie es die Regelungen vorsehen, die das
Kabinett für Bundesbehörden beschlossen hat? Zunächst ist es richtig, gleiche Spielregeln zu wollen. Aber
einige Fragen sind noch offen, zum Beispiel die, was eigentlich für die Gastronomiebereiche in unseren Räumen gelten soll. Gilt dort das Gaststättengesetz des Landes Berlin, wenn es denn kommt? Gilt dort das avisierte
Gesetz des Bundes? Gilt dort vielleicht eine Anweisung
des Bundestagspräsidenten?
Ich glaube, das muss man klären. Das Ziel muss es jedenfalls sein, auch hier einen wirksamen Schutz vor dem
Passivrauchen zu haben. Das kann nur heißen, dass im
Bereich der Gastronomie nicht geraucht wird. Ich hoffe,
dass wir uns darüber verständigen können.
({5})
Im Übrigen muss man auch sagen: Was den avisierten
Gesetzentwurf angeht, gibt es einiges nachzubessern.
Insbesondere müssen die Inhaberinnen und Inhaber des
Hausrechts, die für Rauchverbote sorgen sollen, auch für
die Einhaltung dieser Verbote Verantwortung tragen.
Es müssen etwa bei Räumen, die man für das Rauchen
bereitstellen will - das gilt dann auch für uns -, gewisse
Mindestkriterien gelten. Denn es muss klar sein, dass aus
solchen Räumen kein Rauch herausdringen darf. Sonst
könnte man sich das sparen; dann stünde der Nichtraucherschutz nur auf dem Papier. Schließlich sollte für alle
gelten, auch für uns, dass es durchaus auch wirksame
Sanktionen geben muss. Auch wir wissen, dass nur dieses am Ende tatsächlich hilft.
Meine Damen und Herren, es ist Zeit zu handeln. Es
ist Zeit für den Bundestag, voranzugehen und ein Stück
Vorbildfunktion zu übernehmen. Ich hoffe deswegen,
dass der Ältestenrat heute nicht einen Beschluss für das
Schaufenster gefasst hat. Wo „Schutz vor dem Passivrauchen“ als Überschrift steht, muss auch Rauchverbot
drin sein.
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Maria Eichhorn, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am letzten Sonntag sprach sich Bundestagspräsident
Norbert Lammert für ein weitgehendes Rauchverbot in
den Gebäuden des Deutschen Bundestages aus. Er verwies darauf, dass Grundsätze, die der Bundestag für andere verbindlich mache, selbstverständlich auch für ihn
selbst gelten müssten. Ich begrüße es sehr, dass der Ältestenrat heute ausdrücklich beschlossen hat, dass es für
den Deutschen Bundestag keinen Sonderstatus geben
wird.
({0})
Die heutige Debatte gibt uns Gelegenheit, der Öffentlichkeit deutlich zu machen, dass wir für den Bundestag
keine Ausnahme beim Nichtraucherschutz machen wollen. Was wir für die Einrichtungen des Bundes beschließen, muss selbstverständlich auch für uns im Deutschen Bundestag gelten. Zeitungsberichte der letzten
Woche, nach denen im Bundestag auch in Zukunft weiter geraucht werden könne, werden nicht eintreffen.
Am 28. Februar 2007 beschloss das Bundeskabinett,
ein Rauchverbot in bundeseigenen Einrichtungen, öffentlichen Verkehrsmitteln und Personenbahnhöfen einzuführen. Der Gesetzentwurf schafft die Möglichkeit,
gesonderte und entsprechend gekennzeichnete Räume
vorzuhalten, in denen das Rauchen gestattet ist, wenn
insgesamt eine ausreichende Anzahl von Räumen zur
Verfügung steht. Es darf sich dabei jedoch nicht um Arbeits- oder Diensträume handeln.
Das Bundeskabinett beschloss außerdem, die Altersgrenze für das Erwerben von Zigaretten auf 18 Jahre anzuheben.
Das vom Bundestag zu verabschiedende Gesetz soll
noch in diesem Jahr in Kraft treten. Von einer jetzt aufgegebenen Blockadehaltung der Bundesregierung, wie
es in dem Antrag der Grünen heißt, kann also nicht die
Rede sein.
Bereits am 23. Februar 2007 einigten sich die Gesundheitsminister der Länder darauf, das Rauchen in
öffentlichen Einrichtungen und in Diskotheken zu verbieten. Sie schlugen außerdem die Einführung eines generellen Rauchverbots in der Gastronomie vor. Die
Wirte sollen jedoch die Möglichkeit bekommen, separate Raucherräume einzurichten, die allerdings gekennzeichnet sein müssen.
Nach heutigen Presseberichten scheint diese Ländereinigung gefährdet zu sein. Ich appelliere daher an die
Verantwortlichen der Länder: Sorgen Sie für einen möglichst einheitlichen und umfassenden Schutz vor dem
Passivrauchen.
({1})
Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass - zum Beispiel in Autobahnraststätten - je nach Bundesland geraucht werden darf oder nicht. Hinsichtlich freiwilliger
Lösungen beim Nichtraucherschutz haben wir so unsere
Erfahrungen - wir wurden eines Besseren belehrt -: Alle
bisherigen Zielvereinbarungen sind gescheitert. Daher
war es richtig, dass Politiker aus mehreren Fraktionen,
vor allem Gesundheitspolitiker, im Frühjahr letzten Jahres die Initiative für einen umfassenden Nichtraucherschutz, auch in Gaststätten, ergriffen haben. Wir, die wir
uns dafür einsetzten, wussten, dass mehr als zwei Drittel
der Bevölkerung dies wollen.
({2})
Unsere Initiative war erfolgreich; der Nichtraucherschutz in unserem Land ist einen bedeutenden Schritt
vorangekommen. Schon Ende September 2006 wurde
bei koalitionsinternen Gesprächen Einigkeit darüber erzielt, dass in öffentlichen Gebäuden, in Theatern und
Kinos sowie in öffentlichen Verkehrsmitteln ein generelles Rauchverbot gelten solle. Beim Thema Nichtraucherschutz in Gaststätten konnte man sich nicht einigen;
es war die Aufgabe einer Arbeitsgruppe, eine Lösung zu
finden. Auch wenn das Ergebnis der Arbeitsgruppe aus
verfassungsrechtlichen Gründen vom Bund nicht direkt
umgesetzt werden konnte, so war es doch sehr hilfreich.
Aufgrund der föderalistischen Verfassung der Bundesrepublik liegt die Entscheidung beim Gaststättenrecht bei den Ländern; wir müssen das akzeptieren.
Bundeskanzlerin Merkel hat jedoch sofort die Initiative
ergriffen, um zu einheitlichen Standards zu kommen.
Mit dem Beschluss des Bundes und der Länder vom Februar sind wir einen großen Schritt vorangekommen.
({3})
Die gesundheitliche Gefährdung durch Rauchen und
Passivrauchen ist wissenschaftlich unbestritten. Wir haben eine große Verantwortung gegenüber der Jugend.
Wenn wir auf der einen Seite anprangern, dass Kinder im
Durchschnitt bereits im Alter von 11,6 Jahren mit dem
Rauchen beginnen, dann müssen wir auf der anderen
Seite mit gutem Beispiel vorangehen. Der Zigarettenkonsum kann gerade für Kinder und Jugendliche
schwere gesundheitliche Folgen haben. Darüber hinaus
ist die Zigarette Einstiegsdroge Nummer eins für den
späteren Konsum härterer Drogen. Deshalb ist es richtig,
den Tabakkonsum aus allen öffentlichen Einrichtungen
und aus den Gaststätten generell zu verbannen.
({4})
Die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung
wünscht konsequente Rauchverbote. Als Drogenbeauftragte der CDU/CSU-Fraktion hat mich in den letzten
Monaten eine Menge von Zuschriften erreicht, in denen
ein umfassendes Rauchverbot in Deutschland gefordert
wurde. Darunter waren viele Zuschriften von Gastwirten, die auf ein generelles Rauchverbot in der Gastronomie drängen. Sie wollen durch Rauch an ihrer Arbeitsstätte nicht weiter erheblichen Gesundheitsgefahren
ausgesetzt sein.
Viele europäische Länder haben uns vorgemacht, wie
es geht. Für mich war die italienische Regelung von
Anfang an Vorbild. Dort gibt es ein generelles Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden, Verkehrsmitteln und Gaststätten; die Wirte haben jedoch die Möglichkeit, streng
abgetrennte Raucherräume einzurichten. Die Befürchtung, dass dieser umfassende Nichtraucherschutz mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden sei, ist
nicht eingetroffen. Die Zustimmung der dortigen Bevölkerung einschließlich der Gastwirte ist sehr hoch: Sie
liegt in Italien bei über 90 Prozent.
Nach Angaben der „Ärzte Zeitung“ hatten bereits ein
Jahr nach Einführung 500 000 Italiener gänzlich mit
dem Rauchen aufgehört.
({5})
Umsatzeinbußen traten nicht ein; ganz im Gegenteil: Der
Umsatz in Speiserestaurants ist gestiegen, der Getränkeumsatz blieb konstant.
Wir sind auf gutem Wege, auch in Deutschland einen
umfassenden Nichtraucherschutz zu verwirklichen.
Ziel muss es sein, dass wir auch im Deutschen Bundestag unsere Mitarbeiter, unsere Gäste und uns selbst
schützen.
Ich bin zuversichtlich, dass die Beschlüsse der Länder
und des Bundes zielstrebig umgesetzt werden. Dabei
gehe ich davon aus, dass wir zeitgleich auch für den
Bundestag einen umfassenden Nichtraucherschutz beschließen. Ich sage für meine Person: Hier muss auch die
Gastronomie eingeschlossen werden.
