Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/2/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg feiert heute seinen 60. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich sehr herzlich und wünsche alles, alles Gute. ({0}) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Laurenz Meyer ({1}), Veronika Bellmann, Klaus Brähmig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Dr. Rainer Wend, Ludwig Stiegler, Christian Lange ({2}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse in der mittelständischen Wirtschaft - Drucksache 16/4391 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({3}) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({4}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Laurenz Meyer ({5}), Ilse Aigner, Veronika Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Rainer Wend, Christian Lange ({6}), Ludwig Stiegler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Neue Impulse für den Mittelstand - zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Unternehmen statt Unterlassen - Vorfahrt für den Mittelstand - Drucksachen 16/557, 16/562, 16/1070 Berichterstattung: Abgeordneter Laurenz Meyer ({7}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Hartmut Schauerte für die Bundesregierung. ({8})

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Guten Morgen, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Abbau von Bürokratie und die Suche nach besserer Regulierung da, wo sie nötig ist, ist einer der wichtigen Programmpunkte der Großen Koalition und der Bundesregierung. Jedes Übermaß an Bürokratie ist schädlich: ({0}) Notwendige Entscheidungen werden verhindert oder verlangsamt. Zeit und Geld von Verwaltungen, von Forschern, von Freiberuflern, von Arbeitnehmern, von Unternehmern werden vergeudet. Redetext ({1}) Bürokratie belastet mehr oder weniger, immer oder manchmal jeden Bürger. Politik, aber auch Wirtschaft und Gesellschaft sind dringend aufgefordert, alte bürokratische Zöpfe zurückzuschneiden und neu entstehende, wo immer möglich, zu vermeiden. Über dieses Programm sind wir uns hier im Parlament im Prinzip einig. Ich denke, wir können auch angesichts der heutigen Debatte mit einigem Stolz sagen: Noch nie hat sich eine Bundesregierung so intensiv von Beginn an mit diesem Thema beschäftigt wie die jetzige, von der Großen Koalition getragene Bundesregierung. ({2}) Wir sind systematisch an dieses Thema herangegangen: Wir haben das von vornherein im Koalitionsvertrag verabredet und dann viele Baustellen gleichzeitig eröffnet. Wir haben das Standardkostenmodell entwickelt und messen erstmals Bürokratiekosten. Wir evaluieren erstmals, wie viel bürokratischer Aufwand und welche Kosten durch neue Gesetze entstehen. - Unser Vorgehen - das ist auch zwingend nötig - ist ganz praktisch ausgerichtet: Der Normenkontrollrat, der mittlerweile eingerichtet wurde, erklärt bereits vor der parlamentarischen Beratung eines jeden Gesetzes öffentlich, wie viel Bürokratie damit verbunden sein wird. So können wir eine qualifizierte Debatte über drohende neue Bürokratie und Vermeidungsstrategien führen, weil wir wissen, worüber wir reden, weil wir etwas Handfestes auf dem Tisch haben. Wir haben in der letzten Woche Abbauziele verabredet: 25 Prozent bis zum 31. Dezember 2011. Das ist ein mutiges Unterfangen; damit handeln wir sehr konsequent. Wir bewegen uns mit diesem Zeitrahmen in dem gleichen Rahmen, den beispielsweise die Engländer und Holländer in ähnlicher Situation gebraucht haben. Hier darf es keine Schnellschüsse geben. Es handelt sich vielmehr um einen kontinuierlichen, auch Zeit brauchenden Prozess. Ich denke, dass wir damit gut aufgestellt sind. Dass sich Deutschland so intensiv mit dieser Frage beschäftigt, hat auch Auswirkungen auf die Europäische Union; denn auch da nimmt die Bereitschaft zu, das Thema ernst zu nehmen. ({3}) Von dort können wir in Zukunft ebenfalls mit festen Vorgaben rechnen. Hier hat man sich das Ziel gesetzt, einen Abbau von 25 Prozent der Bürokratiekosten zu erreichen, allerdings bis zum 31. Dezember 2012. Auch in allen 16 Bundesländern wird sehr intensiv über die Frage des Bürokratieabbaus in der jeweiligen Zuständigkeit geredet und entsprechend gehandelt. Ich komme zu meiner Eingangsbemerkung zurück: Noch nie ist auf der politischen Ebene der Bürokratieabbau so ernst genommen, so breit angelegt und so intensiv versucht worden - ich sage das bewusst nachdenklich wie unter der jetzigen Bundesregierung. Ich will keine falschen Erwartungen wecken; aber wir arbeiten mit voller Kraft an diesem Problem, und das ist schon einmal ein sehr guter Anfang. Vor allem Wirtschaft und Mittelstand sind von der Bürokratie betroffen. Deshalb ist das Wirtschaftsministerium die treibende Kraft in dieser Debatte. Der Mittelstand ist besonders betroffen; denn je kleiner die Unternehmen, desto mehr leiden sie unter der Bürokratie. ({4}) Für sie entstehen dadurch Kosten und Belastungen, die erheblich sind. Die Zahlen sind zum Teil bekannt. Man sagt mittlerweile, 4 bis 6 Prozent des Umsatzes der mittelständischen Wirtschaft müssten für Bürokratie aufgewandt werden. Wenn diese Zahl stimmt, dann entstehen diesen Unternehmen jährlich mehr als 70 Milliarden Euro Bürokratiekosten. Bei dieser Dimension wird jeder erkennen, dass Bürokratie auch ein ganz wichtiger Standortfaktor ist. ({5}) Je besser wir im Hinblick auf Regulierungen und Bürokratie aufgestellt sind, desto wettbewerbsfähiger sind wir in der sich schnell verändernden Welt. Insoweit ist diese Baustelle ausgesprochen wichtig. Wir haben in 2006 ein erstes Mittelstandsentlastungsgesetz verabschiedet. Darüber hinaus haben wir einen Katalog mit 16 Einzelvorhaben und 37 Maßnahmen für mittelstandsfreundliche Reformvorhaben verabschiedet, die im Moment in der Umsetzung sind. Bei diesem ersten Mittelstandsentlastungsgesetz waren wir noch nicht so weit, dass wir Bürokratiekosten messen konnten. Das geschieht jetzt erstmalig durch das zweite Mittelstandsentlastungsgesetz. Der Betrag, um den es hier geht, ist zunächst einmal relativ gering. Niemand sollte glauben, mit den 58 Millionen Euro, die wir hier ermitteln, hätten wir schon einen Durchbruch erzielt. Aber mit diesem Gesetz haben wir ein neues System angelegt und versuchen, eine Lösung des Problems zu finden. Es gibt da durchaus noch Schwächen; ich komme auf die eine oder andere Schwäche zurück. Bei diesem Gesetzgebungsvorhaben ist auch noch nicht alles gemessen worden, was wir messen müssen und messen wollen. Die Entlastungswirkung ist aber insgesamt größer. Ich denke, dass wir das miteinander im Prozess noch verbessern können. Wir sind nicht der Auffassung, wir hätten an dieser Stelle die Weisheit gepachtet. Wir sind noch auf der Suche. Der Regelinhalt des zweiten Mittelstandsentlastungsgesetzes: Es reduziert die Menge unnötiger Vorschriften. 17 Deregulierungsmaßnahmen auf verschiedenen Rechtsgebieten sollen in Kraft gesetzt werden. Das soll zeitnah geschehen, jeweils so schnell es möglich ist. Einige Maßnahmen können praktisch mit der Verkündung des Gesetzes in Kraft treten, andere brauchen eine gewisse Umsetzungsphase, aber in sehr überschaubaren Fristen. Beim Thema Bürokratieabbau geht es immer wieder um Statistiken und Berichtspflichten. Wir wollen mit diesem zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz zum Beispiel Existenzgründer in den ersten drei Jahren von statistischen Meldepflichten befreien; das ist ein ganz sinnvoller Vorschlag. ({6}) Wir alle sind uns einig: Wenn einer eine Existenz gründet, hat er genug zu tun; er muss sich um den Markt, das Produkt, die Organisation seines Unternehmens kümmern. Wenn dann noch lästige Bürokratieanforderungen hinzukommen, ist das ein Schlag ins Kontor und demotiviert möglicherweise. Deswegen denke ich, dass wir hier wenigstens einen wichtigen ersten Schritt gehen. Auf die Zahlen wirkt sich das so aus, dass die Zahl der Existenzgründungen steigt. Bei 7 100 Existenzgründungen geht es um ersparte Bürokratiekosten - das fängt an zu wachsen - von 1,2 Millionen Euro. Das ist eigentlich ein kleiner Betrag. Aber ich sage noch einmal: Mir geht es in dieser Debatte darum, dass ein guter Anfang gemacht worden ist; das ist noch nicht das Schlussergebnis. Dieser Prozess wird ja nicht abgebrochen, sondern er wird fortgesetzt und intensiviert; er wird an Fahrt gewinnen. Eine weiterer Punkt des Gesetzes ist, dass statistische Erhebungen bei kleinen Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten auf drei Stichproben pro Jahr beschränkt werden. Im Jahr 2004 wurden 625 dieser Unternehmen zu mehr als drei Stichprobenerhebungen herangezogen. An diesem Punkt wird deutlich: Die Gesellschaft hat ein Interesse an Information. Wir möchten wissen, welche Prozesse in den Wirtschaftsbereichen ablaufen. Wir wollen rechtzeitig erkennen, ob es Fehlentwicklungen gibt, und sind daher auf Informationen angewiesen. Viele Informationen werden von den Wirtschaftsverbänden selbst gewünscht und gefordert. Sie können ihre Steuerungs- und Beratungsfunktion nicht erfüllen, wenn sie sozusagen blind gemacht werden. Wir müssen es also auf intelligente Weise schaffen, die notwendigen Informationen ohne unnötige Bürokratie mit modernen Methoden zu ermitteln. In diesem Findungsprozess befinden wir uns. Die Maßnahmen, die im zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz enthalten sind, entsprechen diesem Ansatz. In der Dienstleistungskonjunkturstatistik werden bereits verstärkt vorhandene Verwaltungsdaten genutzt. Wir müssen die Trennung bei denen, die im Besitz von Daten sind, aufheben. Dann ist ein Austausch von Informationen möglich. Eine einmal erhobene Zahl kann für sehr viele Prozesse verwendet werden. Sie darf nicht in der Schublade liegen bleiben, sondern sie muss weitergegeben werden. Dadurch entfallen Bürokratiekosten - wir fangen bescheiden an - in Höhe von insgesamt jährlich 3,5 Millionen Euro. Aber ein Anfang ist gemacht. Herr Zeil, damit kein falscher Eindruck entsteht, sage ich noch einmal: Wir sagen nicht unter Fanfarenklängen, dieses Mittelstandsentlastungsgesetz sei der Durchbruch. Es ist ein kleiner Anfangsbaustein in einem Prozess, den wir verabredet haben. Es gibt einen Wegfall der Genehmigungspflicht im Preisangaben- und Preisklauselgesetz. Ich bin selber Notar gewesen. Sie alle kennen diesen Fall: Wenn ein Vertrag mit einer Laufzeit von 20 Jahren zwischendurch an die Inflationsentwicklung angepasst werden sollte, dann musste man eine Genehmigung für diese Klausel bei der Preisklauselgenehmigungsbehörde einholen. Das ist ein unnötiger Vorgang. Der Wegfall dieser bürokratischen Maßnahme ist ebenfalls im Mittelstandsentlastungsgesetz enthalten. Zuletzt gab es diesbezüglich 17 000 Anträge pro Jahr. Eine solche Genehmigung einzuholen war ärgerlich, hat immer Zeit gekostet und war völlig unnötig. Ich kenne aus meiner Praxis keinen Fall, bei dem die Klausel einmal nicht genehmigt wurde. Also weg damit! Das sind Elemente, die den Bürokratieabbau befördern. Ich komme zu einem weiteren Punkt: Wegfall von Doppelprüfungen. An dieser Stelle haben wir die Entlastung nicht genau quantifiziert. Wir wollen, dass im Rahmen einer Betriebsprüfung nicht beide, also sowohl der Unfallversicherungsträger als auch der Rentenversicherungsträger, tätig werden müssen. Sie können die Zahlen untereinander austauschen. Wir haben uns auf diesen gegenseitigen Austausch von Informationen verständigt. Herr Müntefering, das ist ein Bereich, der zum Teil in Ihrem Hause zu bearbeiten ist. Was sind die Konsequenzen? Dadurch entfallen jährlich 130 000 Doppelprüfungen. Diese Doppelprüfungen sind Außenprüfungen in den Betrieben. Da haben wir, wie schon gesagt, die sich ergebende Entlastung nicht konkret angesetzt. Für die Verwaltungen, die diese Prüfungen durchführen müssen, und für die Betriebe, die Material, Personal und Räumlichkeiten zur Verfügung stellen müssen, ergeben sich pro Tag Kosten in Höhe von 1 000 Euro. Bei 130 000 Prüfungen bedeutet das unter der Annahme, dass einen Tag lang geprüft wird, eine Einsparung von 130 Millionen Euro. Dieser Betrag ist in der im Gesetzentwurf angegebenen Nettoentlastung für die Wirtschaft von ungefähr 58 Millionen Euro nicht eingerechnet, weil wir ihn, wie gerade erläutert, noch nicht genau genug erfassen konnten. Wir waren der Meinung, diesen Betrag noch nicht zu berücksichtigen, um zu verhindern, dass wir uns später darüber streiten, ob diese Zahl seriös ermittelt wurde oder nicht. Obwohl es sich bis dato nur um eine Schätzung handelt, können alle, die in der Wirtschaft zu Hause sind, erkennen, dass da etwas Nennenswertes passiert. Wir machen weiter auf diesem Weg. Dies ist ein kleiner Baustein. Wir bereiten die nächsten Entlastungsgesetze in gleicher Weise vor. Aber noch wichtiger als diese Einzelgesetze bleibt das grundsätzliche Prinzip: Der Normenkontrollrat prüft jedes neue Gesetz. Wir können dann miteinander darüber streiten, wie bürokratisch und unnötig das entsprechende Gesetz ist. Das ist einer der wichtigsten Blöcke. Außerdem setzen wir das Standardkostenmodell für neue und mit zunehmender Zahl auch für alte bürokratische Regelungen an. Wir sind auf einem guten Weg. Ich denke, wir sollten dieses Anliegen gemeinsam weiterverfolgen. Angesichts der Geißel Bürokratie, die uns alle ärgert, sind wir alle gefragt. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Rainer Brüderle, FDP-Fraktion. ({0})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich Herrn Kollegen Schauerte zu seiner Ernennung zum Mittelstandsbeauftragten der Bundesregierung gratulieren. ({0}) Sie stehen damit unter verschärfter Beobachtung. Aber Glückwunsch zur neuen Funktion, die Ihnen übertragen wurde! Seit Jahren hat der Bürokratiewust zugenommen. Auch die sogenannte Große Koalition, die schwarz-rote Regierung, hat dem Mittelstand zunächst einmal kräftig einiges übergestülpt: Bei den Betrieben wurden die Sozialabgaben 13-mal abkassiert. Mit dem Antidiskriminierungsgesetz, das weiter gefasst wurde, als es die EU verlangt, wurden Bürokratie und Schwierigkeiten draufgeknallt, und die Steuern wurden kräftig erhöht. - Das alles sind keine Beiträge, es dem Mittelstand in Deutschland leichter zu machen. ({1}) Wenn Sie jetzt den Hebel umlegen und den Rückwärtsgang im Hinblick auf die Bürokratie einlegen wollen, ist das richtig und begrüßenswert. Was Sie aber bisher vorlegen, kann man bestenfalls unter dem Motto „Kleinvieh macht auch Mist“ zusammenfassen. Die Bürokratielasten werden auf rund 50 Milliarden Euro geschätzt. Wenn man das, was Sie hier auf den Weg bringen, wohlwollend hochrechnet, macht das maximal 60 Millionen Euro aus. Das ist etwa 1 Promille der Bürokratielasten, die die Fachleute, die Sachverständigen feststellen. Das ist zwar relativ wenig; aber zumindest die Richtung stimmt. ({2}) Ich empfehle Ihnen sehr, auch die Themen der Generalunternehmerhaftung und der Bauabzugsteuer auf den Weg zu bringen. Die damit verbundenen Ziele waren durchaus ernst zu nehmen. Aber es hat sich herausgestellt, dass eine Riesenbürokratie und wenig Effekte entstanden sind. Schaffen Sie diese Steuer doch einfach ab! Wenn man merkt, man hat etwas falsch gemacht, dann sollte man es abschaffen und den Mittelstand nicht weiter mit Bürokratie belasten. Das wäre ein Beitrag, dies vernünftig und richtig zu regeln. ({3}) Es ist durchaus sympathisch, dass Sie sich um ein Milch- und Margarinegesetz kümmern. Aber der deutsche Mittelstand erwartet schon ein bisschen mehr und etwas anderes. Ein großes Thema sind Unternehmensübergaben und die Erbschaftsteuer. Hierzu liegt kein Gesetzentwurf vor. Hier streiten sich Schwarz und Rot; da gibt es Gezänk. Man muss fürchten, dass es auch hier wieder sehr bürokratisch und sehr kompliziert wird. Ich nenne als Beispiel nur die Problematik der Abgrenzung zwischen produktivem und nichtproduktivem Betriebsvermögen. Ich wünsche viel Vergnügen; das wird außerordentlich schwierig werden. Da werden sich die Mittelständler sehr freuen. Bringen Sie dies aber wenigstens einmal auf den Weg, damit hier ein Stück Entlastungsperspektive entsteht und damit dort, wo Übergänge möglich sind und sie anstehen, diese auch erfolgen und nicht weiter gewartet wird, ob es eine Regelung gibt und welche. Ich persönlich meine - das ist nicht Beschlusslage meiner Partei -, man sollte die Erbschaftsteuer ganz abschaffen ({4}) - das werden wir nicht schaffen, Herr Kollege Wend -; denn das wäre der größte Beitrag zur Bürokratievereinfachung. ({5}) Wenn Sie das nicht wollen, dann sollten Sie zumindest die Zuständigkeiten für die Ausgestaltung der Erbschaftsteuer auf die Länder übertragen. Die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer betrugen im letzten Jahr insgesamt in allen neuen Bundesländern gerade einmal 60 Millionen Euro. Dort wurde so gut wie keine Erbschaftsteuer erhoben. Wenn diese sie abschaffen oder drastisch vereinfachen bzw. reduzieren würden, hätten sie einen Standortvorteil. Das wäre Wettbewerbsföderalismus. Haben Sie Mut, diejenigen, die sowieso Destinatar, also Begünstigte, von Steuern sind, dies selbst entscheiden zu lassen! Man nennt das in der Fachsprache Subsidiarität. ({6}) Zur Unternehmensteuerreform. Auch da streiten sich die Schwarzen und die Roten. Die SPD überlegt: Welches Volumen kann man überhaupt verantworten? Sollte man nicht mehr Masse beim Staat zur Umverteilung zurückbehalten? Auch dort ist nichts klar. Aber wir stehen weiter im Wettbewerb. Die Vergleiche zeigen: Wenn wir die Weichen hier nicht richtig stellen, gibt es weiter Abwanderungstendenzen. Was der Mittelstand daneben bräuchte, ist mehr Flexibilität beim Arbeitsrecht und bei den Löhnen. Wir haben in Deutschland ein sehr kompliziertes Arbeitsrecht. Das ist eine Ausgeburt an Bürokratie und selbst für gute Juristen kaum noch logisch nachvollziehbar. Wir müssten vor allen Dingen den Mut haben, den Mitarbeitern in den Betrieben mehr Entscheidungsmöglichkeiten zu geRainer Brüderle ben, die Arbeitnehmerrechte im Betrieb zu stärken, die Funktionärsrechte ein Stück zurückzunehmen und betriebliche Bündnisse für Arbeit zu ermöglichen. Wir setzen eine hohe Schwelle: Wenn 75 Prozent der Belegschaft in freier und geheimer Abstimmung zum Ausdruck bringen, dass sie eine andere Regelung wollen, als das Kartell ihnen vorschreibt, muss diese andere Regelung Geltung finden. Die Betroffenen müssen das Recht haben, eine andere Entscheidung zu treffen. - Sie aber haben nicht den Mut, den Arbeitnehmern mehr Entscheidungsrechte zu geben, nicht einmal, wenn eine hohe Schwelle von 75 Prozent - das ist mehr als eine verfassungsändernde Mehrheit - vorgesehen wird. Nein, bei uns geht die Funktionärsherrschaft weiter. Warum wundern wir uns eigentlich, dass sich vieles nicht zum Vernünftigen ändert? Dieses Thema muss aber angepackt werden; sonst kommen wir nicht voran. ({7}) Die Diskussion über die Mindestlöhne ist sehr liebenswert. Ich gönne jedem jeden Euro. Mindestlöhne schaffen aber keine Arbeitsplätze. Es wäre reiner Zufall, wenn deren Höhe richtig wäre. Sind sie zu niedrig, haben sie null Effekt. Sind sie zu hoch, verhindern sie die Schaffung von Arbeitsplätzen. Deshalb müssen Sie andere Instrumente, Kombiansätze - wir nennen es Bürgergeld -, wählen. Der Mindestlohn ist wieder so ein ideologisches Thema. Man rennt herum und sagt: Wir tun etwas für euch. - In Wahrheit gibt man denen, die draußen stehen, keine Chance, hineinzukommen. Das ist das Gegenteil von Hilfestellung. ({8}) Der Mittelstand ist sehr beunruhigt, dass in den Reihen der Koalition schon wieder darüber diskutiert wird, das Briefmonopol erneut zu verlängern. Das Verlängern der Monopole ist offensichtlich Ihr Beitrag zu „Mehr Freiheit wagen!“, wie die Bundeskanzlerin ihre Regierungserklärung betitelt hat. Nein, wir müssen neuen Existenzen auch in diesem Bereich Freiraum bieten, damit sie sich entwickeln können. Überall, wo der Staat steuert, wo es Monopole gibt, haben wir Probleme. Ob bei EADS oder anderswo: Zu viel Staatseinfluss führt zu Fehlentscheidungen. Die Arbeitnehmer baden aus, dass sich der französische Staat zu stark eingemischt hat, aber die Deutschen wollen jetzt den gleichen falschen Ansatz wählen. ({9}) Oder nehmen Sie - letzte Bemerkung - das Telekommunikationsrecht. Hier führen Sie lieber einen Krieg mit der Europäischen Kommission. Sie haben etwas Einmaliges gemacht, etwas, das es noch nie in Deutschland gegeben hat: Selbst die milde Regulierung der Netzagentur gilt nicht, es gibt Regulierungspausen. - Das gab es früher: Als Madame Pompadour Louis XVI. eine tolle Nacht bereitet hat, erhielt sie das Monopol für den Kakaoausschank. Das sind nicht die Wege, auf denen wir im 21. Jahrhundert nach vorne kommen. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rainer Wend, SPD-Fraktion.

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Brüderle, es ist Aufgabe der Opposition, darauf hinzuweisen, wie wir noch besser werden können, natürlich auch beim Thema Bürokratieabbau. In Richtung FDP muss ich aber sagen: Fast alle Vorschriften, die wir jetzt wegen zu großer Bürokratie abschaffen wollen, sind von früheren FDP-Wirtschaftsministern erfunden worden, Kollege Brüderle. ({0}) Deswegen empfehle ich der FDP, in dem Prozess, in dem wir uns jetzt befinden, ein wenig mehr Demut zu zeigen. Ich finde, dass die Große Koalition in Sachen Bürokratieabbau einen guten Prozess begonnen hat. Wir haben im letzten Jahr - Herr Schauerte hat darauf hingewiesen - das erste Mittelstandsentlastungsgesetz verabschiedet. Damit haben wir eine Reihe von bürokratischen Regelungen, die gerade Kleinunternehmen und Mittelstand belasten, abgeschafft. Wir haben beispielsweise die Grenze für die Bilanzierungspflicht von Unternehmen angehoben, und zwar von einem Umsatz von 350 000 Euro auf einen Umsatz von 500 000 Euro. Nach dem ersten Mittelstandsentlastungsgesetz haben wir etwas gemacht, wovon wir uns die größte Wirkung versprechen; das hat gerade der Staatssekretär angesprochen. Es geht darum, dass wir die Bürokratiekosten der Unternehmen, die aus ihren Berichts- und Dokumentationspflichten gegenüber staatlichen Stellen entstehen, in Geld messen und anschließend mit klaren Zielvorgaben reduzieren wollen. Die Bundesregierung hat am Mittwoch beschlossen, diese Bürokratiekosten bis zum Jahr 2011 um 25 Prozent zu reduzieren. Es sind inzwischen über 11 000 Vorschriften identifiziert, die auf ihre Kosten hin zu untersuchen und anschließend zu reduzieren sind. Ich habe eine freundschaftliche Bitte an die Bundesregierung - alle Sozialdemokraten gehen freundschaftlich mit der Bundesregierung um -: ({1}) Eine Reduktion um 25 Prozent bis 2011 ist gut. Ich fände es aber schön, wenn es uns gelingen würde, ein Ziel bis zu den nächsten Wahlen in 2009 festzulegen. Es ist immer leicht, etwas auf Kosten künftiger Bundesregierungen - wenngleich sie möglicherweise so aussehen wie die jetzige; jedenfalls sollten die Sozialdemokraten daran beteiligt sein ({2}) zu machen. Noch besser aber fände ich es, wenn es uns gelingen würde, für diese Legislaturperiode ein festes Ziel zu vereinbaren. Das erste Mittelstandsentlastungsgesetz und der Normenkontrollrat, der die Umsetzung des Standardkostenmodells überprüfen soll, waren die ersten Schritte. Das zweite Mittelstandsentlastungsgesetz - der Staatssekretär hat bereits einige Punkte daraus genannt -, mit dem wir noch einmal Erleichterungen bei der Bilanzierungspflicht vornehmen und Existenzgründern durch den Wegfall von Dokumentations- und Berichtspflichten helfen, ist der dritte Schritt beim Bürokratieabbau. Nun kommt von der Opposition die Kritik - das ist, wie ich finde, auch ihre Aufgabe -, dies sei zu wenig. Ich finde, wir sollten uns im parlamentarischen Prozess offen zeigen, an dem einen oder anderen Punkt weiterzuarbeiten. Das Stichwort Generalunternehmerhaftung ist genannt worden. Aber es ist ein bisschen komplizierter, Herr Kollege Brüderle, als Sie es dargestellt haben. Wahr ist, dass auf der einen Seite für die Generalunternehmer zusätzliche Belastungen entstehen, wenn sie für Subunternehmer, die sie beauftragen, haften müssen. Auf der anderen Seite kann dieses Verfahren dazu beitragen, dass Versicherungsbeiträge von Subunternehmern regulär gezahlt werden und somit Schwarzarbeit bekämpft wird. Das ist das Ziel dieses Gesetzes. Unsere Aufgabe ist es, zwischen den Zielen des Gesetzes und den Maßnahmen, die wir eingeleitet haben, abzuwägen und zu beurteilen, ob sie in einem klugen Verhältnis zueinander stehen. Das müssen wir jetzt sorgfältig prüfen. Anschließend müssen wir zu einer Entscheidung kommen, wie damit zu verfahren ist. Die SPD ist im parlamentarischen Prozess offen bezüglich möglicher Verbesserungen und Erweiterungen des zweiten Mittelstandsentlastungsgesetzes. Es gibt aber ein klares Nein der SPD zu vielen Dingen, die Sie hier formuliert haben, Herr Kollege Brüderle, zum Beispiel zu dem, was Sie in Ihrem Antrag zu Kündigungsschutz und betrieblichen Bündnissen geschrieben haben. Ich will Ihnen das einmal ohne Wenn und Aber sagen: Die SPD steht für bestimmte Regeln und will bestimmte Regeln in unserer Gesellschaft aufrechterhalten. ({3}) Wir sind vor 140 Jahren aufgrund ganz bestimmter Erwägungen gegründet worden. Es gab damals den freien Kapitalismus mit Kinderarbeit, ohne Kündigungsschutz und mit 60-Stunden-Woche. Jahr für Jahr, Jahrzehnt für Jahrzehnt wurden durch SPD und Gewerkschaften Regeln geschaffen, die den freien Kapitalismus eingeschränkt haben, durch Kündigungsschutz und Tarifautonomie. Wir wollen, dass er in dieser Weise eingeschränkt bleibt. ({4}) Ein Kernbestandteil unserer Programmatik ist die Tarifautonomie. Bevor es sie gab, wurden die Arbeitsbedingungen zwischen Unternehmern und einzelnen Arbeitnehmern verhandelt; die Arbeitnehmer waren den Unternehmern faktisch ausgeliefert. Erst durch Gründung der Gewerkschaften und die Einführung der Tarifautonomie gab es in etwa eine Gleichberechtigung zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite bei der Aushandlung von Arbeitsbedingungen. ({5}) Deswegen bleibt die Tarifautonomie Kernbestandteil unserer Programmatik. Wir werden eine Beseitigung der Tarifautonomie nicht zulassen, weil dadurch das alte Ungleichgewicht zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite wiederhergestellt würde. ({6}) Ich möchte auch etwas zum sogenannten Staatseinfluss bei Airbus sagen. Ich teile insofern Ihre Auffassung, als ich glaube, dem Unternehmen Airbus würde es auf Sicht am besten gehen, wenn sich alle staatlichen Stellen aus unternehmerischen Entscheidungen zurückzögen. ({7}) Aber wenn einer der Eigentümer in dieser Gesellschaft, ein Staat, einen anderen Weg geht und sich dezidiert dazu bekennt - das hat die französische Seite getan -, wäre es doch fahrlässig gewesen, wenn die deutsche Seite auf Einflussnahme verzichtet hätte. ({8}) Deswegen war das, was wir in den letzten Wochen und Monaten getan haben, richtig. Wir stehen dazu. Ich möchte etwas zum Briefmonopol sagen. Auch hier teile ich Ihre Ausgangsposition, dass es gut und richtig wäre, auf europäischer Ebene einen Weg zu finden, um mehr Wettbewerb und eine stärkere Liberalisierung zuzulassen. Aber ich muss auf etwas hinweisen, worauf ich auch beim Thema Airbus schon zu sprechen gekommen bin: Wenn einige Länder in Europa ihren Markt geschlossen halten, dann kann es doch nicht vernünftig sein, dass wir sie einladen, in unserem Land am Wettbewerb teilzunehmen, solange wir nicht die Möglichkeit bekommen, unsererseits am Wettbewerb in diesen Ländern teilzunehmen. Diese Ungleichbehandlung dürfen wir nicht zulassen. ({9}) Ich will in diesem Zusammenhang auch etwas zum Thema Mindestlöhne sagen. Zunächst einmal danke ich dem Minister; Herr Staatssekretär, vielleicht können Sie ihm das ausrichten. Ich habe nämlich in der Zeitung gelesen, dass sich der Minister offen dafür zeigt, im Hinblick auf die Entlohnung eine Untergrenze zu setzen - es muss ja nicht „Mindestlohn“ heißen; über Begriffe braucht man mit mir nicht zu streiten -, weil ansonsten die Unternehmen, wenn wir Langzeitarbeitslosen über Kombilöhne oder Ähnliches helfen wollen, Mitnahmeeffekte ohne Ende haben, weil sie die Löhne stark senken können, da sie damit rechnen können, dass die Löhne ohnehin staatlicherseits aufgestockt werden. Ihr Minister ist auf dem richtigen Weg. Ich finde es gut, dass er das so formuliert hat. ({10}) Es ist nicht richtig, dass sich der Wettbewerb im Postbereich fast nur noch darum dreht, welches Unternehmen die niedrigsten Löhne zahlt und die Postzustellungen in unserem Land unter den schlechtesten Arbeitsbedingungen erledigt. ({11}) Wettbewerb finde ich gut. Aber ein Wettbewerb, der ausschließlich um Dumpinglöhne und schlechte Arbeitsbedingungen geführt wird, ist für uns nicht akzeptabel. Wir wollen einen Wettbewerb um die Qualität von Leistungen. ({12}) Deswegen habe ich insbesondere an die FDP die Bitte: Lassen Sie uns den Bürokratieabbau gemeinsam in Angriff nehmen. Sie sollten aber nicht die Überschrift „Bürokratieabbau“ wählen und sie dann als „Abschaffung von Arbeitnehmerrechten“ buchstabieren. Dass wir in diesem Fall Ihr Gegner wären, muss Sie nicht betrüben. Aber dies würde auch dazu führen, dass Sie das Thema Bürokratieabbau diskreditieren und es in unserer Gesellschaft nicht mehr mehrheitsfähig wäre. Deshalb sagt die SPD mit aller Kraft Ja zum Bürokratieabbau, aber genauso deutlich und mit aller Kraft Nein zum Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Sabine Zimmermann, Fraktion Die Linke. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Erst einmal zu Herrn Wend: Herr Dr. Wend, ich fand es sehr wohltuend, von Ihnen zu hören, wie die Wurzeln der SPD einmal entstanden sind. ({0}) - Nein, Sie stehen nicht dazu, leider. Das Verhältnis zwischen der SPD und den Gewerkschaften ist sehr gestört. Das kann ich Ihnen sagen. Ich bin nämlich DGB-Vorsitzende in der Region Vogtland-Zwickau. Uns alle - das verstehen Sie jetzt vielleicht nicht verbindet einiges. Wir alle waren nämlich einmal Kinder. Vielleicht kennen Sie noch die Geschichte von Jim Knopf und dem Scheinriesen. ({1}) - Genau. - Je näher man dem Riesen entgegenkommt, desto kleiner wird er. Genauso verhält es sich mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Großen Koalition. Laut Bundesminister Glos ist dieses Gesetz ein „Leuchtturmprojekt“ der Bundesregierung auf dem Gebiet des Bürokratieabbaus. Schaut man sich das Zweite Mittelstandsentlastungsgesetz jedoch näher an, wird deutlich: Es handelt sich eigentlich nur um ein wirtschaftspolitisch kleines Licht. ({2}) Nach den Zahlen der Bundesregierung wird die mittelständische Wirtschaft mit einem Paket von 17 Einzelmaßnahmen um 60 Millionen Euro - das ist heute schon erwähnt worden - entlastet. Bei 3,4 Millionen mittleren und kleineren Unternehmen sind das durchschnittlich 17 Euro pro Jahr. Herr Schauerte - der Bundesminister ist ja heute leider nicht da -, was bedeuten 17 Euro je Unternehmen und Jahr für Wirtschaft und Beschäftigung? Sie täuschen hier das Wahlvolk und Hunderttausende kleine mittelständische Unternehmen. ({3}) Damit nicht genug: Unter dem Schlagwort des Bürokratieabbaus beschneidet die Bundesregierung seit Jahren systematisch die Statistik, und zwar genau den Bereich, der über die Lage der kleineren und mittleren Unternehmen informiert. Das legt den Schluss nahe, dass die Große Koalition den kleinen Mittelstand abgeschrieben hat. ({4}) Die Bundesregierung kennt nur den großen Mittelstand: Unternehmen, die über 100 Mitarbeiter haben, die am Exportgeschäft teilnehmen und die schwarze Zahlen schreiben. Ich rede im Gegensatz dazu von der Mehrzahl der mittelständischen Unternehmen: denen mit weniger als fünf Beschäftigten. Das sind 2,8 Millionen von den 3,4 Millionen Unternehmen, die es in Deutschland gibt. Diese Kleinstunternehmen leiden seit Jahren unter dem Stagnieren der Binnennachfrage und dem Sparkurs der öffentlichen Hand. Die Wirtschaftspolitik der letzten Jahre hat ausschließlich den Großunternehmen geholfen. Die Deutsche Bank hat diesbezüglich jüngst ganz interessante Zahlen veröffentlicht - ich gehe davon aus, Sie werden sie kennen -: Von 1997 bis 2004 ist der Wert der Gesamtleistung des deutschen Mittelstandes kaum gewachsen, nämlich nur um 2 Prozent, während die Großunternehmen in diesen acht Jahren viel kräftiger, nämlich um 30 Prozent expandiert sind. Die Regierung feiert den Aufschwung: ({5}) 2,7 Prozent Wachstum, seit Jahren nicht gehabt. Das ist gut und schön. Aber was nützt ein Wachstum, das immer noch an vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen vorbeigeht? ({6}) Dieses Problem betrifft vor allen Dingen den ostdeutschen Mittelstand. Ich zitiere den ostdeutschen Sparkassenverband von letzter Woche: Der wirtschaftliche Aufschwung ist noch nicht beim ostdeutschen Mittelstand angekommen. Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum von rund 2,8 Prozent im Osten Deutschlands beschränkt sich auf die industriellen Kerne. Die jüngste Erholung, die die neuen Zahlen der KfWBankengruppe zeigen, erfolgt vor dem Hintergrund einer langen Durststrecke. Und es ist keineswegs ausgemacht, dass diese Erholung anhält. Zum Beispiel stellt sich der Zentralverband des Deutschen Handwerks für dieses Jahr auf einen Wachstumsrückschlag ein. ({7}) Meine Damen und Herren der Großen Koalition, Sie veranstalten viel Brimborium um das Zweite Mittelstandsentlastungsgesetz. Anscheinend soll damit verdeckt werden, dass diese Koalition auf die wirtschaftlichen Probleme des Mittelstandes keine Antwort weiß. ({8}) Um den mittelständischen Unternehmen zu helfen, braucht es keine weitere Kostenentlastung und schon gar keine Steuerreformen, wie sie die Bundesregierung gemacht hat und ankündigt. Der Mehrzahl der kleineren und mittleren Unternehmen fehlen schlicht die Aufträge; das müssten Sie eigentlich wissen. Deswegen setzt sich Die Linke für eine Stärkung der Binnennachfrage ein. Dazu gehören auch ordentliche Lohnsteigerungen. ({9}) Herr Wend, wenn Sie so die Wurzeln der Arbeiterbewegung suchen, dann unterstützen Sie sicherlich auch die Lohnforderungen der Gewerkschaften. ({10}) - Das ist schön. - Denn höhere Löhne und damit mehr Kaufkraft kommen vor allem den kleineren und mittleren Unternehmen zugute. Profitieren würde insbesondere der Einzelhandel, der - darüber haben wir noch gar nicht geredet - völlig am Boden liegt. Ich fasse zusammen: Diese Große Koalition geht mit dem vorliegenden Gesetz das zentrale Problem des Mittelstandes überhaupt nicht an. Denn die fehlenden Aufträge werden hiermit nicht kompensiert. Die Linke fordert ein umfassendes öffentliches Investitionsprogramm von mindestens 30 Milliarden Euro ({11}) für die Zukunftsbereiche Energie, Bildung und kommunale Infrastruktur. - Es steht Ihnen frei, sich darüber aufzuregen. Wir können gerne in kleiner Runde darüber diskutieren. Die von Ihnen vorgelegten Maßnahmen helfen den Hunderttausenden KMUs in Deutschland nicht. Das Mittelstandsentlastungsgesetz bleibt letztlich ein Scheinriese. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist vielleicht etwas ungewöhnlich, am Anfang einer Debatte über Bürokratieabbau und die Halbherzigkeit der Regierung in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass Bürokratie und die damit einhergehenden Regelungen notwendig sind. Aber selbstverständlich braucht der sozial und ökologisch verantwortliche Staat einen anspruchsvollen Ordnungsrahmen. Damit ist auch Bürokratie als effizienter Steuerungsmechanismus verbunden. Wir brauchen Bürokratie, um Rechtssicherheit, aber auch - das wurde bereits angesprochen - um den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und eine gesunde Umwelt zu gewährleisten. Bürokratie muss aber auch effizient sein. Sie muss ihre Ziele erreichen und vor allen Dingen auch verständlich sein. Ich möchte mit dieser Eingangsbemerkung Herrn Brüderle und der FDP noch einmal ins Stammbuch schreiben, dass ein Bürokratieabbau nach dem Motto „Hau weg das Ganze!“, das in Ihren Anträgen immer wieder zum Tragen kommt, nicht unbedingt zu mehr Freiheit, sondern häufig zu mehr Unsicherheit und Chaos führt. ({0}) Unsere Aufgaben sind in einem sehr schwierigen Spannungsfeld zu erfüllen. Sir Ralf Dahrendorf hat, wie ich finde, dieses Spannungsfeld sehr schön beschrieben: Wir brauchen die Bürokratien, um unsere Probleme zu lösen. Aber wenn wir sie erst haben, hindern sie uns, zu tun, wofür wir sie brauchen. Ich finde, das ist die richtige Beschreibung der Situation: Keiner will Bürokratie haben, aber an vielen Stellen wird sie dann doch wieder von den jeweiligen Lobbys eingeklagt. Sie ist in vielen Bereichen historisch gewachsen. Die Aufgabe anzugehen, die Bürokratie effizient und überschaubar zu machen, erfordert Mut, zum Beispiel gegenüber den Lobbys. Vor allem in jüngster Zeit finden sich in der aktuellen Debatte immer wieder Beispiele, die zeigen, dass der Bundesregierung dieser Mut fehlt. Ein aktuelles Beispiel ist der Kniefall der Bundesregierung vor der Autolobby im Zusammenhang mit den CO2-Emissionen. Das Vermischen von Kriterien - wie die jeweilige Höhe der CO2-Emissionen und die Anrechnung des Biospritverbrauchs - wird zu einem riesigen bürokratischen Aufwand bei der Grenzwertbestimmung führen. Sie reden zwar viel, tun aber an vielen Stellen genau das Gegenteil. Sie haben - darauf hat Herr Schauerte schon hingewiesen - das Ziel formuliert, 25 Prozent der Bürokratiekosten abzubauen. Dafür haben Sie lange gebraucht. Sie haben angegeben, dieses Ziel bis zum Jahr 2011 erreichen zu wollen. Damit verschieben Sie das Vorhaben in die nächste Legislaturperiode. Das ist viel zu spät - Herr Wend hat schon darauf hingewiesen -, weil man Sie dann nicht an Ihren Maßnahmen messen kann. Wir fordern Sie auf, klare Ziele zu benennen, damit Sie an Ihren eigenen Vorstellungen gemessen werden können. ({1}) Das jetzt vorgelegte zweite Mittelstandsentlastungsgesetz sieht 17 Maßnahmen vor - Sie haben die Zahlen vorhin genannt -; umgerechnet entspricht das einem Anteil von 0,075 Prozent am Abbau der Bürokratiekosten. Das sind noch nicht einmal Trippelschritte. Wenn man den Blick auf Ihr gesamtes Handeln richtet, dann wird deutlich, dass Sie nicht nur auf der Stelle treten, sondern zurücklaufen. ({2}) Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Wie sieht die Unternehmensteuerreform aus, über die zurzeit diskutiert wird? Sie schaffen drei Informationspflichten ab und legen 32 neue auf. Auf eine abgeschaffte Informationspflicht kommen also zehn neue. Betrachtet man das alles im Zusammenhang, dann kommt man zu dem Schluss, dass nicht weniger Bürokratie, sondern mehr Bürokratie geschaffen wird. Herr Schauerte, Sie haben gesagt, Sie seien systematisch vorgegangen. Aber hier offenbaren sich die Schwächen Ihres Gesamtkonstrukts. Der von Ihnen eingerichtete Bürokratie-TÜV setzt sich - das ist ein zentrales Problem - eben nicht mit allen Gesetzen auseinander, wie Sie behauptet haben. Er setzt sich allenfalls mit den Gesetzen der Bundesregierung auseinander. Aber das, was aus dem Parlament kommt, wird gar nicht überprüft. Das heißt, Sie haben von vornherein die Hintertür, ein riesengroßes Scheunentor, aufgemacht. Im Rahmen des von Ihnen gefeierten Standardkostenmodells werden nur die Informationskosten überprüft und nicht das, was Bürokratie an vielen anderen Stellen kostenintensiv macht. Sie alle kennen doch die Beispiele wie die von Ihnen ins Feld geführten Erleichterungen bei den Unternehmensgründungen und die Anforderungen für Kleinbetriebe, die, wenn sie mehr als zwei Beschäftigte haben, zwei getrennte Toiletten für Männer und Frauen einrichten müssen. Ich könnte diese Liste beliebig verlängern. Das alles kann man im Rahmen der Informationskosten nicht messen. Das ist eine unsinnige Bürokratie, die wir abbauen müssen. ({3}) Wir fordern deswegen, dass alle Gesetze überprüft werden und dass alle Bürokratiekosten auf den Prüfstand gestellt werden, nicht nur ein ganz kleiner Teil. Das Problem ist, dass Sie zwar groß blinken - es ist Chefsache -, sich aber nicht wirklich an den Bürokratieabbau heranwagen. Ich nenne Ihnen ein anderes Beispiel aus der letzten Zeit. Dieses Bürokratiemonster eines Gesundheitsfonds ist von Ihnen selber an keiner Stelle zur Debatte gestellt worden. ({4}) Deswegen fordert meine Fraktion im Zusammenhang mit dem Bürokratieabbau einen parlamentarischen Ausschuss - ähnlich dem Haushaltsausschuss -, der sich jedes Gesetz vornimmt und es nicht zulässt, dass sich die Bundesregierung die Rosinen herauspickt und letztendlich um die große Aufgabe drückt. ({5}) Die Arbeitsgemeinschaft Mittelstand hat Ihnen ins Stammbuch geschrieben, dass es sich hier eher um redaktionelle Änderungen handelt. Ich will nicht sagen, dass die einzelnen Änderungen überflüssig sind; natürlich brauchen wir sie. Aber sie bringen uns nicht wirklich voran. Herr Glos hat gesagt, das Vorhaben sei ein Leuchtturm der Regierungstätigkeit. 0,075 Prozent - ich habe diese Zahl vorhin genannt -, das ist meiner Ansicht nach ein ziemlich schwaches Licht für einen Leuchtturm. Ich befürchte, dass Ihr Projekt Bürokratieabbau an den Klippen zerschellt, wenn Sie so weitermachen. Schauen wir uns einmal genau an, was Sie uns alles vorgelegt haben. Herr Wend, Sie selbst haben eingeräumt - das finde ich gut -, es fehle einiges. Sie haben das Problem der Generalunternehmerhaftung angesprochen. Gestern haben wir über die Bauabzugsteuer gesprochen. Im Hinblick auf das Erreichen des Ziels, die Schwarzarbeit am Bau einzudämmen, müssen wir die entsprechenden Gesetze auf den Prüfstand stellen; denn anstatt Schwarzarbeit zu verhindern und Effekte zu erzielen, sorgen sie in der Praxis offenbar für mehr Bürokratie. ({6}) Wir müssen mehr und umfassend über den Bürokratieabbau nachdenken, und zwar auch über die großen Projekte, die Sie still und heimlich unter den Tisch fallen lassen wollen. An die Adresse der FDP, die sich immer wieder an die Spitze der Bewegung stellen will, sage ich: Machen Sie doch mit bei der endgültigen Entschlackung der Handwerksordnung! Wir waren hier schon weiter. ({7}) An die Adresse der Regierung sage ich: Machen Sie doch mit bei der modernen rechtlichen Gestaltung des Schornsteinfegerwesens, anstatt das Gebietsmonopol in Deutschland - ein Schornsteinfeger für eine Region, das ist vorsintflutlich - fortzuschreiben, sodass sich die Verbraucherinnen und Verbraucher heute noch immer nicht den Schornsteinfeger aussuchen können, den sie beauftragen wollen! ({8}) Das alles führt nur zu mehr unsinniger Bürokratie. Das ist auch kein Verbraucherschutz, und das ist auch nicht ökologisch, sondern das Gegenteil von all dem.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Herr Kollege Hinsken würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gerne.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Dr. Dückert, Sie gehören einer Fraktion an, die von 1998 bis 2005 an der Regierung war. Würden Sie mir bitte sagen, was speziell in dieser Zeit zur Entlastung insbesondere des Mittelstandes von Bürokratie unternommen wurde? Ich sage Ihnen gleich, wie ich es empfinde: Es ist fast nichts geschehen. Jetzt geißeln Sie - zu Recht - diese Bürokratiebelastung; aber wenn Sie damals schon etwas in die Wege geleitet hätten, dann hätte das dem Bürokratieabbau mehr gedient, und Sie könnten etwas glaubwürdiger vor uns reden. ({0})

