Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/8/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich, wünsche Ihnen einen guten Morgen und uns intensive, erfolgreiche Beratungen. ({0}) - Ergänzende Wünsche nimmt das Präsidium gerne entgegen. Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich einige Mitteilungen zu machen. Der Kollege Wolfgang Grotthaus hat gestern seinen 60. Geburtstag gefeiert. Im Namen des ganzen Hauses möchte ich dazu nachträglich herzlich gratulieren und alles Gute wünschen. ({1}) Bevor wir in die Tagesordnung eintreten können, stehen noch Wahlen zu Gremien an. Am 31. Dezember 2006 endete turnusgemäß die Amtszeit der vom Deutschen Bundestag in den Stiftungsrat der Kulturstiftung des Bundes entsandten Kolleginnen und Kollegen. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt für die neue Periode wiederum den Bundestagspräsidenten als ordentliches Mitglied ({2}) sowie die Kollegen Hartmut Koschyk und Wolfgang Börnsen als stellvertretende Mitglieder vor. Wird deren Vorstellung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Für die Fraktion der SPD sollen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse als ordentliches Mitglied und die Kollegin Monika Griefahn als stellvertretendes Mitglied bestellt werden. Die Fraktion der FDP benennt als ordentliches Mitglied den Kollegen Hans-Joachim Otto. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Das scheint so zu sein. Dann sind die Kollegin Griefahn und die genannten Herren gewählt. Die Fraktion der CDU/CSU teilt mit, dass der Kollege Wolfgang Börnsen Nachfolger des Kollegen Bernd Neumann als Vertreter des Deutschen Bundestages im Präsidium der Filmförderungsanstalt werden soll. Sind Sie auch damit einverstanden? - Das sieht so aus. Dann wird der Kollege Wolfgang Börnsen als Mitglied des Präsidiums der Filmförderungsanstalt benannt. Schließlich schlägt die Fraktion der CDU/CSU den Kollegen Michael Stübgen für die Nachfolge des Kollegen Henry Nitzsche als stellvertretendes Mitglied im Parlamentarischen Beirat der „Stiftung für das sorbische Volk“ vor. - Auch gegen diesen Vorschlag erhebt sich offenkundig kein Widerspruch. Dann ist der Kollege Michael Stübgen als stellvertretendes Mitglied in diesen Parlamentarischen Beirat gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu den Antworten der Bundesregierung auf die dringlichen Fragen Nr. 1 und 2 auf Drucksache 16/4537 ({3}) ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Eva Möllring, Ursula Heinen, Rita Pawelski, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Christel Humme, Ingrid Arndt-Brauer, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt stärken - Drucksache 16/4558 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller ({5}), Winfried Nachtwei, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN UN-Resolution 1325 - Frauen, Frieden und Sicherheit Nationaler Aktionsplan zur strategischen Umsetzung - Drucksache 16/4555 Redetext

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Auswärtiger Ausschuss ({0}) Innenausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ZP 4 Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung ({2}) TA-Projekt: Grüne Gentechnik - transgene Pflanzen der 2. und 3. Generation - Drucksache 16/1211 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({4}) a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Schienenlärm ursächlich bekämpfen - Drucksache 16/4562 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({5}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dorothee Bär, Wolfgang Börnsen ({6}), Peter Albach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Jörg Tauss, Martin Dörmann, Christoph Pries, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Weiterentwicklung des Adressraums im Internet - Drucksache 16/4564 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({7}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Grütters, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Den Hochschulpakt erfolgreich umsetzen - Drucksache 16/4563 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({8}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch, Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Gesundheitsschutz durch Schädlingsbekämpfung mit Chemikalien erhalten _ Biozid-Richtlinie bürokratievermeidend überarbeiten - Drucksache 16/4183 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({9}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Airbusrestrukturierung - Kernkompetenzen und Zukunftstechnologien in Deutschland erhalten und ausbauen ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel Höhn, Birgitt Bender, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Rauchverbot im Deutschen Bundestag umsetzen - Drucksache 16/4400 Überweisungsvorschlag: Ältestenrat ({10}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Verbraucherinformationsrechte stärken - Neues Verbraucherinformationsgesetz zügig vorlegen - Drucksache 16/4447 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({11}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({12}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Konsequenzen ziehen aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 30. Mai 2006 zur Weitergabe europäischer Fluggastdaten an die Vereinigten Staaten von Amerika - Drucksachen 16/1876, 16/2962 Berichterstattung: Abgeordnete Beatrix Philipp Wolfgang Gunkel Ernst Burgbacher Ulla Jelpke ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Stärkung des Daten- und Rechtsschutzes bei der Weitergabe von Fluggastdaten an die USA - Drucksache 16/4577 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({13}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Präsident Dr. Norbert Lammert Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 11 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN: Beschäftigungspolitische Verantwortung der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Personalabbau bei deutschen Großunternehmen Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll - soweit erforderlich - abgewichen werden. Die Tagesordnungspunkte 5 b und 15 werden abgesetzt, und der Tagesordnungspunkt 12 wird erst nach dem Tagesordnungspunkt 14 aufgerufen. Zum Tagesordnungspunkt 16 ist eine Aussprache nicht mehr vorgesehen. Er soll zusammen mit den Ohne-Debatte-Punkten aufgerufen werden. Schließlich mache ich auf mehrere nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 76. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({14}) zur Mitberatung überwiesen werden. Gesetzentwurf zur Schaffung deutscher Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen - Drucksachen 16/4026, 16/4036 überwiesen: Finanzausschuss ({15}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Die in der 82. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesenen nachfolgenden Anträge sollen zusätzlich dem Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({16}) zur Mitberatung überwiesen werden. Antrag der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Cornelia Behm, Katrin Göring-Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Wirksame Unterstützung für die Verfolgten des DDR-Regimes - Drucksache 16/4404 überwiesen: Rechtsausschuss ({17}) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Antrag der Abgeordneten Sabine LeutheusserSchnarrenberger, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Gerechtigkeit für die Opfer der SED-Diktatur - Drucksache 16/4409 überwiesen: Rechtsausschuss ({18}) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Ich vermute, dass Sie mit diesen Vereinbarungen ein- verstanden sind. - Das ist offenkundig der Fall. Damit ist das so beschlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c so- wie die Zusatzpunkte 2 und 3 auf: 3 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({19}) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD UN-Resolution 1325 - Frauen, Frieden und Sicherheit - konsequent umsetzen - Drucksachen 16/3501, 16/4499 Berichterstattung: Abgeordnete Ute Granold Burkhardt Müller-Sönksen Michael Leutert Volker Beck ({20}) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({21}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Renate Künast, Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt ver- wirklichen - Innovationshemmnis Männer- dominanz beenden - zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Sibylle Laurischk, Miriam Gruß, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP Frauenpolitik - Gesellschaftlicher Erfolgs- faktor - zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Dr. Lothar Bisky, Diana Golze, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der LINKEN Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes auf dem Arbeitsmarkt durchsetzen - Drucksachen 16/712, 16/832, 16/833, 16/4524 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Eva Möllring Sibylle Laurischk Karin Binder Präsident Dr. Norbert Lammert c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Erster Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Bundesgleichstellungsgesetz ({22}) - Drucksache 16/3776 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({23}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Eva Möllring, Ursula Heinen, Rita Pawelski, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Christel Humme, Ingrid Arndt-Brauer, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt stärken - Drucksache 16/4558 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({24}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller ({25}), Winfried Nachtwei, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN UN-Resolution 1325 - Frauen, Frieden und Sicherheit - Nationaler Aktionsplan zur strategischen Umsetzung - Drucksache 16/4555 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({26}) Innenausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Christel Humme für die SPD-Fraktion. ({27})

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! „Weitergehen! Zwei Schritte vor. Keinen zurück“, rufen uns die Gewerkschaftsfrauen heute, am Internationalen Frauentag, zu. Ich sage: Auch die Große Koalition wird in der Gleichstellungspolitik weitergehen; denn das „Europäische Jahr der Chancengleichheit für alle“ fordert uns geradezu heraus, hier mehr zu tun, und ich verspreche Ihnen: An den Männern und Frauen der SPD-Fraktion wird das nicht scheitern. ({0}) - Gut, das höre ich gerne. Der heutige Internationale Tag der Frau ist seit 96 Jahren der Tag, an dem wir Frauen Bilanz ziehen und für unsere Rechte weiter eintreten und kämpfen. Der Aufruf „Zwei Schritte vor. Keinen zurück“ ist an uns Politikerinnen und Politiker gerichtet und enthält auch ein bisschen die Befürchtung: Bitte, weicht nicht auf, was wir bisher erreicht haben! Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten versprechen: Wir gehen nicht zurück. Was wir seit 1998 erreicht haben, kann sich wirklich sehen lassen: Bundesgleichstellungsgesetz, Rechtsanspruch auf Teilzeit, gleiche Tarife für Männer und Frauen in der Riesterrente, das Gewaltschutzgesetz, eigenständiges Aufenthaltsrecht für ausländische Frauen schon nach zwei Jahren, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und das Elterngeld mit den sogenannten Vätermonaten, um nur einige wesentliche Meilensteine auf diesem Weg zu nennen. ({1}) Hier müssen wir weitergehen, und wir versprechen: An uns Männern und Frauen der SPD-Fraktion wird das mit Sicherheit nicht scheitern. ({2}) - Wunderbar, das höre ich gerne. - Wir halten an diesem gleichstellungspolitischen Kurs fest. ({3}) Wichtig ist uns, dass alle Entscheidungen, die wir hier im Bundestag treffen, darauf überprüft werden, wie sie auf Männer und Frauen wirken. Das ist ein Prinzip, das seit 1999 in allen Ministerien gilt oder - wie ich vorsichtig sage - gelten soll. Es ist ein Prinzip, das wir seit der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 Gender-Mainstreaming nennen. Ich gebe zu, da müssen einige in der Großen Koalition noch ein bisschen üben, damit ihnen der Begriff genauso leicht über die Lippen geht wie Shareholdervalue, E-Commerce, New Economy, Benchmarking usw. „Frauen verdienen mehr!“ haben sozialdemokratische Frauen zu ihrem Motto des Internationalen Frauentags 2007 gemacht. Das ist eine Aufforderung an uns, genau hinzuschauen, wie es mit den Frauen auf dem Arbeitsmarkt steht. Wal-Mart, der größte auch in Deutschland vertretene Einzelhändler der Welt, hat seiChristel Humme nen weiblichen Mitarbeitern in den USA grundsätzlich weniger gezahlt. Frauen wurden bei Beförderungen systematisch benachteiligt. Dagegen können in den USA bis zu 1,6 Millionen Frauen juristisch zu Felde ziehen. Bei uns ist das nicht möglich. Wir haben das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, Gott sei Dank. ({4}) Aber ich gebe zu, ich hätte mir ein Verbandsklagerecht gewünscht, um den Frauen besser zu ihrem Recht zu verhelfen; denn Tatsache ist leider immer noch: In Deutschland verdienen Frauen bei gleicher Tätigkeit in einer Vollzeitstelle bis zu 26 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. In Deutschland sind die Tarifparteien, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, gefordert, für Entgeltgleichheit zu sorgen. Darüber hinaus erwarten wir, dass die jetzt eingerichtete Antidiskriminierungsstelle im Familienministerium das Thema Entgeltgleichheit befördert und die benachteiligten Frauen unterstützt. ({5}) Im Rahmen der Lissabonstrategie haben wir uns verpflichtet, die Frauenerwerbsquote auf 60 Prozent zu erhöhen. Die Tatsache, dass wir 2005 in Deutschland eine Frauenerwerbsquote von 59,6 Prozent hatten, darf uns nicht in Sicherheit wiegen, im Gegenteil. Diese Zahl darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Arbeitsvolumen in Deutschland gesunken ist. Immer mehr Frauen arbeiten Teilzeit oder in geringfügigen Beschäftigungen. Der Niedriglohnsektor ist eindeutig „weiblich“. Das hat für Frauen fatale Folgen: Ihre geringere Entlohnung sowie die unterbrochenen Erwerbsbiografien aufgrund von Kindererziehung schränken die Möglichkeiten der Frauen deutlich ein, eine eigenständige Rente aufzubauen. Außerdem führen die überkommenen Rollenmuster immer noch zu typischen Männer- und Frauenberufen. Wenn die Frauenbeschäftigung tatsächlich einen Zuwachs verzeichnet, dann dort, wo schon vorher viele Frauen tätig waren. Ich bin überzeugt: Diese Rollenzuweisung müssen wir unbedingt auflösen. ({6}) Frau Ministerin, wir haben mit der Debatte über Kinderbetreuung in den letzten Wochen in den männlichen und auch in den weiblichen Köpfen viel bewegt. Das gilt auch für einige Mitglieder des Bundestages. Auch an dieser Stelle müssen wir weitergehen. Denn Gleichstellung kommt nicht von selbst; sie muss hart erkämpft werden. Das zeigen 100 Jahre Frauenbewegung. Frauen in Führungspositionen lassen sich nach wie vor nur mit der Lupe finden. Darum ist es richtig, den Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen für unter Dreijährige voranzutreiben und so schnell wie möglich für einen Rechtsanspruch zu sorgen. ({7}) Die freiwillige Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und der Wirtschaft - auch das ist etwas, was wir uns vorgenommen haben - muss konkrete, überprüfbare Zielvorgaben zur Gleichstellung entwickeln; sonst bewegt sich nichts. Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wir wissen alle: Diese Bundesregierung, getragen von einer Großen Koalition, wird von einer Frau geführt. Sie, Frau Ministerin wie auch Ihre Kanzlerin bzw. die Kanzlerin der Großen Koalition, ({8}) werden sich irgendwann fragen lassen müssen: Was hat die Bundesregierung konkret getan, um die Gleichstellung von Männern und Frauen voranzubringen und Rollenzuweisungen aufzulösen? ({9}) Nach wie vor signalisiert unser Steuerrecht den Frauen: Schatz, bleib du doch zu Hause; eine Arbeit lohnt sich für dich nicht. ({10}) - Frau Lenke, das mit Steuerklasse V ist richtig. - Mit dem Ehegattensplitting und der Wahlmöglichkeit wird der alleinverdienende Ehemann mit bis zu 9 000 Euro jährlich subventioniert. Je kleiner der Einkommensunterschied zwischen Mann und Frau, das heißt, je mehr Frauen dazuverdienen, desto kleiner ist dieser Steuervorteil. Rollen werden durch das Steuerrecht vorgeschrieben. Wo bleibt da die Wahlfreiheit? ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Humme, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Immer an der gleichen Stelle; aber macht nichts. Frau Lenke, bitte schön.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Humme, solange hier im Bundestag politisch nichts geändert wird, solange werden auch meine Fragen kommen. Frau Humme, Sie haben eben gesagt, dass das Ehegattensplitting für Verheiratete einen Vorteil von bis zu 9 000 Euro bringt. Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, dass gerade die SPD Millionären und gutverdienenden Ehepaaren durch die Reichensteuer und das Ehegattensplitting bis zu 15 000 Euro im Jahr schenkt. Sie sagen immer wieder, Sie wollten das Ehegattensplitting deckeln oder abschaffen. Gleichzeitig bewirken Reichensteuer und Ehegattensplitting, dass bestimmten Personen bis zu 15 000 Euro im Jahr geschenkt werden. Können Sie mir diese Dissonanz einmal erklären?

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Lenke. - Diese Zahl kann ich so nicht nachvollziehen. ({0}) Sie haben gehört, wie hoch der Steuervorteil ist. Aber ich sage Ihnen auch: Klar, dieser Steuervorteil ist ungerecht. Er bevorzugt Alleinverdienerehepaare mit einem hohen Einkommen. Das ist keine Frage. Wir haben vorgeschlagen, das Ehegattensplitting zu kappen. Das wäre sozial gerecht, ({1}) und es würde gerade Familien im unteren und mittleren Einkommensbereich helfen. Noch etwas ist mir wichtig: Wenn wir Frauen im globalen Wettbewerb - Stichwort „Wal-Mart“ - schützen wollen, dann brauchen wir einen Mindestlohn; denn ein Mindestlohn bedeutet existenzsichernde Erwerbsarbeit. Er ist eine wichtige Voraussetzung für Armutsbekämpfung und natürlich auch für die Steigerung der Frauenerwerbsquote. An dieser Stelle rufe ich Ihnen zu: Gehen wir gemeinsam weiter, zwei Schritte vor und keinen zurück! Schönen Dank. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Humme, ich erlaube mir eine Anmerkung, gleichzeitig als Anregung für die Debatte. Wenn es uns gelänge, den Begriff Gender-Mainstreaming durch einen Begriff zu ersetzen, der auch der deutschsprachigen Minderheit im Lande sofort verständlich wäre, ({0}) sodass die bei Nennung des Stichworts eine Vorstellung davon hätte, worum es eigentlich geht, könnten wir für den Internationalen Frauentag 2007 einen ersten konkreten nachweisbaren Fortschritt melden. ({1}) Das Wort hat nun die Kollegin Ina Lenke für die FDPFraktion ({2})

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, ich würde gern aufklärerisch tätig werden. Wir haben hier im Bundestag in den letzten 50 Jahren Frauenförderung betrieben. Wir haben Frauen in allen Lebenslagen gefördert. Was mit dem Begriff Gender-Mainstreaming gemeint ist, ist etwas ganz anderes und viel Besseres; das betrifft nämlich auch die Männer. ({0}) Wir wollen auch die Männerdiskriminierung abschaffen. ({1}) Zum Beispiel sollen Männer von Arbeitgebern nicht mehr gedrängt werden können, ganztags berufstätig zu sein; vielmehr sollen die Arbeitgeber Verständnis dafür haben, dass Väter bei ihren Kindern sein wollen. Wir wollen also die Diskriminierung von Männern abschaffen. Wir wollen, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Wenn Sie dazu „Männerförderung“ sagen würden, wäre mir das genauso recht. Meine Damen und Herren, am Internationalen Frauentag ist es gute Tradition im Bundestag, über die Gleichstellung von Männern und Frauen und natürlich auch über Fortschritte zu diskutieren, die in unserem Land zu verzeichnen sind. Das Europäische Jahr der Chancengleichheit lenkt den Blick auf unsere Nachbarstaaten und den Fokus auf die Situation von Frauen in unserer Gesellschaft. Wir mögen gute Wirtschaftsdaten vorweisen, gute Unternehmen, die auf dem europäischen Markt und auf dem Weltmarkt erfolgreich sind; aber in der Arbeitswelt in Deutschland kommt die Teilhabe von Frauen auf dem Arbeitsmarkt nur schleppend voran. Die Frauenerwerbsquote bleibt niedrig, wie Frau Humme schon sagte, ebenso wie die - zu niedrige - Erwerbsquote älterer Menschen. Frauen sind in Chefetagen deutscher Unternehmen mit 15 Prozent nach wie vor unterrepräsentiert. Das korrespondiert mit der schlechten Kinderbetreuung der unter Dreijährigen und, meine Damen und Herren von der Großen Koalition, der schlechten Betreuung der über Sechsjährigen. ({2}) Jeder, der einmal sechs Wochen Ferienbetreuung im Sommer abdecken musste, weiß, dass das mit den Urlaubszeiten eines normalen Arbeitnehmers überhaupt nicht möglich ist. ({3}) Frau von der Leyen, ich bitte Sie, dann, wenn Sie die jetzige Schlacht geschlagen haben, gleich das Problem der fehlenden Betreuung der Grundschulkinder anzupacken und zusammen mit den Ländern und Kommunen Konzepte zu entwickeln; denn für alle alleinerziehenden und berufstätigen Eltern ist das wirklich ein Megaproblem. Die vorliegenden Anträge aller Fraktionen zeigen den immer noch vorhandenen großen Handlungsbedarf in der Gleichstellungspolitik. Besonders am Internationalen Frauentag lohnt sich ein Blick ins Grundgesetz, ({4}) und zwar auf Art. 3, in dem der Staat die Selbstverpflichtung eingeht, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern, Herr Präsident, zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Das gilt auch - so sage ich das als Liberale - für Männer. Das setzt allerdings auch einen gesellschaftlichen Wandel im weiblichen und männlichen Rollenverständnis voraus, der sich bisher weder in der Wirtschaft noch im privaten Bereich noch hier im Deutschen Bundestag widerspiegelt. Die Wertschätzung der besonderen Talente von Frauen, verbunden mit mehr Freiheit, das persönliche Leben zu gestalten, ist der Schlüssel zu einer liberalen Bürgergesellschaft. ({5}) Meine Damen und Herren, gestern haben wir in einer Aktuellen Stunde im Bundestag das größte Hemmnis für die Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt diskutiert: die fehlende Betreuung der Kinder. Nach dem Auslaufen des Elterngeldes - das ist meine Kritik an der Großen Koalition - werden die Betroffenen in einer Betreuungsfalle landen. Kurios bei dieser Diskussion finde ich allerdings, dass sich alle, auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund, mit Zahlen zum Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen geradezu überbieten: 500 000, 750 000. Meine Herren und meine Damen, junge Familien berauschen sich nicht an Zahlen, sondern an einem Krippenplatz für ihr Kind, und zwar jetzt und nicht erst 2010 oder 2013. ({6}) Deshalb gehören mehr Wettbewerb und mehr Privatisierungen auf den Kinderbetreuungsmarkt. ({7}) Im Zusammenhang mit der Berufsausbildung junger Mütter fehlen noch viele Rahmenbedingungen: Teilzeitumschulung, Unterstützung von Studentinnen mit Kindern durch ein „Baby-BAföG“, ein modulares Ausbildungssystem, bessere Berufsberatung und Information, aber - das sage ich ganz deutlich in Richtung der jungen Frauen - natürlich brauchen die Frauen selbst auch Mut, und sie müssen Eigeninitiative aufbringen. ({8}) Auch im öffentlichen Dienst, der aufgrund der Arbeitsplatzsicherheit eigentlich beste Rahmenbedingungen für die Karriere von Frauen bereithält - der Erste Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Bundesgleichstellungsgesetz, der heute mitberaten wird, liegt endlich vor -, sind die Ergebnisse bescheiden: In den Dienststellen der Bundesverwaltung liegt der Frauenanteil bei 45 Prozent. Bei der Teilzeit liegt der Frauenanteil - Frau Humme, Sie haben das gelesen - bei 91 Prozent. Sogar im öffentlichen Dienst ist das Einkommen von Frauen um 20 Prozent niedriger als das der Männer. Mit der im Gesetz verankerten Quotenregelung ist natürlich auch kein Staat zu machen. Wir müssen lesen: Die einzelfallbezogene Quote hat bisher keine signifikante praktische Bedeutung erlangt. Die FDP-Bundestagsfraktion fordert die Bundesregierung dazu auf, erfolgreichere Initiativen und Fahrpläne zu entwickeln, damit der nächste Erfahrungsbericht zum Bundesgleichstellungsgesetz - 2009 - bessere Ergebnisse vorweist. Ich komme zum Schluss. Alle Arbeitsmarktdaten zeigen, dass Frauen, ob in der Wirtschaft oder im öffentlichen Dienst, von einer echten Teilhabe und Chancengleichheit noch meilenweit entfernt sind. ({9}) Das muss für uns Politikerinnen und Politiker Ansporn sein, mit intelligenten und kreativen Lösungen und Initiativen von hier aus für eine echte Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu sorgen. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen. ({0})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der aktuellen Debatte lesen wir viele Überschriften. Sie reichen von „Die gescheiterte Emanzipation“ bis zu „Der neue konservative Feminismus“. Das Thema bewegt, und das ist gut so. Es hilft aber auch, auf die nüchternen Zahlen zu schauen, beispielsweise auf die Zahl der Frauen in Führungspositionen: Dort sind Frauen viel zu selten zu finden. Schauen wir auf die Einkommensunterschiede, die eben schon angesprochen worden sind - für gleiche Arbeit ungleicher Lohn -, oder auf die Lage der Frauen im Alter: Ein Drittel der Männer über 65 bezieht Sozialhilfe, aber zwei Drittel der Frauen. Diese Zahlen dürfen uns nicht unbeschäftigt lassen. Es gibt aber genauso aussagekräftige Zahlen für den Erfolg der Frauenbewegung: Frauen haben die Bildung erobert. 1970 waren 23 Prozent der Studierenden an Hochschulen oder Universitäten Frauen, heute sind es mehr als die Hälfte. Mädchen lernen erfolgreich. Sie profitieren von Schule. Sie investieren in ihre Ausbildung und wollen sie beruflich nutzen. Der Anteil von Frauen in den Landes- und Bundesparlamenten ist seit 1980 sprunghaft gestiegen. Heute haben wir mit Angela Merkel die erste Bundeskanzlerin unseres Landes. Darauf sind wir stolz. Das ist auch ein Erfolg der Frauen. ({0}) In diesen Zahlen und Tatsachen liegt aber auch die große Herausforderung unserer Zeit. Im Grundgesetz steht: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Aus gutem Grund, aber erst Jahre später, ist dies durch den Satz ergänzt worden: Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Mit anderen Worten: Zwischen dem Anspruch des Grundgesetzes und der Wirklichkeit klafft immer noch eine breite Lücke. Deshalb stehen für mich drei Kernanliegen im Mittelpunkt einer modernen Gleichstellungspolitik: Erste Säule. Gleiche Teilhabe von Frauen und Männern am Erwerbsleben. ({1}) Es kann nicht so bleiben, dass Frauen zwar bis zum 30. Lebensjahr im gleichen Maße wie Männer in Führungspositionen sind, danach aber erbarmungslos an die gläserne Decke stoßen. Das Verhältnis verschiebt sich dann so, dass mehr als drei Viertel aller Führungspositionen von Männern besetzt sind. Dies kann nicht so bleiben. Wir brauchen diese talentierten Frauen ebenso wie die talentierten Männer, und zwar mit gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt. ({2}) Wir müssen auch vor unserer eigenen Haustür kehren; das sage ich hier ganz deutlich. Nicht nur in der Wirtschaft und in der Wissenschaft sind Frauen trotz gleicher Qualifikationen in den Führungspositionen weiter erheblich unterrepräsentiert, sondern auch in der öffentlichen Verwaltung. Das zeigt der von der Bundesregierung am 7. Dezember 2006 vorgelegte Erfahrungsbericht zum Bundesgleichstellungsgesetz. Der Anteil der Frauen an den Referatsleitungen in den obersten Bundesbehörden ist von 2000 bis 2005 von 13,5 auf 20 Prozent gestiegen. Aber das reicht nicht. Auch der Anteil der Abteilungsleiterinnen stieg 2006 auf nur 15 Prozent nach rund 9 Prozent im Jahr 2000. ({3}) - Ich höre gerade von der Seite: Schneller als bisher. Das ist richtig. Dennoch müssen wir uns selber sagen: Wir kommen voran, aber es liegt noch eine erhebliche Wegstrecke vor uns. Das dürfen wir nicht vergessen. Wir wollen zügig weitermarschieren. ({4}) Deshalb will ich positiv sagen: Die Große Koalition hat wieder eine Bastion gestürmt. Endlich sind 2006 im Auswärtigen Amt und im Bundesinnenministerium erstmals Frauen zu Abteilungsleiterinnen ernannt worden. ({5}) Auch die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit ist ein ausdrückliches Ziel des Bundesgleichstellungsgesetzes. Die eben erwähnte gläserne Decke für Frauen ist auch deshalb so schwer zu durchdringen, weil viele Mütter und immer mehr engagierte Väter nicht bereit sind, die Familie für den Beruf oder den Beruf für die Familie zu opfern. Recht haben sie. Wir brauchen beides! ({6}) Deshalb ist für mich die zweite Säule moderner Gleichstellungspolitik die Erweiterung der Rollen. Wir brauchen keine Rollenklischees mehr. Das sage ich ganz ausdrücklich. Gleichstellung ist keine Einbahnstraße. So, wie für Frauen gilt, dass sie zu Recht um die Erweiterung ihrer Rolle kämpfen, gilt das genauso für Männer. Männer sind nicht nur Menschen, die im Beruf stehen. Männer haben ein Recht darauf, aktive Väter zu sein, ({7}) und auch ihre Fragen nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie gehören in den Mittelpunkt. Dies sage ich auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels. Wenn immer weniger junge Menschen immer mehr älteren Menschen gegenüberstehen, dann stellt sich die Frage, mit der die European Women’s Lobby zum Internationalen Frauentag 2007 antritt - der Herr Bundestagspräsident möge mir verzeihen, dass ich die Frage im Wortlaut stelle -: „Who cares?“ Das Spannende an „Who cares?“ ist, dass man die Frage im deutschen Kontext, Herr Bundestagspräsident, im doppelten Sinne des Wortes auslegen kann. Man kann mit einem Schulterzucken sagen: Wen kümmerts? Man kann sie aber auch übersetzen mit „Wer kümmert sich?“ um Kindererziehung, um hilfsbedürftige Menschen, um Pflege und Begleitung älterer Angehöriger. Wie wir „Who cares?“ auslegen werden, ob wir die Frage mit einem humanen Akzent auslegen, hängt auch damit zusammen, ob Fürsorge nur eine weibliche Rolle bleibt, das heißt eine Rolle der Töchter, oder auch eine akzeptierte, engagierte männliche Rolle, eine Rolle der Söhne, wird. ({8}) Die dritte Säule unserer Gleichstellungspolitik - das ist ebenfalls eine wichtige Säule - bezieht sich auf die Unterstützung von Frauen, die Gewalt erfahren. Das beginnt bei dem Thema häusliche Gewalt. Dabei sind wir einen großen Schritt vorangekommen. Ich merke dies gerade im internationalen Kontext, wenn ich das sagen darf; denn mit der Einführung des Paradigmas „Wer schlägt, muss gehen“ im Rahmen des Gewaltschutzgesetzes wurde Enormes in diesem Land bewegt. Dennoch gibt es nach wie vor häusliche Gewalt. Der Bogen beim Thema „Schutz vor Gewalt“ spannt sich dann weiter bis hin zu Zwangsverheiratung oder Zwangsprostitution. Das heißt, eine ganz grundlegende Anforderung an Gleichberechtigung ist die Garantie, leben zu können ohne Angst vor Bedrohung und ohne Angst vor Gewalt. Deshalb ist Gewaltschutzpolitik auch im 21. Jahrhundert wesentlicher Bestandteil von Gleichstellungspolitik. ({9}) Ich werde Ihnen dazu noch in diesem Jahr den neuen Aktionsplan gegen Gewalt vorlegen, der in den nächsten Wochen zwischen meinem Haus und den anderen Ressorts abgestimmt wird. Meine Damen und Herren, Rollen erweitern, Perspektiven gewinnen, Gleichstellung verwirklichen - das ist das Motto meines Ministeriums zu seinem 20. Geburtstag. Wir haben in den letzten Jahren viel erreicht, aber mindestens ebenso viel liegt noch vor uns. Ich freue mich auf die gemeinsame Arbeit. Vielen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Binder, Fraktion Die Linke. ({0})

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Balkonen! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist nun ein Jahr her, dass wir von der Linken und die anderen Oppositionsparteien Anträge zur Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt eingebracht haben. Heute, genau ein Jahr später, liegen nun dieselben Anträge zur abschließenden Beratung wieder auf dem Tisch. Ist das nicht oberpeinlich? ({0}) In diesem Jahr hat sich bzw. haben wir an der Situation der Frauen in Deutschland nichts wesentlich geändert. Es gibt zum Beispiel noch immer kein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz; stattdessen müssen wir uns mit einer Lightversion namens Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz abfinden. Wir haben noch immer kein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft, obwohl einige meiner Vorrednerinnen, auch die Ministerin, genügend Gründe dafür in ihren Redebeiträgen geliefert haben. Frauen bekommen immer noch nachweislich um 20 Prozent niedrigere Gehälter als ihre männlichen Kollegen in Deutschland. Bei Arbeiterinnen sieht es noch verheerender aus: Sie haben laut Bericht des Statistischen Bundesamtes von 2006 im Schnitt 26 Prozent weniger. Sie bekommen auch eine wesentlich niedrigere Rente als ihre männlichen Kollegen. Im Jahr 2004 bezogen Männer in Deutschland im Durchschnitt eine Versichertenrente in Höhe von 1 000 Euro. Ihre Kolleginnen dagegen erhielten gerade einmal im Schnitt zwischen 382 und 712 Euro. Die Bandbreite der Zahlen entsteht durch die Unterschiede zwischen Arbeiterinnen und Angestellten wie auch durch das Ost-West-Gefälle. Mehr Informationen können Sie ebenfalls dem Bericht des Statistischen Bundesamtes entnehmen. - Das bedeutet für viele Frauen schon heute Altersarmut. Daran wird auch das Familiensplitting nichts ändern, Frau Humme; denn damit werden ebenfalls wieder die Besserverdienenden bedient. Dann kommt noch die Rente mit 67. Von den derzeit nicht einmal 700 Euro gibt es dann auch noch Abzüge dafür, dass frau mit 65 in Rente gehen möchte. Aber dummerweise war sie eben keine 45 Jahre sozialversichert beschäftigt. Pech! Die SPD jedenfalls weicht keinen Schritt zurück. Ist es nicht so, Frau Humme? Vor diesem Hintergrund soll also morgen die Rente mit 67 beschlossen werden. Ich halte dies für einen verfassungsrechtlich bedenklichen Vorgang. ({1}) Nach Meinung zahlreicher Experten, auch in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, führt dies zu einer weiteren Benachteiligung von Frauen, vor allem durch die 45er-Regelung. Auch deshalb werden wir von der Linken dieses Gesetz ablehnen. ({2}) Eine Ursache für diese Problematik liegt in den unterbrochenen Erwerbsbiografien vieler Frauen. Daran wird sich wahrscheinlich auch in absehbarer Zeit nicht wirklich etwas ändern, trotz der Bemühungen, die Frau von der Leyen in Sachen Kinderbetreuung derzeit an den Tag legt. Die Realitäten in Deutschland sehen nämlich so aus: insbesondere im Südwesten fehlende Kinderbetreuungsplätze, bundesweit fehlende Ausbildungsplätze, hohe Arbeitslosigkeit, sinkende Reallöhne und eine wachsende Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Dies alles trifft Frauen in besonderem Maße. Zwar mag die Beschäftigungsquote von Frauen inzwischen gestiegen sein; aber immer mehr Frauen arbeiten heute in nicht versicherten, prekären Beschäftigungsverhältnissen. Das bedeutet: keine Vorsorge, keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld oder gar Rente; noch mehr Altersarmut ist vorprogrammiert. Dazu kommt, dass knapp 21 Prozent aller abhängig Beschäftigten in Deutschland im Niedriglohnbereich arbeiten, sagt das IAT in Nordrhein-Westfalen. Weit über die Hälfte davon sind Frauen. Bestimmt erstaunt niemanden, dass insbesondere Jüngere, Geringqualifizierte und Migrantinnen betroffen sind. Zwei Drittel der Vollzeitbeschäftigten mit Niedriglöhnen sind weiblich. Dass Teilzeitbeschäftigte und Minijobberinnen überdurchschnittlich von diesen niedrigen Stundenlöhnen betroffen sind, wundert sicher ebenfalls niemanden. Es mag zynisch erscheinen, aber der Niedriglohnsektor ist eine Frauendomäne. Das liegt auch an dem hohen Beschäftigungsanteil der Frauen in Dienstleistungsberufen. Dort sind die Niedriglöhne besonders verbreitet. Betroffen sind vor allem Berufe, die überwiegend von Frauen ausgeübt werden. 98 Arzthelferinnen zum Beispiel steht ein Arzthelfer gegenüber; bei Friseurinnen ist das Verhältnis vier zu eins. Eine ausgelernte Friseurin in Sachsen bekommt gerade einmal skandalöse 3,82 Euro. Aber es gibt noch schlimmere Beispiele. Ein gesetzlicher Mindestlohn von 8 Euro, wie wir ihn fordern, käme all denen zugute, deren derzeitige Tariflöhne viel zu niedrig sind, um von ihrer eigenen Arbeit leben zu können. ({3}) Ein existenzsichernder gesetzlicher Mindestlohn würde auch den Frauen in vielen Berufsgruppen helfen, die bisher ohne tarifliche Absicherung arbeiten müssen. Dies trifft vor allem die inzwischen zahlreichen, meist weiblichen Beschäftigten in Teilzeit- und Minijobs; ich erwähnte es bereits. Wer in einem Minijob arbeitet, tut dies häufig unterhalb von tariflichen Konditionen und überwiegend zu einem Niedriglohn. Am Thema Niedriglohn zeigt sich: Die frauenpolitische Forderung nach gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit, die Frauen wie Männern gleichermaßen ein existenzsicherndes Einkommen garantieren soll, ist immer noch aktuell. ({4}) Das Erreichen eines flächendeckenden einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns ist deshalb nur ein Schritt von vielen, aber immerhin ein Schritt. Aus diesem Grund ist unsere Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn auch eine gleichstellungspolitische Forderung, eine Forderung nach mehr Geschlechtergerechtigkeit. Ich danke Ihnen. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes - ({0}) - Entschuldigung! ({1}) Ich bin mir nicht ganz sicher, ob in den Reaktionen die Empörung oder die Erleichterung überwiegt; ({2}) aber ich will Ihnen doch wenigstens zur Rechtfertigung des Missverständnisses ({3}) die Rednerliste zeigen. ({4}) Ich merke mir jedenfalls für die Zukunft, durch welche Art von irreführenden Hinweisen Bewegung in die Debatten zu bringen ist. Frau Kollegin Schewe-Gerigk, nun haben Sie das Wort und hoffentlich die nötige Aufmerksamkeit für die Behandlung des Themas.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, nach diesem Vorwort ganz sicherlich. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Verehrte Frau Ministerin, ich freue mich sehr, dass Sie heute an dieser Debatte teilnehmen. Ich habe mich auch sehr darüber gefreut, dass Sie die Erfolge der rot-grünen Frauenpolitik hier ausdrücklich gewürdigt haben: die höhere Beteiligung in Führungspositionen in den Ministerien, das Gewaltschutzgesetz. Das war wirklich sehr schön. ({0}) Aber jetzt muss ich mit den Freundlichkeiten leider aufhören. Ich habe während Ihrer Rede darauf gewartet, dass Sie sagen, was Sie nun tun wollen und was Sie vorschlagen. Die Große Koalition ist angetreten, große Probleme zu lösen. Sie liegen in der Tat vor der eigenen Tür. Das gilt nicht nur für den Klimaschutz und die soziale Sicherung, sondern gerade auch für den Bereich der Gleichstellungspolitik. Kürzlich gaben 86 Prozent der Frauen in einer Emnid-Umfrage an, die Gleichberechtigung sei nicht erreicht. Passend zum 20. Jubiläum des Frauenministeriums sagt das nun auch erstmalig nach eineinhalb Regierungsjahren die Kanzlerin. Da kann ich nur sagen: Gratulation! Denn in ihren ersten 100 Reden als Regierungschefin hat die Kanzlerin das Wort Gleichberechtigung peinlich vermieden. Peinlich war das offensichtlich den Abgeordneten von CDU/CSU und SPD. Den Vorwurf, dass sie zu diesem Thema nichts zu sagen hätten, wollten sie nicht auf sich sitzen lassen. Auf den Tag genau ein Jahr ist vergangen seit der Einbringung unseres grünen Antrages zur Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt. Heute legen auch Sie einen Antrag vor. Auf fast neun Seiten beschreiben Sie detailliert die Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Studien zusammenzufassen, ist nicht die vornehmste Aufgabe der Politik. Ich frage mich, wo da Ihr politischer Part bleibt. ({1}) Ich zitiere einmal aus Ihrem Antrag. Sie wollen ermutigen, Sie wollen prüfen, Sie wollen hinwirken, Sie wollen werben. Meine Tochter würde das so beschreiben: „Hallo! Haben die eigentlich erkannt, dass sie in der Regierung sind?“ ({2}) Sie sollen umsetzen, Sie sollen verpflichten, Sie sollen erlassen. Das ist Ihre Aufgabe. Das würde den Frauen in diesem Land weiterhelfen. Nehmen wir das Beispiel Privatwirtschaft. In Ihrem Antrag steht, dass Sie die Wirtschaft zu Aktivitäten ermuntern wollen. Was heißt das eigentlich? Ist das eine brillante Formulierung dafür, dass Sie weiterhin nichts tun wollen und trotzdem hoffen, dass sich in der Privatwirtschaft endlich etwas bewegt? Ich finde, das ist nicht nur frauen-, sondern auch wirtschaftsfeindlich; denn die Männerdominanz in der Wirtschaft hat sich in Deutschland wahrlich als Innovationshemmnis erwiesen. ({3}) Schauen wir uns den Bericht zum Bundesgleichstellungsgesetz an; er zeigt in die richtige Richtung. Der steigende Anteil von Frauen auch in höheren Positionen ist Ergebnis des Gesetzes. Genau so könnte es sich mit gesetzlichen Regelungen in der Privatwirtschaft entwickeln. Damit könnte Deutschland endlich den Anschluss an die Volkswirtschaften erreichen, die durch eine höhere Frauenerwerbstätigkeit deutlich innovativer sind als andere. Wir brauchen aber auch Anreize. Ich nenne als Beispiel die bevorzugte Vergabe öffentlicher Aufträge an Firmen, die sich für Chancengleichheit einsetzen. Kommen Sie mir bitte nicht wieder damit, das gehe nicht, das könne man gesetzlich nicht regeln. Eine europäische Richtlinie eröffnet diesen Spielraum. Ohne den Rückenwind aus Europa sähe es bei uns geschlechterpolitisch ziemlich finster aus. ({4}) Immerhin: In der Familienpolitik gibt es dank Ihrer Anstrengungen, Frau Ministerin von der Leyen, Bewegung, wenn auch mancher CDUler so tut, als würde die Zwangseinweisung der Säuglinge aus dem Kreißsaal direkt in die Kinderkrippe bevorstehen. Aber in der Frauenpolitik halten Sie, verehrte Frau Ministerin, einen Dornröschenschlaf. Sie schweigen, wenn Ihr Kollege Müntefering eine neue abschlagfreie Rente plant, die Frauen offensichtlich diskriminiert. Sie tun nichts für die Frauen, die trotz aller Qualifikation an die gläserne Decke stoßen. Sie berichten zwar darüber, aber Sie unternehmen nichts. Sie tun nichts für die Frauen, die trotz Vollzeitarbeit ihre eigene Existenz kaum sichern können. Sie tun überhaupt nichts für die, die Schutz vor Zwangsverheiratung benötigen. In eineinhalb Jahren hat es hier von Ihnen keine Vorschläge gegeben. Wir haben jede Menge Anträge eingebracht, die aber alle abgelehnt wurden. Eigene Initiativen der Regierungsfraktionen? Fehlanzeige. Lösung großer Problem? - Fehlanzeige. Ich möchte heute einen Punkt unseres Antrages in den Mittelpunkt stellen. Das ist die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern. Wir gehören zu den wenigen Ländern in der EU, in denen sich die Schere zwischen Männer- und Frauenlöhnen nicht etwa schließt, sondern noch weiter öffnet, und das, obwohl uns doch dieses Jahr ein Jubiläum ins Haus steht. Vor 50 Jahren wurden die Römischen Verträge mit dem Grundsatz der Lohngleichheit unterzeichnet. Das geschah damals nicht aus Gründen der Gerechtigkeit, sondern weil die französische Regierung Lohndumping durch die berüchtigten Leichtlohngruppen für Frauen in Deutschland fürchtete. Diese haben wir nun endlich abgeschafft. Aber nach 50 Jahren beträgt die Differenz laut EU-Kommissar Spidla, wie er gestern vorgetragen hat, immer noch 22 Prozent. Das ist wahrlich kein Ruhmesblatt. Interessanterweise sind die Gehaltsunterschiede umso größer, je höher die Position ist - und das angesichts dessen, dass wir beim Anteil an weiblichen Führungskräften sehr weit hinten liegen. Es gibt in Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten nur 4 Prozent weibliche Führungskräfte; das heißt, 96 Prozent aller Führungskräfte sind männlich. Meine Herren, sind diese alle so viel besser qualifiziert? Das scheint mir sehr unwahrscheinlich zu sein. Von den DAX-notierten Unternehmen ganz zu schweigen: Hier gibt es im Vorstand eine 100-prozentige Männerquote. Da waren wir schon einmal weiter. Es gab nämlich einmal eine Frau im Vorstand; aber inzwischen ist sie nicht mehr da. Die Bundeskanzlerin hat das gestern einen Skandal genannt und bestätigt, dass wir von einer Gleichberechtigung weit entfernt sind. Ich sage nur: Schön, dass das jetzt auch bei ihr angekommen ist; sie war ja auch einmal Frauenministerin. ({5}) Diesen Erkenntnisgewinn sollte sie in politisches Handeln umsetzen. Wie wäre es denn zum Beispiel mit einer Initiative für mehr Lohngerechtigkeit innerhalb der EU? Die Ratspräsidentschaft, die Deutschland gerade übernommen hat, bietet sich für eine solche Initiative geradezu an. ({6}) Die schlechtere Bezahlung von Frauen, obwohl sie oft genug besser qualifiziert sind als ihre männlichen Kollegen, ist ein großes Problem. Dessen Lösung stünde der ersten Kanzlerin Deutschlands gut zu Gesicht. Also, tun Sie endlich etwas! Vielen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, beginnt die zweite Runde der vereinbarten Debatte zur Frauenpolitik. Sie wird durch die Kollegin Elke Ferner von der SPD-Fraktion eröffnet. ({0})

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! 96 Jahre nach dem ersten Internationalen Frauentag und mehr als zwei Jahrzehnte nach Beginn der neuen Frauenbewegung ist zwar vieles in Bewegung gekommen. Vieles hat sich wirklich verbessert; Frau Humme und andere haben eben darauf hingewiesen. Insbesondere die Rechtsposition der Frauen hat sich verbessert. Aber es ist auch richtig: Vieles muss noch bewegt werden. ({0}) Auch im 21. Jahrhundert kann frau sich manchmal nicht des Eindrucks erwehren, dass es auch eine Bewegung gibt, die in eine andere Richtung, in eine falsche Richtung, geht. Dass beispielsweise eine erfolgreiche Journalistin wie Frau Herman die Frauen, die in ihrer überwiegenden Mehrheit nicht nur erfolgreich im Beruf, sondern auch Mutter sein wollen, an den öffentlichen Pranger stellt, geht für meine Begriffe wirklich in die falsche Richtung. ({1}) Ob das Motiv nun der inneren Überzeugung entspricht oder ob es nur eine plumpe Vermarktungsstrategie für ein neu erschienenes Buch ist, lasse ich einfach einmal dahingestellt. Auch dass beispielsweise die stellvertretende Landesvorsitzende der sogenannten Linkspartei im Saarland Christa Müller, die Ehefrau des Fraktionsvorsitzenden von der Linken, einem erzkonservativen Bischof mit pseudowissenschaftlichen Erkenntnissen hilfreich zur Seite springt, geht in die falsche Richtung. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Verehrte Frau Ferner, darf ich Sie fragen, ob Sie zur Kenntnis nehmen möchten, dass die Position der Ehegattin des Vorsitzenden nicht die Position der Fraktion Die Linke und auch nicht die der Partei ist und dass es vor allen Dingen einem entwickelten frauenpolitischen Verständnis entspricht, eine eheliche Beziehung nicht mit einer geistigen und politischen Übereinstimmung gleichzusetzen? Eine Ehe einzugehen, bedeutet nicht, dass Meinungsgleichheit bestehen muss. Auch Meinungsdifferenz in Ehen wissen wir Frauen sehr zu schätzen. Das trifft in diesem Fall zu. Möchten Sie das bitte zur Kenntnis nehmen? ({0})

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich nehme gerne zur Kenntnis, dass Ihre Parteikollegin Christa Müller zu Beginn dieser Woche in einer Zeitung mit vier großen Buchstaben erklärt hat, dass sie für die WASG und die Linkspartei im Saarland spricht, wenn sie beispielsweise ein Erziehungsgehalt fordert, was von einigen aus Ihrer Partei zu Recht als Herdprämie für Frauen kritisiert wird. Ich gebe Ihnen recht, dass es, wenn man miteinander verheiratet ist, natürlich auch weiterhin möglich sein muss, unterschiedliche politische Auffassungen zu vertreten. ({0}) Ich vermisse allerdings eine öffentliche Aussage Ihres Fraktionsvorsitzenden zum Thema Gleichstellungspolitik, zum Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“. ({1}) Als Mitglied der saarländischen SPD und langjährige Vorsitzende der saarländischen Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, und zwar zu der Zeit, als Ihr Fraktionsvorsitzender Landesvorsitzender der SPD und saarländischer Ministerpräsident gewesen ist, kann ich Ihnen sagen, dass er nun gerade nicht derjenige gewesen ist, der an der Spitze der Frauenbewegung gestanden hat, sondern eher zum Jagen getragen werden musste. ({2}) Dass sich ausgerechnet einige Frauen, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen und sich nicht damit herumplagen müssen, wie sie ihr Einkommen und den Lebensunterhalt ihrer Kinder sichern, jetzt gegen die Frauen wenden, die das - ob freiwillig oder unfreiwillig - jeden Tag tun, geht ein gutes Stück zu weit. Ich kann für beide, sowohl für Christa Müller als auch für Frau Herman, nur hoffen, dass die Väter ihrer Kinder zur Stelle sind, um die Kinder zu betreuen, wenn sie selbst durch die Talkshows tingeln, damit die Kinder nicht einen dauerhaften Schaden nehmen. ({3}) Christa Müller hat zu Beginn dieser Woche auch gesagt: Feministinnen fordern nur Sachen, die ihnen gefallen. - Ich muss sagen, diese Frau hat entweder die Frauenbewegung der 70er-, 80er- und 90er-Jahre nicht wahrgenommen oder versucht wieder, eine dicke Schlagzeile zu ergattern. Die Frauenbewegung in Deutschland wollte nie einen bloßen Rollentausch, eine Diskriminierung mit umgekehrten Vorzeichen, nie. Wir haben immer gesagt, wir wollen, dass Frauen das bekommen, was ihnen zusteht - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Hälfte der Führungspositionen in Staat, Wissenschaft und Wirtschaft, die Hälfte der Verantwortung für die Familie, die Hälfte der Kindererziehung, die Hälfte der Hausarbeit und die Hälfte des Ehrenamtes werden die Frauen freiwillig und mit Vergnügen den Männern überlassen; sie wollen nur endlich die Hälfte bekommen, die sie bisher nicht haben. ({4}) Ich begrüße sehr, dass die Bundeskanzlerin zu Beginn dieser Woche gesagt hat, es sei ein Skandal, dass in den deutschen DAX-Unternehmen keine einzige Frau im Vorstand ist. Ich füge hinzu: Wenn es nicht die Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenvertretungen in den Aufsichtsräten gäbe, dann sähe es in den Aufsichtsräten noch düsterer aus, als es ohnehin der Fall ist. - Ich sage aber auch: Den Zustand nur zu beklagen, ohne Maßnahmen zu ergreifen, damit sich daran etwas ändert, reicht nicht aus. Wir wären gut beraten, insbesondere weil wir die Ergebnisse der zweiten Bilanz kennen, Frau MinisteElke Ferner rin, und weil wir wissen, dass es dort im Schneckentempo vorangegangen ist - das zeigt auch, dass das Bundesgleichstellungsgesetz zwar nicht so schnell gewirkt hat, ({5}) wie wir es eigentlich gern wollten, aber deutlich schneller gewirkt hat als das, was in der Privatwirtschaft mit der freiwilligen Vereinbarung gemacht worden ist -, ({6}) verbindliche Zielvorgaben für die Privatwirtschaft zu machen. Ohne diese Zielvorgaben wird nicht nur diese Frauengeneration, sondern werden auch die nächsten Frauengenerationen unter der gläsernen Decke hängen bleiben. ({7}) Es ist richtig - das ist eben schon gesagt worden -: Die Wirtschaft erweist sich einen Bärendienst, wenn sie die bestausgebildete Frauengeneration nicht in den beruflichen Aufstieg einbezieht, Frauen den Berufszugang erschwert und sie zum Teil an betrieblicher Qualifizierung nicht beteiligt. Ich hoffe, dass die Arbeitgeberseite und die Wirtschaft aufwachen. Denn vor dem Hintergrund eines zurückgehenden Erwerbstätigenpotenzials wird die Wirtschaft darauf angewiesen sein, das Erwerbspotenzial sowohl der Frauen als auch der Älteren deutlich besser auszuschöpfen, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben will. Ich bin aber nach wie vor davon überzeugt, dass es ohne Zielvorgaben nicht gehen wird; denn Freiwilligkeit - das haben wir bereits gesehen - hat nicht funktioniert. Ich freue mich auch darüber, dass es in unserem Land eine Diskussion über die Frage gibt, wie man die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern kann, die leider immer noch in erster Linie ein Problem der Mütter ist. Wir haben ein Konzept vorgelegt. Ich freue mich, dass Frau von der Leyen auf die SPD-Linie eingeschwenkt ist ({8}) und jetzt einen deutlich stärkeren Ausbau der Kinderbetreuung fordert. Ich füge aber hinzu, Frau von der Leyen: Es reicht nicht aus, Vorschläge über die Anzahl der Plätze zu unterbreiten. Man muss auch dafür sorgen, dass man dafür die Mehrheiten in seiner eigenen Partei und Fraktion hat und dass das Ganze finanzierbar ist. Nur dann kann es umgesetzt werden. ({9}) Wir haben unsere Vorschläge gemacht. Ich hoffe, dass die Union in Kürze sagen wird, wie sie das Ganze finanzieren will. ({10}) Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken hat recht, wenn er sagt: Es haben sich offenbar jene in der Union durchgesetzt, welche die Realität junger Familien immer noch nicht wahrhaben wollen und sich hinter der Forderung verstecken, man müsse erst den Bedarf feststellen. Wer zunächst den Bedarf feststellen lassen will, der lebt meiner Meinung nach nicht mehr in dieser Welt. Die Wartelisten in den Tageseinrichtungen und die Wünsche der Eltern nach Ganztagsschulen sprechen doch eine deutliche Sprache. Man braucht doch nicht mehr danach zu fragen, ob wir mehr Plätze brauchen. Stattdessen müssen wir dafür sorgen, dass die Zahl der Plätze steigt. ({11}) Ich wünsche mir, dass wir nicht nur am Internationalen Frauentag, sondern jeden Tag alles dafür unternehmen, die immer noch vorhandene strukturelle Diskriminierung und Benachteiligung von Frauen in unserer Gesellschaft zu überwinden. Das muss überall, nicht nur im Frauenressort, in der Bundesregierung oder im Parlament passieren. Ich freue mich auf den Wettstreit um die besten Konzepte. Ihnen allen wünsche ich einen schönen Internationalen Frauentag. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sibylle Laurischk für die FDP-Fraktion. ({0})

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der 96. Internationale Frauentag ist sicher kein Grund zur Trauer, aber auch kein Jubeltag. Die andauernden und nachhaltigen Benachteiligungen von Frauen sind von meinen Vorrednerinnen ausführlich dargestellt worden. Von einer echten, alle Lebensbereiche durchdringenden Gleichberechtigung der Geschlechter in Deutschland kann nicht die Rede sein. Dennoch: Die Zukunft unserer Gesellschaft liegt in den Händen der Frauen; uns Frauen gehört die Zukunft. ({0}) Ich zolle der Familienministerin Respekt für ihr Vorhaben, insbesondere den Männern ein anderes, vielfältigeres Rollenbild abzuringen. Die Honorierung von Vätermonaten beim Elterngeld ist dafür ein aktuelles Beispiel. Ich hoffe, Frau Ministerin, dass Sie im Familienministerium auch Abteilungsleiterinnen haben. ({1}) Interessant sind die Reflexe auf diese Entwicklung. Es gibt Kreise, die das Abendland in Gefahr und Frauen zu Gebärmaschinen herabgewürdigt sehen, wenn Sie neben Kindern auch die Teilhabe an beruflicher Entwick8508 lung umsetzen wollen. Aber Sie, die Herren von der CDU/CSU-Fraktion, werden Frau Ministerin von der Leyen schon nicht zu übermütig werden lassen, sicher auch zum Wohlgefallen Ihres Koalitionspartners, dem die Ministerin auf diesem Feld bislang kaum Luft zum Atmen gelassen hat. Die SPD kann jetzt aufatmen, die Frauen nicht. - Die frauenpolitische Baustelle dieser Koalition bleibt offen. Da hilft auch der 20. Geburtstag des Frauenministeriums nicht; hierzu übrigens meinen herzlichen Glückwunsch. Bezeichnend ist schon, dass uns erst in letzter Minute ein gemeinsamer Antrag der Koalition zu diesem heutigen Tagesordnungspunkt vorgelegt wird. Ein Gesetzentwurf zur Zwangsheirat bleibt uns wohl endgültig vorenthalten. Die Unterhaltsrechtsreform, wiewohl seit Monaten im Justizministerium fertiggestellt, ist überfällig. Die gravierend ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen ist eine ständige Entmutigung der erwerbstätigen Frauen und nicht hinnehmbar. Gewalt gegen Frauen ist für viele Alltag; verlässlich finanzierte Frauenhäuser und Unterkünfte für Frauen in Not gibt es immer noch nicht. In jeder einzelnen Kommune kämpfen die Frauen um jeden Cent zur Finanzierung. ({2}) An meine Kolleginnen und Kollegen von den Grünen gerichtet möchte ich sagen, dass Ihr Antrag „Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt verwirklichen - Innovationshemmnis Männerdominanz beenden“ etwas dick aufträgt. Zum Dominieren braucht es zwei. Frauen duldsam darzustellen, halten wir nicht für den richtigen Weg. Unser Antrag zeigt, dass wir die Chancen der Wirtschaft durch die Beteiligung von Frauen in Führungspositionen sehen. Darüber hinaus sehen wir die Chance, dass die Wirtschaft dies erkennt. Dabei hat die Wirtschaft ebenfalls zwei Seiten, auch die der Arbeitnehmervertreter. Ein Beispiel ist dabei, dass unter den Gewerkschaftsbossen keine Frau zu finden ist. ({3}) Es ist uns Liberalen fremd, homogene Gruppen einheitlich grauer Anzugträger als Träger von Innovation und Entwicklung zu sehen. Vielfalt führt zu produktiven Ergebnissen. Insofern muss die Überschrift unseres Antrags ergänzt werden: Frauenpolitik ist nicht nur ein gesellschaftlicher, sondern auch ein wirtschaftlicher Erfolgsfaktor. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung wird das Know-how gut ausgebildeter Frauen für die Unternehmen unverzichtbar werden. Tatsächlich bedeutet die Entwicklung einer modernen, gleichberechtigten Gesellschaft nicht nur eine Veränderung der Frauen hin zu mehr Verantwortung und Eigenverantwortung, sondern auch die Veränderung der Männer, deren Alltag vielfältiger wird - und das ist gut so. ({4}) Bei der Integration von Migrantinnen, die dem Islam angehören, wird von ihren Vätern, Männern, Brüdern, Cousins ein ganz besonders großer Kultursprung nach vorne verlangt. Wir müssen diese Frauen und Mädchen unterstützen, wo wir nur können; denn über die Integration der Frauen und Mädchen gelingt auch die der gesamten Community. Die absehbare weitere Ausgrenzung gerade von Migrantinnen, die geschieden sind, muss entschlossen abgelehnt werden. Ich erinnere hier an einen sehr unglücklichen Antrag aus Niedersachsen. Abschiebung kann für sie nicht die Antwort sein. An der Diskussion der vergangenen Wochen hat mich doch gestört, wie wenig dynamisch die Öffentlichkeit die Rolle der Frau in der Gesellschaft sieht. Hier das Karriereweib, dort die biedere Hausfrau und Mutter: Die Zwischentöne fehlen fast vollständig. Tatsächlich sind Lebensläufe von Frauen vielfältiger. Lebensläufe sind lebensphasenbezogen. Da kann es auch eine Phase geben, die „Hausfrau und Mutter“ heißt. Die Frau will dann nicht unbedingt lebenslänglich Hausfrau und Mutter sein, aber eben doch für einen bestimmten Zeitraum. Ich will nicht der konservativen Aufgabenverteilung das Wort reden, aber doch diejenigen Frauen würdigen, die unter Hintanstellung eigener beruflicher Ambitionen vieles im Alltag für die Gemeinschaft leisten. ({5}) Wenn es allerdings an die Besetzung der Vorstände geht, sind es meist doch die Männer, die den Vorstand eines Vereins oder einer Partei bilden, getreu dem uns Frauen fremden Motto: einmal im Leben Vorstand sein. Der Schlüssel zu mehr Verantwortung von Frauen außerhalb von Familie in Beruf und Gesellschaft ist die Verbesserung der Zeitverteilungsmöglichkeiten. So muss es auch einer jungen Mutter eines kleinen Kindes möglich gemacht werden, in Teilzeit eine berufliche Ausbildung zu absolvieren. In den Unternehmen muss der Gedanke der Lebensarbeitszeitkonten stärker mit Leben gefüllt werden, damit eine erwerbsarbeitsfreie Zeit für Familien- oder Fortbildungsphasen angespart werden kann, nicht zu reden von der Möglichkeit des Sabbaticals. Die Einbindung von Menschen mit Familienverantwortung wird immer bedeuten, Flexibilität zu ermöglichen; denn Familie ist ein lebendiger Organismus mit wechselndem Einsatzbedarf. Die Frauen sind dabei auch gefragt: Ohne lebenslanges Lernen, die ständige Bereitschaft, sich Neuem zu öffnen und Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen zu erweitern, wird es nicht gehen. Zum Schluss komme ich zum Alter. Die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre wird ganz besonders Frauen treffen, die wegen ihrer Übernahme von Familienverantwortung eben nicht eine ununterbrochene Erwerbsbiografie aufweisen können. Sehr geehrte Frau Ministerin, bitte nutzen Sie die Zeit der deutschen EURatspräsidentschaft, um Ihre Roadmap zur Gleichstellung der Geschlechter umzusetzen und sich für Deutschland europäischen Rückenwind zu verschaffen. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Dr. Möllring ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion. Präsident Dr. Norbert Lammert ({0})

Dr. Eva Möllring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Warum willst du dir das denn antun?“ wurde ich gefragt, als ich für den Deutschen Bundestag kandidierte. Als verheiratete Frau und Mutter könne ich doch ein Leben zwischen Teilzeitarbeit, Haushalt, Ehrenamt und Tennisplatz führen. Dieses Beispiel zeigt, welche Vorbehalte Frauen auch heute noch auf dem Arbeitsmarkt erleben und wie ganz selbstverständlich mit zweierlei Maß gemessen wird. In der aktuellen Diskussion über Kinderbetreuung fällt immer wieder das Argument - auch eben gerade -, dass Frauen auf das Einkommen angewiesen seien. Das ist richtig, aber es diskriminiert gleichzeitig Mütter mit berufstätigen Ehemännern. Wer würde einen Mann darauf verweisen, Haus und Kinder zu hüten, bloß weil er zum Beispiel mit einer Lehrerin verheiratet ist? Deshalb will ich hier klar sagen - ich hoffe, darin sind wir uns einig -: Als Frau beruflich tätig zu sein, kann nicht den Sonderfall für Bedürftige darstellen. Vielmehr müssen alle Frauen, die das wollen, die Chance haben, beruflich zu arbeiten. ({0}) Deshalb brauchen wir ein breites Angebot flexibler Kinderbetreuungsmöglichkeiten: für Kinder in jedem Alter und für sehr unterschiedliche berufliche Bedürfnisse. Ich bin froh, dass diese Regierung endlich die Aufmerksamkeit hergestellt hat, die nötig ist, damit diese Angebotspalette geschaffen wird. ({1}) Unsere Wirtschaft ist gut beraten, wenn sie die berufliche Kompetenz von Männern und Frauen so gut wie möglich einsetzt und nutzt; das haben viele Unternehmen schon verstanden. Nur, in unseren Köpfen spuken noch viele alte Bilder herum: der Chefarzt, der Professor, der Physiker und der Geschäftsführer zwischen vielen schwarzen Anzügen beim IHK-Empfang. ({2}) Andererseits: die Friseurin, die Verkäuferin, die Arzthelferin und die Putzfrau. Das sind unsere Bilder, unsere Schubladen. Sie bestimmen unser Denken, und sie werden zu kleinen Geistern in unserem Hinterkopf. Ich wünsche uns manchmal ein handliches Lasso in der Hosentasche, um diese Geister wegzufangen. ({3}) Herr Präsident, das hat übrigens etwas mit Gender-Mainstreaming zu tun. ({4}) Es wird höchste Zeit, dass wir diese alten Denkschemata überwinden - im Interesse vieler Frauen und auch im Interesse der Wirtschaft unseres Landes. Denn ein Drittel der pharmazeutischen Industrie kann offene Stellen nicht mehr adäquat besetzen, wir brauchen 22 000 Ingenieure, und wir brauchen viele Fachkräfte im Informatikbereich; darüber sind sich alle, auch die Wirtschaftsverbände und Herr Minister Müntefering, einig. Wir müssen wettbewerbsfähig sein; wir konkurrieren um die besten Köpfe. Was liegt da näher, als das Potenzial unserer Frauen zu erschließen, indem wir sie qualifiziert ausbilden? Die Anzahl der Studentinnen in den technischen Fächern ist angestiegen. Aber ihr Anteil liegt nach wie vor bei 9 Prozent, bei 16 Prozent, bei 20 Prozent. Warum studieren Frauen nicht Physik, Maschinenbau, Informatik und Elektrotechnik? - Auch weil ihnen die Vorbilder fehlen und das Selbstvertrauen und die Akzeptanz in diesen Berufen. Deshalb ist es wichtig, dass wir junge Mädchen in diesen technischen Fähigkeiten früh motivieren und bestätigen und dass sich das in der Schule fortsetzt, wie es die Finnen mit großem Erfolg vormachen. Es ist ein guter Weg, dass wir in neuen Studiengängen technische Fähigkeiten mit sprachlichen und kommunikativen Elementen verbinden. Auf diese Weise gelingt es uns, diese Ausbildung zukunftsfähig zu machen und gleichzeitig Frauen für diese Berufe zu gewinnen. ({5}) Das ist der richtige Weg. Große Erfolge erzielen wir auch mit speziellen Frauenstudiengängen in den technischen Bereichen, wie wir es schon lange aus den USA kennen. Diese Angebote sollten wir weiterentwickeln. ({6}) Denn - ich sage es noch einmal - Frauen verdienen in Deutschland in Vollzeitstellen inzwischen 23 Prozent weniger als Männer, bezogen auf den Stundenlohn sogar 26 Prozent. Das ist der letzte Platz in Europa. Die beiden entscheidenden Ursachen dafür sind die Berufswahl und die Tatsache, dass Frauen seltener in Führungspositionen kommen. Im mittleren Management beträgt der Frauenanteil circa 20 Prozent. In den Vorständen der 100 größten deutschen Unternehmen sitzen 685 Männer und vier Frauen. Es gibt also die gläserne Decke, auch weil viele Arbeitnehmerinnen ihre Entwicklung nicht strategisch planen, weniger kämpfen und bescheidener auftreten - nicht alle, aber einige - und weil manch ein Personalchef unbewusst doch noch alte Rollenmuster im Kopf hat. Deshalb ist es wichtig, dass Unternehmen sich das Potenzial und die Einsatzmöglichkeiten ihrer Mitarbeiterinnen klar vor Augen führen. Wir sind gefragt, diese Entwicklung zu unterstützen, anzuschieben. Wir haben in unserem breitgefächerten Antrag viele Vorschläge und Maßnahmen erwähnt und vorgestellt. Dazu gehört ein freiwilliger Lohntest, den wir zur Verfügung stellen, und dazu gehört auch die Fortschreibung der Vereinbarung mit der Wirtschaft, entsprechende Zielmarken ins Auge zu fassen. Ich kann in der verbleibenden Zeit nicht mehr alles aufzählen. Aber ich will sagen: Ich würde mich sehr freuen, wenn die Bundesregierung unsere Ideen aufnimmt und das Europäische Jahr der Chancengleichheit nutzt, um die Chancen der Frauen im Beruf voranzutreiben. Dann sind wir auf einem guten Weg. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Monika Knoche, Fraktion Die Linke. ({0})

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine verehrten Herren und Damen! Nichts ist passender, als am Internationalen Frauentag über Frauen, Frieden und Sicherheit, also über die UNResolution 1325, zu sprechen. Die Voraussetzungen scheinen günstig. Deutschland hat mit seiner Bundeskanzlerin die, so heißt es, derzeit mächtigste Frau der Welt. ({0}) Aber werden die Frauen der Welt davon profitieren? Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft schließt im Europäischen Jahr der Chancengleichheit diesbezüglich einen expliziten Gestaltungsauftrag in der Außenpolitik ein. Da das Thema Naher Osten auf der Agenda der EU steht, will ich Ihnen sagen: Im Dezember letzten Jahres hat eine Frauendelegation der Linksfraktion eine Reise nach Israel und in die palästinensischen Gebiete gemacht. Wir haben dort Frauen kennengelernt, die als „Frauen in Schwarz“ aktiv sind und mit großem Engagement ununterbrochen für die Anerkennung der Eigenstaatlichkeit der palästinensischen Gebiete werben. Wir haben Frauen kennengelernt, die sich in zivilen Projekten engagieren, um den innergesellschaftlichen Dialog zu verbessern, die mit palästinensischen Frauen zusammenarbeiten und die an die Grenzübergänge gehen, um die Folgen der Besatzung irgendwie zu lindern. Wir haben palästinensische Frauen kennengelernt, die sich nicht scheuen - das will in der dortigen Gesellschaft wirklich etwas heißen -, öffentlich die Zunahme sexueller Gewalt gegen Frauen in den Familien anzuprangern, und diese Entwicklung in einen Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg zu bringen. Wir haben diese Frauen als Akteurinnen kennengelernt, die außerordentlich kompetent sind. Sie sollten in die Verhandlungen im Rahmen des Nahostprozesses einbezogen werden. Diese Forderung muss vom Nahostquartett umgesetzt werden. Die hoffnungsvollen Entwicklungen um die Vereinbarung von Mekka zeigen, dass Frauen nach wie vor ausgeschlossen sind, wenn es um Befriedungsstrategien geht. Wie wir wissen, gibt es auch im Iran, einem weiteren großen Konfliktfeld, Frauen, die mit großem Mut für die Erhaltung und den Ausbau der Frauenrechte in der dortigen Gesellschaft demonstrieren. ({1}) Diese außenpolitischen Entwicklungen müssen wir als Frauen außerordentlich goutieren. Sie müssen in unsere Außenpolitik einfließen. Morgen, meine Herren und Damen, wird der Einsatz von Tornados in Afghanistan beschlossen. Schon jetzt ist klar: Die Zivilbevölkerung wird leiden. Sie wird Tote zu beklagen haben. Ich frage Sie: Wie kann man einer Frühjahrsoffensive Geleitschutz geben, wenn offenkundig ist, dass die Taliban mit ihrem frauenverachtenden Menschenbild erstarkt aus dieser Militäroffensive hervorgehen werden? ({2}) Es wird damit gerechnet, dass der Krieg gegen die Taliban noch 15 Jahre dauern wird. Was bedeutet das für die Frauen? Um den Frauen zu helfen, muss die ganze Kraft in zivile, nichtmilitärische Politik gesteckt werden. Es ist Fakt, dass Parlamentarierinnen in Afghanistan mit Gewalt bedroht werden, weil sie sich gegen die Warlords in Regierung und Parlament wenden. Da darf der Westen doch nicht konditionslos die Karzai-Regierung stützen! ({3}) Wir müssen unsere Glaubwürdigkeit bewahren und das Erstarken islamischer Dogmatiker mit dem Krieg gegen den Terror in Verbindung bringen. Hier besteht nämlich ein ursächlicher Zusammenhang. Als Linke möchte ich nicht, dass die UNResolution 1325 zu einem Feigenblatt verkommt; denn dafür ist sie wirklich zu wertvoll. Deshalb bin ich den Regierungsfraktionen sehr verbunden, dass sie ihren Antrag zur Umsetzung dieser Resolution am heutigen Tag auf die Tagesordnung gesetzt haben. Er beinhaltet unter anderem die Forderungen nach sozialer Sicherheit und Freiheit von sexueller Gewalt. Wenn wir das für richtig erachten, dann müssen wir in unserer Konzeption auch die Binnenflüchtlinge berücksichtigen. Das macht erforderlich, ein Asylrecht für Frauen zu schaffen, die Opfer systematischer sexueller Gewalt geworden sind. ({4}) Diese UN-Resolution kann unseres Erachtens nicht neben einer militarisierten Außenpolitik stehen oder bestehen. Sie muss die Außenpolitik verändern. Dadurch, dass der umfassende Sicherheitsbegriff im Weißbuch der Bundeswehr verändert wird, werden in der deutschen Politik Wege beschritten, die die Umsetzung der UN-Resolution unter Umständen ad absurdum führen können. Wir dürfen nicht eine „kleine“ Frauenpolitik nebenbei machen, deren Ziele in der „großen“ Außenpolitik konterkariert werden. Das ist nicht glaubwürdig. ({5}) Wir fordern deshalb, dass die UN-Resolution in einen nationalen Aktionsplan umgesetzt wird, wie das beispielsweise in Norwegen und einigen anderen skandinavischen Ländern der Fall ist. Dort spricht man im Zusammenhang mit dieser Resolution von einem „living document“ - einem lebendigen Dokument -, das dafür sorgt, dass die betriebene Politik immer wieder in den Kontext zu den Zielen der UN-Resolution gestellt wird. Ich hoffe sehr, dass sich unsere Frau Bundeskanzlerin Merkel dieses Verständnis von Frauenpolitik erkennbar zu eigen macht und es als Vorsitzende der EU-Ratspräsidentschaft offensiv nach außen vertritt. Unseres Erachtens hat die Bundeskanzlerin bisher versäumt, sich als Frau zur Frauenpolitik in einem emanzipatorischen Sinn in der Außenpolitik zu äußern ({6}) und die Errungenschaften der Frauenpolitik offensiv zu vertreten. ({7}) Ich darf sagen - auch das dürfte der Frau Kanzlerin bewusst sein -: Ohne eine emanzipatorische Frauenbewegung wäre sie wahrscheinlich nicht Kanzlerin geworden. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kerstin Müller ist die nächste Rednerin für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Ich freue mich, dass wir heute am Internationalen Frauentag den Blick nicht nur auf die nationale Situation von Frauen richten, sondern auch auf ihre weltweite Lage, und dass wir die Gelegenheit nutzen, über die UNSicherheitsratsresolution 1325, die viel zu wenig bekannt ist und Beachtung findet, zu diskutieren. Bevor ich dazu komme, möchte ich kurz auf die Situation im Iran hinweisen. Am Sonntag, den 4. März, wurden 33 Frauen im Iran festgenommen, weil sie sich in einer Unterschriftenkampagne für Gleichberechtigung und die Durchsetzung der Menschenrechte eingesetzt hatten. Sie wurden im berüchtigten Gefängnis Evin inhaftiert. Ich fordere die Freilassung aller dieser Frauen, die sich für die Menschenrechte und die Gleichberechtigung eingesetzt haben. Sie haben unsere volle Solidarität. ({0}) Das ist „Frauen, Frieden und Sicherheit“ konkret, also genau das, was mit der UN-Sicherheitsratsresolution 1325 beabsichtigt ist. Sie ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer geschlechtersensiblen Friedens- und Sicherheitspolitik. Zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinten Nationen wurde im Oktober 2000 damit eine völkerrechtlich verbindliche Vorgabe zur Beteiligung von Frauen an Entscheidungen über Krieg und Frieden, aber auch in Nachkriegssituationen beschlossen. Gerade Frauen sind von Kriegen und gewaltsamen Konflikten in besonderem Maße betroffen. Ich nenne als Beispiele: 80 Prozent der Flüchtlinge sind Frauen und Kinder. Sie sind Kindersoldatinnen und Opfer sexueller Gewalt. Ich erwähne nur Ruanda, den Kosovo, Bosnien oder die aktuelle Krisenregion Darfur. Das zeigt: Es war überfällig - das war leider viele Jahre nicht selbstverständlich -, dass Verbrechen sexualisierter Gewalt nun endlich vor dem Internationalen Strafgerichtshof geahndet werden. ({1}) Frauen haben beim Wiederaufbau von krisen- und kriegszerrütteten Gesellschaften immens wichtige Erfahrungen einzubringen. Leider orientieren sich unsere Wiederaufbaukonzepte noch immer sehr stark an den Interessen von Männern, während das Wissen von Frauen kaum berücksichtigt wird. Der Blick auf diese verschiedenen Rollen von Frauen, sowohl Opfer von Krieg und Gewalt als auch Friedensakteurinnen und Gestalterinnen zu sein, ist das zentrale Thema der Sicherheitsratsresolution 1325. Ich möchte heute am Internationalen Frauentag vor allen Dingen den vielen internationalen Frauen-NGOs danken, deren Beharrlichkeit, Initiativen und Veranstaltungen diese Resolution erst ermöglicht haben. ({2}) Wir haben unter Rot-Grün entscheidend dazu beigetragen, dass Deutschland in der zivilen Konfliktprävention - zum Beispiel mit dem Aktionsplan „zivile Krisenprävention“ oder mit der Gründung des Zentrums für internationale Friedenseinsätze, des ZIF, auch durch dessen integrierten Genderansatz - eine Vorreiterrolle einnimmt. Gerade im Bereich des zivilen Krisenmanagements sind internationale Polizeimissionen der UN und OSZE ein wichtiges Element. Auch hier muss die Umsetzung der Resolution 1325 in der Ausbildung und Vorbereitung der deutschen Kontingente verwirklicht werden. Gleiches gilt, wenn wir Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten in Auslandseinsätze schicken. Die hohen Erwartungen an die Resolution haben sich noch nicht erfüllt. Die Verantwortung für die Umsetzung - das ist im internationalen Recht im Zusammenhang mit UN-Resolutionen so vorgesehen - liegt bei uns, den Mitgliedstaaten. Wir müssen dafür sorgen, dass die Resolution mit Leben gefüllt wird. Insofern haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, einen guten Antrag vorgelegt. Ich denke, wir sind uns in vielen Fragen einig. Er greift aber an einer Stelle eindeutig zu kurz: Sie beschränken sich vor allem auf Absichtserklärungen. Aber wir haben auf nationaler Ebene die Erfahrung gemacht - das hat die Ministerin bereits angesprochen -, dass Absichtserklärungen nicht ausreichen. ({3}) Wir brauchen verbindliche Regelungen, damit die Resolution 1325 umgesetzt wird. Wir brauchen messbare Ziele, Forschrittsberichte und Zeitvorgaben. Diesen nationalen Erfahrungen sollten wir auch im Hinblick auf die internationale Ebene bei der Umsetzung der Resolution 1325 Rechnung tragen. ({4}) Wir fordern deshalb in unserem Antrag die Bundesregierung auf, einen nationalen Aktionsplan vorzulegen. Kerstin Müller ({5}) Dabei geht es nicht um mehr Bürokratie; vielmehr greifen wir damit eine Forderung von Kofi Annan auf. Viele Länder - zum Beispiel Großbritannien, Norwegen, Kanada und die Schweiz - haben bereits Aktionspläne vorgelegt. Warum ist das bei uns noch nicht geschehen? In einen solchen nationalen Aktionsplan müssen konkrete Maßnahmen zur Prävention von Kriegen, zur Beteiligung von Frauen, zum Schutz vor sexualisierter Gewalt, aber auch zur geschlechtersensiblen Vorbereitung der Akteurinnen und Akteure, die in den Krisenregionen eingesetzt werden, aufgenommen werden. Wir haben in unserem Antrag dazu konkrete Vorschläge formuliert. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns in den Beratungen der Anträge fraktionsübergreifend verständigen würden, in welchen Punkten wir übereinstimmen und welche Vorschläge als sinnvoll erachtet werden. Gerade am Internationalen Frauentag, an dem wir die internationale Solidarität mit allen Frauen weltweit deutlich machen sollten, halte ich das für eine Chance, uns darüber zu verständigen, welche konkreten Maßnahmen im Sinne der Resolution 1325 wir als Deutscher Bundestag für die Frauen in der Welt beschließen können. Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Angelika Graf für die SPD-Fraktion.