({6})
Der Ältestenrat hat sich heute für eine zügige Umsetzung des Nichtraucherschutzes im Deutschen Bundestag
ausgesprochen. Ich bin überzeugt, dass der Deutsche
Bundestag, dass wir Parlamentarier unserer Vorbildfunktion gerecht werden.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Detlef Parr, FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ob Sie sich ärgern müssen, weiß ich nicht, Herr Spieth.
({0})
Nur, welche Heerscharen von leidenden Nichtrauchern
müssen die Grünen in diesem Hohen Hause entdeckt haben? Wie sonst könnten sie vor Einbringung eines Nichtraucherschutzgesetzes ins Parlament und vor endgültigen Vereinbarungen der Länder zuallererst unser
Parlament mit einem umfassenden Rauchverbot belegen
wollen, und das in der dieser Partei eigenen rigorosen
Radikalität, nach dem Motto: Wir wissen schon, was für
euch gut ist.
({1})
Ich frage mich, ob Sie nicht wieder einmal - wie es in
der „Financial Times Deutschland“ vom 27. Februar
nachzulesen ist - dem Reiz des Verbotes in unserer Gesellschaft verfallen.
({2})
Dort ist zu lesen:
Ein computerfixierter Jugendlicher läuft Amok?
Verbietet Killerspiele! Raucher verpesten die
Kneipe? Sperrt sie gesetzlich aus! Glühbirnen verbrauchen unverschämt viel Energie? Schaltet sie
ab! Geländewagen schaden der Umwelt? Verbietet
den Herstellern, für ihr Produkt zu werben!
({3})
Eltern vernachlässigen ihre Kinder? Verhängt Kindergartenpflicht! … Manager verdienen zu viel?
Der Bundestag ist gefragt!
({4})
… Die Probleme sind grundverschieden, die Lösung immergleich: staatliche Regulierung zum
Wohle der Bürger.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon verwunderlich, dass die Grünen in der Phase grundsätzlicher Überlegungen über Regelungen des Rauchens, in
der wir uns zurzeit befinden, vordringlichen Handlungsbedarf im Deutschen Bundestag sehen. Zum jetzigen
Zeitpunkt muss es doch darauf ankommen, deutschlandweit Vereinbarungen nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu treffen, wie es Präsident Norbert
Lammert zu Recht einfordert. Solange es noch keinen
Gesetzentwurf im Bundestag gibt und die Länder die
von vielen gepriesene und von Frau Eichhorn eben geforderte Einheitlichkeit noch nicht beschlossen haben
- ich wage hier einmal mit Blick auf die FDP-mitregierten Länder Skepsis anzumelden -, so lange sollten wir
den Bundestag nicht isoliert betrachten und mit radikalen Lösungen vorpreschen. Das mag manchem vielleicht
Lustgefühle verschaffen - angemessen ist das nicht.
({6})
Die FDP möchte hier mehr Gelassenheit anmahnen.
Die Bundesregierung hat ein Rauchverbot in öffentlichen Einrichtungen des Bundes sowie in Bussen
und Bahnen beschlossen. So sensationell ist das gar
nicht. Diesen Weg können wir auch mitgehen. Die Bundesregierung rennt ja mit ihren Vorstellungen und mit ihrem Gesetzentwurf offene Türen ein. Viele Bundesbehörden sind - über das Hausrecht geregelt - bereits
rauchfrei. In der Mehrzahl der öffentlichen Verkehrsmittel wird nicht mehr geraucht. Die Bundesbahn hat die
Möglichkeiten für Raucher drastisch eingeschränkt, zuletzt mit der Rauchfreiheit in den Bistros. Lufthansaflüge sind seit Jahren rauchfrei. Das alles funktioniert
ohne Gesetz, ohne einen Volksfürsorgestaat, und ist
stattdessen aufgebaut auf Eigenverantwortung, Vernunft
und gegenseitige Rücksichtnahme.
Schade, dass wir diesen Weg nun verlassen und unser
politisches Gewissen mit Verboten beruhigen, statt weiter auf Aufklärung und Verhaltensänderungen zu setzen. Verbote kosten natürlich nichts, besonders wenn sie
dem Zeitgeist entsprechen. Diese Basta-Mentalität gaukelt eine Politik der Entschlossenheit vor. Macher sind ja
gefragt - Altkanzler Schröder lässt grüßen. Differenzierung ist weniger gefragt. Länder wie Niedersachsen und
Nordrhein-Westfalen werden zu Außenseitern gestempelt, nur weil sie Ausnahmeregelungen erwägen und auf
Wahlfreiheit zum Beispiel der Gastwirte und ihrer Gäste
setzen.
({7})
Totale Verbote kosten nichts? Scheibchenweise geht
Freiheit verloren,
({8})
Stück für Stück lassen wir uns mehr bevormunden. Gut,
dass wir in Norbert Lammert einen Präsidenten haben,
der gemäßigter denkt und dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Geltung verschaffen will,
({9})
im öffentlichen Leben wie im Bundestag gleichermaßen.
Dass eines klar ist: Auch wir wollen keine Sonderrechte
für den Bundestag. Aber wir alle sollten die Mahnung
unseres Präsidenten ernst nehmen:
Die Möglichkeit sinnvoller Verständigung zwischen Rauchern und Nichtrauchern sollte nicht
durch den Ehrgeiz lückenloser polizeilicher Kontrollen verdrängt werden.
Dem ist nichts hinzuzufügen, liebe Freunde.
({10})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Ernstberger,
SPD-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe
Kollegen! Dass Tabakrauch schädlich ist, dass Rauchen
für die eigene Gesundheit schädlich ist, aber eben auch
für diejenigen, die passiv mitrauchen, darüber brauchen
wir uns im Grunde genommen nicht mehr zu unterhalten. Tabakrauch ist eine Bedrohung für alle in der Umgebung. Deswegen brauchen wir einen umfassenden und
effektiven Schutz für die Nichtraucher.
110 000 bis 140 000 Opfer fordern tabakbedingte
Krankheiten jedes Jahr; das ist bekannt. Auch die Opfer
unter den Passivrauchern sprechen eine deutliche Sprache. Deswegen hat die Politik für ihren Bereich, die öffentlichen Gebäude eine Verpflichtung, eine Fürsorgepflicht.
({0})
Der Bundestag muss mit gutem Beispiel vorangehen.
({1})
Deswegen fordert die Sozialdemokratische Partei bzw.
unsere Fraktion einen umfassenden Nichtraucherschutz.
In Ihrem Antrag aber, liebe Frau Bender, wird eine
Radikallösung verlangt, ohne dass Sie aufzeigten, wo
Probleme liegen, die sich lösen ließen.
({2})
Nicht Ihr Antrag war es, der zur Beschlussfassung des
Ältestenrates geführt hat. Wir haben das für unsere
Fraktion schon vorher im Ältestenrat thematisiert, dass
wir das Thema Rauchen jetzt zügig angehen müssen.
({3})
Wir müssen allerdings schauen, dass wir hier keine
Frontstellung zwischen Rauchern und Nichtrauchern
aufbauen.
({4})
Wir brauchen eine gemeinsame Basis der Toleranz. Es
gibt auch vernünftige Raucher, mit denen man reden
kann und die Rücksicht nehmen.
({5})
Wenn wir uns jetzt den Fragen des Nichtraucherschutzes stellen, muss ich Ihnen ganz deutlich sagen: Eines
möchte ich nicht haben, nämlich dass wir dem Vorbild
des Europäischen Parlaments folgen.
({6})
Dort hat man einen hundertprozentigen Nichtraucherschutz eingeführt, den man jedoch bereits nach sechs
Wochen wieder einkassieren musste. Das wäre mehr
zum Schaden des Images des Bundestages, als wenn wir
hier eine durchsetzbare Regelung finden.
Dabei müssen wir unterscheiden: Die öffentlichen
Räume sind da, wo die Journalisten und wo unsere
Gäste verkehren,
({7})
auch vor den Sitzungssälen, wo die Aschenbecher stehen
und unsere Kolleginnen und Kollegen sicherlich auch
zum Rauchen aufgefordert werden. Damit habe ich ein
Problem; das sage ich ganz offen. Denn wir können doch
nicht Schüler durch das Paul-Löbe-Haus führen und ihnen sagen: „Ihr solltet nicht rauchen, liebe Kinder, das
ist schädlich!“, und dann sitzen da die Erwachsenen und
qualmen.
({8})
Das heißt, dieser Bereich muss komplett rauchfrei sein.
Der zweite Bereich ist der Bereich der Gastronomie.
Wir haben verschiedene gastronomische Einrichtungen
in den Liegenschaften und Gebäuden des Bundestages.
Ob diese gastronomischen Einrichtungen dem Hausrecht
des Bundestages zuzuordnen sind oder dem Gaststättengesetz des Bundeslandes Berlin unterliegen, ist noch juristisch zu klären.
({9})
Umbaumaßnahmen in diesem Hause für Raucher - das
sage ich Ihnen als Mitglied der Inneren Kommission des
Ältestenrates ganz deutlich - werde ich nicht unterstützen.
({10})
Es dürfen keine zusätzlichen Kosten entstehen, die diesem Gebäude sozusagen angelastet werden.
({11})
Der letzte Punkt - er ist einer der problematischsten betrifft die Büros der Abgeordneten. Hier stellen sich
die Fragen: Handelt es sich dabei um allgemein zugängliche Räume? Unterliegen sie damit dem Hausrecht? Ich
glaube, hier gilt die Arbeitsstättenschutzverordnung.
({12})
Sie wird insbesondere vom DGB wie ein Augapfel gehütet. Dazu müssen wir stehen.
({13})
Denn eines ist klar: Wenn wir das durchziehen, bedeutet das, dass wir die Verbote kontrollieren und sie
auch entsprechend sanktionieren müssen. Bedeutet das,
dass wir eine „Raucherpolizei“ bekommen?
