Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/28/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 ({0}), 1413 ({1}), 1444 ({2}), 1510 ({3}), 1563 ({4}), 1623 ({5}) und 1707 ({6}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen - Drucksache 16/4298 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({7}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesaußenminister, Dr. Frank-Walter Steinmeier. ({8})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Wieder einmal beschäftigt das Thema Afghanistan den Deutschen Bundestag. Schon fünf Jahre lang engagieren wir uns für Frieden und Wiederaufbau in diesem Land. Die Erinnerung an die Anschläge von Washington und New York beginnt langsam zu verblassen. Alle Fraktionen haben damals hier, im Deutschen Bundestag, versichert, dass der Kampf gegen den Terror uns erstens Kraft und zweitens einen langen Atem abverlangen wird. So ist es gekommen. Unsere Geduld und unsere Beharrlichkeit bei der Durchsetzung unseres Konzeptes und der eingeschlagenen Politik werden jetzt auf die Probe gestellt. Diese Probe müssen wir bestehen. ({0}) Wir haben in Afghanistan viel erreicht. Besonders im Norden des Landes, wo die Bundeswehr arbeitet und Verantwortung trägt, hat sich die Situation verbessert. Wir haben Straßen und Schulen gebaut. Wir haben Brunnen gebohrt. Millionen von Flüchtlingen konnten zurückkehren. 7 Millionen Jungen und Mädchen können wieder eine Schule besuchen. ({1}) Es muss aber auch gesagt werden: Vor allem im Süden des Landes hat sich die Situation im vergangenen Jahr verschärft. Dort vollzieht sich der Wiederaufbau für viele Afghanen nicht schnell genug. Dort kämpfen die Taliban gegen den Fortschritt für die Menschen, weil er aus dem Westen kommt und weil er den Erfolg ihrer religiösen Ideologie untergräbt. Darum kämpfen die Talibankräfte dort nicht nur gegen die NATO, sondern zerstören auch gerade wieder aufgebaute Schulen und andere Projekte, die dem Wohle der Menschen dienen. Aus diesem Grund darf der Einfluss der Taliban im Süden und Südosten des Landes nicht weiter anwachsen. ({2}) Afghanistan wird nur dann eine gute Zukunft haben, wenn auch der Süden und der Osten des Landes von der wachsenden Stabilität, die wir im Norden sehen, profitieren. Diese Stabilität konnte erst durch das Tätigsein nicht nur der Bundeswehr, sondern auch vieler ziviler Hilfsorganisationen wachsen. Wir haben uns vielfach bei den Soldaten der deutschen Bundeswehr bedankt. Das wollen wir auch heute tun. Wir wollen uns heute aber Redetext auch bei den Helfern der vielen zivilen Hilfsorganisationen von dieser Stelle aus bedanken. ({3}) Wir können dennoch nicht darüber hinwegsehen, dass die gegensätzliche Entwicklung in den einzelnen Teilen Afghanistans, die ich gerade geschildert habe, auch das Bündnis, die Solidarität innerhalb der NATO, auf eine harte Probe stellt. Als vor Jahren verschiedene Verantwortlichkeitszonen in Afghanistan eingerichtet wurden, war das in dieser Form vielleicht noch nicht absehbar. Obwohl sich das Anschlagsniveau im Norden - ich sprach gerade davon - im Laufe des letzten Jahres erhöht hat, ist die Lage in den unter deutschem Command stehenden Nordprovinzen immer noch stabiler und ruhiger als anderswo. Andere Nationen - nicht nur die USA, sondern auch die Niederlande, Dänemark und Kanada - befinden sich im Süden des Landes in einem Einsatz, der viele ihrer Soldaten das Leben gekostet hat. Manche werfen uns und anderen vor, dass die Lastenverteilung im Bündnis manchmal nicht fair ist. Um das ganz klar zu sagen: Ich halte diesen Vorwurf, soweit er sich an uns gerichtet hat - in der Debatte vor dem letzten NATO-Gipfel in Riga haben das viele verfolgt -, für unberechtigt. ({4}) Denn es ist doch nach wie vor so, dass wir mit unseren 2 800 Soldaten zu den größten Truppenstellern innerhalb der ISAF gehören. Wir Deutsche haben in den vergangenen Monaten viel dafür getan, unsere politischen Anstrengungen für die Zukunft Afghanistans weiter zu erhöhen. Dies geschieht bilateral und durch europäische Initiativen. Erst gestern hat die Bundesregierung angekündigt - Dank an den BMZ-Haushalt -, unseren Anteil für den zivilen Aufbau um weitere 20 Millionen Euro zu erhöhen. ({5}) Dieses Geld wird auch in Zukunft für Schulausbildung, für Krankenversorgung und für Infrastruktur im weitesten Sinne zur Verfügung stehen. Nicht nur das: Sie wissen, dass wir uns auf europäischer Ebene mit anderen dafür eingesetzt haben, dass unsere Anstrengungen und die der Italiener beim Polizeiaufbau und beim Aufbau des Justizapparates von anderen europäischen Nationen unterstützt werden. Die entsprechenden Beschlüsse wurden im letzten Allgemeinen Rat vor zwei Wochen gefasst. Im NATO-Rat - auch das muss erwähnt werden - haben wir mit anderen eine Debatte über eine bessere Verknüpfung von zivilen und militärischen Maßnahmen angestrengt. Nicht nur das: Wir haben auch eine Debatte über den Stellenwert ziviler Wiederaufbaumaßnahmen angeregt. Ich darf sagen: Ausnahmslos alle sehen die Notwendigkeit eines veränderten Auftritts der internationalen Staatengemeinschaft. Kein NATO-Mitglied hat ein Interesse daran, in Afghanistan von der dortigen Bevölkerung sozusagen als Teil einer seelenlosen Besatzungsarmee wahrgenommen zu werden. ({6}) Alle kennen den Anlass ihrer Präsenz. Der Anlass ihrer Präsenz ist: Afghanistan muss wieder auf die Beine kommen, muss alleine lebensfähig werden. Deshalb werden wir und viele andere ihre zivilen Wiederaufbauanstrengungen ausweiten. Sie haben heute Morgen gelesen, dass zum Beispiel Kanada die Eigenanstrengungen jetzt um weitere 100 Millionen Euro erhöht. Das ist erfreulich. Aber so erfreulich das ist, es macht unsere militärische Präsenz in Zukunft noch nicht überflüssig. Die NATO hat beim Einsatz für den Frieden in der Vergangenheit zusätzliche Aufgaben übernommen und den Bedarf für weitere Hilfe angemeldet. Ich halte es für unabdingbar, an solche Hilfen zu denken, damit der Einsatz der ISAF insgesamt gelingt. Ob das nun so ist oder nicht, ob der eine oder andere das wahrhaben will oder nicht: Die Aufklärung aus der Luft kann nun einmal - der Verteidigungsminister wird sicher darauf hinweisen - kein System so gewährleisten wie die RECCE-Tornados unserer Bundeswehr. Ihre Bilder verbessern das Lagebild für die ISAF-Mission, dienen damit auch dem Schutz der ISAF-Soldaten, und zwar in ganz Afghanistan, auch jener, die sich in besonders schwierigen Einsatzgebieten im Süden befinden. Letztlich kommt ein verbessertes Lagebild - um das geht es hier - auch den zivilen Helfern und der Bevölkerung in Afghanistan selbst zugute. ({7}) Die Entsendung der Tornados ist ein Zeichen unserer Unterstützung der ISAF und der NATO in Afghanistan in zweifellos schwieriger Zeit. Ich sage: Aus meiner Sicht sind wir diese Solidarität dem Bündnis schuldig. Deshalb sind wir bei der schwersten Aufgabe in der Geschichte dieses politisch-militärischen Bündnisses jetzt gefragt. Kanadier, Niederländer und US-Amerikaner bitten um die Tornados ausschließlich im Auftrag der ISAF-Mission. Ich kann Ihnen versichern: Aufklärungsergebnisse werden eingeschränkt und kontrolliert an die OEF-Mission übermittelt, die sich, wie Sie wissen, dem Kampf gegen den Terror widmet. So steht es im ISAFOperationsplan. Wir haben einen sogenannten Close Air Support in diesem Mandat explizit ausgeschlossen. Aber es wäre nicht ehrlich, wenn ich nicht hinzufügen würde: Die OEF ist natürlich kein Teufelswerk, weil sie militärisch für die langfristige Befriedung Afghanistans kämpft. Wir haben seit Anbeginn beides, ISAF und OEF, für notwendig gehalten. Vergessen wir bitte nicht: Auch die ISAFMission ist auf Hilfe durch OEF-Soldaten angewiesen. Wie ich weiß, haben manche im Bundestag die Sorge, dass die Bundeswehr Zug um Zug in eine mehr oder weniger unkontrollierte militärische Auseinandersetzung hineinschlittert. Ich teile diese Sorge nicht. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir bestimmte Formen des Einsatzes der Tornados, nämlich den unmittelbaren Kampfbezug, ausdrücklich ausgeschlossen haben. Wir stellen die Tornados nur für Aufklärungszwecke zur Verfügung. Ich verstehe das Unwohlsein einiger Abgeordneter hier im Haus; das habe ich signalisiert. Viele fragen - diese Fragen haben mich erreicht -, ob der militärische Kampf im Süden Afghanistans nicht Ausdruck einer gewissen politischen Hilflosigkeit ist. Manche zweifeln, ob ein langfristiger Frieden in Afghanistan mit dem derzeitigen Konzept möglich ist, und fragen nach einer Exitstrategie. Meine Damen und Herren, ich will all diesen unangenehmen Fragen nicht ausweichen, sondern eindeutig entgegnen: Nein, nach meiner festen Überzeugung ist der Afghanistaneinsatz nicht gescheitert. Er wäre nur dann gescheitert, wenn wir die erforderlichen Hilfen und Mittel für unsere politische Strategie zum Wiederaufbau, die natürlich weiterhin von militärischen Einsätzen begleitet sein muss, jetzt nicht zur Verfügung stellen. ({8}) Niemand will, dass die Bundeswehr bis zum SanktNimmerleins-Tag in Afghanistan bleibt. Unser Konzept zielt darauf, dass die Region um Afghanistan ihre Konflikte langfristig selbst löst. Darum arbeiten wir gemeinsam mit anderen Partnern zum Beispiel daran, dass die Spannungen zwischen Afghanistan und Pakistan überwunden werden und der Boden für eine rationale Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Ländern bereitet wird. Wir haben die Außenminister Afghanistans und Pakistans gerade erst zum nächsten G-8-Außenministertreffen eingeladen, um die Möglichkeit einer konstruktiven Zusammenarbeit zu schaffen. ({9}) Ich komme zum Schluss. Wir müssen verhindern, dass Afghanistan wieder zu einer Ausbildungsstätte für den internationalen Terrorismus wird. Wir müssen den Menschen in Afghanistan demonstrieren, dass die Teilhabe an Wohlstand, an Bildung und Forschung bessere Chancen für ihre Kinder und Enkel birgt als ein Leben unter den Zwängen radikaler Islamisten. Ich habe das schon bei anderer Gelegenheit gesagt - der eine oder andere wird sich erinnern -, aber ich will es mit Nachdruck wiederholen: Afghanistan ist nur verloren, wenn wir es verloren geben. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Werner Hoyer, FDPFraktion. ({0})

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal finde ich es gut, dass wir uns heute mit diesem Mandat befassen und in der nächsten Woche darüber entscheiden. Lange Zeit hat es nämlich so ausgesehen, als sollte der Deutsche Bundestag mit der Ausweitung dieses Mandates nicht befasst werden. Ich denke, diese Ausweitung des Mandates bringt eine solch neue Qualität der Mitwirkung der Bundeswehr mit sich, dass es unverzichtbar ist, dass der Deutsche Bundestag darüber entscheidet; denn wir halten ohne Wenn und Aber an der Parlamentsarmee fest. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE] Wir haben, als wir im Herbst über die Verlängerung von OEF und ISAF debattiert haben, gedacht, dass wir, um uns über die Entwicklung unserer mittel- und langfristigen Strategie für Afghanistan Gedanken zu machen, bis zum Ende dieses Jahres Zeit hätten. Denn wir wissen doch - in München ist es deutlich geworden -, dass zwei entscheidende, große Fragen offen sind: Wie sieht es mittel- und langfristig mit der Drogenproblematik aus? Wie sieht es mit der offenen Flanke Pakistan aus? Auf beide Fragen gibt es keine befriedigenden Antworten. Deswegen sind die Fragen der mittel- und langfristigen Entwicklung, die der Bundesminister eben angesprochen hat, auch für uns von herausragender Bedeutung. Aber es sind keine technischen Fragen oder irgendwelche Nickeligkeiten, die dazu führen, dass es uns in der gegenwärtigen Diskussion so unwohl ist; ich spüre das bei Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen. Denn beide möglichen Entscheidungen, Ja oder Nein - eine Enthaltung kann es hier wohl nicht geben -, sind mit erheblichen Nachteilen und Bedenken verbunden. Was würde ein Nein des Deutschen Bundestages bedeuten? Es würde zumindest zwei große Probleme aufwerfen: Wenn Deutschland eine Ressource, von der wir mehr oder die wir besser als jeder andere in der NATO zur Verfügung haben, verweigert, dann wird das im Zweifel an die Grundfesten des Bündnisses und unsere Fähigkeit, dort mitzuwirken, gehen; darüber müssen wir uns im Klaren sein. Zum Zweiten müssen wir uns darüber im Klaren sein, was es bedeutet, wenn wir leichtfertig mit der Dimension Aufklärung umgehen, welche Risiken, welche Verantwortung wir auf uns nehmen, wenn wir es unmöglich machen, Ergebnisse von Aufklärungsaktivitäten zur Verfügung zu stellen, die nicht nur dazu dienen können, Ziele zu identifizieren, sondern die zunächst einmal dazu dienen, überhaupt Lagebilder zu erstellen, die die Operation unserer eigenen Kräfte und die unserer Partner in Afghanistan und damit auch das Leben der Menschen in Afghanistan, auch im Hinblick auf die Vermeidung von Kollateralschäden, sicherer machen können. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite, liebe Kolleginnen und Kollegen, spüre ich überall, dass kaum einer hier Lust hat, sich geradezu auf eine schiefe Ebene zu begeben, mög8130 licherweise in etwas hineinzurutschen, was wir hinterher nicht mehr kontrollieren können, hineinzurutschen in eine Operationsführung, die wir, einschließlich der Bundesregierung, neulich bei der Verlängerung von OEF und auch im Vorfeld des NATO-Gipfels von Riga noch deutlich kritisiert haben. Deswegen ist es wichtig, dass hier Brandmauern eingezogen werden. Wichtig ist hier aber auch, dass sich die Rhetorik ändert. Ich sage einmal für meine Fraktion: Jeder rhetorische Versuch des NATO-Generalsekretärs, der mehr auf die amerikanische Kultur ausgerichtet ist als auf die europäische, bringt mehr Neinstimmen für die Operation in meiner Fraktion. Wir erwarten dringend, dass innerhalb der NATO rhetorisch abgerüstet wird, insbesondere bei dem zivilen politischen Führer dieses Bündnisses. ({0}) Wir dürfen auch nicht übersehen, was es bedeuten würde, wenn wir nicht hinreichend Einfluss nehmen auf die Kommandokette. Da sind gestern bei uns in der Fraktion wichtige Antworten vom Verteidigungsminister gegeben worden. Die Bundesregierung hat das Abstimmungsverhalten vieler hier im Hause, auch aus unserer Fraktion, noch immer in der Hand, glaube ich. Wir wollen eben sehen, dass tatsächlich ein Strategiewechsel des Bündnisses auch insofern sichtbar wird, als die Priorität des Politischen vor dem Militärischen wieder deutlich erkennbar wird; dass die Aufbauarbeit nicht nur als Nebenkriegsschauplatz begriffen wird, sondern als unsere Hauptaufgabe. Gleichwohl vergessen wir nicht, weswegen wir überhaupt in Afghanistan sind, nämlich um nach den Ereignissen des 11. Septembers 2001 al-Qaida und die Taliban zu bekämpfen und den Terrorismus, der von diesen Organisationen ausgeht, aus unserem eigenen Lande herauszuhalten; das darf man bei all dem nicht vergessen. ({1}) Die Bundesregierung wird uns auch deutlich machen müssen, dass sie sich der Verantwortung für ISAF insgesamt bewusst ist. Es wird ja häufig so getan, als würden wir schöne, saubere Aufgaben im Norden wahrnehmen, während andere im Süden die Drecksarbeit machen. So ist es nicht. Wir müssen uns klarmachen: Die NATO basiert im Grunde auf dem Konsensprinzip; das gilt dann auch für eine NATO-Operation wie ISAF. Wir dürfen nach meiner Auffassung auch nicht ungerecht sein gegenüber unseren Partnern, wenn wir unseren Ansatz im Norden - die Vernetzung von Zivilem und Militärischem für überlegen halten. Allerdings müssen wir dem auch Taten folgen lassen. Ich finde, die Ansätze im Bereich Polizeizusammenarbeit, Justiz, Entwicklungspolitik sind eher mäßig. Die Art der Zusammenarbeit mit der militärischen Seite ist es ebenfalls. Von daher müssen wir sehr aufpassen, dass wir die anderen nicht in ein falsches Licht rücken. Das gilt auch für die Weitergabe von Ergebnissen. Dabei - das mag Sie vielleicht überraschen - bin ich sehr viel großzügiger als der Herr Bundesminister. Denn ich bin der Auffassung, dass es auch unter Bündnisgesichtspunkten fatal wäre, wenn wir über Aufklärungsergebnisse verfügen würden, die für OEF-Operationen wichtig sein könnten, und sie verweigern würden mit der Folge, dass Soldaten unserer Bündnispartner zu Schaden kommen. Auch das könnten wir nicht vertreten. ({2}) Wir Liberalen werden den Antrag unvoreingenommen prüfen und am nächsten Dienstag darüber entscheiden. Wir sind uns der Verantwortung, die wir tragen, in beiden Richtungen völlig bewusst. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Bundesverteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung. ({0})