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Hinsken, ich habe gedacht, dass Sie, wie sonst üblich, nach der Handwerksordnung fragen. Ich kann aufgrund Ihrer Geschichte verstehen, dass Sie genau dieses große Projekt des Bürokratieabbaus nicht geschätzt haben, ({0}) aber es war eines der größten Projekte zum Bürokratieabbau, die dem Mittelstand genutzt haben. Wir haben infolge dieser Verschlankung der Handwerksordnung erlebt, dass der Mittelstand mit Existenzgründungen und einem Boom von Neugründungen reagiert hat. Ich denke, etwas Besseres konnte man gar nicht tun. ({1}) Ich möchte zum Schluss kommen. Es ist sicher verdienstvoll, dass das Thema jetzt in den Überschriften steht. Es gibt einen irrsinnigen, historisch gewachsenen Dschungel von Vorschriften, an die wir heranmüssen. Die Strukturen müssen geändert werden. Ich habe die Stichworte genannt: Der Bürokratie-TÜV, der Normenkontrollrat, muss sich um alles kümmern, um alle Gesetze, die hier diskutiert werden. Wir brauchen einen Ausschuss im Parlament, der sich originär damit befasst. Es ist wichtig, alle Kosten der Bürokratie auf den Prüfstand zu stellen und alle unsinnigen Auswüchse zu beseitigen. Wir brauchen ein Arbeitsgesetzbuch, um den kleinen und mittleren Betrieben in dem Dschungel der verschiedenen Gesetze einen Wegweiser an die Hand zu geben. Damit meine ich nicht - das sage ich auch in Richtung FDP - den Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten. Das ist bei Ihnen immer das trojanische Pferd. Wir brauchen, gerade was das Steuerrecht anbelangt, auf EU-Ebene eine Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage. Das würde uns viel bei der unübersichtlichen Steuergesetzgebung helfen. Meine Redezeit reicht jetzt nicht aus, um Ihnen noch all die Ideen vorzutragen, die wir in den Diskussionsprozess einbringen werden. Ich freue mich darauf, im Ausschuss weiter darüber zu debattieren. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Fuchs, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Dückert, ich kann wirklich nicht alles nachvollziehen, was Sie hier von sich gegeben haben. Gerade die Grünen haben doch in vielfältiger Weise dafür gesorgt, dass die Bürokratie in Deutschland gewachsen ist. Ich habe von Ihnen bis jetzt wirklich kaum konkrete Vorschläge gehört, wo wir die Bürokratie, von der wir viel zu viel haben - da sind wir uns völlig einig -, abbauen können. Sie hatten sieben Jahre lang Zeit, das zu tun, was Sie hier vorgeschlagen haben. Ich habe aber in den sieben Jahren der letzten Legislaturperiode - das habe ich im Wirtschaftsausschuss erlebt - von Ihnen dazu gar nichts gehört. Ich frage mich wirklich, wo Ihre Glaubwürdigkeit bleibt, wenn Sie jetzt das fordern, was Sie hätten tun können, als Sie in der Regierung waren. Sehr interessant, aber nicht glaubwürdig. ({0}) Diese Bundesregierung ist mit dem Ziel angetreten, Bürokratie abzubauen, und sie tut das in vielfältiger Weise. Wir haben ein erstes Mittelstandsentlastungsgesetz verabschiedet. Jetzt liegt uns der Entwurf eines zweiten Mittelstandsentlastungsgesetzes vor. Wir sind selbstverständlich bereit, mit Ihnen zusammen zusätzliche Punkte in das parlamentarische Verfahren einzubringen. Wir werden darüber auch in den Berichterstattergesprächen diskutieren. Jeder in diesem Hohen Hause ist eingeladen, sich daran zu beteiligen. Wir haben einen Normenkontrollrat eingerichtet - auch das hätten Sie machen können; aber wahrscheinlich hatten Sie noch nicht einmal die entsprechenden Ideen -, und er hat viel schneller seine Arbeit aufgenommen als zum Beispiel das entsprechende Gremium in den Niederlanden, Actal. Bei uns läuft dieses System. Die Messverfahren werden bis zum Frühsommer dieses Jahres abgeschlossen sein. Die Bundesregierung hat Ziele festgelegt. Ich bin mit dem Kollegen Wend völlig einig, dass diese Ziele nicht zu langfristig ausgelegt sein sollten; vielmehr sollten wir die Bundesregierung durchaus auffordern, Ziele festzulegen, die bis zum Jahre 2009 zu erreichen sind. Wir sind uns darüber im Klaren, dass es innerhalb von zwei Jahren nicht zu einem Abbau um 25 Prozent kommen kann. Dennoch sollten die Ziele eindeutig formuliert werden. Diese Bundesregierung tut konkret etwas für den Mittelstand. Sie labert nicht nur herum, sondern sie handelt. Beispielhaft dafür möchte ich nennen, was das Ministerium für Wirtschaft und Technologie und das Ministerium für Bildung und Forschung getan haben: Handwerkliche und haushaltsnahe Dienstleistungen sind steuerlich besser absetzbar. Das hat jede Menge gebracht. Auf einmal ist zum Beispiel die Schwarzarbeit ein wenig zurückgegangen. ({1}) Diese Maßnahme hat also geholfen, und wir sollten darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll ist, diesen Weg weiterzugehen. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm bringt etwas. Es gibt schon heute in Deutschland große Probleme, Sanierungsmaterialien zu bekommen. Beispielsweise sind Dachlatten mittlerweile ein Mangelprodukt - ich kann das nicht nachvollziehen -; sie werden jetzt aus Litauen importiert. Anscheinend funktioniert das so gut. Frau Zimmermann, das, was Sie gerade von sich gegeben haben, waren die üblichen Sprüche, die man von der Linken hört. Dies entbehrt jeglicher gründlicher Recherche. Gerade den mittelständischen Handwerksbetrieben geht es aufgrund der Maßnahmen dieser Bundesregierung so gut wie seit langer Zeit nicht mehr. ({2}) Die Existenzgründungsoffensive hat etwas gebracht. Wir haben die Förderungen neu gestaltet. Auch das ist richtig. Wir haben die Internetplattform Startothek geschaffen. Frau Dückert, all das hätten Sie ebenfalls machen können. Wir straffen jetzt das Außenwirtschaftsgesetz, und wir werden dafür sorgen, dass die Mittelständler vermehrt in Auslandsmärkte eintreten. Genau das ist notwendig; denn der heimische Markt allein ist auch für viele Mittelständler mittlerweile zu klein. Wir haben eine Hightech-Strategie entwickelt, die bis zum Jahre 2009 mit immerhin 15 Milliarden Euro unterlegt ist. Wir müssen versuchen, dafür zu sorgen, dass in Deutschland neue Produkte auf den Markt kommen. Diese Produkte müssen hier also nicht nur erdacht, sondern auch hergestellt werden. ({3}) Das ist eine Strategie dieser Bundesregierung. Ich halte sie für sehr richtig. Last, but not least: zwei ganz wichtige Reformen. Wir werden eine Unternehmensteuerreform durchsetzen. ({4}) Ich hoffe, wir sind uns darüber einig, dass es darüber keine Diskussionen geben sollte. Das gehört zur Glaubwürdigkeit unserer Politik. Genau so gehört es zur Glaubwürdigkeit unserer Politik, dafür zu sorgen, dass der Unternehmensübergang im Erbfall vernünftig geregelt wird. Wir haben den Entwurf eines Unternehmensnachfolgegesetzes in der Pipeline. Dieser Entwurf muss schnellstmöglich ins Parlament. Wir haben den Unternehmen nämlich zugesagt, dass dieser Gesetzentwurf innerhalb kurzer Zeit beraten wird und zum 1. Januar 2008 in Kraft tritt. Deswegen werden wir uns mit diesem Gesetzentwurf intensiv beschäftigen. Es muss auf diesem Sektor weitergehen. Selbstverständlich hat das Auswirkungen. Lassen Sie uns doch ganz einfach einmal die aktuellen Zahlen anschauen. Gestern hat die Bundesagentur bekannt gegeben, dass wir 822 000 Arbeitslose weniger als vor einem Jahr haben. Die „Bild“-Zeitung, die ja nicht unbedingt ein regierungsfreundliches Blatt ist, lobt das erste Mal die Bundeskanzlerin, und zwar völlig zu Recht. Nicht nur, dass es 822 000 Arbeitslose weniger gibt; es sind innerhalb von einem Jahr auch 455 000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Jobs geschaffen worden. Darauf können wir stolz sein. ({5}) Ich bin ziemlich sicher: Wenn der Kollege Brüderle heute Wirtschaftsminister wäre, dann hätte er vor lauter Kraft kaum bis zum Rednerpult laufen können. ({6}) Der Chef der Bundesagentur spricht von einem „Bilderbuchaufschwung“. Er sagt auch, dass das nicht nur mit der milden Klimasituation zu tun hat, sondern dass das ganz klar Folgen des Wirtschaftsaufschwungs sind. Deswegen möchte ich eine Forderung an uns, an die Regierungsfraktionen, stellen. Bei diesen exzellenten Zahlen, die wir aus Nürnberg bekommen, sollten wir überprüfen, damit das nämlich so weitergeht, ob wir nicht den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung weiter senken können. Für uns muss das Ziel sein, die Lohnzusatzkosten weiter zu senken. Wir können wahrscheinlich sehr bald - der Meinung bin ich - auf einen Beitragsatz von 3,5 Prozent kommen; das sollten wir zumindest anstreben. Herr Kollege Wend, es gibt ja in vielerlei Hinsicht zusätzliche Belastungen. Diese haben nichts mit der jetzigen Situation, mit der Gesundheitsreform zu tun; sie resultieren aus den Altlasten. Die Belastungen sind groß. Die AOK Rheinland-Pfalz hat den Beitragssatz zur Krankenversicherung um 2,2 Punkte erhöht. Wir müssen versuchen, meine ich, jeden Freiraum zu nutzen, um zu weiteren Absenkungen zu kommen. Deswegen muss die politische Forderung hier ins Haus, in der Arbeitslosenversicherung jeden Spielraum zu nutzen, um das Geld denjenigen zurückzugeben, die gezahlt haben, nämlich den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den Arbeitgebern. ({7}) Ich halte es für notwendig, dass wir auf dem Weg des Bürokratieabbaus weitermachen. Wir werden ein drittes Mittelstandsentlastungsgesetz brauchen. Wir alle, alle Frauen und alle Männer, sollten darüber nachdenken, was dort zusätzlich aufgenommen werden kann; denn wir können nicht warten, bis der Normenkontrollrat alle diese einzelnen Punkte abgearbeitet hat. Für mich gehört auch dazu, dass wir dem Mittelstand Glaubwürdigkeit vermitteln - Glaubwürdigkeit durch eine vernünftige Steuerreform, Glaubwürdigkeit durch eine vernünftige Erbschaftsteuerreform, aber auch Glaubwürdigkeit, was die Diskussion über das berühmte Thema Mindestlöhne angeht. Ich halte den Ansatz von Bundeswirtschaftsminister Glos genauso wie Sie, Herr Kollege Wend, für richtig. Ich ärgere mich darüber, dass beispielsweise Gewerkschaften so tun, als wäre es ein Skandal, wenn da so geringe Mindestlöhne vereinbart werden. Ich habe mir die Mühe gemacht, einmal herauszusuchen, wer denn diese Löhne vereinbart hat. Bei der Friseurinnung in Sachsen war es die Gewerkschaft Verdi, die den Tarifvertrag mit 3,82 Euro abgeschlossen hat - ich habe den Tarifvertrag dabei und kann Ihnen das zeigen, wenn Sie mir nicht glauben - und ihn obendrein auch noch für allgemeinverbindlich in Sachsen hat erklären lassen. Ich spreche Herrn Bsirske die Berechtigung für sein permanentes Gejaule ab. Das kann nicht angehen. ({8}) Auf der einen Seite zu sagen, das würde man nicht zulassen, und auf der anderen Seite solche Tarifverträge abzuschließen, das halte ich schon für sittenwidrig.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wend?

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber selbstverständlich. ({0})

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Fuchs, stimmen Sie mit mir darin überein, dass die Gewerkschaft Verdi den Tarifabschluss, den Sie kritisieren, möglicherweise nicht deshalb getätigt hat, weil sie glücklich darüber war, zu nur gut 3,80 Euro abschließen zu können, sondern deshalb, weil die Kräfteverhältnisse so waren, dass es ihr nicht möglich war, zu anderen Abschlüssen zu kommen? Solche Abschlüsse sind ja immerhin noch besser, als wenn die Lohngestaltung völlig ungeregelt bleibt. Wäre das nicht ein gutes Argument dafür, dass sich der Gesetzgeber fragen muss, ob er bei der Entlohnung gerade im unteren Lohnbereich nicht hilfreich sein muss?

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Wend, wenn eine Gewerkschaft einen Tarifvertrag abschließt - ich habe selber über viele Jahre Tarifpolitik gemacht und viele Tarifverträge persönlich unterschrieben -, dann ist das immer ein Ausbalancieren der Situation, dann hat das immer auch etwas mit der Produktivität in den einzelnen Bereichen zu tun. Wenn man sagt, dies sei als Tariflohn nicht in Ordnung, ist es meines Erachtens angezeigt, nicht zu unterschreiben. ({0}) Niemand hat Verdi gezwungen, einen solchen Vertrag zu unterschreiben. ({1}) Tarifverträge sind keine Versailler Verträge, sondern werden ausgehandelt. ({2}) Wenn die Gewerkschaft das unterschreibt, dann hat sie es auch zu verantworten. Diese Verantwortung erfordert es dann auch, dazu zu stehen und nicht so zu tun, als gäbe es das nicht. ({3}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, lassen Sie uns bitte gemeinsam auf diesem Sektor weitermachen! Lassen Sie uns bitte gemeinsam weiter versuchen, Bürokratie abzubauen und den Mittelstand zu entfesseln! Er dankt es uns, und er wird uns zusätzliche Arbeitsplätze bescheren; denn er ist der Jobmotor Nummer eins in Deutschland. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Martin Zeil, FDP-Fraktion. ({0})

Martin Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003868, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum einen ist von der Machete für den Dschungel die Rede, die anderen sprechen von Leuchttürmen. Herr Staatssekretär Schauerte, es ist sehr interessant, dass Sie verbal etwas abgerüstet und uns auf die ganz kleinen und zaghaften Schritte in diesem Gesetz eingeschworen haben. Ich glaube, damit haben Sie die Wahrheit besser getroffen als mit den ewigen großen Worten und Ankündigungen. Es ist gut, dass nach der Vorgabe der Trippelschrittpolitik jetzt wenigstens einige von meiner Fraktion seit Jahren geforderte Schritte in dem Gesetz enthalten sind: Entlastung der Existenzgründer, Vereinfachung der Bilanzierungspflichten und die Einführung der Datenübertragung für Arbeitgeberbescheinigungen. Das alles sind gute Beispiele für kleine Schritte, die Sie wegen des offenbar vorhandenen geistigen Tempolimits in der Koalition vor Kurzem aber noch abgelehnt haben. ({0}) Werfen wir doch einmal einen Blick auf die nüchternen Zahlen: Eine Entlastung in Höhe von 60 Millionen Euro ist schon genannt worden. Die Gesamtbelastung liegt bei etwa 50 Milliarden Euro. Wenn Sie in diesem Tempo pro Gesetz weitermachen und man berücksichtigt, dass Sie eine Kostensenkung von 25 Prozent erreichen wollen, dann erkennt man, dass Sie möglicherweise mit dem 125. Mittelstandsentlastungsgesetz am Ziel sein werden. ({1}) Sie schreiben schöne Worte: Unnötige Bürokratie und Überregulierung behindern unternehmerisches Engagement und wirtschaftliche Dynamik. Niemand würde Ihnen da widersprechen. Im konkreten Teil machen Sie aber nicht entschlossen weiter. Dadurch erzielen Sie auch keinen spürbaren Effekt. Die Vorschläge liegen ja vor. Sie sprechen von Offenheit im Verfahren. Allein der DIHK hat 66 Vorschläge vorgelegt, die erneut weitgehend unberücksichtigt bleiben. Ich will einige Beispiele nennen: Erstens. Warum führen Sie bei der Buchführungspflicht denn nicht die Millionengrenze ein? Zweitens. Die Unternehmens- und die Erbschaftsteuerreform sind schon genannt worden. Hier deutet sich an, dass alle Grundsätze der Steuervereinfachung und der Entbürokratisierung über Bord gehen werden. Es zeichnet sich ab, dass gerade die Personengesellschaften zwar ihren Beitrag zur Gegenfinanzierung leisten, von den tollen steuerbegünstigten Gewinnrücklagen und den Ansparabschreibungen aber kaum profitieren werden. Hier gibt es keine Planungssicherheit, und hier fehlt der Impuls für unternehmerisches Engagement und wirtschaftliche Dynamik. Drittens. Herr Kollege Wend, ich will auch noch etwas zum Arbeitsmarkt sagen. Es ist immer schön, wenn man sich die Pappkameraden gegenseitig vorhält. Sie werfen uns immer vor, wir wollten die Tarifautonomie und die Arbeitnehmerrechte abschaffen. ({2}) Finden Sie es denn wirklich richtig - wie neulich in Bayern wieder geschehen -, dass 230 Arbeitsplätze nicht gesichert werden konnten, weil es den Arbeitnehmern, die einer Vereinbarung mit 98 Prozent zugestimmt haben, nicht möglich war, ihre Rechte in die eigenen Hände zu nehmen? ({3}) Viertens. Auch hinsichtlich einer durchgreifenden Reduzierung der Statistikpflichten im Arbeits- und Sozialrecht herrscht Fehlanzeige. Sie begnügen sich letztlich mit einer Bonsai-Politik. Die Dinge werden nicht weitergetrieben. Sie haben die 11 000 Informationspflichten genannt, und Sie schaffen neue. Zwischen dem Inkrafttreten des ersten Mittelstandsentlastungsgesetzes und dem des zweiten heute haben Sie allein mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und der Gesundheitsreform wieder einen derartigen Bürokratieschub ausgelöst, dass Sie selbst das unternehmerische Engagement und die wirtschaftliche Dynamik behindern, die Sie so schön an den Anfang des Gesetzes schreiben. ({4}) Die beiden Entlastungsgesetze lassen sich so zusammenfassen: Die Bundesregierung versucht den Bürokratieabbau, aber kaum jemand merkt etwas. ({5}) Mit diesem Doppelspiel - einerseits Placebogesetze, andererseits mittelstandsfeindliche Maßnahmen in Hülle und Fülle - muss endlich Schluss sein. Ein engmaschiges Netz bürokratischer Regelungen liegt immer noch wie Mehltau über unserem Land. Ludwig Erhard hat einmal gesagt: Je freier die Wirtschaft, desto sozialer ist sie. Erst wenn der Wirtschaftsminister dieses Vermächtnis erfüllt, wird er seiner Aufgabe gerecht. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Christian Lange, SPD-Fraktion.

Christian Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003168, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Fuchs, so einfach wie Sie kann man es sich nicht machen. Sie haben auf den Kollegen Dr. Wend nach dem Motto geantwortet: Wenn man bei den Tariflöhnen nichts anderes aushandeln kann, dann ist es eben so, oder man unterschreibt diesen Vertrag nicht. Ich denke, gerade wir als Abgeordnete, die wir nicht Mitglieder der Tarifvertragsparteien sind, müssen uns fragen: Was wollen wir eigentlich? Ich sage Ihnen: Ich möchte - ich denke, auch die SPD möchte das -, dass die Menschen von ihrer Lohnarbeit leben können. Das muss doch das Ziel sein! ({0}) Wenn man das in der Tarifautonomie nicht mehr aushandeln kann, dann stellt sich in der Tat die Frage, ob wir dieses System um das Instrument des Mindestlohns ergänzen müssen. Ich glaube, wir alle haben das Spektrum, in dem wir diese Bürokratiekostendebatte führen, hier erlebt. Auf der einen Seite ist da Die Linke. Ich war sehr überrascht darüber, was Sie hier gesagt haben. Sie haben die Abschaffung der Statistikpflichten für kleine Unternehmen als einen Angriff auf diese Unternehmen bezeichnet. Nehmen Sie eigentlich nicht zur Kenntnis, dass mittlerweile 4 bis 6 Prozent des gesamten Umsatzes von kleinen und mittleren Unternehmen in Bürokratie fließen? Behaupten Sie, das würde diese Unternehmen freuen? Ich kann mich nur darüber wundern, wie Sie sich hier eingelassen haben. Christian Lange ({1}) Auf der anderen Seite ist da die FDP, die nach wie vor auf klassischen Manchesterkapitalismus setzt und dies ein bisschen mit dem Thema Bürokratie bemäntelt. ({2}) Gerade Ihnen von der FDP sage ich noch einmal: Wissen Sie, was die Vorteile des Standardkostenmodells und des Normenkontrollrats auf diesem Weg, auf den wir uns jetzt begeben haben, sind? Wir sind aus der alten Diskussion heraus getreten, die aus den Schützengräben geführt wurde. Bei dieser Diskussion standen auf der einen Seite diejenigen, die die Arbeitnehmerrechte und die Tarifautonomie schleifen wollen. Auf der anderen Seite standen diejenigen, die deregulieren wollen. Ein Grund dafür, dass Sie von der FDP in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gerade bei diesem Thema versagt haben, war der, dass wir uns in dieser Auseinandersetzung festgehakt haben. Erstmals gehen wir einen Weg dazwischen. Wir messen, was Dokumentationspflicht und was Berichtspflicht ist. Wir messen, was diese jeweils kosten. Dieses Thema anzugehen und hier etwas abzuschaffen, ist das Ziel. Zugegeben, wir machen kleine Schritte, aber wir machen die ersten Schritte, und das ist gut so. Diesen Weg werden wir fortsetzen. ({3}) Wir wissen, dass Bürokratieabbau mühsam ist. Mit diesem zweiten Bürokratieentlastungsgesetz haben wir für die Unternehmen 58 Millionen Euro und für die Verwaltungen 5 Millionen Euro freigesetzt. Das ist schon etwas! Wir haben nun schon über vieles gesprochen. Jetzt will ich noch einmal den Fokus auf das Gesetzgebungsvorhaben selbst lenken. Ich meine, das lohnt sich. Ich will Ihnen sieben Beispiele dafür geben. Erstens zu den Existenzgründungen. Wir haben Existenzgründer in den ersten drei Jahren von den statistischen Meldepflichten befreit. Davon sind 7 100 Existenzgründerinnen und Existenzgründer in Deutschland betroffen. Für diese Unternehmen bedeutet das eine geschätzte Entlastung von 1,2 Millionen Euro. Zweitens zu den statistischen Erhebungen. Bei kleinen Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten werden statistische Erhebungen auf drei Stichproben pro Jahr beschränkt. Davon sind 625 Unternehmen betroffen. Das sind nicht viele, aber es geht in die richtige Richtung. Drittens. Für 33 000 kleinere Dienstleistungsunternehmen wird die vierteljährliche Befragung entfallen. Das bedeutet für diese Unternehmen eine Kostenersparnis von 3,5 Millionen Euro pro Jahr. Viertens zu einer besseren Strukturierung der Zusammenarbeit. Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern wird so bei der Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur vereinfacht. Der Verwaltungsaufwand reduziert sich enorm. Davon sind jährlich rund 2 000 Förderfälle betroffen, bei denen die KMU-Betriebe zuletzt Investitionen in Höhe von insgesamt 2,7 Milliarden Euro ausgelöst haben. Es wurden rund 40 000 Arbeitsplätze geschaffen oder gesichert. Fünftens zur Änderung des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern. In jährlich rund 900 000 Fällen werden Auskünfte über Gewerbetreibende von den Gewerbebehörden, die die Auskunftsersuchen noch manuell bearbeiten, auf die Finanzbehörden verlagert, die praktisch ohne jeden Zusatzaufwand auf automatisierte Verfahren zurückgreifen können. Auch hier gibt es Einsparungen von circa 2,2 Millionen Euro. Sechstens. Die Vorausbescheinigung des Arbeitgebers für die Rentenversicherung wird durch eine Sondermeldung im Meldeverfahren der Sozialversicherung ersetzt. Bei durchschnittlich rund 800 000 Vorausbescheinigungen pro Jahr ergibt sich aufseiten der Unternehmen eine Bürokratiekostenentlastung von rund 8 Millionen Euro. Siebtes Beispiel: Vereinfachung der Auskunftsverfahren für Daten aus dem Gewerberegister. Damit entfallen Hunderttausende Auskunftsanträge ganz oder werden durch automatisierte Verfahrensabläufe erleichtert. Die dadurch geschätzte Gesamtentlastung für die Zukunft beläuft sich auf 42 Millionen Euro. Es ist mühsam, und - das zeigen diese Details - es geht um das Kleine. Aber genau diesen Weg müssen wir gehen. Es ist genau das, was Existenzgründer, was kleine und mittlere Unternehmen sowie Handwerksbetriebe in Deutschland drückt. Wir ändern etwas daran. Dies sollten wir auch entsprechend würdigen. ({4}) Nun zu Ihnen, Herr Fuchs, und zu Ihren Vorschlägen in Sachen Generalunternehmerhaftung und Bauabzugsteuer. Die Generalunternehmerhaftung wurde 2002 für den Baubereich eingeführt. Demnach haftet der Hauptunternehmer dafür, dass Subunternehmer die Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Wir wollen - das ist Ziel des Gesetzes - erreichen, dass Sozialversicherungsbeiträge korrekt abgeführt werden. Ich finde, das ist ein richtiges Ziel. Ich nehme allerdings auch zur Kenntnis, dass in der „FAZ“ vom 22. Januar zu lesen war, dass es in zwei Jahren nur etwa acht Haftungsbescheide gegeben hat und nur in einem Fall tatsächlich eingegriffen worden ist. Ich nehme das sehr wohl zur Kenntnis. Auch mit der Bauabzugsteuer verfolgen wir ein, wie ich meine, wichtiges Ziel, nämlich den Umsatzsteuerbetrug zu verhindern. Die Auftraggeber von Handwerkern oder Baufirmen müssen die Umsatzsteuer auf der Handwerkerrechnung selbst direkt an das Finanzamt überweisen. Wir wissen, dass sich diese Regelungen nur über Freistellungserklärungen umgehen lassen. Diese wiederum erfordern einen hohen bürokratischen Aufwand der Unternehmen. Deshalb mache ich Ihnen einen Vorschlag: Warum, Herr Mittelstandsbeauftragter der Bundesregierung, lassen Sie diese beiden Gesetze nicht einmal vom Normenkontrollrat überprüfen? Wir halten an der Zielsetzung beider Gesetze fest, überlegen uns aber, ob es nicht einen Christian Lange ({5}) besseren Weg gibt, zum gleichen Ziel zu kommen. Das entspricht dem, was wir uns vorgenommen haben und was der Normenkontrollrat prüfen soll: an dem Ziel festhalten, aber einen besseren Weg finden. Das wäre doch eine Aufgabe für den neuen Mittelstandsbeauftragten. Wir würden das unterstützen. ({6}) Lassen Sie uns den Weg weitergehen, Mittelstand und Handwerk zu entlasten, an den Zielsetzungen festzuhalten und zu überlegen, wie wir bessere Wege finden können, um es Handwerk und Mittelstand in Deutschland leichter zu machen, dadurch Existenzgründungen zu fördern, statt sie zu behindern. Ich denke, dann sind wir auf einem guten Weg. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Diether Dehm, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Brüderle, bei Ihnen habe ich manchmal den Eindruck, dass Sie zwar „Mittelstand“ sagen, aber eigentlich immer nur die Konzerne und Großbanken meinen. ({0}) Das zeigt sich darin, dass Sie die Erbschaftsteuer abschaffen wollen. Wir als Linke sagen: Setzen Sie die Erbschaftsteuer rauf, aber erhöhen Sie den Freibetrag, damit es die Kleinen nicht und die Mittleren weniger trifft. ({1}) Sie aber wollen die Erbschaftsteuer ganz abschaffen und damit den Milliardären und Konzernen, den Großaktionären helfen. Dafür nehmen Sie das schön klingende Wort „Mittelstand“. ({2}) Weder in der EU noch in Deutschland gibt es einen einheitlichen Mittelstand. 1 Prozent der Unternehmen sind Großunternehmen, 1 Prozent sind mittelständische Unternehmen. 7 Prozent der Unternehmen haben bis zu 49 Beschäftigte. 91 Prozent sind Kleinstunternehmen mit bis zu 9 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Es geht um diese Klein- und Kleinstunternehmen. Herr Fuchs, ich weiß manchmal nicht, ob Sie nicht sehr einseitig nur mit einer bestimmten Kategorie von Unternehmern verkehren, wenn Sie sagen: Denen geht es so gut wie nie. Haben Sie noch nicht erlebt, dass es vielen Unternehmerinnen und Unternehmern im Handwerksbereich in Deutschland manchmal schlechter geht als Arbeitnehmern und es einigen so geht wie Hartz-IV-Empfängern? ({3}) Haben Sie die Menschen noch nicht kennengelernt, die überschuldet sind, dann ein Unternehmen halten wollen? Das ist ein entscheidender Punkt, mit dem sich Bürokratieabbau auseinandersetzen muss. Bürokratieabbau darf nicht zum Wortnebel werden, hinter dem die Abhängigkeit der Kleinunternehmen von Konzernen ungehemmt noch weiter verschärft wird. ({4}) Nehmen Sie einmal die Auto- und Elektronikkonzerne. Wo bleibt die Reparaturfreundlichkeit? Es gibt kaum noch Reparaturmöglichkeiten. Fertigteile werden irgendwo hergestellt, über Autobahnen oder Schifffahrtswege ins regionale Handwerk gebracht. Versuchen Sie einmal, einen elektrischen Fensterheber reparieren zu lassen. Sie müssen gleich die Zentralverriegelung und die drei anderen Fensterheber mitreparieren lassen. ({5}) Wir müssen per Gesetz die Konzerne zwingen, damit das Handwerk mehr Freiheiten hat. ({6}) Wer den Konzernen nicht Freiheiten nimmt, kann den Kleinunternehmerinnen und -unternehmern nicht Freiheiten geben. ({7}) Nehmen Sie einmal die Abhängigkeit von den Großbanken. Haben Sie jemals versucht, als Kleinunternehmer ein Darlehen zu bekommen? Sie hätten da eine entwürdigende Bürokratie bei den Banken erleben können, auch bei den Sparkassen; denn auch diese stehen unter Druck, zum einen weil die öffentliche Hand dadurch, dass sich die Großbanken der Steuerpflicht entziehen, kaum Gelder mehr zur Verfügung stellen kann, zum anderen weil durch Basel II die Kreditvergabe so reglementiert wurde, dass man sagen kann: Ein Kleinunternehmer in Deutschland bekommt nur dann einen Kredit von einer Bank, wenn er ihr lückenlos nachweist, dass er keinen braucht. Gerade die Kleinstunternehmer haben in den Bereichen der sozialen Sicherung ähnliche oder sogar identische Probleme und Interessen wie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das gilt für die Alterssicherung, für die Krankenversicherung und für die Absicherung im Fall der Arbeitsunfähigkeit. Die FDP hat zehn Punkte aufgeschrieben. Diese nützen nicht den Interessen des Mittelstands, sondern zielen darauf, den abhängig Beschäftigten zu schaden: Die Forderungen nach betrieblichen Bündnissen, nach Abbau des Kündigungsschutzes und nach dem Verzicht auf gesetzliche Mindestlöhne wenden sich direkt gegen die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften. Die Forderungen nach Privatisierung der Daseinsvorsorge und dem als Reform bezeichneten Abbau der öffentlichen Sozialversicherungen haben mittelbar dieselbe Stoßrichtung. Als Unternehmer weiß ich: Nicht ideologische Sprüche und blumige Sonntagsreden helfen den Kleinunternehmen aus dem Joch der Energiekonzerne, der Großbanken und der turbokapitalistischen EU-Pleitemaschine namens Dienstleistungsrichtlinie und Neoliberalismus. ({8}) - Selbstverständlich hat auch in folgendem Punkt der Kollege Wend recht; ihm habe ich schon vorhin im Zusammenhang mit den Monopolen zugestimmt: Die große Mehrheit derjenigen, die zum Mittelstand gezählt werden, haben keinen wirklichen Nutzen von den Vorschlägen der Koalition und der FDP. Wir sollten nicht Zwietracht zwischen den Kleinunternehmen und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern säen, sondern mit gezielter Mehrwertsteuersenkung, mit gesetzlichen Mindestlöhnen, mit echten staatlichen Investitionsprogrammen dafür kämpfen, dass die Mehrheit der Menschen, die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Kleinunternehmer, wieder mehr Geld in die Hand bekommt, damit mittelständische Dienstleistungen und Produkte auch gekauft werden können.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, schauen Sie bitte einmal auf Ihre Redezeit.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. - Vereinfachte frische Kredite, aber vor allem ein kräftiger Kaufkraftzuwachs, das ist das, was die Mehrheit der Arbeitslosen, die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und der Arbeitnehmer und die Mehrheit des Mittelstandes dringend braucht. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Alexander Dobrindt, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr gehrte Damen und Herren! Herr Dr. Dehm, es ist eigentlich kaum zu glauben, dass Sie sich als Unternehmer, der Sie ja offensichtlich sind, hier hinstellen und zusätzliche staatliche Lenkung fordern. ({0}) Wir wollen Freiheit, keine staatliche Gängelung. Das ist unser Verständnis von Wirtschaftspolitik. ({1}) Ich begrüße es, dass wir uns in dieser Debatte auch intensiv über die Bedeutung des Mittelstandes und nicht ausschließlich über den Bürokratieabbau unterhalten. Die gestern bekanntgegebenen Arbeitslosenzahlen belegen die Fortsetzung des positiven Trends der letzten Monate beim Abbau der Arbeitslosigkeit. Erstmals seit sieben Jahren gibt es im Februar einen Rückgang der Zahl der Arbeitslosen und im Vergleich zum letzten Jahr 826 000 arbeitslose Menschen weniger. Diese positive Entwicklung wird maßgeblich vom deutschen Mittelstand getragen. Deutschland ist wieder der wirtschaftliche Gipfelstürmer in Europa. Der Bundeswirtschaftsminister Michael Glos ist der Bergführer des Aufschwungs. So muss man das sehen. ({2}) Nicht nur die Arbeitslosigkeit geht zurück, auch die Ausbildungslücke wird deutlich kleiner. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse steigt. Die Unternehmer und Handwerker investieren wieder. Dafür gibt es natürlich Gründe. Der Kollege Fuchs hat die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen angesprochen. Ich glaube, dass wir diesen Weg weitergehen müssen. Ich denke, dass über eine Umsetzung des Vorschlags des Bundeswirtschaftsministers nachgedacht werden sollte, nämlich zukünftig nicht nur 20 Prozent von 3 000 Euro, sondern 25 Prozent von 4 000 Euro absetzbar zu machen. Das wäre ein richtiger Schritt, den man verfolgen sollte. Wenn wir die erkennbare positive Stimmung nachhaltig unterstützen wollen, müssen wir mehr Bürokratie abbauen, als wir das bisher getan haben. Die Bundesregierung ist unter dem Motto „Reformieren, investieren, Zukunft gestalten“ angetreten. Das heißt, dass wir die Probleme, die wir haben, jetzt lösen müssen und sie nicht in die Zukunft verschieben und auf die nächste Generation verlagern dürfen. Anders formuliert: Wir müssen das Zukunftsinteresse vor das Gegenwartsinteresse stellen. Das klingt vielleicht etwas kompliziert. Aber der eine oder andere unter den Zuhörern kennt vielleicht den Satz, der genau das ausdrückt, was ich damit meine, nämlich: Ich will, dass es meinen Kindern einmal besser geht als mir. - Das meine ich, wenn ich sage, dass das Zukunftsinteresse vor das Gegenwartsinteresse gestellt werden muss. Das ist die Politik, die wir vorantreiben müssen, um Wachstum und Beschäftigung auf hohem Niveau zu erreichen und Wohlstand und Sicherheit in unserem Land zu gewährleisten. Dazu gehört, die Belastungen der Wirtschaft abzubauen. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat festgestellt, dass Bürokratieabbau bis zu 600 000 zusätzliche Arbeitsplätze in Deutschland bringen und neue Wachstumsimpulse setzen kann. Das zweite Mittelstandsentlastungsgesetz, wie wir es heute beraten, ist ein Meilenstein auf dem Weg dahin. ({3}) Damit ist das Ziel noch nicht erreicht - das ist heute auch schon angesprochen worden -; aber es ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel. Wenn Sie über Bürokratieabbau reden, können Sie feststellen, dass Ihnen drei verschiedene Reaktionen Ihrer Zuhörer entgegenschlagen: erstens Zustimmung. Die Menschen erkennen, dass es sich um ein wichtiges Anliegen handelt; denn viele sind persönlich sehr stark von Bürokratie betroffen. Zweitens gibt es Protest von einer Reihe von Menschen, die sagen, es gehe sowieso nicht vorwärts; seit Jahrzehnten werde über Bürokratieabbau geredet, aber es bewege sich nicht wirklich etwas; nur wieder einer mehr, der zu diesem Thema redet. Die dritte mögliche Reaktion, die zu erkennen ist, ist die gefährlichste: Spott. Inzwischen ernten wir bei dem Thema Bürokratieabbau auch Spott, weil viele Menschen den Eindruck haben, dass die Politik nicht mehr glaubhaft versichern kann, dass sie sich dem Bürokratieabbau wirklich widmet. Umso wichtiger ist es, dass wir Ziele formulieren. Deswegen begrüße ich ausdrücklich, dass wir das Ziel des Abbaus um 25 Prozent, das das Kabinett diese Woche beschlossen hat, ernsthaft angehen. Ich stimme ausdrücklich dem Kollegen Fuchs und dem Kollegen Wend zu, die gefordert haben, dass wir ein Ziel formulieren, das wir bis zur nächsten Bundestagswahl erreichen wollen. Damit unterstreichen wir glaubhaft das, was wir den Menschen sagen: Wir machen Ernst mit Bürokratieabbau. ({4}) Das zweite Mittelstandsentlastungsgesetz bietet, glaube ich, Herr Staatssekretär Schauerte, wesentlich ambitioniertere Entlastungsmöglichkeiten, als in dem Gesetzentwurf aufgeführt wird. Ich glaube, dass die Entlastung sich nicht nur auf die genannte Summe belaufen wird, sondern eine Entlastungswirkung für die deutsche Wirtschaft von weit über 200 Millionen Euro entfaltet wird. Außerdem muss man auch immer wieder darauf hinweisen, dass mit dem Bürokratieabbau für die Betroffenen eine spürbare Erleichterung verbunden ist, die über den finanziellen Aspekt hinausgeht. Sie haben angesprochen, dass die Existenzgründer in den ersten drei Jahren von den statistischen Meldepflichten befreit werden. Jetzt kann man sagen, das sei eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Über diese Selbstverständlichkeit diskutieren wir im Deutschen Bundestag seit Jahren. ({5}) Auch von der Vorgängerregierung ist sie nicht in Angriff genommen worden. Jetzt endlich wird hier ein Ergebnis erzielt. Die Entlastungswirkung wird für die circa 7 000 Unternehmen vor allem in der kritischen Phase des Aufbaus des Unternehmens spürbar, in der sich der Unternehmer zum Beispiel um die Kundenakquise kümmern muss. In dieser kritischen Phase hat eine Entlastungswirkung noch wesentlich mehr Bedeutung als zu einer späteren Zeit. ({6}) Herr Staatssekretär, Sie haben noch einen weiteren Punkt angesprochen. Für Kleinunternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten wird es zukünftig eine Begrenzung auf maximal drei Stichprobenerhebungen geben. Das klingt vielleicht nicht allzu ambitioniert. Aber in der Praxis zeigt sich, dass es bei den Gutmütigen immer mehr wird, dass sich bei denen, die auf Anforderung einen Statistikbogen nach dem anderen ausfüllen und die sich nicht dagegen wehren, das Ganze häuft. Deswegen ist es wichtig, dass wir hier wirksame Regelungen finden. ({7}) Herr Kollege Zeil, ich will noch auf einen Punkt eingehen, den Sie angesprochen haben. Sie haben gefragt, warum wir nicht mehr bei der Buchführungspflicht machen. Ich habe die entsprechende Stelle im Gesetzestext herausgesucht: … wird die steuerliche Buchführungspflicht vereinfacht. Im Nachgang zur Erhöhung der Umsatzschwelle für die steuerliche Bilanzierungspflicht von 350 000 auf 500 000 Euro im Ersten MittelstandsEntlastungsgesetz erfolgt nun auch die Anhebung der Gewinngrenze von 30 000 auf 50 000 Euro. Allein diese Maßnahme wird zusätzlich 200 000 Unternehmen in Deutschland entlasten, die zukünftig mit einer einfachen Einnahme-Überschuss-Rechnung auskommen. Wir haben es im Programm; wir haben es gemacht. ({8}) Wir sind diejenigen, die die Bürokratie weiter abbauen. Diesen Weg wollen wir gemeinsam weitergehen. Danke schön. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Michael Bürsch, SPD-Fraktion.