({14})
Bedeutet das, dass der Abgeordnete, der abends noch
seine Akten durcharbeitet und dabei vielleicht eine Zigarette - vielleicht auch zwei oder drei Zigaretten - raucht,
als Strafe ein Bußgeld zahlen muss
({15})
und dass er bei mehreren Verstößen vielleicht sogar ein
Hausverbot bekommt oder Ähnliches?
({16})
Ich gebe zu, dass ich jetzt etwas übertrieben habe. Aber
diese Konsequenzen würden sich ergeben. Deswegen
darf es keine Schnellschüsse geben.
({17})
Wir müssen uns bemühen, zügig, möglichst noch bis
zum April dieses Jahres, eine Lösung zu finden, die sowohl den Nichtrauchern - vor allen Dingen den Nichtrauchern - als auch den Rauchern gerecht wird. In diesem Sinne wünsche ich mir eine überfraktionelle
Zusammenarbeit, auch in der Inneren Kommission und
im Ältestenrat.
({18})
Ich denke, dass wir dann auch für die Bevölkerung ein
sichtbares Zeichen setzen und zu einer guten Lösung
kommen können.
Frau Kollegin, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern. Sie ist leider schon deutlich überschritten.
Das war mein letzter Satz.
Danke.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Martina Bunge,
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diese Debatte hätte heute Morgen stattfinden sollen.
({0})
Denn heute Morgen hätte die Chance auf eine höhere
Anwesenheit bestanden.
({1})
Dieses Thema geht schließlich uns alle an.
({2})
- Der Morgen ist lang. Wir hätten den Vormittag auch
für diese Debatte nutzen können.
({3})
Ich denke, das Thema Rauchfreiheit im Bundestag
widerspiegelt exemplarisch das Verhältnis von Anspruch
und Wirklichkeit in der Politik. Deutschland ist in Sachen Schutz vor dem Passivrauchen ein Entwicklungsland. Seit Jahren setzt die deutsche Politik auf Freiwilligkeit. Wenn man auf Appelle und Vereinbarungen setzt
und dabei glaubwürdig sein will, dann sollte man eigentlich mit gutem Beispiel vorangehen.
Das Ergebnis einer aktuellen Umfrage, an der sich zugestandenermaßen vor allen Dingen Politikinteressierte
beteiligt haben, zeigt: 92 Prozent fänden es nicht in Ordnung, wenn im Bundestag weiterhin geraucht werden
dürfte, obwohl schon ein Gesetzentwurf vorliegt, der in
den öffentlichen Einrichtungen des Bundes ein Rauchverbot vorsieht. Ich denke, dieses Faktum ist ein Beweis
dafür, dass wir der Politikerverdrossenheit Vorschub
leisten. Dem müssen wir entgegenwirken. Es ist höchste
Zeit, dass die europäische Normalität in Deutschland
einzieht, vor allem im Deutschen Bundestag.
Die Schädigungen, die Rauch hervorruft, sind uns allen hinlänglich bekannt. Wir wissen, dass es keine auch
noch so kleine Menge Tabakrauch gibt, die ungefährlich
ist. Deshalb darf es im Bundestag eigentlich nur einen
konsequenten Schutz vor den 4 800 giftigen und
70 krebserregenden, fruchtschädigenden und erbgutverändernden Substanzen geben. Nicht nur wegen des heutigen Internationalen Frauentages sind wir gegenüber
den vielen im Bundestag tätigen Frauen in der Pflicht,
für saubere Arbeitsbedingungen zu sorgen.
Ich habe den Eindruck, dass beim Schutz vor Rauch
viel debattiert wird, aber wenig passiert. Deshalb, liebe
Kollegin Bender, bin ich nicht ganz so optimistisch. Ich
behalte mir eine gesunde Skepsis vor. Die Medien sind
zwar voll von diesem Thema. Aber nicht ein Buchstabe
ist bislang verabschiedet, geschweige denn umgesetzt.
({4})
Einige Meldungen von heute zeigen das Hoffen und
Bangen; es ist fast ein Trauerspiel. Am Morgen wird gemeldet, dass acht Bundesländer den hochgelobten Kompromiss der Gesundheitsminister ablehnen. Am Abend
dementieren wieder einige. Heute Mittag kam nun die
Information, dass der Ältestenrat empfiehlt, den Gesetzentwurf der Bundesregierung eins zu eins umzusetzen,
bevor das Gesetz in Kraft tritt. Ich frage mich, wann endlich etwas Konkretes geschieht; denn es wird sofort darüber fabuliert, dass die Abgeordnetenbüros von der Regelung betreffend die Rauchfreiheit im Bundestag ausgenommen werden sollen.
Sagen wir es allen weiter: Die Arbeitsstättenverordnung gilt überall. Wir sind gefordert, und zwar sofort.
Wir haben einen entscheidenden Part bei der Änderung
des Mainstreams zu spielen. Nicht plakative Bekundungen helfen, Lebensstile zu verändern. Vielmehr muss die
Botschaft mental, im Unterbewusstsein verankert werden: Rauchen ist überall out.
({5})
Wir sind dabei, wenn wir nach diesem Grundsatz im
Bundestag die Ausgestaltung konsequent vornehmen.
Ausnahmen müssen zwar möglich sein, müssen aber
konkret sein. Ich habe kein Verständnis für diejenigen,
die der Meinung sind, das dürfe nichts kosten; denn mit
geringem Investitionsaufwand können wir Millionen,
wenn nicht sogar Milliarden im Gesundheitssystem einsparen. Deshalb kann das kein Argument sein.
Ich danke.
({6})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Dr. Margrit Spielmann, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Als Gesundheitspolitikerin sowie als sucht- und
drogenpolitische Sprecherin meiner Fraktion begrüße
ich den Antrag der Grünen.
({0})
Ich unterstütze auch die optimistische Forderung, ein in
allen Räumlichkeiten des Deutschen Bundestages geltendes Rauchverbot zu beschließen und alle notwendigen Maßnahmen zur Umsetzung dieses Verbots möglichst schnell zu ergreifen.
({1})
Ich freue mich, dass sich der Ältestenrat heute Nachmittag für ein Rauchverbot im Parlamentsgebäude ausgesprochen hat. Der Bundestag darf keinen Sonderstatus
haben. Wie wir gehört haben, sind noch viele Fragen offen. Aber das Signal ist wichtig. In Deutschland spricht
sich über die Hälfte der Bevölkerung - genauso wie in
vielen anderen EU-Ländern - für einen wirksamen
Schutz vor dem Passivrauchen aus.
Nach zahlreichen Forderungen - unter anderem auch
durch unseren Gruppenantrag, Frau Eichhorn - hat die
Bundesregierung nach vielen Versuchen nun einen Gesetzentwurf auf der Grundlage der Ergebnisse der BundLänder-Arbeitsgruppe vorgelegt. Damit wird ein sehr
deutliches Zeichen für einen klaren Schutz vor dem Passivrauchen unter anderem in öffentlichen Gebäuden gesetzt.
Es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass
Rauchen ein großes, vermeidbares Gesundheitsrisiko ist.
Wir wissen, dass Rauchen eine Vielzahl von Krankheiten und Folgekosten verursacht. Die Zahlen und Fakten
sind allen hinlänglich bekannt. Wir müssen deshalb in
der Politik aus gesundheitspolitischer Verantwortung
Farbe bekennen und uns für klare gesetzliche Regelungen zum Schutz vor dem Passivrauchen aussprechen.
({2})
Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns schützende, klare gesetzliche Regelungen; denn wir alle wissen - Erfahrungswerte belegen das -, dass freiwillige
Regelungen nicht greifen.
({3})
Die Bürgerinnen und Bürger können von uns aber
auch erwarten, dass wir das, was wir für die öffentlichen
Gebäude fordern, im Bundestag auch selbst praktizieren.
Wir können schließlich - wie ein Sprichwort besagt nicht öffentlich Wasser predigen und heimlich Wein trinken.
({4})
Deshalb sind die Entscheidung des Ältestenrates und
auch der Antrag der Grünen zu begrüßen, weil wir damit
eine Vorbildfunktion wahrnehmen. Dabei geht es nicht
nur um unser Gewissen, Herr Parr. Wir richten schließlich eine sehr wichtige Forderung an die Bürgerinnen
und Bürger unseres Landes.
Ein weiterer Punkt ist wichtig. Der Deutsche Bundestag ist ein großer Arbeitgeber. In den dazugehörigen Gebäuden arbeiten immerhin 5 000 Beschäftigte. Arbeitsschutz am Arbeitsplatz wird im Bundestag schon an
vielen Stellen praktiziert. Die Vorteile von Sportangeboten und Diabetestraining zum Beispiel wurden längst erkannt. Wir haben - das wurde schon von meiner Kollegin Ernstberger angesprochen - Verantwortung für
unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und können,
was rauchfreie Arbeitsplätze betrifft, viel von großen
Unternehmen lernen, die bereits rauchfrei geworden
sind.
({5})
Die Unternehmen haben diesen Weg unter anderem
dadurch erfolgreich beschritten, dass sie im Bewusstsein
dessen, dass Rauchen eine Sucht ist - jetzt folgt meine
Botschaft -, parallel zum Rauchverbot Hilfe für rauchende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeboten haben. Als Gesundheitspolitikerin plädiere ich dafür, dass
wir wie einige große Unternehmen parallel zum Rauchverbot auch Angebote zur Tabakentwöhnung anbieten.
({6})
Als letzte Rednerin in dieser Debatte möchte ich mich
der Feststellung unseres Vizekanzlers in einem Interview
anschließen: Im Bundestag „dürfen nur noch die Köpfe
rauchen“.