Angelika Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002662, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 25. März werden die Römischen Verträge 50 Jahre alt, und in den Mitgliedstaaten der EU wird heuer das Europäische Jahr der Chancengleichheit begangen. Das passt gut zusammen, und es passt auch zum Internationalen Frauentag; denn zu den zentralen Aussagen der Römischen Verträge gehörten - Sie verzeihen, Herr Präsident der Gender-Aspekt und der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. ({0}) Wie kann die Forderung nach Chancengleichheit und Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt besser beschrieben werden als mit der Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit? Das hieße nämlich auch: gleiche Ansprüche auf Weiterbildung, auf eine auskömmliche Rente, auf Teilhabe am sozialen und gesellschaftlichen Leben und im Ernstfall auf ein Arbeitslosengeld in einer vernünftigen Höhe. Ich bedaure aber, dass ich immer noch im Konjunktiv über dieses Thema sprechen muss. Das haben meine Vorrednerinnen bereits angesprochen. Es gab große Anstrengungen in der Regierungszeit von Rot-Grün, um mehr Chancengleichheit für Frauen zu erreichen. Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, welches wir nach langen Geburtswehen schon in dieser Legislaturperiode gemeinsam auf den Weg gebracht haben, war, denke ich, ein sehr wichtiger Schritt. Dennoch stelle ich fest: Der Fortschritt ist eine Schnecke. ({1}) Das zeigen schon - die Frau Ministerin und Frau Dr. Möllring haben das bereits angesprochen - die Zahl der Hochschulprofessuren oder - noch schlimmer - ein Blick in die Managementetagen deutscher Unternehmen. Dort sind Frauen immer noch „Mangelware“. Vielleicht sollten wir gemeinsam mit den Unternehmen und den Unternehmern einmal einen Blick über den Zaun wagen. In Norwegen wurde vor kurzem eine Frauenquote für Aufsichtsräte verabschiedet. ({2}) Dass der Niedriglohnsektor im Gegensatz zu diesen Hochlohnbereichen weiblich ist, ist ein weiteres bekanntes Phänomen, das hier auch schon angesprochen worden ist. Ich denke, unser Ringen um Mindestlöhne macht deutlich, dass wir auch da den Schutz der Frauen - denn die Frauen würden mit Mindestlöhnen vor Ausbeutung und Lohndumping geschützt - in den Vordergrund stellen wollen. Mindestlöhne würden ihnen auch das Gefühl geben, dass ihre Arbeit etwas wert ist, würden ihnen im wörtlichen Sinne ein Selbstwertgefühl vermitteln. ({3}) Chancengleichheit durch Bildung und Equal Pay ist weltweit eines der Fundamente, auf denen sich das Selbstbewusstsein von Frauen gründet. Dieses Selbstbewusstsein brauchen Frauen auf der ganzen Welt, um ihren Platz im Leben zu finden und zu verteidigen. Eine selbstbewusste, gut ausgebildete Frau wird weniger oft ein Opfer von Gewalt und Zwang. Sie lässt sich nicht kujonieren, weder vom Chef noch vom Partner, lässt sich weniger leicht mit einem eventuell drohenden Arbeitsplatzverlust erpressen und kann mit Konflikten besser umgehen, weil sie weiß, was ihr eigener Wert ist. Sie wird nicht gezwungen, bei einem prügelnden Partner zu bleiben, weil sie weiß, dass sie sich und die Kinder notfalls auch allein durchs Leben bringen kann. Eine selbstbewusste Frau mit Migrationshintergrund wird sich leichter tun, sich in unserer Gesellschaft zu integrieren. Eine selbstbewusste Seniorin kann sich gegen Diskriminierungen im Alltagsleben oder entwürdigende Behandlung in einem Heim eher zur Wehr setzen als eine Frau, die sich ihr Leben lang untergeordnet hat. Aufgabe unserer Menschenrechts- und Entwicklungspolitik ist es, in den Ländern, in denen wir tätig sind, in genau diesem Sinne Frauen fit zu machen und ihnen mehr Selbstwertgefühl zu geben. Wir müssen sie befähigen, den Kampf zum Beispiel gegen familiäre Gewaltstrukturen, die oft in einem unheiligen Zusammenhang mit militärischer Gewalt und Korruption stehen, aufzunehmen. ({4}) Der Koalitionsantrag zur UN-Resolution 1325 macht eines sehr deutlich: Frauen sind nicht nur Opfer von Gewalt, wie dies Kerstin Müller gerade beschrieben hat, sondern sie sind glaubwürdige und wichtige Mitgestalterinnen von Friedensprozessen und oft Garanten für die Nachhaltigkeit positiver Entwicklungen. Angelika Graf ({5}) ({6}) Ich möchte mich in diesem Zusammenhang herzlich bei all den mutigen Frauen bedanken, die in diversen Konfliktherden unter schwierigsten Bedingungen eine ganz wichtige Deeskalationsarbeit leisten, ({7}) die dafür sorgen, dass mit mehr Bildung und eigenständiger Verantwortung auch das Selbstbewusstsein der Frauen steigt, und die Frauen zu ihrem Recht verhelfen wie zum Beispiel die Hilfsorganisation medica mondiale in Afghanistan, die sich dafür einsetzt, dass Frauen einen fairen Prozess bekommen; denn nichts untergräbt den Selbstbehauptungswillen und das Selbstvertrauen der Frauen, die Opfer geworden sind, so sehr wie die Straflosigkeit der Täter. ({8}) Chancengleichheit in der Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik hat - da schließt sich der Kreis - neben dem frauenpolitischen auch ein wirtschaftspolitisches Gesicht. Das wissen kluge Unternehmer und kluge Banker. Vor circa zehn Jahren hatte ich in Bangladesch die Möglichkeit, mit dem - damals noch relativ unbekannten heutigen Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus zu sprechen und mir von ihm das Prinzip der Kleinkredite seiner Grameenbank erklären zu lassen. Er gab Kredite nur an Frauen, weil er wusste, dass sie das Geld nicht für irgendwelchen Schnickschnack ausgeben oder verspielen wie die Männer, ({9}) sondern mit dem Geld wirtschaften und für sich und ihre Familien eine Existenz aufbauen. ({10}) Ich habe den Stolz dieser Frauen über das Erreichte gesehen und erlebt, mit welcher Achtung sie von ihrer Familie behandelt worden sind. Ich freue mich über den Nobelpreis für Herrn Yunus; denn er hat in Bangladesch einen großen Schritt zu mehr Chancengleichheit möglich gemacht. Das ist, so denke ich, ganz im Sinne des Internationalen Frauentages und der UN-Resolution 1325. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Gerda Hasselfeldt ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es sieht so aus, als ob in dieser Debatte als Redner ausschließlich Frauen auftreten. Ich möchte deshalb ausdrücklich anerkennend erwähnen, dass eine ganze Reihe von Kollegen an dieser Debatte von Beginn an teilgenommen haben und auch ausharren. ({0}) Ich möchte dafür ausdrücklich danksagen. Sie, liebe Kollegen, dokumentieren damit nämlich, dass eine Diskussion über Frauen in unserem Land nicht nur die Frauen betrifft, sondern uns alle, also die ganze Gesellschaft. ({1}) In der Tat ist es so, dass viele Veränderungen in unserer Gesellschaft, beispielsweise die demografische Entwicklung, im Endeffekt auf die Veränderung der Situation der Frauen zurückzuführen sind. Frauen sind heute ganz selbstverständlich in bewährten Positionen im beruflichen Bereich. Sie haben in aller Regel einen grandiosen Start nach einer erfolgreichen Schulbildung und nach einer beruflichen Ausbildung. Frauen sind heute aus vielen beruflichen Branchen und aus unserem Leben überhaupt nicht mehr wegzudenken. Nebenbei sind sie die Stützen im Ehrenamt und, nicht zu vergessen, die Stützen in den Familien. Ich glaube, auch dieser Internationale Frauentag ist ein Anlass, allen Frauen in diesem Land dafür Anerkennung, Respekt und Dankbarkeit auszudrücken. ({2}) Es wäre aber zu einseitig, daraus zu schließen: Es ist alles in Ordnung. Im Laufe dieser Debatte sind schon viele Defizite angesprochen worden. Ich will mich auf drei konzentrieren. Erstens. Uns allen muss bewusst sein, dass die Tatsache, dass Frauen auch bei gleicher Qualifikation weniger als die Männer verdienen, nicht hingenommen werden kann. ({3}) Es muss der Grundsatz gelten: Gleiche Qualifikation bedeutet auch gleiche Bezahlung. Für die Mädchen und Frauen muss das natürlich bedeuten - das ist vorhin angesprochen worden -, dass sie den Bedingungen am Arbeitsmarkt bei der Berufswahl und beim Einstieg ins Berufsleben ein bisschen mehr Rechnung tragen müssen, als es bislang der Fall ist, und dass sie vielleicht auch ein bisschen mehr Selbstbewusstsein zeigen müssen. Zweitens. Frauen sind in Führungspositionen zu gering vertreten; auch das ist angesprochen worden. In den Vorständen der DAX-Unternehmen gibt es keine einzige Frau. Was weibliche Unternehmensvorstandsmitglieder in Deutschland insgesamt angeht, befinden wir uns europaweit an 21. Stelle. Dafür mag es so manche Gründe geben, zum Beispiel solche, die mit der Biografie von Frauen zu tun haben. Aber es gibt mindestens genauso viele Gründe, die dafürsprechen, mehr Frauen in Führungspositionen zu verankern. Wir alle wissen, dass gerade Frauen neben der fachlichen viele andere Qualifikationen mitbringen, die von Männern so manchmal nicht an den Tag gelegt werden. ({4}) Ich brauche das gar nicht alles aufzuzählen. Ich möchte nur ein Beispiel nennen. Wir müssen gar nicht in die Ferne schauen, wenn wir nach einem Vorbild suchen: Die Bundeskanzlerin lebt als „Führungskraft in der Bundesregierung“, wenn ich das einmal so sagen darf, gerade diese Eigenschaften in hervorragender Weise vor. Sie ist uns Frauen nicht nur im politischen, sondern auch im beruflichen Bereich ein Vorbild, und daran sollten wir uns alle ein Beispiel nehmen. ({5}) Drittens. In meinen Augen ist es so, dass die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit im Wesentlichen immer noch eine Angelegenheit der Frauen ist. ({6}) Sie sind es, die Teilzeit arbeiten, wenn Kinder zur Welt gekommen sind. Sie sind es, die auf ihre Berufstätigkeit entweder ganz oder teilweise verzichten und damit Einkommenseinbußen sowie eine schlechtere soziale Absicherung in Kauf nehmen. Ich glaube allerdings, dass die Bereicherung - sie können die Entwicklung der Kinder verfolgen und auf die Erziehung der Kinder unmittelbar Einfluss nehmen verstärkt auch die Väter erfahren sollen. ({7}) An diesem Beispiel wird deutlich: Es geht nicht nur um die Situation der Frauen in diesem Land, wenn verbesserte Kinderbetreuung gefordert wird, sondern es geht um die Situation der Familie und der Gesellschaft als Ganzes. Wenn von diesem Frauentag heute das Signal ausgeht, dass eine Beschäftigung mit den Frauenthemen nicht nur eine Angelegenheit von Frauen für Frauen, sondern eine Angelegenheit von uns allen ist, dann sind wir ein Stück weitergekommen; dann brauchen wir auch nicht für alles, was wir beklagen, eine gesetzliche Regelung, ({8}) sondern können mit vielem ein Vorbild sein oder ein Beispiel geben, um die Situation für die Frauen und für die gesamte Gesellschaft zu verbessern. Herzlichen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Christel RiemannHanewinckel für die SPD-Fraktion. ({0})

Christel Hanewinckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Noch einmal zurück auf die internationale Ebene. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat im Oktober 2000, also vor fast sieben Jahren, einstimmig die Resolution 1325 verabschiedet. Diese Resolution befasst sich mit den speziellen und vor allem überproportionalen Auswirkungen von Konflikten und Krisen auf Frauen. Sie fordert, Frauen und Mädchen in bewaffneten Konflikten vor jeglicher und vor allem vor sexueller Gewalt zu schützen. Die Resolution 1325 hebt auch die wichtige Rolle von Frauen bei der Verhütung und Lösung von Konflikten, bei der Friedenskonsolidierung und beim Wiederaufbau hervor. Die Verabschiedung der Resolution war damals ein Meilenstein und löste eine internationale Debatte aus. Wir haben durch diese Resolution einen internationalen Rahmen für eine geschlechtersensible Friedens- und Sicherheitspolitik. Seitdem stehen Frauen zum ersten Mal nicht nur als Opfer, sondern vor allem als Friedensakteurinnen im Mittelpunkt. Damit Frieden und Entwicklung nachhaltig sein können, fordert die Resolution 1325, dass bei allen Maßnahmen die Auswirkungen auf Frauen und Männer beachtet werden müssen. Herr Präsident, das ist eine einfache Formulierung für das etwas umständliche Wort „GenderMainstreaming“. Alle Maßnahmen müssen daraufhin überprüft werden, wie sie auf Frauen und Männer jeweils wirken. ({0}) Deutschland hat in der Folge die Resolution 1325 durch verschiedene Aktionspläne bzw. Konzepte umzusetzen versucht. Die notwendige Grundlage dafür war allerdings, dass sich in der 14. Legislaturperiode die Bundesregierung in ihrer Geschäftsordnung zur Umsetzung des Gender-Mainstreamings verpflichtet hat. International wirksam ist der Aktionsplan zur zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung. Das zentrale Thema in diesem Aktionsplan ist der Schutz von Frauen vor geschlechtsbezogener Gewalt auf der internationalen Ebene. Gleichzeitig muss aber den Frauen auf allen Ebenen die gleichberechtigte Teilhabe an der Friedenskonsolidierung und am Wiederaufbau ermöglicht werden. Das hört sich so einfach an, aber die, die in den verschiedenen Ländern waren oder Informationen darüber haben, wissen, wie schwer es für die Frauen ist, ihren Anteil, der notwendig und wichtig ist, zu erbringen. Es gibt daneben das überregionale Konzept zur Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedensförderung in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Das ist ganz wichtig für alle die Projekte, die wir von Deutschland aus in anderen Ländern mit auf den Weg bringen. Außerdem hat sich Deutschland intensiv dafür eingesetzt, dass die Geschlechterperspektive in die Mandate von Friedensmissionen aufgenommen wurde. Am vergangenen Sonntag und Montag, wenn ich mich recht erinnere, wurde der Film „Die Flucht“ gesendet. Vielleicht haben manche von Ihnen diesen Film gesehen. Darüber will ich aber gar nicht reden. Nach dem zweiten Teil gab es eine Dokumentation. In dieser Dokumentation wurde ein ehemaliger russischer Offizier gefragt, warum sich die russischen Soldaten so verhalten hätten, zum Beispiel Frauen vergewaltigt hätten, ob es Rache war oder was auch immer sonst. Der ehemalige russische Offizier sagte, an einer Vergewaltigung sterbe man nicht, und außerdem müsse man verstehen, dass Männer nach wochenlangen Kämpfen ein physiologisches Bedürfnis hätten. Das sagt ein ehemaliger Offizier 62 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. In diesen 62 Jahren haben wir weltweit über viele Krisenherde und Kriege reden müssen und wieder und wieder über die ungeheuere Gewalt, die Frauen allein dadurch angetan wird, dass systematische Vergewaltigungen als Mittel der Kriegsführung eingesetzt werden. Frauen sind weder Objekte noch Beute noch sind sie weniger Menschen als Männer. Menschenrechte sind unteilbar. ({1}) Sie gelten für Männer und Frauen, für Mädchen und Jungen. Das scheint aber noch lange nicht Allgemeingut zu sein; deshalb ist die Geschlechterperspektive notwendig und richtig, und zwar nicht nur in Krisengebieten, sondern zu allen Zeiten und an allen Orten. Wir haben in Deutschland - dazu haben wir hier verschiedentlich schon Ausführungen gehört - einen „Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“ verabschiedet. Dieser Aktionsplan ist bis 2005 umgesetzt worden. Ein wichtiger Punkt, um Verhaltensweisen zu ändern, ist danach vor allen Dingen, dass die Gewalt, die Frauen angetan wird, enttabuisiert wird, dass endlich darüber geredet wird und dass diese Delikte offiziell werden. Ein weiterer wichtiger Punkt war und ist die Benennung des Unrechtes. Wir wissen inzwischen, dass nur durch Veränderung von Strukturen - dazu gehört die Strafbarkeit der Gewalt Veränderungen im Sinne der Frauen möglich sind. ({2}) Wir alle wissen, dass Regierungen und Parlamente all das allein nicht umsetzen können. Sie brauchen notwendigerweise die enge Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und den Nichtregierungsorganisationen. Da aller guten Dinge drei sind, möchte ich an dieser Stelle noch einmal allen Frauen und Männern, die in Deutschland oder in anderen Ländern tätig sind, und allen internationalen Nichtregierungsorganisationen für ihr Engagement und ihre Arbeit danken. ({3}) Die hohen Erwartungen an die Resolution 1325 haben sich noch nicht erfüllt. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat 2005 in einer Erklärung nochmals betont, wie wichtig und dringlich es ist, diese Resolution wirksam umzusetzen. Die internationale Gemeinschaft hat auf dem Weltgipfel 2005 ihre Entschlossenheit betont, die Resolution umzusetzen. Es gibt also vielfältige internationale Appelle. Die Konferenz des UN-Weltbevölkerungsfonds hat 2006 den sogenannten Brüsseler Aktionsplan gegen sexuelle Gewalt initiiert, der sich ausdrücklich auf die Resolution 1325 bezieht. Damit ist eine Dynamik in die geschlechtersensible Friedens- und Sicherheitspolitik gekommen. Durch den Antrag der Koalition zur Resolution des Sicherheitsrates wird diese Resolution hier bei uns im Parlament und damit auch in Deutschland endlich aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Eine zentrale Forderung der Resolution ist - Kerstin Müller hat es vorhin schon angesprochen - nach wie vor nicht erfüllt: Deutschland hat keinen nationalen Aktionsplan. Das liegt auch an uns. Seit 2000, seit fast sieben Jahren, gibt es diese Resolution. Das Parlament hat diese Resolution bisher aber kaum zur Kenntnis genommen und in den letzten Jahren keinen Aktionsplan von der Bundesregierung gefordert. Kritisch muss ich sagen: Auch die rot-grüne Bundesregierung hat diesen Aktionsplan nicht auf den Weg gebracht. Deshalb schlagen wir der jetzigen Bundesregierung vor bzw. fordern sie auf, den Bericht, der 2004 an die Vereinten Nationen geliefert worden ist, als Grundlage zu nehmen, ihn innerhalb eines halben Jahres fortzuschreiben und dem Parlament vorzulegen. Dann können wir gemeinsam über eine Strategie nachdenken, miteinander darüber reden und befinden, wie die Resolution 1325 in Deutschland umgesetzt werden soll. In diesem Sinne bitte ich Sie, dem Antrag der Koalition, der heute schon zur Verabschiedung auf der Tagesordnung steht, zuzustimmen, damit wir an dieser Stelle nicht nur einen Schritt, sondern hoffentlich mehrere Schritte gemeinsam weiterkommen. Herzlichen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Ute Granold, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Ute Granold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003538, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Ministerin! Am heutigen Weltfrauentag diskutieren wir an dieser Stelle über die Situation der Frauen nicht nur bei uns in Deutschland, sondern weltweit. Wir beleuchten die Situation aus den verschiedensten Blickwinkeln. Ich beschränke mich auf die Resolution 1325, die schon von mehreren Kolleginnen angesprochen wurde. Lassen Sie mich zunächst sagen, dass ich mich freue, dass eine ganze Reihe von Männern anwesend ist. Jetzt ist ein grüner Mann da, bislang war keiner da. Es würde mich freuen, wenn dort mehr anwesend wären. ({0}) Es würde mich auch freuen, wenn mehr Frauen vom Kabinett anwesend wären. Unsere CDU-Frauen sind da. Leider Gottes fehlen die Kolleginnen von der SPD. Vielleicht ist das Kabinett beim nächsten Weltfrauentag komplett anwesend. Denn die Situation der Frauen ist ein Thema, das alle Ressorts betrifft. Insofern hätte der eine oder andere wichtige Punkt aus der Debatte dort in die Arbeit einfließen können. Ich denke, es werden beim nächsten Mal mehr anwesend sein. ({1}) Die internationale Situation der Frauen ist aus zwei Blickwinkeln zu beleuchten: die Rolle der Frauen zum einen bei der Prävention, zum anderen bei der Konfliktlösung bei kriegerischen Auseinandersetzungen. Hier müssen wir sehen, dass Frauen keine Außenseiterrolle, sondern eine echte Teilhabe haben, dass sie bei der Konfliktlösung mitreden können. Es geht aber auch um den Schutz der Frauen vor sexueller Gewalt und anderen Gewalttaten in Krisen und kriegerischen Auseinandersetzungen. Die Kollegen haben es im Vorfeld schon gesagt: Es geht um die Resolution des UN-Sicherheitsrates aus dem Jahr 2000, in der es um Frauen, Frieden und Sicherheit geht. Hierbei müssen wir konsequent handeln und bestehende Missstände aufzeigen. Die Resolution wird völlig zu Recht als Meilenstein behandelt. Deshalb haben wir von der Koalition aus dem Menschenrechtsausschuss, der bei diesem Thema federführend ist, einen Antrag entwickelt, der hier im Hause sehr positiv aufgenommen wurde. Der Antrag der Grünen, Frau Müller, kommt ein bisschen spät. Wir wollen heute abstimmen. Wir hatten schon darüber gesprochen. Ich denke, die Resolution sollte jetzt zügig umgesetzt werden. Deutschland gehört zu den Freunden in New York, die sich der Resolution angeschlossen haben und diese unterstützen. Die Bundesregierung hat der Gleichstellungspolitik in ihrem Koalitionsvertrag einen hohen Stellenwert gegeben, um die Gleichbehandlung durchzusetzen und Nachteile auszugleichen. Wir sahen und sehen das als eine Querschnittsaufgabe an, die in allen Bereichen ressortiert. Insofern, denke ich, können wir sehr flexibel auf aktuelle Krisen hier bei uns, aber auch weltweit reagieren. Die Bundeswehr wurde angesprochen. Sie hat die Präventionspolitik und die Menschenrechtspolitik in ihr Ausbildungspaket eingebunden. Die jungen Soldatinnen und Soldaten - natürlich auch die älteren - gehen in die Krisensituationen unserer Welt gut ausgebildet. Das ist ein guter Weg. Das sollte man hier nicht kritisieren oder als fehlend bezeichnen. ({2}) Frauen sind sehr oft sexueller Gewalt ausgeliefert, und zwar als eine gezielte Kriegsstrategie. Sie - auch ihre Familien und die Gemeinschaft - werden erniedrigt, bestraft oder auch vertrieben. Denken wir an den Balkan, denken wir an Ruanda. Gruppenvergewaltigungen und sexuelle Verstümmelungen wurden angesprochen. Oder denken wir zum Beispiel - wir waren mit dem Menschenrechtsausschuss in Ruanda - an die Tutsifrauen, die öffentlich nackt zur Schau gestellt wurden. Denken wir an die jungen Frauen in Sierra Leone, die sich erklären mussten, wenn sie Jungfrauen waren. Sie wurden dann jede Nacht von den Offizieren vergewaltigt und missbraucht. Denken wir an die vielen Kindersoldatinnen weltweit, die zwangsrekrutiert werden, die als Kämpferinnen, Köchinnen und Sexsklavinnen abgerichtet werden. Wir haben das in Uganda, in Ruanda und im Kongo gesehen. Sie kehrten nach den Auseinandersetzungen - wenn sie überhaupt zurückgekehrt sind schwer traumatisiert zurück. Sie wurden vergewaltigt, haben Kinder oder sind aidsinfiziert. Alle diese Situationen sehen wir nahezu tagtäglich auf unseren Bildschirmen. Hier müssen wir ein Zeichen setzen und dürfen nicht die Augen verschließen. Wir müssen uns darum kümmern, dass diesen Menschen geholfen wird. ({3}) Aber die Gewalt geht nicht nur von Soldaten und Fremden, bedauerlicherweise sogar von UN-Friedenstruppen, sondern auch von männlichen Familienangehörigen aus, und zwar dann, wenn diese nach Einsätzen in militärischen Konflikten nach Hause zurückkehren. Studien der US-Armee haben gezeigt, dass die Aggressionen, die dann noch bestehen, an die Ehefrauen und Lebensgefährtinnen in diesen Armeefamilien weitergegeben werden. Das ist kein Phänomen, das nur in Amerika auftritt, sondern es handelt sich um ein weltweites Phänomen, dass sich solche Art von Gewalt noch lange Zeit auf die Familien und die Kinder auswirkt. In einer Studie der Weltgesundheitsorganisation wurde auch festgestellt, dass in Konfliktregionen die Gewalt mittlerweile dadurch relativiert wird, dass die Verbreitung von Waffen schon fast als normal angesehen wird und Gewaltbereitschaft kein Thema mehr ist, das diskutiert wird, sondern hingenommen wird. Diese Gewaltbereitschaft, die weit über die Dauer der Konflikte hinaus bestehen bleibt, bringt sehr viel Leid über die Menschen. Es ist auch festzustellen, dass die Gewalt, die insbesondere Frauen erfahren - sexuelle Gewalt, aber auch andere Gewalt -, häufig nicht geahndet wird, weil die Justiz nicht funktioniert. Entweder gibt es gar keine entsprechenden Strukturen oder die Justiz ist geschwächt. Frauen sind nicht allein Opfer, sondern auch Handelnde. Sie sind eine Stütze, wenn die kriegerischen Auseinandersetzungen vorbei sind. Sie kümmern sich um die Familie und den Wiederaufbau der Gesellschaft. Sie nehmen von daher eine wichtige stabilisierende Funktion wahr. Die Anliegen der Resolution brauche ich nicht weiter auszuführen, da sie bekannt sind; meine Vorrednerin hat sie gerade schon dargestellt. Wir wollen mit unserem Antrag erreichen, dass auf EU-Ebene, aber auch auf UNEbene eine neue Dynamik zur Umsetzung der Resolution entsteht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin!

Ute Granold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003538, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hierfür müssen die Aktionspläne der EU wirksam umgesetzt werden. Dabei besteht über die EU-Ratspräsidentschaft die Möglichkeit, das Thema erneut auf die Agenda zu setzen. In diesem Sinne bitte ich Sie, insbesondere Sie von den Grünen, deren Antrag wichtige Dinge beinhaltet, aber größtenteils deckungsgleich mit unserem Antrag ist, heute unserem Antrag zuzustimmen. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zum Schluss dieser Debatte erhält die Kollegin Ursula Heinen für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Ursula Heinen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte zum diesjährigen Weltfrauentag ({0}) zeigt uns, wie ich glaube, sehr deutlich, in wie vielen Bereichen tatsächlich Handlungsbedarf besteht, bis wir von gleichen Rechten und Chancen für Männer und Frauen in unserem Land, aber auch international sprechen können. Wir haben gerade sehr intensiv über die internationale Politik und die internationale Situation von Frauen diskutiert. Es ist aber nicht so, dass hier in Deutschland alles so schön ist, wie wir uns das wünschen würden. ({1}) Aus diesem Grund haben wir in den Koalitions-, aber auch in den Oppositionsfraktionen gesagt, dass wir uns mit dem Thema, wie es mit der Chancengerechtigkeit im Erwerbsleben - ob die Herstellung von Chancengleichheit wirklich möglich ist, ist eine sehr philosophische Frage - tatsächlich aussieht, beschäftigen müssen. Wir erleben da, dass Frauen mit wesentlich mehr Hürden zu kämpfen haben als Männer. Das führt zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen bei den Verdienst- und Karrieremöglichkeiten. Fangen wir einmal mit der Erwerbstätigenquote an. Sie liegt in Deutschland noch nicht einmal bei 60 Prozent. Das ist ein sehr niedriger Wert im europäischen Vergleich. In Ländern wie Dänemark oder Schweden liegen die Frauenbeschäftigungsquoten bei über 70 Prozent. Eva Möllring hat von der Lohnschere gesprochen. 1995 verdienten die Frauen „nur“ 21 Prozent weniger als die Männer, heute sind es 23 Prozent weniger. Mit den Gründen, woran das liegt, müssen wir uns auseinandersetzen. Wenn wir nur die Stundenlöhne betrachten, kommen wir auf einen Unterschied von 26 Prozent. Ein Grund ist sicherlich die Ausbildungs- und Berufswahl. Die jungen Frauen konzentrieren sich bei ihrer Ausbildungs- und Berufswahl im Grunde auf zehn Ausbildungsberufe: Bürokauffrau, Kauffrau im Einzelhandel, Arzthelferin, Friseurin, zahnmedizinische Fachangestellte, Industriekauffrau, Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk, Kauffrau für Bürokommunikation, Verkäuferin und Hotelfachfrau. Das sind die Berufe, die junge Mädchen wählen. Aber das sind eben auch die Berufe, die im Schnitt schlechter bezahlt werden als die vergleichbaren - in Anführungsstriche zu setzenden - „Männer-“ oder „Jungenberufe“. Wir haben das Problem des geringen Anteils von Frauen in Führungspositionen. Da gilt die einfache Regel: Je größer das Unternehmen, desto geringer der Anteil von Frauen in Führungspositionen, bis hin zu den DAX-Unternehmensvorständen, in denen keine einzige Frau sitzt. Ich finde es für ein hochentwickeltes Land wie die Bundesrepublik Deutschland ein Armutszeugnis, wenn wir es nicht schaffen, zu erreichen, dass Frauen in Unternehmen auch in den Toppositionen zu finden sind. ({2}) Wir müssen klar die kleinen und mittelständischen Unternehmen loben, die es tatsächlich schaffen, Frauen und Männer zusammenzubringen bzw. die Qualifikationen von Frauen für ihre Bedürfnisse stärker zu nutzen, als das die großen Unternehmen tun. Im Hochschulbereich sieht es so aus: Bei den Juniorprofessoren beträgt der Anteil der Frauen noch 30 Prozent; bei den C-4-Stellen liegt er gerade noch bei 10 Prozent. Wir sind froh, dass wir mit Annette Schavan eine Bildungs- und Forschungsministerin haben, die sich dieses Themas annimmt und uns dabei unterstützt, zu erreichen, dass die Frauen im Bildungsbereich und in der Forschung besser anerkannt werden, als das bislang der Fall gewesen ist. ({3}) Jetzt kommen wir zu einem ganz entscheidenden Thema, nämlich zu der Frage der familienfreundlichen Arbeitswelt. Das ist das Kernproblem. Wir haben die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tatsächlich noch nicht. An den Frauen - Gerda Hasselfeldt hat es erwähnt hängt die Organisation der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Nur wenn die Unternehmen sich darauf einstellen, familienfreundlichere Arbeitsplätze einzurichten, haben wir eine Chance, dass es besser wird. ({4}) Das Land Nordrhein-Westfalen hat in Unternehmen eine Umfrage über freiwillige Regelungen, die die Zusammenarbeit vereinfachen, durchgeführt. Dabei ist herausgekommen, dass gerade einmal 8,4 Prozent der Unternehmen über flexible Arbeitszeitgestaltung verfügen. Nur 4,6 Prozent bieten tatsächlich Teilzeitarbeit an. Teleheimarbeit gibt es nur bei 2,9 Prozent der Unternehmen. Das sind große Probleme, die wir haben und an denen wir arbeiten müssen. Lassen Sie mich zum Schluss am Weltfrauentag eines sagen: Erst einmal danke ich allen Kolleginnen, die mitgekämpft haben, dass es uns wesentlich besser geht und dass wir auf das Thema aufmerksam machen. Es ist, auch in den eigenen politischen Parteien, nicht immer leicht, die Frauenthemen in den Mittelpunkt zu rücken, Hartmut Koschyk. ({5}) Aber ich denke, dass wir auf einem guten Weg sind. Schließlich sollten wir heute am Weltfrauentag all den Frauenministerinnen danken, die wir in diesem Land hatten: angefangen bei Rita Süssmuth über Claudia Nolte, Angela Merkel, Dr. Christine Bergmann und Renate Schmidt bis hin zu Ursula von der Leyen, die einen nicht immer ganz einfachen Kampf führt, aber schon viel für die Sache der Frauen in unserem Land erreicht hat. Danke schön. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe auf der Drucksache 16/4499 zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „UN-Resolu- tion 1325 - Frauen, Frieden und Sicherheit - konsequent umsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/3501 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist diese Beschlussemp- fehlung bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen angenommen. Beim Tagesordnungspunkt 3 b geht es um die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senio- ren, Frauen und Jugend auf der Drucksache 16/4524. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss- empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/712 mit dem Titel „Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt ver- wirklichen - Innovationshemmnis Männerdominanz be- enden“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Be- schlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/832 mit dem Titel „Frauen- politik - Gesellschaftlicher Erfolgsfaktor“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dage- gen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei- ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/833 mit dem Titel „Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes auf dem Arbeitsmarkt durchsetzen“. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent- hält sich? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/3776, 16/4558 und 16/4555 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offen- kundig der Fall. Dann sind die Überweisungen so be- schlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c sowie Zusatzpunkt 4 auf: 4 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann, Dr. Edmund Peter Geisen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes - Drucksache 16/4143 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Schutz von Mensch und Umwelt bei Freisetzungsexperimenten gewährleisten - Drucksache 16/4556 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Präsident Dr. Norbert Lammert Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Bei gentechnisch veränderten Pflanzen nationales Recht auf Einfuhrverbote und Schutzmaßnahmen nutzen - Drucksachen 16/1176, 16/4574 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Max Lehmer Hans-Michael Goldmann Ulrike Höfken ZP 4 Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung ({4}) TA-Projekt: Grüne Gentechnik - transgene Pflanzen der 2. und 3. Generation - Drucksache 16/1211 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({5}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache wiederum eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich bitte, den aufgrund des neuen Tagesordnungspunktes naheliegenden Schichtwechsel erstens möglichst geräuschlos und zweitens möglichst zügig zu vollziehen, damit die Redner die nötige Aufmerksamkeit finden. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan für die FDP-Fraktion. ({6})

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kunst des Buchdruckens wurde zuerst in China entwickelt. Johannes Gutenberg - wir müssen uns das eingestehen - kam erst 500 Jahre später. In China setzte sich die Buchdruckerkunst nicht durch; sie fand keinen Markt. Warum? Weil die Menschen nicht lesen konnten. Genauso geht es zurzeit der Grünen Gentechnik. Die Menschen verstehen ihre Vorteile nicht. Das Bild, das ich Ihnen gezeichnet habe, ist stimmig. Es stammt aus einer Rede des SPD-Europa-Abgeordneten Rolf Linkohr. ({0}) Weiter führt er aus: „Doch mit jeder Protestbewegung verlor Deutschland Zeit und Kompetenz in Schlüsselbereichen der Technik.“ Genau dies wollen wir als FDP verhindern. ({1}) Der Grünen Gentechnik wird mit Zweifeln begegnet. Das ist bei Innovationen nicht ungewöhnlich; aber in Deutschland ist es besonders stark ausgeprägt. Eine Studie der Deutschen-Telekom-Stiftung hat ergeben, dass das gesellschaftliche Klima in Deutschland besonders innovationsfeindlich ist. Unter zwölf Nationen nehmen wir Platz 10 ein. Es ist eine politische Aufgabe, in Kenntnis der gesellschaftlichen Erfordernisse dieser Innovationsscheu zu begegnen. ({2}) Wir als FDP nehmen die vorhandenen Zweifel gegenüber der Grünen Gentechnik ernst. ({3}) Zweifel ernst zu nehmen, heißt nicht, Ängste zu bestätigen, für die es keinen nachvollziehbaren Grund gibt. ({4}) Zweifel ernst zu nehmen, heißt, Aufklärungsarbeit zu leisten. Das tun wir. ({5}) Wenn wir den Kern der Zweifel gegenüber der Grünen Gentechnik einmal genauer untersuchen, dann stoßen wir ausschließlich auf theoretische Überlegungen, aber nicht auf Tatsachen. Es gibt keine Tatsachen, die gegen den Anbau von gentechnisch veränderten Sorten sprechen. ({6}) Zugelassene gentechnisch veränderte Sorten sind sicher und vielfach anderen Sorten überlegen. Sie sind somit gentechnisch verbessert. ({7}) Herr Kollege Kelber, wenn Sie Zweifel an der Arbeit der Zulassungsbehörden der Bundesrepublik Deutschland und an der EFSA haben, dann sind Sie als Regierungspartei gefordert, etwas an der Struktur der Behörden und am gesetzlichen Verfahren zu ändern. Sie können aber nicht einfach nur herummotzen. ({8}) Es ist im Übrigen nicht überraschend, dass kontinuierlich seit elf Jahren von Jahr zu Jahr mehr gentechnisch verbesserte Pflanzen angebaut werden. Inzwischen geschieht dies auf über 100 Millionen Hektar. Dies entspricht dreimal der Ackerfläche von Deutschland. ({9}) Nehmen Sie zur Kenntnis: Gentechnisch veränderte Pflanzen sind ein Erfolgsmodell. Wir von der FDP wollen die Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen für Verbraucherinnen und Verbraucher genauso wie für Landwirte. Deswegen legen wir eine Novelle zum Gentechnikgesetz vor. Unser Gesetzentwurf schafft Rechtssicherheit; das ist das erste Gebot. Die Forschung wird erleichtert; das fordern Sie von der Koalition. Die Bürokratie wird abgebaut; auch das fordern Sie. Die Felder der Landwirte, die in den Regionen des Maiszünslers Bt-Mais anbauen wollen, werden geschützt. Auch das steht in Ihrem Eckpunktepapier. ({10}) Gleichzeitig wird der hohe Schutz von Natur und Umwelt erhalten. Nutzen für die Umwelt bringt die Stärkekartoffel; Umweltminister Gabriel hat es hier im Plenum gesagt. Nutzen für Natur und Umwelt bietet der Bt-Mais, so das Bayerische Umweltministerium. Schauen wir in die Schwellenländer: Dort helfen gentechnisch veränderte Pflanzen, die Armut zu mindern. ({11}) - Ja, es ist so. Nehmen Sie die Ergebnisse der Universität Hohenheim zur Kenntnis! Dann wissen Sie es. Die Verzögerung der Zulassung der Stärkekartoffel ist ärgerlich, aber sachlich unbegründet. ({12}) - Sie ist sachlich unbegründet. Sie wissen, der np-IIMarker ist bewährt und in vielen anderen Konstrukten ebenfalls enthalten. Eine Verzögerung ist sachlich völlig unbegründet. ({13}) - Ich habe alle Studien gelesen. Es ist schlicht falsch, was Sie da behaupten. ({14}) Sie machen Stimmung, und Sie werden Ihrer Aufgabe nicht gerecht. ({15}) - Die WTO hat etwas zu Kanamycin gesagt. ({16}) - Ich weiß, die WHO hat etwas dazu gesagt. Trotzdem ist die Kritik nicht gerechtfertigt. ({17}) - Nehmen Sie doch einfach einmal Studien zur Kenntnis. Sie wissen ganz genau, dass wir auf 100 Millionen Hektar Flächen, auf denen gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut wurden, keinerlei Schwierigkeiten und keinerlei Probleme gehabt haben, die über andere Probleme hinausgehen. Das wissen Sie. Nehmen Sie es endlich zur Kenntnis! ({18}) Nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft Ihr Eckpunktepapier massiv kritisiert hat! Nehmen Sie weiterhin zur Kenntnis, dass die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie die Grüne Gentechnik befürwortet. Hubertus Schmoldt sagte - orientieren Sie sich bitte schön auch einmal an der Weisheit der Gewerkschaften -: ({19}) Die Gentechnik, also auch die grüne Gentechnik, zählt zu den ganz wichtigen Zukunftsbranchen. Deutschland darf hier international den Anschluss nicht verlieren … ({20}) Hubertus Schmoldt weiß, dass Deutschland schon einmal eine Zukunftschance in den Wind geschlagen hat. Das war die Sache mit dem Humaninsulin. 1982 wurde es zugelassen; aber erst 1998 wurde die entsprechende Fabrik eingeweiht. Im selben Jahr sagten die Grünen in ihrem Programm: Gentechnologie ist eine genetische Umweltverschmutzung. Das ist totaler Quatsch, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. ({21}) Innovationen sind wie Äpfel; sie bleiben nicht ewig frisch. Deutschland hat seine führende Position in der Pharmazie verloren. Dies hat seine Ursache auch in der mangelnden Weitsicht politischer Entscheidungsträger, zum Beispiel in der eines Joseph Fischer. Der Staatssekretär im Forschungsministerium fordert auf öffentlichen Veranstaltungen „politische Führung“, das Werben um Akzeptanz für die Grüne Gentechnik. Aber wo bleibt die politische Führung dieser BundesreDr. Christel Happach-Kasan gierung, wenn es zum Beispiel um Freisetzungsversuche in Gatersleben geht, die forschungspolitisch sinnvoll sind? Wo bleiben Ihre Richtigstellungen, wenn Verbände absoluten Unsinn behaupten? Ich vermisse diese. Sie reden viel und handeln überhaupt nicht. ({22}) Bei der Grünen Gentechnik sitzen CSU und Grüne in einem Boot. Lakritz und Spinat traut vereint an der Pinne; das kann nicht gut gehen. Diese Fahrt führt ins Schilf. Die flammenden Plädoyers der CSU zur Grünen Gentechnik haben wir alle noch im Ohr, zum Beispiel die Forderung von Gerda Hasselfeldt ({23}) nach einer Novellierung des Gentechnikgesetzes sofort nach Übernahme der Regierung. ({24}) Franz Müntefering hat hier im Parlament gesagt, es sei unfair, die Politik an Wahlversprechen zu messen. Da hat er für die CSU gleich mitgesprochen. Doch genau diese Schnoddrigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen von CSU und der SPD, ({25}) wenn also Aussagen vor der Wahl nach der Wahl vergessen sind, untergräbt die Glaubwürdigkeit der Politik. „Wir können es uns nicht mehr leisten, die Gentechnik wie eine heiße Kartoffel vor uns herzuschieben“, sagte der SPD-Vorsitzende Kurt Beck auf dem Braunschweiger Kreisbauerntag. Er hat selten so viel Beifall von Bauern bekommen wie auf diesem Kreisbauerntag. Hören Sie ihm zu! ({26})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Schluss. Der Umgang mit Innovationen ist eine Herausforderung für eine alternde Gesellschaft. Innovationsfeindliche Politik ist immer auch mittelstandsfeindlich. Denn mit den jungen Akademikerinnen und Akademikern verlassen Menschen das Land, deren Wissen uns fehlt, die hier Aufträge vergeben und den Mittelstand tragen könnten. Ich bin froh, dass die FDP-Bundestagsfraktion mit der Vorlage ihres Gesetzentwurfes Bewegung in die Debatte gebracht hat. Ohne unseren Antrag gäbe es heute noch kein Eckpunktepapier der Bundesregierung. Ich fordere die Regierung auf zu handeln, wie sie es den Menschen im Koalitionsvertrag versprochen hat: für mehr Anwendung der Grünen Gentechnik in Forschung und Landwirtschaft. - Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Peter Paziorek. ({0})

Dr. Peter Paziorek (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001685

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, verehrte Kollegin HappachKasan, ob ich es eben richtig verstanden habe; aber ich meine, in Ihrem letzten Satz hätten Sie gesagt, die Bundesregierung habe noch kein Eckpunktepapier vorgelegt. ({0}) - Ach so. - Also zur Klarstellung: Die Bundesregierung hat am 28. Februar 2007 das Eckpunktepapier zur weiteren Novellierung des Gentechnikrechts verabschiedet. Dieses Eckpunktepapier stellt einen ausgewogenen Kompromiss dar, der die unterschiedlichen Bewertungen aus politischer und wissenschaftlicher Sicht aufgreift. ({1}) Ich glaube, dass dieses Eckpunktepapier damit auch eine politische Antwort auf diese Bewertungen gibt. Die Bundesregierung hat im Vorfeld der Verabschiedung dieses Eckpunktepapiers einen breiten Dialogprozess durchgeführt. Alle Interessengruppen sind angesprochen worden, ganz bewusst auch, um die Risiken, aber auch die Chancen der Gentechnik in einem solchen Eckpunktepapier aufzugreifen. Was muss bei einem solchen Abwägungsprozess berücksichtigt werden? Ich stelle diese Frage, Frau Happach-Kasan, ganz bewusst an den Anfang meiner Ausführungen. Denn wir müssen natürlich aufpassen. Sie haben in der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf einen zentralen Satz geschrieben, den ich in dieser Form nicht unterschreiben möchte. Er lautet: Über die Einführung der Gentechnik entscheidet der Markt. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob der Markt allein die Kriterien in ausreichendem Umfang zur Verfügung stellt, um die Gentechnik wirklich verantwortungsbewusst einzuführen. In diesem Punkt gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen uns und Ihnen. ({2}) Was sind also solche Abwägungskriterien? ({3}) - Ich will gerade den Prozess darstellen, Herr Goldmann. Sie haben das auch angesprochen. Wir müssen die Bedenken der Bevölkerung hinsichtlich der Einführung der Gentechnik ernst nehmen. Auf der anderen Seite erklären viele Forschungseinrichtungen, dass gentechnisch veränderte Pflanzen interessante Perspektiven bieten können. In diesem Zusammenhang werden die Bereiche Ernährung, Gesundheit und nachwachsende Rohstoffe angesprochen. In Bezug auf die nachwachsenden Rohstoffe stellt sich zum Beispiel die Frage, ob der Energiegehalt verbessert werden kann. Wenn wir von Energiesicherheit sprechen, ist das eine spannende Frage. Gibt es darauf eine Antwort? ({4}) Im Bereich der Umweltpolitik stellt sich zum Beispiel die Frage, ob man mittels der Gentechnik Pflanzen entwickeln kann, die uns helfen, die Probleme bezüglich der Belastung der Böden zu lösen. Mit anderen Worten: Es gibt in der Tat interessante Perspektiven in diesem Bereich. Andererseits weiß niemand, ob diese Chancen Realität werden können. Keiner in diesem Saal will die Frage nach den Risiken vom Tisch wischen. Deshalb muss man auch das ernst nehmen. Wenn Chancen und Risiken gegeben sind, stellt sich doch die spannende Frage, welcher Weg gefunden werden muss, um diese offenen Fragen zu beantworten. Ich möchte im Folgenden Antworten zu drei Punkten geben, nämlich Forschung, Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Haftung und Transparenz. Ich sage ganz offen: Wer so an diese Fragen herangeht, nämlich Chancen und Risiken zu sehen, der muss ein grundsätzliches Ja zur Forschung sagen, ein Ja zur Sicherheitsforschung und natürlich auch ein Ja zur Entwicklungsforschung, um die Chancen auszuloten. ({5}) Das bedeutet, wir brauchen auch Freisetzungen. Freisetzung bedeutet, nicht nur im Labor, sondern auch in der Praxis zu schauen, ob das tatsächlich zu realisieren ist. Wenn ich mir den Antrag anschaue, den die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vorgelegt hat, stelle ich fest, dass dieser einen Grundtenor hat: überhaupt keine Freisetzung, also auch keine Forschung draußen. Ich muss klar und deutlich sagen: Dieser Antrag geht von dem Grundsatz aus, dass man die Chancen überhaupt nicht sehen will. Auch eine solche Position muss man, wenn man verantwortungsvolle Politik macht, ablehnen. Es wäre völlig falsch, schon jetzt alles abzuschreiben. ({6}) Deshalb, meine ich, müsste der Ansatz so gestaltet werden, wie es die Koalition und die Bundesregierung in ihrem Beschluss vom 28. Februar festgelegt haben. Wir brauchen Forschung unter Sicherheitsaspekten, darüber hinaus brauchen wir Forschung im Bereich der Entwicklung. Die dazugehörigen Verfahren müssen pragmatisch umgesetzt werden. Die Bundesregierung hat sich im Eckpunktepapier dafür ausgesprochen, ein weiteres Gesetz zur Änderung des Gentechnikrechtes auf den Weg zu bringen, um zum Beispiel Verfahren der Freisetzung, in denen genügend Sicherheitserfahrungen vorliegen, einfach auszugestalten. Mein zweites Stichwort, das für das Papier wesentlich ist, ist der Grundsatz der langfristigen Einhaltung der Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher. Ziel unserer Politik muss bleiben, allen tatsächlich die Möglichkeit einzuräumen, auf gentechnikfreie Lebensmittel zurückzugreifen. Jeder muss selbst entscheiden können, was er kaufen will. Wenn das so angepackt wird, bedeutet das für die Produktion und Anwendung, dass ganz bestimmte Koexistenzregeln verabschiedet werden müssen; denn erst wenn die Koexistenz dieser Bereiche möglich ist, kann der Verbraucher davon ausgehen, dass er tatsächlich wählen kann. Ich glaube, hierfür haben wir einen guten Ansatz gefunden. ({7}) Wir werden jetzt darangehen, die gute fachliche Praxis bei der Erzeugung gentechnisch veränderter Pflanzen in einer Rechtsordnung zu definieren. Hier stellt sich die spannende Frage der Mindestabstände. Wir gehen davon aus, dass der Mindestabstand bei den beiden Anbauarten von Mais 150 Meter betragen soll. Aufgrund wissenschaftlicher Untersuchungen ist dieser Abstand ausreichend, um für die nötige Sicherheit zu sorgen. Ich denke, dass wir damit dem Bedürfnis nach Wahlfreiheit verantwortungsbewusst nachkommen. Der dritte Schwerpunkt des Eckpunktepapiers umfasst die Regelungen für Transparenz und Haftung. Der Leitsatz des Eckpunktepapiers lautet: Die Betroffenen informieren und Transparenz sichern. Die Betroffenen wollen wissen, wann sie mit der Gentechnik in Berührung kommen. Allerdings ist es - das muss man deutlich sagen - in der Vergangenheit immer wieder zur Zerstörung von Feldern mit gentechnisch veränderten Pflanzen gekommen. Manche Felder, die zu Forschungszwecken angelegt wurden, sind bewusst zerstört worden. Das ist nicht richtig. So kann man nicht zur Ausgewogenheit kommen. Die rechtlichen Probleme, die damit verbunden sind, will ich hier gar nicht erwähnen. Die Nachbarn der GVO-Verwender werden vom Anbau informiert. Im Standortregister soll in Zukunft nur noch die Gemarkung angegeben werden. Ich sage das so deutlich, weil dieser Aspekt in der Öffentlichkeit bisher noch nicht berücksichtigt worden ist. Jeder soll allerdings die Möglichkeit erhalten, beim BVL eine Anfrage über das konkrete Grundstück zu stellen, solange bei ihm nicht Tatsachen den Verdacht begründen, dass die Anfrage einer Feldzerstörung dienen soll. Mit anderen Worten: Die Offenheit in dieser Frage ist gegeben. Wir wollen alles tun, damit es zukünftig nicht zu Feldzerstörungen kommt. Das muss an dieser Stelle politisch deutlich herausgestellt werden. ({8}) - Ihr Zuruf ist sehr interessant, Frau Höhn. Wenn sich Ihr Zwischenruf „Wenn Sie keine anderen Probleme haben!“ auf meine Ausführungen bezieht, ({9}) dann, muss ich sagen, haben Sie den falschen Ansatz. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höhn? ({0})

Dr. Peter Paziorek (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001685

Ja, natürlich gern, schließlich habe ich sie direkt angesprochen. ({0})

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Paziorek, ich möchte klarstellen, dass sich mein Zwischenruf nicht auf Sie bezog, sondern auf den Kollegen Kelber.

Dr. Peter Paziorek (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001685

Das nehme ich zur Kenntnis.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe deutlich und klar gesagt, dass ich Feldzerstörungen für nicht in Ordnung halte. Das war in der Vergangenheit meine Position und wird auch in Zukunft meine Position sein. ({0})

Dr. Peter Paziorek (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001685

Ich nehme das zur Kenntnis, danke. Ein anderer Aspekt der Transparenz ist die Kennzeichnung. Auf der Grundlage des Eckpunktepapiers streben wir die Kennzeichnung aller Produkte an, die unter Einsatz gentechnisch veränderter Organismen hergestellt worden sind. Damit würde einer von der Verbraucherseite erhobenen Forderung nach mehr Transparenz auch bei tierischen Produkten Rechnung getragen werden. Das ist unsere Absicht. Es wäre vielleicht an dieser Stelle schön, wenn Sie, Frau Höhn, das nachher in Ihrem Redebeitrag auch einmal lobend erwähnen würden. Es ist ganz klar, dass wir in dem Eckpunktepapier eine solche Beschlusslage vorgenommen haben. Eines sage ich aber auch deutlich: Diese Fragen müssen europaweit gelöst werden. Es hätte keinen Zweck, wenn wir diese Fragen nur national in Deutschland regeln würden. Aufgrund der Offenheit der Märkte würde das nachher wieder ausgeklinkt werden. Wir wollen natürlich die Haftungsregelung präzisieren. Gerade das ist in der Presseberichterstattung der letzten Tage ein ziemlich oft zitierter Punkt gewesen. Hier muss man klar und deutlich sagen: Dazu gibt es in der öffentlichen Diskussion viele Missverständnisse. Die Haftungsfragen bei den Mangelfolgeschäden können nur im Rahmen der Rechtsprechung, zum Beispiel auch der obersten deutschen Gerichte, präzisiert werden. Das heißt also: All das, was - auch von der rot-grünen Vorgängerregierung - mit der sogenannten gesamtschuldnerischen Haftung in dieser Frage vereinbart wurde, hat zwar den Personenkreis der möglichen Haftenden geklärt - mit all den umstrittenen Diskussionen hier im Bundestag -, hat aber nicht ein neues Rechtsinstitut geschaffen, mit dem weitere Haftungstatbestände bei Mangelfolgeschäden entwickelt werden könnten. Mit anderen Worten: Hier wird sehr oft eine andere rechtliche Position bei dem Begriff Haftung unterschoben, die in der Diskussion bis jetzt nie eine rechtliche Relevanz gehabt hat. Um das noch einmal mit Öffentlichkeitswirkung nach außen klarzustellen, haben wir in dem Eckpunktepapier gesagt: Wir werden uns dieses Thema noch einmal vornehmen und werden dazu auch einen Fachkongress durchführen, um - ich habe am Anfang gesagt, es gibt große Bedenken in der Öffentlichkeit - Informationsprozesse zu dieser Frage in Gang zu setzen und die Öffentlichkeit über den Streitstand zu informieren und sie mitzunehmen. Dadurch soll deutlich gemacht werden, was überhaupt dahintersteckt, wenn hier die Haftungsfrage kontrovers diskutiert wird. Wenn man das so zusammenfasst, dann muss ich sagen: Dieses Eckpunktepapier, dieser Beschluss der Bundesregierung ist ein verantwortungsbewusster Umgang mit der öffentlichen Diskussion, aber auch mit den öffentlichen Kriterien der Chancen und der Risiken. Dieses Papier stellt wirklich einen Ausgleich dar. Ich glaube, wir können deshalb abschließend sagen: Wir sind hier mit diesem Eckpunktepapier auf einem richtigen Weg; denn es werden die Interessen von Umweltschutz, Gesundheitsschutz, Verbraucherinformation und Forschungsförderung berücksichtigt. Damit wird dieses Papier auch den Vorgaben des Koalitionsvertrages gerecht, die Gentechnik weiter zu fördern, aber mit Augenmaß. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die vorliegenden Drucksachen zu dieser Debatte weisen mit einer Ausnahme auf das eigentliche zentrale Problem der Agrogentechnik hin, nämlich dass gesundheitlichen und ökologischen Risiken ein sehr strittiger Nutzen gegenübersteht. Nur der Gesetzentwurf von der FDP blendet diese Tatsache aus und setzt auf grenzenlosen Fortschritt. Aber das kennen wir. Daher möchte ich mich mit dem Minister auseinandersetzen - Herr Paziorek, da müssen Sie jetzt einmal durch. Es hat schon etwas Tragikomisches, liebe Kolleginnen und Kollegen: Da bin ich als Linke einmal in meinem Leben ausnahmsweise der gleichen Meinung wie der CSU-Generalsekretär, wie eine Bevölkerungsmehrheit in Bayern und wie die katholische Kirche - ich habe zwar andere Gründe für die Ablehnung der Gentechnik, aber immerhin -, und ausgerechnet dann verweigert der zuständige Minister die Gefolgschaft und lässt in der vergangenen Woche das Eckpunktepapier zur Agrogentechnikförderung, von dem schon die Rede war, im Kabinett absegnen. Um die Tragik noch zuzuspitzen: Die SPD-Ministerinnen und -Minister lassen bei dieser Gelegenheit auch noch ihre eigene Fraktion im Stich. Dabei wäre das Positionspapier der SPD-Fraktion vom Januar 2007 allemal besser gewesen als das Seehofer’sche Lobbypapier. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie werden heldenhaften Widerstand aufbringen müssen, aber Sie haben die Chance, Ihre Vertrauenswürdigkeit wiederherzustellen. ({1}) Aber machen wir doch einmal einen Glaubwürdigkeitscheck beim Minister: Er betont immer wieder, dass die sogenannte Koexistenz zwischen Anwendern und Nichtanwendern der Agrogentechnik selbstverständlich garantiert werden müsse, als Anwendungsvoraussetzung geradezu. Es lohnt sich also ein prüfender Blick. Bei der sogenannten Koexistenz geht es zum Beispiel darum, mit welchen Maßnahmen man die Auskreuzungen in das Erntegut des Nachbarn verhindern kann. Ich denke zwar, dass es beim Mais andere, wichtigere Verschleppungswege gibt, wie Resterntegut auf dem Acker, Transport- und Verarbeitungswege usw. Aber zu diesen Hauptrisiken sagt das Eckpunktepapier gar nichts; bleiben wir deswegen bei den Auskreuzungsgefahren. Wir hatten im Oktober 2006 zu diesem Thema eine Anhörung im Bundestagsausschuss. Einer der Experten war Dr. Rühl von der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft; das ist die Agrarressortforschungseinrichtung, die die Politikberatung der Bundesregierung bei diesem Thema leistet. Er stellte klar, dass für eine Festlegung des Sicherheitsabstands zwischen Feldern, auf denen gentechnisch veränderter Mais angebaut wird, und solchen, auf denen konventioneller Mais angebaut wird, aus seiner Sicht zurzeit noch keine ausreichende Datenbasis verfügbar ist. ({2}) Ich persönlich würde ohnehin auf internationale Erfahrungen verweisen, die dagegen sprechen, dass es so etwas wie eine dauerhafte Koexistenz geben kann. Aber ich will jetzt Dr. Rühl wortwörtlich zitieren: Dafür brauchen wir mehrjährige Feldversuche. Aus ein- oder zweijährigen Versuchen lässt sich … relativ schlecht etwas Abgesichertes ableiten. Das sagt also die fachlich zuständige Bundesforschungsanstalt zu den Voraussetzungen von politischen Entscheidungen, die der Herr Minister jetzt kühn fällt. Die gerade begonnene FAL-Studie ist auf fünf Jahre angelegt; wir werden die Ergebnisse also erst 2010 vorliegen haben. Die einzig logische Konsequenz müsste dann doch darin bestehen, im Sinne des Vorsorgeprinzips ein Moratorium zu verhängen, die Feldversuche zeitweilig auszusetzen. ({3}) Stattdessen übt sich der Minister kühn im Abschätzen: Er nimmt den fiktiven Wert von 100 Metern Abstand, bei dem angrenzender Mais „nur noch ein bisschen“ verunreinigt werde. Anstatt die technische Nachweisgrenze von 5 auf 100 000 Körner zum Maßstab zu machen, legt er fest, dass 9 von 1 000 Körnern in konventionellem Mais gentechnisch verändert sein dürfen, ohne dass dafür jemand haftbar gemacht werden könnte. Großzügig legt er seinerseits einen Sicherheitsabstand von 50 Metern oben drauf, sodass er auf 150 Meter Abstand kommt. Diese ministerielle Herleitung hat mindestens einen Haken: Sie widerspricht schlicht den Expertenempfehlungen. Ich zitiere wieder, was Dr. Rühl von der FAL in der Anhörung gesagt hat: 150 Meter beim Mais ist definitiv keine Garantie dafür, dass ab diesem Punkt urplötzlich das Ganze bei Null ist. ({4}) Die EU schreibt ausdrücklich vor, dass Auskreuzungen nur dann zulässig sind, wenn sie technisch unvermeidbar oder zufällig sind. Aber wie kann etwas zufällig sein, wenn die Bundesforschungsanstalt klar sagt, dass auch jenseits der 150 Meter mit Auskreuzungen gerechnet werden muss? ({5}) Um einen weiteren Beleg für die Willkürlichkeit der Seehofer’schen Abstandsregelung zu nennen: Der Sicherheitsabstand soll erstens nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst werden, darf aber zweitens die Nutzung der Agrogentechnik ausdrücklich nicht verhindern. Eine so dreiste politische Vorgabe für wissenschaftliche Untersuchungen habe ich noch nicht erlebt. ({6}) Aus meiner Sicht wird die Seehofer’sche Koexistenzgarantie damit schleichend zu einer Kontaminationsgarantie. Der Super-GAU, den wir 2006 hatten - dass gentechnisch veränderter Reis aus einem kleinen Versuchsanbau in den USA weltweit Kontaminationen verursacht hat -, muss doch jede Illusion von einer Kontrollierbarkeit der Agrogentechnik zunichte gemacht haben. Die Behauptung, Koexistenz sei auf Dauer möglich, ist daher Etikettenschwindel und Wählertäuschung. ({7}) Die SPD-Fraktion hat angesichts dieser Situation einen vernünftigen Vorschlag gemacht, den wir unterstützen: Die Bundesregierung soll sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass es möglich wird, gentechnikfreie Zonen, Regionen bzw. Länder einzurichten. Unsere Ratspräsidentschaft bietet dazu eine gute Gelegenheit. Damit gäbe man zumindest den Menschen, die diese Risikotechnologie nicht wollen, eine Chance, sich zur Wehr zu setzen. Eine Alternative wäre, dass der Minister endlich im Sinne der Mehrheit Politik macht. Aber da bin ich wenig hoffnungsvoll. Recht herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte den Gesetzentwurf der FDP zur Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion kurz charakterisieren: Erstens. Die FDP hat Angst vor Fachargumenten, weil diese auch einmal gegen die Nutzung von Gentechnikpflanzen ausfallen könnten. Anders ist nicht zu erklären, dass die FDP die Rechte der Fachbehörden aushebeln will, mögliche Warner also mundtot machen will. ({0}) Zweitens. Der Gesetzentwurf der FDP gefährdet Hunderttausende Arbeitsplätze in der gentechnikfreien Landwirtschaft und Lebensmittelbranche, also 99 Prozent der gesamten Arbeitsplätze; denn diese stehen in Konkurrenz mit ausländischen Anbietern. Durch die von der FDP gegenüber dem Entwurf der Regierung geforderten kürzeren Vorwarnzeiten hätten Landwirte, wenn ein Nachbar gentechnisch veränderte Pflanzen anbaut, nicht mehr die Möglichkeit, mit anderen Lieferbedingungen, mit anderen Anbauarten zu reagieren. Auf die Landwirte, die keine Gentechnikpflanzen anbauen, können damit Mehrkosten zukommen, die sie in ihrer Konkurrenzfähigkeit gefährden. Gleichzeitig will die FDP die Haftung der Gentechnikanbauer gegenüber möglicherweise geschädigten Nachbarn unter das im Bürgerlichen Gesetzbuch übliche Haftungsniveau senken. ({1}) Drittens. Der Gesetzentwurf der FDP atmet in jeder Zeile Misstrauen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. ({2}) Es schadet der Glaubwürdigkeit des Staates und übrigens auch der Glaubwürdigkeit der Gentechniknutzer, wenn die Bürger in Zukunft nicht mehr vom Staat erfahren, auf welchen Flächen Gentechnik zum Einsatz kommt, sondern wenn sie es dem Internet entnehmen müssen. ({3}) Wenn Sie nur die Gemarkung zulassen wollen, aber viele der wirtschaftlich Berechtigten die Gesamtinformation bekommen, dann wird sie von dort ins öffentliche Internet gelangen. Dann fragt sich der Bürger: Warum verheimlicht der Staat etwas, was ich woanders erfahren kann? Es schadet der Glaubwürdigkeit, wenn wir diesen Weg gehen, und das ohne Not. Denn seit der Einführung des flurstückgenauen Katasters ist die Zahl der zu verurteilenden Feldzerstörungen sogar zurückgegangen. Es gibt also gar keinen Grund, diesen Weg zu gehen. ({4}) Viertens. Die FDP will den Schutz der Öffentlichkeit vor Fehlverhalten beim Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen verringern. Sie schlägt vor, die Bußgelder zu senken. Fünftens. Die FDP will - das ist der wichtigste Punkt auch Ernten, die mit experimentellen, für den Anbau als Lebensmittel nicht zugelassenen Pflanzen verschmutzt sind, da auf dem Nachbarfeld ein Versuchsanbau stattgefunden hat, für den Verzehr freigeben. ({5}) Das ist Ihr Vorschlag. Sie möchten die Menschen zu Versuchskaninchen machen, und das ohne eindeutige Kenntnisse im Hinblick auf die Langzeitwirkungen. ({6}) Diese Forderung entbehrt jedes gesunden Menschenverstandes und jeglicher wissenschaftlicher Basis. ({7}) Was ist im Hinblick auf die Gesetzesnovelle der Stand der Dinge? Wir haben einen Kabinettsbeschluss über die Eckpunkte der Reform gefasst. Es war absolut sinnvoll, dass der Bundesminister zunächst einmal eine Abstimmung zwischen den verschiedenen Ressorts durchgeführt hat. ({8}) Er hat seine Kolleginnen und Kollegen im Finanzministerium, im Justizministerium und im Gesundheitsministerium gefragt, welche Meinung ihr jeweiliges Ressort zu seinen Vorschlägen hat. ({9}) Es ist auch richtig, dass dann der Finanzminister abklärt, was aus finanzieller Sicht zu beachten ist. Von Bedeutung ist darüber hinaus, dass auch das Justizministerium beteiligt wird. Ich freue mich, wenn ein SPDgeführtes Justizministerium zum Beispiel sagt, dass es mit Einschränkungen bei der Haftung nicht einverstanden ist, und wenn dies dann auch in der geänderten Fassung der Eckpunkte seinen Ausdruck findet. Genau so sollte die Ressortabstimmung stattfinden. ({10}) Jetzt ist der Deutsche Bundestag gefordert, diese Gesetzesnovelle zu beraten. Man muss ganz offen sagen: Es gibt Punkte, über die wir in der Koalition noch diskutieren müssen, da wir noch uneins sind. Diese Aspekte wird jetzt der Bundestag, der Gesetzgeber, klären müssen. Einer dieser Bereiche betrifft die Transparenz. Wir möchten im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher eine Verbesserung der Transparenz, die für sie nutzbar ist. Deswegen sind wir für eine Kennzeichnung aller tierischen Produkte wie Milch und Fleisch, wenn die Tiere mit gentechnikveränderten Pflanzen gefüttert wurden. ({11}) Wir sind nicht für die sogenannte Prozesskennzeichnung, die lediglich dazu führt, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher verwirrt werden und keine klare Unterscheidung zwischen den Produkten mehr möglich ist. Wir werden in dieser Frage den klaren Beschluss unseres Parteitags umsetzen. Wie deutlich geworden ist, sind wir nach wie vor für die Beibehaltung des flurstückgenauen öffentlichen Standortregisters. Es gibt keinen Grund, dies aufzugeben. ({12}) Der Schwerpunkt der Diskussion innerhalb der Koalition betrifft die Frage: Wie schützen wir die gentechnikfreie Landwirtschaft, wenn es zum vermehrten Einsatz gentechnisch veränderter Organismen kommt? Die Grundsatzentscheidung über den Einsatz von GVOs ist durch europäisches Recht gefallen; das ist nicht die Aufgabe dieser Novelle. Jeder kann hierzu eine private Meinung haben; viele von uns haben sie auch in der Öffentlichkeit deutlich gemacht. Es muss darum gehen: Wie schützen wir die gentechnikfrei arbeitenden Landwirte vor zusätzlichen Kosten, wenn der Markt von ihnen zum Beispiel Tests auf Gentechnikfreiheit fordert? Wie schützen wir sie vor höheren Kosten, wenn mehr GVOs eingesetzt werden, weil sie unterschiedliche Maschinen für Ernte, Lagerung und Verarbeitung brauchen? Wie schützen wir sie vor Absatzproblemen, wenn der Lebensmittelhandel und die weiterverarbeitende Industrie höhere Grenzwerte einfordern als die, die im Haftungsrecht vorgegeben sind? Ich freue mich, dass wir uns innerhalb der Koalition darauf geeinigt haben, dass dies die existenzielle Frage dieser Gesetzesnovelle ist. Damit hängt natürlich auch die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher eng zusammen. Wir werden eine gemeinsame Fachtagung durchführen, um sinnvolle Regelungen zu finden. Die Fragen der Abstandswerte, der Haftungsgrenzwerte, die verbindlichen gentechnikfreien Regionen und alle anderen Punkte müssen sich an dieser Problematik orientieren. Dann kann man sie quantifizieren. Ich möchte eine kritische Bemerkung machen: Der vielstimmige Chor aus den Reihen des Koalitionspartners macht die Kompromisssuche natürlich nicht leichter. In Bayern tobt CSU-Generalsekretär Söder durch die Gegend und macht Vorschläge, für die ich durchaus eine gewisse persönliche Sympathie habe, die aber schlicht EU-rechtswidrig sind. Wir können nicht einfach für zehn Jahre aussteigen. Schließlich haben wir vor einigen Jahren dem europäischen Recht zugestimmt, das nun verbindlich ist. Hier in Berlin gibt es aber CSU-Kollegen - sie sitzen heute in vorderer Reihe und werden wahrscheinlich noch sprechen -, die am liebsten den FDPGesetzentwurf unterstützen würden. ({13}) In Bayern mag es klappen, für jeden etwas zu haben. Aber im Deutschen Bundestag wird sich die CSU irgendwann einmal entscheiden müssen; denn hier schauen die Menschen etwas genauer hin. ({14}) Wir haben heute schon bei Ihrem ersten Redner, meine Damen und Herren von der FDP, gemerkt, dass Sie als seriöser Ansprechpartner in der Gentechnik leider ausfallen. ({15}) Bei Ihnen gibt es ein gefährliches Gemisch aus Ideologie und Lobbyismus, das nicht dem Schutz der Menschen dient. Ich freue mich, dass wir heute, nach über drei Monaten, wieder etwas von Ihnen, meine Damen und Herren von der Linken, zu diesem Thema gehört haben. Als ich mich gestern auf meine Rede vorbereitet habe, habe ich festgestellt, dass Ihre letzte Äußerung zu diesem Thema von Dezember letzten Jahres stammt. Bleibt noch unser ehemaliger Koalitionspartner, die Grünen. Wir haben gemeinsam vor ein paar Jahren ein gutes Gesetz gemacht. Immerhin sind die Haftungsregelungen so wegweisend, dass sie nun Grundlage für die vom Minister vorgeschlagene Neuregelung sind. Aber, meine Damen und Herren von der FDP, auch die Wirtschaft lehnt die von Ihnen vorgeschlagenen Änderungen ab; das ist spannend festzustellen. ({16}) Meine Damen und Herren vom Bündnis/90 Die Grünen, Sie wissen genauso gut wie ich, dass das alte Recht weder die gentechnikfreie Landwirtschaft noch die Verbraucherinnen und Verbraucher vor allen aktuellen Entwicklungen schützt, zum Beispiel dann nicht, wenn die Schwellenwerte für die Abnahme von Erntegut geringer sind als die gesetzlichen Kennzeichnungsschwellenwerte. Daher ist es unehrlich, in der Öffentlichkeit zu fordern: Verzichtet auf die Novelle! Das bedeutete einen Verzicht auf den Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft. Wir brauchen aber eine richtungweisende Novelle. Eines ist ganz klar: 80 Prozent der Menschen wollen keine Agrogentechnik auf ihrem Teller. Auch Landwirte und Handel lehnen diese mit breiter Mehrheit ab. Aber alle wollen, dass die Forschung fortgesetzt wird und dass die Biotechnologie stärker gefördert wird. Das will auch die Mehrheit im Deutschen Bundestag. Wir werden dafür sorgen, dass es Wahlfreiheit gibt und dass man vom Fortschritt profitiert. Vielen Dank. ({17})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun erteile ich das Wort der Kollegin Ulrike Höfken für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kelber, es ist gut, das noch zwei Anträge der Grünen vorliegen, aus denen Sie ersehen können, was man über das Gesetz hinaus tun kann. Meine Damen und Herren von der FDP, für Sie spricht das, was Sie auf Ihrem Deckblatt zur Einladung zu Ihrem Kongress „Grüne Gentechnik“ geschrieben haben: „Wir danken unseren Sponsoren: KWS, Syngenta, VCI, Lembke“, also den vier großen Agrogentechnikvertretern. ({0}) Dazu könnte man sagen: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Die FDP tritt für die Freiheit des Verkaufens ein, während wir, die Grünen, für die Freiheit des Lebens und die Wahlfreiheit der Verbraucher eintreten. Frau Happach-Kasan, wenn Sie sich unser Programm anschauen, werden Sie feststellen, dass wir die Gentechnik sehr differenziert sehen. Wir unterscheiden zwischen geschlossenen Systemen, die nach unserer Meinung beherrschbar sind, und offenen Systemen, den Freisetzungen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Happach-Kasan?

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte sehr, Frau Happach-Kasan.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kollegin Höfken, ich finde es gut, dass Sie die Unterscheidung zwischen geschlossenen und offenen Systemen angesprochen haben. Aber wir alle erinnern uns sicherlich noch an den Fall des Humaninsulins, zugelassen 1982. 14 Jahre hat die Genehmigung der Produktionsstätte gedauert, weil damals unter anderem der grüne Umweltminister Joseph Fischer in Hessen tätig war. 1998 wurde die Produktionsphase eingeleitet. Sagen Sie uns doch einmal, wie Sie im Jahr 2000, 18 Jahre nach der Zulassung von Humaninsulin, dazu gekommen sind, zwischen geschlossenen und offenen System zu unterscheiden! Sagen Sie uns einmal, warum Sie erst so spät eine solche Innovation für die Menschen, die an Diabetes erkrankt sind, sozusagen als hoffähig anerkannt haben! Meinen Sie nicht, dass ein bisschen mehr Zukunftszugewandtheit auch für eine grüne Partei ein sinnvoller Weg in die Zukunft wäre?

