Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Aktionsplan zur Umsetzung
der HIV/Aids-Bekämpfungsstrategie der Bundesregierung.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Frau Heidemarie WieczorekZeul. - Bitte.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! 40 Millionen Menschen sind mit HIV infiziert. 3 Millionen Menschen sind
im Jahre 2006 an dieser Pandemie gestorben. Ich denke,
es ist richtig, den Kampf gegen Aids als die „Entscheidungsschlacht der Humanität“ zu bezeichnen, wie es
Henning Mankell getan hat.
Die HIV/Aids-Pandemie gefährdet die wirtschaftlichen Erfolge in den Entwicklungsländern. Sie gefährdet
die politische Stabilität. Sie verschärft die Armut und
zerstört Entwicklungschancen. Besonders betroffen ist
Afrika; in zunehmendem Maße sind aber auch Asien und
Osteuropa betroffen. Auch in Deutschland ist es in den
letzten Jahren erneut zu einem Anstieg der Zahl der Neuinfektionen gekommen. Viele Menschen betrachten Aids
fälschlicherweise nicht mehr als eine bedrohliche Krankheit. Aber Aids ist nach wie vor unheilbar. Es bleibt daher richtig, dass Deutschland den Schwerpunkt der HIV/
Aids-Bekämpfung bei der Aufklärung, der Prävention
der Infektion, setzt.
Wir stehen HIV/Aids nicht wehrlos gegenüber. Mit
umfassenden Strategien, die die Bundesregierung in dem
Aktionsplan, den sie vorgelegt hat, formuliert hat, können wir Erfolge erzielen. Mit diesem Aktionsplan unterstützen wir die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, die Ausbreitung von HIV/Aids bis zum
Jahre 2015 zu stoppen, wie es in den Millenniums-Entwicklungszielen der Vereinten Nationen vereinbart ist.
Dieser Aktionsplan wurde gemeinsam vom Bundesministerium für Gesundheit, vom Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und
vom Bundesforschungsministerium erarbeitet.
Wichtige Anregungen von Nichtregierungsorganisationen und Selbsthilfegruppen sind in den Aktionsplan
eingeflossen; dafür gilt mein besonderer Dank.
Die Kernelemente des Aktionsplans sind: Wir erhöhen die Mittel zur Bekämpfung von HIV/Aids sowie von
Malaria und Tuberkulose in den Entwicklungsländern
im Haushalt 2007 auf 400 Millionen Euro. Um gesunde
Menschen zu schützen, bleibt Prävention das Kernelement der HIV/Aids-Bekämpfung. Um erkrankte Menschen zu unterstützen, helfen wir den Entwicklungsländern beim Ausbau ihrer Gesundheitssysteme und bei der
Bereitstellung preisgünstiger Medikamente.
Bei all unseren Aktivitäten werden wir uns insbesondere für den Schutz von Frauen und Mädchen einsetzen.
Denn weltweit steigt die Infektionsrate von Frauen. Häufig liegt das an ihrer Abhängigkeit von Männern, die es
nicht möglich macht, dass sie sich vor HIV schützen.
Frauen tragen darüber hinaus die Hauptlast der Pflege.
Sie werden besonders stigmatisiert und sind von Verarmung betroffen.
Vor diesem Hintergrund ist ein wichtiger strategischer
Bestandteil der im Aktionsplan definierten Maßnahmen
zur HIV/Aids-Bekämpfung, Frauen in den Entwicklungsländern Zugang zu Bildung und zu wirtschaftlicher
Selbstständigkeit zu verschaffen. Auch im Rahmen der
deutschen EU-Ratspräsidentschaft und unseres G-8-Vorsitzes wollen wir die Bekämpfung von HIV/Aids mit
Nachdruck unterstützen.
Unter anderem wollen wir die Wiederauffüllung des
Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose
und Malaria finanziell unterstützen. Dieser Fonds leistet
seit seiner Einrichtung vor wenigen Jahren hervorragende Arbeit. Durch seine Arbeit wurde bisher 1,5 Millionen Menschen das Leben gerettet, und monatlich
kommen Hunderttausend Menschen hinzu.
Redetext
Der Aktionsplan zeigt: Wir können etwas gegen Aids
tun, wir können konkret Menschenleben retten und Lebenschancen eröffnen. Deshalb haben wir HIV/Aids zu
einem zentralen Thema der deutschen G-8-Präsidentschaft gemacht. Mit dem heute verabschiedeten Aktionsplan bekräftigen wir dieses Engagement, wir setzen ein
Zeichen gegen Aids und für mehr globale Humanität.
Danke, Frau Ministerin. - Ich bitte zunächst Fragen
zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. - Das Wort zur ersten Frage hat die Kollegin Dr. Lötzsch.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, Sie
haben dargestellt, dass die Bekämpfung von HIV/Aids
eine der zentralen Fragen der Entwicklungspolitik der
Bundesregierung ist und dass Sie diese auch im Rahmen
der deutschen Präsidentschaft in der G 8 zu einer zentralen Frage machen wollen.
Viele Kollegen in diesem Haus haben sich mit diesem
Thema beschäftigt; eine Gruppe aus dem Haushaltsausschuss war im vergangenen Jahr in Südafrika und Malawi, um sich vor Ort mit der Situation der Betroffenen
auseinanderzusetzen. So unterschiedlich die Bewertung
der Politiken in den einzelnen Ländern ausfallen kann,
muss man doch feststellen, dass insbesondere der Transfer von Wissen aus den hochentwickelten Ländern in die
Entwicklungsländer eine entscheidende Rolle spielt.
Was wollen Sie konkret unternehmen, um die Medikamente in den Entwicklungsländern bezahlbarer zu machen bzw. Maßnahmen zu unterstützen, um diesen Wissenstransfer zu gewährleisten?
Zunächst einmal ist die Initiative des Globalen Fonds
ein ganz wichtiges Instrument, um den Wissenstransfer
und den Informationsfluss zu gewährleisten. Wir leisten
aber auch in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit einen wichtigen Beitrag in diesem Bereich. Es gibt
eine Reihe von sogenannten Public-Private Partnerships,
in denen wir unter anderem zusammen mit einer deutschen Firma, die im Osten des Kongo tätig ist, die Förderung der Herstellung und auch des Exports von Generika, die dann in afrikanischen Ländern zur Verfügung
stehen können, unterstützen. Unterstützt wird das Ganze
durch die Nichtregierungsorganisation action medeor.
Zusammen mit einer UN-Organisation beraten wir
eine Reihe von afrikanischen Ländern bei der Zertifizierung der Produkte und bei der Ausbildung derjenigen,
die in den entsprechenden Firmen arbeiten. Trotzdem
müssen wir noch sehr viel mehr tun, damit das erreicht
wird, was sich die G 8 auf den Gipfeln von Gleneagles
und Sankt Petersburg vorgenommen haben und was wir
im Rahmen der G 8 wieder als Verpflichtung feststellen
werden: einen universellen Zugang zu Prävention, Behandlung und Pflege herzustellen.
Das Wort für eine weitere Frage hat der Kollege
Koppelin für die FDP-Fraktion.
Frau Ministerin, Sie wollten uns heute über den Aktionsplan informieren. Ich hatte den Eindruck, dass wenig Neues dabei war. Was wir gehört haben, war eigentlich schon alles bekannt.
Aktionspläne sind oft mit Geld verbunden. Deswegen
darf ich fragen: Welchen Finanzierungsrahmen stellen
Sie sich für diesen Aktionsplan für die nächsten fünf
Jahre vor? Können Sie die Beträge nennen? Bei dieser
Gelegenheit möchte ich darüber hinaus fragen: Wie bewerten Sie es, dass sich die Haushälter bei der letzten
Beratung Ihres Etats, des Einzelplans 23, genötigt sahen,
diese Mittel erheblich aufzustocken, weil so wenig Geld
vorgesehen war?
({0})
Diese Idee hätte doch eigentlich von Ihrem Hause kommen müssen.
Mein Respekt vor dem Haushaltsausschuss verbietet
es mir, zu sagen, welchen Rahmen wir uns für die weitere
Finanzierung vorgestellt haben - Sie würden im Haushaltsausschuss sofort intervenieren. Ich kann Ihnen nur
sagen, dass der Globale Fonds zur Bekämpfung von
HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria im September dieses Jahres seine Wiederauffüllungskonferenz in Deutschland haben wird. Dabei wird es um die Mittel für die
nächste Zeitperiode, von 2008 bis 2011, gehen. Ganz sicher werden wir nicht unter dem bleiben, was ich Ihnen
jetzt für den Haushalt 2007 genannt habe. Ich persönlich
bin der Auffassung, dass wir hier noch weiter aufstocken
müssen. Darüber werden wir dann entsprechend beraten.
Ansonsten muss ich sagen: Ich glaube, bei dem wichtigen Thema der Bekämpfung von HIV/Aids verbietet es
sich, dass wir hier kleinliche Rechenkünste über die Frage
anstellen, wer welche Mittel vorgesehen hat. Sie können
jedenfalls sicher sein - das kann ich Ihnen sagen -: In der
Zeit, in der ich Ministerin bin, sind die Mittel für die Bekämpfung von HIV/Aids insgesamt von 19 Millionen Euro - diesen Betrag habe ich vorgefunden - auf
heute rund 400 Millionen Euro gestiegen. Ich denke, das
macht deutlich, dass wir diese Pandemie sehr, sehr ernst
nehmen und mit all unseren Möglichkeiten dagegen vorgehen wollen.
Da nach meinem Überblick alle, die sich zu diesem
Themenbereich gemeldet haben, in jedem Fall drankommen, lasse ich Ihre Nachfrage gleich zu, sodass wir die
Runde nicht noch einmal von vorne beginnen müssen. Bitte, Herr Kollege Koppelin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, verstehe ich Sie dann richtig, dass heute im Kabinett bei der
Beratung über den Aktionsplan überhaupt nicht über
Geld und einen Finanzierungsplan für diesen Aktionsplan gesprochen wurde, sondern dass Sie nur einen Aktionsplan ohne Finanzierungsgrundlage vorgelegt haben?
({0})
Das ist falsch. Erstens habe ich gesagt, was wir in diesem Haushalt dafür veranschlagen und welche Steigerung ich mir vorstellen kann, und zweitens werde ich der
Kanzlerin nicht vorgreifen; denn da die Aidsbekämpfung beim G-8-Gipfel ein zentrales Thema sein wird,
werden wir die Fragen der weiteren finanziellen Zusagen
dort behandeln. Deshalb bitte ich um Verständnis, dass
ich hier jetzt keinen zusätzlichen Finanzplan vorlegen
kann. Sie können aber ganz sicher sein, dass Sie applaudieren werden, wenn die Entscheidungen in Heiligendamm getroffen sein werden.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Pfeiffer aus der
Unionsfraktion.
Frau Ministerin, zunächst möchte ich mich als Entwicklungspolitikerin bedanken. Ich glaube, es ist eine
gute Sache, dieses Thema sowohl innerhalb Deutschlands als auch global zu sehen und sie miteinander zu
verknüpfen sowie als Gesamtaufgabe zu betrachten.
Darüber hinaus bin ich begeistert darüber, dass Sie
zwei Dinge deutlich angesprochen haben, die mir sehr
am Herzen liegen. Zum einen meine ich das Thema Prävention. Ich glaube, als erste Priorität ist zu nennen, dass
Prävention besser als Heilen ist. Ich glaube, insofern ist
es richtig, dies als Erstes zu nennen.
Ich habe mich zum anderen aber auch besonders darüber gefreut, dass Sie das Thema der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und vor allen Dingen auch der
entsprechenden Rechte ebenfalls so explizit nennen und
sagen, dass wir auch diese verwirklichen müssen. Es
geht dabei um die Frauen, und wir wissen, wie wichtig
im Zusammenhang mit Entwicklungszusammenarbeit
die Frauen sind.
Dahin gehend meine Frage. Sie wollen die sexuelle
und reproduktive Gesundheit mit Maßnahmen für die
HIV-Prävention und mit Maßnahmen gegen HIV/Aids
verknüpfen. Welche konkreten Maßnahmen sind hier geplant?
Erstens darf ich sagen - das konnte ich in der Einleitung nicht darstellen -: Die Bundesregierung engagiert
sich bereits heute in rund 50 Ländern für die Bekämpfung von HIV/Aids. 15 Länder davon haben sich die
Verwirklichung der Gesundheit in diesem Bereich als einen besonderen Schwerpunkt vorgenommen.
Bezüglich der sexuellen und reproduktiven Rechte
geht es vor allen Dingen darum, dass das, was sich zum
Beispiel auch die afrikanischen Länder in ihren Beschlüssen selbst vorgenommen haben - die Afrikanische
Union hat zwei entsprechende Beschlüsse gefasst -, in
den jeweiligen Ländern jetzt ratifiziert wird. Darauf werden wir drängen. Das wird einer der Punkte sein, über
die wir mit der afrikanischen Seite im Mai auf einem
African Partnership Forum hier in Deutschland diskutieren werden.
Zweitens - ich spitze es einmal etwas zu; ich glaube,
Sie werden das teilen -: Der Zugang zu Bildung, zu wirtschaftlichen Ressourcen, zu Mikrofinanz-Möglichkeiten und -Institutionen sowie die Nutzung des Kondoms
sind die wichtigsten Instrumente und Elemente der Prävention. In diese Richtung der wirtschaftlichen und
rechtlichen Stärkung von Frauen geht auch das, was wir
uns vorgenommen haben.
Gleiches Recht für alle: Sie können eine Nachfrage
stellen.
Ich möchte sie später stellen.
Gut, dann machen wir es so. - Der Kollege Volker
Beck stellt die nächste Frage.
Frau Ministerin, Sie haben gerade die reproduktiven
Rechte und die sexuelle Selbstbestimmung als wichtige
Voraussetzung dafür angesprochen, eine wirksame HIVPräventionsstrategie auf den Weg zu bringen. Vor dem
Hintergrund, dass ich in Montreal auf der Menschenrechtskonferenz vor den Outgames mit verschiedenen
afrikanischen Homosexuellenorganisationen gesprochen
habe, möchte ich Sie auf eine Problematik aufmerksam
machen, die meines Erachtens in der Entwicklungspolitik bislang nicht hinreichend berücksichtigt worden ist.
In mehr als der Hälfte der afrikanischen Staaten ist
Homosexualität strafbar. Das Strafmaß reicht von
14 Jahren über lebenslänglich bis hin zur Todesstrafe in
den Ländern, in denen die Scharia gilt. Faktisch wird dadurch jede HIV-Aufklärung unter der Gruppe der Homosexuellen verhindert. Sie haben auch keinen Zugang zu
medizinischer Versorgung, weil sie in vielen dieser Länder ihre Sexualpartner angeben müssen, wenn sie HIVTests machen lassen oder positiv getestet worden sind.
Welchen Stellenwert haben die Aufklärung, die Bereitstellung von Präventionsmitteln auch für Menschen,
die homosexuellen Geschlechtsverkehr haben, und der
Zugang auch dieser gesellschaftlichen Gruppe zur medizinischen Versorgung? Welche Strategien verfolgen Sie
Volker Beck ({0})
dahin gehend, und welche Projekte, die Ihr Haus finanziert, integrieren dieses Thema, bzw. wie wollen Sie es
künftig integrieren?
Zunächst einmal wird es - das haben Sie anhand der
gesetzlichen Regelungen deutlich gemacht - vor allen
Dingen darum gehen, mit dazu beizutragen, eine Änderung in der Bewertung auch in den Partnerländern zu erreichen. Wir können diesen Punkt in Gesprächen und
Verhandlungen ansprechen - das ist auch der Fall -, aber
wir nutzen vor allem die Instrumente, die der Globale
Fonds vor Ort zur Verfügung stellen kann. Allerdings
haben Sie sicherlich recht, dass die Bemühungen in diesem Punkt verstärkt werden müssen.
Was die Grundentscheidung über die Vergabe der
Mittel vor Ort angeht, gibt es in den jeweiligen Entwicklungsländern mittlerweile lokale Koordinierungsmechanismen - die sogenannten CCMs -, in denen über diese
Fragen entschieden wird. So wichtig es ist, zu bewerten
- wie ich vorhin ausgeführt habe -, ob zum Beispiel Programme zugunsten von Frauen zur Verfügung gestellt
werden oder ob eine entsprechende Diskussion geführt
wird, so notwendig ist es auch, die von Ihnen angesprochene Frage mit aufzugreifen, die sicherlich bisher in
den Partnerländern nicht ausreichend berücksichtigt
worden ist.
Ich hoffe, dass wir, vielleicht im Nachgang zu dieser
Befragung, in diesem Punkt noch etwas konkreter werden können.
Ich habe noch eine zweite Frage, und zwar ob sich die
heute von der Bundesregierung beschlossene Strategie
ausschließlich auf die Entwicklungspolitik bezieht oder
ob sie auch innenpolitische Aspekte der Gesundheitspolitik umfasst. Wenn ja, dann wüsste ich gerne, um welche Aspekte es sich dabei handelt.
Wir waren in der Arbeitsteilung übereingekommen,
dass die Kollegin Caspers-Merk für das Gesundheitsministerium die innenpolitischen Fragen beantwortet.
Wenn ich darf, dann würde ich aber einen Punkt hervorheben, der eine Verbindung beider Politikfelder darstellt.
Wir setzen uns engagiert dafür ein, Regelungen zu finden, die die Abwerbung von medizinischem Personal
vor allem aus afrikanischen Ländern in europäische Länder verhindern; denn gerade in diesem Bereich wird jeder für die Betreuung und Behandlung von Menschen
vor Ort gebraucht.
Die Bundesregierung hat entschieden, dass der andere
Aspekt Ihrer Frage durch die Kollegin Caspers-Merk beantwortet wird. - Bitte.
Herr Kollege Beck, es handelt sich um einen gemeinschaftlichen Aktionsplan, der sowohl nationale als auch
internationale Aspekte beleuchtet. Bei den nationalen
Aspekten sind uns drei Punkte besonders wichtig.
Erstens. Wir müssen auch in Deutschland eine Trendumkehr schaffen. Wie Sie wissen, ist in den letzten Jahren die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland wieder
gestiegen. Wir haben deshalb entschieden, bei unseren
künftigen Präventionsanstrengungen verstärkt neue Informationswege zu gehen. Wir planen zum Beispiel, das
Internet verstärkt für die Informationsvermittlung zu
nutzen. Wir wollen, dass die Haushaltsmittel für Prävention, die 2007 um 3 Millionen Euro erhöht wurden, verstetigt und 2009 weiter erhöht werden, sodass wir die
nationalen Maßnahmen fortschreiben können. Wir wollen zudem, dass die jährlich zur Verfügung stehenden
3,4 Millionen Euro, die die private Krankenversicherung
für mehrere Jahre beizutragen sich „committet“ hat, spezifisch für die breite Bevölkerungsansprache, die Kooperation mit den Aidshilfen und die Bekämpfung der
anderen sexuell übertragbaren Krankheiten genutzt werden; denn auch auf diesem Feld haben wir einen Anstieg
der Neuinfektionszahlen zu verzeichnen.
Herr Beck, ich nehme Ihren Namen gerne noch einmal auf die Frageliste auf. Aber wir bleiben jetzt bei der
verabredeten Praxis.
Das Wort hat der Kollege Parr für die FDP-Fraktion.
Frau Ministerin, Sie haben zu Recht die dramatische
Zunahme der Infektionszahlen in Osteuropa angesprochen. Osteuropa ist nah. Wir stellen fest, dass sich die
Drogensucht dort ausweitet, dass die HIV-Infizierten dort
stigmatisiert werden und dass die Frauen in der Russischen Föderation - hier gab es von 2001 bis 2005 einen
Anstieg von 25 Prozent vermutlich durch die Zunahme
der Prostitution - mittlerweile besonders betroffen sind.
Berlins Nähe zu Osteuropa spielt hier für uns Deutsche
eine gewisse Rolle.
Welche konkreten Maßnahmen werden ergriffen, um
diese Probleme einigermaßen in den Griff zu bekommen? Welche Aufklärungskampagnen werden von Ihnen
zur Enttabuisierung von Drogensucht und zur Bekämpfung der Stigmatisierung von HIV-Infizierten in Osteuropa auf den Weg gebracht?
Wir haben uns vor allen Dingen vorgenommen, uns
mit diesem Thema nicht nur auf dem G-8-Gipfel, sondern auch auf einer großen Konferenz der Bundesregierung in der nächsten Woche zu befassen. Dort werden
sehr viele Vertreter der osteuropäischen Staaten präsent
sein. Es geht darum, dass viele der vorhandenen Sperren
überwunden werden und dass Themen als bedeutsam anerkannt werden, die sonst in manchen dieser GesellBundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
schaften verschwiegen werden, wie zum Beispiel die
Tatsache, dass es Sex zwischen Männern gibt, sowie die
Drogenabhängigkeit und der Umgang mit ihr. Ich denke,
das wird ein Schwerpunkt dieser Konferenz sein. Wichtig ist vor allen Dingen, die zivilgesellschaftlichen Organisationen so zu stärken, dass sie in der Lage sind, diese
Themen in der Gesellschaft deutlicher anzusprechen.
Das ist auch Teil des Aktionsplanes.
Es gibt zudem einen gewissen Veränderungsprozess.
Früher wurden diese Probleme in Russland generell geleugnet. Der Globale Fonds sagt uns nun, dass Russland
mittlerweile Anträge an ihn stellt, um Mittel für entsprechende Programme zu erhalten. Damit macht es öffentlich deutlich, dass solche Probleme auch in Russland bestehen, dass diese nicht länger zu leugnen sind.
Das sind die verschiedenen Ansätze, um die es geht.
Ich bin sicher, dass auf der Konferenz in der nächsten
Woche einmal mehr die Aufmerksamkeit auf diese Themen gelenkt wird. Sie haben völlig Recht: Da die Region
räumlich nah ist, müssen wir ein besonderes Interesse
daran haben, dass die dortigen Probleme gelöst werden.
Aus diesem Grund haben wir es kombiniert: Ich bin für
den entwicklungspolitischen Teil zuständig, während
meine Kollegin Ulla Schmidt insbesondere für den Bereich zuständig ist, der Osteuropa umfasst.
Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Terpe.
Frau Ministerin, es ist klar, dass Sie mit dem Aktionsplan zur Umsetzung der HIV/Aids-Bekämpfungsstrategie in einer Kontinuität stehen. Meine Kollegin Pfeiffer
hat bereits darauf hingewiesen, dass dieses gesamte
Thema im Zusammenhang mit der sexuellen und reproduktiven Gesundheit der Frauen zu sehen ist. Es ist nicht
nur so, dass man Präventions- oder Behandlungsprogramme speziell für HIV/Aids auflegen muss; vielmehr
ist dieses Thema in einen Gesamtkomplex eingebettet,
der Bildungsfragen, Sozialfragen und Aufklärungsfragen umfasst. Haben Sie vor diesem Hintergrund vorgesehen, den Gesamtetat der Entwicklungshilfe schneller
aufzustocken, als das bisher von der Bundesregierung
geplant war? Wenn man sich im Ausland aufhält, hört
man immer wieder Klagen und die Erwartung, dass
Deutschland einen größeren Beitrag auf diesem Gesamtsektor leistet, weil mit diesen Geldern vor allen Dingen
auch die Aufklärungs- und Bildungsprogramme finanziert werden.
Ich kann Ihnen sagen, was wir uns mit Blick auf die
Steigerung der Mittel vorgenommen haben. Ganz sicher
wird der Bildungsbereich dazugehören. Sie wissen, dass
sich die Bundesregierung den Plan der Europäischen
Union zu Eigen gemacht hat, bis zum Jahr 2010 0,51 Prozent des Bruttosozialprodukts für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen. In dem Rahmen
werden wir diesen Anteil aufstocken. Wenn wir die
Aidsbekämpfung „nur“ auf den Gesundheitsbereich begrenzen würden - das haben Sie völlig zu Recht gesagt -, dann würde das zu kurz greifen. Sie muss in alle
Bereiche integriert werden - das tun wir auch -, angefangen von der Bildung über die Ausbildung bis hin zur
Wirtschaft. In der Entwicklungszusammenarbeit beraten
wir viele Unternehmen, die ihre eigenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schützen wollen. Das betrifft auch kleinere und mittlere Unternehmen. Der
Schwerpunkt umfasst also alle Bereiche, besonders aber
die Bildung. Mein Ziel ist es, diese Mittel entsprechend
aufzustocken.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Mechthild
Rawert von der SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Ministerin, Bezug nehmend sowohl
auf Sibylle Pfeiffer als auch Harald Terpe wollte auch
ich noch einmal zum Thema sexuelle und reproduktive
Gesundheit und Rechte kommen. Einige Fragen sind
hier schon gestellt worden. Ich frage Sie: Welche Rolle
spielen die jeweils lokale Bevölkerung und die lokal Beschäftigten? Welche Rolle spielen NGOs bei der Bekämpfung von HIV/Aids bzw. bei der Stabilisierung von
sexueller Gesundheit und der Gewährleistung von reproduktiven Rechten?
Eine Frage noch an die Frau Staatsekretärin. Ich war
vor kurzem in einer Kita, die auch HIV/Aids-infizierte
Kinder betreute. Ich war etwas erschrocken ob der Verantwortlichkeiten im Gesundheitsbereich, aber auch wegen der anzutreffenden Vorurteile - Stichwort: Ansteckungsgefahr -, was auf das Bildungswesen verweist.
Wie sieht die Kooperation zwischen dem Gesundheitsund dem Bildungsbereich aus, damit auch diese Kinder
alle Chancen der Welt haben, die ihnen gebühren?
Zu den sexuellen und reproduktiven Rechten der
Frauen gehört, wie es die internationale Gemeinschaft
auf Konferenzen immer wieder deutlich gemacht hat,
auch die Entscheidung über die Zahl der Kinder und die
Abstände der Geburten. Das heißt auch, den Zugang zur
Familienplanung zu haben. Das ist in jedem Fall Teil unseres Schwerpunktes im Gesundheitsbereich. Wir wissen, dass es für Frauen dann, wenn sie abhängig sind,
sehr viel schwerer ist, sich selbst zu schützen. Es ist sehr
schwer, ein Kondom zu verlangen, wenn man sich in einem Abhängigkeitsverhältnis befindet. Deshalb unterstützen und fördern wir die Forschung über Möglichkeiten, der Frau einen eigenständigen Schutz zu geben,
Stichwort: Mikrobizide. Wir finanzieren das zum Teil.
Wir sind aber leider noch längst nicht da, wo wir sein
müssten. Es gibt immer wieder Rückschläge. Trotzdem
wird diese Forschung fortgesetzt werden müssen, damit
Frauen die Chance haben, sich selbst zu schützen, unabhängig von der Zustimmung des Partners.
Bitte, Frau Staatssekretärin.
In Deutschland gibt es insgesamt circa 400 Kinder,
die durch Transmission des Virus während der Schwangerschaft ihrer Mütter von HIV/Aids betroffen sind. Ich
finde, das ist in diesem Zusammenhang mit das
Schlimmste. Wenn man rechtzeitig Bescheid weiß, wenn
man sich von medizinisch geschultem Fachpersonal
rechtzeitig testen und begleiten lässt, dann ist das Infektionsrisiko heutzutage vermeidbar. Die Zahlen in
Deutschland sind sehr gut. Bei uns gab es im letzten Jahr
etwa 20 neue Fälle dieser Art. Trotzdem ist jeder neue
Fall ein Fall zu viel.
Dieser Bereich ist natürlich einer der problematischsten. Man muss nämlich auf der einen Seite dafür Sorge
tragen, dass das Erziehungspersonal Bescheid weiß, wie
es sich in medizinisch kritischen Situationen - zum Beispiel, wenn sich das Kind verletzt - zu verhalten hat.
Auf der anderen Seite ist es wichtig, dass die von HIV/
Aids betroffenen Kinder nicht stigmatisiert werden. Wir
haben das zum Thema gemacht. Wir haben das auch mit
medizinischem Fachpersonal besprochen. Wenn Sie weitere Anregungen, Ideen oder Informationen haben, wie
man dort noch helfen kann, dann sind wir dafür dankbar.
Für uns ist wichtig, dass wir das Thema „Testung in
der Schwangerschaft“ propagieren und dass wir die Aufgabe der organisierten Begleitung, vor allen Dingen von
Risikopatientinnen, übernehmen, sodass eine Transmission während der Schwangerschaft ausgeschlossen werden kann.
Im europaweiten Vergleich ist die Übertragungsrate
sehr gering. Trotzdem müssen uns 20 neue Fälle pro Jahr
einfach unruhig machen; schließlich bedeutet jede Neuinfektion einen Anstieg der Anzahl der Betroffenen.
Danke schön. - Es möchten noch drei Abgeordnete
Nachfragen zu diesem Komplex stellen.
Die Kollegin Dr. Lötzsch hat das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, Sie haben schon darauf reagiert, dass HIV/Aids auch
in Deutschland ein Thema ist und dass es bei uns zum
ersten Mal wieder einen Anstieg der Neuinfektionen
gibt. Sie haben auch dargestellt, dass Sie den Anstieg der
Neuinfektionen durch mehr Informationen bekämpfen
wollen. Um die Neuinfektionen bekämpfen zu können,
muss man aber deren Ursache kennen. Sehen Sie die Ursache vor allen Dingen in einer gewissen Sorglosigkeit
in den entwickelten Ländern, weil die Menschen dort
denken, dass es so viele gute Medikamente gibt, dass das
eigentlich kein Problem mehr ist? Oder sehen Sie die Ursache vor allen Dingen im Unwissen der Jugendlichen
und in der mangelnden Behandlung dieses Themas in
der Schule?
Frau Kollegin Lötzsch, es gibt keinen einfachen Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Ich glaube vielmehr, dass es mehrere Gründe gibt.
Zum einen hat die heutige Generation nicht die Erfahrung gemacht, dass HIV/Aids eine tödlich verlaufende
Krankheit ist. Das heißt, das Risikoverhalten ändert sich.