Vielen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/4400 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe ({0}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Burkhardt Müller-Sönksen,
Florian Toncar, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Menschenrechte in Usbekistan einfordern
- Drucksachen 16/225, 16/1222 Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Steinbach
Johannes Jung ({1})
Michael Leutert
Volker Beck ({2})
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe ({3}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Marieluise Beck ({4}),
Volker Beck ({5}), Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Menschenrechte in Usbekistan einfordern
- Drucksachen 16/1975, 16/4245 Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Steinbach
Johannes Jung ({6})
Michael Leutert
Volker Beck ({7})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Staatsminister Gernot Erler.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die deutsche Ratspräsidentschaft hat von den anderen
europäischen Staaten das Mandat erhalten, eine Zentralasienstrategie zu erarbeiten. Diese Arbeit läuft bereits. Es geht voran, und wir stoßen bei den fünf infrage
kommenden zentralasiatischen Ländern auf Interesse.
Wir nutzen dieses Strategieprojekt auch dafür, Verbesserungen hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit und der Beachtung der Menschenrechte in allen dieser fünf Staaten
zu erreichen.
Was Usbekistan angeht, stehen immer noch die tragischen Ereignisse von Andischan vom 13. Mai 2005 und
ihre Aufarbeitung im Vordergrund. Die EU hat auf diese
Tragödie mit Sanktionen geantwortet, unter anderem mit
einem Waffenembargo, mit Reisebeschränkungen gegenüber den Hauptverantwortlichen und mit der AussetStaatsminister Gernot Erler
zung der praktischen Arbeit im Zuge des Partnerschaftsund Kooperationsabkommens.
Die Bundesregierung hat sich von Anfang an intensiv
um diese Vorfälle gekümmert. Ich selber habe im letzten
Sommer in Taschkent sehr schwierige Gespräche dazu
geführt. Der Außenminister ist im November vergangenen Jahres mit dem Staatspräsidenten zusammengetroffen und hat diese Themen ebenfalls aufgegriffen. Die
EU hat ihren Druck in dieser Frage ständig aufrechterhalten.
Dadurch konnte zwar keine Zustimmung für die eigentlich gewünschte Aufklärung durch eine unabhängige internationale Untersuchung erreicht werden, aber
immerhin wurde von usbekischer Seite die Bereitschaft
zur Durchführung gemeinsamer Gespräche im Rahmen
einer Expertengruppe erklärt.
Ein erstes Zusammentreffen einer solchen Expertengruppe hat vom 12. bis 14. Dezember letzten Jahres in
Taschkent stattgefunden. Dabei hat die usbekische Regierung den Experten der Europäischen Union Einsicht
in Akten sowie in schriftliches und elektronisches Beweismaterial gewährt. Die Experten sind mit Regierungsvertretern sowie Zeugen, Anwälten, Vertretern der
Staatsanwaltschaft und Vertretern von Untersuchungsbehörden zusammengetroffen. Sie hatten Zugang zu einem
Gefängnis und zu dort einsitzenden Verurteilten. Ferner
haben sie die Orte des Geschehens in Andischan besucht
und dort Gespräche mit Zeugen und Vertretern der beteiligten Behörden geführt.
Trotz allem sind noch wichtige Fragen offen geblieben, weshalb wir darauf gedrungen haben, dass weitere
Gespräche dieser Art stattfinden. Inzwischen gibt es die
Zustimmung der usbekischen Seite, ein zweites Expertengespräch durchzuführen. Im Lichte dieser sich Schritt
für Schritt erweiternden Bereitschaft, in einen Dialog zu
treten, hat bereits am 8. November letzten Jahres eine
Sitzung des Kooperationsrates zwischen der EU und Usbekistan stattgefunden. Bei dieser Gelegenheit ist auch
über Andischan gesprochen worden.
Die Führung von Usbekistan hat gegenüber der EU
ihre Bereitschaft erklärt, einen dauerhaften und regelmäßigen Menschenrechtsdialog zu führen. Daraufhin hat
wiederum der Rat für Allgemeine Angelegenheiten am
13. November letzten Jahres die bisher geltenden Sanktionen dahin gehend modifiziert, dass die technischen
Gremien im Rahmen des Partnerschafts- und Kooperationsvertrages wieder arbeiten, das Waffenembargo aber
um zwölf Monate und der Visabann um sechs Monate
verlängert werden. Es wurde aber auch vereinbart, diese
Sanktionen alle drei Monate zu überprüfen. Die nächste
Überprüfung wird im Mai dieses Jahres stattfinden.
Bei jeder Begegnung von Vertretern der EU und der
deutschen Bundesregierung mit Kollegen aus Usbekistan werden auch Einzelfälle angesprochen, durchaus mit
Erfolg. In einem Fall ist es nach einem Gespräch von
Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit Präsident
Karimow zur Freilassung eines oppositionellen Journalisten gekommen, der zu sechs Jahren Haft verurteilt
worden war.
Inzwischen sind auch die Vorbereitungen für den
Menschenrechtsdialog, den ich angesprochen habe, vorangekommen. Wir hoffen, ihn bald konkret beginnen zu
können. Er richtet sich nach den Vereinbarungen innerhalb der EU, das heißt, es wird nicht nur um Prinzipien
gehen, sondern auch um Einzelfälle. Dabei werden auch
die Vertreter der Zivilgesellschaft einbezogen. Dieser
ganze Prozess spiegelt sich auch in der jüngsten Schlussfolgerung des EU-Rats zu Usbekistan vom 5. März wider, die diesen Prozess der wachsenden Kooperation abbildet.
Zusammenfassend darf ich Folgendes festhalten: Die
Menschenrechtslage in Usbekistan gibt weiter Anlass zu
ernster Sorge. Das bezieht sich nach wie vor auf die Ereignisse in Andischan, aber auch auf die Folgen und die
Form der Prozesse sowie das Schicksal derjenigen, die
damals geflüchtet sind. Wir sind besorgt über das weiterhin rigorose Vorgehen gegen oppositionelle Journalisten
sowie Vertreter und Aktivisten von Menschenrechtsorganisationen, und wir sind besorgt über die Politik gegenüber den NGOs, zum Beispiel darüber, dass die
Arbeit insbesondere der internationalen NGOs in Usbekistan erschwert wird.
Aber auf der anderen Seite gibt es auch Bewegung,
die hoffen lässt. Dabei ist die Entscheidung zu erwähnen, die Todesstrafe zum 1. Januar 2008 abzuschaffen
und zu dem gleichen Zeitpunkt die Habeas-Corpus-Regelung in Usbekistan einzuführen. Hinzu kommt die Bereitschaft, nicht nur diese Expertengespräche zu führen,
sondern auch einen dauerhaften Menschenrechtsdialog
mit der EU zu etablieren. Wir werden unsere Bemühungen fortsetzen und dabei den Vertretern Usbekistans
deutlich machen, dass eine positive Teilnahme an der
EU-Zentralasienstrategie und die Zusammenarbeit mit
der EU nur möglich sind, wenn wir weiter konkrete Erfolge in dem von mir beschriebenen Sinne haben werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Burkhardt MüllerSönksen, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatsminister, Sie sprachen von Bewegung.
Ich sehe das nicht so wie Sie. Außerdem sprachen Sie
von Fortschritten der Regierung. Ich sage Ihnen: Diese
Regierung hält Deutschland, das die EU-Ratspräsidentschaft innehat, hin. Wir haben dort Gespräche geführt:
Es tut sich nichts.
Im November 2005 hat die EU - Sie sagten es Sanktionen gegen Usbekistan verhängt. Sie reagierte
damit auf die blutige Niederschlagung von weitgehend
friedlichen Demonstrationen in der Stadt Andischan am
13. Mai 2005. Bald sind seit dem traurigen Ereignis, als
Hunderte von Demonstranten durch Sicherheitskräfte
des usbekischen Innenministeriums brutal niedergeschossen worden sind, zwei Jahre vergangen. Die genauen Hintergründe dieser Vorgänge liegen bis heute im
Dunkeln. Ich denke dabei nicht an diejenigen, die im Gefängnis sitzen - wir haben heute zum ersten Mal gehört,
dass Vertreter der EU-Kommission mit ihnen gesprochen haben -, sondern an diejenigen, die geschossen haben. Deren Taten sollten eigentlich untersucht werden,
auch durch eine unabhängige Kommission.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Bundesregierung seit einiger Zeit auf EU-Ebene darauf drängt, die
Sanktionen gegen Usbekistan aufzuheben oder doch zumindest zu lockern. Was würde aber die Aufhebung oder
Lockerung der Sanktionen aus gegenwärtiger Perspektive rechtfertigen? Der Befund ist leider so eindeutig wie
erschütternd: Nichts. Denn in Usbekistan ist außer hehren Absichtsbekundungen, von denen wir schon vor einem halben Jahr bei unserem Besuch gehört haben
- etwa von der, die Todesstrafe 2008 abzuschaffen -,
keine Verbesserung der Menschenrechtslage erkennbar.
Das Gegenteil ist der Fall: Die Situation derjenigen,
die sich für die Belange der Menschenrechte in Usbekistan einsetzen, wird immer dramatischer. Welcher
willkürlich und politisch motivierten Verfolgung Nichtregierungsorganisationen in Usbekistan ausgesetzt sind,
zeigt das Beispiel der Organisation Human Rights
Watch. Das ist nach meinem Wissen die einzige internationale Menschenrechtsorganisation, die in Usbekistan
überhaupt noch ein Büro unterhält. Alle anderen internationalen Menschenrechtsorganisationen mussten ihre
Vertretungen in Usbekistan schließen, da sie von der usbekischen Regierung des Landes verwiesen wurden.