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich die 90 Minuten dieser leidenschaftlichen Debatte zum Bürokratieabbau zusammenfassen soll, so stelle ich fest: Alle reden von Bürokratieabbau, aber viele verstehen darunter sehr Unterschiedliches. Ich will am Schluss der Debatte den Versuch machen, eine grundsätzliche Betrachtung über den Bürokratieabbau anzustellen und den Blick darauf zu weiten. Wir müssen zwei Fragen beantworten. Erste Frage: Wo entsteht Bürokratie, wer sind die Verursacher, wer sind die Täter und die Opfer? Zweite Frage: Was können wir dagegen tun? Ich danke Frau Dückert ausdrücklich für den hervorragenden Hinweis: In einem Rechtsstaat sind materielle Vorschriften, festgelegte Verfahren und Informationspflichten grundsätzlich ein unverzichtbarer Bestandteil einer funktionierenden Gesellschaftsordnung. Das muss man als Ausgangspunkt deutlich formulieren. Wenn man manche Reden der FDP wörtlich nimmt, dann kommt man zu dem Ergebnis: Alle Steuern und alle Gesetze müssen weg; dann geht es uns wunderbar; das ist das Paradies auf Erden. ({0}) Aber so ist es nicht, Herr Brüderle. ({1}) Ich sage es einmal deutlich: Nicht Regulierungs- und Verwaltungsverfahren an sich sind das eigentliche Übel, sondern die Überdosierung sowohl inhaltlicher als auch verfahrensmäßiger Art, die dann zu zu viel Bürokratie führt. Dieses Grundverständnis vorausgesetzt, will ich Ihnen nun erklären, wie Bürokratie entsteht. Wir haben heute Morgen im Grunde nur über Gesetze geredet und haben uns den Schuh angezogen, alle Schuld auf uns zu nehmen, indem wir von uns sagen: Wir sind die Täter, weil wir zu viele Gesetze schaffen. Ich sage Ihnen: Das ist eine sehr verkürzte Sicht. Sicherlich entstehen Bürokratie und Verwaltungsaufwand durch Gesetze und durch Standards, die wir setzen. Ich gebe dazu ein Beispiel aus jüngster Zeit, das zeigt, dass die Verwaltung zu Bürokratie beiträgt, nämlich die Fahrradverordnung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 17. Januar 2006. Dort wird der wunderbare Versuch unternommen, ein Fahrrad zu definieren: Fahrräder … sind alle Fahrzeuge mit mindestens zwei Rädern, die durch die Muskelkraft des Fahrers oder der Fahrer mit Hilfe von Pedalen oder Handkurbeln angetrieben werden. Kinderfahrräder, Kinderroller und ähnliche nicht motorbetriebene, zum Gebrauch durch Kinder bestimmte Fortbewegungsmittel sind nicht Fahrräder im Sinne dieser Verordnung. Das ist wunderbar; das schafft Klarheit. So muss es aber, ehrlich gesagt, nicht sein. ({2}) Ein Beispiel muss auch die Bundesregierung ertragen. Ich möchte darauf hinweisen: Das ist noch lange nicht alles, was uns an Bürokratie täglich und monatlich überzieht. Denn wenn Sie den Blick etwas weiter schweifen lassen, stellen Sie fest: Es gibt viele Überregulierungen, die nicht auf staatlicher Initiative oder gesetzlicher Gestaltung beruhen, zum Beispiel die Vorgaben der Berufsgenossenschaften, das Regelwerk zwischen Krankenkassen und Ärztevereinigung im Gesundheitswesen oder das, was sich die verschiedenen nationalen und internationalen Normgremien, die Fachbruderschaften, ausdenken. Daran ist keiner von Ihnen, keiner von den Kolleginnen und Kollegen, also kein Gesetzgeber, sondern daran sind Menschen aus dem Handwerk und der Wirtschaft beteiligt. Die rund 20 000 DIN-Normen reichen von der einheitlichen Kennzeichnung von Lineaturen in Schulheften - das ist die DIN 16552 - 1 - über Prüfnormen für den Knieschutz bis zum IT-Management. Das Europäische Komitee für Normung hat 2006 sehr stolz verkündet: Wir haben den zehntausendsten europäischen Standard erreicht, nach dem Motto: Hoch lebe der genormte Krümmungswinkel der Banane! Auch das sollte man bei der Gesamtbetrachtung bitte im Auge haben. Ich weite den Blick noch etwas: Wir Bürger reden gerne darüber, dass wir uns über die Verwaltung ärgern. Aber tragen wir nicht selber dazu bei, indem wir zum Beispiel größten Wert auf Einzelfallgerechtigkeit bei allen möglichen Entscheidungen legen? Ich denke zum Beispiel an den Fall, dass ich kritisiere, wie ein Lehrer meine Tochter oder meinen Sohn beurteilt hat, und damit vor Gericht gehe und mir von vielleicht drei Instanzen bestätigen lasse, ob die Vier minus richtig war oder nicht. Auch diese Mentalität spielt bei uns Bürgerinnen und Bürgern eine Rolle. In die Gesamtbetrachtung sollte man also auch die Gerichte einbeziehen. Ich möchte auf Folgendes hinweisen, wenn wir von Bürokratie, zu großem Verwaltungsaufwand, von Überdosierung und Verwaltungsanforderungen sprechen: Es gibt sicherlich den Täter Gesetzgeber; aber es gibt sehr viele mehr, die davon betroffen und nicht nur Opfer sind. Angefangen von der Verwaltung über die Wirtschaft bis hin zu uns Bürgerinnen und Bürgern sind wir an dem Gesamtkunstwerk „Bürokratieaufbau“ mitbeteiligt. Zur zweiten Frage: Was ist zu tun? Der Staat - damit fängt es an - sollte seinen Anspruch auf Allzuständigkeit und Vielfachkontrolle aus meiner Sicht aufgeben. Nicht für jede staatlich reglementierte Lebenssituation muss der Staat ein eigenes Testat ausstellen. Muss zum Beispiel ein öffentlich bestellter Schornsteinfeger die Feststellungen eines geprüften Heizungsbauers noch einmal prüfen und dann bestätigen? Muss ein Statiker des kommunalen Bauamtes jeweils die Ergebnisse eines diplomierten Statikers testieren? Das ist, glaube ich, bei deutscher Übergründlichkeit nicht nötig. Die Wirtschaft - um diese Adresse zu nennen könnte nach meinem Verständnis viel stärker Eigenverantwortung übernehmen, zum Beispiel durch freiwillige Selbstverpflichtung. Wir müssen der Wirtschaft doch nicht alles par ordre du mufti vorgeben. Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit außergerichtlicher InteressenausDr. Michael Bürsch gleichsverfahren. Es gibt freiwillige Vereinbarungen zur Feinstaubminderung, zur Altautoentsorgung. Es gibt Audits, das heißt selbstangelegte Überprüfungen im Datenschutz und an anderen Stellen. Ich werbe sehr dafür, dass diese Instrumente der freiwilligen Übernahme von Verpflichtungen viel stärker genutzt werden. Schließlich wieder an unsere eigene Adresse gerichtet: Wir Bürgerinnen und Bürger könnten manches viel mehr als bisher in Selbstorganisation und Eigenverantwortung übernehmen. Das bedeutet allerdings, dass wir an manchen Stellen nicht so sehr darauf pochen, welche Rechte wir haben und dass wir auch noch bis in die letzte Instanz Recht bekommen. Vielmehr sollten wir auch ein paar Pflichten übernehmen und uns zum Beispiel selber zusammentun, um Missstände zu beseitigen. Auch die Gerichte könnten ihrerseits das Prinzip der Selbstbeschränkung entdecken. Es gibt auch für Gerichte die Möglichkeit, zu sagen: Nein, darüber entscheiden wir nicht. Wir gehen nicht noch in die letzte Verästelung einer Prüfungsentscheidung oder einer dienstlichen Beurteilung. ({3}) Ich werbe sehr dafür, dass die Verwaltung ihre Aufgabe stärker darin sieht, Ermessensspielräume auszunutzen, und dass sie nicht den „Doktor Kontrolletti hoch drei“ an den Tag legt. Wir könnten sehr viel mehr Bürokratieabbau erreichen, wenn aufseiten der Verwaltung erkannt wird: Ich muss nicht eine doppelte und dreifache Kontrolle in jede Verästelung hinein vorsehen. Ich begreife mich nicht als Verwalter, sondern als Gestalter der öffentlichen Dinge. Das ist vielleicht eine Art neue Verwaltungskultur. Aber ich sage Ihnen: Es geht. Wo dies besonders eine Rolle spielt, ist der Bereich, der mich sehr beschäftigt: der Bereich des Ehrenamts und des bürgerschaftlichen Engagements. Ich könnte Ihnen Hunderte, Tausende von Fällen nennen, Ihnen sieben, acht, zehn Aktenberge auf den Tisch legen, um Ihnen zu zeigen, welche Hürden es in dem Bereich des Ehrenamts, des freiwilligen Engagements, gibt, die wirklich nicht nötig sind. An dieser Stelle appelliere ich ausdrücklich an die Verwaltung, zu erkennen: Ich kann das entscheiden. Niemand wird mich festnageln oder mir einen Schadenersatzprozess an den Hals hängen, wenn ich zugunsten des Engagements weniger bürokratisch entscheide. Fazit von alledem: Der Abbau von Bürokratie ist nicht allein Sache des Gesetzgebers, obwohl auch er gefordert ist. Einiges ist auf den Weg gebracht worden. Heute ist viel von Bonsais, Bergführern, kleinen und größeren Leuchttürmen gesprochen worden. All das ist richtig. Auf diesem Wege muss es vorangehen. Genauso richtig finde ich den Normenkontrollrat. Das Gesamtprojekt betrifft aber die Gesellschaft, den Staat und die Wirtschaft. Wir müssen zusammenwirken. Das ist eine Gesamtaufgabe. Ich stelle mir vor: Wir könnten gemeinsam eine Leitlinie für das Gesamtprojekt Bürokratieabbau ausgeben, nach dem Motto von Konfuzius: „Wer etwas will, sucht Wege, wer etwas nicht will, sucht Gründe.“ Es wurden genug Wege beschrieben. Also: Bürokratieabbauer aller Länder, vereinigt euch! ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 16/4391 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Tagesordnungspunkt 24 b. Wir kommen zur Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf der Drucksache 16/1070. Der Aus- schuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh- lung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD auf Drucksache 16/557 mit dem Titel „Neue Impulse für den Mittelstand“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposi- tion angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/562 mit dem Titel „Unter- nehmen statt Unterlassen - Vorfahrt für den Mittel- stand“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss- empfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartwig Fischer ({0}), Eckart von Klaeden, Anke Eymer ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Herta Däubler-Gmelin, Gert Weisskirchen ({2}), Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für eine Politik der gleichberechtigten Partnerschaft mit den afrikanischen Ländern - Drucksache 16/4414 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({3}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller ({4}), weite8384 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner rer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Afrika auf dem Weg zu Demokratie und nachhaltiger Entwicklung unterstützen - Drucksache 16/4425 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({5}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Aydin, Heike Hänsel, Dr. Norman Paech, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Für eine Afrikapolitik im Interesse der afrikanischen Bevölkerungsmehrheit - Drucksache 16/4410 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({6}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesaußenminister, Dr. Frank-Walter Steinmeier. ({7})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gründe für eine Afrikadebatte in diesem Hause gibt es reichlich. Ich freue mich, dass die Fraktionen des Deutschen Bundestages Anlässe für eine solche Debatte geschaffen haben. Ich bin Ihnen dankbar dafür. Ich bin Ihnen dankbar, dass wir die Debatte jetzt führen; denn 2007 ist in der Tat ein wichtiges Jahr für Afrika. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass Ghana fast auf den Tag genau vor 50 Jahren unabhängig geworden ist und damit einen historisch einmaligen Prozess der Dekolonialisierung, und zwar unumkehrbar, eingeleitet hat. Schauen wir heute auf dieses Land: Ghana zeigt gerade mit der Bereitschaft, den Vorsitz in der Afrikanischen Union zu übernehmen, seine Entschlossenheit, auch künftig als Pionier in Afrika voranzugehen. Das, was wir jetzt sehen, ist in diesem Jahr wichtig. In diesem Jahr haben wir allein in Westafrika bis zu elf Wahlen vor uns, darunter die ganz besonders wichtige Präsidentschaftswahl in Nigeria, die ganz sicher - egal wie sie ausfallen wird - Signalwirkung für den gesamten Kontinent haben wird. Ich betone das, weil ich denke, dass der vor uns liegende Wahlkalender in Afrika eines zeigt, nämlich dass Demokratisierung und politische Entwicklung unseres Nachbarkontinents viel weiter sind, als wir in Europa das manchmal wahrhaben wollen. ({0}) Ich sage das, obwohl ich die Probleme kenne: Elend und Bürgerkrieg in manchen Regionen dieses Kontinents. Aber es gibt eben auch die positiven Zeichen. Ich erinnere mich, dass Thabo Mbeki Ende der 90er-Jahre eine „Afrikanische Renaissance“ gefordert hat. Ich erinnere mich, wie viele darüber gelächelt haben. Was damals noch als Träumerei galt, ist heute in vielen Teilen Afrikas politische Realität geworden. Sie kennen das Engagement vieler afrikanischer Staaten in der Entwicklungspartnerschaft NEPAD, in der sie zeigen, dass sie sich zu mehr Demokratie und Transparenz verpflichten. Sie haben den Prozess der letzten Jahre mitverfolgt, in dem sich die Afrikanische Union mehr und mehr zu einer handlungsfähigen Gemeinschaft entwickelt hat. ({1}) Was zeigt das? Afrika hat sich aus meiner Sicht auf der Weltbühne zurückgemeldet - nicht nur als bloßer Empfänger von Entwicklungstransfers, sondern als Mitgestalter unserer gemeinsamen globalen Zukunft. Ich nenne nur - Sie haben das aus jüngster Zeit in Erinnerung - die Gastgeberrolle Kenias beim Weltsozialforum Anfang dieses Jahres. Die Umweltpolitiker unter Ihnen erinnern sich an die Weltklimakonferenz Ende 2006. Mir liegt fachlich sehr viel näher die positive Rolle, die etwa Ghana und Südafrika im Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde gespielt haben, auch und gerade bei der Behandlung des immer noch nicht gelösten Konflikts mit dem Iran. ({2}) Ich meine, all das zeigt: Die Staaten Afrikas wollen gestalten, nehmen das Leitmotiv „African Ownership“ ernst und sind bereit, sich über ihren eigenen Kontinent hinaus aktiv einzubringen. Was ich über die politische Entwicklung sage, gilt auch - vorsichtig gesehen - für die wirtschaftliche Entwicklung. Nach den Wachstumsraten, die seit zwei oder drei Jahren relativ stabil sind und sich in diesem Jahre offensichtlich so fortsetzen, können wir mit einem soliden Wirtschaftswachstum des afrikanischen Kontinents von im Durchschnitt immerhin 5 bis 6 Prozent rechnen. Ich weiß, dass ein Großteil dieses Wachstums auf die hohen Rohstoffpreise zurückzuführen ist. Ich weiß auch, dass die Gründung von Wachstum nur auf Ausbeutung von Rohstoffressourcen seine eigenen Probleme mit sich bringt. Wirtschaftlich gesehen zeigen die Fakten: Afrika ist - Sie alle wissen das - für private InBundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier vestoren interessanter geworden, zumal für asiatische und insbesondere für Investoren aus China. Für die politische wie für die wirtschaftliche Zukunft Afrikas wird ganz entscheidend sein, dass der eben angesprochene positive Reformkurs fortgesetzt wird. Das gilt ganz sicher politisch und auch beim Ausbau der Bildung, bei dem wir viel helfen müssen. Es gilt aber auch wirtschaftlich; auch dort brauchen wir eine Fortsetzung der Reformen. Denn Sie alle wissen oder ahnen: Nur wenn es gelingt, dass ausländisches Kapital und ausländisches Know-how nach Afrika kommen, werden wir Armut auf diesem Kontinent wirksam und nachhaltig bekämpfen können. ({3}) Nur wenn das gelingt, dann wird die Jugend dieses Kontinents und damit die Hälfte der Einwohner Afrikas eine Zukunft in ihrem eigenen Land sehen. Nur dann können politische und wirtschaftliche Institutionen aufgebaut und erhalten werden, solche Institutionen, die in der Lage sind, Herausforderungen wie Aids, regionale und innerstaatliche Konflikte, Urbanisierung und Migration wirksam anzugehen und hoffentlich auch zu meistern. Meine Damen und Herren, wir in Deutschland bzw. in Europa insgesamt wollen Afrika auf seinem Weg in die Zukunft partnerschaftlich begleiten. Das sollte die Botschaft sein, die von der heutigen Debatte ausgeht. ({4}) Deutschland und die Europäische Union haben mit ihrem Engagement zur Absicherung der Wahlen im Kongo gezeigt, dass sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und die Partnerschaft, von der ich eben gesprochen habe, mit Leben zu füllen. Ich habe, als wir schon einmal über den Kongo diskutierten, gesagt: Eine nachhaltige Stabilisierung gerade der Region der Großen Seen wäre ein Meilenstein für die Entwicklung Afrikas insgesamt. Natürlich müssen wir auch Gefahren und Krisenherde außerhalb dieser Region weiter im Fokus behalten. Es geht nicht nur um den Kongo. Wir unterstützen auch die Forderung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, die Möglichkeiten der Afrikanischen Union im Sudan schlagkräftiger zu machen und sie mittelfristig mit den Anstrengungen der Vereinten Nationen zu verknüpfen. Die Europäische Union wird weitere Mittel freigeben bzw. freigeben müssen, damit die Finanzierung der AUKräfte sichergestellt werden kann. Am kommenden Montag werden wir im EU-Außenministerrat darüber beraten. Natürlich werden wir die sudanesische Regierung anhalten müssen, sich viel stärker als bisher zu einer politischen Öffnung bereit zu erklären. Ich freue mich, dass mein ehemaliger schwedischer Kollege Jan Eliasson in dieser Region unterwegs ist und versucht, neue und jetzt endlich belastbare Absprachen und Vereinbarungen zwischen den unterschiedlichen Rebellengruppen und der Regierung zu treffen. Ich denke, wir sollten ihm bei seinem Bemühen auch von hier aus großen Erfolg wünschen. ({5}) Was ich über den Sudan gesagt habe, könnte ich in abgeschwächter Form auch über Somalia sagen. Wir haben uns in diesem Jahr erneut mit der Situation in diesem Land beschäftigen müssen. Hierzu sage ich: Militärische Präsenz allein wird die Probleme nicht lösen. Sie ist kein Ersatz für eine politische Lösung, die wir in diesem Land dringend brauchen. Auch auf europäischer Ebene habe ich die Auffassung vertreten: Wenn wir, wie gerade geschehen, 15 Millionen Euro für die Bemühungen der Afrikanischen Union freigeben, dort einigermaßen stabile Verhältnisse sicherzustellen, dann muss das unter der Voraussetzung geschehen, dass die somalische Übergangsregierung bereit ist, den politischen Prozess bzw. den innerstaatlichen Versöhnungsprozess wirklich nachhaltig einzuleiten. ({6}) Gott sei Dank kann Deutschland in diesem Jahr aufgrund seiner EU- und G-8-Präsidentschaft ganz besondere Akzente setzen; Frau Wieczorek-Zeul wird dazu gleich aus der Perspektive der Bundesregierung berichten. In der Europäischen Union tun wir das, indem wir versuchen, in diesem Jahr endlich die Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die in der Vergangenheit einem EU-Afrika-Gipfel im Wege gestanden haben. Im Hinblick auf die internationalen Aktivitäten, die Sie alle beobachten, müssen Sie sich einmal vorstellen: Seit nunmehr sieben Jahren gab es zwischen der Europäischen Union und den afrikanischen Staaten keine Zusammenkunft auf Gipfelhöhe, also auf der Ebene der Regierungschefs. Die Gründe dafür sind bekannt. Wir versuchen nun intensiv, und zwar gemeinsam mit der nachfolgenden portugiesischen Ratspräsidentschaft, diese Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Wir wollen, dass in der zweiten Jahreshälfte, ungefähr im September, endlich ein solcher Gipfel möglich wird. ({7}) Schließlich komme ich auf die G-8-Präsidentschaft Deutschlands zu sprechen. Ganz bewusst haben wir sie unter das Motto „Wachstum und Verantwortung“ gestellt. Wir werden mit besonderer Beachtung der afrikanischen Staaten - der afrikanischen Staaten, die als Leistungsträger gelten - die dortigen Reformprozesse unterstützen. Wir wollen die Kapazitäten der Afrikanischen Union und der Regionalinstitutionen im Bereich Frieden und Sicherheit weiter ausbauen. Ziel ist aus außen- und sicherheitspolitischer Sicht, dass es uns lang8386 fristig gelingt, in Afrika eine umfassende eigene Sicherheitsstruktur zu schaffen. ({8}) Die Zeiten, in denen afrikanische Staaten als Bittsteller behandelt wurden, gehören - ich möchte sagen: Gott sei Dank! - der Vergangenheit an. Afrika, in all seiner Vielfalt und Dynamik, ist längst wichtiger Partner geworden. Ich bin überzeugt: In einer Welt, die immer stärker zusammenwächst, die sich zum globalen Dorf entwickelt, brauchen wir ein starkes, ein handlungsfähiges Afrika, ein Afrika, das gleichberechtigt und auf Augenhöhe wahrgenommen wird. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Marina Schuster, FDPFraktion. ({0})

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! 900 Millionen Menschen, 54 heterogene Staaten, zwölf Minuten Redezeit für die FDP und sechs Minuten Redezeit für mich - das zeigt auch, dass Afrika, verglichen mit anderen Themen in der Politik, immer noch zu wenig Beachtung bekommt. ({0}) Deswegen begrüße ich es sehr, dass wir heute zu dieser Stunde, in der Kernzeit, diese Debatte führen. Aktuell gibt es zahlreiche Herausforderungen: Denken wir an den Konflikt am Horn von Afrika, vor dem wir noch im Dezember gewarnt hatten; denken wir an die Lage in Darfur und an die Flüchtlingsdramen an den Südgrenzen der EU! Diese Konflikte zeigen, dass Afrika längst im Zentrum internationaler Interessen steht. Die Konflikte erhalten ihr teuflisches Potenzial meist im Windschatten ganz anderer Interessen: In Darfur geht es natürlich auch um Öl. In Somalia geht es um Sicherheitsinteressen, um den eritreisch-äthiopischen Konflikt. Im Kongo geht es seit Jahrzehnten um knappe, wertvolle Rohstoffe. Die Bedeutung Afrikas in der Welt hat in den letzten Jahren zugenommen. Deshalb ist es wichtig, dass wir Afrikapolitik nicht immer nur mit einem rein entwicklungspolitischen Ansatz verfolgen. ({1}) Die hierzulande weitverbreitete Ansicht, dass Entwicklungshilfe und wirtschaftliches Engagement einen Gegensatz darstellen, hilft dem afrikanischen Kontinent nicht. Deutschland kann sein Engagement in Afrika ausbauen, politisch und wirtschaftlich. Ich begrüße ausdrücklich, dass die Bundesregierung Afrika auf die Agenda gesetzt hat. Sie hat die einmalige Chance, sich stärker für die Lösung der Konflikte einzusetzen und dabei vor allem europäische und international abgestimmte Initiativen auf den Weg zu bringen. Doch leider besteht der Eindruck, dass schon innerhalb der Bundesregierung die rechte Hand nicht immer weiß, was die linke tut. Es gibt wirklich positive Entwicklungen und Chancen auf dem afrikanischen Kontinent; Herr Steinmeier hat es ausgeführt. Wir sehen wieder erfreuliches Wachstum, Schritte zur Demokratie. Gerade im Süden und Westen des Kontinents gibt es wirklich viele Chancen. Wenn wir diese Prozesse genau anschauen und ganz ehrlich sind, dann müssen wir feststellen: Sie sind das Ergebnis von Wirtschaftsreformen im Innern und Investitionen von außen und einer Einbindung in den internationalen Handel. Stellen wir also die beiderseitigen Chancen in den Mittelpunkt unserer Debatten! Die Bundesrepublik hat das vorhandene wirtschaftliche Potenzial in vielen Ländern Afrikas verschlafen, obwohl Deutschland insgesamt ein angesehener Partner ist. Ich meine, die Bundesregierung muss sich stärker als bisher für eine Verbesserung der Bedingungen für Investitionen deutscher Betriebe und Unternehmen in Afrika einsetzen und dabei auch gezielt für den Umweltschutz und für erneuerbare Energien werben. Denn hier liegt eine Menge Potenzial, in beiderseitigem Interesse. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Verantwortung für Afrika ist nicht nur interessengeleitet - sie ist interessen- und werteorientiert. Die Verpflichtung zur Armutsbekämpfung, zur Konfliktprävention, zur Hilfe beim Kampf gegen Aids und Hunger und beim Umweltschutz - all das resultiert aus unserer natürlichen Verantwortung. Wir möchten auf dem Weg zur Stabilität, zu einer rechtstaatlichen Gesellschaftsordnung und einer freien und demokratischen Zivilgesellschaft Unterstützung zur Selbsthilfe leisten. ({3}) Mit dem höheren Stellenwert Afrikas gehen verstärkte Anstrengungen für diese Aufgaben vor Ort einher. Eine konkrete Forderung richtet sich an Sie, Herr Minister Steinmeier: Notwendig ist die entsprechende Ausstattung der deutschen Botschaften. ({4}) Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen. Die Rückzugspolitik, die wir bei den Botschaften in Afrika unter Rot-Grün erlebt haben, war - das muss deutlich gesagt werden - verheerend. ({5}) Die Ausstattung der Botschaften ist noch heute unzureichend. Wenn zum Beispiel eine deutsche Botschaft in einem afrikanischen Land mit drei politischen Mitarbeitern auskommen muss, in der französischen oder britiMarina Schuster schen Auslandsvertretung sind es hingegen zehn bis 14, dann bedeutet das, dass wir uns auf das Operative beschränken und dass das Konzeptionelle vernachlässigt wird. Erlauben Sie mir abschließend noch eine Anmerkung zur politischen Zusammenarbeit. Die Afrikanische Union hat die Möglichkeit, sich langfristig zum politischen Zentrum Afrikas zu entwickeln. Der Aufbau und die finanzielle Absicherung der AU schreiten jedoch nur langsam voran. Wenn wir es mit dem Konzept des „African Ownership“ ernst meinen, dann müssen wir die AU stärker als bisher unterstützen, und zwar finanziell, personell, beim Aufbau der Organisation und beim Know-how-Transfer. Was die Sicherheitskomponente anbelangt, kann es nicht sein, dass wir die AU einerseits als „security provider“ einsetzen wollen und sie dann andererseits im wahrsten Sinne des Wortes in der Wüste stehen lassen. Denn das unterminiert unsere Glaubwürdigkeit und die der AU. ({6}) Kofi Annan hat in seinen letzten Wochen als UNGeneralsekretär der deutschen Bundesregierung noch eine gewaltige Aufgabe mit auf den Weg gegeben. Er hat festgestellt, dass es für die Entwicklung des afrikanischen Kontinents - insbesondere in Subsahara - entscheidend auf die deutschen Präsidentschaften ankommen wird, weil wir unsere Bemühungen intensivieren und bündeln müssen. Ich wünsche mir, dass sich aus den verstärkten Bemühungen der deutschen Präsidentschaften spätestens in Heiligendamm ganz Konkretes ergibt, nämlich Taten. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Eckart von Klaeden für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Mit den Worten „Die Menschlichkeit der Welt entscheidet sich am Schicksal Afrikas“ hat Bundespräsident Köhler in seiner Vereidigungsrede am 1. Juli 2004 deutlich gemacht, welche zentrale Bedeutung Afrika nicht nur für uns, sondern auch für die internationale Politik hat. Das Bild Afrikas hat sich geändert. Zwar bestimmen Hunger, Armut, Unterentwicklung, Krieg und Bürgerkriege, zerfallende Staaten, Flüchtlingsströme, massive Menschenrechtsverletzungen und nicht zuletzt Aidsepidemien nach wie vor das Bild Afrikas. Das Bruttosozialprodukt aller Länder südlich der Sahara entspricht etwa dem Argentiniens. Von 51 am wenigsten entwickelten Ländern der Welt liegen 42 in Afrika. Aber es gibt auch ein vorwärtsgewandtes, Optimismus ausstrahlendes und dynamisches Afrika. Deswegen besteht für uns die Gelegenheit, die bereits vorhandenen Ansätze für eine neue und echte Partnerschaft mit Afrika in einer neuen Qualität zu entdecken und weiterzuentwickeln. Wir müssen uns von einem vom altruistischen Paternalismus geprägten Afrikabild hin zu einem strategischen Dialog mit Afrika entwickeln. Wir müssen einen strategischen Blick auf den Kontinent richten. Dabei sollten wir auch berücksichtigen, welch hohes Ansehen Deutschland in vielen Ländern Afrikas hat. Deutschlands Ansehen ist höher als das vieler anderer europäischen Länder, die immer noch mit ihrer kolonialen Vergangenheit in Verbindung gebracht werden. Dieses Ansehen sollten wir im Interesse Afrikas, im Interesse Europas und nicht zuletzt auch in unserem eigenen Interesse nutzen. ({0}) Wenn wir über die Asymmetrien im Handel sprechen, dann sollten wir darauf achten, den afrikanischen Staaten mehr Möglichkeiten zu bieten, auf unsere Märkte zu exportieren. Wir sollten aber auch die afrikanischen Staaten ermuntern und ihnen helfen, selbst für ein geeignetes Investitionsklima zu sorgen. ({1}) Nach wie vor prägen Rechtsunsicherheit, Staatsgläubigkeit und Überregulierung die meisten Wirtschaftssysteme in Afrika. Traditionen belasten zudem die Entwicklung. Beispielsweise können in vielen Ländern Afrikas Frauen, auf deren Schultern häufig die Landwirtschaft ruht, das bewirtschaftete Land nicht erben mit der häufigen Folge, dass sie nach einem Erbfall verelenden und das Land brachliegt. Einige afrikanische Staaten - leider noch nicht genug - haben diese Defizite erkannt. Die Integration in die Weltwirtschaft ist eine Voraussetzung für die Entwicklung Afrikas. Dabei sollten wir die afrikanischen Staaten ermuntern, sich stärker dem Aufbau regionaler Märkte zu widmen, als primär auf den notwendigen, jedoch nur mühsam zu erreichenden Abbau von Handelsbarrieren der industriellen Welt zu warten. ({2}) Ein wesentlicher Erfolg unseres Landes besteht darin, dass ein großer Teil unserer Exporte in die Europäische Union geht, dass also unsere wirtschaftliche Kraft und unser Wohlstand vor allem vom regionalen Handel abhängen. Ich finde, dieses Beispiel sollte auch in Afrika Schule machen. Was gehört zu einem strategischen Blick auf Afrika? Ich will drei Punkte nennen: erstens die Sicherung des Friedens, zweitens Afrika als Partner bei der Gestaltung der Globalisierung sowie drittens Ressourcen- und Energiesicherheit. Die große Gefahr besteht darin, dass die in weiten Teilen Afrikas herrschenden Konflikte über die Grenzen des Kontinents hinaus wirken und auch uns unmittelbar betreffen. Im Herzen Afrikas, an den Großen Seen, in Teilen Westafrikas und am Horn von Afrika ist in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten eine explosive Mixtur aus sozialer Verelendung, Werteverfall, wirtschaftlichem Niedergang, Rechtlosigkeit, politischem Zerfall und exzessiver Gewaltanwendung entstanden, die in ihren verheerenden Folgen der uns nur zu gut bekannten Entwicklung in Afghanistan in den 90er-Jahren ähnelt. Politische Instabilität sowie Armut und Hoffnungslosigkeit stellen eine große sicherheitspolitische Gefahr dar. Internationale Waffen - und Drogen - sowie kriminelle Kartelle und transnationale Terroristen machen sich diese Umstände bei Operationen, Rekrutierung und Finanzierung - Beispiele sind Blutdiamanten oder Coltan - zunutze und verschärfen diese Konflikte in ihrem Interesse. Es gibt leider nach wie vor genügend Anzeichen dafür, dass Somalia und andere Konfliktregionen Afrikas nicht nur Quellen des transnationalen Terrorismus waren, sondern zum Teil noch sind. Ich will in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass Osama Bin Laden, bevor er nach Afghanistan ging, sein Terrornetzwerk vom Sudan aus geführt hat. Deshalb ist es richtig, dass wir den Aufbau des Terrorismusbekämpfungszentrums der AU in Algier unterstützen. Es kommt insbesondere beim Aufbau der Sicherheitsstrukturen in Afrika auf das an, was man so schön African Ownership nennt. Am 31. Januar 2007 waren weltweit über 82 000 Polizisten und Soldaten im Rahmen von Missionen der Vereinten Nationen im Einsatz. Eine Rekordzahl! Davon waren allein in Afrika 55 000 Polizisten und Soldaten eingesetzt. Die afrikanischen Länder stellten 18 000 Polizisten und Soldaten für diese VN-Missionen zur Verfügung. Das ist ein beeindruckender Beitrag. Nichtsdestotrotz ist der Saldo Afrikas bei der Herstellung der eigenen Sicherheit - im Vergleich zu 55 000 auf dem afrikanischen Kontinent eingesetzten Polizisten und Soldaten die erwähnten 18 000 afrikanischen Soldaten und Polizisten - bedauerlicherweise negativ. Deswegen liegt es auch in unserem Interesse, in das Zentrum unserer Bemühungen den Aufbau und die Stabilisierung der entstehenden afrikanischen Sicherheitsarchitektur zu stellen. ({3}) Dabei steht die Afrikanische Union im Mittelpunkt, deren wichtigstes Organ der Friedens- und Sicherheitsrat ist, der im März 2004 seine Arbeit aufgenommen hat. Die westafrikanische ECOWAS ist die aus sicherheitspolitischer Sicht am weitesten entwickelte Regionalorganisation in Afrika. Sie hat wie keine andere Regionalorganisation in Mitgliedsländern militärisch interveniert, in denen gewaltsame Konflikte eskalierten, und entschlossen und eindeutig auf MiIitärputsche in Niger und Gambia sowie an der Elfenbeinküste und in Togo reagiert. Das heißt, es kommt ganz wesentlich darauf an, diese Sicherheitsarchitektur bei allen Defiziten, die sich zum Beispiel auch im Rahmen von AMIS im Sudan gezeigt haben, zu unterstützen. Dabei, Frau Kollegin Schuster, kommt es auch darauf an, dass zunächst einmal die Initiative von den afrikanischen Staaten selber ausgeht. Ich hatte eben den Eindruck, als wollten Sie in Ihrem Beitrag zuerst die Europäische Union und damit auch die Bundesregierung für die Schwierigkeiten in Darfur verantwortlich machen. ({4}) Es geht vor allem um African Ownership, was Voraussetzung für eine nachhaltige Friedenslösung ist, für die wir uns einsetzen. In diesem Zusammenhang begrüße ich es sehr, dass sich die Bundesregierung bei der Gründung des Kofi Annan International Peace Keeping Training Centre in Ghana engagiert und sich auch am Aufbau eines Krisenfrühwarnsystems am Sitz der AU in Addis Abeba beteiligt. ({5}) Der zweite Punkt ist die Gestaltung der Globalisierung. Wir dürfen angesichts der internationalen Wirtschafts-, Finanz-, Umwelt-, Klima- und Sicherheitspolitik nicht vergessen: Afrika besitzt in internationalen Organisationen eine große Macht schon allein deswegen, weil es mit seinen über fünfzig Staaten ein hohes numerisches Gewicht in multilateralen Organisationen und Institutionen einzubringen hat, in denen das Prinzip „One Country, One Vote“ gilt. Es ist aber auch wichtig, dass Afrika erkennt, dass es seine Rolle in diesen Institutionen besser koordinieren muss, und dass vor allem die Lösungen der Probleme, die nur in diesen internationalen Organisationen erreicht werden können, wie zum Beispiel die Konsequenzen der Erderwärmung oder die Fragen des Klimaschutzes, zuallererst Afrika zugutekommen; denn kein Kontinent droht so sehr unter der globalen Erwärmung zu leiden wie Afrika. Der dritte Punkt betrifft die Rohstoff- und Ressourcensicherheit. Auch daran haben wir ein eigenes, elementares Interesse; denn wir legen Wert auf Diversifikation, und wir wollen unsere Abhängigkeit von Russland und auch von der notorisch instabilen Region des Nahen und Mittleren Ostens verringern. Dazu bietet sich ein Engagement in Afrika an, ein Engagement, das unseren Standards entspricht und dafür sorgt, dass es zu einer wirklich fairen Partnerschaft kommt und dass die Völker der Länder, die über diese Ressourcen und Energievorräte verfügen, tatsächlich von deren Exploration profitieren können. In diesem Zusammenhang ist beeindruckend, was China in Afrika macht. Das ist aber auch ein Warnsignal; denn China unterläuft mit seiner Entwicklungszusammenarbeit unsere westlichen Standards von Good Governance. Ich selber habe auf einer Reise nach Afrika im letzten Jahr erlebt, dass afrikanische Regierungen händeringend darum bitten, dass sich Europa und insbesondere Deutschland stärker engagieren. In KongoBrazzaville habe ich den stellvertretenden Außenminister getroffen. Der Ton des Gesprächs war freundlich, aber was Europa anging, so war er leicht indigniert. Er fragte: Wann wird endlich wieder die deutsche Botschaft in unserem Land eröffnet? Wann endlich kommt es dazu, dass nicht nur hohe Diplomaten aus China, Nordkorea oder Iran sich um unser Land kümmern, sondern dass wir auch wieder Staatsekretäre und Minister aus Europa bei uns begrüßen können? - Dieses Land hatte zu dem Zeitpunkt, als ich es besuchte, die Präsidentschaft der Afrikanischen Union inne, spielte also gerade bei den Konflikten, mit denen wir uns nahezu wöchentlich auch hier im Bundestag beschäftigen, eine entscheidende Rolle. Ein anderes Gespräch bei einem Besuch bei Außenminister Ping in Gabun hatte einen ähnlichen Ton. Dieser Außenminister war Präsident der 59. VN-Generalversammlung. Er berichtete mir, dass sein Land gerade einen großen, über Jahrzehnte laufenden Vertrag mit der Volksrepublik China über die Exploration von Eisenerz und über mehrere Straßenbauprojekte abgeschlossen hatte. Auch er fragte: Wo ist das Engagement Europas? Wo ist das Engagement des Westens? Wir hätten gerne mit euch Verträge abgeschlossen, wir hätten gerne mit euch kooperiert, aber die Angebote, die uns China macht, diese All-Inclusive-Pakete, gibt es von euch nicht. - Es fehlt also an Engagement und an staatlicher Unterstützung für eine echte wirtschaftliche Kooperation und eine auf Augenhöhe stattfindende Partnerschaft und Zusammenarbeit.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege!