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat entschieden, der Bitte der NATO zu entsprechen und die Lücke hinsichtlich der Fähigkeiten zur Luftaufklärung in Afghanistan zu schließen, und sie bittet das Parlament, diese Entscheidung mit großer Zustimmung mitzutragen. Was ist der Sinn und Zweck, diese Aufklärungslücke zu schließen? Tatsache ist, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan im letzten Jahr verschlechtert hat. Es ist eine erhebliche Zunahme der Zahl der Selbstmordanschläge und Angriffe auf unsere Soldaten - sei es mit Panzerfäusten oder anderen Geschossen - zu verzeichnen. Ich habe deshalb schon im letzten Jahr entschieden, dass der Schutz unserer Soldaten erhöht wird, und zwar durch geschützte Fahrzeuge, aber auch durch unsere Aufklärungsdrohne LUNA, die der Aufklärung in einem Radius von 40 Kilometern dient. Jetzt geht es darum, die Aufklärungslücke für Gesamtafghanistan zu schließen, auch im Interesse des Schutzes unserer Soldaten, der Soldaten von ISAF, der Wiederaufbauteams, aber auch der zivilen Bevölkerung. Dies entspricht der Bitte der NATO, und es ist der Grund, warum wir um Zustimmung für dieses Mandat nachsuchen. ({0}) Wir haben mit der NATO abgestimmt, wie wir die Verantwortung wahrnehmen. Daran hat sich auch trotz der einen oder anderen Irritation, die sich in der letzten Woche vielleicht ergeben hat, nichts geändert. Tatsache ist: Wir haben zunächst im Norden die Verantwortung übernommen. Dann haben die Italiener im Westen die Verantwortung übernommen, die Briten, Kanadier und Niederländer im Süden, die Amerikaner im Osten und die Franzosen in Kabul. Die Ausweitung auf den Süden ist im Juli letzten Jahres und auf den Osten im Oktober des letzten Jahres abgeschlossen worden. Das hatte zur Folge, dass jetzt auch die Amerikaner und die Briten dem ISAF-Mandat und damit auch der NATO-Kommandoführung unterworfen sind und dass wir eine Gesamtverantwortung für Sicherheit und Wiederaufbau in Afghanistan haben. Das hat auch etwas damit zu tun, wie sich nunmehr die Verantwortung unserer Soldaten in den Kommandostrukturen darstellt. Manchmal wird argumentiert, die Kommandostruktur sei einseitig durch die Vereinigten Staaten von Amerika geprägt. Dies ist nicht zutreffend. Tatsache ist: Wir haben heute eine Kommandostruktur mit dem NATO-Oberbefehlshaber, General Craddock - einem Amerikaner -, aber in der NATOKommandostruktur in Brunssum ist unser General Ramms für Afghanistan verantwortlich. In der unmittelbaren Kommandostruktur in Afghanistan ist General McNeil, ein Amerikaner, zuständig, aber Stabschef im Hauptquartier der ISAF ist unser General Kasdorf. Ich will damit deutlich machen, was für die Umsetzung, die militärische Verantwortung und die Gesamtstrategie, die wir für notwendig erachten - ich komme gleich darauf zurück -, nämlich militärische Sicherheit zu gewährleisten, aber auch den Wiederaufbau voranzutreiben, gilt: ohne Sicherheit keine Entwicklung, aber ohne Entwicklung auch keine Sicherheit. Das ist die Philosophie, die sicherstellt, dass wir in Afghanistan erfolgreich sein werden. ({1}) Unsere Tornados haben hervorragende Fähigkeiten; der Außenminister hat darauf hingewiesen. Sie können bei der Tagaufklärung in einer Höhe von bis zu 8,5 Kilometern auch bei schlechtem Wetter und einer Geschwindigkeit von über 1 000 km/h exakte Bilder liefern und Nachtaufklärung durch Infrarot betreiben. Sie gewährleisten damit, dass Schutzfunktionen verhältnismäßiger und angemessener wahrgenommen und dass damit Risiken im Vorfeld beseitigt werden können. Das macht den Schutz deutlich, den die Tornados gewährleisten. Die Soldaten der Bundeswehr operieren mit einem Mandat der Vereinten Nationen, und zwar sowohl im Rahmen von ISAF als auch im Rahmen von OEF. Wir operieren auf der Grundlage des Völkerrechtes. Andere Darstellungen entsprechen nicht der Wahrheit; diese will ich hier deutlich zurückweisen. ({2}) Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat entschieden, dass selbstverständlich beide Mandate unterstützt werden; denn die Operation „Enduring Freedom“, die der Terrorismusbekämpfung dient, zielt genauso auf die Gewährleistung der Sicherheit, die Stabilisierung und den Wiederaufbau ab wie das ISAF-Mandat. Deshalb haben wir klar und deutlich gemacht, dass die Anforderung der Tornados durch ISAF erfolgt, dass aber dann, wenn es notwendig ist - so ist die Formulierung im Operationsplan -, die entsprechenden Daten an die OEF weitergegeben werden. Nur so kann Sicherheit im gesamten Umfeld hergestellt werden und die ISAF zusätzliche Sicherheit gewährleisten. Es ist ein entscheidender Punkt, dass nicht nur die Regierungschefs in Riga, sondern auch die Außen- und die Verteidigungsminister die Bedeutung dieser Gesamtstrategie für die praktische Umsetzung deutlich unterstrichen haben und dass sich alle sehr nachdrücklich dazu bekannt haben. Wenn sich nun in Afghanistan die zivile und die militärische Seite mit der dortigen Regierung beispielsweise in einem wöchentlichen Rhythmus treffen, um Maßnahmen abzustimmen, dann halte ich das für den richtigen Weg; denn entscheidend ist, dass wir nicht nur Sicherheit herstellen, sondern auch den Wiederaufbau vorantreiben, um so die Herzen der Menschen zu gewinnen. Nur so werden wir bei unserem Versuch erfolgreich sein, Afghanistan zu stabilisieren und in eine positive Zukunft zu führen. ({3}) Die Bundeswehr hat bereits 630 Projekte in Angriff genommen, von Schulen, Kindergärten über den Straßenbau und die Wasserversorgung bis hin zu Krankenhäusern. Wir planen seitens der Bundesregierung, bis zum Jahr 2010 insgesamt 900 Millionen Euro hier zu investieren. Die Entwicklungsministerin hat nun einen Betrag von 20 Millionen Euro hinzugefügt. Es ist notwendig und wichtig, dass wir in einem sicheren Umfeld die Wiederaufbaumaßnahmen vorantreiben, um dafür zu sorgen, dass Afghanistan in der Lage ist, seine Sicherheit selber zu gewährleisten. Selbstverständlich helfen wir mit, Streitkräfte und Polizeistrukturen in Afghanistan aufzubauen. Durch gemeinsame Operationen von ISAF sowie afghanischen Streitkräften und afghanischer Polizei wird der Aufbau einer Sicherheitsphilosophie gewährleistet, die letztlich zu einer selbsttragenden Sicherheit führt; das ist unser Ziel. Wir wollen, dass dieses Land, das nun eine demokratisch gewählte Regierung und ein demokratisch gewähltes Parlament hat und das sich in einer Entwicklungsphase befindet, die dadurch gekennzeichnet ist, dass immerhin wieder 7 Millionen Kinder zur Schule gehen und dass 80 Prozent der Bevölkerung basismedizinisch versorgt werden - Erfolge sind also durchaus festzustellen -, in Zukunft in der Lage ist, für seine Sicherheit selber zu sorgen und einen eigenen Weg in eine gute Zukunft zu gehen. ({4}) Deshalb bitte ich Sie, diese Entscheidung der Bundesregierung zu unterstützen. Ich halte das auch im Hinblick auf unsere Soldatinnen und Soldaten für notwendig. Ich will noch einmal unterstreichen: Der Tornado hat zwei Fähigkeiten. Er hat die Aufklärungsfähigkeit, und er hat die Kampffähigkeit. Es wird jetzt eindeutig die Aufklärungsfähigkeit nachgefragt. Selbstverständlich ist der Selbstschutz gegeben. Aber ich will auch deutlich sagen: Der Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan ist mit Risiken verbunden. Er ist mit Risiken auch für Leib und Leben unserer Soldaten verbunden. Sie machen dies im Interesse unserer Sicherheit und einer Entwicklung, die dazu beiträgt, dass Afghanistan nicht wieder zu einem Ausbildungszentrum für Terroristen wird. Um all das und um eine positive Entwicklung zu gewährleisten - dazu dient jetzt unsere Entscheidung, mit der Aufklärungsfähigkeit eine Lücke zu schließen. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung. Besten Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Paul Schäfer, Fraktion Die Linke. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In diesem Haus fallen wichtige Entscheidungen, noch wichtigere und ganz besonders wichtige. Diese hier ist ganz besonders wichtig. Es geht um die Frage: Verstrickt sich die Bundesrepublik mit der Entsendung der Tornados mehr und mehr in ein Kriegsgeschehen, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt, oder werden mit dem Nein zur Entsendung der Tornados die Weichen für einen Truppenabzug und für den zivilen Aufbau des Landes gestellt? Das ist die Grundfrage. ({0}) Machen wir uns nichts vor: Mit den sechs bis acht Tornados werden wir ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil eines robusten Kampfeinsatzes, der mit einer Frühjahrsoffensive der NATO - so heißt es - beginnt, dessen Ende aber ungewiss ist. Machen wir uns nichts vor: Die Bilder aus den Tornados sind nicht für das Familienalbum und nicht für die Wetterkarte. Hier werden als militärisch wichtig erachtete Ziele aufgeklärt, die dann mit militärischen Mitteln - sprich: Bomben und Raketen - bekämpft werden sollen. Dass die gesamte NATO-Armada inzwischen nicht unbeträchtlich aufgestockt wird, zeigt, wie ernst man das meint. Außerdem sollen die Tornados die britischen Harriers ersetzen, die damit für unmittelbare Kampfeinsätze frei werden. Gewalteskalation ist vorprogrammiert. Umso wichtiger ist hier jetzt unser Nein. ({1}) ISAF war ursprünglich eine reine Schutztruppe der NATO zur Sicherung des zivilen Aufbaus. ({2}) Zeitgleich wurde ein harter Kampf, ein harter Krieg gegen den Terror im Süden des Landes geführt. Jetzt haben wir eine Ausweitung von ISAF. Man hätte annehmen können, dass die allzu robusten Kampfverbände durch eine Schutztruppe ersetzt würden. Aber wir erleben eine eigenartige Umkehrung: ISAF führt heute Luftkrieg, ISAF ist inzwischen an robusten Bodenoperationen beteiligt. ISAF und „Enduring Freedom“ sind zwar formal noch getrennte, aber nicht mehr zu trennende Militäreinsätze, und die Tornadoerkenntnisse werden für diese Kriegshandlungen genutzt werden. ({3}) Wir sollten in diesem Zusammenhang die Hinweise aus dem Kreis von CDU/CSU-Kollegen, der Kollegen Wimmer und Gauweiler, sehr ernst nehmen, die sagen: Der Einsatz der deutschen Tornados kommt einer Teilnahme an Militäraktionen gleich, die vom Völkerrecht und vom gültigen NATO-Vertrag nicht gedeckt sind. Genauso ist es. ({4}) Aus dem Irak ist doch zu lernen. Mit überlegenen Streitkräften einen Krieg zu gewinnen, ist gar nicht so schwierig. Mission accomplished, Mission erfüllt. Aber eine dauerhafte Befriedung und eine nachhaltige demokratische Entwicklung sind nicht zu erreichen, dies nicht zuletzt deshalb, weil viele Unschuldige sterben und Menschen unter diesen Zerstörungen leiden müssen. Die Militärs können Ihnen nicht garantieren, dass sie Schmuggelkarawanen und lose Talibantrupps genau auseinanderhalten können. Sie können nicht garantieren, dass man untergetauchte Widerstandskämpfer und Zivilisten fein säuberlich auseinanderhalten kann. Deshalb ist klar: Es werden Unschuldige getötet werden, und das werden bewaffnete Dschihadisten als Rechtfertigung dafür nehmen, dass sie den Terror hierher tragen. Wenn wir dabei sind, wenn an der Gewaltspirale gedreht wird, dann ist es nicht aus der Luft gegriffen, zu sagen: Deutschlands Sicherheit wird am Hindukusch gefährdet. ({5}) Terroristen muss man entgegentreten - wohl wahr! -; aber man darf ihnen keinerlei Nährboden bieten. Darüber, wie man diesen Nährboden trockenlegt, muss gesprochen werden. Gesprochen werden muss über den Frust und den Zorn der Menschen, vor allem im Süden und Osten des Landes. Dass es nicht vorangeht, dass sich die Lage verschlechtert hat, zeigen neuere Studien, die Sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen, zum Beispiel die vom Senlis Council. Wir haben heute Morgen festgestellt, dass die Regierung diese Studie gar nicht kennt. So ist die Lage. Die Befürworter der Tornadoentsendung setzen ihre Hoffnung jetzt auf eine Art Doppelstrategie: einerseits mehr Krieg, andererseits mehr Entwicklungsinvestitionen. Aber das ist nicht einmal ein Nullsummenspiel. Wie viele Mittel vor Ort tatsächlich ankommen, steht auf einem anderen Blatt. Afghanistan gilt als das erste Beispiel eines von außen erzwungenen Regimewechsels. Heute gilt es auch als Referenzprojekt für die NATO, um zu zeigen, wie man gescheiterte Staaten aufzubauen gedenkt. Ich glaube, dieser Weg führt in die Sackgasse. Wir sollten daher umkehren, ehe es zu spät ist. Das sieht übrigens die überwiegende Mehrzahl der Deutschen genauso. Diese Menschen sind gegen die Paul Schäfer ({6}) Tornadoentsendung. Wenn Politiker der Großen Koalition jetzt laut darüber nachdenken, ob wir zukünftig mehr Vorratsbeschlüsse des Parlaments brauchen, so zeugt das, wie ich finde, nicht von urdemokratischer Gesinnung. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Hören Sie auf die Leute! Ändern Sie Ihre Politik! Fangen Sie damit an, die deutschen Truppen aus Afghanistan zurückzuziehen! Danke. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Fritz Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man von der Linken und der PDS einmal konkret hören würde, wie nach ihrer Vorstellung der internationale Terrorismus effektiv bekämpft, die zivile Gesellschaft in Afghanistan unter den jetzt im Lande herrschenden Bedingungen gestärkt und der Staat aufgebaut werden können, ({0}) dann würden sie an Glaubwürdigkeit gewinnen. Aber dazu sagen die Linken in diesen Debatten nie etwas. ({1}) Ich will für meine Fraktion sagen, dass wir zum deutschen und internationalen zivilen und auch militärischen Engagement in Afghanistan im Grundsatz stehen. Wir stehen zu ISAF als der klassischen Verbindung von militärischer Sicherheit auf der einen Seite und zivilem Aufbau und Nation-Building auf der anderen Seite. Wir haben über den Antrag der Bundesregierung zu entscheiden, ob man das ISAF-Mandat um den Einsatz von sechs bis acht Tornados ergänzen soll. Das ist eine schwierige Situation, die ich erläutern will. Die Situation ist schwierig, weil nicht ganz klar ist - Herr Hoyer, erst nach Prüfung dieser Frage wird meine Fraktion nächsten Dienstag endgültig entscheiden -, ob der vieldiskutierte Strategiewechsel im Zusammenhang mit dem, was in Afghanistan bezüglich ISAF geschieht, tatsächlich stattfindet oder ob er nur auf der Ebene verbaler Bekundungen, sozusagen PR-mäßig bzw. proklamatorisch, abläuft. Es geht darum, ob er vor Ort, also da, wo die Menschen sind, wirklich umgesetzt wird. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt eine schwer entscheidbare Frage. Mitglieder unserer Fraktion haben in unserer heutigen Fraktionssitzung gesagt: Ich bin für ISAF und den damit verbundenen Ansatz. - Diese Kollegen sind aber skeptisch, ob dieser Ansatz unter den jetzigen Bedingungen durch den Einsatz von Tornados gestärkt werden kann. Andere Mitglieder unserer Fraktion sagen: Jawohl, wir unterstützen dies, weil wir die Hoffnung haben, dass ein Strategiewechsel stattfindet und dass der Einsatz von Tornados diesem Strategiewechsel sogar zugute kommt. So ist die Lage bei uns. Ich fordere die Bundesregierung auf, bei dem, was sie heute hier tut, und bei dem, was sie im Ausschuss tut, deutlich zu machen - dazu habe ich zu wenig gehört -, in welcher Weise sie durch nationales Engagement, aber auch durch internationales Engagement, also durch Engagement auf der Ebene der NATO oder in bilateralen Gesprächen, etwa mit den Amerikanern, diesen Strategiewechsel wirklich effektiv voranbringt. ({2}) Da müssen wir abschichten, Herr Verteidigungsminister. Meiner Fraktion fällt eine Entscheidung manchmal schwer, weil wir viele unsinnige Begründungen für den Tornadoeinsatz hören, die es tatsächlich nicht sein können, manchmal - das ist unser Eindruck - nach dem Muster: Lasst uns schnell Ja sagen, damit wir als Deutsche nicht mit Soldaten vor Ort im Süden Afghanistans mehr tun müssen. - Das ist natürlich keine Begründung für einen Tornadoeinsatz, über den das Parlament abstimmen soll, sondern eine Ausrede, um eine grundsätzlichere und schwierigere Debatte abzuwenden. Als Sie, Herr Verteidigungsminister Jung, gesagt haben, mit dem Tornadoeinsatz könnten wir 2 000 potenzielle talibanische Selbstmordattentäter bekämpfen oder aufklären, war das natürlich blanker Unsinn. Sorry, das war blanker Unsinn. Sie können vielleicht Bewegungen der Taliban und Veränderungen im Süden und im Osten des Landes beobachten und damit mehr Sicherheit für die ISAF-Truppen und vielleicht auch für den zivilen Aufbau schaffen, aber Selbstmordattentäter können Sie mit den Tornados nicht identifizieren. Das halten wir für blanken Unsinn, und Sie sollten die Öffentlichkeit mit solchen Begründungen verschonen. ({3}) Frau Bundeskanzlerin und Herr Außenminister, wenn der Strategiewechsel tatsächlich stattfinden soll, dann sehen auch wir Möglichkeiten, durch einen Tornadoeinsatz dazu einen Beitrag zu leisten. Aber dann müssen wir über andere Punkte reden. Erstens müssen wir über die Polizei reden. Beim Polizeiaufbau, für den die Deutschen ja verantwortlich sind, sind wir nicht so weit, wie wir sein müssten. Die 42 Polizeiausbilder, die wir dort im Land haben, reichen nicht aus. Meine Fraktion hat eine Verdreifachung gefordert; Sie haben darauf bislang nicht reagiert. Jetzt höre ich, Frau Bundeskanzlerin, dass auf europäischer Ebene mehr für den Polizeiaufbau getan werden soll. Sagen Sie nächste Woche im Ausschuss konkret, wie dies geschehen soll! Überzeugen Sie uns davon, dass es um eine effektive Verbesserung des Polizeiaufbaus geht und nicht nur um einen Letter of Intent oder eine Proklamation! Überzeugen Sie uns davon, dass hier tatsächlich mehr gemacht wird! ({4}) Zweitens. Ich kenne kein überzeugendes Konzept der Bundesregierung bei der wichtigen und entscheidenden Frage der Drogenbekämpfung. Die Vorstellung, aus der Luft Drogenfelder anzugreifen, reicht bei einem Land, dessen Ökonomie tief durch Drogenökonomie gekennzeichnet ist, nicht aus. Hier gibt es keine einfache Antwort, aber wir müssen an einem Konzept arbeiten - auch das würde zur Glaubwürdigkeit beitragen -, das die internationalen Partner im Rahmen von ISAF gemeinsam tragen. Es darf nicht sein, dass der eine dieses und der andere jenes sagt. Drittens. Wir müssen mehr für den zivilen Aufbau tun. Jetzt höre ich, dass die Bundesregierung zusätzlich zu den bisher vorgesehenen 80 Millionen weitere 20 Millionen geben will. Das ist gut, aber trotzdem behaupte ich: Es ist zu wenig. Die Kanadier haben ihren Beitrag um 200 Millionen erhöht, die Amerikaner um viel, viel mehr. Viertens. Zu Pakistan würde ich gerne von Ihnen, Herr Außenminister, im Ausschuss oder hier an dieser Stelle wissen, welche Initiativen Sie anregen, damit Pakistan auch durch internationalen Druck aus seiner Zwitterrolle - das Land gibt vor, die Terroristen zu bekämpfen, und unterstützt sie andererseits - herauskommen kann. Ich komme zum Schluss. Je mehr Sie die Perspektive des Strategiewechsels stärken, umso klarer wird die Unterstützung in diesem Haus sein. Meine Fraktion bekennt sich zu ISAF, sie hat aber noch unterschiedliche Positionen zu der Frage, ob der Einsatz der Tornados richtig ist oder nicht. Es liegt an Ihnen, die Bedenken auszuräumen, aber mit klaren Konzepten und Begründungen. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Walter Kolbow, SPD-Fraktion. ({0})