Kürzlich - auch Sie sprachen von Einzelfällen, die
leider noch nicht abschließend behandelt worden sind wurde die Übersetzerin des Taschkenter Büros von Human Rights Watch, Frau Umida Niyazova, nahe der usbekisch-kirgisischen Grenze verhaftet. Der ursprüngliche Vorwurf der usbekischen Strafverfolgungsbehörden
gegen sie lautete, dass sie am 21. Dezember 2006 bei ihrer Einreise nach Usbekistan am Flughafen Taschkent
eine nicht ordnungsgemäße Zollerklärung abgegeben
habe. Sie hatte nämlich ihren Laptop sowie die dazugehörigen Speicherkarten in der Zollerklärung nicht korrekt aufgeführt. Daraufhin wurden der Laptop, die Speicherkarten sowie ihr Pass beschlagnahmt. Zudem wurde
sie einem langwierigen Verhör unterzogen, da sich angeblich staatsfeindliche Dokumente auf ihrem Laptop
befanden. Frau Niyazova wurde deshalb ein Strafverfahren in Aussicht gestellt.
Nachdem sie in Anbetracht der gegen sie erhobenen
Anschuldigungen in das benachbarte Kirgisien geflohen
war, wurde sie von den usbekischen Behörden im Januar
unter dem Vorwand, sie habe kein Strafverfahren mehr
zu befürchten, zurück nach Usbekistan gelockt und unmittelbar nach ihrem Grenzübertritt festgenommen.
Ganz offensichtlich handelt es sich bei diesem Vorgang
um einen Fall politisch motivierter Strafverfolgung. Dieser Fall ist immer noch aktuell. Wir bitten Sie, die Regierung, dem nachzugehen.
({0})
Mit welch schamloser Willkür die usbekischen Behörden gegen Human Rights Watch in Usbekistan vorgehen, zeigt auch, dass einer neuen Mitarbeiterin dieser
Organisation, Frau Rittmann, sowie dem Ehemann von
Frau Dr. Andrea Berg, der Leiterin des Büros von Human Rights Watch in Taschkent, seit mehr als einem halben Jahr die beantragten Einreisevisa für Usbekistan verweigert werden. Als wir dort waren, wurde uns im
Justizministerium gesagt, das sei nur noch eine reine
Formsache, die Visumerteilung stehe unmittelbar bevor.
Bis heute - seitdem ist ein halbes Jahr vergangen - ist
nichts passiert. Wir werden hingehalten; wir werden an
der Nase herumgeführt. Ich muss die Bundesregierung
an dieser Stelle fragen: Begreifen wir nicht, dass wir von
den usbekischen Behörden immer weiter vorgeführt
werden?
Während sich die Bundesregierung gegenwärtig bemüht, mit der usbekischen Regierung die Bedingungen
für einen Menschenrechtsdialog auszuhandeln, sehen
die usbekischen Machthaber keine Veranlassung, ihr
brutales, willkürliches und unrechtmäßiges Verhalten
gegenüber diesen Menschenrechtsverteidigern auch nur
dem Anschein nach zu ändern. Wenn sich die usbekischen Behörden sogar in einer Phase, in der sie ganz genau wissen, dass sie unter internationaler Beobachtung
stehen, so verhalten, ist die Frage: Wie werden sie sich
dann erst verhalten, wenn die EU-Sanktionen aufgehoben sind? Also: A maiore ad minus. Wir befürchten, dass
es noch viel schlimmer wird.
Es wäre aus meiner Sicht ein großer Fehler, unter den
gegenwärtigen Bedingungen die Sanktionen aufzuheben, nur um einen Menschenrechtsdialog mit der usbekischen Regierung zu führen, der dann allerdings den Inhalt nicht wert wäre. Ein solcher Menschenrechtsdialog
wäre nicht nur sinnlos; er wäre auch ein Hohn für diejenigen, denen es um eine tatsächliche Verbesserung der
Menschenrechte in Usbekistan geht.
({1})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Die Glaubwürdigkeit und damit der Erfolg der EU-Zentralasienstrategie, die gegenwärtig unter deutscher EURatspräsidentschaft erarbeitet wird, hängen maßgeblich
davon ab, wie sich vor allem die deutsche Regierung
derzeit im Hinblick auf Usbekistan verhält. Daher dürfen
wir bei der Aufklärung der Ereignisse von Andischan
und der Einforderung einer besseren Menschenrechtssituation in Usbekistan nicht auf Feigenblattveranstaltungen setzen.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Holger Haibach, CDU/
CSU-Fraktion.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Erlauben Sie mir eine Bemerkung, bevor ich
zum eigentlichen Thema komme. Zumindest die Kolleginnen und Kollegen, die vorhin schon hier waren, haben den doch sehr engagierten Diskussionsstil beim
Thema Nichtraucherschutz erlebt. Ich würde mir wünschen, dass dieses Parlament auch über menschenrechtliche Fragen wie die, die wir jetzt zu behandeln haben, in
dieser Art und Weise engagiert diskutieren würde. Dann
wären wir, glaube ich, was die Frage der Menschenrechte in Deutschland und weltweit betrifft, einen großen Schritt weiter.
({0})
Herr Kollege Müller-Sönksen hat aus meiner Sicht
sehr viele wichtige Punkte angesprochen.
({1})
Er hat das, was sozusagen das Dilemma von Menschenrechtspolitik ist, relativ klar beschrieben. Wenn wir den
Dialog suchen, sind wir immer in der Gefahr, dass wir
uns zu nahe an die begeben, die den Dialog führen. Aber
wenn wir nur auf Sanktionen und Ablehnung setzen,
sind wir in der Gefahr, nichts zu erreichen. Das heißt,
wir müssen einen vernünftigen Weg finden.
Bei allem, was man über die gegenwärtige Situation
in Usbekistan sagen kann - ich stimme in vielem mit
dem überein, was dazu angemerkt worden ist, bin auch
weit davon entfernt, übermäßig optimistisch zu sein,
weil auch ich der Delegation angehört habe, die vor einem halben Jahr in Usbekistan war -, gilt, dass das, was
die Bundesregierung tut, verantwortungsvolle Politik ist.
Sie versucht, auf der einen Seite die Notwendigkeit der
Zusammenarbeit und auf der anderen Seite die Ausübung des notwendigen Drucks auszubalancieren, um
die menschenrechtliche Situation in solchen Ländern zu
verbessern.
Ein Beispiel ist die schon genannte Zentralasienstrategie. Wir sind gestern im Ausschuss darüber informiert
worden, wie so etwas ungefähr aussehen könnte. Ich
finde es schon bedeutsam und richtig, dass die wichtigen
menschenrechtlichen Fragen, die für Usbekistan auf der
Tagesordnung stehen, im Rahmen einer solchen Strategie und im Rahmen eines Dialogs auch tatsächlich angesprochen werden. Dabei ist das Thema Andischan - das
spielt in beiden Anträgen eine Rolle - durchaus wichtig.
Der Kollege Beck wird nachher wahrscheinlich sagen: Was wir in diesen Expertengesprächen jetzt machen, entspricht nicht dem internationalen Standard einer
unabhängigen Untersuchung. Das trifft zu. Aber es ist
wesentlich mehr als das, was wir bis jetzt hatten, nämlich nur Informationen der usbekischen Regierung, ohne
dass man die Möglichkeit hatte, sie in irgendeiner Form
nachzuprüfen. Das sollte man einmal zur Kenntnis nehmen und anerkennen.
({2})
Es ist auch richtig, glaube ich, dass wir in einen
Dialog mit der usbekischen Seite eintreten. Ich stimme
dem Kollegen Müller-Sönksen voll darin zu, dass Dialoge nicht zu Feigenblattveranstaltungen werden dürfen.
Ich bin aber der festen Überzeugung, dass diese Gefahr
dann, wenn wir einen Dialog zielorientiert führen, nicht
eintreten muss. Einmal abgesehen davon: Welche Alternative haben wir neben dem Versuch, mit einem vernünftigen Dialog auf der einen Seite und mit Druck auf
der anderen Seite etwas zu erreichen? Wir werden nicht
dort einmarschieren, um die Verhältnisse zu verbessern.
Insofern glaube ich, dass wir schon richtig aufgestellt
sind, wenn wir unsere Maßnahmen ausbalancieren.
Was den Dialog betrifft: Ich bin einer großer Freund
von Dialogen. Ich halte sie für richtig. Ich halte sie für
konsequent. Aber wir müssen sie schon zielorientiert
führen. Wir müssen sie konstruktiv führen. Wir müssen
vor allem klarmachen: Welches sind die Dinge, über die
wir reden wollen?
Wie wollen wir unsere Ziele erreichen? Wir brauchen
eine vernünftige Erfolgskontrolle, auf Neuhochdeutsch
Evaluation genannt, damit wir hinterher klarmachen
können, wo wir eine Zusammenarbeit sehen und wo
nicht, weil der Erfolg nicht gewährleistet ist. Wenn wir
den Dialog auf diese Art und Weise angehen, können wir
auch erfolgreich sein.
({3})
Ich will etwas zu den Expertengesprächen sagen.
Wir müssen die Chance, die sich durch diese Expertengespräche bietet, auch tatsächlich nutzen. Man hörte das
eine oder andere über die Situation, in der die Expertengespräche stattgefunden haben. Ich finde es gut und richtig, dass eine zweite Reise stattfindet. Ich kann nur hoffen, dass die Gruppe, die dort hinfährt, wirklich alle
Möglichkeiten ausnutzt, die ihr geboten werden, und
versucht, mit jedem zu reden, der mit dieser Angelegenheit etwas zu tun hat. Sonst werden wir niemals Licht ins
Dunkel dieser Angelegenheit bringen. Das schaffen wir
nur dann, wenn dort sehr intensiv nachgeforscht wird.
Sanktionen haben natürlich durchaus eine große
Symbolwirkung. Auch ich sage: Unter den gegenwärtigen Umständen ist der Hoffnungsschimmer, der durch
die Wolken geht, sehr dünn. Wir müssen sehr genau
überlegen, was wir tun. Ich finde es richtig, dass wir die
technische Zusammenarbeit wieder zulassen, aber weder
den Waffenbann noch den Visabann aufheben. Wenn wir
aber - was zum Beispiel im Antrag der Grünen gefordert
wird - einen wirklichen Austausch haben wollen, wenn
wir eine tatsächliche Zusammenarbeit, zum Beispiel im
justiziellen Bereich, haben wollen, dann werden wir diesen Austausch zulassen müssen. Dazu gehört die technische Zusammenarbeit. Insofern finde ich die Reaktion
der Bundesregierung an dieser Stelle ausgewogen. Ich
sage allerdings auch in aller Deutlichkeit: Wenn sich an
der Situation auf absehbare Zeit nichts ändert, sollten
wir an den übrigen Sanktionen nicht rühren.