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir sind zukunftsgewandt, aber nicht blauäugig. ({0}) Interessant ist doch, wann die Gentechnikgesetze entstanden sind. Wir haben doch erst von der alten Bundesregierung, an der Sie beteiligt waren, die Gentechnikgesetze bekommen, als die entsprechenden Aktivitäten in vieler Hinsicht schon längst liefen. Ich denke, es muss so funktionieren: Erst müssen ein vernünftiger Schutzstandard und die notwendige Regulierung geschaffen werden; dann kann man in die Vollen gehen. Das berücksichtigen wir sowohl bei den geschlossenen Systemen als auch bei den Freisetzungen. Dabei kommen wir zu unterschiedlichen Schlüssen, nämlich das man unter den entsprechenden Voraussetzungen das eine tun kann, das andere aber nicht. ({1}) Zu Ihrem Gesetzentwurf: Die FDP bedankt sich bei ihren Sponsoren mit einer Eins-zu-eins-Umsetzung ihrer Interessen, nämlich einer völligen Befreiung der Forschung von Verantwortung und Sorgfalt. Der Gesetzentwurf gipfelt - Frau Tackmann hat es schon erwähnt - in der völlig rechtswidrigen Forderung, dass jede verseuchte Lebensmittelpflanze, die neben einem Forschungsfeld aufgewachsen ist, auf den Tellern und im Futtertrog landen soll. Das muss man sich einmal vorstellen. Und jedes gentechnisch veränderte Produkt soll im Futtermittel- und Lebensmittelbereich von jeglicher Überprüfung befreit werden - das Thema Umwelt kommt erst gar nicht vor -, wenn es erst einmal für Forschungsexperimente genehmigt wurde. Die Verbraucher sollen sich halt nicht so anstellen: An etwas Schweineimpfstoff in der Erbsensuppe oder etwas Cholera-Gen im Kartoffelsalat ist doch noch keiner gestorben. ({2}) Und wenn doch: dann für die Freiheit der Forschung, deren Vertreter - wie Professor Winnacker, der kürzlich wieder für „Das Parlament“ geschrieben hat; er ist unter anderem Aufsichtsratsmitglied bei Bayer - auch gleichzeitig Wirtschaftsvertreter sind. Die Forschung wird mit Milliarden gepäppelt. Vor einer solchen „freien“ Forschung muss man sich fürchten. ({3}) Herr Seehofer ist heute nicht anwesend. Dann kriegt der Staatssekretär die Prügel ab. Die Forderungen der FDP finde ich nicht so schlimm; sie ist schließlich keine Regierungspartei. Viel schlimmer ist - das sage ich an die Kollegen der SPD gewandt -, dass diese Ideologie von Kanzlerin Merkel und Minister Seehofer in die Praxis umgesetzt wird. Herr Seehofer wird Genhofer genannt. Ein Blick in das Eckpunktepapier zeigt, dass es sich dabei um einen fleischgewordenen Etikettenschwindel handelt. Herr Seehofer ist eigentlich ein netter Kerl, aber man muss sich fragen, warum das, was sich im Eckpunktepapier schwarz auf weiß findet, in keiner Weise dem entspricht, was in Worten geäußert wird. Hier würden keine, auch nicht die geringsten, Risiken für Mensch und Umwelt eingegangen, ({4}) hat Herr Seehofer zur Forschung festgestellt. Auskreuzungen, sagte er, müssten die Ausnahme sein. Was aber ist für die Umsetzung vorgesehen? Die Verunreinigung wird danach zur Regel. Die Haftung wird massiv heruntergefahren. Wer Schaden erleidet, hat weniger Rechte. Und das wird als „gute fachliche Praxis“ definiert: Lächerliche Abstandsregelungen sind das eine; das Schlimmste ist aber, dass die Verschmutzung bis zu einem Schwellenwert von 0,9 Prozent - dem Kennzeichnungsschwellenwert, der nie dazu vorgesehen war - nun ungehemmt möglich ist. Das darf nicht sein, und es ist meines Erachtens mit EU-Recht nicht vereinbar. ({5}) Transparenz wird nicht gesichert, sondern eingeschränkt. Beim Standortregister - das ist offenbar nicht in Ihrem Sinne, Herr Kelber - sind ebenfalls Einschränkungen vorgesehen. Was die Forschung angeht, folgt man im Prinzip der FDP. Als „Lizenz zur Verseuchung“ für Bayer, BASF und Monsanto wird das Eckpunktepapier von den Umweltverbänden und den Bundesverbänden für ökologischen Landbau bezeichnet, und die Steuerzahler sollen auch noch dafür haften. Stark vereinfachte Verfahren sollen die Beteiligung der Öffentlichkeit und die Überprüfungsmöglichkeiten einschränken. Das kann doch nicht sein. Dieser Widerspruch zu den öffentlichen Äußerungen spricht für sich. Aber es ist noch nicht zu spät, das Vertrauen der Verbraucher zurückzugewinnen. Ich verweise noch einmal auf unsere Anträge. Herr Seehofer hält die Aussaat von Raps nicht für vorstellbar. GVO-Raps sei nicht mit der Koexistenz vereinbar. Dann nehmen Sie das bitte auch in die gute fachliche Praxis mit auf! Das vereinfachte Verfahren darf nicht zur Regel werden. Stoppen Sie das! Pharma- und Industriepflanzen, wie Kartoffeln und Erbsen, gehören nicht ins Freiland. Das sollte auch nicht durch ein vereinfachtes Verfahren ermöglicht werden. GVO-Weizen darf nicht neben einer Genbank angebaut werden. Stoppen Sie das! MON 810 ist übrigens die einzige von Herrn Seehofer in Deutschland zum kommerziellen Anbau zugelassene Sorte. ({6}) - Nein, das war nicht seine Vorgängerin, sondern - das hat Minister Seehofer wohl auch übersehen - er hat in seiner Zeit als Gesundheitsminister höchstpersönlich diese Zulassung erteilt. MON 810 ist, wenn er überhaupt eine Zulassung hat - was wir bezweifeln -, nur für Futtermittel und industrielle Zwecke zugelassen. Was passiert jetzt? Das Zeug ist im Honig. So etwas kann man doch nicht zulassen. Also auch zurückziehen! Man kann das noch weiterführen. In der nächsten Woche wird Greenpeace eine Studie zu MON 863 vorstellen. Hier liegen neue Erkenntnisse vor. Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden. Das Mindeste wäre, dass das Zulassungsverfahren auf der EU-Ebene verbessert wird. Das hat die Kommission zugesagt, und das haben auch Sie verlangt. Also tun Sie es! Die nationalen Einfuhrverbotsmöglichkeiten müssen genutzt werden. Das ist rechtlich möglich. Es sollte auch, wie wir vorschlagen, eine Datenbank eingerichtet werden, in der die ganzen Genkonstrukte aufgeführt werden, damit man wenigstens in der Kontrolle nachvollziehen kann, was da so alles kreucht und fleucht. Wir sagen das vor dem Hintergrund nicht der Chancen, sondern der Risiken, die sich zeigen. Genreis - um dieses Beispiel zu erwähnen -, der im Rahmen eines Forschungsexperiments der Firma Bayer ausgekreuzt ist, hat in den USA einen Schaden von 80 bis 100 Millionen Dollar verursacht, in Deutschland von 10 MilUlrike Höfken lionen. Das sagt die Industrie. Wo ist denn das Geld? Wer wird denn dafür haftbar gemacht? Keiner. Bei Bt 10 ist es genau das Gleiche. Auch hier gibt es eine Verunreinigung durch ein Forschungsexperiment. Denken Sie auch an die Genzucchini, die in Rheinland-Pfalz ausgesetzt wurden. Da entsteht ein Riesenschaden. Das steht völlig im Missverhältnis zu dem, was sich bisher als Chancen geboten hat. Ich nenne das Stichwort Argentinien. Dort waren wir zusammen, Frau Happach-Kasan. In diesem Land herrscht das Chaos, weil Monsanto inzwischen Lizenzgebühren verlangt, die die Bauern nicht zahlen wollen und können. Inzwischen herrscht ein Riesendurcheinander darüber, was eigentlich angebaut wird. Keiner weiß, was da eigentlich auf den Feldern steht. Die ganze Effizienz der bisherigen züchterischen Leistung steht in Argentinien auf dem Spiel, so wie es jetzt betrieben wird. Es wird nämlich einfach wild nachgebaut.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Angesichts dieser Situation sage ich: Die Rede, die Uli Kelber heute gehalten hat, muss er angesichts des Eckpunktepapiers dieser Bundesregierung noch einmal halten. § 1 des Gentechnikgesetzes besagt, dass die Regierung die Verpflichtung hat, Menschen, Umwelt und Sachen zu schützen. Dann tun Sie das auch, wie es die Mehrheit der Bevölkerung verlangt! Schönen Dank. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Max Lehmer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Max Lehmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003798, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße es ausdrücklich, dass die Bundesregierung das Eckpunktepapier zur weiteren Novellierung des Gentechnikrechts nun im Kabinett verabschiedet hat, und zwar einstimmig. Ich meine ebenfalls, dass damit ein guter Kompromiss gefunden wurde. Er schafft den Rahmen für die noch festzulegenden Details der anstehenden Gentechnikrechtsnovelle, über die es, Herr Kelber, mit Sicherheit noch Diskussionen gibt. Ich möchte ganz klar darauf hinweisen, dass es die Divergenzen, die Sie einer Partei in die Schuhe schieben, in allen Fraktionen dieses Hauses gibt. Das habe ich in meinen vielen Gesprächen erleben können. Sie sind in jeder politischen Gruppe vorhanden. ({0}) - Setzen Sie sich mit den Aussagen Ihres Parteivorsitzenden oder Ihres Umweltministers im Zusammenhang mit der Zukunftsperspektive für die Gentechnik auseinander! Dann können wir weiter diskutieren. ({1}) Ich gehe davon aus, dass die Novellierung des Gentechnikrechts zügig angegangen werden kann und dies möglichst rasch zu klaren Verhältnissen für alle Beteiligten führt. Es muss gelingen, einerseits die berechtigten Sorgen und Wünsche von Verbrauchern und auch von Landwirten sowie den Schutz der Umwelt zu berücksichtigen, andererseits muss es ermöglicht werden, die großen Potenziale der Grünen Gentechnik für die Lebensbereiche Ernährung, Energie und Gesundheit nutzbar zu machen, auch wenn dies nachdrücklich und sehr oft unsachlich von vielen bestritten wird. ({2}) Ich möchte nun kurz auf wichtige Einzelpunkte eines künftigen Gentechnikgesetzes näher eingehen. Die Förderung der Forschungsvorhaben in diesem wichtigen Zukunftsbereich ist - diese Auffassung teilen alle - ein hochrangiges Ziel. Ein besonders technologieabhängiges Land wie Deutschland muss durch intensive und zielgerichtete Forschung und Entwicklung auch in dem zukunftsweisenden Bereich der Grünen Gentechnik eine führende Rolle einnehmen und den derzeitig hohen Standard auf jeden Fall sichern. ({3}) Dabei ist es selbstverständlich - das war und ist auf allen anderen Forschungsfeldern genauso -, dass neben der Entwicklungsforschung die Sicherheitsforschung mit gleicher Intensität vorangetrieben wird. ({4}) Darauf haben die Menschen, die diese Technologie nutzen wollen und auch werden, einen Anspruch. Diesbezüglich darf es doch um Himmels willen keine Divergenzen geben. Forschung, insbesondere die unabhängige wissenschaftliche Forschung, ist ein wichtiger Garant dafür, selbstständig und unabhängig zu bleiben und damit globalen Monopolisierungen entgegenwirken zu können. Das ist ein ganz wichtiger Punkt; denn viele Menschen haben in diesem Zusammenhang Ängste und Probleme. Gerade für die in Deutschland mittelständisch ausgerichtete Pflanzenzüchtung ist das ein wichtiger Gesichtspunkt. Wir müssen auf jeden Fall auf höchstem Niveau weitermachen, auf Augenhöhe mit den globalen Wettbewerbern bleiben und auf diesem Gebiet die Führerschaft behalten. ({5}) Ich weise in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Notwendigkeit von Freilandversuchen hin. Nur mit diesen können Fragen der Koexistenz und Fragen der Auswirkungen auf die Ökologie beantwortet werden. Wie denn sonst? ({6}) Bei allen Unterschieden in der Einstellung zur Gentechnik muss doch klar sein, dass Feldzerstörungen keine Kavaliersdelikte sind, sondern Straftaten. ({7}) Forschung muss in unserem Lande nach den gültigen strengen gesetzlichen Regelungen, zum Beispiel zur Zulassung von Freilandversuchen, ablaufen, und sie muss auch frei und ungestört durchgeführt werden können. Frau Höhn, Sie bezeichnen Freilandversuche im Zusammenhang mit Feldzerstörungen als „provokante Versuchsanstellungen“. Das macht mir Sorgen. ({8}) Es geht doch wohl um die Freiheit und um die Selbstständigkeit von Wissenschaft und Forschung in Deutschland. ({9}) Oder liege ich da falsch? Eine große Sorge ist für mich die teilweise ablehnende Haltung der Bevölkerung gegenüber der Grünen Gentechnik. Darüber müssen wir diskutieren. Wir müssen die Sorgen, Ängste und Bedenken ernst nehmen und - jetzt kommt es - Vorurteile wissenschaftlich fundiert abzubauen versuchen. ({10}) Frau Höfken, mit den von Ihnen dargestellten Szenarien können Sie dies nicht erreichen. Da ich Ihre Diktion einfach nicht anders interpretieren kann, unterstelle ich Ihnen, dass Sie es auch gar nicht wollen. ({11}) Sie wollen Ängste aufrechterhalten ({12}) und diese moderne Technologie bewusst von vornherein diskriminieren. ({13}) Das kann nicht das Ziel einer fachlich objektiven und zukunftsorientierten Wissenschaftspolitik sein. ({14}) Anstatt Ängste zu schüren, wie es leider allzu oft geschieht, ist die Arbeit zu leisten, objektiv aufzuklären, wozu ich alle Beteiligten ausdrücklich aufrufen möchte. Ich fordere ausdrücklich auch die Bundesregierung auf, über die vielen kompetenten Bundesinstitutionen entsprechende Kommunikationskonzepte zu entwickeln. ({15}) In diesen Institutionen gibt es einen Fundus an Wissen und Informationen, der nicht oder zumindest zu wenig genutzt und transparent gemacht wird. Nur Aufklärung und volle Transparenz können das notwendige Vertrauen schaffen - nur das! ({16}) Eine klare Kennzeichnungsregelung ist ebenfalls eine vertrauensbildende Maßnahme und eine wichtige Voraussetzung für die Wahlfreiheit. Herr Kelber, da stimmen wir völlig überein. Ich bin für eine prozessorientierte Kennzeichnung, das heißt, die Angabe darüber ({17}) - lassen Sie uns doch arbeiten! -, ob GVOs in einem Produktionsprozess eingesetzt worden sind - wie beim ökologischen Landbau -, und zwar unabhängig davon, ob GVOs im Endprodukt nachgewiesen werden können oder nicht. Bei den tierischen Produkten ist das ja nicht nachweisbar; aber sie werden in der Produktionskette eingesetzt. ({18}) Ich bin dafür, dass wir die prozessorientierte Kennzeichnung festschreiben, damit die Bürger wissen, an welcher Stelle der Produktionskette GVOs eingesetzt worden sind. ({19}) Aber ganz wichtig ist dabei die Feststellung: Das Vorhandensein von GVOs allein hat nichts mit einem Gesundheitsrisiko zu tun. Das muss einmal ganz klar gesagt werden. ({20}) Ich möchte eindeutig klarstellen: GVO-frei wird es nicht geben können. Das gibt es schon heute nicht. Die sachgerechte Kennzeichnung kann nur Aufschluss darüber geben, ob GVOs bei der Herstellung eines Produkts eingesetzt wurden und welcher Anteil toleriert werden soll; darüber müssen wir diskutieren. Der Nichteinsatz von Pflanzenschutzmitteln beim ökologischen Landbau garantiert auch keine Rückstandsfreiheit. ({21}) Da wird nur angegeben: Wir haben ohne Pflanzenschutzmittel gearbeitet. Jeder weiß: Es sind Schwermetalle nachweisbar, und es sind Pflanzenschutzmittelrückstände vorhande, unabhängig davon, in welcher Konzentration. Rückstandsfrei sind sie nicht. ({22}) Nun zum entscheidenden Punkt einer gesetzlichen Neuregelung der Koexistenz. Ein Nebeneinander verDr. Max Lehmer schiedener Produktionsformen auf dem Acker muss auch in Zukunft - wie in der Vergangenheit - gewährleistet werden. Die Wahlfreiheit für den Landwirt und den Verbraucher muss garantiert werden können. Dazu sind klare Anbauregeln nach guter landwirtschaftlicher Praxis zu definieren, wie sie auch in anderen Produktionsbereichen selbstverständlich sind. Es ist klarzustellen: Koexistenz kann nur auf der Basis gegenseitig anzuerkennender Schwellenwerte realisiert werden; sonst nicht. Die Haftungsfrage ist im Zusammenhang mit GVO einer der entscheidenden Punkte. Da schließe ich mich vollinhaltlich dem an, was der Staatssekretär schon ausgeführt hat. Die rechtlichen Feinheiten dazu werden in einer Arbeitsgruppe noch ausgearbeitet. Wir erwarten, dass die Wirtschaftsverbände der Pflanzenzucht- und Biotechnologieunternehmen eine Selbstverpflichtung eingehen, die die Landwirte von Haftungsrisiken für Schäden, die trotz Einhaltung der guten fachlichen Praxis nicht vollständig auszuschließen sind, entlastet. ({23}) Weiterhin muss der offene Tatbestand der Haftungsnorm des § 36 a Gentechnikgesetz durch eine abschließende Aufzählung präzisiert werden. Wir können hier keine kumulative Haftung schaffen. Zu den Fragen der Sicherheit. Ich betone immer wieder: Oberstes Ziel ist die Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt. Das ist auch die Basis aller Regelwerke, die es in der EU, in Deutschland und anderswo gibt. Nur wenn diesbezüglich keine Gefahr zu erwarten ist, darf der GVO freigesetzt bzw. in Verkehr gebracht werden. Das ist bereits jetzt die absolute Vorgabe, und das wird auch in Zukunft durch das jeweilige Zulassungsverfahren gewährleistet bleiben. Nun zum Anlass der heutigen Debatte, zu den Vorlagen von FDP und Grünen. Etliche Punkte des vorgelegten Gesetzentwurfs der FDP-Fraktion sind in dem beschlossenen Eckpunktepapier aufgegriffen; ich brauche sie nicht zu wiederholen. ({24}) Der Entwurf der FDP enthält also durchaus akzeptable Forderungen. Es kann nicht alles Unsinn sein, was in einem Gesetzentwurf vorgeschlagen wird. Diese Gesetzesinitiative ist aber - das muss ich Ihnen sagen - falsch getimt. Soeben haben wir das Eckpunktepapier fertiggestellt. ({25}) Jetzt müssen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Regierungskoalition schon die Chance lassen, sich auf die gesetzlichen Formulierungen zu verständigen. Ich teile mit Ihnen die Hoffnung, dass dies schnell geschehen wird. ({26}) Über den Antrag der Grünen haben wir in dieser Woche schon im Ausschuss diskutiert. Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, Frau Höfken, dass von Freisetzungsexperimenten mit gentechnisch veränderten Pflanzen keine Gefährdung von Mensch und Umwelt ausgehen darf. ({27}) Das ist ja schon vor der Zulassung zu prüfen. ({28}) Das muss derjenige, der die Zulassung beantragt, über eine neutrale Stelle nachgewiesen haben. ({29}) Ich verstehe nicht, warum Sie das in einem Versuchsprozess so oft nachgewiesen haben wollen. Der Schutz von Mensch und Umwelt ist oberstes Ziel aller gesetzlichen Regelungen zur Grünen Gentechnik. In ihrem zweiten Antrag, nämlich zu den Einfuhrverboten und Schutzmaßnahmen, versuchen die Grünen mit verschiedenen Winkelzügen, die mehrfach bestätigte Zulassung der verschiedenen MON-Generationen erneut auf die politische Bühne zu heben. ({30}) Es gibt nach meiner Meinung keine Grundlage dafür, die Bewertung dieser Maissorten zu revidieren. ({31}) Sie haben vor Monaten schon einmal gesagt, Frau Höfken, dass es neue Erkenntnisse gibt. Auch eine gewissenhafte Recherche gibt das nicht her. Insgesamt hat der Antrag offensichtlich das Ziel, Grüne Gentechnik zu verhindern. Dem können und wollen wir uns nicht anschließen. Lassen Sie mich zum Schluss, Frau Präsidentin, bitte noch kurz die Grüne Gentechnik in einen globalen Zusammenhang stellen. Es ist wichtig, denke ich, dass das einmal deutlich gesagt wird.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Allerdings sehr kurz, Herr Kollege.

Dr. Max Lehmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003798, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nach Aussagen führender Wissenschaftler müssen wir uns in diesem Jahrhundert drei großen globalen Herausforderungen stellen: der Ernährungssicherung, der Energieversorgung und der Gesundheit. Die Fakten hierzu sind bekannt und sehr ernüchternd. Die Weltbevölkerung wächst exponentiell, das heißt 2050 werden über 9 Milliarden Menschen diese Erde bevölkern.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, jetzt müssen Sie aber wirklich zum Schluss kommen.

Dr. Max Lehmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003798, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Diese zu ernähren, mit Energie zu versorgen und gesund zu erhalten, erfordert erhebliche Anstrengungen auf allen Gebieten. Die Pflanze als Organismus ist von zentraler Bedeutung, weil mit ihr diese beiden Ziele, Ernährungssicherung und Energiegewinnung, erreicht werden können. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Max Lehmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003798, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin sofort fertig. - Die Anbauflächen gehen zurück. ({0}) Das erfordert, dass man die Leistungsfähigkeit der Pflanzen steigert, um diese große Herausforderung meistern zu können. Vielen Dank. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Cornelia Pieper für die FDP-Fraktion. ({0})

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe die Debatte gerade genau verfolgt ({0}) und kann dem Kollegen Dr. Lehmer im Namen der FDPFraktion nur zustimmen. Er hat wissenschaftlich fundierte Argumente vorgetragen und sachlich geredet. Das habe ich bei den vorhergehenden Rednern der Linken sowie bei einigen von der SPD und den Grünen vermisst. ({1}) Ich ergreife heute als Forschungspolitikerin in dieser Debatte das Wort, weil ich den dringenden Appell an die Bundesregierung richten möchte: Reißen Sie die ideologischen Hürden bei der Behandlung dieses so wichtigen Zukunfts- und Forschungsthemas nieder. Unsere Gesetzesinitiative zeigt Ihnen den richtigen Weg. Ich hoffe sehr, dass die Bundesregierung nicht nur mit einem Eckpunktepapier, sondern sehr schnell mit einem eigenen Gesetzentwurf zu Potte kommt. ({2}) Die Große Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, das Gentechnikgesetz so zu verändern, dass Forschung zur Grünen Gentechnik in Deutschland auch mittels Freilandversuchen wieder ermöglicht wird, damit die Chancen einer späteren wirtschaftlichen Nutzung nicht vertan werden. Doch noch immer stehen die Signale für die sogenannte Grüne Biotechnologie auf Rot, obwohl die Kanzlerin immer wieder fordert, auch in der Forschung mehr Freiheit zu wagen. Auf der einen Seite ist es doch so, dass die Bundesregierungen die Forschung für die Grüne Biotechnologie und die biologische Sicherheit gentechnisch veränderter Pflanzen seit einem Jahrzehnt mit verschiedenen Programmen und durch gezielte Initiativen fördert. In diesem Zusammenhang sind die Initiativen des BMBF lobend zu erwähnen. Allein um die Gefahren, die von gentechnisch veränderten Pflanzen für Mensch und Umwelt ausgehen, zu erforschen, hat die Bundesregierung hohe finanzielle Beiträge geleistet. Auf der anderen Seite steht eine Front von Gegnern von Freisetzungsversuchen, die bis in die CSU hineinreicht. Die Wortmeldungen von Herrn Söder gegen das Eckpunktepapier seines Parteikollegen Seehofer zeigen mir doch das in den Parteien dieser Bundesregierung nach grünem Muster vorhandene ideologische Spektrum. ({3}) Ich finde es befremdlich, wenn der Bundeslandwirtschaftsminister für die Bundesregierung ein Eckpunktepapier vorstellt und Herr Söder, der dieser Bundesregierung ja auch angehört, ({4}) in dieser Woche im „Tagesspiegel“ mit den Worten zitiert wird: Ich bleibe ein grundsätzlicher Skeptiker der grünen Gentechnik. Beim kommerziellen Anbau wäre ein Moratorium das beste. Da ich auch andere Stimmen aus der Koalition kenne, frage ich mich: Was wollen Sie eigentlich? Bitte zeigen Sie endlich klar auf, wohin Sie gehen wollen. Ich frage mich auch, wo heute eigentlich der Bundeslandwirtschaftsminister, Herr Seehofer, ist. Was macht der Bundeslandwirtschaftsminister am Internationalen Frauentag, ({5}) wenn im Bundestag über ein Gentechnikgesetz diskutiert wird? Er gehört eigentlich hierher. Wenn der Verbraucherschutz- und Landwirtschaftsminister den Standort Deutschland mit der Biotechnologie stärken will, wenn er Forschungsfreiheit will, muss er auch für dieses Gentechnikgesetz hier, im Bundestag, eintreten. ({6}) Der vorliegende Bericht meines Ausschusses, des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, „Grüne Gentechnik - transgene Pflanzen der 2. und 3. Generation“ öffnet vielleicht den Tunnelblick des einen oder anderen Kollegen. Ja, wir müssen immer wieder sagen: Es geht nicht allein um gentechnisch veränderte Pflanzen, es geht um viel mehr. Allein bei der Umsetzung der von allen hier im Haus geforderten Biomassestrategie kann auf gentechnische Züchtungsmethoden nicht verzichtet werden. Sie braucht die Bewährung auf dem Acker. Ich will an Staatssekretär Paziorek gerichtet sagen: Es ist nicht so, dass Biotechnologie in der Bevölkerung nur verpönt wird. Gerade hinsichtlich alternativer Energiearten und Biokraftstoffen ({7}) oder auch hinsichtlich der Roten Biotechnologie gibt es große Chancen für den Innovationsstandort Deutschland und eine außerordentlich große Akzeptanz in der Bevölkerung. ({8}) Deswegen finde ich es von Ihnen, Frau Kollegin Höfken, unverantwortlich, dass Sie immer wieder die Ängste schüren und nicht auf die Chancen der Gentechnik hinweisen, vor allen Dingen was die Gesundheit und den zukünftigen Forschungsstandort Deutschland betrifft. ({9}) Ich glaube, dass wir hier durchaus darauf achten sollten, auch in Zukunft den Standort Deutschland - so sagen Sie es sonst ja immer - nicht schlechtzureden, sondern alles daran zu setzen, eine Politik der Vernunft zu machen, so wie es Herr Dr. Lehmer gezeigt hat. Dazu bekenne ich mich. Man sollte in so einer Debatte wissenschaftlich fundierte Argumente vortragen und keine populistische, demagogische Debatte führen, wenn es um Biotechnologie und Gentechnik geht. Wir Liberale sagen: Wir stehen für eine Politik der Vernunft und für die Forschungsfreiheit in Deutschland. Vielen Dank. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die SPD-Fraktion erteile ich nun das Wort dem Kollegen René Röspel.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wieder einmal liegt uns ein FDP-Antrag vor, in dem gefordert wird, das Gentechnikgesetz zu verändern. Wir haben es bei vormaligen Diskussionen schon gesehen: Eines der tragenden Argumente der FDP ist - wie in vielen anderen Bereichen auch -: Im Ausland passiert etwas und wir dürfen den Anschluss nicht verpassen. Sie schreiben, dass weltweit auf mehr als 90 Millionen ha ({0}) gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden… Der Biotech-Brief der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie - Frau Happach-Kasan, Sie erwähnen es ja - korrigiert diese Zahl: Der Anbau gentechnisch veränderter ({1})Pflanzen hat 2006 erneut deutlich zugelegt. Die weltweite Anbaufläche belief sich auf 102 Mio. Hektar. … Gegenüber 2005 entspricht dies einem Zuwachs von 13 Prozent. In der Tat, da geht das Ausland wirklich streng voran. Ich habe noch eine Meldung: In China sind erstmals mehr als 30 Millionen Autos zugelassen. Das entspricht gegenüber dem Jahr 2005 sogar einem Zuwachs von 24 Prozent. Wenn sie so weiterwachsen, werden sie in 5 Jahren 100 Millionen Autos zugelassen haben. Die Frage lautet also: Ist Wachstum allein die gute Nachricht oder muss man nicht vielleicht ein bisschen hinter die Kulissen schauen? Auch der Biotech-Brief glaubt übrigens nicht, dass allein die Zahl die Nachricht ist, und schiebt deswegen einige positive Beispiele Grüner Gentechnik nach. Es wird geschrieben, dass auf den Philippinen der Ertrag bei gentechnisch verändertem Mais um etwa 13 Prozent höher lag als der beim konventionellen Mais. Für Indien wird geschrieben, dass die Erträge gentechnisch veränderter Baumwolle deutlich gesteigert werden konnten. Das sind gute Nachrichten. Sie zitieren übrigens die Daten der ISAAA. Das ist eine Organisation, die von namhaften Firmen wie AgrEvo, Bayer, DuPont, Monsanto, Novartis und anderen finanziert wird. Das sind die Konzerne, die mit der Entwicklung und dem Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen Geld verdienen oder verdienen wollen. Das ist zunächst nicht schlimm. ({2}) Nun kann man sagen, dass die Fakten auf dem Tisch liegen. Dann erlebt man als engagierter Parlamentarier aber auch andere Stunden. Ich wurde vom EED, dem Evangelischen Entwicklungsdienst, besucht - er ist meines Wissens überwiegend von der Kirche finanziert -, der ein paar Gäste mitbrachte. Das waren Bauern aus Georgien, Argentinien, Brasilien, Tansania und Indien. Das sind die Menschen, die gentechnisch veränderte Pflanzen gekauft haben. Diese Gäste erzählten auf einmal etwas ganz anderes. Sie erzählten von den Fehlschlägen mit gentechnisch veränderten Pflanzen. Sie erzählten von den Ernteausfällen, die sie nach dem Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen haben. Sie erzählten, dass der Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln gestiegen statt - wie von den Konzernen versprochen - gesunken ist. Sie erzählten, dass sie auf einmal niedrigere statt höhere Erträge haben. Sie erzählen von den vernichteten bäuerlichen Existenzen, weil eine nicht gelungene Ernte in den Schwellen- und Entwicklungsländern schlimmere Folgen nach sich zieht, als wir uns vorstellen können. ({3}) Wem glaubt man denn jetzt? ({4}) Da fand ich es interessant, dass sich das Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Golm dieses Themas in der Studie „BT-Baumwolle in Indien Wirtschaftlicher Durchbruch oder Versagen auf der ganzen Linie?“ auch einmal angenommen hat. Genau da wird auch gefragt: Wie passen diese äußerst widersprüchlichen Sichtweisen - positive Darstellung auf der einen Seite und persönliche Erfahrungen, die etwas ganz anderes berichten, auf der anderen Seite zusammen?

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Happach-Kasan?

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gern.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kollege Röspel, wir haben ja schon öfter miteinander über die Frage der Grünen Gentechnik diskutiert. Es ist immer sehr gut, wenn man einen solchen Dialog fortsetzt. Ich möchte Sie fragen, ob Sie außer den Einzelbeispielen, die der EED Ihnen präsentiert hat - der EED hat ja eine ideologisch sehr gefestigte Position gegenüber der Grünen Gentechnik; er lehnt sie nämlich ganz konkret ab, das muss man einfach so sagen -, ({0}) auch wissenschaftliche Erkenntnisse kennen. Professor Martin Quaim von der Universität Hohenheim, der sich insbesondere mit den Ergebnissen des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen in den Schwellenländern beschäftigt, hat dazu zum Beispiel genaue Ausführungen gemacht. Kennen Sie diese Ausführungen? Kennen Sie auch seine Untersuchung zu der Frage, welcher Anteil des Gewinns den Firmen zukommt, zum Beispiel Monsanto, und welcher Anteil den Landwirten zukommt? Der Untersuchung kann man beispielsweise entnehmen, dass gerade in China und in Indien der Anteil, der den Landwirten zukommt, sehr hoch ist, nämlich 70 bis 80 Prozent, und in Argentinien - das korrespondiert mit dem, was Frau Höfken gesagt hat - der Gewinnanteil der Landwirte nur 10 Prozent ausmacht. Kennen Sie diese Untersuchung und in welcher Weise berücksichtigen Sie sie bei Ihren Ausführungen? ({1})

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich danke Ihnen für Ihre Frage. Ich kenne diese Untersuchung. Sie gibt mir Gelegenheit, jetzt gleich noch einmal aus der Veröffentlichung „BT-Baumwolle in Indien“ vom Juli 2006 auf der Internetseite des MaxPlanck-Instituts für Molekulare Physiologie in Golm zu zitieren, das nicht als ausgewiesen unwissenschaftlich oder ideologisch behaftet bekannt ist. Dort wird genau diese Problematik aufgenommen. Es gibt nämlich Ergebnisse, die die eine Sichtweise stützen, und Ergebnisse, die die andere Sichtweise stützen. Hier steht zu den Erträgen von gentechnisch veränderter Baumwolle in einigen Staaten Indiens geschrieben: Durchschnittlich wurden in einigen Staaten ({0}) mit Bt-Baumwolle zwischen 45 % ({1}) und 63 % ({2}) höhere Erträge erzielt. Das sind die positiven Botschaften, über die auch in den Biotech-Briefen berichtet wird. Auf der anderen Seite gibt es die Erfahrungen aus anderen Regionen und anderen Bereichen - in der Hohenheimer Studie wurde leider wieder nur ein bestimmter Teil angeschaut -, dass die Erträge deutlich geringer sind. So stand in einem Staat am Ende ein um durchschnittlich 40 Prozent geringerer Reingewinn bei der Ernte von gentechnisch veränderten Pflanzen. Genau darauf will ich hinweisen. Wenn man sich die Literaturangaben im BiotechBrief und aus den Publikationen von Hohenheim anschaut sowie weitere Literatur und wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema sortiert, dann entwickeln sich zwei Stapel. Es ist eben nicht so, wie Sie vorhin sagten, dass es bewiesen ist, dass es keine Probleme gibt. Vielmehr liegen auf einem Stapel die positiven Aussagen, auf dem anderen Stapel die negativen Aussagen, wobei die Aussagen in beiden Stapeln, meistens jedenfalls, wissenschaftlich begründet sind. Am Ende dieses Stapelaufhäufens muss doch mindestens ein Zweifel stehen, wer denn nun recht hat. Übrigens kann das das MPI Golm auch nicht endgültig auflösen. Es entstehen eben diese unterschiedlichen Aussagen aus dem Anhören Betroffener und aus dem Lesen wissenschaftlicher Arbeiten. Die negativen Aussagen sind ja auch wissenschaftlich fundiert; das muss man in der Tat zur Kenntnis nehmen. Wenn man dann auch noch die Aussagen zu der Frage sortiert, welche Auswirkungen eigentlich die Ausbringung gentechnisch veränderter Pflanzen hat - da haben wir einen Erfahrungszeitraum von zehn Jahren; der ist in einem Bereich, wo die Evolution Millionen Jahre gebraucht hat, wirklich so kurz, dass er eigentlich kaum relevant ist -, dann entstehen neue Stapel: einerseits ein Stapel, in dem wissenschaftlich begründete Hinweise enthalten sind auf Resistenzentwicklungen nach Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen, auf die Schädigung der Nichtzielorganismen, also der sogenannten Nützlinge, auf Auswirkungen auf die Böden und auf Auskreuzungen, die insbesondere beim Raps relativ deutlich machen, dass dieser kaum koexistenzfähig ist. Auf der anderen Seite gibt es den Stapel mit den Gegengutachten. Auch da bleiben schlicht und einfach Zweifel. Wir haben glücklicherweise beim Bundestag mit dem Büro für Technikfolgenabschätzung ein Instrument, das uns helfen kann, diese Zweifel aufzuarbeiten. Auf den guten Bericht, der übrigens sehr ernüchternd endet, was die Bilanzierung der gentechnisch veränderten Pflanzen der zweiten und dritten Generation anbelangt, kann ich aus zeitlichen Gründen nicht eingehen. Immer wieder kommt das Argument: Aber schaffen wir nicht Arbeitsplätze, wenn wir Gentechnik einführen? - Auch dazu gibt es viel Literatur. Ich habe sie einmal gesichtet und auch bei der Bundesregierung angefragt. Vom Bundesministerium für Forschung habe ich eine interessante Auskunft bekommen: In Deutschland beschäftigen knapp 50 Unternehmen im Bereich der Grünen Biotechnologie circa 1 200 Mitarbeiter. - Wenn wir großzügig rechnen und die Menschen hinzuzählen, die in den jeweiligen Abteilungen in den großen Konzernen arbeiten, kommen wir in Deutschland vielleicht auf 10 000 Mitarbeiter. Im ökologischen Landbau sind mittlerweile, Tendenz übrigens steigend, 150 000 Menschen beschäftigt. ({3}) Wir haben also das 15-fache an Arbeitsplätzen in einem Bereich, der auf gentechnikfreien Anbau dringend angewiesen ist. ({4}) Bei einer Abwägung dieser Arbeitsplatzzahlen würden wir sicherlich schnell zu der Auffassung kommen, dass wir vernünftige Regelungen brauchen. Willy Brandt hat vor über 40 Jahren - in Bonn, lieber Herr Kelber - einmal gesagt: „Der Himmel über der Ruhr muss wieder blau werden.“ Damals hat er sich mit der sichtbaren Umweltverschmutzung befasst, mit dem Ruß durch die Stahlerzeugung; den kenne ich als Ruhrgebietsmensch. Der Erfolg ist sichtbar: Der Himmel ist blau geworden. Was man damals nicht sehen konnte, waren die unsichtbaren Gefahren. Da gab es keine Zweifel. Es gab auch keine Kenntnis, dass das farb- und geruchlose Kohlendioxid sich im Laufe von Jahrzehnten ansammeln und irgendwann eine Klimakatastrophe auslösen könnte. Wenn man bei einem Thema Zweifel hat - die hatte man damals nicht, deshalb ist das auch kein Vorwurf; aber heute muss man Zweifel haben, wenn man mit offenen Augen durch die Landschaft geht -, dann gibt es zwei Möglichkeiten, zu verfahren: Man kann mutig vorangehen und das Risiko in der Hoffnung eingehen, dass es gut gehen möge, oder man kann Alternativen suchen, forschen und abwägen, inwieweit man vorangehen kann. Bei Fragestellungen, bei denen man sich schadlos irren kann, weil man die Entscheidung zurückrufen kann, ist der erste Weg akzeptabel - mutig und risikobereit vorangehen. Bei Entscheidungen aber, die nicht mehr rückholbar sind - und das ist die große Frage, ob es bei den gentechnisch veränderten Pflanzen nicht um eine solche geht; wie sollen sie zurückgeholt werden, wenn sie einmal ausgebracht sind? -, gerät der erste Weg zum Lottospiel, und das ist politisch nicht verantwortbar. In diesem Fall ist der zweite Weg - risikoabwägend und absichernd vorzugehen - der bessere. ({5}) Wir sind als SPD-Fraktion der Auffassung, dass wir den Weg gehen müssen, das Risiko richtig zu bewerten. Wir wollen das im Sinne des Schutzes von Umwelt und Mensch auch tun. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva BullingSchröter für die Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Mehrheit in diesem Land will kein Genfood. Ich denke, das sollten Sie sich noch einmal auf der Zunge zergehen lassen. In meinem Heimatland Bayern vergeht keine Woche, in der nicht mindestens eine Veranstaltung oder Demonstration zu diesem Thema stattfindet, Ende des Monats wieder in Pfaffenhofen, dem Produktionsstandort der Firma Hipp, die sich sehr detailliert zu den Risiken und zu ihrer Ablehnung geäußert hat. Frau Happach-Kasan, ich sage Ihnen nur eines: Die Menschen haben sehr wohl verstanden, und sie wollen, dass die Politik endlich versteht. Das ist, denke ich, der richtige Weg. ({0}) Herr Kelber, Sie haben von Presseerklärungen gesprochen. Stimmt; da haben wir vielleicht ein bisschen wenig gemacht. Aber Presseerklärungen sind nicht alles. Wir unterstützen die Initiativen vor Ort, und davon haben diese manchmal mehr. ({1}) Aber jetzt zu den Anträgen aus den Reihen der Opposition und dem TAB-Gentechnikbericht. Zum Antrag der FDP zur Änderung des Gentechnikgesetzes gibt es eigentlich nicht viel zu sagen. Jedes gesprochene Wort wäre eine unverhältnismäßige Aufwertung dieses industriehörigen und verbraucherfeindlichen Vorschlages. ({2}) Jetzt zum Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag. Um es kurz zu fassen: Er ist ein Nackenschlag für alle, die große Hoffnungen in die Anwendung der Agrogentechnik haben. Die Gefahren für Mensch und Umwelt nehmen in der zweiten und dritten Generation eben nicht ab, sondern zu. Der wirtschaftliche Nutzen ist fraglich. Ich kann mich noch an das Gejammere der Industrie während unserer Anhörung erinnern. Der Bt-Mais MON 810 steht europaweit in der Kritik. Wir begrüßen hier die Maßnahmen der Länder Österreich und Ungarn. ({3}) Beide Staaten haben aus berechtigten Zweifeln Konsequenzen gezogen und Regelungen geschaffen, die den Anbau von MON 810 behindern. Erst wenn alle Unklarheiten beseitigt sind - falls das überhaupt möglich ist -, könnte der transgene Mais dort angebaut werden. Ich bin gespannt auf das Greenpeace-Gutachten. Die Linke fordert hier grundsätzliche Lösungen. Es muss europaweit die Möglichkeit geben, sich regional und national gegen den Anbau transgener Kulturpflanzen auszusprechen. ({4}) Es kann nicht sein, dass eine Region, die diese Pflanzen nicht will, durch europarechtliche Regelungen zum Anbau gezwungen wird. Anbauverbote und Einfuhrbeschränkungen sollten jedem europäischen Staat zur Verfügung stehen. Gentechnikfreiheit bietet gerade den europäischen Landwirtinnen und Landwirten echte Vermarktungschancen. Diese gilt es nicht zu zerstören. Auch Sie wollen das doch nicht. ({5}) Thema Koexistenz. Die Grünen fordern im Antrag eine europaweite Regelung - ein guter Vorschlag. Wir fordern allerdings Klarheit, was unter Koexistenz eigentlich zu verstehen ist. Der Begriff wird genauso gedehnt und missbraucht wie der Begriff Nachhaltigkeit seit Rio. Folgt man der Logik von FDP, CDU/CSU und Monsanto, dann heißt Koexistenz, dass es quasi ein Recht auf Kontamination des Nachbarn bis zu einem Anteil von 0,9 Prozent gibt. Das ist auf keinen Fall zu akzeptieren. Koexistenz bedeutet für die Linke ein Nebeneinander ohne jegliche Kontamination, Verschleppung oder Vermischung. Landwirtinnen und Landwirte der gentechnikfreien Produktion haben ein Recht auf ein Nebeneinander. Ein vermischtes Miteinander muss verhindert werden. ({6}) Nur so ist die viel zitierte Wahlfreiheit der Kundinnen und Kunden überhaupt möglich. Wer zahlt schon für ein als gentechnikfrei gekennzeichnetes Produkt, wenn es bis zu 0,9 Prozent Gentechnik enthalten kann? ({7}) Die Nachweisgrenze liegt heute bei 0,005 Prozent. Ich wiederhole: bei 0,005 Prozent. Daran muss man sich orientieren. Können BASF, Monsanto und ihre Freunde aus der Politik nicht garantieren, dass ihre Pflanzen nicht in andere Kulturen auskreuzen - egal, wie groß ein Sicherheitsabstand auch sein mag -, dann sollten sie diese auch nicht anbauen dürfen. Gentechnik muss sicher sein oder sich vom Acker machen! Das verstehe ich unter Koexistenz. Das bedeutet ein wirkliches Nebeneinander. Ganz kurz noch zu den Freisetzungsexperimenten. Grundsätzlich sieht die Fraktion Die Linke Forschung an transgenen Pflanzen in Bezug auf Auskreuzungen, Verschleppung und sonstige Kontamination genauso kritisch wie beim kommerziellen Anbau. ({8}) Wir teilen die Kritik vor allem in Bezug auf Haftung, Referenzmaterial und Forschungsbedarf. Der Aspekt „Bienen und Gentechnik“ muss noch mehr im Vordergrund stehen. Forschung im offenen System ist immer risikobehaftet; eine hundertprozentige Sicherheit kann es nicht geben. Wir brauchen den Schutz von Mensch und Tier. Die Rolle der grünen Gentechnik in diesem Zusammenhang ist sehr fraglich. Noch eine Bemerkung zu den Ausführungen von Frau Pieper: Sie hat gesagt, es gehe um mehr. Das stimmt: Es geht um die Verantwortung, um Verbraucherrechte und auf der anderen Seite um Millionengewinne von großen Konzernen. Sie haben die Wahl. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Elvira DrobinskiWeiß für die SPD-Fraktion. ({0})

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren von der FDP, Sie haben uns heute hier den Entwurf für ein Gentechnikgesetz vorgelegt, das unserem obersten Ziel, nämlich dem Schutz von Mensch und Umwelt, und dem Vorsorgegrundsatz widerspricht, das die Koexistenzfragen ausschließlich zulasten der gentechnikfreien Lebensmittelproduktion und damit zulasten der Wahlfreiheit der Verbraucher regelt, das gegen EU-Recht verstößt, das auf Geheimniskrämerei statt auf Transparenz setzt und das damit nicht geeignet ist, das Vertrauen und die AkElvira Drobinski-Weiß zeptanz der Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber der Grünen Gentechnik zu fördern. ({0}) Ich nenne es deshalb ein Akzeptanzverhinderungsgesetz. Damit erweisen Sie der Lebensmittelwirtschaft, aber auch der Biotechnologiebranche und der Forschung einen Bärendienst. ({1}) Dass Sie als Erstes die ethischen Werte aus dem Gentechnikgesetz streichen wollen, spricht für sich selbst. Dass Sie damit nichts Konkretes verbinden können, glaube ich gern. Aber der wiederholte Versuch, den Begriff des Inverkehrbringens umzudefinieren und die Weitergabe von Auskreuzungsprodukten aus Freisetzungsversuchen ohne entsprechende Genehmigung zu ermöglichen, macht mich langsam wütend. ({2}) Dass die EU-Kommission inzwischen mehrfach bestätigt hat, dass solche Produkte nicht weitergegeben werden dürfen, kann doch auch Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP, nicht entgangen sein. Das ist nicht nur ein Verstoß gegen EU-Recht. Das widerspricht auch dem Vorsorgegrundsatz und dem obersten Ziel, dem Schutz des Menschen und der Umwelt. ({3}) Beinahe schon amüsant finde ich Ihre Erklärung, dass von kleinteiligen, parzellierten Anbaumaßnahmen auf Versuchsfeldern keine Auswirkungen auf die Nachbarschaft ausgehen können. Da kann man nur hoffen, dass die GVOs auch wissen, dass sie sich auf kleinen Versuchsfeldern befinden, und sich daran halten, dass sie deshalb nicht auskreuzen dürfen. ({4}) Ein wirkliches Highlight aber ist die Passage in der Begründung zu Nr. 8. Dort heißt es, dass eine gentechnische Veränderung auch durch Kreuzung, natürliche Rekombination oder andere Arten der Vermehrung übertragen werden kann. Eine derartige Übertragung könne aber - ich zitiere nur dann zur Entstehung eines gentechnisch veränderten Organismus führen, wenn die Übertragung absichtlich bewirkt wird, also das Ergebnis einer Herstellung ist. Da zufällige Auskreuzungen nicht das Ergebnis eines „finalen menschlichen Steuerungsprozesses“ sind - dieses Wortmonster stammt aus dem Gesetzentwurf der FDP -, handelt es sich nach Ihrer Definition dann auch nicht um gentechnische Veränderungen. Das ist zwar eine sehr kreative Definition; aber es ist der blanke Unsinn. ({5}) Die Probleme der Koexistenz der verschiedenen Anbauformen lassen sich nicht mit Ihrem Ansatz lösen, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Hier offenbart sich, dass Sie keine Lösungen anzubieten haben. In der letzten Woche bin ich auf einer sehr interessanten Veranstaltung zur Weißen Biotechnologie gewesen. Ein enormes Potenzial zum Schutz von Umwelt und Ressourcen und zur Schaffung von Arbeitsplätzen steckt in diesem Bereich, welches bisher viel zu wenig genutzt wird - und das, obwohl Deutschland in Sachen Forschung und Technik die Nummer eins in Europa und weltweit die Nummer zwei gleich hinter den USA ist. Zum wiederholten Male habe ich dort gehört, dass die Zurückhaltung in diesem Bereich nichts mit dem Gentechnikgesetz zu tun hat, sondern mit mangelnder Investitionsbereitschaft. Das ist umso erstaunlicher, als die Weiße Gentechnik im Gegensatz zur Grünen Gentechnik nicht mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen hat. Im Unterschied zur Anwendung in der Medizin, also zu der der Roten Gentechnik, und zur Anwendung von gentechnisch veränderten Mikroorganismen in der Industrie, also zu der der Weißen Gentechnik, findet die Anwendung in der Landwirtschaft - hier geht es um die Grüne Gentechnik - nicht im Labor, sondern im offenen System, im Freiland statt. Deshalb muss hier verantwortungsvoll und mit besonderer Vorsicht vorgegangen werden. ({6}) Auf dieser Veranstaltung wies ein Teilnehmer zu Recht darauf hin, dass diese besondere Vorsicht beim Umgang mit der Gentechnik im Freiland und der Schutz der biologischen Vielfalt vor gentechnisch veränderten Organismen enorm wichtig sind, damit die Gentechnik weiter für die Biotechnologie genutzt werden kann. Die Möglichkeiten der Biotechnologie speisen sich aus der biologischen Vielfalt. Auch deshalb setzen wir konsequent auf die Vermeidung von GVO-Verunreinigungen. Das fängt beim Saatgut an: Kennzeichnung ab Nachweisgrenze. Wo Gentechnik drin ist, soll das auch draufstehen. Das geht weiter mit Sicherheitsmaßnahmen beim Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen, die die Verhinderung von Verunreinigungen zum Ziel haben und nicht die Einhaltung eines Kennzeichnungsschwellenwertes von 0,9 Prozent. Beim Anbau von gentechnisch verändertem Mais halten wir aus Vorsorgegründen einen Sicherheitsabstand von 300 Metern zu konventionell und ökologisch bewirtschafteten Flächen für nötig. Damit liegen wir sogar unterhalb des europäischen Durchschnitts, der für ökologisch bewirtschaftete Flächen bei rund 330 Metern liegt. Wichtig ist, dass auch für Schäden unterhalb des Kennzeichnungsschwellenwertes von 0,9 Prozent ein Ausgleich möglich sein muss. Wir wollen nicht, dass die Geschädigten auf den Kosten sitzen bleiben, wenn ihre Produkte nicht oder nur zu einem geringeren Preis verkauft werden können, weil sie GVO-Anteile enthalten. ({7}) Das ist ein Erfordernis der Realität am Markt. Die Abnehmer sichern sich ab: Sie verlangen von ihren Zulieferern Nachweise über die GVO-Freiheit ihrer Produkte oder über die Einhaltung von Grenzwerten deutlich unter 0,9 Prozent. Testmessungen werden also Standard werden. Solche Tests sollten nicht zulasten der GVO-freien Anwender gehen; sie sollten vielmehr den GVO-Anwendern vorgeschrieben werden. Im Umfeld der GVO-Anbauflächen vorgenommen, können solche Tests sicherstellen, dass GVO-Verunreinigungen direkt auf dem Acker erkannt werden und nicht erst im Laufe der Produktion oder am Ende der Warenkette. ({8}) Kolleginnen und Kollegen, der Schutz vor GVO-Einträgen und das frühzeitige Erkennen von Verunreinigungen sind von enormer Bedeutung für die Verbraucher und für die Lebensmittelbranche. Wir dürfen hier keinen Vertrauensverlust riskieren. Daran hängen auch viele Arbeitsplätze. Der Kollege Röspel hat schon darauf hingewiesen. Wie wichtig es ist, dass auch die Wirtschaft davor geschützt wird, zeigt ein aktuelles Beispiel aus den USA. Dort wurde ein herkömmlicher Reis der Firma BASF vom Markt genommen, weil er GVO-Material eines Liberty-Link-Reises der Firma Bayer enthielt. Die Entfernung dieses Reises vom Markt wird nach Angaben eines Sprechers von BASF zu Umsatzausfällen in Millionenhöhe führen. Es gibt also gute Gründe, auch im Interesse der Wirtschaft und der Biotechnologiebranche sehr vorsichtig mit der Grünen Gentechnik umzugehen. Der Gesetzentwurf der FDP wird dem in keiner Weise gerecht. Wir lehnen ihn ab. Vielen Dank. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat die Kollegin Bärbel Höhn für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen gerade eine sehr engagierte und sehr kontroverse Debatte. Das hat seinen Grund. Es geht nicht um irgendeine Lappalie, sondern um ein entscheidendes Thema. Es geht um die Frage - diese steht zur Entscheidung an -: Können wir in Deutschland und in Europa auch in Zukunft gentechnikfrei produzieren, ja oder nein? ({0}) Das ist eine entscheidende Frage, meine Damen und Herren. Wenn wir bei dieser Technik falsche Entscheidungen treffen, dann gibt es kein Zurück mehr. Dass das nicht nur eine Theorie, sondern die Praxis ist, sehen wir in Kanada. Das große Kanada - schauen Sie einmal auf die Karte, wie groß Kanada und wie klein Deutschland ist! - kann heutzutage keinen gentechnikfreien Raps mehr liefern. Weil dort falsche Entscheidungen getroffen worden sind, gibt es in Kanada die Koexistenz beim Raps nicht mehr. Diese Erfahrungen müssen wir weltweit machen. Übrigens profitieren unsere Rapsbauern momentan davon. Raps wird ja nicht nur für die Energiegewinnung verwendet. Die Tatsache, dass gentechnikfreier Raps zunehmend in der Lebensmittelproduktion eingesetzt wird, führt dazu, dass für gentechnikfreien Raps heute ein höherer Preis erzielt wird als zu der Zeit, als dieser noch nicht so knapp war. Es handelt sich also um einen Wettbewerbsvorteil für die Bauern in Deutschland. ({1}) Im Hinblick auf die Frage, ob wir in Zukunft noch gentechnikfrei werden produzieren können, ist der Abstand von entscheidender Bedeutung. Frau HappachKasan, Sie sagen - ich erinnere mich sehr genau an eine Presseerklärung vom Juni letzten Jahres -, bei Mais - was natürlich etwas anderes ist als Raps - reicht ein Abstand von nur 70 Metern, weil damit der Grenzwert der EU von 0,9 Prozent eingehalten werden kann. Sie legen einen Abstand fest, mit dem die Kontamination der Nachbarfelder in möglichst großem Ausmaß stattfinden kann. Für Sie ist der Grenzwert ein Türöffner für die Gentechnik in Deutschland. Uns reicht ein solcher Abstand nicht. ({2}) Denn der Grenzwert von 0,9 Prozent hat einen Zusatz, den Sie offensichtlich nicht beachten. Ihre Position, den Abstand auf 70 Meter zu bemessen, ist EU-rechtswidrig. Im Zusatz heißt es nämlich, dass 0,9 Prozent ohne eigenes Verschulden eingehalten werden müssen. Mit Ihrer Abstandsbemessung führen Sie eine Verschuldung herbei und stellen die 0,9 Prozent als Normalfall dar. Herr Seehofer will jetzt einen Abstand von 150 Metern. Dazu sage ich Ihnen: 150 Meter Abstand sind zu wenig, weil auch damit eine bewusste Kontamination von Nachbarfeldern in Kauf genommen wird. Das darf nicht sein. ({3}) In solchen Zusammenhängen orientiere ich mich immer an der Wirtschaft. Ich weiß, dass Monsanto seinen Vertragsbauern einen Abstand zu den Biofeldern von 300 Metern vorschreibt. Die Bauern müssen sich zur Einhaltung dieses Abstands schriftlich verpflichten. Ich frage daher: Warum fällt die Bundesregierung hinter den Abstand, den Monsanto für nötig hält, zurück? Ich habe für dieses Vorgehen kein Verständnis, insbesondere desBärbel Höhn halb nicht, weil die meisten anderen Länder der EU mehr als 150 Meter vorschreiben. Richten Sie sich nach den Vorgaben der anderen Länder und nehmen Sie sich an deren Vorsorgeprinzip ein Beispiel! Sie wollen nämlich so ihre Bevölkerung schützen. ({4}) Ich möchte noch kurz auf die Freisetzungsversuche eingehen. Davon handelt auch unser Antrag. Herr Lehmer, ich halte das, was Sie hier veranstaltet haben, für unzulässig. Ich behaupte - das wiederhole ich hier sehr deutlich -: Momentan lassen Sie Freisetzungsversuche zu, die provokativ sind. ({5}) Wenn Sie aus dieser meiner Bemerkung schließen - was Sie eben getan haben -, ich würde Menschen zu Feldzerstörungen auffordern, dann muss ich sagen: Das ist unzulässig; denn das ist ein Totschlagargument. Jede Kritik an Freisetzungsversuchen wird von Ihnen sofort mit der Aufforderung zur Felderzerstörung gleichgesetzt. Diese Argumentation lasse ich nicht zu. Man muss Kritik an diesen Freisetzungsversuchen äußern dürfen, und das tun wir. ({6}) Wenn Sie Freisetzungsversuche von gentechnisch veränderten Kartoffeln mit pharmakologischer Wirkung zulassen, dann lassen Sie die Anpflanzung von Medikamenten zu und nichts anderes. In den USA und Kanada wird diskutiert, solche Versuche nur in geschlossenen Systemen und strikt getrennt von der Umwelt und der Lebensmittelkette zu ermöglichen. Warum wollen Sie hierzu den freien Feldversuch? Das geht nicht. ({7}) Am Ende meiner Rede sage ich: Die Argumente von Ihnen allen, insbesondere von Ihnen, Frau HappachKasan, finde ich unterirdisch. Sie, wie auch Herr Lehmer, präsentieren sich als Vertreter der Gentechnologie, von Genfirmen und achten nicht auf die Interessen der Bevölkerung. Das ist nicht im Sinne Ihres Mandats im Deutschen Bundestag. Danke schön. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Peter Bleser für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was ist Grüne Gentechnik? ({0}) Grüne Gentechnik ist im Grunde nichts anderes als eine andere Form der Züchtung, die schneller, gezielter und breiter in der Anwendung ist. ({1}) Seit Jahrtausenden finden in der Natur Mutationen statt. Pflanzen haben sich verändert, um sich den neuen Bedingungen anzupassen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höhn?

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auf Sie, Frau Höhn, komme ich gleich zu sprechen. 1980 hat das Max-Planck-Institut zum ersten Mal in Deutschland einen Gentechnikversuch durchgeführt, der gelungen ist. ({0}) Mithilfe eines Agrobakteriums wurde ein anderes Gen in eine Zelle eingebracht. 1996 begann in den Vereinigten Staaten von Amerika der kommerzielle Anbau. Heute werden weltweit 100 Millionen Hektar Land gentechnisch bestellt. 10,3 Millionen Landwirte bauen in 22 Ländern solche Pflanzen an. Der Zuwachs ist rasant. Es sind 2006 12 Millionen Hektar mehr als im Jahr davor. Allein in Indien wird auf 3,8 Millionen Hektar Land Baumwolle angepflanzt, die gentechnisch verändert ist. In Deutschland haben wir gerade einmal 1 000 Hektar. Jetzt können wir natürlich sagen: 10,2 Millionen Bauern irren. Wir können auch sagen: 22 Länderregierungen irren. ({1}) Wir können uns aber auch fragen: Soll am deutschen Wesen die Welt genesen? ({2}) Oder kann es sein, dass wir uns hier ein Stück verrennen, zumindest in Teilen dieses Parlamentes und in der Öffentlichkeit? ({3}) Wir müssen den Menschen draußen einmal erklären, was überhaupt stattfindet. Da wird eine Maissorte ge8540 züchtet, die den Schädling Maiszünsler abhält und eine chemische Behandlung erübrigt. ({4}) Da wird eine Baumwolle gezüchtet, die schon in der Pflanze die Färbung ermöglicht und damit später intensive chemische Prozesse vermeiden hilft. Da wird zum Beispiel aktuell in Mecklenburg-Vorpommern ein Freisetzungsversuch durchgeführt, bei dem es gelingen soll, Choleraimpfstoffe in Kartoffeln zu erzeugen. ({5}) Auch in den Vereinigten Staaten, wo man mit pflanzenschutzresistenten Sorten begonnen hat, hat man dies ja nicht ohne Grund getan. Das Ziel war, pfluglos arbeiten zu können und damit die Bodenerosion zu vermeiden. Das war doch der Grund, warum diese Technologie dort genutzt wird. In der Forschung geht es ja weiter. Wir haben erste Ansätze für energiehaltigere Pflanzen - im Rahmen der Klimadiskussion eine ganz entscheidende Entwicklung. Wir haben den Versuch, Proteinanteile in den Pflanzen zu erhöhen. Proteinmangel ist ein Problem in vielen Ländern dieser Erde. Wir haben einen Versuch mit Kartoffeln, bei dem wir den Stärkegehalt und die Form der Stärke verändern, was dazu führt, dass wir kompostierbare Materialien schaffen können. Das sind alles Dinge, die sehr hoffnungsvoll sind, die der Umwelt nutzen, die der Welternährung nutzen, die der Gesundheit nutzen. Wir müssen den Menschen doch einmal sagen, was das Ziel dieser Technologie ist. ({6}) Es geht hierbei nicht nur um wirtschaftlichen Profit. ({7}) Ich weiß natürlich auch, dass 72 Prozent der Bevölkerung - von mir aus auch 80 Prozent - Ängste gegenüber dieser neuen Technologie haben. ({8}) Man muss diese Ängste ernst nehmen, und man muss sie auch entkräften. Dabei muss man sehr solide vorgehen. Das darf aber nicht ideologisch sein, Frau Höhn, sondern das muss man mit wissenschaftlichen, belastbaren Erkenntnissen machen, ({9}) die auch Bestand haben und nicht irgendwelchen politischen Zielen untergeordnet werden. Eine ideologische Instrumentalisierung dieser verheißungsvollen Technologie wird uns in Deutschland nicht weiterführen. Dieses Parlament hat 1984 übrigens eine EnqueteKommission eingesetzt, die sich genau mit diesen Fragen der Gentechnik beschäftigt hat. 1987 wurde das Ergebnis dieser Kommission vorgelegt, und diese Technologie wurde begrüßt. Aufgrund dieser Arbeiten ist übrigens das strenge System entstanden, das bei uns auch heute noch - auch durch die Europäische Union etabliert ist, nämlich sehr strenge Voraussetzungen und Sicherheitsvorschriften in Form von Stufen, vom Labor über Gewächshäuser bis zu Freisetzungsversuchen. Das dient doch nur der Sicherheit und nicht dem Gegenteil, wie hier viele unterstellen. 2001 ist die Freisetzungsrichtlinie in Brüssel beschlossen worden. Da waren wir nicht an der Regierung, Frau Höhn und Frau Höfken. Künast und andere haben diesen Beschluss mit herbeigeführt. ({10}) 2004 hat hier eine andere Koalition die Umsetzung der europäischen Freisetzungsrichtlinie beschlossen. Auch das muss man den Menschen sagen. Aufgrund dieser Rechtsetzung findet heute gentechnisch veränderter Anbau in Deutschland statt. Wir gehen jetzt daran - das ist sehr zu loben und hervorzuheben -, dieses Recht so zu verändern, dass es praktikabler wird und dass die Sicherheit für Anbauer und Verbraucher besser wird, nicht schlechter. ({11}) Das ist unser Ansatz. Deswegen wollen wir uns hier auf der Grundlage des im Kabinett verabschiedeten Eckpunktepapiers in den nächsten Wochen zusammensetzen. Herr Kollege Kelber, da stimme ich mit Ihnen voll überein: Die Linie ist jetzt festgelegt. Wir müssen uns mit den Fragen, die Sie angesprochen haben, auseinandersetzen. Ich bin der festen Überzeugung: Wenn wir nach der Maxime vorgehen, niemandem etwas vorzuschreiben, sondern den Rahmen so zu setzen, dass die Verbraucher die Entscheidungsmöglichkeit behalten, gentechnisch veränderte Produkte zu kaufen oder nicht, und dass die Anbauer die Entscheidungsmöglichkeit behalten, gentechnisch veränderte Pflanzen anzubauen oder nicht, ({12}) dann können wir einen Konsens finden, der in der Bevölkerung verstanden wird. Dass es da unterschiedliche Einschätzungen gibt, Kollege Kelber, ist völlig normal. Ich bin da der gleichen Meinung wie Ihr Kollege Rainer Wend, der sagt: 150 Meter Abstand sind bei guter fachlicher Praxis satt ausreichend. ({13}) - Diese Meinung können Sie akzeptieren oder nicht. Für mich ist entscheidend, dass diese Grenzen, wenn Nachbarn diese Produkte anbauen, im Sinne der Praktikabilität auch unterschritten werden können. Der FDP geht es auch um die Ächtung der Zerstörung von Feldern, insbesondere von Versuchsfeldern. Ich kann das nur nachdrücklich unterstützen. Wir müssen gemeinsam gegen die vorgehen, die hier Recht brechen wollen. Frau Höhn, ich bin sehr dankbar, dass auch Sie sich hier in dieser Form positioniert haben. ({14}) Wir müssen diese Forschung ermöglichen, um die Rechtssicherheit und die Sicherheit für das Produkt, die wir alle wünschen, herzustellen. ({15}) Ich will wie mein Kollege Lehmer die Bundesregierung, aber auch uns im Parlament, ebenso die Wirtschaft und die Medien auffordern, einen Zusammenhang, der so komplex ist, wie es diese Technologie nun einmal ist, so darzustellen, dass die Bevölkerung versteht, worum es geht, ({16}) dass ihr die Ängste genommen werden und dass der Bevölkerung auch die Chance gegeben werden kann, die Vorteile - die eindeutig vorhanden sind - zu nutzen. Ich komme zum Schluss. Wir wollen einen Rechtsrahmen setzen, der Wahlfreiheit und Koexistenz ermöglicht. Wir wollen die Forschung hier halten; denn nur wo die Forschung ist, werden auch die dazugehörigen Unternehmen langfristig bleiben. Verhalten wir uns so, dass uns zukünftige Generationen nicht den Vorwurf machen können, eine tolle Chance vertan zu haben! Das sollte unser Anspruch sein. Herzlichen Dank. ({17})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Matthias Miersch für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Schluss sprechen zwei Praktiker: der Kollege Bleser aus landwirtschaftlicher Sicht, ich aus juristischer Sicht. Wir haben uns seit Jahren mit der Problematik auseinandersetzen können. Lassen Sie mich vorweg sagen: Ich glaube, es ist unstreitig, dass wir hier in die Zukunft blicken und tatsächlich sichere Regelungen auf diesem Gebiet erreichen wollen. Wir haben im Koalitionsvertrag in diesem Zusammenhang zwei feste Grundwerte vereinbart, nämlich den Grundsatz der Koexistenz und den Grundsatz der Wahlfreiheit. ({0}) Ich meine, dass sich alle Regelungen und alle Novellierungen des Gentechnikgesetzes an diesen Grundwerten messen lassen müssen. Es ist manchmal ratsam, im Rahmen einer Gesetzesberatung die bisherige Praxis zu betrachten und sie auszuwerten. ({1}) Da müssen wir uns vor allem zwei Bereiche vornehmen - denn vieles von dem, was wir lesen, sind nur Hypothesen, und bewiesen ist nichts -: Der erste Bereich ist der Forschungsbereich. Wird die Forschung behindert, wie es manchmal heißt? Der zweite Bereich ist die tatsächliche Praxis. Bei der Forschung geht es primär um die Freisetzungsversuche. Ich will jedem, der sagt, dass das Gentechnikgesetz hier zu eng sei, empfehlen, die bisherige Rechtsprechung zur Kenntnis zu nehmen. Gerichte hier in Berlin - die zuständigen Behörden saßen hier - haben sich mit Klagen von Menschen beschäftigt, die versucht haben, Freisetzungen auf rechtlichem Wege zu verhindern. Diese Bürger sind mit ihrer Klage fast nicht über die Stufe der Zulässigkeit hinausgekommen. Mir sind jedenfalls nur ganz wenige Verfahren bekannt, die auf diese Art und Weise infrage gestellt werden konnten. Auch gehört dazu, dass wir uns anschauen, ob einige der beabsichtigten Freisetzungsversuche eigentlich dem Koexistenzgedanken entsprechen, den wir ja zusammen vereinbart haben. Ich will dabei ganz konkret auf den aktuellen Freisetzungsversuch in Gatersleben eingehen. Worum geht es? Es geht um die Freisetzung von gentechnisch verändertem Weizen, und zwar in der Nachbarschaft einer Genbank, in der jahrhundertealte Sorten erhalten und zur Erhaltung freigesetzt werden bzw. in Freilandanbauen gesichert werden. In dieser Nachbarschaft wird der Freisetzungsversuch stattfinden. Ich finde es bedenklich - das sage ich an dieser Stelle auch an die Adresse des Ministeriums -, dass es in einem Brief des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit an das entsprechende Institut heißt: Unabhängig von der Erteilung der Freisetzungsgenehmigung halte ich es aufgrund der vielen Einwendungen mit Bezug auf die räumliche Nähe zur Genbank für geboten, den Standort für die Vermehrung der Genbankakzessionen zu verlagern. ({2}) Hier wird verlangt, dass jahrhundertealtes Kulturgut dem Forschungsdrang weichen soll. Das widerspricht aus meiner Sicht klar dem Grundsatz der Koexistenz. ({3}) Ich halte es für unangemessen und der Sache nicht dienlich, wenn man sich genau diesen Bereichen zuwendet. Warum sucht man sich nicht andere Gebiete, die es zweifellos gibt? Warum lässt man es hier auf den Crash ankommen? Das verstehe ich, ehrlich gesagt, nicht. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun ein Blick in die Praxis - der Kollege Bleser kennt die Befürchtung vieler Berufskolleginnen und -kollegen; ich bin mir allerdings nicht immer sicher, ob die Spitze des Deutschen Bauernverbandes hier wirklich für die Mehrheit der Landwirte spricht -: ({5}) Wenn man sich damit beschäftigt, welche Probleme ein Landwirt schon heute hat, wenn er Schädigungen an seinem Saatgut geltend machen will, dann stellt man fest, dass er vor juristischen Hürden steht, die fast nicht zu überwinden sind. Halten wir uns nur einmal vor Augen, was es bedeutet, wenn in einer Stadt oder einem Dorf ein Landwirt gegen einen anderen Landwirt prozessieren muss. In einem solchen Fall geht es um die Fragen: War dein Saatgut zuerst „verseucht“? Ist das vielleicht durch falschen Umgang mit Maschinen geschehen? Hast du das also selbst und auf deinem eigenen Hof verursacht? All diese Fragen sind juristisch hochproblematisch. Das kann zur Folge haben, dass die Landwirte, die auf jahrhundertealte Technik zurückgreifen, plötzlich ins Hintertreffen geraten. Das kann niemand wollen. ({6}) Ich nenne an dieser Stelle immer das unter Landwirten bekannte Beispiel Farino. Als es darum ging, Schädigungen des Saatgutes geltend zu machen und Schadenersatz einzufordern, ist ein großer Teil der betroffenen Landwirte gescheitert. Ich will nicht, dass wir in Fragen der Gentechnik etwas Ähnliches erleben. Wenn wir also Gesetze novellieren, dann müssen wir diese Gegebenheiten in der Praxis zur Kenntnis nehmen und Antworten darauf finden, wie wir damit umgehen. In der Nachbarschaft von GVO-Feldern muss es vorsorgliche Proben geben. Die Landwirte müssen sich also überlegen, ob das, was sie ernten, kennzeichnungspflichtig ist oder nicht. Wie gehen wir mit Flächen um, die hochsensibel sind, weil dort beispielsweise Saatgutvermehrung betrieben wird? Das muss meines Erachtens geklärt werden, wenn wir diese Diskussion ernst nehmen. Nun zu Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP. Sie fordern, die Transparenz einzuschränken. Ich glaube, Transparenz ist die Grundlage von Akzeptanz. Sehen Sie sich doch einmal an, was wir im Deutschen Bundestag gerade im Zusammenhang mit der Beteiligung der Öffentlichkeit machen. Ich nenne nur das Stichwort: Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz. Das, was Sie vorschlagen, ist das genaue Gegenteil dessen. Ihre Vorschläge sind aus meiner Sicht europarechtswidrig. ({7}) Man muss sich die Situation vor Ort genau ansehen - hier ist Bayern ein gutes Beispiel -: Die Landwirte und die Verbraucherinnen und Verbraucher tun sich zusammen, nehmen die Sache in die Hand und entscheiden selbst, was sie vor Ort wollen und was nicht. Ich glaube, es wäre gut, die deutsche EU-Ratspräsidentschaft dazu zu nutzen, um die Frage der Bürgerbeteiligung, beispielsweise im Hinblick auf die Entscheidung über gentechnikfreie Regionen, in die Diskussion auf europäischer Ebene einzubringen. ({8}) Es würde uns gut anstehen, diese Diskussion sachgerecht und vor allen Dingen vor dem Hintergrund der Erfahrungen zu führen, die wir in der Praxis sammeln. Dann kann das Gentechnikgesetz in einem positiven Sinne novelliert werden. Dazu sind Sie alle herzlich eingeladen. Vielen Dank. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Bezüglich der Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b und hinsichtlich des Zusatzpunktes 4 wird interfraktionell die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/4143 und 16/1211 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/4556 - Tagesordnungspunkt 4 b - soll an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf Drucksache 16/4143 überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, dass ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Tagesordnungspunkt 4 c: Dabei geht es um die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Drucksache 16/4574 zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen mit dem Titel „Bei gentechnisch veränder- ten Pflanzen nationales Recht auf Einfuhrverbote und Schutzmaßnahmen nutzen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/1176 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dage- gen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlussempfeh- lung bei Gegenstimmen der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 f und 16 sowie die Zusatzpunkte 5 a bis 5 d auf: 27 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Akte vom 29. November 2000 zur Revision des Übereinkommens vom 5. Oktober 1973 über Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt die Erteilung europäischer Patente ({0}) - Drucksache 16/4375 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Akte vom 29. November 2000 zur Revision des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente - Drucksache 16/4382 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. Juni 2003 zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferung, zu dem Abkommen vom 25. Juni 2003 zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Rechtshilfe, zu dem Vertrag vom 14. Oktober 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen, zu dem Zweiten Zusatzvertrag vom 18. April 2006 zum Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika sowie zu dem Zusatzvertrag vom 18. April 2006 zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen - Drucksache 16/4377 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({3}) Innenausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung medizinprodukterechtlicher und anderer Vorschriften - Drucksache 16/4455 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({4}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz e) Erste Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Nešković, Sevim Dağdelen, Dr. Lothar Bisky, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der Pressefreiheit - Drucksache 16/4539 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({5}) Innenausschuss Ausschuss für Kultur und Medien f) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Für die Verurteilung des Systems der LaogaiLager in China - Drucksache 16/4559 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({6}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJoachim Otto ({7}), Christoph Waitz, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Spenden- und Sponsoringeinnahmen nicht von staatlichen Zuwendungen abziehen - Eigeninitiative von Kultureinrichtungen fördern statt bestrafen - Drucksache 16/3353 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({8}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss ZP 5a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD Schienenlärm ursächlich bekämpfen - Drucksache 16/4562 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({9}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dorothee Bär, Wolfgang Börnsen ({10}), Peter Albach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Jörg Tauss, Martin Dörmann, Christoph Pries, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Weiterentwicklung des Adressraums im Internet - Drucksache 16/4564 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({11}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Grütters, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Den Hochschulpakt erfolgreich umsetzen - Drucksache 16/4563 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({12}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch, Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Gesundheitsschutz durch Schädlingsbekämpfung mit Chemikalien erhalten - Biozid-Richtlinie bürokratievermeidend überarbeiten - Drucksache 16/4183 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({13}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Es handelt sich dabei um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 j auf. Es handelt sich dabei um Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 28 a: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14}) Sammelübersicht 180 zu Petitionen - Drucksache 16/4432 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 180 ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 28 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15}) Sammelübersicht 181 zu Petitionen - Drucksache 16/4433 Wer ist dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? Die Sammelübersicht 181 ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 28 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16}) Sammelübersicht 182 zu Petitionen - Drucksache 16/4434 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 182 ist bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 28 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17}) Sammelübersicht 183 zu Petitionen - Drucksache 16/4435 Wer stimmt dafür? - Ist jemand dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 183 ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 28 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18}) Sammelübersicht 184 zu Petitionen - Drucksache 16/4436 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 184 ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 28 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19}) Sammelübersicht 185 zu Petitionen - Drucksache 16/4437 Wer stimmt dafür? - Ist jemand dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 185 ist bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 28 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20}) Sammelübersicht 186 zu Petitionen - Drucksache 16/4438 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 186 ist bei Gegenstimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 28 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21}) Sammelübersicht 187 zu Petitionen - Drucksache 16/4439 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 187 ist bei Gegenstimmen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 28 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22}) Sammelübersicht 188 zu Petitionen - Drucksache 16/4440 ({23}) Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 188 ist bei Enthaltung der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 28 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({24}) Sammelübersicht 189 zu Petitionen - Drucksache 16/4441 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 189 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe nun den Zusatzpunkt 6 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD Airbusrestrukturierung - Kernkompetenzen und Zukunftstechnologien in Deutschland erhalten und ausbauen Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Laurenz Meyer für die CDU/CSUFraktion das Wort. ({25})

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! Die EADS hat uns in den letzten Wochen und Monaten stark beschäftigt. Dabei ist es sehr ungewöhnlich, dass sich die Politik so intensiv mit einer Unternehmensentscheidung befasst. Das entspricht eigentlich nicht unserem Grundverständnis. ({0}) EADS ist aber kein normales Unternehmen. Seit Beginn der Entstehungsgeschichte hat die Politik das Unternehmen begleitet. Ohne politische Hilfe und Unterstützung und ohne den politischen Willen wäre es nicht zur Gründung dieses Unternehmens gekommen. Das betrifft die Finanzen und die Konstruktion, aber auch den Unternehmenserfolg. Wenn die Politik nicht diese Konstruktion eines gemeinsamen europäischen Unternehmens und der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich gewählt hätte, dann wäre dieser starke Konkurrent zu den amerikanischen Unternehmen nicht entstanden. Deswegen begrüßen wir nach wie vor die politische Unterstützung für dieses Unternehmen. ({1}) Das Erfolgsgeheimnis dieses Gemeinschaftsprojekts zwischen Deutschland und Frankreich besteht aber auch darin, dass die europäischen Staaten das Vorhaben mit unterstützt und politisch begleitet haben. Deshalb ist es meine und unsere feste Überzeugung, dass diese Konstruktion der Zusammenarbeit die Voraussetzung dafür ist, dass Airbus und EADS auch in Zukunft Erfolg haben. Starke Verflechtungen sind im Übrigen über Aufträge entstanden. Der Wirtschaftsminister hat hinreichend darauf hingewiesen. ({2}) Allein die Staatsaufträge, die seit 1999 an den Konzern gegangen sind, erreichen ein Volumen von 13,5 Milliarden Euro. Das entspricht 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Insofern ist es nachvollziehbar, dass der Wirtschaftsminister klare Worte gefunden hat. ({3}) - Der Wirtschaftsminister ist durch seinen inzwischen ernannten Beauftragten für Luft- und Raumfahrt vertreten. Das zeigt übrigens auch, welche Bedeutung dieser Wirtschaftszweig aus Sicht der Bundesregierung für Deutschland und uns alle hat. ({4}) Angesichts der Tatsache, dass in Frankreich zurzeit Wahlkampf ist, sollten wir die eine oder andere Äußerung französischer Politiker in dieser Phase nicht auf die Goldwaage legen. Ich will aber für meine Fraktion klipp und klar festhalten: Wir wollen keine Änderung in der Eigentümerstruktur. Wir werden alles tun, um das Gleichgewicht in diesem Konzern zu halten. ({5}) Es hat immer wieder Versuche gegeben, die Strukturen in diesem Konzern zu ändern - man mag das bedauern, aber wir kennen das auch von einzelnen deutschen Bundesländern; gewisse Eigenwilligkeiten sind möglicherweise vom Umgang mit den Kollegen aus Bayern bekannt -, die wir aber alle zurückgewiesen haben. Auch für die Zukunft gilt - unabhängig davon, ob Kapitalerhöhungen für notwendig gehalten werden -: Wir wollen die bestehenden Strukturen erhalten, weil sie die Voraussetzung für ein Gleichgewicht hinsichtlich der Arbeitsplätze sind. Besonders wichtig ist uns das Gleichgewicht, was die zukünftigen technologischen Entwicklungen in dem Konzern angeht; denn EADS soll kein französisches Unter8546 Laurenz Meyer ({6}) nehmen werden, sondern Deutschland und Frankreich sollen in gleicher Weise beteiligt sein. ({7}) Wir sind der Überzeugung, dass es sich bei der Luftfahrtindustrie um eine Zukunftstechnologie handelt. Ich sage das ganz bewusst vor dem Hintergrund der Diskussion über die CO2-Emissionen. Die Zukunft der Luftfahrtindustrie ist hier von ganz entscheidender Bedeutung. Es gibt nur zwei große Unternehmen in der Welt, die einen Beitrag zur Reduzierung des Schadstoffausstoßes von Flugzeugen leisten können. Ich will mich für meine Fraktion ganz ausdrücklich bei der Bundeskanzlerin für ihren Einsatz bedanken, insbesondere auch beim Wirtschaftsminister, der einen wirklich guten Beitrag geleistet hat, damit es zu diesem Ergebnis der gleichgewichtigen Restrukturierung kommen konnte. ({8}) Das Unternehmen spricht inzwischen von Managementfehlern. Hinzu kommt sicher die Entwicklung des Dollarkurses, die sich auf die Preise des großen Konkurrenten in den USA ausgewirkt hat. Man muss feststellen, dass das eine objektive Entwicklung ist. Wir haben auch Verständnis für die Sorgen und Nöte der Arbeitnehmer an den Standorten, gerade für die in Deutschland, aber auch insgesamt. Wenn Restrukturierungsmaßnahmen notwendig sind, dann müssen die Einzelentscheidungen darüber - das ist unser Grundverständnis von Wirtschaftspolitik -, wo und an welcher Stelle Veränderungen vorgenommen werden müssen, welche Fertigung in diesem Unternehmen selbst erfolgen muss und in welchem Umfang Zulieferungen erfolgen müssen, nach einer Diskussion zwischen dem Management und den Arbeitnehmervertretern im Unternehmen getroffen werden. Die darf die Politik nicht beeinflussen. Wir wollen dann, wenn wir das Gleichgewicht wieder hergestellt haben, darauf achten, uns aus diesen Einzelentscheidungen herauszuhalten. Es kann und darf nicht sein, dass die Politik in die Einzelentscheidungen hineinregiert.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege.

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin fertig, Frau Präsidentin.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das ist schön.