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist der letzte Satz, Herr Präsident. - Afrika strategisch zu begreifen und es wirklich zu einer Partnerschaft auf Augenhöhe kommen zu lassen, ist das Ziel unserer Afrikapolitik. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion Die Linke erhält nun das Wort der Kollege Aydin. ({0})

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungsfraktionen behaupten in ihrem Antrag: Im Bereich Frieden und Sicherheit sind in den vergangenen zehn Jahren deutliche Fortschritte gemacht worden. Das ist reine Beschönigung. Ihnen selbst fallen mit Somalia, Elfenbeinküste, Äthiopien und Darfur bereits mehr heiße als gelöste kriegerische Konflikte ein. Viele andere Konflikte, wie jener im Nigerdelta Nigerias, werden von Ihnen gar nicht erst angesprochen. Der Grund ist einfach: Die Politik der G 8, darunter jene der Bundesregierung, trägt nicht wirklich zu dauerhaften Konfliktlösungen bei. Fehler Nummer eins: Wenn Sie von Afrika sprechen, dann meinen Sie immer die Herrschenden in Afrika. Die kommen mit den neoliberalen Programmen der Weltbank und des IWF ganz gut klar. Denn häufig genug sind es Konsortien von afrikanischen und transnationalen Unternehmen, die von der erzwungenen Privatisierung des afrikanischen Staatsvermögens profitieren. So war es im Fall des tansanisch-deutsch-britischen Unternehmens City Water, das 2003 die Wasserwerke in der tansanischen Hauptstadt Daressalam übernommen hatte. Verlierer war die Masse der Bevölkerung, die mit enormen Preissteigerungen des Wassers zu kämpfen hatte. Auffällig ist: Die reichsten Potentaten Afrikas waren immer auch die Lieblinge des Westens. So war es bei Kibaki in Kenia oder bei Mobutu in Zaire, dem heutigen Kongo. An dieser Politik hält die Bundesregierung weiterhin fest. So erfahren wir, dass der Innen-Staatssekretär Hanning mit den Geheimdiensten Algeriens gemeinsame Vereinbarungen zur Abwehr afrikanischer Flüchtlinge trifft. Leider erfahren wir nichts darüber, wie die humanitäre Situation der Flüchtlinge in den nordafrikanischen Lagern verbessert werden soll, geschweige denn, wie man endlich den Tod von Tausenden Afrikanern verhindern will, die von Woche zu Woche - vielleicht gerade in diesem Augenblick - auf hoher See ertrinken. Sprechen wir es aus: Jedes Jahr sterben zehnmal mehr Menschen an den Mauern der Festung Europa als in 28 Jahren an der schrecklichen Berliner Mauer. Frau Merkel, Herr Steinmeier, nutzen Sie die EU-Präsidentschaft und reißen Sie endlich ein Loch in diese Mauer der Schande! ({0}) Es muss endlich eine Lösung geben, wie Afrikaner auf legalem Weg nach Europa gelangen können. Ja, es gibt auch Fortschritte in Afrika, zum Beispiel dort, wo Entwicklungsprogramme auf den Aufbau der sozialen Daseinsfürsorge und der Infrastruktur setzen. Das heißt: Fortschritte sind dort zu verzeichnen, wo die Entwicklungspolitik in der Praxis die Auswirkungen neoliberaler Strukturanpassungsprogramme bekämpft. Nehmen wir Äthiopien als Beispiel. Dank der Wasser- und Sanitärprogramme der UNICEF ist die Kindersterblichkeit seit 1992 um 40 Prozent zurückgegangen. Doch noch immer sterben in Äthiopien zwölf von 100 Kindern in den ersten fünf Jahren an vermeidbaren Krankheiten. Dieses Leid ist keine Folge von Naturkatastrophen; es ist eine Folge der Armut, die der Weltkapitalismus unter anderem über Schwarzafrika gebracht hat. Über 80 Prozent der Äthiopier leben von weniger als 1 Dollar pro Tag. In einem Land mit einer reichen Vegetation haben die meisten Menschen einfach nicht genug Geld, um sich ausreichend Nahrungsmittel zu kaufen. Die Folge ist, dass die Hälfte aller Kinder Äthiopiens an chronischer Unterernährung leidet. Ihr Immunsystem ist zu schwach gegen Durchfall- und Atemwegserkrankungen, an denen fast drei Viertel der betroffenen Kinder sterben. Das heißt: Auf der einen Seite haben wir die UNICEF, die um das Leben der Kinder Äthiopiens kämpft. Auf der anderen Seite haben wir die USA und die EU, die die Regierung dieses verarmten Landes aufrüsten und zu einem militärischen Einmarsch nach Somalia ermutigen. Ist es das, was die Bundesregierung unter „gleichberechtigter Partnerschaft mit den afrikanischen Ländern“ versteht? Jede Afrikapolitik muss sich daran messen lassen, was sie den Armen in Afrika bringt. Die vorgelegte EUStrategie für Afrika setzt einseitig auf die Förderung privater Investitionen - als wenn das allein schon irgendetwas für die Bevölkerungsmehrheit bringen würde! Blicken wir auf die Investitionen im Bergbau, etwa im Kongo! Die illegale Ausbeutung der Ressourcen hat der Bericht einer parlamentarischen Kommission in Kinshasa wohl dokumentiert. Herr von Klaeden, das müssen Sie ja kennen. Von ihr profitieren sowohl zahlreiche internationale Konzerne wie auch kongolesische Warlords und Geschäftemacher. Doch obwohl der Bericht nun schon ein Jahr vorliegt, wird er von EU und Bundesregierung totgeschwiegen. Anders ausgedrückt: Die Bundesbürger zahlen mit Millionen einen Einsatz der Bundeswehr im Kongo, doch die krummen Geschäfte in dem Land werden ungestört weiterbetrieben. Wenn es hingegen um den Schutz von Arbeitnehmern in Afrika geht, bleibt die Bundesregierung systematisch untätig. Gestern lag hier im Bundestag ein Antrag der Linken zur Ratifizierung des IAO-Übereinkommens über Heimarbeit vor. Dieses Übereinkommen soll die Regierungen in Entwicklungsländern dazu verpflichten, Mindeststandards einzuführen und wenigstens den Mutterschutz zu gewähren. Doch die Regierungsfraktionen stimmten dagegen. Sie signalisieren ihren reichen Freunden in den Regierungen der armen Entwicklungsländer: Sorgt dafür, dass bei euch die Heimarbeiterinnen weiter rechtlos bleiben! Denn das hilft, das Lohnniveau zu drücken, und zwar weltweit, unter anderem eben auch in Deutschland. Meine Damen und Herren, was wir brauchen, ist eine Politik, die erstens Armut in Afrika bekämpft, zweitens keine Kriege zwischen den afrikanischen Staaten anzettelt ({1}) und drittens solidarisch für die Interessen der lohnabhängig Beschäftigten in Afrika eintritt, ({2}) mit anderen Worten: das Gegenteil der Politik, wie sie die G 8 und die EU unter der deutschen Ratspräsidentschaft verwirklichen. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Kerstin Müller für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach diesem Lamento darüber, wie schlecht es in Afrika ist und dass der Kapitalismus daran schuld ist - die Welt stimmt also wieder -, will ich mit den positiven Signalen aus Afrika anfangen. Es ist in der Tat so, dass sich Afrika auf den Weg gemacht hat, auf den Weg zu einer politischen Gemeinschaft mit dem Anspruch auf Selbstständigkeit und dem Anspruch auf grundlegende Reformen. Das haben wir auch hier bisher viel zu wenig zum Thema gemacht. ({0}) Ohne Zweifel bleiben die Probleme in Afrika immens; viele haben das schon angesprochen. Auch für die Erreichung der Millenniumsziele sieht es sicherlich nicht gut aus, vor allem wegen Afrika-Subsahara. Doch die Gründung der Afrikanischen Union, der gesamte NEPAD-Prozess, die zunehmende Zahl demokratischer Regierungen - alles das sind wirklich positive Zeichen für einen Aufbruch. Es gibt auch volkswirtschaftliche Erfolgsgeschichten; ich nenne nur einmal Botswana. Auch das gehört zur afrikanischen Realität. Ich will jetzt einmal den Ausblick auf die Fußball-WM 2010 geben. Da wird die Welt dieses selbstbewusste Afrika des Aufbruchs kennenlernen, und das finde ich wirklich gut. ({1}) Wir haben Afrika gegenüber nicht nur entwicklungspolitische Verpflichtungen. Afrika ist auch ein Kontinent politischer Chancen. Da muss ich bei Ihnen, Herr von Klaeden, noch einmal einhaken. Bei allem, was China oder die Amerikaner oder Vertreter anderer Kontinente da machen, hat Afrika an Europa, an die Europäer immer noch die höchsten Erwartungen und die größten Hoffnungen. Das Problem ist, dass die Europäer - auch wir Deutsche - diese Chance nicht begreifen. ({2}) Immerhin reden wir alle jetzt - auch heute hier - von Partnerschaft: der Außenminister, die Kanzlerin. Vor allem der Bundespräsident hat sich der Sache angenommen. Das heißt, bei unserem Blick auf Afrika hat sich etwas getan. Ich glaube, es kommt darauf an, diesen Begriff der Partnerschaft durch eine konkrete Politik mit Leben zu erfüllen. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, ich will schon fragen: Wie kann man eine wirkliche Partnerschaft aufbauen, wenn bisher weder die Kanzlerin noch der Außenminister Afrika besucht haben - mit Ausnahme der Maghreb-Staaten - und Afrika immer hinten herunterfällt? Ich weiß, dass es gerade während der EU-Ratspräsidentschaft viele und wichtige SchwerKerstin Müller ({3}) punkte gibt. Aber ich finde das schade, und wir müssen darauf achten, dass dieses Wort der Partnerschaft nicht zur Floskel verkommt. ({4}) - Ja, das können wir gerne tun. Sie werden dann sehen, dass das anders war. ({5}) Wenn wir von Partnerschaft reden, dann müssen wir auch selbst zum Politikwechsel bereit sein. Wie steht es mit der viel beschworenen Anhebung der ODA-Quote auf 0,7 Prozent? Wann sehen wir einen konsequenten Abbau der europäischen Agrarsubventionen, durch die die afrikanische Landwirtschaft ruiniert wird? Wann gibt es eine Änderung der EU-Fischereipolitik - der Bundespräsident hat neulich darauf hingewiesen -, durch die die Fischer Westafrikas arbeitslos gemacht werden? Mit unserer eigensüchtigen Agrar-, Fischerei- und Welthandelspolitik konterkarieren wir die Entwicklungspolitik in afrikanischen Staaten. So werden wir die Millenniumsziele in Afrika nicht erreichen. Ich sage: Damit sind wir zu einem erheblichen Teil mit an dem schuld, was an Europas Grenzen passiert. Wie reagieren wir denn auf diese Migration? Wir tun das eben nicht mit dem Abbau dieser verheerenden Subventionspolitik, sondern mit einer aufgerüsteten EUGrenzschutzagentur und mit neuen Verfahren zur Abschiebung. Das hat meines Erachtens nichts mit einer Partnerschaft mit Afrika zu tun. ({6}) Wir müssen die Afrikaner auch bei der Befriedung der vielen bewaffneten Konflikte auf dem Kontinent unterstützen. Die Afrikanische Union und ihre Regionalorganisationen haben inzwischen erstaunliche Fortschritte beim Aufbau eigener Friedenstruppen gemacht. Nach dem Einsatz der Afrikanischen Union in Darfur - AMIS - steht jetzt in Somalia eine neue Mission an. Es ist völlig klar: Ohne die Unterstützung der EU wird das nicht funktionieren. Das ist zu bedenken, wenn es um eine konkrete Partnerschaft geht. Allerdings wird das in Darfur und bei anderen Konflikten nicht ausreichen. Die Vereinten Nationen werden der wichtigste Träger von Peacekeeping-Missionen in Afrika sein: im Kongo, in der Elfenbeinküste, in Liberia und in anderen Staaten. Auch das will ich in dieser Debatte, in der es um die Außen- und Sicherheitspolitik im Hinblick auf Afrika geht, ganz klar ansprechen: An diesen UN-Missionen ist Deutschland leider immer noch nur minimal beteiligt. Diese schwere Aufgabe des Peacekeeping in Afrika überlassen wir immer noch lieber Staaten der Dritten Welt. Ich meine: Wenn wir die Partnerschaft mit Afrika und unsere Unterstützung der Vereinten Nationen wirklich ernst nehmen, dann müssen wir uns stärker auch an diesen Friedensmissionen in Afrika beteiligten. ({7}) Sie haben die Stabilisierungsmission im Kongo erwähnt. Das war ein erster positiver Schritt. Aber auch hier muss man sagen: Welche Debatten mussten wir darüber führen! Es ist vielen schwergefallen, zu entscheiden, dass man sich daran beteiligt. Vor allen Dingen: Was ist jetzt eigentlich mit dem Aufbauprozess? Viele haben hier in der Debatte gesagt, dass das zivile Engagement das Wichtigste ist. Ich kann da bisher nicht viel sehen. ({8}) Wo sind nicht nur unsere entwicklungspolitischen Initiativen? Wo ist zum Beispiel das Wirtschaftsministerium? Hier liegen jetzt Chancen. Wenn wir schon dort hingehen, dann müssen wir diese Chancen auch begreifen. ({9}) Meines Erachtens ist die Bundesregierung beim Thema Darfur vollkommen gescheitert. Zurzeit gibt es dort die größte humanitäre Krise weltweit. Die sudanesische Regierung spielt Katz und Maus mit der internationalen Gemeinschaft und lehnt eine UN-Mission immer noch ab. Herr von Klaeden, wenn es um Völkermord geht, dann kann man sich nicht hinter African Ownership verstecken. ({10}) Es geht inzwischen um Völkermord. Deshalb noch einmal: Herr Außenminister, Sie haben das in der nächsten Woche stattfindende Außenministertreffen erwähnt. Warum ergreifen die Außenminister nicht endlich entsprechende Maßnahmen wie die Verhängung von EUSanktionen, um den Druck auf das Regime zu erhöhen, sodass die UNO-Mission endlich zugelassen wird? ({11}) - Sie möchten eine Zwischenfrage stellen?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, die kann ich schon deshalb nicht mehr zulassen, weil Sie außerhalb Ihrer Redezeit sprechen würden.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich würde sie gern beantworten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das habe ich mir gedacht.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich würde mir wünschen, dass es in Bezug auf diese Krisen ein stärkeres Engagement der Bundesregierung gäbe. Wir würden Sie dabei in jedem Fall unterstützen. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es besteht der Wunsch nach einer Kurzintervention. Bitte schön.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Müller, Sie haben mir vorgeworfen, ich würde mich bezüglich des Völkermords in Darfur hinter African Ownership verstecken. Das weise ich mit aller Entschiedenheit zurück. Ich wäre Ihnen aber dankbar, wenn Sie Butter bei die Fische täten und sagen würden, dass die Grünen für eine militärische Intervention sind, ohne dass es dafür in den Vereinten Nationen die notwendige Unterstützung gibt und ohne dass es von der Regierung im Sudan dafür die notwendige Zustimmung und Unterstützung gibt. Feuilletonistisch alles zu beklagen und der Regierung fehlendes Handeln vorzuwerfen, selber aber nicht zu sagen, was man zu tun bereit wäre, ist, finde ich, ziemlich fahrlässig. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zur Erwiderung Frau Kollegin Müller.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege von Klaeden, mir in der Darfurfrage feuilletonistische Reden vorzuwerfen, ist ziemlich absurd. Ich kann Ihnen das aber sehr konkret sagen. Ich habe das auch schon im Plenum für die Fraktion gesagt; wir sind in dieser Frage ziemlich klar. Ja, wir sind für die von der UNO bereits beschlossene robuste UNO-Mission. Das Problem ist, dass diese UNO-Mission nicht ins Land gelassen wird. Nach dem Beschluss der UNO ist es noch nicht einmal notwendig, dass die sudanesische Regierung zustimmt. Natürlich wäre das wünschenswert. Deshalb gibt es auch die diplomatischen Initiativen. Deshalb habe ich hier immer gefordert, dass man darauf hinwirkt, dass die Russen und die Chinesen ihren Einfluss geltend machen. Notwendig wäre das nicht. Die UNO hat bereits eine robuste Truppe beschlossen. ({0}) - Ja, sicherlich. ({1}) Wenn es um Völkermord geht, dann müssen wir alles tun, um diesen Völkermord zu stoppen. Letztlich bin ich auch der Meinung, dass wir dies gegen den Willen der sudanesischen Regierung tun müssen. Selbstverständlich. Jetzt muss aber erst einmal alles versucht werden, um die Zustimmung zu bekommen. Die EU hat die Verhängung von Sanktionen zigmal beschlossen. Warum werden diese nicht umgesetzt? Dies wäre ein Drohmittel gegen das Regime. Zum Schluss kann ich nur an das erinnern, was Kofi Annan gesagt hat. Er ist jemand, der sich wirklich in den Krisen dieser Welt auskennt. Es gibt eine Krise, die er uns zum Abschluss in allen Reden sozusagen ins Stammbuch geschrieben hat. Das ist die Krise in Darfur. Er tat dies mit der eindringlichen Aufforderung an uns, sich hier gemeinsam zu engagieren und mit einer robusten UNO-Truppe alles dafür zu tun, das Morden dort zu stoppen. Darum geht es mir. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erteile ich das Wort der Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. ({0})

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Afrika bildet einen Schwerpunkt des G-8-Gipfels in Heiligendamm und ist ein zentrales Thema der deutschen Präsidentschaft in der Europäischen Union. Das ist ein praktisches Zeichen für unsere Unterstützung dieses Kontinents. ({0}) In allen Diskussionsbeiträgen wurde immer wieder darauf hingewiesen: Afrika nimmt seine eigene Verantwortung wahr. Wir wollen Afrika dabei unterstützen. Ich finde, wir sollten Erfolge, die auch unsere Erfolge sind, nicht immer vergessen. Ich erinnere an die Auseinandersetzungen um die Frage, ob wir Soldaten in den Kongo schicken, um dort den Wahlprozess abzusichern und einen Bürgerkrieg zu verhindern. Es ist gelungen, diese Wahlen abzusichern und den Bürgerkrieg zu verhindern. Es gibt aber noch weitere Erfolge. Am 15. Dezember 2006 haben die elf Mitgliedstaaten der Internationalen Konferenz Große Seen einen Stabilitäts- und Solidaritätspakt unterzeichnet. Dieser regionale Prozess ist, so würde ich sagen, mit dem vergleichbar, was die KSZE in Europa war. Die Region jedenfalls ist noch größer als Europa. ({1}) Zu der Aussage von Frau Müller, sie sehe hierzu nichts, möchte ich sagen: Unser Ministerium unterstützt das Konferenzsekretariat, das diese Konferenz leitet, die die Themen Wirtschaft, Sicherheit, Menschenrechte sowie Energiefragen behandelt. Wir setzen dazu beratend unsere Entwicklungszusammenarbeit ein. Ich finde, das sollten wir nicht kleinschreiben, sondern sehen, dass wir einen aktiven Beitrag zur Friedenssicherung leisten. ({2}) Zu Herrn Aydin will ich sagen: Man muss immer auf der Höhe der Zeit bleiben, wenn man wirklich helfen möchte. Ihre Ausführungen gingen an der Realität vorbei. Was jedoch machen wir? Unser Ministerium trägt mit dazu bei, dass das Protokoll zur Eindämmung der illegalen Rohstoffausbeutung unterschrieben und damit der illegalen Rohstoffausbeutung ein Ende gesetzt wird. Das sind doch praktische Erfolge, die wir nicht selber kleinschreiben dürfen. ({3}) Vielleicht eine Anmerkung zur Situation in Darfur, die uns allen, Frau Müller, entsetzlich auf der Seele lastet. Wir dürfen die Augen nicht vor dieser entsetzlichen Situation der Vertreibung und der Ermordung von Menschen verschließen, die immer noch anhält. Ich sage an dieser Stelle - ich glaube, das verbindet uns alle -: Es ist gut, dass der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag endlich Schuldige, die selbst in der sudanesischen Regierung sitzen, benannt hat. Wir erwarten die Anklage und die entsprechenden juristischen Maßnahmen gegen diese Schuldigen. ({4}) Niemand wird - obwohl das eine entsetzliche Situation ist -, wenn er wirklich abwägt, sagen können, dass man gegen den Willen der sudanesischen Regierung in das Land gehen sollte. Das würde ein noch schrecklicheres Morden bedeuten. Umso wichtiger ist es, massive Sanktionen gegen die sudanesische Regierung voranzubringen. Wir brauchen endlich ein Waffenembargo für den ganzen Sudan und nicht nur für Darfur. Die Situation dort ist doch absurd. Setzen wir uns dafür ein und tragen wir dazu bei, dass Druck auf die sudanesische Regierung ausgeübt wird! ({5}) Die Schwerpunkte des deutschen Engagements, auch die unseres Ministeriums, sind: Förderung von Frieden und Sicherheit, Stärkung von verantwortlicher Regierungsführung. Das, was wir tun, wird in Afrika hoch anerkannt. Aber ich will auch hier noch einmal sagen: Wir unterstützen den Aufbau des Afrikanischen Menschenrechtsgerichtshofs. Deutschland ist der größte Geber und Unterstützer beim Aufbau des Panafrikanischen Parlaments. Das sind alles Schritte hin zu wirklich demokratischen Entwicklungen, die wir im Rahmen der Partnerschaft leisten. Ich finde, das sollte anerkannt werden und das sollte auch stärker in das öffentliche Bewusstsein gelangen. ({6}) Wir unterstützen Handel, Regionalorganisationen, Wachstum, nachhaltige Förderung der erneuerbaren Energien und Energieeffizienz. Außerdem ist Afrika der regionale Schwerpunkt unserer Entwicklungszusammenarbeit. Im Jahr 2005 - ich kann nur diese Zahlen nennen, weil lediglich dazu die ODA-Zahlen vorliegen haben wir knapp 2 Milliarden Euro sowohl für bilaterale als auch für multilaterale Leistungen oder für Leistungen für Afrika zur Verfügung gestellt - Official Development Assistance - und Schuldenerlasse in Höhe von rund 1 Milliarde Euro ermöglicht. Ich wiederhole an dieser Stelle: Das entspricht auch unserer Selbstverpflichtung. Wir alle, die G 8, haben auf dem G-8-Gipfel in Gleneagles zugesagt, die Finanzmittel für Afrika bis zum Jahr 2010 zu verdoppeln. Wir haben uns verpflichtet und sind nun verpflichtet, diese Zusage auch einzuhalten. ({7}) Es geht neben den Leistungen der Entwicklungszusammenarbeit, also den öffentlichen Finanztransfers, auch darum - das ist in der Diskussion mehrfach angesprochen worden -, die Wachstumskräfte in Afrika zu stärken. Afrika braucht breitenwirksames Wachstum, damit in den unterschiedlichen Ländern, die es in Afrika gibt, auch Arbeitsplätze geschaffen werden. Dabei geht es um dreierlei: Erstens geht es darum, mehr Transparenz bei der Produktion in den erdölfördernden Ländern zu verwirklichen. Zweitens geht es darum, Länder wie Ghana und Tansania, die als Topreformer wirklich hervorragende Leistungen aufweisen können, zu unterstützen. Drittens muss den kleineren Entwicklungsländern dabei geholfen werden, ihre Märkte durch regionale Kooperation auszuweiten. ({8}) - Herr Präsident, da möchte eine Kollegin etwas fragen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Da Sie das offenkundig zulassen wollen: Bitte schön, Frau Kollegin Wolf.

Margareta Wolf-Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002831, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. Frau Wieczorek-Zeul, hier war jetzt schon mehrfach die Rede davon, dass das deutsche Engagement in Afrika gerade im Hinblick auf Investitionen zu gering sei. Jetzt sprachen auch Sie gerade davon, dass man mithilfe der von uns immer unterstützten HIPC-Initiative bei der Entschuldung vorankommen wolle. Seit einiger Zeit treibt mich angesichts der Investments, die die Chinesen in gerade entschuldeten Ländern Afrikas tätigen, die Frage um, warum die Deckungshöhe von Hermesbürgschaften für Investitionen gerade in den HIPC-Staaten so niedrig ist und warum diese nur eine so kurze Laufzeit haben. Vielleicht wird dadurch die Hemmschwelle für kleine und mittlere Unternehmen, in diesen Ländern zu investieren, unnötig erhöht. Mich würde in8394 Margareta Wolf ({0}) teressieren, ob Sie meine Analyse teilen und ob die Bundesregierung gewillt ist, von der niedrigen Deckungshöhe und -dauer von 250 000 Euro über 365 Tage bei diesen Ländern Abstand zu nehmen.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Ich kann sagen, dass es Überlegungen gibt, die Absicherungsmöglichkeiten von Krediten zu verbessern, um entsprechende Investitionen zu fördern. Zu den Details kann ich Ihnen noch nichts sagen, weil wir darüber gerade im Rahmen der G 8 beraten. Auf das Engagement Chinas möchte ich im Folgenden etwas ausführlicher eingehen, Frau Kollegin, weil ich an dieser Stelle den Punkt China ohnehin aufgreifen wollte. Manche stellen es in der Diskussion so dar, als sei das Auftreten Chinas in Afrika eine Entwicklung der letzten Tage. Ich möchte darauf hinweisen: Die internationale Gemeinschaft ist im Dialog mit verschiedenen neuen Geberländern; das betrifft nicht nur China, sondern auch andere Länder. Nach meiner Meinung machen neue Finanzmittel für Afrika dann Sinn, wenn sie nach internationalen Standards eingesetzt werden: Ökologische und soziale Normen müssen respektiert und die lokalen Arbeitsmärkte dürfen nicht zerstört werden. Das liegt auch im Interesse der afrikanischen Bevölkerung. Von dieser werden dabei die Investitionen und anderen Unterstützungsmaßnahmen Europas sehr viel höher geschätzt als die All-inclusive-Investments Chinas. Was zählt, ist, dass dauerhaft neue Arbeitsplätze auf den lokalen Märkten der afrikanischen Länder entstehen und gesichert werden. ({0}) Lassen Sie mich zum Schluss ein Thema ansprechen, das vorhin schon von Herrn von Klaeden und anderen genannt wurde: die Frauen. Vor einer Woche haben wir in Berlin eine Konferenz über Gleichberechtigung von Frauen, insbesondere von afrikanischen Frauen, durchgeführt. Wir haben dabei alle zusammen noch einmal darauf hingewiesen: Zugang zu Landbesitz, Sicherung des Erbrechts sowie Zugang zu Krediten und Beschäftigung sind zentrale Forderungen. Dass Frauen weltweit nur über 2 Prozent des gesamten Landes verfügen, ist doch ein Skandal. Wichtig ist - das wird in Afrika immer mehr verstanden; aber wir müssen dazu beitragen, dass der Zusammenhang noch deutlicher wird -: Die Gleichberechtigung von Frauen ist natürlich eine Frage von Menschenrechten und Demokratie, aber nicht nur das. Hohe Wachstumsraten korrelieren in Entwicklungsländern mit dem Engagement für die Gleichberechtigung der Frauen und ihrem Zugang zu wirtschaftlichen Chancen. Die Benachteiligung von Frauen geht mit einer Senkung der Wachstumsraten einher. Das heißt, die Benachteiligung von Frauen ist auch wirtschaftlich zutiefst schädlich. Das sollten wir immer wieder deutlich machen und die Chancen der afrikanischen Frauen beim Zugang zu Krediten sowie Land- und Erbrecht verbessern. ({1}) Wer Frauen stark macht - auch das ist ein wichtiger Punkt -, der schwächt die Aidspandemie. Deshalb wird die Bekämpfung von HIV/Aids ein zentrales Thema auf dem G-8-Gipfel sein, besonders bezogen auf die Infizierung von Frauen und Kindern. Frauen machen im südlichen Afrika 60 bis 70 Prozent aller Infizierten aus. Da ist ein dramatischer Anstieg zu verzeichnen, dem wir nicht tatenlos zusehen dürfen. Zwei Bemerkungen an dieser Stelle. Erstens. Ich werbe für den globalen Fonds, mit dem die Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose unterstützt wird. Dieser Fonds ist vor wenigen Jahren eingerichtet worden. Er hat mit seiner Arbeit 1,5 Millionen Menschen das Leben gerettet; jeden Monat können weitere 100 000 Menschen gerettet werden, darunter sehr viele Kinder. Lassen Sie uns diesen Fonds so stärken, dass mehr Menschenleben gerettet werden können! Das ist unsere gemeinsame Verpflichtung. ({2}) Zweitens werbe ich dafür, dass die internationale Gemeinschaft während unserer Präsidentschaften einen Verhaltenskodex beschließt, der die Abwerbung medizinischen Personals aus afrikanischen Ländern untersagt. ({3}) Ärzte und Krankenschwestern werden in diesen Ländern gebraucht für die Gesundheitsversorgung, für die Aidsbekämpfung und für die Krankheitsbekämpfung im Allgemeinen. Lassen Sie uns dazu beitragen, dass sie dort gefördert werden, damit die Menschen dort Chancen haben und damit das Ausbluten afrikanischer Länder verhindert wird! Ich danke Ihnen. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Königshaus hat nun das Wort für die Fraktion der FDP.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die Kollegin Müller eben gehört hat, könnte man glauben, sie habe nie einer Bundesregierung angehört, die schon vor all den Problemen gestanden hat, die sie hier so lauthals beklagt hat, wo es aber keine Strategien gab, diese wirklich nachhaltig zu lösen. ({0}) Insofern sollte sie hier vielleicht ein bisschen zurückhaltender sein. Alle reden über Afrika. Es gibt Strategien und alle möglichen sonstigen wohlfeilen Aktivitäten. Aber wenn es tatsächlich ans Eingemachte geht, dann stellt sich schnell heraus, dass die Probleme doch etwas vielschichHellmut Königshaus tiger sind und dass es schwer ist, die Einzelteile zu sortieren. Man hat das gemerkt, als sich der Kollege von Klaeden eben mühsam durch sein Manuskript gearbeitet hat. ({1}) Das ist mit einer zusammenhängenden Strategie nicht zu vereinbaren. ({2}) - Klar schaue ich auf mein Manuskript. Es war sehr schwer, sich zu merken, was der Kollege von Klaeden überhaupt gesagt hat, wenn ich da einmal ehrlich bin. Deshalb musste ich mir das notieren. ({3}) - Ja, zur Sache. Die Probleme können natürlich nicht mit einer einfachen und schnell umsetzbaren Strategie gelöst werden. Was wir brauchen, sind Maßstäbe, anhand derer wir die Lösung der jeweiligen Probleme tatsächlich gezielt angehen können. Wir brauchen Maßstäbe für jedes Problem, jedes Land, jedes Themenfeld. ({4}) Das heißt auch, angemessene und kohärente Lösungsansätze herzuleiten. Daran fehlt es uns leider noch immer. Auch die hier zur Beratung anstehenden Anträge helfen da nicht weiter. Übrigens, Frau Ministerin, weil Sie gerade das Thema Aids ansprachen: Wir hatten ja als FDP im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit verlangt, dass dafür ein namhafter Betrag festgeschrieben wird. Auch das ist wieder abgelehnt worden. Ich hoffe, dass wir in Zukunft zu einer vernünftigeren Handhabung solcher Dinge kommen. In Bezug auf Afghanistan sind Sie unseren Vorschlägen ja immerhin letztlich dann doch gefolgt. Die Bundesregierung kann also offensichtlich auch dazulernen. ({5}) Dass wir hier Afrika so sehr in den Fokus stellen, ist in erster Linie dem Bundespräsidenten zu verdanken, der zu Beginn seiner Amtszeit gesagt hat, er wolle Afrika zum Schwerpunkt seiner Arbeit machen. ({6}) Er hat dazu allen Grund gehabt; denn es ist dringend erforderlich, die verheerenden Schäden, die während der Zeit der rot-grünen Regierung auf dem afrikanischen Kontinent entstanden sind, zu beheben. Herr Bundesaußenminister, mit Blick auf Afrika ist Ihnen zugute zu halten, dass Sie den verheerenden Trend, immer mehr Botschaften zu schließen, immer mehr Personal abzuziehen und sich immer weniger diesen Ländern zuzuwenden, gestoppt haben. Es wäre begrüßenswert, wenn Sie in der Koalition dafür werben würden, dem Antrag der FDP zur Stärkung des diplomatischen Dienstes zuzustimmen; denn dann könnten wir gemeinsam an diesem Projekt arbeiten. ({7}) Dass wir auf diesem Kontinent präsent sein müssen, damit wir dort die Probleme lösen können, ist für jedermann nachvollziehbar. Afrika ist ja nicht per se arm. Wenn man die Rohstoffsituation betrachtet, muss man sagen, dass Afrika im Grunde genommen ein reicher Kontinent ist. Aber wir müssen helfen, dass die Afrikaner in der Lage sind, von diesem Reichtum selbst zu profitieren. Dass wir über solch gravierende Probleme reden müssen wie Hunger, Analphabetentum, Rückständigkeit und HIV/Aids, liegt eben daran, dass die Afrikaner ihre zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht selbst nutzen können. Eben wurde völlig zu Recht davon gesprochen, welche gravierenden Auswirkungen die Dürre angesichts des sich abzeichnenden Klimawandels haben wird. Man muss aber auch über die Ursachen sprechen. Eine der Ursachen ist eben, dass wir zwar gut gemeinte Maßnahmen auf den Weg bringen - beispielsweise die Beimischung von Biokraftstoffen -, dass aber dafür Regenwälder geopfert werden müssen. Es wird also das Gegenteil von dem bewirkt, was wir eigentlich erreichen wollen. Über diese Problematik müssen wir etwas intensiver nachdenken. Ich möchte noch Folgendes anfügen: Protokolle zu unterschreiben, genügt nicht. Man muss auch eine durchdachte Politik betreiben. Was hier im Moment passiert, ist aber nicht durchdacht. ({8}) Ich konnte das am Beispiel Indonesien selbst beobachten. In Afrika gibt es unbestritten sehr große Hilfeleistungen westlicher Geber. Aber diese verpuffen in der Regel aufgrund der typisch afrikanischen Probleme wie Korruption, Ausbeutung, Krieg und Unterdrückung; wir haben schon darüber gesprochen. Die westlichen Geber bemühen sich, diese Probleme zu lösen, indem sie völlig zu Recht die Hilfe an Bedingungen wie gute Regierungsführung und Korruptionsfreiheit knüpfen. Aber wir können die Einhaltung solcher Kriterien nur im Konsens mit allen anderen Gebern durchsetzen. Anderenfalls - so lehrt uns die Lebenswirklichkeit - werden sich korrupte Eliten und skrupellose Kleptokraten an den Hilfsgeldern und an den Hilfsgütern bereichern. Vor allem müssen wir verhindern, dass die Rohstoffe dieses Kontinents weiter geplündert werden. Denn diese Rohstoffe sind die einzige Chance, dass dort eine nachhaltige Entwicklung stattfinden kann. Der Kontinent ist viel zu groß, als dass wir das ganz allein bewirken könnten. Natürlich müssen wir in diesem Zusammenhang über China sprechen, aber ohne - da haben Sie, Frau Ministerin, völlig Recht - in ein China-Bashing zu verfallen. China ist nur einer von vielen neuen Gebern, die sich dort einbringen. China betreibt dort Realpolitik, schert sich aber keinen Deut um Menschenrechte und sonstige Grundsätze, die wir alle hochhalten. Wir müssen daher versuchen, zu vernünftigen Regelungen zu kommen, um die Chinesen, Inder und andere, die auf diesem Kontinent aktiv werden, einzubinden und auf unsere Grundsätze zu verpflichten. Denjenigen, der in Afrika und anderswo Entwicklungshilfe leistet - zum Teil aus egoistischen Motiven -, muss man darauf hinweisen, dass er im eigenen Land die Armut aus eigenen Mitteln bekämpfen muss. Es kann nicht angehen, dass beispielsweise in China die Armut mit deutschen und europäischen Mitteln bekämpft wird, währen die Chinesen in Afrika mit erheblich größerem Mitteleinsatz als Geber auftreten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Hartwig Fischer von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung nutzt die Chance der EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr sowie des G-8-Vorsitzes, den afrikanischen Kontinent verstärkt in das Bewusstsein der Politik, der Wirtschaft und der Medien zu bringen. Wir wollen mit dem vorliegenden Koalitionsantrag die Grundlage für eine parlamentarische Diskussion, aber auch für die Begleitung des Prozesses in den nächsten Monaten schaffen. Wir von der Koalition werden in den nächsten Monaten einen weiteren Antrag zur Entwicklungspolitik einbringen. Viele in Deutschland und Europa kennen Afrika aufgrund einer zum Teil verzerrten und einseitigen Darstellung nur unter dem Begriff der sieben Ks: Konflikte, Korruption, Kriminalität, Kapitalflucht, Krankheiten sowie Natur- und Hungerkatastrophen. Es gibt derzeit elf bewaffnete Konflikte, von denen über 150 Millionen Menschen betroffen sind. Gerade in Darfur ist die Situation menschenverachtend und fast ausweglos. Korruption wird nicht selten als afrikanischer Tumor bezeichnet. Laut Transparency International liegen nahezu alle afrikanischen Länder auf dem Korruptionsindex bei drei Punkten, was sehr negativ ist. In diesem Zusammenhang ist es auch ein Verbrechen an den Menschen Afrikas, wenn es einigen afrikanischen Despoten weiterhin gelingt, ihre durch Korruption, Betrug, Erpressung, Plünderung öffentlicher Kassen und Raub zusammengestohlenen Dollarvermögen ungestraft ins Ausland zu transferieren. ({0}) Ich bin deshalb der Bundeskanzlerin sehr dankbar, dass sie auf dem 24. französisch-afrikanischen Gipfel in Cannes deutliche Worte zum Beispiel für den simbabwischen Diktator Mugabe gefunden hat. ({1}) Hier muss Afrika selbst handeln. Insbesondere Südafrika darf sich von Mugabe nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Das langsame Siechtum Simbabwes beginnt nun auch die bisher gute Entwicklung Südafrikas und seiner Nachbarländer zu gefährden. Wenn es so weitergeht, werden in wenigen Jahren weitere Teile der Bevölkerung Simbabwes ihre Heimat verlieren und nach Südafrika oder in andere Länder emigrieren. Hier droht nicht nur ein neuer Konflikt; er weitet sich vielmehr gerade aus. Eben wurde die Bedrohung durch die Pandemie Aids angesprochen. Etwa 30 Millionen Menschen, also 6 Prozent der Bevölkerung, sind davon betroffen. Die Zahl der Aidswaisen in Afrika liegt derzeit bei etwa 12 Millionen und wird laut UNICEF in den nächsten drei Jahren auf 20 Millionen steigen. Auch Afrika wird bekanntlich nicht von Hungerund Dürrekatastrophen verschont. Wir wissen das von Kenia, wo seit 2005 etwa 3 Millionen Menschen betroffen sind. Sie haben in den letzten Tagen die Überflutung von Teilen Mosambiks erlebt. Über 300 000 Menschen waren davon betroffen; 100 000 Menschen sind obdachlos. Ich danke der Entwicklungshilfeministerin und dem Außenminister für ihr unglaublich schnelles Handeln. Innerhalb von vier Tagen wurden Mittel zur Verfügung gestellt, damit die Hilfsorganisationen vor Ort und auch unsere Durchführungsorganisationen arbeiten können. Ich begrüße es ausdrücklich, dass Sie zusätzlich 1 Million Euro für das nationale Institut für Katastrophenmanagement in Mosambik zur Verfügung gestellt haben. ({2}) Aber es gibt auch ein ganz anderes, ein modernes Afrika, ein Afrika, das in den letzten Jahren in allen Bereichen enorme Anstrengungen unternommen hat und sich der Zukunft stellt. Dies umfasst Anstrengungen und deutliche Verbesserungen in den Bereichen der Bildungs-, Gesundheits- und Sozialpolitik sowie bei Menschenrechten und Good Governance. Deutschland und Europa müssen diese afrikanischen Bestrebungen jetzt deutlicher unterstützen. Bundespräsident Köhler hat recht, wenn er sagt, dass es an der Zeit ist, Afrika als Partner auf Augenhöhe zu betrachten. Der Schutz der Menschenwürde und die Förderung der Menschenrechte sind die Grundlage eines partnerschaftlichen Dialogs. Bei den Gesprächen mit unseren afrikanischen Partnern und Freunden muss es jedoch auch um die Grundwerte wie Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit gehen. Zu einer offenen und ehrlichen Partnerschaft gehört auch, gemeinsame, aber auch gegenteilige Interessen zu benennen. Meine Fraktion hat es sehr bedauert, dass es, als es im UN-Menschenrechtsrat um die Verurteilung der Regierung im Sudan ging, bei der ersten Abstimmung des Antrages des finnischen Ratspräsidenten im verganHartwig Fischer ({3}) genen Herbst fast einen Block afrikanischer Länder gegeben hat, die eine Abstimmung zulasten der Regierung in Khartoum verhindert haben. Wir begrüßen, dass es später zu einer Änderung gekommen ist. Aber es gab nur zwei afrikanische Staaten, die den finnischen Ratspräsidenten unterstützt haben. Das war falsch verstandene Solidarität afrikanischer Länder. ({4}) Afrika darf nicht einfach als Ort einer ständigen Wohltätigkeitsveranstaltung gesehen werden, wie es von verschiedenen Seiten suggeriert wird. Afrika ist ein Kontinent, an dem und in dem die internationale Staatengemeinschaft vitale Interessen haben muss. Die Bestandserhaltung des afrikanischen Regenwaldes mit seinem Reichtum an Flora und Fauna ist von globaler Bedeutung und liegt im ökologischen Interesse. Der steigende weltweite Energieverbrauch und CO2Ausstoß, die Erderwärmung und die Veränderung des globalen Klimas rücken Afrika immer stärker in den Fokus geostrategischer Politik. Der aktuelle Bericht der Vereinten Nationen über eine mögliche Klimakatastrophe zeigt deutlich, wie wichtig Afrika auch für das Klima in Mitteleuropa ist. ({5}) - Danke, Frau Kollegin Koczy. Darüber hinaus droht Afrika die Gefahr weiterer Wüstenbildung, so die UN. Die fruchtbaren Landstriche am Kap, in Angola, in Simbabwe und in Mosambik könnten sich in den kommenden Jahrzehnten in Halbwüsten verwandeln, damit Lebensgrundlagen entziehen und somit neue Konflikte heraufbeschwören. Migrationsbewegungen größten Ausmaßes wären die Folge. Dass Afrika immer wieder in den Fokus energie- und rohstoffhungriger Staaten gerät, beweisen China und die USA. Aber auch Deutschland ist ein ressourcenarmes Land und sollte daher ein natürliches Interesse an den mineralischen und energetischen Ressourcen Afrikas haben. Wir müssen die afrikanischen Regierungen unterstützen, damit der Abbau dieser Ressourcen auf umweltverträgliche Weise erfolgt und vor allem die Menschen Afrikas davon profitieren. ({6}) Es kann und darf nicht sein, dass nur wenige Kleptokraten und unverbesserliche Diktatoren den Nutzen aus dem Abbau, lassen Sie mich sagen: aus dem Raubbau von Rohstoffen haben. Die afrikanischen Länder müssen dabei unterstützt werden, ihre Rohstoffe zertifiziert abzubauen und die daraus erzielten Gewinne transparent in den jeweiligen Staatshaushalt fließen zu lassen. Die positive Vorreiterrolle Botswanas zeigt, dass dies möglich ist und der Entwicklung des Landes und damit der Bevölkerung dient. Der Initiative für einen transparenten Rohstoffabbau, EITI, gebührt deshalb unsere volle Unterstützung. Zur Ehrlichkeit mit Partnern gehört: Deutschland hat als Exportland selbstverständlich auch wirtschaftliche Interessen in Afrika. Die afrikanische Wirtschaft wuchs im Jahr 2005 um durchschnittlich knapp 5 Prozent, im Jahr 2006 um 6 Prozent. Dennoch zeigt der mit 2 Prozent sehr geringe Anteil Afrikas am Welthandel, dass viele Länder den Anschluss an die weltwirtschaftliche Entwicklung noch finden müssen. Wir müssen uns - ich sage das bewusst mit Blick auf unser Bundeswirtschaftsministerium - mit einer Wirtschafts- und Investmentstrategie stärker in diesen Prozess einbringen. Wir können dazu beitragen, dass sich Schwellenländer zu Ankerländern entwickeln. Es gibt viele Länder wie Angola, Botswana, Namibia, Mosambik, Tansania oder Ruanda, die in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit eine wichtigere Rolle spielen könnten. ({7}) Spätestens seit dem 11. September 2001 rücken fragile und instabile Staaten als Rückzugsräume für Terroristen und nichtstaatliche Gewaltakteure immer mehr ins Blickfeld sicherheitspolitischer Überlegungen. Wir müssen uns für Frieden und Sicherheit für die Menschen in Afrika einsetzen; denn Deutschland hat nicht nur ein humanitäres, sondern auch ein großes sicherheitspolitisches Interesse an stabilen politischen Verhältnissen in Afrika. Es liegt weder in unserem noch im afrikanischen Interesse, wenn Gefahren und Bedrohungen, die von unserem Nachbarkontinent ausgehen, zu Sicherheitsrisiken führen. Deshalb unterstützen wir ausdrücklich die Strategien zum Aufbau einer afrikanischen Truppe unter dem Einsatz der Afrikanischen Union, die dafür sorgen soll, dass Afrika bei Krisenherden selbstverantwortlich handeln kann.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Keskin?

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Herr Kollege Keskin.

Dr. Hakki Keskin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003785, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Kollege, ich habe Ihnen aufmerksam zugehört und dabei den Eindruck gewonnen, dass Sie die Afrikaner selbst für die vorhandenen Probleme, Schwierigkeiten und Konflikte verantwortlich machen und die alte koloniale Vergangenheit und auch die jetzige Einmischung von außen, insbesondere von ehemaligen Kolonialherren, gänzlich ausblenden. Meinen Sie nicht, dass auch heute noch die alte koloniale Politik und die neue mehr oder weniger hegemoniale Politik für viele der Probleme und Konflikte eine maßgebliche Verantwortung haben?