Walter Kolbow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch die SPD-Bundestagsfraktion ist der Meinung, dass es gut ist, dass wir heute über diesen Antrag der Bundesregierung diskutieren und eine politische Entscheidung hier in diesem Parlament einer juristischen Auslegung vorziehen. ({0}) Natürlich sind die Fragen, die gestellt worden sind, bis zur Entscheidung im Deutschen Bundestag in der nächsten Woche noch zu beantworten. Aber es ist auch schon eine Reihe von Antworten gegeben worden. Wenn man will, dann kann man diese Antworten zu seiner Entscheidungsfindung heranziehen. ({1}) Auch im Interesse der Zeitersparnis will ich hier auf das verweisen dürfen, was der Außenminister und der Verteidigungsminister zu den politischen, strategischen, aber auch technisch-militärischen Abläufen gesagt haben. Eines ist sicherlich richtig: Die Frage des Tornadoeinsatzes ist der äußere Anlass; aber der Fortgang in Afghanistan, die Entwicklung Afghanistans und natürlich auch die militärische Absicherung der Zukunft Afghanistans - das ist das Entscheidende. ({2}) Deswegen müssen wir uns natürlich auch mit dem Unbehagen - nicht nur in der Bürgerschaft, sondern auch hier im Parlament - auseinandersetzen sowie des Weiteren die Ratlosigkeit, die sich einschleicht, und die um sich greifende Enttäuschung über das zu niedrige Tempo bei Veränderungen und über Rückschläge beim Wiederaufbau in Afghanistan aufgreifen; wir müssen die Situation analysieren und definieren. Es ist richtig, dass es die meisten Mängel und Defizite beim Wiederaufbau im Süden und Osten gibt. Aschermittwoch war ein guter Tag für Afghanistan und für die internationale Gemeinschaft. Da ist das „Deutsche Haus“ in Kunduz eröffnet worden, ({3}) wo unsere vier Ministerien, die das integrierte Afghanistankonzept in der NATO, in den Vereinten Nationen und in der Europäischen Union vertreten, deutlich gemacht haben, dass sie Anlaufstationen für die Afghaninnen und Afghanen, Ratgeber und Informationsgeber sind. Wir, die Kollegen, die unter Federführung unseres Fraktionsvorsitzenden dort waren, haben von den afghanischen Gästen den Auftrag bekommen, dem deutschen Parlament zuzurufen: Bitte entsendet die Tornados! Wir wollen Sicherheit im Fortschritt unseres Landes und beim zivilen Wiederaufbau haben! - Gleiches ist uns in Masar-i-Scharif von säkularen und nichtsäkularen Teilnehmerinnen und Teilnehmern solcher Gesprächsrunden gesagt worden. ({4}) Also: Greifen wir es auf! Setzen wir im Süden und Osten fort, was wir - wir wollen uns da nicht hervortun, aber sollten das doch selbstbewusst sagen dürfen - im Norden begonnen haben! Ich bin schon der Meinung, verehrter Herr Kollege Kuhn, dass der Strategiewechsel greift. Wenn Sie sich die „development zones“ der Briten und auch die Entwicklung bei unseren amerikanischen Partnern anschauen, stellen Sie in diesem Zusammenhang Fortschritte fest. Die PRTs, die Stabilitätsinseln, von denen aus in die Provinzen hinein das zivile Wiederaufbauelement gestärkt werden soll, sind mittlerweile unter ISAFKommando, und unsere Verbündeten nehmen mehr und mehr die Ansicht auf, dass es ohne Fortschritt beim zivilen Wiederaufbau nicht geht. ({5}) Ich erwähne die 200 Millionen Dollar der Kanadier. Ich will an dieser Stelle einmal sagen dürfen, dass unsere kanadischen Freunde in Afghanistan einen beispielhaften Dienst leisten. ({6}) 2 000 Soldaten und Soldatinnen von 33 000 insgesamt sind im Süden Afghanistans. Sie haben jetzt 200 Millionen Dollar für den zivilen Wiederaufbau für den Süden gegeben, natürlich auch deshalb, weil die Freunde in Kanada erkannt haben, dass mit Mitteln für den zivilen Aufbau auch Selbstschutz betrieben wird sowie natürlich den Afghaninnen und Afghanen genutzt wird. Das vermisse ich bei der sogenannten politischen Linken in diesem Hause. ({7}) Sie überinterpretieren das Militärische, und Sie sagen kein Wort zum Gedanken des Schutzes unserer Soldatinnen und Soldaten, ({8}) kein Wort zum Gedanken des Schutzes der zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und kein Wort zum Schutz der afghanischen Bürgerinnen und Bürger vor terroristischen Anschlägen der Taliban. ({9}) Nun ein Satz zu denen, die der Meinung sind, wir würden uns hier völkerrechtswidrig verhalten. Dies sind Mandate, die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der Inhaber des internationalen Gewaltmonopols, beschlossen hat. In deren Rahmen handeln wir. ({10}) Unser Selbstverständnis, das der politischen, aber auch der militärischen Leitung, nicht nur im Verteidigungsministerium, das Selbstverständnis dieser Republik spricht für sich; völkerrechtswidrige Einsätze finden nicht statt. ({11}) Ich denke, dass wir angesichts der Guerillataktik der Taliban und des Risikos einer fortschreitenden Entfremdung der Bevölkerung aus verschiedenen Gründen, auch wegen der Vernichtung von Mohnanbauflächen ohne ausreichende Alternativen, verpflichtet sind, gerade im Süden und im Osten verstärkt auf Stabilisierungsstrategien zu setzen. Ich denke, wo immer es geht, sollten wir auf die gewonnenen lokalen und regionalen Erkenntnisse und auf die Unterstützung von Kräften aus diesem Bereich setzen; darauf sollten wir nicht verzichten. Politische Komplementärkomponenten sollten wir auf nationaler, aber auch auf internationaler Ebene weiterentwickeln. Frau Bundeskanzlerin, Herr Außenminister, Herr Verteidigungsminister, ich denke, dass da auch von der Europäischen Union, die ein 600-Millionen-Euro-Programm eingebracht hat, insgesamt noch mehr getan werden kann, um die NATO zu ergänzen, die natürlich ein politischer Partner ist, ein Partner, der aber mit seinem militärischen Know-how recht verstandene ergänzende Unterstützung seitens der Zivilmacht Europa gut gebrauchen kann. Wir von der SPD-Bundestagsfraktion werden uns diese Woche noch Zeit nehmen, bis wir zu einer Entscheidung kommen, und zwar aus Respekt vor den kritischen Nachfragen und den Gewissensgründen, die zu einer anderen Entscheidung führen können als zu der möglichen Entscheidung der Mehrheit für eine Entsendung. Wir müssen dies sehr aufmerksam abwägen und an das anknüpfen, was der Außenminister zum Schluss gesagt hat: Afghanistan ist nur verloren, wenn wir es verloren geben. Das wollen wir nicht. Wir knüpfen verantwortungsbewusst an unsere im Jahre 2001 getroffene Grundsatzentscheidung an, Afghanistan zu helfen, zu stärken und zu einem vollen Mitglied der internationalen Gemeinschaft zu machen. Danke schön. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger, FDPFraktion. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über einen Antrag der Bundesregierung zu einem Mandat, das für die Bundeswehr eine neue Qualität des Einsatzes in Afghanistan bedeutet. Deshalb ist es gut, dass wir heute im Deutschen Bundestag über dieses Mandat diskutieren. Gerade in den letzten Wochen hat es immer wieder Versuche gegeben, die Bundeswehr zu einer Regierungsarmee zu entwickeln. Das ist eine völlig falsche Entwicklung; sie stößt auf entschiedenen Widerstand der FDP. Ich denke, es ist gut, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist. Das bringen wir heute mit dieser Diskussion zum Ausdruck. ({0}) Der Auftrag, um den es hier geht, ist ein Aufklärungsauftrag. Es ist gerade in den letzten Tagen immer wieder darüber diskutiert worden, was mit den Aufklärungsdaten passieren soll. Der Bundesaußenminister hat hier gesagt, sie würden „eingeschränkt“ weitergegeben. Im Antrag heißt es: „restriktive“ Übermittlung. Da frage ich mich natürlich: Wird hier in irgendeiner Form die Praxis verändert? Das ist wahrscheinlich nicht der Fall. Dann soll die Bundesregierung aber auch dazu stehen. Die Aufklärungsdaten werden weitergegeben, auch an die Operation „Enduring Freedom“. Alles andere wäre weltfremd, es wäre - ich sage es ausdrücklich dazu - in bestimmten Situationen auch nicht verantwortbar. Daraus leitet sich ganz klar ab: Wenn die Bundeswehr Aufklärungsmaterial liefert, muss damit auch ein Einfluss auf die Kampfführung verbunden sein. Hier erwar8136 ten wir eine klare Aussage der Bundesregierung dazu, welchen Einfluss wir hier haben. ({1}) Für die FDP-Bundestagsfraktion sind vier Punkte von zentraler Bedeutung: Erstens. Wir sind der Auffassung, dass es eine deutliche Verstärkung der Anstrengungen in der zivil-militärischen Zusammenarbeit und beim Wiederaufbau geben muss. Wir sind nicht bereit, einfach nur eine zusätzliche militärische Maßnahme zu beschließen; denn mit militärischen Maßnahmen allein werden die Probleme nicht zu lösen sein. Wir brauchen verstärkte Wiederaufbauanstrengungen. Wir von der FDP-Bundestagsfraktion erwarten, dass die Bundesregierung nicht nur allgemeine Erklärungen hierzu abgibt, sondern das aufgreift und uns noch einmal darlegt, wie sie in den Bereichen, die sie selbst beeinflussen kann, beispielsweise bei der Polizeiausbildung, weiterkommen will und welche konkreten Schritte sie in diese Richtung tatsächlich unternimmt. ({2}) Zweitens. Nach den Diskussionen der letzten Wochen innerhalb der NATO muss die Frage erlaubt sein - auch darauf erwarten wir eine Antwort von der Bundesregierung -, ob mit diesem Mandat das Ende der Fahnenstange bei den Anforderungen an Deutschland erreicht ist oder ob mit immer weiteren Anforderungen zu rechnen ist. Es muss aus unserer Sicht sichergestellt sein, dass das jetzige Mandat keinen Einstieg in einen generellen Einsatz von Bodentruppen im Süden Afghanistans darstellt. ({3}) Ein dritter Punkt, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, ist für uns von ganz entscheidender Bedeutung. Sie haben beschlossen, dass die voraussichtlichen zusätzlichen Kosten in Höhe von 35 Millionen Euro für diesen Einsatz bis zum 13. Oktober aus dem Verteidigungshaushalt erbracht werden sollen. Ich halte diese Entscheidung für falsch. Ich denke, wer zusätzliche Einsätze beschließt, muss das dafür nötige Geld auch aus dem allgemeinen Haushalt bereitstellen. ({4}) Sie haben sich jetzt anders entschieden. Wir erwarten nun aber, dass Sie uns darlegen, wie sichergestellt wird, dass das nicht zulasten der Ausrüstung und Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz geht. ({5}) Ein letzter Punkt, der vierte, der aus unserer Sicht von zentraler Bedeutung ist: Ich finde es nicht gut, dass sich die mangelhafte Informationspolitik der Bundesregierung gegenüber dem Parlament auch bei diesem Mandat, das Sie jetzt zur Abstimmung stellen, weiter fortsetzt. Bis heute haben Sie uns die Einsichtnahme in das Anforderungsschreiben der NATO verwehrt. Die FDP hält das für nicht hinnehmbar. Es ist doch nicht so, dass es sich bei diesem Schreiben um ein Privatschreiben handeln würde. Es handelt sich um eine offizielle Anforderung der NATO. Wir sind der Auffassung, dass es möglich sein muss, dass auch das Parlament Einsicht in dieses Anforderungsschreiben erhält. Wir fordern die Bundesregierung ausdrücklich auf, das jetzt noch nachzuholen. ({6}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir machen uns die Abwägung nicht leicht. Ich möchte den Damen und Herren der Bundesregierung einfach nur mit auf den Weg geben: Es lohnt sich, die offenen Fragen zu beantworten. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt den Antrag der Bundesregierung auf die Entsendung von Aufklärungstornados und eine Aufstockung der personellen Obergrenze auf bis zu 3 500 Soldaten. Es handelt sich um eine notwendige Ergänzung des bestehenden ISAFMandats. Es geht darum, eine durch die Ausweitung des ISAF-Einsatzes auf ganz Afghanistan entstandene Fähigkeitslücke bei der Aufklärung aus der Luft zu schließen. Das ist notwendig, um bei der derzeitigen Zuspitzung der Lage in Afghanistan Gefahren besser und rechtzeitiger zu erkennen und damit unsere Soldaten, unsere Bündnispartner, die zivilen Aufbauhelfer und die Bevölkerung in Afghanistan besser vor Terrorangriffen durch die Taliban und durch al-Qaida zu schützen. Besserer Schutz durch verbesserte Aufklärung - darum geht es; darum unterstützen wir diese Maßnahme. Dass diese Fähigkeiten nicht nur im mandatierten Einsatzgebiet im Norden eingesetzt werden sollen, sondern in ganz Afghanistan, vor allem eben auch im Süden und im Osten, wo die Gefahren am größten sind, versteht sich, auch aus Gründen der Bündnissolidarität, von selbst. Weil es sich hierbei um eine nicht unbedeutende Erweiterung des laufenden Mandats handelt, halten auch wir es, nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit für unsere Soldaten, für richtig, gemäß dem Antrag der Bundesregierung ein ergänzendes Mandat zu beschließen. Diplomaten in Kabul sprechen von 2007 als dem Jahr der Weichenstellung für Afghanistans Zukunft. Es gibt stichhaltige Hinweise darauf, dass die Taliban intensiv eine Frühjahrsoffensive vorbereiten, vor allem mit Angriffen in den südafghanischen Provinzen. Wenn es für diese Zuspitzung der Gefahrenlage noch eines Hinweises bedurft hätte, dann ist dieser mit dem gestrigen Selbstmordanschlag während des Besuchs von US-Vizepräsident Cheney vor der amerikanischen Basis in Bagram erfolgt. Wir sind froh, dass der amerikanische Vizepräsident unverletzt geblieben ist. Wir verurteilen diesen Anschlag nachdrücklich und bedauern die Opfer dieses Anschlages wie auch die Opfer der vielen anderen Anschläge. ({0}) Die Anschläge vom 11. September 2001 auf New York und Washington und auch die nachfolgenden Anschläge, etwa in London oder Madrid, wurden möglich, weil sich Afghanistan zu einem Trainingszentrum für Terroristen entwickelt hatte. Das aber zeigt, wie wichtig die Aufgabe von ISAF und OEF ist, zu verhindern, dass diese Kräfte wieder die Oberhand gewinnen und Afghanistan erneut ein Failing State wird, von dem eine terroristische Bedrohung für die internationale Gemeinschaft und damit auch für unsere Sicherheit ausgeht. Das darf nicht wieder der Fall sein. ({1}) Dass diese Gefahr besteht, ist nicht von der Hand zu weisen. In ihrem neuesten Propagandavideo drohen die Taliban und al-Qaida mit 4 000 bereitstehenden Selbstmordattentätern und 10 000 Dschihadkämpfern. Durch die Entsendung der Tornados können wir durch Aufklärung über deren Aktivitäten unsere Bündnispartner unterstützen. In diesem Punkt, Herr Kollege Kuhn, muss ich Ihre Darstellung korrigieren. Für eine effiziente Bekämpfung dieser Terrorkräfte muss es auch möglich sein, die Ergebnisse unserer Aufklärungsflüge unseren Verbündeten, wie es im Mandat heißt, restriktiv zur Verfügung zu stellen. Das ist nicht nur eine Frage der Solidarität mit unseren Bündnispartnern, zumal ja auch die Bundeswehr mit einem gültigen Mandat an OEF beteiligt ist. Je erfolgreicher unsere Verbündeten im Kampf gegen die Taliban und al-Qaida sind, desto besser kann ISAF seine Stabilisierungsaufgabe wahrnehmen. ({2}) Ich sage für meine Fraktion mit aller Deutlichkeit: Wir halten an der bestehenden Aufteilung in Regionalkommandos fest. Deutschland leistet mit der Verantwortung für fünf Wiederaufbauteams in neun nordafghanischen Provinzen einen erfolgreichen Beitrag zur Stabilisierung Afghanistans. Die Sicherheitsrisiken im Norden des Landes sind zwar von anderer Qualität als im Süden - der Außenminister hat es dargestellt -; doch auch unsere Soldaten leisten einen gefährlichen und unverzichtbaren Einsatz. Dafür möchte ich unseren Soldatinnen und Soldaten besonders danken. ({3}) Zu unserer besonderen Verantwortung für das Regionalkommando Nord gehört auch, dass die Bundeswehr für begrenzte Unterstützungsmaßnahmen in Gesamtafghanistan eingesetzt werden kann, und zwar, wie es im ISAF-Mandat wörtlich heißt: … für zeitlich und im Umfang begrenzte Unterstützungsmaßnahmen, sofern diese Unterstützungsmaßnahmen zur Erfüllung des ISAF-Gesamtauftrages unabweisbar sind. In dieser Debatte sollte deshalb auch gesagt werden, dass wir uns darauf einstellen müssen, dass unsere Partner im Süden uns aufgrund der zugespitzten Krisensituation zur Unterstützung anfordern. Dann sollten wir in der Lage sein, effektiv und robust zu helfen. Auch das gehört zur Bündnissolidarität. Wir beraten heute über einen militärischen Einsatz. Doch haben alle Vorredner zu Recht auf die zivilen Unterstützungsleistungen hingewiesen. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich die Aufstockung der deutschen Afghanistanhilfe um 20 Millionen Euro auf 100 Millionen Euro im Jahr, und zwar auch im Süden. ({4}) Im Januar konstatierten die Teilnehmer des internationalen Koordinierungstreffens für Afghanistan drei besonders wichtige Faktoren für die zivilen Aufbauleistungen: erstens die fortgesetzte Reform des Sicherheitssektors, zweitens eine bessere Verknüpfung ziviler und militärischer Maßnahmen und drittens die Steigerung der afghanischen Eigenverantwortung. Heute hat sich das von uns entwickelte Konzept der sogenannten PRTs im Bündnis durchgesetzt. Die Bundesregierung hat in den NATO-Gremien immer den zivil-militärischen Ansatz vertreten. Jetzt zeigt sich, wie richtig dieses Konzept ist. Bei der Reform des Sicherheitssektors hat Deutschland mit 40 Polizeiausbildern mehr als 15 000 afghanische Polizeikräfte für die mittlere und höhere Laufbahn ausgebildet. Ab Mai sollen diese Anstrengungen in eine ESVP-Mission übergehen, wodurch die Zahl der Ausbilder, Herr Kollege Kuhn, auf 160 erhöht wird und flächendeckender ausgebildet werden kann. Zudem sollen 70 Rechtsexperten entsandt werden, die Italien beim Aufbau der afghanischen Justiz ablösen. Diese europäische Bündelung im Sicherheitssektor ist richtig. Was nützt eine gut ausgebildete Polizei, die Drogenhändler dingfest macht, wenn diese hinterher nicht vor Gericht gestellt werden können? Afghanistan kann nicht gewonnen werden, wenn nicht im Süden Stabilität geschaffen wird. Die Bevölkerung dort muss schneller die Vorteile der internationalen Hilfe spüren. Dazu gehören zunächst die Grundversorgung mit Wasser und Strom auf dem Lande, ein ständiger Dialog mit lokalen Vertretern und eine effiziente Entwicklungshilfe. Entwicklungsprojekte müssen zudem als afghanische Projekte erkennbar sein. Dies ist wichtig für das Selbstbewusstsein dieses stolzen Volkes und für eine größere Loyalität der Bevölkerung gegenüber der Regierung Karzai. Gestatten Sie mir zum Schluss ein Wort zu Pakistan. Dort werden islamistische Terroristen ausgebildet und ausgerüstet. Diese dringen dann über die 2 500 Kilometer lange Grenze wieder in den Süden Afghanistans ein. Pakistan ist ein unverzichtbarer Partner zur Stabilisierung Afghanistans. Wir müssen beide Regierungen, die Regierung in Kabul und die Regierung in Islamabad, für eine stärkere Zusammenarbeit beim Aufbau einer gemeinsamen, wirksamen Grenzkontrolle gewinnen. Wir müssen von unserem pakistanischen Partner mehr Unterstützung und Kooperation im Kampf gegen den Terror einfordern. Aber man darf ihn nicht wie im Zusammenhang mit der amerikanisch-indischen Nuklearkooperation im vergangenen März vor den Kopf stoßen. Wir brauchen ein modernes und moderates Pakistan als wichtigen Partner für die Bewältigung der Herausforderungen in Afghanistan, aber auch im Mittleren und Nahen Osten insgesamt. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Monika Knoche, Fraktion Die Linke. ({0})

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Herr Kolbow, ich muss schon sagen: Was Sie hier an einem Punkt vorgetragen haben, ({0}) stimmt überhaupt nicht: Die OEF hat kein UNO-Mandat. ({1}) Sie können sich doch nicht hier hinstellen und sagen, dass das alles verfassungs- und völkerrechtlich vollkommen gedeckt sei! ({2}) Selbst die ISAF verändert ihren Auftrag. ({3}) - Entschuldigen Sie bitte! Was sind denn die Gründe, die einige Abgeordnete in diesem Haus dazu bewogen haben, die Frage zu stellen, ob sich der Deutsche Bundestag nach den Maßgaben unserer Verfassung mit dieser Frage heute überhaupt beschäftigen kann? ({4}) Das hat doch nichts damit zu tun, ob wir eine Parlamentsarmee haben oder nicht. Entscheidend ist vielmehr die Frage, ob es verfassungsrechtlich richtig ist, in diesem Rahmen zu verfahren. Wer denkt denn heute eigentlich noch an die Verfassung, wenn es um die Ausweitung der Einsätze im Rahmen der Kriegsführung und damit um ein verändertes NATO-Selbstverständnis geht? Das ist die wichtige Frage, die wir zu stellen haben. ({5}) Es ist auch nicht statthaft, hier euphemistisch, ironisch oder sarkastisch aufzutreten. Herr Steinmeier, hier stellt sich nicht die Frage nach der Geduld. Man kann nicht nach sechs Jahren Krieg gegen Terror für noch mehr Geduld werben, sondern man muss die Frage stellen, ob es richtig oder falsch ist, den Kampf gegen den Terror mit Mitteln des Krieges zu führen. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, der Kollege Schockenhoff würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, ich möchte sie nicht zulassen. ({0}) Der Afghanistaneinsatz - das weiß die Bevölkerung ist nicht auf dem Willen des gesamten Hauses gegründet. Die Linke hat sich immer dagegen ausgesprochen. Herr Kuhn und Herr Steinmeier, Sie wissen ganz genau, dass damals, als es um den Afghanistankrieg ging, beide Regierungsparteien ihre Fraktionen mehr oder weniger durch die Vertrauensfrage genötigt haben, diesem Kriegseinsatz zuzustimmen. ({1}) Tun Sie nicht so, als werde diesem Krieg in diesem Haus und in diesem Land nicht widersprochen! Das ist einfach nicht wahr. Man kann nicht, weil die militärische Strategie nicht erfolgreich ist, sagen: Wir müssen noch mehr - von unserer Warte aus - Falsches tun. - Ist dies angesichts der zu erwartenden Frühjahrsoffensive und der grauenvollen Ankündigung, dass schon 2 000 Selbstmordattentäter bereitstehen, wirklich richtig? Man muss sich diese Dimension einmal vorstellen. Dieser Einsatz, der der OEF dienlich sein soll, steht damit in Zusammenhang, was seitens der CDU/CSU formuliert worden ist: Dieser Konflikt kann den Erfolg nicht konterkarieren. - Welchen Erfolg, bitte sehr, kann dieser Krieg gegen den Terror vorweisen? Wenn wir die Kriterien von Good Governance heranziehen, müssen wir doch offen sagen: Die Regierung Karzai ist von Korruption durchdrungen, und die Drogenbarone sitzen in der Regierung. ({2}) Da sind doch keine Mohnfelder abzubrennen. Vielmehr muss die Frage gestellt werden, ob das Ziel der ISAF, diese Regierung zu schützen, überhaupt erfüllt werden kann. Wir argumentieren zielstrebig und lassen uns auch nicht von einer verantwortungsvollen Exit-Strategie abbringen. Diese Exit-Strategie sieht nicht vor, dass morgen die Soldaten zurückgezogen werden. Sie gewährleistet vielmehr den Polizeiaufbau, sichert die zivilen Infrastrukturen, stärkt kontinuierlich und massiv die Situation der Frauen ({3}) und beinhaltet eine neue Drogenpolitik. Sie müssen die Frage beantworten, ob die Rekrutierung der Taliban nicht ursächlich etwas damit zu tun hat, dass der Krieg gegen den Terror das falsche Mittel war. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Schockenhoff. ({0})

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Kollegin Knoche, ich setze Sie darüber in Kenntnis, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der Resolution 1373 die Operation „Enduring Freedom“ mandatiert hat und dass damit eine eindeutige völkerrechtliche Rechtsgrundlage für diese Operation gegeben ist. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Knoche, bitte.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte Sie auf Folgendes hinweisen: Wir in der Fraktion diskutieren über eine solche Frage mit großer Ernsthaftigkeit. Ob die OEF nur erwähnt wird oder ob sie ein originäres Mandat hat, ist schon ein Unterschied. Aber ich möchte etwas anderes sagen: ({0}) Ist die CDU/CSU nicht in der Lage, denjenigen prominenten und sehr kenntnisreichen Vertretern ihrer Fraktion, die verfassungsrechtliche Bedenken erhoben haben, einige Minuten Redezeit einzuräumen, damit sie diese hier vorne vortragen können? Das stünde meiner Ansicht nach der CDU/CSU viel mehr an, als hier so zu tun, als gebe es keine verfassungsrechtlichen Bedenken und als seien alle Tätigkeiten, die vor Ort militärisch durchgeführt werden, von der UNO gedeckt. Das wird in Zweifel gezogen. Diese Zweifel sollten Sie nicht nivellieren. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu 90 Prozent dieses Hauses sind wir uns in der Schlüsselfrage einig: Wie kann die internationale Gemeinschaft und dabei unverzichtbar ISAF in diesem sehr kritischen Jahr für Afghanistan zum Erfolg kommen? Wer jetzt von Exit-Strategie redet, vermittelt völlig kontraproduktive Botschaften: Entmutigung für diejenigen Menschen, die Aufbau und Frieden in Afghanistan wollen, und Ermutigung für diejenigen, die genau das Gegenteil vorhaben. ({0}) Nun komme ich aber zum Thema. Aus militärischer Sicht ist ein Tornado in Afghanistan nützlich für mehr Flexibilität bei der Aufklärung; je flexibler und präziser die Aufklärung, desto besser. Allerdings muss man ehrlicherweise dazusagen, dass auch in Militärkreisen die Dringlichkeit des Tornados für die Sicherheit von ISAF, gelinde gesagt, strittig ist. Es ist aber eine Verharmlosung, wenn der Tornadoeinsatz nur als Hilfs- und Schutzeinsatz beschrieben wird. Natürlich hat er diese Teilfunktion. Vor allem im Süden hat er aber selbstverständlich auch die Teilfunktion der Kampfunterstützung. Das lässt sich nicht bestreiten. Für mich und meine Fraktion ist klar - das ist keine Grundsatzfrage -, dass in Afghanistan an verschiedenen Stellen gekämpft werden muss. Die Frage ist allerdings, wie und nach welcher Strategie die Kämpfe dort ablaufen. Dazu muss man zur Kenntnis nehmen, was ein hochangesehener Thinktank aus London, das Senlis Council, zweimal in Studien gesagt hat, zuletzt in diesem Februar: Es habe im Süden - bezogen auf die Provinzen Helmand und Kandahar - „mehr Zerstörung als Aufbau“ gegeben, und es wurden „Freunde verloren und Feinde gewonnen“. - Hierzu muss die Bundesregierung etwas sagen. Bis heute Vormittag konnte die Bundesregierung dazu nichts sagen. Ich möchte sehr, dass sie diese Aussagen widerlegen kann. Das ist ein wichtiger Kontext für den Einsatz der Tornados. Ein anderer Punkt ist der Strategiewechsel. Seit mehr als einem halben Jahr wird dieser gefordert. Es geht um die Gewichtung der militärischen und der zivilen Säule, es geht um Koordination und Kohärenz. Auf dem NATO-Gipfel wurde dies ebenfalls beschworen. Wenn man genauer hinschaut, muss man feststellen, dass die Umsetzung dieses Strategiewechsels in Trippelschritten erfolgt, wo die Zeit enorm drängt. ({1}) Es ist gut, dass das Schlüsselprojekt Polizeiaufbau jetzt mit der EU läuft. Aber wir müssen - anders als bisher - den Anspruch an den Herausforderungen messen. Bezogen auf die Herausforderungen geschieht hier noch viel zu wenig. ({2}) Die Drogenbekämpfung läuft ungebremst kontraproduktiv mit dem Vorrang für die Felderzerstörung. Solange in diesen Fragen keine Klarheit über die richtige Richtung herrscht und solange kein deutlicher Strategiewandel glaubwürdig gemacht wird, so lange kann ich eine Zustimmung nicht empfehlen. Vor fünf Monaten hatten wir 14 Parlamentarierinnen aus Afghanistan hier. Ich wiederhole, was ich denen damals gesagt habe: Erstens. Wir wissen, warum wir in Afghanistan sind. Zweitens. Wir lassen Sie nicht im Stich. Drittens. Wir versprechen, dass wir die notwendigen Strategieänderungen forcieren. - Sie haben gehört, dass wir in unserer Fraktion bezogen auf den Einsatz der Tornados uneinig sind. Aber bezogen auf diese Botschaft - und das ist unser Wille - sind wir uns sehr einig, ich glaube, auch mit dem größten Teil dieses Hauses. Danke. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Detlef Dzembritzki, SPDFraktion. ({0})