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir sehen für dieses Unternehmen, für den Konzern und für die Arbeitsplätze in Deutschland und insgesamt eine gute Zukunft, und wir hoffen, dass mit einem Erfolg dieser Restrukturierung am Ende des Prozesses mehr Arbeitsplätze in dieser Zukunftsindustrie vorhanden sein werden, als es heute sind. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Landesminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr in Niedersachsen, Walter Hirche. ({0}) Walter Hirche, Minister ({1}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 30 000 Arbeitsplätze inklusive der Leiharbeitsplätze - das ist eine gewaltige Zahl, die alleine schon rechtfertigen würde, dass man sich mit dem Thema beschäftigt. Aber darüber hinaus - Herr Meyer hat das eben dargestellt ist Airbus von Anfang an in seiner Konstruktion von der Politik begleitet worden. Insbesondere Franz Josef Strauß hat dabei eine große Rolle gespielt. Airbus ist als deutsch-französisches und darüber hinaus europäisches Gemeinschaftsunternehmen konzipiert worden. Wenn Airbus nicht vorhanden wäre, hätte Boeing heute ein Monopol in der Luftfahrtindustrie. So haben wir wenigstens ein Duopol, und Europa spielt bei der Entwicklung dieser wichtigen Technologien eine wesentliche Rolle. Das muss man, so glaube ich, auch in Zukunft beachten. Deswegen ist es richtig, dass wir von der Politik einige Fragen stellen, dass wir den Dialog einerseits mit den Betriebsräten, andererseits aber auch mit dem Management intensivieren. Das muss auf der Linie geschehen, die Sie, Herr Meyer, eben geschildert haben. Die operativen Geschäfte sind nach dem Verständnis unserer sozialen Marktwirtschaft Sache des Managements und im Dialog mit den Betriebsräten zu diskutieren und dann zu entscheiden. Die Luftfahrtindustrie ist nach wie vor eine Wachstumsbranche. Kenner rechnen damit, dass wir in den nächsten 20 Jahren etwa 20 000 neue Flugzeuge in der Welt benötigen. Das zeigt schon, welcher technologische Schub erwartet wird. Wir wissen, dass die Probleme nicht nur durch die Dollarschwäche entstanden sind. Auch die beträfe das Management; denn Kursabsicherung im internationalen Geschäft gehört zu den allgemeinen Grundfertigkeiten, die man beherrschen muss. ({2}) Es gibt in diesem Zusammenhang andere Fehler, die in jedem Unternehmen passieren können - auch das will ich sagen -, die aber nicht so auffallen wie beispielsweise die Verzögerung bei der Fertigstellung der Software für den A380, wenn man nicht ein so großes und bedeutendes Unternehmen hat. Tatsache ist doch: Zurzeit ist das Produktionsvolumen der Werke zu 100 Prozent ausgelastet. Die Auslastung liegt, wenn man so will, sogar bei 120 oder 130 Prozent; schließlich müssen diejenigen Aufträge abgearbeitet werden, deren Nichtbearbeitung zu einer Verzögerung geführt hat. In dieser Situation muss man schon die Frage stellen, ob es richtig ist, die Produktionskraft in den Unternehmen, nämlich die Arbeitnehmer, so zu verunsichern, dass im Grunde eine geringere Gewähr besteht, dass man die Aufträge termingemäß oder möglichst terminnah bearbeiten kann. Es geht nicht in erster Linie darum, die provinzielle Brille eines Landesministers aufzusetzen, allein auf die deutschen Standorte zu blicken und zu sagen: Zum Beispiel in Niedersachsen gibt es vier Standorte; BadenWürttemberg hat einen Standort; auch Hamburg und Bremen sind betroffen. Das ist nur das eine. Es geht im Grunde darum, zu fragen - da schließe ich mich Herrn Meyer durchaus an -: Wie ist der Gesamtkonzern eigentlich aufgestellt? Es würde uns überhaupt nichts helfen, wenn ein Standort vollständig auf die Zukunft ausgerichtet wäre, die Wettbewerbsfähigkeit von morgen aber dadurch verspielt würde, dass schlechte Strukturen im Konzern fortbestehen. ({3}) Wir haben deswegen eine doppelte Aufgabe. Ich will gern einräumen: Wir müssen ein Stück weit eine Gratwanderung vollziehen. Einerseits muss die deutsche Politik dafür sorgen, dass es hier keine Schieflage gibt, und zwar nicht nur wegen der Arbeitsplätze, sondern auch wegen der technologischen Aspekte, die damit verbunden sind. Das ist eine Zukunftsindustrie. Wir haben es mit Auswirkungen auf andere Bereiche zu tun. In Stade, also in einer Stadt in meinem Bundesland, spielt die neue CFK-Technologie, also die Verarbeitung von Kohlefaserverbundwerkstoff, eine wesentliche Rolle. Wir wollen natürlich, dass dort, wo solche Technologien entwickelt worden sind, Kernpunkte für die künftige Entwicklung bleiben, und zwar nicht nur hinsichtlich des Heckbereichs, sondern auch hinsichtlich anderer Bereiche. ({4}) Wir wollen insbesondere, dass man sich in einer solchen Situation - alle Unternehmen müssen ständig darüber nachdenken, wie sie Fertigungsstrukturen optimieren - gründlich überlegt, ob das Analystenpatentrezept, möglichst alles outzusourcen, damit man am Ende ganz schlank dasteht und damit angeblich den höchsten Unternehmenswert erzielt, in diesem Fall eigentlich richtig ist. ({5}) Es geht immer darum, optimierte Strukturen zu haben. Deswegen kann ein solches Vorgehen in dem einen Fall richtig und in einem anderen Fall falsch sein. Es lässt sich beobachten - das muss man gerade dann feststellen, wenn man am Wert von Unternehmen interessiert ist -, dass mal die eine Struktur die richtige ist und mal die andere. Die Wirtschaftsgeschichte hat gezeigt, dass es kein Patentrezept für Strukturen gibt. Wenn man 20 oder 30 Jahre zurückschaut, dann sieht man, dass es in Krisensituationen immer auch Gewinner und in Boomphasen immer auch Verlierer gegeben hat. Das liegt daran, dass man sich den Situationen unterschiedlich angepasst hat. Wir fragen hier im Interesse des Gesamtunternehmens - nicht im Interesse der einzelnen Standorte -: Sind die in Frankreich, in Deutschland und an den anderen Standorten dahinterstehenden Grundüberlegungen bezüglich der Reorganisation dauerhaft erfolgversprechend, was Arbeitsplätze und Technologiesicherung angeht? Eines wissen auch die Verantwortlichen bei Airbus - wir im politischen Raum müssen es ebenfalls wissen -: Wenn hier grobe Fehler gemacht werden, dann haben wir auf dem Weltmarkt vielleicht noch fünf Jahre lang die Nase mit vorn; aber nach diesen fünf Jahren wäre Boeing unaufholbar entschwunden. ({6}) In einer Situation, in der auf dem Markt zunächst einmal der Nachweis von Solidität und Qualität erbracht werden muss, ist es deswegen ganz wichtig, dass die Arbeits- und Qualitätssicherungsabläufe nicht gestört werden. Ich glaube, es lassen sich durchaus einige Anfragen in Richtung Management formulieren. Sie stehen auch im Raum, ohne dass man sie im Einzelnen aussprechen muss. Ich will es einmal höflich sagen: Die innere Logik ist der Öffentlichkeit in diesem Zusammenhang noch nicht richtig klargemacht worden. Es ist deswegen für mich verständlich, dass die Emotionalität der Arbeitnehmer zu Arbeitsniederlegungen geführt hat. Aber ich begrüße, dass an den Standorten so viel Rationalität vorhanden ist - das haben auch meine Gespräche mit den Betriebsräten in unserem Bundesland ergeben -, zu sagen: Wir wollen arbeiten. Wir wollen Qualität bringen. Lasst uns diese Qualität bitte weiter bringen und nach vorn marschieren! - Deswegen gibt es einen kleinen Hoffnungsschimmer in dem Zusammenhang. Den sollte man aufgreifen. Herr Gallois hat erklärt, man wolle sich als Unternehmen für die Umsetzung der Vorschläge, die man selbst erarbeitet habe, Zeit lassen. Wenn das so ist, dann sind an dieser Stelle sowohl für den politischen Dialog wie insbesondere auch für den gesetzlich vorgesehenen Dialog zwischen Betriebsräten und Management genügend Anhaltspunkte vorhanden. Ich würde sehr dafür plädieren, die zu nutzen. Ich bedanke mich auch im Namen meiner Länderkollegen für das Engagement der Bundesregierung, durch das erreicht worden ist, dass wir hier keine Schieflage zwischen Deutschland und Frankreich haben. Aber ich füge hinzu: Mit dem Erreichen eines Gleichgewichts oder auch der Sicherung der dritten Linie für Hamburg sind die Probleme noch nicht gelöst. Vielmehr stehen durch Entscheidungen, die nicht bis zum Schluss durchdacht worden sind ({7}) und nicht bis zum Schluss erklärt werden, noch Probleme im Raum. ({8}) Minister Walter Hirche ({9}) Diese Probleme erzeugen im Augenblick mehr Unsicherheit an den Standorten, als uns allen lieb sein kann. Airbus ist bis zum heutigen Tag eine Erfolgsgeschichte und soll es auch bleiben. Unsere Mitverantwortung liegt darin, diese Erfolgsgeschichte durch niemanden gefährden zu lassen. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Bevor ich das Wort dem Kollegen Dr. Rainer Wend gebe, gratuliere ich Ihnen, Herr Kollege Wend, recht herzlich zu Ihrem heutigen Geburtstag und wünsche Ihnen alles Gute. ({0}) Herr Kollege, Sie haben das Wort. ({1})

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für die freundlichen Glückwünsche. Ich bitte Sie alle darum, mich auch während dieser Rede ähnlich unfreundlich wie sonst zu behandeln. Ich möchte heute keine Ausnahme. Wir reden heute über Technologie - das ist richtig -, und wir reden über den Standort Deutschland. Auch das ist richtig. Aber ein allererstes Wort muss hier und heute im Bundestag an die Beschäftigten - und ihre Familien der Airbusstandorte gehen, vor allem der Standorte Laupheim, Varel und Nordenham, denen eine Veräußerung oder Teilveräußerung droht. Es sind viele Fehler gemacht worden - das sage ich gerade in Richtung des Unternehmens -: Fehlentscheidungen beispielsweise beim Programm des A380, Unterschätzung der Neuentwicklung der Boeing 787, keine marktgerechte erste Version des A350, um nur einiges zu nennen. Aber keiner dieser Fehler, die in den letzten Jahren im Unternehmen gemacht worden sind, ist von den Beschäftigten gemacht worden. Diese Fehler sind vom Management des Unternehmens gemacht worden. ({0}) Es kann nicht richtig sein - die Ansicht teilen wir -, dass unter den Fehlern des Managements nun ausschließlich die Beschäftigten an den Standorten leiden müssen. Ein Appell geht jetzt auch von hier aus an das Management. Das Management ist nun gefordert. Es muss alles getan werden, um die Arbeitsplätze an allen Standorten zu halten, und zwar in Frankreich und in Deutschland. ({1}) Spitzentechnologie ist zu fördern. Innovationspartnerschaften sind anzustreben. Perspektiven für die Zukunft sind zu schaffen. Es darf nicht der Abbau von Arbeitsplätzen im Vordergrund stehen. Wir Politiker müssen uns natürlich fragen: Was können wir leisten? Was können wir beitragen? Da möchte ich einerseits vor Illusionen warnen, andererseits aber auch deutlich sagen: Wir haben sehr wohl eine Rolle zu spielen. Das Warnen vor Illusionen geht in Richtung der PDS und ihres Antrags, den wir morgen behandeln. Sie verlangen eine Aufstockung des Staatsanteils bei Airbus. Das suggeriert, betriebswirtschaftliche Probleme seien durch einen höheren Staatsanteil quasi automatisch lösbar. Ich halte das für eine Illusion. ({2}) An die Aussage, dass ein Unternehmen besser geführt wird, wenn es mehrheitlich dem Staat gehört, kann man ein Fragezeichen machen. ({3}) Selbst wenn es staatlich geführt würde, müsste es sich in einem internationalen Wettbewerb behaupten. Niemand kann die Hoffnung bzw. die sichere Erwartung haben, dass ein solcher Staatsanteil automatisch zu mehr Beschäftigung führt. Sie müssen Ihre diesbezüglichen Positionen überprüfen. ({4}) An die andere Seite des Hauses sage ich Folgendes: Herr Hirche, das, was Sie eben gesagt haben, hat in meinen Ohren wohl geklungen. Ich hätte es aber lieber gesehen, wenn auch die Kollegen Westerwelle und Brüderle in den letzten Wochen Ihre Position, die Sie heute hier vorgetragen haben, geteilt hätten. ({5}) Die FDP-Bundestagsfraktion hat uns in den letzten Wochen immer wieder gesagt: Es ist des Teufels, wenn der Staat bei Airbus Einfluss ausübt. ({6}) Was wäre wohl gewesen, wenn wir diesen Rat der FDP angenommen hätten? Was wäre mit den Standorten in Deutschland geschehen? Was hätte das für das Thema Spitzentechnologie bedeutet? ({7}) Deswegen sage ich: So falsch es ist, auf einen Automatismus nach dem Motto „Der Staat wird es schon richten!“ zu hoffen, genauso falsch ist es, darauf zu setzen, dass der Markt es schon richten wird. Beide Extrempositionen werden von der SPD nicht geteilt. ({8}) Minister Walter Hirche ({9}) Was können wir in einer solchen Situation tun? Wie problematisch diese Situation ist, sieht man, wenn man nach Frankreich schaut. ({10}) Ob es der Kandidat der bürgerlichen Partei UMP, Sarkozy, oder die Sozialistin Royal ist: Im Wettbewerb der Versprechen und Zusagen überbieten sie sich gegenseitig. ({11}) Ich rate dringend davon ab, dass wir uns an einem solchen Wettbewerb beteiligen. ({12}) Der Staat muss Rahmenbedingungen setzen und in den Aufsichtsgremien, in denen Staatsvertreter sitzen, dafür sorgen, dass die Entscheidungen dieses Unternehmens eine Perspektive für die Beschäftigten bieten und nicht auf den Abbau von Arbeitsplätzen zielen. Nehmen wir diese Verantwortung mit Realismus wahr. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Herbert Schui, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Herbert Schui (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003844, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn im Zusammenhang mit EADS und Airbus von Zukunftstechnologie die Rede ist, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass nicht alles Zukunft haben sollte, vor allen Dingen die Rüstungssparte des Konzerns nicht. Wir wünschen uns das. ({0}) Airbus ist nicht in der Krise - auch das sollte man feststellen -, Airbus hat lediglich zwei Probleme zu lösen. Das eine Problem ist, dass eine Kommunikation zwischen Verkauf und Produktion nur unzureichend oder gar nicht stattgefunden hat. Die Verkäufer schwirrten um den Globus, versuchten den A380 zu verkaufen, waren erfolgreich, haben aber zu viele Flugzeuge zu Terminen verkauft, die nicht einzuhalten waren. ({1}) Der Power-8-Plan weist nicht aus, dass diese Kommunikation verbessert würde; das fehlt. Die einfachste und beste Lösung, um dieser Sache Herr zu werden - irgendwann werden die Konventionalstrafen fällig -, ist, ganz einfach einen Kredit aufzunehmen und diesen Kredit nach und nach - die Auftragslage ist gut - abzulösen. Dazu braucht man kein „Power 8“, keine neue Strukturierung des Konzerns. Es geht lediglich um die Überwindung eines Liquiditätsengpasses. ({2}) - Wenn das der Fall ist, brauchen sie „Power 8“ erst recht nicht. Das ist doch logisch. Dann können wir uns den ganzen Senf doch sparen. ({3}) Bei „Power 8“ geht es darum, die Gewinne Jahr für Jahr um 2 Milliarden Euro zu erhöhen. Das stellt die Aktionäre zufrieden, ob es aber den Technologiestandort Deutschland in Zukunft sichert, ist aber mehr als fraglich. Das zweite Problem ist der Kapitalbedarf beim A350. Das ist eine ganz wesentliche Sache. Hier kommt in der Tat Zukunftstechnologie zum Zuge: neue Materialien, neue Produktionsverfahren. Wieso muss das Geld für die Kapitalerhöhung, für die Finanzierung dieser Reihe durch Lohndrückerei, Outsourcing usw. aufgebracht werden? ({4}) Das ist eine ziemlich unkonventionelle Methode. Wenn ein Konzern mehr Mittel braucht, besorgt er sie normalerweise extern, und das reicht. Wenn die Bilanz gut ist, dann wird er diese Mittel ohne Weiteres durch den Verkauf junger Aktien usw. bekommen können. Die Probleme lassen sich also anders lösen. Wenn man Boeing übertrumpfen will, kann man vor allen Dingen nicht bei Boeing kopieren, dann muss man sich etwas Neues ausdenken. „Power 8“ mit Outsourcing usw. ist nichts anderes als eine Kopie von Boeing: Die Endmontage bleibt beim Konzern, und der Rest wird ausgelagert. Das wäre dann das, was Herr Sinn vom IfoInstitut als Basarökonomie geißeln würde. ({5}) Dann würde die Produktionslinie keine eigene Technologie mehr enthalten, sondern alles, was wichtig ist, würde in irgendeiner Weise besorgt. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie die Liefertreue, die Qualitätsstandards und anderes sein werden? Die Belegschaften haben Recht, wenn sie sich gegen „Power 8“ wenden. 2400 bestellte Flugzeuge, Aufträge für fünf bis sechs Jahre - damit könnte die Beschäftigung sichergestellt sein, Entlassungen wären nicht möglich. Es müssten sogar noch mehr eingestellt werden. Der Verkauf von Zulieferern und Auslagerungen sind in der gegenwärtigen Situation überhaupt nicht erforderlich. Die Belegschaften allerdings dürfen „Power 8“ nicht akzeptieren. Vor allen Dingen dürfen sie „Power 8“ nicht akzeptieren und dann in Streitigkeiten miteinander geraten, wer welche Last bei dieser Anpassung zu tragen hat. Das ist keine Lösung. ({6}) Die Lösung ist auch keine Einwilligung in eine Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich, wobei die Fran8550 zosen mit ihrer gesetzlichen 35-Stunden-Regelung bei dieser Negativstrategie im Nachteil wären. Eine letzte Bemerkung zur Industriepolitik: So wie die Dinge jetzt gestrickt sind, gibt es eine öffentliche Beteiligung Spaniens, Frankreichs und Deutschlands am EADS-Konzern und damit an Airbus. Das Stimmrecht ist im Rahmen des Aktionärpaktes im Falle von Deutschland an Daimler abgetreten. Das halte ich für eine unendlich schlechte Lösung. Denn erstens möchte sich Daimler der Sparte entledigen, so wie Lagardère das will. Sie wollen sich wieder auf das Kerngeschäft konzentrieren. Zweitens ist Daimler als Industriepolitiker nach den Erfahrung etwas ungeeignet. ({7}) Denken Sie einmal an die Milliarden, die beim FockerEngagement in den Sand gesetzt worden sind. ({8}) Denken Sie an die Milliarden, die beim Mitsubishi-Engagement in den Sand gesetzt worden sind. Denken Sie an die Milliarden, die bei Chrysler in den Sand gesetzt werden. Wollen Sie denn einem solchen Konzern, der so seine Kompetenz unter Beweis gestellt hat, die deutsche Industriepolitik anvertrauen? ({9}) Ich zweifle daran, dass das zweckmäßig ist. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Peter Hintze. ({0})

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Gründungsidee von Airbus ist faszinierend: Europäer bündeln ihre technologischen Kompetenzen und schaffen einen starken Wettbewerber im Flugzeugbau. Airbus ist ein Identifikationsobjekt für die Menschen in Europa und ein Beitrag zur europäischen Identität. Deutschland und Frankreich sind Hauptträger dieser Idee. Wenn der französische Wirtschafts- und Finanzminister Breton gestern im französischen Rundfunk gefordert hat, das Verhältnis von 50 : 50 zwischen Deutschland und Frankreich müsse in 60 : 40 zugunsten von Frankreich geändert werden, so widerspreche ich ihm im Namen der Bundesregierung ausdrücklich. ({0}) Deutschland ist für eine strikte Parität. Die Balance zwischen Deutschland und Frankreich muss erhalten bleiben. Nun haben hier heute verschiedene Redner - der von mir geschätzte Walter Hirche und andere - darauf hingewiesen, dass Airbus im Moment eigentlich in einer günstigen Situation ist. Ich finde, die genaue Analyse zeigt, dass Airbus Erfolg und Krise im Moment als Geschwisterpaar erlebt. Auf der einen Seite hat Airbus im Jahr 2006 mehr Flugzeuge als jemals zuvor in seiner Geschichte ausgeliefert und Boeing überflügelt; Airbus ist stark am Markt positioniert. Diese positive Geschäftsentwicklung kann einen möglicherweise davon ablenken, dass wir auf der anderen Seite eine veritable Krise zu schultern haben: massive Probleme beim neuen Supergroßraumflugzeug A380 in Form einer hochgradig kritischen Auslieferungsverzögerung, verbunden mit wirtschaftlichem Schaden, einem Imageschaden und einem beachtlichen Ertragseinbruch im Unternehmen. Dazu kommt ein gefährlicher Entwicklungsrückstand beim A350 aufgrund einer falschen Markteinschätzung. Im Flugzeugbau findet im Moment der technologische Sprung vom Metall- ins Kunststoffzeitalter statt. Die Flugzeuge werden dadurch leichter und damit auch verbrauchsgünstiger. Der Markt verlangt nach Flugzeugen, die auf dieser neuen Technologie basieren. Da ist ein Rückstand von vier oder fünf Jahren auf den wichtigsten Wettbewerber schon kritisch. Das Know-how für diese neue Technologie ist im Unternehmen - ich konnte mich davon vorgestern einmal persönlich in Stade bei Airbus überzeugen, wo ich auf Einladung der Kollegin Krogmann zu Besuch war -; es muss jetzt aktiviert werden. Schließlich macht auch der schwache Dollar dem Unternehmen zu schaffen. Airbus produziert in Euro und verkauft in Dollar. Nun habe ich dem Wirtschaftsminister von Niedersachsen gut zugehört. Er hatte hier heute eine schwierige Gratwanderung zu beschreiten. Die Ordnungspolitiker der FDP sind dieser Debatte sicherheitshalber weitgehend ferngeblieben. ({1}) - Das mag wohl sein. ({2}) Ich möchte nur noch einmal darstellen, was unser Geburtstagskind, Herr Wend, und ich uns im Zusammenhang mit Airbus von den ansonsten geschätzten Kollegen der FDP anzuhören hatten. Sie sagten, wir sollten uns heraushalten und anderes. All das stand in einem spannungsreichen Widerspruch zu dem, was der Redner, den die FDP heute in die Debatte geschickt hat, gesagt hat. ({3}) Im Himmel ist ja mehr Freude über die Umkehr eines Sünders als über 99 Gerechte. Insofern hat das ja seine Ordnung. ({4}) In einer großen Kraftanstrengung muss Airbus seine Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen. Viele raten ja - solche Töne kommen von unterschiedlichen Seiten -, man solle doch alles so lassen, wie es ist, das ginge schon. Ich sage aber: Wer sich mit dem Status quo vermählt, wird rasch Witwer. Ein Unternehmen, das aufkommende Gefahren nicht erkennt, das neue Herausforderungen ignoriert und das das Davonziehen des Wettbewerbers kaltlässt, kann blitzschnell ins Trudeln kommen und abstürzen. Airbus muss handeln, um seine Zukunftsfähigkeit zu sichern. Airbus muss handeln, um auf dem Markt zu bestehen. Airbus muss auch handeln, um die hoch qualifizierten Arbeitsplätze der Flugzeugindustrie in Deutschland zu sichern. ({5}) Das Hauptthema in dieser Diskussion ist ja die Frage nach der Einflussarchitektur bei Airbus. Für die Bundesregierung ist eines klar: Die industrielle Führung des Unternehmens muss auch in Zukunft bei der Wirtschaft liegen. ({6}) Die Verantwortung für den Restrukturierungsprozess und seine Folgen liegen einzig und allein beim Unternehmen. ({7}) Nun hat der eine oder andere Redner darauf hingewiesen, dass das Unternehmen Fehler gemacht hat. Das ist richtig. Aber daraus den Schluss zu ziehen, den Unternehmen ginge es besser, wenn nicht mehr die Wirtschaft, sondern der Staat den Kurs bestimmt, wäre töricht. Dafür gibt es ganz gravierende Beispiele in der Geschichte, an die sich wohl jeder hier im Raum erinnern wird. Ein Zurück in die Staatswirtschaft wäre ein Fehler. ({8}) - Das ist richtig. Die Politik liefert Beiträge zur Statik der Luftfahrtindustrie. Die Bundesregierung setzt sich für eine Balance zwischen Deutschland und Frankreich, für einen fairen Ausgleich von Lasten und Chancen und für einen fairen Austausch bei den Technologiekompetenzen ein. Wir fördern die Luftfahrtforschung und im Rahmen der Hightechstrategie der Bundesregierung auch ihr direktes Umfeld. Wenn wir heute eine Zwischenbilanz zögen, was die Bundesregierung zur Statik der Luftfahrtindustrie geleistet hat, könnten wir feststellen, dass wir einen klaren Erfolg im Blick auf den Chancen- und Lastenausgleich mit Frankreich erzielt haben, dass die Rahmenbedingungen stimmen, dass der Einsatz der Kanzlerin, des Wirtschaftsministers und vieler Kollegen hier im Hause sich gelohnt hat. Die Rahmenbedingungen sind also da. Jetzt ist das Unternehmen am Zug, daraus etwas Gutes zu machen. ({9}) Ich will auch etwas zum Programm „Power 8“ sagen. Ob das Maßnahmenpaket „Power 8“ mit seinen Wirkungen auf die Betriebsabläufe, die Mitarbeiter, die Wettbewerbsfähigkeit und das wirtschaftliche Ergebnis richtig ist, liegt ausschließlich in der Verantwortung des Unternehmens. Das Unternehmen sieht in dem Programm eine Chance. Auf der anderen Seite sieht es, dass auch schmerzhafte Entscheidungen in Bezug auf die Mitarbeiter damit verbunden sind, insbesondere mit Blick auf die Frage: Wie wird die Sicherheit meines Arbeitsplatzes an meinem Standort in Zukunft aussehen? Das verstehe ich gut; auch hier kann ich mich den Worten meines Kollegen Wend anschließen. Ich bin mit meinem Herzen bei den Mitarbeitern und ihren Familien. Ich weiß aus dem Gespräch mit den Mitarbeitern, dass ihnen die Ungewissheit, wie es wird, schwer zu schaffen macht. Jeder, der versucht, sich da hineinzufinden, wird das nachempfinden können. Ich finde es wichtig, dass wir das Unternehmen begleiten und gemeinsam daran arbeiten, dass die Mitarbeiter an allen deutschen Standorten - in Varel, in Laupheim, in Hamburg, in Bremen, in Stade, in Buxtehude, in Nordenham - eine Perspektive haben. In welcher Organisationsform, in welchem betrieblichen Zusammenhang wissen wir heute nicht; das ist eine Entscheidung des Unternehmens. Aber wichtig ist, dass eine gute Perspektive besteht. Die Gewinnung eines starken Partners, der ins Risiko und in die Investitionen mit einsteigt und der eigenes Know-how einbringt, kann solche Standorte sicherer und stärker machen und auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Ende Unterstützung und Hilfe sein. Das möchte ich hier noch einmal klar sagen. ({10}) Ich weiß aus meinen Gesprächen mit Betriebsräten von Airbus, dass sich die Mitarbeiter und ihre Vertreter ernsthafte Gedanken über die Zukunft des Unternehmens machen. Ich weiß ebenso, dass sie gute Ideen und auch kritische Fragen haben. Ich fordere das Unternehmen auf, die Mitarbeiter in den Diskussionsprozess, der jetzt läuft, mit einzubeziehen. ({11}) Lassen Sie mich zum Schluss noch Folgendes sagen: Airbus-Chef Gallois hat gestern zusätzlichen Finanzbedarf für die Entwicklung des A350 angemeldet. Er sprach von 5 Milliarden Euro. Ein Teil davon wird möglicherweise über eine Kapitalerhöhung gedeckt. Die Bundesregierung hält das für einen gangbaren Weg. Voraussetzung ist allerdings, dass die Struktur des Aktionärspaktes und damit die deutsch-französische Balance erhalten bleibt; das muss sichergestellt werden. Ein Weg zu diesem Ziel könnte etwa der Ausschluss der Altaktionäre vom Bezugsrecht sein, was im Unternehmen die Wirkung hätte, dass der Aktionärspakt in seiner Konstruktion erhalten und die Balance gewährt bliebe. In diesen Tagen wird auch über die Doppelstruktur in der Führung der Airbus-Mutter diskutiert. Auch darüber muss das Unternehmen entscheiden. Ich kann mir vorstellen, dass die horizontale Doppelstruktur durch eine vertikale Struktur ersetzt wird, sodass jede Position nur mit einer Person besetzt wird. Auf der anderen Seite würde dann der Ausgleich für die deutsche und die französische Seite zwischen den unterschiedlichen Ebenen wiederhergestellt. Aber das sind wirtschaftliche Entscheidungen, die im Unternehmen zu treffen sind. Als Koordinator der Bundesregierung für die Luftund Raumfahrt werde ich die Fortentwicklung des Unternehmens hellwach begleiten. Ich werde mit dem Unternehmen, den Betriebsräten, den Mitarbeitern sprechen, mit der Forschung, auch mit unseren Partnern im europäischen Ausland. Ich wünsche mir, dass Airbus aus diesem Prozess gestärkt hervorgeht - im Interesse seiner Mitarbeiter, im Interesse des Technologiestandortes Deutschland und, wie ich denke, im Interesse einer großartigen europäischen Idee. Ich danke Ihnen. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Kerstin Andreae, Bündnis 90/ Die Grünen.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben morgen eine Debatte zu diesem Thema aufgrund eines Antrags der Linken. Da wir auch heute über dieses Thema debattieren, erlauben Sie mir, dass ich ganz kurz auf diesen Antrag eingehe. Ich finde, der Antrag zeugt wieder von der ökonomischen Ahnungslosigkeit der Linken bei der Frage: Macht es Sinn, das Ganze aus dem rein nationalen Blickwinkel zu betrachten? - Sie fordern eine Sperrminorität für Deutschland. Sperrminorität bedeutet 25 Prozent plus eine Aktie. Das würde sich Frankreich aber nicht gefallen lassen; das heißt, Frankreich würde mindestens mit 25 Prozent plus einer Aktie nachziehen. ({0}) - Das ist von Ihnen beabsichtigt; Sie berücksichtigen dabei aber nicht die Folgen. - Das heißt, wir hätten eine Verstaatlichung des Betriebes, die wir nicht wollen. Wir halten daher den Antrag der Linken für falsch. ({1}) Was passiert im Moment? Airbus ist Teil des französischen Wahlkampfgetöses geworden. Da werden sinnige, aber auch viele unsinnige Vorschläge gemacht. Die Gewerkschaften spielen Frankreich gegen Deutschland aus. Sarkozy spricht sich gegen eine Doppelspitze aus und unterstützt die Schaffung einer einzigen Spitze, natürlich einer französischen. Ich stimme darin überein, dass der Weg nicht sein kann, die Balance aufzugeben und die Entwicklung hin zu einem französischen Staatsbetrieb zuzulassen. Der französische Wahlkampf zeigt, wie wichtig es ist, dass sich die Politik aus unternehmerischen Entscheidungen heraushält. ({2}) Eine Problemanalyse lohnt sich durchaus. Viele Redner haben bereits die Spätauslieferungen und die Managementfehler erwähnt, die zulasten der Beschäftigten gehen. Aber man sollte schon den schwachen Dollarkurs berücksichtigen, der einen Großteil des Problems ausmacht. Auf der anderen Seite gibt es volle Auftragsbücher. Im ersten, zweiten und dritten Quartal 2006 gab es Gewinne. Aktuell gibt es aber eine finanzielle Schwäche. Aufgrund der Spätauslieferungen und der Strafzahlungen gibt es Einnahmeverluste und zusätzliche Ausgaben. Das Unternehmen hat eine Kapitalerhöhung angekündigt. Am 4. Mai soll auf einer Hauptversammlung diese Erhöhung beschlossen werden. Wir meinen, die staatlichen Anteile jetzt zu erhöhen, ist der falsche Weg. Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, die Balance müsse gehalten werden. Diese Auffassung teilen wir. Wenn das Unternehmen eine Kapitalerhöhung für den richtigen Weg hält, dann ist es in Ordnung. Aber diese darf nicht über die Erhöhung der Staatsanteile erreicht werden. ({3}) Ich möchte in diesem Zusammenhang erwähnen, dass Ministerpräsident Oettinger aus Baden-Württemberg gewohnt unklar, aber doch sehr locker im Umgang mit Steuergeldern vorgeschlagen hat, das Land solle seinen Anteil erhöhen. Er tut so, als ob er so stimmberechtigte Anteile erwerben könnte und als ob es irgendeine Chance gäbe, dass das Land Baden-Württemberg über eine Kapitalerhöhung Einfluss auf Standortentscheidungen hätte. ({4}) Wir brauchen Verlässlichkeit. Die Wirtschaft muss sich mehr engagieren. Das derzeitige Hin und Her sorgt dafür, dass der Aktienkurs sinkt. Wir wissen, dass Airbus kein normales Unternehmen ist. Es besteht ein Interesse an einem Work-share zwischen Unternehmen und Politik. Es gibt eine staatliche Beteiligung; es gibt Gewährleistungen und Bürgschaften. Außerdem gibt es ein Interesse des Bundes am Halten innovativer Technologien im Lande. Wir wissen, dass Airbus über Jahre hinweg hochprofitabel gearbeitet hat. Die Standorte sind sehr leistungsfähig. Die Standorte Varel, Laupheim und Nordenham liegen mit ihrem Know-how im Ranking des Unternehmens ganz weit vorne. Die Innovationen müssen gehalten werden. Deswegen ist es wichtig, die Standorte zu sichern; das Know-how ist nicht disponibel. ({5}) Wir müssen die starken Standorte halten. Gleichzeitig muss man dem Unternehmen aber die Freiheit lassen, zu entscheiden, auf welche Weise es das tun will. Die Aufgabe der Politik besteht darin, Innovationen zu fördern, regionale Forschungskapazitäten zu unterstützen und das Know-how in diesen Regionen zu stärken. Die zurzeit vorhandene Schieflage muss behoben werden. Das Unternehmen hat die Verantwortung für die Krise. Zum Teil wurden - Sie haben es schon angesprochen - große Managementfehler gemacht. Aber bei alledem muss die Solidarität mit der Belegschaft bedacht werden. Das Versprechen, keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen, muss nach unserer Meinung gehalten werden. Die letzten Wochen waren gekennzeichnet durch Verunsicherung und Hinhaltetaktik. Es wurden Ängste und Sorgen geschürt. Das ist nicht verantwortungsbewusst. Die Menschen dürfen nicht zum Spielball des französischen Wahlkampfs werden. An Airbus wird sich zeigen, wie konkurrenz- und zukunftsfähig Europa im Wettbewerb mit den USA und mit China ist. Wir sind der Meinung, dass es wichtig ist, die Vision einer europäischen Luftfahrtindustrie weiter zu beleben und Airbus langfristig zu einem produktiven und wettbewerbsfähigen Konkurrenten zu machen. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ditmar Staffelt, SPD-Fraktion.

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will im Zusammenhang mit der heutigen Aktuellen Stunde einige Punkte ansprechen. Zunächst möchte ich ein kritisches Wort über unsere französischen Freunde verlieren. Ich finde, wir haben das EADS- und das Airbus-Geschäft bisher sehr erfolgreich gemeinsam betrieben. Aber EADS ist auch ein Beispiel für - so will ich es einmal formulieren - deutsch-französische Unternehmenszusammenarbeit. Das ist ein hohes Gut; mit diesem hohen Gut muss man behutsam umgehen. Ich finde es gänzlich daneben, wenn wir in der sehr schwierigen Lage, in der sich das Unternehmen befindet, Diskussionen aus Frankreich hören, die wieder an die Fragen anknüpfen, die wir schon vor Jahr und Tag im Zusammenhang mit Herrn Forgeard, Herrn Humbert und anderen Nachfolgefragen bei EADS und Airbus hatten: Brauchen wir eine Doppelspitze? Sollen wir die Doppelspitze in eine Einpersonenspitze verändern, und wie steht es um die Staatsanteile? - Trotz Wahlkampfs wäre ein Stück Zurückhaltung sicherlich besser und der Sache angemessen. ({0}) Ein zweiter kritischer Punkt, den ich hier anmerken möchte, ist folgender: Daimler-Chrysler hat so etwas wie eine Treuhänderschaft für unsere EADS-Anteile. Deutschland hatte bis vor kurzem keine eigenen Staatsanteile. Es besteht auch heute nur in einem sehr indirekten Verfahren eine Beteiligung. Man sollte übrigens bei allen Diskussionen nicht vergessen: Entgegen einigen Meinungen hier haben wir nicht einmal einen Platz im Aufsichtsrat. - Aber man sollte Daimler-Chrysler schon einmal kritisch fragen: War es in dieser schwierigen Zeit wirklich erforderlich, sich von einem Aktienanteil von 7,5 Prozent zu trennen? ({1}) Wäre es nicht besser gewesen, ein bisschen zuzuwarten, bis das Unternehmen wieder stabiler ist, und dann über diese Frage zu reden? Ich erinnere übrigens an Folgendes: In meiner Zeit als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium waren beide Seiten einig: Wir reduzieren den Anteil auf jeweils 15 Prozent. Der Free Flow an der Börse soll erhöht werden. - Genau das braucht das Unternehmen. Es benötigt unternehmerische Beweglichkeit und nicht mehr staatlichen Einfluss. ({2}) Wir dürfen uns in keine Situation hineinmanövrieren, in der beide Seiten glauben, nur über mehr staatlichen Einfluss könnten sie letztendlich das Wohl und Wehe des Unternehmens bestimmen. Damit fährt man das Unternehmen gegen die Wand. ({3}) Dritter Punkt: Managementfehler. Auch diese Kritik ist zwar richtig, hilft uns im Moment aber nicht weiter. Ja, wir kämpfen um Arbeitsplätze; aber wir müssen auch daran denken: Wie geht es in der Zukunft weiter? Dazu will ich auch noch ein Wort verlieren. Ich verstehe die Betriebsräte; ich verstehe die Gewerkschaften, die jetzt unmittelbar um jeden einzelnen Arbeitsplatz bei Airbus kämpfen. Aber wir sollten auch nach den Chancen suchen. Wir sollten uns überlegen, ob Partner wie Diehl, OHB oder Spirit, die alle schon in der Öffentlichkeit genannt worden sind, das Geschäft nicht sogar erweitern und ein breiteres Standing für bestimmte Unternehmensteile bewirken können. Ich jedenfalls finde, wir sollten uns nicht in einen Tunnel der Dunkelheit hineinbewegen, sondern bestehende Chancen nutzen. Da erwarte ich vom EADS-Management, dass uns nur Partner präsentiert werden, die eine Güteklasse mitbringen, durch die das Geschäft letztendlich auf breitere Füße gestellt wird und à la longue mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. Das ist eine Voraussetzung, an der wir allesamt nicht vorbeigehen können. ({4}) Schließlich ein Wort zu den Zulieferern. Wir reden hier immer über die große Airbus-Familie; das ist auch schön. Aber es gibt in diesem Lande Zulieferer, die unter den Problemen, die im Zusammenhang mit dem A380 bestehen, massiv leiden, die Kapitalbindungen haben und die in einem erheblichen Umfang in die Produktion von Zulieferteilen für den A380 investiert haben. Denen muss geholfen werden; die brauchen Unterstützung. Ich bin dankbar - auch wenn es ein bisschen gedauert hat -, dass sich das Wirtschaftsministerium jetzt dieser Frage annimmt und denen, denen geholfen werden muss, Hilfe zuteil werden lässt. ({5}) Mein letzter Punkt: Ja, wir wollen den Technologiestandort auch in der Luftfahrtindustrie erhalten und weiterentwickeln. Wir wollen die Arbeitsplätze erhalten. Aber ich bitte, bei dieser Diskussion eines nicht zu vergessen: Wir brauchen eine Wettbewerbsfähigkeit, die uns in die Lage versetzt, gegenüber Boeing einen Auftritt zu haben, der letztlich erfolgreich ist und uns nicht in die Defensive geraten lässt. Dies ist aller Anstrengungen wert. Hier gilt es auch, mit allen Möglichkeiten, die Unternehmen haben, in die Zukunft zu investieren. Das heißt nicht, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer freizusetzen; vielmehr muss genau überlegt werden, wie viel Know-how wir langfristig brauchen

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege!

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- und wen wir im Zusammenhang mit der Restrukturierung im Unternehmen halten können. Schönen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Franz Obermeier, CDU/CSU-Fraktion.

Franz Obermeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003201, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Airbus hat eine ganz besondere Konstruktion in der deutschen und der europäischen Industriepolitik. Das Thema, das wir heute behandeln, mit dem wir uns schon seit Wochen oder Monaten beschäftigen, ist einigermaßen obskur. Das, was Herr Staffelt gerade hinsichtlich der Ursachenforschung und der Thematik vorgetragen hat, wie die Finanzierung des Unternehmens à la longue gesichert werden kann, war richtig wohltuend. Es ist deswegen ein etwas obskures Thema, weil ich nur selten Turbulenzen in einem Unternehmen erlebt habe, das einen derart glänzenden Auftragsbestand hat, dem es nicht an Liquidität fehlt und in dem es dennoch Schwierigkeiten gibt. Wenn es das einzige Mittel ist, dieses erfolgreiche Unternehmen zu filetieren, muss man das Ganze natürlich mit größter Vorsicht beobachten. Wenn es dazu führt, wie es in anderen deutschen Großunternehmen der Fall gewesen ist, dass zum Schluss die Mitarbeiter der einzelnen Standorte durch unterschiedliche Verschlechterungen bei den Arbeitsbedingungen die Defizite bezahlen müssen, die man gemeinhin als Managementfehler bezeichnet, dann ist das ein hoher Preis. Angesichts dessen sollten wir uns überlegen, wie man diesen Dingen begegnen kann. Ich möchte, nachdem schon sehr viel Richtiges, aber leider auch sehr viel Falsches gesagt worden ist, noch einmal auf die Ursache eingehen. Wir müssen uns immer wieder vor Augen führen, dass die enormen Entwicklungskosten für den A380 und für den A350 sowie die Schwierigkeiten bei der Konfiguration der verkauften A380 zu diesen Turbulenzen geführt haben. Das ist unumstößlich. Deswegen werden vermutlich mit Zeitverzögerung Liquiditätsprobleme eintreten. Wenn sich nun der Ministerpräsident eines Bundeslandes aus der Sorge um die Arbeitsplätze an seinem Hochtechnologiestandort dahin gehend einlässt, dass er sagt: „Dann steigen wir dort ein“, Frau Kollegin Andreae, halte ich das nicht für einen großen Fauxpax. Das verstehe ich. Ich glaube zwar nicht, dass es so weit kommen wird; aber ich verstehe, dass er sagt: Wenn ich in Laupheim einen so tollen Betrieb mit einem so ausgeprägten Know-how habe, dann lasse ich den nicht über den Jordan gehen. - Das muss man verstehen. Lassen Sie mich noch etwas zu den professoralen Irrtümern des Herrn Schui sagen. Herr Schui, es gibt derzeit kein Liquiditätsproblem; das ist in der gestrigen Ausschusssitzung klar dargelegt worden. Ihr Hinweis auf die Problematik von Daimler-Chrysler und seine Verluste bei anderen Geschäften ist nur vordergründig richtig. Viele Jahre lang hat Daimler-Chrysler die Anteilsführerschaft bei Airbus innegehabt. Das ist eine Erfolgsgeschichte gewesen. In dieser Konstellation ist es zu einem tollen Unternehmen geworden. Vor der Debatte über diesen Tagesordnungspunkt habe ich mit Franz Josef Strauß telefoniert. Ich soll Ihnen Grüße bestellen. Ich habe ihn gefragt: Was sollen wir tun? ({0}) - Ja, er ist heute in München. - Er antwortete: Sucht die Verantwortlichen, die euch da hineingeritten haben und verprügelt sie verbal. Ansonsten seht zu, dass das Unternehmen erfolgreich weitergeführt wird. - Daran werden wir arbeiten. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Garrelt Duin, SPD-Fraktion. ({0})

Garrelt Duin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003751, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf den Punkt zurückkommen, der insbesondere von Herrn Wend zu Beginn seiner Rede angesprochen worden ist, und mich mit der Situation der Beschäftigten befassen. Die Verunsicherung an den Standorten, und zwar nicht nur an den Standorten, die jetzt möglicherweise verkauft werden, in Norddeutschland, aber auch in Laupheim, ist zum Greifen. Die Beschäftigten wissen nicht genau, was passieren wird. Die unklaren Entscheidungen einerseits und der Vertrauensverlust in das Management andererseits haben zu dieser Verunsicherung der Beschäftigten geführt. Führen wir es uns noch einmal vor Augen: Herr Puttfarcken hat im Herbst des vergangenen Jahres gesagt, dass ein Verkauf deutscher Standorte kein Thema sei, dass das nicht infrage komme. Zu Beginn dieses Jahres wurde die Entscheidung verschoben, weil man sich noch nicht einig war. Am 28. Februar wurde dann „Power 8“ präsentiert, aber in einer Art Salamitaktik. Angesichts dessen muss jeder von uns großes Verständnis für die Verunsicherung der Beschäftigten haben. ({0}) Ich will ein Beispiel für die Salamitaktik nennen: Nordenham. Am ersten Tag stand in „Power 8“, man suche einen strategischen Partner für Nordenham. Wenige Stunden später wird gesagt, man könne sich auch vorstellen, das Werk ganz zu verkaufen. - Mancher von uns mag immer auf dem Laufenden sein - das will ich gar nicht infrage stellen -, aber die Informationspolitik gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern war über einen viel zu langen Zeitpunkt vollkommen unangemessen. ({1}) Sie ist es immer noch. Oder kennt irgendjemand eine schlüssige betriebswirtschaftliche Begründung für die einzelnen Maßnahmen? Warum soll Laupheim verkauft werden? Gibt es dafür irgendeine sich im öffentlichen Raum befindliche Begründung, die ein Betriebsrat den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieses Standorts geben könnte? Warum wird für Nordenham ein Partner gesucht, für Varel aber nicht? Am 2. März 2007 war Herr Puttfarcken in Varel und hat dort auf viele Fragen nur wenig geantwortet. Genau ein Jahr zuvor, am 2. März 2006, wurde in Varel ein Jubiläum gefeiert, nämlich das 50-jährige Bestehen - natürlich in unterschiedlichen Konstellationen - dieses Standortes. Herr Puttfarcken war damals Festredner und hat den Beschäftigten dort gesagt, der Standort Varel sei eine Perle im EADS-Verbund, man könne nicht auf ihn verzichten. Wenn er ein Jahr später keine vernünftige Antwort auf die Frage geben kann, warum gerade Varel verkauft werden soll, dann kann ich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die spontan die Arbeit niedergelegt haben, verstehen. ({2}) Auf was soll man sich dort verlassen? Ich glaube, dass wir als Politiker in dieser Phase gefordert sind, uns dort so einzusetzen, wie das Herr Minister Hirche hier dankenswerterweise dargestellt hat. Ich denke, dass das nicht allein Aufgabe der betroffenen Bundesländer ist, sondern dass Bund und Länder das als gemeinsame Aufgabe betrachten müssen; denn sonst werden wir wenig Chance auf Erfolg haben. Es geht um die Frage, wie wir uns einbringen können, damit wir an den angesprochenen Standorten auch künftig an der technologischen Entwicklung teilhaben; denn um die technologische Entwicklung geht es doch. Ein Standort, der ausgelagert wird, der nicht mehr in den Verbund gehört, wird an der technologischen Entwicklung bei Airbus jedenfalls nicht mehr teilhaben. Das ist die Gefahr, die besteht. An manchen Standorten wird dann zum Beispiel in CFK-Technologie investiert; aber die, die das zurzeit noch nicht tun, werden von dieser Entwicklung abgekoppelt. Ich finde, das sollten wir nicht zulassen. ({3}) Das bringt mich zu dem Thema: gemeinsames Vorgehen von Politik und Staat. Politik und Staat werden gerne in Anspruch genommen, wenn es um den Ausbau von Landebahnen oder um das Zurverfügungstellen von entsprechenden Studienplätzen geht. Es kann aber nicht sein, dass sich der Staat bei allen anderen Entscheidungen heraushalten soll. Rosinenpickerei kann auch hier nicht zugelassen werden. ({4}) Mein letzter Punkt. Ich will mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanken: bei dem Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrates, Rüdiger Lütjen, und seinem Stellvertreter, Thomas Busch, aber auch bei der IG Metall Küste, bei Jutta Blankau und anderen. Sie alle haben dafür gesorgt, dass man sich an den betroffenen Standorten in diesen Stunden und Tagen sehr besonnen verhalten hat. Wir erleben bei den Partnern in Frankreich, dass das auch anders ausgehen kann: Dort wiegelt man auf, ganz anders als hier, wo wir trotz der Ängste, die vorhanden sind, mit dieser Problematik besonnen und vernünftig umgehen. ({5}) Das ist den Arbeitnehmervertreterinnen und Arbeitnehmervertretern in diesen Unternehmen zu verdanken. Ich denke, dass es von dieser Stelle aus einmal dieses ausdrücklichen Dankes bedurfte. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Dr. Martina Krogmann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Martina Krogmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gegen Ende dieser Aktuellen Stunde gern einige Punkte besonders herausheben. Lassen Sie mich erstens sagen, dass ich finde, dass wir hier im Deutschen Bundestag eine sehr sachliche Debatte hatten. Das hebt sich sehr wohltuend ab von den schrillen Tönen, die aus dem französischen Wahlkampf zu hören sind. Bei dieser Linie sollten wir bleiben. ({0}) Zweitens möchte ich ausdrücklich unterstützen, was Sie, Herr Duin, eben sagten. Ich glaube, dass auch unsere Arbeitnehmervertreter und die Mitarbeiter an den Standorten einen besonnenen Kurs fahren und eben nicht versuchen, einzelne Standorte gegeneinander auszuspielen, sondern im Gegenteil sagen: Wir haben nur die Chance auf Zukunft, wenn wir ein Gesamtkonzept hinbekommen und zusammenhalten, auch wenn die Zeiten jetzt schwierig sind. - Das ist für Deutschland in der Tat ein Standortvorteil. ({1}) Drittens. Lassen Sie mich allen Diskussionen zum Trotz, wonach sich Airbus in der Krise befindet und ein Imageschaden entstanden ist, unterstreichen: Diese Branche ist eine Zukunftsbranche. Der neue Luft- und Raumfahrtkoordinator der Bundesregierung hat dies vorhin unterstrichen: 2005 und 2006 waren, gemessen an der Zahl der ausgelieferten Flugzeuge, die erfolgreichsten Jahre für Airbus. Für die nächsten 20 Jahre wird - Herr Minister Hirche hat vorhin darauf hingewiesen ein Bedarf von fast 23 000 neuen Flugzeugen errechnet. Das heißt also, die Branche ist nicht etwa marode, ihr fehlt es auch nicht an Aufträgen, sondern sie befindet sich derzeit lediglich in einer - durch Managementfehler verursachten - Krise. Ich freue mich, dass die Bundesregierung jetzt - wenn auch ein Jahr zu spät aus meiner Sicht - Staatssekretär Peter Hintze zum Koordinator der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt ernannt und damit zum zentralen Ansprechpartner gemacht hat. ({2}) Herr Staatssekretär, indem Sie bereits eine Woche nach Ihrer Berufung das Airbuswerk in Stade besucht haben, haben Sie ein klares Zeichen für die Zukunftsfähigkeit der gesamten Branche gesetzt. Stade ist führend in der Welt, was die CFK-, die neue Kohlefaserverbundstofftechnologie, anbetrifft. Dort ist, auch durch kluge Ansiedlungspolitik, das CFK-Valley gegründet worden. In ihm sind inzwischen 500 Arbeitsplätze entstanden, auch bei kleineren und mittleren Unternehmen; die gehören ja auch dazu. Stade ist ein Hochschulstandort geworden für diese neue Technologie. Deshalb fand ich es ein bemerkenswertes Signal, dass Ihr erster Besuch nach Stade ging. Sie haben damit gezeigt: Der Standort Deutschland insgesamt hat die Chance, vorne mit dabei zu sein und von den großen Chancen, die dieses europäische Projekt in den nächsten Jahren bietet, zu profitieren. ({3}) Natürlich war das auch ein klares Signal für die Beschäftigten. Die Verunsicherung bei den Mitarbeitern der Werke - ich weiß es vor allem für Niedersachsen zu beurteilen, weil ich von dort komme -, aber auch bei den Mitarbeitern der Zulieferbetriebe ist enorm groß. Dazu beigetragen hat die Kommunikationspolitik des Unternehmens: Entscheidungen wurden in Salamitaktik präsentiert, und die Arbeitnehmervertreter, die Betriebsräte, wurden teilweise spärlich, teilweise spät informiert. Die Mitarbeiter und die Betriebsräte erwarten, dass sie in den Entscheidungsprozess künftig stärker eingebunden werden. Ich teile diese Auffassung und fordere von hier aus die Konzernführung auf, die Betriebsräte stärker einzubinden. ({4}) Denn eines ist klar: Mit dem Programm „Power 8“ steht zwar der Rahmen. Aber das letzte Wort kann noch nicht gesprochen sein, weil die Feinsteuerung, weil viele entscheidende kleine Dinge wie die Verteilung ganzer Bauteile noch gar nicht feststehen. Es wird in den nächsten Wochen und Monaten darauf ankommen, dass es uns gelingt, die faire Balance zwischen Deutschland und Frankreich im Konzern auch bei den Zukunftschancen, bei den Zukunftstechnologien zu wahren. ({5}) Vieles ist schon gesagt worden zum Einfluss des Staates. Natürlich liegen die operativen Entscheidungen in der Verantwortung des Managements; das ist völlig klar. Man darf aber nicht vergessen, dass EADS immer auch ein politischer Konzern war; er ist ja auch politisch entstanden: als europäisches Projekt, als Erfolgsprojekt. Deshalb - lassen Sie mich das als letzten Punkt sagen habe ich wenig Verständnis dafür, wenn es aus der Wissenschaft und - glücklicherweise nicht heute, aber sonst aus den Reihen der Liberalen heißt, wir bräuchten vom Schreibtisch aus eine klare ordnungspolitische Linie, und theoretisch darüber philosophiert wird, dass der Staatsanteil zurückgedrängt werden sollte.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit schon sehr deutlich überschritten. ({0})

Dr. Martina Krogmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, wenn Sie mir noch ein paar Worte erlauben würden, auch weil es so richtig ist, wie mein Kollege Wend bemerkt! - Deshalb ist es wichtig, die Verantwortlichkeiten ganz klar zu trennen: Das Unternehmen trifft die operativen Entscheidungen, und die Politik hat dafür zu sorgen, dass bei diesem europäischen Projekt die Balance, auf die man sich geeinigt hat, auch in Zukunft erhalten bleibt. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Kollege Martin Dörmann, SPD-Fraktion.

Martin Dörmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003517, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Unternehmen Airbus ist in Turbulenzen geraten. Jetzt kommt es darauf an, dass mit klaren, zukunftsorientierten unternehmerischen Entscheidungen ein stabiler Kurs eingeschlagen wird, um die Erfolgsgeschichte, die Airbus ist, fortzuschreiben. Dabei muss ein Weg gefunden werden, der sowohl die Wettbewerbsfähigkeit als auch die Beschäftigung dauerhaft sichert. Nur so kann die Perspektive der wichtigen Zukunftsbranche Luftfahrtindustrie auch in Deutschland langfristig gestärkt werden. In erster Linie geht es dabei - das wurde heute schon an mehreren Stellen erwähnt - um Entscheidungen, die die Unternehmensleitung von Airbus und EADS zu treffen hat, und zwar im Rahmen eines Gesamtkonzepts, das dann zusammen mit den betroffenen Arbeitnehmervertretern umzusetzen ist. Klar ist aber - auch das ist bereits angesprochen worden -: Airbus ist kein Unternehmen wie jedes andere. Der Einfluss der Politik ist noch immer größer als anderswo. Das hat mit der Geschichte von Airbus und mit den erheblichen staatlichen Hilfen zu tun, die damit verbunden sind, aber auch mit seiner Eigenschaft als ein europäisches Gemeinschaftsprojekt, in dem vor allem Frankreich und Deutschland eine besondere Rolle spielen. Auf genau diesen Aspekt möchte ich gerne näher eingehen. Es ist wahr: Die deutsch-französische Partnerschaft wird gerade in diesen Tagen auf eine besondere Probe gestellt. Für die Zukunft des Unternehmens wird viel davon abhängen, wie diese Herausforderungen gelöst werden. Ziehen Deutschland und Frankreich an einem Strang, oder lassen sie sich in schwierigen Zeiten auseinanderdividieren? Immerhin, der gefundene Kompromiss gibt Anlass zur Hoffnung, dass man mit vereinten Kräften nach vorne schreitet. Deshalb will ich der Bundesregierung ausdrücklich dafür danken, dass sie sich erfolgreich für eine faire Verteilung der Lasten unter den beteiligten Nationen eingesetzt hat. Ich will in diesen Dank auch die vielen Kolleginnen und Kollegen aus diesem Haus, insbesondere die aus den Koalitionsfraktionen, einbeziehen; auch wir in Berlin haben in den letzten Wochen nämlich eine ganze Reihe von Gesprächen mit den Verantwortlichen, insbesondere mit denen von EADS, geführt. ({0}) Mit ihrer Unterstützung konnte erreicht werden, dass Deutschland weiterhin ein entscheidender Produktionsstandort bleibt, und zwar sowohl im Hinblick auf die Kernkompetenzen und die wichtige CFK-Technologie als auch bei der Fertigung des Modells A380 und der A320er-Familie. Einige aktuelle Äußerungen französischer Politiker, die auf eine Ausweitung des französischen Einflusses setzen, machen uns jedoch Sorgen. Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich: Das werden wir nicht zulassen. Wer glaubt, er könne einseitig zulasten der deutschen Seite französische Interessen durchsetzen, wird scheitern. Er würde letztendlich nur den Erfolg des Unternehmens aufs Spiel setzen, und er würde eine ernste Belastungsprobe für die deutsch-französische Partnerschaft heraufbeschwören. Das kann niemand wollen. Ich glaube allerdings, dass sich, wenn das Wahlkampfgeklingel abgeklungen ist, auch in Frankreich die vernünftigen Positionen durchsetzen werden, die eine faire Partnerschaft wollen. Das interne Konkurrenzdenken muss jetzt so schnell wie möglich überwunden werden. Es geht in erster Linie darum, in der Konkurrenz mit Boeing vorne zu liegen, nicht untereinander. Die Zahlen von Airbus sind nach wie vor beeindruckend: Die Auftragsbücher sind mit über 2 500 Bestellungen voll. Mit 434 Auslieferungen - das waren übrigens mehr, als Boeing vorzuweisen hatte - ist im letzten Jahr eine Rekordzahl erreicht worden. Die Produktion ist für fünf Jahre ausgelastet. Diese Tatsachen machen es den Beschäftigten in den Betrieben natürlich schwer, einzusehen, dass nun seitens der Unternehmensleitung ein Sanierungsprogramm aufgelegt wird, das viele Tausend Beschäftigte belastet. Sie leisten nach wie vor hervorragende Arbeit und sind hoch qualifiziert. Sie sind nicht schuld daran, dass das Unternehmen gegenüber Boeing unter erheblichem Kostendruck steht und ein Sparprogramm vorlegen muss. Nein, neben den besonderen Nachteilen aufgrund der Abhängigkeit vom Dollarkurs waren es vor allem gravierende Fehler des früheren Managements, die das Unternehmen in diese Turbulenzen gebracht haben. Insofern ist die Wut in den Betrieben vor Ort mehr als verständlich. Es ist jetzt Sache der Unternehmensleitung, das verloren gegangene Vertrauen der Belegschaften zurückzugewinnen, und zwar durch klare und faire Konzepte, durch eine offene Kommunikation und durch das aktive Einbeziehen der Arbeitnehmervertreter in die weiteren Planungen. Je schneller die Beteiligten eine gemeinsam getragene Linie finden, umso besser für die Wettbewerbschancen von Airbus. Die Politik wird diesen Prozess unterstützen. Sie sollte sich aber nicht in einzelne unternehmerische Entscheidungen einmischen. Airbus wird auf Dauer umso erfolgreicher sein, je mehr sich die Politik aus dem Unternehmen heraushalten kann. Auch unter diesen Ge8558 sichtspunkten ist zu wünschen, dass Deutschland und Frankreich an einem Strang ziehen. Uns muss das Ziel einen, die Erfolgsgeschichte Airbus gemeinsam fortzuschreiben, und zwar im Interesse der Beschäftigten und im Interesse der europäischen Luftfahrtindustrie als einer wichtigen Zukunftsbranche. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz Meyer ({0}), Eckhardt Rehberg, Wolfgang Börnsen ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Garrelt Duin, Dr. Rainer Wend, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Maritime Wirtschaft in Deutschland stärken - Drucksache 16/4423 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock, Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Umweltfreundliche Stromversorgung von Schiffen in Häfen unterstützen - Drucksachen 16/2791, 16/4457 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Margrit Wetzel Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Dagmar Wöhrl. ({4})

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht nur die Koordinatorin der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft sollte um die große Bedeutung der maritimen Wirtschaft wissen. Dieser Wirtschaftszweig ist ein wichtiger Anker des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Hier geht es nicht nur um den Schiffbau, die Häfen und die Schifffahrt, sondern unter anderem um die Meerestechnologie und so wichtige Themen wie die Förderung von Öl- und insbesondere Gastechnologien, das energieeffiziente Schiff sowie den Transport von Öl und Gas, mit denen wir uns in Zukunft verstärkt befassen werden. Was ich damit sagen will: Dieser Bereich ist hochinnovativ. Wenn man sieht, dass heute über 90 Prozent der internationalen Warenströme über das Meer abgewickelt werden, dann muss man feststellen, dass wir ohne diesen Bereich nicht - darauf sind wir stolz - Exportweltmeister wären. ({0}) Davon profitieren nicht nur die Küstenländer. Vielmehr kommt der größte Teil der über 70 000 Beschäftigten der großen Zulieferer im Schiffbau aus den süddeutschen Bundesländern. Dieser Bereich hat sicherlich schwierige Zeiten mit strukturellen Veränderungen hinter sich. Aber nun sind die Zeiten gut. Die Auftragsbücher der Werften sind voll, teilweise bis 2010. Wir stehen mit unseren Werften international an der Spitze, weltweit belegen wir den vierten, europaweit den ersten Platz. Zudem verfügen wir über die drittgrößte Handelsflotte mit den modernsten Containerschiffen. Die Containerhäfen boomen. Ihr Umsatz soll sich laut Prognosen bis 2050 verdoppeln. Allein in diesem Jahr erwarten wir einen Umschlag von 320 Millionen Tonnen. So positiv das alles ist, es zeigt auch, dass die Herausforderungen in diesem Bereich zunehmen werden und dass unsere Verkehrsinfrastruktur leistungsfähig sein muss. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an den kombinierten Verkehr und die Hinterlandanbindungen. Das von uns in Kraft gesetzte Infrastrukturbeschleunigungsgesetz muss zur Anwendung kommen, um die Projekte, die im Investitionsrahmenplan aufgeführt sind, schnell zu realisieren. ({1}) Es sind Erfolge da; das ist unstrittig. Aber das heißt nicht, dass wir uns zurücklehnen dürfen und sagen können: Wunderbar, es läuft alles, und die Auftragsbücher sind voll. Die Erfolge dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Branche sich in einem harten Preiskampf befindet und einem sehr starken Verdrängungswettbewerb ausgesetzt ist. Die Schwellenländer schlafen nicht. Sie investieren inzwischen mehr in Forschung und Entwicklung sowie in Ausbildung als wir. Zukünftig werden sie sich nicht länger nur auf den Bau von Standardschiffen konzentrieren und uns den Bau von Spezialschiffen überlassen. Vielmehr werden sie zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz im Bereich des hochtechnologischen Schiffbaus. ({2}) Im Übrigen werden nicht nur die jetzt schon bekannten Konkurrenten auf dem Weltmarkt aktiv sein, sondern es werden auch neue Konkurrenten hinzukommen. Die Vietnamesen, Brasilianer und Indonesier sind schon in den Startlöchern. Das bringt für uns große Herausforderungen mit sich, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. ({3}) Wenn wir wettbewerbsfähig bleiben und unsere Weltmarktanteile weiter ausbauen wollen, dann müssen wir Forschung und Entwicklung ausbauen und noch stärker in Innovationen investieren. ({4}) Wir als Regierung haben unsere Hausaufgaben dahin gehend gemacht, dass wir unsere Förderprogramme in Forschung, Entwicklung und Innovation auf 150 Millionen Euro bis zum Jahr 2009 aufgestockt haben. Jetzt kommt es darauf an, dass die vorhandenen Förderprogramme auch in Anspruch genommen werden. Daran mangelt es leider. Wenn wir uns fragen, warum die Förderprogramme nicht genutzt werden, stellen wir fest, dass die Ursache dafür in der Rückforderung der Fördermittel liegt, die es in anderen Ländern - zum Beispiel Frankreich - nicht gibt. Ähnlich verhält es sich mit dem CIRR-Zinsausgleichsystem für Schiffsfinanzierungen. Alle anderen Länder mit Ausnahme von Deutschland wenden es an. Bei der Vergabe von Aufträgen ist es oft das Zünglein an der Waage, ob dieses Instrumentarium zur Anwendung kommt. ({5}) Wir haben viele Aufträge an unsere Mitwettbewerber im Ausland verloren, weil das System in den letzten zwei Jahren nicht genutzt worden ist. Wir müssen uns bemühen, mit dem Finanzministerium zu einer Einigung zu kommen, um eine andere Grundlage zu finden. Wir haben inzwischen Gespräche geführt, und ich bin zuversichtlich, dass wir zukünftig neue Wege einschlagen können, um die Wettbewerbsvoraussetzungen an die anderer Länder anzugleichen. ({6}) Unsere Fünfte Maritime Konferenz war, glaube ich, ein großer Erfolg. Wir sind vorangekommen. Wir haben ein Pflichtenheft auferlegt, das es abzuarbeiten gilt. Forschung und Entwicklung waren ein Schwerpunktthema, die Ausbildung ein weiteres. Das ist zu begrüßen, weil dieser Bereich nicht nur für die Zukunft wichtig ist, sondern weil bereits jetzt ein großer Fachkräftemangel im Schiffsbaubereich besteht, sei es an Ingenieuren, Nautikern oder Schiffsbetriebstechnikern. Ich bin froh, dass die Bedeutung dieses Themas erkannt worden ist und dass jetzt alle - die Sozialpartner, die Länder, die Politik oder die maritime Wirtschaft - an einem Strang ziehen. Wir müssen zu Ergebnissen kommen. Es geht nicht länger an, dass uns über 500 Nautiker per anno fehlen. Wir brauchen in diesem Bereich zusätzlich 120 Ingenieure im Jahr. In den Ingenieurstudienfächern beträgt die Abbrecherquote derzeit 40 Prozent. Die Zahl derjenigen, die ihr Studium zum Abschluss bringen, ist viel zu gering. Für uns heißt dies: Wir müssen für diese hoch innovative, technologisch orientierte Branche werben. ({7}) Jungen Menschen bietet sich eine große Zukunftschance, wenn sie diesen Berufsweg einschlagen. Es ist wichtig, dass wir das Image einer hilfebedürftigen Sunsetindustrie abstreifen und deutlich machen, was es mit der maritimen Wirtschaft und der Schiffsbauindustrie auf sich hat. Wir sind stolz auf diese Industrie in unserem Land. ({8}) Wir müssen aber auch die vorhandene Wettbewerbsfähigkeit erhalten und ausbauen. Ich glaube, wenn alle zusammen an einem Strang ziehen, dann braucht es uns darum nicht bange zu sein. Vielen Dank. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Hans-Michael Goldmann, FDP-Fraktion. ({0})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich vorweg ganz herzlich bei Ihnen, Frau Wöhrl, für die gute Rede und die von Ihnen übermittelte Botschaft bedanken. Man hat gemerkt, dass die maritime Wirtschaft Ihnen am Herzen liegt und in Ihrem Kopf verankert ist. Das war ein sehr positives Signal. Wenn Sie demnächst einmal wieder auf der Meyer-Werft in Papenburg sind, dann können Sie auch mich gerne einladen; denn ich komme aus der Stadt, und wir in der Region sind stolz darauf, dass am letzten Wochenende gerade wieder ein Schiff der Meyer-Werft ausgedockt wurde, das am nächsten Wochenende die Ems herunterfährt. Wenn Sie sich ein Bild davon machen wollen, wie leistungsfähig die maritime Wirtschaft ist, dann können Sie das verfolgen. Die Aida Diva wird Ihren kühnsten Erwartungen entsprechen. ({0}) Liebe Freunde, seit vielen Jahren bemühe ich mich, wie auch Kollegen in der FDP insgesamt, um die maritime Wirtschaft. Wir sehen das Thema aber nicht so eng, wie Sie es in Ihrem Antrag zum Ausdruck gebracht haben, obwohl ich viele Dinge in dem Antrag richtig und gut finde. Unser Ansatz entspricht vielmehr dem der EU, die ein Grünbuch veröffentlicht hat, das im Moment diskutiert wird und in dem der gesamte maritime Sektor, die Meerespolitik als Einheit gesehen wird. Ich finde es schade, dass Sie mit Ihrer Mehrheit verhindert haben, dass unser Antrag heute auf die Tagesordnung kommt. Das ist bei denjenigen, die sich für die maritime Wirtschaft insgesamt engagieren, nicht angebracht. ({1}) Meine Kollegen aus dem Umweltbereich, dem europäischen Verkehrsbereich und dem Forschungsbereich und ich haben an diesem Antrag mitgewirkt. Ich glaube, wenn Sie ihn lesen, werden Sie feststellen, dass wir sehr viele Dinge aufgreifen und an viele Dinge anknüpfen, die wichtig sind. Es geht um die Vernetzung der Küste mit dem Binnenland. Frau Staatssekretärin Wöhrl, Sie haben zum Ausdruck gebracht, dass die Zeit, in der wir mit dem Rücken zum Meer standen, endgültig zu Ende sein muss. Ich finde es gut, dass Sie auch die Verbindung zur Wertschöpfung im Binnenland hergestellt haben. Die Maschinen in den großen deutschen Schiffen kommen nicht nur aus Papenburg, Leer, Emden, Bremen oder Nordenham, sondern sogar überwiegend aus Nürnberg, Augsburg und aus dem Münchener Raum. Wir brauchen gleiche Wettbewerbschancen für die maritime Wirtschaft. Sie haben den Bereich der Bildung in diesem Zusammenhang völlig zu Recht angesprochen. Ich habe mit Nachdenklichkeit verfolgt, welche Diskussionen es zum Beispiel in Niedersachsen über eine Seefahrtsschule in Leer und eine in Elsfleth gegeben hat. Als ob es da eine Konkurrenz gäbe! Ganz im Gegenteil, da ist ein gegenseitiges Befruchten möglich. Das wird der maritimen Wirtschaft insgesamt nützen. Wir müssen den Bereich Safety & Security in besonderer Weise im Auge behalten. Ich finde es gut, dass Sie in Ihrem Antrag die Überlegung ansprechen, das Havariekommando weiterzuentwickeln. Ich kann nur sagen: Tun Sie es bitte. Wir können durchaus sinnvolle Weichenstellungen vornehmen. ({2}) Es geht um Küstenschutz - das ist überhaupt keine Frage -, und es geht natürlich um das, was sich vor den Deichen tut. Ganz konkret geht es, insbesondere vor dem Hintergrund der globalen Erwärmung, um Deichschutz. Ich sage hier in aller Deutlichkeit: Die anderen Bundesländer können die Küstenländer bei Maßnahmen des Deichschutzes nicht alleine lassen. Die Lasten können wir nicht tragen. Da brauchen wir die Hilfe aller Bundesländer. ({3}) Zudem brauchen wir eine schlanke, transparente Verwaltung - Sie alle kennen die lange Diskussion über die Effektivität der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung und einen aktivierenden Staat. Wir werden auf die Dauer nicht in der Lage sein, öffentliche Infrastrukturmittel in einem Maße bereitzustellen, wie es erforderlich wäre, um schnell auf das Potenzial in diesem Bereich reagieren zu können. Wir bauen in einer Kraftanstrengung einen großen Hafen in Wilhelmshaven und diskutieren über die Notwendigkeit der Vertiefung von Elbe und Weser. Es kann nicht angehen, dass das eine Bundesland sagt, die Deiche seien nicht sicher, das andere Bundesland aber unbedingt eine Vertiefung der Elbe will, um auch die ganz großen Pötte nach Hamburg zu bringen. Wir müssen über Feederverkehre nachdenken. - In all diesen Bereichen müssen wir zu gemeinsamen Lösungen kommen und zusätzliche Aktivitäten entwickeln. Frau Staatsekretärin, Sie haben die bedarfsgerechte Infrastruktur angesprochen. Ich finde es gut, dass es die maritimen Konferenzen gibt. Die Weichen dafür wurden im ostfriesischen Raum gestellt. In diesem Zusammenhang muss man Reinhold Robbe erwähnen, aber auch den ehemaligen Bundeskanzler. ({4}) - Von mir aus auch gerne Sie, Herr Duin. Das ist mir völlig schnuppe. Hauptsache, wir ziehen im Bereich der maritimen Wirtschaft an einem Strang. Wir sind uns darüber im Klaren, dass wir, um in diesem Bereich das Potenzial zu nutzen, zu einem klugen Miteinander von Naturschutzinteressen und der Erschließung von zusätzlichem Umschlagspotenzial kommen müssen. Dabei müssen wir unbedingt auch die ökologischen, sozialen und marktwirtschaftlichen Gesichtspunkte im Auge behalten. ({5}) Ich habe immer wieder die Sorge, dass nicht alle diese Dinge verinnerlichen. Wir sind auf den Nationalpark Wattenmeer stolz. Wir sind stolz darauf, dass die Ems in den Geltungsbereich der FFH-Richtlinie fällt. Wir sind nicht bereit, unsere Potenziale in diesem Bereich grundsätzlich zu opfern, weil der eine oder andere darin eine unzulässige oder eine uns Probleme schaffende ökologische Belastung sieht. Ich meine, wir können die Dinge miteinander in Einklang bringen. Aber es ist natürlich eine Katastrophe, wenn man bei der Errichtung eines Emssperrwerkes Lastwagen braucht, um Unterlagen wie Aktenordner durch die Gegend zu transportieren. Wir befinden uns immer noch in rechtlichen Auseinandersetzungen. Ich meine, wir müssen klipp und klar sagen: Vorfahrt für Umweltschutz, aber auch Vorfahrt für Arbeitsplätze, die in diesem Bereich entstehen können. Ich bitte Sie alle darum, mitzuarbeiten und sich mit dem Grünbuch „Die künftige Meerespolitik der EU“ zu beschäftigen. Nebenbei gesagt, es ist im Jahr 2006 veröffentlicht worden; es ist also nicht ganz neu. Deswegen ist es erstaunlich, dass wir hier darüber bis jetzt so wenig reden konnten. Wir haben zu diesem Thema eine Anhörung durchgeführt. Ich war sehr froh darüber, dass das Who’s who der deutschen maritimen Wirtschaft in Bremen war. Wir haben die Dinge gründlich beleuchtet. Ich kann Sie nur bitten: Lesen Sie unseren Antrag, und gehen Sie auf ihn ein! Lassen Sie uns die Angelegenheit gemeinsam weiterentwickeln! Lassen Sie uns auch darüber nachdenken, ob die Weichenstellung, die Sie mit der Unternehmensteuerreform vornehmen, für die maritime Wirtschaft klug ist! Die Zinsschranke bedeutet für eine Werft wie die Meyer-Werft, die für so einen „Pott“ am Anfang 10 Prozent von 450 Millionen Euro bekommt, unüberwindbare Hindernisse. Diese Hindernisse kann sie allein nicht überwinden, und dieses Problem wollen wir gemeinsam mit ihr lösen. Meiner Meinung nach darf es da keinen Unterschied zwischen den Parteien geben; vielmehr müssen einfach kluge Weichenstellungen vorgenommen werden, um die maritime Wirtschaft insgesamt voranzubringen. ({6}) Was haben wir, sämtliche Mitglieder der Parlamentariergruppe Binnenschifffahrt, um § 6 b Einkommensteuergesetz gekämpft! Es ist gut, dass diese Weichenstellung mittlerweile vorgenommen worden ist; aber das reicht nicht aus. Frau Wöhrl, Sie haben es angesprochen: Es geht in ganz entscheidender Weise darum, die Einstellung zur maritimen Wirtschaft dahin gehend zu ändern, dass die Menschen die Chancen erkennen, die in diesem Bereich liegen. Wer aus dem Binnenland kommt und die Geschehnisse vor Ort vielleicht nicht so gut kennt, der sollte nicht nur nach Hamburg und Bremen fahren, sondern zum Beispiel auch einmal nach Papenburg oder nach Leer. Sie wissen ja alle, dass Leer die zweitgrößte Reederstadt der Bundesrepublik Deutschland ist. Dort kann man verfolgen, wie klug es ist, auf dem Gebiet der maritimen Wirtschaft zusammenzuarbeiten, um gemeinsam Erfolg im Hinblick auf Arbeitsplätze und die Chancen, die in diesem Bereich liegen, zu haben. Herzlichen Dank. ({7}) Die „Aida“ soll am Sonntag zu Wasser gelassen werden. Da sie nicht so furchtbar viel Tiefgang hat, gehe ich einmal davon aus, dass das Ganze auch klappt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Goldmann, Sie haben schon „Herzlichen Dank“ gesagt. Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Margrit Wetzel, SPD-Fraktion.