Gerade Jugendliche werden im Umgang zum Teil sorgloser. Die BZgA führt etwa alle drei Jahre eine Umfrage
über das Schutzverhalten der Jugendlichen, insbesondere der jüngeren homosexuellen Männer, durch. Die
Antworten lassen zum Beispiel darauf schließen, dass
der Gebrauch von Kondomen rückläufig ist. Das ist ein
sicherer Indikator dafür, dass man den Eindruck hat,
diese Krankheit betreffe Afrika und habe mit uns hier
nichts zu tun. Zum anderen gibt es eine gewisse Sorglosigkeit - das hat auch mit den vielen Medienberichten zu
tun -, weil man glaubt, dass es bessere Medikamente
gibt. Deswegen muss man immer wieder sagen: Auch in
Deutschland sind seit Ausbruch dieser Krankheit fast
30 000 Menschen an ihr gestorben. Es ist eine Krankheit, die besser behandelbar ist, die chronifiziert wurde,
aber die trotzdem immer noch mit einem Risiko und mit
Todesfällen einhergeht. Deswegen ist Schutz die beste
Antwort. Deswegen versuchen wir auch, die Kampagne
der BZgA „mach’s mit“ neu aufzustellen: neue Motive,
neue Botschaften, neue Kooperationspartner.
Wir glauben auch, dass man ungewöhnliche Wege gehen muss. Wir haben deshalb zum Beispiel mit einer
Nichtregierungsorganisation, mit „Plan International“,
an deutschen Schulen ein Buch von Henning Mankell in
Theaterstücke umgesetzt. Das ist auch prämiert worden.
Dabei war für mich eigentlich das Eindrücklichste, dass
Jugendliche sagten: Bei uns in der Schule ist das bislang
kein Thema gewesen; ich habe auch nicht gedacht, dass
es ein Thema für uns hier in Deutschland ist.
Das heißt: Wir müssen die Aufklärungsarbeit neu justieren und uns da neu aufstellen.
Deswegen ist es auch richtig, die Mittel für die Prävention anzuheben und zu verstetigen, aber die Zielgruppen ein Stück weit zu verändern und insbesondere bei
Jugendlichen im Moment mehr zu machen, weil für
diese Gruppe eine neue Welle der Aufklärung notwendig
ist.
Das Thema HIV/Aids wird uns politisch die nächsten
Jahre leider begleiten.
Die Kollegin Pfeiffer aus der Unionsfraktion hat noch
eine Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, Sie
haben vorhin auf die Wichtigkeit der Nutzung von Kondomen hingewiesen. Sie haben in einer zweiten Runde
gesagt - für meine Begriffe zu Recht -, es werde aber
auch zunehmend wichtig, dass über Verhütung die
Frauen selbst bestimmen. Ich nenne hier das Femidom
und die Mikrobizide. Ich habe mit Freude gehört, dass
Sie trotz der Rückschläge bei der Mikrobizidforschung
das sehr wohl noch unterstützen wollen. Ich glaube, wir
sind da auf dem richtigen Weg. Wir brauchen vielleicht
nur ein bisschen mehr Zeit; wir hatten gehofft, dass das
wesentlich eher zu Erfolgen führt.
In Ihrem Aktionsplan, den ich vorhin sehr ordentlich
gelobt habe, vermisse ich aber etwas. Wir stellen fest,
dass das Gesundheitssystem in den Entwicklungsländern, das ohnehin schon belastet ist, durch HIV/Aids zusätzlich belastet wird. Wir stellen zudem fest, dass es in
diesen Ländern verstärkt zur Abwanderung von Fachkräften kommt. Wir wissen zum Beispiel, dass in Manchester mehr malawische Ärzte leben als in ganz Malawi
selbst. Ist seitens Ihres Ministeriums - neben dem Aktionsplan, der dazu nichts explizit ausweist - da irgendetwas in Planung? Wie will man dieser Entwicklung entgegenwirken oder zumindest die Probleme etwas
reduzieren?
Es geht uns darum - das versuchen wir unter unserer
Ratspräsidentschaft auch zu verwirklichen -, einen Verhaltenskodex der europäischen Länder zu erreichen, der
die gezielte Abwerbung von medizinischem Personal,
von Ärzten, Krankenschwestern, Krankenpflegern, aus
afrikanischen Ländern in europäische Länder verhindert.
Ich stimme Ihnen absolut zu: Es ist wichtig, dass das
Personal in afrikanischen Ländern zur Verfügung steht
und nicht in Großbritannien oder in anderen europäischen Ländern. Zu Hause wird es gebraucht. Deshalb
sollten wir auch alles tun, um die Arbeitsbedingungen
dort zu unterstützen, was wir auch tun, und zwar beim
Aufbau von Gesundheitsstrukturen mit dem Ziel, dass
ausreichend ausgebildete Krankenschwestern und Krankenpflegerinnen sowie sonstige Personen, die in den Gesundheitsstationen tätig sind, zur Verfügung stehen.
Ich bestätige, dass Sie den Bericht
({0})
ausführlich gewürdigt haben und in Zusammenarbeit mit
der Bundesregierung sogar noch weitere Inhalte ins Protokoll des Bundestages gebracht haben.
({1})
Trotzdem hat der Kollege Beck noch eine Nachfrage.
Das ist dann auch die letzte, die zum Thema der Kabinettssitzung zugelassen wird.
Ich habe noch eine Nachfrage an Sie, Frau CaspersMerk, zu den nationalen gesundheitspolitischen Maßnahmen. Sie haben das Internet angesprochen. Dazu
möchte ich wissen, ob Sie in dem Zusammenhang an
statische Informationsmöglichkeiten oder auch an personalkommunikative Möglichkeiten denken. Der Erfolg
der Aidshilfen in den 80er-Jahren war darin begründet,
dass sie dort waren, wo die Menschen sexuelle Kontakte
aufgenommen haben. Das findet heute in vielen Bereichen im Internet - in Chatportalen usw. - statt. Gegenwärtig gibt es keine Möglichkeiten, da hineinzugehen.
Da muss man aber personalkommunikativ hineingehen,
wenn man die Menschen, die sich dort aufhalten, erreichen will.
Zweite Nachfrage. Es gibt in einem Koalitionsantrag
den Auftrag an die Bundesregierung, im Rahmen der
Aidsbekämpfung strafrechtliche Normen zu prüfen, wovon ich überhaupt nichts halte. Deshalb würde mich interessieren, ob das ein Element des Aktionsplans der
Bundesregierung ist.
Herr Kollege Beck, zu Ihrer ersten Frage: Sie haben
völlig recht: Es nützt nichts, dieselben Informationen,
die in den Faltblättern enthalten sind, ins Internet zu stellen und im Prinzip nichts weiter zu tun. - Wir denken natürlich an interaktive Möglichkeiten; das heißt, dass man
sich beraten lassen und Fragen stellen kann. Zugleich
soll mit dem Internetangebot versucht werden, szenenäher zu arbeiten. Die Nutzung des Internets für Verabredungen ist ja, wie Sie schon sagten, ein Thema, das uns
strukturell Schwierigkeiten macht. Deshalb wollen auch
wir das Internet stärker in unsere Arbeit als eine kommunikative und interaktive Plattform einbeziehen, die auch
die Möglichkeit zur Beratung bietet. Dieses Angebot befindet sich im Aufbau.
In Ihrer zweiten Frage haben Sie den Prüfauftrag angesprochen. Wir setzen den Prüfauftrag im Moment so
um, dass wir ein Forschungsprojekt laufen haben, zu
eruieren, welche Erfahrungen wir und andere europäische Länder mit Auflagen gemacht haben, um auf Basis
dieser Erkenntnisse einen Maßstab für Erfolge bzw.
Misserfolge an die Hand zu bekommen. Wenn die Ergebnisse vorliegen, werden wir über weitere Maßnahmen sprechen. Ich halte nichts davon, Maßnahmen anzukündigen, bevor man weiß, ob sie überhaupt nutzen.
Zugleich werden wir aber jede Maßnahme umsetzen, die
erwiesenermaßen etwas nutzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir sind zwei kurze
Fragen außerhalb des Themas der Kabinettssitzung angezeigt. Ich lasse diese noch zu, mache aber darauf aufmerksam, dass nach unserer Geschäftsordnung die hierfür benötigte Zeit auf die Zeit für die Fragestunde
angerechnet wird.
Die Kollegin Dr. Enkelmann hat das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Es geht um die
Gesundheitsreform. Die mitzeichnenden Ministerien
haben seit Beschlussfassung mehr als vier Wochen für
die Unterzeichnung gebraucht, ehe das Gesetz an den
Bundespräsidenten weitergeleitet werden konnte. Ich
gehe davon aus, dass sich das Kabinett mit dieser Angelegenheit beschäftigt hat. Welche Gründe sieht die Bundesregierung dafür, dass eine so späte Zuleitung an den
Bundespräsidenten erfolgt ist?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Enkelmann, das war nicht Gegenstand
der Kabinettssitzung.
({0})
Das war die eine Antwort. Die andere lautet: Die Unterzeichnung durch die mitzeichnenden Ministerien ist erfolgt.
({1})
Der Kollege Koppelin hat die letzte Frage zu diesem
Tagesordnungspunkt.
Ich habe eine Frage an den Vertreter des Bundeskanzleramtes. Wir erleben ja seit Bestehen dieser Koalition
fast täglich Meinungsverschiedenheiten bzw. Streitigkeiten zwischen den Ministern und Ministerien. Das steigert sich dann ja in den Medien jeweils zum Wochenende. So war auch am letzten Wochenende wieder von
heftigsten Auseinandersetzungen zwischen Minister
Glos auf der einen Seite und Minister Gabriel auf der
anderen Seite die Rede. Wurden diese Meinungsverschiedenheiten im Kabinett behandelt, oder gibt es die
Anweisung, diese Streitigkeiten in den Medien fortzusetzen?
({0})
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter Koppelin, es
gibt keine derartige Anweisung. Ihre Frage war wohl
auch nicht so zu verstehen, dass Sie ernsthaft an eine solche Anweisung glauben.
({0})
Im Übrigen sollte es, wie ich finde, auch der liberalen
Sichtweise entsprechen, dass wichtige Fragen ausführlich diskutiert werden. Ich denke, das müsste Ihnen sogar entgegenkommen.
Danke. - Ich beende die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 16/4494, 16/4537 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache 16/4537 auf.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 1 der Kollegin Krista
Sager auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Ergebnisse des Koalitionsausschusses vom 5. März 2007, wonach der Bedarf an
Betreuungsplätzen für unter Dreijährige noch völlig unklar
sei, während die zuständige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Ursula von der Leyen, noch
unlängst eine präzise Anzahl von notwendigen Betreuungsplätzen öffentlich bekannt gegeben hat?
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Sager, bei der Entwicklung und dem Ausbau der Kindertagesbetreuung
sind in den vergangenen beiden Jahren bereits wichtige
Impulse gesetzt worden. Wir wissen alle, dass mit dem
Tagesbetreuungsausbaugesetz ein richtiger Schritt hin zu
einer kinder- und familiengerechten Betreuungssituation gemacht worden ist.
Frau Bundesministerin von der Leyen hat nunmehr
die Dynamik des Elterngeldes und aktuelle Entwicklungen aufgenommen und den daraus folgenden Bedarf formuliert. Dabei ist zunächst festzustellen, dass nach den
aktuellen Daten des Statistischen Bundesamtes, die derzeit zur Verfügung stehen, in den alten Bundesländern
lediglich für 8 Prozent der Kinder U-3-Plätze zur Verfügung stehen. Das bedeutet, dass 92 Prozent aller Eltern
in Westdeutschland für ihre Kinder unter drei Jahren
kein Betreuungsangebot haben.
Wir gehen davon aus, dass die Größenordnung für
eine bedarfsdeckende Versorgung in der Altersgruppe
der unter Dreijährigen bei rund 35 Prozent liegt. Dafür
gibt es bereits deutliche Belege. Wir stützen uns auf die
Betreuungsstudie des Deutschen Jugendinstitutes, die im
vergangenen Jahr veröffentlicht worden ist. Bei dieser
repräsentativen Befragung hat ein gutes Drittel der befragten Eltern einen Betreuungsbedarf für ihr Kind in
Kindertageseinrichtungen und/oder -tagespflege geäußert. Ich darf außerdem daran erinnern, dass die Staatsund Regierungschefs der Europäischen Union schon
2002 auf der Tagung des Europäischen Rates von Barcelona beschlossen haben, dass für mindestens 33 Prozent
der Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen sind.
Die Vergleiche mit anderen europäischen Ländern,
aber auch die tatsächliche Inanspruchnahme zum Beispiel in den neuen Bundesländern bestärken uns in der
Quote um 35 Prozent. Mit den Ländern und den Kommunen werden wir jetzt die konkreten Bedarfsfragen, die
Planungs- und Umsetzungsschritte beraten. Bei den weiParl. Staatssekretär Dr. Hermann Kues
teren notwendigen Planungen werden wir die Entwicklung des Ausbaufortschritts auf der Basis des TAG einbeziehen. Die Bundesregierung hat bereits im letzten
Sommer den ersten Bericht über den Stand des Ausbaus
vorgelegt. Ganz aktuell verfügen wir über die ersten Ergebnisse der Kinder- und Jugendhilfestatistik 2006. Danach konnten zum Stichtag 31. März 2006, also nach
dem ersten Quartal, 285 000 Plätze für unter Dreijährige
ermittelt werden.
Vor dem Hintergrund dieser amtlichen Zahlen des
Statistischen Bundesamtes und zusätzlicher eigener Erhebungen bei den Jugendämtern werden wir genau prüfen können, wie sich der Ausbau aktuell weiterentwickelt. Ich denke, wir sind auf einem guten Wege, zeitnah
die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass für Familien
und Kinder eine bedarfsdeckende Infrastruktur in der
Kindertagesbetreuung entsteht.
Sie haben die Möglichkeit zu zwei Nachfragen.
Ja, gerne. - Sie haben ausgeführt, dass wir aufgrund
des TAG-Berichts über konkrete Zahlen verfügen, und
Sie haben darauf hingewiesen, dass wir wissen, dass die
Versorgung mit Krippenplätzen für die unter Dreijährigen in Westdeutschland bei nur 8 Prozent liegt. Warum
hat die Bundesregierung sich jetzt erst einmal eine Auszeit genehmigt, um weiter nachzuzählen?
Im TAG ist vorgesehen, dass weiterhin jeweils zur
Mitte des Jahres Ergebnisse an das Parlament übermittelt
werden. Das ist jetzt für diesen Sommer, Juni/Juli, vorgesehen. Unabhängig davon aber gibt es eine aktuelle
Diskussion, die uns veranlasst, jetzt etwas Druck zu machen und mit den Ländern und den Kommunen, den
kommunalen Spitzenverbänden, zu einer Klärung zu
kommen, um zu sehen, wie sich die Situation seit dem
31. März 2006 entwickelt hat, und in diesem Zusammenhang auch über Einzelfragen der Finanzierung usw.
zu diskutieren.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Nun gibt es aus dem Regierungslager sehr unterschiedliche Vorschläge. Die Familienministerin hat gefordert, dass insgesamt 750 000 Plätze geschaffen werden. Aus den Reihen der CDU/CSU-Regierungsfraktion
wurde gefordert, es jetzt erst einmal bei der Beobachtung des Ausbaus nach dem Tagesbetreuungsausbaugesetz zu belassen. Wie beurteilt denn die Bundesregierung
diese unterschiedlichen Vorschläge und Vorstellungen?
Die Bundesregierung wird sich zu gegebener Zeit
eine Meinung bilden, wie sie mit dem Thema Betreuung
und der Schaffung der entsprechenden Infrastruktur weiter umgeht. Das, was Sie zitieren, ist eine politische Diskussion, die ganz selbstverständlich ist. Bei Innovationen, bei Neuerungen gibt es immer unterschiedliche
Einschätzungen und Bewertungen; das ist ganz normal.
Wir leben in einer Demokratie. Da werden Neuerungen
nicht von oben angewiesen, sondern erörtert und diskutiert. Die Ministerin hat die Aufgabe, politische Ziele auf
der Basis des Koalitionsvertrages zu formulieren. Dann
wird debattiert, und irgendwann wird entschieden. Ich
finde, das geht bislang sehr zügig.
({0})
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Haßelmann.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Sie haben sich gerade wahrscheinlich missverständlich ausgedrückt. Denn
in Ihrer Antwort auf die schriftliche Frage der Kollegin
Sager haben Sie dargestellt, dass das Familienministerium und insbesondere die Familienministerin eine klare
Position in der Öffentlichkeit vertreten haben, nämlich
die, es werde eine Quote an Betreuungsplätzen von circa
35 Prozent angestrebt, dazu würden circa 750 000 Kinderbetreuungsplätze in Deutschland gebraucht und es
gebe ein massives Ost-West-Gefälle hinsichtlich des Angebots an solchen Plätzen und eine Wahlfreiheit für Familien bestünde deshalb nicht. In Ihrer Antwort auf die
zweite Nachfrage der Kollegin Sager sagten Sie aber, es
gebe im Moment keine Meinung des Familienministeriums, Sie müssten sich erst einmal eine Meinung bilden.
Klären Sie mich bitte darüber auf, wie die öffentliche
Äußerung der Familienministerin zu verstehen ist, die
gestern Abend in Interviews und heute Morgen im
„Morgenmagazin“ dezidiert gesagt hat, dass wir zusätzliche Betreuungsplätze in einer bestimmten Größenordnung brauchen und dass es ein nicht hinnehmbares Gefälle zwischen Ost und West - in Westdeutschland liegt
das Betreuungsangebot nur bei 8 Prozent - gibt. Sie sagen, Sie müssten sich erst einmal eine Meinung bilden,
aber vertreten gleichzeitig eine. Sehen Sie darin keinen
Widerspruch?
Nein, darin sehe ich überhaupt keinen Widerspruch.
Ich habe versucht, zu erklären, dass im Koalitionsvertrag
festgelegt ist, dass wir, beginnend 2005, die Zahl der Betreuungsplätze um 230 000 ausbauen wollen. Ich habe
Ihnen dann eine weitere aktuelle Zahl des Statistischen
Bundesamtes genannt, die zeigt, wie weit der Ausbau
gediehen ist und wie viele TAG-Plätze es insgesamt gibt.
Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass der Bedarf bei 35 Prozent liegt. Bei 2,2 Millionen Kindern unter drei Jahren ergeben sich ungefähr 750 000 Plätze. Ich
habe ferner gesagt, dass es ebenfalls die Aufgabe der
Ministerin ist, über den Koalitionsvertrag hinaus politische Ziele zu formulieren, und dass es in einer parlamentarischen Demokratie völlig normal ist, darüber zu diskutieren.
Der weitere Schritt wird sein, dass wir eine Arbeitsgruppe einsetzen, in der auch die Länder und die Koalitionsfraktionen vertreten sind, um den Bedarf abzugleichen. Ich bin unabhängig von den jetzt vorliegenden
Zahlen ziemlich optimistisch, dass es in den Ländern im
vergangenen Jahr eine Entwicklung auf diesem Gebiet
gegeben hat. Die Zahl, die sich auf den Stichtag
31. März 2006 bezieht, habe ich schon genannt.
Wir werden sehen, welche Notwendigkeiten sich ergeben. Dann wird sich die Bundesregierung eine Meinung über alle Fragen bilden, die mit diesem Thema zusammenhängen.
({0})
Eine zweite Nachfrage ist an der Stelle nicht möglich.
({0})
- Es bleibt Ihnen natürlich unbenommen, Feststellungen
zu treffen und Schlussfolgerungen zu ziehen.
Die nächste Nachfrage hat der Kollege Beck.
Herr Kollege Kues, Sie haben heute keine beneidenswerte Rolle. Ich wollte fragen, wie denn die Ministerin
den Schlag ins Gesicht verdaut hat, den ihr die Koalitionsrunde versetzt hat? Denn es gab keine Zusage für
die Finanzierung ihrer Vorschläge, mit der sie in den
letzten zwei bis drei Wochen verstärkt in der Öffentlichkeit hausieren gegangen ist.
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass
der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Kauder - seine
Fraktion muss ja später diese Vorschläge beschließen -,
heute noch einmal festgestellt hat, dass die Frage nicht
lautet, wie hoch der Bedarf sei, sondern, ob überhaupt
ein Bedarf bestehe? Damit stellt er das gesamte Unternehmen, das zum Schwerpunkt der Arbeit Ihres Hauses
geworden ist, infrage. Wie geht die Ministerin damit um,
dass ihre gesamte politische Strategie infrage gestellt
wird?
({0})
Herr Abgeordneter Beck, Sie sind schon länger in der
Politik. Sie wissen daher, dass die Prozesse in der Politik
eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Das ist völlig
normal. Die Erwartungen an die Koalitionsrunde, was
konkrete Beschlüsse zu diesem Thema betrifft, sind völlig unangemessen gewesen; denn es ist nicht nur über
dieses Thema, sondern es ist auch, wie Sie den Medien
entnehmen konnten, über viele andere wichtige Themen
gesprochen worden. Dass es unterschiedliche Bewertungen gibt, habe ich eben bereits gesagt. Ich sage ausdrücklich: Die Bundesregierung sieht einen Bedarf an
Betreuungsplätzen; ich habe das ja weiter präzisiert.
({0})
Ein kleiner Hinweis: Nachfragen durch Sie, Frau
Haßelmann, sind im Moment nicht möglich. Sie müssen
warten, bis Ihre Frage aufgerufen wird.
Das Wort hat die Kollegin Deligöz; ich habe Sie vorhin leider übersehen. Dann ist die FDP an der Reihe.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
auch mir ist ein Widerspruch aufgefallen: Sie haben gerade gesagt, die Bundesregierung schätze die Lage so
ein, dass ein Bedarf vorhanden ist. Gleichzeitig wurde
aber in den Koalitionsgesprächen vereinbart, dass der
Bedarf überhaupt erst ermittelt wird. - Das passt irgendwie nicht zusammen. Entweder es gibt einen Bedarf
- dann muss man etwas tun -, oder es gibt keinen Bedarf. Teilen Sie mit mir die Einschätzung, dass Ihnen genügend Grundlagen für die Feststellung des Bedarfs vorliegen - Sie haben ja einige Studien zitiert - und dass die
Bundesländer darüber hinaus keine genaueren Ermittlungen vornehmen, sondern auf die gleichen Daten zurückgreifen werden, die dem Ministerium schon vorliegen, sodass dadurch schon jetzt der Bedarf feststeht bzw.
festgelegt werden kann?
Nein, diese Auffassung teile ich ausdrücklich nicht.
Ich habe eben die Jugendhilfestatistik von Ende März
2006 genannt. Ich habe dann gesagt: Es wird weitere Erhebungen geben. - Auch die Länder sind in diesem Bereich aktiv. Unabhängig von der vorliegenden Betreuungsstudie und unabhängig von Annahmen aufgrund
von Erfahrungen beispielsweise in den neuen Ländern,
aber auch in anderen Ländern, in denen es weitgehende
Betreuungsangebote für unter Dreijährige gibt, werden
wir jetzt konkret sehen müssen, wie unterschiedlich die
Situation in den einzelnen Bundesländern ist,
({0})
um dann festzustellen, wo es welchen Bedarf in welcher
Form gibt.
({1})
Es wird zum Beispiel bewertet werden müssen, welche
Rolle die Tagespflege spielen soll. Auch das wird man
sich anschauen müssen. Ich habe ja meine Einschätzung
mitgeteilt, dass ich davon ausgehe, dass sich die Welt in
Deutschland auch nach dem 31. März 2006 verändert
hat.
({2})
Die nächste Frage stellt der Kollege Thiele von der
FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Sie sprachen an,
dass am 31. März 285 000 Plätze zur Verfügung stünden. Ich hätte die Frage: Wie viele Plätze bestanden
schon vor Inkrafttreten des TAG, und wie viele sind nach
Inkrafttreten des TAG hinzugekommen?
Folgende Zahl liegt mir vor: Laut TAG-Bericht 2006
sind circa 21 000 nach Inkrafttreten des TAG hinzugekommen.
({0})
Ja, nur eine Frage. - Das Wort hat die Kollegin Hinz.
Herr Staatssekretär, Sie haben jetzt mehrfach darauf
hingewiesen, dass es eine Statistik gibt, die die Grundlage für den TAG-Bericht war, und dass das Statistische
Bundesamt entsprechende Daten aufbereitet hat. Ich
gehe einmal davon aus, dass eine Bundesministerin wie
Frau von der Leyen, der es ja ein echtes Anliegen ist, die
Kinderbetreuung in Deutschland zu verbessern, nicht irgendwelche Zahlen nennt, die nicht belegbar sind.
Von daher würde ich Sie schon gerne fragen, ob die
Einberufung der Runde tatsächlich sachlich begründet
ist, woran der geneigte Zuschauer und die geneigte Zuschauerin große Zweifel haben, oder ob es nicht eher so
ist, dass zum einen die Ministerpräsidenten davon überzeugt werden müssen, dass das Thema Kinderbetreuung
eine hohe Bedeutung hat, dass diese Aufgabe künftig in
den einzelnen Ländern wahrgenommen werden muss
und dass auch die Länder in den Ausbau der Kindertagesbetreuung mehr Geld einbringen müssen, und dass
zum anderen vor allen Dingen in den Reihen der Koalition, was Ihre Partei angeht, noch ein großer Widerstand
bezüglich des Ausbaus der Betreuungsplätze für unter
Dreijährige besteht und deshalb das ganze Thema auf die
lange Bank geschoben wurde.
Ich teile Ihre Auffassung nicht. Ich teile Ihre Auffassung insoweit, als Sie gesagt haben: Der Bundesfamilienministerin ist es ein großes Anliegen, ein angemessenes Betreuungsangebot zu schaffen, weil das eine
wichtige Voraussetzung dafür ist, dass es real - und nicht
nur in der Theorie - Wahlfreiheit gibt. - Ich teile nicht
die Auffassung, dass die Ministerpräsidenten überzeugt
werden müssen. Gerade der Ministerpräsident des Bundeslandes, aus dem meines Wissens auch Sie kommen,
hat sich auf verschiedene Art und Weise öffentlich ausdrücklich dazu bekannt, dass es Angebote an Kinderbetreuung geben muss und dass er sehen wird, wie er dies
in seinem Bundesland weiter umsetzen wird.
Viele andere Ministerpräsidenten - Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Niedersachsen - haben sich
ebenfalls klar artikuliert.
Das waren die Nachfragen zur ersten dringlichen
Frage.
Ich rufe die dringliche Frage 2 der Kollegin
Haßelmann auf:
Welche Vorstellungen und Zeitplanungen hat die Bundesregierung für die Finanzierung der Kinderbetreuung nach der
Sitzung des Koalitionsausschusses vom 5. März 2007?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Bundesfamilienministerin wird zügig mit Vertretern beider Koalitionsfraktionen und mit Ländervertretern in einer Arbeitsgruppe die konkreten Eckpunkte des
Ausbaus und des Finanzbedarfs klären. In einem weiteren Schritt wird sie am 2. April in einer Konferenz mit
allen Ländern und kommunalen Spitzenverbänden diese
Fragen erörtern. Das Ziel ist dabei, die Ergebnisse dieser
Beratungen in den Koalitionsausschuss am 16. April einzubringen. Die Ausbau- und Finanzierungsfragen sollen
dann im Lichte dieser Ergebnisse weiter im Koalitionsausschuss beraten werden.
Sie haben das Wort zu Ihrer ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie uns vorhin sehr eindringlich ausgeführt haben, dass es sich um die Privatmeinung der Ministerin handelt und nicht um eine politische
Auffassung der Bundesregierung, möchte ich Sie fragen:
Welche Auffassung möchte die Familienministerin gegenüber den Ländern und den Kommunen vertreten, ihre
Privatmeinung, die sie im Moment auch öffentlich in der
Presse vertritt, oder die Auffassung der Bundesregierung so es denn eine einheitliche Auffassung gibt?
Soll ich die zweite Nachfrage auch direkt stellen?
Wenn Sie das wollen! Dann kann der Staatssekretär
im Zusammenhang antworten.
Die zweite Frage richtet sich eher auf einen anderen
Komplex, Herr Staatssekretär: Wie erklären Sie sich,
dass noch gestern Vormittag der Präsident der Jugendund Familienministerkonferenz öffentlich erklärt hat, die
Ausrichtung einer Sonderkonferenz zum Betreuungsausbau entbehre einer ausreichenden Geschäftsgrundlage,
weil seitens der Bundesregierung bislang überhaupt
keine differenzierten Konzepte vorlägen?
Um mit der zweiten Frage zu beginnen, damit ich sie
nicht vergesse: Da müssen Sie den Präsidenten fragen,
der diese Aussage so getroffen hat. Es ist jedenfalls vereinbart - wie ich es eben gesagt habe -, dass am 2. April
diese Konferenz mit allen Ländern stattfindet; ob Sie es
Konferenz oder Gipfel nennen, ist völlig egal.
Zu Ihrer ersten Frage: Es gibt klare Absprachen im
Koalitionsvertrag, dass Bilanz gezogen wird, inwieweit
das Tagesbetreuungsausbaugesetz gewirkt hat und wie
viele Plätze neu geschaffen worden sind. Das ist im Koalitionsvertrag festgelegt. Was die weiteren Absprachen
angeht, so muss das in der Koalition entschieden werden. Die Ministerin wird natürlich ihre Meinung vertreten, die sie auch in den letzten Tagen vertreten hat. Das
wird dann abgeglichen mit den Ausbauzielen, die es in
den einzelnen Ländern gibt. Daraus wird man die Konsequenzen zu ziehen haben.
({0})
Die Bundesregierung ist frei in der Beantwortung der
Fragen.
Damit kommen wir zur Nachfrage der Kollegin
Sager.
Es hat aus Reihen der Regierungsfraktionen - zum
Beispiel von Herrn Kauder - auch die Meinung gegeben,
die Bundesregierung habe eigentlich gar nicht die Kompetenz, sich in den Fragen der Kinderbetreuung zu Wort
zu melden, zum Beispiel in einer solchen anvisierten
Sonderkonferenz. Wie beurteilen Sie die Frage der Kompetenz der Bundesregierung, sich zur Kinderbetreuung
zu Wort zu melden, und wie wollen Sie in der anvisierten Sonderkonferenz mit dieser Frage umgehen?