({4})
Ich denke, wir müssen unsere Tätigkeiten und unsere
Sicht auf Usbekistan und die anderen Zentralasienstaaten in einen größeren Zusammenhang einordnen. Im Antrag der Grünen steht unter anderem, wir müssten uns in
besonderem Maße um Menschen kümmern, die in Usbekistan verfolgt werden. Dem kann ich nur zustimmen.
Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Wir alle erinnern uns noch daran, dass es vor kurzem ein Urteil des
Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs gegeben
hat, wonach usbekische Flüchtlinge, die nach Russland
gekommen sind, nicht hätten ausgeliefert werden dürfen.
Die Auslieferung ist trotzdem erfolgt, und die Menschen
sind daraufhin verschwunden. Das bedeutet doch, dass
wir innerhalb des Europarates, innerhalb unserer europäischen Staatengemeinschaft darauf drängen müssen,
dass diese Aufgabe gelöst wird. Wir müssen mit unseren
Partnern reden. Wenn wir nur alleine drängen, werden
wir nämlich nicht weit kommen. Russland spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle.
Das spricht für die Tatsache - um auf die Debatte der
letzten Woche zurückzukommen -, dass wir der Umsetzung der Urteile des Menschenrechtsgerichtshofs eine
größere Bedeutung beimessen müssen, als das bei der einen oder anderen Angelegenheit der Fall ist.
({5})
Natürlich fällt es einem schwer, Ankündigungen einer
Regierung zu glauben, die sich sehr retardierend verhält,
wenn es darum geht, Fortschritte im Menschenrechtsbereich zu machen: die Ankündigung, die Todesstrafe abzuschaffen, im Jahr 2008 aber kein Moratorium zuzulassen, die Ankündigung, den Habeas-Corpus-Akt in das
Rechtssystem einzuführen. Trotz allem glaube ich, dass
das Ansatzpunkte sind; denn wenn diese Versprechen
gemacht worden sind, muss man die usbekische Seite in
dem Dialog, der geführt werden muss, packen und daran
erinnern: Das habt ihr zugesagt, wir wollen sehen, dass
es verwirklicht wird und wie es verwirklicht wird. - Das
wird sicherlich auch Aufgabe dieses Dialogs sein. Das
muss in aller Deutlichkeit gesagt werden.
Ich will einen Gedanken, der hier noch keine Erwähnung gefunden hat, aufgreifen: Zentralasienstrategie deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Alle, die sich mit
Menschenrechten beschäftigen, wissen, dass wir bei vielen Dingen einen langen Atem brauchen. In diesen Staaten ist wahrscheinlich ein noch viel längerer Atem notwendig als in vielen anderen Staaten. Dieser lange Atem
ist uns dieses Mal garantiert - dafür bin ich der Bundesregierung sehr dankbar -: Man versucht nicht nur, im
Rahmen der eigenen Präsidentschaft etwas zu erreichen,
sondern macht auch durch die sogenannte Teampräsidentschaft, indem man also die nächste und übernächste
Präsidentschaft hinzunimmt, deutlich, dass das keine
Angelegenheit für ein halbes Jahr ist, sondern dass das
eine Angelegenheit ist, die für die Europäische Union
von dauerhafter Bedeutung ist. Ich kann nur sagen:
Herzlichen Dank an die Bundesregierung, dass man in
diesem Fall diesen Weg gewählt hat.
({6})
Ein Wort noch zu den Anträgen, die uns heute vorliegen: Der Antrag der FDP ist schon etwas älter und hat
sich insofern nicht in der Sache, aber zum Teil in den
Maßnahmen überholt. Der vorliegende Antrag der Grünen zeichnet aus meiner Sicht viele beachtenswerte Aspekte - das will ich überhaupt nicht verhehlen -, aber
mir fehlt das Gesamtkonzept. Deswegen werden wir diesen beiden Anträgen leider nicht zustimmen können.
Ein letzter Gedanke: Ich sehe den viel beschworenen
Interessengegensatz in dieser Region zwischen Menschenrechten auf der einen Seite und wirtschaftlichen
und strategischen Interessen auf der anderen Seite nicht.
Es ist uns klar, und wir müssen immer wieder deutlich
machen, dass Menschenrechte fundamentaler Bestandteil für eine sichere und stabile Entwicklung sind. Wir
müssen alles tun, damit die Menschenrechte in dieser
Region tatsächlich beachtet werden. Ich denke, wir sind
auf einem richtigen Weg. Wenn wir den festen Willen
haben - diesen Willen wünsche ich uns allen -, dann haben wir hoffentlich irgendwann eine bessere Situation in
Zentralasien.
Danke sehr.
({7})
Das Wort hat der Kollege Hüseyin Aydin, Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte es noch einmal in Erinnerung rufen: Am 13. Mai
2005 ließ das usbekische Innenministerium in der Stadt
Andischan eine Demonstration von Zehntausenden abriegeln. Die Bevölkerung solidarisierte sich mit 23 Männern, denen ein unfairer Prozess wegen eines angeblichen
Umsturzversuches gemacht wurde. Aus anfänglichen
Mahnwachen wurden bald große, friedliche Demonstrationen gegen Rechtswillkür. Nach Berichten von Amnesty International fuhren an diesem 13. Mai immer wieder gepanzerte Militärfahrzeuge vor, aus denen heraus
auf die Menge geschossen wurde. Dieses brutale Vorgehen forderte einige Hunderte Tote.
So wurde der Menschenrechtsverteidiger Sainabitdinow
zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Er hatte nach dem
Massaker von Andischan den ausländischen Journalisten blutige Kinderschuhe gezeigt und somit bewiesen,
dass auf Kinder geschossen wurde.
Mutabar Tadschibajewa, die Vorsitzende einer bekannten usbekischen Menschenrechtsorganisation, wurde
zu acht Jahren Haft verurteilt. Ihr Verbrechen bestand
darin, dass sie auf einer internationalen Konferenz in
Dublin von den Ereignissen in Andischan berichten
wollte. Ich denke, dass ich für alle hier versammelten
Abgeordneten spreche, wenn ich anlässlich des Internationalen Frauentages Frau Tadschibajewa unsere solidarischen Grüße sende.
({0})
Die vorliegenden Anträge fordern zu Recht von der
Bundesregierung ein energisches Eintreten zur Aufklärung dieser Vorgänge. Das findet die Zustimmung der
Linken. Aber die Bundesregierung sagt das eine und tut
etwas anderes. Es ist gut, wenn Außenminister Steinmeier
auf seiner Zentralasienreise Tamara Tschikunowa, die in
Usbekistan die Organisation „Mütter gegen Todesstrafe
und Folter“ leitet, öffentlich die Hand schüttelt.
Leider steht dieser Akt im Widerspruch zu der nicht
ganz so öffentlich betriebenen Kooperation mit dem
Regime. Trotz der EU-Sanktionen, die die militärische
Zusammenarbeit mit der Diktatur in Taschkent streng
untersagen, unterhält die Bundeswehr einen eigenen
Stützpunkt im usbekischen Termes. Der Ausbau dieses
Stützpunktes ist nach dem Massaker von Andischan mit
deutschen Steuergeldern in Höhe von 10 Millionen Euro
sogar noch vorangetrieben worden.
Selbst die Vereinbarung über die Ausbildung von usbekischen Streitkräften ist nicht ausgesetzt worden. Als
Gegenleistung erhielt der politisch Hauptverantwortliche
für das Massaker von Andischan, Innenminister
Almatow, im Dezember 2005 ein Visum für die Einreise
nach Deutschland und wurde hier großzügig medizinisch
versorgt.
Herr Kollege, ich muss Sie jetzt fragen, ob Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Haibach genehmigen.
Selbstverständlich.
Herr Kollege Aydin, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass ein Großteil der auf dem Militärstützpunkt
in Termes stationierten Truppen inzwischen schon nach
Masar-i-Scharif verlegt worden ist oder in Kürze verlegt
wird?
Herr Kollege Haibach, das ändert nichts an der Tatsache, dass dieser Stützpunkt weiterhin in Betrieb ist und
einige Soldaten weiterhin dort tätig sind.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erfuhren im
April letzten Jahres im CIA-Untersuchungsausschuss
des Europäischen Parlaments, dass die deutsche Botschaft in Taschkent in Geheimdienstbelangen mit dem
Regime zusammengearbeitet hat. Wer so handelt, verliert jede Glaubwürdigkeit. Ich sage es noch einmal: Die
Bundesregierung fordert von den Ländern in der Dritten
Welt die Einhaltung der Menschenrechte, was wir natürlich unterstützen. Doch sie kooperiert mit einer usbekischen Regierung, die auf die eigene Bevölkerung schießen lässt. Und warum das alles? Die Bundeswehr
erläutert auf ihrer Homepage - Herr Haibach, hören sie
zu! -:
Gäbe es die Nachschub-Basis der Bundeswehr im
usbekischen Termez nicht, dann könnten die deutschen Soldaten in Afghanistan in kürzester Zeit einpacken.
Die Katze ist aus dem Sack! Es geht augenscheinlich um
politische Einflusssphären und nicht zuletzt um wirtschaftliche Interessen.
Ich sage: Deutsche Truppen haben in Afghanistan genauso wenig verloren wie ein usbekischer Innenminister
mit Blut an den Händen in Deutschland.