Dr. Margrit Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Goldmann, an Fritz Niemeiers Geburtstag hat Bundeskanzler Gerhard Schröder 1999 in Emden die maritimen Konferenzen ins Leben gerufen und damit einen Dialog zwischen Politik und Wirtschaft geschaffen, der den Blick auf einen Wachstumsmotor in Deutschland richtet und fragt: Was kann eigentlich jeder der Beteiligten tun, um diesen Wachstumskurs trotz knallharter weltweiter Konkurrenz zu stützen und zu fördern? Er hat damit wesentlich zur Erfolgsgeschichte der maritimen Wirtschaft in Deutschland beigetragen. Die Auftragsbücher der Werften sind voll. Immer mehr Schiffe werden gebraucht. Der Deutsche Bundestag ist - ich glaube, das kann ich für alle Beteiligten sagen - stolz auf die Flexibilität, die Innovationsfreudigkeit, die Zuverlässigkeit und die Liefertreue der deutschen Werften. ({0}) Größe, wie sie die asiatischen Werften aufweisen, ist längst nicht alles. Die Sozialpartner halten in diesem Bereich wie kaum irgendwo anders fest zusammen, um innovative Aufträge und zukunftssichere Arbeitsplätze zu erhalten und auszubauen. Zu Recht kümmert sich die Politik jetzt darum, ob und, wenn ja, wie das Kreditzinssicherungssystem CIRR wettbewerbsfähig umgestaltet werden kann und wie es mit der Innovationsförderung aussieht, die von manchen Werften überhaupt nicht in Anspruch genommen werden kann. Wir müssen deshalb die bedingte Rückzahlbarkeit auf den Prüfstand stellen. Wir müssen dies sehr ernsthaft tun; denn im deutschen Schiffbau steckt vor allem Entwicklung. Außerdem gilt: Wir brauchen Nachwuchs; denn der Jagd der asiatischen Konkurrenten nach Marktanteilen können die Länder - das betone ich - nur durch Investitionen in die Nachwuchsförderung begegnen. Wir können ihr begegnen, indem wir unseren Standort mit wettbewerbsfähigen steuerlichen Rahmenbedingungen langfristig sichern. Diesen Erfolgskurs müssen wir auch in der Meeresforschung, in der Meerestechnik und in der OffshoreIndustrie fortsetzen. Ergebnisse aus Forschung, Entwicklung und Aufbau müssen jetzt in dauerhafte Wertschöpfung, in Marktanteile und Exportfähigkeit sowie in sichere Arbeitsplätze in Deutschland umgewandelt werden. Deshalb müssen wir unsere EU-Ratspräsidentschaft auch dazu nutzen, eine eigenständige Forschungs- und Förderstrategie aufzubauen. ({1}) Ich freue mich darüber, dass wir uns so einig sind. ({2}) Der Klimawandel zwingt uns geradezu, die Aktivitäten in polaren Zonen und in der Tiefsee deutlich zu verstärken; denn für die Sicherung der Energie von morgen sind Windparks über dem Meer, die nicht nur nasse Füße haben, sondern die richtig im Meer verankert sind, und die Nutzung der Tiefsee zur Energiegewinnung, zum Beispiel aus Gashydraten, aber auch als Lagerstätte für CO2, Herausforderungen, auf die meines Erachtens die Hightechstrategie der Bundesregierung die einzig richtige Antwort ist. ({3}) Für unsere deutschen Häfen sind wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen in Europa ein Dauerthema. Sie sind wachsende Verkehrsdrehscheiben und zugleich auch Wertschöpfungspotenziale in ihrer boomenden Sekundärwirtschaft. Die Ausbildungseinrichtungen entdecken die hohe Bedeutung funktionierender Logistikketten. Der Masterplan Logistik, von der Bundesregierung in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft entwickelt, wird Stärken und Vernetzungsfähigkeit der Häfen wesentlich unterstützen. Weil das explodierende seewärtige Verkehrsaufkommen sich im Zulauf oder bei der Verteilung auf Straße und Schiene ins Binnenland hinein nicht stauen darf, hat der bedarfsgerechte Ausbau der Hafenhinterlandanbindung für uns absolute Priorität. Natürlich denken wir dabei auch über alternative Finanzierungsmöglichkeiten nach. In den Häfen wird jetzt ein Problem neu entdeckt, unter dem die Seeleute schon ewig leiden: die Lärmund Abgasbelastung. Aber landgestützte Stromversorgung für Schiffe ist keine Wunderwaffe. Wenn Hafenbetreiber und Stromversorger mitmachen, dann ist das sicherlich eine gute Lösung für Fähren mit festem Liegeplatz. Aber für große Containerschiffe mit Kühlcontainern, die 5 bis 7 Megawatt Strom brauchen, wäre das eine Katastrophe, weil in den Häfen große neue Kraftwerke gebaut werden müssten. Ich halte es für besser, wenn wir über schadstoffarme Treibstoffe, über neue Antriebe und über wirksame Filtertechniken weltweit nachdenken. Das würde erheblich mehr Nutzen bringen. Wir brauchen einen Wettbewerb der verschiedenen Methoden für eine saubere Umwelt über dem Meer und natürlich - das ist klar - nicht die Vogel-StraußMethode. Der Vogel Strauß gibt das Bild: Der hocherhobene Kopf und der Weitblick sind auch in der Schifffahrt nötig. Über Jahrzehnte wurde viel zu wenig ausgebildet. Jetzt hat sich das Blatt zum Glück gewendet. Die Zahl der Auszubildenden hat sich verdoppelt und steigt kontinuierlich weiter an. Der Bund fördert - auch zugunsten der Sekundärwirtschaft! - jeden Ausbildungsplatz auf einem Schiff mit 25 500 Euro; der Reederverband gibt noch 10 000 Euro dazu. Die Länder bemühen sich mit lobenswerter Unterstützung von Reedern und Verband, Fehler der letzten Jahre - dabei spreche ich insbesondere Hamburg an - wiedergutzumachen. Sie müssen jetzt dauerhaft sichere Ausbildungsplatzkapazitäten schaffen, damit kein NC greifen muss. Die Auszubildenden haben heute eine Arbeitsplatzgarantie. Sie sind gefragt wie nie zuvor. Wenn die Arbeitsbedingungen an Bord konsequent verbessert würden, dann würde sich auch die Verweildauer der Seeleute an Bord erhöhen, die mit fünf Jahren viel zu gering ist - zwei Jahre mehr und wir hätten überhaupt keinen Mangel an Offizieren in der Seeschifffahrt -; denn immer noch ist es für Seeleute verlockender, an Land als an Bord zu arbeiten. Aber maritimes Fachwissen erlangt man nun einmal nur auf Schiffen. Die Bedingungen für die Reeder sind ausgezeichnet. Die Charterraten der letzten Jahre waren hervorragend. Tonnagesteuer und weitere Beihilfen, allem voran § 7 des Flaggenrechtsgesetzes haben dafür gesorgt, dass von Deutschland aus die mit Abstand größte Flotte bereedert wird. Diese Riesenflotte muss doch wohl für den Erhalt des maritimen Know-how in Deutschland sorgen können. Die 3. Nationale Maritime Konferenz in Lübeck hat deshalb entsprechend der europäischen Beihilfeleitlinien die Rückflaggungsforderung von 100 plus X Schiffen begründet. Das ist auf der 5. Nationalen Maritimen Konferenz in Hamburg aufgegriffen worden. Dort haben wir neue Ziele abgesteckt: 500 Handelsschiffe ab 2008 unter deutscher Flagge und 600 Schiffe bis 2010. Dass auf dem deutschen Hoheitsgebiet „Schiff“ wenigstens noch ein einziger Seemann, nämlich der verantwortliche Kapitän, deutsch spricht und versteht, ist für uns eine Conditio sine qua non. ({4}) Wer den Ausguck auf seinem Personalradar besetzt hatte, hat auch rechtzeitig Manöver eingeleitet, um eine Kollision zu vermeiden. Verlassen wir uns also auch auf den Weitblick deutscher Reeder, die in ihrem Jahresbericht selbst sagen - ich zitiere -: Die Perspektiven für einen weiteren Ausbau des deutschen Schifffahrtstandorts in den nächsten Jahren sind gut. Packen wir es also an! Ich möchte mit einem Dank an den Koalitionspartner abschließen. Die Zusammenarbeit war hervorragend. Ich glaube, das darf man auch einmal sagen. Herr Goldmann, noch eine Anmerkung zum Antrag der FDP - Sie haben das explizit erbeten -: Wir sollen in einem einzigen Antrag - ich habe ihn gelesen - 80 Punkte beschließen. ({5}) Dazu sage ich: Nein, das ist nichts zum Beschließen. Ich empfehle Wikipedia mit Quellenangabe. Das wäre ein tolles Kompendium, für einen Antrag ist das aber nicht besonders seriös. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Lutz Heilmann, Fraktion Die Linke. ({0})

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Staatssekretärin, ich bin enttäuscht. Sie haben in Ihrer Rede nicht ein einziges Mal das Wort „Umwelt“ gebraucht, ({0}) und das, obwohl der Bereich, über den wir hier sprechen, eindeutig von der Umwelt geprägt wird. Sie haben damit sogar ein Interview, das Sie kürzlich in der Zeitschrift „Deutsche Seeschifffahrt“ gegeben haben, getoppt. Sie haben gezeigt, wohin die Reise mit Ihnen gehen wird. ({1}) Die Linke sieht die Frage der maritimen Wirtschaft als einen Komplex. Die Linke ist für die Stärkung und Sicherung der maritimen Wirtschaft, für den Erhalt der Werften und für den Ausbau der Meerestechnik. ({2}) Die Linke ist aber auch und insbesondere für die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Das „Bündnis für Beschäftigung und Ausbildung in der Seeschifffahrt“ ist hierfür ein gutes Beispiel. Bei den Häfen sieht es nicht so gut aus. Seit Jahren wird dort Arbeitsplatz für Arbeitsplatz abgeschafft. Die Linke steht für den Erhalt der Lebensgrundlagen. Wir sind für Artenvielfalt und den Erhalt der Küsten und Inseln. Wird der Antrag der Koalition diesen Anforderungen gerecht? Wir sagen Nein. Sie schreiben zwar ein Bekenntnis zur nachhaltigen Entwicklung hinein, der Umweltbereich bleibt aber im Weiteren völlig unterbelichtet. Die Frau Staatssekretärin hat den Klimawandel nicht ein einziges Mal erwähnt; die Kollegin von der SPD hat das wenigstens kurz angesprochen. ({3}) - Doch, der Klimawandel beschäftigt die gesamte Gesellschaft und ist zurzeit das herausragende Thema. Gestern Abend sprach Umweltminister Gabriel in der ARD dazu. Vielleicht hätten Sie da einfach einmal reinschauen sollen. ({4}) Für mich als Bundestagsabgeordneter aus SchleswigHolstein haben Umweltprobleme im Zusammenhang mit der maritimen Wirtschaftspolitik eine herausragende Bedeutung; denn der steigende Meeresspiegel bedroht die Menschen. Deshalb müssen der Hochwasserschutz und der Küstenschutz absoluten Vorrang haben. ({5}) Wer im Januar mitbekommen hat, dass am Hauptbahnhof ein Stahlträger abgefallen ist, wird auch mitbekommen haben, dass der Sturm „Kyrill“ erhebliche Schäden an den Küsten Schleswig-Holsteins angerichtet hat. Wir sprechen hier über den Schutz der Bäume und der Inseln, zuallererst aber vom Schutz der Gesundheit der Menschen und des Lebens. Nun einige Gedanken zu Themen in Ihrem Antrag. Zum Thema Hafen. Auch wir haben nichts gegen den Ausbau von Häfen, aber wir fordern - das ist seit langem überfällig - von der Bundesregierung ein Seehafenkonzept, ({6}) in dem die Struktur der Häfen im Einzelnen festgelegt und eine Antwort auf die Frage, welche Häfen es geben soll, gegeben wird. Wir fordern einen Tiefwasserhafen in der Bundesrepublik. Er soll bitte schön in Wilhelmshaven liegen. ({7}) Bis dahin und darüber hinaus, bis die Bundesregierung endlich ein Seehafenkonzept vorlegt, wenden wir uns gegen jegliche Ausbaumaßnahmen an Elbe und Weser. ({8}) Ein weiterer wichtiger Punkt, den ich nennen möchte, ist der Meeresumweltschutz. Sie erwähnen ihn in Ihrem Antrag. Substanzielle Aussagen dazu treffen sie allerdings nicht: kein Wort zum Grünbuch der EU zur Meerespolitik, kein Wort zur Meeresschutzstrategie und kein Wort zu einer möglichen Meeresschutzrichtlinie der Europäischen Union. Meeresumweltschutz wird so nicht gemacht. Wir brauchen großflächige Schutzgebiete. Wir brauchen keine Hochrisikotechnologien: die Nutzung von Methanhydrat oder die Verpressung von CO2 im Meer. Da muss ich Ihnen ausdrücklich widersprechen, Frau Kollegin Wetzel. Gestern führte der Umweltausschuss des Bundestages eine Anhörung durch. Dort sprachen sich zwei Sachverständige ausdrücklich gegen die Verpressung von Kohlendioxid in tiefe Meeresschichten aus, da dies unabsehbare Schäden für das Meeressystem haben könnte. Vielleicht sollten sie einmal an solchen Veranstaltungen teilnehmen. ({9}) Ein letzter Bereich, den ich ansprechen möchte, sind die Schiffsemissionen. Schiffsemissionen haben einen erheblichen Anteil an der Feinstaubbelastung in Hafenstädten. Glauben sie mir, ich weiß, wovon ich spreche. In Lübeck sind es 65 Prozent; das ist meine Heimatstadt. Wir sprechen hierbei über den Schutz der Gesundheit der Menschen. Deshalb sind schnelle und effektive Maßnahmen notwendig. Auch hier möchte ich Ihnen wieder ausdrücklich widersprechen, Frau Kollegin: Es geht nicht darum, dass wir uns hinter internationalen Absprachen und Abkommen verstecken. Wir müssen jetzt handeln. Die Bundesrepublik sollte nach meinem Dafürhalten hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Bündnis 90/Die Grünen sprechen in ihrem Antrag eine Möglichkeit zur Senkung der Emissionen bei Schiffen an: die landseitige Stromversorgung der Schiffe. Also, Schiffe ganz einfach an die Steckdose? So einfach geht das nicht. Sie machten das richtig deutlich, Frau Kollegin. Woher soll der Strom kommen? Wollen wir neue Kohlekraftwerke bauen oder gar wieder ins Atom8564 zeitalter zurück? Sind die Netze, die den Strom zu den Häfen bringen, überhaupt dafür ausgelegt? Wollen wir eventuell die landseitige Stromversorgung durch eine Befreiung oder eine Ermäßigung bei der Stromsteuer fördern? Das sind Fragen, die wir alle besprechen und klären müssen, bevor wir das ganz konkret angehen. Es gibt noch weitere Maßnahmen, zum Beispiel emissionsabhängige Hafengebühren. In Schweden sind sie seit 1998 üblich. Warum nicht in Deutschland? Lassen Sie mich ein Fazit ziehen: Der Antrag der Koalition leistet keinen aktiven Umweltschutz. Er ist rückwärtsgewandt und technologiegläubig. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Sie haben mit diesem Antrag wieder einmal gezeigt, dass Sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben. ({10}) Deshalb werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. Ein letztes Wort zum Antrag der Grünen: Er geht in die richtige Richtung. Wir halten ihn aber für unausgegoren und werden uns daher enthalten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Rainder Steenblock, Bündnis 90/Die Grünen.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die maritime Wirtschaft ist ein wichtiger Standortfaktor in Deutschland. Darüber gibt es zwischen uns, glaube ich, überhaupt keine Meinungsverschiedenheiten. Deshalb ist es ein ganz zentraler Punkt der deutschen Politik, sie dafür zu nutzen, dass das Marktpotenzial - es wird weltweit auf 150 Milliarden Euro geschätzt, das ist ein riesiger Bereich, in dem die deutsche Technologie mitführend ist - ausgeschöpft wird. Wir wollen diese Marktchancen und diese Innovationsmöglichkeiten nutzen. Wir als Grüne sagen aber auch sehr deutlich: Eine florierende maritime Wirtschaft ist auf ein intaktes Ökosystem Meer angewiesen. Deshalb müssen wir beides zusammendenken: Wir brauchen eine nachhaltige Meerespolitik, die Meeresnutzung und den Schutz des Ökosystems Meer zukunftsfähig miteinander verbindet. ({0}) Wenn man sich den Zustand des Meeres anschaut, stellt man fest: überfischt, vergiftet, als Müllkippe missbraucht. So heißt es nicht nur in Papieren der Grünen, sondern so steht es auch im Fischereibericht der Welternährungsorganisation. Danach sind ein Viertel der weltweiten Fischbestände gefährdet. Über die Hälfte der Fischbestände sind so stark ausgebeutet, dass keine Steigerung bei der Befischung mehr möglich ist. Beim Kabeljau - das ist ein ganz aktuelles Beispiel - empfehlen die Experten schon seit Jahren eine Nullquote für die Befischung. Aber der für die Fischerei zuständige EUMinisterrat fordert jedes Jahr neue Fangquoten: für dieses Jahr über 20 000 Tonnen Kabeljau. Das ist unverantwortlich, nicht nur, weil es den Artenschutz und die Artenvielfalt in der Nord- und Ostsee gefährdet, sondern auch, weil es natürlich Arbeitsplätze gefährdet. Daran wird deutlich, dass die derzeitige Politik nicht nachhaltig ist. An der Fischereipolitik kann man, wie ich glaube, sehr deutlich sehen - das haben ja Nicholas Stern und andere gesagt -, dass unterlassener Umweltschutz und damit eine nicht nachhaltige Politik ökonomisch und ökologisch letztendlich den kurzfristigen ökonomischen Vorteil mehr als aufwiegt. ({1}) Ein zweiter Bereich, wo es aus unserer Sicht noch nicht richtig läuft, ist der Bereich der Schiffsemissionen. Der kommerzielle Schiffsverkehr hat unter den Bedingungen der Globalisierung enorme Zuwachsraten. Der Kurzstreckenseeverkehr hat auch in Deutschland und Europa höhere Wachstumsraten als der Straßengüterverkehr. Es handelt sich also um den Verkehr, der am meisten zunimmt. Auch wenn die Schifffahrt im Großen und Ganzen ökologisch ist, so muss man zugleich deutlich machen, dass von ihr auch extreme Belastungen in Form der Schwefeldioxid- und anderer Schwefelemissionen, der Stickstoffemissionen und der CO2-Emissionen der Schiffe ausgehen. In den Hafenstädten ist der Schiffsverkehr mittlerweile mit Abstand der größte Umweltverschmutzer. Das müssen wir ändern. ({2}) Wir müssen hierzu eine Reihe von Maßnahmen ergreifen: Erstens müssen wir an die Treibstoffe ran. Es kann nicht angehen, dass in den Schiffen immer noch Raffinerieabfälle und Sondermüll verbrannt werden. Das ist technisch überhaupt nicht notwendig. Zweitens müssen auch bei der Schifffahrt Filtertechnologien zum Standard werden. Es ist überhaupt keine Frage: Wir brauchen Grenzwerte für die Schiffsemissionen. Drittens halten wir es für wichtig, über die Landstromversorgung in den Häfen nachzudenken. Das wäre eine zusätzliche Möglichkeit, gerade in den Hafenstädten Emissionen zu reduzieren. Ich bin froh, dass das mittlerweile nicht nur im Antrag der Grünen, sondern auch in den Anträgen der anderen Fraktionen enthalten ist. Seit der letzten Verkehrsausschusssitzung ist hier ein deutlicher Lerneffekt festzustellen. Ich freue mich darüber, dass die Einführung einer Landstromversorgung als ein Element zur Reduktion der Emissionen von Schiffen akzeptiert ist. Wir brauchen wie in anderen Bereichen auch in diesem Bereich eine verursachergerechte Anlastung von Kosten. Das ist ein grünes Zentralprinzip, um Nachhaltigkeit herzustellen. Die Hafengebühren in Deutschland sind lächerlich im Vergleich zu den Gebühren, die in Asien gezahlt werden müssen. Eine Anhebung wäre nötig, um die notwendigen Infrastrukturkosten tatsächlich auf die Verursacher umzulegen. Man schaue sich einmal an, mit welch hohen Subventionen die Infrastruktur in Hafenstädten und die Hinterlandanbindung finanziert werden und welch geringe Rolle zugleich Kooperationen spielen. Wir Grünen haben wiederholt gefordert, dass eine Kooperation zwischen dem Tiefwasserhafen Wilhelmshaven und den Hafenstädten Hamburg und Bremerhaven nötig ist. Nur durch eine solche Kooperation können überflüssige Infrastrukturinvestitionen wie die in eine Elb- oder Weservertiefung vermieden werden. ({3}) - Das ist aus unserer Sicht völliger Unfug. Sie wissen genau - Sie kommen aus Niedersachsen, Kollege Goldmann -, welche großen Probleme die Elbvertiefung in Niedersachsen verursachen kann. Deichsicherheit ist eines der zentralen Probleme; Hafenschlick ist ein anderes Problem. Das ist ökonomischer und ökologischer Unfug. Die Schadensdimensionen durch die Schlickproblematik sind überhaupt nicht abzuschätzen. Deshalb müssen die Hafenstädte kooperieren. Dann kann Deutschland da gut aufgestellt sein. Die Kleinstaaterei und die unsinnige Konkurrenz zwischen den deutschen Seehäfen müssen aufhören. ({4}) Wir brauchen sicherlich auch - da stimme ich Ihnen zu, Herr Goldmann - mit Blick auf die Sicherheit auf dem Meer eine nationale Küstenwache, die diesen Namen auch verdient. Den Föderalismusunfug in Fragen der Seesicherheit sollten wir abschaffen. Eine nationale Küstenwache, integriert in ein europäisches Schiffssicherheitskonzept, ist vernünftig. Es ist sehr schade, dass die Bundesregierung - egal welcher Couleur, muss man leider sagen - sich da zu wenig bewegt. Hier brauchen wir eine vernünftige Sicherheitsstruktur. Lassen Sie mich zum Schluss sagen, wo wir die Zukunftschancen sehen. Ich habe es in Bezug auf die Schiffsantriebe schon gesagt: Mit dem European-CleanShip-Konzept können wir eine Struktur aufbauen, mit der die deutsche und die europäische Schiffsbauindustrie vor dem Hintergrund der ökologischen Belastung wettbewerbsfähig gemacht werden können. Es gibt aber in diesem Bereich der Innovation und der Forschung eine Reihe von Feldern. Unterwasserbergbau ist ein Thema, dem man sich zuwenden muss. Dazu sage ich sehr deutlich: Wir sind nicht im Grundsatz dagegen, dass Mineralien aus dem Meer, zum Beispiel Mangan, gefördert werden. Aber wir brauchen Umweltstandards, die diese Form von Unterwasserbergbau ökologisch verträglich machen, damit wir nicht die gleichen Fehler wie in der Fischerei machen, wo durch Grundschleppnetzfischerei massive ökologische Schäden in den Meeren angerichtet werden. Von Methanhydraten war hier die Rede. Ich halte den Abbau von Methanhydraten für einen Irrweg. Die Klimabelastung und das Risikopotenzial sind enorm. Wenn wir angesichts der Erwärmung der Meere nicht versuchen, hier so weit wie möglich eine Stabilisierung zu erreichen, dann werden wir riesige Klimaprobleme bekommen. Wir haben das in der Erdgeschichte schon einmal erlebt. Deshalb halte ich es für fahrlässig, locker darüber hinwegzugehen. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, das wäre ein gutes Schlusswort gewesen.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

ja, meine sehr verehrte Frau Präsidentin, mein letzter Satz -, der Antrag der Regierungskoalition heißt: „Maritime Wirtschaft in Deutschland stärken“. Vor zwei Jahren hat die rot-grüne Regierung zum gleichen Thema einen Antrag mit dem Titel „Maritimen Standort Deutschland stärken - Innovationskraft nutzen“ vorgelegt. Die Innovationskraft ist dieser Regierung abhandengekommen. Das ist schlecht für die maritime Wirtschaft, aber nicht nur dafür. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Eckhardt Rehberg, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! „Maritime Wirtschaft in Deutschland stärken“, dieser Antrag hat ein Stück Kontinuität. Deswegen bin ich von den Reden der Kollegen Heilmann und Steenblock ein bisschen enttäuscht. ({0}) Wir haben hier als Norddeutsche die einmalige Chance, deutlich zu machen, dass die maritime Wirtschaft zum einen eine große Breite und Tiefe hat - vom Schiffsbau bis zur Nutzung der natürlichen Meeresressourcen -, zum anderen aber auch - ich blicke auf die Aktuelle Stunde, die wir vorhin hier zum Thema Airbus gehabt haben - Hightechindustrie, Hightechwirtschaft ist: Schiffbau, Schifffahrt, Seeverkehrs- und Hafenwirtschaft, nachhaltige Meerespolitik unter Einbeziehung von Umweltschutz und Meeressicherheit. ({1}) Wir sollten an dieser Stelle nicht unsere Chance vertun, indem sich jeder sein Stückchen heraussucht und das Ganze infrage stellt. ({2}) Ich komme aus einem Land, wo seit 1990 gerade im Schiffbau ungeheure Umbrüche vonstatten gegangen sind. Wir hatten 1990 in der Schiffbauindustrie 60 000 Beschäftigte. Heute haben wir fünf hochmoderne Werften, ganz unterschiedlich geführt, eigentümergeführt wie in Wolgast oder wie die Neptun-Werft in Warnemünde, konzerngeführt wie in Warnemünde, Wismar oder Stralsund. Wir haben Krisen durchgemacht. 1992 gab es die Werftenprivatisierung und 1996 die Vulkan-Krise. Im Jahr 2007 kann man sagen: In Mecklenburg-Vorpommern gibt es die modernsten Werften nicht nur in Europa, sondern weltweit. Man muss sich einmal anschauen, was die Politik in den letzten Jahren geleistet hat. Man muss sich außerdem anschauen, was im Bereich von Forschung, Entwicklung und Innovation miteinander vereinbart worden ist. Die Förderung war nicht allein darauf fokussiert, die Produktivität zu steigern. Deutschland ist Vorreiter, wenn es darum geht, Meeressicherheit, Schiffssicherheit und ökologische Aspekte in den Blick zu nehmen. Angesichts dieser Tatsachen, Herr Kollege Heilmann, können Sie nicht sagen, unser Antrag sei rückwärts gewandt. Entschuldigen Sie bitte, aber das ist völlig daneben. ({3}) In Vier- oder Sechsaugengesprächen und auch heute in der Debatte kommt immer wieder zum Ausdruck, die maritime Wirtschaft sei ein Subventionsempfänger. Nennen Sie mir einmal einen Bereich, bei dem ein Einsatz von 1 Euro aus der Staatskasse einen Ertrag von 11 Euro erbringt. Die PwC-Studie zur 3. Nationalen Maritimen Konferenz in Lübeck hat nachgewiesen, dass die vereinbarten Maßnahmen wirksam waren. Frau Staatssekretärin Wöhrl und Frau Kollegin Wetzel sind schon darauf eingegangen. Bei diesen Maßnahmen, die zum Teil schon in den 90er-Jahren eingeführt wurden, handelt es sich um die Umgestaltung des CIRR-Systems, die Rückzahlbarkeit von Innovations- bzw. F-und-E-Mitteln, die Tonnagesteuer und den Lohnsteuereinbehalt. Laut PwC-Studie erbringt ein Einsatz von 100 Millionen Euro, Primär- und Sekundäreffekte eingeschlossen, weit mehr als 1 Milliarde Euro. Ich bin der Meinung, dass an dieser Stelle Staatsgelder sehr gut angelegt worden sind. ({4}) Weil dieser Punkt immer von der FDP angesprochen wird, sage ich: Ja, wir werden uns auch mit dem Thema Zinsschranke, was die Schiffsfinanzierung als Objektfinanzierung angeht, befassen müssen. Aber ich sage gleichzeitig: Hier ist nicht nur eine Zinsschranke vorgesehen, sondern auch eine Escape-Klausel. Deswegen brauchen wir - ich glaube, das ist die parteiübergreifende Meinung im Deutschen Bundestag - belastbare Daten aus der Schiffbauindustrie, um das Problem zu verdeutlichen. Man kann an diesen Daten erkennen, wie die Werften in der Breite aufgestellt sind, ob sie eigentümergeführt sind oder als internationaler Konzern ausgerichtet sind. Die Unternehmensteuerreform bringt aufgrund der Absenkung der Steuersätze einen Vorteil. Auf der anderen Seite darf sie nicht dazu führen, dass wir im Bereich der Schiffsfinanzierung Wettbewerbsnachteile haben. ({5}) - Herr Kollege Goldmann, schauen Sie sich die Situation auf den einzelnen Werften an. Es gibt Werften, die Schiffe für die Marine bauen. Es gibt Werften, die Aufträge für den Bau von zwei Schiffen im Wert von 1 Milliarde Euro haben. Es gibt Werften, die sechs bis sieben Containerschiffe bauen. Außerdem gibt es Unterschiede bei der Baufortschrittsfinanzierung. Wir können all diese Werften nicht über einen Kamm scheren. Hier ist sorgfältige und gründliche Arbeit vonnöten. Das werden wir tun. ({6}) Lassen Sie mich zum Schluss noch einige wichtige Punkte nennen. Erstens. Wir als Politiker haben dazu beigetragen, dass es einen Imagewandel der maritimen Wirtschaft gibt. Denn viele junge Menschen sagen Ja zu dieser Wirtschaft, indem sie als Schiffsbauingenieur arbeiten wollen oder auf einem Schiff fahren wollen. Zweitens. Wir werden weiter über das Thema Meerespolitik im Deutschen Bundestag reden. Die Beratung Ihres Antrages, meine Damen und Herren von der FDP, wird nicht zu kurz kommen. Das Grünbuch zur Meerespolitik wird auf der Tagesordnung stehen. Wir werden den Bereich Meerespolitik ganz weit fassen müssen, auch unter Einbeziehung, Herr Kollege Steenblock, der ökologischen Aspekte. Ich sehe es genauso wie Sie: Wenn wir die Nutzung von Meeresressourcen in den Blick nehmen, dann müssen wir von Beginn an unbedingt auf die Einhaltung entsprechender Umweltstandards achten. Ohne diese geht es nicht. Gerade in der Klimaschutzdebatte bedeutet dies, dass wir mit dem Gut Meer behutsam umgehen sollten. Eine letzte Bemerkung. Ich denke, wir sollten hier und heute deutlich machen: Ob Schiffbau, ob Seeverkehrs- oder Hafenwirtschaft, dies ist eine nationale Aufgabe; denn zwei Drittel der Wertschöpfung in diesem Bereich entstehen in den Küstenhinterländern. Dies kann nicht allein Sache der norddeutschen Länder sein. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Garrelt Duin von der SPDFraktion. - Bitte schön.

Garrelt Duin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003751, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Maritime Wirtschaft in Deutschland stärken“, diese Überschrift ist in der Tat, Kollege Steenblock, für den heute vorliegenden Antrag gewählt worden. Ich bin mir ganz sicher, dass Sie nicht nur die Überschrift, sondern den ganzen Antrag gelesen haben und deswegen wissen, dass der Aufruf zu Innovationskraft ein ganz entscheidender Bestandteil dieses Antrages ist. Die etwas verkürzte Überschrift zu kritisieren, entspricht nicht wirklich dem, was die Große Koalition in diesem Antrag angelegt hat. Innovation und - dies füge ich hinzu, um einen sicherlich auch Ihnen sehr nahe stehenden Begriff zu verwenden - Nachhaltigkeit, beides hat, wie ich finde, an prominenter Stelle Eingang in diesen Antrag gefunden. ({0}) Die maritime Wirtschaft ist einer der wichtigsten und fortschrittlichsten Wirtschaftszweige in unserem Land. Sie ist ein wesentlicher Eckpfeiler für die wirtschaftliche Stärke und unsere Position im Export. Die Perspektiven für einen weiteren Ausbau des deutschen Schifffahrtstandortes in den nächsten Jahren sind gut; auch das ist von vielen Vorrednern unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Fraktion bestätigt worden. Auch international steigt die Attraktivität des maritimen Standortes Deutschland. Ich will ein bisschen auf den Schiffbau eingehen; denn dort kann man dies besonders deutlich sehen. Die Zahlen im Schiffbau und in der Schiffbauzulieferindustrie sprechen für sich: 6,8 Prozent Wachstum im vergangenen Jahr und eine Steigerung um voraussichtlich 8 Prozent in diesem Jahr sowie eine Exportquote von 65 Prozent. Das unterstreicht die Wichtigkeit der maritimen Wirtschaft für uns und unsere Position auf dem Weltmarkt. Deutschland steht an vierter Position im Weltschiffbau. Die Umsätze deutscher Werften - ob im Handels-, Jacht- oder Marineschiffbau sowie im Reparaturgeschäft - beliefen sich im Jahr 2005 auf 6,1 Milliarden Euro. Insgesamt sind mit der Zulieferindustrie über 100 000 Menschen in dieser Branche direkt beschäftigt. Die Auslastung der meisten Werften ist bis zum Jahr 2009 gesichert. Unsere Aufgabe ist es, diese positive Entwicklung der maritimen Wirtschaft insbesondere im Schiffbau weiterzuführen und zu stabilisieren. Schlimme Erfahrungen wie zum Beispiel das Unglück der „Pallas“ und anderer Schiffe mit katastrophalen Folgen haben uns vor Augen geführt, wie wichtig hohe Qualitätsstandards im Schiffbau einerseits, aber natürlich in der Schifffahrt insgesamt andererseits sind. Mit Blick auf den zunehmenden Schiffverkehr - wir alle, die sich mit diesem Thema auseinandergesetzt haben, kennen die Zahlen - mit immer größer werdenden Schiffen und einem hohen Anteil an Gefahrengutladung stehen wir vor neuen Herausforderungen. Hier muss die Politik Rahmenbedingungen schaffen, die Innovationen und strukturelle Verbesserungen im Schiffbau fördern. Ein nachhaltiger Schiffbau mit hohen Sicherheits-, Qualitäts- und Umweltstandards rückt so in den Mittelpunkt. Mit konsequenter Berücksichtigung dieser Standards erreichen wir, dass technologischer Fortschritt Hand in Hand mit dem Schutz der Meere und dem Schutz der Umwelt geht. Darin können wir Vorbild sein. Nur so wird Deutschland seine technologische Spitzenposition und die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt weiter ausbauen können. Wir benötigen konkrete Maßnahmen zur Qualifizierung des Nachwuchses in den maritimen Bereichen; Frau Staatssekretärin ist darauf in Ihrer Rede eingangs eingegangen. Wir brauchen pro Jahr zum Beispiel - die Zahlen sind genannt worden - 650 Nautiker von den Hochschulen. Es schließen zurzeit aber im Durchschnitt nur ungefähr 200 ihr Studium ab. Deswegen ist - lassen Sie es mich vorsichtig sagen - eine gute Zusammenarbeit mit den Ländern sehr erforderlich. Man könnte es auch drastischer formulieren: Wir müssen bei all der Berücksichtigung dessen, was wir hinsichtlich des Föderalismus beschlossen haben und was mehrheitlich gewollt war, die Länder in die Pflicht nehmen. Die Länder sind in der Pflicht, entsprechende Studiengänge und Professuren zur Verfügung zu stellen, meine Damen und Herren. ({1}) Wir erleben es leider gerade in dem Bundesland, in dem wir uns jetzt befinden, dass darüber nachgedacht wird, von zwei Professuren an der TU im Bereich Schiffs- und Meerestechnik eine zu streichen. Das sind Überlegungen, die wir von unserer Seite nicht unterstützen dürfen und bei denen wir im Gegenteil gegensteuern müssen, um klar zu machen: Wir brauchen solche Ausbildungsmöglichkeiten für unsere jungen Leute. Wir müssen die Ausbildungssituation verbessern. Es ist zu Recht davon gesprochen worden, dass wir dafür auch die Attraktivität der maritimen Berufe steigern und Perspektiven eröffnen müssen. Wir haben vorhin in der Aktuellen Stunde über die Luft- und Raumfahrt im weiteren Sinne gesprochen. Dieser Bereich gilt bei jungen Leuten weithin als die saubere Technik, in der man gern ein Studium aufnimmt. Der Bereich des Schiffbaus hat immer noch das Image des etwas Schmutzigen, das nicht ganz so attraktiv ist. Diesem Image müssen wir mit geeigneten Maßnahmen entgegenwirken. Neben der Sicherung des hochqualifizierten Nachwuchses brauchen auch die heutigen Fachund Führungskräfte im maritimen Bereich eine stabile Zukunft. Der Austausch von Personal und Know-how muss auf allen Qualifikationsebenen, quasi vom Arbeiter bis zum Akademiker, organisiert werden. Beispielhaft will ich in diesem Zusammenhang das Pilotprojekt des Arbeitskräftepools in der Schiffbauwirtschaft nennen. Dieser verfolgt die Ziele, Entlassungen zu vermeiden, Beschäftigungsschwankungen zwischen den Werften auszugleichen und die Weiterbildung der Mitarbeiter zu unterstützen. In technologieintensiven Beschäftigungsfeldern wie dem Schiffbau ist Wissen ein Erfolgsgarant. Nur in Europa gibt es ein so dichtes Netz von Werften, Ausrüstern, Forschungszentren und Anbietern von Spitzentechnik. Deswegen war es gut und richtig, dass auf der europäischen Ebene schon vor einigen Jahren mit der Initiative Leadership 2015 die Interessen der europäischen Hersteller gebündelt wurden, damit diese nicht von Dritten überholt werden. Ich glaube, dass wir Ähnliches in unserem Antrag vorschlagen. Wir brauchen quasi ein Leadership Deutschland, um den Schiffbau in unserem Land zu unterstützen. Wir wollen diesen bedeutenden Wirtschaftszweig zukünftig in ruhiges Fahrwasser steuern. Andere Dinge, die in diesem Zusammenhang zu nennen wären, will ich jetzt nicht vertiefen, wie etwa das Thema Unternehmenssteuerreform, das von den Vorrednern angesprochen worden ist. Herr Goldmann, Sie hatten Recht, als Sie darauf hingewiesen haben, dass wir am Wochenende wieder im Fernsehen, bis hin zur Tagesschau, sehen werden, dass ein deutsches Produkt aus dem Papenburger Hafen auslaufen wird, die Aida Diva, ein wirkliches Vorzeigeprodukt für den Schiffbau in Deutschland. Ich denke, dass wir alle gemeinsam die Daumen drücken, dass wir auch in Zukunft solche Überführungen von Deutschland aus erleben werden. Beim letzten Mal ist in halb Europa der Strom ausgefallen. ({2}) Das war Product Placement der besonderen Art. Darauf wollen wir am Wochenende verzichten. Aber wir wollen gemeinsam dafür kämpfen, dass der deutsche Schiffbau international eine Zukunft hat. In diesem Sinne vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Börnsen von der CDU/CSU-Fraktion.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Rede und das Handeln unserer maritimen Koordinatorin Dagmar Wöhrl haben gezeigt, dass Kompetenz wichtig ist und dass es nicht darauf ankommt, einen Segelschein zu besitzen. Sie hat es verstanden, in kürzester Zeit deutlich zu machen, dass man, auch wenn man aus Bayern kommt, ein Gefühl und ein Verständnis dafür entwickeln kann, dass die maritime Wirtschaft für uns alle ein nationales Anliegen ist und von uns allen unterstützt und gestärkt werden sollte. ({0}) Der vorliegende Antrag ist von Eckhardt Rehberg und Margrit Wetzel, wie ich finde, ausführlich und grundlegend erläutert worden, von beiden mit der Ausrichtung, dass es notwendig ist, den Standard des deutschen Schiffbaus, den wir erreicht haben, nämlich eine Spitzentechnologie in Europa zu haben, auch in Zukunft zu erhalten. Wir wollen, dass diese Vorzeigebranche in Deutschland auch weiterhin Modellcharakter für uns, aber auch international hat. Darin liegt der besondere Ansatz des Antrags. Er bestätigt dieses Anliegen und macht gleichzeitig deutlich, dass wir nur dann eine Zukunftschance haben, wenn wir die Kombination von Werftenverbund, Seeschifffahrt, Hafenwirtschaft und Meerespolitik durchsetzen und diesen Verbund europäisch und international ausrichten. Darin liegt die große Chance, dass 400 000 Arbeitsplätze, die es zurzeit in diesem Bereich gibt, eine Zukunft haben und auch zukünftig 435 Milliarden Euro in diesem Bereich umgesetzt werden. Diese Summe wird zu Wachstum und Beschäftigung, damit gleichzeitig zur Stabilität und Sicherheit unseres Landes beitragen. Die Ausrichtung dieses Antrags orientiert sich an der Herausforderung, vor der wir stehen. Unsere Kollegin Dagmar Wöhrl hat es bereits ausgeführt: Der weltweite Wettbewerb wird immer stärker, immer zwingender und führt immer mehr dazu, dass wir uns in unseren Fähigkeiten weiter optimieren müssen. Im Jahr 2015 will die Volksrepublik China Schiffbauland Nummer eins sein. Im Jahr 2015 will die Volkrepublik China Handelsschifffahrtsnation Nummer eins sein. Im Jahr 2015 will die Volksrepublik China in der Hafenwirtschaft weltweit mitbestimmen. Was bedeutet das für uns? Das bedeutet, dass die Volksrepublik China in den Bereichen stark sein wird, in denen bisher andere Schiffbaunationen erfolgreich arbeiten. Korea wird zu Nischenprodukten wechseln, die zurzeit für uns wichtig sind: Kreuzfahrtschiffe, Containerschiffe und Gastanker. In den Bereichen, in denen wir zurzeit stark sind, werden wir eine neue und viel stärkere Konkurrenz bekommen. Das wird sich auf die gesamte Wirtschaft auswirken. ({1}) Darin liegt die große Herausforderung und im Grunde genommen auch die Notwendigkeit für das Parlament und die Regierung, Rahmenbedingungen zu schaffen, die uns befähigen, diesen neuen Herausforderungen gestärkt entgegenzutreten. ({2}) Denn die Volksrepublik China und andere Mitwettbewerber, vor allem diejenigen aus Asien, arbeiten nicht immer mit fairen Mitteln. Arbeitnehmerinteressen gelten dort weniger als bei uns. Ökologische Interessen gelten viel weniger als bei uns. Die Notwendigkeit, auf den Klimawandel einzugehen, gilt wenig. Man will den Weltmarkt beherrschen. ({3}) Weil ungeheure Wettbewerbsverzerrungen stattfinden, müssen wir ein Konzept entwickeln, mit dem wir diesen Wettbewerbsverzerrungen begegnen können. Der Kollege Hans-Michael Goldmann hat zusammen mit seinen Freunden einen, wie ich finde, klugen Antrag ergänzend zu unserem eingebracht. ({4}) - Hier sind wir uns bis auf die Linken im Grundsatz alle einig. Bei Rainder Steenblock muss man den provozierenden Charakter seiner Worte abbauen, dann ist das, was er gesagt hat, im Kern vernünftig. Wolfgang Börnsen ({5}) ({6}) Das war ja bisher immer so, Rainder. ({7}) Wir haben 20 Jahre lang eine Erfolgsgeschichte in der maritimen Wirtschaft erlebt, weil nicht nur die Küste etwas gemacht hat, sondern weil wir insgesamt zusammengearbeitet haben. ({8}) Ich möchte auf das, was wir brauchen, zurückkommen: ein europäisches Konzept. ({9}) Wir brauchen einen europäischen Werftenverbund und eine europäische Zusammenarbeit der Hafenstädte. Wir brauchen eine europäische Kooperation der Aktiven in der Seehandelspolitik. Wir brauchen eine europäische Ausrichtung. Wir haben die EU-Ratspräsidentschaft inne und müssen deshalb auf Nachhaltigkeit setzen. Das ist der richtige Weg, weil wir damit einen Maßstab entwickeln, dem sich alle unterordnen müssen. Das, was für die EU gilt, gilt auch für die G-8-Nationen. Wir brauchen weltweit akzeptierte Standards, dann sind wir auch in Zukunft wettbewerbsfähig. Dann können wir uns bei fairen Wettbewerbsbedingungen durchsetzen. Dann haben die 400 000 Beschäftigten in diesem Bereich auch eine Perspektive. Wir müssen aber Tempo machen. Es genügt nicht, in der EU einen Kommissar zu bestimmen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Börnsen, kommen Sie bitte zum Schluss.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das Entscheidende dieses Ansatzes ist: Es muss mit Nachdruck daran gearbeitet werden und dafür gesorgt werden, dass wir mit dieser Nachhaltigkeit und diesem Tempo die Zukunft der Maritimwirtschaft bestimmen. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt spricht der Kollege Martin Burkert von der SPD-Fraktion.

Martin Burkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003744, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Heilmann, hören Sie jetzt gut zu, ich werde einmal etwas zu den wirklich guten Umweltaspekten in diesem Antrag sagen. Das Meer ist ein Wirtschaftsraum mit großen Perspektiven und Chancen, die es zu nutzen gilt. Dafür stellen wir in dem vorliegenden Antrag der Koalition wichtige Weichen. Aus umweltpolitischer Sicht ist für mich und für meine Fraktion entscheidend: Der Lebensraum Meer ist das größte zusammenhängende Ökosystem der Erde, dessen Funktionen wir schützen und erhalten müssen. Den obersten Stellenwert bei der wirtschaftlichen Nutzung des Meeres muss somit die Nachhaltigkeit haben. Dies haben wir als Prinzip in dem vorliegenden Antrag durchgängig verankert. Ökologische, wirtschaftliche und auch soziale Aspekte müssen bei der künftigen Nutzung und Erforschung des Lebensraums Meer - dazu zählen auch Küsten und Häfen - gleichberechtigt zum Tragen kommen. Ein wichtiger Erfolg: Wir bekennen uns dazu, dass der Ausbau von Elbe und Weser nicht - wie vielfach gefordert - über die bisherigen Planungen hinaus fortgesetzt wird. Die Vertiefungen der Fahrrinnen haben bereits schwere ökologische Belastungen mit sich gebracht und zu gravierenden Veränderungen in der Landschaft geführt. ({0}) Flachwasserzonen und Auwälder wurden vernichtet, lieber Herr Kollege, nicht nur mit Folgen für die Artenvielfalt. Auch die Menschen, die im Einzugsbereich der ausgebaggerten Flüsse leben, sind von Hochwasser und Überschwemmungen viel mehr als früher bedroht, weil die natürlichen Rückhaltebecken in Form von Freiflächen fehlen. Wir stehen aber zu unserem Wort, den Verkehrsträger Binnenschifffahrt zu stärken, indem wir eine verlässliche Schiffbarkeit von Elbe und Weser gemäß dem Vertrag zwischen Bundesumwelt- und Bundesverkehrsministerium aus dem Jahr 2005 gewährleisten. Die Förderung der Schifffahrt ist ein wichtiges Anliegen der Umweltpolitik; denn das Schiff ist - ähnlich wie die Eisenbahn - ein Transport- und Verkehrsmittel, das das Klima schont. Moderne Schiffe zeichnen sich nicht nur durch hohe Energieeffizienz aus; sie stoßen auch vergleichsweise geringe Mengen von Luftschadstoffen und CO2 aus. Die Einhaltung hoher Umweltstandards schon beim Bau von Schiffen - heute öfter erwähnt wollen wir deshalb gesetzlich regeln. Dies wird die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Schiffsbauer mit ihren anerkannt hohen Qualitätsstandards und ihre Marktposition international - in Europa und auf der Welt - stärken. Gleichzeitig minimieren wir das Risiko verheerender Umweltkatastrophen. Ich denke dabei zuerst immer an Tankerunglücke. Ein sehr wichtiges Arbeitsfeld im Schnittpunkt von wirtschaftlicher Nutzung des Meeres und ökologischer Energieerzeugung ist die Förderung bzw. der Ausbau von Offshore-Windanlagen. Mit dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz ist es uns bereits gelungen, die Rahmenbedingungen und damit die Wirtschaftlichkeit im Bereich des notwendigen Netzausbaus zu verbessern. Die Netzbetreiber müssen die von ihnen eingegangene Selbstverpflichtung zum Ausbau des vordringlichen Bedarfs nun zeitnah umsetzen. Dies alleine reicht aber bei weitem nicht, um den Ausbau der Offshore-Anlagen wirkungsvoll zu fördern. Auf die zwingende Notwendigkeit dieses Ausbaus brauche ich vor dem Hintergrund des uns alle betref8570 fenden Klimawandels sicherlich nicht gesondert einzugehen. Zum Schluss möchte ich Folgendes anmerken. Wir brauchen eine Regelung, die die Einspeisungsvergütungen und -fristen im Erneuerbare-Energien-Gesetz so anpasst, dass Offshore-Anlagen den substanziellen Beitrag leisten können, der nötig ist, um unsere Ziele bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zu erreichen. Daran halte ich und daran hält die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag fest. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/4423 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 16/4457 zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Umweltfreundliche Stromversorgung von Schiffen in Häfen unterstützen“. Der Ausschuss emp- fiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/2791 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen- stimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegen- stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke angenom- men. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 d auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) zu dem Antrag der Abge- ordneten Hans-Kurt Hill, Eva Bulling-Schröter, Lutz Heilmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Strom- und Gasnetze in die öffentliche Hand - Drucksachen 16/2678, 16/3357 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Joachim Pfeiffer b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({1}) zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr. Herbert Schui, Hans-Kurt Hill, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Regelmäßige technische Überprüfung der Stromnetze - Drucksachen 16/1447, 16/3249 - Berichterstattung: Abgeordneter Matthias Berninger c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun Kopp, Martin Zeil, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Mehr Wettbewerb für die deutschen und europäischen Energiemärkte - Europäischen Impuls aufnehmen - Drucksache 16/4187 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel Höhn, Dr. Thea Dückert, Hans-Josef Fell, Kerstin Andreae und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Wettbewerb auf den Energiemärkten stärken, eigentumsrechtliche Entflechtung der Transportnetze umsetzen und Möglichkeiten zur Entflechtung bei marktbeherrschenden Stellungen schaffen - Drucksache 16/4557 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({3}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer von der CDU/CSU-Fraktion. ({4})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir setzen die Aussprache vom letzten Donnerstag zum Thema „ordnungspolitischer Kompass“ heute nahtlos fort. Es geht um die Grundsatzfrage: Wie wollen wir die Energieversorgung in Deutschland - die Stromversorgung und die Gasversorgung - im europäischen Kontext sicherstellen? Die Grundsatzfrage lautet: Beschreiten wir den Weg des Marktes, oder beschreiten wir den Weg einer staatlichen Planwirtschaft? Die Linke fordert mit ihrem Antrag die Vergesellschaftung der Netze. Das ist nicht der Weg der Union und sicher auch nicht der Weg der Bundesregierung. Der Weg, den wir im neunten Jahr der Liberalisierung - sie begann 1998 - gehen, ist ein grundsätzlich anderer: Wir sagen, dass der Staat die Rahmenbedingungen setzen muss, die dann von den Marktteilnehmern auszufüllen sind. Wir wollen einen sukzessiven Rückzug der staatlichen Aktivitäten aus diesem Bereich, wenn denn der Wettbewerb sich in allen Bereichen so entwickelt, wie wir uns das vorstellen. Darüber besteht in diesem Hause erfreulicherweise relativ großes Einvernehmen: Auch die Anträge der FDP und der Grünen gehen, was Markt und Wettbewerb anbelangt, ordnungspolitisch in die gleiche - aus meiner Sicht: richtige - Richtung. Gleichwohl ist die Situation heute, im Jahre 2007, so, dass der Wettbewerb in den beiden grundlegenden Bereichen, die wir haben - beim Gas und beim Strom -, wegen des natürlichen Monopols der Netze noch nicht in dem Umfange und in der Intensität funktioniert, wie wir es brauchen und wie wir es uns wünschen. Nach anfänglich eher zögerlichem Vorankommen sind wir im Bereich der Netze allerdings auf dem richtigen Weg. Mit der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes, die 2005 ebenfalls in großem Einvernehmen erfolgt ist, haben wir, denke ich, endlich die richtigen Instrumente gefunden, damit der Wettbewerb im Bereich des natürlichen Monopols der Netze in Gang kommt. Zunehmend treten neue Wettbewerber in den Markt ein, was sich auch preislich auswirkt. Die Bundesnetzagentur, die hier gute Arbeit leistet, hat erst unlängst festgestellt: Wir haben aktuell 2,8 Milliarden Euro an nicht genehmigten Entgelten. Damit stehen Netzentgeltsenkungen an, die direkt der Wirtschaft und auch dem Verbraucher zugutekommen. Des Weiteren sind wir in diesem Bereich mit der Ausgestaltung der Anreizregulierung - ich werde dazu gleich noch etwas sagen - und auch bei der Netzanschlussverordnung auf dem richtigen Weg. Das heißt, dass ein Eingriff in das Eigentum, über den auf europäischer Ebene zum Teil diskutiert wird, zum jetzigen Zeitpunkt auf jeden Fall nicht das richtige Mittel wäre. Wir befinden uns in einem Prozess, durch den der Wettbewerb implementiert wird. Seine positiven Folgen werden bereits deutlich. Ein Eingriff in das Eigentum kann nur das letzte Mittel sein, das dann angewandt werden muss, wenn keine anderen Maßnahmen greifen. Allerdings zeigen die Schritte, die unternommen worden sind, mittlerweile Wirkung, sowohl in der gegenwärtigen Übergangsphase als auch im Rahmen der Anreizregulierung. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Netznutzungsentgelte durch die Anreizregulierung nicht nur stabil zu halten, sondern auch dafür zu sorgen, dass sie dauerhaft gesenkt werden. Durch die Anreizregulierung, die von der Bundesregierung nach Zustimmung des Bundesrates im Rahmen einer Verordnung auf den Weg gebracht wird, wird der mehrjährige Prozess eines Erlöspfads nach unten vorgezeichnet. Derzeit liegen die Netznutzungsentgelte im Strombereich in einer Größenordnung von mehr als 23 Milliarden Euro pro Jahr. Die Anreizregulierung wird dazu führen - das ist die einmütige Bewertung von Politik und Wirtschaft -, dass die Netznutzungsentgelte auf jährlich 17 bis 18 Milliarden Euro gesenkt werden können. In einem Zeitraum von fünf bis sieben Jahren werden wir es schaffen, nicht nur keinen Anstieg der Entgelte verzeichnen zu müssen, sondern sogar auf eine Entlastung in Höhe von etwa 5 Milliarden Euro pro Jahr verweisen zu können, die allen zugute kommt. Im eigentlichen Wettbewerbsbereich, in dem wir schon im Jahre 1998 tätig geworden sind, konnten anfänglich durchaus positive Effekte erzielt werden, die bis heute Bestand haben. Der Liberalisierungs- und Rationalisierungseffekt, der in diesem Wettbewerbsbereich seit 1998 eingetreten ist, hat einen Umfang von jährlich ungefähr 8,5 Milliarden Euro. Hier herrscht zwar Wettbewerb, aber die Wettbewerbsstruktur und vor allem die Zahl der Wettbewerber sind noch unbefriedigend. Es ist nach wie vor so, dass - je nach Schätzung bzw. Berechnung - 80 bis 90 Prozent der Stromerzeugung in den Händen der vier großen Unternehmen liegen. Wir versuchen, auch hier Fortschritte zu erzielen und die Wettbewerbsbedingungen zu verbessern, und zwar durch eine Verbesserung des Angebots, zum Beispiel im Hinblick auf die Netzanschlussverordnung, die Netzausbauten oder die Verbindung der Kuppelstellen im Stromund Gasbereich mit anderen europäischen Ländern. ({0}) In diesem Bereich werden wir in das Marktgeschehen eingreifen müssen. Wir werden das Kartellrecht temporär verschärfen müssen, um Möglichkeiten dafür zu schaffen, dass sich der Wettbewerb auf diesem Gebiet weiterhin dynamisch entwickeln kann. ({1}) Auch hier gilt: Der Eingriff in die Marktstruktur kann nur Ultima Ratio sein. Das sage ich, weil manche der Vorschläge, die gemacht werden, quasi in eigentumsrechtliche Eingriffe münden. Das ist sicherlich nicht unser Ziel. Wir haben eindeutig einen marktwirtschaftlichen Weg beschritten. Dieser Weg ist richtig. Angesichts des heutigen EU-Gipfeltreffens möchte ich diese Gelegenheit nutzen, einige Aspekte der Energiepolitik, die vielleicht noch nicht allen ganz klar sind, etwas näher zu beleuchten. Die Energiepolitik wird zukünftig mehr denn je europäisch geprägt sein. Wenn wir es ernst damit meinen, einen europäischen Binnenmarkt für Energie, also für Strom und Gas, zu schaffen, dann werden wir manche Instrumente, die heute noch rein national ausgerichtet sind, anpassen müssen. Das würde bedeuten, dass der Verbraucher in Zukunft frei wählen kann - das gilt sowohl für Haushalts- als auch für Industriekunden -, von wo er seine Energie bezieht, welche Art von Energie er bezieht und zu welchem Preis er sie bezieht, wie er es bereits heute bei anderen Waren und Dienstleistungen tut. Das wird natürlich Auswirkungen haben, an die wir in der laufenden Klimadebatte noch gar nicht denken. Es gibt zum Beispiel eine europäische Verpflichtung zur Reduktion des Ausstoßes von CO2, die wir mit dem Instrument des Emissionshandels erreichen wollen. Zukünftig wird aber der Stromexport zunehmen. Deutschland ist bislang ein kleiner Stromexporteur. Der Strom, der in Deutschland verbraucht wird, wird nominal auch hier erzeugt. Auf einem europäischen Energiemarkt wird das nicht mehr zwingend der Fall sein. Italien bezieht bereits 30 Prozent seines Stroms aus Frankreich. Das hat auf den Klimaschutz und den Emissionshandel nur deshalb keine Auswirkungen und führt nicht zu Verschiebungen bei den Budgets, weil dieser Strom weitestgehend aus französischen Kernkraftwerken kommt. Wenn dieser Strom aus deutscher Braunkohle oder Steinkohle produziert und in stärkerem Maße exportiert werden würde, dann wären der Emissionshandel und unsere heutigen nationalen Ziele im europäischen Kontext nicht mehr haltbar. Ich möchte nur auf bestimmte Entwicklungen aufmerksam machen. Wenn wir Ja zu einem europäischen Binnenmarkt für Energie sagen, dann erfordert das in vielen Bereichen unserer Politikgestaltung andere Lösungsansätze. Dann dürfen wir die Dinge nicht länger rein national betrachten. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Pfeiffer, kommen Sie zum Schluss.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Die Richtung stimmt. Wir sind auf dem richtigen Weg, wenngleich steinige Wegstrecken und mancher Hügel noch vor uns liegen, bis wir einen europäischen Binnenmarkt für Energie geschaffen haben. Aber das ist des Schweißes der Edlen wert, auch in diesem Hause. Mithilfe der vorhandenen Instrumente - diese müssen wir weiterhin justieren - werden wir in absehbarer Zeit den europäischen Binnenmarkt für Energie im Interesse von Wirtschaft und Verbrauchern zum Leben erwecken. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Gudrun Kopp von der FDP-Fraktion. ({0})

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Uns liegt eine ganze Bandbreite von Anträgen vor, die Vorschläge zur Stärkung des Wettbewerbs enthalten. Die einen Antragsteller haben die Verstaatlichung zum Ziel. Die anderen schlagen eine eigentumsrechtliche Entflechtung vor, was auf eine Enteignung hinausläuft. Wiederum andere gehen den Mittelweg. Wir, die FDPBundestagsfraktion, legen Ihnen einen Antrag vor, in dem wir unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten eine Wettbewerbsstärkung beschreiben. Man kann nicht bestreiten, dass eine eigentumsrechtliche Entflechtung, also die Trennung von Produktion und Netzen, rein ordnungspolitisch gesehen auf dem Reißbrett geboten wäre, gar keine Frage. In letzter Konsequenz sind wir Liberale dafür offen. Wenn gar nichts hilft, Wettbewerb auf dem Energiemarkt herzustellen, müssen wir dieses Instrument anwenden. Es stellt sich allerdings die Frage, inwieweit wir unsere Arbeit ernst nehmen. Wollen wir nur darauf warten und evaluieren, ob und auf welche Weise die vorhandenen Instrumente - davon gibt es einige - tatsächlich wirken? Wir sollten sehr genau darüber nachdenken, ob es bereits zum jetzigen Zeitpunkt notwendig und richtig ist, das Instrument des eigentumsrechtlichen Unbundlings anzuwenden, was einer Enteignung gleichkäme. Ich möchte in diesem Zusammenhang den Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio zitieren: „Eigentum verpflichtet, aber nicht zur Aufopferung ({0}).“ Wir hätten wahrscheinlich Klagen zu erwarten, die sich zudem über einen längeren Zeitraum hinziehen würden. Der Ausgang der Klagen wäre ungewiss. In einer solchen Phase der rechtlichen Unsicherheit würde sicherlich niemand in die Netze investieren. Insofern müssen wir uns das sehr genau überlegen. Wir stehen, wie gesagt, einer solchen Lösung aufgeschlossen gegenüber, aber sie steht für uns am Ende des Weges. Wir sind noch nicht den ganzen Weg gegangen und haben die Erfordernisse noch nicht ausreichend ermittelt. Wichtiger als die Frage der Entflechtung ist aber, inwieweit die Regulierung konsequent durchgeführt wird. Denn wir müssen eines bedenken: Unabhängig davon, wer Eigentümer der Netze ist, haben die Netzbetreiber ein natürliches Monopol, das reguliert werden muss, um einen diskriminierungsfreien Netzzugang zu gewährleisten. In den letzten Tagen wurde in den Medien über sogenannte Zwischenlösungen berichtet. Einige Energieversorger haben vorgeschlagen, dass sich regionale Netzbetreiber verschiedener Länder zu einer Gemeinschaft zusammenschließen und ihre Übertragungsnetze bündeln. Das mag zwar hilfreich sein, aber es bleibt Makulatur, wenn sich die Betreiber nicht zu einer unabhängigen Gesellschaft zusammenschließen. Insofern muss man darauf achten, dass dies keine Mogelpackung wird. Die Frage ist, wie wir neue Impulse schaffen können, um den Wettbewerb zu fördern. Ich möchte in diesem Zusammenhang feststellen, dass Minister Glos und die gesamte Bundesregierung dringend tätig werden müssen. Wir vermissen vonseiten der Bundesregierung ein energiepolitisches Gesamtkonzept, wie wir es bereits vorgelegt haben. Auf gar keinen Fall sollte die Tarifaufsicht für Strompreise verlängert werden. Das wäre kontraproduktiv und würde den Marktzugang für Wettbewerber versperren, statt ihn zu öffnen. Wir brauchen des Weiteren dringend - ohne weitere Verzögerungen - die angekündigte Kraftwerksanschlussverordnung sowie die Verordnung zur Einführung der Anreizregulierung ab 2008. Wir sollten zudem - auch dafür haben wir uns in unserem Antrag ausgesprochen - das Bundeskartellamt bei einer effektiven Missbrauchsaufsicht unterstützen. Wir müssen dem Bundeskartellamt dafür die notwendigen Instrumente zur Verfügung stellen. Des Weiteren sind Impulse für den Ausbau von Grenzkuppelstellen zum Transport von Strom notwendig. Auch dazu liegt dem Hohen Haus eine entsprechende Forderung in unserem Antrag vor. ({1}) Ich komme zum letzten Punkt, einem Appell an die Bundesregierung und die sie tragenden Regierungsfraktionen: Lassen Sie den Wettbewerb über den künftigen Energiemix offen! Geben Sie keine Technologien vor, sondern öffnen Sie die Türen auch in diesem Punkt für den Wettbewerb und die effizientesten Lösungen für die Verbraucher und zum Wohle des Umweltschutzes! Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Rolf Hempelmann von der SPD-Fraktion.

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Energiepolitik steht offensichtlich ganz oben auf der nationalen wie auch auf der internationalen Tagesordnung. Heute und morgen beschäftigt sich der EU-Frühjahrsgipfel mit Energiefragen. Schon in der letzten Woche hat sich der Deutsche Bundestag mit dem Thema Energie befasst, insbesondere mit Anträgen der Opposition dazu. Heute liegen erneut vier Anträge aus den Reihen der Opposition vor. Zwei davon, die Anträge der Linken, haben wir schon einmal im Plenum erörtert und sie auch in den Ausschüssen beraten und abgelehnt. Ich denke, dass das auch das Ergebnis der heutigen Debatte sein wird. ({0}) Die Linken sorgen sich - das geht aus Ihren Anträgen hervor - um die Zuverlässigkeit der Netze und fordern eine regelmäßige technische Überprüfung. ({1}) Damit wird suggeriert, dass die Bundesregierung bisher auf diesem Gebiet untätig gewesen ist. Das muss ich mit Abscheu und Empörung zurückweisen. Der Gesetzgeber hat schon gehandelt, als die Linke zumindest formell noch gar nicht existierte. Der Gesetzgeber hat in Form aller ansonsten hier im Bundestag vertretenen vier Fraktionen durch ein rotgrünes Gesetz, dass hier im Bundestag verabschiedet worden ist, gehandelt. Letztlich hat er ein Energiewirtschaftsgesetz verabschiedet, das auch im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat bestätigt worden ist. Mit diesem Energiewirtschaftsgesetz haben wir eine Bundesnetzagentur geschaffen, die ausdrücklich und von Anfang an den Auftrag hatte, nicht nur auf effizienten Netzbetrieb, sondern auch auf Netzqualität zu achten. ({2}) Dazu sind zum Beispiel die Übertragungsnetzbetreiber verpflichtet, alle zwei Jahre einen Bericht über Netzzustand und Netzausbauplanung zu geben. Jährlich müssen sie eine Schwachstellenanalyse zur Vermeidung schwerwiegender Versorgungsstörungen erarbeiten, gegebenenfalls auch Gegenmaßnahmen einleiten. Ähnliche Voraussetzungen müssen auch die Verteilnetzbetreiber erfüllen. Sie müssen außerdem jegliche Versorgungsunterbrechung an die Bundesnetzagentur melden. Diese kann dann Aufsichtsmaßnahmen treffen. Ihr stehen dazu erhebliche weitere Auskunftsrechte zu. Das zeigt schon, dass entsprechend Vorsorge getroffen worden ist. Es soll vorkommen, dass es trotzdem zu Netzunterbrechungen kommt. So geschehen zum Beispiel im letzten Jahr. In einem solchen Fall hat die Bundesnetzagentur wiederum ganz erhebliche Befugnisse. In einem Abschlussbericht hat sie deutlich gemacht, welche Ursachen sie für solche Netzunterbrechungen gesehen hat. In dem einen Fall war es beispielsweise menschliches Versagen. Sie hat aus der Erfahrung solcher Unterbrechungen wiederum Schlussfolgerungen gezogen und von den Netzbetreibern verlangt, eine automatische Überprüfung der sogenannten ({3})-Sicherheit sicherzustellen. Das heißt, die Unternehmen müssen die Netze so betreiben, dass die Sicherheit auch gewährleistet ist, wenn ein Betriebsmittel ausfällt. Ich denke, hiermit ist ganz deutlich gemacht, dass der Qualitätsaspekt schon im bisherigen gesetzgeberischen Handeln eine erhebliche Rolle gespielt hat. Das Gleiche soll für die Anreizregulierung gelten. Auch hier hat der Gesetzgeber schon in den Rahmenbedingungen für die Anreizregulierung deutlich gemacht, dass er sowohl eine Effizienz- als auch eine Qualitätsregulierung erwartet. Deswegen sind wir auch gespannt darauf, wie letztendlich die Verordnung zur Anreizregulierung ausgestaltet sein wird. Eben hat Herr Dr. Pfeiffer deutlich gemacht, dass er Spielräume in Höhe von 5 Milliarden Euro zur Senkung von Netzentgelten sieht. Ich sage ganz deutlich, dass ich dieses Vorurteil nicht teile. Es ist ein Urteil, das sozusagen vor der Zeit - das meine ich mit Vorurteil - getroffen worden ist. Wir werden sehen, wie viel Spielraum es gibt, wenn man gleichzeitig eine mindestens gleichbleibende, vielleicht sogar eine ansteigende Netzqualität zum Ziel hat. Die Linken wollen die Verstaatlichung der Netze. ({4}) Dazu ist schon einiges gesagt worden. Ich mache ausdrücklich darauf aufmerksam, dass es gewisse Erfahrungen aus der Vergangenheit mit der Verstaatlichung solcher Bereiche gibt, die nicht unbedingt für ein solches Plädoyer sprechen. ({5}) Deswegen werden wir uns diesem Petitum, wie Sie wahrscheinlich erwartet haben, nicht anschließen. Die Grünen möchten die eigentumsrechtliche Entflechtung. Ich sehe da nicht nur verfassungsmäßige Bedenken, die teilweise von der FDP angeführt worden sind, sondern ich glaube auch, dass das Ganze am Ende nicht zielführend sein würde. Ich glaube aber, dass das Modell des sogenannten Independent Service Operators prüfenswert ist. Das spielt auch in den Überlegungen der Europäischen Kommission eine Rolle. Das scheint mir auch der Hintergrund für den Vorschlag zu sein, der jetzt aus dem Bereich europäischer Netzbetreiber gekommen ist. Ich sage prüfen, ich sage nicht, dass das das Ei des Kolumbus ist. Aber wenn das schon von der Unternehmensseite und aus dem Bereich der Europäischen Kommission kommt, dann verdient das jedenfalls eine intensive Prüfung. Wenn das handhabbar wäre, hätte das den Charme einer länderübergreifenden Lösung, die auch das Zusammenwachsen regionaler Märkte ermöglichen, vielleicht sogar befördern würde. Wir sind gegen Zwangsverkauf sowohl der Netze als auch von Erzeugungskapazitäten. Das ist eine Forderung, die auf Länderebene erhoben wird, zum Beispiel von dem ansonsten sehr schönen Bundesland Hessen. Wir sind im Gegenteil dafür, dass wir versuchen sollten, alle Elemente, die Wettbewerb befördern können, tatsächlich zu unterstützen. Die Bundesregierung hat auch dazu bereits einiges deutlich gesagt. Sie wendet sich zum Beispiel gegen eine Verlängerung der staatlichen Tarifpreisaufsicht. Dieser Vorschlag ist allerdings aus einem anderen Bundesland gekommen, wenn auch von einem Mitglied der gleichen Partei. Wir wünschen uns eine marktkonforme GWBNovelle. Ich glaube, das macht deutlich, dass wir noch ein bisschen Gesprächsbedarf haben. Ich habe schon in der letzten Woche gesagt: Wir werden eine gemeinsame Lösung finden, die das Bundeskartellamt nicht nur personell, sondern auch in der Sache stärkt und ihm die Möglichkeit gibt, den eventuellen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung festzustellen und zu sanktionieren. Wir brauchen dringend - ich glaube, das ist in diesem Kontext vielleicht sogar der wichtigste Bestandteil - die Kraftwerksanschlussverordnung - auch das war hier schon Thema -, weil es vor allen Dingen um die Vermehrung von Liquidität auf dem Strommarkt geht und sicherlich auch um die Erhöhung der Anzahl von Anbietern in diesem Bereich. Das können wir über eine klug ausgestaltete Kraftwerksanschlussverordnung organisieren. Es geht nicht nur um den unmittelbaren Anschluss, sondern auch um das Engpassmanagement, und es geht darum, wie man zusammen mit einer Kraftwerksanschlussverordnung und einer Anreizregulierung dafür sorgen kann, dass Engpässe beseitigt werden, dass der Netzausbau also so abläuft, dass die Kraftwerke, die ans Netz gehen, dem Endverbraucher möglichst kurzfristig 100 Prozent der produzierten Strommenge zukommen lassen können. Man sieht also: Die Sorgen der Opposition sind eher unbegründet. Die Dinge sind bei uns schon weit fortgeschritten und in guten Händen. Ich fürchte, dass die beiden nächsten Redner meine Auffassung trotzdem nicht zu 100 Prozent teilen werden. ({6}) Aber auch Teilzustimmung würde mich natürlich sehr freuen. In diesem Sinne bitte ich Sie, uns bei unserer Arbeit zu unterstützen. Ohne dass wir jetzt zu viel Lob erwarten: Machen Sie sich selber ein bisschen glaubwürdig, indem Sie das Positive unserer Arbeit hervorheben. Dann sind wir auf einem guten, gemeinsamen Weg. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulla Lötzer von der Fraktion Die Linke. ({0})

Ursula Lötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003174, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Mittlerweile weiß in Europa jeder - außer den Energiekonzernen selbst -, dass RWE und Co ihre Marktmacht missbrauchen. Selbst die Deutsche Bank ist mit uns der Überzeugung, dass „eine vollständige Trennung der Stromerzeugung von den Netzen“ ideal wäre. ({0}) Denn: Bis dato ermöglichen die Leitungsmonopole den Stromkonzernen, die Konkurrenten klein- und die Preise hochzuhalten. Trotz Ihrer Vorsorge, Kollege Hempelmann, haben die Energieversorger letztes Jahr mit Netzentgelten 23 Milliarden Euro eingenommen, aber nur 2,5 Milliarden Euro investiert. Da stellt sich auch der Bürgerin und dem Bürger beim Blick auf die Stromrechnung die Frage: Was ist mit dem Rest passiert? Die Antwort ist einfach: Man hat nicht investiert, sondern man hat es für hohe Managementgehälter, Dividenden oder die EndesaÜbernahme ausgegeben, um seine Monopolmacht auszuweiten. Die Stromausfälle 2005 und 2006 haben gezeigt, dass mangelnde Investitionen die Sicherheit der Energienetze immer noch gefährden. Kollege Hempelmann, wenn Sie nicht sehen, dass Sie trotz des beschlossenen Maßnahmepakets mehr tun müssen, dann sitzen wir bald öfter im Dunkeln, als uns allen lieb ist. ({1}) Die Energieriesen nutzen ihr Monopol auch zu einer Energiepolitik gegen den Klimawandel. Es ist doch absurd, dass Windanlagen an der Küste abgeschaltet werden müssen, wenn viel Wind bläst, weil die Netze für die Strommenge nicht ausreichen. Der dringend erforderliche Netzausbau für erneuerbare Energien wird aber unterlassen. Insofern ist es dreist, wenn RWE nötige Investitionen unter den Vorbehalt stellt, dass beim Klimaschutz Abstriche gemacht werden. Deshalb begrüßen wir, dass die EU-Kommission eine Debatte über die Entflechtung von Netzen und Stromerzeugung begonnen hat. Dass die Energiekonzerne drohen, auch darauf mit einem Investitionsstopp zu reagieren, bestätigt nur eines: dass ihre Monopolstellung tatsächlich beendet werden muss. ({2}) Ja, Kollegin Kopp, das Angebot der Energieriesen von dieser Woche ist eine Mogelpackung. Eine Netzgesellschaft gemeinsam mit Frankreich und den Beneluxstaaten, bei der ihr Eigentum erhalten bleibt, schränkt ihre Macht nicht ein; im Gegenteil: Es würde ihr Monopol auf die gesamte europäische Region ausweiten. Das halten wir für nicht hinnehmbar. Handeln ist über die bisherigen Vorschläge hinaus gefragt, doch die Bundesregierung nutzt ihre Ratspräsidentschaft zur Blockade einer Entflechtung. Mit Ihren Maßnahmen, Kollege Pfeiffer und Kollege Hempelmann, lassen Sie sich von den Energiekonzernen am Nasenring durch die Arena führen. Wir freuen uns, dass die Deutsche Bank mit uns die Forderung erhebt, die Energiekonzerne zu zerschlagen. ({3}) Mit ihr teilen wir die Auffassung, dass der Eingriff in die Eigentumsrechte in diesem Fall legitim und verfassungsgemäß ist. Wie tief sind Sie gesunken, Kollege Wend, wenn die Deutsche Bank zur Herstellung von Verfassungsmäßigkeit schon die Linke als Bündnispartner braucht? ({4}) Völlig zu Recht stellt die Deutsche Bank fest, dass die Energieriesen die hohen Gewinne und ihr Kapital unrechtmäßig mit Monopolrenditen erwirtschaftet haben. Damit haben sie ihre Entschädigung für die Enteignung eigentlich schon vorab kassiert, und der Weg ist frei, die Netze in die öffentliche Hand zu überführen; ({5}) denn es geht nicht darum, sie zum Spekulationsobjekt für andere Private zu machen, indem man sie ihnen zum Kauf anbietet, erst recht nicht für Private-Equity-Fonds; das wäre tatsächlich keine Alternative. In anderen europäischen Staaten - Finnland, Dänemark, Griechenland - ist man diesen Weg längst gegangen und sind die Netze in öffentlicher Hand. ({6}) Erst 2005 haben die Niederlande das Gasunternehmen Gasunie aufgespalten und die Gasnetze komplett in die öffentliche Hand überführt. ({7}) Versorgungssicherheit, die Verhinderung von preislichem Missbrauch und der Klimawandel erfordern europaweit eine Entflechtung, aber auch die Überführung der Netze in die öffentliche Hand, wie wir es in unserem Antrag dargelegt haben. Die Bundesregierung fordern wir auf, bei der Ratssitzung ihre Blockadehaltung endlich aufzugeben. Danke. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Bärbel Höhn vom Bündnis 90/Die Grünen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vier große Konzerne haben den Strommarkt in Deutschland aufgeteilt. Das sind Eon, RWE, Vattenfall und EnBW. Sie kontrollieren 90 Prozent der Stromproduktion und 100 Prozent der großen Transportnetze in Deutschland. Das heißt: fehlender Wettbewerb. Dieser fehlende Wettbewerb schadet den Verbrauchern, belastet die Wirtschaft und behindert den Klimaschutz. Und das ist nicht gut. ({0}) Deshalb brauchen wir dringend eine Politik, die für mehr Wettbewerb sorgt. Insofern hat sich die Bundesregierung bisher nicht sehr hervorgetan. Ich erinnere nur an einen Termin im Juni letzten Jahres. Da haben sich die Netzregulierer getroffen und eigentlich ein gutes Ergebnis erzielt. 24 Mitgliedstaaten haben sich für eine Trennung von Stromnetz und Stromproduktion eingesetzt. Ein Land hat dagegen gestimmt. Wie hieß dieses Land? Es war - das ist vielleicht wichtig zu wissen Deutschland. Deutschland hat blockiert. Deutschland hat genau diese Trennung blockiert. Das ist nicht gut. Dadurch ist kein Wettbewerb vorhanden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Höhn, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kopp?

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber bitte, Frau Kopp.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Frau Kopp.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke schön. - Frau Höhn, Sie haben eben zu Recht die große Konzentration auf dem Energiemarkt in Deutschland beklagt. Sind Sie bereit, selbstkritisch festzustellen, ({0}) dass zu Zeiten der Regierung von Rot-Grün Ihre Fraktion daran beteiligt war, dass beispielsweise der Zusammenschluss von Eon und Ruhrgas zu einer weiteren Konzentration beigetragen hat, die Sie heute beklagen?

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Frau Kopp, der erste Punkt ist: Die Möglichkeiten und Instrumente, die die EU der rot-grünen Bundesregierung zur Entflechtung an die Hand gegeben hatte, waren erst 2003 - das wissen Sie auch - richtig wirkungsvoll. Die Maßnahmen, die Ende des letzten Jahrtausends haben getroffen werden können, waren leider noch nicht optimal. Der zweite Punkt. Ich finde es immer problematisch, wenn nach einer Ministerentscheidung ({0}) der zuständige Staatssekretär in den betreffenden Bereich wechselt, wie wir das gerade bei Ruhrgas erlebt haben. Das habe ich nie gutgeheißen. Ich glaube, das kann man auch nicht gutheißen. Wir müssen für mehr Wettbewerb sorgen, damit so etwas in Zukunft nicht mehr passiert, liebe Frau Kopp. ({1}) Wie schwierig die Situation ist, die sich daraus ergibt, dass kein Wettbewerb besteht, will ich an drei Punkten deutlich machen, über die heute in den Zeitungen zu lesen ist und die alle dieselbe Wurzel haben: In den Zeitungen heißt es heute - diese erste Meldung ist sozusagen ein Lobbyerfolg von RWE und Vattenfall -, die Union wolle Braunkohlekraftwerke in der Klimadebatte schützen. Das, meine Damen und Herren von der Union, ist ein schwerwiegender Fehler. Die Bundeskanzlerin kann sich nicht in Brüssel hinstellen und sagen, dass sie etwas für den Klimaschutz tun will und dass sie dabei ehrgeizige Ziele hat, wenn Sie gleichzeitig die Kraftwerke, die den größten CO2-Ausstoß und die niedrigste Effizienz haben, schützen wollen. Wenn wir die Braunkohlekraftwerke, die wir haben, durch neue ersetzen, werden wir die ehrgeizigen Klimaschutzziele in Deutschland nie erreichen, da können wir noch so lange über Glühlampen und autofreie Sonntage reden. ({2}) Der zweite Punkt - das ist ein genauso schwieriger Punkt - bezieht sich auf die gestiegenen Gewinne von Eon. Die Gewinne von Eon sind im letzten Jahr um 20 Prozent auf 4,4 Milliarden Euro gestiegen - eine gigantische Summe -, und das durch ungerechtfertigte Preiserhöhungen. Solche Gewinne und solche ungerechtfertigten Preiserhöhungen kann man nur in einer solchen Situation wie der jetzigen erreichen, nämlich ohne Wettbewerb. Die Energieunternehmen belasten die Wirtschaft und die Verbraucher momentan mit ungefähr 5 Milliarden Euro jährlich, indem sie den Preis für die Emissionszertifikate, die ihnen die Bundesregierung geschenkt hat, umlegen. ({3}) Ein Geschenk, für das sie nichts bezahlt haben, können sie nur deshalb auf den Preis aufschlagen, weil es keinen Wettbewerb gibt. Deshalb ist es falsch, diesen Weg weiterzugehen. Wir müssen zu mehr Wettbewerb kommen. ({4}) Der dritte Punkt, der die Sache nur noch schlimmer macht, ist, dass durch die Milliardengewinne, die hier eingestrichen werden, weitere Unternehmen aufgekauft werden - ich erinnere nur an die Pläne von Eon zur Übernahme von Endesa -; denn dadurch wird die marktbeherrschende Struktur, die wir jetzt in Deutschland haben, auf Europa ausgedehnt. Damit werden die Missstände noch verstärkt. Deshalb sagen wir in unserem Antrag: Wir wollen die marktbeherrschende Stellung der Energiekonzerne aufbrechen. Dazu machen wir zwei Vorschläge: erstens Enteignung der Transportnetze der großen Energiekonzerne und zweitens kartellrechtliche Entflechtung der marktbeherrschenden Unternehmen nach amerikanischem Vorbild. Die USA sind sicher nicht sozialistisch. Dort wurde AT & T einfach entflochten; sieben Babybells wurden daraus gemacht. Das war richtig; denn Markt funktioniert nur, wenn man auch Markt herstellt. Ein Markt, der den Unternehmen nur die Vorteile des Marktes garantiert, weil er eigentlich ein Oligopol ist, ist kein Markt, den wir wollen, das ist auch kein Markt, den Sie sich wünschen können. Ich komme zum Schluss. Mit diesen Forderungen befinden wir uns in illustrer Gesellschaft: Der Wirtschaftsminister von Hessen verfolgt ein ähnliches Ziel - interessanterweise hat kein großer Energiekonzern seinen Sitz in Hessen -; die Deutsche Bank hat gerade in dieser Woche noch einmal von der Enteignung der Stromnetze gesprochen und auch „Financial Times Deutschland“ titelte vor wenigen Tagen: „Enteignet Eon!“. Die Oligopolstruktur der Energiewirtschaft ist zu einem Risiko für den Standort Deutschland geworden. Hören Sie auf die Deutsche Bank! Hören Sie auf die Grünen! Hören Sie auf die EU-Kommission! Dann wird es besser, weil es dann mehr Wettbewerb auf dem Strommarkt geben wird. Das ist besser für Verbraucher, Wirtschaft und Klima. Tun Sie etwas! Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 16/3357 zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Strom- und Gasnetze in die öffentliche Hand“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/2678 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FrakVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms tion Die Linke und bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 16/3249 zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Regelmäßige technische Überprüfung der Stromnetze“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/1447 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/4187 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/4557 - Tagesordnungspunkt 6 d - soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 7 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes - Drucksache 16/3226 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) - Drucksache 16/4209({1}) Berichterstattung: Abgeordnete Julia Klöckner Dr. Volker Wissing Ulrike Höfken Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Julia Klöckner von der CDU/CSU-Fraktion. ({2})

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt geht es um ein Produkt. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass es uns Spaß macht, trotz Fastenzeit dieses Produkt zu genießen. Deutschland hat viele schöne Seiten, und ganz gewiss prägen unsere Weinlandschaften unser Land. Wir haben bei uns in Deutschland rund 100 000 Hektar Weinanbau und -ausbau. Der Weinbau ist bei uns in Deutschland sehr traditionsreich. Deshalb gibt es bei uns im Parlament eine fraktionsübergreifende Initiative, ein parlamentarisches Weinforum. Ich freue mich, dass wir zusammenarbeiten, um den deutschen Weinbau, um die Produkte unserer Winzerinnen und Winzer nach vorne zu bringen. Nun ist es aber nicht so, dass Deutschland nur ein traditionsreiches Weinland ist, sondern Deutschland ist auch der Weinmarkt, auf dem wir die meisten Weinimporte feststellen können. ({0}) Das heißt, unsere deutsche Winzerinnen und Winzer stehen in einem Wettbewerb, seit die Handelsschranken gefallen sind und die Weine aus den Drittländern als interessant und exotisch angesehen werden. Die Herausforderung ist, dass man sich dem Wettbewerb, aber auch dem Marketing stellt. Wir brauchen gemeinsame Marketinganstrengungen, Vermarktungsanstrengungen. Das Weingesetz, das wir in Deutschland haben, ist eines der strengsten Weingesetze. Es ist richtig, dass das Produkt Wein ein reines Produkt ist, ({1}) dass wir hohe Anforderungen an dieses Produkt haben. Eines ist auch wichtig: Wir müssen darauf achten, dass unsere Handschrift erhalten bleibt, dass wir kein Massenprodukt, keine Industrieware herstellen, sondern der Geschmack des Jahrgangs erhalten bleibt und wir unseren Winzerinnen und Winzern keine Steine in den Weg legen. Denn gute Produkte werden nicht am Schreibtisch gemacht, sondern im Weinberg. Das ist ganz wichtig; das ist CDU/CSU-Politik. ({2}) Warum sind wir heute beieinander? Nicht zu einer Weinprobe, sondern um die Änderungen des Weingesetzes zu besprechen. Das Weingesetz ist in die Europäische Weinmarktordnung eingebunden. Es gibt viele lebensmittelrechtliche und marktordnungsrechtliche Vorschriften. Sie müssen nach und nach angepasst werden. Deshalb bin ich froh, dass wir sehr einvernehmlich - über die Fraktionsgrenzen hinweg - zusammen mit der Weinwirtschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip - das heißt, die Vorschläge kamen von unten nach oben; der Gesetzgeber hat nicht einfach etwas vorgeschlagen, sondern das BMELV, also das Verbraucher- und Agrarministerium, hat sich mit den einzelnen Wirtschaftstreibenden in der Weinwirtschaft zusammengesetzt - nach Lösungen und Änderungen gesucht haben. Es wird keine großen, spektakulären Änderungen geben. Es geht unter anderem darum, Wiederbepflanzungsrechte leichter und flexibler zu handhaben. Es geht um die Hektarertragsregelung und um die Bezeichnungsrechte. Die Länderermächtigung ist zum Beispiel für Rheinland-Pfalz wichtig. Wir haben sechs Weinanbaugebiete. Herr Bleser, der hier ganz aufmerksam zuhört, vertritt die Mosel. ({3}) Die Wiederbepflanzungsrechte spielen eine ganz große Rolle. Die Länder sollen ermächtigt werden, bestimmte Flächen zwischen den einzelnen Anbaugebieten zu übertragen, wenn es denn notwendig ist. Wir möchten, dass die Probleme da gelöst werden, wo sie auftreten. Deshalb sollen die Länder selbst entscheiden. ({4}) Sinnvoll ist es auch, den Steillagenweinbau an der Ahr, an der Mosel, am Mittelrhein und bei mir an der Nahe zu unterstützen. ({5}) - In Franken ist das mit dem Steillagenweinbau so eine Sache. Ihr habt da nur noch ein bisschen, lieber Kollege. ({6}) - Alles hervorragende Weine. - Es ist also sehr wichtig, dass wir den Steillagenweinbau, der das touristische Bild in vielen Gegenden - ich denke nur an das Mittelrheintal prägt, fördern. Es wäre fatal, wenn die Weinbergslagen dort brachlägen. Doch für diese Lagen haben die Winzerinnen und Winzer sehr hohe Aufwendungen, die vom Verbraucher leider nicht immer bezahlt werden. Es ist ganz klar, hier stehen wir im Wettbewerb. Zugleich möchten wir, dass diese Kulturlandschaft weiterhin gepflegt wird; das ist für uns sehr wichtig. Deshalb werden wir den Steillagenweinbau in der Form unterstützen, dass dessen Hektarerträge mit den aus Flachlagen innerbetrieblich saldiert werden können. Nun komme ich zur Destillation: Destillation gibt es dann, wenn zu viel Wein produziert wird. Es blutet einem immer das Herz, wenn Wein vernichtet werden muss. ({7}) - Trinken ist eine Möglichkeit. Wir werden aber darüber hinaus die Möglichkeit eröffnen, dass man nicht den betreffenden Jahrgang selber destillieren muss. Wenn es ein hervorragender Jahrgang mit bester Qualität ist, wäre es doch unsinnig, diesen Wein zu destillieren. Destillationsmengen können jetzt zwischen Jahrgängen übertragen bzw. überschrieben werden. ({8}) Das ist nützlich und auch sehr praxisgerecht. ({9}) Ich greife auch gerne den Zwischenruf „Trinken!“ auf und ermuntere Sie: am besten trinken! Nun komme ich zu den Bezeichnungen; das wird insbesondere für die Verbraucherinnen und Verbraucher von Interesse sein. Was bringt es, wenn auf dem Etikett lange Bezeichnungen stehen und es schwierig zu erkennen ist, was sie bedeuten. „Qualitätsweine mit Prädikat“ werden umbenannt und heißen nach einer Übergangszeit von zwei Jahren nur noch „Prädikatsweine“. Das Anbaugebiet „Mosel-Saar-Ruwer“ ist im In- und Ausland unter dem knackig-kurzen Begriff „Mosel“ bekannt. So wird es zukünftig auch heißen. Die Kategorie „Qualitätswein garantierten Ursprungs“ hat sich weltweit, aber auch in Deutschland überhaupt nicht durchgesetzt. Da das Agrarministerium sich entschieden hat, Bürokratie abzubauen und Dinge, die man nicht braucht, zu streichen, haben auch wir den Mut, diese Kategorie einfach zu streichen. Wir brauchen sie nämlich wirklich nicht. Auch das ist praxisgerecht. ({10}) Nun komme ich zu einem Knackpunkt; darüber haben wir - ich denke besonders an den Kollegen Herzog lange mit den beteiligten Kellereien geredet: Es geht um die Abgaberegelung. Wir brauchen ein Gemeinschaftsmarketing, das über den Anstrengungen der einzelnen Unternehmen, Kellereien oder Kleinbetriebe steht. Dieses Gemeinschaftsmarketing muss auch finanziert werden. Diese Finanzierung ist wie so häufig, wenn es ums Geld geht, umstritten. Mit der neuen Abgaberegelung erreichen wir nun, dass diejenigen zur Abgabe herangezogen werden, die auch mit dem Wein handeln. Zwar musste auch bisher der Gastronom oder der Einzelhändler eine Abgabe zahlen. Weil aber die Geschäftsbeziehungen des Weinverkäufers mit dem Handel und der Gastronomie dadurch ein bisschen belastet wurden, hat de facto jener häufig die Abgabe für Handel und Gastronomie übernommen. Wir hatten also eine ganz andere Praxis als im Gesetz vorgesehen. Das möchten wir ändern. Im Einvernehmen mit allen Beteiligten haben wir jetzt ein Abgabesystem geschaffen, das sehr effektiv und transparent ist. Die bisherige Flächenabgabe wird beibehalten, aber die Handelsabgabe wird neu definiert. Eines ist dabei uns allen, die beteiligt waren, sehr wichtig: Die Kellereien, die dagegen eine Klage angestrengt hatten, werden, wenn wir heute für das Gesetz stimmen und das Gesetz in Kraft getreten ist, ihre Klagen zurückziehen. Dadurch kann das Gemeinschaftsmarketing ohne große Reibereien - normale Leute haben ordentlich miteinander geredet - beibehalten werden. Dafür danke ich allen sehr herzlich. ({11}) Zum Gesamtpaket gehört auch, dass die Zahl der Aufsichtsratssitze beim Deutschen Weinfonds von sieben auf neun erhöht wird. ({12}) - Lieber Herr Kollege Goldmann, ich bin noch nicht fertig gewesen. Sie haben mir das Stichwort „Bürokratieabbau“ aus dem Mund genommen: Es gab den Vorschlag, in den Verwaltungsrat Vertreter der Politik mitaufzunehmen. Nun sind Vertreter der Politik, sprich: Bundestagsabgeordnete, schier unbegrenzt in ihrer Weisheit; ({13}) darüber sind wir uns alle einig. Aber nicht überall bringen sie auch ein Mehr an Erkenntnis. Deshalb haben wir ganz selbstkritisch gesagt: Was soll diese Bürokratie? Warum sollen Abgeordnete jetzt noch in Aufsichtsratssitzungen die belegten Brötchen essen? ({14}) - Keine Diffamierung; ich habe es spaßig gemeint. - Wir haben ganz klar gesagt: Die Fachleute sollen sich über ihre Belange austauschen und nicht womöglich noch durch politische Streitereien behindert werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch einen Blick auf die Europäische Union werfen. Auf der europäischen Ebene ist zurzeit die Weinmarktordnung in der Debatte. Wir halten es für wichtig, dass diese Marktordnung reformiert wird. Aber entscheidend ist dabei, dass wir das nicht nach dem Gießkannenprinzip machen. Wir müssen die Destillationskosten und die Interventionskosten minimieren und die Probleme dort lösen, wo sie entstehen. Deutschland steht prima da. Es kann nicht sein, dass Deutschland Gelder gestrichen oder Auflagen gemacht werden, wenn das unbegründet ist. Wir müssen unsere traditionelle Weinbereitung beibehalten. Ich bedanke mich zum Schluss bei unseren Winzerinnen und Winzern, die sich an den Markt anpassen, auf Qualität setzen, den Verbraucher im Blick haben und vor allen Dingen auf einen mäßigen, aber regelmäßigen Konsum setzen. ({15}) Deshalb lassen Sie uns alle gemeinsam gegen die EURegelungswut vorgehen. Es ist falsch, wenn Wein als Alkohol abgestempelt und letztlich ein Werbeverbot gefordert wird. ({16}) Wir sind für den selbstständigen Umgang des mündigen Bürgers mit diesem Thema. Ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, beim Ministerium und auch bei der Weinwirtschaft. Der Wein ist eine kulturelle Bereicherung Deutschlands, und so soll es auch bleiben. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Michael Goldmann von der FDP-Fraktion.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was im heutigen Weingesetz steht, ist weitestgehend Konsens zwischen den Fraktionen. Das gilt nicht nur für den Bundestag, sondern auch für die Betroffenen in den Branchen. Deswegen lassen Sie mich den Blick auf die Dinge lenken, die nicht im Entwurf enthalten sind. Die Weinbaupolitik der Großen Koalition ist vor allem durch große Ankündigungen, aufgeblasene Forderungen und leider minimale Ergebnisse geprägt. ({0}) Was hat uns der Landwirtschaftsminister - so will ich ihn einmal nennen -, der gleichzeitig weinbaupolitischer Minister ist, nicht alles versprochen? ({1}) Er hat eine Kennzeichnungspflicht für sogenannte amerikanische Kunstweine gefordert. Nun konsumiere ich, obwohl ich aus dem Norden komme, ohnehin kaum amerikanische Weine, sondern bevorzuge durchaus die aus der Pfalz. Aber mir ist in keinem Laden eine einzige Flasche begegnet, auf der ein Warnhinweis gewesen wäre, dass es sich um einen amerikanischen Kunstwein handelt. Da frage ich mich dann doch: Was sollte eigentlich die politische Zielsetzung sein, die Herr Minister Seehofer mit dieser Forderung verbunden hat? Eigentlich keine. In der Weinpolitik ist viel angekündigt und kaum etwas gemacht worden. ({2}) Herr Minister Seehofer wollte doch das EU-Weinhandelsabkommen mit den USA, liebe Frau Klöckner, neu verhandeln. Was hat er stattdessen gemacht? Er hat ihm zugestimmt. ({3}) - Doch, das stimmt, Frau Klöckner. - Ein Großteil der Seehofer’schen Forderungen war kaum erhoben, da wurden sie vom eigenen Haus auch schon wieder dementiert.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Goldmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Klöckner?