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Keskin, Punkt eins: Ich persönlich bin der Überzeugung, dass die koloniale Vergangenheit eine große Rolle gespielt hat, weil viele der afrikanischen Länder auf die Freiheit nicht vorbereitet waren. Punkt zwei: Die Rohstoffe in Afrika werden in vielen Bereichen für die Afrikaner zum Fluch. Dies ist aus zweierlei Gründen so: einerseits, weil Staaten in der freien Welt bereit sind, ausgebeutete Rohstoffe aufzukaufen, und andererseits, weil es in diesen Ländern Despoten gibt, die dies nutzen, um von den Korruptionsgeldern gut zu leben. Deshalb haben wir uns mit der damaligen rot-grünen Bundesregierung zum Beispiel gegen diejenigen gewandt, die in Deutschland Coltan verarbeitet haben, das im Kongo gefördert wurde. Hier gibt es eine ganz klare Linie. Wir unterstützen, um diese Vergangenheit zu bewältigen und die Rohstofffrage zu lösen, das System EITI, aber auch mit all unseren Stiftungen den Aufbau von Good Governance, weil das die Grundlage dafür ist, dass für die Menschen in diesen Ländern etwas getan werden kann. ({0}) Ich glaube, damit ist Ihre Frage beantwortet. Ich sehe, dass meine Redezeit - trotz des Anhaltens der Uhr für die Beantwortung der Zwischenfrage - abgelaufen ist. Lassen Sie mich trotzdem zur Linken noch einmal sagen: Für mich ist es bedrückend, wenn jemand - wie Herr Aydin - die Situation im Kongo nicht offen und ehrlich darstellt. Wir kennen die Ereignisse - es gab dreieinhalb Millionen Tote - und wissen, dass die Bundeswehr neben der ganzen Zivilorganisation einen entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung geleistet hat. ({1}) - Ihre Fraktion hat gegen den Einsatz gestimmt. - Menschen, die vorher in Flüchtlingslagern waren, sind jetzt wieder in ihren angestammten Bereichen. Sie versuchen, die Situation falsch darzustellen. Eines ist für mich sicher: Der Satz „Keine Hälfte der Welt kann ohne die andere Hälfte der Welt überleben“, der auf einem Plakat des BMZ steht, muss Prämisse unseres Handelns sein. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Heike Hänsel für die Fraktion Die Linke. ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss zuerst etwas zu Ihnen, Frau Müller, sagen. Ich finde es schon ein starkes Stück, dass Sie hier dafür plädieren, ohne eine Zustimmung seitens der sudanesischen Regierung Truppen nach Darfur zu schicken. Das wäre in meinen Augen keine Friedensmission. Das ist eine Aussage für einen Kriegseinsatz in Darfur. ({0}) Sie können doch bei so einer komplizierten Situation wie der in Darfur, für deren Bewältigung Sie viel mehr Akteure an einen Tisch bekommen müssen, nicht dafür plädieren, jetzt einfach Truppen dorthin zu schicken! Wie wollen Sie die Situation dort militärisch lösen? Das finde ich hanebüchen. ({1}) Sie als ehemalige Staatsministerin müssten das wissen. Noch zu einem anderen Punkt. Sie haben Recht: Es gibt ein selbstbewusstes modernes Afrika. Aber dass das erst bei einer Fußball-WM zu finden ist, bezweifle ich. Das gibt es bereits. Im Januar fand das Weltsozialforum zum ersten Mal auf dem afrikanischen Kontinent statt. Mehr als 50 000 Menschen kamen in Nairobi zusammen. Die Menschen dort haben sehr gute Ansätze und ganz andere Vorstellungen, wie Afrika, wie ihre Länder sich entwickeln sollen, als die, die ich hier gehört habe. Das ist das Afrika, das wir zu Wort kommen lassen müssen. Das würde Partnerschaft und Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe bedeuten. ({2}) Diese Menschen haben ihre Lebenssituation geschildert, die nun einmal düster ist. Denn trotz der verbesserten ökonomischen Werte, die wir in den letzten Jahren in Afrika verzeichnen, hat sich die Situation für viele Menschen in den afrikanischen Ländern verschlechtert. Vielen geht es heute schlechter als Anfang der 90er-Jahre. Die Armut hat sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt. Auch die Zahl der Hungernden ist weltweit weiter gestiegen. Dafür sind in hohem Maße die deutsche und europäische Handelspolitik verantwortlich. Während eine Afrikanerin durchschnittlich 8 Dollar Entwicklungshilfe im Jahr erhält, wird eine Kuh in Europa mit über 900 Dollar im Jahr subventioniert. ({3}) - Ja, so zynisch ist unsere Außenpolitik. - Wir müssen aufpassen, wohin die Gelder fließen. Wir subventionieren unsere Agrarprodukte. Das geht auf Kosten der Entwicklungschancen der Menschen in den Ländern des Südens. Es ist ein Mythos, dass Handelsliberalisierung den Entwicklungsländern Wohlstand und Entwicklung bringt. Genauso wenig stimmt es, dass Wachstum per se Arbeitsplätze schafft. Wir sehen im Moment in Europa: Trotz Wachstums gehen immer mehr Arbeitsplätze verHeike Hänsel loren. Die Hilfsorganisation Christian Aid hat errechnet, dass die Handelsliberalisierung die afrikanischen Länder südlich der Sahara in den vergangenen 20 Jahren über 270 Milliarden US-Dollar gekostet hat. Zwei Jahrzehnte der Liberalisierung haben diese Länder so viel gekostet, wie sie an Entwicklungshilfe erhalten haben. Wären diese Länder nicht zur Liberalisierung gezwungen worden, um Schuldenerlass und Kredite zu erhalten, hätten sie genug Geld gehabt, um jedes Kind impfen zu lassen und jedem Kind den Schulbesuch zu ermöglichen. ({4}) Es kommt nicht darauf an, den Menschen der Dritten Welt mehr zu geben, sondern ihnen weniger zu stehlen. Das schreibt der UN-Sonderberichterstatter für Nahrung, Jean Ziegler, in seinem Buch „Das Imperium der Schande“. Doch die EU arbeitet schon an neuen Liberalisierungs- und Marktöffnungsvorhaben. Bekannt sind die Verhandlungen über die EPAs. Es ist ganz klar, dass es hierbei um eine Senkung der Zölle und um eine weitere Öffnung der Märkte geht, und zwar nicht nur für Industrie- und Agrarprodukte der EU, sondern auch für Investitionen, Dienstleistungen und das Beschaffungswesen. Das hätte katastrophale Folgen für all die lokalen Märkte in den afrikanischen Ländern und für die regionale Integration. Es hätte auch sehr negative Auswirkungen auf die Umwelt, weil dann viele Staaten gezwungen wären, ihre Rohstoffexporte zu erhöhen - zum Beispiel den Export von Öl oder Tropenholz -, um die fehlenden Zolleinnahmen zu kompensieren. Frau Wieczorek-Zeul, auch die Situation der Frauen würde sich dadurch sehr verschlechtern, weil davon insbesondere lokale Händlerinnen und Bäuerinnen betroffen wären. Insofern kann ich nur an uns alle appellieren: Unterstützen wir die Forderungen der sozialen Bewegungen in den afrikanischen Ländern, stoppen wir die EPA-Verhandlungen und schreiben wir ein neues Mandat aus! Das gilt übrigens auch im Hinblick auf die Kriege und Krisen in den afrikanischen Ländern. Die Potenziale der Bevölkerung werden ausgeblendet. Stattdessen wollen wir von außen immer stärker militärisch intervenieren. Ich frage mich: Wie soll eine afrikanische Sicherheitsarchitektur ohne die aktive Beteiligung der Zivilbevölkerung aussehen? Es gibt dort enorme Potenziale. Sie werden aber nicht einbezogen. Herr Steinmeier, in diesem Zusammenhang würde mich interessieren: Was sagen Sie eigentlich zu AFRICOM, der neuen Kommandozentrale der US-Amerikaner in Stuttgart, die dazu dient, neue militärische Interventionen in diesen Ländern zu koordinieren? In meinen Augen ist diese Entwicklung falsch. Wir brauchen eine Stärkung der Zivilbevölkerung. Nur so können wir auf die Krisen und Konflikte in diesen Ländern eine nachhaltige Antwort geben. ({5}) Mein letzter Satz. Statt Milliardenbeiträge in die Schaffung militärischer Einheiten zur Abwehr von Flüchtlingen an Europas Außengrenzen und in den Aufbau europäischer Interventionstruppen - unter anderem auch für Einsätze im Kongo - zu stecken, sollten wir sie in die Umstellung des europaweiten Energiesystems auf regenerative Energien und gleichzeitig in den Aufbau dezentraler alternativer Energiesysteme in den afrikanischen Ländern investieren. Dies wäre für mich eine Afrikapolitik auf der Höhe des 21. Jahrhunderts. Danke. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ute Koczy, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich halte es für eine Schande und Blamage für die internationale Gemeinschaft, dass es nicht gelingt, die Menschen in Darfur vor der Ermordung, vor dem Völkermord und vor Ihrer eigenen Regierung zu schützen. Ich hoffe, dass die Worte Kofi Annans nicht ungehört verhallen. Er hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir eine Verantwortung haben. Es ist sehr bedauerlich, dass man hier nicht weiterkommt. ({0}) Es ist sicherlich vermessen, mal eben in 5 Minuten die ganze Bandbreite einer modernen Entwicklungspolitik in, für und mit Afrika darzustellen. Was haben Länder wie Südafrika und Ägypten oder Nigeria und Burundi gemeinsam? Dennoch halte ich ein Plädoyer für die Vertiefung der Beziehungen zu Afrika, weil wir mit diesem Kontinent stärker verbunden sind, als uns gemeinhin bewusst ist. Im Jahr der deutschen Doppelpräsidentschaft geht es uns Grünen darum, unsere Afrikastrategie mit Leben zu füllen. Deswegen haben wir unseren Antrag mit dem Titel „Afrika auf dem Weg zu Demokratie und nachhaltiger Entwicklung unterstützen“ eingebracht. Afrikapolitik vollzieht sich heute in einem grundlegend veränderten Umfeld. Den afrikanischen Staaten stehen neue Optionen zur Verfügung. Vor allem China zeigt uns, dass wir Europäerinnen und Europäer in Afrika auch wegen unseres Desinteresses an Boden verloren haben. Nicht zuletzt die USA vertiefen ihre Kooperation mit afrikanischen Ländern. Der Hintergrund ist offensichtlich: Es geht um die Schätze Afrikas, um Öl, Gold, Coltan und Kobalt - Rohstoffe, die für unser tägliches Leben eine Rolle spielen. Ich sage es zugespitzt: Es gilt aus Interesse an Frieden und Gerechtigkeit zu verhindern, dass Afrika erneut als Beutekontinent angesehen wird und seine Reichtümer aufgeteilt werden. ({1}) Wir können vor hier aus dazu beitragen, Afrika mit neuen Chancen zum Durchbruch zu verhelfen. Deswegen muss die Bundesregierung, muss die EU mit den afrikanischen Staaten, aber auch mit China, Indien und den USA viel stärker darum ringen, sich zu Best Practices und internationalen Standards zu bekennen. Der Kampf gegen Korruption und Misswirtschaft muss gemeinsam und gezielt geführt werden. Die von China verfolgte Nichteinmischung in innere Angelegenheiten hat - das muss man ganz deutlich sagen - eine gefährliche Schlagseite: Sie gefährdet den sozialen Frieden. Wenn China und Indien eine größere Bedeutung als weltpolitische Akteure erlangen, müssen sie auch in Haftung genommen werden für Entwicklungen, die destabilisieren und zerstören. ({2}) Die Gleichzeitigkeit von ökonomischen und demokratischen Fortschritten auf der einen Seite und Krisen und Katastrophen auf der anderen Seite kennzeichnen afrikanische Wirklichkeiten. Es ist schon gesagt worden: In fast einem Dutzend afrikanischer Staaten stehen Wahlen an, die mehr oder weniger demokratisch ablaufen. Das Wirtschaftswachstum beträgt in vielen afrikanischen Staaten nun schon im vierten Jahr in Folge mehr als 5 Prozent. Gerade im Rohstoffsektor steigen die Investitionen. Es gibt eine innerafrikanische Reformorientierung im Rahmen von NEPAD. Die Initiative zur Entschuldung der ärmsten Länder ermöglicht Fortschritte. Aber es gibt auch andere afrikanische Wirklichkeiten - auch sie sind heute schon benannt worden -: Afrika ist die einzige Region auf dieser Erde, in der die Zahl der Hungernden immer noch steigt, in der immer noch so viele Menschen an Unterernährung leiden. Es ist eine Schande, dass es uns nicht gelingt, in den ländlichen Räumen Fortschritte zu erreichen. ({3}) Ich will weitere Stichwörter nennen: Kindersterblichkeit, Lebenserwartung, HIV/Aids, Genitalverstümmelung, Brustbügeln in Kamerun, eine weitere Misshandlung von Frauen, die in patriarchalen Strukturen leben, von der wir erfahren haben. Wir wissen inzwischen, dass wir die Millenniumsziele, wenn die Umsetzung in dem Tempo fortgesetzt wird, wahrscheinlich nicht erreichen werden. Und dann sind da noch der Klimawandel und die Perspektivlosigkeit. Deswegen geht es darum, dass wir auf die Dinge, die wir beeinflussen können, Einfluss nehmen. Ich möchte darauf hinweisen, dass es nicht nur darum geht, von unserer Seite aus etwas zu tun. Wir müssen uns mit den afrikanischen Ländern, mit den Staatsführern, mit den örtlichen Wirtschaftseliten zusammentun und etwas gestalten. Es braucht aber auch Lösungen von unten: Wir müssen die Organisationen afrikanischer Bäuerinnen, die Frauen, die Handwerker und andere zivilgesellschaftliche Akteure unterstützen, damit sie bei wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zukunftsfragen stärker mitreden können. Doch all das wird nicht viel bringen, wenn wir nicht die Rechte der Frauen stärken. ({4}) Sie sind das Rückgrat Afrikas. Aus Zeitstudien in Benin, Madagaskar, Mauritius und Südafrika geht hervor, dass die Frauen pro Tag bis zu sieben Stunden länger beschäftigt sind als die Männer. Der schöne Ausdruck „faire la natte“ - übersetzt: sich auf die Matte legen, dem Müßiggang frönen -, den ich im Tschad kennengelernt habe, bringt dieses bizarre Ungleichgewicht auf den Punkt. Diese sozialen und kulturellen Normen, die die Arbeitsteilung im Haushalt festlegen, führen zu einer eklatanten Benachteiligung der Frauen. Sie gefährden den Frieden in Afrika, sie gefährden die Zukunft. Ich bin der Meinung, dass wir uns in diesem Bereich weitaus mehr engagieren müssen, als wir es bisher getan haben. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Herta DäublerGmelin, SPD-Fraktion.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten in den vergangenen Jahren immer wieder Gelegenheit, über Afrika zu reden. Heute behandeln wir dieses Thema erneut. Ich denke aber, dass wir heute keine Wiederholungsdebatte führen, weil es zwei bemerkenswerte Neuerungen gibt: Erstens - das wurde schon mehrfach erwähnt hat Deutschland zurzeit die Präsidentschaften innerhalb der Europäischen Union und der G8. Das verpflichtet zu einer Schwerpunktpolitik gegenüber Afrika. Die zweite Neuerung ist, dass der Deutsche Bundestag mit den vorliegenden Anträgen die Afrikapolitik nicht nur begleitet, sondern in der Tat inhaltlich in seine Arbeit mit aufnimmt. Ein Blick in die Anträge zeigt, dass bei allen Unterschieden, liebe Frau Hänsel, und bei allen Vorwürfen doch sehr viele Gemeinsamkeiten vorhanden sind. Zum einen wächst das Engagement für Afrika. Das ist zu begrüßen. Zum anderen stellen wir fest, dass von niemandem in diesem Haus in irgendeiner Weise kritisiert wurde, dass Afrika Partner der Politik sein soll. ({0}) Das ist in der Tat neu. Wenn man das ernst meint - wir werden sicherlich noch daran arbeiten müssen -, dann heißt das, dass sich einige, die in diesem Hause geredet haben, aber auch viele, die sich in der Öffentlichkeit zu Afrika äußern, von manchen Klischees verabschieden müssen. Es ist in der Tat richtig - darin stimme ich dem Kollegen Fischer ausdrücklich zu -, dass Afrika unter den drei Ks - Krieg, Krisen und Katastrophen - zu leiden hat. Afrika ist aber nicht nur der Kontinent der drei Ks, auch wenn das sensationsträchtig sein mag. ({1}) Afrika eignet sich überhaupt nicht als Objekt der Aggression gegen die deutsche oder europäische Politik, liebe Frau Hänsel. Das ist falsch. ({2}) Sie haben zwar recht, dass vieles dringend geändert werden muss. Manches ist in der Tat zynisch. Aber den Vergleich der Subventionierung einer Afrikanerin mit der einer Kuh finde ich nicht nur unangemessen, sondern er ist auch in der Sache falsch, weil - wie alle, die sich mit diesen Fragen beschäftigen, wissen - die vorhandenen Unterstützungsgelder zum Teil nicht abließen können. Denn die Fortschritte beim Empowerment und die Unterstützung bei der Institutionenbildung sind noch nicht so weit gediehen, wie sie sollten. ({3}) Wir sollten aber auch vermeiden, Afrika in erster Linie nur noch als Ressourcenlieferanten zu betrachten. Afrika sollte auch nicht mehr als Objekt unserer Fürsorge missverstanden werden, sei sie auch noch so gut gemeint. Afrika entspricht aber auch nicht dem Bild, das in den letzten Monaten und Jahren in den Medien gezeichnet wird. Auf der einen Seite stelle ich mit Freude fest, dass die Berichterstattung über Afrika zugenommen hat. Auf der anderen Seite beunruhigt mich aber gelegentlich, dass der Anteil ziemlich schmalziger Homestorys mit vermeintlich afrikanischem Lokalkolorit überwiegt. Was ich vermisse und was in den kommenden Monaten unserer vertieften Befassung mit Afrika deutlicher zum Ausdruck kommen sollte, ist, dass wir mehr von der Vielfalt und Kultur Afrikas, der afrikanischen Dynamik und den Persönlichkeiten zur Kenntnis nehmen, die nicht nur uns, sondern der ganzen Welt viel zu geben haben. ({4}) Manches ist heute schon angesprochen worden. Ich will noch das eine oder andere ergänzen. Die Zahl der Bevölkerung Afrikas entspricht heute der der 46 Mitgliedsländer des Europarats. Morgen wird das anders sein, weil allein in den drei Ländern Uganda, Kenia und Tansania - das wurde bereits erwähnt -, die ein beträchtliches Veränderungspotenzial haben und dies auch nutzen, mehr als 40 Prozent - zum Teil mehr als 50 Prozent - der Bevölkerung jünger als 15 Jahre sind. Wir können uns keine Vorstellung davon machen, welche Veränderungsmöglichkeiten das mit sich bringt. Ich glaube, dass Bischof Tutu, dessen moralische Autorität wir alle nur bewundern können, völlig recht hat, wenn er von Afrika nicht mehr von einem schlafenden, sondern von einem erwachenden Riesen spricht, der auf den verschiedenen Feldern eine Menge dazu beizutragen hat, dass das Leben auf unserer Erde und die Nachbarschaft mit dem Kontinent Europa in Zukunft durch Frieden und Gemeinsamkeit geprägt werden kann. ({5}) Ich meine auch - um auf die Kultur zurückzukommen -, dass wir Nobelpreisträger wie Wole Soyinka endlich mit einer größeren Selbstverständlichkeit zur Kenntnis nehmen sollten, übrigens nicht nur in dem, was er iterarisch geschrieben hat, sondern auch dann, wenn er das wiederholt, was Kofi Annan nicht müde wird, immer wieder zu sagen. Es gibt zwar unendlich viele Analysen und Beschreibungen von einzelnen Bereichen und Problemen, auch von Lösungswegen zu Afrika; daran herrscht kein Mangel. Aber was wir brauchen, ist eine partnerschaftliche Politik im Hinblick auf Afrika, die zu einer Umsetzung führt. Hier geht es um die Frage des „deliver“, wie es Kofi Annan in seiner letzten Rede ausgedrückt hat; das ist das Entscheidende. ({6}) Wenn man die Politik der Bundesregierung unvoreingenommen betrachtet, dann kann man sie genau so loben wie die der Europäischen Union. Es gibt viele Pläne, Lösungswege und Unterstützungsprojekte zur Armuts-, Hunger- und Krankheitsbekämpfung, zum Schuldenabbau, zur Bekämpfung der Korruption sowie zur Durchsetzung der Menschenrechte und von Good Governance. Es kommt aber nun darauf an - das ist auch Aufgabe des Parlaments -, dass wir der Umsetzung zunehmend mehr Kraft verleihen und Schwerpunkte setzen; denn wir können nicht alles auf einmal machen. Lassen Sie mich zwei Bereiche nennen, die in dem Antrag der Großen Koalition aufgeführt sind und die ich für das kommende halbe Jahr für besonders wichtig halte. Erstens. Wir können die Zusammenarbeit mit unseren Partnerparlamenten in Afrika verstärken. Wenn wir hier Fortschritte erreichen, dann tun wir viel für Transparenz, Good Governance, Kontrolle, Partizipation und Demokratie. Lassen Sie uns das bitte stärker in unsere Überlegungen einbeziehen. ({7}) Zweitens. Im Zusammenhang mit der notwendigen und richtigen militärischen Unterstützung für die Wahlen im Kongo als Begleitprozess haben wir gesehen, dass wir nicht allein oder schwerpunktmäßig Peacekeeping betreiben oder militärische Einsätze durchführen dürfen. Vielmehr müssen wir Peacebuilding, das heißt Institutionbuilding betreiben, bevor Institutionen zusammenbrechen. Wir müssen in dem Moment fördernd eingreifen, in dem tatsächlich Möglichkeiten für die Entwicklung von Demokratie und Gemeinsamkeiten entstehen. ({8}) Dieses Peacebuilding liegt mir sehr am Herzen. Manchmal habe ich in der Öffentlichkeit den Eindruck, dass wir viel leichter Geld für militärische Einsätze - welcher Art auch immer - bekommen als für Peacebuilding bzw. Institution-Building, das so wichtig für Empowerment ist. ({9}) Lassen Sie mich noch einen Punkt aufgreifen, den die Bundesministerin angesprochen hat und der so wichtig ist, dass er auf dem Afrikagipfel und dem G-8-Gipfel besprochen werden sollte. Das ist die wirklich üble Entwicklung des Braindrains. Wir alle sind zwar für afrikanisches Empowerment und leisten viel Unterstützung. Aber das nutzt nichts, wenn Ärzte und andere Spezialisten nach ihrer Ausbildung in Afrika - davon berichten Kolleginnen und Kollegen, egal aus welchem afrikanischen Land, immer wieder - meistens von englischsprachigen, aber auch von französischsprachigen Ländern abgeworben werden. Dagegen können und sollten die EU- und die G-8-Länder etwas tun. ({10}) Lassen Sie mich abschließend sagen: Partnerschaftliche Politik mit und für Afrika ist Sache nicht nur dieses Parlaments, sondern auch der Menschen - und zwar in zunehmendem Maße -, die sich zusammen mit partnerschaftlichen Organisationen in unseren Gemeinden und Regionen für Afrika einsetzen und hier ein unglaublich großes Engagement an den Tag legen. ({11}) Es sind nicht nur die großen Hilfsorganisationen, sondern auch die partnerschaftlichen Organisationen, die zusammen mit den Menschen gegen Aids, Armut und Hunger kämpfen sowie für Frauen und Kinder streiten. Ihnen sollten wir nicht nur Dank sagen, sondern auch unsere Unterstützung zusichern. Herzlichen Dank. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Anke Eymer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Anke Eymer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000509, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die außenpolitische Diskussion und die internationale Wahrnehmung haben sich in den vergangenen Jahren vermehrt der Themen des afrikanischen Kontinents angenommen. Wir wissen: Afrika ist kein Rand- und auch kein Sonderthema. Dementsprechend nimmt Afrika auch in der deutschen Außenpolitik eine wichtige Position ein. Der vorliegende Antrag der Koalition ist ein adäquater Ausdruck dafür. Eingedenk der Geschichte Afrikas und Europas muss Ziel all unserer Bestrebungen sein, Afrika zu einem Produkt der Afrikaner werden zu lassen. Wir setzen uns auf allen Ebenen für eine gleichberechtigte Politik in enger Abstimmung mit den afrikanischen Partnern ein. Eine Grundkonstante dabei ist die Einbindung Deutschlands in die Politik der Europäischen Union. Daher fordere ich eine noch engere Abstimmung der Vorgehensweisen der europäischen Partner in Bezug auf eine gemeinsame Afrikapolitik. Die deutsche Ratspräsidentschaft und der Vorsitz in der G 8 - das wissen wir inzwischen, auch nach den Reden heute Morgen - geben uns dazu eine hervorragende Gelegenheit. Das gestärkte deutsche Interesse an einer guten Entwicklung in Afrika und einem partnerschaftlichen Miteinander steht auf breitem Fundament. ({0}) Dieses zeigt sich ganz besonders in dem Engagement unserer Regierung, zum Beispiel auch in der Planung unserer Bundeskanzlerin, Ende dieses Jahres nach Afrika zu fahren. ({1}) - Frau Müller, Sie meinten vorhin etwas anderes. Grundlage unseres Handelns sind der G-8-Aktionsplan für Afrika und die EU-Afrikastrategie. Im Rahmen seiner internationalen Bündnisse und Verpflichtungen ist Deutschland in den letzten Jahren zu einem aktiven und wichtigen Protagonisten der internationalen Afrikapolitik geworden. Wir haben uns internationalen Missionen nicht entzogen, und wir werden uns in Zukunft internationalen Missionen nicht entziehen. Wir werden weiterhin im Rahmen unserer Möglichkeiten aktiv Verantwortung für Frieden und eine gute Entwicklung in Afrika übernehmen. Dazu gehört auch, die Afrikanische Union zu unterstützen. Dabei geht es um ihre Bemühungen und Projekte für Frieden und eine stabile Entwicklung in Afrika. Im internationalen Dialog vom Prinzip und der Forderung nach guter Regierungsführung, also nach Good Governance, abzurücken, wäre unverständlich und auch unverantwortlich. Auf einem Kontinent, auf dem in den vergangenen Jahren noch Millionen von Menschen durch Krieg und Gewalt vertrieben und getötet worden sind, müssen Frieden und Sicherheit vorrangige Ziele jeder Bestrebung sein. Eine erfolgreiche Sicherheits- und Friedenspolitik braucht starke afrikanische Partnerstaaten. Dazu gehört sinnvollerweise, regionale afrikanische Kapazitäten zur Konfliktbewältigung und zur Konfliktprävention auszuweiten und zu unterstützen. Das betrifft auch das Problem der Migration, sowohl der Binnenvertriebenen in Afrika als auch jener Flüchtlinge, die unter Lebensgefahr versuchen, nach Europa zu kommen. Es ist sicherlich keine Lösung, die Kriterien der deutschen Asylpolitik im großen Stil aufzuweichen. ({2}) Wer vorgibt, mit solchen unrealistischen und unrealisierbaren Mitteln Probleme in Afrika lösen zu wollen, die vorrangig durch Prävention vor Ort zu lösen sind, der bietet uns nur eine unverantwortliche Grimm’sche Märchenstunde. Anke Eymer ({3}) ({4}) Sicherheit betrifft auch die Frage nach dem internationalen Terrorismus. Das ist die Frage, inwieweit religiöse Fundamentalisten in Afrika in jenen Bereichen Fuß fassen, die durch staatliche Strukturen nicht mehr kontrolliert werden. Der interreligiöse und der interkulturelle Dialog sind in diesem Zusammenhang eine wichtige Aufgabe. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist nicht nur für eine intellektuelle Elite fruchtbar. Elite ist wichtig und muss auch gefördert und gehört werden. Ich möchte an dieser Stelle auf die Arbeiten der Universität Fort Hare hinweisen. Das ist eine Universität, die für zahlreiche afrikanische Politiker der Ausgangspunkt war und ist. Kultureller Austausch und Präsenz helfen, auf breiter Ebene Missverständnisse abzubauen. Hier ist auch die Arbeit der zahlreichen Stiftungen und die Arbeit des Goethe-Instituts zu nennen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass in Zukunft ausreichend Mittel für diese Arbeit bereitstehen. ({5}) Was den Bereich der menschlichen Entwicklung angeht, möchte ich einen Punkt herausstreichen - er wurde im Laufe dieser Debatte schon angeführt -: die Bedrohung durch Pandemien wie HIV und Aids, die eine besondere Gefährdung darstellen. Afrika ist von HIV und Aids besonders stark betroffen, und es ist auf internationale Hilfe angewiesen. Diese Hilfe muss die Versorgung der Betroffenen mit modernen Medikamenten sicherstellen. Aber das Bewusstsein mancher Verantwortlicher in Afrika, ja selbst das Anerkennen, dass es HIV und Aids gibt, ist leider nicht immer gegeben. ({6}) Wie dringend der Handlungsbedarf hier ist, muss nicht weiter unterstrichen werden. Zu diesem Thema gehört die besondere Rolle der Frauen und Mädchen; denn sie sind von HIV und Aids stärker betroffen. Auch in diesem Bereich ist die Stärkung der Position der Frauen und Mädchen dringend notwendig. Der große Afrikaner und ehemalige Präsident von Südafrika, Nelson Mandela - er ist im Laufe dieser Debatte leider noch nicht erwähnt worden -, hat hierzu eine einfache Wahrheit ausgesprochen - ich zitiere -: Wir müssen diese Krankheit beherrschen, sonst werden wir von ihr beherrscht. Mandela ruft damit gleichzeitig alle Verantwortlichen auf, in dem Kampf gegen die Ausbreitung und in der Sorge um die Betroffenen nicht nachzulassen. Deutsche Interessen in Afrika sind natürlich auch wirtschaftlicher Natur. Die Rohstoffe gehören den afrikanischen Bevölkerungen, die am Gewinn fair beteiligt werden müssen. Aber auch der Aufbau dauerhafter stabiler Wirtschaftsstrukturen, die nicht nur auf Rohstoffabbau ausgerichtet sein dürfen, gehört dazu. Ebenso wichtig ist der Dialog mit den neuen internationalen Akteuren, die sich verstärkt für die afrikanischen Länder interessieren, also mit Ländern wie China und Indien. Ziel des Dialogs mit diesen neuen Akteuren muss es sein, dass vor allem eine chinesische Darlehensund Investitionspolitik und ein chinesisches Interesse an den afrikanischen Rohstoffen nicht zu einer Einbahnstraße für die wirtschaftliche Entwicklung in Afrika werden. ({7}) In dem vorliegenden Antrag der Koalition wird die Bedeutung Afrikas als Wirtschaftspartner, im Bereich Demokratisierung und Konflikteindämmung und bei Fragen der internationalen Sicherheit und der Terrorismusbekämpfung deutlich. Daher bitte ich Sie, den Antrag der Koalition zu unterstützen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Mit besonderem Dank an die letzte Rednerin, die jedenfalls einen kleinen Beitrag zur Wiederherstellung der ursprünglich vereinbarten Redezeit geleistet hat, schließe ich diese Debatte. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/4414, 16/4425 und 16/4410 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? ({0}) - Das wollte ich doch hören. - Dann ist das damit so be- schlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 c auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Ordnungspolitischer Kompass für die deut- sche Energiepolitik - zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Kurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Die zukünftige Energieversorgung sozial und ökologisch gestalten - Drucksachen 16/589, 16/1082, 16/3582 - Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Hempelmann b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2}) zu dem Antrag der Abge- ordneten Gudrun Kopp, Martin Zeil, Christian Präsident Dr. Norbert Lammert Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Bundeskartellamt stärken - Ausgewogene Wettbewerbsaufsicht auf den Energiemärkten - Drucksachen 16/1678, 16/4076 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Joachim Pfeiffer c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Kurt Hill, Eva Bulling-Schröter, Lutz Heilmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Energiepreiskontrolle sicherstellen - Drucksachen 16/2505, 16/3585 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Joachim Pfeiffer Die Fraktionen haben vereinbart, dass die Aussprache eine Dreiviertelstunde dauern soll. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer für die CDU/ CSU-Fraktion.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute eine ganze Reihe von energiepolitischen Anträgen und Vorstellungen der Oppositionsfraktionen. Das Ganze gipfelt darin, dass ein ordnungspolitischer Kompass auch in der Energiepolitik eingefordert wird. Ich will gern versuchen, Ihnen darzulegen, dass die Union und diese Bundesregierung einen ordnungspolitischen Kompass in der Tasche haben, an dem sich auch ihre alltägliche politische Arbeit ausrichtet. Dies kann man von den Anträgen, die von den Oppositionsparteien gestellt werden, allerdings nicht immer behaupten. Wenn ich hier nur einmal die Anträge der Linken betrachte - beispielsweise bringen Sie die Forderung nach Verstaatlichung der Netze, die wir nächste Woche diskutieren, aufs Tapet -, dann muss ich leider feststellen, dass Sie in dieser Frage jegliche ordnungspolitische Grundorientierung verloren haben. Auch bei manch anderem haben wir den Eindruck, dass Sie manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen oder zumindest partiell desorientiert sind. Wie ist die Lage, und wie ist unser ordnungspolitischer Kompass in der täglichen Arbeit und Umsetzung in der Energiepolitik? Ich will beim Thema „Strom und Gas“ beginnen. Dort sind es im Wesentlichen drei Faktoren, die die Preise und die Entwicklung beeinflussen. Zum Ersten sind das die staatlich administrierten Steuern und Abgaben, die bei den Preisen für Haushaltsstrom mittlerweile über 40 Prozent ausmachen; beim Gas und auch beim Industrie- und Gewerbestrom ist das etwas weniger, aber auch einer der dominierenden Bestandteile. Zum Zweiten ist das natürliche Monopol der Netze zu nennen, was mit den Netzkosten zu Buche schlägt. Im Haushaltsbereich sind dies 35 Prozent. Allein durch diese beiden Faktoren sind dort fast 75 Prozent, also drei Viertel der Kosten determiniert. Zum Dritten ist das der Wettbewerbsbereich, Stromund Gasbezug inklusive Erzeugung und Vertrieb. Wie sind wir hier ordnungspolitisch bereits zu Werke gegangen? Wir haben schon im Koalitionsvertrag festgehalten, dass wir die Erhöhungsorgie beenden, die wir bei Abgaben und Steuern in den sieben Jahren von RotGrün erlebt haben. Nach einem Anstieg von 2 auf über 13 Milliarden Euro staatlich administrierter Abgabenbelastung pro Jahr haben wir gesagt: Das Ende der Belastung ist erreicht. Was die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie, insbesondere der energieintensiven Industrie, anbelangt, so haben wir im letzten Jahr mit der Härtefallregelung beim EEG die energieintensiven Industrien um über 80 Millionen Euro entlastet. Zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen haben wir weiterhin ganze Branchen im energieintensiven Bereich von der Strom- und Mineralölsteuer - EU-konform! - befreit und so weitere 60 Millionen Euro wettbewerbsfördernd eingesetzt. ({0}) Was das natürliche Monopol der Netze angeht, also den zweiten Bereich, leistet die Bundesnetzagentur gute Arbeit. Mit dem Energiewirtschaftsgesetz, das wir noch zu Ende der letzten Legislaturperiode gemeinsam im Vermittlungsausschuss verabschiedet haben, haben wir die Grundlage dafür gelegt. Diese Arbeit trägt jetzt erstmals Früchte. Gerade diese Woche hat die Bundesnetzagentur veröffentlicht, dass Haushalte und Wirtschaft gleichermaßen im letzten Jahr um 2,8 Milliarden Euro entlastet worden sind, nämlich dadurch, dass Erhöhungen der Netzentgelte nicht genehmigt bzw. Netzentgelte gesenkt worden sind. In diesem Bereich des natürlichen Monopols, wo der Markt bisher nicht funktioniert, wo Marktversagen vorliegt, sparen wir mit unserem Ansatz der kostenorientierten Ex-ante-Regulierung 2006 und 2007 und übergangsweise, modifiziert, 2008 2,8 Milliarden Euro ein. ({1}) Es gibt Prognosen, die besagen - ich will nicht zu optimistisch sein, aber ich denke, dass dies durchaus realistisch ist -: Ausgehend von den etwas über 23 Milliarden Euro Netzentgelten im Strombereich - so viel waren es im Jahr 2006 - schaffen wir mit den Maßnahmen, die jetzt in Gang gesetzt worden sind, nicht nur eine Stabilisierung. Über die Anreizregulierung eröffnen wir, ganz geplant, einen Erlöspfad nach unten, sodass wir in fünf, sechs, sieben Jahren im Ergebnis vielleicht bei 17 oder 18 Milliarden Euro Netzentgelte liegen werden. Das heißt: nicht nur Stabilisierung, keine weiteren Erhöhungen, sondern sogar sinkende Netznutzungsentgelte. Beim Netzzugang werden wir parallel Maßnahmen treffen - hier seien nur die Netzzugangsverordnung und andere Dinge mehr erwähnt -, und das wird Wirkung beim Wettbewerb zeigen. Auch hier haben wir also eine klare ordnungspolitische Grundorientierung, die sich jetzt auszahlt. Im Bereich der Anreizregulierung werden wir diesen Erlöspfad nach unten in den nächsten Wochen und Monaten nicht nur konkretisieren - die Eckpunkte liegen ja vor -, sondern wir werden auch sicherstellen, dass die Investitionen in die Netze auch zukünftig sichergestellt werden. Mit dieser Anreiz- und einer Qualitätsregulierung werden wir unseren hohen deutschen Standard, der einmalig in Europa und in der Welt ist, dauerhaft etablieren, gleichzeitig aber auch die genannten Einsparungen erzielen. So weit zum Netzbereich. Der dritte Bereich ist der Wettbewerbsbereich, Strom- und Gasbezug sowie Erzeugung und Vertrieb. Hier gibt es eigentlich seit 1998 einen Wettbewerb. Wir müssen aber leider übereinstimmend feststellen, dass dieser Wettbewerb nur eingeschränkt funktioniert, weil es marktbeherrschende Stellungen der großen vier Unternehmen in diesem Bereich gibt, die heute mit 80 Prozent bis 90 Prozent - je nach Definition - bei der Erzeugung von Strom dominieren. In nächster Zeit werden wir mit der GWB-Novelle und auch mit anderen Maßnahmen - zum Beispiel mit der Kraftwerksanschlussverordnung und anderen Dingen mehr - den Wettbewerb anregen und intensivieren, da es unsere Aufgabe ist, den Wettbewerb in diesem Bereich zu erhalten, den wir uns wünschen, damit mittelfristig die entsprechenden Wirkungen entfaltet werden können. Sie sehen: Dies ist ein durchdachtes Konzept, mit dem in den einzelnen Feldern die richtigen Instrumente genutzt und die richtigen Stellschrauben in die richtige Richtung gedreht werden. Wir sind aber nicht nur im Strom- und Gasbereich ordnungspolitisch klar verankert und orientiert; das gilt auch für andere Bereiche. Auch in dieser Debatte will ich das Auslaufen der Dauersubventionierung im Steinkohlebergbau ansprechen. Während es den Grünen unter Rot-Grün in sieben Jahren nicht gelungen ist, ist es der Union zusammen mit der SPD in einem Jahr der Großen Koalition gelungen, die Dauersubventionierung im Steinkohlebergbau zu beenden und stattdessen in die Zukunft zu investieren. ({2}) Die klare ordnungspolitische Positionierung und Orientierung finden sich auch im Bereich des Klimaschutzes wieder. Mit dem Gebäudesanierungsprogramm - es geht um energetische Sanierungen im Bestand -, das einen Umfang von knapp 2 Milliarden Euro hat, haben wir im letzten Jahr Investitionen von 10 bis 12 Milliarden Euro ausgelöst. Nach neuesten Berechnungen ist das gemeinsam mit allen zusammenhängenden und flankierenden Maßnahmen - ich nenne beispielsweise nur die Absetzbarkeit der Kosten von Handwerkerleistungen im Haushalt für den Vermieter und den Mieter gleichermaßen, sodass der Handwerker aus der Schwarzarbeit herauskommt - ein Beitrag in Höhe von 0,5 Prozent bis 0,7 Prozent zum letztjährigen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts. Auch dies war durch diese klare ordnungspolitische Orientierung möglich. Auch im Wärmemarkt haben wir mit einem Anreizprogramm, das wir ausgedehnt haben, auf den Markt gesetzt und Erfolge erzielt. Nur zwei Stichwörter: Pelletsheizungen und Wärmepumpen. Der Absatz hat sich im letzten Jahr mehr als verdoppelt. Wir sind hier ohne staatlich-dirigistische Maßnahmen, Vorgaben und Vorschriften weitergekommen. Dies gilt auch im Bereich der alternativen Kraftstoffe. Als letztes Stichwort sei nur noch die technologieoffene Quote genannt. Sie sehen also, dass wir nicht nur eine klare theoretische Orientierung, sondern auch ein in sich stimmiges Energiegesamtkonzept haben, das den Strom, das Gas, das Klima, die Treibstoffe, den Verkehr und die Gebäude gleichermaßen umfasst. Wir setzen dieses beharrlich Schritt für Schritt um. Wir laden alle Fraktionen des Hauses herzlich dazu ein, sich konstruktiv daran zu beteiligen, damit in diesem Bereich zukünftig auch etwas Licht auf Ihre Aktivitäten und nicht nur auf die der Regierung und der Großen Koalition fällt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist nämlich in der Tat eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir würden uns freuen, wenn Sie alle zukünftig konstruktiv mitmachen. Dann könnten wir uns nächstes Jahr um diese Zeit wiederum über eine klare ordnungspolitische Debatte freuen. In diesem Sinne denke ich, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ich lade Sie alle ein, mitzumachen. ({0}) - Genau: Glückauf! ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Gudrun Kopp, FDPFraktion. ({0})