Detlef Dzembritzki (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003109, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dankbar, dass wir diese Diskussion hier führen können. Mancher Beitrag, der heute eingebracht worden ist, war notwendig und hilfreich. Dies signalisiert, dass wir diese Diskussion fortsetzen müssen, und zwar - ich appelliere dazu zum wiederholten Male - nicht nur dann, wenn es um ein militärisches Mandat geht. ({0}) Ich komme gerade aus Afghanistan. Ich war in der letzten Woche dort, erst gemeinsam mit unserem Fraktionsvorsitzenden und Walter Kolbow in Kunduz und Masar-i-Scharif und dann in Kabul. Ich will nicht arrogant oder borniert erscheinen, aber wenn ich gemessen an meinen Eindrücken von dieser Reise diese Diskussion verfolge, werde ich nachdenklich. Ich will vorweg einige Eindrücke wiedergeben: Es ist immer wieder spannend, unsere Bundeswehr im Einsatz zu erleben. In Masar-i-Scharif habe ich im April des vergangenen Jahres in einer Einöde mit Mühe und Not in einem Zelt ein bisschen Schatten gefunden. Heute gibt es dort - das ist eine beachtliche logistische Leistung ein Zentrum, das der Bundeswehr vor Ort strategische Möglichkeiten an die Hand gibt, das den Schutz der Soldaten gewährleistet und die Möglichkeit eröffnet, in die Provinz hineinzuwirken. Andererseits habe ich aber ein Land gesehen, in dem, wenn man sich die Handys und die Autos wegdenkt, eine Situation vorherrscht, wie sie in Deutschland möglicherweise nach dem Dreißigjährigen Krieg bestand. Wenn ich vor diesem Hintergrund manche Forderung und manchen Diskussionsbeitrag betrachte, muss ich fragen: Was erwarten wir eigentlich? Was hat sich in fünf Jahren überhaupt verändern können? - Die Menschen dort haben zum Teil noch höhere Erwartungen gehabt; deshalb ist ihre Enttäuschung umso größer. Wir müssen daher immer wieder überlegen, wie wir ausgleichen können, wie wir helfen können, wie wir Hoffnung machen können, wie wir mit konkreten Projekten das tägliche Überleben sichern und Perspektiven eröffnen können. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Deswegen bin ich immer wieder dankbar, wenn die zivile Komponente hier eingebracht wird. Ich finde es wirklich gut - das ist eine der Botschaften, die mich nach meiner Rückkehr erfreut haben -, dass wir im Rahmen der Afghanistanhilfe jetzt 20 Millionen Euro zusätzlich einbringen. ({1}) Man kann sich natürlich noch mehr wünschen; aber dank dieser 20 Millionen Euro haben wir jetzt eine dreistellige Summe, 100 Millionen Euro, zur Verfügung. Ich finde, das ist eine ganz wichtige Botschaft. ({2}) Wir müssten viel mehr Zeit haben, um die kritischen Argumente aufnehmen zu können. Ich habe mich immer für einen Strategiewechsel ausgesprochen. Wir müssen die Diskussion darüber aber so führen, dass wir nicht borniert und arrogant erscheinen. ({3}) Die PRTs haben übrigens die Amerikaner erfunden; das sage ich der Gerechtigkeit wegen. Wir wissen, dass die USA ungefähr 50 Prozent der materiellen Ressourcen in Afghanistan einbringen. Die Polizei ist zu Recht angesprochen worden. Ich könnte einiges dazu sagen, auch im positiven Sinne. Wir haben einen Etat von 12 Millionen Euro. Die Amerikaner geben mehr als 1 Milliarde Dollar in dieses Projekt. In diesem Zusammenhang müsste man eigentlich über unser richtiges Konzept und das bedenkliche Konzept der amerikanischen Kollegen diskutieren. Ich frage einmal rhetorisch: Sind wir eigentlich richtig aufgestellt? Versetzen wir unsere Regierung in die Lage, all das einzubringen - auch in den internationalen Diskussionsprozessen -, was notwendig wäre, um einen Strategiewechsel zu begünstigen? Ich bin der Meinung, dass zusätzliche Unterstützung notwendig ist. Man müsste schauen, ob die Botschaften wirklich optimal ausgestattet sind, ob die personelle Ausstattung des BMZ wirklich optimal ist, ob unsere Haushaltsordnung in Kabul eingehalten werden muss oder ob wir uns nicht flexiblerer Instrumente bedienen sollten? Können wir vielleicht zu einer Auftragswirtschaft kommen, die sich an dem Notwendigen ausrichtet und nicht an der Kameralistik der Bundesrepublik Deutschland? ({4}) Auch wenn ich damit in einer Diskussion über den Einsatz von Tornados kleinkariert erscheinen könnte, will ich Ihnen eines sagen: Lieber Kollege Kuhn, Sie haben zu Recht die Polizei angesprochen. Das Team, das zurzeit vor Ort ist - sie sind immer für ein Jahr dort -, hat einen hervorragenden Eindruck auf mich gemacht. Es sind hochmotivierte Kollegen; sie sind unwahrscheinlich sympathisch, aus meiner Sicht auch sehr erfolgreich. Unterhalten Sie sich einmal mit den Kollegen! Diese Kollegen haben mir erzählt - ich muss jetzt zum Innenminister schauen -, ({5}) dass die Bundesreisekostenordnung angewandt wird, was zur Folge hat - das ist abstrus -, dass ein lediger Polizist die Heimreisekosten nicht erstattet bekommt, obwohl er zu Hause zwei Kinder und eine feste Partnerin hat. Ich will das nicht ausdehnen; aber solange eine Bundesregierung, ein Innenministerium nicht in der Lage ist, ein Höchstmaß an Flexibilität zu gewährleisten, um die jungen Leute für den Einsatz zu motivieren, frage ich mich, wie wir unsere Vorschläge für die Weiterentwicklung Afghanistans umsetzen wollen. ({6}) Ich habe das ein wenig ironisch eingebracht, um aufzuzeigen, wie sehr wir selbst Gefangene unserer eigenen Perfektion sind, was zur Folge hat, dass wir uns nicht in der Weise entwickeln können, wie es eigentlich notwendig wäre. Aus meiner Sicht signalisieren uns alle - das haben die Gespräche mit den Regierungsmitgliedern gezeigt, mit dem Außenminister, der als Gesprächspartner am stärksten etwas einbringen kann, und mit dem Innenminister; aber ich denke hier auch an Tom Koenigs und Herrn Vendrell von der Europäischen Union -, dass sie den Tornadoeinsatz begrüßen, unterstützen und dass das letztendlich - ich muss das aufgrund der Kürze der Zeit so sagen - eine notwendige Aktion ist, um unsere Solidarität mit unseren Partnerinnen und Partnern zu zeigen. Ich stelle einmal die rhetorische Frage - über die sollten wir einmal in den Ausschüssen diskutieren -, wie eigentlich unsere Haltung ist, wenn die Kanadier oder die Niederländer sagen, dass sie nach Hause gehen. Wie sieht denn dann unsere Gesamtkonzeption aus? Ich schließe mich hier Winnie Nachtwei an, dessen Appell ich voll unterstreiche. Wir haben den Parlamentarierinnen zugesagt, dass wir sie nicht allein lassen. Dann müssen wir aber insgesamt eine Atmosphäre herstellen, die von Solidarität und gemeinsamer Verantwortung getragen ist. Wir müssen unseren Job so gut machen, dass wir die Chance haben, dort zum Erfolg zu kommen. Häufig wird von einer Exit-Strategie gesprochen. ({7}) - Ich habe das schon einmal hier im Plenum angesprochen, Frau Kollegin; aber ich will das nicht nur auf Ihre Fraktion beziehen. - Ich empfehle allen Kolleginnen und Kollegen - im Grunde wäre es eine viel spannendere Debatte gewesen, wenn wir darüber diskutiert hätten, welche Verpflichtungen die Regierung eingegangen ist, und zwar nicht nur im Zusammenhang mit den Tornados -, sich einmal den Afghanistan Compact anzusehen. Darin ist die Strategie beschrieben. Dort steht, welche Aufgaben wir im zivilen und im militärischen Bereich, also zum Schutz, zu bewältigen haben und wie wir Afghanistan ausstatten und unterstützen wollen, bevor wir, wenn die Selbstständigkeit erreicht ist, das Land wieder verlassen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern. Wir haben eine Geschäftsordnung.

Detlef Dzembritzki (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003109, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Präsidentin, ich bedanke mich für Ihre Geduld. Sie war schon fast afghanisch. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns diesen Schritt machen und diesem Tornadoeinsatz zustimmen, und lassen Sie uns gleichzeitig die immer wieder erklärte Verpflichtung realisieren, den zivilen Aufbau voranzutreiben. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Gert Winkelmeier.

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob es Ihnen ähnlich gegangen ist wie mir. Bei der Lektüre des heute zur Debatte stehenden Antrages habe ich das Wort „Tornado“ gesucht. Wir reden seit Monaten über die Verlegung von Tornados nach Afghanistan. Im Antrag der Bundesregierung suchte und suchte ich die Tornados. Ich fand aber nur „Fähigkeiten“, so weit das Auge reicht, Fähigkeiten zu allem und jedem: zur Sicherung, zur logistischen Unterstützung, zur Führung, zur sanitätsdienstlichen Versorgung usw. Ich war schon ganz verzweifelt und wollte aufgeben. Ich glaubte, ich hätte die in allen Medien tobende Tornadodebatte der letzten Monate bloß geträumt. Doch da kamen sie doch noch, die Tornados, ganz hinten unter Punkt 7 und unter Punkt 10, ganz klein und winzig, unschuldig, ganz versteckt, unter ferner liefen mit den Worten „darüber hinaus“ eingeleitet, so als ginge es noch um ein paar Gummibärchen für die Soldaten, damit sie sich fern der Heimat nicht so einsam fühlen. Aber immerhin kommt Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierung, dann doch noch das Wort „Aufklärungsflugzeug“ aus der Feder. Da ist Ihnen beim Korrekturlesen wohl der Schrecken in die Glieder gefahren; denn unter Punkt 10 haben Sie die Tornados ganz flugs wieder zu einem „Einsatzmodul“ verniedlicht. Das klingt so technisch harmlos, und die Menschen kriegen nicht so schnell mit, dass es um Krieg geht. Schön verschleiern wollen Sie das. Das Wort „Tornado“ taucht übrigens nur zweimal in Ihrem Antrag auf, der Begriff „Fähigkeiten“ dagegen siebenmal. Wissen Sie was? Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Lassen Sie das Wort „Soldaten“ bei zukünftigen Anträgen doch auch weg. Ersetzen Sie es durch das Wort „Fähigkeiten“. Das hätte zwei Vorteile: Erstens könnte man sich die weibliche Form einsparen. Zweitens müssten Sie dann auch nicht mehr über Ehrenmale nachdenken, zum Beispiel Ehrenmale für abhandengekommene Fähigkeiten. Dem Herrn Bundestagspräsidenten kann und will ich keine Vorschriften machen. Ich kann nur sagen: Wäre ich an seiner Stelle gewesen, hätte ich dieses mit den Koalitionsspitzen ausgehandelte Orwellsche Neusprechwerk nicht entgegengenommen. Es stellt den Versuch dar, das Parlament und die Öffentlichkeit zu verdummen. Ich hätte zur Bundeskanzlerin gesagt: Thema verfehlt, setzen, sechs! ({0}) Denn dieser Antrag ist die würdelose Fortsetzung der unsäglichen Versuche der Bundesregierung, einen glasklaren Kampfeinsatz in so etwas wie einen humanitären Einsatz umzulügen. ({1}) Werte Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie einen Blick in die Lehrunterlagen der Luftwaffe werfen, werden Sie Folgendes feststellen: Bei den sogenannten Recce-Tornados handelt es sich um „Luftkriegsmittel“, die im Rahmen verbundener Luftkriegsoperationen zur Aufklärung eingesetzt werden. Luftkriegsoperationen finden also nicht im Krankenhaus statt. ({2}) Mangels einer gegnerischen Luftwaffe dienen sie in Afghanistan der Bekämpfung des Gegners am Boden. Aufklärung ist nicht nur integraler Bestandteil dieses offensiven Krieges aus der Luft, sondern seine unabdingbare Voraussetzung. Dies wird durch das Adjektiv „verbunden“ ausgedrückt. Im Klartext: Ohne Luftbilder keine Bomben. Bomben führen zu Kollateralschäden, also zur Tötung unschuldiger Zivilisten. Herr Kuhn, die Stärkung der Zivilgesellschaft werden wir mit Sicherheit nicht durch den Einsatz zusätzlicher Bomben erreichen. Dass es um Bomben geht, wird im Antrag durch die Verwendung anderer Begriffe kaschiert. Die Abgeordneten, die dem zustimmen, halten den Krieg gegen Afghanen, die sich gegen ihre Besatzer wehren, offensichtlich für richtig und wollen rund 35 Millionen Euro dafür ausgeben. Herr Verteidigungsminister, ich fordere Sie auf: Stehen Sie bitte auch sprachlich zu Ihrem Antrag, nennen Sie die Dinge beim Namen, und drücken Sie sie nicht verschlüsselt aus. Oder schämen Sie sich Ihrer kriegerischen Absichten? Tarnen, Täuschen und Tricksen hat in diesem Land Tradition. Wie sagte der damalige Kanzler nach dem Beginn der Bombardierung Jugoslawiens am 24. März 1999 im Bundestag? Ich zitiere: „Wir führen keinen Krieg.“ Zur gleichen Zeit schossen die 14 deutschen ECR-Tornados den Jagdbombern den Weg für ihre tödliche Last frei. Bei diesem Krieg, der laut Herrn Schröder keiner war, kamen übrigens über 2 000 unbeteiligte Zivilisten zu Tode, und das nicht vor Gram über die Lügen, die vorher verbreitet worden waren. Herr Kolbow, es ist wichtig, die Hirne und die Herzen der Menschen in Afghanistan zu gewinnen. Das schafft man bestimmt nicht dadurch, dass man mehrere Tornados dorthin schickt, die aufklären sollen, was andere Flugzeuge dann mit Bomben vollenden. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karl Theodor Guttenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debatte wirft die Fragen auf, welches Bild von Afghanistan wir unserer Entscheidung zugrunde legen und welches Bild von Einsatzstrukturen und Rechtsgrundlagen unsere Entscheidung bestimmt. Ich muss sagen: Was die Rechtsgrundlagen anbelangt, war Ihr Auftritt, Frau Knoche, bemerkenswert. ({0}) An dieser Stelle danke ich dem Kollegen Schockenhoff: Lesen bildet und hebt gelegentlich das Niveau der eigenen Rede. ({1}) Ich komme auf unser Bild von Afghanistan zu sprechen. Sicherlich ist es wenig hilfreich, nur die Erfolge in den Vordergrund zu stellen. Ebenso wenig hilfreich ist es, nur die Defizite zu betonen. Fatal wird es allerdings dann, meine Damen und Herren von der Linken, wenn bewusst falsche Bilder gezeichnet und scheinbare Realitäten in die Welt gesetzt werden, um letztlich nur innenpolitischen Stimmungslagen zu genügen. Das reicht nicht aus; denn der Konflikt in Afghanistan nimmt mit Sicherheit keine Rücksicht darauf, was uns innenpolitisch zuzumuten ist. Hier sollten wir sehr vorsichtig argumentieren. Was ist ein realistisches Bild von Afghanistan? Von beiden Ministern wurde angesprochen, dass sich die Lage im Jahre 2006 verschlechtert hat. Manche sprechen sogar von einer dramatischen Verschlechterung. Ein deutliches Wiedererstarken der Taliban ist unbestreitbar. Der Bundesaußenminister hat darauf hingewiesen - andere auch -: Die Sicherheitsstatistiken machen deutlich, dass sich die Zukunft Afghanistans im Süden des Landes entscheiden wird. Nur wenn es gelingt, die Sicherheit auch im Süden wiederherzustellen und zu gewährleisten, dass die Bevölkerung ihre Grundbedürfnisse befriedigen kann, kann einem Erstarken der Taliban, einer Hinwendung zu den Taliban, plausibel und anständig entgegengewirkt werden. Gerade vor diesem Hintergrund macht das vernetzte Sicherheitskonzept, das der Bundesverteidigungsminister angesprochen hat, Sinn, und es bringt mich zu der Einschätzung, Herr Kollege Schäfer, dass wir unsere Soldaten eben nicht aus Afghanistan abziehen dürfen; dass wir dieses Land eben nicht in die Verantwortung der zivilen Kräfte übergeben und sich selbst überlassen können; dass wir eben nicht davon ausgehen können, dass Afghanistan in absehbarer Zeit ohne zivile wie militärische Hilfe und Unterstützung von außen funktionsfähig sein wird. Alles andere würde bedeuten, einer Illusion zu erliegen. ({2}) Angesichts des Wiedererstarkens der Taliban darf auch einmal ein Blick zurück gewagt werden: Im Jahr 2001 kontrollierten die Taliban etwa 90 Prozent Afghanistans. Damals war es Mädchen verboten, zur Schule zu gehen. Kino, Fernsehen, Internet, Kameras, Video, weltliche Musik - das alles war damals verboten. Frauen war jegliche Arbeit außerhalb des Hauses verboten; das führte dazu, dass viele Frauen dazu gezwungen waren, auf der Straße zu betteln.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, ich muss Sie unterbrechen, weil der Kollege Gehrcke eine Zwischenfrage stellen möchte.

Karl Theodor Guttenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zu den Damen in Afghanistan, Herr Kollege Gehrcke? Gerne, bitte sehr.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Dr. zu Guttenberg, Sie argumentieren ähnlich wie der Außenminister und der Verteidigungsminister damit, dass sich die Lage in Afghanistan verschlechtert hat. Ich glaube, in diesem Punkt kann es keine Differenz geben. Mich würde interessieren, ob Sie auch etwas dazu sagen können, warum sich die Lage in Afghanistan dermaßen dramatisch verschlechtert hat, welche Hintergründe möglicherweise dazu geführt haben. Es nützt ja nichts, zu sagen: „Es ist alles schlechter geworden - wir haben nichts damit zu tun“, wenn man nicht über die Hintergründe nachdenkt und argumentiert. Darum möchte ich Sie gerne bitten. ({0})

Karl Theodor Guttenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Gehrcke, vielen Dank für diese Nachfrage. Ihre Nachfrage bezieht sich im Grunde auf den Süden und auf den Osten Afghanistans. Im Norden Afghanistans hat sich die Lage alles andere als verschlechtert, und zwar gerade aufgrund der Tatsache, dass wir dort einem vernetzten Konzept nachgegangen sind - das allerdings Soldaten impliziert. Diese Notwendigkeit, Soldaten zu haben, wollen Sie weiterhin absprechen. Ich möchte nicht wissen, wie es um den Norden Afghanistans heute ohne eine dortige Stationierung von Soldaten stünde! ({0}) Blicken wir noch einmal zurück auf die Zeit der Taliban - diese Zeit blenden Sie ja völlig aus, Herr Gehrcke -: Frauen hatten keine Rechte, sie mussten ihren Körper verhüllen. Frauen war ärztliche Behandlung nur in männlicher Begleitung und nur durch weibliche Ärzte erlaubt. - Dies muss man sich wieder einmal in Erinnerung rufen! - Sie konnten also im Grunde überhaupt nicht behandelt werden; denn eine berufliche Tätigkeit war Frauen ja nicht erlaubt. Frauen durften das Haus nur in Begleitung männlicher Verwandtschaft verlassen. Männer wurden inhaftiert und es wurde ihnen die Prügelstrafe angedroht, wenn zum Beispiel der Bart zu kurz war. Mutmaßlichen Verbrechern wurden Körperteile amputiert. Es gab öffentliche Hinrichtungen, Steinigungen und Erschießungen. Es gab die Zerstörung von Götterbildnissen und ähnliche Dinge. Meine Damen und Herren, Herr Gehrcke, wir sollten uns auch daran erinnern, wenn es darum geht, unser Afghanistan-Engagement der letzten Jahre zu beurteilen! Auch das muss von unserer Seite berücksichtigt werden! ({1}) Der entscheidende Faktor ist das Zusammenspiel von zivilem Aufbau und militärischer Befriedung. Wir müssen uns bewusst sein: Verabschieden wir uns jetzt bzw. in absehbarer Zeit - das ist gerade Ihr Vorschlag, Herr Gehrcke - von einer dieser Komponenten, dann geben wir Afghanistan auf, dann geben wir diese Regierung auf, und dann geben wir faktisch die Menschen in diesem Lande auf. Das kann nicht gewollt sein, das kann nicht unser Ziel sein! ({2}) Das soll nicht bedeuten, dass wir nicht gelegentlich auch selbstkritisch sein müssen, dass „zivilmilitärische“ Konzepte kein Verbesserungspotenzial enthielten und die Abstimmung zwischen diesen beiden Komponenten nicht weiter optimiert werden könnte. Es soll auch nicht bedeuten, dass eine tatsächliche konzeptionelle Ressortkohärenz zwischen den beteiligten Ressorts nicht stattfinden darf und soll. Insbesondere müssen nämlich die Konzepte der unterschiedlichen Bündnispartner zusammengeführt werden. Zu OEF und ISAF: Grenzziehungen zwischen Mandaten sollten Trennlinien nicht kaschieren, sondern verdeutlichen. Es bleibt eine Aufgabe für uns alle - in der Zukunft auch für die Bundesregierung -, uns immer wieder deutlich zu machen, wo diese Trennlinien verlaufen. Schließlich darf der heute diskutierte und in meinen Augen sehr wichtige Ausweitungsschritt nicht dazu führen, dass ein klaffend offenes Einfallstor für weitere Begehrlichkeiten gegenüber unseren Soldaten entsteht. Darauf dürfen wir als Abgeordnete des Bundestags hinweisen. Wir dürfen Afghanistan nicht aufgeben. Wir müssen im Rahmen dessen bleiben, was wir auch tatsächlich anbieten und leisten können. Wir dürfen uns keiner Illusion hingeben: Bis sich Afghanistan - auch im Interesse unserer eigenen Sicherheit - aus eigener Kraft über Wasser halten kann und wird, werden noch einige Jahre vergehen. Diese Zeit werden wir brauchen. Aber wir müssen dieses Ziel konsequent verfolgen. Deswegen ist unsere Unterstützung angebracht, und diese Unterstützung werden wir nächste Woche auch leisten. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege zu Guttenberg, Ihre Antwort war, ehrlich gesagt, keine Antwort auf meine Frage, und das wissen Sie auch selber. Deswegen möchte ich ein paar Punkte in Erinnerung rufen, die ich für unsere Debatte enorm wichtig finde. Kann es nicht sein, dass ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung in Afghanistan - sie unterscheidet nicht zwischen ISAF und der Operation „Enduring Freedom“ - die Truppen immer stärker als Besatzungstruppen statt als Befreier empfindet? Ich habe mir die Mühe gemacht, mit russischen bzw. damals sowjetischen Generälen zu reden, die in Afghanistan während der russischen Besatzung das Kommando innehatten. Deren Argumente waren fast identisch mit denen, die Sie heute vorgetragen haben. Sie haben angeregt, zu vergleichen, was zu der damaligen Zeit von den Regierungen - bei denen es sich um von außen eingesetzte Regierungen gehandelt hat - an Frauenbefreiung, Bildung und Infrastruktur geleistet worden ist. Wenn Sie das mit der Situation heute vergleichen, ist festzustellen: Afghanistan war schon sehr viel weiter, und trotzdem sind die sowjetischen Truppen geschlagen worden, weil man weder Revolution noch Demokratie nach westlichen Vorstellungen exportieren kann. ({0}) Das ist für mich der Hintergrund der gesamten Problematik. Sie wollen nicht verstehen, dass ein politischer Kurswechsel erforderlich ist. Der Krieg und auch die UN-Resolution hatten - wenn ich das abschließend ansprechen darf - einen Hintergrund, nämlich die Abwehr einer unmittelbaren Gefahr. Diese unmittelbare Gefahr besteht nicht mehr. Deswegen gibt es keine rechtliche Grundlage für das, was heute auf den Weg gebracht wird. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Danke. - Herr Kollege, Sie können antworten.