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Frau Klöckner.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geschätzter Herr Kollege Goldmann, es kann ja sein, dass in der Hitze des Gefechtes ab und zu einige Fakten untergehen. Nehmen Sie denn zur Kenntnis, dass Herr Minister Seehofer im Dezember 2005 mit dem Kollegen aus Österreich und anderen Verbündeten gegen das Weinhandelsabkommen und die Inhalte dieses Abkommens gestimmt hat? Oder können Sie mir andere, neue Erkenntnisse mitteilen? ({0})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Erstens nehme ich das, was Sie sagen, zur Kenntnis. Zweitens bin ich nach wie vor der Meinung, dass der Ansatz des Herrn Ministers, das gesamte EU-Weinhan8580 delsabkommen mit den USA neu zu verhandeln, nicht zustande gekommen ist. Das wissen Sie so gut wie ich. ({0}) - Sie können gerne eine Nachfrage stellen, aber Sie sollten mich jetzt nicht unterbrechen; denn sonst haben Sie nicht die Chance, meine Ausführungen zu hören. Sie wissen selbst, dass die Fakten, die ich eben genannt habe, den Gegebenheiten entsprechen. ({1}) Einige Punkte sind zum Teil - ich habe es bereits gesagt - vom eigenen Haus dementiert worden. Ich komme nun zu einem in meinen Augen absolut unrühmlichen fachlichen Höhepunkt. Frau Klöckner, hören Sie gut zu, damit Sie hinterher nicht behaupten, ich hätte etwas Falsches gesagt ({2}) - Ich gestehe Ihnen zu, dass Sie vom Wein mehr Ahnung haben als ich. Aber wir sind hier in einer politischen Auseinandersetzung. - Ich möchte in Erinnerung rufen, dass der Minister - das werden Sie mir sicherlich bestätigen - ein Reinheitsgebot für Wein gefordert hat. ({3}) Kaum wurde dieses Reinheitsgebot vom Minister überall angekündigt, erklärte sein eigenes Haus auf Nachfrage der FDP, dass das alles nicht so gemeint sei. Es wurde gesagt: Inhaltlich ist das Reinheitsgebot auf den Weinsektor nicht zu übertragen. Was sind das für Zustände im Haus des Ministers? Angesichts der Aktion des Ministers muss man sich wirklich fragen, wie eine solche Botschaft ausgesendet werden kann. Ich will Ihnen im Vertrauen sagen, dass ein geschätzter Kollege nach den Inhaltsstoffen des Weines gefragt hatte. Dabei stellte sich heraus, dass im Wein bis zu 100 qualitätsverbessernde Inhaltsstoffe enthalten sind, und zwar richtigerweise. Eine Übertragung des Reinheitsgebots für Bier auf den Wein ist also völlig absurd und wird vor allen Dingen den Qualitätsweinen, wie Sie wissen, überhaupt nicht gerecht. ({4}) Die Reinheitsgebotsnummer von Herrn Seehofer war wirklich eine absolute Luftnummer. Mittlerweise redet der Herr Minister auch nicht mehr davon. ({5}) Was ist geblieben? - Ein Kodex. Damit ist er zufrieden. Dieser Kodex bezieht sich nicht mehr auf alle deutschen Weine, sondern eben nur auf die Prädikatsweine. Selbst in diesem eng begrenzten Qualitätssegment sind wir richtigerweise - ich sagte es bereits - von einem Reinheitsgebot wie beim Bier weit entfernt. Denn es ist einfach unsachgemäß, Regelungen aus speziellen Bereichen auf andere Bereiche zu übertragen. Das würde auch dem Verbraucherschutz schaden; denn der Begriff „rein“ wird von jedem Verbraucher völlig anders definiert und führt nur zur Verwirrung. Meiner Meinung nach hat die Diskussion um ein Reinheitsgebot für Wein dem Wein und vor allem dem Qualitätswein geschadet. Das hätte der Minister verhindern müssen. ({6}) Ich habe leider den Eindruck - das sage ich jetzt wirklich ohne jede Anspielung -, dass der Minister an dem Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz insgesamt kein sehr hohes Interesse hat; wir erleben das im Ausschuss ein um das andere Mal. Ich muss wohl Verständnis dafür haben, dass er bei der heutigen Debatte nicht anwesend sein will. ({7}) - Aber das ist schon ein Problem. Angesichts der Tatsache, dass wir über dieses wichtige Gesetz, das Auswirkungen auf den Markt hat, diskutieren und dass wir über die Weinmarktordnung auf europäischer Ebene reden müssen, ist es sicherlich gut, dass Sie, Herr Staatssekretär, hier sitzen und zuhören. Aber ich fände es schon gut, wenn an einem Tag, an dem das Weingesetz, das Gentechnikgesetz und - heute Abend - auch noch das Verbraucherinformationsgesetz auf der Tagesordnung stehen, der Minister anwesend wäre, ganz egal, an welcher Stelle in Deutschland Wein oder Bier vernichtet wird. Ich kann sein Verhalten nicht gutheißen. ({8}) Ich bin der Meinung, das Ministerium befindet sich nicht nur, was die Behandlung des Themas Wein angeht, sondern auch in anderen Bereichen in einem schlechten Zustand. ({9}) Insgesamt können wir mit der gesetzlichen Ausgestaltung zufrieden sein. Aber wir mahnen sehr nachdrücklich eine tiefere Durchdringung von fachlichen Themen im Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz an. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Gustav Herzog von der SPD-Fraktion.

Gustav Herzog (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003148, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe einmal gelernt, dass man mit gutem Beispiel vorangehen sollte. Herr Kollege Goldmann, Sie fordern die tiefere fachliche Durchdringung durch das Ministerium ein. Aber genau das haben Sie in Ihrer Rede nicht geleistet. ({0}) Sie haben zum Gesetz kaum etwas gesagt. Wenn man aus Ihrer Rede das Reizwort „Reinheitsgebot“ herausGustav Herzog streichen würde, dann hätten Sie eigentlich nicht nur nichts, sondern gar nichts gesagt. Das ist einfach schade. ({1}) Im Übrigen halte ich die Debatte über den sogenannten Industriewein aus den USA - vielleicht unterscheide ich mich da etwas von der Kollegin Klöckner für überzogen. ({2}) Denn bislang hat mir niemand gezeigt, dass in den Regalen des Fachhandels oder des Lebensmitteleinzelhandels Batterien von Flaschen stehen, die, so hergestellt, aus den USA hierhergekommen sind. ({3}) Im Gegenteil: Die Diskussion hier hat dazu geführt, dass der Umsatz mit Wein aus den USA um 20 Prozent eingebrochen ist. Zurück zu dem Gesetzentwurf, der uns hier beschäftigt. Dieser Gesetzentwurf konnte deshalb so gut beraten werden, wie die Kollegin Klöckner gesagt hat, und im Ausschuss einstimmig beschlossen werden, ({4}) weil wir, Herr Kollege Goldmann, eine gute Strategie angewandt haben. ({5}) Wir haben zum Beispiel der Weinwirtschaft gegenüber signalisiert: Wir nehmen eure Anregungen gerne auf, ({6}) aber nur dann, wenn ihr nicht versucht, uns gegeneinander auszuspielen, sondern euch vorher in euren Reihen einigt. ({7}) Wir haben in diesem Gesetzentwurf eine ganze Reihe von Dingen festgelegt, die vielleicht auch für die Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fachbereichen beispielhaft wären. Wir haben Überflüssiges wie zum Beispiel die Kategorie des Qualitätsweins garantierten Ursprungs gestrichen. Er hatte keine Marktrelevanz. Wir haben das Bezeichnungsrecht etwas zugespitzt und für den Verbraucher deutlicher gemacht. Daher darf ich alle auffordern, die Gelegenheit zu nutzen, in der Region Mosel-Saar-Ruwer, in Ihrer Region, Herr Kollege Bleser, noch schnell Wein zu kaufen. ({8}) Denn diese Bezeichnung steht so bald nicht mehr auf dem Etikett. Auch das Wortungetüm „Qualitätswein mit Prädikat“ haben wir vereinfacht. Wir haben darüber hinaus eine Reihe von Regelungen einfacher gestaltet und näher an die Realität gebracht. Es ist nun einmal so, dass bei den allermeisten Winzern die Übermenge, die anfällt und zu entsorgen ist, bei unter 1 000 Litern liegt. Der Aufwand, dies zu einer Brennerei zu bringen, steht in keinem Verhältnis zu dem materiellen Wert, der damit verbunden ist. Deswegen ist es gut, dass dies jetzt auch anders entsorgt werden kann. Wir haben eine Reihe von Bestimmungen, zum Beispiel die Wiederbepflanzungsrechte und die Verrechnung der Hektarhöchsterträge, in die Verantwortung der Länder gegeben. Dies gilt auch für die Nutzung der Daten aus der EU-Weinbaukartei für andere Zwecke, damit hier keine doppelte Erhebung stattfinden muss. Aufgrund einer weiteren Anregung aus der Weinwirtschaft und unserer eigenen Erkenntnisse sind wir zu der Entscheidung gekommen, den Perlwein nicht aus dem Kontingent „Verarbeitungswein“ herausproduzieren zu können, weil wir der Auffassung sind: Hier haben unsere Winzerinnen und Winzer Hervorragendes geleistet. Qualität hat sich ausgezeichnet. Das wollten wir nicht in Gefahr bringen. Ich bin der Auffassung, wir hätten als Abgeordnete im Verwaltungsrat des Deutschen Weinfonds eine ganz gute Rolle gespielt. Aber das ist nicht notwendig; das können die Betreffenden auch gut allein. Einigen Anregungen sind wir aber nachgekommen: Wir haben die Zusammensetzung verändert. Ich denke, das ist eine vernünftige Sache. Ebenso erfolgte eine Umstellung von der Handels- auf die Erzeugerabgabe, auch wenn ich hierzu sagen muss: Nicht alle sind darüber glücklich. Mit den Vertretern der Sektkellereien werden wir noch ein Gespräch führen. Sie sind durch unseren Gesetzentwurf nicht schlechter gestellt worden. Aber andere haben einen kleinen Vorteil. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es waren gute Beratungen unter den Berichterstattern. Auch die Kontakte zu den Ländern haben geholfen. Insbesondere Rheinland-Pfalz hat wichtige Anregungen gegeben. Herr Staatssekretär, ich danke auch für die Formulierungshilfen ({9}) aus dem Ministerium zum Änderungsantrag der Fraktion. Ich hoffe, dass wir die Einstimmigkeit im Ausschuss, Herr Kollege Goldmann, auch hier wiederfinden. ({10}) Ich habe noch etwas Redezeit; deswegen lassen Sie mich noch zu drei weiteren Punkten etwas sagen: zunächst zum Thema Bundesressortforschung, das den Ausschuss in dieser Woche auch beschäftigt hat. ({11}) Ich bitte Sie, Herr Kollege Müller, Herrn Paziorek meinen Dank zu sagen. Es waren gute Gespräche mit ihm, was den Wein angeht. Dass wir die Forschung jetzt am Standort Siebeldingen konzentrieren und gleichzeitig - das freut den Kollegen Bleser - eine Forschungsstation in Bernkastel-Kues erhalten, ist eine kluge Entscheidung, die zeigt: Wir sind in der Lage, zu konzentrieren, ohne dass wir Bereiche der Forschung wie die im Steillagenbau aufgeben müssen. ({12}) Zur Lage der deutschen Weinwirtschaft. Der Weinmarkt ist stabil. Die Marktführerschaft der deutschen Weine im Inland wird ausgebaut. Der Weißwein gewinnt international immer mehr an Anerkennung. Auch der deutsche Rotwein kann sich sehen lassen. Was die EU-Weinmarktordnung angeht, denke ich, liegt die Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu den Vorschlägen der Kommission auf unserer Linie. Wir wollen mehr Marktnähe und weniger Intervention. Wir wollen aber auch, dass regionaltypische Weinbehandlungsmethoden wie die Saccharose-Anreicherung unbedingt erhalten bleiben. Ich glaube, darin sind wir uns in diesem Hause einig. Wir sind sicherlich auch gemeinsam der Auffassung, dass wir uns bei den önologischen Verfahren Neuerungen nicht verschließen, dass aber auch sichergestellt sein muss, dass es eine Übereinkunft zum Beispiel über das internationale Weinamt gibt. Was die Rodung und die Strukturänderungen angeht, die in den Ländern möglich sind, denke ich, dass es vernünftig ist, wenn dies vor Ort gemacht wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss: Ich weiß nicht, was Sie am Wochenende vorhaben. ({13}) In meiner pfälzischen Heimat beginnt die Saison der Weinfeste. Das Mandelblütenfest war noch nie so früh wie in diesem Jahr, nämlich an diesem Wochenende. Dies ist sicherlich ein Ergebnis - ich will nicht sagen: des Klimawandels - der aktuellen Wetterverhältnisse. Die Weinwirtschaft hat in diesem Halbjahr schon eine Reihe von Veranstaltungen durchgeführt, auf denen sie sich mit dem Klimawandel und mit der Frage beschäftigt hat, welche Chancen dieser für uns bringt ({14}) und welche Risiken damit verbunden sind, etwa in der Form, dass Krankheiten und Schadorganismen, die es bei uns früher nie gab, jetzt in den Norden wandern. Ich denke, unsere Aufgabe ist es, der Weinwirtschaft dabei zu helfen, diese Chancen und Risiken wahrzunehmen. Mit dem heutigen Gesetz haben wir einen kleinen, aber wichtigen Beitrag dazu geleistet. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Roland Claus von der Fraktion Die Linke. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon über das große Einvernehmen bei der Behandlung dieses Gesetzentwurfs berichtet worden. Ich will in dieser Hinsicht auch kein Wasser in den Wein gießen, sondern für meine Fraktion die Zustimmung erklären. ({0}) Ich glaube, das ist ein gutes Signal an die Winzerinnen und Winzer in Deutschland: Der Bundestag kann auch einmal etwas gemeinsam leisten. ({1}) Ich möchte aber - ich glaube, im Namen des ganzen Hauses - einem vielleicht aufkommenden Gerücht entgegenwirken, das da lauten könnte: Sie streiten sich ansonsten wie die Kesselflicker; nur beim Wein waren sie sich einig. ({2}) Daraus könnte man falsche Schlüsse ziehen. Aber es sind immer noch zwei Drittel der Anträge, die wir im Bundestag einvernehmlich beschließen. Das nur zur Erinnerung. Ich halte diese Gemeinsamkeit auch für wichtig im Hinblick auf anstehende Konflikte in und mit der Europäischen Union. Darauf ist hier schon hingewiesen worden. Die EU-Weinmarktordnung ist ein Problem, besonders für kleine Weinanbaugebiete und gerade für meinen Wahlkreis, die Saale-Unstrut-Region, eine hervorragende Weinlandschaft, ({3}) aber auch für den Weinanbau an der sächsischen Elbe. Es ist nötig - insoweit verpassen wir auch keine Chance -, immer wieder zu erklären, dass es auch sehr gehaltvolle, qualitativ gute Weine aus den neuen Bundesländern gibt. Das soll hier auch erwähnt werden. ({4}) In meiner Region, an Saale und Unstrut, gibt es in der Tat viele Leuchttürme, entstehende Industrie, eine große Geschichte, den Naumburger Dom, die Himmelsscheibe von Nebra. Trotzdem ist es der Wein, der der Region die Identität gibt. Schon im Jahr 998 wird der Weinbau an Saale und Unstrut von Kaiser Otto III. urkundlich attestiert. Aber wir haben auch Neuigkeiten einzubringen, wie Weinberge an renaturierten Tagebauhängen. Die gesamtdeutsche Weinprinzessin Sandra wohnt im Herzen von Kohlebergbau und Chemieindustrie. ({5}) - Das sind Transformationsprozesse, die Sie auch für sich erschließen können. Kommen Sie zu uns, und schauen Sie sich das an! Wenn, wie es bei uns der Fall ist, die Nachfrage nach Saale-Unstrut-Wein bereits das Angebot übersteigt, hätte eine Reduzierung der Anbaufläche fatale Folgen. Ich weiß, dass wir hier gemeinsam agieren und vom Minister unterstützt werden. Die Linke hat zeitig die Bedeutung des Weines erkannt. Ein namhafter Weinkenner, Friedrich Engels, hat bereits 1876, also lange vor der rheinischen Frohnatur Kurt Beck, ({6}) Folgendes festgestellt: Ernstliche und besonders erfolgreiche Aufstände kamen nur in Weinländern … vor ({7}) Er begründet es dann: Dort habe der preußische Kartoffelschnaps, irreführend Branntwein genannt, noch nicht seine verheerende, die Arbeiter ins Verderben stürzende Wirkung entfaltet. Ich will mit Heinrich Heine schließen, der uns diesen schönen Vers mit auf den Weg gab: Ich weiß, sie tranken heimlich Wein Und predigten öffentlich Wasser. ({8}) Das ist für mich die Gelegenheit, hier mit einer Fehlinterpretation bezüglich der neuen Linken aufzuräumen: Wir predigen nicht Wasser; wir predigen Wein, und den für alle, natürlich - ich sage das mit Blick auf die Tribüne - unter Wahrung des Kinder- und Jugendschutzes. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur zur Klarstellung: Karl Marx kam aus Trier, von der Mosel; Kurt Beck kommt aus der Pfalz. ({0}) - Friedrich Engels kommt aus Wuppertal, wo es ausnahmsweise keinen Weinanbau gibt. Das macht aber nichts. Wir können diesem Thema durchaus etwas Verbindendes abgewinnen, was sich auch im Abstimmungsverhalten zeigen wird. Die Regelungen, die von meinen Kolleginnen und Kollegen schon vorgestellt wurden, entsprechen im Großen und Ganzen dem Wunsch der Weinwirtschaft; sie sind sinnvoll. Insofern sind sie zu unterstützen. Allerdings bringen sie in keinem Sinne eine revolutionäre Veränderung; sie sind von nicht allzu großer Tragweite. Ich denke aber, sie führen uns ein Stück weiter. Ich will einen Blick auf das werfen, was unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft stärker in den Gesichtswinkel rücken sollte: die EU-Weinmarktordnung. Ich möchte auf das Reinheitsgebot zurückkommen, das Minister Seehofer gefordert hat. Bei ihm besteht der Mangel, dass auf die Worte keine Taten folgen. Ich will ihn aber ein wenig verteidigen, Herr Goldmann: Ich glaube, die Intention von Herrn Seehofer war schon ganz richtig; er wollte nämlich die Botschaft senden - ich hoffe, dass das hinterher mit Taten verbunden wird -, dass es beim Wein gerade in Deutschland um ein Kulturgut geht: um ein Kulturerbe, das eng mit unseren Regionen und unserer Tradition verbunden ist, um ein kunsthandwerkliches Produkt. Wir müssen uns einmal intensiver mit der Frage auseinandersetzen, was uns die Weinmarktordnung diesbezüglich bietet: Ist das wirklich mit den Zielen, die wir Deutsche uns setzen müssen und wollen, zu verbinden? Ich möchte daran erinnern, dass es in der europäischen Weinwirtschaft 2,5 Millionen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gibt. Es ist ein Sektor von großer Bedeutung, für Deutschland nicht so sehr wie für Spanien, Frankreich oder Italien. Er ist aber auch für uns, gerade aus diesem kulturhistorischen Verständnis heraus, sehr wichtig. Da muss man sich fragen: Welche Linie verfolgen Herr Seehofer und die Bundesregierung dabei? Ich denke, die Frage der Verringerung der Erzeugung stellt sich natürlich, weil wirklich enorme europäische Mittel für die Destillation verwendet und - ich sage auch - verschwendet werden. Das kann sich aber nur auf die geringeren Qualitäten beziehen; das heißt, Tafelweine und Fassweine müssen destilliert und vernichtet werden. Was ist die europäische Antwort hierauf? Die Weinmarktordnung spiegelt technokratische Lösungen wider: Ausrodungen, technische Maßnahmen. Es fehlt etwas, was ich für notwendig halte: Die Verringerung der Menge sollte durch Qualitätsanforderungen erreicht werden. ({1}) Ich denke, da muss massiv nachgebessert werden. Das würde für mich auch heißen, dass die Anforderungen an die Hektarhöchsterträge massiv in die Diskussion gebracht werden müssen. Wir müssen dazu kommen, dass man nicht mehr massenhaft Geld für die Rodung bereitstellt. Vielmehr müssen wir diese Maßnahmen dahin gehend überprüfen, ob sie nachhaltig sind, ob mit ihnen die Qualitätsanforderungen erfüllt werden können, ob damit die Verbraucherwünsche respektiert werden und ob sie sozial in dem Sinn sind, dass sie Arbeitsplätze und Betriebe sichern, und das europaweit. Ich glaube, da haben wir noch eine enorme Aufgabe vor uns. Danke schön. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Weingesetzes, Drucksache 16/3226. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4209 ({0}), den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zwei- ter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu- stimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange- nommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJosef Fell, Cornelia Behm, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Einführung eines Erneuerbare Energien Wärmegesetzes - EEW - Drucksache 16/3826 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN Für eine sichere Energieversorgung im 21. Jahrhundert - Energieeinsparung und er- neuerbare Energien statt Öl, Atom und Kohle - Drucksachen 16/579, 16/1015 - Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Marco Bülow Hans-Kurt Hill c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Cornelia Behm, Dr. Reinhard Loske, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Biogaseinspeisungsstrategie entwickeln und Biogaseinspeisungsgesetz vorlegen - Drucksachen 16/582, 16/4118 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Axel Berg Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten sollen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Hans-Josef Fell von Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Klima und Energie stehen im Zentrum der letzten Gipfeltreffen, die stattgefunden haben, auch heute wieder auf dem EU-Gipfel in Brüssel. Es ist wichtig, dass wir uns darum kümmern. Frau Merkel rühmt sich jetzt, den Klimaschutz voranzutreiben, und macht auch Vorschläge zur Energieversorgungssicherheit. Doch für beides schlägt sie nicht die entscheidenden Ziele und schon gar nicht die entscheidenden Maßnahmen vor. 20 Prozent CO2-Minderung ist angesichts der Herausforderung, vor der wir im Klimaschutz stehen und auf die uns die Klimaforscher immer wieder hinweisen, viel zu wenig. Gerade heute hat Greenpeace eine Studie veröffentlicht und nachgewiesen, dass diese 20 Prozent sogar eine Mogelpackung sind. Unter Einbeziehung der osteuropäischen Staaten wird das de facto nur 5 Prozent Emissionsminderung bedeuten. Das ist viel zu wenig. Eine solche Mogelpackung halten wir für falsch. ({0}) 20 Prozent sollen auch für erneuerbare Energien als Ziel dastehen. Auch das ist viel zu wenig und wird nicht den Notwendigkeiten und Möglichkeiten gerecht, die darin stecken. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für globale Umweltfragen hat vor kurzem erst in seinem Policy-Paper vorgerechnet, dass bis 2025 zwei Drittel der globalen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien gedeckt werden könnten. Wenn man das weiterrechnet, wäre eine vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien bis 2030 möglich. Warum hören denn Frau Merkel und die Bundesregierung nicht auf die eigenen Wissenschaftler und machen sich solche Ziele nicht zu eigen? Es ist viel mehr möglich, als in den Zielen der Bundesregierung vorgeschlagen wird. Die Maßnahmen der Kanzlerin zur Sicherung der Energieversorgung sind sogar kontraproduktiv für den Klimaschutz. Sie hat Reisen in die Emirate und nach Russland gemacht und versucht, Erdöl und Erdgas noch in den letzten Mengen zusammenzukarren. Was bedeutet das denn? Erneut wird Kohlenstoff aus sicheren LagerHans-Josef Fell stätten herausgeholt und in die Atmosphäre entlassen. Das ist doch kein Klimaschutz, sondern das ist Klimazerstörung. Wir müssen aufhören damit. Und Energieversorgungssicherheit bringt das schon gar nicht - die Pipelineabschaltungen und die steigenden Preise mögen uns mahnen. Nein, das Verharren dieser Bundesregierung bei fossiler und, vor allem bei der Union, atomarer Energieerzeugung löst weder die Klimaprobleme, noch bringt es Versorgungssicherheit. Nicht nur ambitionierte Ziele sind erforderlich, sondern auch Maßnahmen, die entscheidend wirken können. Warum schlägt Frau Merkel auf der heutigen Konferenz der EU-Staaten nicht vor, EU-weit ein ErneuerbareEnergien-Gesetz einzuführen, wie es Deutschland, Spanien und inzwischen auch andere Länder erfolgreich vorgemacht haben? Warum schlagen Sie nicht vor, eine europäische Biogasstrategie auf den Weg zu bringen? Auch vermisse ich richtigen Druck für eine europäische Richtlinie im Wärmebereich. Überall Fehlanzeige! Das gilt auch für die nationale Ebene. Anstatt dass Sie neue Maßnahmen auf den Weg bringen, besteuern Sie beispielsweise die Biokraftstoffe, was die ersten Arbeitslosen in diesem Bereich zur Folge hat. Soll das Klimaschutz sein? Soll das Versorgungssicherheit sein? Wir machen das anders: Wir schlagen - ganz in der Tradition von Rot-Grün - Gesetze vor. Damit haben wir ja immer neue Maßnahmen erfolgreich auf den Weg gebracht. So haben wir heute einen Antrag für die Einführung eines Wärmegesetzes eingebracht. Derzeit werden nur 5,4 Prozent der in Deutschland verbrauchten Wärme aus erneuerbaren Quellen gedeckt. Wenn man das Marktanreizprogramm so fortführen würde, wie es die Bundesregierung vorschlägt, werden das 2020 erst 7 Prozent sein. Das ist zu wenig. Wir brauchen ein Wärmegesetz; das ist zwingend erforderlich. Jeden Tag hören wir von Umweltminister Gabriel dazu etwas Neues, dabei sind die Gesetzentwürfe längst fertig und liegen sogar schon auf der Homepage des Umweltministeriums - Sie müssen sie nur noch umsetzen. ({1}) Mit einem anderen Antrag schlagen wir eine Biogasstrategie vor. Dieser Antrag ist in den Ausschüssen abgelehnt worden. Ich frage mich: Warum? Bis 2020 werden wir - dies sagen uns die Gasversorger genauso wie viele Wissenschaftler - im europäischen Netzverbund bei Erdgas eine Versorgungslücke von etwa 20 Prozent bekommen. Händeringend wird nun überall Erdgas nachgefragt. Doch kaum jemand hat hingeschaut, wie viel uns Biogas bringen könnte; Biogas wird immer belächelt und abgetan. Darum haben wir von der GrünenBundestagsfraktion eine Studie in Auftrag gegeben. Die Wissenschaftler aus Leipzig und aus Darmstadt haben uns vorgerechnet, dass wir den europäischen Erdgasbedarf bis 2020 durch Biogas, das in der Nähe der europäischen Gaspipelines erzeugt wird, ersetzen könnten. Allein das brächte 15 Prozent CO2-Reduktion in Europa. Darüber hinaus würden in Europa 2,7 Millionen Arbeitsplätze entstehen. Das, meine Damen und Herren, sind Antworten für Klimaschutz und Versorgungssicherheit. Doch ich weiß, Sie lehnen das ab. Eigene Vorschläge in dieser Richtung bringen Sie aber nicht. Ich bin gespannt, was Umweltminister Gabriel antworten wird. Vielleicht hören wir heute ja doch etwas Neues. Dann würde ich mich freuen. Aber wenn es so weitergeht wie bisher, meine Damen und Herren der Koalition, dann werden Sie in punkto Klimaschutz und Energieversorgungssicherheit scheitern zum Schaden der Menschen und der Umwelt. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Bundesminister Sigmar Gabriel.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Fell, ich weiß nicht, ob ich Ihnen etwas Neues erzähle. Zumindest muss ich erneut ein paar Fehldarstellungen von Ihnen korrigieren: Erstens. Wir verhandeln in der Europäischen Union über ein internationales Klimaschutzziel von 30 Prozent, nicht von 20 Prozent. Schon bevor die internationalen Verhandlungen begonnen haben, sagen wir in der Europäischen Union: Wir machen mindestens 20 Prozent, selbst wenn kein anderer mitmacht. Finden Sie einmal international irgendjemanden, der dazu bereit ist! Erzählen Sie der Öffentlichkeit also nicht ständig, wir würden 20 Prozent anstreben - wir streben 30 Prozent an! Die von Ihnen Zitierten sollten zumindest akzeptieren, dass bei diesem 30-Prozent-Ziel - bzw. bei dem vorab erklärten EU-Ziel von mindestens 20 Prozent auch die osteuropäischen Staaten sich erstmals auf das Basisjahr 1990 beziehen und nicht wie im Kiotoprotokoll auf 1986 oder andere Basisjahre. Deshalb haben wir wesentlich realistischere Ausgangsbasen für die Vergleichbarkeit des Reduktionspotenzials. Versuchen Sie nicht immer, in der Öffentlichkeit Dinge zu erzählen, die in der Sache schlicht und ergreifend falsch sind. ({0}) Zweitens. Wenn Sie wirklich wissen wollen, was wir gemacht haben, dann nenne ich Ihnen ein paar Beispiele: Wir haben die Mittel für das gute rot-grüne Marktanreizprogramm zur Förderung erneuerbarer Energien um rund 80 Millionen Euro auf 213 Millionen Euro erhöht. ({1}) Sie sollten einmal sagen, dass Sie das damals nicht hinbekommen haben, dass CDU/CSU und SPD das allerdings geschafft haben. ({2}) - Ich kann nichts dafür, dass Sie das damals nicht hinbekommen haben. Sie können mir doch jetzt nicht vorwerfen, dass wir besser sind, als Sie es waren. Entschuldigung, aber das geht nicht. ({3}) Drittens. Wir haben die Mittel für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm auf 1,4 Milliarden Euro pro Jahr vervierfacht. Sagen Sie also nicht, wir hätten nichts getan. Viertens. Wir haben die Probleme der Infrastrukturplanung gelöst. Wir haben eine Politik eingeleitet, in deren Rahmen es möglich wird, die Offshore-Windenergie weiterzuentwickeln. Wir werden dafür sorgen, dass der Anteil der erneuerbaren Energien im Strombereich auf 27 Prozent im Jahr 2020 steigen wird. Zu Ihrer Regierungszeit wurde ein Anteil von nur 20 Prozent prognostiziert. Erzählen Sie uns also nicht, wir hätten nichts getan. Das stimmt nämlich hinten und vorne nicht. ({4}) Nun möchte ich auf einen Punkt hinweisen, in dem wir uns hier im Hause einig sind: Wir müssen die Wärme aus erneuerbaren Energien stärker nutzen, wenn wir das Klimaschutzziel, den Ausstoß von Treibhausgasen in der EU bis zum Jahre 2020 um 30 Prozent zu senken, erreichen wollen. ({5}) - Wir tun das bereits. Sie sollten mir wenigstens zuhören. Wir haben die Mittel zur Förderung von Wärme aus erneuerbaren Energien um rund 80 Millionen Euro erhöht. Wir streiten uns lediglich über den Weg. In dieser Diskussion werden drei Vorschläge gemacht: Der erste Vorschlag, der das Ordnungsrecht betrifft, sieht vor, dass wir jeden zwingen, in seinem Haushalt bzw. Wohneigentum Wärme aus erneuerbaren Energien zu nutzen. Wenn man das macht, bekommt man ein Problem - dieses Problem muss man öffentlich ansprechen -, und zwar mit den Hausbesitzern, die nicht so hohe Einkommen haben wie Abgeordnete des Deutschen Bundestages. ({6}) Der zweite Vorschlag sieht, wie im Falle des EEG, den Weg über ein Einspeisegesetz vor. Das hätte eine Erhöhung der Energiekosten für jeden einzelnen Verbraucher zur Folge. Auch das muss man offen sagen. Die dritte Möglichkeit bestünde darin, dass man den Bundeshaushalt in den Blick nimmt und hinsichtlich der Mittel für das Marktanreizprogramm für eine Verstetigung und Verrechtlichung sorgt. Sie können nicht einfach sagen: Laden Sie sich einmal etwas aus dem Internet herunter. - Wir müssen über die Möglichkeiten, die wir haben, miteinander diskutieren. Dann müssen Sie sagen, was Sie wollen: ob Sie die Verbraucher belasten wollen, ob Sie bereit sind, die Haushaltsmittel zu erhöhen oder ob Sie die Bezieher kleiner Einkommen durch das Ordnungsrecht belasten wollen. Sie müssen Farbe bekennen, statt eine Philippika zu halten, als seien Sie der Erste, der über ein Erneuerbare-Wärme-Gesetz nachdenkt. Eine Bemerkung zum Thema Biokraftstoffe. Tun Sie mir einen Gefallen: Seien Sie auch an dieser Stelle redlich. Die Europäische Kommission veranlasst uns, die Überförderung der Biokraftstoffe der ersten Generation zurückzunehmen, weil es zu einer seltsamen Ölpreisbindung gekommen ist: Je stärker der Ölpreis gestiegen ist, desto stärker sind auch die Preise für Biokraftstoffe gestiegen. Das kann man nicht so recht erklären. Führen Sie diese Debatte bitte sehr sachlich, wie wir es vor kurzem in der Auseinandersetzung über den Klimaschutz, als wir sehr engagiert diskutiert haben, getan haben. Wenn Sie aber einen Stein ins Wasser werfen, dann müssen Sie aufpassen, dass Ihre eigenen Füße nicht nass werden. Ein letztes Beispiel für die Art und Weise, wie Sie argumentieren. Sie sind derjenige, der uns ständig kritisiert, wenn wir sagen, dass wir auch in Zukunft die Kohle brauchen. Dann verweisen Sie jedes Mal auf Ihre Alternative, das Erdgas. ({7}) - Wie wollen Sie das denn schaffen? ({8}) - Sie sagen, dass Sie den Anteil der erneuerbaren Energien bis zum Jahre 2020 auf 100 Prozent steigern wollen. Das glaubt Ihnen nicht einmal Ihre eigene Partei. Als Sie diesen unsinnigen Vorschlag auf Ihrem Parteitag gemacht haben, haben Sie Gott sei Dank eine Klatsche gekriegt. ({9}) Dass das machbar ist, glaubt noch nicht einmal der Parteitag der Grünen. Ihre Partei führt als Alternative immer das Erdgas an. Dennoch kritisieren Sie die Bundeskanzlerin dafür, dass sie die Erdgasversorgung der Bundesrepublik Deutschland sichern und womöglich ausbauen will. Herr Fell, das ist blanke Rabulistik. Sie erzählen immer das, von dem Sie glauben, dass es gerade in die Landschaft passt. Damit können Sie aber noch nicht einmal Ihre eigene Partei überzeugen. Glauben Sie also bitte nicht, dass Sie damit die Öffentlichkeit oder sogar mich überzeugen können! Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Kauch von der FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Ich knüpfe nahtlos an das an, was der Umweltminister gesagt hat. Herr Fell, selbst wenn Sie der Meinung wären, dass wir es bis 2020 schaffen könnten, gleichzeitig aus den fossilen Energien und der Atomkraft auszusteigen, können Sie nicht ernsthaft glauben - es gibt keine Studie, die das stützt -, dass das weltweit gelingen würde. In der gestrigen Anhörung im Umweltausschuss hat sich gezeigt, dass die CO2-Abscheidung bei Kohle- und Gaskraftwerken eine machbare und wirtschaftlich tragfähige Option ab 2020 ist. Da wir Kohle und Gas noch über viele Jahrzehnte nutzen müssen, müssen wir in der Politik die Voraussetzungen dafür schaffen, dass dies ohne CO2-Emissionen möglich ist. Das hat die gestrige Anhörung ganz klar gezeigt. ({0}) - Herr Hill, ich glaube, dass Sie eine selektive Wahrnehmung haben. Kommen wir nun zu den drei Anträgen der Grünen, von denen zwei heute zur Abstimmung anstehen. Die Grünen wollen eine Förderung der Wärmegewinnung aus regenerativen Quellen. Ich denke, wir sind uns einig darüber, dass es zwingend erforderlich ist, die Potenziale der erneuerbaren Energien im Wärmebereich besser zu nutzen. Es muss uns neben der Energieeinsparung bei Gebäuden gelingen, die Potenziale, die es in den Bereichen der Geothermie und der Solarthermie gibt, besser zu erschließen. Umso bedauerlicher ist, dass die Koalition offensichtlich weiterhin plan- und ratlos ist und nicht weiß, wie das gelingen soll. Der SPD fällt außer einer blanken Kopie des EEG im Strombereich nichts ein. Immerhin hat die SPD eine Position. Noch schlimmer sieht es bei der CDU/CSU aus. Frau Reiche, die sich hier sehr stark aus dem Fenster gelehnt hat, ist heute nicht da. ({1}) - Okay, das ist etwa anderes. - Dennoch muss ich an dieser Stelle fragen, ob das, was Frau Reiche in den letzten Monaten in den Medien verkündet hat, eine konsistente Linie erkennen lässt, die deutlich macht, was die CDU/ CSU will. Ich bin sehr gespannt auf die Rede von Frau Flachsbarth. Jedenfalls hat Frau Reiche am 2. Januar dieses Jahres der „FAZ“ gegenüber in einem großen Interview erklärt, dass die Union für ein Wärmegesetz mit Quotenmodell sei. Am 10. Januar erklärte Frau Reiche, ein Wärmegesetz werde es mit der Union nicht geben, weil dies die Verbraucher belaste. Entschuldigung, aber was hätte das von ihr am 2. Januar verkündete Modell gemacht? Jedes Wärmegesetz wird - wen denn sonst? die Verbraucher belasten. Die entscheidende Frage ist aber, wie wir die Belastung möglichst gering halten können; darum geht es. Darüber sollten wir uns im Parlament auseinandersetzen. ({2}) Die Grünen fordern darüber hinaus ein Gesetz zur Einspeisung von Biogas. Das ist ein interessanter Punkt. Wie sieht es denn momentan bei der Biomasse aus? Es gibt eine Förderung beim Strom, nicht aber beim Gas. Im Wärmebereich gibt es eine geringe Förderung durch das Marktanreizprogramm. Es gibt aber keinerlei Anreize für den Einsatz biologischer Kunststoffe in der Chemieindustrie. Was ist das Ergebnis? Mit den Quoten im Biotreibstoffbereich treiben wir die Preise in den nicht geförderten Bereichen hoch. Die Mittel für die Biomasse fließen in die Bereiche, in denen der Staat Vorgaben macht, nicht aber unbedingt in die Bereiche, die nach dem Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen die höchsten CO2-Einsparpotenziale aufweisen. Das sind zum Beispiel die Verstromung oder der Gasbereich. Sie haben das Problem zwar richtig erkannt, aber die Frage ist, wie Sie es lösen wollen. Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit - unabhängig davon, ob man das will oder nicht -, die erneuerbaren Energien über den Preis, die Menge oder eine Beimischungspflicht per Quote zu fördern. Man muss sich insofern entscheiden. Wie aber verfahren die Grünen in ihrem Antrag? Sie fordern nach dem Motto „Viel hilft viel“ nicht nur eine Quote, sondern eine zusätzliche Subvention. ({3}) Das bringt zwar keinen ökologischen Effekt, aber damit werden noch einmal die Anbieter subventioniert. Das ist das Gegenteil einer klaren ordnungspolitischen Linie in diesem Bereich. ({4}) Wir sollten uns abschließend noch einmal mit der Frage befassen, wie mit den Nutzungskonkurrenzen in den vier von mir beschriebenen Anwendungen zu verfahren ist. Bevor wir zu einzelnen Gesetzen in jedem Bereich kommen, ist es notwendig, eine Strategie zu entwickeln, wie wir der Biomasse unabhängig von den Verwendungen einen Marktzugang verschaffen können; vielmehr sollten wir den Markt anhand der CO2-Einsparungen entscheiden lassen, in welche Sektoren die Biomasse tatsächlich fließt. Solange Sie dafür keine Strategie haben, ist jeder Einzelvorschlag Makulatur. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Maria Flachsbarth, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Klimawandel ist ein hochaktuelles und hochbrisantes Thema, das viele von uns Rednern merklich echauffiert. Immerhin hat das auch etwas mit biogener Wärme zu tun. Aber die Sache ist ernst. Herr Fell, wenn Sie meinen, wir täten nichts und die Bundeskanzlerin äußere sich nicht zu dem Thema, ({0}) dann darf ich Sie darauf hinweisen, dass sie gerade heute auf dem EU-Gipfel vorgeschlagen hat, die positiven deutschen Beispiele zur Förderung erneuerbarer Energien zu implementieren. Die Große Koalition stellt sich den Herausforderungen des Klimawandels und hat bereits vor über einem Jahr einige Instrumente zur Bekämpfung dieses Problems im Koalitionsvertrag verankert. So haben wir uns verpflichtet, bis zum Jahr 2020 die Energieproduktivität gegenüber 1990 zu verdoppeln und damit Deutschland zu einer noch energieeffizienteren Volkswirtschaft zu machen. Damit wollen wir 780 Millionen Tonnen CO2 einsparen. ({1}) Zudem treten wir für den ökologisch und ökonomisch sinnvollen Ausbau der erneuerbaren Energien ein. Im Koalitionsvertrag ist deshalb vereinbart worden, dass wir ambitionierte Ziele für den weiteren Ausbau in Deutschland verfolgen, unter anderem wollen wir - ich zitiere die Marktpotenziale erneuerbarer Energien im Wärmebereich durch die Fortführung des Marktanreizprogramms im bisherigen Umfang - damit sind wir schon weiter sowie durch weitere Instrumente, wie zum Beispiel ein regeneratives Wärmenutzungsgesetz, besser erschließen. ({2}) Ideen zur Umsetzung dieses Ziels wurden im Rahmen einer Internetkonsultation des Bundesumweltministeriums im Sommer 2006 diskutiert. Ob Investitionskostenzuschüsse, Sonderabschreibungen, Nutzungs- oder Bonusmodell - für uns, die Union, steht fest: Ökologisch ambitionierte Ziele müssen mit ökonomisch vertretbaren Instrumenten erreicht werden. Es darf weder zu einer unabsehbaren Belastung der öffentlichen Haushalte noch der Verbraucher - in diesem Fall der Mieter durch eine weitere Erhöhung der zweiten Miete, nämlich der Heizkosten - kommen. Meine Damen und Herren von den Grünen, es ist unstrittig, dass Ihr Antrag grundsätzlich das richtige Ziel verfolgt. Allerdings fokussiert er unserer Meinung nach die Lösung des Problems zu stark auf die Förderung erneuerbarer Energien. Das greift einerseits zu kurz und geht andererseits nicht weit genug. Wir setzen auf ein integriertes Wärmekonzept, welches mehrere Instrumente vereint, die dem Ziel des Klimaschutzes und der Kosteneinsparung für Mieter und Vermieter entgegenkommen. Deshalb wollen wir folgende Bereiche untersuchen und miteinander vernetzen: Erstens. Wie kann die Wärme in den Häusern und Wohnungen besser genutzt werden? Zweitens. Wie kann die Wärme, die derzeit ungenutzt in die Umgebung abgegeben wird, einer Nutzung zugeführt werden? Drittens. Wie kann die Produktion von Wärme möglichst CO2-arm erfolgen? Viertens. Wie kann die Energieberatung für Private und insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen verbessert werden? Zum ersten Punkt: Bei der Frage, wie man die im Haus vorhandene Wärme besser nutzen kann, spielt die Wärmedämmung von Gebäuden die entscheidende Rolle. ({3}) Von den 17 Millionen Wohngebäuden in Deutschland wurden rund 75 Prozent vor 1978 - das heißt vor Inkrafttreten der ersten Wärmeschutzverordnung - errichtet. Außerdem werden rund 87 Prozent des gesamten Energiebedarfs in privaten Haushalten für die Raumerwärmung und für Warmwasser benötigt. Nach Angaben der dena haben viele dieser über 30 Jahre alten Gebäude Energieverbräuche von über 250 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr. Das entspricht mehr als 25 Liter Öl je Quadratmeter pro Jahr. Diese könnten ohne Probleme um mehr als 50 Prozent reduziert werden. Um dieses Potenzial zu erschließen, hat die Bundesregierung die Fördermittel für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm auf 1,4 Milliarden Euro jährlich vervierfacht. Nach Angaben des Bundesbauministeriums wurden so allein im vergangenen Jahr 265 000 Wohnungen saniert. Die Gebäudesanierung wirkt dabei dreifach: Zum einen leistet sie einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz, indem sie die Energieeffizienz des Gebäudes erhöht und den CO2-Ausstoß senkt. Zum anderen macht sie Wohnen bezahlbarer, da sich die Heizkosten spürbar reduzieren; bei einer 80 Quadratmeter großen Wohnung um bis zu 60 Euro pro Monat. So macht sich die Investition sehr schnell bezahlt. Schließlich ist Gebäudesanierung ein wichtiger wirtschaftlicher Impuls für zahlreiche mittelständische Handwerksbetriebe. ({4}) Nach Zahlen des Bundesbauministeriums sichert jede in den Gebäudebestand investierte Milliarde Euro der Branche rund 25 000 Arbeitsplätze. Fachleute sprechen von einem Investitionsvolumen von 30 bis 40 Milliarden Euro. Das Programm wird gut angenommen. Allerdings gibt es Handlungsbedarf im Bereich der vermieteten Wohnungen. Diese machen knapp 60 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes aus. Jedoch kann der Vermieter die notwendigen Investitionen aufgrund der Vorgaben im Mietrecht nur sehr begrenzt auf die Mieter überwälzen. Den Profit einer Sanierungsmaßnahme hat durch sinkende Nebenkosten aber ausschließlich der Mieter. Daher müssen wir prüfen, wie wir da eine bessere Regelung finden; denn ohne Zweifel ist es auch für den Mieter günstiger, die Investition in eine Wärmesanierung mitzufinanzieren, um danach davon zu profitieren, als aufgrund fehlender Wärmedämmung mit steigenden Öl- und Gaspreisen in jedem Jahr höhere Heizkosten zu haben. ({5}) Zweitens. Effiziente Nutzung von Abwärme. Wärme fällt in vielen Bereichen der Energieerzeugung, so zum Beispiel auch bei Biomasseanlagen oder bei der Energienutzung in Kraftwerken oder Industrieanlagen, als Nebenprodukt an. Deren effiziente Nutzung als Fern- oder Nahwärme muss vorurteilsfrei vor allem in Ballungsräumen geprüft werden. Drittens. Möglichst CO2-arme Wärmeerzeugung. Moderne Brennwertkessel haben ihre Berechtigung; denn auch im Bereich Wärme setzt die CDU/CSU-Fraktion auf den Energiemix. Doch die am umweltfreundlichsten erzeugte Wärme ist natürlich die, bei deren Erzeugung gar kein CO2 anfällt. Daher haben wir bei den Beratungen zum Haushalt 2007 das Marktanreizprogramm auf 213 Millionen Euro kräftig aufgestockt. Dieses zentrale Förderinstrument der Bundesregierung bezuschusst Investitionen in die Wärmeerzeugung aus Sonne, Biomasse und Geothermie. Die Ergebnisse des Evaluierungsberichtes im Auftrag des BMU zeigen, dass der Zuspruch zum Programm seit 1999 ständig zugenommen hat. Durch die Förderung in Höhe von 284 Millionen Euro wurden bei einer Förderquote von durchschnittlich 12 Prozent Investitionen von rund 2,3 Milliarden Euro ausgelöst. ({6}) Die zwischen 2004 und 2005 errichteten Anlagen vermeiden jährlich 2 Millionen Tonnen CO2. Es steht außer Zweifel, dass wir eine Verstetigung dieses erfolgreichen Programms brauchen. Doch ist unserer Meinung nach der Vorschlag, diesbezüglich einen Fonds, der aus Abgaben auf fossile Energieträger gespeist wird, einzurichten, gänzlich ungeeignet, würde sich doch so die zweite Miete wieder erhöhen. Wir halten das auch angesichts der stark gestiegenen Heizkosten in den letzten Jahren gerade für Haushalte mit schmalem Geldbeutel für nicht mehr zumutbar. ({7}) Auch sind wir nicht der Auffassung, für jeden Neubau oder jede grundlegende Sanierung die Installation erneuerbarer Energieerzeugung zwingend vorzuschreiben. Doch ist der Vorschlag Baden-Württembergs, bei Neubauten und grundlegenden Sanierungen von Wohnund Bürogebäuden über 500 Quadratmeter mindestens 10 Prozent des Wärmebedarfs aus erneuerbarer Energie zu erzeugen, ausgesprochen diskussionswürdig. ({8}) Zudem sollte das MAP mit dem CO2-Gebäudesanierungsprogramm besser verzahnt werden, möglicherweise durch einen Bonus, den derjenige erhält, der sowohl gewisse Standards bei der Wärmeisolation als auch einen gewissen Grad an Bereitstellung von regenerativer Wärme vorsieht. Schließlich ist auch die kontrollierte Lüftung mit Wärmerückgewinnung ein marktreifes Instrument für einen nachhaltigen Umgang mit Wärme, das in einem Gesamtförderkonzept berücksichtigt werden sollte. Viertens. Wir benötigen in Deutschland einen Ausbau der Energieberatung. Eine jüngst veröffentlichte Emnid-Umfrage im Auftrag des Bundesbauministeriums macht deutlich, dass nur 15 Prozent der Deutschen über die Spareffekte der energetischen Sanierung von Gebäuden Bescheid wissen. Auf der anderen Seite wären 47 Prozent der Deutschen bereit, ihr Eigenheim zu sanieren bzw. der Modernisierung ihrer Wohnung zuzustimmen, wenn sie sich sicher sein könnten, dass sich die Modernisierungsmaßnahmen innerhalb von fünf Jahren amortisieren. ({9}) - Dafür haben wir zum Beispiel den Energiepass. ({10}) Das zeigt uns, dass in der Bevölkerung immer noch ein großer Informations- und Beratungsbedarf besteht, übrigens auch bei kleinen und mittleren Unternehmen, wo große Effizienzgewinne zu heben wären. Lassen Sie uns mit einem integrierten Wärmekonzept auf die Fragen des Klimawandels antworten, mit einem Konzept, das nicht nur die Förderung regenerativer Energien vorsieht, sondern auch weitere Instrumente, wie bessere Wärmeeffizienz, bessere Nutzung von Abwärme und den Ausbau der Energieberatung, im Blick hat. ({11}) Ich bin bzw. wir, Herr Kelber, sind der festen Überzeugung, dass wir dem enormen Potenzial und den Herausforderungen des Wärmesektors so am besten gerecht werden können. Herzlichen Dank. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Axel Berg das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Axel Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003036, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Fell von den Grünen, Ihre Forderung geht in die richtige Richtung. Ich könnte jetzt ironischerweise sagen: Viel gelernt aus den ganzen Jahren Rot-Grün. Allerdings erscheint uns der Zeitraum etwas unrealistisch. ({0}) Unser Minister Gabriel hat zu einigen Dingen schon etwas gesagt: zum Marktanreizprogramm, zum Gebäudesanierungsprogramm, zur Offshore-Windkraft und zum Gebäudeenergiepass; dazu hat sich auch Frau Flachsbarth soeben geäußert. Wir wollen natürlich auch das EEG weiterführen. Wir werden das Kraft-WärmeKopplungsgesetz novellieren. Die Kraft-Wärme-Kopplung sehen wir als Schlüsseltechnologie. Mit dieser Technologie können wir massive Effizienzpotenziale heben. Der zweite Antrag der Grünen zum Thema Biogas geht ebenfalls in die richtige Richtung. Wieder haben wir es aber mit dem Problem zu tun, dass er aufgrund der Geschwindigkeit, mit der die in ihm formulierten Forderungen umgesetzt werden sollen, kontraproduktiv wirken könnte. Biogas ist einer der Träger von erneuerbaren Energien, die überall verwendbar sind. Wir können damit natürlich die Abhängigkeit von den Erdgasimporten verringern. Das alles ist richtig. Wir müssen da nur aufpassen, dass wir nicht mehrfache oder gar parallele Förderstrukturen konstruieren. Die rechtlichen Grundlagen zur Einspeisung von Biogas sind bereits im Energiewirtschaftsgesetz geregelt. Interessant fand ich übrigens dieser Tage die Äußerung eines Unionsministers, der ankündigte, dass er eine Verordnung zur Einspeisung von Biogas ins Erdgasnetz erlassen will; das schwirrte jedenfalls hier in Berlin herum. Es hat mich natürlich sehr gefreut, das zu hören. Ich hoffe natürlich, dass die Kollegen von der Union auch auf ihren Minister hören. ({1}) - Wir lehnen ihn ab, weil er zu forsch ist und weil wir das nicht zustande bringen. Ich möchte noch ein paar Worte zu Ihrem Antrag zur Einführung eines Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetzes sagen. Auch ich halte das für ein sehr wichtiges Thema. Der Wärmemarkt macht über 50 Prozent unseres Energieverbrauchs aus und hat ein riesiges Potenzial für eine ganz deutliche kostengünstige Reduzierung von CO2-Emissionen. Der Minister sagte einiges zu den verschiedenen Wegen, die infrage kommen. Darüber müssen wir jetzt diskutieren. Herr Kauch, vielleicht noch ein Wort zu Ihnen. Natürlich wirkt so etwas auch verbraucherbelastend. Aber uns geht es eben darum, dass diejenigen Verbraucher - wir sind fast alle Verbraucher; die ganze Welt ist Verbraucher -, die viel verbrauchen, entsprechend belastet werden, und zwar zugunsten derjenigen Verbraucher, die sich vorbildlich verhalten. Ich habe damit kein Problem. Ich finde, wir sollten nicht den Anschein erwecken, dass niemand belastet wird. Selbstverständlich wird man belastet werden; ohne Belastungen wird gar nichts gehen. ({2}) Wir als SPD-Fraktion haben unsere Vorstellungen dazu formuliert. Wir warten jetzt eher auf die Gegenseite. Das bringt mich dazu, einen Appell zu formulieren. Ich halte dieses Thema im Hinblick auf eine nachhaltige, zukunftsfähige Klima- und Energiepolitik in unserem Land wirklich für entscheidend. Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere von der Unionsfraktion, jetzt können wir alle zeigen, dass wir die Kanzlerin ernsthaft unterstützen wollen. Sie kämpft heute und morgen in Brüssel auf der EU-Ebene für ambitionierte und verbindliche Ziele, insbesondere in der Klima- und Energiepolitik. Frau Merkel will Deutschland zum Vorreiter in Fragen des Klimaschutzes innerhalb der EU und die EU wiederum zum Vorreiter in globalen Klimafragen machen. ({3}) Gehen wir doch gemeinsam daran, ihr zu helfen, indem wir jetzt endlich ein Regenerative-Wärme-Gesetz ausarbeiten, das den Klimaschutz in unserem Land voranbringt, die Wirtschaft stärkt und Deutschland die Möglichkeit eröffnet, an der Weltspitze für Effizienztechnologien zu stehen! Noch sind wir doch in der Situation, dass wir den Vorteil des „first mover“ haben, dessen, der sich als Erster bewegt. ({4}) Dann möchte ich noch an eine Tradition erinnern, die wir eigentlich hatten, jedenfalls seit 1998, seit ich dabei bin. Ich fand es großartig, dass wir Parlamentarier in Sachen erneuerbare Energien und Effizienztechnologien über alle Parteigrenzen hinweg zusammengearbeitet haben. Meist waren wir mutiger als unsere jeweiligen Regierungen. Das ist in den letzten Monaten etwas eingeschlafen. Ich will aber die Hoffnung nicht aufgeben und rufe deshalb sowohl die Union als auch alle Oppositionsparteien dazu auf, sich konstruktiv in den Dialog zum Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetz einzubringen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Berg, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Axel Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003036, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum letzten Satz. - Ich bin mir ganz sicher, dass wir dann am Ende gemeinsam ein gutes Gesetz verabschieden werden. Ich danke Ihnen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Linke hat jetzt das Wort der Kollege HansKurt Hill. ({0})

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 50 Prozent aller Heizungen in Deutschland werden sinnvollerweise mit Erdgas betrieben. Wirksamer Klimaschutz fordert von der Energiewirtschaft Gaskraftwerke mit effizienter Kraft-Wärme-Kopplung, und zwar anstelle von Kohlekraftwerken, Herr Minister. Deutschland ist beim Erdgas aber, wie wir wissen, von wenigen Lieferländern abhängig, insbesondere von Russland. Woher soll also zukünftig das Erdgas kommen, ohne dass wir in die Gefahr einer Versorgungskrise geraten? Die Antwort ist: Energieeinsparung, Energieeffizienz und erneuerbare Energien. ({0}) Wenn wir die Einsparpotenziale im Gebäudesektor bei Heizung und Isolierung konsequent nutzen und im Kraftwerksbereich endlich auf Kraft-Wärme-Kopplung umschwenken, dann brauchen wir mittelfristig sogar weniger Erdgas. Das Umweltbundesamt hat gestern in einer Ausschussanhörung noch einmal deutlich gemacht, dass genau das möglich ist. Die dazu notwendige politische Durchsetzungskraft ist bei der Regierungskoalition allerdings nicht zu erkennen. Na ja, ich sage mal: Zumindest ein Teil der SPD erkennt die Richtung. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm soll weiter laufen, und die KraftWärme-Kopplung soll verbessert werden. Über die Ausführungen von Frau Dr. Flachsbarth heute bin ich wirklich sehr erstaunt; vielen Dank übrigens für diesen Fachvortrag. Aus den Ausschusssitzungen weiß ich, dass die Klimaschutzblockierer eigentlich eher in den Reihen der Christdemokraten sitzen. ({1}) Ich höre immer: Klimaschutz ist ein lästiges Beiwerk. Man handelt mehr oder weniger nach dem Motto des BDI-Lobbyisten Thumann: Man kann es anpeilen, aber nicht verbindlich machen. - Angesichts dessen hoffe ich, dass die Appelle, die Herr Dr. Berg heute formuliert hat, ankommen. Ich hoffe, dass Sie die CDU/CSU in dieser Richtung zumindest ein bisschen in Schach halten. Die Anträge der Grünen zeigen deutlich den Handlungsbedarf: Förderung von Wärme aus erneuerbaren Energien, bessere Bedingungen für Biogas und KraftWärme-Kopplung anstelle von Atomkraftwerken. Auf zwei Sachverhalte möchte ich näher eingehen. Die Bundesregierung hat mit dem unsäglichen Energiesteuergesetz die Bioenergiebranche massiv verunsichert. Die Besteuerung und die Verpflichtung zur Beimischung von Biodiesel haben bereits zur Stilllegung zahlreicher Produktionsanlagen für Ökosprit geführt. 15 000 Menschen haben ihren Arbeitsplatz verloren und stehen auf der Straße. Ein betroffener Landwirt hat die Situation auf den Punkt gebracht: Wenn ich jetzt auf Biogas umschwenke, zieht mir Steinbrück dort das Geld aus der Tasche. Wir brauchen deshalb zuverlässige Rahmenbedingungen für den zukünftigen Umgang mit Biogas und endlich ein Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, das seinen Namen auch verdient. ({2}) Biogas muss ungehindert in das Erdgasnetz eingespeist werden können. Dazu muss das Energiekartell, das auf den Rohren sitzt, geknackt werden. Eine Beimischungspflicht von Biogas als Kraftstoff lehnen wir allerdings ab. Das ist schon beim Biodiesel nach hinten losgegangen. Wir brauchen ferner einen gesetzlichen Rahmen zur Förderung von Wärme aus erneuerbaren Energien. ({3}) Die Große Koalition kommt in diesem Zusammenhang über Ankündigungen aber nicht hinaus. Da das Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetz auf die lange Bank geschoben wurde, unterstützen wir den entsprechenden Antrag der Grünen. Zum Schluss wiederhole ich noch einmal - ich sage es wahrscheinlich in jeder Rede -: Die Regierung muss in Richtung Energieeinsparung, Energieeffizienz und erneuerbare Energien mehr Bewegungsenergie freisetzen. Dann klappt es auch mit dem Klimaschutz. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/3826 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 16/1015 zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Für eine sichere Energieversorgung im 21. Jahrhundert - Energieeinsparung und erneuerbare Energien statt Öl, Atom und Kohle“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/579 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 16/4118 zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Biogaseinspeisungsstrategie entwickeln und Biogaseinspeisungsgesetz vorlegen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/582 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke angenommen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Götz, Dr. Joachim Pfeiffer, Dirk Fischer ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ernst Kranz, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Bericht über die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Deutschland - Drucksache 16/4570 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Zwischen den Fraktionen ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen Ernst Kranz für die SPD-Fraktion. ({2})

Ernst Kranz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003571, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft leistet einen bedeutsamen Beitrag für die deutsche Wirtschaft und ihre Entwicklung. Sie erwirtschaftet jährlich rund 250 Milliarden Euro. Das entspricht mehr als 10 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts. Die Immobilienbranche selbst schätzt ein, dass circa 2,15 Millionen Erwerbstätige - die Zahl stammt aus dem Jahr 2003 - in der Immobilienwirtschaft beschäftigt sind. Aufgrund der engen Verflechtung mit anderen Branchen wird jedoch davon ausgegangen, dass eine wesentlich höhere Zahl von Arbeitsplätzen durch die Aktivitäten der Immobilienwirtschaft gesichert wird. Die Branche schätzt die Gesamtzahl auf circa 3,4 Millionen Beschäftigte. Das hebt hervor, dass die Immobilienbranche in der Wirtschaft eine bedeutende Rolle als Arbeitgeber spielt. Dennoch, die Situation für die Branche war schon besser. Die Rahmenbedingungen für die Wohnungsund Immobilienwirtschaft haben sich in den letzten Jahren stark verändert, nicht zuletzt aufgrund neuer Anforderungen, die sich aus demografischen Veränderungen, aus der Globalisierung und neuen Investitionsformen auf dem Immobilienmarkt, aus dem Wandel in der Erwerbsarbeit, aus neuen Technologien und aus veränderten Ansprüchen an Leben und Wohnen, sowohl im ländlichen als auch im städtischen Raum, ergeben. Aus der Wohnungsmarktprognose 2020 des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung kann man erkennen, dass regionale Unterschiede bei der Wohnraumversorgung durch Wanderungen ausgelöst wurden und noch werden, vor allem durch die Suche nach einem Arbeitsplatz. Die Arbeitsplätze konzentrieren sich aber zunehmend auf die Metropolregionen. Wie wir alle wissen, nimmt die Bevölkerung ab. Das bedeutet eigentlich einen nachlassenden Bedarf an Wohnungen. Dem ist aber nicht so. Die Bevölkerungszahl entwickelt sich regional unterschiedlich. Das heißt, es gibt Gebiete, die durch Abwanderung und durch geringe Geburtenzahlen eine drastische Abnahme der Bevölkerung zu verzeichnen haben. Die sozialen Folgen, die diese Entwicklung nach sich zieht, sind eine Ausdünnung, eine Bestandsgefährdung für die Infrastruktur und leerstehende Wohnungen, sowohl im gewerblichen als auch im privaten Bereich. Die Gesamtabnahme der Bevölkerung ist eine Folge des demografischen Wandels. Durch die niedrige Geburtenrate und durch eine längere Lebenserwartung verschieben sich die Anteile der jeweiligen Generationen in der Gesellschaft. Der Anteil der Älteren nimmt zu. Damit steigt der Bedarf an seniorengerechten Wohnungen. Barrierefreiheit und die Nähe zu Versorgungszentren sind hier ganz wichtige Kriterien. Ich möchte an dieser Stelle kurz einige Daten aus der Wohnungsmarktprognose 2020 des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung nennen. Der Bericht prognostiziert die Entwicklung des Neubaus, der Eigentumsquote und der Wohnfläche pro Kopf bis zum Jahr 2020. Für Deutschland ergibt sich dabei bis zu diesem Jahr ein spürbares Wachstum der Anzahl der privaten Haushalte um etwa 3,4 Prozent bei einer Bevölkerungsabnahme von 0,6 Prozent, wobei im Osten mit einer Abnahme der Bevölkerung von bis zu circa 6,3 Prozent zu rechnen ist. Das bedeutet, dass sich bereits heute sichtbare regionale Unterschiede weiter verschärfen werden. Wohnungen überdauern Generationen. Junge Menschen haben aber andere Wohnansprüche als die Generation vor ihnen. Die Lebensstile verändern sich. Das zeigt sich besonders beim Wohnen. Gefragt sind andere Zuschnitte und verbesserte technische Ausstattungen als in den vorhandenen Wohnungen. Diese Veränderungen sind auch in jenen Gegenden zu beobachten, in denen der Leerstand vorhanden ist. Denn wer es sich dort leisten kann, zieht weg in eine bessere Wohnung mit gehobener Ausstattung und lebenswerterem Umfeld. Hinzu kommt: Die Zahl der Einpersonenhaushalte wird trotz abnehmender Bevölkerung größer. Die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft ist ein wichtiger Auftraggeber für andere Branchen im Rahmen von Instandhaltung und Investition. Seit Mitte der 90erJahre geht jedoch der jährliche Neubau von Wohnungen kontinuierlich zurück, zwar regional sehr unterschiedlich, aber er ist eindeutig zu verzeichnen. Wurden 1995 noch rund 600 000 neue Wohnungen gefertigt, so waren es 2005 noch knapp 250 000. Während 1998 die Modernisierung und Instandhaltung rund 50 Prozent der Wohnungsbauleistungen ausmachte, so waren es 2004 schon knapp 65 Prozent. In Zahlen: circa 140 Milliarden Euro Bestandsinvestitionen im Vergleich zu circa 215 Milliarden Euro Gesamtbauinvestitionen. Für die Baubranche rücken daher die Instandhaltung und der Umbau von Wohnungen in den Vordergrund. Hier muss aber darauf geachtet werden, dass kein Bauen am Bedarf vorbei passiert. Die große Herausforderung ist die Globalisierung. Sie macht auch vor dem Immobilienmarkt nicht halt. Wir erinnern uns noch an die Schlagzeilen, als Dresden seinen kommunalen Wohnungsbestand komplett an die sogenannten Private-Equity-Unternehmen verkauft hat. Die Internationalisierung und Professionalisierung der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft schreitet deutlich sichtbar voran. Dies gilt, wie der Erwerb größerer Wohnungsbestände durch Pensions- und Private-EquityFonds zeigt, auch für kommunale Wohnungsunternehmen. Mit dem Verkauf ihrer Wohnungsbestände geben Kommunen für eine kurzfristige Liquidität das zentrale Steuerungselement im Bereich des Wohnungswesens und der Stadtentwicklung aus der Hand. ({0}) Das ist der Hauptgrund, weshalb bei dem neu einzuführenden Immobilienmarktinstrument REIT die Bestandsimmobilien ausgeklammert werden müssen. Mit REITs würde ein zusätzlicher Wettbewerbsdruck ausgelöst werden, der den Ausverkauf von Immobilien fördert. Das bisher in Deutschland praktizierte Wohnungsmanagement über private und kommunale Wohnungsunternehmen hat einen qualitativ guten Bestand zu fairen Preisen geschaffen. Festzuhalten ist, dass mehr als bisher die Frage der Deckung des künftigen Wohnungsbedarfs auf regionaler Ebene zu beurteilen ist, sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht. Kommunale und mehr noch regionale Strategien und Konzepte müssen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Sowohl von der Politik als auch von der Wohnungswirtschaft verlangen die genannten veränderten Rahmenbedingungen ein Umdenken. Die Sanierung der Bestände muss gegenüber dem Neubau weiterhin an Bedeutung gewinnen. Zur Unterstützung und Bewältigung dieser Anforderungen an die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft hat die Politik mit unterstützenden und zielgerichteten Programmen reagiert. Ich nenne hier zum Beispiel das Programm „Stadtumbau Ost“. Außerdem wird von uns die selbstgenutzte Wohnimmobilie als wichtiger Baustein für die Altersvorsorge angesehen. Wir plädieren deshalb dafür, dass die selbstgenutzte Wohnimmobilie künftig mehr Anerkennung und Unterstützung bei der privaten Altersvorsorge findet. ({1}) Bei weitem nicht neu, aber gerade in diesen Tagen wieder hochaktuell ist der Klimaschutz. In diesem Zusammenhang verweise ich auf unser CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Es gibt also eine Reihe von neuen Aufgaben, vor denen wir stehen: Demografischer Wandel, Klimawandel und Globalisierung erfordern neue Lösungen. Damit wir die Lösungen angemessen entwickeln können, benötigen wir Informationen und ausreichend Datenmaterial, das wir mit diesem Antrag von der Bundesregierung einfordern. Diese Lösungen müssen im Sinne der Immobilienund Wohnungswirtschaft langfristig angelegt sein, aber auch unseren sozialen, ökologischen und ökonomischen Anliegen sowie den Bedürfnissen der Mieter und Immobilienunternehmen entsprechen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Joachim Günther für die FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Joachim Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Ernst Kranz, vieles bis auf REITs wurde aus meiner Sicht hier richtig dargelegt. Ich bin deshalb etwas überrascht, dass Sie diese relativ bekannten Dinge kurzfristig als Antrag eingebracht haben; bis gestern gab es ja noch nicht einmal eine Nummer für Ihren Antrag. ({0}) Ich bin mir noch nicht ganz sicher, was wirklich dahintersteckt. - Ich bin mir aber bewusst, dass es richtig ist, über das Thema Immobilien- und Wohnungswirtschaft zu diskutieren. Das ist der Bedeutung der Branche angemessen. Deshalb finde ich es gut, dass wir dieses Thema aufgreifen. Lassen Sie uns einmal nachschauen, was in Ihrem Antrag steht. An einigen Stellen - Sie werden das verstehen, auch wenn das jetzt hier besprochen wurde musste ich beim Lesen schon etwas schmunzeln, um es einmal vorsichtig auszudrücken. So schreiben Sie in Ihrem Antrag: CDU/CSU und SPD verfolgen die Absicht, die selbstgenutzte Wohnimmobilie in die staatlich geförderte private Altersvorsorge besser zu integrieren … Darüber reden wir seit zwei, drei Jahren. Hierbei haben Sie sich absolut nicht mit Ruhm bekleckert, meine Damen und Herren. Vielleicht können Sie sich noch schwach daran entsinnen, dass Sie nach Abschaffung der Eigenheimzulage Wohnimmobilien in das RiesterModell aufnehmen wollten. Eigentlich sollte das selbstgenutzte Wohneigentum zu Beginn des vergangenen Jahres in die geförderte Altersvorsorge integriert werden. Das waren damals Ihre Versprechen. Mittlerweile ist der geplante Starttermin eine Art Fata Morgana. Sie diskutieren darüber, und Sie haben auch schon viele Namen eingebracht: KaNaPE, Sofa, Riester; das sind keine Schimpfwörter, sondern Bezeichnungen für Fördermodelle. Bloß, angegangen ist sie niemand, und entschieden haben Sie nichts in dieser Richtung. ({1}) Joachim Günther ({2}) Ebenso ist das mit einigen anderen Dingen, die die Immobilienwirtschaft betreffen und über die wir einmal reden müssen, zum Beispiel die Unsinnigkeit der neuen Regelungen in § 35 a Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes. Haben Sie das überhaupt einmal in Ruhe durchdacht? Haben Sie einmal die Wohnungsgesellschaften gefragt? Als Trostpflaster für die Steuererhöhung zum Jahresanfang hat die schwarz-rote Regierung in Form einer Ausnahmeregelung die Steuerermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen und Handwerkerleistungen eingeführt. Das klingt erst einmal hervorragend. Im Detail ist es aber so, dass der Mieter, wenn er die 20 Prozent der Personalkosten tatsächlich geltend machen will, ein bürokratisches Monster in Bewegung setzen muss. Ich habe große Zweifel daran, dass die Beseitigung der Schwarzarbeit, was der eigentliche Grundgedanke war, dadurch vorankommt. Noch schlimmer ist die Vorstellung, dass die Wohnungsbaugesellschaften oder auch die privaten Vermieter die Betriebskosten ausrechnen, um sie dem Mieter zur Verfügung zu stellen. Bei diesem Verfahren kommt es - da können Sie nachfragen - im Endeffekt zu weiteren Betriebskosten, sodass der Mieter überhaupt nicht entlastet wird. Das ist Bürokratie und kein Fortschritt auf diesem Gebiet. ({3}) Im Immobilienvisier dieser Koalition - das gehört dazu, wenn wir über das Thema Immobilien- und Wohnungswirtschaft reden - steht jetzt wieder die Erbschaftsteuer. Wenn Sie schon wieder höhere Steuern im Hinterkopf haben, dann kann ich nur sagen: Hände weg von den Eigenheimbesitzern, Hände weg von dem Immobilieneigentum in diesem Land! ({4}) Ich möchte einmal zwei Kollegen der Union wörtlich zitieren. Kollege Michael Meister, der auf diesem Gebiet wirklich Sachverstand hat, sagte am Tag der Entscheidungsverkündung des Bundesverfassungsgerichtes: „Erben können sich auf die Unionsfraktion verlassen“. Acht Tage später sagte sein Kollege Fuchs: Eine höhere Erbschaftsbesteuerung ist nach dem Verfassungsgerichtsurteil unumgänglich. Angesichts der Wahrnehmungsprobleme im Immobilienbereich in der Union und in der Koalition finde ich es gut, dass wir dieses Thema jetzt konzentriert betrachten und über Einzelheiten diskutieren. Es ist ein guter Schritt, dass sich die Koalition von der eigenen Regierung berichten lässt, wie es auf diesem Gebiet aussieht. Wenn aus dieser Debatte heraus noch gute Vorschläge und eventuell auch gute Entscheidungen für die Immobilienwirtschaft kämen, dann würde ich das sehr begrüßen. Mit Blick auf eine gute Diskussion sehe ich dem Ganzen aufgeschlossen entgegen. Herzlichen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich erteile Peter Götz das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft bildet unbestritten einen wichtigen Pfeiler der deutschen Volkswirtschaft. Mit unserem heutigen Antrag - der, Herr Kollege Günther, zu Ihrer Information durchaus eine Drucksachennummer hat, nämlich 16/4570 - möchten wir auf die enorme Bedeutung dieser Branche aufmerksam machen und uns damit intensiv und vor allen Dingen ganzheitlich auseinandersetzen. In unserem Antrag bitten wir die Bundesregierung, ausführlich über die Lage der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft zu berichten; denn diese leistet einen großen Beitrag zur Wertschöpfung in unserem Land. Wir erwarten von der Immobilienwirtschaft auch in Zukunft wichtige ökonomische und ökologische Impulse. Der Wohnungs- und Immobilienmarkt entwickelt sich - das ist eine bekannte Tatsache - regional sehr unterschiedlich. Deshalb war es nur konsequent, im Rahmen der Föderalismusreform die Zuständigkeit für die unmittelbare Wohnungsbauförderung auf die Länder zu übertragen. Die demografischen Veränderungen und die bekannten, vor allem - Kollege Kranz hat es gesagt - arbeitsmarktbedingten Wanderungsbewegungen haben unmittelbare Auswirkungen auf die Einwohnerzahlen in vielen Städten und Gemeinden. Andererseits erwarten wir in Deutschland nach der Wohnungsmarktprognose des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung bis ins Jahr 2020 eine steigende Zahl der privaten Haushalte. Vor allem die Zahl der Einpersonenhaushalte wird aufgrund der Individualisierung und der Altersentwicklung in unserer Gesellschaft zunehmen. Die Konsequenzen kann sich jeder ausmalen. Es entsteht ein Wettbewerb zwischen den Kommunen vor allem um junge Menschen; denn kommunale Einnahmen sind bekanntermaßen von Steuern und Gebühren, die die Einwohner entrichten, abhängig. Das räumliche Entwicklungsgefälle verschärft sich sichtbar. Erschwerend kommt hinzu, dass vor dem Hintergrund der anhaltend leeren Kassen in vielen Städten dringend notwendige kommunale Investitionen nicht getätigt werden konnten. Der erforderliche Umdenkungsprozess hat in vielen Kommunen, vor allem in den neuen Ländern, längst begonnen. Aber es gibt nach wie vor Städte und Gemeinden, die das einfach noch nicht wahrhaben wollen. Aber auch diese werden nicht umhinkommen, Wachstumsstrategien durch Umstrukturierungs- und Schrumpfungsstrategien zu ersetzen. Die „FAZ“ vom Freitag letzter Woche wirft die provozierende Frage auf, ob - abgesehen von Großstädten wie München, Stuttgart, Frankfurt oder Hamburg - die Stadtentwicklungsämter künftig als „Stadtschrumpfungsämter“ bezeichnet werden müssen. Bei näherem Betrachten wird schnell deutlich: Den notwendigen Stadtumbau ökonomisch und ökologisch zu einem Gesamtkonzept zu entwickeln, ist die größte kommunalpolitische Herausforderung der Zukunft. Was passiert mit der technischen und sozialen Infrastruktur wie der Versorgung mit Trinkwasser, Fernwärme, Strom und Gas oder der Abwasserbeseitigung, was passiert mit Straßen, Kindergärten, Schulen, Sportstätten und Schwimmbädern? Ich könnte diese Liste beliebig fortsetzen. Wer bezahlt den notwendigen Anpassungsprozess? Wir wissen auch, dass aufgrund der Altersstruktur der Bedarf an Senioren- und Pflegeheimen zunimmt. All das sind Entwicklungen, die sich unmittelbar auf die Immobilien-, Wohnungs- und Städtebaupolitik auswirken. Vor allem der Wert der Immobilie wird davon stark beeinflusst. Wohnungsleerstände und ein sich negativ veränderndes Wohnumfeld mit allen daraus resultierenden gesellschaftspolitischen Folgen unterstreichen den politischen Handlungsdruck. Auch die Professionalisierung und Internationalisierung der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft hat weitreichende soziale und städtebauliche Auswirkungen, die es sehr sorgfältig zu analysieren gilt. Die Ökonomisierung der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft schreitet sichtbar für alle Beteiligten in Wirtschaft, Verwaltung und Politik voran. Dies gilt auch für die klassischen kommunalen Wohnungsunternehmen. In den vergangenen zwei Jahren haben ausländische Beteiligungsgesellschaften 20 Milliarden Euro in deutsche Wohnungen investiert. Das heißt, es gibt für deutsche Immobilien nach wie vor einen ganz interessanten Markt. Nach vorliegenden Studien wird diese Entwicklung in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Lassen Sie mich noch ein anderes Thema ansprechen, das mir wichtig ist. Wenn wir über die Zukunft der Immobilien nachdenken, müssen wir dies auch im Zusammenhang mit der Klimafrage tun. Die Auswirkungen der globalen Erwärmung sind besonders in den Ballungsräumen zu spüren. Städte sind von Haus aus bereits Wärmeinseln. Ziegel, Beton und Asphalt wandeln die Sonnenstrahlung in Wärme um und speichern sie in Straßen und Gebäuden. Auch darauf müssen sich die Kommunen und die Immobilienwirtschaft einstellen. Grünflächen in der Stadt erhalten eine ganz neue Bedeutung; denn sie lindern Hitze. Gebäude sollten in Zukunft so geplant werden, dass eine passive Kühlung erfolgt. Die falsche Antwort wäre, jedes Gebäude mit elektrischen Klimaanlagen auszustatten; denn das würde den Energieverbrauch weiter explodieren lassen. Ein verändertes Verhalten, eine intelligente Stadtplanung und eine neue Architektur sind also dringend notwendig. In Deutschland entstehen 20 Prozent aller CO2-Emissionen im Gebäudebereich. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm der Bundesregierung ist die richtige Antwort auf die daraus resultierenden Fragen. Das Programm ist gut für das Klima, es hilft Mietern und Eigentümern, spart Heiz- und Energiekosten, fördert die Innovationen in der Bauindustrie, nutzt dem örtlichen Handwerk und sichert langfristig den Wert der Immobilie. Wenn der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen in seiner heutigen Veröffentlichung erklärt, dass Wohnungsunternehmen und Genossenschaften im vergangenen Jahr rund 30 Prozent der gesamten Fördermittel zur energetischen Sanierung von 57 000 Wohnungen genutzt haben, spricht dies allein für den Erfolg des Programms. Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu tagesaktuellen Themen der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft machen. Bei der Unternehmensteuerreform müssen wir die Auswirkungen der geplanten Zinsschranke auf die Immobilie auf Herz und Nieren prüfen, damit die Immobilienwirtschaft in Deutschland lebensund wachstumsfähig bleibt. Zur Vermeidung von Irritationen sage ich auch - denn solche kommen immer wieder hoch -: Gewinne aus der Veräußerung von Immobilien sind von der geplanten Abgeltungsteuer ausdrücklich nicht betroffen. Hier bleibt es unverändert beim bisherigen Steuerrecht. ({0}) Kollege Günther, ich stimme mit Ihnen vollkommen überein: Die Frage, wie es mit der Immobilie als selbstgenutztem Wohneigentum und als wichtige Anlageform für die Altersvorsorge weitergeht, muss jetzt dringend entschieden werden. Hier darf es keinen weiteren Aufschub geben. Wir brauchen ein besseres Miteinander von öffentlichen und privaten Investitionen im Rahmen eines integrierten Ansatzes der Wohnungs- und Städtebaupolitik. Seit dem 1. Januar haben wir im Baugesetzbuch dafür neue Instrumente. Danach können Kommunen die Immobilienwirtschaft viel stärker als bisher in die städtebaulichen Entscheidungen einbinden. Auch die neue Experimentierklausel zur Finanzierung des Stadtumbaus soll die Zusammenarbeit von Investoren und Kommunen erleichtern. Abschließend möchte ich Folgendes feststellen: Erstens. Erfolge sind dort zu erwarten, wo starke Kommunen mit Investoren und ihren Bürgern in guter Partnerschaft zusammenarbeiten. Zweitens. Wir werden in den nächsten Jahren einen permanenten - vor allem kommunalen - Anpassungsund Umstrukturierungsprozess erleben, der sich, regional differenziert, spürbar auf die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft auswirken wird. Drittens. Wir brauchen eine integrierte nachhaltige Stadtentwicklungspolitik, die die Siedlungs-, die Wirtschafts- und die Infrastrukturentwicklung unter den jeweiligen demografischen und energiepolitischen Rahmenbedingungen vorausschauend koordiniert. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dafür gute politische Rahmenbedingungen zu entwickeln! Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt Heidrun Bluhm für die Fraktion Die Linke. ({0})