({1})
Die Linke fordert die Bundesregierung auf: Beenden Sie
endlich die Kumpanei mit diesem Regime in Taschkent
und machen Sie den Bundeswehrstützpunkt in Termes
gänzlich dicht.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege, wenn die Welt mal so einfach wäre! Ihre Schilderung der Konfliktlage war mir jetzt doch zu simpel.
({0})
Auch ich habe das Gefühl, dass die Bundesrepublik
Deutschland - diesen Eindruck hat man uns ja bei unserem Besuch in Usbekistan auch vermittelt - im Vergleich
zu anderen europäischen Staaten besonders schonungsvoll mit den Usbeken umgeht. Dabei spielt Termes eine
Rolle. Das muss nicht so sein.
({1})
Meines Erachtens muss man sich von dieser Perspektive
frei machen und über Alternativen reden. Da gibt es Alternativen; andere Bündnispartner nutzen sie. Deshalb
sollte man den Usbeken deutlich machen, dass wir uns
von ihnen wegen Termes nicht erpressen lassen. Das
wäre die richtige Botschaft. Aber sich das so einfach zurechtzustricken, wie Sie das hier gemacht haben, ist
nicht legitim.
({2})
Man muss auch darüber reden, wie man ISAF absichert. Ich weiß, Sie sind dagegen. Aber das hat mit der
Usbekistanpolitik nichts zu tun. Deshalb sollten wir jetzt
hier beim Thema bleiben. Ansonsten führen wir hier
eine innenpolitische statt eine menschenrechtspolitische
Debatte.
({3})
Ich möchte jedoch, dass die usbekische Regierung und
der usbekische Botschafter merken, dass sich der Deutsche Bundestag darüber einig ist, dass man mit der jetzigen Menschenrechtssituation in Usbekistan nicht zufrieden sein kann. Diese Botschaft muss von dieser Debatte
ausgehen. Sie darf sich nicht in innenpolitischem Geplänkel verlieren, das übrigens außer zwei Besuchern sowieso niemand mitbekommt.
({4})
Ich bin besorgt über die Tonlage, die hier teilweise
angeklungen ist. Ich habe in etwa die gleiche Tonlage
aus dem Votum der SPD im Bericht des Ausschusses zu
unserem Antrag herausgelesen. Es sei alles auf einem
guten Weg, sagt dort die SPD-Fraktion. Ich bin dafür, die
Dialogbereitschaft auszutesten. Ich bin dafür, dass man
versucht, wirklich voranzukommen. Ich bin aber nicht
für eine Rabattveranstaltung. Wir haben damals gesagt,
wir wollen eine internationale unabhängige Untersuchung der Vorfälle in Andischan. Die jetzige EU-Mission wird nicht von einer international unabhängigen
Kommission durchgeführt, wie wir das gefordert haben.
Das positive Votum einer solchen Kommission war aber
auch die Grundlage für die Aufhebung der Sanktionsbeschlüsse der Europäischen Union. Wir haben gefordert,
die usbekische Regierung müsse alle internationalen
Verpflichtungen, die sie eingegangen ist, erfüllen, sonst
dürfe es zu keiner Aufhebung der Sanktionen kommen.
Nach wie vor hat das Internationale Rote Kreuz keinen
ungehinderten Zugang zu allen Gefängnissen in Usbekistan. Deshalb hat es vor einigen Monaten seine Besuchspraxis eingestellt, um nicht so zu tun, als ob es etwas kontrolliere, was man es in Wirklichkeit gar nicht
kontrollieren lässt.
Wir dürfen hier keinen Rabatt geben und nur über
Einzelfälle reden, in denen man sich in einem Punkt entgegenkommen kann. Ich befürchte, so wie ich Herrn
Karimow und andere kluge Leute, die das usbekische
Regime verteidigen, erlebt habe, dass ein Menschenrechtsdialog auf solchen Veranstaltungen leicht zu zwei
Monologen werden kann und sich überhaupt nichts bewegt.
({5})
Deshalb brauchen wir klare Zielvorgaben. Wenn sich
nichts bewegt, muss man das feststellen und daraus Konsequenzen ziehen. Deshalb darf man sich alleine durch
Zusagen von einem Regime wie dem usbekischen, das
bereit ist, einem alles zu erzählen, wenn man es nur hören will, aber hinterher nichts davon umsetzt, kein X für
ein U vormachen lassen. Die lachen über uns als Westen,
weil wir uns manchmal für so kleine Münze einkaufen
lassen.
({6})
Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, in Brüssel hart zu bleiben und nicht zu versuchen, die Sanktionsbeschlüsse ohne konkrete Fortschritte in der Menschenrechtssache aufzuheben.
({7})
Herr Staatsminister, Sie haben die Zentralasienstrategie angesprochen. Ich finde, wir sollten darüber im
Bundestag und auch in den Ausschüssen intensiver und
informierter sprechen. Wir hatten gestern eine Unterrichtung. Dabei ist mir nicht klar geworden, wie die verschiedenen Themen der Zentralasienstrategie von der
Bundesregierung zusammengebracht werden. Die Themen sind alle benannt: die Energiefrage, die strategische
Frage, auch die Menschenrechtsfrage. Aber was bedeuten die Energiefrage und die strategische Frage für die
Menschenrechtsfrage? Das ist das Spannende: Wie ist
das miteinander verzahnt, und wie bedingt sich das?
Wir müssen aufpassen, dass wir nicht anfangen, zentralasiatischen Staaten wie Turkmenistan, das auf einer
riesigen Gasblase sitzt, aus energiepolitischen Gründen
Menschenrechtsrabatte zu geben. Wir machen uns als
Westen völlig unglaubwürdig. Deshalb ist eine andere
Energiepolitik eine wichtige Voraussetzung und eine
vernünftige Grundlage dafür, dass unser Land menschenrechtspolitisch nicht erpressbar ist. Das sollten wir
immer mit im Blick haben.
Ich möchte als Abgeordneter im Menschenrechtsausschuss mit der Bundesregierung in einen Dialog darüber
eintreten, mit welchen Mechanismen wir dafür sorgen,
Herr Kollege!
- dass die Menschenrechtsfrage unsere Beziehungen
weitgehend bestimmt.
Damit, Frau Präsidentin, bin ich am Schluss. Vielen
Dank.
({0})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Herta Däubler-Gmelin, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Heute ist schon sehr viel Richtiges gesagt
worden; der Kollege Haibach hat das bereits unterstrichen. Auch in den beiden Anträgen der Opposition steht
in Bezug auf die Fakten sehr viel Richtiges.
Ich denke, diese Debatte hat, von ein paar Ausrutschern abgesehen, wieder gezeigt, dass wir uns in der
Zielsetzung völlig einig sind. Deshalb brauchen wir ein
Menschenrechtsverständnis, nach dem nicht auf der einen Seite das Thema Menschenrechte verfolgt wird,
während sich auf der anderen Seite die Außenpolitiker
um die Strategie, die Verteidigungspolitiker um die Waffeneinheiten und die Wirtschaftspolitiker um die Wirtschaft, den Außenhandel und die Energie kümmern. Wir
möchten, dass alles zusammen gesehen wird. Aus diesem Grund gab es auch eine klare Entscheidung des
Bundestages, einen Ausschuss für Menschenrechtsfragen mit eigener Verantwortung zu bilden.
Ich stimme aber Herrn Haibach auch in der zweiten
Frage zu, lieber Kollege Müller-Sönksen und lieber Kollege Beck, dass man Ihre Anträge nicht annehmen kann,
und zwar nicht deswegen, weil die Tatsachen falsch wären oder das Ziel nicht unserem entsprechen würde. Sie
wissen, dass wir darüber schon häufig genug geredet haben und das auch weiterhin tun werden. Aber ich glaube,
es fehlt etwas. Die innenpolitische Ausrichtung, die der
Kollege Beck gerade dem Herrn Aydin so entzückend
vor die Füße geworfen hat, ist auch in Ihrem Antrag sehr
deutlich spürbar. Es geht darum, dass Sie die Sorge oder
das Misstrauen formulieren, die Bundesregierung würde
die Menschenrechte doch wieder in einer Schublade halten, die Themen Strategie, Energie oder sonst etwas getrennt sehen und im Übrigen eine Rabatttendenz, eine
Mauschelei oder Ähnliches verfolgen. Dies ist falsch.
Machen Sie sich einmal die Mühe - wir im Ausschuss
tun dies alle -, sich einmal anzuschauen, wie im Europäischen Rat vor ein paar Tagen diskutiert wurde. Wenn
Sie sich einmal anschauen, was im Menschenrechtsrat in
Genf in Sachen Usbekistan läuft, wie sich die Bundesregierung in dieser Frage verhält und sich zu diesem
Thema positioniert, dann wissen Sie, dass ein Misstrauen gegenüber der Bundesregierung in dieser
Frage schlichtweg falsch ist.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Beck?
Ja, bitte.
Geschätzte Frau Kollegin, würden Sie mir zustimmen, dass jede Forderung in unserem Antrag zustimmungsfähig ist? Wenn Sie meine Auffassung teilen,
dann können wir den Feststellungsteil fallen lassen. Wir
treten aber für klare menschenrechtliche Anforderungen
an die usbekische Seite ein. Wir wollen der Bundesregierung ganz ohne Soupçon Material für ihre weitere Politik
mitgeben. Wenn das auf Ihre Zustimmung trifft, könnten
wir so verfahren.
Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Deswegen mache
ich Ihnen einen Gegenvorschlag. Lassen Sie uns die
Frage, die Ihnen und auch uns am Herzen liegt, gemeinsam behandeln, nämlich die Frage, wie man einen vernünftigen Dialog zur Verbesserung der Menschenrechtslage in Transformationsstaaten erreichen kann.
Dann haben wir viele Probleme nicht und können viele
Punkte aus Ihren Feststellungen herausnehmen.
({0})
Frau Kollegin, sind Sie noch bei der Beantwortung
der Frage?
Ja.