Karl Theodor Guttenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Gehrcke, vielen Dank. Ich finde es bemerkenswert, dass Sie die heutige UN-Mission in einem Atemzug mit der Besatzung Russlands nennen. ({0}) Das mag Ihrer Romantik entsprechen; unserer entspricht es nicht. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/4298 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP Energie- und umweltpolitische Konsequenzen der Bundesregierung aufgrund des Klimaberichtes des Weltklimarates IPCC Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Michael Kauch, FDP. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der IPCC-Klimareport und der Stern-Bericht machen deut- lich: Wir müssen jetzt handeln, um kommenden Genera- tionen einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen. Nach Auffassung der FDP und - so denke ich - des gan- zen Hauses müssen wir es schaffen, den Temperaturan- stieg auf zwei Grad zu begrenzen. Dabei muss die Euro- päische Union mit gutem Beispiel vorangehen. Die einseitige Verpflichtung der EU auf dem letzten EU-Um- weltrat, 20 Prozent CO2-Emissionen bis 2020 einzuspa- ren, ist ein Anfang. Doch ich erinnere an Folgendes: Die FDP und der gesamte Bundestag haben immer 1) Zu Protokoll gegebene Rede des Abg. Willy Wimmer ({0}) ({1}) siehe Anlage 2 30 Prozent gefordert, und zwar unkonditioniert. Die 20-Prozent-Forderung stammt nicht von der Bundesregierung, sondern von der EU-Kommission. Deshalb finde ich es schon bemerkenswert, dass sich der Bundesumweltminister vor die versammelte Öffentlichkeit stellt und sagt: Das ist der Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft. - Gerade das ist es nicht. ({2}) Wir sollten nicht vergessen: Der europäische Anteil an den globalen Emissionen beträgt nur etwa ein Fünftel. Wenn wir einen Durchbruch im Klimaschutz erreichen wollen, dann müssen wir die großen Emittenten mit ins Boot holen: die USA, Indien und China. Das ist zwar schwerer, als sich in der Europäischen Union durchzusetzen, aber nicht unmöglich. Die Chancen stehen so gut wie lange nicht mehr. Wir erleben einen Stimmungswandel in den Vereinigten Staaten. Deshalb ist Ihre eigentliche Bewährungsprobe, Herr Gabriel, nicht der Europäische Rat; die Frage ist, ob sich die Bundesregierung beim G-8-Gipfel im Juni in Heiligendamm durchsetzen wird, damit wir hier zu verbindlichen Zielen für die weiteren Verhandlungen kommen. ({3}) Wir brauchen in Deutschland mehr Energieeffizienz und einen Energiemix der Zukunft mit dem Ziel, die fossilen Energieträger nach und nach zu ersetzen. Dabei müssen alle Seiten Ideologien über Bord werfen. Allen voran brauchen wir deutlich mehr erneuerbare Energien. Das geht nicht ohne staatliche Förderung. ({4}) Um die Klimaschutzziele in den nächsten 20 Jahren zu erreichen, brauchen wir aber auch die Kernkraft als Übergangstechnologie. Eine Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke ist erforderlich, solange erneuerbare Energien und CO2-freie Kohletechnik im Grundlastbereich nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen. ({5}) Studien der Internationalen Energieagentur zeigen aber, dass vor allem die Energieeffizienz und die CO2-Abscheidung bei Kohlekraftwerken das größte globale Einsparpotenzial besitzen. Selbst wenn wir meinten, wir bräuchten das Potenzial bei der CO2-Abscheidung in Deutschland nicht zu nutzen: Die Kohle in Chinas Erde wird verbrannt werden. Die Frage ist nur, mit welcher Technologie. Ich meine, es sollte mit guter deutscher Technologie geschehen. Deshalb müssen wir uns hier engagieren. ({6}) Ich habe die erneuerbaren Energien angesprochen. Jahrelang hat die Bundesregierung ihre Nutzung im Wärmemarkt im Vergleich zur Stromproduktion vernachlässigt. Auch heute herrscht in der Koalition das blanke Chaos, wenn es um die Frage geht, ob und wie man den Entwurf eines Wärmegesetzes zur Förderung erneuerbarer Energien durchbringen will. Der SPD fällt nichts Besseres ein als die simple Kopie des EEG für die Wärme. Die CDU/CSU weiß gar nicht, was sie will. Frau Reiche, die heute leider nicht da ist, erzählt jede Woche etwas anderes. Frau Dött, ich wüsste gleich von Ihnen gerne, welche Position die Union in dieser Frage einnimmt. Für die FDP erkläre ich: Diese Regierung muss endlich den Entwurf eines Wärmegesetzes vorlegen, und zwar auf der Basis einer Mengensteuerung. Langfristig muss der Wärmebereich in den europäischen Emissionshandel einbezogen werden; denn durch einen sektorübergreifenden Handel mit der Industrie wird die Wirtschaft die kostengünstigsten Wege der CO2-Einsparung finden. Das kann die Politik nicht selbst erreichen. ({7}) Neben der Biomasse hat die Solarenergie eine große Zukunft. Deutsche Unternehmen haben hier die Technologieführerschaft. Das müssen wir nutzen, ökonomisch und ökologisch. Gerade im Wärmemarkt und auf den Auslandsmärkten liegen ungenutzte Chancen. Doch was tut die Bundesregierung? Wirtschaftsministerium, Umweltministerium und Entwicklungshilfeministerium haben keine abgestimmte Strategie. Herr Glos als federführender Minister verschläft das Thema total. Schauen Sie sich an, was in Entwicklungsländern, beispielsweise in Afrika, passiert! Mitten in Wüstengebieten laufen Dieselgeneratoren, und die Stromversorgung erfolgt in einer Insellösung. Das ist ein klassisches Feld für Solarenergie, mit der man schon heute wirtschaftlich arbeiten könnte. Wenn man sich aber auf den Auslandsmärkten nicht engagiert und stattdessen lieber im verregneten Deutschland Solaranlagen mit hohen Sätzen fördert, dann kommt so etwas heraus, und dann werden Mittel falsch verwendet. Deshalb müssen wir an dieser Stelle umsteuern.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Kauch, in der Aktuellen Stunde beträgt die Redezeit fünf Minuten.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja. - Abschließend möchte ich sagen, dass wir zusammen ein Klimaschutzprogramm erarbeiten müssen, das wirklich konsistent ist; denn Klimaschutz ist mehr als Glühbirnen, Toyota und andere Einzelvorschläge, die täglich durch die Medien gejagt werden. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Marie-Luise Dött, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der FDP, eigentlich habe ich immer geglaubt, dass sich die FDP ernsthaft mit der Klimaschutzproblematik beschäftigt. ({0}) Die heutige Aktuelle Stunde belehrt mich jedoch eines Schlechteren. ({1}) Sie erwarten doch nicht allen Ernstes, dass sich dieses gewichtige Thema mal so in einer Stunde abhandeln lässt. ({2}) Da zeigen die grünen Kollegen mehr Seriosität, ({3}) wenn sie für morgen eine geordnete Debatte über Klimaschutz und Verkehr auf die Tagesordnung heben. Mit einer aktuellen FDP-Stunde wird man diesem Thema nicht gerecht. Diese Aktuelle Stunde ist eher die verkrampfte Suche nach einer weiteren Schlagzeile in den Medien. Schlagzeilen allerdings haben wir seit dem Bericht des Weltklimarates in den letzten Wochen zur Genüge gehabt. Woran es immer noch mangelt, sind realistische Vorschläge, wie man den wachsenden Sorgen der Menschen begegnet. Darüber würde sich eine gutvorbereitete Diskussion lohnen. Zugegebenermaßen ist das dann aber vielleicht nicht ganz so schlagzeilenträchtig. Den „Schweiß der Edlen“, wie unser Kollege Herr Riesenhuber immer sagt, wäre es allemal wert. Ich wundere mich in den letzten Tagen zunehmend über den Einfallsreichtum aller politischen Parteien - leider manchmal auch der meinen - im Erfinden von Patentrezepten, mit denen wir den Klimawandel stoppen sollen. Ein Glanzstück kreativer Realpolitik sind Diskussionen über Sonntagsfahrverbote, Politikerwerbung für ausländische Automarken und Verbot von Glühbirnen jedenfalls nicht. Mit solchen Kinkerlitzchen schaffen wir es höchstens, dass sich die Leute wieder einmal mit Schaudern von der Politik abwenden. Dem Klima hilft das nicht. Das Wettrennen um immer höhere Treibhausgasreduktionen und Ausbauziele für erneuerbare Energien nimmt ebenso manchmal komödiantische - oder besser: tragikomische - Züge an. Den Klimaoscar wird dann der bekommen, der als erster hundert sagt. Das ist dann aber dummerweise auch hundertprozentig unrealistisch. Seriöse Politik läuft anders. ({4}) Real ist, dass die Zahl der Menschen auf diesem Planeten bis 2030 um etwa 50 Prozent ansteigen wird und dass diese Menschen ein Recht auf eine gesicherte Versorgung mit Energie haben, das gleiche Recht wie wir. Deshalb kann nur eine globale Gesamtstrategie etwas am Klimawandel ändern. Nationale Alleingänge führen global wie national in die Sackgasse. ({5}) Wahr ist auch, dass der Anteil Deutschlands an den globalen CO2-Emissionen mit derzeit unter 4 Prozent schon fast als verschwindend gering bezeichnet werden kann und sich angesichts des weltweit wachsenden Energiehungers weiter vermindern wird. Selbst eine kurzfristige Reduktion des deutschen CO2-Ausstoßes auf Null hätte keine Wirkung auf den Klimawandel. Ich gehe darauf gleich noch ein. Sie würde allerdings eines sicherlich deutlich ansteigen lassen: die Arbeitslosigkeit in Deutschland. Die Klimapolitik muss daher von allen Akteuren und insbesondere von denen, die sich im Wettrennen um immer höhere Treibhausgasreduktionszahlen und um den Ausbau erneuerbarer Energien zu profilieren versuchen, endlich als Teil der Gesamtpolitik und damit auch der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik begriffen werden. ({6}) Das mag manche mentale Probleme bereiten; aber die Wahrheit ist oftmals sehr hart. Wahr ist auch, dass wir zum Beispiel bei der Nutzung der Biomasse zur Energiegewinnung mancherorts bereits jetzt an Grenzen stoßen. Horrend gestiegene Maispreise in Mexiko, zunehmende Konversion landwirtschaftlich wertvoller Flächen von der Nahrungsgewinnung zur Energieerzeugung in Südamerika, Palmölplantagen statt Regenwald in Südostasien: Wer angesichts solcher Entwicklungen die Nutzung der Biomasse noch immer wie eine allseligmachende Monstranz vor sich herträgt, redet einem ökologischen Imperialismus das Wort. ({7}) Zur Wahrheit gehört auch, dass ein Verzicht auf die friedliche Nutzung der Kernenergie alle Klimaziele - realistische und erst recht unrealistische - konterkariert. ({8}) Alle anderen um uns herum haben das verstanden und schütteln zu Recht den Kopf über uns. Aber ich bin fest überzeugt: Viele heutige Kernkraftgegner werden irgendwann in der Realität ankommen. Ich werde sie dann herzlich willkommen heißen. Zur Realität gehört weiter, dass Klimaschutz und Energiepolitik nicht erst mit dem Bericht des Weltklimarates entdeckt wurden. Die Klimarahmenkonvention und das Kiotoprotokoll wurden ganz wesentlich durch CDUUmweltminister zum Erfolg geführt. Klaus Töpfer und Angela Merkel haben klimapolitische Geschichte geschrieben. Der Klimawandel ist ein ernstes Problem, und deshalb sollten wir es ernsthaft diskutieren; das heißt Verzicht auf Schnellschüsse, populistische Phrasen

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin!

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- und Effekthascherei. Realismus ist das Gebot der Stunde. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva BullingSchröter, Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der dramatische IPCC-Bericht fordert ein energisches Handeln, und zwar bereits in den nächsten zehn bis 15 Jahren. Wir sollten uns einmal bildlich vorstellen - ich glaube, Herr Schellnhuber hat es so dargestellt -: Es gibt ein Zeitfenster, das zehn bis 15 Jahre geöffnet ist, bevor es unwiderbringlich geschlossen ist. Das müssen wir den Kindern und den Kindeskindern sagen. Weltweit, in Europa und auch in der Bundesrepublik müssen wir unserer Verantwortung gegenüber den zukünftigen Generationen gerecht werden. Ich komme jetzt auf das Ziel zu sprechen, bis 2020 40 Prozent des CO2-Ausstoßes einzusparen. Sie haben immer noch nicht verbindlich erklärt, dass unser Land das einhalten will. Darauf warten wir immer noch. ({0}) - Herr Kelber, schauen Sie sich bitte den Beschluss an. Sie haben eine solche Erklärung an die EU-CO2-Minderung von 30 Prozent gekoppelt. Die EU hat allerdings nicht beschlossen, 30 Prozent einzusparen; laut Energiepaket der Kommission soll sich die EU nur dann dazu bekennen, 30 Prozent einzusparen, wenn sich alle Industriestaaten zur Erreichung dieses Ziels verpflichten. Ansonsten sind minus 20 Prozent anzustreben. Bitte, schauen Sie in die Papiere. Wir müssen Frau Merkel noch einmal dazu auffordern, im Rahmen der EU-Präsidentschaft und auch beim G-8-Gipfel in Heiligendamm etwas durchzusetzen. In Heiligendamm werden auch wir sie unterstützen. ({1}) - Das ist doch die Unterstützung. ({2}) Wir fordern von Frau Merkel eine klare Positionierung zum Klimaschutz. Wir meinen, dass sie das Ruder bis zum Frühjahrsgipfel herumreißen muss, damit in Deutschland dieser Beschluss gefasst wird. Dieser Beschluss muss von einem Energieeffizienzprogramm und einer Technologieoffensive für Sonne, Wind und Wärme flankiert werden. Für die Atomkraft bleibt einfach kein Raum. Sie behindert einen grundlegenden Umbau unseres Energiesystems. Zum Thema Arbeitsplätze - stellen Sie selbst den Vergleich an -: Regenerative Energien schaffen neue, zukunftsfähige, existenzsichernde Arbeitsplätze. Solche Arbeitsplätze wollen wir doch alle, oder, Frau Dött? ({3}) Wohin sich der Energiemix in den nächsten 50 Jahren entwickelt, wird insbesondere durch die Erneuerung des Kraftwerkparks bestimmt, die zu großen Teilen in die nächste Emissionshandelsperiode fallen wird. Darum ein paar Worte zum jüngst revidierten NAP II, zum Verteilungsplan der Zertifikate. ({4}) Zu begrüßen ist hier die auf Druck der EU nunmehr um 26 Millionen Tonnen deutlich nach unten korrigierte Emissionsobergrenze. ({5}) Zum Vergleich: Der noch bis Ende dieses Jahres laufende erste Zuteilungsplan, welcher unter Rot-Grün verabschiedet wurde, sieht de facto eine Erhöhung der Emissionen vor, und zwar um 6,5 Prozent. ({6}) Nun sind es mit den 456 Millionen Tonnen für den Zeitraum 2008 bis 2012 immerhin rund 7,5 Prozent weniger gegenüber dem Vergleichszeitraum 2000 bis 2005. Die Art der Zuteilung für Altanlagen hat sich geändert. Zukünftig orientiert sich die Zuteilung an festgelegten Standards und nicht mehr an den Emissionen der Vergangenheit. Ich denke, die Lenkungswirkung wird hier wesentlich besser sein. Bedauerlich ist aus unserer Sicht allerdings die Trennung in Kraftwerke, die mit festen Brennstoffen, und solche, die mit Gas betrieben werden. Dass die Erstgenannten so viele CO2-Zertifikate bekommen, wie ein durchschnittliches Steinkohlenkraftwerk ausstoßen würde, geht zulasten der klimaschädlicheren Braunkohle, was erst einmal in Ordnung ist. Es entsteht so aber kaum Druck, von der Steinkohle auf das deutlich emissionsärmere Gas zu wechseln; denn Gaskraftwerke erhalten nur halb so viele Zertifikate. Den intelligenteren Weg sind Schweden und Großbritannien gegangen. Dort erhalten alle Neuanlagen brennstoffunabhängig nur so viele Emissionsrechte, wie ein effizientes Gaskraftwerk benötigen würde. Das nenne ich einen Anreiz zum Brennstoffwechsel. Bitte überlegen Sie noch einmal! Die große Frage ist nun, ob die vielen angekündigten neuen Steinkohlenkraftwerke tatsächlich gebaut werden. Das wäre, gelinde gesagt, eine Katastrophe; denn dann würde Deutschland alle Klimaschutzziele verfehlen. Bitte überlegen Sie noch einmal, in welche Richtung wir gehen wollen. Wollen wir das wirklich, wollen wir wirklich CO2 emittieren? Das größte Manko des aktuellen Zuteilungsplanes ist - diesen Hinweis möchte ich Ihnen nicht ersparen; er gehört einfach dazu - die weiterhin kostenlose Vergabe der Zertifikate. Sie sichert den Stromkonzernen Milliarden Extraprofite zulasten der Verbraucher. Sie erzielen nach unseren Berechnungen Windfall-Profits in Höhe von 5 Milliarden Euro im Jahr; es kann auch ein bisschen mehr sein. Dieses Geld wollen wir für den Staatshaushalt haben. Wir hätten auch einen guten Vorschlag bezüglich der Verwendung: für regenerative Energien. Gemeinsam würde uns sehr viel einfallen. Da könnten wir trefflich streiten im Sinne von CO2-Reduzierung und Klimaschutz. Danke. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Frank Schwabe für die SPD-Fraktion. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den Aussagen der diversen IPCC-Berichte - manche sind ja schon öffentlich geworden, obwohl sie noch nicht offiziell veröffentlicht worden sind; diese Aussagen sind alle sehr realistisch gibt es drei Erkenntnisse. Erstens. Der Mensch ändert das Klima. Das ist nicht mehr zu bestreiten. Zweitens. Das hat jetzt und in Zukunft dramatische Auswirkungen. Wenn wir das 2-Grad-Ziel nicht überschreiten wollen - das dürfen wir auch nicht -, dann müssen wir uns bei ungefähr 420 ppm einpendeln und dürfen nicht darüber hinausgehen. Es gibt also eine neue Dramatik; denn bisher sind wir immer von 450 ppm ausgegangen. Drittens. Wir haben vielleicht noch zehn bis 15 Jahre Zeit, um massiv umzusteuern. Das Ganze kann man jetzt so oder so sehen. Man könnte sagen: Um Gottes willen, das ist ja eine erschreckende Erkenntnis. Unsere Lebensweise ist nicht zukunftsfähig. - Bei dieser Feststellung erschrickt man erst einmal. Man könnte es aber auch positiver formulieren und sagen: Es geht; denn es ist noch nicht zu spät. Jetzt ist weder die Zeit für Untergangsphilosophien noch ist es die Zeit für diejenigen, die weiter hinauszögern, verlangsamen und beschwichtigen wollen. Es ist deshalb auch nicht die Zeit des Karl Feldmeyer, der in der „Recklinghäuser Zeitung“ - Recklinghausen ist mein Wahlkreis; aber er schreibt ja auch anderswo - am 24. Februar unter der Überschrift „Nur keine Panik“ einen Kommentar geschrieben hat. Ich erlebe das gleiche Argumentationsmuster gelegentlich auch in der politischen Debatte. Er hat geschrieben: Ob wir drei, dreieinhalb oder vier Prozent Kohlendioxid in die Luft blasen, - mit „wir“ meint er Deutschland ist für den weiteren Verlauf der Klimaveränderung nicht von entscheidender Bedeutung. Dazu ist unser Ausstoß zu gering. Sich einzureden, von uns hinge die weitere Entwicklung ab, wäre eine lächerliche, maßlose Selbstüberschätzung. Daran ist etwas wahr und etwas nicht wahr. Wahr ist, dass die deutschen Emissionen - das ist gerade schon ausgeführt worden - weltweit 3 bis 4 Prozent ausmachen. Die Welt wäre nicht dadurch zu retten - das ist völlig klar -, dass diese 3 oder 4 Prozent nicht da wären. Wahr ist allerdings auch, dass von uns sehr wohl die weitere Entwicklung abhängt. Wir, die Abgeordneten der G-8-Staaten und der fünf Schwellenländer, haben bei einer Konferenz in Washington, in die die Kanzlerin ein Grußwort eingespeist hat, gelernt, dass die Welt sehr wohl auf Deutschland und auf Europa schaut, darauf, was wir hier eigentlich machen, weil das Ganze nämlich - ich habe es hier schon einmal gesagt - wie ein Dominoeffekt ist. Das Schwarzer-Peter-Spiel muss aufhören. Diejenigen, die in den letzten 150 Jahren und darüber hinaus eine Lebensweise entwickelt haben, die eben nicht zukunftsträchtig ist, müssen vorwegmarschieren. Wenn wir hier in Deutschland das nicht tun, dann wird uns niemand folgen; dann werden wir niemanden in China und Indien hinter dem Ofen hervorlocken können, weil die Menschen dort zu Recht nicht einsehen, warum sie etwas tun sollen. ({0}) Die Logik ist also: Wir müssen vorwegmarschieren. Wir müssen die USA dazubekommen. Da ist Bewegung. Wir müssen es dann schaffen, auch die Schwellenländer, wo die CO2-Emissionen in Zukunft steigen, dazuzubekommen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Debatte hat in den letzten Monaten eine unglaubliche Dynamik bekommen - mit Auswirkungen auch für die Situation dieser Gesellschaft, glaube ich, die wir alle noch gar nicht einschätzen können. Es gibt allerdings auch Stilblüten in der Debatte. Eine Stilblüte war die Frage der Glühbirnen ein in der Tat sehr wichtiges und interessantes Thema. Dass aber gerade die Australier, die pro Kopf den höchsten CO2-Ausstoß haben, jetzt mit solchen Vorschlägen gekommen sind, vielleicht auch gedacht haben, das wäre es dann gewesen, ist schon etwas seltsam. Eine zweite Stilblüte ist in der Tat die Debatte um die Atomenergie. Wer da alles jetzt Klimaschutz betreiben will und schon immer der größte Klimaschützer war, wundert schon sehr. Das sind nämlich diejenigen, die - das Thema Emissionshandel ist gerade angesprochen worden - unbedingt, auf Deuwel komm raus jetzt ein Braunkohle-Benchmark durchsetzen wollen. Das sind genau diejenigen, die sagen: Mit der Atomenergie wollen wir das Klima retten. - Hinter diese Argumentation kann man schon ein Fragezeichen setzen. Man muss vielleicht auch sagen: Manches in der Debatte führt in die Irre. ({1}) Es gibt drei Bedingungen, dem Klimawandel zu begegnen. Erstens wissenschaftliche Erkenntnisse - die haben wir jetzt -, zweitens Unterstützung durch die Menschen, die Wählerinnen und Wähler - die haben wir auch; das kann man feststellen - und drittens politischer Mut; den brauchen wir, und zwar alle gemeinsam. Wir brauchen klare, verbindliche Ziele. Wir brauchen Ziele im Bereich der Energieeffizienz; denn die Energieeffizienz ist keine Frage des Könnens, sondern eine Frage des Wollens. Ich finde es gut, dass man sich in den im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien offenbar auf neue Ziele verständigt. Auch die Förderung der erneuerbaren Energien ist keine Frage des Könnens, sondern eine Frage des Wollens. Um das noch einmal klarzustellen: Wir wollen, dass Europa bis 2012 30 Prozent einspart. Deutschland soll sich bekennen - und bekennt sich - zum 40-ProzentZiel. Wir wollen dann mithelfen, anzustoßen, dass wir alle gemeinsam im Dezember in Indonesien ein Verhandlungsmandat für Kioto II bekommen. In der Debatte in den letzten Wochen ist deutlich geworden, dass die Selbstverpflichtungen ausgedient haben. Das, denke ich, kann man hier feststellen, auch anlässlich der Debatte um den CO2-Ausstoß von PKWs. ({2}) Die Selbstverpflichtungen haben ausgedient. Es ist notwendig, dass Politik mutig ist, dass Politik Rahmenbedingungen setzt und bestimmte Grenzwerte vorgibt. Das ist gut für das Weltklima, für die Debatte um den Klimawandel; es ist aber auch gut - davon bin ich fest überzeugt - für die heimische Wirtschaft und für die heimische Industrie, weil nur diejenigen, die zukünftig Produkte klimagerecht herstellen, auch weltweit erfolgreich sein können. Vielen Dank. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Reinhard Loske für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist es schwierig, in fünf Minuten in einer Aktuellen Stunde über dieses Thema zu reden. Ich will es trotzdem versuchen, zumal man sich über jeden Lernfortschritt freuen sollte, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP. Ich erinnere mich noch an die Zeit zwischen 1998 und 2005, in der Sie von 18 Umweltgesetzen 18 abgelehnt haben, darunter auch das ErneuerbareEnergien-Gesetz. Sie sind nun einen Schritt weitergekommen, allerdings noch nicht so ganz weit; denn wenn Sie sagen, man solle in Deutschland, diesem verregneten Deutschland, wie wir gerade wieder sehen, darauf verzichten, die Nutzung der Solarenergie auszubauen, ist das ein großer Fehler. Sie verkennen, dass man zuerst auf den Heimatmärkten Kompetenz demonstrieren muss, um dann durch große Serien Kostensenkungen zu erreichen und auf den Weltmärkten mitzuspielen. Diese Tatsache haben Sie noch nicht ganz verstanden. ({0}) Kollegin Dött sprach davon, dass Realismus das Gebot der Stunde sei. Dem will ich ausdrücklich beipflichten; allerdings denke ich, dass ich Realismus anders interpretiere als sie. Wenn man sich die Zahlen, die eben schon vom Kollegen Schwabe angesprochen wurden, vor Augen führt, dann kann einem ganz schön schwindelig werden - um das ganz deutlich zu sagen -: Vorindustriell lag die CO2-Konzentration bei 280 ppm, also Teilen pro Million; jetzt liegt sie bei 383 ppm, jedes Jahr steigt die Zahl um 2,5 ppm. Die Klimaforscher sagen, die Zahl müsse bei maximal 420 ppm stabilisiert werden, um einen Klimawandel zu verhindern, der nicht mehr kontrollierbar wäre. Deswegen heißt Realismus in der Problemanalyse heute Radikalität im Handeln. Das ist unsere Interpretation des Ganzen. ({1}) Jetzt kurz zu dem, was aktuell beschlossen wird. Wenn man sich diese Zahlen vor Augen führt - wir müssen bis 2050 mindestens minus 80 Prozent erreichen; besser wäre, wir würden Mitte dieses Jahrhunderts kohlenstofffrei wirtschaften -, erkennt man, dass die Ziele, die jetzt vom Umweltministerrat in Brüssel beschlossen worden sind, keinen historischen Durchbruch bedeuten; die Entscheidung ist eher ein bisschen hasenfüßig. Herr Minister, Sie sagen, es sei ein historischer Durchbruch; ich würde Ihnen gerne beipflichten. Selbst die Europäische Union nimmt sich nicht mehr vor, als den CO2-Ausstoß bis 2020 gegenüber 1990 um 20 Prozent zu reduzieren. Eine Reduzierung um 20 Prozent in 30 Jahren bedeutet, dass der Ausstoß jährlich um nur ein zwei Drittel Prozentpünktchen gesenkt werden soll. Das ist kein historischer Durchbruch; das ist Halbherzigkeit. ({2}) Hinzu kommt, dass jeder sein eigenes Handeln konditioniert. Es gibt im Moment das Paradox, dass jeder sein Handeln an das Handeln anderer knüpft: Die Bundesregierung sagt: Wir reduzieren den CO2-Ausstoß um 40 Prozent, wenn die EU ihn um 30 Prozent senkt. Die EU sagt: Wir senken den Ausstoß um 30 Prozent, wenn andere ihn auch um 30 Prozent senken. Anstatt eine Vorreiterrolle einzunehmen, beäugt man sich gegenseitig. Auch das zeugt nicht von besonderem Mut. ({3}) Wir kritisieren auch, dass die Ziele im Bereich der erneuerbaren Energien - ihr Anteil an der Energieversorgung soll 20 Prozent betragen - unverbindlich im Raum stehen, also nicht verbindlich vereinbart worden sind. Wir hätten von den Umweltministern mehr erwartet. Die Energie- und Wirtschaftsminister haben es gerne unverbindlich; von den Umweltministern hätte ich allerdings schon erwartet, dass sie sagen: Das muss verbindlich festgeschrieben werden. Dies wurde aber nicht durchgesetzt. Genauso ist es mit den CO2-Grenzwerten bei den Automobilen. Ich hätte mir wirklich gewünscht, dass sich die Umweltminister, die normalerweise beim Klimaschutz am stärksten auf die Tube drücken, dem Vorschlag von Herrn Dimas - ein Grenzwert von 120 Gramm CO2 pro Kilometer bis 2012 - angeschlossen hätten und nicht den faulen Kompromiss nachgebetet hätten, der zwischen Industriekommissar Verheugen, der Bundesregierung und der restlichen Kommission vereinbart wurde. Es wäre mutig gewesen, sich Herrn Dimas anzuschließen. An Mut fehlt es leider aber auch hier. ({4}) Ich komme zu einem Thema, das innenpolitisch eine Rolle spielt. Den Vorschlag, herkömmliche Glühlampen zu verbieten, konnte man in der Tat karikieren. Der Grundgedanke ist vollkommen richtig: Warum sollen wir noch Technologien einsetzen, die einen Wirkungsgrad von nur 5 Prozent haben, die gar nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind? Wenn ich das richtig sehe, sagen wir alle hier im Hause: Wir wollen den Top-Runner-Ansatz verfolgen. Das heißt, bei elektrischen Anwendungen setzt der Beste den Standard; wer diesen Standard nicht innerhalb von drei oder fünf Jahren erfüllt, der fliegt vom Markt. Das halte ich für einen guten Ansatz. Ich erwarte aber von der Bundesregierung, dass sie das nicht nur als Idee in den Raum wirft, sondern dass sie jetzt bei der Umsetzung der Eco-Design-Richtlinie und bei der Energieeffizienzrichtlinie wirklich Nägel mit Köpfen macht, sodass alle elektrischen Anwendungen, die nicht effizient sind, so schnell wie möglich vom Markt fliegen. Das erreicht man nicht über Verbote, sondern über den Top-Runner-Ansatz. Da muss jetzt aber etwas kommen. Wir erwarten, dass Sie nicht nur ankündigen, sondern auch wirklich liefern. Ein weiterer Punkt: der Emissionshandel. Uns ist klar geworden: Es ist überhaupt nicht ausreichend, wenn der vorgeschriebene Wirkungsgrad von Kohlekraftwerken demnächst von 35 Prozent auf 42 Prozent steigt. Vor allen Dingen ist zu beachten: Die Kraftwerke laufen bis 2050. Je mehr Kohlekraftwerke wir bauen, desto stärker zieht sich der klimapolitische Handlungshorizont zu. Irgendwann können wir gar nichts mehr machen. Deshalb können wir das, was im Zusammenhang mit Kohlekraftwerken geplant ist, nicht akzeptieren. Deswegen muss der Emissionshandel weiter verschärft werden. Dies ist von absolut zentraler Bedeutung. ({5}) Der letzte Punkt - dann bin ich fertig, Frau Präsidentin -: die Vorschläge von Herrn Tiefensee zur Umstellung bei der Kfz-Steuer. Man hätte sich darüber freuen können, dass Herr Tiefensee vorschlägt, die Kfz-Steuer so umzustellen, dass ihre Höhe vom CO2-Ausstoß abhängt. Darüber diskutieren wir schon seit Jahren. Dann fragt man nach: Ist das im Kabinett abgestimmt? Die Antwort lautet: Nein, das war so eine Idee. Ist das mit den Ländern abgestimmt? Nein, das war so eine Idee. Von der Regierung erwarte ich nicht nur gute Ideen, sondern auch umsetzungsfähige Vorschläge. Daran hapert es bei dieser Regierung im Moment leider noch. Danke schön. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der neue Bericht des IPCC ist in dieser Deutlichkeit dramatisch; aber wenn wir ehrlich sind, müssen wir sagen: Überraschen kann er niemanden. Wir haben ja über Jahre den Erkenntnisfortschritt verfolgt; schon die letzten Berichte des IPCC sind in diese Richtung gegangen, und wir selber merken, wenn wir nur herausschauen oder herausgehen, dass sich schon heute etwas verändert. Spätestens jetzt müsste aber der Letzte kapiert haben: Wir reden nicht nur darüber, ob der Klimawandel irgendwann kommt, sondern der Klimawandel ist schon da und beschleunigt sich. Wir müssen jetzt handeln, weil wir - das ist schon angesprochen worden - nur noch ein Zeitfenster von zehn oder 15 Jahren haben, um tatsächlich wirksam zu handeln. Deshalb geht von diesem Bericht an alle die Botschaft aus: Die Zeit des Redens und der schönen Worte ist vorbei! Wir müssen entschieden, konsequent und entschlossen handeln! Andreas Jung ({0}) ({1}) Ich kann Sie beruhigen: Die Große Koalition hat dies von der ersten Stunde an getan. Sie hat ja nicht nur das, was Rot-Grün gemacht hat, weitergeführt - ich denke an den Bereich der regenerativen Energien mit dem EEG, wo wir genau das, was Sie getan haben, weitergeführt haben -, sondern wir haben das Maßnahmenpaket sogar noch aufgestockt. So haben wir für Energiesparprogramme und das Gebäudesanierungsprogramm Mittel in erheblichem Umfange in die Hand genommen - über 4 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode - und machen damit in diesen Bereichen mehr als Rot-Grün in der letzten Wahlperiode. Dasselbe gilt auch für den Nationalen Allokationsplan II. Wir haben die Ziele der Europäischen Kommission akzeptiert und machen damit auch in diesem Bereich mehr als die Vorgängerregierung. Vor allem: Die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin ganz persönlich haben sich darüber hinaus vom ersten Augenblick an zu der Vorreiterrolle bekannt, die die Bundesrepublik Deutschland über viele Regierungen hinweg im Klimaschutz eingenommen hat. ({2}) Deshalb hat sie im Rahmen der Vorbereitung der deutschen Präsidentschaften im Europäischen Rat und der G 8 gesagt: Klimaschutz ist für uns ein Topthema. Ich denke, hier müssen wir anknüpfen. Deshalb muss an alle, die bisher beim Klimaschutz außen vor stehen - von den Schwellenländern über China bis hin zu den USA -, die Botschaft gesandt werden: Macht mit und kommt mit ins Boot! Die USA müssen wir an ihre Verantwortung als Führungsmacht, die sie ja sein wollen, erinnern und ihnen deutlich machen: Eine Führungsmacht kann nur ein solcher Staat sein, der sich bei Maßnahmen gegen den Klimawandel nicht verweigert. ({3}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, Handeln, nicht Reden - das muss auch unsere Botschaft an die Lufthansa und an die Schweiz sein. So droht nämlich jetzt die Lufthansa damit, dass sie, wenn wir den Flugverkehr in den Emissionshandel miteinbeziehen - das halte ich für notwendig und unverzichtbar -, Flüge von Frankfurt nach Zürich verlagern würde. Das kann nicht sein. Da müssen wir die Schweiz daran erinnern, dass ihr zuständiger Minister Moritz Leuenberger in Nairobi sagte, die Schweiz wolle eine weltweite CO2-Steuer. Nachdem er in Nairobi so stark aufgetreten ist, erwarten wir, dass er das dann auch zu Hause umsetzt. Die Schweiz muss verhindern, dass sie zu einer CO2-Oase für klimaschädlichen Flugverkehr wird. ({4}) Meine sehr geehrten Damen und Herren von den Grünen, ich will auch Ihnen noch eine Botschaft mit auf den Weg geben. Nachdem ich in der letzten Woche für die Nutzung von Holz als Energieträger geworben habe, hat mich Ihre Parteibasis kritisiert und gesagt, mit meiner Werbeveranstaltung - so wurde das formuliert - für Holzenergie und für Holzöfen würde ich eine fatale - so heißt es wörtlich - Richtung einschlagen. Ein Stadtrat der Grünen versteigt sich sogar zu der Behauptung: Während der ganzen Fasnacht habe über Konstanz eine riesige Feinstaubwolke gehangen, verursacht natürlich von Holzöfen bzw., wie er es aus seiner Sicht formulierte, von Dreckschleudern. Wenn man für Klimaschutz eintritt, sollte man wissen, dass Holz dazu einen wichtigen regionalen Beitrag leisten kann. Zudem ist Feinstaub nicht gleich Feinstaub! Es gibt Feinstaub, der sehr viel gesundheitsschädlicher ist als der, der bei der Verbrennung von Holz entsteht, wie Wissenschaftler belegen, nämlich der, der bei der Verbrennung von Öl und Diesel entsteht. Vor diesem Hintergrund sollte man nicht so reden, wie es einige Grüne getan haben. Vielmehr sollte man zur Kenntnis nehmen, dass die Große Koalition das Thema Feinstaub ernst nimmt und für neue Anlagen strengere Grenzwerte einführen will. Für ein völlig falsches Signal halte ich es aber, wenn man den Bürgerinnen und Bürgern, die in der Vergangenheit durch die Politik motiviert wurden, einen kleinen Holzofen einzubauen, um etwas für die Umwelt zu tun, nun, wie es mancher tut, sagt, damit verursachten sie das größte Problem für die Umwelt und die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Ich glaube, das ist falsch. Deshalb bitte ich Sie, Ihrem Parteikollegen schöne Grüße auszurichten. Nicht jeder, der an Fasnacht benebelt ist, sollte gleich an eine Feinstaubwolke glauben. Herzlichen Dank. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Gudrun Kopp für die FDP-Fraktion. ({0})