Der Auffassung, dass für den Ausbau des Angebotes
- vor allen Dingen auch nach der Föderalismusreform in erster Linie die Kommunen bzw. die Länder zuständig
sind, ist absolut zuzustimmen. Es ist aber völlig unstrittig, dass diese große gesellschaftliche Aufgabe, eine
nachhaltige Familienpolitik auf den Weg zu bringen
- dazu gehört auch ein qualitativ und quantitativ ausreichendes Angebot an Betreuung -, auch von der Bundesebene zu bewältigen ist.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Gehring aus
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Ich würde an dieser Stelle sehr gern nachhaken. Wie
wird die Bundesregierung bei der angekündigten Sonderkonferenz mit der Tatsache umgehen, dass sowohl einige Landesregierungen als auch Mitglieder der Unionsfraktion, zum Beispiel der Fraktionsvorsitzende Herr
Kauder, meinen, dass der Bund hinsichtlich der Kinderbetreuung keinerlei Zuständigkeit bzw. Kompetenz besitzt? Halten Sie es vor diesem Hintergrund für möglich,
dass einige politische Vertreter die Ergebnisse der Föderalismusreform im Hinblick auf das Kinder- und Jugendhilfegesetz nicht ganz klar vor Augen haben?
Zunächst will ich noch einmal betonen, dass die Zuständigkeit natürlich in erster Linie bei den Ländern und
bei den Kommunen liegt, was den ganz konkreten Ausbau anbelangt. Aber es ist völlig unstrittig, dass es eine
Gesamtverantwortung gibt, bei der die Bundesebene gefragt ist. Ich glaube, das hat bislang auch niemand bestritten.
({0})
Sie wollen die Kollegin Hinz nicht mehr zu Wort
kommen lassen?
({0})
Ein Antrag zur Geschäftsordnung. Bitte, Kollege
Beck.
Ich möchte den Fortgang der weiteren Fragen nicht
aufhalten. Es gibt eine ganze Reihe von Fragen; diese
sollen auch diskutiert werden. Ich glaube aber, man kann
schon jetzt sagen, dass das Thema so weit gediehen ist,
dass sich der Bundestag über diese Frage unterhalten
muss.
Volker Beck ({0})
Deshalb stelle ich namens meiner Fraktion nach § 106
Abs. 1 in Verbindung mit Anlage 5 Nr. 1 b unserer Geschäftsordnung den Antrag auf eine Aktuelle Stunde zu
dem Thema: Fehlende Finanzierung und Entschlossenheit der Bundesregierung bezüglich der Kinderbetreuungspläne der Bundesfamilienministerin.
({1})
Die weitere Diskussion der Fragen verschlägt das
nicht. Aber ich finde, wir sollten das schon zu diesem
Zeitpunkt festhalten.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat zu den Antworten der Bundesregierung auf die zwei dringlichen
Fragen eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht,
wie der Kollege Beck richtig gesagt hat, Nr. 1 b der
Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Die Aussprache findet im Anschluss an die Fragestunde statt.
Ich mache vorsorglich darauf aufmerksam, dass sich
die Fraktionen für den Fall, dass die Fragestunde früher
beendet sein sollte, darauf verständigt haben, dass wir
um 15.30 Uhr mit der Aktuellen Stunde beginnen.
Kollegin Hinz, haben Sie zu der dringlichen Frage 2
noch eine Nachfrage? - Bitte schön.
Ich habe eine konkrete Nachfrage; denn meines Erachtens, Herr Staatssekretär, haben Sie die Ursprungsfrage nicht beantwortet.
Ich kann mir schlechterdings nicht vorstellen - ich
saß auch schon einmal als Landesministerin in solchen
Gremien -, dass Frau von der Leyen als Bundesministerin eine Sonderkonferenz einberuft, in der dann viele
ausgewachsene Ministerpräsidenten und Vertreter der
kommunalen Spitzenverbände sitzen, und dann noch
nicht einmal die Vorstellungen dazu vorträgt, wie sich
der Bund an der Finanzierung des Ausbaus der Kinderbetreuungsplätze beteiligen will. Dies ist nicht vorstellbar.
Deswegen möchte ich Sie noch einmal ganz konkret
fragen: Mit welchen Vorschlägen geht die Bundesfamilienministerin in dieses Treffen? Was haben die Ministerpräsidenten und die kommunalen Spitzenverbände zu
erwarten? Diese werden nicht allein darauf bauen, dass
Frau von der Leyen das alles so wichtig findet; sie werden vielmehr auch eine Beteiligung des Bundes erwarten.
Frau Abgeordnete, Sie wissen, dass nicht die Bundesregierung, sondern der Vorsitzende zu dieser Konferenz
einlädt und dass man sich darauf verständigt hat, dass
die einzelnen Ausbauschritte - das ist der Wissensstand,
den es seit gestern gibt, als die Absprachen mit dem Vorsitzenden der Konferenz getroffen worden sind -, die die
Länder vorhaben, einander gegenübergestellt und miteinander verglichen werden. Dann wird man sich auch
über Finanzierungsfragen unterhalten. Das wird aber erst
dann möglich sein, wenn die Fakten vorliegen - die offizielle Statistik, die uns zur Verfügung steht, reicht nur
bis Ende März des vergangenen Jahres - und man sie gemeinsam bewerten kann.
Die letzte Nachfrage zu der dringlichen Frage 2 stellt
die Kollegin Kressl.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Weil in der Debatte eben noch einmal die Frage nach der Gesetzgebungskompetenz und Zuständigkeit aufgekommen ist,
möchte ich Sie fragen: Könnten Sie den hier im Plenum
Anwesenden erläutern, dass im Rahmen der
Föderalismusreform I die Gesetzgebungskompetenz für
das Kinder- und Jugendhilferecht beim Bund geblieben
ist, und die Gründe dafür schildern, warum wir darauf
gedrungen haben, dass das so bleibt?
Frau Abgeordnete, der Bund hat aus Gründen des Gemeinwohls die Aufgabe, Kinder und Jugendliche bestmöglich zu fördern. Er hat hier eine koordinierende und
eine initiierende Funktion. Das gilt auch für andere Bereiche des Kinder- und Jugendhilferechts. Entsprechend
gilt es auch für den Bereich, über den wir jetzt diskutieren.
Nach den dringlichen Fragen rufe ich nun zum selben
Fragenkreis die Fragen 20 bis 24 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend auf, da diese nach Nr. 10 Abs. 2 der
Richtlinien für die Fragestunde ebenfalls vorgezogen
werden. Zur Beantwortung der Fragen steht weiterhin
der Parlamentarische Staatssekretär Hermann Kues zur
Verfügung.
Die Frage 20 der Kollegin Ina Lenke aus der FDPFraktion wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 21 der Kollegin Britta Haßelmann
auf:
Wie gestaltet sich die Prüfung der familienpolitischen
Leistungen durch die Bundesregierung, und in welchem Zusammenhang steht sie mit dem angekündigten Ausbau von
Betreuungsmöglichkeiten für unter Dreijährige?
Zur Frage der Kollegin Haßelmann möchte ich Folgendes festhalten: Ihre Frage impliziert eine vorschnelle
Vorwegnahme möglicher Ergebnisse der Arbeit des
Kompetenzzentrums. Die Arbeit des Kompetenzzen8454
trums hat zum Ziel, strukturelle Schwächen des Systems
familienbezogener Leistungen zu ermitteln und Alternativen vorzuschlagen. Wir wollen damit erreichen, dass
die umfangreiche staatliche Unterstützung wirksamer
wird und Familien gezielt gefördert werden.
Wie die Bundesregierung mit dem Elterngeld gezeigt
hat, brauchen wir innovative Konzepte, um spürbare
Verbesserungen für die Familien zu erreichen. Diese
Konzepte müssen durch die Kinderbetreuung ergänzt
werden. Die Bundesrepublik hat hier einen eklatanten
Rückstand gegenüber west- und nordeuropäischen Ländern. Diese strukturelle Schwäche kann allerdings nicht
dadurch behoben werden, dass für andere Bereiche Umschichtungen in Aussicht gestellt werden, ohne Folgeabschätzungen zu tätigen.
Ihre erste Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
meine erste Frage lautet: Wann soll die Prüfung der familienpolitischen Leistungen abgeschlossen sein? Können Sie uns ein Datum nennen? Zurzeit werden wir täglich mit neuen Finanzierungsvorschlägen konfrontiert.
Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass die familienpolitischen Leistungen zunächst noch geprüft, zusammengeführt und aufgestellt werden sollen.
Hierbei handelt es sich um einen längeren Prozess.
Wir haben das Datum Frühjahr 2008 genannt. Bis dahin
sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Darüber hinaus
haben wir aber auch gesagt, dass Einzelergebnisse je
nach Bedarf vorher veröffentlicht werden, wenn wir der
Meinung sind, dass sie für die Veröffentlichung reif sind.
Entscheidend ist, dass man daraus entsprechende
Schlussfolgerungen ziehen kann.
Ihre zweite Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Wenn erst im
Frühjahr 2008 Ergebnisse der Prüfung der familienpolitischen Leistungen vorliegen werden, dann bitte ich Sie,
mir zu erklären, wie der Vorschlag der Familienministerin, ein Modell zur Umwandlung des Ehegattensplittings
in ein Familiensplitting vorzulegen, zu bewerten ist.
Wird das gesamte Ehegattensplitting aus der Überprüfung der familienpolitischen Leistungen herausgenommen und als Einzelvorschlag behandelt - und entsprechend auch die sich daraus ergebende Summe separat
eingesetzt -, oder lassen Sie dies im Frühjahr 2008 wieder in die gesamten familienpolitischen Leistungen einfließen?
Wie wir im Einzelnen vorgehen werden, wird im
Laufe dieses zeitlichen Prozesses - den ich zu beschreiben versucht habe - zu entscheiden sein. Die Familienministerin hat sich eindeutig für die Beibehaltung des
Ehegattensplittings ausgesprochen - da spielen auch verfassungsrechtliche Aspekte hinein - und ausgeführt,
dass dieses Splitting um eine Familienkomponente erweitert werden muss. Über Einzelheiten werden wir uns
dann unterhalten, wenn es soweit ist.
Die Kollegin Deligöz hat noch eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, auch wenn ich glaube, dass ich
die öffentliche Debatte richtig verstanden habe, möchte
ich Sie bezüglich dieser Überprüfungen fragen: Erwarten Sie, dass das Elterngeld zu einer Steigerung der Geburtenrate und damit automatisch zu finanziellen Belastungen führen wird?
Ich glaube nicht an die mechanische Wirkung einer
jeden einzelnen familienpolitischen Maßnahme - das
gilt für alle familienpolitischen Leistungen -; anders
kann es, davon bin ich überzeugt, nicht funktionieren.
Auch das Elterngeld zum Beispiel führt nicht automatisch zu einem Ergebnis. Notwendig ist ein Gesamtpaket, ein umfassendes Konzept einer nachhaltigen Familienpolitik. Das Elterngeld ist nur ein Element. Wenn die
Zahl der Kinder tatsächlich wieder ansteigen sollte, werden wir die damit zusammenhängenden Finanzierungsfragen auch gelöst bekommen.
({0})
Wir kommen damit zur Frage 22 der Kollegin
Deligöz:
Welchen Beitrag des Bundes plant die Bundesregierung
bei dem von der Bundesministerin für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend, Dr. Ursula von der Leyen, angekündigten
Ausbau von Betreuungsplätzen für unter Dreijährige?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin, mit Ihrer Erlaubnis würde ich die
Fragen 22 und 23 im Zusammenhang beantworten, weil
hier ein Sachzusammenhang besteht.
Bitte.
Damit rufe ich auch die Frage 23 der Kollegin
Deligöz auf:
Vizepräsidentin Petra Pau
Schließt die Bundesregierung aus, dass für den angekündigten Ausbau von Betreuungsplätzen für unter Dreijährige
Finanzmittel aus dem Bereich der Förderung von Familien herangezogen und umgeschichtet werden?
Die Bundesregierung sieht in dem quantitativen und
qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung - das
Zweite ist genauso wichtig - eine notwendige Fortentwicklung in Bezug auf die Herausforderung einer modernen Gesellschaft. Hierzu gibt es keine Alternative.
Gefordert sind in diesem Bereich alle gesellschaftlichen
Kräfte. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, die Eltern hier zu unterstützen und darauf hinzuwirken, dass für unsere Kinder - für die wenigen, die wir
noch haben - beste Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten geschaffen werden. Es wird deshalb einer gemeinsamen Anstrengung bedürfen, den notwendigen
Ausbau der Kindertagesbetreuung gerade für die Kinder
unter drei Jahren voranzubringen.
Aus diesem Grund ist es erforderlich, dass Bund,
Länder und Kommunen gemeinsam beschreiben, wie
diese Ausbauziele erreicht werden können. Es wäre verfrüht, mit festgelegten Maßstäben hinsichtlich der Beteiligung des Bundes oder der normativen Verpflichtungen
in diese Beratungen zu gehen. Entscheidend ist vielmehr
das Ziel, die Situation für die Kinder und ihre Eltern zu
verbessern. Die Mittel, dies zu erreichen, müssen eingehend beraten und auch verhandelt werden.
Das Kompetenzzentrum für familienbezogene Leistungen wird tragfähige und auch sozial ausgewogene
Vorschläge entwickeln, auf welchem Weg Bund, Länder
und Gemeinden den notwendigen Ausbau unterstützen
und erreichen können. Diese Ergebnisse sollten wir abwarten.
Ich möchte in diesem Zusammenhang aber auch betonen, dass die Diskussion über den Beitrag des Bundes
nicht darauf zu reduzieren ist, mit welchen finanziellen
Mitteln sich der Bund am Ausbau beteiligt. Erforderlich
ist schließlich auch eine Qualitätsoffensive, die maßgeblich und nachdrücklich vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend initiiert und betrieben wird. Neben dem quantitativen Ausbau brauchen
wir auch eine bessere Qualität der Erziehung, der Bildung und der Betreuung. Qualität ist deswegen gefordert, damit Eltern auch Vertrauen in die Betreuungseinrichtungen haben, die geschaffen werden.
Ihre erste Nachfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Aussage entnehmen, dass Sie einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz einführen werden?
Nein, das können Sie meiner Aussage nicht entnehmen. Wir haben im Koalitionsvertrag klar geregelt, dass
wir Bilanz ziehen werden, inwieweit unter anderem das
Tagesbetreuungsausbaugesetz ein Betreuungsangebot
generiert. Dort ist auch formuliert, unter welchen Bedingungen wir einen Rechtsanspruch einführen werden.
Das ist der gegenwärtige Stand.
Ich stelle fest: Sie wissen noch nicht, ob Sie einen
Rechtsanspruch einführen werden.
Dennoch besteht aber wohl die Mindestannahme,
dass Sie den Ausbau der Betreuungseinrichtungen voranbringen wollen. Wie werden Sie dafür sorgen, dass die
Kommunen beim Ausbau der Kinderbetreuung finanziell entlastet werden?
Die Kommunen sind beim Ausbau der Kinderbetreuung finanziell entlastet worden. Wie Sie wissen, sind
1,5 Milliarden Euro vereinbart worden. Das ist ein erheblicher Betrag. Dieser Betrag ist auch bei den Kommunen
angekommen. Das ist vielleicht auch die Erklärung dafür,
dass sich das Betreuungsangebot weiterentwickelt hat.
Nähere Zahlen dazu werden wir demnächst vorlegen
können.
Sie haben die Möglichkeit zu zwei weiteren Nachfragen.
Ich würde jetzt gerne noch einmal nachhaken: Heißt
das, dass Sie beim Betreuungsausbau im Rahmen des
TAG stehenbleiben werden, oder haben Sie vor, einen
noch darüber hinausgehenden Ausbau zu fördern?
Ich habe eben etwas dazu gesagt, welchen Bedarf wir
generell auf der Basis der Kinderbetreuungsstudie sehen.
Was das konkret heißt, hängt davon ab, wie weit der
Ausbau in den Ländern gediehen ist. Die Zahlen müssen
gegenübergestellt werden. Dann werden wir sehen, welche Schritte im Einzelnen notwendig sind.
Ihre letzte Nachfrage.
Danke, Frau Präsidentin. - Sie haben zu Beginn dieser Debatte die einzelnen Zahlen aufgeführt. Sie haben
festgestellt, dass wir einen Ausbau der Betreuungsplätze
brauchen. Sie haben auch darauf hingewiesen, dass TAG
zwar läuft, dass es aber darüber hinaus weitergehen
muss. Gleichzeitig lehnen Sie alle Finanzierungsvorschläge, die zurzeit auf dem Tisch liegen - von der Kürzung des Ehegattensplittings über die Senkung des Betreuungsfreibetrages und die Kürzung des Kindergeldes
bis hin zu diversen anderen Vorschlägen -, ab. Welche
Vorschläge machen Sie, um die Finanzierung zu gewährleisten?
Die Punkte, die Sie gerade genannt haben, sind Vorschläge, die im politischen Raum gemacht wurden. Sie
werden politisch diskutiert, aber nicht von der Bundesregierung bewertet. Wir werden zunächst einmal im Gespräch mit den Ländern zu klären haben, wie deren
Vorstellungen zur Finanzierung des Ausbaus des Betreuungsangebots sind. Dann werden wir das bewerten, wie
ich eingangs bereits in einem anderen Zusammenhang
gesagt habe.
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Hinz.
Herr Staatssekretär, Sie haben die Qualität der Betreuungsplätze angesprochen. Wir wissen, dass insbesondere
die vorschulische Bildung für den späteren Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen sehr wichtig ist.
Deswegen möchte ich Sie gerne fragen, welche Vorschläge Sie zur Verbesserung der Rahmenbedingungen
der Kindertagesbetreuung und zur Weiterentwicklung
der Ausbildung des Erziehungspersonals machen. Gibt
es dafür ein mit der Bundesbildungsministerin abgestimmtes Konzept?
Wir sind mit der Bundesbildungsministerin im Gespräch, ebenso mit den Ländern im Rahmen eines BundLänder-Arbeitskreises. Den Veröffentlichungen des
Bundesfamilienministeriums, unter anderem unserer Internetseite, ist zu entnehmen, welche konkreten Projekte
wir hinsichtlich der Qualifizierung von Erzieherinnen
und Erziehern auf den Weg bringen. Weil die Länder für
dieses Thema zuständig sind, haben wir hier im Wesentlichen eine koordinierende Funktion.
Wir glauben, dass wir alles tun müssen, um die frühkindliche Bildung zu verbessern, damit alle Kinder, egal
welchen sozialen oder sonstigen Hintergrund sie haben,
zumindest gleiche Startchancen haben, wenn sie in die
Schule kommen. Wir stellen fest, dass in den Ländern
intensive Diskussionen über dieses Thema geführt und
bereits Vorbereitungen getroffen werden, um den Übergang vom Kindergarten in die Grundschule besser zu organisieren. Hier leisten wir Hilfestellungen. Unser Vorgehen sprechen wir allerdings mit den Ländern ab.
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Haßelmann.
Danke, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Staatssekretär, wenn man die sehr präzisen öffentlichen Äußerungen der Bundesfamilienministerin mit den Antworten, die Sie auf unsere sehr konkreten Fragen gegeben
haben, vergleicht, stellt man, was die öffentliche Wahrnehmung betrifft, eine große Diskrepanz bzw. sogar einen diametralen Unterschied fest.
Die Bürgerinnen und Bürger, die uns heute zuhören
oder das Protokoll lesen, werden den Eindruck haben,
dass das Bundesfamilienministerium nach außen in einer
Art und Weise auftritt, als würde es dafür Sorge tragen
wollen, dass die in Deutschland fehlenden Betreuungsplätze sofort geschaffen werden. Sie hingegen sagen uns,
dass die Bundesregierung eigentlich kein Konzept und
keine Vorschläge zur Finanzierung hat. Zu guter Letzt
verneinen Sie sogar die Frage meiner Kollegin Deligöz,
ob sich das Ministerium für einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem ersten Lebensjahr ausspricht. Der Eindruck, dass das Ministerium im
Hinblick auf die Familienpolitik konzeptionell nichts zu
bieten hat, hätte sich nicht eindeutiger bestätigen können.
Ich frage Sie: Wie sollen die Bürgerinnen und Bürger
die öffentliche Wahrnehmung bewerten, dass sich einerseits das Ministerium nach außen sehr präzise äußert,
dass Sie uns aber andererseits durch die Erklärungen, die
Sie hier abgegeben haben, im Unklaren lassen?
Frau Abgeordnete, Sie haben einen Teil der Antworten selbst zu geben versucht. Nach meiner Auffassung
waren Ihre Antworten allerdings falsch. Ich habe diesen
Eindruck überhaupt nicht. Ich denke, dass die Bürgerinnen und Bürger zunächst einmal erwarten, dass ein Minister bzw. eine Ministerin klare Ziele formuliert und
sagt, welchen Ansatz einer nachhaltigen, sich auf die
nächsten Generationen beziehenden Familienpolitik er
bzw. sie verfolgt. Die Öffentlichkeit hat meiner Meinung
nach sehr wohl Verständnis dafür, dass dann ein Prozess
stattfinden muss, in dem die Positionen miteinander abgestimmt und präzisiert werden, sodass es irgendwann
zu einer Beschlussfassung kommen kann. Ich glaube, die
Öffentlichkeit weiß sehr wohl, dass Politik nicht so läuft,
dass man einen Hebel umlegt, und schon ist die Lösung
da, sondern dass auch das das Ergebnis eines Diskussionsprozesses sein wird.
Die letzte Nachfrage zu diesen Fragen stellt die Kollegin Sager.
Herr Kues, das von Ihnen vorhin erwähnte Tagesbetreuungsausbaugesetz und die dazugehörige FinanzieKrista Sager
rung mussten in der letzten Legislaturperiode mühselig
durchgesetzt werden. So haben wir noch in Erinnerung,
dass das Geld von den Ländern keinesfalls zügig an die
Kommunen weitergegeben worden ist und dass die
Kommunen das Geld auch keinesfalls zügig in den Ausbau der Kinderbetreuung gesteckt haben. Wenn der
Bund jetzt den Ausbau der Kinderbetreuung unterstützen
will, frage ich Sie: Welche Möglichkeiten sehen Sie, wie
man sicherstellen kann, dass diese Hilfe tatsächlich in
den raschen Ausbau der Krippenplätze fließt? Was halten Sie von einem Geldleistungsgesetz, nach dem die Eltern den Anspruch bekommen, das Geld aber direkt an
die Einrichtung, die den Kinderbetreuungsplatz zur Verfügung stellt, weitergeleitet wird?
Frau Abgeordnete Sager, ich meine wahrnehmen zu
können - und ich gehe davon aus, dass wir es auch mit
Zahlen werden belegen können -, dass mittlerweile,
auch angesichts der demografischen Entwicklung, in den
Kommunen längst in die qualitative und quantitative
Verbesserung der Tagesbetreuung investiert wird. Die
Zeit ist da Gott sei Dank weitergegangen, das heißt, da
hat sich eine ganze Menge entwickelt.
Ich halte von einem Geldleistungsgesetz wenig, sage
aber ausdrücklich: Wir werden auf der Sonderkonferenz
am 2. April - auch im Vorfeld wird das eine oder andere
Abstimmungsgespräch stattfinden - gemeinsam zu entwickeln haben, wie diese Dinge letztlich finanziert werden. Sie werden verstehen, dass es mit Blick auf diese
Konferenz nicht angemessen wäre, wenn ich jetzt konkrete Überlegungen anstellen würde. So etwas kann man
persönlich tun. Doch die Bundesregierung wird mit dieser Frage dann befasst werden, wenn es so weit ist.
Damit kommen wir zur Frage 24 der Kollegin Sager:
Welche finanziellen und strukturellen Maßnahmen für den
Ausbau und die Qualitätsoffensive in der Kinderbetreuung beabsichtigt die Bundesregierung zwischen welchen Akteuren
in dem „Pakt für Kinder“ zu vereinbaren?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Wie ich bereits zu den Fragen der Abgeordneten
Deligöz ausgeführt habe, macht es keinen Sinn, bereits
jetzt die Rahmenbedingungen für die finanziellen und
strukturellen Maßnahmen festzulegen. Das Ergebnis ist
klar: Wir wollen und brauchen eine bessere Kindertagesbetreuung. Aber dem Austausch über Perspektiven, Argumente, Methoden und Möglichkeiten muss im Sinne
der hochwertigen Ziele Raum und Zeit eingeräumt werden.
Ihre erste Nachfrage. Bitte.
Zu dem Thema „Zeit und Raum“. Wäre es nicht konsequent gewesen, wenn die Bundesregierung die notwendigen Klärungsgespräche mit den Ländern und mit
den Kommunen schon in dem Moment geführt hätte, da
sie das Elterngeld mit der 14-monatigen Laufzeit verabschiedet bzw. in den Bundestag eingebracht hat?
Es gibt ständig Gespräche zwischen der Bundesregierung und den Ländern; das gehört zur Alltagsarbeit der
Bundesregierung. Im Zusammenhang mit dem Elterngeld wird wie im Zusammenhang mit anderen Fragen,
etwa Fragen der Jugendhilfe, immer über diese Dinge
gesprochen, auch auf entsprechenden Konferenzen; das
ist selbstverständlich. Aber irgendwann ist eben der
Zeitpunkt gekommen, wo das Ganze letztlich gebündelt
werden muss und dann womöglich in einen Beschlussvorschlag einmündet.
Zweite Frage. Bitte.
Sie sagen, dass es schon während der Bemühungen
um das Elterngeld laufend Gespräche gegeben hat. Worin sehen Sie dann die Hauptursache dafür, dass es in den
Reihen der Regierungsfraktionen, zwischen den Regierungsfraktionen, in den einzelnen Fraktionen und in der
Bundesregierung selber so wenig Klarheit über die Ziele
und über das Konzept gibt?
Die Auffassung, dass es dort keine Klarheit gibt, teile
ich ausdrücklich nicht.
({0})
Ich stelle vielmehr fest, dass in die gesamte Familienpolitik in Deutschland ungeheuer viel Bewegung gekommen ist, wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Dass die verschiedenen Akteure über die einzelnen Aspekte
diskutieren, halte ich für völlig normal in einer Demokratie. Es wäre doch höchst ungewöhnlich, wenn man im
März 2007 plötzlich für alle in diesem Zusammenhang
diskutierten Fragen perfekte Lösungen vorliegen hätte,
und das würde auch nicht dazu passen, dass wir ein föderales System haben, in dem die Länder Zuständigkeiten
haben; in dem die Kommunen Zuständigkeiten haben; in
dem der Bund gefordert ist; in dem Private Zuständigkeiten haben; in dem die Wirtschaft und die Arbeitswelt
gefordert sind. Ich halte es für völlig normal, dass dies
ein offener Prozess ist.
Die Kollegin Deligöz hat noch eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, mich stört es schon ein bisschen,
dass einerseits in den Medien dargestellt wird, dass Sie
ein politisches Ziel verfolgen, und dass Sie uns andererseits hier erzählen, dass es sich um private Wunschträume der Ministerin handelt.
({0})
- Ja, natürlich.
Von daher möchte ich Sie jetzt ganz konkret fragen:
Wollen Sie den Ausbau der Kinderbetreuung, und werden Sie dafür Mittel zur Verfügung stellen? Ja oder nein?
Erst einmal muss ich natürlich zurückweisen, dass es
sich um private Wunschträume handelt. Ich habe eben
deutlich erklärt, in welcher Weise das Ganze in die Gespräche zwischen dem Bund, den Ländern und den
Kommunen eingebunden ist. Es ist völlig klar, dass wir
die Kinderbetreuung ausbauen wollen. Das habe ich ausdrücklich gesagt. Wir haben dazu im Koalitionsvertrag
Vereinbarungen getroffen.
Ich habe Ihnen auch klar gesagt, welche Entwicklung
es nach den Daten, die uns vorliegen, bislang gibt. Ich
habe Ihnen auch gesagt, dass wir weitere Daten abgreifen werden, um das weiter zu aktualisieren und zu vervollständigen. Ich habe Ihnen auch gesagt, welchen Wert
die Kinderbetreuungsstudie hat, in der auch Zahlen genannt werden. Um die Konsequenzen festzulegen, die
daraus gezogen werden müssen, wird eine Konferenz
durchgeführt. Danach wird man präziser wissen, was angesagt ist.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Nachdem die dringlichen Fragen und die Fragen zum
selben Geschäftsbereich aufgerufen und beantwortet
worden sind, kommen wir nun zu den übrigen Fragen
auf Drucksache 16/4494 in der üblichen Reihenfolge.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Keskin, Fraktion
Die Linke, auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Auswirkungen der
geplanten Sanktionsverschärfungen beim Zuwanderungs- und
Aufenthaltsrecht auf den Integrationserfolg der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Migranten ({0})?
Frau Präsidentin, ich würde die Fragen 1 und 2 gerne
gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich zusätzlich die Frage 2 des Kollegen
Keskin auf:
Was genau versteht die Bundesregierung unter einem „besonders integrationsfeindlichen Charakter“ und einem „verwerflichen Verhalten“, mit denen sie in ihrem Entwurf eines
Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher EURichtlinien ihre Sanktionsverschärfungen begründet ({0})?
Herr Kollege Keskin, Ihre Fragen 1 und 2 beziehen
sich auf Regelungen im Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung von insgesamt elf aufenthalts- und asylrechtlichen Richtlinien der Europäischen Union. Sie wissen,
dass sich dieser Entwurf derzeit in der abschließenden
Ressortabstimmung befindet und dass es guter Brauch
ist, dass die Bundesregierung zum Inhalt solcher Gesetze
erst dann Stellung nimmt, wenn sie von der Bundesregierung auch beschlossen worden sind.