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Götz, auch ich hatte bis heute Morgen keine Drucksachennummer auf meinem Antrag, den die Koalitionsfraktion hier eingebracht hat. Kollege Hettlich und ich haben uns diesen Antrag gestern unter konspirativen Bedingungen besorgt, ({0}) damit wir uns auf diese Debatte heute überhaupt vorbereiten konnten. Denn wir vermuteten nach dem Titel auf der Tagesordnung, dass dieser Bericht längst fertig sei und in ihm so viel Sprengstoff stehe, dass wir nicht ausreichend Zeit zur Vorbereitung auf diese Debatte hätten. Das ist die Sachlage. Gestern habe ich den Antrag also gelesen und festgestellt, dass Sie zunächst lediglich beantragen, diesen Bericht einzufordern. Berichte sind ja immer gut. Ich habe nichts dagegen, dass solche Berichte gefertigt werden. Sie geben uns von der Opposition mit diesem Antrag die Möglichkeit, diesen Bericht, der erst gefertigt werden soll, so zu gestalten, dass er auch unsere im Zusammenhang mit der Wohnungs- und Immobilienpolitik bestehenden Fragen beantworten kann. ({1}) In Ihrem Antrag und vor allem in Ihren Reden, die Sie hier gehalten haben, ist bisher nicht ein einziges Wort darüber gefallen, wie die ostdeutschen Problematiken in diesem Bereich behandelt werden sollen. Ich befürchte, dass auch in diesem Bericht die Beleuchtung der besonderen Bedingungen der Ostdeutschen nicht vorkommen wird. Insofern haben wir hier unsere Daseinsberechtigung. Ich denke, die werden wir auch ausfüllen können. ({2}) Zum Beispiel die Altschuldenproblematik drückt nach wie vor auf die Bilanzen vor allem kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungsunternehmen in den neuen Bundesländern. Sie wirkt nach wie vor als Hemmschuh beim Stadtumbau Ost, weil sie Eigenkapital, das für Investitionen dringend notwendig wäre, bindet, indem in diesem Bereich Schulden getilgt werden, die ohnehin nur fiktiv sind. Im Rahmen des Berichts erwarten wir eine aktuelle Bestandsaufnahme und vor allem Lösungsvorschläge. Nach dem Auslaufen der Grunderwerbsteuerbefreiung bei Fusionen kommunaler Wohnungsunternehmen stellt sich für uns die Frage nach alternativen Instrumenten, um den laufenden Umstrukturierungsprozess insbesondere in der ostdeutschen Wohnungswirtschaft weiter zu unterstützen. ({3}) Das ist auch deshalb wichtig, weil aus der Wohnungswirtschaft kritische Stimmen zur geplanten Unternehmensteuerreform kommen. Dies ist zum Beispiel der aktuellen Stellungnahme des GdW zu entnehmen. In diesem Zusammenhang fordern wir eine Bilanz der Hartz-IV-Gesetzgebung und ihrer Folgen für die Wohnungswirtschaft und die Stadtentwicklung, insbesondere unter dem Stichwort der Ghettoisierung. Mietrückstände mindern die Einnahmen der Unternehmen. Zwangsumzüge führen zur Konzentration bestimmter Bevölkerungsgruppen in einzelnen Stadtquartieren. Dies erfordert Gegenkonzepte. Hat die Bundesregierung in diesem Zusammenhang mit der Wohnungswirtschaft in ausreichendem Maße Diskussionen geführt? Aufgrund einer schrumpfenden, älter werdenden und sich individualisierenden Bevölkerung kommen auf die öffentliche Wohnungspolitik und insbesondere auf die Stadtplanung große Aufgaben zu. Deshalb ist es umso wichtiger, zu wissen, welche Partner der öffentlichen Hand in der zukünftigen Entwicklung der Wohnungsund Immobilienwirtschaft zur Verfügung stehen werden. Wir sind vor diesem Hintergrund sehr gespannt auf den Erfahrungsbericht der Bundesregierung zu den Folgen der Privatisierung von Wohnungen der öffentlichen Hand an die international agierenden, renditeorientierten Immobilienfonds und auf die Rechtfertigung der Einführung von REITs in der Bundesrepublik. Zu diesem Punkt, Herr Kranz, wünsche ich Ihnen, dass Sie die Position, die Sie heute vorgetragen haben, in Ihrer Fraktion auch in Zukunft durchhalten können. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie die Frage zulassen?

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, gern.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich habe es einfach nicht gesehen. - Bitte schön.

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte Sie fragen, ob Sie wissen, dass die Dresdner PDS dem vollständigen Verkauf der WOBA zugestimmt hat und dass die Mieten in bestimmten Bereichen heute schon um mehr als 15 Prozent gestiegen sind. Was sagen Sie dazu?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es gibt noch eine Frage der Kollegin Katja Kipping. Möchten Sie diese Frage auch noch zulassen? Dann können Sie auf beide Fragen zusammen antworten. ({0}) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt - Ich glaube nicht, dass Frau Kipping die Frage beantworten möchte.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein. Ich habe natürlich eine Frage an Sie, wie es die Geschäftsordnung vorschreibt. Liebe Kollegin, könnten Sie vielleicht die Fragende darauf hinweisen, dass es erstens schon seit geraumer Zeit keine Dresdner PDS mehr gibt, sondern nur noch Die Linkspartei.PDS, ({0}) dass sich zweitens der Stadtverband der Partei mit einer überwiegenden Mehrheit eindeutig gegen den Totalverkauf der WOBA ausgesprochen hat und dass es neun Stadträte gegeben hat, von denen drei parteilos sind, die dafür gestimmt haben, dass aber gegenwärtig ein entsprechender Prozess in der Stadtpartei in Gang gesetzt worden ist ({1}) und das Votum der Partei ganz eindeutig ausgefallen ist? ({2}) Würden Sie die Kollegin vielleicht auch darauf hinweisen, dass es sich bei der Dresdner Linkspartei um eine pluralistische Partei handelt, ({3}) die sich sehr klar gegen den Verkauf der Dresdner WOBA ausgesprochen hat? ({4}) Vielleicht ist Ihnen auch bekannt, dass es einen SPDStadtrat gab, der für den Verkauf der WOBA gestimmt hat. ({5})

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin, darf ich jetzt weitersprechen?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Kollegin, unabhängig von dem, was meine Kollegin Ihnen über mich vermittelt hat ({0}) - das haben Sie sicherlich gehört -: Das ist genau der Punkt, zu dem ich im Weiteren noch gekommen wäre. Natürlich findet so etwas statt, das ist schon in allen Fraktionen vorgekommen. Auch Mitglieder Ihrer Partei haben dem WOBA-Verkauf zugestimmt. ({1}) Letztlich ist das ein Ausdruck dafür, dass die Kommunen heute aufgrund finanzieller Zwänge gegen ihren eigentlichen sozialen und gesellschaftlichen Auftrag agieren müssen, den sie zu erfüllen haben. Das ist die Krux in dieser Angelegenheit. Wir haben Bundesgesetze, die die Kommunen Dinge tun lassen, die sie eigentlich nicht tun dürften, weil sie für die Daseinsvorsorge ihrer Bürgerinnen und Bürger Sorge zu tragen haben. Immer wieder haben wir in diesem Zusammenhang gefordert, eine Gemeindefinanzreform vorzulegen, die diese Missstände letztlich beseitigen würde.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben jetzt noch ungefähr drei Sekunden, Frau Kollegin.

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Drei Sekunden?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Etwa.

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Gut, dann werde ich auf die REITs nicht weiter eingehen. Ich denke, wir müssen den Bericht abwarten und uns dann mit diesen Fragen intensiv auseinandersetzen. Ich bin sehr gespannt auf den Bericht, der demnächst vorliegt. Ich denke, ich kann schon heute sagen, dass er es wert ist, fortgeschrieben zu werden. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Peter Hettlich für Bündnis 90/ Die Grünen das Wort.

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bedanke mich bei den Kolleginnen Volkmer und Kipping für die Würze, die sie in diese Debatte, die dahinplätscherte - passend zu dem in einer rührenden Schlichtheit verfassten Antrag der Großen Koalition -, gebracht haben. ({0}) Mir fällt eigentlich noch mehr Kritik dazu ein; aber meine Kollegen Günther und Bluhm haben sie eben schon geäußert. Ich muss Ihnen wirklich sagen: Dieser Antrag, dessen große Geheimnisse uns bis gestern verborgen blieben, beinhaltet eigentlich nichts sensationell Neues. Auf die Frage, wie wichtig dieser Bericht ist, werde ich noch eingehen. Dieser Antrag ist offensichtlich ein Anzeichen für den schlechten Zustand der Großen Koalition; denn zwischen dem, was von Ernst Kranz und Peter Götz gesagt worden ist, und dem, was in diesem Antrag steht, liegt eine große Kluft. ({1}) Ich will das anhand eines Zitats belegen: Die Internationalisierung und Professionalisierung der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft schreitet deutlich sichtbar voran. Dies gilt, wie der Erwerb größerer Wohnungsbestände durch Pensions- und Private Equity-Fonds zeigt, auch für die kommunale Wohnungswirtschaft. Was schließen wir daraus? Was soll uns dieser Absatz sagen? - Ernst Kranz hat wenigstens darauf hingewiesen, welche sozialen Komponenten das beinhaltet, und hat gesagt, dass hierbei beispielsweise REITs und die Wohnimmobilien von ganz zentraler Bedeutung sind. Vom Kollegen Peter Götz habe ich dazu nichts gehört. Manchmal ist es entlarvend, was alles nicht in einem Antrag steht; das zieht sich wie ein roter Faden durch diesen Antrag. Er ist ein mühselig zusammengetragenes Papier, das zeigt, wie weit die beiden Koalitionspartner offensichtlich voneinander entfernt sind. Ich glaube, damit erweisen Sie sich bei der Frage, wie es in Deutschland mit der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft weitergehen wird, einen Bärendienst. Ich möchte jetzt auf drei Punkte eingehen, die von den Kollegen immer wieder angesprochen worden sind. Erstens: das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Ich war vorhin in der Debatte zur Einführung eines Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetzes. Minister Gabriel hat sich damit gebrüstet, was hier durch die Große Koalition erreicht worden ist. Wir bestreiten das nicht; wir finden das auch gut. Ich möchte aber an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen: Es war ein sozialdemokratischer Finanzminister, der die Begehrlichkeiten der Grünen gerade bei der Ausweitung des CO2-Gebäudesanierungsfonds immer wieder abgeschmettert hat, und zwar mit dem Hinweis, dass kein Geld in der Kasse ist. Ich denke, an der Stelle sollte man so ehrlich sein, uns nicht vorzuwerfen - wie eben in der Debatte -, dass wir uns nicht für die CO2-Gebäudesanierung einsetzen. Die Ehrlichkeit gebietet es, dass die Kolleginnen und Kollegen von den Fraktionen die Bemühungen der Grünen anerkennen; das war gerade nicht der Fall. Zweitens: der demografische Wandel. Es ist angesprochen worden, dass mit dem Raumordnungsbericht und der Raumordnungsprognose des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung eine ganze Menge Fakten auf dem Tisch liegen. Wir brauchen gar nicht groß im Einzelnen zu erklären, was wo passiert. Eines ist uns bewusst: Obwohl es erheblich schrumpfende Regionen gibt, wo zum Teil dramatische Bevölkerungsrückgänge zu verzeichnen sind, gibt es auch in diesen Regionen eine ungebremste Siedlungsentwicklung: Flächen werden weiter in Anspruch genommen. ({2}) - Lieber Kollege Kranz, schauen Sie sich die Grafiken an! Schauen Sie sich die Prognosen des BBR an! Daraus geht das eindeutig hervor. Ich frage mich, warum wir die Bundesregierung fragen, wie sie den Bericht des ihr unterstellten Institutes, des BBR, interpretiert. Ich denke, wir müssten Manns genug sein, selbst die Schlussfolgerung aus den Daten, die uns vorliegen, zu ziehen. ({3}) Drittens - ich bitte alle Kollegen eindringlich, sich dazu Gedanken zu machen -: selbstgenutzte Immobilien und die Einbeziehung dieser Immobilien in die Altersvorsorge. Man merkt, dass es hier um eine ganz heikle Sache geht, wenn man sich anschaut, was mit den Immobilien in Ostdeutschland, aber auch in anderen strukturschwachen Regionen Deutschlands passiert. Da muss man sich wirklich fragen, ob die Aussage, eine selbstgenutzte Eigentumsimmobilie sei eine gute Altersvorsorge, tatsächlich noch stimmt; ich bezweifle das. Es ist die Frage, ob dieses Instrument, bei dem in ganz Deutschland Mittel vergeben werden, tatsächlich zielführend ist; ich bezweifle das sehr stark. Ich sage Ihnen ganz deutlich: An dieser Stelle werden wir auch im Rahmen der Debatte über „Wohn-Riester“, KaNaPE oder Sofa noch erheblichen Diskussionsbedarf im Ausschuss haben. Wie gesagt, ich lasse mich überraschen, was der Bericht der Bundesregierung bringt. Ich denke, er wird nicht schaden. Ich sagen Ihnen aber auch: Wir sollten eigentlich nicht so lange warten müssen. Übrigens hat keiner der Kollegen gesagt, bis wann der Bericht eigentlich eingefordert wird. Vielleicht können Sie mir diese Antwort gleich noch im persönlichen Dialog geben. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 16/4570 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und zur Mitberatung an die Ausschüsse für Finanzen, Wirtschaft und Technologie, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Da das nicht der Fall ist, ist das so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0}) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt - zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Der Informationsfreiheit durch transparente und niedrige Gebühren zum Durchbruch verhelfen - zu dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Grietje Bettin, Volker Beck ({1}) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Bürgerfreundliche Kostenregelung für das Informationsfreiheitsgesetz - Drucksachen 16/659, 16/580, 16/2161 Berichterstattung: Abgeordnete Beatrix Philipp Gisela Piltz Silke Stokar von Neuforn Hier ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster der Kollegin Beatrix Philipp, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({2})

Beatrix Philipp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002750, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich wird in diesem Hause ja mit Redezeiten gegeizt, ({0}) manchmal durchaus nachvollziehbar, manchmal auch überhaupt nicht. Heute hätte man gut eine halbe Stunde einsparen können, nicht nur, weil eine Diskussion über Gebühren nicht sehr prickelnd ist, wie die meisten wissen, sondern weil die Praxis inzwischen gezeigt hat, dass sich die beiden Anträge bereits erledigt haben. Den Antrag der FDP, der dieser Debatte zugrunde liegt - „Der Informationsfreiheit durch transparente und niedrige Gebühren zum Durchbruch verhelfen“ -, haben wir in einer Art vorauseilendem Gehorsam bereits erledigt. Auch der Antrag der Grünen ist eigentlich erledigt, weil eine „Bürgerfreundliche Kostenregelung für das Informationsfreiheitsgesetz“ - Frau Stokar, so hieß der Antrag ({1}) inzwischen von der Realität überholt ist. ({2}) - Sie machen das jetzt aber nicht wie sonst der Kollege Tauss, Frau Stokar?! Ein Satz, ein Zwischenruf und dann habe ich auch die Möglichkeit, darauf zu antworten. Sonst wird das schwierig. Vor einem Jahr, als wir an dieser Stelle zum ersten Mal über die Anträge diskutiert haben, bewegten wir uns - das muss man schon zugeben - alle ein wenig im Bereich der Vermutungen. Meine Fraktion hat schon damals darauf hingewiesen, dass unterschiedlicher Aufwand auch unterschiedliche Gebühren erforderlich macht, und die damals geäußerten Befürchtungen nicht geteilt. Inzwischen sind wir einen erheblichen Schritt weiter. Die ersten Zahlen, Daten und Fakten liegen vor, und sie bekräftigen unsere damalige Argumentation eindrucksvoll. Das Bundesinnenministerium hat ganz aktuell, am 15. Januar 2007, eine Jahresstatistik zum Informationsfreiheitsgesetz vorgelegt, mit der wir uns heute auseinandersetzen können. Danach lagen den Bundesressorts bis Ende Dezember 2006 - immer noch sehr aktuelle Zahlen - genau 2 278 Anträge auf Information vor. Davon wurden 410 abgelehnt und 1 379 positiv beschieden. Bei lediglich 8 Prozent dieser 1 379 positiv beschiedenen Anträge haben die Behörden Gebühren erhoben, also nur bei 114 Anträgen. 1 265 Anträge waren gebührenfrei, in 50 Fällen wurden weniger als 50 Euro, in 21 Fällen weniger als 100 Euro und in 43 Fällen mehr als 100 Euro an Gebühren erhoben. Daran zeigt sich deutlich, dass in der überwiegenden Mehrheit der Anträge auf Information gar keine oder ausgesprochen moderate Gebühren erhoben werden bzw. wurden. Ihre Sorge, dass überhöhte Kosten anfragewillige Bürgerinnen und Bürger abschrecken könnten, ist also völlig unbegründet und war es eigentlich damals schon. Es gibt allerdings natürlich auch Anlass zu der Vermutung, dass Sie mit der heutigen Debatte das Thema Gebühren nutzen wollen, um die gesamte Schublade Informationsfreiheitsgesetz wieder aufzuziehen. Schließlich sind Gebühren nie populär, und man kann ja einmal darüber reden! Deshalb noch einmal: Das eigentliche Ziel war und ist, den Bürgern den Zugang zu Informationen des Bundes zu gewähren, egal ob ein berechtigtes Interesse vorliegt oder nicht. Das ist im Übrigen ein Grund, warum wir damals gegen dieses Gesetz gewesen sind. Aber, darf ich sagen, die Menschen haben es schon richtig verstanden und auch, dass in besonderen Fällen Gebühren erhoben werden müssen. Ich will an dieser Stelle noch einmal wiederholen: Erstens. Mündliche und einfache schriftliche Auskünfte sind gebührenfrei. Zweitens. Bei Ablehnung eines Antrags werden keine Gebühren erhoben. Das ist nicht unproblematisch. Im Evaluierungsbericht des Landes Nordrhein-Westfalen, damals noch unter SPD-Ägide, heißt es - ich zitiere -: Weiterhin ist darauf hinzuweisen, dass es für die kommunale Praxis mitunter nicht nachvollziehbar ist, weshalb bei Antragsablehnung keine Gebühren erhoben werden können. Denn auch die Antragsablehnung erfordert eine formelle und materielle Prüfung des Antrags, oftmals verbunden mit einer Auslegung des Antragsbegehrens, sowie eine inhaltliche Beantwortung. Es gibt also auch andere Möglichkeiten, damit umzugehen. Aber, wie gesagt, auf Bundesebene wird das nicht so praktiziert. Drittens. Die Gebühren sind nicht notwendigerweise kostendeckend, sie dürfen nicht abschreckend sein. Ich habe eben schon begründet, dass sie das nicht sind. Viertens. Wenn es im Einzelfall aus Gründen der Billigkeit oder des öffentlichen Interesses unzumutbar erscheint, Gebühren zu erheben, kann die Befreiung von Gebühren oder eine Ermäßigung vorgesehen werden. Aus diesen Gründen finde ich, dass Äußerungen wie jene, die in der Debatte vor einem Jahr fielen - wie „Demokratie verkommt zum puren Geschäft“ oder „ganze Bevölkerungsschichten werden von Bürgerrechten ausgeschlossen“ -, völlig unpassend sind. ({3}) Es gehört zur Wahrheit dazu, zu sagen, dass es in Einzelfällen zu Fehlentscheidungen gekommen sein kann, die dann von der Presse vermarktet wurden. Doch wie es im Rechtsstaat üblich ist, sind diese Fehlentscheidungen korrigiert worden. Ich muss nun auch einmal sagen: Die SPD hat ja mit den Grünen lange gegackert, bis das Ei gelegt war: sechs Jahre, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. ({4}) Dass man auch der Verwaltung ein wenig Zeit lassen muss, sich an die neuen Regeln zu gewöhnen und sich mit ihnen anzufreunden, finde ich nur fair. Der Bundesbeauftragte für Informationsfreiheit, Herr Schaar, hat am 28. Dezember 2006 genau das zum Ausdruck gebracht - ich zitiere aus seiner Bilanz -: Die anfänglich häufigen Fälle, in denen die Behörden auf den Antrag auf Informationszugang gar nicht oder nicht fristgemäß nach § 7 Abs. 5 IFG reagiert haben, sie das IFG nicht kannten oder auf sich nicht für anwendbar hielten, - jetzt kommt es! sind im Laufe des Jahres ebenso zurückgegangen wie Beschwerden über zu hohe Gebühren oder das Verlangen der Behörden nach Vorkasse. Weiter sagt er: Dies zeigt, dass es sich dabei um Anlaufschwierigkeiten handelte, das IFG inzwischen in den Behörden besser bekannt ist und die Verwaltungen offenbar zu einer moderaten Gebührenpraxis gefunden haben. So weit Herr Schaar. Wo er recht hat, hat er recht. Man muss ihn auch einmal loben; ({5}) wir haben ja oft genug Anlass, ihn zu kritisieren. Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen von FDP und Grünen, Ihr beinahe angeborenes Misstrauen gegenüber unserer Verwaltung ist also auch beim Informationsfreiheitsgesetz nicht berechtigt. Immer bedarf ein Gesetz einer gewissen Anlaufzeit. Sie wissen, dass der Bundesbeauftragte bis 2008 einen Bericht vorlegen wird, über den wir dann hier in der gewohnten Gründlichkeit, Seriosität und Sachlichkeit debattieren werden. Ich bedanke mich herzlich. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Gisela Piltz für die FDP-Fraktion.

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Philipp von der CDU, dass Sie keine Lust haben, über dieses Thema zu sprechen, wo Sie doch diejenigen gewesen sind, die dieses Informationsfreiheitsgesetz immer abgelehnt haben, wundert mich nicht. Immerhin haben Sie Ihre Redezeit nicht ausgeschöpft; das war sozusagen Ihr eigener Zeitsparbeitrag. Aber wir hätten uns auch von der CDU/CSU ein wenig mehr Bekenntnis zur Informationsfreiheit gewünscht und nicht nur das Herabspulen von Zahlen und von Anlagen zur Beantwortung von Anfragen. ({0}) Denn bei der Informationsfreiheit geht es um mehr als nur um ein Gesetz. Es ist ein Prinzip, das von der Verwaltung verinnerlicht werden muss. Informationen und Daten sind für die Verwaltung kein Selbstzweck, sondern sie werden im Auftrag der Bürgerinnen und Bürger erhoben. ({1}) Hier fordern wir ein Umdenken. Die Verwaltung ist nicht für sich selbst da, sondern für alle Menschen, die in diesem Land leben. Informationsfreiheit ist ein gelebter Teil der Demokratie. Von diesem Gedanken haben wir uns bei diesem Gesetz leiten lassen. ({2}) Unser Idealbild eines Bürgers sieht so aus: Mündige Bürgerinnen und Bürger kontrollieren die Exekutive. Sie sind daran interessiert, sich einzubringen, und sie wollen wissen, in welchem Rahmen sie sich engagieren und teilhaben können. Dafür müssen wir aber etwas tun. Ein Beitrag dazu war das Informationsfreiheitsgesetz. Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass auf die Tagesordnung eine Erfolgsgeschichte des Informationsfreiheitsgesetzes hätte gesetzt werden können. Leider ist die Geschichte des IFG eine traurige. Sie ist geprägt vom Misstrauen der Regierung und der Bürokratie gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Dabei hat es, wie wir imGisela Piltz mer wieder festgestellt haben, in den Ländern, in denen ein solches Informationsfreiheitsgesetz zur Anwendung kam - in den skandinavischen Ländern genauso wie in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein -, keine Krise gegeben. Auch die Zahl der Querulanten hat sich in Grenzen gehalten. ({3}) Es stimmt: Ohne das Parlament gäbe es dieses Gesetz nicht. Aber auch ohne die FDP, wenn ich das so sagen darf, gäbe es dieses Gesetz nicht. ({4}) Denn wir haben in der letzten Legislaturperiode dafür gesorgt, dass es den Bundesrat passieren konnte. ({5}) Deswegen ist uns dieses Gesetz wichtig. ({6}) - Ich wollte immer schon einmal Beifall von der SPD bekommen. Vielen Dank. ({7}) Der Wille des Parlaments ist das eine, die Umsetzung des Gesetzes ist das andere. Wenn die Verwaltung den Willen des Parlaments so missachtet, wie sie es heute mehr oder weniger tut, dann missachtet sie auch den Willen des Parlaments. ({8}) Die Verwaltung hat zunächst Gebührenbescheide verschickt und 100 Euro für vier Kopien verlangt. Das ist zwar besser geworden, aber wenn wir das nicht neu regeln, wird es solche Problemfälle auch in Zukunft geben. Wenn die Bürgerinnen und Bürger befürchten müssen, dass ihre Anfrage mit hohen Gebühren beschieden wird, werden sie keine Anfrage stellen; das ist nun einmal so. Eine Informationsfreiheit, die nicht genutzt wird, läuft ins Leere. ({9}) Eine Informationsfreiheit, die davon abhängt, ob man Geld hat oder nicht, ist mit einem liberalen Rechtsstaatsund Demokratieverständnis nicht zu vereinbaren. ({10}) Wir brauchen Klarheit, Transparenz und eine Verwaltungsvorschrift mit eindeutigen Vorgaben: Erstens. Gebühren von höchstens 500 Euro können nicht in jedem Fall kostendeckend sein, weil die Personalkosten so hoch sind. Hier muss man eine Regelung finden, die nicht nur darin bestehen darf, dass die eine oder andere Behörde das in der Praxis anders regelt. Wir wollen, dass das auf klare Grundlagen gestellt wird. Auch der EuGH gibt uns durch seine Rechtsprechung recht. Das zweite Problem ist, dass Vorkasse verlangt wird. Auch das ist in einem Rechtsstaat sehr merkwürdig. Das dritte Problem ist die Information über das Informationsfreiheitsgesetz. So gesehen ist unser Antrag sehr wohl aktuell. Wenn Sie auf die Homepage des Bundesinnenministeriums gehen, dann müssen Sie sich von Link zu Link weiterklicken: von „Themen A-Z“ über „Verfassungs- und Verwaltungsrecht“ bis zum „Verwaltungsrecht“. Erst dann finden Sie Informationen über das Informationsfreiheitsgesetz. Das ist nicht praktikabel. Das ist nicht informativ. Das ist peinlich, wenn ich der Bundesregierung das einmal so deutlich sagen darf. ({11}) Auch das, was Sie auf die Frage 8 in einer von den Grünen gestellten Kleinen Anfrage geantwortet haben, ist peinlich. Der Bundesregierung, deren Umweltministerium Geld übrig hat, um ein Flugblatt über die Mopsfledermaus zu verbreiten, fällt nichts weiter ein, außer auf die Informationen auf der Homepage des Bundesinnenministeriums zu verweisen. ({12}) Das sind all Ihre Informationen über das Informationsfreiheitsgesetz. Das kann nicht sein. Seit Jahrzehnten warten wir auf ein Informationsfreiheitsgesetz. Nun ist es da. Jetzt müssen Sie auch Werbung dafür machen und dürfen es nicht in der hintersten Ecke verstecken. ({13}) Wir bitten die Bundesregierung nochmals, unseren Bedenken Rechnung zu tragen. Ihr Bekenntnis und unser Bekenntnis zur Informationsfreiheit sind notwendig, damit dieses Gesetz keine leere Hülle bleibt. Stellen Sie die Weichen, damit die Bürgerinnen und Bürger schnell, unkompliziert und ohne abschreckende Gebühren zahlen zu müssen, an Informationen kommen können. Stellen Sie sicher, dass die Behörden kompetent Auskunft erteilen. Setzen Sie vor allen Dingen den Willen des Parlaments konsequent um. Vielen Dank. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Michael Bürsch das Wort für die SPD-Fraktion.

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt noch die große Gemeinsamkeit in diesem Hohen Hause. Diese besteht darin, dass wir alle stolz und froh sind, dass es ein Informationsfreiheitsgesetz gibt. Dort heißt es: Jeder hat … gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. So schön und so klar ist es in § 1 des Informationsfreiheitsgesetzes formuliert. Ich nutze die Gelegenheit, nach gut einem Jahr zu sagen: Das Informationsfreiheitsgesetz, IFG, bringt Transparenz in die Behördenvorgänge. Es ist ein wichtiger Beitrag zur Demokratie und stellt ein essenzielles Bürgerrecht dar; darüber gibt es gar keinen Zweifel. Ich bin froh, dass es dieses Gesetz gibt. Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich, dass die FDP im Juni/Juli 2005 das Zustandekommen dieses Gesetzes ermöglicht hat. Ich darf heute die letzte große Volkspartei im Boot begrüßen: Auch die CDU/CSU ist mittlerweile ein Anhänger dieses Gesetzeswerks. Die Rede von Frau Philipp hat bewiesen, dass auch sie froh ist, dass es ein solches Gesetz gibt. Nun zu den heute zur Abstimmung anstehenden Anträgen. Ich stimme meiner Koalitionskollegin hundertprozentig zu: Es geht nur um Kostenfragen. In ihren Anträgen verlangen FDP und Grüne eine „bürgerfreundliche Kostenregelung für das Informationsfreiheitsgesetz“ bzw. „niedrige Gebühren“. Die Praxis nach einem Jahr Informationsfreiheitsgesetz zeigt: Diese Forderungen sind erfüllt. Ich kann mich dabei - genauso wie Frau Philipp - auf eine neutrale, objektive Quelle berufen. Der Bundesbeauftragte für die Informationsfreiheit hat Ende 2006, also ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes, erklärt, dass es auf Bundesebene zu Beginn zwar in Einzelfällen Anlaufschwierigkeiten gab, dass aber „die Verwaltungen offenbar zu einer moderaten Gebührenpraxis gefunden haben“. Sicherlich gab es zu Beginn in Einzelfällen Schwierigkeiten. Meine Nachrednerinnen werden vielleicht noch weitere Einzelfälle nennen können. ({0}) Aber es verhält sich hier genauso wie mit der Geschwindigkeitsbegrenzung: Wenn irgendwo 50 km/h vorgeschrieben sind, wird es immer ein paar Missetäter geben, die 75 km/h fahren. Dafür gibt es aber Gesetze. Auch hier sind die Kosten klar geregelt, genauso wie die Tatsache, dass Vorkasse zu leisten ist und Gebühren nicht addiert werden dürfen. Mein Fazit lautet: Nach Maßgabe von § 10 des Informationsfreiheitsgesetzes erheben die Bundesbehörden angemessene Gebühren für Informationsbegehren der Bürgerinnen und Bürger. Niemand wird durch erhöhte Gebühren davon abgeschreckt, seine Rechte auf Information wahrzunehmen. Das Bundesinnenministerium hat zugesagt, darauf zu achten, dass die Bundesbehörden auch in Zukunft eine angemessene Gebührenpolitik betreiben. Auf diese Zusage setzen wir von der SPD. Ich glaube, darauf kann auch das Hohe Haus setzen. Es gibt eine Erkenntnis von Goethe, die da lautet: Getretener Quark wird breit, nicht stark. - Ich schließe meine Ausführungen an dieser Stelle. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann erteile ich jetzt das Wort der Kollegin Petra Pau für Die Linke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Überraschen wir uns damit, was möglich ist.“ Das war der Leitsatz von Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Neujahrsansprache. Ich würde mich heute von der Union und der SPD gerne überraschen lassen. Aber nach den Ausführungen meiner Vorredner ist klar, dass sie diese Überraschung nicht wollen, das heißt, dass sie nicht für noch mehr Demokratie und Bürgerrechte stimmen wollen. Aber genau darum geht es in der heutigen Debatte. Das Informationsfreiheitsgesetz soll entfesselt und die Rechte der Bürgerinnen und Bürger sollen gestärkt werden. Darauf zielen die vorliegenden Anträge der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen, und genau das will auch die Fraktion Die Linke. Wir wollen, dass das Gesetz das bewirkt, was es vorgibt, nämlich Informationsfreiheit - und zwar für alle - statt Geheimniskrämerei. ({0}) Das Informationsfreiheitsgesetz sollte jeder Bürgerin und jedem Bürger zu umfangreichen Einsichten verhelfen. Sie sollen Auskünfte erhalten, Akten einsehen und Planungen nachvollziehen können, und zwar möglichst ausnahmslos, umgehend und bürokratiefrei. Das war der Sinn, als der Bundestag vor zwei Jahren endlich dieses Gesetz schuf. Aber - auch das gehört zur Geschichte - die Schöpfer hatten das Informationsfreiheitsgesetz zugleich mit Mühlsteinen behängt. Einer bewirkt: Wer Auskunft begehrt, soll dafür zahlen, und zwar bis zu einer Obergrenze - davon war schon die Rede - von 500 Euro. Das ist mehr, als manch einer überhaupt zur Verfügung hat. So gilt auch hier: Wer arm dran ist, wird auch noch seiner Bürgerrechte beraubt. ({1}) Die Kollegin Piltz hat bereits darauf hingewiesen. Jemand, der mit jedem Cent rechnen muss, wird sich überlegen, ob er eine Auskunft verlangt oder ob er das Geld lieber für seinen Lebensunterhalt verwendet. ({2}) - Inzwischen gibt es praktische Erfahrungen mit dem Gesetz, Kollege Bürsch. Anders, als es Kollegin Philipp dargestellt hat, überwiegen die schlechten die guten Erfahrungen. Es ist schließlich nicht zu rechtfertigen, wenn zum Beispiel das Auswärtige Amt für eine Auskunft in Form von vier Fotokopien 100 Euro begehrt. ({3}) Das ist keine Information für freie Bürger, sondern Wucher. Genau das ließe sich ausschließen, wenn Sie es heute alle wollten und den vorliegenden Anträgen zustimmen würden. Die Oppositionsparteien - FDP, die Linke und Bündnis 90/Die Grünen - sind sich einig wie selten: Wir wollen Informationsfreiheit. Aber schon in den Ausschussberatungen hat sich gezeigt, dass sich die CDU/CSU und die SPD standhaft gegen die Beseitigung der Mühlsteine wehren. Im Protokoll ist unter dem Stichwort „Lösungen“ festgehalten: Ablehnung der Anträge. Heute wollte ich mich überraschen lassen, ob wenigstens die Abgeordnete Dr. Merkel die Neujahrsansprache der Kanzlerin Dr. Merkel verstanden hat. ({4}) Sie hätte heute die Chance gehabt, sich von den rückwärtigen Diensten der Großen Koalition zu emanzipieren und mit der Opposition für Informationsfreiheit zu stimmen. ({5}) Sie ist leider in Brüssel. Sie haben aber die Möglichkeit, liebe Kollegen aus der Koalition, das stellvertretend für Frau Merkel zu tun. Ich halte es mit Faust: „Der Worte sind genug gewechselt. ({6}) Lasst mich endlich Taten sehen!“ Ich befürchte nur, dass Ihr Faust wieder recht behalten wird: „Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ So geht es inzwischen vielen, wenn sie Silvester wohlfeile Reden hören. Das schafft nur eines, nämlich Demokratieverdruss, den wir überhaupt nicht gebrauchen können. Deshalb fordere ich Sie auf: Kehren Sie um, und stimmen Sie den Anträgen der Kollegen zu! ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat die Kollegin Silke Stokar das Wort für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass wir heute betonen und feiern müssen, dass eine einfache Anfrage an die Verwaltung gebührenfrei ist, ist ein peinliches Indiz für den Stand der Verwaltungsreform auf Bundesebene. Für mich ist es selbstverständlich, dass ein Bürger oder eine Bürgerin, die eine Frage an die Verwaltung haben, nicht erst einen Kostenbescheid, sondern eine Antwort erhalten. Ich will meine kurze Redezeit nutzen, um die Kritik, die wir nach wie vor an der Kostenverordnung zum Informationsfreiheitsgesetz haben, noch einmal im Detail zu begründen. Nach wie vor ist eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz teurer als eine Anfrage nach dem Umweltinformationsgesetz. Wie wollen Sie das den Bürgerinnen und Bürgern erklären? Wir haben schon auf dieser Ebene zwei völlig unterschiedliche Gebührenordnungen. Ich möchte auch etwas zu den Auskünften sagen, die Bürgerinnen und Bürger erhalten, die eine etwas komplexere Frage als die nach einem einfachen Verwaltungsvorgang stellen. Sie erhalten nach wie vor die Auskunft: Ihre Anfrage kann Gebühren zwischen 15 und 500 Euro erzeugen. Darüber hinaus sind eventuell entstehende Auslagen erstattungspflichtig. - Das ist auch heute noch eine Auskunft, die fragende Bürgerinnen und Bürger bekommen. Ich bleibe dabei: Eine solche Auskunft ist kein Anreiz zum freien Informationszugang, sondern abschreckend. ({0}) Wir freuen uns natürlich, dass das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes mittlerweile in sechs weiteren Bundesländern existiert. Aber wie wollen Sie erklären - Herr Kollege Bürsch, auch Sie sind doch für Bürokratieabbau zuständig -, dass in Deutschland eine Heerschar von Bediensteten des öffentlichen Dienstes damit beschäftigt ist, zu ergründen, was die Übermittlung einer vom Staat erstellten DIN-A4-Kopie an die Bürgerinnen und Bürger wohl im Einzelnen kosten könnte? Auf Bundesebene gibt es mindestens drei verschiedene Gebührenordnungen für diesen Vorgang, und in jedem Bundesland kommt die Heerschar von Bediensteten des öffentlichen Dienstes wiederum zu anderen Ergebnissen. Das ist keine bürgerfreundliche Gebührenordnung; vielmehr macht sich der öffentliche Dienst damit lächerlich. Wir fordern nach wie vor eine bürgerfreundliche und einheitliche Gebührenordnung für den Informationszugang zu Vorgängen in der öffentlichen Verwaltung. Lassen Sie mich zum Schluss einen Vorschlag machen. Im Informationsfreiheitsgesetz gibt es die Anregung - so können Sie Kosten sparen -, einfache Verwaltungsvorgänge in das Internet zu stellen, damit ein Klick ausreicht, um die Information über die Akten zu bekommen, auf die Bürgerinnen und Bürger Anspruch haben, ohne lange Anfragen zu stellen. Nicht ein Ministerium hat diese Anregung umgesetzt. Ein letzter Hinweis zu den Anfragen - das sollten Sie, meine Damen und Herren von der SPD, auswerten -: Es sind in erster Linie Journalisten, die Anfragen zu komplexen Themen stellen, weil hinter ihnen eine Redaktion steht, die das Kostenrisiko trägt. Viele Anfragen kommen auch aus Verbänden. Es ist den Widersprüchen, die diese Personen eingelegt haben, zu verdanken, dass in Einzelfällen von den hier genannten horrenden Gebührenforderungen wieder Abstand genommen worden ist. Es ist also nicht die Gebührenordnung des BMI, die bürgerfreundlich ist, sondern es ist der Widerstand der Bürgerinnen und Bürger gegen eine völlig unsinnige Gebührenordnung gewesen, der zum Einlenken geführt hat. Das halten wir nach wie vor nicht für richtig. Danke schön. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 16/2161. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/659 mit dem Titel „Der Informationsfreiheit durch transparente und niedrige Gebühren zum Durchbruch verhelfen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der FDP und der Linken bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/580 mit dem Titel „Bürgerfreundliche Kostenregelung für das Informationsfreiheitsgesetz“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist auch diese Beschlussempfehlung bei Zustimmung der Koalition, Ablehnung durch die Fraktion Die Linke und die Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen und Enthaltung der Fraktion der FDP angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Verdeckte Armut bekämpfen - Rechte wahrnehmen, unabhängige Sozialberatung ausweiten und Selbsthilfeinitiativen unterstützen - Drucksache 16/3908 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Es ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile das Wort der Kollegin Katja Kipping für Die Linke. ({1})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Immer mehr Menschen in diesem Land leben in Armut. Da können wir nicht einfach tatenlos zusehen. Hier müssen wir handeln. ({0}) Wenn wir über Armut reden, dann müssen wir uns auch mit dem Problem „verdeckte Armut“ beschäftigen. 2,5 Millionen Menschen leben in Deutschland in Armut. Das heißt, sie hätten laut Gesetz zwar Anspruch auf Sozialleistungen, stellen aber keinen Antrag. Warum? Die Bundesregierung ist der Meinung, diese Menschen verzichten freiwillig darauf, weil sie den Bezug von Sozialleistungen vermeiden wollen. Deswegen sieht die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf. Glauben Sie im Ernst, dass 2,5 Millionen Menschen freiwillig in Askese leben? ({1}) Die Wissenschaftlerin Irene Becker hat die persönlichen Ursachen von verdeckter Armut untersucht. Im Übrigen hat die Bundesregierung ihre Kompetenz bei der Erarbeitung des Armuts- und Reichtumsberichts sehr zu schätzen gewusst. Das Ergebnis dieser Wissenschaftlerin ist eindeutig: Die Menschen verzichten nicht nur aus Bescheidenheit; die Gründe reichen vielmehr von Angst vor Stigmatisierung über schlechte Erfahrung mit Behörden bis hin zur Unkenntnis, auch wenn die Bundesregierung das nicht wahrhaben möchte. Nur ein Beleg für Unkenntnis: 57 Prozent der verdeckt Armen meinen, man müsse Sozialhilfe zurückzahlen, wenn es einem besser gehe. Wir wissen, dass das ein Irrtum ist. Zu den politischen Ursachen von verdeckter Armut. Da ist an erster Stelle der repressive Charakter Ihrer Sozialpolitik, meine Damen und Herren von SPD und CDU/CSU, zu nennen. Wer heute einen Antrag auf den Bezug von Sozialleistungen stellt, muss womöglich mit dem Besuch von Sozialdetektiven rechnen, die im Einzelfall nicht davor zurückschrecken, die Nachbarn auszufragen. Eine solche Praxis steigert natürlich die Angst vor Stigmatisierung und führt dazu, dass Menschen darauf verzichten, einen Antrag zu stellen. Arbeitsmarktinstrumente wie Weiterbildung sollten den Menschen eigentlich helfen, wieder eine Stelle zu finden. Aber dieses Anliegen rückt immer mehr in den Hintergrund. Anstatt Menschen mit Eingliederungsmaßnahmen bei der Jobsuche aktiv zu helfen, geht es doch vor allen Dingen nur noch um Abschreckung. Die Linke meint: Dies muss sich schleunigst ändern. ({2}) Besonders hoch ist die Quote der verdeckten Armut bei den Niedriglöhnern. Hier würde ein Mindestlohn von 8 Euro die Stunde helfen. Meine Damen und Herren von der SPD, ich fordere Sie auf, sich einmal in einem Punkt durchzusetzen - es wird Zeit -; vielleicht setzen Sie sich mit Ihrer Forderung nach Einführung eines Mindestlohns endlich durch. ({3}) Mit einem Mindestlohn und mit einer repressionsfreien sozialen Grundsicherung könnte man das Problem „verdeckte Armut“ bei der Wurzel packen. Ein erster Schritt wäre, zumindest dafür zu sorgen, dass die Erwerbsloseninitiativen in den Beiräten der örtlichen Arge und der örtlichen Jobcenter vertreten sind. ({4}) Sie sind in einigen Städten vertreten, aber nicht überall. Ich finde, sie sollten überall vertreten sein; denn die Kompetenz der Betroffenen ist viel zu wertvoll, als dass die Argen darauf einfach verzichten können. Außerdem brauchen wir endlich einen Rechtsanspruch der Bedürftigen auf eine unabhängige Beratung. Gegenwärtig berät genau die Stelle, die auszahlen soll. Es liegt doch aber auf der Hand, dass die zahlende Stelle andere Interessen hat als diejenigen, die einen Anspruch auf Leistung haben. Wenn Sie sich eine Waschmaschine kaufen wollen, dann fragen Sie doch auch nicht nur beim Hersteller nach, sondern nutzen unabhängige Institute wie die Stiftung Warentest. Die Linke meint: Das Recht auf eine unabhängige Beratung muss auch für Niedriglöhner und Erwerbslose gelten, wenn es um die Sicherung ihrer Existenz geht. ({5}) Ich fasse zusammen: Verdeckte Armut ist ein zentrales Problem. Handeln tut hier not. Wir haben Ihnen verschiedene Lösungsansätze unterbreitet. Ich kann Sie nur auffordern, dass wir uns in den gemeinsamen Beratungen auf den Weg machen, Lösungen für dieses große Problem zu finden. Besten Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt der Kollege Karl Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Verdeckte Armut bekämpfen“ ist der Titel des Antrags der Fraktion Die Linke und der Anlass dieser Debatte. Verdeckte Armut bekämpfen, wollen Sie das wirklich? Ich jedenfalls glaube Ihnen das nicht. Verdeckte Armut wollen Sie damit bekämpfen, dass Sie einen Achtpunktekatalog mit viel Verwaltung aufstellen. In Wirklichkeit verfolgen Sie mit diesem Katalog nichts anderes als eine Verfestigung der SGB-IIStrukturen. In Ihrem Antrag verlieren Sie kein Wort darüber, wie Sie die Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren wollen. ({0}) Sie zeigen vielmehr, wie die Menschen möglichst lange in dem System bleiben können. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass die Menschen ihre Rechte nicht kennen. Über 100 000 Klagen vor den Sozialgerichten sprechen eine andere Sprache. Was Sie wollen, ist eine ausdifferenzierte Verwaltungsstruktur für SGB-II-Empfänger. ({1}) Mit einem neuen und künstlich aufgeblähten Apparat von nebenstaatlichen Institutionen, mit mehr Klagen und Gerichtsverfahren und mit einem schon fast krankhaften Misstrauen gegenüber den Mitarbeitern unserer Behörden wollen Sie angeblich Armut bekämpfen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. ({0}) Es gibt in unserem Land Armut. Aber glauben Sie wirklich, dass Sie mit diesem Antrag die Armut bekämpfen können? Nein, Sie schüren Sozialneid, rütteln an den Grundfesten unseres Sozialsystems und entmündigen den einzelnen Menschen, mehr nicht. ({1}) Armut bekämpfen Sie noch nicht einmal im Ansatz. Das Beste gegen Armut ist Arbeit. Armut kann mit Mut und Motivation, mit Förderung und Qualifikation sowie mit der Stärkung von Selbstvertrauen und Eigenverantwortung bekämpft werden. Dazu - das verkenne ich nicht, und das verkennen wir nicht - ist allerdings Hilfe nötig. Doch diese Aspekte sind Ihnen völlig fremd, weil sie nicht Ihrem Menschenbild entsprechen. „Eigenverantwortung“ und „Eigeninitiative“ sind Begriffe, die Ihr Wortschatz nicht umfasst. ({2}) Sie versprechen den Menschen einen Staat, der sich um alles kümmert. Doch dieser angeblich rundum versorgende Staat existiert nicht. Ich sage Ihnen: Er darf auch nicht existieren, weil er die Menschen entmündigt. ({3}) Unser Sozialstaat steht weiterhin vor großen Herausforderungen; das ist richtig. Neben der demografischen Entwicklung hat vor allen Dingen eine zunehmende Individualisierung in unserer Gesellschaft zu einer Legitimationskrise des Sozialstaats geführt. So glaubten in der Vergangenheit viele, dass anstelle von Familien der Sozialstaat eintreten könnte. Man forderte umfassenden sozialen Schutz, der alle Lebensrisiken absichert. Man erwartete vom Staat alles und jedes. Aber ohne Gegenleistung, meine Damen und Herren, sind Staat und Gesellschaft überfordert. ({4}) Solidarität ist keine Einbahnstraße. ({5}) Zur Gerechtigkeit in unserem Land muss jeder Einzelne im Rahmen seiner Möglichkeiten seinen Beitrag leisten und Verantwortung übernehmen. Nur so wird wirklich soziale Gerechtigkeit erreicht. Vor den Satz „Er hatte ein Recht auf …“ gehört der Satz: „Ich habe die Pflicht zu …“. ({6}) Nur wenn jeder Einzelne Verantwortung übernimmt, kann man strukturellen Ungleichheiten entgegenwirken. Dass es diese gibt, verkenne ich nicht. Ja, es gibt große Armut im Land. Viele Menschen leben in bescheidenen, sehr bescheidenen, ja, in harten Verhältnissen. Dazu gehören alleinerziehende Mütter, die auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind, weil allzu oft die Exmänner den Unterhalt verweigern. Dazu gehören Frauen, die oftmals unter immensem Druck stehen, weil sie nicht selten halbtags arbeiten und zugleich noch den Haushalt und die Kinderbetreuung zu meistern haben. Ich sehe aber auch jene Menschen, die in dritter Generation von Sozialtransfers leben und die dringend einer konsequenten persönlichen Unterstützung bedürfen, um aus dieser Situation herauszukommen. Da helfen keine zusätzlichen Behörden und keine Gerichte; da hilft nur eine auf den Einzelfall bezogene persönliche Unterstützung. ({7}) In einer Solidargemeinschaft verpflichtet sich jeder Einzelne, seinen Beitrag zu leisten. Jeder oder jede tut das, was er oder sie mit seinen bzw. ihren Fähigkeiten leisten kann; denn Solidarität ohne Eigenleistung und Eigenverantwortung funktioniert nicht. ({8}) Dieses Verhältnis von Solidarität und Eigenverantwortung bestimmt, ob und inwieweit unsere Gesellschaft sozial gerecht ist. Chancen- und Teilhabegerechtigkeiten definieren diese soziale Gerechtigkeit. Wir müssen für alle gleiche Startbedingungen schaffen, damit der Einzelne die Möglichkeit erhält, durch eigene Leistung im Leben voranzukommen und jene gesellschaftliche Stellung zu erreichen, die er sich wünscht und die seinen bzw. ihren Fähigkeiten entspricht. Das erreichen wir mit Ihrem Antrag mit Sicherheit nicht. Vielmehr müssen wir in Bildung, in die Köpfe und Herzen der Menschen investieren. Wir müssen sie an Bildung teilhaben lassen. Vor allem Kinder mit Migrationshintergrund und aus bildungsfernen Schichten müssen so früh wie möglich unsere Unterstützung erhalten. Nur auf diese Weise können wir den genannten Sozialhilfekarrieren entgegenwirken. ({9}) Wir müssen allen Arbeitslosen sofort ein Angebot unterbreiten, damit die Menschen nicht lange arbeitslos sind. ({10}) Dass das funktioniert, hat unlängst, in jüngster Vergangenheit, die Kurstadt Bad Schmiedeberg im Südosten Sachsen-Anhalts gezeigt. Innerhalb weniger Wochen wurde dort die Zahl der Arbeitslosen im Rahmen der Bürgerarbeit halbiert. Hier wird Arbeitslosigkeit nicht als naturgegebenes Schicksal hingenommen. Arbeitslose Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt kaum Chancen haben, erhalten eine gemeinnützige Beschäftigung in Vereinen, in der Kirche, in der Jugend- oder Seniorenbetreuung. Statt zusätzliche Behörden und Rechtsbeistände zu schaffen, werden die Menschen hier an die Hand genommen. In intensiven Beratungsgesprächen stellt sich schnell heraus, welche Chancen sie haben. Finanziert wird das Ganze - das ist spannend - aus dem Topf für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen der Arbeitsagentur. ({11}) Das Land Sachsen-Anhalt übernimmt die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung. Je nach Qualifikation erhalten die Menschen zwischen 675 und 975 Euro brutto im Monat. Wissen Sie, was das Tollste ist? Die Bürgerarbeiter freuen sich über Arbeit und Lohn. Sie freuen sich, dass sie in unserer Gesellschaft wieder gebraucht werden. Außerdem sinken die Kosten; denn den Ausgaben für die Bürgerarbeit stehen Einsparungen gegenüber: Die Arbeitsagentur gibt für die sogenannten passiven Leistungen wie das Arbeitslosengeld und die Sozialbeträge weniger aus, und die Gemeinde spart bei den Kosten für Unterkunft und Heizung. Das Allerbeste ist aber, dass 20 Prozent der Bürgerarbeiter in relativ kurzer Zeit in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden konnten. ({12}) So schafft man Arbeit, und so bekämpft man Armut! Der Arbeitsmarkt kommt in Bewegung. ({13}) Die Arbeitslosigkeit nimmt deutlich ab, und die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze steigt. Auch Langzeitarbeitslose profitieren davon, aber längst nicht in dem Maße, wie wir uns das wünschen. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie jetzt eine Zwischenfrage zulassen?

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. ({0}) Den Langzeitarbeitslosen wollen wir eine Perspektive bieten und sie in Arbeit bringen. Gerade erst hat sich die Große Koalition auf einen staatlich bezuschussten Kombilohn für die mehr als 50 000 jungen Arbeitslosen unter 25 Jahren verständigt. Auch den Niedriglohnsektor wollen wir regeln. Insbesondere die Hinzuverdienstgrenze bei Leistungen nach dem SGB II müssen wir ändern. Vor allem müssen wir einen Anreiz für Arbeit setzen: Arbeit muss sich lohnen; die Empfänger sollen nicht nur so viel hinzuverdienen, dass sie den Anspruch auf Arbeitslosengeld II verlieren. ({1}) Wir gehen die Probleme auf dem Arbeitsmarkt an. Was wir brauchen, sind nicht möglichst viele Rechtsbeistände in jeder Amtsstube und auch keine staatliche Finanzierung von Interessengruppen, wie es in Ihrem Antrag steht. Wir wollen Armut bekämpfen. Was wir brauchen, sind fördernde Strukturen und Initiativen wie in Bad Schmiedeberg und in anderen Orten, damit Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit kommen und keine Verkrustung von Grundsicherungsstrukturen entsteht. Ich danke Ihnen herzlich für die Aufmerksamkeit. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt das Wort der Kollegin Katja Kipping.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Schiewerling, Sie sagten: Das beste Mittel gegen Armut ist Arbeit. ({0}) Dazu kann ich nur sagen: Leider müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen zunimmt. ({1}) Auch Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass Ihr Satz für immer mehr Menschen in diesem Land nicht zutrifft, weil die Zahl derjenigen, die von früh bis spät arbeiten und trotzdem unterhalb der Armutsgrenze leben, deutlich zunimmt. Das haben wir in unserem Antrag ausgeführt. Das ist durch wissenschaftliche Studien belegt. ({2}) Zweitens. Wenn Sie uns hier vorwerfen, dass wir in diesem Antrag keine Vorschläge unterbreiten, wie wir Menschen in Arbeit bringen können, dann kann ich Sie an dieser Stelle nur noch einmal daran erinnern: Seit September 2006 liegt ein Antrag meiner Fraktion für einen öffentlichen Beschäftigungssektor vor. Eine unerträgliche Blockade- und Verschleppungspolitik von CDU/CSU und SPD im Ausschuss für Arbeit und Soziales hat dazu geführt, dass wir leider erst am 7. Mai dieses Jahres in der Lage sind, eine Anhörung dazu durchzuführen. Sie haben diesen Modellversuch gepriesen. Da kann ich nur sagen: Wenn es Ihnen mit dem Lob für diesen Modellversuch ernst ist - die Leute bekommen dabei übrigens echt schlechte Löhne -, dann sorgen Sie endlich durch ein Bundesgesetz dafür, dass öffentliche Beschäftigung flächendeckend eingeführt werden kann. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Schiewerling.

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kipping, erstens nimmt die Langzeitarbeitslosigkeit nicht zu, sondern die Arbeitslosigkeit nimmt ab. Nehmen Sie das zur Kenntnis. ({0}) Der zweite Punkt, Frau Kollegin Kipping: Es gibt viele Leute, die Statistiken lesen können. Auch wir können das, nicht nur Sie. Ich würde Ihnen raten, bei der Gesamtbeurteilung einmal etwas vorsichtiger zu sein. Ich kenne die Hintergründe Ihrer Arbeit. Sie brauchen dieses Thema, um sich auf dem Rücken der Arbeitslosen als Partei zu profilieren, und zwar gegen alle anderen. Sie haben kein anderes Interesse. ({1}) Sie spielen sich auf als diejenigen, die als einzige die Wahrheit haben. Ich sage Ihnen: Erstens beginnt die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit aufzubröckeln. Die Langzeitarbeitslosigkeit geht zurück. Zweitens verweise ich auf das, was ich Ihnen über Bad Schmiedeberg vorgetragen habe. Dieses Projekt erfolgt im Rahmen der bestehenden SGB-II-Strukturen, im Rahmen dessen, was vorgegeben ist, und zwar mit Unterstützung aller Beteiligten. Wir brauchen dazu keine zusätzliche Anhörung. Wir brauchen kein zusätzliches Instrument. Wir kommen mit den vorhandenen Instrumenten prima aus. Wir müssen sie nur richtig einsetzen. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Heinz-Peter Haustein das Wort für die FDPFraktion. ({0})

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der zur Debatte stehende Antrag der Linken trägt die Überschrift „Verdeckte Armut bekämpfen“. Der Antrag verweist in hohem Maße auf verdeckte Armut. Es ist die Rede von 5 Millionen Bedarfsgemeinschaften, die eine Berechtigung haben, Leistungen zu beziehen, und von nur 4,1 Millionen, die tatsächlich Leistungen erhalten. Es werden Maßnahmen vorgeschlagen, um den 900 000 Bedarfsgemeinschaften, die zwar einen Anspruch haben, aber keine staatlichen Leistungen erhalten, diese zu ermöglichen. Aber dadurch, dass die Menschen in größerem Umfang staatlich alimentiert werden, ist die Ursache von Armut nicht bekämpft. Damit bekämpfen Sie die Verdeckung der Armut, nicht aber die verdeckte Armut. Dieser Titel führt also in die Irre. Wir als FDP haben das Fortentwicklungsgesetz aus guten Gründen abgelehnt. Aber wenn Sie in Ihrer Antragsbegründung indirekt unterstellen, das Gesetz hätte die offensichtliche Funktion, Leistungsberechtigte von der Beantragung staatlicher Leistungen abzuschrecken, muss ich gleich eines klarstellen. Sie zitieren als Beleg in der Begründung: „Die frühzeitige Unterbreitung von Eingliederungsangeboten ist ein geeignetes Mittel, ... die Bereitschaft des Hilfesuchenden zur Arbeitsaufnahme zu überprüfen.“ Ich sage Ihnen: Im Interesse aller Menschen, die redlich ihrer Arbeit nachgehen und mit Steuern und Beiträgen staatliche Sozialleistungen ermöglichen, muss es verantwortungsvolle Praxis sein, die Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme, wenn Angebote vorliegen, einzufordern. ({0}) Sie zitieren eine Studie, die als einen Faktor für die Nichtinanspruchnahme von Leistungen mangelnde Kenntnisse der Rechtslage angibt. Daraus leiten Sie die Notwendigkeit für eine unabhängige Rechtsberatung ab. Sie vermitteln den falschen Eindruck, nämlich den, dass die Mitarbeiter der Argen die Anspruchsberechtigten nicht ausreichend oder sogar falsch beraten. ({1}) Das kann man so nicht stehen lassen. Vielmehr ist Unkenntnis über die Berechtigung zu einer Leistung Ursache der Nichtinanspruchnahme, nicht eine falsche Beratung. So heißt es auch in der von Ihnen zitierten Studie von Irene Becker: ... möglicherweise ist die Differenz auf Teilzeitoder geringfügig Beschäftigte zurückzuführen, die ihren ... Anspruch auf ergänzende Leistungen nach dem SGB II nicht kennen. Das heißt, die Menschen wissen nichts von ihrem Anspruch. Daraus abzuleiten, sie seien falsch beraten worden, ist nicht hinnehmbar. ({2}) Im Gegenteil: Eigeninitiative ist nicht zu ersetzen. Den Gang zu einer Arge zur Anspruchsprüfung kann den Menschen keiner abnehmen, auch nicht der unabhängige Rechtsberater. Weder beraten die Mitarbeiter der Argen falsch, noch ist es staatliche Intention, Menschen von der Leistungsbeantragung abzuschrecken. ({3}) Woher Sie das Geld zur Deckung der Kosten für diese unabhängige Rechtsberatung nehmen wollen, verschweigen Sie völlig. ({4}) Lassen Sie mich zu dem kommen, worum es gehen müsste, zur Bekämpfung der verdeckten Armut; denn dass es verdeckte Armut gibt, bestreitet niemand. ({5}) Dazu brauchen wir keine Studie. Es gibt Menschen, die vollzeitbeschäftigt sind und trotzdem so wenig verdienen - in meinem Wahlkreis im Erzgebirge sind es 25 Prozent -, dass sie ergänzendes ALG bekommen. So kann es nicht sein. ({6}) Es muss sich wieder lohnen, arbeiten zu gehen. Es muss wieder das Gleichgewicht hergestellt werden. ({7}) Dem Lohnabstandsgebot muss wieder zum Durchbruch verholfen werden. Es darf nicht sein, dass jemand, der arbeitet und sich redlich bemüht, seine Familie zu ernähren, am Ende weniger übrig behält als jemand, der zu Hause ist und sich auf die Solidargemeinschaft verlässt. ({8}) Wir brauchen eine konsequente Entlastung. Es muss von dem Erarbeiteten mehr übrig bleiben. Es muss der Anreiz verstärkt werden, sich wenigstens mit kleinen Beschäftigungsverhältnissen teilweise selbst zu ernähren und so die Chance zu erhalten, wieder in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis zu kommen. Unser Bürgergeldkonzept liegt ebenso auf dem Tisch wie Vorschläge zu den nötigen Flexibilisierungen im Tarif- und Arbeitsrecht. Das ist alles schon vorhanden. Geben wir den Menschen mehr Freiraum, eigenverHeinz-Peter Haustein antwortlich für ihr Leben zu sorgen! Damit tun wir das Beste zur Bekämpfung der Armut. Kämpfen wir für Bürokratieabbau, für mehr Investitionen, eben nicht für die Verwaltung der Arbeitslosigkeit, sondern für mehr Arbeitsplätze! In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge! ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Rolf Stöckel für die SPD-Fraktion.