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Lieber Kollege Pfeiffer, es wäre schön, wenn dieses Parlament, diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen tatsächlich einen ordnungspolitischen Kompass hätten. Dann bräuchten wir diesen Antrag nicht. Dem ist aber nicht so. Ich glaube, wir können auch angesichts der Debatten in dieser Woche zum Thema Klimaschutz sagen, dass eine preisgünstige, umweltver8406 trägliche und sichere Bereitstellung von Energie durchaus eine Schicksalsfrage der Nation ist. An dieser Frage entscheidet sich sehr viel. Wir haben allerdings den Eindruck, dass die Energieund Klimapolitik immer mehr zum Tummelplatz für jedermann wird. In der Öffentlichkeit gibt es die abstrusesten Vorschläge von Lobbygruppen und einzelnen Mitgliedern von Parteien, die nicht den Eindruck bestätigen, den Sie, Herr Pfeiffer, eben versucht haben zu vermitteln. Zum Beispiel gibt es Vorschläge, die Netze zu verstaatlichen oder sie unabhängigen Betreibern zu übergeben. Andere Vorschläge lauten, Unternehmen zum Verkauf von ganzen Kraftwerken zu zwingen. Erneuerbare Energien werden für 20 Jahre mit Garantiepreisen versehen und somit in den Markt gepresst. Kohlekraftwerke und die Kernenergie - so sagen manche - sollten dagegen verboten werden. Die Debatte beinhaltet unter anderem Vorschläge zu Fahrverboten, zu Glühbirnen und zu bestimmten Autos, die verboten werden sollen. Einige wollen am liebsten, dass die Preisgestaltung staatlich vorgegeben und eben nicht über eine Stärkung von Markt und Wettbewerb gefunden werden soll. Einige wollen Emissionszertifikate versteigern, andere wollen diese verschenken und Steuern auf den CO2-Ausstoß erheben sowie die Steuern auf den Energiebedarf insgesamt anheben. Dieses Sammelsurium zeigt uns allen sehr deutlich, dass der Mehrheit der in der Politik Tätigen leider Kurs und Orientierung im ordnungspolitischen Sinn ziemlich abhanden gekommen sind. ({0}) Lieber Kollege Pfeiffer, Sie haben gerade gesagt, die Große Koalition habe jetzt das Drehen an der Schraube von Steuern und Abgaben auf die Energiepreise beendet. Mit einer vorwochenendlichen Gedächtnislücke haben Sie wahrscheinlich verdrängt, dass wir zum 1. Januar dieses Jahres eine Mehrwertsteuererhöhung hatten. Sie haben sicher ebenfalls verdrängt, dass die Koalitionsfraktionen gemeinsam mit der Bundesregierung ein Gesetz erlassen haben, nach dem vorgesehen ist, dass beispielsweise die Netzanschlusskosten für Offshoreanlagen auf alle Netzbetreiber umgelegt werden. Damit werden wiederum Ausnahmetatbestände geschaffen, und es wird weiter an der Kostenschraube gedreht. Wir wollen gemeinsam daran arbeiten, dass die Kosten im Monopolbereich Netz sinken können und dass die Bürger am Ende auch davon profitieren können. Wir wollen nicht, dass der Staatshaushalt auf diese Weise gefüllt wird und dass Politik immer mehr abschöpft. Ich habe in dieser Woche ausdrücklich gesagt: Einschließlich der Mehrwertsteuererhöhung haben sich die Steuern und Abgaben von 1998 bis zum heutigen Tag beispielsweise im Bereich der Strompreise um 91 Prozent erhöht. Das sind politische Fehlentscheidungen und Fehlhandlungen. Das hat leider gar nichts mit einem ordnungspolitischen Kompass zu tun. ({1}) Deshalb empfehlen wir mit unserem heutigen Antrag, der ein ordnungspolitischer Weckruf ans Parlament und insbesondere an die Regierung sein soll, ({2}) dass wir den Wettbewerb stärken, und zwar in der Weise, wie wir uns das vorstellen: Wettbewerb schützen, Wettbewerb überhaupt erst möglich machen und ihn gegen Absprachen, Kartelle und marktbeherrschendes Verhalten von einzelnen Unternehmen stärken. In diesem Zusammenhang ist es sehr wichtig, dass das Bundeskartellamt als Wettbewerbshüter Nummer eins in unserem Land auch personell so ausgestattet wird, dass es seinen Aufgaben tatsächlich gerecht werden kann. Das ist ein wichtiges Anliegen, das ich für die FDP-Fraktion noch einmal sehr deutlich unterstützen möchte. Das ist leider nur teilweise geschehen, war aber immerhin ein kleiner Schritt. Wir haben als ordnungspolitische Sünde zu verzeichnen, dass wir eine Vielzahl von Parallelsystemen und -gesetzen haben, die nicht geeignet sind, die Energiepolitik marktkonform aufzustellen. Staatliche Eingriffe werden zum Beispiel mit fünfzehn verschiedenen Gesetzen vorgenommen. Wir brauchen nicht parallel - ich nenne nur einige wenige - das Erneuerbare-EnergienGesetz, das Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz, eine Ökound eine Stromsteuer, eine Mineralölsteuer und den Emissionshandel. Wir als FDP-Bundestagsfraktion wünschen uns für den Klimaschutz ein wirksames Instrument, beispielsweise den Treibhausgaszertifikatehandel, statt zig Parallelinstrumenten, wobei sogar noch das eine das andere in seiner Wirkung aushebelt. Das ist unser Anliegen. Wir möchten, dass die Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass Markt und Wettbewerb und damit auch die soziale Marktwirtschaft über eine Renaissance der Ordnungspolitik gestärkt werden. Ich bitte Sie sehr herzlich, darauf zu achten, welche weiteren Instrumente Sie einführen, und auf die zu verzichten, die zulasten der Verbraucher gehen und wenig Wirkung hinsichtlich der Stärkung des Wettbewerbs zeigen. Ich wünsche mir, dass Sie unsere Anträge unterstützen. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Rolf Hempelmann ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In der Tat beschäftigen wir uns heute nicht zum ersten Mal mit diesen insgesamt vier Anträgen der Opposition hier im Parlament. Wir haben das schon im September ausgiebig getan. Die damalige Debatte war - so fand ich - eigentlich erhellend. Man hätte damit rechnen können, dass die Anträge zurückgezogen werden. Dies ist nicht geschehen. Deswegen haben wir uns anschließend auch in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages mit diesen Anträgen noch einmal ausführlich befasst. ({0}) Dort sind sie von der Regierungskoalition abgelehnt worden. Dennoch befassen wir uns heute zu unser aller Überraschung erneut hier im Plenum des Deutschen Bundestages damit. ({1}) Und vermutlich - die Opposition wird nicht damit rechnen - werden die Anträge erneut das gleiche Schicksal erleiden und am Ende abgelehnt werden. ({2}) Das ist keine Trotzreaktion der Koalition, sondern hat einfach sachliche Gründe; denn - das ist vielleicht in der Rede von Frau Kopp auch deutlich geworden - Energiepolitik ist eben komplex. ({3}) Deswegen ist es normal, dass in einem Meinungsbildungsprozess, jedenfalls solange die Dinge noch nicht in Gesetze gegossen sind, auch diese Komplexität der Meinungen zum Ausdruck kommt. Das hat auch etwas damit zu tun, dass Energiepolitik nicht ausschließlich zum Beispiel Umweltpolitik ist, sondern zum Beispiel auch - und vielleicht in manchen Bereichen vor allem - Wirtschaftspolitik, dass sie je nachdem, um welche Projekte es geht, auch Verkehrs- oder Baupolitik sein kann. Es gibt nationale oder regionale Aspekte genauso wie internationale, europäische oder globale. Am Ende einer umfassenden Diskussion müssen wir auch zu Entscheidungen kommen. Ich denke, Herr Dr. Pfeiffer hat durchaus richtig dargestellt, dass das, was jetzt kurz davor steht, ins Gesetzblatt zu kommen, ein in sich stimmiges Gesamtkonzept widerspiegelt. Die meisten dieser Anträge befassen sich mit dem Thema Preise, insbesondere mit den Strom- und Gaspreisen. Im Grunde greift das sogar zu kurz. Wir müssen uns eigentlich mit den Energiepreisen insgesamt befassen, weil die Bürgerinnen und Bürger mittlerweile nicht nur unter der zweiten Miete, also den Strom- und Gaspreisen, sondern unter den Energiepreisen insgesamt leiden. Dazu gehören auch Heizöl und Benzin. ({4}) Es ist unser aller Bestreben, dass es gerade im Zusammenhang mit den ökologischen Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht dazu kommt, dass Energiebezug zum Privileg für wenige Reiche wird. Deswegen müssen wir unsere energiepolitischen Instrumente mit Blick auf diese Herausforderungen anpassen. ({5}) Die vorgeschlagenen Instrumente helfen dabei allerdings nicht. Eben ist schon angedeutet worden, dass eine Verlängerung der Tarifpreisaufsicht nicht mehr in die derzeitige Wettbewerbslandschaft passt. Deswegen ist es richtig, dass die Preiskontrolle zum 30. Juni 2007 ausläuft. Das ist nun einmal eine logische Konsequenz der Liberalisierung. Wir müssen uns darum bemühen, den Wettbewerb auf dem Markt zu entwickeln. Es ist sicherlich richtig, dass dieser noch nicht befriedigen kann, aber wir haben gerade Instrumente entwickelt, von denen wir uns eine ganze Menge versprechen. Einige sind ja auch schon im Einsatz. - Im Übrigen hat das der Bundesrat offenbar nicht anders gesehen als wir; denn er hat den Vorstoß der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen zur Verlängerung der Tarifaufsicht zurückgestellt. Ich denke, das ist ein klares Indiz dafür. Andere Vorschläge zielen darauf ab, das Kartellamt zu stärken. Die FDP hat einen entsprechenden Antrag gestellt. Da geht es aber ausschließlich um die personelle Stärkung der Behörde. In diesem Zusammenhang kann man auf die drei neuen Stellen, die im letzten Jahr im Rahmen der Haushaltsberatungen beim Kartellamt geschaffen wurden, verweisen. Nach meiner Einschätzung sind das aber eher zu wenige als zu viele Stellen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass im Rahmen der Einsparrunde für Verwaltungsbehörden auch beim Bundeskartellamt wieder Stellen gestrichen worden sind. Deswegen müssen wir - das sage ich ausdrücklich - dieses Thema sicherlich noch einmal aufgreifen. Dabei müssen wir uns dann darum bemühen, dass eine entsprechende Personalausstattung für das Bundeskartellamt gewährleistet wird. Gut ist, dass es nicht zu Kürzungen im Bereich der Energieaufsicht gekommen ist. Aber alles in allem ist die derzeitige Situation noch nicht zufriedenstellend. Wir wollen nicht, dass es zu einer Verschiebung von Personal von der Bundesnetzagentur hin zum Bundeskartellamt kommt. Die Bundesnetzagentur ist eine junge Behörde, die gerade erst ans Werk gegangen ist. Sie braucht, wie ich denke, die ihr zugewiesene Personalausstattung zur Wahrnehmung ihrer neuen Aufgaben angesichts der bestehenden Herausforderungen. Es gibt einen weiteren Vorschlag aus dem Bundeswirtschaftsministerium, der schon bei der Debatte, die wir im September geführt haben, vorgestellt wurde. Hier geht es um eine Veränderung im GWB, also im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Ich habe diesen Vorstoß in der damaligen Plenardebatte grundsätzlich begrüßt. Er kann eine gewisse Brückenfunktion bilden, bis insbesondere im Bereich der Energieerzeugung die Oligopolsituation ein Stück weit aufgebrochen, die Angebotssituation verbessert, Liquidität auf dem Markt hergestellt und Anbietervielfalt erreicht ist. Insofern könnte durch mehr Wettbewerb auf der Erzeugerseite und mehr Angebote auch Druck auf die Erzeugerpreise ausgeübt werden. Bis dahin kann es über Regelungen im GWB - immer verstanden als Brückenfunktion - Sinn machen, dem Bundeskartellamt dabei zu helfen, eventuellen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung zu identifizieren und ihn zu unterbinden. Das ist aber kein einfaches Unterfangen, weil es sich beim Kartellrecht um ein sehr gut austariertes Recht handelt. Damit haben sich ja in der Vergangenheit schon durchaus kluge Köpfe beschäftigt. Deswegen mussten wir die Vorschläge des BMWi sorgfältig prüfen. Hierüber gibt es einen intensiven Dialog zwischen den verschiedenen Ressorts und den Fraktionen. Ich bin mir ganz sicher, dass wir zu einem Ergebnis kommen werden, das einerseits die Behörde stärkt sowie die Feststellung von entsprechendem Marktmissbrauch erleichtert und andererseits mit dem Stromhandel an den internationalen Börsen kompatibel ist. Wenn ein Stück mehr Staat an einer Stelle implementiert wird - das ist immer so -, muss darauf geachtet werden, dass nicht das sozusagen zart angewachsene Pflänzchen Markt im Keime erstickt wird. Wir werden dazu aber letztlich etwas Vernünftiges vorlegen können. ({6}) Meine Damen und Herren, die Vorschläge, wie sie hier auf dem Tisch liegen, sind - ich habe das angedeutet nicht wirklich zielführend. Ich glaube aber, dass wir, die Koalition, nachweisen können, dass wir nicht bei null anfangen. Schon die rot-grüne Koalition hat, am Ende dann mit Unterstützung von Schwarz und Gelb im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat, das Energiewirtschaftsgesetz novelliert, die Bundesnetzagentur installiert und letztlich dafür gesorgt, dass diese mittlerweile erfolgreich Netzentgelte reguliert und auch für preisdämpfende Effekte sorgt. Das alles kann sicherlich noch sehr viel besser funktionieren, und das soll es auch im Rahmen der Anreizregulierung, die nach unserer Auffassung am 1. Januar 2008 in Kraft treten soll. Es zeigt sich aber, dass es wahrscheinlich der 1. Januar 2009 wird. Deshalb - so ist es bisher jedenfalls vom Wirtschaftsministerium und auch von der Bundesnetzagentur angedacht - soll es eine zweite Ex-ante-Preisgenehmigungsrunde geben. Unser Appell ist, dass dann auf jeden Fall auf die Betriebskosten- und nicht so sehr auf die Kapitalkostenseite geschaut wird. Denn in der ersten Runde ist vieles gelungen, eines aber nicht, nämlich dass die weniger effizienten Unternehmen in Bezug auf Effizienz deutlich mehr unter Druck geraten und der Druck auf die bereits effizienten Unternehmen geringer ist. Das ist der Grundgedanke der Anreizregulierung, sollte aber auch vor Inkrafttreten der Anreizregulierung Grundprinzip sein. Das geht nur, wenn jetzt der Blick auf die Betriebskosten gelenkt wird. In der ersten Runde war es so, dass die Unternehmen, die hohe Kapitalkosten hatten, diese senken mussten. Diese hohen Kapitalkosten waren aber teilweise dadurch begründet, dass man bereits Effizienzmaßnahmen ergriffen hatte, zum Beispiel Netze saniert hatte, was natürlich kapitalintensiv war und Kapitalkosten verursacht hatte. Diese Unternehmen haben auf der anderen Seite aber niedrigere Betriebskosten. - Jetzt muss sozusagen im Umkehrschluss die andere Seite geprüft werden, damit das Ganze einigermaßen ausgeglichen wird. Ich gehe davon aus, dass wir insbesondere über die in Rede stehende Kraftwerksanschlussverordnung erreichen werden, dass mehr Kraftwerke ans Netz kommen, und dass wir auf diese Weise dann letztlich auch mehr Liquidität, mehr Strom im Angebot haben und dadurch über mehr Wettbewerb Preisdruck erzeugen können. Die Kraftwerksanschlussverordnung, die jetzt im Entwurf vorliegt, muss insbesondere dem Gedanken der Nichtdiskriminierung verpflichtet sein. Das heißt, alle Anbieter müssen die gleiche Chance bekommen, nicht nur ans Netz angeschlossen zu werden, sondern nach Netzanschluss auch bei eventuellen Netzengpässen ihren Strom zum Endkunden durchleiten zu können. Diese Voraussetzung ist wichtig, um Druck darauf auszuüben, dass die Netze sukzessive ausgebaut werden. Ohne Netzausbau werden die Kraftwerke letztlich nur teilweise gefahren werden können. Das macht keinen Sinn. Deswegen brauchen wir eine Netzausbaustrategie. Das kann im Rahmen einer klug gewählten Anreizregulierung durchaus mitgeleistet werden. Die Bundesnetzagentur hat ja die Doppelaufgabe, auf kosteneffizienten Netzbetrieb, aber auch auf Qualität und Investitionen Einfluss zu nehmen. Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, dass das, was Frau Kopp eben angesprochen hat, tatsächlich möglich ist, nämlich die energiepolitischen Instrumente auf ein einziges zu reduzieren.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Frau Kopp würde an dieser Stelle gerne eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie sie zulassen.

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Immer gern.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Hempelmann. - Die Frage kommt etwas zeitverzögert; es dauert ja immer etwas, bis man seine Frage stellen kann. Ich gehe deshalb ein Stück zurück. Ich bin ein bisschen erstaunt darüber, dass Sie den ursprünglichen Konsens, den wir unter den energiepolitischen Sprechern hatten, nämlich im Zeitrahmen der Regulierung zu bleiben und die Anreizregulierung nicht ein Jahr nach hinten zu verschieben, infrage stellen. Ich bitte Sie, noch einmal Folgendes zu bedenken. Sie haben gesagt, im ersten Durchgang der Kostenregulierung sei es in erster Linie um die Kapitalkosten gegangen. Meine Information ist: Richtig, es ging um Kapitalkosten, aber auch um Betriebskosten, und zwar Betriebskosten/Personalkosten. Mein Kenntnisstand ist, dass es in der Energiewirtschaft in der letzten Zeit eine Kostenoptimierung in Form eines enormen Personalabbaus gegeben hat. Ich befürchte einfach, dass wir in der zweiten Runde, die ein Jahr andauern soll, nicht zu den gewünschten Effizienzen kommen und somit wertvolle Zeit bis zum Beginn der Anreizregulierung verschenken. Stimmen Sie mir da zu?

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir liegen, was die grundsätzlichen Fragen angeht, nicht weit auseinander. Ich würde mir wünschen, wir könnten zum 1. Januar 2008 mit der Anreizregulierung beginnen. Das ist unser Signal gegenüber der Bundesnetzagentur und dem Wirtschaftsministerium. Aber die erste Entgeltgenehmigungsrunde hat eben eine Menge Zeit gekostet. Die Behörde musste - das ist kein Vorwurf erst noch Erfahrungen sammeln. Die Genehmigungsrunde läuft noch; sie ist noch nicht abgeschlossen. Deswegen scheint es wenig realistisch zu sein - wir müssen uns den Realitäten stellen -, diese Runde sehr schnell und gleichzeitig die Vorbereitung für den Beginn einer Anreizregulierung zum 1. Januar 2008 abschließen zu können. Wenn es gelänge, wäre es sehr gut. Es wäre in jedem Fall die bessere Lösung. Wenn das aber nicht möglich sein sollte, dann muss es wenigstens gelingen - das ist in der ersten Runde nicht gelungen -, die weniger effizienten Unternehmen stärker unter Druck zu setzen als die effizienteren, um die Schere zwischen beiden ein Stück weit zu schließen. Das ist das Prinzip der Anreizregulierung. Deswegen sollte es in der zweiten Runde ebenfalls das Leitprinzip sein. Es ist zwar so, dass Daten zu Personal- und Personalzusatzkosten sowie anderen Betriebskosten eingeholt worden sind. Aber im Wesentlichen waren die Kapitalkosten Maßstab dafür, ob ein Unternehmen mit Kürzungen rechnen musste. Wenn eine zweite Runde kommt, empfiehlt es sich daher, verstärkt die Betriebskosten als Grundlage zu nehmen. Noch einmal: Ich stimme Ihnen grundsätzlich zu, dass es wünschenswert wäre, ohne eine zweite Runde die Anreizregulierung zu starten. Nach allen Aussagen aus dem federführenden Haus, aber auch aus der Bundesnetzagentur scheint das aber nicht mehr realistisch zu sein. Ich habe bei dem letzten Punkt Frau Kopp direkt angesprochen, weil sie eben die These aufgestellt hat, der Emissionshandel könne sozusagen das Globalinstrument werden und man könne auf andere Instrumente verzichten. Ich staune über den Glauben an den Emissionshandel als das sozusagen omnipotente Instrument; denn es gibt eine ganze Reihe von Kritikpunkten am Emissionshandel. Auch die, die ihn grundsätzlich unterstützen, wissen natürlich, dass es sich um ein Instrument handelt, das sich erst noch sukzessive bewähren muss. Die Situation ist die, dass eine Realisierung in 27 Mitgliedstaaten erfolgen muss. Sie werden das natürlich auf unterschiedliche Art und Weise tun, wie wir es in der ersten Handelsperiode gesehen haben. Es wird in der zweiten Runde sehr darauf ankommen, dafür zu sorgen, dass die Realisierung des Zertifikatehandels in Europa möglichst harmonisiert und unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Ausgangslagen der Mitgliedstaaten durchgeführt wird. Zum jetzigen Zeitpunkt zu sagen, das sei das Globalinstrument, unter das wir alles andere subsumieren können, ist zumindest verfrüht. Zum anderen möchte ich darauf hinweisen, dass die Instrumente jeweils unterschiedliche Schwerpunktziele haben. Hier geht es ganz eindeutig um die Reduzierung von CO2. Bei den erneuerbaren Energien geht es aber auch darum, Zukunftsperspektiven für ein Zeitalter zu schaffen, in dem fossile Energien möglicherweise nicht mehr zur Verfügung stehen. Hier geht es also um technologische Entwicklungen, die vorangetrieben werden sollen. Deswegen handelt es sich um ein Instrument, das man nicht eins zu eins mit dem Emissionshandel vergleichen kann. Das kann man auch von anderen Instrumenten sagen. Richtig ist, dass wir die Instrumente nebeneinanderlegen müssen. Wir müssen prüfen, wo es Doppelwirkungen gibt und wo sich die Wirkungen gegenseitig neutralisieren; da stimme ich Ihnen grundsätzlich zu. Wir müssen dann versuchen, solche negativen Aspekte letztendlich zu beseitigen. Über vieles konnte nicht gesprochen werden. Aber dass wir natürlich nicht nur im Bereich Strom und Gas, sondern auch im Bereich Verkehr und Gebäude ehrgeizige Ziele haben, ist deutlich geworden. Herr Pfeiffer hat es angesprochen: Wir stehen vor gewaltigen Aufgaben. Bitte helfen Sie mit, dass wir sie tatsächlich erfüllen können! Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es spricht der Kollege Hans-Kurt Hill für Die Linke. ({0})

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hempelmann, Sie haben eben über die Komplexität der Meinungen gesprochen. Das finde ich sehr gut. Ich empfehle Ihnen einmal, in der „Frankfurter Rundschau“ den Artikel von Staatssekretär Werner Müller ({0}) - Michael Müller, Entschuldigung -, erschienen am 1. März dieses Jahres, zu lesen. Dort werden Sie die Komplexität der Meinungen wiederfinden. Zu unserem Antrag. Den Antrag „Die zukünftige Energieversorgung sozial und ökologisch gestalten“ haben wir vor einem Jahr gestellt; das ist eben angesprochen worden. Ich sage: Er ist so aktuell wie nie zuvor. Das liegt nach wie vor an der zunehmenden Brisanz der Energiepolitik und insbesondere an der Untätigkeit der Regierung. Dass wir recht haben, zeigt nichts besser als der Antrag selbst. Schon beim Emissionshandel und bei den Biokraftstoffen ist der Regierung Merkel die Realität um die Ohren geflogen. Der faule Kompromiss beim Gebäudeenergiepass führt dazu, dass erst 2018 mit wirksamen Energieeinsparungen zu rechnen ist. In Sachen Energie und Klimaschutz fällt die Große Koalition im Rahmen der Ratspräsidentschaft nur durch Zurückrudern auf. Ich möchte aber auf ein viel größeres Problem eingehen. Die Bundesregierung ist dabei, eine klimafreundliche und soziale Energiepolitik an den Nagel zu hängen. Am Mittwoch versprachen die Regierungsvertreter im Umweltausschuss, man sei bezüglich der Senkung der Klimagasemissionen um bis zu 40 Prozent im Gespräch. Aber im Gespräch ist die Große Koalition auch bei der Atomfrage. Ihr Versagen beim Klimaschutz wird deutlich, wenn man sich die aktuelle Entwicklung in der Energiewirtschaft ansieht. Fossile Kraftwerke in einem Umfang von 60 000 Megawatt sind geplant, allein Steinkohlekraftwerke in einem Umfang von 40 000 Megawatt. Es sind also weit mehr Kohleblöcke geplant, als zurzeit in Betrieb sind. Die meisten der vorgesehenen CO2-Schleudern sollen bis zum Jahr 2012 laufen. Sie sind mit herkömmlicher Technik ausgerüstet und für die CO2-Abspaltung nicht geeignet. Kollege Schwabe von der SPD - er ist leider nicht da - hat gestern in der „Frankfurter Rundschau“ gefordert, ab 2015 solle es nur noch CO2freie Kraftwerke geben. Das ist eindeutig zu spät, liebe Sozialdemokraten. ({1}) Wenn die Bundesregierung jetzt nicht massiv in die Kraftwerksplanung eingreift, dann steigt der Klimagasausstoß in Deutschland in fünf Jahren über das Niveau von 1990. Mir wird damit auch klar, weshalb sich das Bundeswirtschaftsministerium beharrlich weigert, das Parlament über geplante Kraftwerke zu informieren. Sehr geehrte Herren Glos und Gabriel, die unbequeme Wahrheit lautet: Ab 2008 dürfen keine neuen Kohleblöcke mehr genehmigt werden; ansonsten kommen wir in Teufels Klimaküche. Wir werden das in Kürze in einer Studie nachweisen. Aber die Energiekonzerne machen derweil mit fossilatomaren Steinzeitkraftwerken Kasse. Zentralistische Großkraftwerke sichern ihr Energiemonopol. Aus dieser Position drehen sie nach Belieben an der Preisschraube. Sie verhindern gleichzeitig die Dezentralisierung der Energieversorgung, und sie behindern den Netzzugang erneuerbarer Energien. Das ist Klimafrevel hoch zwei. ({2}) Die Zeche zahlen die Verbraucherinnen und Verbraucher mit überhöhten Strom- und Gasrechnungen. Deshalb ist eine wirksame Überwachung der Energiepreise, wie sie die Linke mit dem Antrag „Energiepreiskontrolle sicherstellen“ fordert, unverzichtbar. ({3}) Strom- und Gasrechnungen nach Gutsherrenart können wir uns nicht leisten. Industrieminister Gabriel kommt derweil Klimaignoranten wie Audi zu Hilfe. Durch den Zwang der Beimischung klimaneutraler Biokraftstoffe zum fossilen Sprit soll der CO2-Ausstoß der Spritfresser heruntergerechnet werden. Die Pioniere der Bioenergie hat Gabriel aber wie eine heiße Kartoffel fallen lassen. Zum Stopfen von Steinbrücks Steuerkassen werden Biodiesellandwirte abgezockt, bis sie pleite sind. Gestern habe ich mir einen solchen Biodieselbetrieb angesehen. Der Ökosprit wurde dort, integriert in den landwirtschaftlichen Betrieb, für den Eigenverbrauch und den regionalen Bedarf hergestellt. Die Wertschöpfung fand also vor Ort statt - bisher. Jetzt hat der Betrieb die Biodieselproduktion eingestellt. An der Anlage, die nur drei Jahre lief, hängt ein Schild: Gefördert durch die EU, das Land Sachsen-Anhalt und die Agentur für Arbeit. Die Fördermittel sind futsch, und der Insolvenzverwalter kommt. 15 000 Stellen sind durch die Biospritsteuer schon verloren gegangen. So macht man keine soziale und ökologische Energiepolitik. ({4}) Ich komme nun zum Schluss. Die Linke fordert die Bundesregierung auf, Fehler in der Energiepolitik rückgängig zu machen: erstens, raus aus der fossil-atomaren Energiewirtschaft; zweitens, mehr erneuerbare Energien, mehr Energieeffizienz und mehr Energieeinsparung; drittens, dem Energiekartell wirksam auf die Finger klopfen; viertens, Klimaschutz ernst nehmen statt lose Versprechungen machen. Danke schön. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Hans-Josef Fell hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Klimaveränderung wird immer dramatischer. Zurzeit wird Bolivien von apokalyptischen Regenfällen heimgesucht. 500 000 Menschen haben alles verloren. Allein in Beni sind 22 000 Rinder ertrunken, die Plantagen sind zerstört, und Infektionskrankheiten breiten sich aus. Präsident Morales, der mit der Verstaatlichung von Erdöl und Erdgas in seinem Land das Klima selbst anheizt, ({0}) beschreibt die Ursachen dennoch richtig: Es gibt Länder, die maßlose und unkontrollierte Industriepolitik betreiben, das vergiftet den Planeten Erde und zerstört die Umwelt, und wir armen Länder leiden darunter. Auch EU-Kommissionspräsident Barroso betont die Ursache der Klimaveränderung immer wieder: 80 Prozent aller Klimagasemissionen werden durch die Nutzung der fossilen Energien emittiert. Nun liegt uns heute ein Antrag der Freien Demokraten über den ordnungspolitischen Kompass für die deutsche Energiepolitik vor. In diesem Antrag kommt der Klimaschutz nur einmal als Kostenfaktor vor und nicht als übergreifende Notwendigkeit. Schlimmer noch: NotHans-Josef Fell wendige und erfolgreiche staatliche Regulationen im Energiebereich wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz werden als zu große Strompreisbelastung diffamiert und fälschlicherweise sogar als Subvention bezeichnet. Man kann doch nicht ernsthaft die mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz verbundenen winzigen Strompreiserhöhungen um 0,5 Cent pro Kilowattstunde für Haushaltskunden und um nur 0,15 Cent für Industriekunden als Belastung bezeichnen. Auch angesichts der inzwischen wohl 200 000 Jobs, einer industriellen Entwicklung von Windkraft, Fotovoltaik, Biogas und anderen Energieträgern ist diese FDP-Kritik völlig verfehlt. ({1}) Die ganze Welt staunt über die industrielle Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland, und die FDP mäkelt an winzigen Strompreiserhöhungen und ordnungspolitischen Fragen herum. Wettbewerb und Ordnungspolitik sind in ihrem Antrag die einzigen dominanten Themen. Energieversorgungssicherheit und Klimaschutz spielen keine Rolle, ebenso wenig die dafür notwendigen Maßnahmen. ({2}) Wettbewerb ist wichtig, sind es doch gerade die großen Oligopole, die wirksamen Klimaschutz mit erneuerbaren Energien und Energieeinsparung behindern. Deren Marktmacht muss natürlich mit mehr Wettbewerb verringert werden. Aber Wettbewerb und Ordnungspolitik über alle anderen Kriterien, zum Beispiel den Klimaschutz, zu stellen, wie Sie es in Ihrem vorliegenden Antrag tun, ist kein sinnvoller ordnungspolitischer Kompass. ({3}) Ich weiß, dass einige in der FDP die Wertigkeit des Klimaschutzes heute anders sehen, als es in diesem Antrag formuliert ist; die Diskussion im Umweltausschuss zeigt dies deutlich. Ihr Antrag ist immerhin schon ein Jahr alt. Vor einem Jahr hat die FDP den Klimaschutz offensichtlich noch nicht so ernst genommen wie heute. Ich kann es deswegen nur für richtig befinden, wenn die FDP angesichts der Erkenntnisse des IPCC ihren eigenen Antrag heute ablehnt. Das wäre die einzig richtige Konsequenz. ({4}) Nun zu den Anträgen der Linken. Hier gibt es erfreulicherweise viele Übereinstimmungen mit den klimaschutzpolitischen Notwendigkeiten in der Energiepolitik. Die Betonung der schnellstmöglichen Abkehr von atomaren und fossilen Energien ist genauso wichtig wie die Betonung der Aussage, die zukünftige Energieversorgung sozial gestalten zu wollen. Dies findet unsere Zustimmung. Dass die Umstellung auf erneuerbare Energien und Energieeinsparung die einzige Chance für eine bezahlbare Energieversorgung in der Zukunft ist, liegt doch auf der Hand. Angesichts steigender Verknappung der fossilen und atomaren Rohstoffe wird eine bezahlbare Energieversorgung auch für sozial Schwache zukünftig nur mit erneuerbaren Energien möglich sein; denn im Gegensatz zu ständig steigenden Preisen für Erdöl, Erdgas, Kohle und Uran kosten Wind, Sonnenstrahlen, Wasserkraft und Erdwärme nichts. ({5}) Seit Jahren sinken sogar die Technikkosten. Bei steigender Verbreitung der erneuerbaren Energien werden diese Kosten weiter sinken. Dass Sie von der Linken immer noch an die Allmacht des Staates glauben, drücken Sie mit der Forderung nach der Verstaatlichung der Netze aus. Dies können wir nicht mittragen. Wirklicher Wettbewerb auf dem Energiemarkt ist sinnvoller als staatlicher Besitz. Da sind wir durchaus näher bei den Freien Demokraten. Aber Wettbewerb allein als Allheilmittel für alle Energieprobleme greift nicht, wenn man zum Beispiel die Menschheitsherausforderung „Klimaschutz“ bewältigen will. Hier muss und kann wesentlich mehr getan werden, als die Große Koalition macht, was heute wieder betont wurde. Sie reden nur von Maßnahmen, aber Sie handeln nicht, oder Sie handeln so, dass es Rückschritte gibt: Die ersten Biodieselproduzenten schließen oder gehen ins Ausland. Ein Wärmegesetz steht zwar im Koalitionsvertrag, aber eine Realisierung ist immer noch nicht zu sehen. Über eine europäische Biogasstrategie - statt der Erdgasabhängigkeit - diskutieren Sie nicht einmal. - Die Große Koalition muss endlich aufhören zu reden und endlich handeln. Zu den Freien Demokraten sage ich zum Abschluss: Der ordnungspolitische Kompass, den Sie vorgelegt haben, ist ein missweisender Kompass und führt deshalb in die Irre. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Albert Rupprecht hat das Wort für die CDU/CSUFraktion.

Albert Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003620, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag der FDP ist im Grundsatz absolut richtig. ({0}) Sie schreiben in Ihrem Antrag: Die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft ... sollen auch in der Energiepolitik in stärkerem Maße Bedeutung erhalten. Hier haben Sie meine absolute Zustimmung. Eine vernünftige Energiepolitik braucht zwingend endlich einen funktionierenden Wettbewerb. Das ist die Schlüsselfrage Albert Rupprecht ({1}) überhaupt. Es darf nicht so sein wie bisher: Vier große Oligopolisten teilen den Markt unter sich auf, verlangen vollkommen überhöhte Preise und kassieren dabei Milliarden als Monopolgewinne. Ihre zweite Kernaussage, Frau Kopp, ist zumindest im zweiten Teil falsch. Sie schreiben: ... die ideologisch motivierte Energiepolitik ... der vergangenen sieben Jahre - Anmerkung: unter Rot-Grün ist gescheitert, und es zeichnet sich unter der großen Koalition - Anmerkung: unter Schwarz-Rot ... keine Verbesserung ab. Kanzler Schröder und seine Minister Müller und Clement haben in der Tat in diesen sieben Jahren die Machtkonzentration in der Energiewirtschaft begünstigt. Minister Glos hingegen kämpft massiv darum, diese Machtkonzentration aufzubrechen und Wettbewerb zugunsten der Verbraucher zu schaffen. ({2}) Das ist ein Riesenunterschied. Deswegen ist Ihre Bewertung in der Sache falsch. Es zeichnet sich sehr wohl eine Besserung ab. ({3}) Sehr geehrte Damen und Herren, natürlich wurden hier unter Kanzler Schröder massive Fehler gemacht. Es war ein Fehler, 2003 mit der Verrechtlichung der Verbändevereinbarung den jungen Wettbewerb zu ersticken. Es war ein Fehler, bei der Vorwärtsintegration der großen Stromkonzerne in die Kommunalunternehmen tatenlos zuzusehen. ({4}) Es war ein Fehler, dass der Minister die Fusion von Eon und Ruhrgas genehmigt hat. ({5}) Das Leitbild war eben nicht primär mehr Wettbewerb, sondern das Leitbild waren nationale Champions. Die Vorstellung war, mit Rückendeckung der deutschen Politik deutschen Großunternehmen auf dem Weltmarkt zu helfen. Die Förderung des Wettbewerbs hatte bei Kanzler Schröder kein großes Gewicht. ({6}) Um das aus heutiger Sicht klar zu bewerten: Das war der falsche Weg. Es kann doch nicht sein, dass deutsche Verbraucher aufgrund der vollkommen überhöhten Preise finanzieren, dass deutsche Unternehmen irgendwo auf der Welt einkaufen gehen. ({7}) Es kann doch nicht sein, dass der deutsche Verbraucher, indem er die überteuerten Preise zahlt, Aktionäre in New York, München oder Zürich finanziert. Das ist doch absurd! ({8}) Das hat nichts, aber auch gar nichts mit vernünftiger Wirtschaftspolitik, geschweige denn mit nationalen Interessen oder Patriotismus zu tun. ({9}) Nationale Interessen fördert man, indem man in Bildung und Forschung am Standort Deutschland investiert, in gute Infrastruktur, niedrige Steuern und einen funktionierenden, lebendigen Wettbewerb. Die Kernaussage von Ludwig Erhard ist bis heute richtungweisend und richtig, auch was die Energiepolitik betrifft - ich zitiere -: Unsere Wirtschaftspolitik dient dem Verbraucher, er allein ist Maßstab und Richter allen wirtschaftlichen Tuns. ({10}) In diesem Sinne ist die Energiepolitik von Minister Glos eindeutig eine Kehrtwende. Ihre Maxime ist die Förderung des Wettbewerbs zum Wohle der Verbraucher. Im Jahr 2007 wird ein umfangreiches Maßnahmenpaket verabschiedet, um auf dem Energiemarkt mehr Wettbewerb zu schaffen. Um nur einige dieser Maßnahmen zu nennen: Erstens. Die angesprochene Verordnung zur Anreizregulierung wird hoffentlich am 1. Januar 2008, spätestens aber am 1. Januar 2009 in Kraft treten. Zweitens. Die Investitionen werden vorangetrieben. Einige Stromanbieter haben inzwischen Investitionen in Milliardenhöhe zugesagt. Drittens. Mit § 29 GWB werden wir das Bundeskartellamt im Kampf gegen überhöhte Preise massiv stärken. Viertens. Die Energiepolitik ist der überragende Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Zur Entstehung eines europäischen Strommarktes werden massive Investitionen in Kuppelstellen an den Grenzen getätigt. Keine Frage: Wenn all diese Maßnahmen innerhalb der nächsten drei bis vier Jahre nicht zu erheblich mehr Wettbewerb führen, dann werden wir letztendlich auch in Deutschland ernsthaft über eine eigentumsrechtliche Entflechtung reden müssen. ({11}) Ziel ist und bleibt ganz klar ein funktionierender Wettbewerb - mit Energie zu niedrigen Preisen zum Wohle der Verbraucher. Herzlichen Dank. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 16/3582. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/589 mit dem Titel „Ordnungspolitischer Kompass für die deutsche Energiepolitik“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalition, des Bündnisses 90/Die Grünen und der Linken gegen die Stimmen der FDP. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/1082 mit dem Titel „Die zukünftige Energieversorgung sozial und ökologisch gestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Diese Beschlussempfehlung ist ebenfalls angenommen mit den Stimmen der Großen Koalition und der FDP gegen die Stimmen der Linksfraktion bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen. Tagesordnungspunkt 26 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 16/4076 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Bundeskartellamt stärken - Ausgewogene Wettbewerbsaufsicht auf den Energiemärkten“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/1678 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/DieGrünen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion. Tagesordnungspunkt 26 c. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 16/3585 zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Energiepreiskontrolle sicherstellen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/2505 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen bei Zustimmung der Koalition, der Fraktionen der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke. Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Katja Kipping, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Schutz des Welterbes im Konflikt um die Waldschlösschenbrücke in den Vordergrund stellen - Drucksache 16/4411 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({0}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Es ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf Drucksache 16/4460 zu dem Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2499 mit dem Titel „Bundespolitik soll im Streit um die Waldschlösschenbrücke vermitteln“ zu erweitern und diese als Zusatzpunkt 16 in Verbindung mit diesem Tagesordnungspunkt zu beraten. - Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann ist das so beschlossen, und ich rufe zugleich diesen Zusatzpunkt 16 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Katja Kipping, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Bundespolitik soll im Streit um die Waldschlösschenbrücke vermitteln - Drucksachen 16/2499, 16/4460 Berichterstattung: Abgeordnete Maria Michalk Christoph Waitz Katrin Göring-Eckardt Zwischen den Fraktionen ist verabredet worden, eine halbe Stunde zu debattieren. Als Erster gebe ich das Wort der Kollegin Lukrezia Jochimsen. ({2})

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 32 Orte gibt es in Deutschland, die die UNESCO in den Rang von Welterbestätten erhoben hat, darunter Dome und Kirchen, Schlösser und Parks, ganze Altstädte, Bergwerke, Flusstäler, auch das Bauhaus in Dessau. Es gibt weitere zwölf Bewerber für diese globale Ehre, darunter das Wattenmeer, das Bayreuther Opernhaus und die Franckeschen Stiftungen in Halle. Das heißt, mehr als 40 komplexe und komplizierte Findungs- und Entscheidungsprozesse haben seit 30 Jahren stattgefunden bzw. finden statt. Da ist es eigentlich eher ein Wunder, dass es bisher nur einen schweren und andauernden Konfliktfall gibt: Dresden, dessen Elbfront mit Zwinger, Oper, Schloss und Frauenkirche 2004 in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen wurde. Wegen des Baus einer Straßenbrücke über die Elbe droht der Stadt nun die Aberkennung dieses Titels. Die Linksfraktion hat bereits im September vergangenen Jahres beantragt, dass sich die Bundesregierung vermittelnd einschaltet. ({0}) Denn es geht bei diesem Konflikt aus unserer Sicht nicht nur um eine Dresdener Lokalangelegenheit und auch nicht nur um eine Sache Sachsens. ({1}) Die Bundesregierung hat sich inzwischen eingeschaltet, und auch der Ausschuss hat sich mit diesem Thema befasst. Denn es steht viel auf dem Spiel: unsere nationale Vertragstreue bei völkerrechtlichen Verpflichtungen, unsere internationale Glaubwürdigkeit im Bereich des Denkmalschutzes und unsere Fürsorgepflicht gegenüber den Kulturstätten Deutschlands, die sich zurzeit und in Zukunft um den Titel „Welterbe“ bei der UNESCO bewerben. Deshalb hat unsere Fraktion einen aktualisierten Antrag eingebracht, der den Expertenvorschlag des Mediationsverfahrens aufnimmt, im Rahmen einer moderierten Perspektivenwerkstatt eine Lösung zu finden. Dafür müsste sich jetzt die Bundesregierung einsetzen. In diese Richtung geht auch die Erklärung der SPD-Fraktion; sie deckt sich mit unserem heutigen Antrag. Umso unverständlicher ist mir, dass die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien lautet, unseren Antrag abzulehnen. Wir wissen, dass der Streit zurzeit noch beim Oberverwaltungsgericht Bautzen anhängig ist. Ursprünglich wurde mit einer Entscheidung vor dieser Plenardebatte gerechnet. Aus Respekt vor dem laufenden Rechtsverfahren wollen wir heute keine dezidierte Stellungnahme in der Sache vornehmen. Aber wir wollen uns mit den Konsequenzen befassen, die aus dem Konfliktfall zu ziehen sind, ganz unabhängig davon, wie das Gerichtsurteil ausfällt und der Streit sich fortsetzen wird. Wir sind überzeugt, dass die Bundesregierung sich an den Entscheidungsprozessen betreffend Welterbestätten in Deutschland in Zukunft von Anfang an beteiligen sollte. ({2}) Wie wäre die Einrichtung eines Referats beim Staatsminister für Kultur und Medien - er ist leider nicht da -, ({3}) welches im Fall von Konflikten rechtzeitig Vermittlung anbieten kann, ein Mediator für alle Fälle, eine Art Clearingstelle? Denn eines ist absehbar: In Zukunft wird es eher mehr als weniger Konflikte um die Anerkennung des Welterbetitels geben. Einzigartigkeit und Authentizität verlangt die UNESCO. Doch diese beiden Kriterien sind in einem modernen, auf Wachstum und Veränderung setzenden Land oft schwer miteinander zu vereinbaren. Das gilt auch und gerade dann, wenn man Kulturschätze bewahren und herausstellen möchte. In diesem Sinne lautet unser Vorschlag, aus dem Streit um die Waldschlösschenbrücke in Dresden zu lernen. Die Bundesregierung muss in diesem Fall vermitteln und - in geeigneter Form - bei allen zukünftigen Bewerbungen umso mehr. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Arnold Vaatz das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Jochimsen, wie wir mit den Konsequenzen des noch ausstehenden Bautzen-Urteils umgehen, sollten wir nicht heute entscheiden, sondern dann, wenn das Urteil gesprochen ist. ({0}) Ich habe Ihrem Antrag entnommen, dass Sie die Einrichtung einer „moderierten Perspektivenwerkstatt“ fordern. Darauf möchte ich eingehen. Was das Verfahren angeht, ist festzuhalten, dass Ihr erster Antrag zur Waldschlösschenbrücke abgelehnt wurde. Jetzt haben Sie einfach einen nahezu gleich lautenden zweiten Antrag eingebracht. Sie können sich doch ausrechnen, dass auch dieser Antrag keine Mehrheit finden wird, wenn Sie keine inhaltlichen Änderungen vorgenommen haben. ({1}) Wer eine solche Auffassung von Seriosität hat, zeigt, dass er das Parlament offenbar genauso wenig ernst nimmt, wie Sie in Dresden den Bürgerwillen ernst nehmen wollen. ({2}) Sie versuchen offensichtlich, ein laufendes Gerichtsverfahren zu beeinflussen. In der Sache hat nicht der Deutsche Bundestag zu entscheiden, sondern - das wissen Sie auch - das Oberverwaltungsgericht Bautzen. Sie sollten aufhören, den Wählern Zuständigkeiten vorzutäuschen, die Sie nicht haben. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Katja Kipping zulassen, Herr Vaatz?