Unabhängig davon kann ich Ihnen aber sagen, dass
alle Maßnahmen der Bundesregierung im Bereich des
Ausländer- und Aufenthaltsrechts selbstverständlich darauf abzielen, den Integrationserfolg der hier in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten zu verbessern.
Herr Keskin, da das die Beantwortung der Fragen 1
und 2 im Zusammenhang war, haben Sie die Möglichkeit zu insgesamt vier Nachfragen. Bitte.
Herr Staatssekretär Altmaier, vielen Dank für Ihre
Antwort, ich möchte das aber noch genauer wissen.
Meine erste Zusatzfrage: Beim Ehegattennachzug
wird verlangt, dass der Partner noch vor seiner Einreise
in die Bundesrepublik Deutschland Deutschkenntnisse
nachweist. Manche der Ehegatten werden diese Möglichkeit nicht haben, weil sie aus Gebieten kommen, in
denen sie diese Deutschkenntnisse gar nicht erst erwerben können. Meinen Sie nicht, dass hierdurch Ehe und
Familie, die als Grundrecht geschützt sind, tangiert werden?
Meine zweite Zusatzfrage: Worin sieht die Bundesregierung eigentlich die aktuelle Notwendigkeit, die bestehenden aufenthalts- und asylrechtlichen Regelungen zu
verschärfen? Ich rede von „verschärfen“ und kann mich
dabei auf gesellschaftspolitisch wichtige Verbände wie
Pro Asyl, DGB, TGD, Interkultureller Rat usw. beziehen.
Danke sehr.
Das waren also die ersten zwei Nachfragen. Bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Zu der Frage des
Nachweises der Deutschkenntnisse vor dem Ehegattennachzug. Es handelt sich dabei um ein Problem, das sehr
breit diskutiert worden ist. Es gibt Staaten in der Europäischen Union, wie beispielsweise die Niederlande, die
bereits seit längerer Zeit eine entsprechende Regelung
kennen und damit gute Erfahrungen gemacht haben.
({0})
Ich kann Ihnen auch versichern, dass die von Ihnen angesprochenen grundrechtlichen Fragen einer ausgiebigen und intensiven Prüfung unterzogen worden sind.
Die zweite Frage bezieht sich darauf, ob einzelne Vorschriften im Referentenentwurf Verschärfungen mit sich
bringen. Sie wissen, dass es eine sehr subjektive Einschätzung ist, ob etwas als Verschärfung angesehen
wird. Wir haben uns darauf konzentriert, die elf Richtlinien der Europäischen Union umzusetzen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Integrationsvoraussetzungen verbessert werden. Das ist in den letzten Monaten
zwischen den Koalitionsparteien diskutiert worden. Das
Ergebnis ist den Verbänden, die beteiligt worden sind,
mitgeteilt worden. Die Reaktionen auf einzelne Vorschriften sind bei der Beteiligung einer großen Anzahl
von Verbänden naturgemäß in einzelnen Fällen positiver
als in anderen.
Sie haben die Möglichkeit zu zwei weiteren Nachfragen. Bitte.
Herr Staatssekretär Altmaier, ich möchte meine erste
Frage konkretisieren. Stellen Sie sich ein Ehepaar vor:
Einer der Ehegatten will nachziehen, kann dies aber
nicht, weil ihre oder seine Deutschkenntnisse nicht ausreichen. Wie soll dann die Ehe, die schließlich vom
Grundgesetz geschützt ist, fortbestehen? Auf diese
Weise kann das Zusammenkommen der Familie ad acta
gelegt werden.
Herr Kollege Keskin, entscheidend kommt es darauf
an, ob die Möglichkeit besteht, Deutschkenntnisse zu erwerben. Der Sinn dieser Vorschrift besteht darin, denjenigen, die hierherziehen, die Integration in die Lebenswirklichkeit in unserem Land zu erleichtern.
Man muss zwischen der Gesetzesregelung und der
administrativen Umsetzung eines solchen Gesetzes unterscheiden. Das Beispiel der Niederlande zeigt meines
Erachtens in nachvollziehbarer Form, dass es den betroffenen Ehegatten durch Kooperation mit ihren Herkunftsländern, entsprechende Maßnahmen etwa von Sprachinstituten und die Nutzung moderner technischer
Möglichkeiten wie Presse, Funk und Fernsehen und des
Internets ermöglicht werden kann, vor dem Nachzug
nach Deutschland die erforderlichen Sprachkenntnisse
zu erwerben.
Sie haben die Möglichkeit zu einer weiteren Nachfrage. Bitte. - Sie möchten keine Fragen mehr stellen.
Aber die Kollegin Dağdelen hat noch eine Frage. Bitte.
Vielen Dank Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär
Altmaier, Sie haben das Beispiel Niederlande angeführt.
Haben Sie Kenntnis davon, dass einem europäischen
Vergleich zufolge in 21 Ländern der Europäischen
Union von 22 Ländern der Nachweis von Sprachkenntnissen keine Voraussetzung für den Ehegattennachzug
ist?
Darüber hinaus möchte ich gerne wissen, ob es Kooperationen, wie sie in einer Fragestunde im November
Frau Staatsministerin Böhmer gegenüber angesprochen
wurden - damit möchte ich mich gleich noch einmal an
Frau Böhmer selbst wenden -, oder Absprachen mit einzelnen Ländern gibt. Schließlich geht es nicht um bestimmte Herkunftsländer; letztendlich wird die Regelung
für alle Länder gelten, aus denen der Ehegattennachzug
erfolgen soll.
Frau Kollegin Dağdelen, Sie werden verstehen, dass
man mit der Umsetzung einer Gesetzesbestimmung
nicht beginnen kann, bevor sie vom Parlament verabschiedet worden ist. Das gebietet der Respekt, den wir
dem Parlament schuldig sind.
Im Übrigen darf ich darauf hinweisen, dass von der
Regierung eines großen Herkunftslandes in unmittelbarer Nachbarschaft zur Europäischen Union die Bereitschaft bekundet worden ist, mit der deutschen Bundesregierung zusammenzuarbeiten, was die Umsetzung und
Erleichterung der Vorschriften zum Ehegattennachzug
angeht. Ich wiederhole aber: Sie können erst dann umgesetzt werden, wenn sie vom Deutschen Bundestag tatsächlich beschlossen worden sind.
Danke, Herr Staatssekretär.
Damit schließen wir diesen Geschäftsbereich und
kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Peter Paziorek.
Die Frage 3 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Cornelia Behm auf:
Wird der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz, Horst Seehofer, sich im Interesse der
Glaubwürdigkeit des EU-Ökolandbaus engagieren, damit die
vom Agrarministerrat angedachte Flexibilitätsregelung für bestimmte Lebensmittel- und Futtermittelzusatzstoffe - zum
Beispiel Vitamine -, die letztlich einen Abbau des Ökostan8460
Vizepräsidentin Petra Pau
dards darstellt, nicht eingeführt wird, und, wenn ja, in welcher
Weise?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin
Behm, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die neuen
Vorschriften der EG-Ökoverordnung, über die sich der
Agrarrat im Dezember des vergangenen Jahres grundsätzlich geeinigt hat, sollen einen Rechtsrahmen sowohl
für die Produktion, die Kennzeichnung und die Kontrolle im ökologischen Landbau in der Europäischen
Union als auch für den Erlass detaillierter Durchführungsbestimmungen bilden. So sieht die neue Verordnung an circa 25 Stellen vor, dass die Europäische Kommission die vom Rat festgelegten Rahmenregelungen
weiter präzisieren soll. Damit die Europäische Kommission derartige Durchführungsbestimmungen in Form einer Verordnung erlassen kann, bedarf es aber zuvor einer
qualifizierten Mehrheit der Stimmen der Mitgliedstaaten
der Europäischen Union im Regelungsausschuss, der die
Kommission beim Erlass solcher Bestimmungen unterstützt.
Die in Ihrer Frage angesprochene Flexibilitätsregelung - bei dieser handelt es sich um einen begrenzten
Ausnahmetatbestand bei den Herstellungsvorschriften stellt somit lediglich eine Ermächtigungsgrundlage für
die Europäische Kommission zum Erlass solcher Durchführungsbestimmungen im Regelungsausschussverfahren dar. Nach Aussagen der Europäischen Kommission
beabsichtigt sie, den bisherigen Rechtsbestand unter der
EG-Verordnung 2092/91 des Rates vom 24. Juni 1991
über den ökologischen Landbau und die entsprechende
Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse
und Lebensmittel in die Durchführungsvorschriften zu
übernehmen. Es ist somit nicht daran gedacht, den Ökostandard abzubauen.
Im Übrigen macht die Bundesregierung darauf aufmerksam, dass die Verwendung von Vitamin als Zusatzstoff für eine ausgewogene Tierernährung im ökologischen Landbau traditionell praktiziert wird und nach
gegenwärtiger Rechtslage erlaubt ist. Unabhängig von
der Position der Kommission wird sich die Bundesregierung bei zukünftigen Verhandlungen über die Durchführungsvorschriften dafür einsetzen, dass der hohe EUStandard für die Produktion von Ökoprodukten erhalten
bleibt und weiter ausgebaut wird.
Frau Behm, Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Ich bedanke mich für die Antwort und die klare Positionierung. Ich möchte trotzdem detailliert nachfragen.
Vitamine in der Ernährung sind unstrittig notwendig. Es
geht aber hier um die Tatsache, dass wir es aufgrund der
steigenden Nachfrage nach Ökoprodukten zunehmend
mit Importen zu tun haben. Die Verbraucherinnen und
Verbraucher müssen sich darauf verlassen können, dass
die importierten Produkte genauso gut, qualitativ hochwertig und gut kontrolliert sind und dass die Rückverfolgbarkeit genauso sichergestellt ist wie bei den beispielsweise in Deutschland hergestellten Ökoprodukten.
Ein eherner Grundsatz bei Ökoprodukten ist der Verzicht
bzw. das Verbot des Einsatzes von Gentechnik, und zwar
sowohl auf dem Acker als auch in Bezug auf die Verwendung von Zusatzstoffen, also beispielsweise von Vitaminen. Erlaubte man im Zuge dieser Verordnung die
Verwendung gentechnisch veränderter Zusatzstoffe für
Lebens- und Futtermittel mit der Begründung, es herrsche ein Versorgungsnotstand beispielsweise bei gentechnisch nicht veränderten Vitaminen, wäre das mit
dem ehernen Grundsatz der Gentechnikfreiheit nicht
vereinbar.
Ich frage Sie deshalb: Stimmen Sie mit mir in der
Einschätzung überein, dass das nicht vereinbar ist? Wird
das Bundesministerium sich dieser Problematik annehmen und noch im Laufe der deutschen EU-Ratspräsidentschaft den Kollegen im Agrarrat deutlich machen,
dass bei aller notwendigen Flexibilisierung der eherne
Grundsatz der Gentechnikfreiheit nicht verletzt werden
darf?
Frau Kollegin, es ist grundsätzlich auch die Position
der Bundesregierung, dass im Ökolandbau der Grundsatz der Gentechnikfreiheit weiter Anwendung findet.
Ich muss an dieser Stelle aber auch klar und deutlich sagen: Die EU-Kommission hat nicht die Absicht, die bisherigen Grundsätze zu verändern. Die Bundesregierung
wird aber bei dem Verfahren, das ich gerade geschildert
habe, im Regelungsausschuss darauf achten, dass die
bisherigen Standards im Ökolandbau weiter aufrechterhalten werden und dass es somit nicht zu einer Änderung
dieser Standards kommt.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Die Fragen hätte der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt beantwortet. Die Frage 5 der Kollegin Lötzsch und die Frage des
Kollegen Gehrcke werden jedoch schriftlich beantwortet. Damit schließe ich diesen Geschäftsbereich.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Die
Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär
Achim Großmann.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter
auf:
Welche Erkenntnisse belegen die Aussage „Ortsumgehungen sind also per se Lärm entlastende Maßnahmen für viele
Bürger“ des Bundesministers für Verkehr, Bau und StadtentVizepräsidentin Petra Pau
wicklung im Nationalen Verkehrslärmschutzpaket „Lärm vermeiden - vor Lärm schützen“, wo doch Ortsumgehungen in
der Regel bisher verkehrslärmfreie Gebiete durchschneiden
und die Erreichung der Relevanzschwelle von 3 Dezibel
- ab hier können die Anwohner der bisherigen Ortsdurchfahrt
eine Lärmentlastung hören - eine 50-prozentige Verkehrsverlagerung voraussetzt, die durch die meisten Ortsumfahrungen
nicht erreicht wird, und wie quantifiziert die Bundesregierung
monetär den laut Nationalem Verkehrslärmschutzpaket im
Vergleich zu Kommunal- und Landesstraßen nur noch vergleichsweise geringen Lärmsanierungsbedarf an Bundesfernstraßen?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege
Dr. Hofreiter, beim Neubau von Ortsumgehungen werden die Ortsdurchfahrten zu einem sehr hohen Anteil
vom Durchgangsverkehr befreit. Auch wenn Quell- und
Zielverkehr auf der Ortsdurchfahrt verbleiben, sind
Ortsumgehungen bei entsprechend starkem Durchgangsverkehrsanteil durchaus in der Lage, Entlastungen von
über 50 Prozent des durchschnittlichen täglichen Verkehrs zu bewirken. Ein Wegfall des übergeordneten Verkehrs bedingt insbesondere nachts eine deutliche Verbesserung der Lärmbelastung, weil der Anteil des
ortsbezogenen Verkehrs gegenüber dem Fernverkehr
überproportional stark abnimmt. Zudem zeigt eine Studie des Umweltbundesamtes auf, dass auch eine Lärmentlastung von weniger als 3 Dezibel von den Anwohnern als Verbesserung der Situation wahrgenommen
wird.
Es ist zutreffend, dass durch Ortsumgehungen teilweise Verkehr durch bisher wenig verlärmte Gebiete
fließt. Allerdings wird bereits gemäß § 50 des BundesImmissionsschutzgesetzes bei der Planung darauf geachtet, dass schutzwürdige Nutzungen möglichst gering
durch Lärm belastet werden. Daneben gelten für den
Neubau von Ortsumgehungen die Vorsorgegrenzwerte
der Verkehrslärmschutzverordnung nach der 16. BImSchV.
Daraus resultiert, dass Anlieger einer neuen Straße erheblich besser vor Lärm geschützt sind als solche an einer Ortsdurchfahrt, an der häufig nicht einmal Schutz
durch Lärmsanierungsmaßnahmen besteht.
Für Lärmsanierungsmaßnahmen hat der Bund
seit 1978 rund 750 Millionen Euro ausgegeben. Theoretisch besteht nach einem Gutachten aus dem Jahr 2004
noch ein Bedarf für Lärmsanierungsmaßnahmen in einer
Größenordnung von etwa 500 Millionen Euro. Sehr
hohe Lärmbelastungen wurden aber zunehmend abgebaut. Die vorhandenen Überschreitungen der Auslösewerte für Sanierungen bewegen sich jetzt nur noch maximal bei 1 bis 2 Dezibel. Das heißt, dort, wo die höchsten
Lärmüberschreitungen waren, konnten wir die Maßnahmen bereits erfolgreich abschließen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die umfangreiche Beantwortung. Ich habe eine Nachfrage: Bei welchem Anteil der im letzten Jahr in Betrieb gegangenen
Ortsumgehungsstraßen sind denn diese 50 Prozent erreicht worden?
Das kann ich Ihnen aus dem Kopf leider nicht sagen.
Hierzu müssten wir eine Übersicht erstellen, welche
Straßen freigegeben worden sind. Ich kann Ihnen aus der
Erinnerung zumindestens sagen, da ich bei sehr vielen
Freigaben persönlich anwesend war und die entsprechenden Reden gehalten habe, dass das aus meiner Sicht
ein sehr großer Anteil war. Wir sind gerne bereit, dies
zusammenzustellen.
Eine zweite Frage? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Frage 8 des Kollege Hofreiter:
Welche Gründe sind dafür maßgebend, dass das Eisenbahn-Bundesamt Planunterlagen laufender Planfeststellungsverfahren, die für potenziell Verfahrensbetroffene von hohem
Nutzen wären und problemlos, da elektronisch vorhanden, ins
Internet gestellt werden könnten, nicht generell ins Internet
stellt, und kann sich die Bundesregierung vorstellen, auch bei
der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes Planunterlagen laufender Planfeststellungsverfahren im Internet zur
Verfügung zu stellen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Einstellung von Planunterlagen laufender Planfeststellungsverfahren durch das Eisenbahn-Bundesamt
in das Internet kommt deshalb nicht in Betracht, weil die
Unterlagen in der Regel gar nicht in digitaler Form vorliegen, sondern in Papierform bearbeitet werden. Eine
Umsetzung wäre insbesondere im Hinblick auf die großformatigen technischen Planunterlagen mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden.
Eine Einstellung der Planungsunterlagen durch die
Wasser- und Schifffahrtsdirektionen, also die WSDen,
kann zum Beispiel im Rahmen ihrer Funktion als Anhörungsbehörde erfolgen. Bei eisenbahnrechtlichen Planfeststellungen obliegt diese Funktion den zuständigen
Landesbehörden, auf deren Verwaltungspraxis der Bund
keinen Einfluss hat.
Auch bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung
wird die Einstellung von Planunterlagen ins Internet lediglich von denjenigen Direktionen praktiziert, die über
die Voraussetzungen für die Handhabung digitaler Antragsunterlagen verfügen. Dies sind die WSDen Nord,
Nordwest und Süd.
Eine Veröffentlichung von Planfeststellungsunterlagen kann lediglich als ergänzende Serviceleistung parallel zur förmlichen Offenlage der Pläne im Rahmen des
Anhörungsverfahrens in Betracht kommen. Dieser Verfahrensteil wird bei eisenbahnrechtlichen Planfeststellungen von den zuständigen Landesbehörden durchgeführt. Die zielgerichtete Beteiligung gegenüber den
Betroffenen wie auch der geregelte Rücklauf der Ein8462
wendungen und Stellungnahmen kann nur durch das
förmliche Anhörungsverfahren sichergestellt werden.
Sie haben die Möglichkeit zu Nachfragen. - Wie ich
sehe, verzichten Sie auf Nachfragen. Dann danke ich
dem Herrn Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die Fragen beantwortet die Parlamentarische
Staatssekretärin Astrid Klug.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Hans-Josef Fell auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung mit welchem Erfolg ergriffen, um sicherzustellen, dass die Sicherheitskultur der Firma Vattenfall als Atomkraftwerksbetreiber
in Deutschland höher ist als in Schweden?
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr
Kollege Fell, Ihre Frage nach der Sicherheitskultur Vattenfalls als Atomkraftwerksbetreiber beantworte ich wie
folgt: Die Sicherheitskultur in einem Atomkraftwerk
umfasst die Gesamtheit der Eigenschaften und Verhaltensweisen innerhalb des Unternehmens und der einzelnen Mitarbeiter, die dazu dienen, dass die nukleare
Sicherheit als eine übergeordnete Priorität die Aufmerksamkeit erhält. Die Sicherheitskultur kann bisher nicht
wissenschaftlich fundiert gemessen werden. Ein Vergleich zwischen einem Anlagebetreiber in Schweden
und einem in Deutschland ist daher nicht möglich.
Eine hohe Sicherheitskultur in ihren Unternehmen sicherzustellen, ist in erster Linie die Aufgabe der Betreiber von Atomkraftwerken. Ein Mittel zur Förderung der
Sicherheitskultur in einer Organisation ist die Einführung eines Sicherheitsmanagementsystems. Das
Bundesumweltministerium hat die Einführung von Sicherheitsmanagementsystemen in deutschen Atomkraftwerken - unter anderem ausgehend von den Ereignissen
im Kernkraftwerk Philippsburg im Jahr 2001 - gefordert
und im Jahr 2004 grundlegende regulatorische Anforderungen an derartige Systeme veröffentlicht. Sicherheitsmanagementsysteme werden zurzeit in allen deutschen
Atomkraftwerken eingeführt. Die Aufsichtsbehörden
überprüfen den Stand der Implementierung.
Wenn in Einzelfällen Hinweise auf Mängel der Sicherheitskultur in einem deutschen Atomkraftwerk vorlagen, hat sich die Bundesatomaufsicht in der Vergangenheit - selbstverständlich - mehrfach eingeschaltet
und auf eine fundierte Analyse der Ursachen sowie auf
wirksame Abhilfemaßnahmen hingewirkt. Diese Vorgehensweise wird, soweit notwendig, natürlich auch in Zukunft beibehalten.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Meine Frage
bezog sich sehr konkret auf den Betreiber Vattenfall. Sie
wissen, dass der Betreiber selbst einen internen Bericht
vorgelegt hat, in dem der Verfall der Sicherheitskultur in
dem Reaktor Forsmark dargestellt wird, und zwar anhand von verschiedensten Beispielen, etwa dem Nichtbefolgen von Vorschriften und vielem anderen. Wenn
Sie nun sagen, man könne die Sicherheitskultur nicht
messen, so frage ich Sie, warum der Betreiber Vattenfall
dies in einem eigenen Reaktor offensichtlich messen
kann. Der Betreiber hat sehr viele Details zusammengetragen, in einem Bericht zusammengefasst und ist dann
zu der eben angesprochenen Erkenntnis gekommen.
Wäre es nicht notwendig, das Gleiche auch in Deutschland bezüglich dieses Betreibers zu tun?
In dem schwedischen Atomkraftwerk Forsmark ist es
tatsächlich zu Vorkommnissen gekommen, die Vattenfall
als Betreiber in einem Bericht dargestellt hat. Unmittelbar nach Bekanntwerden dieses Berichts hat das Bundesumweltministerium Kontakt mit der schwedischen
Atomaufsichtsbehörde aufgenommen, um zu ermitteln,
ob der Bericht Anhaltspunkte dafür bietet, dass wir in
deutschen Atomkraftwerken aktiv werden müssen. Es
haben sich keine konkreten Anhaltspunkte ergeben. Der
Bericht, der von dem schwedischen Atomkraftwerksbetreiber vorgelegt wurde, wird aber auch den Landesaufsichtsbehörden hier in Deutschland zur Verfügung gestellt, um zu überprüfen, ob es Ansatzpunkte gibt, die
dazu veranlassen, in den deutschen Atomkraftwerken
aktiv zu werden und dort nachzuhaken.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, ich halte es nicht für angemessen, die schwedische Aufsichtsbehörde SKI zu fragen,
ob es denn für den Betrieb eines deutschen Kraftwerks
Gesichtspunkte in Bezug auf den Verfall der Sicherheitskultur gibt. Dass Sie von dort keine Anhaltspunkte bekommen, ist doch eigentlich selbstredend. Insofern ist
die Frage zu stellen, ob Sie diese Frage den deutschen
Aufsichtsbehörden und dem Betreiber in Deutschland
vorgelegt haben.
Die Bundesaufsicht kann dann aktiv werden, wenn es
konkrete Anhaltspunkte für Fehlverhalten oder Mängel
in der Sicherheitskultur in deutschen Atomkraftwerken
gibt. Solche konkreten Anhaltspunkte liegen nicht vor.
Um aber Sicherheitsmängel, vor allem in Fragen der Sicherheitskultur, in der Zukunft weitestmöglich auszuschließen, werden derzeit in deutschen Atomkraftwerken die Sicherheitsmanagementsysteme eingeführt, die
ich eben erwähnt habe.
Danke, Frau Staatssekretärin.
Vizepräsidentin Petra Pau
Wir kommen damit zur Frage 10 des Kollegen Fell:
Hat die Bundesregierung einen unabhängigen Untersuchungsbericht über die Sicherheitskultur der Firma Vattenfall
als Atomkraftwerksbetreiber in Deutschland angefragt, oder
beabsichtigt sie, dies zu tun?
Bitte.
Es geht in der Frage um das gleiche Thema. Ich antworte wie folgt:
Der von Ihnen eben schon erwähnte, Ende Januar in
Schweden öffentlich gewordene interne Bericht des Betreibers des dortigen Atomkraftwerks Forsmark kritisiert
massiv einen Verfall der Sicherheitskultur beim Betreiber der drei Kraftwerksblöcke in Forsmark, der zum
schwedischen Vattenfall-Konzern zugehörigen Forsmark
Kraftgrupp AB. In diesem Bericht wird ein Vorrang von
ökonomischen Interessen vor Sicherheitsinteressen angenommen.
Die Bundesregierung prüft diesen Bericht unter Berücksichtigung der Bewertung der schwedischen Atomaufsicht. Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Prüfung wird zu entscheiden sein, ob und, wenn ja,
inwiefern Maßnahmen für die von Vattenfall Europe
Nuclear Energy GmbH in Deutschland durch Tochterunternehmen betriebenen Kernkraftwerke Brunsbüttel und
Krümmel oder andere in Deutschland betriebene Atomkraftwerke erforderlich sind.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade selbst gesagt,
dass kaum Hinweise auf die Unzuverlässigkeit des Betreibers Vattenfall in Deutschland vorliegen. Dies war
genau der Sachverhalt, den wir in Forsmark immer wieder gehört haben. Selbst nach dem Unfall hieß es sowohl
von der schwedischen Reaktorsicherheitskommission als
auch von Vattenfall selbst, es sei alles in Ordnung, es
seien keine Fehler gemacht worden.
Erschreckend ist, nachher zu erkennen, dass in dem
internen Bericht das glatte Gegenteil dargelegt wird. Insofern ist es notwendig, denke ich, dass die Bundesregierung einen unabhängigen Bericht in Auftrag gibt, um zu
überprüfen, ob das gleiche Verhalten des Betreibers Vattenfall nicht auch in Deutschland an den Tag gelegt wird.
Sie haben keine Aussage dazu gemacht, ob Sie beabsichtigen, einen unabhängigen Bericht zur Überprüfung
solch unglaublicher Vorgänge auch in deutschen Kraftwerken in Auftrag zu geben.
Herr Kollege Fell, das ist Aufgabe der Landesaufsichtsbehörden, die wir über die Vorfälle in Schweden
informieren und die am Ende zu entscheiden haben, ob
sie daraus den Schluss ziehen, dass sie gegenüber den
Atomkraftwerken, für die sie die Zuständigkeit und über
die sie die Aufsicht haben, tätig werden müssen.
Sie haben die Möglichkeit zu einer weiteren Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, mir ist sehr bewusst, dass die
Landesbehörden hier die Aufsichtshoheit haben. Allerdings: Wenn sich Hinweise darauf ergeben, dass man
weiter gehende Überprüfungen vornehmen müsste, dann
müsste die Bundesaufsicht zuständig sein und auch aktiv
werden. Dies ist nach unserer Beobachtung mit der
Kombination der beiden Sachverhalte sehr wohl der
Fall. Auf der einen Seite sind die Unzuverlässigkeit und
der Verfall der Sicherheitskultur des Betreibers Vattenfall in Forsmark nachgewiesen. Auf der anderen Seite
bestehen sehr viele Fragen bezüglich der Nichtabarbeitung der Sicherheitsmängelliste im Kraftwerk Brunsbüttel; da sind die Landesbehörden seit Jahren offensichtlich nicht im notwendigen Maße tätig. Wäre das nicht
Anlass genug, um die Bundesaufsicht dazu zu bringen,
den Betreiber Vattenfall endlich daraufhin zu überprüfen, ob es auch in Deutschland diese Sicherheitsmängel
und den Verfall der Sicherheitskultur gibt?
Herr Kollege Fell, Sie wissen, dass es eine „Mängelliste“ aus der Sicherheitsüberprüfung im Atomkraftwerk
Brunsbüttel gibt. Sie wird von der Aufsichtsbehörde in
Schleswig-Holstein geprüft.
Das Problem, das Sie beschreiben, ist ein Problem,
das auch wir natürlich erkannt haben, nämlich dass gerade in Fragen der Sicherheitskultur in deutschen Atomkraftwerken höchste Standards angewandt werden
müssen. Deshalb führen wir die Sicherheitsmanagementsysteme in deutschen Atomkraftwerken ein. Auch
für die Implementierung dort ist - ich wiederhole mich die jeweilige Landesaufsichtsbehörde zuständig. Das ist
das richtige Instrument, um einen möglichst hohen Standard in der Sicherheitskultur zu gewährleisten, wobei
wir natürlich wissen, dass Menschen nie frei von Fehlern
sind, auch nicht in Atomkraftwerken. Das war einmal
mit ein Grund dafür, dass es den Atomausstiegsbeschluss einer deutschen Bundesregierung gab.
Danke, Frau Staatssekretärin.
Wir sind damit am Ende Ihres Geschäftsbereichs.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf. Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Andreas
Storm.
Ich rufe Frage 11 der Kollegin Hirsch, Fraktion Die
Linke, auf:
Welche Inhalte sind in dem Bericht des UN-Menschenrechtsinspektors Vernor Muñoz über das deutsche Bildungs8464
Vizepräsidentin Petra Pau
system, der der Bundesregierung laut Medienberichten vorliegt, aus ihrer Sicht falsch dargestellt, und welche
Korrekturen möchte die Bundesregierung vor der Veröffentlichung des Berichtes durchsetzen?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Frage der Abgeordneten Hirsch beantworte ich wie folgt: Der UNOSonderberichterstatter für das Recht auf Bildung, Professor Vernor Muñoz, hat im Februar 2006 im Rahmen seines Mandates Deutschland besucht. Über diesen Besuch
wird er einen Bericht erstellen, der regulär am 21. März
auf der 4. Sitzung des Menschenrechtsrats in Genf vorgestellt wird. Vor dieser Veröffentlichung hat Herr
Muñoz einen Entwurf des Berichtes an das Auswärtige
Amt übersandt, um der Bundesregierung die Möglichkeit zu geben, sachliche Richtigstellungen anzuregen.
Dieser Bitte ist die Bundesregierung in Abstimmung mit
der Kultusministerkonferenz nachgekommen.