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Lassen Sie mich vorweg einmal klarstellen, was der Kollege Kauch eben hier für die FDP-Bundestagsfraktion zur Nutzung der Solartechnologie gesagt hat. Lieber Herr Loske, er hat ganz klar davon gesprochen, dass der Schwerpunkt der Nutzung der Solartechnologie auf ausländischen Märkten zu sehen sein soll; er hat nicht gesagt, dass sie aus Deutschland zu verbannen sei. Das ist ein sehr wichtiger Unterschied. Im Übrigen vermisse ich in dieser Debatte wieder einmal konkrete Konzepte. Frau Dött, Sie haben hier Abwehrgefechte geführt, indem Sie gesagt haben, was alles nicht geht und wer was wo und wie falsch macht. Aber wir hätten heute sehr gerne einmal etwas über Ihr Konzept gehört. Wie steht beispielsweise diese Koalition oder wenigstens die CDU/CSU zum Wärmegesetz? Will sie das Wärmegesetz nun, oder will sie es nicht? Und wie stehen Sie zu einem Wärmegesetz auf der Grundlage einer Mengensteuerung, wie die FDP es vorgeschlagen hat? ({0}) Aber vielleicht hören wir dazu ja noch etwas. Die Grünen und andere sprechen sich gegen die Kohleverstromung aus. Außerdem lehnen die Grünen die weitere Nutzung der Kernenergie ab; in der Koalition gibt es über dieses Thema Streit. Wie wollen Sie denn die Energieversorgung und den Umweltschutz zueinanderbringen? Natürlich muss man sehen, was realistisch ist. Die fossilen Energieträger werden noch eine Weile gebraucht werden. Allerdings müssen wir sehr großen Wert darauf legen, dass die neuesten Technologien verwendet werden. Insofern setzen wir auf die verstärkte Förderung der Clean-Coal-Technologie. Aber insgesamt sind wir der Überzeugung, dass ein breit angelegter Emissionshandel tatsächlich das beste Lenkungsinstrument sein könnte ({1}) und dass es neben dem Zertifikatehandel, unter den alle Energiebereiche zu fassen sind, die Parallelinstrumente, die wir heute haben, wie das EEG, die KWK oder vieles mehr, nicht weiterhin geben sollte. ({2}) Verfügbare Energie ist ein Wohlstandsbarometer. Die Klimaschutzdebatte ist ja nicht neu; wir müssten eigentlich längst wissen, was die Stunde geschlagen hat. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen, vor allem an die Adresse der Regierung und der Koalitionsfraktionen gerichtet, etwas vorhalten. Die neueste Studie von A. T. Kearney zeigt, dass in allen Ländern, in denen eine Liberalisierung und Regulierung des Energiemarktes erfolgt ist, die jeweiligen Regierungen die Steuern und Abgaben enorm erhöht haben. Durch die derzeitige Regulierung wurde bislang - das hat die Bundesnetzagentur vor zwei Tagen kundgetan - eine Kostenreduzierung der Netzgebühren im Strombereich von 2 Milliarden Euro und im Gasbereich von 800 Millionen Euro erreicht. Das ist positiv. Jetzt darf aber der Staat nicht diese Lücke füllen, indem er die Steuern und Abgaben erhöht. Ich nenne Ihnen einmal ein paar eindrucksvolle Zahlen aus dieser sehr interessanten Studie: Ein Durchschnittshaushalt hatte in 2006 Energiekosten von 681 Euro. Davon gingen Steuern und Abgaben in Höhe von rund einem Drittel, nämlich 264 Euro, ab. Von diesen 264 Euro blieben 164 Euro im Staatshaushalt. Sie wurden nicht zur Förderung der erneuerbaren Energien oder von Ähnlichem eingesetzt, sondern über 10 Milliarden Euro wurden allein im vergangenen Jahr in den Staatshaushalt geschleust. ({3}) Auch das muss man einmal sehen. In diesem Betrag, lieber Herr Kelber, ist noch nicht einmal die Mehrwertsteuererhöhung enthalten. Man kann also sagen: Klimaschutz ist wichtig. Aber wir müssen für einen breit angelegten Energiemix sorgen und den Wettbewerb stärken. Wir brauchen insgesamt eine Kostensenkung, damit sich viele Menschen in unserem Land Energie leisten können. Auch die Wirtschaft dürfen wir nicht schwächen. Das bedeutet, dass diese Bundesregierung aufhören muss, ständig an der Steuer- und Abgabenschraube zu drehen. Das ist kontraproduktiv. ({4}) Ich bitte Sie, in Zukunft verstärkt darauf zu achten. In bestimmten Bereichen wie dem Flugverkehr sollten wir beim Klimaschutz - das ist vorhin schon gesagt worden - keine Alleingänge starten. Wir dürfen den Standort Deutschland nicht in Gefahr bringen. Denken Sie daran, dass der europäische Luftverkehr nur einen Anteil von 0,5 Prozent am weltweiten CO2-Ausstoß hat. Wir dürfen nicht im Alleingang an dieser Schraube drehen. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, dass in diesem Bereich internationale Vereinbarungen getroffen werden. Wir müssen international und auf EU-Ebene zu Ergebnissen kommen, die dem Klimaschutz wirklich dienen ({5}) und die unseren Wirtschaftsstandort und die europäische Wirtschaft nicht schwächen. Herzlichen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun erteile ich das Wort für die SPD-Fraktion dem Kollegen Dr. Sascha Raabe. ({0})