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. - Das vom Oberverwaltungsgericht Bautzen ermöglichte Mediationsverfahren ist gescheitert. Das war - darauf haben der Kollege Mücke und ich übrigens schon während der Anhörung im Kulturausschuss hingewiesen - auch nicht anders zu erwarten. Ich behaupte sogar, es war von Ihnen eingeplant. Genauso falsch ist die gelegentlich vorgetragene Behauptung, der Bau der Waldschlösschenbrücke bedeute einen Verstoß gegen das Völkerrecht. Was das Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt angeht, existiert kein Gesetz, das seine Transformation in deutsches Recht vorschreibt. Damit bindet es weder die Bundesrepublik Deutschland noch den Freistaat Sachsen und die Stadt Dresden. Es kann nicht einmal gegen einen Bürgerentscheid abgewogen werden. Ferner ist das UNESCO-Welterbekomitee nicht zu verbindlichen Entscheidungen gegenüber Vertragsstaaten oder einzelnen Kommunen berechtigt. Das ist die nüchterne Rechtslage. Wenn Sie das nicht glauben, dann bitte ich Sie, die Urteilsverkündung abzuwarten. Dann wissen Sie das auch. Dresden hat - das haben Sie bisher immer verschwiegen - den Antrag zur Aufnahme in die Weltkulturerbeliste mit einem gültigen Stadtratsbeschluss zum Bau der Brücke gestellt und den Zuschlag erhalten. ({0}) Die UNESCO kannte die Pläne zum Bau der Waldschlösschenbrücke bis ins Detail. ({1}) Drei Gutachter des von der UNESCO beauftragten Gremiums, von ICOMOS, haben sich vor Ort von dem Bauvorhaben informieren können. Diese Gutachter haben nicht einmal ansatzweise ein Problem darin gesehen, dass das Dresdener Elbtal auch mit der Waldschlösschenbrücke zum Welterbe erklärt wird. Sie haben keinen Bedarf für zusätzliche Prüfungen gesehen, sondern im Gegenteil die Einbettung der Brücke in die Landschaft mit der Feststellung gelobt, sie sei ausreichend schlank und niedrig, um eine massive Wirkung in der Landschaft zu vermeiden. Das war die Einschätzung der UNESCO-Gutachter. ({2}) Nun hat auf massiven Druck der im Plebiszit Unterlegenen die UNESCO-Führung in Berlin bei der Universität in Aachen ein Gefälligkeitsgutachten in Auftrag gegeben, das später acht Professoren der TU Dresden unter die Lupe genommen haben, die eine ganze Reihe von handwerklichen Fehlern bis hin zu fatalen Zeugnissen von Unkenntnis der Ortslage entdeckt haben. Dieses Gutachten der Universität Aachen ist die Grundlage für den Beschluss von Vilnius, Dresden auf die Rote Liste zu setzen. Ich sage Ihnen voraus: Wenn die UNESCO diese Praxis fortsetzt, dann verliert nicht die Stadt Dresden an Autorität, sondern das für uns sehr wichtige Gremium der UNESCO. ({3}) Der Brückenbau wurde in einem ordentlichen Bürgerentscheid mit Zweidrittelmehrheit beschlossen. Die Wahlbeteiligung bei diesem Plebiszit war höher als bei der vorangegangenen Kommunalwahl, Frau Jochimsen. Die klare Entscheidung für die Brücke ist nicht aus Lust an Eingriffen in das Stadtbild oder aus Zerstörungswut der Dresdner erfolgt, sondern deshalb, weil der Verzicht auf die Brücke verheerende verkehrliche, wirtschaftliche und stadtentwicklungsgefährdende Folgen hätte; das ist die Realität. ({4}) Alle diese Betrachtungen haben in Ihren Erwägungen bislang keine Rolle gespielt. ({5}) Nur der Vollständigkeit halber: Ohne diese Brücke verläuft die Verkehrsführung in der Stadt Dresden auf Jahre hinaus hufeisenförmig, weil die benachbarte Flussseite nur durch eine entfernte Brücke erreicht werden kann. Die zusätzlichen Verkehrswege, die zusätzliche Verschmutzung, die zusätzlichen Wartezeiten, den zusätzlichen Aufwand und die zusätzliche Entwertung von Grundstücken, alles das werden Sie verursachen, wenn Sie sich durchsetzen. ({6}) Wer von einem möglichen Kompromiss in dieser Frage redet, der spekuliert auf die Unkenntnis der Sachlage beim Publikum und hat die wahre Absicht, den Bau der Brücke zu vereiteln. Das Scheitern des Mediationsverfahrens bestätigt das. Jedes andere Verfahren, ob Sie es nun moderierte Perspektivenwerkstatt oder perspektivische Moderationswerkstatt - oder welche andere verbale Flucht in die Infantilität Ihnen auch immer einfällt nennen, ist nichts anderes als der Versuch, die Entscheidung so lange hinauszuzögern, bis die Bindekraft des Volksentscheides kraft Gesetzes erlischt. Das ist das eigentliche Ziel, das Sie verfolgen. ({7}) Die Bürger der Stadt Dresden erwarten aber von der Politik, dass ihnen erlaubt wird, das umzusetzen, was sie rechtens entschieden haben. Danach bemisst sich unter anderem ihr Vertrauen in die Demokratie, ({8}) nämlich danach, ob der Unterlegene in der Lage ist, eine Niederlage zu akzeptieren oder nicht. Das sind Sie nicht. Wie immer die Angelegenheit ausgeht, ich bin der festen Überzeugung, dass es Ihnen misslingen wird, politisches Kapital aus der möglichen Vereitlung der Brücke zu schlagen, und zwar aus folgenden Gründen: Erstens. Die Menschen werden über Jahre hin merken, was Sie ihnen eingebrockt haben. Zweitens. Die Stadt Dresden war 1945 ein Trümmerhaufen. Über 25 000 Tote wurden damals ({9}) - ich habe die Bitte, dass Sie das einmal zur Kenntnis nehmen ({10}) auf Eisenbahnschienen auf dem Altmarkt verbrannt. ({11}) - Lassen Sie mich doch bitte einmal ausreden! - Die Menschen waren mental und materiell so schwer getrof8416 fen, wie man es sich nicht schlimmer vorstellen kann. Nun haben die Dresdner die Zeit nach 1945 genutzt, um ihre Stadt wiederaufzubauen. Das ist eine einzigartige Leistung. Zu diesem Schluss kommt man, wenn man die Ausgangsposition betrachtet, an deren Beschreibung Sie mich hindern wollten. ({12}) Diese Leistung, auf die die Dresdner berechtigterweise stolz sind, zumal seit die Frauenkirche wieder steht, ist nahezu einzigartig in der Welt; denn das Ganze wurde nicht ausschließlich öffentlich finanziert, sondern zum Teil privat, falls Ihnen das entgangen sein sollte. Ich glaube nicht, dass die Dresdner, die das alles ohne die Fürsorge, das Geld und die Ratschläge der UNESCO geschafft haben, es akzeptieren werden, dass die UNESCO - so scheint es -, nachdem alles fertig ist, sich quasi in das gemachte Nest setzt und beginnt, die Bürger vor sich selber zu schützen. Das werden die Dresdner niemals akzeptieren. ({13}) Ich sage Ihnen: Auch etliche Personen von der Minderheit, an die Sie appellieren, denken in dieser Frage genauso. Bedenken Sie, was Sie anrichten, wenn Sie weiter in dieser Art argumentieren. Vielen Dank. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich gebe jetzt Katja Kipping das Wort zu einer Kurzintervention.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Vaatz, es geht heute nicht um die verkehrliche Wirkung der Brücke, wobei ich glaube, dass Sie einem fatalen Irrtum unterliegen; denn die Brücke wird die Stadt nicht entlasten, sondern vor allem Durchgangsverkehr nach Dresden bringen. Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil Sie der Linken unterstellt haben, sie missachte den Bürgerwillen. Diese perfide Unterstellung darf nicht unwidersprochen bleiben. ({0}) Die Linke hat - das wissen Sie sehr genau - nach dem Bürgerentscheid gesagt, sie habe bis zuletzt für ein anderes Votum gekämpft, aber jetzt akzeptiere sie diesen Bürgerentscheid. ({1}) Wir müssen jedoch auch zur Kenntnis nehmen, Herr Vaatz, dass inzwischen ein neuer Tatbestand eingetreten ist. Eine Vielzahl von Leuten, die beim Bürgerentscheid für die Brücke gestimmt haben, hat gesagt, dass sie die Brücke nicht zu dem Preis wollten, dass das Dresdner Elbtal den Titel „Weltkulturerbe“ verliert. Weil Sie, Herr Vaatz, sich so abfällig über die Anträge der Linken geäußert haben, ({2}) will ich darauf hinweisen, dass wir die Ersten waren, die die bundespolitische Bedeutung dieses Themas erkannt und den Brückenbau thematisiert haben. Wenn es nach der CDU gegangen wäre, dann hätte sich die Bundespolitik nicht damit beschäftigt, es hätte keinerlei Moderation gegeben, und Sie hätten leichtfertig den Titel „Weltkulturerbe“ für Dresden aufs Spiel gesetzt, was für eine Stadt wie Dresden, die sehr stark auf Tourismus angewiesen ist, auch wirtschaftspolitisch ein extremes Problem darstellt. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Vaatz.

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Kipping, dass bei Ihnen die politische Ankündigung mit dem Handeln oder auch Wort und Tat nicht übereinstimmen, haben Sie nicht erst bei dieser Gelegenheit bewiesen. ({0}) Wenn Sie im Stadtrat so reden und politisch anders handeln, dann spricht das nicht unbedingt dafür, dass Sie tatsächlich bereit sind, demokratische Entscheidungen zu akzeptieren. Was Sie zu der Verkehrsführung gesagt haben, halte ich für kompletten Unsinn, wenn ich das einmal so sagen darf. Das sieht im Übrigen jeder, der den Stadtplan betrachtet. Was Sie weiterhin über die Notwendigkeit des Titels „Weltkulturerbe“ gesagt haben, bestreiten die Tourismusverbände kategorisch. Sie sind an einem Verkehrsfluss in dieser Region von Dresden weitaus interessierter als an dem Titel „Weltkulturerbe“. Sie hatten noch etwas über die Zustimmung der Bevölkerung gesagt. Da verweise ich Sie auf die „DNN“ von voriger Woche. Dort wird genau das Gegenteil von dem belegt, was Sie gerade behauptet haben. Im Übrigen zählt ein gültiger Volksentscheid. Es zählt niemals irgendeine Umfrage, wie immer sie ausfällt. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt gebe ich das Wort Jan Mücke für die FDP. ({0})

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte am Anfang mit einem Irrtum aufräumen, dem die Kollegin Kipping hier erlegen ist. Sie ist davon ausgegangen, dass die Dresdnerinnen und Dresdner beim Bürgerentscheid nicht darüber informiert geJan Mücke wesen sind, dass es sich beim Dresdner Elbtal um ein Weltkulturerbe handeln würde. ({0}) Das ist falsch. Der Bürgerentscheid zur Waldschlösschenbrücke - das muss man hier noch einmal sagen - ist ein Musterbeispiel für direkte Demokratie und dafür, wie demokratische Prozesse richtig durchgeführt werden. ({1}) Es hat zu diesem Bürgerentscheid ein Abstimmungsbuch gegeben, welches jeder Dresdner Haushalt in den Briefkasten bekommen hat. Auf acht Seiten konnten sowohl die Gegner als auch die Befürworter der Waldschlösschenbrücke ihre Position deutlich machen. Ich darf Ihnen mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren, was die Gegner der Waldschlösschenbrücke auf Seite 1 dieses Buches geschrieben haben: Liebe Dresdnerinnen und Dresdner! … Sie haben die Möglichkeit zu entscheiden: … Vor allem aber werden Sie bestimmen, wie mit der einzigartigen Elbtallandschaft, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, umgegangen wird. ({2}) Wir - die Gegner meinen: Diese Brücke ist zu teuer. Sie löst die Verkehrsprobleme nicht. Sie schädigt die einmalige Elblandschaft. Das haben die Gegner der Waldschlösschenbrücke in diesem Abstimmungsbuch geschrieben. In Kenntnis dieser Behauptung, die sie in diesem Abstimmungsbuch aufgestellt haben, in Kenntnis der Tatsache, dass es sich um etwas handelt, was zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, haben sich die Dresdnerinnen und Dresdner zu 68 Prozent für die Bau der Waldschlösschenbrücke entschieden, und in einer Demokratie hat zu gelten, was die Mehrheit des Volkes will. ({3}) - Ich weiß, dass Sie das alles sehr aufregt. Ich weiß auch, dass die Linke mit Instrumenten direkter Demokratie immer dann kommt, wenn Sonntagsreden gehalten werden müssen, ({4}) aber nicht dann, wenn es um die tatsächliche Umsetzung von direkter Demokratie geht. ({5}) Ich kann Ihnen nur sagen, dass die Dresdner ihre Meinung nicht geändert haben. Auch die veränderte Medienlandschaft hat daran nichts geändert. Die in der „DNN“ vom 22. Februar abgedruckte Umfrage zeigt ganz eindeutig, ({6}) dass für den Bau der Waldschlösschenbrücke 58 Prozent sind - auch wenn es die Zugehörigkeit zum UNESCOWeltkulturerbe kosten würde - und dass 25 Prozent dagegen sind. Ich kann Ihnen diese Umfrage gern zur Verfügung stellen. ({7}) Sie stammt vom Institut für Kommunikationswissenschaften der Technischen Universität Dresden. Es ist also kein Gefälligkeitsgutachten. Dass Sie mit direkter Demokratie ein Problem haben, haben wir schon mehrfach beobachten können. Es ist bedauerlich, dass Sie den demokratischen Willen der Dresdner mit Füßen treten. Das ist die Wahrheit. ({8}) Mit Füßen getreten haben die Demokratie allerdings auch die Mediatoren. ({9}) Das muss man kritisch anmerken. Dieses Mediationsverfahren hat nicht dazu geführt, dass verschiedene Positionen zusammengeführt werden. ({10}) Im Gegenteil: Die Mediatoren haben auf einer Maximalposition beharrt, indem sie gesagt haben: Waldschlösschenbrücke - auf gar keinen Fall. Auf diese Weise kann man Mediation nicht betreiben. ({11}) - Ja, Sie sind ja auch nicht für alles verantwortlich. Aber ich bin mir ziemlich sicher: Wenn Sie die Mediatoren gestellt hätten, dann wäre das Ergebnis ähnlich katastrophal ausgefallen. ({12}) Mir ist völlig unverständlich, warum die Mediatoren einen bestimmten Weg nicht gegangen sind, den ich eigentlich für einen akzeptablen Kompromiss gehalten habe. Es ist ja ganz häufig so, dass Verkehrsprojekte Probleme in landschaftlicher oder in anderer Hinsicht her8418 vorrufen. Daher haben wir, der Gesetzgeber, die Möglichkeit geschaffen, Ausgleichsmaßnahmen vorzusehen. Ich verstehe nicht, warum die Mediatoren diese Chance nicht genutzt haben. So hätte die Wertschätzung für dieses Weltkulturerbe, die selbstverständlich vorhanden ist, zum Ausdruck gebracht werden können. Ich will Ihnen zwei konkrete Beispiele nennen. Es gibt im Gebiet dieses Weltkulturerbes zwei Schlösser, die dringend sanierungsbedürftig sind: Das eine ist die Villa Stockhausen, und das zweite ist das Schloss Übigau. Beide Häuser sind ruinös; beide müssen saniert werden. Die Sanierung beider Villen mit öffentlichen Mitteln wäre ein idealer Anlass gewesen, um auch der UNESCO zu zeigen: Wir nehmen diesen Titel ernst; aber wir können am Bürgervotum nicht vorbei. Wir werden und wir wollen diese Brücke bauen; aber wir werden an anderer Stelle einen Ausgleich für diesen Eingriff in das Weltkulturerbe schaffen. - Das wäre aus meiner Sicht und aus der Sicht der FDP-Fraktion ein akzeptabler Kompromiss gewesen. Stattdessen haben die Mediatoren auf Maximalpositionen beharrt, und wer auf Maximalpositionen beharrt, der wird am Ende eine Entscheidung vor Gericht nicht vermeiden können. Wir werden sehen, wie das Oberverwaltungsgericht in der nächsten Woche entscheiden wird. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die dritte Gewalt des Staates den Willen des Volkes akzeptiert. Vielen Dank. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Mücke, möchten Sie eine Nachfrage der Kollegin Kurth zulassen, die eigentlich eine Zwischenfrage sein sollte?

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Mücke, Sie haben eben als Vorschlag für die Mediatorengruppe angegeben: Es hätten Ausgleichsmaßnahmen geprüft werden sollen. - Ich frage Sie, ob Ihnen bewusst ist, dass es hier nicht um eine Pflichtaufgabe geht, die die Sanierung denkmalgeschützter Gebäude, zum Beispiel Schlösser, betrifft - das wäre überhaupt nicht in Erwägung zu ziehen gewesen -, sondern darum, dass hier das Gesamtbild des Welterbes zerstört würde. Es ist völlig unerheblich, was da saniert ist oder nicht saniert ist. Ich frage Sie also: Ist Ihnen bewusst, dass Ausgleichsmaßnahmen zum Erhalt eines Gesamtbildes, das geschützt ist, nicht tauglich sind? ({0})

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das sehe ich, mit Verlaub, anders. Auch die Mediatoren haben sich bemüht, einen Kompromiss zu finden. Wir müssen einen Kompromiss finden, der wirklich beides vereint, der auf der einen Seite den Willen der Bürger umsetzt, die Brücke zu bauen, und auf der anderen Seite - ({0}) - Ich habe Ihnen lange zugehört, Frau Jochimsen. Ich weiß, dass Ihnen das schwerfällt, ({1}) weil es für Sie unangenehm ist, dass Sie den Bürgerwillen mit Füßen treten. Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie mich trotzdem einfach ausreden lassen würden. ({2}) Es ging in dieser Frage darum, einen Kompromiss zu finden. Dabei sind die Mediatoren gnadenlos gescheitert. Wichtig wäre es gewesen, diesen Ausgleich zu finden. Das ist leider gescheitert. Man muss eines sehen - das möchte noch kurz ergänzen -: Die UNESCO-Welterbekonvention hat einen ganz entscheidenden Fehler: Sie sieht für den Konfliktfall keinerlei Regelungen vor. Da ist die Bundesregierung gefordert, international aktiv zu werden mit dem Ziel, dass es dafür künftig Regeln gibt: ({3}) Wie findet eine Mediation statt? Sind alle Entscheidungen des Welterbekomitees eigentlich sakrosankt, oder müssen diese nicht möglicherweise auch überprüft werden können? ({4}) Das alles sind Fragen, die geklärt werden müssen. Solange dies nicht geschehen ist, ist für uns als FDP-Fraktion die Entscheidung ganz klar: Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Wolfgang Thierse für die SPD-Fraktion.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine kleine Bemerkung vorweg, Kollege Vaatz: Wir sollten der UNESCO nicht drohen, wie Sie das hier gemacht haben. ({0}) Zweitens. Ich finde es unangemessen, dass man das Leid der Dresdener von 1945 für eine Entscheidung instrumentalisiert, über die man streiten kann. Das finde ich hochproblematisch. ({1}) Im Übrigen: Es geht auch nicht so sehr um eine juristische Frage; dann wäre es relativ einfach. Es geht uns auch nicht darum, Kollege Vaatz, uns einen parteipolitischen Vorteil zu verschaffen, sondern es geht um einen beunruhigenden Konflikt. Die geplante Waldschlösschenbrücke durchschneidet und zerstört das unter dem besonderen Schutz des UNESCO-Titels „Weltkulturerbe“ stehende wunderschöne Elbtal. ({2}) - Moment einmal! Ich beschreibe doch nur den Konflikt. - Es geht um einen Konflikt einerseits zwischen einer Stadtverwaltung und vor allem einem Regierungspräsidium, die sich immerhin auf einen Bürgerentscheid berufen können - das ist gewiss von außerordentlichem Gewicht; selbstverständlich -, und andererseits dem Kulturstaat Bundesrepublik Deutschland, der als Vertragsstaat der UNESCO bestimmte Verpflichtungen eingegangen ist. ({3}) Dieser Konflikt ist nicht allein eine städtische Angelegenheit. Deswegen ist es legitim, dass wir hier darüber reden. Es ist ein Konflikt, bei dem es durchaus um eine Frage von nationaler Tragweite geht. Dieser Konflikt ist nicht mit bornierter Sturheit zu lösen. ({4}) Das Oberverwaltungsgericht hat das gerichtliche Verfahren ausgesetzt und einen Mediationsversuch vorgeschlagen, genau deshalb, weil, wie die sehr weise Begründung lautet - ich zitiere -, keine der streitenden Parteien durch eine gerichtliche Entscheidung zwischen Bürgerentscheid einerseits und völkerrechtlichem Abkommen andererseits letztlich gewinnen und ein Urteil keine befriedende Wirkung haben wird. - Wahrlich eine weise Beurteilung. ({5}) Blicken wir nach Köln! Dort existierte ein ähnlicher Konflikt. Es gab ein Mediationsverfahren. Die Stadtverwaltung und der Bürgermeister haben sich zu einem Kompromiss bereitgefunden. An dieser Stelle, Herr Kollege Mücke, eine kleine Bemerkung zum Stichwort „Ausgleichsmaßnahme“. ({6}) Wie fänden Sie das: Man baut eine Brücke, die den Blick auf den Kölner Dom verstellt, und an anderer Stelle wird ein barockes Schlösschen saniert. Das ist doch wohl kein sinnvoller Vorschlag. Ich glaube, Ausgleichsmaßnahmen dieser Art sind nicht sinnvoll. ({7}) Dieses Mediationsverfahren hat stattgefunden, die Stadtverwaltung Dresden und das Regierungspräsidium Sachsen haben sich aber, wie ich höre, nicht konstruktiv an diesem Vermittlungsversuch beteiligt ({8}) Im Gegenteil: Sie haben sich eher obstruktiv verhalten. Das nenne ich durchaus skandalös. ({9}) Im schriftlich niedergelegten Ergebnis zum Mediationsverfahren wird einheitlich festgestellt - ich zitiere -: Die geplante Waldschlösschenbrücke respektiert die gewachsene Kulturlandschaft nicht. ... Die derzeitige Planung für die Waldschlösschenbrücke ist nicht durch Detailmaßnahmen verbesserbar. ({10}) - Ja, das ist Ihre Meinung. ({11}) Die Sachverständigen, die immerhin neutral sind, schlagen deshalb eine moderierte Perspektivenwerkstatt unter Beteiligung der Politik, der Verwaltung, von Vertretern der Stadtgemeinschaft, von Fachwissenschaftlern und der UNESCO vor, um in diesem Verfahren verbindliche Grundlagen und Rahmenbedingungen für eine neue Planung festzulegen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Thierse.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir unterstützen diesen Vorschlag aus einem einfachen Grund ausdrücklich.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Thierse, ohne Ihren Redefluss unterbrechen zu wollen: Der Kollege Börnsen würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wollen Sie noch?

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, meine Frage bezieht sich auf einen Sachverhalt, der angesprochen wurde, als alle drei Personen im Präsidium ihre Köpfe noch gesenkt hatten und schwer beschäftigt waren. Ich möchte den Kollegen Wolfgang Thierse Folgendes fragen: Es ist klar, dass uns bei einer solchen Thematik das Herz überläuft; das gilt für alle Beteiligten. Herr Kollege, Sie sprachen aber von „bornierter Sturheit“ der Befürworter der Brücke. ({0}) Gleichzeitig wissen Sie, dass sich 68 Prozent der Dresdner für die Brücke ausgesprochen haben. Wen meinen Sie? Ich glaube, Sie selbst haben ein Interesse daran, dass in der politischen Kultur auch wirklich Ross und Reiter genannt werden, weil das im Umgang miteinander fairer ist.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Börnsen, erstens halte ich im Vergleich zum Kollegen Vaatz eine vergleichsweise sachliche Rede. ({0}) Ich könnte auch polemischer sein. ({1}) Zweitens habe ich ziemlich genau gesagt, dass bornierte Sturheit nicht hilft. ({2}) - Herr Kollege Vaatz, wie Sie bemerkt haben, habe ich Ihnen absolut ruhig zugehört. Könnten Sie die parlamentarische Leistung aufbringen, auch mir ruhig zuzuhören? ({3}) Ich habe von „bornierter Sturheit“ gesprochen und meinte, dass man einen Konflikt nicht dadurch löst, dass man mit dem Kopf durch die Wand geht, egal, welche Seite dies tut. Ich habe keine einseitige Schuldzuweisung vorgenommen. ({4}) Ich habe ausdrücklich gesagt, dass der Bürgerentscheid von außerordentlichem Gewicht ist; selbstverständlich. Jetzt geht es aber darum, einen drohenden Verlust des Welterbestatus zu verhindern. Das würde weltweit erstmalig geschehen und der internationalen Glaubwürdigkeit Deutschlands im Bereich des Denkmalschutzes und im Hinblick auf seine Vertragstreue schaden. Darum geht es. Das ist das andere gewichtige Gut. Zwischen dem Anspruch einer Mehrheit der Bürger, die über den Bürgerentscheid abgestimmt haben, und des Regierungspräsidiums auf der einen Seite sowie des Kulturstaates Deutschland, der Vertragspartner ist, auf der anderen Seite gibt es einen wirklichen Konflikt. Deswegen begrüßen wir ja diesen Vermittlungsversuch, damit wir aus diesem Dilemma einer Nichtentscheidung herauskommen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube - wenn ich es richtig sehe und richtig gehört habe -, dass die Stadt Dresden zu Kompromissen bereit ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, es gibt zwei Meldungen zu Zwischenfragen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Problem sind aber das Regierungspräsidium und das Land Sachsen - im Grunde die sächsische CDU sowie, wenn Sie so wollen, auch ein paar FDP-Politiker. ({0}) Es ist also nicht so, dass die Bundesregierung den Konflikt lösen kann. Es wäre aber schon ganz sinnvoll -

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, es gibt noch zwei Wünsche, eine Zwischenfrage zu stellen, nämlich einmal vom Kollegen Beck und einmal vom Kollegen Mücke. Möchten Sie beide noch zulassen?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn sie meine Redezeit verlängern wollen, bitte.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wegen Ihres Weges nach der Rede und damit Sie nicht den falschen Bogen machen, kündige ich Ihnen jetzt gleichzeitig aus gegebenem Anlass noch an, dass es auch noch den Wunsch von Herrn Vaatz gibt, das Wort zu einer Kurzintervention zu erhalten. - Jetzt ist der Kollege Beck an der Reihe.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Thierse, Sie haben gerade betont, dass Sie uns Ihre Rede hier sachlich vortragen. Ich kenne ja Ihre sachliche Argumentation; wir haben sie gerade gehört. Zur Belebung der parlamentarischen Demokratie - das ist Gegenstand des nächsten Tagesordnungspunktes - würde ich, wenn Sie gestatten, jetzt gerne auch noch die polemische Version von Ihnen hören. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich werde mich zurückhalten. - Ich habe eine klare Meinung. Ich kenne Dresden ganz gut und bin sehr oft dort. Ich glaube, dass die Brücke, wie sie jetzt an dieser Stelle und in diesen Ausmaßen geplant ist, das Obere Elbtal zerstört. ({0}) Ich glaube, dass es deshalb vernünftig ist, zu versuchen, eine andere Verkehrslösung mit einer kleineren, einer schmaleren Brücke an einer anderen Stelle zu finden. Es gibt dazu sehr seriöse Vorschläge. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Mücke, bitte schön.

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Thierse, Sie hatten eben vorgeschlagen, an einer anderen Stelle eine kleinere und besser in die Landschaft passende Brücke zu bauen. Wenige Sätze zuvor haben Sie gesagt, dass Sie den Bürgerentscheid selbstverständlich ernst nehmen und das Votum berücksichtigen wollen. Können Sie mir bitte erklären, wie diese beiden Aussagen zusammenpassen? Die Frage des Bürgerentscheids lautete - um es noch einmal zu referieren -: Sind Sie für den Bau der Waldschlösschenbrücke? Daneben gab es eine Zeichnung, auf der die Lage der Brücke exakt eingezeichnet war. Sehen Sie einen Widerspruch zwischen diesen beiden Aussagen? Wenn Sie keinen Widerspruch darin sehen, können Sie mir dann bitte sagen, wie Sie das Votum der Dresdener Bürger für den Bau der Waldschlösschenbrücke mit dem Bau an einer anderen Stelle vereinigen wollen?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Mücke, die ständige Berufung auf diesen Bürgerentscheid und die Forderung, auf keinen Fall etwas anderes zu tun, als dieser vorgibt, ist keine Lösung eines Konflikts. Jedenfalls ist das kein Kompromiss. Das ist eine Lösung, die zulasten des Kulturstaates Bundesrepublik Deutschland als Vertragspartner der UNESCO geht. Ich sage: Wir haben - möglicherweise gerade als Nichtdresdener - die Pflicht, eine dritte Lösung zu finden, die zwischen der einen und der anderen Variante liegt. Es braucht eine Lösung, die den Interessen der Dresdener und der Lösung der Verkehrsprobleme dienen kann, die jedoch auch berücksichtigt, dass wir vielleicht auch weiterhin Anträge auf Verleihung dieses Kulturerbetitels stellen wollen. Aus Sachsen sind mehrere solcher Anträge unterwegs. Wenn ein solcher Weltkulturerbetitel zum ersten Mal in der Geschichte der UNESCO aberkannt würde, dann wäre das ein schwerer Schaden für den Kulturstaat Deutschland und auch für das Kulturland Sachsen. Darum geht es mir, und dafür müssen wir eine Lösung finden. ({0}) Es geht darum, Schaden abzuwenden. ({1}) Es geht nicht darum, stur auf einer Lösung zu beharren, die Sie vertreten. Das ist meine Position. Ich bin sehr dafür, und ich fordere die Parteivorsitzende der CDU, Frau Merkel, oder den sich in Dresden sehr gut auskennenden Kanzleramtsminister de Maizière auf, in diesem Sinne zu wirken; denn sie könnten hier einwirken. Das Ganze ist nicht so sehr eine Sache der Bundesregierung. Sie könnten aber auf die sächsische Landesregierung oder das Regierungspräsidium einwirken, um doch noch eine andere Lösung zu ermöglichen, die beide Interessen berücksichtigt. Das halte ich für vernünftig! ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich gebe das Wort dem Kollegen Vaatz zu einer Kurzintervention.

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Thierse, ich will Ihrem Eigenlob bezüglich der Sachlichkeit Ihrer Rede nicht unbedingt widersprechen. ({0}) Zumindest eines will ich aber richtigstellen: Ich meine, man müsste zwischen Kritik und Drohung differenzieren können. Wenn ich eine Entscheidung der UNESCO kritisiere und nach Möglichkeiten frage, wie man sich als betroffener Bürger gegen eine solche wenden kann, wenn man sie nicht für sachgerecht hält, dann halte ich das für eine demokratische, akzeptable und notwendige Haltung. Im Unterschied dazu ist das, was Sie sagen, eine Drohung. Ich weiß nicht, an welcher Stelle Sie von mir eine Drohung gegenüber der UNESCO gehört haben wollen. ({1}) - Bitte schön, ich bin von Herrn Thierse angegriffen worden. Mir ist das unterstellt worden, also darf ich das zurückwerfen. ({2}) Herr Thierse, ich verwahre mich gegen die Unterstellung, ich hätte die Opfer von 1945 für die Waldschlösschenbrücke instrumentalisiert. ({3}) - Darf ich das bitte richtig stellen? - Ich habe lediglich feststellen wollen, dass es den Bürgern der Stadt Dresden - vom Ausgangspunkt 1945 gedacht - viel schwerer gefallen ist als den Bürgern mancher anderer Städte, dieses Stadtbild wieder herzustellen. Das habe ich erwähnen wollen, und das wird man wohl noch dürfen. ({4}) Herr Kollege Thierse, Sie haben uns der Parteipolitik bezichtigt. Die Gleichsetzung von Regierungspräsidium und CDU kam doch wohl von Ihnen. Habe ich mich da verhört, oder war das so? ({5}) Als Nächstes sage ich Ihnen: Ich verstehe nicht, wie Sie das Eintreten für die Umsetzung eines Mehrheitswillens als borniert bezeichnen können. Ich verstehe auch nicht, wie Sie sich außerdem in primitive Beschimpfungen flüchten können, ({6}) indem Sie das Regierungspräsidium in Dresden mit Vokabeln bedenken, die Ihrer nicht würdig sind. ({7}) Zum Schluss frage ich Sie, was Sie eigentlich unter „einwirken“ verstehen. Ich verstehe nicht, auf wen Sie in Dresden einwirken wollen. Sie müssen doch die Frage beantworten, ob die Bundesregierung das Recht hat, einen Bürgerentscheid in Dresden zu kippen, der demokratisch zustande gekommen ist. Sie müssen schon die Frage beantworten, ob Sie das tun wollen oder nicht. Ich möchte noch eines hinzufügen: Ihre Vorstellung von Kompromissen entbehrt jeder sachlichen Grundlage. -

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Kurzinterventionen sind zeitlich begrenzt. - Bevor Herr Thierse antworten kann, habe ich noch eine Kurzintervention des Kollegen Koppelin zu seinem Beitrag in der Hoffnung, dass es sich nicht um ein Vorziehen der nächsten Debatte handelt. Bitte schön, Herr Koppelin. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Thierse, ich war echt gespannt auf Ihren Beitrag, weil ich auch ein bisschen gehofft hatte, dass Sie versöhnliche Töne anklingen lassen und vielleicht die beiden Gegensätze zueinanderführen würden. Ich muss aber sagen, dass ich in Ihrem Redebeitrag weder eine Lösungsmöglichkeit gesehen habe - Sie haben keine angeboten - noch eine Meinung habe erkennen können. Deswegen tut mir Ihre Rede sehr leid. Sie sollten sie einfach noch einmal nachlesen. Bei einem so wichtigen Punkt sollte man hier nicht als Schulmeister auftreten, den anderen Noten geben und sich selber auf einen hohen Sockel stellen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Thierse, bitte schön.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Koppelin, dass Ihnen meine Rede leidtut, kann ich nicht verhindern; sie ist gehalten. ({0}) Herr Kollege Vaatz, ich will Ihnen nur noch einmal eine einzige Frage stellen: Warum ist in Dresden nicht möglich, was in Köln möglich war? ({1}) Auch in Köln ging es um die Gefährdung des Titels „Weltkulturerbe“. Es ging um eine entschlossene und auch wütende Bürgerschaft. Dann haben Bürgermeister, Stadtverwaltung, wahrscheinlich auch Regierungspräsidium, die beteiligten Parteien und vor allem das Land gesagt: ({2}) Wir müssen sehen, wie wir eine vernünftige Lösung zustande bringen, die diesen Status nicht gefährdet und Deutschland als Vertragspartner nicht schädigt. Warum soll dasselbe nicht auch in Dresden möglich sein, indem man zum Beispiel weiter miteinander redet, um eine Lösung zu finden? Es geht um Standort, Art und Größe der Brücke. Hier liegen die Kompromissmöglichkeiten. Wo sonst? Sie lehnen einen Kompromiss ab. Das haben Sie deutlich gesagt. ({3}) Ich halte das für falsch, weil es uns in Deutschland insgesamt als Kulturstaat schadet. Das ist die Meinungsdifferenz zwischen uns beiden. Daran ist nichts zu beschönigen oder zu entschuldigen. ({4}) ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegin Göring-Eckardt, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich will nur sagen, dass es ausdrücklich nicht darum geht, Dynamik aus der Debatte zu nehmen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben auch im Kulturausschuss schon über dieses Thema debattiert. Es ist schade, dass aus einigen Fraktionen die Mitglieder des Kulturausschusses heute nicht reden und dass auch der Vorsitzende nicht hier sein kann. Bei jener Debatte waren wir uns der großen Bedeutung des kulturellen Erbes sehr bewusst. Darüber müssen wir in dieser kulturpolitischen Debatte auch noch einmal intensiv reden, unabhängig von Auseinandersetzungen auf kommunaler Ebene. ({0}) Bei jener Debatte ging es sehr stark darum, dass der Schutz des kulturellen Erbes - das ist ja weit mehr als die Frage, ob eine Brücke gebaut wird oder nicht - Vorrang vor angeblichen Sachzwängen haben soll, im Fall der Dresdner Waldschlösschenbrücke eben auch vor den Lobbyinteressen der Autoindustrie. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte im Übrigen dem Vorsitzenden des Kulturausschusses ausdrücklich dafür danken, dass er sich gegen den heftigen Widerstand von Teilen seiner eigenen Fraktion für eine konstruktive Moderation durch den Bund im Streit um die Waldschlösschenbrücke eingesetzt hat. ({1}) Ich habe gehört, dass die FDP die Frage der Kultur zu einem ganz besonderen Schwerpunkt ihrer Politik machen will. Ich finde es vor diesem Hintergrund schade, dass hier nun in ganz anderer Art und Weise debattiert wurde, nämlich mehr über juristische Fragen und weniger über die kulturellen Fragen, die hiermit zusammenhängen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Börnsen?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr gerne.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Göring-Eckardt, wir alle haben Verständnis für Ihre kulturpolitische Argumentation. In Ihren Ausführungen ging es ja auch um den Gesichtspunkt, was der Kulturlandschaft Deutschland nützt oder schadet. Finden Sie es da nicht ein wenig deplatziert - ich halte das sogar für höchst problematisch -, dass Sie in einer Nebenbemerkung sagten, es gehe dabei auch um die Lobbyinteressen der Autoindustrie? Sie unterstellen damit den 68 Prozent der Bürger, die, wohlwissend, was das bedeutet, für die Brücke votierten und damit ihren Willen darüber zum Ausdruck gebracht haben, was in Zukunft für Dresden gut und richtig ist, sie seien nichts anderes als die Speerspitze der Autolobbyisten. Hierbei handelte es sich um gutwillige Frauen und Männer, die, wohlwissend um die Problematik, ihre Stimme abgegeben haben. Was ist uns denn der Wille der Bürger überhaupt noch wert, wenn wir deren eigene mündige Entscheidung nicht akzeptieren? ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zunächst einmal ist festzuhalten, Herr Börnsen: Die Frage, um welche Lobbyinteressen es geht, ist ja in Dresden sehr ausführlich diskutiert worden. Dabei ging es auch um die angesprochene Lobby. Ich finde, man kann das an dieser Stelle auch einmal sagen. Nichtsdestoweniger hat die Stadtratsfraktion der Grünen, ähnlich wie die der Linken, unmittelbar nach der Abstimmung - das kann man nachlesen - im Stadtrat gesagt: Wir waren zwar gegen die Brücke, aber wir respektieren den Bürgerentscheid. Ich selbst war zusammen mit anderen Mitgliedern des Kulturausschusses in Dresden und habe dort mit Gegnern und Befürwortern ein sehr engagiertes Gespräch geführt. Ich selbst habe dort sehr deutlich gesagt, dass der Wille der Bevölkerung, der im Bürgerentscheid zum Ausdruck kommt, respektiert werden muss. Ich werde darauf nachher noch einmal zurückkommen. ({0}) - Das ist nicht unwahr, sondern das habe ich dort gesagt, Herr Vaatz. Kommen Sie einmal wieder herunter. - Ich habe sehr deutlich gemacht, dass dieser Wille respektiert werden muss, aber zugleich bin ich überzeugt - da bin ich ganz anderer Meinung als Herr Mücke -, dass die Bürgerinnen und Bürger damals beim Bürgerentscheid nicht gewusst haben, was passieren würde, wenn diese Brücke tatsächlich gebaut würde. Das haben sie nicht gewusst. ({1}) Da Sie, Herr Mücke, das Abstimmungsbuch an dieser Stelle noch einmal hochhalten, muss deutlich gesagt werden: In der Auseinandersetzung um die Frage, ob die Brücke gebaut werden kann oder nicht, ging es nicht darum, wie es sich mit dem UNESCO-Titel mit Brücke oder ohne Brücke verhält. Aus diesem Grunde sage ich Ihnen ganz klar: Diejenigen, die jetzt fordern, den Bürgerentscheid ernst zu nehmen, sollten auch zur Kenntnis nehmen, dass die Entwicklung weitergegangen ist und die UNESCO erst nach dem Bürgerentscheid gesagt hat, wenn die Brücke gebaut würde, dann müsste der Kulturerbetitel aberkannt werden. Diejenigen, die nun so viel Wert auf die Bürgermeinung legen, frage ich: Warum wird kein Bürgerentscheid auf der neuen Grundlage durchgeführt? ({2}) Die dann zum Ausdruck gebrachte Meinung der Bürgerinnen und Bürger würden wir alle ernst nehmen. Warum debattieren wir heute eigentlich darüber? Aus dem einzigen Grund, dass hier ein Präzedenzfall geschaffen werden könnte, der weit über Dresden hinaus wichtig und entscheidend ist. Unabhängig davon sollten sich diejenigen, die heute darüber lieber nicht gesprochen hätten, wenigstens darüber freuen, dass hier ein wenig Werbung für Dresden als Kulturerbestadt gemacht wurde, was sie hoffentlich auch bleiben wird. Es geht nicht einfach nur darum, ob eine Brücke gebaut werden soll oder nicht, sondern es geht um die Frage, wie wir als Gesellschaft zu unserem kulturellen Erbe stehen. Das ist nicht irgendetwas. Wie viel Verantwortung übernehmen wir da, und wie fahrlässig hätten wir gehandelt, wenn dieser Titel aberkannt würde? ({3}) Viele Umfragen, auch Wirtschaftsumfragen und Tourismusumfragen, bringen zum Ausdruck, dass die Anerkennung des Titels „Weltkulturerbe“ vielleicht gar nicht so eine große Wirkung habe; es sei nicht mehr als ein schöner Titel, den man an der Autobahn auf ein Schild aufbringen könne. Ich persönlich sehe das nicht so; aber ich weiß, dass es solche Analysen gibt. Wenn man die gleichen Leute aber fragt, was die Aberkennung des Titels „Weltkulturerbe“ bedeutet, ({4}) dann wird deutlich, dass das eine völlig andere Qualität hat. Dann ist von der Tourismuswirtschaft, von Ansiedlungspolitik in Dresden die Rede. Wenn man mit Unternehmerinnen und Unternehmern spricht, die sich irgendwo ansiedeln wollen, gerade im Osten Deutschlands, dann spielen die weichen Standortfaktoren eine ganz entscheidende Rolle. Wie wollen Sie denen erklären, dass Dresden leider nicht mehr Weltkulturerbe ist, sondern dass dieser Titel wegen einer Brücke aberkannt worden ist? Ich glaube, da hören Sie deutschlandweit und auch international: Das ist verrückt. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin fest davon überzeugt, dass man bei der Diskussion, die jetzt in Dresden und auch hier bei uns stattfindet - da bin ich ganz der Meinung meines Vorredners -, nicht einfach sagen kann, man wolle bei seiner Meinung bleiben. Herr Mücke, das finde ich so dramatisch an Ihrer Aussage über den Prozess, der stattgefunden hat. Sie sagen, da sei kein Kompromiss gefunden worden. Herr Mücke, haben Sie denn irgendeinen Kompromiss vorgeschlagen? ({6}) Ist es wirklich ein Kompromiss, die Restaurierung des Schlosses als Ausgleichsmaßnahme anzubieten? Was hat das mit dem Gesamtbild zu tun? ({7}) Was hat das mit tatsächlicher Kompromissfindung zu tun, die über die Verkehrsfrage auf der einen Seite und die Frage des Weltkulturerbes auf der anderen Seite erfolgen muss? Man muss doch genau diese beiden Dinge zusammenbringen und darf nicht irgendetwas anderes ins Spiel bringen, bei dem es schön wäre, wenn es restauriert würde. ({8}) Wenn man diese beiden Dinge zusammenbringen will, dann muss man über Verkehrspolitik und über andere Möglichkeiten reden. In Bezug darauf gibt es auch in Dresden eine ganze Menge Vorschläge. ({9}) Auf der anderen Seite muss man deutlich machen, wie wir dafür sorgen wollen, auch in einem Prozess gemeinsam mit der UNESCO, dass der Titel trotzdem erhalten bleibt. Im Gegensatz zu vielen, die Ihre Position vertreten, hat die UNESCO nämlich deutlich gemacht, dass sie kompromissbereit ist, dass sie bereit ist, daran zu arbeiten und darüber zu diskutieren. ({10}) Deswegen bin ich sehr für einen entsprechenden Prozess gemeinsam mit der UNESCO. ({11}) Köln hat gezeigt, dass es geht, dass man, wenn man sich an einen Tisch setzt und willens ist, tatsächlich zu einem Kompromiss kommen kann, ohne den Ruf der Stadt - der UNESCO-Titel ist nicht einfach nur ein schönes Anhängsel an das Stadtwappen - zu gefährden. Es geht hier um eine Kompromissfindung und nicht darum, aus ideologischen Gründen auf seiner Position zu beharren. Vielen Dank. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Marlies Volkmer, SPDFraktion. ({0}) ({1})