Rolf Stöckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verdeckte Armut in Deutschland ist Realität, auch wenn sie abnimmt. Sie muss mit allen geeigneten Mitteln bekämpft werden. Die Notlagen der Betroffenen - da bin ich mir ganz sicher - sind niemandem in diesem Hohen Hause gleichgültig. Komplett wird aber selbst der beste Sozialstaat, den wir uns vorstellen können, verdeckte Armut nie abschaffen können. Es gibt nämlich keine Pflicht, staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen. Fiktiv wäre das zwar in einem totalitären Staat möglich; dieser würde aber ganz andere Probleme - Unterdrückung und andere Notlagen für Menschen - mit sich bringen. Deshalb wollen ja auch die meisten Mitglieder des Hohen Hauses nie mehr einen solchen Staat. Verdeckte Armut ist naturgemäß wenig erforscht. Wenn man sich genauer damit beschäftigt, stellt man fest, dass es hierfür verschiedenste Gründe gibt. Selbst die im Antrag zitierte Studie von Becker und Hauser im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung kann man, so dankbar wir dem DGB für die Thematisierung von verdeckter Armut sind, bestenfalls als Annahme, Kalkulation bzw. Hochrechnung betrachten. Die Datengrundlage stammt nämlich aus dem Jahre 2003 und ist auf die alte Sozialhilfe und auf das sozio-ökonomische Panel von 2004 bezogen. Die Studie berücksichtigt also weder die Einführung der Grundsicherung für Ältere und Erwerbsgeminderte im Jahre 2003 noch die Reform der Sozialhilfe im SGB XII und das neue Behindertenrecht im SGB IX. Die rot-grüne Bundesregierung hat damals mit der Einführung einer Einkommensfreigrenze von 100 000 Euro für unterhaltspflichtige Kinder und Eltern einen Hauptgrund für verschämte Altersarmut abgeschafft. Ich denke, das war ein wichtiger Grund dafür, dass wir uns in der Armuts- und Reichtumsberichterstattung speziell mit den Auswirkungen auf die Grundsicherung von Älteren und Erwerbsgeminderten beschäftigen wollen. Der Antrag und die Studie berücksichtigen vor allem nicht die veränderte Lage nach der Zusammenführung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe für Erwerbsfähige im SGB II im Jahr 2005. Wir haben damit die Rechtsansprüche und den Berechtigtenkreis erweitert und Stigmatisierung erheblich abgebaut. Sonst würden nicht so viele Selbstständige diese Leistung beantragen. Wir haben daneben die Einrichtung von Schiedsstellen, eines Ombudsrates, der sich auf nationaler Ebene mit Beschwerden beschäftigt, und eine Evaluierung bis zum Jahr 2008 im Gesetz niedergelegt. Das hat es bisher in dem Ausmaß nicht gegeben, auch nicht im BSHG. Sie weisen in Ihrem Antrag zu Recht auf Informationsdefizite von Hilfsbedürftigen sowie Scham und Schutz von Angehörigen als Gründe für verdeckte Armut hin. Es gibt in der Tat Obdachlose, Drogensüchtige, auch Analphabeten, die, wenn überhaupt, nur schwer Zugang zum Sozialstaat finden und besonderer Hilfen bedürfen. So brauchen viele der fast 3 Millionen überschuldeten Haushalte in Deutschland eine qualifizierte Schuldnerberatung, damit sie ein menschenwürdiges Leben an der Pfändungsfreigrenze führen können. Der gesetzliche Rahmen für diese Hilfen, den wir als Sozialdemokraten maßgeblich geschaffen haben, muss voll ausgeschöpft werden. Daneben gibt es aber weitere soziale Gruppen, die Leistungen nicht in Anspruch nehmen und die in der Studie kaum und in Ihrem Antrag überhaupt nicht erwähnt werden. Das sind zum Beispiel Menschen, die hier illegal leben und aus Angst vor Entdeckung keine staatlichen Leistungen beantragen. Schätzungen gehen von zwischen 250 000 und 1 Million Menschen aus. Es sind auch Menschen, die Einkünfte erzielen, aber wegen der Mitwirkungspflichten, also zum Beispiel zumutbare legale Arbeit, Vermögensanrechnung oder Inanspruchnahme von Partnern, keine Leistungen beantragen wollen und von denen wir gar nicht wissen, ob sie tatsächlich in verdeckter Armut leben. Es sind auch nicht wenige, die aus eigener Leistung Einkommen knapp unter oder an der Bedarfsgrenze erarbeiten und freiwillig auf Leistungen verzichten, weil sie nicht vom Staat abhängig werden wollen. Darunter sind viele, die wir als Working Poor bezeichnen könnten, die aber stolz darauf sind, dass sie sich eben nicht das Maximale, legal oder auch illegal, vom Staat holen. Ich glaube, angesichts dessen ist es keine Frage, dass wir als Sozialdemokraten existenzsichernde Einkommen und Löhne einfordern. ({0}) Ich weiß, dass diese Wahrnehmung nicht in Ihre Ideologie und Parteiinteressen passt. Wer aber diese Realitäten nicht zur Kenntnis nimmt, kann auch keine entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen und politische Taten daraus entwickeln, mit denen verdeckte Armut bekämpft werden könnte. Sie bekämpfen als Linke im Bundestag und auf der Straße in erster Linie die sozialpolitischen Gegenmaßnahmen des Staates und hoffen, mit der Skandalisierung relativer Armut und der gebetsmühlenartig vorgetragenen Hetzparole „Hartz IV muss weg!“ Ihre Parlamentssitze auf populistische Weise erhalten zu können. Deshalb wollen Sie auch nicht zur Kenntnis nehmen, dass es seit Mitte des letzten Jahres greifbare Erfolge beim Abbau der Arbeitslosigkeit und der Zahl der Bedarfsgemeinschaften nach SGB II gibt. Die Argen arbeiten immer besser, und ich sage Ihnen voraus, dass dieser Trend anhalten und mit den neuen Arbeitsmarktmaßnahmen, die die Koalition zurzeit erarbeitet, noch verstärkt werden wird. In den letzten Jahren ist die Fluktuation aus der Armutsfalle immer größer geworden. Bei allen berechtigten Sorgen und Ängsten vor dem sozialen Abstieg können wir mit Recht sagen, dass unsere sozialstaatlichen Instrumente nicht nur finanziell besser ausgestattet werden, sondern auch immer besser funktionieren. Das ist neben der selbstverständlichen Notwendigkeit von mehr Wachstum und Arbeitsplätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt in der Tat der wichtigste Beitrag zur Bekämpfung der Armut. Ihr Vorschlag, vom Staat unabhängige Armutsverbände und Selbsthilfegruppen staatlich zu fördern, hat mit dem Ziel, den Betroffenen zu helfen, ganz wenig zu tun. Erstens gibt es Sozialverbände und Selbsthilfegruppen, die öffentlich gefördert und unterstützt werden und die in Sachen Aufklärung über Gesetze, Rechtsansprüche und Interessenwahrnehmung fast überall in der Republik gut beraten. Zweitens gibt es Selbsthilfegruppen, die aus Gründen der Unabhängigkeit keine öffentlichen und staatlichen Mittel in Anspruch nehmen wollen, weil sie keine Kontrolle durch den Staat und autonom ihre Interessen vertreten wollen. ({1}) Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die gesetzliche Pflicht der staatlichen und öffentlich-rechtlichen Träger nach § 14 im SGB I und nach § 17 im SGB II zur Beratung über Rechtsansprüche auf Leistungen auch durch Dritte, etwa Wohlfahrtsverbände oder Selbsthilfeinitiativen, und vor allem über Rechtsansprüche auf persönliche Einzelfallhilfe muss in der Praxis qualifiziert und engagiert umgesetzt werden. Darüber hinaus haben wir schon damals mit der Grundsicherung umfassende Informationspflichten der Sozialhilfeträger geschaffen. Wir haben etwa 500 Servicestellen für Behinderte überall in der Bundesrepublik nach SGB IX aufgebaut. Auch wenn es bereits viele engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Profis und Ehrenamtliche, in einer gut funktionierenden Praxis gibt: Es ist ein flächendeckender Mentalitätswandel notwendig - weg vom hilfebedürftigen Bittsteller bei einem Vater Staat, der mit seiner kurzfristigen Finanzbrille restriktiv mit den Sozialbudgets umgeht, und hin zu einer Bürgergesellschaft, ({2}) in der es eine konsequente Betroffenenorientierung gibt und in der die Bürgerinnen und Bürger auch in der Sozialverwaltung als Auftraggeber der staatlichen Stellen behandelt werden. Diese müssen auch selbst handeln können. Wir brauchen eine Bürgergesellschaft, die sich durch eine gute und hilfreiche Nachbarschaft sowie durch qualifizierte, bedarfsgerechte und vernetzte ambulante soziale Dienste auszeichnet, also eine Geh- statt KommStruktur der professionellen und ehrenamtlichen Sozialarbeit, die dann eine bestmögliche Integration und Barrierefreiheit für besonders Hilfebedürftige schaffen kann. Wir müssen also wegkommen von einer immer professionelleren Spezialisierung und von kostentreibenden Sondereinrichtungen hin zu einer neuen Lebensqualität im Wohnumfeld, wie es etwa die neue Bundesinitiative „Daheim statt Heim“ fordert. ({3}) Das ist neben der Orientierung auf Selbstbestimmung und Würde die Philosophie des persönlichen Budgets, das wir unter Rot-Grün im Behinderten- und Sozialhilferecht geschaffen haben, und das - vom Modell ausgehend - endlich zur praktischen Regel werden muss. Verdeckte Armut kann nur so effektiv und menschenwürdig bekämpft werden. Die Bundesregierung verstärkt auf unsere Initiative hin die Armutsforschung und Berichterstattung zum Thema verdeckte Armut. Voraussetzung einer erfolgreichen Armutsbekämpfung - damit komme ich zum Schluss - ist neben dem barrierefreien Zugang zu finanziellen Leistungen vor allem ein ganzheitlicher ressortübergreifender Ansatz der sozialen Integration und Teilhabe. Das gilt für Frauen auf dem Arbeitsmarkt, für Kinder, bei denen das Geld oft nicht ankommt und die deshalb bessere und mehr öffentliche Ganztagsbetreuung und Bildung brauchen, für Migranten, die bessere Sprachkenntnisse, aber natürlich auch die beidseitige Bereitschaft zur Integration brauchen, für Langzeitarbeitlose mit einer Jobperspektive sowie für Ältere, Pflegebedürftige und Behinderte durch das persönliche Budget. Wir brauchen die Angebote so niederschwellig und barrierefrei wie möglich auch für Obdachlose und für diejenigen Menschen - vor allem für Kinder -, die leider illegal hier leben müssen, ohne es sich selbst ausgesucht zu haben. Meine Damen und Herren, wir haben die besseren Konzepte zur Bekämpfung der verdeckten Armut. Wir nennen das vorsorgender Sozialstaat. Deshalb lehnen wir den Antrag der Linken ab. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Markus Kurth, Bündnis 90/ Die Grünen.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es vorweg zu sagen: Auch die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen will verdeckte Armut zurückführen. Auch wir sehen die steigende Zahl von Verfahren an den Sozialgerichten mit Sorge. Auch wir sind gegen die Vorstöße einiger Bundesländer, Gebühren an den Sozialgerichten einzuführen. ({0}) Aber kann dieser Antrag der Fraktion Die Linke wirklich etwas gegen verdeckte Armut tun? Sie gehen zunächst einmal von falschen Voraussetzungen aus. Sie zeichnen ein holzschnittartiges Bild: auf der einen Seite die Arge- oder Jobcenter-Mitarbeiter und die Mitarbeiter in den Sozialbehörden, die quasi als Übeltäter von Amts wegen die Leute falsch beraten, um so für die öffentliche Hand zu Kosteneinsparungen zu kommen, und auf der anderen Seite die Hilfebedürftigen, denen sozusagen eine Gegenmacht, eine Beratungsinfrastruktur, gewährt werden muss. ({1}) Abgesehen davon, dass ich dieses holzschnittartige Bild nicht korrekt finde, muss man sich auch die Frage stellen, mit welchen Instrumenten man von Bundesseite auf möglicherweise nicht vernünftige Beratungsstrukturen oder Beratungsleistungen reagiert. Ich würde zunächst einmal auf das gesetzliche Instrumentarium zurückgreifen, das uns schon zur Verfügung steht. Sie zitieren doch selbst die Grundsätze aus dem Sozialgesetzbuch I. Da heißt es in § 14: Jeder hat Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten … Zuständig für die Beratung sind die Leistungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen … sind. Weiter heißt es in § 17: Die Leistungsträger sind verpflichtet, darauf hinzuwirken, daß … jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig erhält … Wenn ich sehe, dass das womöglich nicht korrekt umgesetzt wird, dann ist es doch nicht unsere Aufgabe, weiter Beratungsstellen aufzubauen - zur Notwendigkeit sage ich gleich etwas; ich finde schon, dass sie notwendig sind -, sondern in erster Linie, auf die korrekte Umsetzung geltenden Rechts zu achten. Das ist unser Punkt. ({2}) Wenn man Ihren Antrag auf das Finanzwesen übertragen würde und wir feststellen würden, dass die Finanzbeamten nicht korrekt beraten, was sie eigentlich tun müssten, dann würde nach der Logik Ihres Antrages die politische Antwort darauf lauten, dass wir flächendeckend ein Netz von Steuerberatungsbüros aufbauen müssten. Das kann doch nicht funktionieren. ({3}) Ich sage Ihnen, dass wir unabhängige Beratung selbstverständlich für notwendig halten. ({4}) - Hören Sie mir erst einmal zu! - Anders als Sie, Herr Schiewerling, sehe ich in der unabhängigen Beratung kein Instrument, um Leute im Hilfebezug zu halten. Sie sollen vielmehr die ihnen zustehenden Leistungen bekommen. Aber welche Ebene ist die richtige, um diese Beratung zu leisten und die notwendige Infrastruktur aufzubauen? Dazu muss ich sagen: Wir haben eine kommunale Selbstverwaltung. Vor Ort in den Jobcentern und den Kommunalverwaltungen ist doch am ehesten klar, welcher Beratungsbedarf besteht. Man kann doch nicht mit einem zentralistischen Instrument ein flächendekkendes Netz aufbauen - und dies angeblich unabhängig von den Kostenträgern. Wie soll das denn gehen, wenn der Bund sowieso schon Kostenträger des Arbeitslosengeldes II ist? Wichtig ist, dass wir vor Ort in den Beiräten diese Initiativen und Beratungsstellen haben. Es ist Aufgabe der Politik vor Ort, in den Arbeitsgemeinschaften und Vereinbarungen entsprechend darauf hinzuwirken, dass diese Infrastruktur zur Verfügung steht und die entsprechenden Mittel eingesetzt werden. ({5}) Ich merke bei solchen Anträgen immer genau, worin der Unterschied zwischen uns besteht. Sie setzen auf Zentralismus, auf zentralstaatliche Lösungen. Wir vom Bündnis 90/Die Grünen setzen auf Subsidiarität, eine unabhängige Beratungsstruktur, auf Selbstständigkeit und auf die Kompetenz vor Ort, auf die der Bürgerinnen und Bürger und ihrer politischen Vertretung. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/3908 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Zusatzpunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel Höhn, Birgitt Bender, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Rauchverbot im Deutschen Bundestag umsetzen - Drucksache 16/4400 Überweisungsvorschlag: Ältestenrat ({0}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Birgitt Bender, Bündnis 90/Die Grünen.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Selten war ein Antrag der Grünen so erfolgreich wie der vorliegende zum Schutz vor Passivrauchen im Bundestag. Monatelang hat sich auf Initiative der Grünen eine Kommission des Ältestenrates damit befasst, wie man den Nichtraucherschutz im Parlament wohl umsetzen könnte, und hat sich vor allem der Bedenkenträgerei dahin gehend gewidmet, dass dies sehr schwierig und jenes nicht umzusetzen sei. Seit acht Tagen liegt unser Parlamentsantrag vor. Und siehe da: Heute Nachmittag hat es der Ältestenrat geschafft, zu beschließen: Erstens. Der Nichtraucherschutz im Parlament muss verbessert werden. ({0}) - Herr Parr, dies ist immerhin vom Kabinett beschlossen. ({1}) Zweitens. Es sollen im Bundestag gleiche Spielregeln gelten wie für Einrichtungen des Bundes. Dies ist ein wichtiger Schritt. Denn es ist bisher nicht zu erklären, warum die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes im Fernsehen qualmende Abgeordnete in den Wandelhallen des Parlamentes sehen, ({2}) wenn man gleichzeitig ankündigt, anderen Menschen an ihrem Arbeitsplatz das Rauchen zu verbieten. ({3}) Es ist nicht zu begründen, warum Besucher und Besucherinnen, Mitarbeiter sowie Mitarbeiterinnen und Abgeordnete kein Recht auf Nichtraucherschutz haben sollten. Ich persönlich kann nur sagen, dass mir diese informellen Qualmnester auf den Gängen beträchtlich auf die Nerven und die Atemwege gehen. Ich bin nicht bereit, das länger zu ertragen. ({4}) Um möglichen Vorwürfen vorzubeugen: Es ist nicht so, dass wir das Rauchen allgemein verbieten wollen. Der Pfeifenraucher des Jahres darf gerne weiter seinem Vergnügen frönen - wenn es denn eines ist -, nur nicht an jedem Ort, das heißt insbesondere nicht da, wo andere Schaden erleiden. Meine Damen und Herren, was ist davon zu halten, wenn der Ältestenrat des Bundestags sagt, es soll so sein, wie es die Regelungen vorsehen, die das Kabinett für Bundesbehörden beschlossen hat? Zunächst ist es richtig, gleiche Spielregeln zu wollen. Aber einige Fragen sind noch offen, zum Beispiel die, was eigentlich für die Gastronomiebereiche in unseren Räumen gelten soll. Gilt dort das Gaststättengesetz des Landes Berlin, wenn es denn kommt? Gilt dort das avisierte Gesetz des Bundes? Gilt dort vielleicht eine Anweisung des Bundestagspräsidenten? Ich glaube, das muss man klären. Das Ziel muss es jedenfalls sein, auch hier einen wirksamen Schutz vor dem Passivrauchen zu haben. Das kann nur heißen, dass im Bereich der Gastronomie nicht geraucht wird. Ich hoffe, dass wir uns darüber verständigen können. ({5}) Im Übrigen muss man auch sagen: Was den avisierten Gesetzentwurf angeht, gibt es einiges nachzubessern. Insbesondere müssen die Inhaberinnen und Inhaber des Hausrechts, die für Rauchverbote sorgen sollen, auch für die Einhaltung dieser Verbote Verantwortung tragen. Es müssen etwa bei Räumen, die man für das Rauchen bereitstellen will - das gilt dann auch für uns -, gewisse Mindestkriterien gelten. Denn es muss klar sein, dass aus solchen Räumen kein Rauch herausdringen darf. Sonst könnte man sich das sparen; dann stünde der Nichtraucherschutz nur auf dem Papier. Schließlich sollte für alle gelten, auch für uns, dass es durchaus auch wirksame Sanktionen geben muss. Auch wir wissen, dass nur dieses am Ende tatsächlich hilft. Meine Damen und Herren, es ist Zeit zu handeln. Es ist Zeit für den Bundestag, voranzugehen und ein Stück Vorbildfunktion zu übernehmen. Ich hoffe deswegen, dass der Ältestenrat heute nicht einen Beschluss für das Schaufenster gefasst hat. Wo „Schutz vor dem Passivrauchen“ als Überschrift steht, muss auch Rauchverbot drin sein. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Maria Eichhorn, CDU/ CSU-Fraktion.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am letzten Sonntag sprach sich Bundestagspräsident Norbert Lammert für ein weitgehendes Rauchverbot in den Gebäuden des Deutschen Bundestages aus. Er verwies darauf, dass Grundsätze, die der Bundestag für andere verbindlich mache, selbstverständlich auch für ihn selbst gelten müssten. Ich begrüße es sehr, dass der Ältestenrat heute ausdrücklich beschlossen hat, dass es für den Deutschen Bundestag keinen Sonderstatus geben wird. ({0}) Die heutige Debatte gibt uns Gelegenheit, der Öffentlichkeit deutlich zu machen, dass wir für den Bundestag keine Ausnahme beim Nichtraucherschutz machen wollen. Was wir für die Einrichtungen des Bundes beschließen, muss selbstverständlich auch für uns im Deutschen Bundestag gelten. Zeitungsberichte der letzten Woche, nach denen im Bundestag auch in Zukunft weiter geraucht werden könne, werden nicht eintreffen. Am 28. Februar 2007 beschloss das Bundeskabinett, ein Rauchverbot in bundeseigenen Einrichtungen, öffentlichen Verkehrsmitteln und Personenbahnhöfen einzuführen. Der Gesetzentwurf schafft die Möglichkeit, gesonderte und entsprechend gekennzeichnete Räume vorzuhalten, in denen das Rauchen gestattet ist, wenn insgesamt eine ausreichende Anzahl von Räumen zur Verfügung steht. Es darf sich dabei jedoch nicht um Arbeits- oder Diensträume handeln. Das Bundeskabinett beschloss außerdem, die Altersgrenze für das Erwerben von Zigaretten auf 18 Jahre anzuheben. Das vom Bundestag zu verabschiedende Gesetz soll noch in diesem Jahr in Kraft treten. Von einer jetzt aufgegebenen Blockadehaltung der Bundesregierung, wie es in dem Antrag der Grünen heißt, kann also nicht die Rede sein. Bereits am 23. Februar 2007 einigten sich die Gesundheitsminister der Länder darauf, das Rauchen in öffentlichen Einrichtungen und in Diskotheken zu verbieten. Sie schlugen außerdem die Einführung eines generellen Rauchverbots in der Gastronomie vor. Die Wirte sollen jedoch die Möglichkeit bekommen, separate Raucherräume einzurichten, die allerdings gekennzeichnet sein müssen. Nach heutigen Presseberichten scheint diese Ländereinigung gefährdet zu sein. Ich appelliere daher an die Verantwortlichen der Länder: Sorgen Sie für einen möglichst einheitlichen und umfassenden Schutz vor dem Passivrauchen. ({1}) Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass - zum Beispiel in Autobahnraststätten - je nach Bundesland geraucht werden darf oder nicht. Hinsichtlich freiwilliger Lösungen beim Nichtraucherschutz haben wir so unsere Erfahrungen - wir wurden eines Besseren belehrt -: Alle bisherigen Zielvereinbarungen sind gescheitert. Daher war es richtig, dass Politiker aus mehreren Fraktionen, vor allem Gesundheitspolitiker, im Frühjahr letzten Jahres die Initiative für einen umfassenden Nichtraucherschutz, auch in Gaststätten, ergriffen haben. Wir, die wir uns dafür einsetzten, wussten, dass mehr als zwei Drittel der Bevölkerung dies wollen. ({2}) Unsere Initiative war erfolgreich; der Nichtraucherschutz in unserem Land ist einen bedeutenden Schritt vorangekommen. Schon Ende September 2006 wurde bei koalitionsinternen Gesprächen Einigkeit darüber erzielt, dass in öffentlichen Gebäuden, in Theatern und Kinos sowie in öffentlichen Verkehrsmitteln ein generelles Rauchverbot gelten solle. Beim Thema Nichtraucherschutz in Gaststätten konnte man sich nicht einigen; es war die Aufgabe einer Arbeitsgruppe, eine Lösung zu finden. Auch wenn das Ergebnis der Arbeitsgruppe aus verfassungsrechtlichen Gründen vom Bund nicht direkt umgesetzt werden konnte, so war es doch sehr hilfreich. Aufgrund der föderalistischen Verfassung der Bundesrepublik liegt die Entscheidung beim Gaststättenrecht bei den Ländern; wir müssen das akzeptieren. Bundeskanzlerin Merkel hat jedoch sofort die Initiative ergriffen, um zu einheitlichen Standards zu kommen. Mit dem Beschluss des Bundes und der Länder vom Februar sind wir einen großen Schritt vorangekommen. ({3}) Die gesundheitliche Gefährdung durch Rauchen und Passivrauchen ist wissenschaftlich unbestritten. Wir haben eine große Verantwortung gegenüber der Jugend. Wenn wir auf der einen Seite anprangern, dass Kinder im Durchschnitt bereits im Alter von 11,6 Jahren mit dem Rauchen beginnen, dann müssen wir auf der anderen Seite mit gutem Beispiel vorangehen. Der Zigarettenkonsum kann gerade für Kinder und Jugendliche schwere gesundheitliche Folgen haben. Darüber hinaus ist die Zigarette Einstiegsdroge Nummer eins für den späteren Konsum härterer Drogen. Deshalb ist es richtig, den Tabakkonsum aus allen öffentlichen Einrichtungen und aus den Gaststätten generell zu verbannen. ({4}) Die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung wünscht konsequente Rauchverbote. Als Drogenbeauftragte der CDU/CSU-Fraktion hat mich in den letzten Monaten eine Menge von Zuschriften erreicht, in denen ein umfassendes Rauchverbot in Deutschland gefordert wurde. Darunter waren viele Zuschriften von Gastwirten, die auf ein generelles Rauchverbot in der Gastronomie drängen. Sie wollen durch Rauch an ihrer Arbeitsstätte nicht weiter erheblichen Gesundheitsgefahren ausgesetzt sein. Viele europäische Länder haben uns vorgemacht, wie es geht. Für mich war die italienische Regelung von Anfang an Vorbild. Dort gibt es ein generelles Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden, Verkehrsmitteln und Gaststätten; die Wirte haben jedoch die Möglichkeit, streng abgetrennte Raucherräume einzurichten. Die Befürchtung, dass dieser umfassende Nichtraucherschutz mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden sei, ist nicht eingetroffen. Die Zustimmung der dortigen Bevölkerung einschließlich der Gastwirte ist sehr hoch: Sie liegt in Italien bei über 90 Prozent. Nach Angaben der „Ärzte Zeitung“ hatten bereits ein Jahr nach Einführung 500 000 Italiener gänzlich mit dem Rauchen aufgehört. ({5}) Umsatzeinbußen traten nicht ein; ganz im Gegenteil: Der Umsatz in Speiserestaurants ist gestiegen, der Getränkeumsatz blieb konstant. Wir sind auf gutem Wege, auch in Deutschland einen umfassenden Nichtraucherschutz zu verwirklichen. Ziel muss es sein, dass wir auch im Deutschen Bundestag unsere Mitarbeiter, unsere Gäste und uns selbst schützen. Ich bin zuversichtlich, dass die Beschlüsse der Länder und des Bundes zielstrebig umgesetzt werden. Dabei gehe ich davon aus, dass wir zeitgleich auch für den Bundestag einen umfassenden Nichtraucherschutz beschließen. Ich sage für meine Person: Hier muss auch die Gastronomie eingeschlossen werden. ({6}) Der Ältestenrat hat sich heute für eine zügige Umsetzung des Nichtraucherschutzes im Deutschen Bundestag ausgesprochen. Ich bin überzeugt, dass der Deutsche Bundestag, dass wir Parlamentarier unserer Vorbildfunktion gerecht werden. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Detlef Parr, FDPFraktion. ({0})

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ob Sie sich ärgern müssen, weiß ich nicht, Herr Spieth. ({0}) Nur, welche Heerscharen von leidenden Nichtrauchern müssen die Grünen in diesem Hohen Hause entdeckt haben? Wie sonst könnten sie vor Einbringung eines Nichtraucherschutzgesetzes ins Parlament und vor endgültigen Vereinbarungen der Länder zuallererst unser Parlament mit einem umfassenden Rauchverbot belegen wollen, und das in der dieser Partei eigenen rigorosen Radikalität, nach dem Motto: Wir wissen schon, was für euch gut ist. ({1}) Ich frage mich, ob Sie nicht wieder einmal - wie es in der „Financial Times Deutschland“ vom 27. Februar nachzulesen ist - dem Reiz des Verbotes in unserer Gesellschaft verfallen. ({2}) Dort ist zu lesen: Ein computerfixierter Jugendlicher läuft Amok? Verbietet Killerspiele! Raucher verpesten die Kneipe? Sperrt sie gesetzlich aus! Glühbirnen verbrauchen unverschämt viel Energie? Schaltet sie ab! Geländewagen schaden der Umwelt? Verbietet den Herstellern, für ihr Produkt zu werben! ({3}) Eltern vernachlässigen ihre Kinder? Verhängt Kindergartenpflicht! … Manager verdienen zu viel? Der Bundestag ist gefragt! ({4}) … Die Probleme sind grundverschieden, die Lösung immergleich: staatliche Regulierung zum Wohle der Bürger. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon verwunderlich, dass die Grünen in der Phase grundsätzlicher Überlegungen über Regelungen des Rauchens, in der wir uns zurzeit befinden, vordringlichen Handlungsbedarf im Deutschen Bundestag sehen. Zum jetzigen Zeitpunkt muss es doch darauf ankommen, deutschlandweit Vereinbarungen nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu treffen, wie es Präsident Norbert Lammert zu Recht einfordert. Solange es noch keinen Gesetzentwurf im Bundestag gibt und die Länder die von vielen gepriesene und von Frau Eichhorn eben geforderte Einheitlichkeit noch nicht beschlossen haben - ich wage hier einmal mit Blick auf die FDP-mitregierten Länder Skepsis anzumelden -, so lange sollten wir den Bundestag nicht isoliert betrachten und mit radikalen Lösungen vorpreschen. Das mag manchem vielleicht Lustgefühle verschaffen - angemessen ist das nicht. ({6}) Die FDP möchte hier mehr Gelassenheit anmahnen. Die Bundesregierung hat ein Rauchverbot in öffentlichen Einrichtungen des Bundes sowie in Bussen und Bahnen beschlossen. So sensationell ist das gar nicht. Diesen Weg können wir auch mitgehen. Die Bundesregierung rennt ja mit ihren Vorstellungen und mit ihrem Gesetzentwurf offene Türen ein. Viele Bundesbehörden sind - über das Hausrecht geregelt - bereits rauchfrei. In der Mehrzahl der öffentlichen Verkehrsmittel wird nicht mehr geraucht. Die Bundesbahn hat die Möglichkeiten für Raucher drastisch eingeschränkt, zuletzt mit der Rauchfreiheit in den Bistros. Lufthansaflüge sind seit Jahren rauchfrei. Das alles funktioniert ohne Gesetz, ohne einen Volksfürsorgestaat, und ist stattdessen aufgebaut auf Eigenverantwortung, Vernunft und gegenseitige Rücksichtnahme. Schade, dass wir diesen Weg nun verlassen und unser politisches Gewissen mit Verboten beruhigen, statt weiter auf Aufklärung und Verhaltensänderungen zu setzen. Verbote kosten natürlich nichts, besonders wenn sie dem Zeitgeist entsprechen. Diese Basta-Mentalität gaukelt eine Politik der Entschlossenheit vor. Macher sind ja gefragt - Altkanzler Schröder lässt grüßen. Differenzierung ist weniger gefragt. Länder wie Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen werden zu Außenseitern gestempelt, nur weil sie Ausnahmeregelungen erwägen und auf Wahlfreiheit zum Beispiel der Gastwirte und ihrer Gäste setzen. ({7}) Totale Verbote kosten nichts? Scheibchenweise geht Freiheit verloren, ({8}) Stück für Stück lassen wir uns mehr bevormunden. Gut, dass wir in Norbert Lammert einen Präsidenten haben, der gemäßigter denkt und dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Geltung verschaffen will, ({9}) im öffentlichen Leben wie im Bundestag gleichermaßen. Dass eines klar ist: Auch wir wollen keine Sonderrechte für den Bundestag. Aber wir alle sollten die Mahnung unseres Präsidenten ernst nehmen: Die Möglichkeit sinnvoller Verständigung zwischen Rauchern und Nichtrauchern sollte nicht durch den Ehrgeiz lückenloser polizeilicher Kontrollen verdrängt werden. Dem ist nichts hinzuzufügen, liebe Freunde. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Ernstberger, SPD-Fraktion.

Petra Ernstberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002648, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Dass Tabakrauch schädlich ist, dass Rauchen für die eigene Gesundheit schädlich ist, aber eben auch für diejenigen, die passiv mitrauchen, darüber brauchen wir uns im Grunde genommen nicht mehr zu unterhalten. Tabakrauch ist eine Bedrohung für alle in der Umgebung. Deswegen brauchen wir einen umfassenden und effektiven Schutz für die Nichtraucher. 110 000 bis 140 000 Opfer fordern tabakbedingte Krankheiten jedes Jahr; das ist bekannt. Auch die Opfer unter den Passivrauchern sprechen eine deutliche Sprache. Deswegen hat die Politik für ihren Bereich, die öffentlichen Gebäude eine Verpflichtung, eine Fürsorgepflicht. ({0}) Der Bundestag muss mit gutem Beispiel vorangehen. ({1}) Deswegen fordert die Sozialdemokratische Partei bzw. unsere Fraktion einen umfassenden Nichtraucherschutz. In Ihrem Antrag aber, liebe Frau Bender, wird eine Radikallösung verlangt, ohne dass Sie aufzeigten, wo Probleme liegen, die sich lösen ließen. ({2}) Nicht Ihr Antrag war es, der zur Beschlussfassung des Ältestenrates geführt hat. Wir haben das für unsere Fraktion schon vorher im Ältestenrat thematisiert, dass wir das Thema Rauchen jetzt zügig angehen müssen. ({3}) Wir müssen allerdings schauen, dass wir hier keine Frontstellung zwischen Rauchern und Nichtrauchern aufbauen. ({4}) Wir brauchen eine gemeinsame Basis der Toleranz. Es gibt auch vernünftige Raucher, mit denen man reden kann und die Rücksicht nehmen. ({5}) Wenn wir uns jetzt den Fragen des Nichtraucherschutzes stellen, muss ich Ihnen ganz deutlich sagen: Eines möchte ich nicht haben, nämlich dass wir dem Vorbild des Europäischen Parlaments folgen. ({6}) Dort hat man einen hundertprozentigen Nichtraucherschutz eingeführt, den man jedoch bereits nach sechs Wochen wieder einkassieren musste. Das wäre mehr zum Schaden des Images des Bundestages, als wenn wir hier eine durchsetzbare Regelung finden. Dabei müssen wir unterscheiden: Die öffentlichen Räume sind da, wo die Journalisten und wo unsere Gäste verkehren, ({7}) auch vor den Sitzungssälen, wo die Aschenbecher stehen und unsere Kolleginnen und Kollegen sicherlich auch zum Rauchen aufgefordert werden. Damit habe ich ein Problem; das sage ich ganz offen. Denn wir können doch nicht Schüler durch das Paul-Löbe-Haus führen und ihnen sagen: „Ihr solltet nicht rauchen, liebe Kinder, das ist schädlich!“, und dann sitzen da die Erwachsenen und qualmen. ({8}) Das heißt, dieser Bereich muss komplett rauchfrei sein. Der zweite Bereich ist der Bereich der Gastronomie. Wir haben verschiedene gastronomische Einrichtungen in den Liegenschaften und Gebäuden des Bundestages. Ob diese gastronomischen Einrichtungen dem Hausrecht des Bundestages zuzuordnen sind oder dem Gaststättengesetz des Bundeslandes Berlin unterliegen, ist noch juristisch zu klären. ({9}) Umbaumaßnahmen in diesem Hause für Raucher - das sage ich Ihnen als Mitglied der Inneren Kommission des Ältestenrates ganz deutlich - werde ich nicht unterstützen. ({10}) Es dürfen keine zusätzlichen Kosten entstehen, die diesem Gebäude sozusagen angelastet werden. ({11}) Der letzte Punkt - er ist einer der problematischsten betrifft die Büros der Abgeordneten. Hier stellen sich die Fragen: Handelt es sich dabei um allgemein zugängliche Räume? Unterliegen sie damit dem Hausrecht? Ich glaube, hier gilt die Arbeitsstättenschutzverordnung. ({12}) Sie wird insbesondere vom DGB wie ein Augapfel gehütet. Dazu müssen wir stehen. ({13}) Denn eines ist klar: Wenn wir das durchziehen, bedeutet das, dass wir die Verbote kontrollieren und sie auch entsprechend sanktionieren müssen. Bedeutet das, dass wir eine „Raucherpolizei“ bekommen? ({14}) Bedeutet das, dass der Abgeordnete, der abends noch seine Akten durcharbeitet und dabei vielleicht eine Zigarette - vielleicht auch zwei oder drei Zigaretten - raucht, als Strafe ein Bußgeld zahlen muss ({15}) und dass er bei mehreren Verstößen vielleicht sogar ein Hausverbot bekommt oder Ähnliches? ({16}) Ich gebe zu, dass ich jetzt etwas übertrieben habe. Aber diese Konsequenzen würden sich ergeben. Deswegen darf es keine Schnellschüsse geben. ({17}) Wir müssen uns bemühen, zügig, möglichst noch bis zum April dieses Jahres, eine Lösung zu finden, die sowohl den Nichtrauchern - vor allen Dingen den Nichtrauchern - als auch den Rauchern gerecht wird. In diesem Sinne wünsche ich mir eine überfraktionelle Zusammenarbeit, auch in der Inneren Kommission und im Ältestenrat. ({18}) Ich denke, dass wir dann auch für die Bevölkerung ein sichtbares Zeichen setzen und zu einer guten Lösung kommen können.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern. Sie ist leider schon deutlich überschritten.

Petra Ernstberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002648, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das war mein letzter Satz. Danke. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Martina Bunge, Fraktion Die Linke.

Dr. Martina Bunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003743, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte hätte heute Morgen stattfinden sollen. ({0}) Denn heute Morgen hätte die Chance auf eine höhere Anwesenheit bestanden. ({1}) Dieses Thema geht schließlich uns alle an. ({2}) - Der Morgen ist lang. Wir hätten den Vormittag auch für diese Debatte nutzen können. ({3}) Ich denke, das Thema Rauchfreiheit im Bundestag widerspiegelt exemplarisch das Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit in der Politik. Deutschland ist in Sachen Schutz vor dem Passivrauchen ein Entwicklungsland. Seit Jahren setzt die deutsche Politik auf Freiwilligkeit. Wenn man auf Appelle und Vereinbarungen setzt und dabei glaubwürdig sein will, dann sollte man eigentlich mit gutem Beispiel vorangehen. Das Ergebnis einer aktuellen Umfrage, an der sich zugestandenermaßen vor allen Dingen Politikinteressierte beteiligt haben, zeigt: 92 Prozent fänden es nicht in Ordnung, wenn im Bundestag weiterhin geraucht werden dürfte, obwohl schon ein Gesetzentwurf vorliegt, der in den öffentlichen Einrichtungen des Bundes ein Rauchverbot vorsieht. Ich denke, dieses Faktum ist ein Beweis dafür, dass wir der Politikerverdrossenheit Vorschub leisten. Dem müssen wir entgegenwirken. Es ist höchste Zeit, dass die europäische Normalität in Deutschland einzieht, vor allem im Deutschen Bundestag. Die Schädigungen, die Rauch hervorruft, sind uns allen hinlänglich bekannt. Wir wissen, dass es keine auch noch so kleine Menge Tabakrauch gibt, die ungefährlich ist. Deshalb darf es im Bundestag eigentlich nur einen konsequenten Schutz vor den 4 800 giftigen und 70 krebserregenden, fruchtschädigenden und erbgutverändernden Substanzen geben. Nicht nur wegen des heutigen Internationalen Frauentages sind wir gegenüber den vielen im Bundestag tätigen Frauen in der Pflicht, für saubere Arbeitsbedingungen zu sorgen. Ich habe den Eindruck, dass beim Schutz vor Rauch viel debattiert wird, aber wenig passiert. Deshalb, liebe Kollegin Bender, bin ich nicht ganz so optimistisch. Ich behalte mir eine gesunde Skepsis vor. Die Medien sind zwar voll von diesem Thema. Aber nicht ein Buchstabe ist bislang verabschiedet, geschweige denn umgesetzt. ({4}) Einige Meldungen von heute zeigen das Hoffen und Bangen; es ist fast ein Trauerspiel. Am Morgen wird gemeldet, dass acht Bundesländer den hochgelobten Kompromiss der Gesundheitsminister ablehnen. Am Abend dementieren wieder einige. Heute Mittag kam nun die Information, dass der Ältestenrat empfiehlt, den Gesetzentwurf der Bundesregierung eins zu eins umzusetzen, bevor das Gesetz in Kraft tritt. Ich frage mich, wann endlich etwas Konkretes geschieht; denn es wird sofort darüber fabuliert, dass die Abgeordnetenbüros von der Regelung betreffend die Rauchfreiheit im Bundestag ausgenommen werden sollen. Sagen wir es allen weiter: Die Arbeitsstättenverordnung gilt überall. Wir sind gefordert, und zwar sofort. Wir haben einen entscheidenden Part bei der Änderung des Mainstreams zu spielen. Nicht plakative Bekundungen helfen, Lebensstile zu verändern. Vielmehr muss die Botschaft mental, im Unterbewusstsein verankert werden: Rauchen ist überall out. ({5}) Wir sind dabei, wenn wir nach diesem Grundsatz im Bundestag die Ausgestaltung konsequent vornehmen. Ausnahmen müssen zwar möglich sein, müssen aber konkret sein. Ich habe kein Verständnis für diejenigen, die der Meinung sind, das dürfe nichts kosten; denn mit geringem Investitionsaufwand können wir Millionen, wenn nicht sogar Milliarden im Gesundheitssystem einsparen. Deshalb kann das kein Argument sein. Ich danke. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Dr. Margrit Spielmann, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Margrit Spielmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Als Gesundheitspolitikerin sowie als sucht- und drogenpolitische Sprecherin meiner Fraktion begrüße ich den Antrag der Grünen. ({0}) Ich unterstütze auch die optimistische Forderung, ein in allen Räumlichkeiten des Deutschen Bundestages geltendes Rauchverbot zu beschließen und alle notwendigen Maßnahmen zur Umsetzung dieses Verbots möglichst schnell zu ergreifen. ({1}) Ich freue mich, dass sich der Ältestenrat heute Nachmittag für ein Rauchverbot im Parlamentsgebäude ausgesprochen hat. Der Bundestag darf keinen Sonderstatus haben. Wie wir gehört haben, sind noch viele Fragen offen. Aber das Signal ist wichtig. In Deutschland spricht sich über die Hälfte der Bevölkerung - genauso wie in vielen anderen EU-Ländern - für einen wirksamen Schutz vor dem Passivrauchen aus. Nach zahlreichen Forderungen - unter anderem auch durch unseren Gruppenantrag, Frau Eichhorn - hat die Bundesregierung nach vielen Versuchen nun einen Gesetzentwurf auf der Grundlage der Ergebnisse der BundLänder-Arbeitsgruppe vorgelegt. Damit wird ein sehr deutliches Zeichen für einen klaren Schutz vor dem Passivrauchen unter anderem in öffentlichen Gebäuden gesetzt. Es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass Rauchen ein großes, vermeidbares Gesundheitsrisiko ist. Wir wissen, dass Rauchen eine Vielzahl von Krankheiten und Folgekosten verursacht. Die Zahlen und Fakten sind allen hinlänglich bekannt. Wir müssen deshalb in der Politik aus gesundheitspolitischer Verantwortung Farbe bekennen und uns für klare gesetzliche Regelungen zum Schutz vor dem Passivrauchen aussprechen. ({2}) Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns schützende, klare gesetzliche Regelungen; denn wir alle wissen - Erfahrungswerte belegen das -, dass freiwillige Regelungen nicht greifen. ({3}) Die Bürgerinnen und Bürger können von uns aber auch erwarten, dass wir das, was wir für die öffentlichen Gebäude fordern, im Bundestag auch selbst praktizieren. Wir können schließlich - wie ein Sprichwort besagt nicht öffentlich Wasser predigen und heimlich Wein trinken. ({4}) Deshalb sind die Entscheidung des Ältestenrates und auch der Antrag der Grünen zu begrüßen, weil wir damit eine Vorbildfunktion wahrnehmen. Dabei geht es nicht nur um unser Gewissen, Herr Parr. Wir richten schließlich eine sehr wichtige Forderung an die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Ein weiterer Punkt ist wichtig. Der Deutsche Bundestag ist ein großer Arbeitgeber. In den dazugehörigen Gebäuden arbeiten immerhin 5 000 Beschäftigte. Arbeitsschutz am Arbeitsplatz wird im Bundestag schon an vielen Stellen praktiziert. Die Vorteile von Sportangeboten und Diabetestraining zum Beispiel wurden längst erkannt. Wir haben - das wurde schon von meiner Kollegin Ernstberger angesprochen - Verantwortung für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und können, was rauchfreie Arbeitsplätze betrifft, viel von großen Unternehmen lernen, die bereits rauchfrei geworden sind. ({5}) Die Unternehmen haben diesen Weg unter anderem dadurch erfolgreich beschritten, dass sie im Bewusstsein dessen, dass Rauchen eine Sucht ist - jetzt folgt meine Botschaft -, parallel zum Rauchverbot Hilfe für rauchende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeboten haben. Als Gesundheitspolitikerin plädiere ich dafür, dass wir wie einige große Unternehmen parallel zum Rauchverbot auch Angebote zur Tabakentwöhnung anbieten. ({6}) Als letzte Rednerin in dieser Debatte möchte ich mich der Feststellung unseres Vizekanzlers in einem Interview anschließen: Im Bundestag „dürfen nur noch die Köpfe rauchen“. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/4400 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Burkhardt Müller-Sönksen, Florian Toncar, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Menschenrechte in Usbekistan einfordern - Drucksachen 16/225, 16/1222 Berichterstattung: Abgeordnete Erika Steinbach Johannes Jung ({1}) Michael Leutert Volker Beck ({2}) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck ({4}), Volker Beck ({5}), Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Menschenrechte in Usbekistan einfordern - Drucksachen 16/1975, 16/4245 Berichterstattung: Abgeordnete Erika Steinbach Johannes Jung ({6}) Michael Leutert Volker Beck ({7}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Staatsminister Gernot Erler.

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Ratspräsidentschaft hat von den anderen europäischen Staaten das Mandat erhalten, eine Zentralasienstrategie zu erarbeiten. Diese Arbeit läuft bereits. Es geht voran, und wir stoßen bei den fünf infrage kommenden zentralasiatischen Ländern auf Interesse. Wir nutzen dieses Strategieprojekt auch dafür, Verbesserungen hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit und der Beachtung der Menschenrechte in allen dieser fünf Staaten zu erreichen. Was Usbekistan angeht, stehen immer noch die tragischen Ereignisse von Andischan vom 13. Mai 2005 und ihre Aufarbeitung im Vordergrund. Die EU hat auf diese Tragödie mit Sanktionen geantwortet, unter anderem mit einem Waffenembargo, mit Reisebeschränkungen gegenüber den Hauptverantwortlichen und mit der AussetStaatsminister Gernot Erler zung der praktischen Arbeit im Zuge des Partnerschaftsund Kooperationsabkommens. Die Bundesregierung hat sich von Anfang an intensiv um diese Vorfälle gekümmert. Ich selber habe im letzten Sommer in Taschkent sehr schwierige Gespräche dazu geführt. Der Außenminister ist im November vergangenen Jahres mit dem Staatspräsidenten zusammengetroffen und hat diese Themen ebenfalls aufgegriffen. Die EU hat ihren Druck in dieser Frage ständig aufrechterhalten. Dadurch konnte zwar keine Zustimmung für die eigentlich gewünschte Aufklärung durch eine unabhängige internationale Untersuchung erreicht werden, aber immerhin wurde von usbekischer Seite die Bereitschaft zur Durchführung gemeinsamer Gespräche im Rahmen einer Expertengruppe erklärt. Ein erstes Zusammentreffen einer solchen Expertengruppe hat vom 12. bis 14. Dezember letzten Jahres in Taschkent stattgefunden. Dabei hat die usbekische Regierung den Experten der Europäischen Union Einsicht in Akten sowie in schriftliches und elektronisches Beweismaterial gewährt. Die Experten sind mit Regierungsvertretern sowie Zeugen, Anwälten, Vertretern der Staatsanwaltschaft und Vertretern von Untersuchungsbehörden zusammengetroffen. Sie hatten Zugang zu einem Gefängnis und zu dort einsitzenden Verurteilten. Ferner haben sie die Orte des Geschehens in Andischan besucht und dort Gespräche mit Zeugen und Vertretern der beteiligten Behörden geführt. Trotz allem sind noch wichtige Fragen offen geblieben, weshalb wir darauf gedrungen haben, dass weitere Gespräche dieser Art stattfinden. Inzwischen gibt es die Zustimmung der usbekischen Seite, ein zweites Expertengespräch durchzuführen. Im Lichte dieser sich Schritt für Schritt erweiternden Bereitschaft, in einen Dialog zu treten, hat bereits am 8. November letzten Jahres eine Sitzung des Kooperationsrates zwischen der EU und Usbekistan stattgefunden. Bei dieser Gelegenheit ist auch über Andischan gesprochen worden. Die Führung von Usbekistan hat gegenüber der EU ihre Bereitschaft erklärt, einen dauerhaften und regelmäßigen Menschenrechtsdialog zu führen. Daraufhin hat wiederum der Rat für Allgemeine Angelegenheiten am 13. November letzten Jahres die bisher geltenden Sanktionen dahin gehend modifiziert, dass die technischen Gremien im Rahmen des Partnerschafts- und Kooperationsvertrages wieder arbeiten, das Waffenembargo aber um zwölf Monate und der Visabann um sechs Monate verlängert werden. Es wurde aber auch vereinbart, diese Sanktionen alle drei Monate zu überprüfen. Die nächste Überprüfung wird im Mai dieses Jahres stattfinden. Bei jeder Begegnung von Vertretern der EU und der deutschen Bundesregierung mit Kollegen aus Usbekistan werden auch Einzelfälle angesprochen, durchaus mit Erfolg. In einem Fall ist es nach einem Gespräch von Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit Präsident Karimow zur Freilassung eines oppositionellen Journalisten gekommen, der zu sechs Jahren Haft verurteilt worden war. Inzwischen sind auch die Vorbereitungen für den Menschenrechtsdialog, den ich angesprochen habe, vorangekommen. Wir hoffen, ihn bald konkret beginnen zu können. Er richtet sich nach den Vereinbarungen innerhalb der EU, das heißt, es wird nicht nur um Prinzipien gehen, sondern auch um Einzelfälle. Dabei werden auch die Vertreter der Zivilgesellschaft einbezogen. Dieser ganze Prozess spiegelt sich auch in der jüngsten Schlussfolgerung des EU-Rats zu Usbekistan vom 5. März wider, die diesen Prozess der wachsenden Kooperation abbildet. Zusammenfassend darf ich Folgendes festhalten: Die Menschenrechtslage in Usbekistan gibt weiter Anlass zu ernster Sorge. Das bezieht sich nach wie vor auf die Ereignisse in Andischan, aber auch auf die Folgen und die Form der Prozesse sowie das Schicksal derjenigen, die damals geflüchtet sind. Wir sind besorgt über das weiterhin rigorose Vorgehen gegen oppositionelle Journalisten sowie Vertreter und Aktivisten von Menschenrechtsorganisationen, und wir sind besorgt über die Politik gegenüber den NGOs, zum Beispiel darüber, dass die Arbeit insbesondere der internationalen NGOs in Usbekistan erschwert wird. Aber auf der anderen Seite gibt es auch Bewegung, die hoffen lässt. Dabei ist die Entscheidung zu erwähnen, die Todesstrafe zum 1. Januar 2008 abzuschaffen und zu dem gleichen Zeitpunkt die Habeas-Corpus-Regelung in Usbekistan einzuführen. Hinzu kommt die Bereitschaft, nicht nur diese Expertengespräche zu führen, sondern auch einen dauerhaften Menschenrechtsdialog mit der EU zu etablieren. Wir werden unsere Bemühungen fortsetzen und dabei den Vertretern Usbekistans deutlich machen, dass eine positive Teilnahme an der EU-Zentralasienstrategie und die Zusammenarbeit mit der EU nur möglich sind, wenn wir weiter konkrete Erfolge in dem von mir beschriebenen Sinne haben werden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Burkhardt MüllerSönksen, FDP-Fraktion. ({0})

Burkhardt Müller-Sönksen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003818, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatsminister, Sie sprachen von Bewegung. Ich sehe das nicht so wie Sie. Außerdem sprachen Sie von Fortschritten der Regierung. Ich sage Ihnen: Diese Regierung hält Deutschland, das die EU-Ratspräsidentschaft innehat, hin. Wir haben dort Gespräche geführt: Es tut sich nichts. Im November 2005 hat die EU - Sie sagten es Sanktionen gegen Usbekistan verhängt. Sie reagierte damit auf die blutige Niederschlagung von weitgehend friedlichen Demonstrationen in der Stadt Andischan am 13. Mai 2005. Bald sind seit dem traurigen Ereignis, als Hunderte von Demonstranten durch Sicherheitskräfte des usbekischen Innenministeriums brutal niedergeschossen worden sind, zwei Jahre vergangen. Die genauen Hintergründe dieser Vorgänge liegen bis heute im Dunkeln. Ich denke dabei nicht an diejenigen, die im Gefängnis sitzen - wir haben heute zum ersten Mal gehört, dass Vertreter der EU-Kommission mit ihnen gesprochen haben -, sondern an diejenigen, die geschossen haben. Deren Taten sollten eigentlich untersucht werden, auch durch eine unabhängige Kommission. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Bundesregierung seit einiger Zeit auf EU-Ebene darauf drängt, die Sanktionen gegen Usbekistan aufzuheben oder doch zumindest zu lockern. Was würde aber die Aufhebung oder Lockerung der Sanktionen aus gegenwärtiger Perspektive rechtfertigen? Der Befund ist leider so eindeutig wie erschütternd: Nichts. Denn in Usbekistan ist außer hehren Absichtsbekundungen, von denen wir schon vor einem halben Jahr bei unserem Besuch gehört haben - etwa von der, die Todesstrafe 2008 abzuschaffen -, keine Verbesserung der Menschenrechtslage erkennbar. Das Gegenteil ist der Fall: Die Situation derjenigen, die sich für die Belange der Menschenrechte in Usbekistan einsetzen, wird immer dramatischer. Welcher willkürlich und politisch motivierten Verfolgung Nichtregierungsorganisationen in Usbekistan ausgesetzt sind, zeigt das Beispiel der Organisation Human Rights Watch. Das ist nach meinem Wissen die einzige internationale Menschenrechtsorganisation, die in Usbekistan überhaupt noch ein Büro unterhält. Alle anderen internationalen Menschenrechtsorganisationen mussten ihre Vertretungen in Usbekistan schließen, da sie von der usbekischen Regierung des Landes verwiesen wurden. Kürzlich - auch Sie sprachen von Einzelfällen, die leider noch nicht abschließend behandelt worden sind wurde die Übersetzerin des Taschkenter Büros von Human Rights Watch, Frau Umida Niyazova, nahe der usbekisch-kirgisischen Grenze verhaftet. Der ursprüngliche Vorwurf der usbekischen Strafverfolgungsbehörden gegen sie lautete, dass sie am 21. Dezember 2006 bei ihrer Einreise nach Usbekistan am Flughafen Taschkent eine nicht ordnungsgemäße Zollerklärung abgegeben habe. Sie hatte nämlich ihren Laptop sowie die dazugehörigen Speicherkarten in der Zollerklärung nicht korrekt aufgeführt. Daraufhin wurden der Laptop, die Speicherkarten sowie ihr Pass beschlagnahmt. Zudem wurde sie einem langwierigen Verhör unterzogen, da sich angeblich staatsfeindliche Dokumente auf ihrem Laptop befanden. Frau Niyazova wurde deshalb ein Strafverfahren in Aussicht gestellt. Nachdem sie in Anbetracht der gegen sie erhobenen Anschuldigungen in das benachbarte Kirgisien geflohen war, wurde sie von den usbekischen Behörden im Januar unter dem Vorwand, sie habe kein Strafverfahren mehr zu befürchten, zurück nach Usbekistan gelockt und unmittelbar nach ihrem Grenzübertritt festgenommen. Ganz offensichtlich handelt es sich bei diesem Vorgang um einen Fall politisch motivierter Strafverfolgung. Dieser Fall ist immer noch aktuell. Wir bitten Sie, die Regierung, dem nachzugehen. ({0}) Mit welch schamloser Willkür die usbekischen Behörden gegen Human Rights Watch in Usbekistan vorgehen, zeigt auch, dass einer neuen Mitarbeiterin dieser Organisation, Frau Rittmann, sowie dem Ehemann von Frau Dr. Andrea Berg, der Leiterin des Büros von Human Rights Watch in Taschkent, seit mehr als einem halben Jahr die beantragten Einreisevisa für Usbekistan verweigert werden. Als wir dort waren, wurde uns im Justizministerium gesagt, das sei nur noch eine reine Formsache, die Visumerteilung stehe unmittelbar bevor. Bis heute - seitdem ist ein halbes Jahr vergangen - ist nichts passiert. Wir werden hingehalten; wir werden an der Nase herumgeführt. Ich muss die Bundesregierung an dieser Stelle fragen: Begreifen wir nicht, dass wir von den usbekischen Behörden immer weiter vorgeführt werden? Während sich die Bundesregierung gegenwärtig bemüht, mit der usbekischen Regierung die Bedingungen für einen Menschenrechtsdialog auszuhandeln, sehen die usbekischen Machthaber keine Veranlassung, ihr brutales, willkürliches und unrechtmäßiges Verhalten gegenüber diesen Menschenrechtsverteidigern auch nur dem Anschein nach zu ändern. Wenn sich die usbekischen Behörden sogar in einer Phase, in der sie ganz genau wissen, dass sie unter internationaler Beobachtung stehen, so verhalten, ist die Frage: Wie werden sie sich dann erst verhalten, wenn die EU-Sanktionen aufgehoben sind? Also: A maiore ad minus. Wir befürchten, dass es noch viel schlimmer wird. Es wäre aus meiner Sicht ein großer Fehler, unter den gegenwärtigen Bedingungen die Sanktionen aufzuheben, nur um einen Menschenrechtsdialog mit der usbekischen Regierung zu führen, der dann allerdings den Inhalt nicht wert wäre. Ein solcher Menschenrechtsdialog wäre nicht nur sinnlos; er wäre auch ein Hohn für diejenigen, denen es um eine tatsächliche Verbesserung der Menschenrechte in Usbekistan geht. ({1}) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Die Glaubwürdigkeit und damit der Erfolg der EU-Zentralasienstrategie, die gegenwärtig unter deutscher EURatspräsidentschaft erarbeitet wird, hängen maßgeblich davon ab, wie sich vor allem die deutsche Regierung derzeit im Hinblick auf Usbekistan verhält. Daher dürfen wir bei der Aufklärung der Ereignisse von Andischan und der Einforderung einer besseren Menschenrechtssituation in Usbekistan nicht auf Feigenblattveranstaltungen setzen. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Holger Haibach, CDU/ CSU-Fraktion. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner ({0})

Holger Haibach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir eine Bemerkung, bevor ich zum eigentlichen Thema komme. Zumindest die Kolleginnen und Kollegen, die vorhin schon hier waren, haben den doch sehr engagierten Diskussionsstil beim Thema Nichtraucherschutz erlebt. Ich würde mir wünschen, dass dieses Parlament auch über menschenrechtliche Fragen wie die, die wir jetzt zu behandeln haben, in dieser Art und Weise engagiert diskutieren würde. Dann wären wir, glaube ich, was die Frage der Menschenrechte in Deutschland und weltweit betrifft, einen großen Schritt weiter. ({0}) Herr Kollege Müller-Sönksen hat aus meiner Sicht sehr viele wichtige Punkte angesprochen. ({1}) Er hat das, was sozusagen das Dilemma von Menschenrechtspolitik ist, relativ klar beschrieben. Wenn wir den Dialog suchen, sind wir immer in der Gefahr, dass wir uns zu nahe an die begeben, die den Dialog führen. Aber wenn wir nur auf Sanktionen und Ablehnung setzen, sind wir in der Gefahr, nichts zu erreichen. Das heißt, wir müssen einen vernünftigen Weg finden. Bei allem, was man über die gegenwärtige Situation in Usbekistan sagen kann - ich stimme in vielem mit dem überein, was dazu angemerkt worden ist, bin auch weit davon entfernt, übermäßig optimistisch zu sein, weil auch ich der Delegation angehört habe, die vor einem halben Jahr in Usbekistan war -, gilt, dass das, was die Bundesregierung tut, verantwortungsvolle Politik ist. Sie versucht, auf der einen Seite die Notwendigkeit der Zusammenarbeit und auf der anderen Seite die Ausübung des notwendigen Drucks auszubalancieren, um die menschenrechtliche Situation in solchen Ländern zu verbessern. Ein Beispiel ist die schon genannte Zentralasienstrategie. Wir sind gestern im Ausschuss darüber informiert worden, wie so etwas ungefähr aussehen könnte. Ich finde es schon bedeutsam und richtig, dass die wichtigen menschenrechtlichen Fragen, die für Usbekistan auf der Tagesordnung stehen, im Rahmen einer solchen Strategie und im Rahmen eines Dialogs auch tatsächlich angesprochen werden. Dabei ist das Thema Andischan - das spielt in beiden Anträgen eine Rolle - durchaus wichtig. Der Kollege Beck wird nachher wahrscheinlich sagen: Was wir in diesen Expertengesprächen jetzt machen, entspricht nicht dem internationalen Standard einer unabhängigen Untersuchung. Das trifft zu. Aber es ist wesentlich mehr als das, was wir bis jetzt hatten, nämlich nur Informationen der usbekischen Regierung, ohne dass man die Möglichkeit hatte, sie in irgendeiner Form nachzuprüfen. Das sollte man einmal zur Kenntnis nehmen und anerkennen. ({2}) Es ist auch richtig, glaube ich, dass wir in einen Dialog mit der usbekischen Seite eintreten. Ich stimme dem Kollegen Müller-Sönksen voll darin zu, dass Dialoge nicht zu Feigenblattveranstaltungen werden dürfen. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass diese Gefahr dann, wenn wir einen Dialog zielorientiert führen, nicht eintreten muss. Einmal abgesehen davon: Welche Alternative haben wir neben dem Versuch, mit einem vernünftigen Dialog auf der einen Seite und mit Druck auf der anderen Seite etwas zu erreichen? Wir werden nicht dort einmarschieren, um die Verhältnisse zu verbessern. Insofern glaube ich, dass wir schon richtig aufgestellt sind, wenn wir unsere Maßnahmen ausbalancieren. Was den Dialog betrifft: Ich bin einer großer Freund von Dialogen. Ich halte sie für richtig. Ich halte sie für konsequent. Aber wir müssen sie schon zielorientiert führen. Wir müssen sie konstruktiv führen. Wir müssen vor allem klarmachen: Welches sind die Dinge, über die wir reden wollen? Wie wollen wir unsere Ziele erreichen? Wir brauchen eine vernünftige Erfolgskontrolle, auf Neuhochdeutsch Evaluation genannt, damit wir hinterher klarmachen können, wo wir eine Zusammenarbeit sehen und wo nicht, weil der Erfolg nicht gewährleistet ist. Wenn wir den Dialog auf diese Art und Weise angehen, können wir auch erfolgreich sein. ({3}) Ich will etwas zu den Expertengesprächen sagen. Wir müssen die Chance, die sich durch diese Expertengespräche bietet, auch tatsächlich nutzen. Man hörte das eine oder andere über die Situation, in der die Expertengespräche stattgefunden haben. Ich finde es gut und richtig, dass eine zweite Reise stattfindet. Ich kann nur hoffen, dass die Gruppe, die dort hinfährt, wirklich alle Möglichkeiten ausnutzt, die ihr geboten werden, und versucht, mit jedem zu reden, der mit dieser Angelegenheit etwas zu tun hat. Sonst werden wir niemals Licht ins Dunkel dieser Angelegenheit bringen. Das schaffen wir nur dann, wenn dort sehr intensiv nachgeforscht wird. Sanktionen haben natürlich durchaus eine große Symbolwirkung. Auch ich sage: Unter den gegenwärtigen Umständen ist der Hoffnungsschimmer, der durch die Wolken geht, sehr dünn. Wir müssen sehr genau überlegen, was wir tun. Ich finde es richtig, dass wir die technische Zusammenarbeit wieder zulassen, aber weder den Waffenbann noch den Visabann aufheben. Wenn wir aber - was zum Beispiel im Antrag der Grünen gefordert wird - einen wirklichen Austausch haben wollen, wenn wir eine tatsächliche Zusammenarbeit, zum Beispiel im justiziellen Bereich, haben wollen, dann werden wir diesen Austausch zulassen müssen. Dazu gehört die technische Zusammenarbeit. Insofern finde ich die Reaktion der Bundesregierung an dieser Stelle ausgewogen. Ich sage allerdings auch in aller Deutlichkeit: Wenn sich an der Situation auf absehbare Zeit nichts ändert, sollten wir an den übrigen Sanktionen nicht rühren. ({4}) Ich denke, wir müssen unsere Tätigkeiten und unsere Sicht auf Usbekistan und die anderen Zentralasienstaaten in einen größeren Zusammenhang einordnen. Im Antrag der Grünen steht unter anderem, wir müssten uns in besonderem Maße um Menschen kümmern, die in Usbekistan verfolgt werden. Dem kann ich nur zustimmen. Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Wir alle erinnern uns noch daran, dass es vor kurzem ein Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs gegeben hat, wonach usbekische Flüchtlinge, die nach Russland gekommen sind, nicht hätten ausgeliefert werden dürfen. Die Auslieferung ist trotzdem erfolgt, und die Menschen sind daraufhin verschwunden. Das bedeutet doch, dass wir innerhalb des Europarates, innerhalb unserer europäischen Staatengemeinschaft darauf drängen müssen, dass diese Aufgabe gelöst wird. Wir müssen mit unseren Partnern reden. Wenn wir nur alleine drängen, werden wir nämlich nicht weit kommen. Russland spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Das spricht für die Tatsache - um auf die Debatte der letzten Woche zurückzukommen -, dass wir der Umsetzung der Urteile des Menschenrechtsgerichtshofs eine größere Bedeutung beimessen müssen, als das bei der einen oder anderen Angelegenheit der Fall ist. ({5}) Natürlich fällt es einem schwer, Ankündigungen einer Regierung zu glauben, die sich sehr retardierend verhält, wenn es darum geht, Fortschritte im Menschenrechtsbereich zu machen: die Ankündigung, die Todesstrafe abzuschaffen, im Jahr 2008 aber kein Moratorium zuzulassen, die Ankündigung, den Habeas-Corpus-Akt in das Rechtssystem einzuführen. Trotz allem glaube ich, dass das Ansatzpunkte sind; denn wenn diese Versprechen gemacht worden sind, muss man die usbekische Seite in dem Dialog, der geführt werden muss, packen und daran erinnern: Das habt ihr zugesagt, wir wollen sehen, dass es verwirklicht wird und wie es verwirklicht wird. - Das wird sicherlich auch Aufgabe dieses Dialogs sein. Das muss in aller Deutlichkeit gesagt werden. Ich will einen Gedanken, der hier noch keine Erwähnung gefunden hat, aufgreifen: Zentralasienstrategie deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Alle, die sich mit Menschenrechten beschäftigen, wissen, dass wir bei vielen Dingen einen langen Atem brauchen. In diesen Staaten ist wahrscheinlich ein noch viel längerer Atem notwendig als in vielen anderen Staaten. Dieser lange Atem ist uns dieses Mal garantiert - dafür bin ich der Bundesregierung sehr dankbar -: Man versucht nicht nur, im Rahmen der eigenen Präsidentschaft etwas zu erreichen, sondern macht auch durch die sogenannte Teampräsidentschaft, indem man also die nächste und übernächste Präsidentschaft hinzunimmt, deutlich, dass das keine Angelegenheit für ein halbes Jahr ist, sondern dass das eine Angelegenheit ist, die für die Europäische Union von dauerhafter Bedeutung ist. Ich kann nur sagen: Herzlichen Dank an die Bundesregierung, dass man in diesem Fall diesen Weg gewählt hat. ({6}) Ein Wort noch zu den Anträgen, die uns heute vorliegen: Der Antrag der FDP ist schon etwas älter und hat sich insofern nicht in der Sache, aber zum Teil in den Maßnahmen überholt. Der vorliegende Antrag der Grünen zeichnet aus meiner Sicht viele beachtenswerte Aspekte - das will ich überhaupt nicht verhehlen -, aber mir fehlt das Gesamtkonzept. Deswegen werden wir diesen beiden Anträgen leider nicht zustimmen können. Ein letzter Gedanke: Ich sehe den viel beschworenen Interessengegensatz in dieser Region zwischen Menschenrechten auf der einen Seite und wirtschaftlichen und strategischen Interessen auf der anderen Seite nicht. Es ist uns klar, und wir müssen immer wieder deutlich machen, dass Menschenrechte fundamentaler Bestandteil für eine sichere und stabile Entwicklung sind. Wir müssen alles tun, damit die Menschenrechte in dieser Region tatsächlich beachtet werden. Ich denke, wir sind auf einem richtigen Weg. Wenn wir den festen Willen haben - diesen Willen wünsche ich uns allen -, dann haben wir hoffentlich irgendwann eine bessere Situation in Zentralasien. Danke sehr. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Hüseyin Aydin, Fraktion Die Linke. ({0})

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte es noch einmal in Erinnerung rufen: Am 13. Mai 2005 ließ das usbekische Innenministerium in der Stadt Andischan eine Demonstration von Zehntausenden abriegeln. Die Bevölkerung solidarisierte sich mit 23 Männern, denen ein unfairer Prozess wegen eines angeblichen Umsturzversuches gemacht wurde. Aus anfänglichen Mahnwachen wurden bald große, friedliche Demonstrationen gegen Rechtswillkür. Nach Berichten von Amnesty International fuhren an diesem 13. Mai immer wieder gepanzerte Militärfahrzeuge vor, aus denen heraus auf die Menge geschossen wurde. Dieses brutale Vorgehen forderte einige Hunderte Tote. So wurde der Menschenrechtsverteidiger Sainabitdinow zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Er hatte nach dem Massaker von Andischan den ausländischen Journalisten blutige Kinderschuhe gezeigt und somit bewiesen, dass auf Kinder geschossen wurde. Mutabar Tadschibajewa, die Vorsitzende einer bekannten usbekischen Menschenrechtsorganisation, wurde zu acht Jahren Haft verurteilt. Ihr Verbrechen bestand darin, dass sie auf einer internationalen Konferenz in Dublin von den Ereignissen in Andischan berichten wollte. Ich denke, dass ich für alle hier versammelten Abgeordneten spreche, wenn ich anlässlich des Internationalen Frauentages Frau Tadschibajewa unsere solidarischen Grüße sende. ({0}) Die vorliegenden Anträge fordern zu Recht von der Bundesregierung ein energisches Eintreten zur Aufklärung dieser Vorgänge. Das findet die Zustimmung der Linken. Aber die Bundesregierung sagt das eine und tut etwas anderes. Es ist gut, wenn Außenminister Steinmeier auf seiner Zentralasienreise Tamara Tschikunowa, die in Usbekistan die Organisation „Mütter gegen Todesstrafe und Folter“ leitet, öffentlich die Hand schüttelt. Leider steht dieser Akt im Widerspruch zu der nicht ganz so öffentlich betriebenen Kooperation mit dem Regime. Trotz der EU-Sanktionen, die die militärische Zusammenarbeit mit der Diktatur in Taschkent streng untersagen, unterhält die Bundeswehr einen eigenen Stützpunkt im usbekischen Termes. Der Ausbau dieses Stützpunktes ist nach dem Massaker von Andischan mit deutschen Steuergeldern in Höhe von 10 Millionen Euro sogar noch vorangetrieben worden. Selbst die Vereinbarung über die Ausbildung von usbekischen Streitkräften ist nicht ausgesetzt worden. Als Gegenleistung erhielt der politisch Hauptverantwortliche für das Massaker von Andischan, Innenminister Almatow, im Dezember 2005 ein Visum für die Einreise nach Deutschland und wurde hier großzügig medizinisch versorgt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, ich muss Sie jetzt fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Haibach genehmigen.

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Selbstverständlich.

Holger Haibach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Aydin, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ein Großteil der auf dem Militärstützpunkt in Termes stationierten Truppen inzwischen schon nach Masar-i-Scharif verlegt worden ist oder in Kürze verlegt wird?

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Haibach, das ändert nichts an der Tatsache, dass dieser Stützpunkt weiterhin in Betrieb ist und einige Soldaten weiterhin dort tätig sind. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erfuhren im April letzten Jahres im CIA-Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments, dass die deutsche Botschaft in Taschkent in Geheimdienstbelangen mit dem Regime zusammengearbeitet hat. Wer so handelt, verliert jede Glaubwürdigkeit. Ich sage es noch einmal: Die Bundesregierung fordert von den Ländern in der Dritten Welt die Einhaltung der Menschenrechte, was wir natürlich unterstützen. Doch sie kooperiert mit einer usbekischen Regierung, die auf die eigene Bevölkerung schießen lässt. Und warum das alles? Die Bundeswehr erläutert auf ihrer Homepage - Herr Haibach, hören sie zu! -: Gäbe es die Nachschub-Basis der Bundeswehr im usbekischen Termez nicht, dann könnten die deutschen Soldaten in Afghanistan in kürzester Zeit einpacken. Die Katze ist aus dem Sack! Es geht augenscheinlich um politische Einflusssphären und nicht zuletzt um wirtschaftliche Interessen. Ich sage: Deutsche Truppen haben in Afghanistan genauso wenig verloren wie ein usbekischer Innenminister mit Blut an den Händen in Deutschland. ({1}) Die Linke fordert die Bundesregierung auf: Beenden Sie endlich die Kumpanei mit diesem Regime in Taschkent und machen Sie den Bundeswehrstützpunkt in Termes gänzlich dicht. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/ Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege, wenn die Welt mal so einfach wäre! Ihre Schilderung der Konfliktlage war mir jetzt doch zu simpel. ({0}) Auch ich habe das Gefühl, dass die Bundesrepublik Deutschland - diesen Eindruck hat man uns ja bei unserem Besuch in Usbekistan auch vermittelt - im Vergleich zu anderen europäischen Staaten besonders schonungsvoll mit den Usbeken umgeht. Dabei spielt Termes eine Rolle. Das muss nicht so sein. ({1}) Meines Erachtens muss man sich von dieser Perspektive frei machen und über Alternativen reden. Da gibt es Alternativen; andere Bündnispartner nutzen sie. Deshalb sollte man den Usbeken deutlich machen, dass wir uns von ihnen wegen Termes nicht erpressen lassen. Das wäre die richtige Botschaft. Aber sich das so einfach zurechtzustricken, wie Sie das hier gemacht haben, ist nicht legitim. ({2}) Man muss auch darüber reden, wie man ISAF absichert. Ich weiß, Sie sind dagegen. Aber das hat mit der Usbekistanpolitik nichts zu tun. Deshalb sollten wir jetzt hier beim Thema bleiben. Ansonsten führen wir hier eine innenpolitische statt eine menschenrechtspolitische Debatte. ({3}) Ich möchte jedoch, dass die usbekische Regierung und der usbekische Botschafter merken, dass sich der Deutsche Bundestag darüber einig ist, dass man mit der jetzigen Menschenrechtssituation in Usbekistan nicht zufrieden sein kann. Diese Botschaft muss von dieser Debatte ausgehen. Sie darf sich nicht in innenpolitischem Geplänkel verlieren, das übrigens außer zwei Besuchern sowieso niemand mitbekommt. ({4}) Ich bin besorgt über die Tonlage, die hier teilweise angeklungen ist. Ich habe in etwa die gleiche Tonlage aus dem Votum der SPD im Bericht des Ausschusses zu unserem Antrag herausgelesen. Es sei alles auf einem guten Weg, sagt dort die SPD-Fraktion. Ich bin dafür, die Dialogbereitschaft auszutesten. Ich bin dafür, dass man versucht, wirklich voranzukommen. Ich bin aber nicht für eine Rabattveranstaltung. Wir haben damals gesagt, wir wollen eine internationale unabhängige Untersuchung der Vorfälle in Andischan. Die jetzige EU-Mission wird nicht von einer international unabhängigen Kommission durchgeführt, wie wir das gefordert haben. Das positive Votum einer solchen Kommission war aber auch die Grundlage für die Aufhebung der Sanktionsbeschlüsse der Europäischen Union. Wir haben gefordert, die usbekische Regierung müsse alle internationalen Verpflichtungen, die sie eingegangen ist, erfüllen, sonst dürfe es zu keiner Aufhebung der Sanktionen kommen. Nach wie vor hat das Internationale Rote Kreuz keinen ungehinderten Zugang zu allen Gefängnissen in Usbekistan. Deshalb hat es vor einigen Monaten seine Besuchspraxis eingestellt, um nicht so zu tun, als ob es etwas kontrolliere, was man es in Wirklichkeit gar nicht kontrollieren lässt. Wir dürfen hier keinen Rabatt geben und nur über Einzelfälle reden, in denen man sich in einem Punkt entgegenkommen kann. Ich befürchte, so wie ich Herrn Karimow und andere kluge Leute, die das usbekische Regime verteidigen, erlebt habe, dass ein Menschenrechtsdialog auf solchen Veranstaltungen leicht zu zwei Monologen werden kann und sich überhaupt nichts bewegt. ({5}) Deshalb brauchen wir klare Zielvorgaben. Wenn sich nichts bewegt, muss man das feststellen und daraus Konsequenzen ziehen. Deshalb darf man sich alleine durch Zusagen von einem Regime wie dem usbekischen, das bereit ist, einem alles zu erzählen, wenn man es nur hören will, aber hinterher nichts davon umsetzt, kein X für ein U vormachen lassen. Die lachen über uns als Westen, weil wir uns manchmal für so kleine Münze einkaufen lassen. ({6}) Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, in Brüssel hart zu bleiben und nicht zu versuchen, die Sanktionsbeschlüsse ohne konkrete Fortschritte in der Menschenrechtssache aufzuheben. ({7}) Herr Staatsminister, Sie haben die Zentralasienstrategie angesprochen. Ich finde, wir sollten darüber im Bundestag und auch in den Ausschüssen intensiver und informierter sprechen. Wir hatten gestern eine Unterrichtung. Dabei ist mir nicht klar geworden, wie die verschiedenen Themen der Zentralasienstrategie von der Bundesregierung zusammengebracht werden. Die Themen sind alle benannt: die Energiefrage, die strategische Frage, auch die Menschenrechtsfrage. Aber was bedeuten die Energiefrage und die strategische Frage für die Menschenrechtsfrage? Das ist das Spannende: Wie ist das miteinander verzahnt, und wie bedingt sich das? Wir müssen aufpassen, dass wir nicht anfangen, zentralasiatischen Staaten wie Turkmenistan, das auf einer riesigen Gasblase sitzt, aus energiepolitischen Gründen Menschenrechtsrabatte zu geben. Wir machen uns als Westen völlig unglaubwürdig. Deshalb ist eine andere Energiepolitik eine wichtige Voraussetzung und eine vernünftige Grundlage dafür, dass unser Land menschenrechtspolitisch nicht erpressbar ist. Das sollten wir immer mit im Blick haben. Ich möchte als Abgeordneter im Menschenrechtsausschuss mit der Bundesregierung in einen Dialog darüber eintreten, mit welchen Mechanismen wir dafür sorgen,

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege!

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- dass die Menschenrechtsfrage unsere Beziehungen weitgehend bestimmt. Damit, Frau Präsidentin, bin ich am Schluss. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Herta Däubler-Gmelin, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist schon sehr viel Richtiges gesagt worden; der Kollege Haibach hat das bereits unterstrichen. Auch in den beiden Anträgen der Opposition steht in Bezug auf die Fakten sehr viel Richtiges. Ich denke, diese Debatte hat, von ein paar Ausrutschern abgesehen, wieder gezeigt, dass wir uns in der Zielsetzung völlig einig sind. Deshalb brauchen wir ein Menschenrechtsverständnis, nach dem nicht auf der einen Seite das Thema Menschenrechte verfolgt wird, während sich auf der anderen Seite die Außenpolitiker um die Strategie, die Verteidigungspolitiker um die Waffeneinheiten und die Wirtschaftspolitiker um die Wirtschaft, den Außenhandel und die Energie kümmern. Wir möchten, dass alles zusammen gesehen wird. Aus diesem Grund gab es auch eine klare Entscheidung des Bundestages, einen Ausschuss für Menschenrechtsfragen mit eigener Verantwortung zu bilden. Ich stimme aber Herrn Haibach auch in der zweiten Frage zu, lieber Kollege Müller-Sönksen und lieber Kollege Beck, dass man Ihre Anträge nicht annehmen kann, und zwar nicht deswegen, weil die Tatsachen falsch wären oder das Ziel nicht unserem entsprechen würde. Sie wissen, dass wir darüber schon häufig genug geredet haben und das auch weiterhin tun werden. Aber ich glaube, es fehlt etwas. Die innenpolitische Ausrichtung, die der Kollege Beck gerade dem Herrn Aydin so entzückend vor die Füße geworfen hat, ist auch in Ihrem Antrag sehr deutlich spürbar. Es geht darum, dass Sie die Sorge oder das Misstrauen formulieren, die Bundesregierung würde die Menschenrechte doch wieder in einer Schublade halten, die Themen Strategie, Energie oder sonst etwas getrennt sehen und im Übrigen eine Rabatttendenz, eine Mauschelei oder Ähnliches verfolgen. Dies ist falsch. Machen Sie sich einmal die Mühe - wir im Ausschuss tun dies alle -, sich einmal anzuschauen, wie im Europäischen Rat vor ein paar Tagen diskutiert wurde. Wenn Sie sich einmal anschauen, was im Menschenrechtsrat in Genf in Sachen Usbekistan läuft, wie sich die Bundesregierung in dieser Frage verhält und sich zu diesem Thema positioniert, dann wissen Sie, dass ein Misstrauen gegenüber der Bundesregierung in dieser Frage schlichtweg falsch ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Geschätzte Frau Kollegin, würden Sie mir zustimmen, dass jede Forderung in unserem Antrag zustimmungsfähig ist? Wenn Sie meine Auffassung teilen, dann können wir den Feststellungsteil fallen lassen. Wir treten aber für klare menschenrechtliche Anforderungen an die usbekische Seite ein. Wir wollen der Bundesregierung ganz ohne Soupçon Material für ihre weitere Politik mitgeben. Wenn das auf Ihre Zustimmung trifft, könnten wir so verfahren.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Deswegen mache ich Ihnen einen Gegenvorschlag. Lassen Sie uns die Frage, die Ihnen und auch uns am Herzen liegt, gemeinsam behandeln, nämlich die Frage, wie man einen vernünftigen Dialog zur Verbesserung der Menschenrechtslage in Transformationsstaaten erreichen kann. Dann haben wir viele Probleme nicht und können viele Punkte aus Ihren Feststellungen herausnehmen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, sind Sie noch bei der Beantwortung der Frage?

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Dann bitte ich den Kollegen Beck, wieder aufzustehen. ({0})

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Soll ich sagen, wann ich mit der Beantwortung der Frage fertig bin? ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Wenn man das aus dem Inhalt nicht erkennen kann, dann bitte ja. ({0})

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin, ich traue uns allen selbst zu dieser Stunde zu, dass das möglich ist. Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich Herrn Beck durchaus gestatten, sich wieder hinzusetzen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Dann werde ich Ihre Redezeit weiterlaufen lassen. ({0})

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gut. Ich fahre fort. Uns liegen die Fragen am Herzen: Wie können wir das Ziel einer integrativen Menschenrechtspolitik erreichen? Wie kommen wir zu Dialogen? Denn damit ist die Möglichkeit verbunden, tatsächlich weiterzukommen. Wie schaffen wir es, dass die Glaubwürdigkeit einer verzahnten Menschenrechtspolitik - nämlich einer deutschen, einer europäischen und einer internationalen Menschenrechtspolitik - deutlich erkennbar wird? Zu diesen Fragen gibt es - lesen bildet, lieber Kollege Beck - ein sehr kluges Papier von Human Rights Watch, das sich mit der Zentralasienstrategie und speziell mit den Dialogen mit Usbekistan beschäftigt. Dort wird sehr klar gesagt, worum es geht: Erstens. Eine klare Ansage in den Dialogen, was die Menschenrechtsverletzungen angeht. Das tut die Bundesregierung. Wir werden darauf achten, dass es so bleibt. Zweitens. Die Öffentlichkeit in Usbekistan suchen. Das ist mir deswegen so besonders wichtig, weil in diesem wunderschönen Land mit seiner Jahrtausende alten Kultur die Bevölkerung, die sehr genau weiß, was sie möchte, und die sehr freiheitsliebend und menschenrechtsorientiert ist, darauf angewiesen ist, dass wir uns um diese Belange kümmern. Drittens. Kontakte mit der Bevölkerung suchen. Damit komme ich zu dem größten Nachteil von beiden Anträgen. Sie zeigen nicht auf, dass wir die Kontakte mit der Bevölkerung und nicht nur die mit der Regierung suchen müssen. Nur diese Kontakte geben uns die Möglichkeit, das gemeinsame Ziel, nämlich die Verbesserung der Menschenrechte, zu erreichen. Wie gesagt, ich gebe es nicht auf, dass wir auch, aber nicht nur in Bezug auf Usbekistan, hier eine gemeinsame Linie finden. Lieber Herr Beck, ich sage Ihnen gerne noch einmal: Sie haben völlig recht. Der Deutsche Bundestag hält die Menschenrechte für die Grundlage jeder zivilisierten Gesellschaft. Die Politik ist insgesamt darauf ausgerichtet, die Menschenrechtslage zu verbessern. Das gilt nicht nur, aber auch für Usbekistan. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe auf Drucksache 16/1222 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Menschenrechte in Usbekistan einfordern“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/225 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 13 b, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe auf Drucksache 16/4245 zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Menschenrechte in Usbekistan einfordern“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/1975 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Illegitime Schulden von Entwicklungsländern streichen - Drucksachen 16/3618, 16/4314 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Georg Nüßlein Hellmut Königshaus Heike Hänsel Ute Koczy Die Rednerinnen Dr. Bärbel Kofler und Heike Hänsel sowie die Redner Dr. Georg Nüßlein, Hellmut Königshaus und Thilo Hoppe haben ihre Reden zu Pro- tokoll gegeben.1) Wir kommen deshalb zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 16/4314 zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Illegitime Schul- den von Entwicklungsländern streichen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/3618 abzuleh- nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp- fehlung ist mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Grünen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b so- wie Zusatzpunkt 8 auf: 12 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Verbraucherinformationsgesetz nachbessern und das Lebensmittel-Kontrollsystem neu ord- nen - Drucksachen 16/2656, 16/4575 - Berichterstattung: Abgeordnete Ursula Heinen Hans-Michael Goldmann Ulrike Höfken 1) Anlage 2 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin Binder, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Zweite Chance nutzen - Das Recht auf Verbraucherinformation grundlegend neu gestalten - Drucksache 16/4544 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten HansMichael Goldmann, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Verbraucherinformationsrechte stärken Neues Verbraucherinformationsgesetz zügig vorlegen - Drucksache 16/4447 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({3}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Die Kolleginnen Marlene Mortler, Elvira DrobinskiWeiß, Waltraud Wolff ({4}), Karin Binder und Ulrike Höfken sowie der Kollege Hans-Michael Goldmann haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Wir kommen deshalb zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Drucksache 16/4575 ({5}) zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Verbraucherinformationsgesetz nachbessern und das Lebensmittel-Kontrollsystem neu ordnen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/2656 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion der Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 12 b und Zusatzpunkt 8. Inter- fraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/4447 zu Zusatzpunkt 8 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/4544 zu dem Tagesordnungspunkt 12 b soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be- schlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: 17 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, 1) Anlage 3 Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Nach dem Wiener Gipfel - die Beziehungen zwischen der EU und Lateinamerika solida- risch gestalten - Drucksachen 16/2602, 16/4541 - Berichterstattung: Abgeordnete Anette Hübinger Dr. Sascha Raabe Dr. Karl Addicks Heike Hänsel Ute Koczy b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Michael Leutert, Dr. Diether Dehm, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der LINKEN Für einen europäischen zivilen Friedensdienst - Drucksachen 16/3620, 16/4540 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Georg Nüßlein Hellmut Königshaus Heike Hänsel Ute Koczy Die Kolleginnen Anette Hübinger und Heike Hänsel sowie die Kollegen Andreas Weigel, Dr. Sascha Raabe, Dr. Karl Addicks und Thilo Hoppe haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) Wir kommen deshalb zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 16/4541 zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Nach dem Wiener Gipfel - die Beziehungen zwischen der EU und Latein- amerika solidarisch gestalten“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/2602 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/ Die Grünen, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstim- men der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 17 b, Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 16/4540 zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Für einen europäischen zivilen Friedensdienst“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/3620 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dage- gen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthal- tung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen ange- nommen. 2) Anlage 4 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 sowie die Zusatzpunkte 9 und 10 auf: 18 Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid Nouripour, Silke Stokar von Neuforn, Volker Beck ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Europäische Datenschutzstandards bei der Weitergabe von Fluggastdaten ({9}) an die USA sicherstellen - Drucksache 16/4445 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({10}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({11}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Konsequenzen ziehen aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 30. Mai 2006 zur Weitergabe europäischer Fluggastdaten an die Vereinigten Staaten von Amerika - Drucksachen 16/1876, 16/2962 Berichterstattung: Abgeordnete Beatrix Philipp Wolfgang Gunkel Ernst Burgbacher Ulla Jelpke ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Stärkung des Daten- und Rechtsschutzes bei der Weitergabe von Fluggastdaten an die USA - Drucksache 16/4577 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({12}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Die Redner Wolfgang Gunkel, Ernst Burgbacher, Jan Korte, Omid Nouripour und Peter Altmaier haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/4577 - das ist Zusatzpunkt 10 - an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- gen. 1) Anlage 5 Die Vorlage auf Drucksache 16/4445 - das ist Tagesordnungspunkt 18 - soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen worden. Zusatzpunkt 9. Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 16/2962 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Konsequenzen ziehen aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 30. Mai 2006 zur Weitergabe europäischer Fluggastdaten an die Vereinigten Staaten von Amerika“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/1876 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen worden. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({13}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Hüseyin- Kenan Aydin, Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Keine Hermes-Bürgschaft für das Ilisu- Staudammprojekt - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Ute Koczy, Thilo Hoppe, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN Keine Hermes-Bürgschaft für den Ilisu- Staudamm in der Türkei - Drucksachen 16/2995, 16/2626, 16/3583 - Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz Die Kolleginnen Gabriele Groneberg, Gudrun Kopp und Ute Koczy sowie die Kollegen Bernward Müller, Rolf Hempelmann und Hüseyin-Kenan Aydin haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksa- che 16/3583. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 der Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2995 mit dem Titel „Keine Hermes-Bürgschaft für das Ilisu-Stau- dammprojekt“. Wer stimmt für die Beschlussempfeh- lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/ CSU, SPD und FDP bei Gegenstimmen von der Frak- tion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen worden. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2626 mit dem Titel „Keine Hermes- 2) Anlage 6 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Bürgschaft für den Ilisu-Staudamm in der Türkei“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP bei Gegenstimmen von der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen worden. Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für morgen, Freitag, den 9. März 2007, 9 Uhr, ein. Ich wünsche den Kolleginnen und Kollegen einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.