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Klimawandel hat negative Auswirkungen auf die Industrieländer und auf die gesamte Welt. Besonders hart trifft es aber die Entwicklungsländer, die unter diesem Wandel am stärksten leiden. Es gibt existenzbedrohende Überflutungen von Inselstaaten und von Küstenmetropolen, wodurch Ernten vernichtet und viele Menschenleben regelrecht weggeschwemmt werden. Wir tragen eine besondere Verantwortung; denn während wir in den Industriestaaten mit einem relativ kleinen Anteil an der Weltbevölkerung den weitaus größten Anteil am weltweiten Energieverbrauch haben, muss die Mehrheit der Menschen in den armen Ländern, wo viel weniger Energie als bei uns verbraucht wird, darunter leiden. Fast 2 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu moderner Energieversorgung. Beispielsweise werden in Afrika 70 Prozent der Energie aus Holz gewonnen. Wenn wir wollen, dass die Entwicklung in diesen Ländern vorankommt, dann müssen wir bei dem, was wir tun, Vorbild sein. Das ist schon gesagt worden, und das ist richtig. Betrachten wir einmal Indien und China und das dortige Wirtschaftswachstum. In diesen beiden Ländern leben zusammen 2,4 Milliarden Menschen. Die USA und die EU haben zusammen nur 789 Millionen Menschen. Das heißt, in China und Indien leben schon jetzt dreimal so viel Menschen wie in den USA und in der Europäischen Union. Diese Menschen haben ein Recht auf Entwicklung. Wie wir wollen sie im Wohlstand leben. Wir dürfen ihnen das nicht verwehren. Die Diskussion, ob ein paar Glühbirnen ausgetauscht werden sollen, können wir völlig vergessen, wenn wir nicht unseren Beitrag dazu leisten, dass die Entwicklung in diesen Ländern anders verläuft als bei uns. Die Menschen dort sollen zu Wohlstand kommen, wobei aber nicht die gleichen Fehler wie bei uns gemacht werden sollen. ({0}) Herr Kauch, Sie hatten vorhin in Ihrer Rede vollkommen richtig ausgeführt: Wenn man China und Indien mit ins Boot holen will, dann muss man dafür sorgen, dass sie ihre Kohlekraftwerke mit deutscher Technologie ausstatten können. Davon profitiert unsere Wirtschaft, und die Luft wird sauberer. Aber angesichts der Tatsache, dass die FDP-Fraktion diese Aktuelle Stunde beantragt hat, komme ich mir vor wie im falschen Film. Denn Ihr Fraktions- und Parteivorsitzender Westerwelle sagt in jeder Debatte, beispielsweise auch in der Haushaltsdebatte: Wir verschwenden deutsche Steuergelder, wenn wir mit China Entwicklungszusammenarbeit betreiben. - Was machen wir denn in China? Wir geben China Anreize, saubere Technologien einzusetzen. Wir geben den Chinesen beispielsweise die ersten zehn Kohlefilter umsonst mit dem Ziel, dass sie die nächsten 100 selbst kaufen. Was Sie richtigerweise für gut halten, prangert Ihr Partei- und Fraktionsvorsitzender in jeder Rede an. Mittlerweile hat ja selbst der Bundesverband der Deutschen Industrie, der BDI, der nun wirklich keine sozialdemokratische Umweltpolitik vertritt, Herrn Westerwelle angeschrieben und gesagt, er schade dem deutschen Mittelstand, der deutschen Industrie und dem Weltklima. Ich fordere Ihre Fraktion auf: Hören Sie mit dem Unsinn auf, das zu geißeln, was gut für das Weltklima und gut für die Menschen ist! Wir wollen den Einsatz der erneuerbaren Energien auch in China und in Indien. Das sollten Sie, sehr geehrter Herr Kauch, dem Herrn Westerwelle endlich einmal mit auf den Weg geben. ({1}) Das Gleiche gilt natürlich für unsere Solarenergie und die anderen erneuerbaren Energien, die wir generell in den Entwicklungsländern fördern. Fast 450 Millionen bis 500 Millionen Euro im Jahr stellen wir weltweit im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit im Bereich der erneuerbaren Energien und für Energieeffizienz zur Verfügung. Hinzu kommen zum Beispiel 125 Millionen Euro für den Tropenwaldschutz. Denn da gilt das Gleiche: Diese Wälder sind eine Art Lunge für die Erde. Wir können natürlich den wirtschaftlichen Nutzen, den diese Wälder den jeweiligen Ländern bieten, nicht übersehen und einfach sagen: Ihr müsst die Wälder stehen lassen. - Auch wir haben unsere Wälder genutzt. Deswegen ist es richtig, dass wir diesen Ländern entweder Geld geben, um die Wälder zu schützen, oder sie im Hinblick auf eine nachhaltige Forstwirtschaft unterstützen, zum Beispiel mit FSC-zertifiziertem Handel und Systemen. ({2}) Denn ich persönlich glaube: Nur wenn die Menschen, die dort vor Ort leben, einen nachhaltigen Nutzen davon haben, können die Wälder tatsächlich geschützt werden. Liebe Frau Kopp und Herr Kauch, ich erinnere mich daran, dass Sie von der FDP, wenn es in Diskussionen darum ging, im Rahmen der WTO Umweltstandards zu vereinbaren oder dafür zu sorgen, dass nur noch Holz nach Deutschland eingeführt wird, das zertifiziert ist, das immer als einen Anschlag auf den freien Welthandel und die Marktwirtschaft angesehen und dies abgelehnt haben. ({3}) Jetzt beantragen Sie eine solche Aktuelle Stunde. Das ist nicht redlich, Frau Kopp. Sie haben gefragt: Wo ist unser Konzept? Unser Konzept ist, dass wir in den Entwicklungsländern mit 400 Millionen bzw. 500 Millionen Euro in den Bereich der erneuerbaren Energien und für Energieeffizienz investieren, dass wir dafür sorgen, dass dort, wo die richtig großen Potenziale sind, eine saubere Luft ist, und dass wir das Klima schützen. Das ist immer noch besser als der Marktradikalismus und Populismus Ihres Herrn Westerwelle. Damit muss endlich einmal Schluss sein. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Dr. Georg Nüßlein für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Der Klimawandel ist und war von Anfang an, und zwar auch schon vor dem Stern-Bericht, Thema der Großen Koalition. Wer es nicht glaubt, möge in den Koalitionsvertrag blicken. Aber der Klimawandel ist ein Thema - das hat eben schon der Kollege Raabe ausgeführt -, das man national nicht lösen kann. Da ist zunächst einmal die Europäische Union gefragt, wo wir in unserer Ratspräsidentschaft natürlich Akzente setzen müssen. Ich persönlich wünsche mir, dass wir solche Akzente auch über diese Präsidentschaft hinaus setzen können, dass es ein zentrales Thema bleibt, auf das sich die Europäische Union im Sinne einer echten und notwendigen Subsidiarität konzentriert. Mir wäre es lieber, die EU würde sich mit diesen Themen beschäftigen und nicht mit anderen, zum Beispiel - um ein aktuelles Beispiel zu nennen - mit dem Grünbuch zum städtischen Nahverkehr und anderen Dingen, bei denen die Leute nicht mehr verstehen, was das die Europäische Union angeht. Ich wünsche mir auch eine wohlausgewogene Lastenverteilung zwischen den EU-Staaten. Die deutsche Wirtschaft darf nicht über Gebühr belastet werden. Das ist eine Frage der Akzeptanz sowohl der Europäischen Union als auch des wichtigen Themas des Klimaschutzes. Was Deutschlands nationales Handeln angeht, so leisten wir in Bezug auf klimaschädliche Emissionen einen Beitrag von 3,19 Prozent. Das macht auf der einen Seite deutlich, dass wir dieses Problem nicht allein lösen können. Auf der anderen Seite aber kann man nicht einfach sagen: Dieses Thema geht uns nichts an. Wir müssen vielmehr Vorbild im doppelten Sinne sein, nämlich zum einen als moderner Industriestaat. Denn man wird uns natürlich fragen - da bin ich bei den Entwicklungs- und Schwellenländern, Herr Kollege -: Was muten wir uns selbst zu? Gleichzeitig steht natürlich die Frage im Raum: Was kann man von anderen verlangen, insbesondere von den Entwicklungsländern, die natürlich einen Anspruch auf Entwicklung haben? Wir haben in diesem Zusammenhang auch noch eine andere Vorbildfunktion, nämlich im Sinne eines Technologieführers. Wir brauchen einen Technologietransfer sowohl im Bereich der erneuerbaren Energien als auch bei der Kernenergie. Wir können nicht wegdiskutieren, dass es diese weltweit weiterhin geben wird. ({0}) Aus meiner Sicht und aus Sicht der CSU sind in diesem Zusammenhang zwei Instrumente entscheidend: Das ist zum einen die Gebäudesanierung. Kollege Loske, Sie haben uns vorhin vorgeworfen, wir seien da zu zaghaft. Das hätten Sie in viel größerem Ausmaß während Ihrer Regierungszeit machen können! Ich frage mich, warum Sie es nicht getan haben. ({1}) Das andere entscheidende Instrument sind ganz klar die erneuerbaren Energien. Wenn man sich die Bilanz anschaut, stellt man fest, dass es im letzten Jahr gelungen ist, im Zusammenhang mit den erneuerbaren Energien 97 Millionen Tonnen CO2 einzusparen. 44 Millionen Tonnen davon stammen aus dem EEG, also aus dem Strombereich. Da tut sich also einiges. ({2}) Ich sage das in dieser Deutlichkeit, weil es in diesem Hause den einen oder anderen gibt, der versucht, das eine Instrument gegen das andere auszuspielen, der sagt, der Emissionshandel sei viel besser und spannender. Ich bitte jedoch, zu überlegen, um welche Größenordnung es sich handelt. Beim Emissionshandel haben wir ein Einsparziel von 50 Millionen Tonnen bis zum Jahr 2012. Trotz Diskussion auf gewiss hohem intellektuellem Niveau haben wir keinen solchen Wirkungsgrad wie bei den erneuerbaren Energien. Ich bin der Meinung, wir müssen dieses Instrument noch viel offensiver ausbauen. Das gilt auch - das habe ich auch schon einmal als meine persönliche Meinung dargestellt - im Bereich der erneuerbaren Wärme, weil dort statistisch nachweislich ein hohes Potenzial zu heben ist. ({3}) Ich sage abschließend: Wir müssen bei der ganzen Diskussion zu dem Realismus zurückkehren, der vorhin von der Kollegin Dött schon angemahnt worden ist. Wir dürfen uns nicht besserrechnen als wir sind. Ich meine damit die Prognosen zum Rückgang des Primärenergieverbrauchs. Hier nehmen wir Zahlen aus der Zeit der Deutschen Einigung, übertragen diese einfach in die Zukunft und tun so, als ob der Energieverbrauch in Deutschland zurückginge. Wir reden über Effizienzen, die es dann nicht geben wird, wenn wir - was wir alle wünschen - ein Wirtschaftswachstum haben werden. Dann wird es nicht zu Energieeinsparungen kommen. Wir brauchen einen Energiemix, der vertretbar und realistisch den Energiebedarf dieses Landes deckt. Das geht nur, wenn dieser Energiemix möglichst breit angelegt ist: von den erneuerbaren Energien bis hin zur Kernenergie. Lassen Sie uns diesen Weg vertretbar und vernünftig gehen, dann lösen wir Klimaprobleme und tun auch etwas für Arbeitsplätze in diesem Land. Vielen herzlichen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Bundesregierung erteile ich nun das Wort Herrn Bundesminister Dr. - nein, Entschuldigung Sigmar Gabriel. ({0})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Frau Präsidentin, das wäre „humoris causa“. Von daher vielen Dank. Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat, der IPCC-Bericht, der mehrfach zitiert wurde, also der Bericht der Klimawissenschaftler und der Regierungsvertreter, sagt, dass wir zur Erreichung unseres Ziels, die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts unter 2 Grad zu halten, nur noch relativ wenig Zeit haben. Die Prozentzahlen, die in der heutigen Debatte über die Senkung der CO2-Emissionen eine Rolle gespielt haben, messen sich alle an diesem Ziel. Um die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts unter 2 Grad zu halten, müssen wir die CO2-Emissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts um 60 bis 80 Prozent reduziert haben. Um das zu erreichen, müssen wir sie bis zum Jahr 2020 um 30 Prozent reduziert haben. Jetzt fangen wir einmal an, darüber zu reden, was der Umweltrat der Europäischen Union beschlossen hat. Herr Dr. Loske, was Sie hier die ganze Zeit behaupten, ist einfach falsch. ({0}) Der Umweltrat hat beschlossen: Wir wollen in Europa dafür eintreten und in internationalen Verhandlungen erreichen, dass die CO2-Emissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts um 60 bis 80 Prozent sinken. In internationalen Verhandlungen wollen wir eine Reduzierung um 30 Prozent bis zum Jahr 2020 erreichen. Das ist exakt der Beschluss des Umweltrates. Das ist das, was der Deutsche Bundestag immer wollte. Das ist das, was die Klimawissenschaftler wollen. Es ist - nehmen Sie es mir nicht übel; in der Debatte machen Sie sonst einen viel gradlinigeren Eindruck - Volksverdummung, zu behaupten, die Europäische Union habe dieses 30-Prozent-Ziel nicht beschlossen. Das ist unter der deutschen Ratspräsidentschaft beschlossen worden. ({1}) Vor zwei Jahren hätte kein Mensch gedacht, dass die Europäische Union ein solches Ziel beschließen würde. Damals ist nie von Binding Targets, von bindenden Zielen, die Rede gewesen. Darum ist es von historischer Bedeutung, dass die Europäische Union unter der deutschen Ratspräsidentschaft gesagt hat: Wenn wir in den internationalen Verhandlungen eine Reduzierung um 30 Prozent nicht erreichen - also: im schlimmsten anzunehmenden Fall -, wird die Europäische Union eine Reduzierung um mindestens 20 Prozent im Alleingang vornehmen. Herr Loske, kein Land, keine Region der Erde mit Ausnahme der Europäischen Union hat bis zum heutigen Tag einen solchen Beschluss gefasst. Das ist ein historischer Beschluss, der unglaublich wegweisend ist. Er ist übrigens auch die Voraussetzung, um andere zu Verhandlungen zu bewegen. Wenn Sie denen sagen: „Völlig egal, was ihr macht, wir reduzieren um 30 Prozent!“, warum sollten diese Länder denn dann noch in Verhandlungen mit uns eintreten? Das ist ein wirklich wegweisender Beschluss. Mit der beschlossenen Reduzierung um mindestens 20 Prozent sagen wir allen Investoren in der Energiewirtschaft und in den anderen Industriebereichen in Europa: Macht euch keine Illusionen. Selbst wenn die internationalen Klimaschutzverhandlungen scheitern, wird es in Europa mit dem Klimaschutz vorangehen. ({2}) - Herr Fell, Sie wären froh gewesen, wenn Sie in Ihrer Regierungszeit einen solchen Beschluss hätten durchsetzen können. Machen Sie doch nicht das klein, was Sie mit Ihrer Arbeit in der rot-grünen Koalition begonnen haben und was jetzt in der Großen Koalition zum Erfolg geführt werden konnte. Reden Sie die internationale Rolle Deutschlands doch nicht kleiner. Kein anderes Land in Europa außer Deutschland hätte das, so glaube ich, so ohne Weiteres hinbekommen. Ich weiß, wovon ich rede. Die Vertreter der anderen europäischen Regierungen hatten doch keine Angst vor dem Beschluss einer Reduzierung um 30 Prozent weltweit, sondern vor der unilateral, innerhalb der Europäischen Union beschlossenen Reduzierung um 20 Prozent. Jetzt ist klar: Das kommt auf jeden Fall. Genug Länder haben gehofft, dass wir das auf die internationalen Verhandlungen vertagen, nach dem Motto: Schauen wir einmal, was dabei herauskommt. Wir sagen der Energiewirtschaft: Macht Euch keine Illusionen. Heute gilt das Ziel einer Reduzierung um 8 Prozent gegenüber 1990. Nach 2012 gilt das Ziel einer Reduzierung um mindestens 20 Prozent. Das bedeutet übrigens auch eine Investitionssicherheit. ({3}) - Auch für die Kohle, na klar. Herr Fell, Ihr Parteitag hat Ihre Illusionen abgelehnt, als Sie beantragt haben, die Grünen mögen doch bitte den vollständigen Ausstieg aus der Kohle beschließen. ({4}) Die Parteitagsmitglieder waren realistischer als die Vertreter der Grünen im Deutschen Bundestag. Das ist die Realität in der Kohledebatte. ({5}) Der Ausstieg aus der Kernenergie bis 2020 bei einem zeitgleichen Ausstieg aus der Kohle ist eine ziemlich abenteuerliche Vorstellung. Was wir brauchen, sind bessere, effizientere Kohlekraftwerke als die alten Dinger, die herumstehen. Sie machen den Leuten vor, dass wir die auch noch abschalten könnten und wir bis 2020 100 Prozent des Energiebedarfs aus erneuerbaren Energieträgern gewinnen könnten. Das ist ein schöner Traum. Wir wollen aber reale Politik machen. Wir wollen, dass sich im Klimaschutz wirklich etwas bewegt, und nicht nur Reden im Bundestag halten. Herr Fell, das ist der Unterschied zwischen uns. ({6}) - Ich habe mir das, was hier gesagt worden ist, genau angehört. Die unilateral beschlossene Reduzierung um 20 Prozent ist die Voraussetzung für Verhandlungen. Eine Reduzierung um 30 Prozent wollen wir erreichen. Damit die Größenordnung dessen, was wir jetzt beschlossen haben, klar wird: In der Europäischen Union - Stichwort: Kiotoprotokoll - haben wir jetzt ein Klimaschutzziel von 8 Prozent. Wir sind bei 1,2 Prozent und damit weit weg von dem 8-Prozent-Ziel. Wir wollen eine Reduzierung um 20 Prozent, eigentlich um 30 Prozent erreichen. Das macht klar, dass wir hier nicht über ein autofreies Wochenende oder so reden. Wir reden über den Umbau der Industriegesellschaft bei der Form der Energieproduktion und der Energiekonsumtion. Das ist eine technologische Herausforderung, die es in diesem Land so noch nicht gegeben hat. Zur Rolle Deutschlands. Deutschland ist der größte Emittent in der Europäischen Union, weil wir das größte Industrieland sind und übrigens auch bleiben wollen. Allerdings haben wir den größten Beitrag zu den bisherigen Zielen der Europäischen Union geleistet. 75 Prozent der Einsparungen der CO2-Emissionen in der Europäischen Union erbringt dieses Land. Man muss nun nicht darüber jubeln, dass wir die größten Emittenten sind, aber man sollte sagen, dass sich dieses Land zu seiner Verantwortung für Klimaschutz bekennt, unter der deutschen Präsidentschaft allemal und übrigens auch schon davor. Es gibt eine Kontinuität von Klaus Töpfer über Angela Merkel, Jürgen Trittin bis zur heutigen Regierung. Ich finde, das darf man einmal sagen. Man muss nicht alles in Grund und Boden reden, was dieses Land auf die Beine gestellt hat. Das ist schon ganz bemerkenswert. ({7}) Übrigens ist die Reduktion der CO2-Emissionen um 40 Prozent, die der Bundestag kurz vor der Konferenz in Nairobi beschlossen hat, ganz logisch. Wenn wir international 30 Prozent erreichen wollen, dann wird es Lastenverteilungen geben. Dies wird dazu führen, dass dieses Land mehr erbringen muss als andere. Es war kein besonderer politischer Akt, dies zu beschließen. Sie müssen nur die Grundrechenarten beherrschen, dann kommen Sie, wenn Sie wollen, zu diesem Ergebnis. Frau Kopp hat gefragt: Was ist das Konzept? Diese Frage beantworte ich Ihnen. Das Konzept besteht aus vier Instrumenten. Erstens gibt es den Emissionshandel. Ich möchte einmal eine Größenordnung dazu nennen: In der ersten Periode haben wir 2 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr eingespart. Das war nicht besonders viel. Hier gibt es sozusagen eine Lernkurve. Dann haben wir einen Vorschlag gemacht. Dadurch haben wir 46 Millionen Tonnen eingespart. Jetzt durch den EU-Beschluss, der in Deutschland zu erheblichen Debatten geführt hat, sind wir im Emissionshandel bei 57 Millionen Tonnen CO2, die wir pro Jahr einsparen. Da haben alle eine Lernkurve hinter sich; auch wir. Aber es ist allemal ein Ergebnis, das sich im internationalen Vergleich sehen lassen kann. Übrigens können wir nicht alles durch Gas ersetzen - das war einer der Vorschläge von Herrn Loske und anderen -, weil es nicht genug Gas auf der Welt gibt und weil das auch nicht bezahlbar wäre. Es gibt zu meinem großen Bedauern in diesem Land noch Einkommensunterschiede. Darüber muss eine Bundesregierung nachdenken, auch wenn es die selbsternannte Linkspartei in dieser Debatte nicht tut. ({8}) - Ich mache einmal mit Ihnen eine Veranstaltung mit Personen, die nicht genug Geld haben, sich eine warme Wohnung zu leisten. Dann wollen wir einmal sehen, wie Sie danach reden. ({9}) Es geht auch darum, dass wir nicht nur darauf achten müssen, was für die Wirtschaft verträglich ist - darüber wird in Deutschland viel geredet -, sondern auch darauf, was für die Menschen verträglich ist, die heute Schwierigkeiten haben, sich mit ihrem Nettoeinkommen eine warme Wohnung oder eine Tankfüllung zu leisten. ({10}) Zweiter Punkt des Konzepts: der Ausbau erneuerbarer Energien. Das ist eine Erfolgsstory in der Bundesrepublik, übrigens gegen Ihren Widerstand. Herr Loske, Sie haben an einer Stelle völlig Recht. Das verbindliche Ziel, das die Räte in der Europäischen Union beschlossen haben, dass die erneuerbaren Energien einen Anteil von 20 Prozent an der Primärenergie ausmachen sollen, war unzureichend. Ich bin froh, dass die Bundeskanzlerin gesagt hat, dass sie das mit auf den Rat der Staatsund Regierungschefs nimmt. Allerdings, Herr Loske, auch die Umweltminister gehen mit Kabinettsbeschlüssen dorthin. Das wissen Sie. Es ist unter anderem am französischen Widerstand gescheitert. Ich wäre dankbar, wenn die, die das wollen, nicht die Bundesregierung dafür beschimpfen, dass sie für 20 Prozent eintritt, sondern vielleicht einmal in ihren Gremien, zum Beispiel in den Fraktionen im Europäischen Parlament, dafür sorgen, dass durch ihre Schwester- und Brüderparteien zu Hause der Druck entwickelt wird, von dem Sie vorgeben, dass Sie ihn hier entwickeln. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Minister, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Dritter Punkt: Energieeffizienz. Dazu ist schon viel gesagt worden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich muss Sie dringend darauf hinweisen, dass Sie zum Schluss kommen müssen.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Ja, vielen Dank, Frau Präsidentin. Der letzte Punkt, über den wir wahrscheinlich noch weiter debattieren werden, ist CCS. Es geht für die Bevölkerung auf der Welt in der Tat um ein Problem, das ähnlich gelagert ist wie die Bedrohung durch atomare Waffen. Deswegen werden wir uns mit diesem Thema international weiter auseinandersetzen müssen. Aber die Führerschaft Europas und die Fähigkeit Deutschlands, das voranzutreiben, sollten wir im eigenen Parlament nicht ständig unter den Scheffel stellen. Vielen Dank. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Philipp Mißfelder, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal, ohne dass der Eindruck entsteht, in der Großen Koalition sei man bei jedem Thema einer Meinung, ({0}) das unterstützen, was der Minister vorhin zu den Beschlüssen auf europäischer Ebene gesagt hat. Ich glaube, dass dies ein wirklicher Fortschritt ist und dass die zweite Bemerkung dazu richtig war: Nicht nur die Absichts- und Zielbeschreibungen, die stattgefunden haben, sind zu betrachten, sondern auch das, was tatsächlich erreicht worden ist. Ich denke, in diesem Haus besteht ein grundsätzlicher Konsens, dass wir mit dem, was wir bei der Emissionseinsparung bisher erreicht haben, noch weit von dem entfernt sind, was wirklich notwendig wäre. Ich glaube, die Diskussion der vergangenen Wochen war sehr wichtig, um in der Bevölkerung ein Bewusstsein dafür zu schaffen. Dass diese Debatte geführt wurde, war für die Akzeptanz der Umweltpolitik von Bedeutung. Aber wir müssen besonders vorsichtig sein, wenn versucht wird, daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Ich möchte jetzt keine Einzelbeispiele aufgreifen - in den vergangenen Wochen ist schon viel zu den Themen Hybridauto, erneuerbare Energien und Glühbirnen gesagt worden -, sondern nur festhalten: Nicht jeder Vorschlag, der gemacht wurde, ist tatsächlich realistisch. Wir sollten aufpassen, welches Gesellschaftsbild wir letztendlich vermitteln. Ist eine solche Gesellschaft überhaupt lebenswert? Sollte es das Ziel von Politik sein, eine komplette Verbotsgesellschaft zu schaffen? Davor muss man realistischerweise warnen. ({1}) - Herr Fell, wir vertreten zwar in vielen Punkten der Umwelt- und insbesondere der Energiepolitik unterschiedliche Auffassungen. Aber wir stimmen doch darin überein, dass wir vor allem Marktanreizmodelle schaffen müssen, um die Interessen der Industrie und die ökonomischen Interessen unseres Landes mit unseren ökologischen Zielen in Einklang bringen zu können. ({2}) Man sollte bei allem, was vorgeschlagen wird, realistisch bleiben und auch die eigene Position immer wieder überprüfen. Das geschieht, wie Sie beobachten können, auch in der Union. Wir diskutieren munter darüber, welcher Weg in der Umweltpolitik der beste ist. Mittlerweile findet man bei uns ein hohes Maß an Offenheit. ({3}) Die gleiche Offenheit, die Sie immer von uns einfordern, fordern wir von unserem Koalitionspartner und natürlich auch von den Grünen ein, wenn es darum geht, zu überprüfen, welcher Weg in der Energiepolitik generell der richtige ist. Wenn man über Klimaschutzziele spricht, dann muss man die weltweiten Entwicklungen zur Kenntnis nehmen. Es ist nun einmal so - ich weiß, dass Sie sich gleich wieder aufregen werden -, dass zu einer vernünftigen Klimapolitik auch die Kernenergie gehört. ({4}) Die Panikmache, die an der einen oder anderen Stelle betrieben wird, macht keinen Sinn. Man kann nicht einerseits vor der großen Klimakatastrophe warnen, ohne gleichzeitig zu erklären, wie das Potenzial an Kernenergie, das als emissionsfreier Energieträger in Deutschland vorhanden ist, eingespart und ersetzt werden kann. ({5}) Dazu gibt es keine realistischen Vorschläge. ({6}) Deshalb muss man über den besseren Weg in der Energiepolitik diskutieren. Nachdem ich den Minister und die Sozialdemokraten gelobt habe - Herr Kelber, das werde ich gerne wieder tun, zumindest solange die Große Koalition hält -, ({7}) möchte ich nun meinem Wahlkreiskollegen Schwabe, der sich gerade kritisch über die „Recklinghäuser Zeitung“ geäußert hat, erwidern: Der Kommentar, der in unserer Lokalzeitung stand, trifft tatsächlich das Bewusstsein vieler Menschen. Wir müssen in der Umweltpolitik darauf achten, dass wir nicht durch viele Einzelvorschläge Panikmache betreiben und dadurch die Legitimation, die wir haben, um vernünftige politische Entscheidungen zu treffen, unnötig erschweren. Vielen Dank. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Marco Bülow für die SPD-Fraktion. ({0})

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Eine Schlagzeile nach dem Erscheinen des IPPC-Berichts lautete: Der Mensch ist verantwortlich für den Klimawandel. - Das wussten wir schon vorher. Vor 30 Jahren haben ähnliche Berichte zutage gebracht, dass der Mensch höchstwahrscheinlich dafür verantwortlich ist. Dass das Wort „höchstwahrscheinlich“ verwendet wurde, hat leider nicht dazu geführt, dass hinreichende Maßnahmen ergriffen wurden. Sonst wären wir heute einen Riesenschritt weiter. Es wurde zwar ein Anfang gemacht, und es wurden gute Beschlüsse gefasst. Aber im Prinzip hat sich nur eines verändert: Der CO2-Ausstoß ist weiter gestiegen. Heute, 30 Jahre später, müssen alle, auch die großen Skeptiker, zugeben, dass der Mensch für den Klimawandel verantwortlich ist und wir wohl das eine oder andere werden unternehmen müssen. An der heutigen Debatte zeigt sich allerdings auch, wie schnell wir immer noch unterschiedlicher Meinung sind. Es wird darauf hingewiesen, dass wir der Wirtschaft nicht schaden dürfen und noch einmal genau über die Ziele sprechen müssen, und es wird die Frage gestellt, ob Deutschland bei diesem Thema denn wirklich Vorreiter sein muss. Ich finde, in den letzten 30 Jahren haben wir nicht sehr viel dazugelernt.Denn eines ist doch wohl klar: Wenn wir die erneuerbaren Energien ausbauen, wenn wir mehr für die Energieeffizienz tun, dann schaden wir der Wirtschaft nicht, sondern wir nutzen ihr: Über 200 000 Menschen haben im Bereich der erneuerbaren Energien Arbeit gefunden. Bei mehr Energieeffizienz könnten es noch viel mehr sein. Das spricht eine deutliche Sprache: Das Land, das beim Klimaschutz Vorreiter sein wird, wird eine wirtschaftliche Macht entfalten, der wegen des Drucks, den der Klimawandel ausübt, ganz viele Länder nachfolgen müssen. Deswegen ist es keine Schadensrechnung, sondern eine Nutzenrechnung, die wir aufstellen müssen. ({0}) Auch diese Erkenntnis ist nicht neu, ich bin nicht der Erste, der das hier sagt; aber anscheinend muss man es leider noch einmal wiederholen. Ich finde es gut, dass wir diese Debatte führen, und ich danke der FDP, dass wir heute darüber diskutieren können. ({1}) Aber ich finde es schon abenteuerlich, dass die Hauptaussage der FDP ist, wir müssten über die Instrumente - EEG, KWK usw. - noch einmal nachdenken. Damit gefährden Sie eine Menge Arbeitsplätze. Ist Ihnen das eigentlich bewusst? Wollen Sie jetzt die erneuerbaren Energien? Herr Kauch hat dafür gesprochen, Frau Kopp hat ungefähr das Gegenteil gesagt. ({2}) Die Differenzen, die Sie in der Union gesehen haben wollen, scheinen bei Ihnen erst recht nicht ausgeräumt zu sein. In dieser Frage ist unser Koalitionspartner doch deutlich verlässlicher, glaube ich. ({3}) Die Hauptbotschaft des Berichtes muss doch lauten: Wir müssen schnell handeln, und die Handlungen müssen weitreichend und mutig sein. Dazu müssen wir in der Diskussion klarstellen, welche Maßnahmen wir brauchen. Fangen wir mit denen an, bei denen wir uns einig sind: Es gibt eine breite Mehrheit in diesem Haus, dass wir Maßnahmen wie die Kraft-Wärme-Kopplung und ähnliche brauchen. Da sollten wir den Anfang machen. Ich denke, dazu wird der Kollege Becker gleich noch etwas sagen. Zweitens. Wir müssen überlegen, wo wir bei uns anfangen können, damit wir glaubwürdig sind, damit die Menschen nicht sagen, wir reden nur. Wir müssen also auch selbst handeln. Wir sollten beispielsweise über die Dienstwagenflotte des Bundestages einmal nachdenken. ({4}) Oder nehmen wir die Flüge, die die Bundestagsabgeordneten machen, zum Teil machen müssen. Es gibt ein Programm, bei dem man zuzahlen kann, um die Schäden, die man anrichtet, zumindest zu neutralisieren. Drittens. Wir müssen auch dort handeln, wo es Gegenwind gibt, wo Lobbygruppen sich stark aufgestellt haben. Wir müssen auch Dinge beschließen, für die man vielleicht nicht nur Beifall aus der Bevölkerung bekommt. Viertens. Wir brauchen ein klares Bekenntnis Deutschlands zu seiner Vorreiterrolle; der Bundesminister hat das auf den Konferenzen deutlich gemacht. Wir brauchen diese technologische Vorreiterrolle aus wirtschaftlichen Gründen, aber auch weil wir eine Verantwortung haben. Deshalb kann ich die Diskussion an manchen Stellen nicht nachvollziehen. Im Durchschnitt verursacht jeder Deutsche heute den Ausstoß von 10 Tonnen CO2 im Jahr. Jetzt kann man nicht sagen: Das kann man schlecht vergleichen mit Brasilien oder China, wir sind ja viel industrialisierter. 1950, als die Industrie für 61 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich war, war das so. Doch mittlerweile hat sich das Verhältnis in Deutschland umgekehrt: Heute ist der größte Teil der CO2-Emissionen dem Verkehr und den Verbrauchern geschuldet. Von daher glaube ich, dass wir gut daran tun, wenn gerade Deutschland seine CO2-Emissionen reduziert. Das heißt nicht, dass sich die anderen europäischen Staaten nicht auch bemühen müssten - im Gegenteil. Aber wir müssen als Vorreiter vorangehen, um sagen zu können: Wenn ihr es nicht tut - wir haben es gemacht. Wir können andere nur dazu bewegen, zu folgen, wenn wir selber Vorbild sind, wenn auch wir bereit sind, etwas zu tun. Der Klimawandel kommt; aber noch haben wir die Chance, zumindest einige seiner Folgen abzuwenden. Wir alle tragen eine Verantwortung dafür; das ist an vielen Stellen erwähnt worden. Es müssen mehrere Sachen zusammenkommen. Natürlich kann Deutschland den Klimawandel nicht allein abschwächen. Auch in China muss es ein Umdenken geben. Dort gibt es einige Umweltbewegte, die sagen: So kann es nicht weitergehen, auf diesem Weg darf China nicht bleiben. Diese Leute müssen sich durchsetzen; sie müssen von uns gestärkt werden. Auch in den USA muss es ein Umdenken geben. Auch dafür gibt es gute Anzeichen, gerade im Senat und bei vielen Abgeordneten aus allen Parteien in den USA. Wenn die drei Akteure China, die USA und die Europäische Union - mit den Entscheidungen, die wir schon getroffen haben; mit Deutschland als Vorreiter zusammenkommen, dann haben wir eine echte Chance, dem Klimawandel zu begegnen, dann sind wir einen Riesenschritt weiter. Aber dazu brauchen wir Mut, und diesen Mut müssen wir nicht nur bei Reden, sondern vor allem bei Entscheidungen unter Beweis stellen. Vielen Dank. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Dirk Becker für die SPD-Fraktion. ({0})