Inwieweit die Kommentierung vom 7. Februar 2007
in den Bericht Eingang gefunden hat, ist der Bundesregierung noch nicht bekannt. Der endgültige Bericht liegt
noch nicht vor. Die Bundesregierung beabsichtigt, in
Abstimmung mit der Kultusministerkonferenz eine Stellungnahme zum endgültigen Bericht zu erarbeiten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke schön. - Herr Staatssekretär, meine erste
Nachfrage ist, aus welchem Grund die Bundesregierung
darauf verzichtet, diesen Vorabbericht, den Vernor
Muñoz ja vorgelegt hat und der in der Presse und anderen Medien ja doch ziemlich stark reflektiert wurde, zu
veröffentlichen. Dadurch könnte vielleicht der Öffentlichkeit selber die Möglichkeit gegeben werden, sich
eine eigene Meinung über das, was in dem Bericht steht,
zu bilden und entsprechend zu positionieren.
({0})
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung verzichtet
darauf, weil dieses kein übliches Verfahren ist. Es geht
bei einer Vorabübersendung darum, der jeweiligen nationalen Regierung Gelegenheit zu geben, dem Sonderberichterstatter Hinweise auf mögliche sachliche Unstimmigkeiten zu geben. Es liegt natürlich im Benehmen des
Sonderberichterstatters, ob er diese Hinweise aufnimmt.
Das ist ein international übliches Konsultationsverfahren. Stellung nehmen wird die Bundesregierung dann
zum offiziellen Bericht.
Haben Sie eine zweite Nachfrage, Frau Kollegin?
Ja, danke schön. - Meine zweite Nachfrage bezieht
sich darauf, dass ich es eigentlich nicht gewohnt bin,
dass in der Presse schon vorab berichtet und beispielsweise auch von offiziellen Gremien wie der KMK und
dem BMBF in der Form Stellung bezogen wird, dass in
dem Bericht, der vorgelegt wird, Falschaussagen getroffen worden seien oder Ähnliches. Stimmen Sie mir zu,
dass das in der Öffentlichkeit mehr oder weniger wie
eine Infragestellung der Kompetenz und Legitimation
des UN-Sonderberichterstatters aufgefasst werden
könnte? Falls nicht, wie positionieren Sie sich dann zu
diesem Punkt?
Nein, Frau Abgeordnete. Ich darf noch einmal auf
meine vorherige Antwort verweisen. Es ist ein international übliches Verfahren, dass ein solcher Berichtsentwurf zunächst einmal der nationalen Regierung zugeleitet und ihr die Möglichkeit gegeben wird, Stellung zu
nehmen. Ich will Ihnen das einmal an wenigen Beispielen deutlich machen: Es ist beispielsweise nicht zutreffend, dass, wie es im Vorentwurf hieß, die Hauptschule
meistens mit der Grundschule verbunden sei oder dass es
in jedem Bundesland alle aufgelisteten Schularten gebe.
Wir haben ja in einigen Ländern keine Hauptschule, in
anderen keine Gesamtschule. Auch die Darstellung, Beurteilung und Einordnung der Privatschulen in unser
Schulsystem als eine Sonderform trifft nicht zu. Vielmehr sind die Privatschulen in der Regel den einzelnen
Schularten zuzuordnen und stellen insofern eine Ergänzung dar. Ähnliche Korrekturwünsche betrafen beispielsweise die Einordnung des Systems der beruflichen
Bildung oder die Bewertung der Sprachkompetenzen
von Migranten. In welcher Weise der Sonderberichterstatter dieses möglicherweise berücksichtigen wird,
werden wir bei Vorlage des Berichtes sehen. Selbstverständlich wird die Bundesregierung dann auch die Debatte um diesen Bericht führen.
Frau Kollegin Dağdelen, bitte.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich habe eine konkrete Nachfrage zu der Stellungnahme; Sie haben das eben zum Teil schon vorweggenommen. Wir nehmen zur Kenntnis, dass das ein international übliches Verfahren ist. Da Sie bei diesem
Verfahren um Stellungnahme zu dem Entwurf von Herrn
Professor Muñoz gebeten worden sind, interessiert mich
jedoch, zu welchen inhaltlichen Themenkomplexen - es
geht mir nicht um sachliche Hinweise technischer Art,
zum Beispiel dass es in einigen Bundesländern in
Deutschland Hauptschulen gibt und in anderen vielleicht
nicht - Sie Stellung genommen haben. Ganz besonders
interessieren mich hierbei die beruflichen Erfolge, vor
allen Dingen die Bildungserfolge von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund; denn Herr
Muñoz war ja zum Beispiel auch in Berlin und in
Nordrhein-Westfalen, in Köln, und hat sich besonders
Schulen angeschaut, die einen großen Anteil an Kindern
und Jugendlichen mit Migrationshintergrund haben, und
speziell deren Probleme im Bildungsbereich verfolgt.
Der Sonderberichterstatter hat eine ganze Reihe von
Punkten angesprochen, die die Situation der Migrantinnen und Migranten betreffen. Bezüglich seiner in der ursprünglichen Bewertung dargelegten Auffassung, dass
die Einstufung der Schüler am Ende der Grundschulzeit
im Hinblick auf ihren weiteren schulischen Weg in erster
Linie von der Beherrschung der deutschen Sprache abhängig sei und sich dies diskriminierend auf Schüler ausländischer Herkunft auswirke, hat die Bundesregierung
gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz in der Stellungnahme zum einen darauf hingewiesen, dass dies bei
weitem nicht das einzige Kriterium ist, sondern vielfältige Lern- und Leistungsergebnisse hier eine entscheidende Rolle spielen, und zum anderen darauf, dass es in
der bildungspolitischen Debatte in unserem Land einen
sehr großen Konsens dahin gehend gibt, dass deutsche
Sprachkenntnisse eine wesentliche Voraussetzung für einen bildungspolitischen Erfolg sind.
Dies zeigt am Beispiel der Situation der Migranten,
wie der Konsultationsprozess verlaufen ist. Wir werden
sicherlich nach Vorlage des Berichtes von Herrn Professor Muñoz die Gelegenheit haben, diese Dinge zu diskutieren.
Ich rufe nun die Frage 12 der Kollegin Cornelia
Hirsch auf:
Wie begründet die Bundesregierung die Tatsache, dass sie
in diesem Jahr angesichts einer - laut ihren Aussagen - „nach
wie vor angespannten Haushaltslage“ im sechsten Jahr in
Folge auf eine Anhebung der Bedarfssätze und Freibeträge
beim BAföG verzichten will, aber zugleich eine Unternehmensteuerreform beschlossen hat, mit der sie auf Einnahmen
in Milliardenhöhe verzichtet?
Frau Abgeordnete Hirsch, die Bundesregierung hat
bereits in ihrem 17. Bericht nach § 35 des BAföG erklärt, dass vor dem Hintergrund der noch immer angespannten finanzpolitischen Situation eine Anpassung der
Bedarfssätze, Freibeträge, Vomhundertsätze und Höchstbeträge derzeit nicht erfolgen kann. In diesem Bericht
wurde aber gleichzeitig angekündigt, dass die Bundesregierung die Tragfähigkeit dieser genannten Bewertung
fortlaufend beobachten und erforderlichenfalls auch unabhängig von der Vorlage des nächsten Berichts mit geeigneten Vorschlägen reagieren wird.
Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin?
Ja, ich habe eine Nachfrage, weil das im Prinzip noch
nicht die Antwort auf meine eigentlich gestellte Frage
war. Meine Frage war, inwieweit Sie die geringe Prioritätensetzung in Bezug auf das BAföG begründen können. Die Stellungnahme des BAföG-Beirates in dem von
Ihnen erwähnten Bericht sagt eigentlich ganz klar, dass
in diesem Jahr eine Anpassung der Freibeträge und Bedarfssätze um rund 10 Prozent erforderlich wäre; Sie
aber verzichten auf diese Anpassung. Entstehen würden
dabei Kosten in Höhe von ungefähr 600 Millionen Euro.
Das klingt zunächst sehr viel. Andererseits wird aber
- darauf bin ich in meiner Fragestellung eingegangen eine Unternehmensteuerreform beschlossen, durch die
Einnahmen in Milliardenhöhe verloren gehen. Da ist unsere Frage dann schon, wie man einerseits von einer angespannten Haushaltslage reden und nicht einmal diese
- in Anführungszeichen - „nur“ 600 Millionen Euro zur
Verfügung stellen kann, auf der anderen Seite aber eine
Unternehmensteuerreform auf den Weg bringt, die
8 Milliarden Euro - in einer Hochrechnung ist sogar von
10 Milliarden Euro die Rede - kostet. Das passt irgendwie nicht zusammen. Dazu wünsche ich mir schon eine
etwas ausführlichere Begründung von Ihnen.
Frau Abgeordnete Hirsch, zum einen sind die Bewertungen, die Sie mit Blick auf die Bedeutung des BAföG
für die Bundesregierung angestellt haben, nicht richtig.
Das BAföG hat für die Bundesregierung in der Tat eine
hohe Priorität. Das kommt unter anderem dadurch zum
Ausdruck, dass wir im Februar im Bundeskabinett eine
BAföG-Novelle mit strukturellen Änderungen und Verbesserungen auf den Weg gebracht haben.
Zum anderen muss man sagen, dass die von Ihnen angesprochene Unternehmensteuerreform einen wesentlichen Beitrag dazu liefert, Wachstum und Beschäftigung
zu stärken. Wenn dieses gelingt - davon bin ich überzeugt -, dann ist die Möglichkeit höherer Steuereinnahmen gegeben. Damit ist in den öffentlichen Haushalten
von Bund und Ländern der Spielraum für eine BAföGAnpassung - entsprechende Voraussetzungen habe ich in
der Antwort zu Ihrer ersten Frage angesprochen - vorhanden.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ja, Frau Präsidentin. - In Ihrer Antwort ist mir nicht
klar geworden, wie Sie „Wachstum und Stärkung der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“ erreichen wollen,
wenn Sie den jungen Menschen, die ein Interesse an einem Hochschulstudium haben, mit Ihren politischen
Maßnahmen den Weg dorthin versperren.
In diesem Zusammenhang möchte ich dem widersprechen, was Sie gerade dargestellt haben. Sie haben
davon gesprochen, dass Sie strukturelle Maßnahmen auf
den Weg bringen. Können Sie mir einmal sagen, was
Sevim DaðdelenSevim Dağdelen
diese strukturellen Maßnahmen den Jugendlichen bringen sollen, wenn sie nicht gleichzeitig mit materiellen
Anpassungen verbunden sind? Strukturelle Maßnahmen
bringen herzlich wenig, wenn nicht gleichzeitig die Freibeträge angepasst werden, sodass die Jugendlichen in
den Genuss eines Förderanspruchs kommen können.
Frau Abgeordnete Hirsch, ich darf Sie auf den vorgelegten BAföG-Bericht verweisen, der deutlich macht,
dass die Entwicklung beim BAföG in den letzten Jahren
sehr erfolgreich gewesen ist. Das kommt unter anderem
dadurch zum Ausdruck, dass die Zahl der Geförderten
- das gilt für das BAföG für die Studierenden und für die
Schüler - im Zeitraum von 2003 bis 2005 um fast 8 Prozent gestiegen ist. Wir haben bei der Quote der Geförderten die Marke von 25 Prozent erreicht.
Bei der schon angesprochenen BAföG-Novelle leisten wir einen weiteren Beitrag, mit dem es den Jugendlichen erleichtert wird, zum Studium und zur Familie Ja
zu sagen, indem wir beabsichtigen, einen Kinderzuschlag beim BAföG in der Größenordnung von 113 Euro
pro Monat einzuführen.
Im Übrigen darf ich noch auf Folgendes hinweisen:
Die Bundesregierung hat sehr deutlich gemacht hat, dass
für den Fall, dass die Gesamtentwicklung von Wirtschaft
und Haushaltslage eine Neubewertung möglich macht,
möglicherweise noch vor Ablauf des regulären Berichtszeitraums weitere Maßnahmen denkbar wären.
Für eine Nachfrage gebe ich der Kollegin Dağdelen
das Wort.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, warum ist Ihrer
Meinung nach die Gefördertenquote gesunken?
Frau Abgeordnete, die Gefördertenquote liegt in der
Größenordnung von über 25 Prozent. Es gibt einen deutlichen Anstieg der Zahl der Geförderten insgesamt.
Denn die Zahl der geförderten Studierenden ist von
326 000 auf 345 000 und die Zahl der geförderten Schüler um 20 000 auf 199 000. Die absolute Zahl der Geförderten hat sich also im Vergleich zum letzten BAföGBericht erhöht.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Für die Beantwortung der
Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Frau
Dr. Barbara Hendricks zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Christine Scheel
auf:
Teilt die Bundesregierung die auch von Teilen der Fraktion der CDU/CSU geäußerte Auffassung, dass mit der von
der Bundesregierung geplanten drastischen Einschränkung
der Sofortabschreibungen auf geringwertige Wirtschaftsgüter
erheblicher bürokratischer Aufwand für die Unternehmen verbunden ist, und sieht die Bundesregierung in der im Ausland
üblichen sogenannten Poolabschreibung gleichartiger Wirtschaftsgüter einen gangbaren Weg, um diesen bürokratischen
Mehraufwand zu begrenzen?
Liebe Kollegin Scheel, der Bundesregierung ist bekannt, dass die geplanten Einschränkungen bei den Sofortabschreibungen auf geringwertige Wirtschaftsgüter
bei den betroffenen Unternehmen zu bürokratischen
Mehrbelastungen führen. Sie prüft daher eine alternative
gesetzliche Regelung, wonach Wirtschaftsgüter mit Anschaffungs- oder Herstellungskosten bis zu einer bestimmten Höhe in einem Sammelposten zusammenzufassen und pauschal abzuschreiben sind. Das ist die so
genannte Poolabschreibung.
Frau Kollegin, Ihre erste Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, die Diskussionen um die Unternehmensteuerreform und deren Feinheiten sind schon
sehr weit fortgeschritten; es wird demnächst eine Vorlage für das Kabinett geben. Auch aus Ihren Kreisen,
aber vor allen Dingen aus den Kreisen der Union gibt es
die, wie ich finde, berechtigte Forderung, zu einer Poollösung zu kommen; Sie haben diese ja gerade angesprochen. Diese Poollösung gibt es auch in anderen Ländern
auf der Welt, also auch in europäischen Zusammenhängen. Welcher Wert wäre denn Ihrer Meinung nach für die
Wirtschaft sinnvoll? In welcher Größenordnung in etwa
bewegen Sie sich in Ihrer internen Diskussion?
Die Überlegungen sind selbstverständlich noch nicht
abgeschlossen; denn wir befinden uns ja gerade auf dem
Weg zu einem Kabinettsbeschluss bzw. zu einem Entwurf. Erst danach werden die parlamentarischen Beratungen beginnen.
Nach den derzeitigen Überlegungen sollen betrieblich
genutzte Wirtschaftsgüter mit Anschaffungs- oder Herstellungskosten von bis zu 100 Euro sofort als Betriebsausgaben abgezogen werden können. Wirtschaftsgüter mit Anschaffungs- oder Herstellungskosten von
bis zu 1 000 Euro sollen zusammengefasst und über fünf
Wirtschaftsjahre abgeschrieben werden.
Eine weitere Nachfrage.
Ich habe eine weitere Nachfrage, Frau Staatssekretärin. Es gibt die berechtigte Forderung, zu sagen: Der Tarif muss von der Größenordnung her international verChristine Scheel
nünftig sein. Gleichzeitig muss es eine sogenannte
Gegenfinanzierung geben, um die Steuerausfälle einigermaßen gering zu halten, damit die Planung in Bezug auf
die Haushalte der nächsten Jahre vernünftig gestaltet
werden kann. In der Gegenfinanzierung sind Elemente
vorgesehen, die vor allen Dingen kleinen und mittelständischen Unternehmen zugutekommen sollen, zum Beispiel die sogenannte Thesaurierungsrücklage, die wohl
vorwiegend für Mittelständler interessant sein soll, und
Veränderungen bei der Ansparabschreibung im Hinblick
auf kleine Unternehmen.
Ich höre jetzt aus Wirtschaftskreisen, vom Deutschen
Industrie- und Handelskammertag und auch aus anderen
wirtschaftlichen Zusammenhängen, dass beide Maßnahmen wohl bei weitem nicht so in Anspruch genommen
werden würden, wie das geplant sei, weil sie aufgrund
deren Ausgestaltung nicht interessant seien. Wie können
Sie kleinen und mittelständischen Personengesellschaften gegenüber vertreten, dass die Körperschaftsteuersätze auf 15 Prozent gesenkt werden, die Gegenfinanzierung aber letztendlich vorwiegend von kleinen und
mittelständischen Unternehmen in der Rechtsform Personengesellschaft aufgebracht werden soll, ohne dass sie
etwas von der Tarifsenkung haben, da sie die Vorschläge, die Sie unterbreitet haben, nicht oder wenig in
Anspruch nehmen werden, weil sie der Meinung sind,
dass ihnen das nichts bringt?
Frau Kollegin Scheel, sollten im Einzelfall Unternehmen der Auffassung sein, dass diese Vorschläge für sie
nicht zielführend oder nicht zweckmäßig seien, so werden sie sich in dieser Weise entscheiden.
Sie sollten sich aber zwei Größenordnungen vor Augen führen. Wir gehen jetzt einmal von Personengesellschaften von unterschiedlicher Ertragsstärke aus. Es ist
ja so - das ist Ihnen nicht neu; aber das sollte man hier in
diesem Hause in Erinnerung rufen -, dass wir bei Personengesellschaftern nach der Einkommensteuer besteuern. Nach einem Freibetrag wird, wie das auch bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Fall ist, eine
progressiv ansteigende Besteuerung vorgenommen. Nun
haben wir für die ertragsstärkeren Unternehmen, für diejenigen Unternehmen, die aufgrund ihrer Ertragsstärke
jenseits einer steuerlichen Durchschnittsbelastung von
30 Prozent liegen und damit schlechter behandelt würden als zukünftig die Kapitalgesellschaften, vorgesehen,
dass sie die Thesaurierungsbegünstigung wählen können, damit ihre durchschnittliche Besteuerung nicht höher wird als die der Kapitalgesellschaften. Sie müssen
bei den Kapitalgesellschaften ja die Körperschaftsteuer
und die Gewerbesteuer zusammenrechnen. Hier sehen
wir einen Satz von insgesamt knapp 30 Prozent vor.
Naturgemäß können es nur die ertragsstarken Unternehmen sein, die überhaupt in den Bereich dieser durchschnittlichen Steuerbelastung hineinwachsen können.
Nur etwa 5 Prozent aller Personengesellschaften in der
Bundesrepublik Deutschland gehören zu den großen und
ertragsstarken Personengesellschaften und haben infolgedessen, wenn man das in Relation setzt, zum Beispiel
mehr als 5 Prozent der Beschäftigten. Sie selber kennen
sich im Bereich des Besatzes der Unternehmen in der
Bundesrepublik Deutschland aus. Da fallen uns gleich
große traditionsreiche und auch international aufgestellte
Familienunternehmen ein, die in der Ertragsbesteuerung
nicht anders behandelt werden sollen als Kapitalgesellschaften, die in gleicher Weise national und international
tätig sind und entsprechende Leistungen im Bereich der
Beschäftigung und der Ausbildung erbringen. Aber naturgemäß kann das nur für die interessant sein, die sonst
über 30 Prozent hinauswachsen würden. Das sind eben
95 Prozent der Unternehmen nicht. Diesen bieten wir dagegen eine Verbesserung im Bereich der Ansparabschreibungen an, die sozusagen zielgenau als zusätzliches Incentive ausgerichtet ist, wenn man das so sagen
darf.
Ich darf im Übrigen daran erinnern, Frau Kollegin
Scheel - wir haben ja die Steuerpolitik von 1998 bis zum
Ende des Jahres 2005 gemeinsam gestaltet -, dass wir
nun gerade durch die Absenkung der Einkommensteuer
mit dem Eingangssteuersatz von 15 Prozent, den wir im
Jahr 1998 noch bei 26 Prozent vorgefunden haben, die
Entlastungen für nicht so ertragsstarke Personenunternehmen eigentlich schon längst gewährleistet haben. Da
kann in der Tat nicht mehr viel beim Steuersatz gemacht
werden; denn wir können diese Unternehmen natürlich
nicht anders behandeln als zum Beispiel die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deswegen gibt es das zielgenaue Angebot der Ansparabschreibungen. Dass natürlich Wirtschaftsverbände hier und da mehr Forderungen
stellen und kritische Anmerkungen machen, dürfte uns
als erfahrene Häsinnen der Finanzpolitik nicht überraschen.
({0})
-„Häsinnen“ habe ich gesagt.
({1})
Wir haben das schon richtig verstanden.
({0})
Nun rufe ich die Frage 14 der Kollegin Christine
Scheel auf:
Durch Veränderung welcher Elemente der Unternehmensteuerreform will die Bundesregierung die vom Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück, als Reaktion auf die Kritik
des SPD-Parteirats angekündigte Veränderung der zeitlichen
Verteilung bei der Gegenfinanzierung ({1}) bewerkstelligen, und wie werden diese Veränderungen konkret aussehen?
Die Bundesregierung wird das endgültige Finanztableau für die Unternehmensteuerreform voraussichtlich mit dem Kabinettsentwurf zur Sitzung des Bundes8468
kabinetts voraussichtlich am 14. März, also nächste
Woche, vorlegen. Um die zeitliche Wirkung der Finanzierung vorzuziehen, wird eine Regelung vorgesehen,
nach der bei der Festsetzung der Vorauszahlungen für
das Jahr 2008 die Tarifsenkungen bei der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer nur dann berücksichtigt werden, wenn der Steuerpflichtige auch Sachverhalte erklärt, die die Finanzierung betreffen. Auf diese Weise
werden die voraussichtlichen Steuermindereinnahmen
im ersten und sicherlich auch im zweiten Kassenjahr reduziert. Im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzes 1999/
2000/2002 ist übrigens bereits eine vergleichbare Regelung zu den Einkommensteuervorauszahlungen getroffen worden; ich verweise auf § 37 Abs. 3 Satz 4 Einkommensteuergesetz 2002.
Ihre Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, eine kurze Bemerkung noch
vorab. Sie haben meine These bestätigt, dass viele kleine
und mittelständische Unternehmen die Tarifsenkungen
für die Körperschaften mitfinanzieren.
Nein, Frau Kollegin, das bestätige ich so nicht.
Ich interpretiere Ihre Aussage so; das ist mein gutes
Recht.
Es gibt ja in Teilen der SPD die Überlegung, den Unternehmensteuersatz im Hinblick auf die Auswirkungen
nicht so stark abzusenken. Ich würde Sie einmal bitten,
klar zu sagen: Hält die Bundesregierung an der Tarifsenkung, die Sie in den Entwürfen formuliert haben, fest,
oder ist hier noch mit Änderungen zu rechnen, was die
Tarifgestaltung bei der Körperschaftsteuer anbelangt?
Nein, Frau Kollegin, Änderungen an der Tarifgestaltung sind nicht vorgesehen und nicht beabsichtigt.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Herr Kollege
Dr. Schick.
Frau Staatssekretärin, gibt es Untersuchungen dazu
oder hat die Bundesregierung Untersuchungen dazu gemacht, wie sich die Steuerausfälle auf die verschiedenen
Gruppen - also Großunternehmen, mittelständische Unternehmen und private Haushalte - verteilen? Wenn solche Untersuchungen durchgeführt worden sind, welche
Verteilung der Steuerausfälle auf die verschiedenen
Gruppen ergeben sie denn?
Herr Kollege Schick, die Frage kann ich nicht aus
dem Kopf beantworten. Aber selbstverständlich ist es
richtig, dass, wenn man - im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit der international aufgestellten Unternehmen - auf der einen Seite die Steuersätze deutlich senkt insbesondere im Bereich der Körperschaftsteuer und der
Gewerbesteuer, und zwar zusammengenommen um etwa
9 Prozentpunkte - und zugleich den ertragsstarken Personenunternehmen, so wie ich es eben dargetan habe,
eine vergleichbare Senkung durch die Thesaurierungsbegünstigungen angedeihen lässt, diese natürlich an erster
Stelle davon profitieren werden.
Das sind aber auch diejenigen Unternehmen, die im
internationalen Bereich im Wettbewerb aufgestellt sind.
Unter diesen Unternehmen gibt es allerdings sehr viele,
die sich bisher grenzüberschreitend Finanzierungsinstrumente zunutze gemacht haben, die wir in Zukunft deutlich beschränken werden.
Denn die Zielrichtung dieser Steuerreform ist es ja
nicht, ertragsstarken Unternehmen sozusagen noch größere Gewinne zukommen zu lassen. Die Zielrichtung
dieser Steuerreform ist es vielmehr, Verhaltensänderungen bei solchen Unternehmen herbeizuführen, die es
sich bisher haben angelegen sein lassen, die Besteuerung
möglichst nicht in Deutschland, sondern im Ausland anfallen zu lassen. Das können naturgemäß nur solche Unternehmen sein, die auch international aufgestellt sind.
Das heißt also: Die wesentlichen Gegenfinanzierungsmaßnahmen gehen praktisch zulasten derjenigen
Unternehmen, die auch von der Steuerreform profitieren.
Das ist aber davon abhängig, wie sich der Konzern A
oder der Konzern B bisher aufgestellt hat und welche
Anteile der in Deutschland stattfindenden Wertschöpfung bisher auch in Deutschland versteuert worden sind
oder ob das Unternehmen alle Anstrengungen darauf gerichtet hat, die in Deutschland stattfindende Wertschöpfung möglichst nicht in Deutschland der Besteuerung zu
unterwerfen.
Dies kann bei international tätigen Unternehmen äußerst unterschiedlich sein, auch wenn sie international
vergleichbar aufgestellt sind. Deswegen werden die Gegenfinanzierungsmaßnahmen im Wesentlichen zulasten
des Kreises der begünstigten Unternehmen gehen. Diese
Unternehmen kommen zwar in den Genuss der Tarifsatzsenkung, werden aber möglicherweise trotz des abgesenkten Tarifs in Deutschland mehr Steuern zahlen als
vorher. Genau das ist unsere Zielrichtung.
Wir kommen zur Frage 15 des Kollegen Dr. Gerhard
Schick:
Wie ist die Position der Bundesregierung zum Beschluss
des niederländischen Parlaments, unternehmensinterne Zinszahlungen mit einem effektiven Steuersatz von 5 Prozent zu
besteuern, und wird die Bundesregierung versuchen, über die
Code-of-Conduct-Gruppe der EU die niederländische Regelung zu verhindern?
Herr Kollege Schick, die Bundesregierung hält sich in
dieser Frage zunächst - ich betone: zunächst - und vor
allem im Hinblick auf die deutsche Ratspräsidentschaft
zurück, bis die EU-Kommision die von ihr am
7. Februar 2007 angekündigte beihilferechtliche Prüfung
der niederländischen Steuerreform abgeschlossen haben
wird.
Eine Nachfrage, bitte.
Würden Sie meine Einschätzung teilen, dass das von
den Niederlanden vorgelegte und beschlossene Prinzip
der Besteuerung in Europa eine neue Runde im Steuerwettbewerb in dem Sinne einläuten könnte, dass es einen
erneuten, verschärften Druck auf die Unternehmensteuern in anderen Mitgliedstaaten ausübt und dass es im
Sinne des Code of Conduct eine unfaire Praktik im Steuerwettbewerb darstellt?
Herr Kollege Schick, ich habe gerade die Rücksichtnahme auf die deutsche Ratspräsidentschaft erwähnt. Ich
will mich deswegen heute zurückhalten. Aber ich begrüße es sehr, dass die EU-Komission eine beihilferechtliche Prüfung des niederländischen Steuerrechts angekündigt hat.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.
Wird nach dem Ende der deutschen Ratspräsidentschaft die Frist noch nicht verstrichen sein, innerhalb deren die Bundesregierung in dieser Sache im Rahmen der
Code-of-Conduct-Gruppe tätig werden könnte, oder
wird dann sozusagen der Zug abgefahren sein?
Nein, Herr Kollege, der Zug ist natürlich dann nicht
abgefahren. Wenn die beihilferechtliche Prüfung durch
die Europäische Union zu dem Ergebnis kommen sollte,
dass das niederländische Steuerrecht insoweit nicht mit
dem EU-Recht vereinbar ist, würde so oder so Änderungsbedarf bestehen. Dann müsste das niederländische
Parlament seine Beschlüsse ändern.
Sie kennen das ja. Das ist bei uns auch so. Auch wir
verabschieden manchmal Gesetzesvorschläge vorbehaltlich der beihilferechtlichen Prüfung durch die EU-Kommission.
Deswegen ist zunächst das Ergebnis der beihilferechtlichen Prüfung abzuwarten. In einem weiteren Schritt
könnte man dann immer noch den Code of Conduct einschalten. In dieser Hinsicht gibt es keine Fristen. Es gibt
keine Fristeinrede in dem Sinne, dass man sich im Code
of Conduct nicht mehr um eine steuerrechtliche Maßnahme eines Mitgliedstaates kümmern dürfte, wenn man
es nicht innerhalb einer bestimmten Frist getan hat.
Frau Staatssekretärin, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf. Die Frage 16
der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann und die Frage 17 der
Kollegin Dr. Gesine Lötzsch werden schriftlich beantwortet. Die Fragen 18 und 19 des Kollegen HüseyinKenan Aydin werden aufgrund I Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet.
Damit rufe ich den Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes auf. Für die Beantwortung der Fragen steht der Staatssekretär Dr. Hans
Bernhard Beus zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Dr. Norman Paech
auf:
Hat die Bundesregierung den offenen Brief an die Bundeskanzlerin vom 19. Februar 2007, unterzeichnet von 15 deutschen Wissenschaftlern, darunter dem Soziologen Oskar
Negt, dem Kernphysiker Hans-Peter Dürr und dem Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer, zur Kenntnis genommen,
und, wenn ja, in welcher Form hat sie darauf reagiert oder
plant dies in Zukunft zu tun?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr
Abgeordneter, Ihre Frage zu einem offenen Brief an die
Bundeskanzlerin zum Thema Iran beantworte ich wie
folgt: Die Bundesregierung hat den an die Bundeskanzlerin gerichteten offenen Brief zum Iran zur Kenntnis genommen. Es entspricht der üblichen Praxis der Bundesregierung, auf offene Briefe nicht zu antworten.