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer das schöne Dresdner Elbtal kennt, der weiß, dass es richtig ist, dass es auf der Weltkulturerbeliste der UNESCO steht, und der weiß auch, dass man bei jedem Eingriff in diese Landschaft ganz sensibel vorgehen muss. Wir brauchen hier eine Verkehrslösung, durch die das Elbtal nicht zerschnitten wird, sondern bei der diese schöne Landschaft erhalten bleibt. Eine solche Lösung ist auch mit der UNESCO voll kompatibel. Weil die politisch Verantwortlichen bisher keine solche Lösung gefunden haben, haben wir jetzt das Problem, dass ein Gericht angerufen worden ist. Das Oberverwaltungsgericht Bautzen hat das Verfahren im November ausgesetzt und damit eine weise Entscheidung gefällt, weil so - Wolfgang Thierse hat schon darauf hingewiesen - keiner der Antragsgegner gewinnen konnte. Es wurde der Versuch eines Mediationsverfahrens unternommen. Im Ergebnis wird nun empfohlen, in einer moderierten Perspektivenwerkstatt eine Lösung zu erarbeiten, die sowohl den Belangen des Welterbes als auch dem stattgehabten Bürgerentscheid von 2004 gerecht wird. Nun hat das Regierungspräsidium Dresden leider erklärt, das Mediationsverfahren sei gescheitert, und hat die Wiederaufnahme des ausgesetzten Verfahrens beantragt, übrigens gegen den Willen der Stadt Dresden, obwohl die Stadt Dresden ebenfalls den Bürgerwillen verkörpert. Die Stadt Dresden hat darauf hingewiesen, dass der Freistaat Sachsen mit seinem prozessualen Verhalten und dem Beharren auf dieser Lösung den Verlust des Welterbetitels in Kauf nimmt. Die Bewerbung Dresdens als Welterbestätte wurde auch vom Freistaat Sachsen getragen. Damit hat Sachsen auch eine Verpflichtung übernommen. Es reicht nämlich nicht, sich nur mit solch einem Titel zu schmücken, sondern man hat auch entsprechende Verantwortung. Seither genießt das Dresdener Elbtal im Interesse der Menschheit internationalen Schutz auch vor unbilligen Eingriffen durch Sachsen. Ich begrüße ganz ausdrücklich die Haltung meiner Fraktionskolleginnen und -kollegen im Ausschuss für Kultur und Medien. Sie haben bereits in der Ausschusssitzung im Januar erklärt, den Vorschlag für eine moderierte Perspektivenwerkstatt zu unterstützen. ({0}) Ich appelliere an dieser Stelle an den Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen: Engagieren Sie sich dafür, Herr Milbradt, den Ruf Sachsens als Land der kulturvollen Bürgerinnen und Bürger zu retten! ({1}) - Ja, Sachsen ist führend in der Kultur. Deswegen kann sich Sachsen so etwas auch nicht leisten. ({2}) Bitte, Herr Milbradt, helfen Sie klarzumachen: Es gibt keinen grundsätzlichen Widerspruch zwischen Verkehrsfluss und Welterbe. ({3}) Beteiligen Sie sich an der Problemlösung mit der Perspektivenwerkstatt! Es kann doch nicht sein, dass eine solche Kulturstadt wie Dresden der erste Ort wäre, dem ein solcher Welterbetitel wieder aberkannt werden würde. ({4}) Ich würde mich natürlich freuen - aber ich habe nach der heutigen Debatte keine Hoffnung -, dass sich Herr Vaatz diesem Appell anschließen könnte. ({5}) Aber ich hoffe sehr und gehe davon aus, dass sich die Sächsische Staatsregierung ihrer Verantwortung bewusst wird und sich für eine einvernehmliche Lösung einsetzt. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 16/4411 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Kultur und Medien und zur Mitbera- tung an den Auswärtigen Ausschuss sowie an den Aus- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt schuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu über- weisen. - Dazu gibt es keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist es so beschlossen. Zusatzpunkt 16. Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Kultur und Medien auf Drucksache 16/4460 zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Bun- despolitik soll im Streit um die Waldschlösschenbrücke vermitteln“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/2499 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen angenommen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 c auf: 29 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({0}), Irmingard Schewe-Gerigk, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Lebendige Demokratie in Zeiten der großen Koalition - Drucksache 16/581 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Ulrich Maurer und der Fraktion der LINKEN Stärkung der Minderheitenrechte im Deutschen Bundestag - Drucksache 16/4119 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({2}) Innenausschuss Rechtsausschuss c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Jörg van Essen, Dr. Max Stadler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Oppositionsrechte ({3}) - Drucksache 16/126 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({4}) Innenausschuss Rechtsausschuss Hier ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. Ich gebe das Wort zunächst dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute anhand der drei Vorlagen der Oppositionsfraktionen über den Stellenwert der Politik in diesem Hause. Wir reden über den Stellenwert des Parlamentes in unserem demokratischen Gemeinwesen; denn wir leben gegenwärtig in einem Ausnahmezustand der parlamentarischen Demokratie. ({0}) Unsere Geschäftsordnung und unsere Verfassung gehen von dem Regelfall einer kleinen Koalition und einer großen Opposition aus. Der Regelfall in der Geschichte unseres Landes war, dass die größte Oppositionsfraktion über sämtliche Oppositionsrechte allein aufgrund ihrer Stärke verfügte. Gegenwärtig verfügen noch nicht einmal alle drei Oppositionsfraktionen gemeinsam über alle Rechte der Opposition, die unsere Geschäftsordnung vorsieht und unsere Verfassung regelt. Deshalb sage ich: Wir müssen uns hier im Parlament darüber Gedanken machen, wie das Parlament auch unter diesen Mehrheitsverhältnissen, die eine legitime politische Konstellation sind - auch wenn sie nicht viel zuwege bringt -, eine funktionierende parlamentarische Kontrolle durch die Opposition erreichen kann. Die gegenwärtige Geschäftsordnungs- und verfassungsrechtliche Lage gibt das nicht in allen Punkten her; deshalb reden wir hier darüber. ({1}) Ein anderer Punkt, der für das Ansehen und die Lebendigkeit der Debatten hier im Hohen Hause konstitutiv ist, ist das Prinzip von Rede und Gegenrede zwischen Koalition und Opposition. Auch dies ist im Regelfall nicht gewährleistet. Wir wissen, seit der Antike gehört der Dialog konstitutiv zur Einsichts- und Wahrheitsfindung. Dies gilt seit Platon. Aber ich will jetzt nicht die ganze Geschichte herleiten; dazu reicht meine Redezeit nicht aus. Auch bei den Erwägungen zu den Grundlagen, die wir uns in der Geschäftsordnung gegeben haben, waren das zentrale Gründe für die Ausgestaltung unseres heutigen § 28 der Geschäftsordnung. Als dieser in der fünften Wahlperiode auf Anregung der SPD-Fraktion eingefordert wurde, hat man gesagt, dass Rede und Gegenrede der zentrale Debattengrundsatz sein soll. Das ist er gegenwärtig nicht. Sie alle wissen, wir halten jede Woche ein, zwei oder drei Aktuelle Stunden ab. Da haben wir am Anfang unter den ersten fünf oder sechs Rednern eine lebendige Debatte zwischen der Koalition und der Opposition, und danach beginnen die Selbstgespräche der Koalition mit weiteren vier bis sechs Redebeiträgen. ({2}) Meine Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Sie langweilen sich offensichtlich selbst; denn der Saal leert sich dann immer dramatisch. Volker Beck ({3}) ({4}) Langeweile hier, Langeweile auf der Besuchertribüne, Langeweile bei der Presse, das ist nicht die Art, wie wir unserem Parlament Geltung verschaffen. Deshalb bitte ich die Koalitionsfraktionen inständig, sich unsere Anträgeergebnisse offen anzuschauen. Wir von der Fraktion der Grünen haben bewusst keine Detailvorschläge gemacht, sondern gesagt: Wir wollen über eine Anhörung im Geschäftsordnungsausschuss mit Ihnen gemeinsam dazu kommen, dass das Parlament lebendiger wird und wir als Opposition die Möglichkeit haben, die Kontrolle der Regierung wahrzunehmen. Diese Oppositionsrechte nehmen wir stellvertretend für das gesamte Haus und damit für jeden einzelnen Abgeordneten - auch für die Abgeordneten der Koalition wahr. Das ist die Idee unserer Verfassung; das ist die Idee unseres Verfassungsrechtes. Wir haben meines Erachtens in drei Punkten besonderen Handlungsbedarf. An drei Punkten gibt es Eindrittelrechte. Das heißt, die gegenwärtige Opposition kann sie nicht in Anspruch nehmen, selbst wenn sie sich hundertprozentig einig ist, was auch nicht immer der Fall ist, weil wir politisch sehr divergieren. Dabei geht es zum einen um die Frage der Einberufung des Deutschen Bundestages bei Punkten, von denen wir meinen, jetzt müsse das Parlament zusammentreten, weil in der Koalition oder im Lande etwas geschieht, was debattiert werden muss. Wenn die Koalition das aber - aus verständlichen Gründen - nicht will, können wir das gegenwärtig nicht durchsetzen. Das muss sich ändern. Es muss zumindest ein Recht der 25 vom Hundert geben, dass die Opposition, wenn sie sich einig ist, eine solche Einberufung durchsetzen kann. ({5}) Der zweite Punkt beruht auf der Logik unserer Geschäftsordnung und des parlamentarischen Miteinanders. Unsere Geschäftsordnung sieht die Möglichkeit vor, dass alle Regeln, die in der Geschäftsordnung verankert sind, mit Zweidrittelmehrheit zur Seite gelegt werden können und man sagen kann: Wir verfahren, wie es uns beliebt, weil wir uns darin einig sind, dass anders verfahren werden muss, als es unsere Regeln grundsätzlich vorsehen. Die Idee dieser Bestimmung ist, dass sich die Koalition mit Teilen der Opposition einig ist, anders zu verfahren als in der Geschäftsordnung vorgesehen. Beim BSE-Skandal waren wir uns zum Beispiel einig, dass die Futtermittelverordnung innerhalb von einer Woche in Kraft treten musste. Gegenwärtig bedeutet „Zweidrittelmehrheit“ aber, die Große Koalition ist sich einig, und die Minderheitenrechte der Opposition werden unter Umständen mit den Füßen getreten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin, lassen Sie mich einen letzten Satz sagen. ({0}) Der dritte Punkt bezieht sich auf das Normenkontrollrecht. Alle Länderfürsten, alle Ministerpräsidenten, gehören den Parteien der Großen Koalition an. Es ist nicht zu erwarten, dass ein Bundesland Normenkontrollklage gegen ein Gesetz der Großen Koalition erhebt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Opposition kann auch keine Normenkontrollklage einreichen, weil sie dafür ein Drittel der Mitglieder des Hauses zusammenbekommen müsste, über das sie aber nicht verfügt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. Das steht jetzt fest.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das heißt, die letzte Remedur für den Schutz der Bürger vor verfassungswidrigen Gesetzen ist gegenwärtig der Bundespräsident. Das soll aber nicht seine Hauptaufgabe sein.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Deshalb appelliere ich an Sie: Geben Sie auch der jetzigen Opposition trotz ihrer geringen Redezeit das Recht, den Bürger vor verfassungswidrigen Gesetzen zu schützen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat das Wort der Kollege Bernhard Kaster für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bernhard Kaster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003562, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einem Zitat unseres Bundestagspräsidenten, Dr. Lammert, vom Anfang dieser Legislaturperiode beginnen, das das Selbstverständnis des Parlaments und das Selbstverständnis von Regierung und Opposition sehr treffend beschreibt: Für die Arbeit wie für das Ansehen des Parlaments ist die Opposition im Übrigen nicht weniger wichtig als die Regierung. ... Was ein politisches System als Demokratie qualifiziert, ist nicht die Existenz einer Regierung, sondern die Existenz eines Parla8428 mentes und seine gefestigte Rolle im Verfassungsgefüge wie in der politischen Realität. Ich denke, das ist ein Satz, den wir alle unterschreiben können. ({0}) Vor dem Hintergrund dieser treffenden Aussage haben wir als Parlamentarier natürlich Verständnis dafür, dass Sie sich als Oppositionspolitiker Gedanken darüber machen, wie Sie Ihre Interessen hier noch effektiver vertreten können. Wir werden uns mit diesen Anträgen daher selbstverständlich im Geschäftsordnungsausschuss - insbesondere der Antrag der Fraktion der Grünen beinhaltet ja eine Reihe von Prüfaufträgen - ausführlich und kritisch beschäftigen. Sollte allerdings gegenüber der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt werden - ich will das nicht unterstellen -, dass die in der Tat kleinere Opposition durch die Große Koalition förmlich erdrückt wird, dass sie keine Möglichkeiten hat, dann muss gesagt werden, dass dieser Eindruck - das wissen Sie - schlichtweg falsch wäre. Das Grundgesetz und die Geschäftsordnung geben uns als Koalition, das heißt als Regierungsfraktionen, und Ihnen als Oppositionsfraktionen eine Vielzahl von parlamentarischen Gestaltungsmöglichkeiten an die Hand. In einer Ausführung des Wissenschaftlichen Dienstes - sie umfasst mehr als 15 Seiten - wurden die Minderheitenrechte der Opposition dokumentiert. Ich will einmal die wichtigsten Gestaltungsmöglichkeiten nennen: Auskunft über jedes Thema kann durch schriftliche Fragen verlangt werden; ({1}) das Recht, mündliche Fragen an die Bundesregierung zu richten und diese im Plenum unter den Augen der Öffentlichkeit mit der Bundesregierung zu diskutieren; ({2}) das Recht aller Fraktionen, Kleine und Große Anfragen zu stellen; Große Anfragen im Plenum zu debattieren; das Recht, eine Aktuelle Stunde zu beantragen - davon wird ja auch rege Gebrauch gemacht - und vieles andere mehr. Ich wollte nur die wichtigsten Punkte nennen, damit hier nicht der Eindruck aufkommt, dass unsere Geschäftsordnung und das Grundgesetz in Bezug auf die Minderheitenrechte nicht entsprechend ausgelegt sind. ({3}) Natürlich hat die Opposition auch das Recht, einen Untersuchungsausschuss einzuberufen und unter bestimmten Voraussetzungen Beschlüsse des Bundestages vor dem Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. Diese beiden letzten Punkte sind der Kern Ihrer Anträge. Deswegen will ich darauf näher eingehen. Die Parlamentsautonomie des Art. 40 des Grundgesetzes lässt einen weiten Spielraum, wie der Bundestag seine Arbeitsformen und -verfahren gestaltet. Die Grenzen sind dabei durch unsere Verfassung und zwischenzeitlich auch durch eine Vielzahl von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes vorgegeben. Meines Erachtens müssen wir uns, wenn wir etwas verändern, etwas neu gestalten, von drei Zielen leiten lassen. Das ist erstens das Ziel, einvernehmliche Lösungen zu erzielen. Ich erinnere daran, dass es auch der Geist im Geschäftsordnungsausschuss ist, zu einvernehmlichen Lösungen zu kommen. Das zweite Ziel ist, dass man den Aufgabenstellungen des Parlaments als Gesetzgebungsorgan und Kontrollorgan der Regierung gerecht wird. Das dritte Ziel ist, dass die Regeln bei unterschiedlichsten Mehrheitsverhältnissen Bestand haben und den vom Wähler bestimmten unterschiedlichen politischen Stärkeverhältnissen der Fraktionen und Parteien gerecht werden und diese abbilden. Auch das muss immer Ziel sein, wenn wir die Regeln für unser Haus gestalten. Die jetzt anstehenden Beratungen Ihrer Anträge können daher nicht ausschließlich vor dem Hintergrund der jetzigen Mehrheitsverteilung stattfinden. Herr Beck, Ihrer Aufteilung in Ausnahmesituationen und Normalsituationen folge ich nicht. Die Regeln sind auf die unterschiedlichen Mehrheitsverhältnisse, die wir haben, anzuwenden. Bei Änderungen des Grundgesetzes oder Regelungen der Geschäftsordnung muss über den Tag hinaus, das heißt über die aktuelle Mehrheitsverteilung hinaus, nachgedacht werden. Das Grundgesetz sieht die Entscheidungsfähigkeit des Bundestages ebenfalls als einen Wert von Verfassungsrang an und bringt diesen Verfassungswert in sehr ausgewogener Weise in Einklang mit den geforderten parlamentarischen Kontrollaufgaben. Das geltende Minderheitsquorum für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses und die Anrufung des Bundesverfassungsgerichtes bei der abstrakten Normenkontrolle zeigen die Ausgewogenheit und Angemessenheit dieses Systems sehr deutlich. Ich muss daher vor einer undurchdachten und nur scheinbar gerechtfertigten Angleichung der beiden Quoren auf jeweils ein Viertel der Abgeordneten oder gar reduziert auf eine einzige Fraktion - wenn es auch die kleinste ist -, warnen. ({4}) Es ist angemessen und richtig, dass unser Grundgesetz bei der abstrakten Normenkontrolle ein Drittel der Abgeordneten als Mindestquorum fordert, während es bei der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ein Viertel der Abgeordneten sind. Hier wird sehr bewusst ein Unterschied gemacht. Die beiden Dinge sind nicht miteinander vergleichbar. Die Überprüfung von Gesetzen ohne jeden Bezug zu einem konkreten Rechtsstreit ist in unserer Rechtsordnung die absolute Ausnahme. Es hat gute Gründe, dass dieses Recht auf die Bundesregierung, die Landesregierungen und ein Drittel des Parlamentes begrenzt ist. Denn damit wird verhindert, dass die Verfassungsrichter mit einer übergroßen Zahl von Anträgen überhäuft und letztlich in ihrer Arbeitsweise beeinträchtigt werden. ({5}) Das Grundgesetz wollte Karlsruhe zu Recht davor schützen, seine Aufgaben durch eine Flut von Verfassungsklagen nicht mehr wahrnehmen zu können. Wenn die Hürden hier gesenkt werden, befürchte ich eine deutliche Zunahme der Verfassungsklagen, ({6}) die - da wollen wir doch ehrlich untereinander sein schließlich oft mehr aus politischem Kalkül als aus tatsächlichen verfassungsrechtlichen Bedenken angestrengt werden. ({7}) Bereits jetzt wird in der politischen Auseinandersetzung sehr schnell und leichtfertig der Vorwurf der Verfassungswidrigkeit ausgesprochen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Karlsruhe ständig in die politische Auseinandersetzung einbezogen wird. Noch ein Wort zum Thema Untersuchungsausschuss: Hier liegt es im Interesse der Opposition, das niedrige Quorum von einem Viertel - das ist ein niedriges Quorum - beizubehalten. Ein Untersuchungsausschuss ist eine innerparlamentarische Angelegenheit, mit der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht also gar nicht vergleichbar. Dieses niedrige Quorum liegt im Interesse der Opposition. Zu Recht wird ein Untersuchungsausschuss als schärfstes Schwert des Parlamentes bezeichnet. Er soll das letzte Mittel sein, um einen Sachverhalt aufzuklären. Wenn wir das Quorum hier weiter absenken, wird dieses Mittel mehr geschwächt als gestärkt. In dieser Legislaturperiode hat sich gezeigt, dass das funktioniert. Es wurden nämlich Untersuchungsausschüsse eingesetzt. Dieses Quorum wird also auch in diesem Bundestag erreicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist im Übrigen nicht neu, dass unterschiedliche Mehrheitsverhältnisse bzw. unterschiedliche Rollen - ob man also Mitglied einer Regierungsfraktion oder einer Oppositionsfraktion ist - in solch speziellen Fragen schon immer zu unterschiedlichen Sichtweisen geführt haben. Ich erinnere daran, dass Sie, Herr Kollege Beck, nicht in dieser Legislaturperiode, sondern in der letzten Legislaturperiode, als Sie noch nicht auf den Oppositionsbänken saßen, in einer ähnlichen Frage, als es ebenfalls um die Anpassung der Geschäftsordnung im Hinblick auf Mehrheitsverhältnisse ging, unter anderem Folgendes gesagt haben: Regeln leben davon, dass sie in verschiedenen Situationen gelten und man sich nicht von Situation zu Situation die passende Regel gibt. ({8}) Ich denke, diesen Satz sollten wir einfach einmal so stehen lassen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jan Mücke hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Rede einen Fakt vorwegschicken - diese Bemerkung richtet sich vor allen Dingen an den Kollegen Beck -: Ich finde es außerordentlich bedauerlich, dass wir diese Debatte erst am Schluss einer Tagesordnung führen. ({0}) Denn eigentlich gehört dieser Punkt ganz oben auf die Tagesordnung. ({1}) - Sehr geehrter Herr Beck, Sie haben einige Aktien daran, dass wir über dieses Thema erst so spät diskutieren. ({2}) Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir darüber an einem Donnerstag- oder einem Freitagvormittag diskutiert hätten. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck zulassen?

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, das möchte ich nicht. ({0}) Meine Damen und Herren, eine Demokratie lebt davon, dass einer Regierung eine effektive Opposition gegenübersteht, die über eigene Rechte verfügt, die sie auch ausüben kann. Das, was der Kollege Kaster gesagt hat - dass die Opposition angesichts ihrer umfangreichen Auskunfts- und Fragerechte eigentlich gut bedient ist -, muss ich leider zurückweisen. Ich frage relativ viel. Aber Sie glauben nicht, was für Antworten ich bekomme. ({1}) Wenn ich beispielsweise eine Frage nach Kosten stelle, aber die einzige Zahl, die mir genannt wird, nicht etwa ein Geldbetrag, sondern das Datum ist, und ansonsten geantwortet wird, dass sich diese Frage der Bundesregierung nicht stellt, dann muss ich feststellen, dass mein Kontrollrecht als Oppositionsabgeordneter ins Leere läuft. ({2}) Ich frage mich: Warum hat die Koalition Angst davor, der Opposition die Möglichkeit einzuräumen, mit einem 25-Prozent-Quorum nach Karlsruhe zu gehen? Wer nicht vorhat, verfassungswidrige Gesetze zu machen, der müsste vor einer Überprüfung in Karlsruhe gar keine Angst haben. ({3}) Die Wahrheit sieht so aus, dass Art. 93 Abs. 1 des Grundgesetzes gegenwärtig ins Leere läuft, weil die kleinen Oppositionsfraktionen zusammen nicht das erforderliche Quorum aufbringen. Ich kann gut verstehen, dass wir nicht nach jeder Wahl das Grundgesetz ändern können, um es an die jeweiligen Mehrheitsverhältnisse anzupassen. ({4}) Aber man muss sehen: Der Verfassungsgesetzgeber hat es nicht als Regelfall vorgesehen, dass es eine Große Koalition gibt, ({5}) durch die die Minderheitenrechte ausgehebelt sind. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben in Herrenchiemsee mit Sicherheit nicht vor Augen gehabt, dass die großen Volksparteien irgendwann einmal so stark erodieren, dass es nur noch für eine Große Koalition reicht. ({6}) Für uns ist entscheidend, dass die Opposition ihre Rechte effektiv wahrnehmen kann. Deshalb schlagen wir in unserem Gesetzentwurf vor: Künftig soll ein Viertel der Mitglieder des Bundestages eine abstrakte Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht erheben können. ({7}) Wir wollen dies vor allen Dingen deshalb, weil die beiden anderen Klagebefugten - Bundesregierung bzw. Landesregierung - ausfallen. Denn eine Landesregierung wird ja immer von entweder Union oder SPD geführt und wird demzufolge niemals klagen. Das heißt, dass dieser Artikel so, wie er jetzt abgefasst ist, ins Leere läuft. Wir wollen auf der anderen Seite aber auch nicht, dass in dem möglichen Fall, dass hier einmal eine radikale Partei eine Fraktion bildet, diese, ohne auf andere Fraktionen angewiesen zu sein, das Bundesverfassungsgericht blockieren kann, indem sie eine solche Normenkontrollklage einreicht. Deshalb halten wir 25 Prozent für ein ausreichendes und vernünftiges Quorum. Auf die Große Koalition kommt jetzt eine große Verantwortung zu. Denn es liegt in Ihrer Hand, ob es eine Verfassungsänderung geben wird, und es liegt in Ihrer Hand, ob die Opposition künftig so gestellt werden kann, dass sie ihre Rechte wahrnehmen kann. Ich möchte Ihnen zum Schluss ein Zitat von Abraham Lincoln mit auf den Weg geben: Willst Du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht. Der Umgang Ihrer beiden Fraktionen mit unseren Anträgen und unserem Gesetzentwurf wird zeigen, wie Sie mit Ihrer Macht umgehen und wie vernünftig Sie die Rechte der Opposition einschätzen. Vielen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Kollege, da Sie hier den Zeitpunkt kritisiert haben, zu dem wir das diskutieren, möchte ich Sie - Sie sind ja neu im Parlament - über die Usancen und unsere Möglichkeiten diesbezüglich aufklären: Dies ist der erste Tagesordnungspunkt der Grünenfraktion an diesem Sitzungstag. Ein früheres Aufsetzungsrecht stand uns nicht zur Verfügung. Zweiter Punkt. Ihre wie unsere Vorlage stammen beide von der Jahreswende 2005/2006. Es wäre der FDP also jederzeit möglich gewesen, diese zu einem früheren Zeitpunkt auf die Tagesordnung zu setzen. Wir hätten uns sicher nicht dagegen gewehrt, wenn Sie Ihren TagesVolker Beck ({0}) ordnungspunkt vom heutigen Tag - um 12.30 Uhr - für diese Debatte zur Verfügung gestellt hätten. Außerdem darf ich Sie darüber unterrichten, dass der Geschäftsführer Ihrer Fraktion ursprünglich geplant hatte, die Anträge als Ohne-Debatte-Punkte laufen zu lassen. ({1}) Das wollten wir wiederum nicht. Denn wir denken, eine Debatte über die Parlamentsrechte ist eine Debatte, die das ganze Haus angeht; das erscheint mir eine Selbstverständlichkeit zu sein. Deshalb: Auch wenn dies kein guter Zeitpunkt auf der Tagesordnung ist, er ist besser als keiner. ({2}) Wir sollten allerdings aus dieser Petitesse, aus der Mücke keinen Elefanten machen und die Debatte jetzt fortsetzen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Uwe Küster, SPDFraktion.

Dr. Uwe Küster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will gleich zu Anfang auf meinen Kollegen Beck und auf meinen Kollegen Mücke eingehen, die sich gestritten haben, wann man dieses Thema am besten debattieren könnte. Da Sie die Debatte hier über Kalauer angeleiert haben, sage ich Ihnen: Seit einem Jahr liegen Ihre Anträge hier im Archiv vor. Wenn Ihnen dieses Thema so wichtig wäre, wie Sie jetzt tun, hätten Sie längst eine Gelegenheit finden können, es zum Gegenstand einer Kernzeitdebatte zu machen. ({0}) Für den Antrag der PDS/Linken gilt dies nicht; er ist aus diesem Jahr. Also: Jeder von Ihnen hätte dieses Thema zum Gegenstand einer Kernzeitdebatte machen können. Worum geht es bei Ihrem Tagesordnungspunkt 29? Dazu fällt mir der Begriff „Upgrading“ ein: Sie wollen die Minderheitenrechte im Parlament noch weiter ausbauen. ({1}) Die Rechte parlamentarischer Minderheiten im Deutschen Bundestag sind, wie man feststellen muss, wenn man sie mit denen der Minderheiten in den Parlamenten vieler anderer Länder vergleicht, bereits heute ausgesprochen weitgehend; so weit vorab zur Klarstellung. ({2}) Wir haben in den vergangenen Jahren in Sachen Minderheitenrechte sehr viel getan. Deswegen gibt es keinen Grund, uns hier eine Belehrung zu erteilen. Am weitesten geht natürlich Die Linke - die PDS mit ihrem Wunschkonzert. Von der Einberufung des Bundestages bis hin zur abstrakten Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht möchte sie alles mit Fraktionsstärke durchsetzen können. Das kann man zwar alles fordern, aber man sollte die Kirche im Dorf lassen. ({3}) Im Laufe der vergangenen Legislaturperioden sind die Rechte der Minderheiten erheblich erweitert und gestärkt worden, und zwar bis an die Grenzen des Verantwortbaren. ({4}) Die Zusammensetzung des Bundestages und die Machtverhältnisse zwischen den einzelnen Fraktionen spiegeln das Wahlergebnis von 2005 wider. Ich muss Sie daran erinnern, dass dieses Wahlergebnis bis 2009 gilt. Der Bundestag atmet an jeder Stelle den Wählerwillen von 2005. Es ist unsere Aufgabe, diese Entscheidung, die der Wähler damals getroffen hat, möglichst genau umzusetzen. Dafür sind wir gewählt worden. Minderheitenrechte dürfen die Wahlergebnisse nicht auf den Kopf stellen. ({5}) Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben ein Wahlergebnis erreicht, mit dem Sie nicht die Mehrheit stellen. Ihre Politik wurde nicht von der Mehrheit des Landes gewollt. Sie haben sich auch der Regierungsverantwortung entzogen. Zumindest zwei Fraktionen haben Angebote gehabt. Sie haben sie nicht wahrgenommen. ({6}) Der Begriff Opposition bedeutet, an der Regierungsbildung und der Führung der Regierungsgeschäfte nicht beteiligt zu sein. Die von Ihnen gewählte Rolle ist die Rolle der Opposition: Kritik, Kontrolle, Alternativenbildung. Ich möchte Sie an dieser Stelle auf die erste Große Koalition von 1966 bis 1969 hinweisen. Damals war die Opposition mit nur 10 Prozent im Parlament vertreten. Hat man damals eklatante Regelungslücken festgestellt? ({7}) - Nein. ({8}) Es gab keine Korrektur des Grundgesetzes oder der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, bezogen auf die damalige Große Koalition. ({9}) Ich möchte Ihnen vor Augen führen, welche Möglichkeiten Sie als Opposition bzw. als Minderheitenfraktionen haben. Sie haben Frage- und Interpellationsrecht gemäß der Geschäftsordnung des Bundestages. Das umfasst zum Beispiel Große und Kleine Anfragen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie - im Sinne von Fragerechten - eine Zwischenfrage des Kollegen Mücke zulassen?

Dr. Uwe Küster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte, Herr Mücke. ({0})

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Küster, Sie haben gerade ausgeführt, es habe nach 1966 keine Änderungswünsche der Opposition, die mit nur 10 Prozent im Parlament vertreten war, gegeben. Ist Ihnen der Antrag der Fraktion der FDP auf Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages auf Drucksache 1229 der 5. Legislaturperiode bekannt?

Dr. Uwe Küster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Mücke, ich muss passen: Mein Gedächtnis reicht nicht bis zur fünften Wahlperiode zurück. ({0}) Da Sie das alles parat haben, sind Sie auch berechtigt - ({1}) - Nein. Ich komme gleich darauf zurück. Ich will Ihnen ein Argument entgegenhalten. Wir haben im Oktober 2005 in der konstituierenden Sitzung des Bundestages gemeinsam über die Geschäftsordnung des jetzigen Bundestages entschieden. Dazu gab es aus allen Fraktionen breite Zustimmung. Das heißt, Sie waren mit der Regelung der Geschäftsordnung in den vergangenen Jahren einverstanden. Ein Jahr später entdecken Sie plötzlich einen Regelungsbedarf. Das Wahlergebnis und die daraus resultierenden Mehrheitsverhältnisse waren Ihnen bekannt. Auch Ihre Möglichkeiten als Oppositionsfraktion waren Ihnen bekannt. Ein Jahr später kommen Sie jetzt mit der Forderung nach Änderungen. Das ist ein bisschen weit hergeholt. Zurück zum Thema. Wie Sie wissen, reicht ein Quorum von 5 Prozent der Abgeordneten aus, um Ihr Fragebzw. Interpellationsrecht - darunter fällt auch die Einberufung einer Aktuellen Stunde - wahrzunehmen. Sie nutzen die Instrumente der Opposition weidlich aus. Im Präsidium stellt die Opposition drei Vizepräsidenten, die Koalition vier. Wenn man das Wahlergebnis auf die Zusammensetzung des Präsidiums übertragen würde, dann gäbe es einen Vizepräsidenten zu viel. ({2}) Der Bundestag hat aber gewollt, dass jede Fraktion im Präsidium vertreten ist. Das war der ausdrückliche Wille des gesamten Hauses. ({3}) - Jede Fraktion sollte vertreten sein, aber die Mehrheitsverhältnisse müssen sich in jedem Gremium widerspiegeln, Herr Niebel. ({4}) Das wissen Sie doch. Sie sind lange genug dabei. Bei der Tagesordnung gilt das Reißverschlussprinzip. In der nächsten Woche haben wir folgendes Kuriosum: Die Koalition hat am Donnerstag drei Tagesordnungspunkte, während die Opposition sechs hat. ({5}) Mit anderen Worten: Über welche Dinge beklagen Sie sich eigentlich? Ihre Rechte sind weit gefasst. Bei einer üblichen 30-minütigen Debattenzeit - auch das spielt in den Anträgen eine Rolle - entfallen 58 Prozent der Redezeit auf die Koalition, während die Opposition, die nur 26 Prozent der Abgeordneten stellt, 42 Prozent hat. Zudem darf man nicht vergessen, dass der Einbringer einer Initiative noch eine Bonuszeit bekommt. Die Abgeordneten der Opposition können also deutlich länger und öfter reden als die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen. ({6}) Zur finanziellen Ausstattung: Die Finanzierung der Fraktionen erfolgt durch einen für alle Fraktionen gleich hohen Zuschuss aus dem Bundeshaushalt. Die kleinen Fraktionen sind durch einen Sockelbetrag bevorteilt. Als Oppositionsfraktion erhalten sie sogar noch einen Zuschlag; das ist gut so. Das ist gewollt. Die Minderheiten sind dem Bundestag lieb und teuer. Eines darf aber nicht geschehen: Der Wählerwille darf bei allem Respekt vor demokratischen Minderheitenrechten im parlamentarischen Alltag nicht in sein Gegenteil verkehrt werden. ({7}) Herr Mücke hat in der vorangegangenen Debatte gesagt: Mehrheit ist Mehrheit. - Das gilt auch hier. Letztlich ist jede Entscheidung von der Mehrheit zu tragen. ({8}) Wissen Sie, was es bedeutete, wenn Ihr Wunsch erfüllt würde, die für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses oder einer Enquete-Kommission geforderten Quoren auf Fraktionsstärke herabzusetzen? Dann hätten wir jetzt drei Untersuchungsausschüsse. Man muss sich einmal vorstellen, was das bedeutet: Das Parlament zerbröselt quasi. Wir hätten gar keine Chance mehr, vernünftig zu arbeiten. ({9}) Das jetzige Quorum von 25 Prozent zwingt die Opposition, egal wie sie sich zusammensetzt, sich auf einen Antrag zu einigen, wenn sie gemeinsam etwas erreichen und ihre Minderheitenrechte ausüben will. Das Gleiche gilt - darauf hat schon mein Kollege Herr Kaster hingewiesen - bezüglich der Normenkontrollklage. Wenn das dafür erforderliche Quorum auf Fraktionsstärke herabgesetzt würde, wenn also 5 Prozent der Abgeordneten dieses Hauses eine solche Klage anstrengen könnten, bedeutete dies, dass wir innerhalb kürzester Zeit die Arbeitsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts gefährden würden. ({10}) Das Quorum für das Recht, eine Sondersitzung des Deutschen Bundestages zu beantragen, ist in der Verfassung bei einem Drittel der Mitglieder des Hauses angesiedelt. Sollte das Quorum auf Fraktionsstärke herabgesetzt werden, bestünde die Möglichkeit der Manipulation, könnte es passieren, dass man vor lauter Sondersitzungen kaum noch etwas „Normales“ machen könnte. ({11}) In den vergangenen 30 Jahren gab es bei einem funktionierenden Recht der antragsberechtigten Minderheit gerade einmal 38 Sondersitzungen des Bundestages auf Antrag von Fraktionen. Das heißt, es gibt gar nicht den von Ihnen unterstellten Bedarf an Sondersitzungen. Zudem muss man sich darüber im Klaren sein, dass das erstens zu einer Störung des normalen Ablaufs führen und zweitens Geld kosten würde. Darüber müssten Sie irgendwann einmal Bericht erstatten. ({12}) Aus der Sicht meiner Fraktion besteht keine Veranlassung für tiefgreifende Änderungen. Der Wählerwille, die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages und die Minderheitenrechte müssen miteinander in Einklang stehen. Das haben wir erreicht. Jeder Wunsch der Oppositionsfraktionen nach Machterweiterung lässt sich in der Regel alle vier Jahre durch ein entsprechendes Wählervotum vielleicht erfüllen. Daran sollten die Oppositionsfraktionen arbeiten. ({13}) - Sie haben genügend Rechte. Das wissen Sie, Herr Niebel. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt ist die Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann für die Linke an der Reihe.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Küster, bei Ihnen fällt mir nur eines ein: Hochmut kommt vor dem Fall. ({0}) Ja, er hat recht - jetzt meine ich nicht den Kollegen Küster -, und ich zitiere mit Ihrer gütigen Erlaubnis: Das eine Thema ist die Frage, ob unter den Bedingungen einer Großen Koalition über die Ausgestaltung der Minderheitenrechte der Opposition, möglicherweise mit Blick auf Quoren für bestimmte Initiativrechte, Modifizierungen erfolgen. Ja, er hat so recht, unser Bundestagspräsident. Herr Lammert, mit Ihrem Interview in der Zeitung „Das Parlament“ sind Sie ein Stück zum Hoffnungsträger der Opposition geworden. Nach eineinhalb Jahren bestätigt sich in der Tat: Grundlegende Rechte einer parlamentarischen Opposition sind de facto außer Kraft gesetzt. Herr Kaster, das ist nicht nur ein Eindruck, sondern eine Tatsache, die wir Sitzungswoche für Sitzungswoche hier erleben. Es besteht also dringender Handlungsbedarf. Meine Damen und Herren, auch er hat recht - ich zitiere -: Geschäftsordnungsfragen sind Machtfragen ... Machtfragen nicht einmal im guten Sinne des Wortes Macht, sondern etwa im Sinne der Ausschaltung der anderen, der Ausschaltung der Minderheiten, einseitiger Bevorzugung der Mehrheit. - Dass ich einmal Richard Stücklen, den ehemaligen CSU-Bundestagspräsidenten, hier zitiere, hätte ich mir auch nicht träumen lassen. Aber wo er recht hat, hat er recht. - Herr Präsident, das war im Übrigen in einer Debatte über das Selbstverständnis des Parlaments. Ich würde dringend anregen, dass wir uns einer solchen Debatte zum Selbstverständnis des Parlaments erneut stellen. ({1}) Es ist eine Tatsache, dass die Minderheit in diesem Parlament weitgehend ausgeschaltet wird. Die Rede war vom Quorum zur Überprüfung eines Gesetzes hinsichtlich seiner Verfassungsmäßigkeit. Dieses Quorum ist eindeutig zu hoch. Dieses typische Oppositionsrecht ist heute real nicht wahrzunehmen, es sei denn, dass sich die Opposition, die sich innerhalb der Koalition findet, einem entsprechenden Antrag der Opposition anschließt. Das ist aber angesichts des herrschenden Fraktionszwangs relativ unwahrscheinlich. ({2}) Oder nehmen wir einen Untersuchungsausschuss, zumeist eingerichtet zum Aufdecken von - vorsichtig ausgedrückt - Unregelmäßigkeiten der Regierung. Die Geschäftsordnung erzwingt mit ihrem Quorum von 25 Prozent, dass sich die Opposition einig sein muss. Aber eine Koalition in der Opposition kann und darf es in diesem Parlament nicht geben. ({3}) Ein Untersuchungsausschuss kann sich auch mit Themen befassen, die das Regierungshandeln einer ehemaligen Regierungspartei und jetzigen Opposition betreffen. Da sind Hemmungen vorprogrammiert. Die Geschichte unseres Untersuchungsausschusses zum BND zeigt das exemplarisch. Ähnlich sieht es mit der Entscheidung über die Einrichtung von Enquete-Kommissionen aus. Das ist umso bedauerlicher, als über eine Enquete-Kommission Sachverständige in die parlamentarische Arbeit einbezogen werden und damit eine Stärkung der parlamentarischen Willensbildung, nicht nur der Opposition, sondern von Koalition und Opposition, erfolgt. Dass für die Einberufung einer ganz normalen Anhörung in den Ausschüssen ebenfalls 25 Prozent der Abgeordneten gebraucht werden, zeigt, dass die Regelungen unserer Geschäftsordnung in dieser Beziehung nicht mehr zeitgemäß sind. Da sind wir beim eigentlichen Problem. In Konsequenz geht es um Rechte und Pflichten des gesamten Parlaments, um Gestaltung von Politik und natürlich um Kontrolle der Regierung. Gerade das Kontrollrecht ist im eigentlichen Sinne kein Oppositionsrecht, sondern ein Recht des ganzen Parlaments, das auch so wahrgenommen werden sollte. ({4}) Das Parlament hat sich in seiner Mehrheit inzwischen zum verlängerten Arm der Regierung degradiert, zum Abnickorgan für Regierungshandeln. ({5}) Eine Mehrheit des Parlaments bewegt sich immer weiter weg von der Mehrheit der Bevölkerung. Wir erleben heute, dass die Demokratie nachhaltig beschädigt wird. Umso wichtiger wird Opposition, umso wichtiger werden Minderheitenrechte in diesem Parlament. Herr Kaster, Einvernehmen mit der Regierung herzustellen, ist nun gerade nicht Aufgabe der Opposition. ({6}) Mein Appell geht an Sie alle: Verschließen Sie sich einer solchen Debatte nicht! Sie geht uns alle an. Denken Sie daran: Wer heute in der Regierung sitzt, kann morgen schon in der Opposition sein und umgekehrt. Gestatten Sie mir dazu ein letztes Zitat.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es lautet: ... im Interesse der Aufgaben des Parlamentes ... werde ich persönlich ganz sicher ein hartnäckiger Verfechter der Interessen der Opposition sein. So noch einmal Kollege Lammert. Herr Präsident, wir werden Sie beim Wort nehmen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/581, 16/4119 und 16/126 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist so beschlossen. Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 7. März 2007, 13 Uhr, ein. Genießen Sie die gewonnenen Einsichten. Die Sitzung ist geschlossen.