Dann bitte ich den Kollegen Beck, wieder aufzustehen.
({0})
Soll ich sagen, wann ich mit der Beantwortung der
Frage fertig bin?
({0})
Wenn man das aus dem Inhalt nicht erkennen kann,
dann bitte ja.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin, ich traue uns allen selbst zu
dieser Stunde zu, dass das möglich ist. Wenn Sie nichts
dagegen haben, würde ich Herrn Beck durchaus gestatten, sich wieder hinzusetzen.
({0})
Dann werde ich Ihre Redezeit weiterlaufen lassen.
({0})
Gut.
Ich fahre fort. Uns liegen die Fragen am Herzen: Wie
können wir das Ziel einer integrativen Menschenrechtspolitik erreichen? Wie kommen wir zu Dialogen? Denn
damit ist die Möglichkeit verbunden, tatsächlich weiterzukommen. Wie schaffen wir es, dass die Glaubwürdigkeit einer verzahnten Menschenrechtspolitik - nämlich
einer deutschen, einer europäischen und einer internationalen Menschenrechtspolitik - deutlich erkennbar wird?
Zu diesen Fragen gibt es - lesen bildet, lieber Kollege
Beck - ein sehr kluges Papier von Human Rights Watch,
das sich mit der Zentralasienstrategie und speziell mit
den Dialogen mit Usbekistan beschäftigt. Dort wird sehr
klar gesagt, worum es geht:
Erstens. Eine klare Ansage in den Dialogen, was die
Menschenrechtsverletzungen angeht. Das tut die Bundesregierung. Wir werden darauf achten, dass es so
bleibt.
Zweitens. Die Öffentlichkeit in Usbekistan suchen.
Das ist mir deswegen so besonders wichtig, weil in diesem wunderschönen Land mit seiner Jahrtausende alten
Kultur die Bevölkerung, die sehr genau weiß, was sie
möchte, und die sehr freiheitsliebend und menschenrechtsorientiert ist, darauf angewiesen ist, dass wir uns
um diese Belange kümmern.
Drittens. Kontakte mit der Bevölkerung suchen. Damit komme ich zu dem größten Nachteil von beiden Anträgen. Sie zeigen nicht auf, dass wir die Kontakte mit
der Bevölkerung und nicht nur die mit der Regierung suchen müssen. Nur diese Kontakte geben uns die Möglichkeit, das gemeinsame Ziel, nämlich die Verbesserung
der Menschenrechte, zu erreichen.
Wie gesagt, ich gebe es nicht auf, dass wir auch, aber
nicht nur in Bezug auf Usbekistan, hier eine gemeinsame
Linie finden. Lieber Herr Beck, ich sage Ihnen gerne
noch einmal: Sie haben völlig recht. Der Deutsche Bundestag hält die Menschenrechte für die Grundlage jeder
zivilisierten Gesellschaft. Die Politik ist insgesamt darauf ausgerichtet, die Menschenrechtslage zu verbessern.
Das gilt nicht nur, aber auch für Usbekistan.
Danke schön.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe auf
Drucksache 16/1222 zu dem Antrag der Fraktion der
FDP mit dem Titel „Menschenrechte in Usbekistan einfordern“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 16/225 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Tagesordnungspunkt 13 b, Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
auf Drucksache 16/4245 zu dem Antrag der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Menschenrechte in Usbekistan einfordern“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/1975 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition
bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0})
zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel,
Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Illegitime Schulden von Entwicklungsländern
streichen
- Drucksachen 16/3618, 16/4314 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Georg Nüßlein
Hellmut Königshaus
Heike Hänsel
Ute Koczy
Die Rednerinnen Dr. Bärbel Kofler und Heike Hänsel
sowie die Redner Dr. Georg Nüßlein, Hellmut
Königshaus und Thilo Hoppe haben ihre Reden zu Pro-
tokoll gegeben.1)
Wir kommen deshalb zur Beschlussempfehlung des
Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung auf Drucksache 16/4314 zu dem Antrag
der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Illegitime Schul-
den von Entwicklungsländern streichen“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/3618 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU
und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
und Enthaltung der Grünen angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b so-
wie Zusatzpunkt 8 auf:
12 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Verbraucherinformationsgesetz nachbessern
und das Lebensmittel-Kontrollsystem neu ord-
nen
- Drucksachen 16/2656, 16/4575 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ursula Heinen
Hans-Michael Goldmann
Ulrike Höfken
1) Anlage 2
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin
Binder, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Gesine Lötzsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Zweite Chance nutzen - Das Recht auf Verbraucherinformation grundlegend neu gestalten
- Drucksache 16/4544 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten HansMichael Goldmann, Jens Ackermann, Dr. Karl
Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Verbraucherinformationsrechte stärken Neues Verbraucherinformationsgesetz zügig
vorlegen
- Drucksache 16/4447 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({3})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Die Kolleginnen Marlene Mortler, Elvira DrobinskiWeiß, Waltraud Wolff ({4}), Karin Binder und
Ulrike Höfken sowie der Kollege Hans-Michael
Goldmann haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)
Wir kommen deshalb zur Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Drucksache 16/4575 ({5}) zu dem
Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit
dem Titel „Verbraucherinformationsgesetz nachbessern
und das Lebensmittel-Kontrollsystem neu ordnen“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/2656
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, der
CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion
der Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 12 b und Zusatzpunkt 8. Inter-
fraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/4447 zu Zusatzpunkt 8 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Vorlage auf Drucksache 16/4544 zu dem
Tagesordnungspunkt 12 b soll an dieselben Ausschüsse
überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? -
Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf:
17 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({6})
zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel,
1) Anlage 3
Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Nach dem Wiener Gipfel - die Beziehungen
zwischen der EU und Lateinamerika solida-
risch gestalten
- Drucksachen 16/2602, 16/4541 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Hübinger
Dr. Sascha Raabe
Dr. Karl Addicks
Heike Hänsel
Ute Koczy
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({7})
zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel,
Michael Leutert, Dr. Diether Dehm, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der LINKEN
Für einen europäischen zivilen Friedensdienst
- Drucksachen 16/3620, 16/4540 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Georg Nüßlein
Hellmut Königshaus
Heike Hänsel
Ute Koczy
Die Kolleginnen Anette Hübinger und Heike Hänsel
sowie die Kollegen Andreas Weigel, Dr. Sascha Raabe,
Dr. Karl Addicks und Thilo Hoppe haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben.2)
Wir kommen deshalb zur Beschlussempfehlung des
Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung auf Drucksache 16/4541 zu dem Antrag
der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Nach dem Wiener
Gipfel - die Beziehungen zwischen der EU und Latein-
amerika solidarisch gestalten“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 16/2602 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/
Die Grünen, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstim-
men der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 17 b, Beschlussempfehlung des
Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung auf Drucksache 16/4540 zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Für einen europäischen
zivilen Friedensdienst“. Der Ausschuss empfiehlt, den
Antrag auf Drucksache 16/3620 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dage-
gen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der FDP
bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthal-
tung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen ange-
nommen.
2) Anlage 4
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 sowie die Zusatzpunkte 9 und 10 auf:
18 Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid
Nouripour, Silke Stokar von Neuforn, Volker
Beck ({8}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Europäische Datenschutzstandards bei der
Weitergabe von Fluggastdaten ({9}) an die
USA sicherstellen
- Drucksache 16/4445 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({10})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({11}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ernst Burgbacher,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Gisela
Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Konsequenzen ziehen aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 30. Mai 2006
zur Weitergabe europäischer Fluggastdaten
an die Vereinigten Staaten von Amerika
- Drucksachen 16/1876, 16/2962 Berichterstattung:
Abgeordnete Beatrix Philipp
Wolfgang Gunkel
Ernst Burgbacher
Ulla Jelpke
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Stärkung des Daten- und Rechtsschutzes bei
der Weitergabe von Fluggastdaten an die USA
- Drucksache 16/4577 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({12})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Die Redner Wolfgang Gunkel, Ernst Burgbacher, Jan
Korte, Omid Nouripour und Peter Altmaier haben ihre
Reden zu Protokoll gegeben.1)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/4577 - das ist Zusatzpunkt 10 - an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen.
1) Anlage 5
Die Vorlage auf Drucksache 16/4445 - das ist Tagesordnungspunkt 18 - soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen
worden.
Zusatzpunkt 9. Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 16/2962 zu dem Antrag der
Fraktion der FDP mit dem Titel „Konsequenzen ziehen
aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom
30. Mai 2006 zur Weitergabe europäischer Fluggastdaten an die Vereinigten Staaten von Amerika“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/1876
abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen worden.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({13})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Hüseyin-
Kenan Aydin, Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
LINKEN
Keine Hermes-Bürgschaft für das Ilisu-
Staudammprojekt
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Reinhard
Loske, Ute Koczy, Thilo Hoppe, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Keine Hermes-Bürgschaft für den Ilisu-
Staudamm in der Türkei
- Drucksachen 16/2995, 16/2626, 16/3583 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz
Die Kolleginnen Gabriele Groneberg, Gudrun Kopp
und Ute Koczy sowie die Kollegen Bernward Müller,
Rolf Hempelmann und Hüseyin-Kenan Aydin haben ihre
Reden zu Protokoll gegeben.2)
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksa-
che 16/3583. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 der
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2995 mit dem
Titel „Keine Hermes-Bürgschaft für das Ilisu-Stau-
dammprojekt“. Wer stimmt für die Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/
CSU, SPD und FDP bei Gegenstimmen von der Frak-
tion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen angenommen worden.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 16/2626 mit dem Titel „Keine Hermes-
2) Anlage 6
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Bürgschaft für den Ilisu-Staudamm in der Türkei“. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP bei Gegenstimmen von der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen worden.
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für morgen, Freitag, den 9. März 2007, 9 Uhr,
ein.
Ich wünsche den Kolleginnen und Kollegen einen
schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.