Eine Nachfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, habe ich es richtig verstanden,
dass sie darauf nicht antworten wird?
Meine erste Nachfrage: Es handelt sich um ein Problem, mit dem wir uns schon lange beschäftigen. In diesem Brief sind einige Tatsachen angeführt, die von einem bevorstehenden umfassenden Luftkrieg der USA
gegen Iran ausgehen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Herr Abgeordneter, ich denke, Sie werden verstehen,
dass die Bundesregierung zu Spekulationen über militärische Operationen nicht Stellung nehmen kann.
Meine zweite Nachfrage: Es handelt sich nicht um
Spekulationen, vielmehr geht es um Berichte, die in
amerikanischen Zeitungen von durchaus prominenten
Journalisten und Wissenschaftlern erstellt wurden. Darin
befindet sich auch die Einschätzung, dass in den USA
derzeit an Plänen für einen Luftkrieg gegen den Iran gearbeitet wird. Teilen Sie diese Einschätzung?
Herr Abgeordneter, wie Sie wissen, arbeiten wir mit
unseren amerikanischen Partnern im Drei-plus-Drei-Format zusammen. In diesem Rahmen werden die Verhandlungen mit dem Iran geführt. Auch unsere amerikanischen Partner haben immer wieder betont, dass sie
gemeinsam mit uns an einer Verhandlungslösung arbeiten. Ich denke, das beantwortet ihre Frage.
Damit rufe ich die Frage 26 des Kollegen Dr. Norman
Paech auf:
Wie steht die Bundesregierung zu den in diesem offenen
Brief an die Bundeskanzlerin enthaltenen Appellen, insbesondere der Aufforderung, dem Einsatz militärischer Gewalt gegen den Iran eine unmissverständliche Absage zu erteilen?
Die Sorge um das iranische Nuklearprogramm gehört
zu den besonders drängenden Herausforderungen für die
internationale Gemeinschaft. Die Bundesregierung verfolgt gemeinsam mit ihren Partnern eine auf Stabilität
und Sicherheit im Nahen und Mittleren Osten zielende
Politik. Die dauerhafte und verifizierbare Verhinderung
eines iranischen Nuklearwaffenprogramms ist unser gemeinsames Ziel.
Es gibt begründete Zweifel daran, dass der Iran sein
Nuklearprogramm ausschließlich zu friedlichen Zwecken verfolgt. Verstärkt werden die Sorgen der internationalen Gemeinschaft durch die verbalen Drohungen
des iranischen Staatspräsidenten und das Infragestellen
des Existenzrechts Israels.
Deutschland und seine internationalen Partner bemühen sich mit großem Einsatz um eine friedliche Lösung
dieses Konfliktes. Wir setzen dabei auf ein zweigleisiges
Vorgehen: Dem Druck der internationalen Staatengemeinschaft steht ein weitreichendes Verhandlungs- und
Kooperationsangebot der eben schon genannten Verhandlungsgruppe gegenüber.
Herr Kollege, bitte sehr.
Ich habe eine Nachfrage, Herr Staatssekretär. Sie haben nur eine halbe Antwort auf meine Frage gegeben.
Die Frage lautete nämlich, ob Sie die in dem Brief enthaltenen Appelle an die Bundeskanzlerin und insbesondere die Aufforderung, dem Einsatz militärischer Gewalt
gegen den Iran eine unmissverständliche Absage im
Rahmen ihrer Verhandlungen zu erteilen, akzeptieren.
Herr Abgeordneter, auch Sie wissen, dass sich die
Bundeskanzlerin in verschiedenen Medien zu dieser
Frage geäußert und dabei deutlich gemacht hat, dass es
nicht um militärische Optionen gehen kann und dass sie
eine diplomatische Lösung auf der Basis internationaler
Geschlossenheit durchsetzen möchte. Die Bundeskanzlerin hat gesagt, die militärische Option sei keine Option
im Umgang mit dem Iran.
Sie haben noch eine zweite Nachfrage. Bitte sehr.
Ich nehme Ihre Antwort auf meine erste Nachfrage
mit Zustimmung zur Kenntnis.
Dieser offene Brief enthielt noch einen weiteren Appell in dieser Frage, nämlich endlich den baldigen Beginn einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten anzugehen. Das ist
eine von der Bundesregierung schon lange immer wieder
in die Debatte geworfene Forderung. Wie weit sind Sie
in der Vorbereitung solcher Planungen?
Herr Abgeordneter, Sie wissen, dass sich die Bundesregierung mit allen Kräften bemüht, eine Verbesserung
der Situation in dem von Ihnen beschriebenen Gebiet
herbeizuführen, und dort, so denke ich, auch schon einiges vorzeigen kann. Zu dem konkreten Fall kann ich Ihnen im Augenblick keine weitere Auskunft geben, weil
alles noch sehr im Fluss ist.
Nun rufe ich die Frage 27 der Kollegin Sevim
Dağdelen auf:
Wie erklärt sich die Staatsministerin Dr. Maria Böhmer
den Widerspruch zwischen ihren Aussagen in der Fragestunde
der Bundesregierung vom 8. November 2006 ({0}), dass bei ihrem Gespräch mit dem türkischen Erziehungsminister Celik in Ankara er ihr das Angebot unterbreitet habe, Vorbereitungskurse in der Türkei durchzuführen, um insbesondere jungen Frauen, die im Rahmen des
Familiennachzugs nach Deutschland kommen, die Integration
zu erleichtern, dass bei den anschließenden Gesprächen mit
Staatsministerin Nimet Çubukçu sowohl in Ankara als auch
später in Berlin von deren Seite mit Nachdruck die Notwendigkeit eines frühen Erwerbs der deutschen Sprache schon vor
Einreise nach Deutschland betont und der Vorschlag für Vorbereitungskurse erörtert worden sei und dass Staatsministerin
Nimet Çubukçu sie darüber informiert habe, dass Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan Erziehungsminister Celik angewiesen habe, die Vorbereitungskurse auf den Weg zu bringen,
und der Aussage des türkischen Außenministers Abdullah
Gül, der auf dem Treffen mit türkeistämmigen Parlamentariern und Parlamentarierinnen am 24. Februar 2007 in Ankara
diese Aussagen der Staatsministerin Dr. Maria Böhmer als unzutreffend zurückwies?
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Zur Beantwortung steht Frau Staatsministerin
Professor Dr. Maria Böhmer zur Verfügung.
Frau Kollegin, ich darf Ihnen wie folgt antworten:
Der türkische Erziehungsminister Celik hat vor kurzem
erneut gegenüber der Bundesregierung erklärt, dass die
türkische Regierung bereit sei, in der Türkei vorbereitende Deutschkurse durchzuführen. Es gibt hier durchaus Interesse an einer Zusammenarbeit mit der deutschen Seite.
Ich glaube, es ist wichtig, dass die türkische Regierung unterstreicht, dass sie der Integration von türkischstämmigen Migranten in der deutschen Gesellschaft sehr
hohe Bedeutung beimisst und dass man dabei auch
Deutschkenntnisse als entscheidend für den Erfolg im
Alltag ansieht. Um sich Deutschkenntnisse anzueignen,
gibt es unterschiedliche Wege. Das ist Ihnen auch bekannt. Ein Weg wäre zweifellos, dass man sich in
Deutschkursen vorbereitet. Es gibt aber sicherlich auch
andere Möglichkeiten.
Zu den rechtlichen Regelungen: Sie haben vorhin bereits den Kollegen Altmaier dazu befragt. Wir sollten abwarten, wie der Gesetzgebungsprozess voranschreitet,
und uns dann der Frage weiter zuwenden.
Was den angesprochenen Widerspruch betrifft: Was
der türkische Außenminister auf seinem Treffen mit türkischstämmigen Parlamentarierinnen und Parlamentariern am 24. Februar 2007 in Ankara gesagt hat, ist der
Bundesregierung nicht bekannt.
Ihre Nachfrage, Frau Kollegin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatsministerin Böhmer, es hat sich jetzt herausgestellt, dass es einen
Widerspruch gibt, weil der türkische Außenminister Abdullah Gül am 24. Februar in Ankara betont hat, es seien
falsche Behauptungen, dass von türkischer Seite das
Angebot gemacht worden sei, Deutschkurse für nachziehende Ehegatten anzubieten. Ich frage die Bundesregierung, ob sie erwägt, bei türkischen Regierungsvertreterinnen oder -vertretern nachzufragen, warum die
Regierung laut Aussage des türkischen Außenministers
Abdullah Gül von diesem Standpunkt abgerückt ist.
Mir sind die Äußerungen des türkischen Erziehungsministers Celik bekannt, und daran orientieren wir uns.
Wir sind zeitlich am Ende der Fragestunde, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich danke Ihnen, Frau Staatsministerin und Herr
Staatssekretär, sehr herzlich für die Beantwortung der
Fragen.
Die weiteren noch offenen Fragen 28 bis 35 werden
schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung:
Aktuelle Stunde
Pläne der Bundesfamilienministerin zur Kinderbetreuung
Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat zur
Antwort der Bundesregierung auf die dringlichen Fragen
der Kolleginnen Krista Sager und Britta Haßelmann, bei
denen es um Kinderbetreuung ging, eine Aktuelle
Stunde verlangt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Ekin Deligöz von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In der heutigen Ausgabe des „Tagesspiegels“ wurde in
einer Überschrift die derzeitige familienpolitische Situation auf den Punkt gebracht. Sie lautet: „Krippentrauerspiel“. Das, was Koalition und Regierung in den letzten
Tagen abgeliefert haben, war nichts anderes als ein Trauerspiel.
({0})
Von der Bundesfamilienministerin wurde ein massiver Ausbau der Angebote der Betreuung von Kindern
unter drei Jahren versprochen; dem hat sich die SPD
schnell angeschlossen. Massiv bedeutet: in dem Maße,
in dem die Eltern dieses Angebot in Anspruch nehmen
wollen.
Welcher Bedarf vorhanden ist, das wissen wir. Dazu
gibt es zahlreiche Studien, Experteninterviews, Umfragen und nationale sowie internationale Vergleiche. Wir
wissen also, was wir brauchen und wo es Bedarf gibt.
Um das herauszufinden, müssen keine Gespräche mehr
geführt werden. Wir brauchen dafür auch keine Lamentiererei. Wir wissen, was zu tun ist.
Nun aber zaudert die Union. Man könnte natürlich
auch sagen - das wäre ein bisschen spitzfindig -: Die
Union „kaudert“.
({1})
Sie schaltet nicht einen Gang, sondern gleich drei bis
vier Gänge zurück.
Durch den Beschluss der Koalitionsrunde vom
Montag ist eines geschehen: Alle Zweifler und Bremser
einer modernen Familienpolitik in der Union haben wieder die Überhand gewonnen und die Regie übernommen. Ihr Ziel ist, das aufzuhalten, was unser Land und
unsere Gesellschaft voranbringen würde. Plötzlich wird
wieder daran gezweifelt, dass es überhaupt einen zusätzlichen Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen gibt. Wir sind
wieder an der Stelle angelangt, an der Sie von der Union
eigentlich schon immer waren: nicht in der gesellschaftlichen Realität, sondern in einer verfälschten Welt.
({2})
Nun soll das Ganze durch Gespräche mit den Ländern
und Kommunen - von Ihnen werden diese Gespräche
vermutlich „Verhandlungen“ genannt - gerichtet werden. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Wir von den Grünen unterstützen die Familienministerin in ihrem Ziel,
die Kinderbetreuungsangebote auszubauen, ganz eindeutig.
({3})
Aber ich traue der ganzen Sache nicht. Auch der momentanen Stimmung traue ich nicht. Ich sage Ihnen, warum.
Erstens. In den Debatten, die wir in den letzten Wochen geführt haben, ist eines deutlich geworden: Diejenigen, die schon immer Ressentiments gegenüber der
frühkindlichen Betreuung hatten, sprechen diese jetzt in
aller Deutlichkeit aus und weichen davon kein bisschen
ab. Sie wollen die Realität einfach nicht zur Kenntnis
nehmen. Sie wollen den Alltag von Eltern nicht anerkennen. Ihre Devise lautet, dass nicht sein kann, was nicht
sein darf.
({4})
Der Schwur der Union auf die Wahlfreiheit, der wahrscheinlich auch in der heutigen Debatte von ihr geleistet
wird, ist verlogen. Das nehmen wir Ihnen nicht mehr ab.
Denn die Voraussetzungen für eine Wahlfreiheit sind
erstens, dass überhaupt Kinderbetreuungsplätze vorhanden sind - so weit sind wir noch lange nicht; Sie alle
kennen die Zahlen -, und zweitens, dass die Eltern selbst
entscheiden können, wann und warum sie ihre Kinder
betreuen lassen. Die Politik darf ihnen diese Entscheidung nicht abnehmen.
({5})
So viel Vertrauen müssen wir in die Eltern haben. Die
Vorstellung, die die Union im Jahre 2007 von der Wahlfreiheit hat, ist im Mittelalter zurückgeblieben.
Zweitens. Die aktuelle Strategie der Union ist uns eigentlich schon seit Jahren bekannt. In den Ländern und
Kommunen hören wir die Union immer wieder sagen:
Eigentlich brauchen wir gar keinen Ausbau der Kinderbetreuung; denn es gibt genug oder fast genug Betreuungsplätze. Eigentlich wollen die Eltern das auch nicht;
denn wenn sie es wollen würden, dann gäbe es schon genug Kinderbetreuungsplätze.
Die Eltern, die ihre Kinder bereits dann, wenn sich
die Schwangerschaft ankündigt, für einen Betreuungsplatz anmelden, können wahrlich kein ausreichendes
Angebot erkennen. Durch dieses Schönreden haben Sie
bis jetzt verhindern können, dass in Deutschland ein
Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung für unter Dreijährige eingeführt wurde. Dass dies geschieht, wollen Sie
auch in Zukunft verhindern. Ich hoffe, dass diese Zeiten
irgendwann einmal vorbei sind.
({6})
Drittens. Ich finde es sehr beachtlich, dass ausgerechnet der Präsident der Familienkonferenz, Herr
Rupprecht, gestern öffentlich die Durchführung einer
Sonderkonferenz, die Sie beschlossen haben, abgelehnt
hat, und zwar mit dem Argument, es gebe gar keine hinreichende Grundlage, weil seitens der Bundesregierung
keine Konzepte dafür vorlägen. Somit gebe es nichts,
worüber man reden könnte. Genau das hat uns der
Staatssekretär in der heutigen Fragestunde bestätigt. Sie
wissen gar nicht, worüber Sie reden sollten.
({7})
- In der Debatte über das Elterngeld sagte sogar Herr
Ramsauer, dass nun der zweite Schritt folgen und die
Kinderbetreuung ausgebaut werden müsse.
Sie haben es bisher nicht für notwendig gehalten, mit
den Ländern und Kommunen Gespräche zu führen. Aber
jetzt tun Sie so, als sei das notwendig. Gleichzeitig sagen
Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion - das gilt auch für
Mitglieder Ihrer Landesregierungen -, der Bund sei für
dieses Thema nicht zuständig. Natürlich hat auch der
Bund hier Kompetenzen und ist dafür zuständig. Dabei
geht es um unsere politische Verantwortung gegenüber
Eltern und Kindern. Wir können und dürfen uns nicht
davor drücken, diese Verantwortung zu übernehmen.
Das, was Sie hier abgeliefert haben, waren leere Worte
und Sonntagsreden. Dafür sind Ihnen die Familien gut
genug. Wenn es aber um konkretes Handeln geht, dann
drücken Sie sich. Ich nenne das verantwortungslos.
({8})
Für die Bundesregierung erteile ich nun das Wort der
Frau Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich freue mich über diese Debatte. Denn sie ist längst
überfällig, und sie ist richtig.
({0})
Wie ist denn die Situation heute? Nach den jüngsten
Zahlen des Statistischen Bundesamtes haben in Westdeutschland 8 Prozent der Eltern für ihre Kinder unter
drei Jahren einen Betreuungsplatz. Das heißt im Umkehrschluss: 92 Prozent der Eltern haben keinen. Große
Unterschiede gibt es dabei zwischen West und Ost: In
den neuen Bundesländern hat sich das Angebot bei ungefähr 37 Prozent eingependelt.
Wenn wir von Wahlfreiheit sprechen, muss dies in der
Tat heißen, dass jeder die Wahl hat. Wer seine Kinder
über einen längeren Zeitraum zu Hause betreuen will,
hat unseren Respekt und ist willkommen, dies zu tun.
Aber genauso müssen diejenigen, die wieder den Anschluss an ihren Beruf suchen, Angebote vorfinden, wo
sie ihr Kind unter drei Jahren betreuen lassen können.
Insofern müssen wir auf diesem Gebiet besser werden.
({1})
Wir haben mit dem TAG das Ziel, dass wir im Jahr 2010
für 17 Prozent der Eltern ein Angebot haben, auch wenn
das im Umkehrschluss heißt, dass immer noch
83 Prozent der Eltern kein Angebot haben.
Ich finde, moderne Politik muss Politik sein, die am
Puls der Zeit ist, die spürt, wenn sich Dinge verändern.
Wir haben gemeinsam das Elterngeld eingeführt. Wir
alle werden jetzt auf den Versammlungen draußen im
Lande spüren - ich bin sicher, gerade Sie als Familienund Bildungspolitikerinnen- und -politiker werden das
jeden Tag erleben -, dass uns die jungen Menschen zu
Recht fragen: Was mache ich, wenn das Elterngeld am
Ende des ersten Lebensjahres meines Kindes ausläuft
und ich wieder in den Beruf zurück möchte?
({2})
Ich sage als Familienministerin ganz selbstbewusst:
Ungefähr ein Drittel aller Eltern hat Bedarf an einem Betreuungsangebot. Dies ist im Übrigen europäischer
Durchschnitt. Im Augenblick jedoch liegen wir, was die
Betreuungsmöglichkeiten angeht, noch im unteren Drittel.
({3})
Diese Zahl ist durch das Deutsche Jugendinstitut, eines
der renommiertesten deutschen Institute, die auf diesem
Gebiet forschen und veröffentlichen, bestätigt worden.
Dies ist Barcelonastrategie. Deshalb ist die Debatte, die
wir führen, eine spannende gesellschaftspolitische Debatte, und sie ist hochaktuell. Natürlich wirbelt diese Debatte die bestehenden, üblichen, schablonenhaften Reaktionen durcheinander. Aber genau dafür sind
Politikerinnen und Politiker da: am Puls der Zeit zu sein
und deshalb dies aktuell zu debattieren.
({4})
Jetzt komme ich zum zweiten Punkt - ich habe dieses
Thema vor vier Wochen angestoßen -: Es ist ein Erfolg,
dass es uns gelungen ist, seit der Sitzung des Koalitionsausschusses gemeinsam als Regierung einen Fahrplan
festzulegen, wie wir diesem Ziel näher kommen. Die
Fragen - wie sehen die Zahlen im Detail aus, wie sieht
es in den einzelnen Ländern aus, wie sieht es in den einzelnen Kommunen aus, wer hat massiv ausgebaut in der
letzten Zeit, wer hat sich kaum bewegt, wo sind Regionen, in denen zum Beispiel in die Qualität mehr investiert werden muss? - sind natürlich berechtigt. Dass dies
in der Kommunikation am nächsten Tag verkürzt und
nicht glücklich herübergekommen ist, darüber bin ich
- das will ich auch als Regierungsvertreterin ganz frank
und frei sagen - nicht glücklich.
({5})
Das ändert aber nichts an dem richtigen Ziel, hinter dem
wir stehen. Wir haben jetzt einen eindeutigen Fahrplan
dafür.
({6})
Natürlich steht die Bundesregierung mit diesem Ziel
nicht alleine da. Das ist eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe, und es gibt viele Akteure, die daran mitarbeiten. Auch die Länder und die kommunalen Spitzenverbände sind mit im Spiel. Wir müssen alle mitnehmen,
um uns in der Beantwortung der Frage einig zu werden,
wie wir das gemeinsam schaffen können. Deshalb werden wir mit einer kleinen Arbeitsgruppe den Weg für
eine Konferenz bereiten - Bund, Länder und Kommunen
werden daran beteiligt sein -, die im Übrigen am
2. April 2007 stattfinden wird,
({7})
um die Zahlen im Detail zu besprechen und auch zu zeigen, was sich in den einzelnen Ländern getan hat. Das ist
auch spannend, da gezeigt wird, wo gute Arbeit geleistet
wurde und wo noch ein enormer Nachholbedarf besteht.
Anschließend werden wir über die Finanzierungswege
sprechen.
({8})
Dabei will ich auch deutlich sagen, dass wir gerade
als Bildungs- und Familienpolitikerinnen und -politiker
nicht den Fehler machen sollten, zunächst einmal zu
schauen, wie die Familien das finanzieren können. Vielmehr sollten wir uns selbstbewusst hinstellen und sagen,
dass das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist - dies
gilt gerade für die frühkindliche Bildung -, von der später alle profitieren, wenn eine kleine Generation nachwächst.
({9})
Es ist mir auch deshalb wichtig, dies zu sagen, weil wir
in diesem Land gerade hinsichtlich der Finanzierung oft
eine polarisierende Debatte geführt haben.
Für im Durchschnitt ein Drittel der Eltern wollen wir
dieses Betreuungsangebot gemeinsam schaffen. Wenn
wir das Thema Wahlfreiheit ernst nehmen, dann dürfen
wir aber nicht sagen, dass zwei Drittel der Eltern oder
dass Eltern mit Schulkindern das mitbezahlen müssen.
Nein, die ganze Gesellschaft muss dies bezahlen; denn
in der Folge profitiert gerade eine Gesellschaft im demografischen Wandel in hohem Maße davon. Wenn nur
eine kleine Generation nachwächst, von der gerade wir,
die mittlere Generation, die wir später die vielen Alten
sein werden, viel verlangen - die jungen Menschen sollen später hochinnovativ und wettbewerbsfähig in dieser
Welt arbeiten und sich um ihre Kinder, die sie sich wünschen, und um uns Alte kümmern -, dann müssen wir ihnen am Anfang doch auch das Rüstzeug mitgeben, so8474
dass sie eine Chance haben, diese Aufgaben später
bewältigen zu können.
({10})
Deshalb kann ich nur so schließen, wie ich begonnen
habe: Ich freue mich über diese gesellschaftspolitische
Debatte. Ich finde, wir Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker sowie Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker sollten eine Bresche für die Kinder und
für die jungen Familien in diesem Land schlagen.
Vielen Dank.
({11})
Nächster Redner ist nun der Kollege Dirk Niebel für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich freue mich auch, dass wir im Deutschen
Bundestag über Kinderbetreuung reden. Frau Ministerin,
ich glaube Ihnen die politische Zielsetzung ausdrücklich.
Für die Umsetzung haben Sie in Ihren bisherigen Reden
allerdings immer noch keinen einzigen Fingerzeig gegeben.
({0})
Es ist tatsächlich so, dass wir in diesem Land mehr
Kinderbetreuung brauchen. Ich freue mich, dass die
Union in weiten Teilen im 21. Jahrhundert angekommen
ist, aber ich bin doch sehr besorgt über manche Reaktion, die ich aus Ihrer eigenen Partei, Frau Ministerin, im
Rahmen der Diskussion, die wir in den letzten Wochen
geführt haben, hören musste.
Ich stelle mir allerdings die Frage, warum gerade die
Grünen diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Sie haben die letzten sieben Jahre vor der vergangenen Wahl
doch immerhin regiert. Wo ist eigentlich Ihre Erfolgsbilanz?
({1})
Ich erinnere mich, dass den Kommunen bei der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
unter der Regierung Schröder versprochen worden ist,
pro Jahr 1,5 Milliarden Euro für die Kinderbetreuung
zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Wo sind denn 2005
und 2006 die jeweils 1,5 Milliarden Euro für die Kinderbetreuung in den Kommunen geblieben? Reine Luftbuchungen! Deswegen ist es eindeutig: Sie betreiben
hier Ihr politisches Klein-Klein und sind am Ziel, einer
besseren Betreuung der Kinder in diesem Land, wirklich
nur am Rande interessiert.
({2})
Als Vater von drei Kindern und einer der wenigen
männlichen Kollegen in diesem Haus, die Erziehungsurlaub genommen haben, meine ich, dass darüber tatsächlich diskutiert werden muss. Denn all denen, die das
nicht kennen, kann ich versichern: Mit Urlaub hat das
nichts zu tun gehabt. Aber die gesellschaftliche Denkweise, dass sich immer nur die Frauen um die Kinder
kümmern müssen, muss endlich ein Ende haben. Ich
habe es am eigenen Leib erlebt: Ein Mann macht so etwas nicht, war die Reaktion.
({3})
Die Eltern müssen dann aber die Kinderbetreuung entsprechend organisieren. Das ist jedoch extrem schwierig,
wenn es an Betreuungsmöglichkeiten fehlt. Deswegen
ist die Diskussion grundsätzlich richtig.
Die Frage der Finanzierung ist aber in der Tat nicht
ganz unbedeutend. An dieser Stelle laufen die Vorschläge der Regierungskoalition bisher ins Leere.
({4})
Frau von der Leyen hat bei ihren ersten Äußerungen offenkundig übersehen, dass eine Föderalismusreform erfolgt ist und keine unmittelbare Finanzbeziehung zwischen Bund und Kommunen besteht. Das ist vor allem
deshalb tragisch, weil viele Länderfinanzminister - egal
ob rot oder schwarz - klebrige Finger haben und das
Geld, das man in der Vergangenheit den Kommunen zukommen lassen wollte, nicht immer dort angekommen
ist.
({5})
Die Kollegen von den Sozialdemokraten setzen sich
dafür ein, dass Familien Familien finanzieren sollen. Vor
kurzem wurde die steuerliche Absetzbarkeit von Betreuungsleistungen etwas verbessert. Das soll nun wieder
eingeschränkt werden. Herr Beck hat angekündigt, dass
eine eventuell irgendwann vorzunehmende Kindergelderhöhung ausgesetzt werden soll, um so das Vorhaben zu
finanzieren. Das ist ähnlich, als würden Sie dem Bus
hinterherlaufen, weil Sie kein Geld für eine Busfahrkarte
haben, und glauben, Sie hätten das eingesparte Geld zur
Verfügung. Nach dieser Logik wäre es viel klüger, Sie
liefen einem Taxi hinterher; dann könnten Sie noch mehr
Geld sparen.
({6})
Es ist auf jeden Fall notwendig, klare finanzielle
Grundlagen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
zu schaffen. Die FDP hat schon mit ihrem Steuerkonzept
aus dem Bundestagswahlkampf deutlich gemacht, wie
man Familien finanziell entlasten kann, nämlich durch
einen höheren Grundfreibetrag für jeden Menschen in
diesem Land, egal ob klein oder groß. Für Personen mit
eigenem Einkommen soll ein Freibetrag in Höhe von
7 700 Euro gelten. Wer kein eigenes Einkommen hat, erhält ein höheres Kindergeld von 200 Euro pro Kind.
({7})
Letzteres bietet deutlich bessere Möglichkeiten, die Kinderbetreuung zu organisieren.
({8})
Darüber hinaus haben wir am 5. April letzten Jahres
auf der Bundestagsdrucksache 16/1168 einen Antrag mit
dem Titel „Flexible Konzepte für die Familie - Kinderbetreuung und frühkindliche Bildung zukunftsfähig machen“ vorgelegt, in dem wir 19 Vorschläge formuliert
haben, die insbesondere die Wahlfreiheit der Menschen,
mehr Freiraum für die persönliche Lebensgestaltung,
mehr Eigeninitiative und private Organisation und die
gleiche Teilhabe von Männern und Frauen zum Ziel hatten.
({9})
Ausweislich der Drucksache 16/2785 ging die Abstimmung wie folgt aus: Ablehnung des Antrags mit den
Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der
Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen. Besten
Dank! Sie hatten schon längst die Chance, etwas zu machen, aber Sie haben sich nicht bewegt.
({10})
Deswegen wird es jetzt Zeit, unideologisch über ein
Finanzierungskonzept nachzudenken, das mit der Föderalismusreform I in Einklang steht. Das bedeutet, dass
Sie, wenn Sie das Vorhaben mitfinanzieren wollen, Frau
von der Leyen, den Kommunen das Geld nicht unmittelbar zukommen lassen können. Deshalb müssen Sie cleverer vorgehen, auch um zu verhindern, dass die Länderfinanzminister einen Teil des Geldes einbehalten. Reden
Sie doch über Umsatzsteuerpunkte für die Kommunen!
Machen Sie konkrete Vorschläge für die bessere Finanzierung der Kinderbetreuung!
Tun Sie mir einen Gefallen: Tun Sie nicht so, als wäre
die zwingend notwendige Verbesserung der Kinderbetreuungsmöglichkeiten allein eine staatliche Aufgabe!
Es ist zwar auch eine staatliche Aufgabe, die aber vor
dem Hintergrund einer älter werdenden Gesellschaft zu
sehen ist. Trotz der vielen Arbeitslosen und des zunehmenden Fachkräftemangels in den unterschiedlichsten
Branchen ist es auch eine Aufgabe der Wirtschaft. Viele
Unternehmen tun dabei schon Gutes. Das ist kein Altruismus; sie sorgen auch aus Eigennutz dafür - teilweise finanzieren sie es sogar mit -, dass die bei ihnen
beschäftigten Väter und Mütter möglichst schnell wieder
ihre Kompetenz am Arbeitsplatz einbringen können,
weil sie ihre Kinder gut betreut wissen.
Es gibt bereits konkrete Beispiele. Sie müssen das
Rad nicht neu erfinden. Gehen Sie auf die Wirtschaft zu
und sorgen Sie dafür, dass dem Parlament konkrete
Finanzierungsvorschläge vorgelegt werden, die die Eigeninitiative fördern!
({11})
Das ist der richtige Weg. Dabei unterstützen wir Sie
gerne.
({12})
Wenn Sie Ihre eigenen Leute auf Ihre Seite ziehen
könnten, wenn die Linken aufhören würden, eine Frau,
die sich um ihr Kind kümmert, als Heimchen am Herd
zu bezeichnen, und die Konservativen eine berufstätige
Mutter nicht mehr als Rabenmutter bezeichnen würden,
dann wären wir einen großen Schritt weiter.
Vielen herzlichen Dank.
({13})
Nun hat das Wort die Kollegin Christel Humme für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Das, worüber heute diskutiert wird, ist tatsächlich
neu. Alle Fraktionen im Bundestag fordern mehr Betreuungsplätze für unter Dreijährige. Ich glaube, das habe
ich in der ganzen Zeit, in der ich Mitglied des Bundestages bin, noch nicht erlebt.
({0})
Frau Ministerin, ich gebe Ihnen vollkommen recht: Mit
den zurzeit vorhandenen Betreuungsplätzen sind wir von
einem bedarfsgerechten Ausbau noch weit entfernt. Sie
haben gesagt: 750 000 Plätze brauchen wir für einen bedarfsgerechten Ausbau. Das unterstütze ich voll; denn
das wird uns von den Wissenschaftlern des Deutschen
Jugendinstituts sowie im Kinder- und Jugendbericht
bestätigt. Wir haben heute Mittag in der Anhörung erfahren, dass zwei Jahre nach Inkrafttreten des Tagesbetreuungsausbaugesetzes ganze 21 000 Plätze zusätzlich geschaffen wurden. Ich finde, das ist eigentlich ein
Skandal.
In Kenntnis dieser Tatsachen verstehe ich überhaupt
nicht, dass wir den Ausbau auf die lange Bank schieben
und noch einmal bei den Ländern nachfragen wollen,
wie hoch der Bedarf eigentlich ist. Das erinnert mich ein
bisschen an die Kommunen in meinem Wahlkreis. Sie
haben immer wieder eine Bedarfsanalyse durchgeführt,
wenn es darum ging, Kindertagesstättenplätze vorzuhalten. Immer wieder kamen sie zu dem Ergebnis: Ein
Bedarf ist nicht vorhanden. Als die Kindertagesstättenplätze dann aber geschaffen waren, waren die Anmeldezahlen so hoch, dass es Wartelisten gab. Daher sage ich:
Nicht der Bedarf bestimmt das Angebot, sondern das
Angebot den Bedarf.
({1})
Das ist richtig; denn Eltern brauchen - Herr Niebel,
Sie haben darauf bereits hingewiesen - verlässliche Kinderbetreuungsangebote. Aber ich glaube, das ist der einzige Satz, bei dem ich Ihnen zustimmen kann.
({2})
Sie behaupten, wir wollten, dass Familien die Kinderbetreuung finanzieren, und halten das für ungerecht.
Herr Niebel, ich halte Ihnen entgegen: Denken Sie an die
familienpolitischen Leistungen unter der rot-grünen Regierung in den letzten Jahren! Wir haben das Kindergeld
um 38 Prozent erhöht. Sie werden mir sicherlich recht
geben, wenn ich feststelle, dass diese Erhöhung nicht
dazu geführt hat, dass sich mehr junge Menschen entschieden haben, eine Familie zu gründen.
({3})
Familien brauchen etwas anderes, nämlich Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
({4})
Ich kann diejenigen nicht verstehen, die unser solides
Finanzierungskonzept - darüber möchte ich mit Ihnen
ernsthaft diskutieren - als unsozial bezeichnen. Wir wollen nämlich so schnell wie möglich zwei wesentliche
Ungerechtigkeiten beseitigen.
({5})
Die erste und nach meiner Meinung noch immer die
größte Ungerechtigkeit in unserem Land ist, dass die
Herkunft den Bildungsabschluss bestimmt. Ich glaube,
mit früher Förderung können wir genau diese Ungerechtigkeit beseitigen und mehr Leistung bei der Integration
erbringen. Das ist unser erstes Ziel.
Die zweite Ungerechtigkeit ist - das konnten wir
heute im „Morgenmagazin“ wieder verfolgen -, dass
Männer und Frauen Familie und Beruf in Deutschland
nicht vereinbaren können. Das heißt konkret, dass einer
der beiden Partner - wie wir wissen, sind in 90 Prozent
der Fälle beide Partner berufstätig, wenn sie sich in jungen Jahren für eine Familie entscheiden - auf sein Einkommen verzichten muss. Dass das in höchstem Maße
unsozial ist, liegt auf der Hand.
Daher bin ich der Meinung: Lassen Sie uns ernsthaft
über unsere soliden Finanzierungsvorschläge diskutieren! Nichtstun ist in höchstem Maße unsozial.
Schönen Dank.
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Diana Golze für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist wahrlich ein Trauerspiel für die
Familien - man könnte auch sagen: eine Tragikomödie -,
was heute auf den Titelseiten der Tageszeitungen zu lesen ist: Union bremst von der Leyen aus, Christen kippen Kinderkrippen usw.
({0})
Während Frau von der Leyen gestern Abend in den „Tagesthemen“ noch einmal deutlich machen durfte, dass
ihre Pläne nichts anderes bedeuten als die Anpassung an
europäische Standards, bleiben die Herren der CDU/
CSU in ihrem Elfenbeinturm sitzen und träumen von den
guten alten Zeiten, als sie nicht mit solchen schnöden
Debatten gestört wurden. Die Bundesregierungen haben
in den vergangenen Jahren ein familienpolitisches Nickerchen gehalten, während in anderen europäischen
Staaten die Frage nach der qualitativen und der quantitativen Kindertagesbetreuung ganz oben auf der Tagesordnung gestanden hat.
({1})
Im Jahr 2007 erlebten wir nun ein kurzes scheinbares
Erwachen, aber am Ende ist es wohl doch nur wieder der
berühmte Theaterdonner. Ich spreche zum einen von
Herrn Kauder und den anderen Altvorderen in der
Union,
({2})
die von den Lebensentwürfen junger Menschen so wenig
wissen - sind Sie jetzt traurig, dass ich Sie nicht namentlich genannt habe? -,
({3})
dass sie immer noch die Familienideale des vorletzten
Jahrhunderts hochhalten.
({4})
Statt den Vorstoß ihrer Familienministerin zum Anlass
zu nehmen,
({5})
sich die Augen zu reiben, versuchen die Politiker der
Unionsparteien, sich noch einmal gemütlich umzudrehen. Wachen Sie auf, liebe Kollegen! Ihre Kolleginnen
diskutieren längst in den Talkshows der Abendprogramme offen darüber, dass man die Lebensentwürfe
von jungen Menschen ernst nehmen muss und dass sich
die Politik endlich dieser Fragen annehmen sollte.
({6})
Statt noch einmal nachzuprüfen, ob die Frau Ministerin
ihre Hausaufgaben gemacht hat und es wirklich einen
Bedarf an Betreuung von Kindern unter drei Jahren
gibt, bevor sie neue Forderungen stellt, empfehle ich
Herrn Kauder, sich selbst noch einmal auf den Hosenboden zu setzen. Eine kluge Expertise zum Thema Kinderbetreuung gibt es bereits. Sie hat die Drucksachennummer 15/6014 und heißt „Zwölfter Kinder- und
Jugendbericht“. Darin wird nicht nur die Situation in
der Kitalandschaft unter die Lupe genommen, sondern
auch das System der Bedarfsermittlung. Ihre Forderung
in der Koalitionsrunde war scheinheilig und hat nichts
mit Realitätssinn zu tun, sondern vielmehr - so sieht es
aus - damit, als wollten Sie mit Macht etwas verhindern, was nicht in Ihr Weltbild passt.
({7})
Ich spreche hier aber auch von der SPD. Das Wort
„Sozialdemokratie“ kommt mir in diesem Zusammenhang nur noch schwer über die Lippen. Sie haben heute
früh im Ausschuss brav die Hand für die Rente ab 67 gehoben. Am Freitag wird das hier im Plenum wohl genauso sein. Sie beschließen für die Eltern und für die
Kinder von heute die Rentenkürzung von morgen.
({8})
Zur Finanzierung der Krippenplätze von heute fällt Ihnen auch nichts Besseres ein als eine Kindergeldkürzung.
({9})
Es ist eine Kürzung. Um nichts anderes handelt es sich
nämlich. Das kann man Ihnen nicht oft genug sagen. Ich
möchte Sie daran erinnern, dass Sie das Kindergeld bereits zum 1. Januar dieses Jahres massiv gekürzt haben,
nämlich durch die Absenkung des Bezugsalters von 27
auf 25 Jahre.
({10})
Im vergangenen Jahr wurden die Familienzuschläge für
Bundesbeamte abgeschafft. Selbst nach Abzug der Übergangsregelungen war das eine Ersparnis von über
3 Milliarden Euro. Ebenfalls im vergangenen Jahr ist die
Kürzung der Pendlerpauschale vorgenommen worden,
eine Ersparnis von 2,5 Milliarden Euro, die fast hälftig
den Bundeshaushalt und die Länder entlastet hat. Wem,
denken Sie, haben Sie denn dieses Geld aus den Taschen
gezogen?
({11})
Das sind doch zum großen Teil die Erwerbstätigen, die
Kinder haben und deshalb nicht flexibel dem Arbeitsplatz hinterherziehen können.
Ich habe es hier schon einmal gesagt und wiederhole
es: Familienpolitik ist Sozialpolitik.
({12})
Eine sozial gerechte Familienpolitik ist nur dann möglich, wenn wir auch die Frage nach der Verteilung des
gesellschaftlichen Reichtums stellen. Die Grenzen verlaufen nicht zwischen Eltern und Kinderlosen, auch
nicht zwischen Jung und Alt, sondern immer noch zwischen Arm und Reich, zwischen oben und unten.
({13})
Wer die Verteilungsfrage nicht stellen will, der sollte von
sozial gerechter Familienpolitik schweigen.
Der Gipfel des Zynismus ist die Tatsache, dass Sie zur
gleichen Zeit mit vollen Händen das Geld zum Fenster
hinauswerfen. Milliardenschwere Steuergeschenke planen Sie für Unternehmen. An den Treueschwüren der
Koalition zu diesem Projekt werden keine Zweifel laut.
Der Ausbau der Kindertagesbetreuung muss sofort
beginnen, und er könnte sofort beginnen; denn das nötige Geld ist da. Die versprochenen Arbeitsplätze hat
schon die letzte Unternehmensteuerreform nicht gebracht. Herausgekommen sind am Ende höchstens mehr
Golfplätze für die Reichen.
({14})
Aber ich sage Ihnen: Kinderkrippenplätze sind wichtiger
als Golfplätze. Wir sagen: Vorfahrt für Kinder! Vorfahrt
für Familien! Die Linke fordert: Stopp für das Projekt
Unternehmensteuerreform. So würden mindestens 8 Milliarden Euro frei, die für den Ausbau der Kinderkrippenplätze verwendet werden könnten.
({15})
Die Familien und vor allem die Kinder brauchen keine
rituellen Sonntagsreden, Herr Niebel, sondern endlich
sinnvolle Taten. Ich kann nur hoffen, dass sich die Familienministerin nicht von ihrem Vorhaben abbringen lässt
und schnell eine familien- und sozial gerechte Finanzierung dafür vorschlägt.
Vielen Dank.
({16})
Nächster Redner ist der Kollege Johannes
Singhammer für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Frau Golze, ich rate Ihnen, einmal darüber nachzudenken und zu prüfen, warum die Gebühren für die
Kindertagesstätten in Berlin, wo Sie mitregieren, die
höchsten in der gesamten Republik sind.
({0})
Was die Grünen angeht, habe ich Verständnis, dass sie
diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Sie haben das
getan, um an der aktuellen Diskussion über Familienpolitik wieder teilzunehmen.
({1})
Ich füge hinzu: Vor wenigen Wochen hat sich die Bundestagsfraktion der Grünen auf einer Klausurtagung aber
nicht darüber einigen können, ob Familie ein Wert an
sich ist. Wer nicht weiß, wie viel Wert die Familie und
die Erziehungsleistung von Müttern und Vätern für Kinder haben, wer sich nicht einmal sicher ist, ob Familie
überhaupt ein Wert an sich ist, der sollte eine Aktuelle
Stunde zu diesem Thema möglichst nicht beantragen.
({2})
Wir wollen eine moderne Familienpolitik, und die basiert auf dem Prinzip der Wahlfreiheit. Wir wollen mehr
Sicherheit bei der Betreuung, und wir wollen mehr Dynamik beim Ausbau der Betreuungseinrichtungen.
Die - zum Teil leidenschaftliche - Diskussion, auch
die bei uns, also innerhalb der Union, hat gezeigt, wie
ernst wir dieses Thema nehmen. Für uns ist das keine
Luftballondiskussion - in eine solche Diskussion pumpt
man zunächst einmal viel Luft hinein, bevor man sie
langsam wieder herausströmen lässt -; vielmehr nehmen
wir das sehr ernst.
({3})
- Für uns ist es kein Gedöns. - Wir gehen Schritt für
Schritt sorgfältig vorwärts.
({4})
Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, bis
2010 230 000 zusätzliche Betreuungsplätze durchzusetzen. Die Finanzierung dieser Vorgaben wird durch die
Entlastung der Kommunen aufgrund der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ermöglicht.
({5})
2,5 Milliarden Euro jährlich stehen bereit. Davon sollen
1,5 Milliarden Euro für den Ausbau der Kinderbetreuung verwandt werden.
Jetzt hat die Ministerin angekündigt, dass darüber
hinaus bis zum Jahr 2013 noch einmal 250 000 Betreuungsplätze bereitgestellt werden. Das ist konsequent und
richtig. Denn zwischenzeitlich haben wir das Elterngeld
in Kraft gesetzt - Rot-Grün hat das viele Jahre nicht geschafft -, und dieses Elterngeld - das zeichnet sich ab ist ein Erfolg. Wenn im kommenden Jahr, im Jahr 2008,
für die ersten Eltern nach zwölf bzw. 14 Monaten der
Bezug des Elterngeldes ausläuft, dann erwarten sie Sicherheit bei der Betreuung. Deshalb ist es richtig, eine
neue Dynamik bei den Betreuungseinrichtungen einzufordern.
({6})
Die Ministerin hat daher unsere Unterstützung und unsere Rückendeckung.
({7})
Es ist logisch zwingend, jetzt die unterschiedlichen
Interessen mit den Ländern abzustimmen. Warum? Weil
die neuen Bundesländer einen sehr hohen Ausbaugrad
haben; da fehlt es manchmal weniger an der Infrastruktur als an den Kindern. Einige alte Bundesländer, also
Länder in Westdeutschland, sagen: Wir brauchen keine
Bundeseuros; wir wollen das selber finanzieren. Andere
sagen: Nur her damit! Diese Interessen abzugleichen, ist
unbedingt nötig. Deshalb kann es objektiv nicht sinnvoll
sein, in der heutigen Debatte ein komplettes Finanzierungssystem vorzulegen. Ich wiederhole: Erst müssen
die unterschiedlichen Interessen mit den Ländern abgeglichen werden.
({8})
Für uns ist es bezüglich der Finanzierung wichtig
- das sage ich hier erneut -, das Prinzip der Wahlfreiheit
zu erhalten. Alle Finanzierungsvorschläge, die die Wahlfreiheit einengen können, sind nach unserer Auffassung
nicht geeignet. Das betrifft insbesondere das Kindergeld.
Was ist die Konsequenz, wenn wir beim Kindergeld längere Zeit eine Durststrecke einlegen? Eine solche Durststrecke trifft insbesondere die, die ohnehin einen schmalen Geldbeutel haben. Deren Dispositionsfähigkeit, also
ihre Möglichkeit, die Betreuung ihrer Kinder selbst zu
organisieren und darüber zu entscheiden, was sie für ihre
Kinder ausgeben wollen, wird massiv beschnitten. Deshalb meine ich, dass der Vorschlag, beim Kindergeld
eine Durststrecke einzulegen oder bei den Freibeträgen
zu kürzen, nicht in die richtige Richtung führt und dass
über eine andere Finanzierung nachgedacht werden
muss.
({9})
- Wir werden das schon vorlegen. Wir in der Koalition
haben auch schon einige gemeinsame Vorschläge gemacht. Ich nenne die demografische Rendite und den
Umbau der 145 Familienleistungen, was in diesem Jahr
zu einem ersten Ergebnis führen wird.
Noch zur Frage der Wahlfreiheit. Das Gegenteil von
Wahlfreiheit ist eine staatliche beeinflusste Erziehungspolitik. Die wollen wir nicht. Wir nehmen die Wahlfreiheit ernst. Wir glauben, dass die Eltern am besten wissen, was ihre Kinder brauchen. Das wird auch die
Zielsetzung unserer Politik sein.
({10})
Das Wort hat nun die Kollegin Krista Sager für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Singhammer, Sie können doch nicht daran vorbeireden,
dass Sie in dieser Woche gerade die Dynamik aus dem
Prozess genommen haben, weil Ihre dynamische Ministerin Ihnen zu dynamisch geworden ist. Auf so viel Dynamik waren Sie nicht eingestellt und sind Sie bis heute
nicht eingestellt.
({0})
Es ist doch bezeichnend: Seitdem Frau von der Leyen
gesagt hat: „Elterngeld reicht nicht; wir brauchen mehr
Krippenplätze in Deutschland“, ist sie die beliebteste
Ministerin der Bundesregierung.
({1})
Das zeigt doch eindeutig, was die Menschen in diesem
Land von dieser Bundesregierung erwarten.
({2})
Jetzt fragt man sich doch: Warum lässt ausgerechnet
die Union ihre beliebteste Ministerin beim beliebtesten
Thema im Regen stehen?
({3})
Ihre Ministerin geht tapfer voran - wie Blücher. Und
was macht die Unionstruppe? Sie schmeißt sich wie die
Hasen in die Furche!
({4})
Sie haben Angst - das ist doch Ihr Problem -, dass die
Ministerin Sie am Ende noch hinterherschleifen könnte.
Das ist das, was diese Woche passiert ist.
({5})
Die Zahlen hat Frau von der Leyen heute noch einmal
ganz deutlich genannt. Ich finde es irgendwie herzergreifend, dass Sie jetzt plötzlich so viel Sympathie für das
rot-grüne Tagesbetreuungsausbaugesetz inklusive Finanzierung entwickeln.
({6})
Wie haben wir uns mit Herrn Koch im Vermittlungsausschuss um diese Finanzierung balgen müssen!
({7})
Wir haben das doch gegen Sie durchsetzen müssen.
({8})
Jetzt sage ich Ihnen eines: Sie können sich doch nicht
vier Jahre lang auf dem ausruhen, was Rot-Grün in der
letzten Legislatur auf den Weg gebracht hat; das ist einfach zu dürftig.
({9})
Die Zahlen, die Frau von der Leyen genannt hat, sind
völlig richtig. Wir haben in Westdeutschland einen Versorgungsgrad von 8 Prozent für Kinder unter drei Jahren.
Deswegen müssen wir schneller vorankommen.
({10})
Was machen Sie jetzt? Sie sagen: Ach Gott, ach Gott, hat
denn unsere Fachministerin da richtig gerechnet? Hat sie
sich nicht vielleicht geirrt? Ist das alles nicht nur ein großer Irrtum? Müssen wir uns das alles nicht viel genauer
anschauen? - Das Problem ist doch offensichtlich: Sie
demontieren Ihre eigene Ministerin, weil Sie selbst eine
Auszeit brauchen.
({11})
Warum brauchen Sie selbst eine Auszeit? Sie brauchen eine Auszeit, weil Sie völlig durcheinander sind.
({12})
Deswegen reden Sie auch so viel durcheinander. Sie reden wie folgt: Brauchen wir jetzt mehr Krippen, oder
sind Krippen eigentlich doch etwas Schlechtes? Wenn
wir mehr Krippen brauchen: Darf der Bund das mitfinanzieren, oder darf er das auf gar keinen Fall mitfinanzieren?
({13})
Wenn er es mitfinanzieren sollte: Woher soll das Geld
kommen? - Dafür haben Sie überhaupt kein Konzept.
Sie können nicht sagen - das ist es doch -, was mit den
Forderungen Ihrer eigenen Ministerin passieren soll.
({14})
Das Problem ist doch nicht, dass die Realität in
Deutschland sich geändert hat, sondern das Problem ist,
dass Sie es sich in der Opposition so bequem gemacht
haben, dass Sie über viele Jahre in dieser Realität nicht
angekommen sind; in der Regierung holt Sie das jetzt
ein.
({15})
Die Erfahrung, dass man es sich in der Opposition
manchmal zu einfach macht - das muss ich Ihnen ganz
ehrlich sagen -, machen Sie vielleicht nicht allein. Sie
haben es sich mit Ihren ideologischen Abwehrgefechten
gegen Rot-Grün tatsächlich zu einfach gemacht. Ich
kann Ihnen jetzt ein Zitat nicht ersparen. „Solange die
Union in Deutschland etwas zu sagen hat, werden wir
dafür sorgen, dass sich über deutsche Kinderbetten die
deutschen Eltern und sonst niemand beugt.“
({16})
Das Zitat ist nicht von der Familienministerin. Das ist
auch nicht von Bischof Mixa. Das ist von der Bundeskanzlerin Merkel persönlich, vom 4. Dezember 2002.
({17})
Ich behaupte: Frau Merkel hat schon da gewusst, dass
sie Unsinn redet, aber sie hat es Ihnen zuliebe getan,
meine Herren, um Sie ein bisschen fröhlich hinter sich
zu versammeln.
({18})
Wenn man so einen Blödsinn in der Opposition redet,
muss man sich doch nicht wundern, wenn man in der
Regierung Angst vor der eigenen Ministerin bekommt.
({19})
Insofern hatten wir das Gefühl, dass man der Frau
heute einmal beispringen und den Truppen in der Union
sagen muss: Lasst sie nicht im Regen stehen.
Ich sage Ihnen aber auch: Es gibt manchmal unheilvolle Geschichten, die einen erst einholen, wenn man an
der Regierung ist, aber die Uhr tickt weiter.
({20})
Wir Grüne konnten beim Kosovokonflikt die Uhr nicht
anhalten. Die Eltern, die keinen Krippenplatz für ihr
kleines Kind haben, können die Uhr auch nicht anhalten.
Auch für Sie tickt also die Uhr. Sehen Sie zu, dass Sie
schnell in die Puschen kommen.
({21})
Nun hat das Wort die Kollegin Nina Hauer für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Ministerin, ich glaube, Sie brauchen sich um
Ihre Dynamik keine Sorgen zu machen.
({0})
Weil die Familien nicht nur schöne Worte, sondern
auch eine konkrete Perspektive brauchen, hat die SPD
ein Konzept vorgelegt, wie wir den Betreuungsbedarf,
den die Familien in unserem Land haben, finanzieren
wollen. Herr Singhammer, Sie mögen ja Schritt für
Schritt gehen, aber verlieren Sie dabei nicht das Ziel aus
den Augen. Ich will Sie nicht hetzen,
({1})
aber die Realität in den Familien ist längst eine andere.
Viele empfinden es als zynisch, wenn wir jetzt ernsthaft
sagen, wir wissen nicht, welchen Bedarf wir an Betreuungsplätzen für unter Dreijährige in Deutschland haben.
({2})
Wir wissen doch, wie viele Elterngeld beantragen. Das
wird ein Jahr lang gewährt. Danach stehen die Familien
mit ihren Kindern da und erwarten, dass wir einen Betreuungsplatz zur Verfügung stellen.
({3})
Das ist ein Versprechen, das wir gegeben haben. Wir
sind entschlossen, dieses Versprechen auch zu halten.
Wir wissen, dass es in den alten Ländern, Berlin herausgerechnet, nur für rund 8 Prozent der unter Dreijährigen Betreuungsplätze gibt. Schon daran können Sie sehen, welcher Bedarf besteht. Bei einem Anteil von
6,9 Prozent in Bayern kann sich jeder vorstellen, wie
hoch da der Bedarf ist. Angesichts der Tatsache, dass der
durchschnittliche Anteil in Europa bei 35 Prozent liegt,
müssen auch wir ihn erhöhen.
Die Bedarfszahlen, die uns vorliegen, beruhen auf
Umfragen unter Eltern, die entweder schon arbeiten gehen, arbeiten wollen oder erwarten, dass sie demnächst
wieder einen Arbeitsplatz zur Verfügung haben.
({4})
Das sind diejenigen, die den Bedarf angeben. Dann gibt
es auch noch diejenigen, die im Moment den Bedarf
nicht haben, aber darauf warten, dass ihnen die Chance
gegeben wird, ihr Kind betreuen zu lassen. Sie glauben
doch wohl selber nicht, dass es einen Vater oder eine
Mutter in Deutschland gibt, die ihr Kind leichten Herzens in eine fremde Betreuung geben. Zunächst einmal
wollen sie wissen, wie die Qualität der Betreuung ist und
wer sich den ganzen Tag um das eigene Kind kümmert.
Wenn das Angebot erst einmal da ist und die Eltern
sehen, dass die Einrichtungen beispielsweise an den
Kindergarten oder die Schule angehängt sind und von
Organisationen getragen werden, die zuverlässig und gut
ihre Kinder betreuen, wird - das ist die Erfahrung in den
Kommunen - den entsprechenden Einrichtungen die
Bude eingerannt. Deswegen liegt der reale Bedarf, der in
Familien vorhanden ist, viel höher, als es die BedarfsNina Hauer
zahlen, die uns vorliegen, ausdrücken. Die sehr schwierige Frage - ich lebe auf dem Land; da redet man über
Kinderbetreuung anders als hier in Berlin, weil die anderen Familienangehörigen mitreden -, ob es richtig ist,
was man vorhat, und ob das Kind wirklich fremdbetreut
werden soll, können viele junge Paare bzw. Alleinerziehende leichter beantworten, wenn das Angebot da ist.
Deren Betreuungsbedarf wird somit in den abgefragten
Bedarfszahlen kaum erfasst.
({5})
Allein deshalb brauchen wir die Debatte um die Zahlen
nicht noch einmal zu führen.
Wir müssen uns aber auch darüber klar sein, dass wir
den Eltern nicht nur entsprechende Möglichkeiten anbieten, wenn wir sie bezahlen können, sondern dass wir ihnen mehr geben müssen. Deswegen finde ich es richtig,
dass meine Partei einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung auch für die unter Dreijährigen fordert. Wir wollen, dass die Eltern sich darauf verlassen können. Ich
glaube niemals, dass die Länder dafür kein Bundesgeld
nehmen.
({6})
Bei unserem Programm zur Ganztagsbetreuung war es
so, dass erst alle dagegen geredet und sich aufgeblasen
haben; aber am Ende haben alle Bundesländer das Geld
genommen und die Ganztagsbetreuung an den Schulen
ausgebaut.
Wir haben das Geld auch zur Verfügung. Wir könnten
bei der Umbildung des Ehegattensplittings dort leicht
1,9 Milliarden Euro herausnehmen. Dann bezahlen nicht
die Familien die Betreuung, sondern die Gut- und Großverdiener, und zwar größtenteils in Ehen ohne Kinder.
({7})
Ich frage Sie, meine Damen und Herren, was daran ungerecht sein soll - im Gegenteil!
Ich finde auch den Vorschlag gut, mit der Kindergelderhöhung zu warten und zu sehen, ob wir den Eltern
nicht etwas Vernünftigeres anbieten können. Ich komme
aus Hessen; da wünschen sich manche Eltern vielleicht
eine Kindergelderhöhung, um die Studiengebühren bezahlen zu können, die die hessische Landesregierung
einführt.
({8})
Aber insgesamt gesehen ist es doch eher so, dass die Eltern lieber von Anfang an eine gute Infrastruktur haben
als einzelne Steuergeschenke, die am Ende den Großund Gutverdienern zugute kommen. Das trifft auch auf
das Kindergeld zu. Das ist keine soziale Leistung, sondern gehört zum Steuerrecht. Dem Kindergeld steht ein
Freibetrag gegenüber, der umso höher ist, je höher das
Einkommen ist. Das ist ein ungerechter Finanzierungszuschuss für die Gutverdiener, während die Normalverdiener auf einen verlässlichen Platz für die Betreuung ihrer Kinder warten.
Deswegen finde ich die Vorschläge, die die SPD hier
vorgelegt hat, gut. Sie bieten eine Möglichkeit, das zu finanzieren, was das erklärte Ziel nicht nur der Ministerin,
sondern der ganzen Bundesregierung ist. Ich finde, sie
können den Familien in Deutschland eine gute Zukunft
geben.
Vielen Dank.
({9})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elisabeth
Winkelmeier-Becker für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Sehr geehrten Kollegen! Auch wenn das Ihre Feindbilder infrage stellt und
Sie sehr darunter leiden, kann ich Ihnen mitteilen: Es besteht Konsens über den bedarfsgerechten Ausbau der
Kinderbetreuung für unter Dreijährige.
({0})
Die Ministerin hat schlicht formuliert, welche Zahl diesem Bedarf aller Wahrscheinlichkeit nach entspricht. Sie
ist zu dem Ergebnis gekommen, dass wir bis zum
Jahr 2013 insgesamt 750 000 Plätze und damit 270 000
zusätzliche Plätze brauchen. Das reicht dann für ungefähr ein Drittel der Kinder und entspricht europäischem
Standard.
Ob das dem tatsächlichen Bedarf entspricht, entscheiden die Eltern aufgrund ihrer Lebensplanung und durch
ihre Anmeldungen, also durch Inanspruchnahme dieses
Angebots. Erst dann, wenn Plätze frei bleiben, werden
die Träger keine weiteren Plätze für diese Altersgruppe
mehr einrichten. Ob das bei weniger oder bei mehr als
750 000 Plätzen der Fall sein wird, können wir in Ruhe
auf uns zukommen lassen. Jedenfalls ist klar, dass zunächst einmal massive Schritte in Richtung mehr Plätze
erforderlich sind.
({1})
Wir von der Union stellen unsere Familienpolitik seit
Jahrzehnten unter den Begriff der Wahlfreiheit. Wenn
wir diese ernst nehmen - und das tun wir -, dann impliziert das auch die Anerkennung der Tatsache, dass junge
Menschen ihre Wahlfreiheit heute anders ausüben als die
Generation ihrer Eltern. Viele sehen nicht mehr die Alternative Beruf oder Familie, sondern stellen die Entscheidung für den Beruf an den Anfang ihrer Lebensplanung und schauen dann, ob das mit Kindern zu
vereinbaren ist oder nicht.
Ich weiß aus eigener Erfahrung - ich habe vor zwölf
bzw. 14 Jahren für meine damals zweijährigen Töchter
Betreuung gebraucht -, wie kompliziert, teuer, schwierig
und demotivierend es ist, wenn man nicht auf ein gutes
Betreuungsangebot oder qualifizierte Tagesmütter zurückgreifen kann. Deshalb wage ich zu prognostizieren:
Wenn wir hier nicht mehr tun, dann wird das einer der
Gründe bleiben, weshalb junge Menschen sich gegen
Kinder entscheiden. Das gilt vor allem für gut ausgebildete Frauen in interessanten und schnelllebigen Berufen,
die sich nicht vorstellen können, eine längere Kinderpause einzulegen.
Mit dem Elterngeld fördern wir jetzt ganz bewusst,
dass sich junge Mütter und Väter bis zu 14 Monate
selbst um ihre Kinder kümmern können. Jetzt geht es darum, dass im Anschluss daran Betreuungsmöglichkeiten
vorhanden sind. Es geht aber nicht darum - das war ein
emotionaler Punkt in der Auseinandersetzung -, Lebensentwürfe von Familien, die sich anders entschieden haben, infrage zu stellen. Auch das gehört zur Wahlfreiheit
und bedarf keiner Rechtfertigung.
Heute gibt es gute Gründe, sich anders als früher zu
entscheiden: die bessere Ausbildung der Frauen, die Beibehaltung des gewohnten Lebensstandards, den man
trotz Kind nicht aufgeben will, und auch die geringere
Versorgungssicherheit durch den Ehepartner, die sich dadurch ergibt, dass eine durchgängige Erwerbsbiografie
des Partners nicht gesichert ist oder dass es zu Trennungen kommt. Deshalb müssen wir für die Generation, die
jetzt vor der Entscheidung steht, eine Familie zu gründen, bessere Rahmenbedingungen schaffen. Wenn im
Moment die Betreuungsmöglichkeiten für unter Dreijährige die Schlagzeilen bestimmen, dann liegt das daran,
dass da der größte Handlungsbedarf besteht.
({2})
Eine Anmerkung zur Finanzierung. Grundsätzlich
fällt es in die Zuständigkeit der Länder, die Betreuung
auszubauen.
({3})
Die Länder trauen sich hier auch einiges zu und haben
die Kinderbetreuung mittlerweile als Standortvorteil erkannt.
({4})
- Baden-Württemberg ist ein Beispiel. Aber auch mein
Heimatland Nordrhein-Westfalen kann man hier als gutes Beispiel anführen.
({5})
Es zeigt, dass auch die Grünen noch nicht in der Lebenswirklichkeit angekommen waren. Denn nach zehn Jahren Rot-Grün und davor nach 30 Jahren SPD-Regierung
in Nordrhein-Westfalen hat die Regierung von Jürgen
Rüttgers eine Betreuungsquote von 2,8 Prozent vorgefunden.
({6})
Da brauchen wir uns angesichts der Leistungen, die in
CDU- und CSU-geführten Ländern schon längst erbracht worden sind, wirklich nicht zu verstecken.
Eine Aufteilung, nach der die Länder für die Betreuung und der Bund für andere Familienleistungen zuständig sind, hat den Vorteil, dass der Spielraum aufseiten
des Bundes nicht allein für die Schaffung von Betreuungsmöglichkeiten genutzt wird. Dies ist wichtig, da
noch andere Leistungen benötigt werden, die nur der
Bund erbringen kann.
Ich will noch kurz darauf eingehen, dass wir im Moment sämtliche Familienleistungen auf den Prüfstand
stellen.
({7})
Da geistert im Moment die unglaublich hohe Zahl von
184 Milliarden Euro durch die Medien. Wenn man sich
diese Zahl genauer anschaut, dann erkennt man, dass sie
große Brocken enthält, die mit Familienförderung nichts
zu tun haben.
Ich nenne ein Beispiel. Ich will zwar die Witwenrente, die 34 Milliarden Euro ausmacht, nicht infrage
stellen, aber man muss sich schon fragen, was das mit
der Förderung von jungen Familien zu tun hat. Eine
junge Familie, die ansonsten keine sozialen Leistungen
erhält, bekommt nur Kindergeld bzw. einen Kinderfreibetrag zugestanden. Das deckt bei weitem nicht die Kosten eines Kindes. Deshalb lehnen wir es ab, an diesen
Beträgen zu rütteln, auch wenn mit den eingesparten
Mitteln junge Familien an anderer Stelle unterstützt werden sollen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Dann komme ich zum Schluss.
Ich denke, wir sollten als Familienpolitiker mutiger
sein und die von uns in der Familienpolitik erbrachten
Vorleistungen mit der Forderung verbinden, dass Geld
aus dem allgemeinen Steuertopf für Familienleistungen
aufgewandt wird. Ich denke, dass wir da in konstruktiver
Weise noch einiges auf den Weg bringen werden.
Ich danke Ihnen.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ingrid ArndtBrauer für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Vor 22 Jahren, also 1985, habe ich meine wirtschaftswissenschaftliche Promotionsarbeit begonnen mit
dem Thema „Die Rückkehr aus der Familientätigkeit in
die Erwerbstätigkeit als gesellschaftspolitische Aufgabe“. Damals hieß der zuständige Minister Geißler, der
für konservative CDU-Mitglieder manchmal eine kleine
Zumutung war.
Ich habe meine Arbeit damals leider nicht beenden
können; denn mir sind vier Kinder und eine fehlende
Kinderbetreuung dazwischengekommen, sowohl an der
Uni, an der man mir eine Stelle angeboten hatte, als auch
später, als ich eher ländlich gewohnt habe. Ich musste
also jahrelang zu Hause bleiben, konnte weder meine
Promotion abschließen noch irgendeinen Beruf ergreifen. Ich habe es nachher noch geschafft, wieder einzusteigen. Aber ich weiß aus persönlicher Erfahrung, wie
schwer das ist.
Was ich richtig schlimm an dieser Sache finde, ist,
dass sich dieses Problem nach 22 Jahren noch nicht erledigt hat. Ich halte es immer noch für eine gesellschaftspolitische Aufgabe - dies ist nicht nur eine Aufgabe der
Politik, sondern auch eine der Gesamtgesellschaft -, dafür zu sorgen, dass Menschen aus der Familientätigkeit
- früher wurde dies so komisch formuliert; so muss man
es nicht nennen; also nachdem sie Kinder bekommen haben - wieder in die Berufstätigkeit einsteigen können.
Wir versuchen, die Situation zu verbessern. Ich finde
es gut, dass wir das versuchen. Ich finde es gut, dass wir
das in der Großen Koalition zusammen mit der CDU
machen,
({0})
wobei ich häufig den Eindruck habe, dass Ihre Parteibasis noch nicht ganz so weit ist wie diejenigen, die hier zu
diesem Thema reden.
({1})
Aber vielleicht ändert sich das ja.
Sie haben jedenfalls eine Ministerin, die das vorantreibt; das freut mich sehr. Da ist es vielleicht hilfreich,
dass sie eigene Erfahrungen damit gemacht hat, wie das
mit kleinen Kindern in dieser Gesellschaft und mit der
Betreuung dieser Kinder so ist.
Wir sind im Moment in der Situation, dass wir enormen Zeitdruck haben. Wir können das Problem nicht
schieben. Wir können nicht noch einmal rechnen lassen
und noch einmal irgendeinen, der vielleicht ansatzweise
etwas herausbekommen hat, fragen, ob er vielleicht neue
Erkenntnisse hat. Wir haben das Problem: Wir müssen
zum 1. Januar nächsten Jahres - oder sagen wir: zwei
Monate später; ich bin ja optimistisch, dass alle Männer
Elternzeit nehmen, also spätestens bis März nächsten
Jahres - den Eltern ein Angebot machen können. Das ist
das Problem, vor dem wir stehen.
Hier geht es jetzt um die Finanzierung. Ich habe mich
sehr gefreut, dass Sie gesagt haben, die ganze Gesellschaft müsse zahlen. Ich halte das, wie gesagt, für ein
gesellschaftspolitisches Problem. Ich bin nicht unbedingt der Meinung, dass man nur im Familienetat nachsehen muss, ob noch Geld übrig ist, das umgeschichtet
werden kann. Ich möchte vielmehr, dass dies auch in anderen Etats erfolgt.
Ich möchte ausdrücklich nicht, dass wir uns deswegen
neu verschulden oder eine Steuererhöhung durchführen.
({2})
Wir haben gerade unseren Kindern gegenüber eine große
Verantwortung, was nachhaltige Finanzpolitik angeht.
({3})
Ich denke, wir müssen dafür sorgen, dass unsere Kinder
eher weniger Schulden haben, als wir sie jetzt aufgetürmt haben, und nicht noch mehr erben.
({4})
Also haben wir die Aufgabe, in den Etats nachzusehen.
Vielleicht können wir im Familienetat irgendwelche alten Zöpfe abschneiden; das möchte ich nicht bestreiten.
Ob es am Ende diejenigen Vorschläge sein müssen,
die die SPD vorgelegt hat, darüber wird man reden müssen. Aber wir haben etwas vorgelegt, und das ist das Entscheidende. Wir haben diese Sache ein bisschen „mit
Struck“ befrachtet. Wir haben unseren Koalitionspartner
jetzt ein bisschen genötigt, aktuell und konkret Finanzierungsvorschläge zu machen und nach Möglichkeiten zu
suchen. Wir dürfen die Länder auf keinen Fall aus der
Pflicht entlassen. Dies ist natürlich auch eine Länderaufgabe. Aber auch der Bund ist in der Pflicht, die Richtlinien so zu setzen, dass sich die Länder danach richten
können.
Ich möchte noch ganz kurz ein weiteres Thema aufgreifen: die Rente mit 67. Ich halte diese Entscheidung
für absolut nicht verantwortungslos. Das ist das einzig
Richtige, was wir machen können, um unsere Sozialsysteme in diesem Bereich zu erhalten. Dieses Thema hat
zwar mit der Kinderbetreuung nichts zu tun; aber es hat
etwas - das wurde erwähnt - mit verantwortungsvoller
Politik zu tun.
({5})
Die wollen wir hier machen. Das ist unsere Zielsetzung.
Deswegen sind wir hier.
Ich würde mich sehr freuen, wenn ich, auch wenn ich
es nicht schon für mich erreicht habe, für meine Kinder,
die jetzt zwischen 16 und 22 Jahre alt sind, die Betreuung ihrer Kinder regeln könnte. Es würde mich freuen,
wenn wir das noch in dieser Legislaturperiode hinbekommen.
Danke schön.
({6})
Nun hat das Wort der Kollege Steffen Kampeter für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte mich zuerst einmal bei der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen dafür bedanken, dass
({0})
sie uns mit dieser Aktuellen Stunde die Möglichkeit gibt,
über die familienpolitischen Leistungen der Großen
Koalition Rechenschaft abzulegen. Das ist eine gute Gelegenheit, die wir gerne nutzen.
({1})
Diese Debatte hat gezeigt, dass Ursula von der Leyen
der Familienpolitik zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein
erkennbares, modernes Gesicht gegeben hat. Darauf sind
wir als Union ganz besonders stolz.
({2})
Nachdem ich die Büttenrede der Kollegin Sager gehört habe,
({3})
wird mir eines klar: Der parlamentarischen Linken ist
hier ein bisschen das Feindbild verloren gegangen.
({4})
Sie hatte in unseren Reihen immer eine Paschaversammlung vermutet.
({5})
Jetzt bestimmt das, was die „Welt“ heute den „konservativen Feminismus“ nannte, die Politik der Großen Koalition.
({6})
Das ärgert insbesondere die Grünen. Wir brauchen uns
da überhaupt nicht zu verstecken.
Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es für
uns als Union zwei wichtige Dinge gibt: die materielle
Wahlfreiheit und die organisatorische Wahlfreiheit. Wir
sind im ersten Regierungsjahr insbesondere im Bereich
der materiellen Wahlfreiheit zwei große Schritte weitergekommen. Wir haben das Elterngeld eingeführt - zum
ersten Mal eine positiv mit dem Einkommen verbundene
familienpolitische Leistung, die insbesondere in denjenigen Bereichen, die wir als besonders kinderarm identifiziert haben, endlich eine gesellschaftliche Anerkennung
der Erziehungsleistungen der Eltern bringt. Das Elterngeld ist eine wirkliche Revolution der Familienfinanzierung.
({7})
Wir haben des Weiteren die steuerliche Absetzbarkeit
von Kinderbetreuungskosten - die von Teilen des Hauses vor drei oder vier Jahren noch als Dienstmädchenprivileg diskreditiert wurde ({8})
in einem Maße eingeführt, das Kinderbetreuung im
häuslichen Bereich materiell und organisatorisch ermöglicht. Auch dies ist eine kleine Revolution in der materiellen Absicherung der Entscheidungsfreiheit der Familien in unserem Land.
({9})
Ich glaube, wir müssen zukünftig auch im Bereich der
Kinderfreibeträge - nicht in dieser Legislaturperiode ({10})
noch weiter überlegen, welche Möglichkeiten sich ergeben, die materielle Wahlfreiheit besser auszugestalten.
Reden wir über den zweiten Punkt, die organisatorische Wahlfreiheit. Es entsteht der Eindruck, als ob alle
Parteien in diesem Haus seit gestern oder seit vorletzter
Woche das Thema der Betreuung der unter Dreijährigen
entdeckt hätten. Auch da brauchen sich die Union oder
die SPD hier im Haus nicht zu verstecken.
({11})
Wir finanzieren die Betreuung der unter Dreijährigen
beispielsweise über das Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, mit dem wir seit dem Jahre
2005 in einer schwierigen Operation Jahr für Jahr
1,5 Milliarden Euro an die Gemeinden transferieren. Auf
diesem Umweg - es ist zugegebenerweise ein Umweg wird der Bund bis 2010 insgesamt 500 000 Betreuungsplätze für unter Dreijährige mitfinanzieren. Das ist eine
enorme finanzielle und organisatorische Anstrengung,
die es an dieser Stelle vielleicht einmal hervorzuheben
gilt.
({12})
Ich will eines klar sagen - Frau Haßelmann wurde gerade schon immer unruhig, als die Redner der Koalition
etwas gesagt haben -: Wir haben vor rund einem Jahr als
bürgerliche Koalition von Union und FDP in NordrheinWestfalen, nachdem wir 39 Jahre nicht an der Regierung
waren, eine Betreuungsquote der unter Dreijährigen von
unter 3 Prozent vorgefunden. Das ist Schlusslicht in
Deutschland. Ich hätte mir gewünscht, dass die Rednerinnen der Grünen, die heute hier so laut das Wort geführt haben, dies auch in Düsseldorf im Landtag getan
hätten, solange sie in der Verantwortung waren.
({13})
Die CSU - für manche die institutionalisierte Paschaorganisation -, die noch länger als 39 Jahre in Bayern regiert, hat es geschafft, mit 7 Prozent einen der höchsten
Anteile in den westdeutschen Flächenländern bei der Betreuung der unter Dreijährigen zu erreichen.
({14})
Das zeigt, wie hier Feindbilder und die Realität auseinanderklaffen.
({15})
Die Union ist auch im Bereich der organisatorischen
Kinderbetreuung spitze.
Hier wird der Eindruck erweckt, die Gemeinden würden warten, bis der gute Onkel Landesregierung oder der
gute Onkel Bundesregierung das Geld vorbeibringt, und
würden dann erst entdecken, dass Kinderbetreuung für
das Entwicklungspotenzial von kommunaler Politik
wichtig ist. Viele Gemeinden haben Geld dringend nötig,
aber sie wissen, dass Kinderbetreuung für sie ein wichtiger Standortfaktor ist. Die Gemeinden warten mit solchen Dingen doch nicht, bis wir ihnen eine Wurst hinhängen. Jede Gemeinde weiß: Sie wird nur wachsen, sie
wird im Wettbewerb nur bestehen können, wenn sie sich
auch im Bereich der organisatorischen Wahlfreiheit
engagiert.
({16})
So dumm, wie manche die Kommunalpolitik machen
wollen, ist sie eigentlich nicht.
Abschließend möchte ich sagen,
({17})
dass das alles auch anständig finanziert werden muss. Es
tut mir leid: Das ist noch kein Finanzkonzept; das ist ein
Vorschlag der SPD. Das ist ungeheuer wichtig; denn ich
will eines festhalten: Wenn wir ein Kind mit einem
Schuldschein in eine Kinderbetreuungseinrichtung schicken und dieser Schuldschein später abbezahlt werden
muss, dann ist das keine soziale Politik zwischen den
Generationen.
Auf Schuldenbergen können keine Kinder spielen.
({18})
Deshalb ist eindeutig klar, dass diese Veränderung materiell so abgesichert werden muss, dass sie mit der Haushaltslage vereinbar ist. In dieser Hinsicht werden wir als
Haushaltspolitiker Ursula von der Leyen aktiv unterstützen.
Herzlichen Dank.
({19})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Griese für
die SPD-Fraktion.
({0})
Keine Sorge, Herr Niebel, Sie müssen sich nicht langweilen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
genügend Dynamik in der Großen Koalition. Die Familienpolitik kommt voran. Dieser Erfolg hat viele Mütter
und Väter. Ich danke der Ministerin von der Leyen. Ich
danke Renate Schmidt, die den Zug angeschoben hat.
Ich danke auch meiner Kollegin Nicolette Kressl, die
heute nicht anwesend sein kann und die das Konzept für
unsere Fraktion federführend erarbeitet hat,
({1})
wie man beim Ausbau der Kinderbetreuung tatsächlich
vorankommen kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will deutlich
machen, dass es um zwei Ziele geht. Das erste Ziel bezieht sich auf Bildungschancen. Davon war heute viel zu
wenig die Rede. Es geht uns um Bildungschancen für
Kinder,
({2})
und zwar um Bildungschancen für alle Kinder, und um
Chancengleichheit. Das hat auch viel mit Integration und
Armutsbekämpfung zu tun. Das ist unser Ziel. Um der
Kinder willen wollen wir bessere Bildungschancen, wollen wir eine gute Betreuung ab dem ersten Geburtstag,
damit sich auf diesem Gebiet etwas tut und etwas vorankommt.
({3})
Deshalb sieht unser Konzept nicht nur einen quantitativen Ausbau vor; vielmehr geht es auch um Qualitätssteigerung. Wir sehen erstens einen Zuschlag für die
neuen Bundesländer vor, die keine Quantitätssteigerung,
aber mehr Qualität brauchen. Wir sehen zweitens vor,
mehr Geld in die Hand zu nehmen für die Qualität in unseren Kindertagesstätten, für eine bessere Ausbildung
der Erzieherinnen und der immer noch sehr wenigen Erzieher, für eine bessere Sprachförderung.
Qualität und Quantität gehören hier zusammen. Das
ist auch im Sinne unserer Kinder das Beste.
Wenn wir uns die ellenlangen Wartelisten anschauen,
die in jeder westdeutschen Kleinstadt, in jedem Dorf
existieren, kann ich nur sagen: Wir sollten noch schneller vorankommen; der Schwung, die Dynamik sollten
noch zunehmen. Es geht; man kann tatsächlich etwas
verändern.
Deshalb haben wir als SPD ein Konzept vorgelegt,
wie man durchfinanziert und ohne neue Schulden - Herr
Kampeter, das sollten Sie einmal loben - etwas tun kann,
um die Kinderbetreuung auszubauen.
({4})
Zum Zweiten geht es uns um Sicherheit und Planbarkeit für die Eltern. Es geht um die Vereinbarkeit von
Kindern und Beruf. Deshalb ist mir ganz wichtig: Wir
brauchen einen Rechtsanspruch. Wir brauchen nicht irgendeine Zielzahl, wie viele Plätze geschaffen werden
müssen. Das kann man zwar in der Bedarfsplanung oder
in der Begründung eines Gesetzes, wie beim Tagesbetreuungsausbaugesetz, festlegen. Aber wir brauchen einen Rechtsanspruch.
Denn dieser Bedarf verändert sich. Er ist mindestens
so dynamisch wie die Große Koalition. Das heißt, der
Bedarf wird immer größer. Immer mehr Eltern sehen: Es
ist gut für mein Kind, wenn es mit anderen Kindern zusammen ist, wenn dort Bildungschancen eröffnet werden.
({5})
Deshalb ist es gut, wenn wir sagen: Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ab dem ersten Geburtstag. Wir sagen: Man muss dafür mehr Geld
in die Hand nehmen. Fast 2 Milliarden Euro mehr wollen wir dafür in die Hand nehmen. Es geht wirklich. Wir
haben ein Finanzierungskonzept vorgelegt.
Wir sollten uns auch nicht darüber streiten, dass der
Föderalismus daran schuld wäre, dass man nichts tun
könnte. Wir haben das Kinder- und Jugendhilfegesetz
auch im Rahmen der Föderalismusreform bewusst in der
Bundeskompetenz belassen. Im Tagesbetreuungsausbaugesetz ist enthalten, wie man Änderungen machen kann.
Dort ist ein konditionierter Rechtsanspruch vorgesehen.
Diesen wollen wir auf einen Rechtsanspruch ab dem ersten Geburtstag erweitern. Es geht also; wir können tatsächlich etwas tun, und wir haben schon viel getan.
Wenn ich immer wieder höre, dass wir noch eine
Konferenz brauchen und Sie, Frau Ministerin, diese
durchführen müssen, so meine ich, Sie sollten das gern
tun. Ich habe mich ein bisschen daran erinnert gefühlt,
dass wir als SPD-Fraktion gestern im Kino getagt haben
und den Film von Al Gore gesehen haben. Al Gore hat
gesagt: Zum Thema Klimaschutz gibt es Hunderte von
wissenschaftlichen Expertisen; alle sagen das Gleiche.
Ehrlich gesagt, das ist in der Familienpolitik auch so.
Alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sagen
das Gleiche: Wir brauchen den Ausbau der Kinderbetreuung.
Wir haben den Bericht des Deutschen Jugendinstituts.
Wir haben die Zahlen aus dem TAG-Bericht. Wir brauchen für etwa 50 Prozent der Kinder von ein bis zwei
Jahren und für etwa 70 Prozent der Kinder von zwei bis
drei Jahren Betreuungsplätze.
Wenn es noch einer Konferenz bedarf, damit der
Grundsatz „Bildung für alle“ auch bei den Landesministern ankommt, tun Sie das in Gottes Namen! Ich wünsche Ihnen alles Gute dabei. Aber lassen Sie uns dann
endlich schnell handeln.
({6})
Liebe Frau Ministerin, Sie haben bei der Diskussion
über das Elterngeld, die ebenfalls hoch herging, den
schönen Satz gesagt, Sie würden bei dem männlichen
Teil der Bevölkerung verbale Aufgeschlossenheit bei
weitgehender Verhaltensstarre registrieren.
({7})
Verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre - das nimmt natürlich in diesem Hause niemand für sich in Anspruch. Aber das gibt es manchmal
noch. Weil morgen Internationaler Frauentag ist, sage
ich: Wenn es nicht schnell genug vorangeht, lassen Sie
uns ein Frauenbündnis machen! Dass es geht, dass man
etwas tun kann, ist belegt. Wir als SPD haben ein Konzept dafür vorgelegt. Am liebsten wäre mir, wir könnten
das im Sinne der Kinder und Familien in unserem Land,
die mehr Bildungschancen und mehr Chancen auf Integration und auf gute Betreuung ab dem ersten Geburtstag brauchen, gemeinsam gestalten.
Vielen Dank.
({8})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Georg Fahrenschon für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
- Herr Kollege Niebel, die Reihenfolge der Redner und
der Anteil an der Redezeit ergeben sich aus dem Wahlergebnis. Darauf möchte ich Sie hinweisen.
({1})
Herr Niebel, arbeiten Sie daran! Auch Sie haben Zukunftschancen, das ist unbestritten.
({0})
Liebe Frau Sager, Ihnen als erfahrene Parlamentsrednerin brauche ich nicht zu sagen, dass Lautstärke und
Schnelligkeit nicht die Argumente ersetzen. Sie kommen
an einer Tatsache nicht vorbei: Unsere Bundesministerin
ist ein beredtes Beispiel dafür, dass die Antwort der Regierung der Feind der Frage der Opposition ist. Heute
haben wir das wieder einmal erlebt.
Sie eröffnen uns eine große Chance; denn wir können
als Regierungsfraktionen deutlich machen, dass wir uns
einig sind.
({1})
Der qualitätsorientierte bedarfsgerechte Ausbau der Betreuung von Kindern ist ein wichtiger Beitrag zur Innovations- und zur Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
({2})
Gute Betreuung ermöglicht Kindern gute Chancen. Wir
wollen dabei den unterschiedlichen familiären Situationen gerecht werden und deutlich machen, dass Eltern,
die für die Betreuung ihrer Kinder staatliche Institutionen in Anspruch nehmen wollen oder müssen, um Beruf
und Familie zu verbinden, genauso unsere Unterstützung
verdienen wie Eltern, die die Betreuung ihrer Kinder
ausschließlich selbst wahrnehmen wollen. Genauso wollen wir die Leistung alleinerziehender Männer und
Frauen beachten, wenn wir uns über die Betreuungssituation in Deutschland unterhalten.
Wir unterstützen alle, die sich ihrer familiären Aufgabe stellen, weil wir der festen Überzeugung sind, dass
das Ja zum Kind ohne Angst vor der Zukunft, dafür aber
mit Potenzialen für die Zukunft verbunden sein sollte.
Zentrales Ziel von CDU/CSU ist daher der Ausbau eines
bedarfsgerechten, zeitlich flexiblen, bezahlbaren und
vielfältigen Angebots für alle Altersgruppen.
Dabei muss aber auch klar gesagt werden: Wir führen
die Debatte vor dem Hintergrund des TAG, des Gesetzes
zum Ausbau der Tagesbetreuung. Deshalb ist doch offensichtlich, dass man nicht einfach beliebige Bedarfszahlen in den Raum stellen und die Finanzierung ein
Stück weit unter den Tisch fallen lassen kann.
({3})
Vielmehr muss man an erster Stelle eine Bedarfsanalyse
über das TAG hinaus erstellen.
({4})
Diese Bedarfsanalyse resultiert aus der Tatsache, dass
wir vor noch nicht allzu langer Zeit mit der
Föderalismusreform I deutlich gemacht haben, dass die
Aufgabe bei den Ländern liegt. Es ist doch nicht verkehrt, darauf hinzuweisen, dass wir gemeinsam mit den
Ländern das Thema beleuchten müssen. Damit ist weder
Streit noch Umfallen verbunden; das ist redlich und in
der Sache geboten, und es zeichnet die Politik von CDU
und CSU aus.
({5})
Ich will noch einmal deutlich machen: Das Ziel von
CDU und CSU ist es, mit ihrer Politik den unterschiedlichen familiären Situationen gerecht zu werden.
({6})
Daher wollen wir den Eltern keine Lebensmodelle vorschreiben, sondern familienfreundliche Bedingungen für
möglichst freie Entscheidungen und möglichst viel
Wahlfreiheit schaffen. Dabei gilt es, die gesetzliche Lage
im Blick zu haben.
Frau Kollegin Hauer, an dieser Stelle muss ich sagen:
Das Ehegattensplitting ist keine beliebig gestaltbare
Sondervergünstigung im Steuerrecht, sondern es ist der
steuerliche Ausdruck des besonderen Schutzes, den Ehe
und Familie im Grundgesetz genießen.
({7})
Was nützt das beste Kinderbetreuungskonzept, wenn
es nicht finanziert werden kann, oder, noch schlimmer,
wenn es ein finanzieller Verschiebebahnhof ist, bei dem
vor allem die Familien selber belastet werden? Einem
solchen Konzept schließen wir uns nicht an.
({8})
Der von Ihnen vorgelegte Vorschlag würde eine Familie
mit einem Jahresbruttoarbeitslohn von 60 000 Euro um
rund 1 000 Euro im Jahr, also um gut 9,3 Prozent im
Vergleich zum geltenden Recht, mehr belasten. Das
heißt aus unserer Sicht im Klartext: Der Ausbau der Kinderbetreuung, den Sie vorschlagen, der ja in erster Linie
eine Familienförderung sein soll, belastet überwiegend
die geförderten Familien selbst. Da machen wir nicht
mit.
({9})
- Dieser Vorschlag bringt uns nichts. Wir müssen uns die
Bedarfssituation ansehen und gemeinsam mit den Ländern überlegen,
({10})
wie wir die vielen Unterstützungsmöglichkeiten, die die
Familienförderung in Deutschland heute schon bietet,
zielgenauer ausrichten.
({11})
Ich will Ihnen noch etwas sagen: Der Vorschlag, ans
Ehegattensplitting zu gehen, ist in wesentlichen Teilen
auch unsozial. Sie müssen sich schon mit der Frage auseinandersetzen, welchen Sondereffekt, welche Rückwirkung die Streichung des Ehegattensplittings hat. Paare,
die sich einmal wegen der Kinder für die Einverdienerehe entschieden haben, sollten nicht mit dem Auszug der
Kinder auf das Ehegattensplitting verzichten müssen.
Das ist nicht gerecht. Hier gehen Sie in die falsche Richtung.
({12})
Diese Eltern kümmern sich auch nach dem Auszug ihrer
Kinder um diese ebenso wie um ihre Enkel.
Deshalb ist die Union nicht zu diesem ziel- und orientierungslosen Aktionismus bereit. Wir sind der festen
Überzeugung, dass dies in eine finanzielle Sackgasse
führt. Wir sind daran interessiert, gemeinsam mit den
Bundesländern die Betreuungssituation in Deutschland
weiter voranzubringen.
Herzlichen Dank.
({13})
Ich schließe die Aussprache.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 8. März 2007,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.