Dirk Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003736, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir ging es ähnlich wie Frau Dött, als ich zur Kenntnis nehmen musste, dass diese Aktuelle Stunde anberaumt war. Die Motivation der FDP war nicht wirklich ein Rätsel. Sehr geehrter Herr Kauch, Kollegin Kopp, im Endeffekt sind die Erwartungen, die man an Ihren Beitrag haben konnte, voll und ganz erfüllt worden: Ein kleiner Anteil erneuerbarer Energien wird bejaht; ein bisschen Effizienz wäre schön. In erster Linie darf es aber nicht mehr kosten. Es darf nicht zulasten der Wirtschaft gehen. Marco Bülow hat es eben bereits angesprochen. Dabei zeigt sich das Kurzzeitgedächtnis in der Politik. Wir diskutieren über den IPCC-Bericht; hingegen ist der Stern-Bericht, der uns klargemacht hat, dass Unterlassungen im Klimaschutz teurer werden als eine engagierte Politik, die frühzeitig zum Klimaschutz beiträgt, anscheinend längst vergessen. ({0}) Von daher war Ihr Beitrag in dieser Aktuellen Stunde, Frau Kopp - so leid es mir tut; ich schätze Sie als meine Wahlkreiskollegin sehr -, deutlich am Thema vorbei. ({1}) Deutlich wird aber auch - das richtet sich an den Koalitionspartner -, dass die Diskussion über den Klimaschutz unterschwellig dafür genutzt wird, eine Renaissance der Atomenergie zu beflügeln. Es geht auf einmal wieder die Mär um, die Technologie der Atomenergie sei geeignet, unser Klima zu schützen. Wir brauchen aber an dieser Stelle keinen energiepolitischen Salto rückwärts. Einige sind offensichtlich beratungsresistent, was den wirklichen Nutzen der Atomenergie und den Beitrag der Kernenergie zur klimapolitischen Wende angeht. Daran ändern auch die großen PR-Aktionen und Werbekampagnen nichts, die die Atomlobby derzeit schaltet. Einer der größten Fehler in der gesamten Diskussion ist, dass immer wieder Energie mit Strom gleichgesetzt wird. Das ist mitnichten der Fall. Nur 16 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs beziehen sich auf den Stromsektor. Die Möglichkeiten, allein auf dem Stromsektor bzw. über Atomkraftwerke zu nennenswerten Klimaschutzmaßnahmen zu kommen, stehen in keinem Verhältnis zu anderen wirksamen Maßnahmen. ({2}) Verschiedene Studien zeigen, dass wir in Deutschland 40 neue Atomkraftwerke errichten müssten, um das Ziel zu erreichen, komplett auf vermeintlich CO2-freie Technologie zu setzen. Bei dieser Betrachtung wird ein gewaltiger Fehler begangen: Wir richten den Fokus nicht auf den Bereich der Wärme, sondern allein auf die Stromerzeugung. Damit komme ich zu dem, was Marco Bülow angesprochen hat. Es gibt eine wesentlich bessere Möglichkeit, zu einer klimafreundlichen Nutzung der eingesetzten Energie zu kommen, und zwar durch die Kraft-Wärme-Kopplung. Anders als bei der Atomenergie werden hierbei in einem Prozess Strom und Wärme erzeugt. Wir können so bis zu 90 Prozent der eingesetzten Energie in Wärme und Strom umwandeln. Wir haben bei anderen klassischen Energieformen wie Kohle oder auch bei der Atomenergie eine Nutzung von 30 bis 35 Prozent. Bei modernen GuD-Kraftwerken liegt die Auslastung ungefähr bei 55 Prozent. Das heißt, im Bereich der KraftWärme-Kopplung ist eine zwei- bis dreifache Steigerung der Energieeffizienz möglich. Daher ist für uns Sozialdemokraten die Kraft-Wärme-Kopplung eine der entscheidenden Punkte in der Diskussion über den Klimaschutz, gerade mit Blick auf den Bereich der Energieeffizienz. ({3}) Ich möchte daher auch sehr deutlich an den Koalitionsvertrag erinnern. Beide Koalitionsparteien haben sich im Koalitionsvertrag zur Kraft-Wärme-Kopplung geäußert. Uns liegt mittlerweile der Bericht des Wirtschaftsministeriums und des Umweltministeriums vor. Wir wissen, dass die bisherigen Klimaschutzziele nicht erreicht werden können. Von daher bedarf es nun einer engagierten Ausformulierung und Novellierung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes. Ich möchte an den Koalitionspartner appellieren, nun auch in diesem Bereich die Vereinbarung umzusetzen. Für die SPD-Fraktion gestatten Sie mir, darauf hinzuweisen, dass wir im März den Entwurf einer Novellierung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes vorlegen werden. Für uns geht es darum, nicht nur die Modernisierung im Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung, sondern ausdrücklich auch den Neubau von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen zu fördern. Darüber hinaus bekennen wir uns zu unserem Ziel, den Anteil der Stromerzeugung durch Kraft-WärmeKopplung bis zum Jahr 2020 auf 25 Prozent zu erhöhen. Um die Frage zu beantworten: Es gibt klare Handlungsfelder in der Großen Koalition. Wir haben Strategien in den Bereichen der erneuerbaren Energien, des Energiesparens und der Energieeffizienz. Das sind die Konsequenzen, die wir Sozialdemokraten aus den Erfordernissen des Klimaschutzes ziehen. Wir werden daher diese Politik kontinuierlich fortsetzen. Den Atomnostalgikern muss ich sehr deutlich sagen: Ihren Weg werden wir nicht mitgehen; denn dieser Weg ist aus unserer Sicht ein Weg in die energiepolitische Sackgasse. Herzlichen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 2: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Fortentwicklung des Gentechnikrechts. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich würde eigentlich lieber über den - wie ich gerade erfahren habe - sagenhaften Überschuss der Krankenkassen im Jahr 2006 infolge der vorletzten Gesundheitsreform reden. Aber ich rede jetzt über den heutigen Kabinettsbeschluss zum Gentechnikrecht. Das Bundeskabinett hat heute ein umfassendes Eckpunktepapier zur Novellierung des Gentechnikrechts beschlossen. In unserer Koalitionsvereinbarung ist festgelegt, dass die Anwendung und die Entwicklung der Gentechnik in Deutschland befördert werden sollen, und zwar unter dem obersten Gebot des Schutzes von Mensch und Umwelt, was das Gentechnikrecht seit vielen Jahren bestimmt. Ich möchte mich bei meinem einleitenden Bericht auf die zwei wesentlichen Säulen des Eckpunktepapiers konzentrieren, nämlich zum einen auf das Kapitel Forschung und zum anderen auf die wirtschaftliche Anwendung in dem einzigen Bereich, der zurzeit in Deutschland ökonomisch eine Rolle spielt, den Genmais. Bei der Forschung wird es eine Reihe von Verbesserungen geben. Das geht von der Einbeziehung der Pflanzen- und Biotechnologie in die Forschungsexzellenzinitiative der Bundesregierung über Verfahrenserleichterungen bei Freisetzungen, also Forschungsvorhaben, in der Bundesrepublik Deutschland bis zu einer thermischen Verwertung von Ernten, die infolge von Forschungsfreisetzungen kontaminiert sind. Ich denke, dass die Stärkung der Forschung in der Bundesrepublik Deutschland aus einem einfachen Grund gerechtfertigt, ja sogar notwendig ist: Wir haben es mit einer sehr jungen Technologie zu tun, die in den Bereichen Sicherheit und Entwicklung gerade mit der nächsten Generation der Gentechnik eine ganze Reihe von Fragen aufwirft. Für ein hochentwickeltes Land wie die Bundesrepublik Deutschland sollte es eigentlich logisch sein, dass wir die durch eine junge Technologie aufgeworfenen Fragen durch Forschung in Deutschland beantworten und nicht durch das Aufbauen überzogener Hürden dazu beitragen dürfen, dass die Forschung anderenorts stattfindet, sodass uns vielleicht in fünf oder zehn Jahren die gestellten Fragen von Chinesen oder Indern beantwortet werden. Wenn ich mit Gentechnikskeptikern diskutiere, bin ich froh, dass prinzipiell eingeräumt wird: Es ist logisch, wenn wir offene Fragen durch Forschung in der Bundesrepublik Deutschland beantworten. Auch die Forschung erfolgt immer nach dem obersten Prinzip des Schutzes von Mensch und Umwelt. Hier werden keine, auch nicht die geringsten Risiken für Mensch und Umwelt eingegangen. Anderenfalls darf schon nach dem geltenden Gentechnikrecht eine Freisetzungsgenehmigung nicht erteilt werden. Ich habe heute im Kabinett gesagt, dass nach meiner Auffassung für die Forscher in Deutschland Bedingungen bestehen, die besser als in jedem anderen europäischen Land sind. Wir haben gute Bedingungen für die Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere um Sicherheitsfragen und Entwicklungsfragen zu beantworten. Der zweite Komplex betrifft die wirtschaftliche Anwendung. Die spielt bei uns in Deutschland im Moment nur bei Genmais eine Rolle. Von der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche werden im Moment für den Anbau von Genmais 0,006 Prozent genutzt. Weltweit sind es einschließlich von Soja und Raps etwa 2 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Nun ist alles, was mit der ökonomischen Anwendung von Gentechnik zusammenhängt, europarechtlich geregelt. Wir haben vor allem im Bereich der Haftung und der Koexistenz nationale Regelungsmöglichkeiten. Die wollen wir auch ausfüllen, und zwar besser, als das in der Vergangenheit der Fall war. Koexistenz heißt nach Auffassung der Bundesregierung, dass es im Regelfall bei der wirtschaftlichen Anwendung nicht zu Auskreuzungen kommen soll und dass alle Bedingungen für den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen so gestaltet sein sollen, dass im Regelfall Nachbarn nicht beeinträchtigt werden, sondern nur im Ausnahmefall. Wenn man von dieser Grundphilosophie der Koexistenz ausgeht, spielt natürlich der Abstand zu benachbarten Feldern eine beachtliche Rolle. Der Vorschlag von 150 Metern Abstand zwischen einem gentechnischen Anbau und einem konventionellen oder einem ökologischen Anbau, den ich dem Kabinett gemacht habe, ist vom Kabinett gebilligt worden. Das Eckpunktepapier sieht allerdings auch ausdrücklich vor, dass gerade Dinge wie der Abstand permanent wissenschaftlich begleitet und untersucht werden müssen. Als ich mein Amt begann, wurde mir beim Genmais ein Abstand von 20 Metern nahegelegt, und das wurde auch in weiten Teilen der Bundesrepublik Deutschland praktiziert. Also für alle diejenigen, die gelegentlich sagen, die Bundesregierung gehe leichtfertig vor: 150 Meter sind bekanntlich das 7,5-fache von 20 Metern. Hier ist ein ganzes Stück mehr an Sicherheit und Vorsicht eingekehrt. Es bleibt im Kern bei der bestehenden Haftungsregelung. Sie wird nicht verändert. Ich hatte persönlich im Vorfeld dieses Kabinettsbeschlusses Kontakte mit der betroffenen Wirtschaft, auch mit der Versicherungsbranche. Versicherungsmäßig ist das im Moment nicht zu kalkulieren und deshalb auch nicht zu versichern. ({0}) Ich war sehr froh, dass die deutsche Wirtschaft erklärt hat, sie sei bereit, anstelle eines gesetzlichen Haftungsfonds in Individualverträge mit den Anbauern einzutreten, um mögliche wirtschaftliche Schäden aufzufangen. Wichtig ist mir, dass es bei der wirtschaftlichen Anwendung von Gentechnik nicht zu einer Haftung aus Steuergeldern und damit aus dem Bundeshaushalt kommt. Ich glaube, dass es mit diesem Punkt und einer ganzen Reihe weiterer Punkte, die in diesem hochkomplexen Gebilde eine Rolle spielen, gelungen ist, eine sehr verantwortliche und sensible Interessensabwägung durchzuführen. Vor allem ist es uns mit diesem Eckpunktepapier gelungen, diesen Interessenausgleich, den die Bevölkerung von uns erwartet, zu wahren, nämlich dass wir einerseits vorsichtig und zurückhaltend mit dem Thema umgehen, andererseits aber auch die Chancen für die Bundesrepublik Deutschland, die sich mit einer neuen Technologie ergeben, nicht verspielen. Nun wird die Umsetzung in Gesetze und Verordnungen erfolgen. Die Koexistenzregeln werden in erster Linie in Form einer Rechtsverordnung umzusetzen sein, manche Regeln, zum Beispiel das vereinfachte Verfahren bei der Freisetzung, in Form von Gesetzen. Dann besteht auf europäischer Ebene noch eine dritte Säule, zum Beispiel die generelle Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Produkten oder die Frage des Schwellenwertes für Pflanzensorten. Das ergibt nur auf europäischer Ebene Sinn. Es ergibt keinen Sinn, für Deutschland einen Schwellenwert für Pflanzensorten festzulegen, um dann zu erleben, dass aus Frankreich jede Pflanze jenseits des in Deutschland festgelegten Schwellenwertes nach Deutschland importiert werden kann. Das wäre eine Diskriminierung der inländischen Wirtschaft. Deshalb müssen wir gewisse Dinge auf europäischer Ebene vorantreiben: die Kennzeichnung, die Schwellenwerte für die Sorten. Wir haben in der Koalition auch vereinbart - das habe ich heute ebenfalls im Kabinett gesagt -, dass wir schwierigste Fragen wie Testkosten oder die Haftung, die sich oft aus den Verträgen ergibt - jenseits der gesetzlichen Grundlagen verpflichten sich Erzeuger gegenüber dem Handel durch Verträge, ganz andere Regeln zu befolgen -, in den nächsten Monaten in hochkarätigen Symposien bearbeiten werden. Dabei handelt es sich nämlich um ganz schwierige Fragen des Nachbarschaftsrechts. Jede Veränderung des Nachbarschaftsrechts hat natürlich nicht nur im Bereich der Gentechnik Bedeutung, sondern auch in allen anderen Fragen des Zivilrechts. Das ist die Grundregel, die heute beschlossen worden ist. Wir werden jetzt zügig darangehen, diese Eckpunkte so umzusetzen, dass sich in absehbarer Zeit auch das Parlament damit beschäftigen kann.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Vielen Dank, Herr Minister. Wir kommen zunächst zu den Fragen zu diesem Themenbereich. Ich darf schon jetzt darauf hinweisen, dass mir eine Fülle von Wortmeldungen vorliegt. Es wäre im Interesse aller, wenn sich alle Beteiligten möglichst stark konzentrierten. Als Erster hat der Kollege Bleser das Wort.

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, zunächst einmal möchte ich Ihnen ein Kompliment dafür machen, dass es innerhalb der Bundesregierung gelungen ist, die Ressortabstimmung über ein Eckpunktepapier zustande zu bringen. Das war nicht so einfach. Bei jeder neuen Technologie - diese neue Technologie möchte ich als Zukunftstechnologie bezeichnen gibt es Ängste und Befürchtungen. Können Sie präzisieren, wie es die Bundesregierung und dieses Parlament bewerkstelligen können, dass die Wahlfreiheit des Verbrauchers, aber auch die Koexistenz aufseiten der Landwirte sichergestellt ist, damit jeder weiß, dass er nicht gezwungen ist, diese Technologie beim Anbau zu verwenden? Ich bitte Sie, zu präzisieren, in welchem Zeitrahmen wir Parlamentarier in zielführende gesetzgeberische Beratungen einsteigen können.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Die Souveränität des Verbrauchers lässt sich am ehesten durch Kennzeichnung gewährleisten. Sie haben zu Recht gesagt: Der Verbraucher soll souverän entscheiden. Wenn das so sein soll, dann muss er wissen, was er kauft. Das ist mit Kennzeichnung gemeint. Deshalb werden wir auf europäischer Ebene auf eine Verbesserung der Kennzeichnung hinarbeiten. Ich persönlich kann mir durchaus vorstellen, dass wir auch national eine Regel für diejenigen entwickeln, die ihre Produkte als gentechnikfrei bezeichnen wollen; auch das müssen wir im parlamentarischen Verfahren vertiefen. Die Souveränität, also die Wahlfreiheit der Produzenten lässt sich am ehesten durch saubere Regeln der Koexistenz und der guten fachlichen Praxis gewährleisten. Meine Grundüberzeugung ist: Die Regeln sollten so aussehen, dass das Nebeneinander im Regelfall ohne Beeinträchtigung des Nachbarn stattfindet. Ich vergleiche das immer mit dem Straßenverkehr: Der Bürger stellt an uns, den Gesetzgeber, mit Recht den Anspruch, die Regeln so zu gestalten, dass man im Normalfall davon ausgehen darf, unfallfrei wieder nach Hause zu kommen. Wenn der Regelfall bei der Nutzung der Gentechnik die Auskreuzung, die Kontamination wäre, dann wäre die Koexistenzregel nicht in Ordnung. Deshalb muss die Kontamination der Ausnahmefall sein. Das hängt mit Abständen, mit Regeln der guten fachlichen Praxis zusammen. Wenn wir diese Regeln überzeugend formulieren, und zwar nicht aufgrund von Ideologie, sondern aufgrund von wissenschaftlichen Erkenntnissen, dann wird das auf allen Seiten auch ein Stück Vertrauen in die Praxis schaffen. Was den Zeitrahmen, nach dem Sie gefragt haben, angeht: Der Wunsch des ganzen Kabinetts, insbesondere der Kanzlerin, ist gewesen, dass wir diesen Schwung im Zusammenhang mit den Eckpunkten für eine zügige Umsetzung nutzen. Natürlich werden wir bei der Ausarbeitung der Gesetzentwürfe eine Rückkopplung mit den Koalitionsfraktionen vornehmen, damit möglichst vieles von dem, was die Abgeordneten schon heute bewegt, bereits im Entwurf ausreichend berücksichtigt werden kann. Wir wollen dabei sehr zügig vorgehen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Fragestellerin ist die Kollegin Tackmann.

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, ich habe natürlich eine ganze Menge Fragen, aber ich muss mich ja konzentrieren. Also fange ich gleich mit der ersten Frage an. Sie führen zu der Festlegung der Mindestabstände einige Prämissen aus, die Sie dabei berücksichtigen wollen. Eine lautet: „Er muss aus den neuesten und aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen, insbesondere der Ressortforschung des Bundeslandwirtschaftsministeriums, abgeleitet werden.“ Unter dem nächsten Spiegelstrich heißt es: „Er muss so bemessen sein, dass der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutschland nicht faktisch unmöglich gemacht wird.“ Was machen Sie denn, wenn Ihre Bundesforschungsanstalt sagt, dass der Abstand von 150 Metern nicht ausreicht und der Anbau dann doch unmöglich ist? Welche Prämisse setzen Sie da? Ich habe eine zweite Frage - wenn sie mir noch gestattet ist - zum Kennzeichnungsschwellenwert 0,9. Dazu sagen Sie: „Es darf keine von der Saatgutwirtschaft in der Praxis nicht erfüllbare Anforderung gestellt werden.“ Ich frage Sie: Stehen nun der Verbraucherschutz und der Schutz der Nichtanwender im Vordergrund oder die Interessen der Saatgutwirtschaft?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Es steht das Interesse des Menschen und der Umwelt im Vordergrund. Das ist seit Anfang der 90er-Jahre die Grundregel in der Gentechnik. Alles andere wäre bei einer neuen Technologie auch nicht zu verantworten. Was die Abstände betrifft, ist der Satz, den Sie zitiert haben, so zu verstehen: Man kann jetzt nicht hergehen - das haben manche europäische Staaten versucht - und sagen, jenseits jeder wissenschaftlichen Erkenntnis wähle ich einen Abstand zwischen den Feldern, der gewährleistet, dass in meinem Land Gentechnik nicht stattfindet. Das ist auch europarechtlich nicht zulässig. Dazu hat der Europäische Gerichtshof Entscheidungen gefällt; Stichwort Österreich. Sie müssen bei der Regelung des Abstands wissenschaftlich vorgehen. Einige nachgeordnete Bundesbehörden in meinem Bereich haben solche wissenschaftlichen Versuche gemacht. Sie kennen diese Versuche. Beim Mais - nur darüber reden wir jetzt; bei anderen Fruchtarten schaut es wieder ganz anders aus, insbesondere beim Raps, der ja mit jeder Wildpflanze kreuzt kann man die Faustregel aufstellen: Bei einem Abstand unter 50 Metern kommt es zu einer durchaus beachtlichen Auskreuzung, dann nimmt sie rapide ab, und ab 100 Meter Abstand können Sie sie völlig vernachlässigen. Meine persönliche Entscheidung lautete deshalb: Wir addieren aus den genannten Gründen - die Auskreuzung soll die absolute Ausnahme sein - zu den 100 Metern sicherheitshalber die Hälfte dazu und kommen dann auf 150 Meter. Einfach ins Blaue hinein zu sagen, wir fordern Abstände von 300 oder 500 oder 800 Metern, ist nicht sachgerecht. Vor allen Dingen dürfen wir nicht Abstände von 5 Kilometern festlegen, weil ein solcher Abstand faktisch die Verhinderung bedeutet, und das ist europarechtlich nicht möglich. Ich komme zu Ihrer zweiten Frage. ({0}) - Es läuft nicht so, wie uns immer unterstellt wird, dass wir als Regierung warten, bis uns jemand sagt, was wir tun dürfen, und es dann tun. Wir wollen in Deutschland eine relativ junge Technologie, wenn man sie in großem Maßstab betrachtet, dort nutzen, wo sie Chancen bietet, insbesondere in der Forschung, aber wir wollen dort, wo wir Risiken sehen, die Risiken ausschalten. Das ist das Motiv. Wir bedienen uns des Sachverstands von Wissenschaftlern, der Wirtschaft und von Kritikern - ich habe mit allen Kritikern mehrfach gesprochen -, und dann ist es politische Verantwortung, einen Interessenausgleich herbeizuführen. Wir lassen uns nicht von irgendjemand bevormunden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun erteile ich der Kollegin Cornelia Behm das Wort.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, vielen Dank für den Bericht. Sie wären vor der Zulassung neuer gentechnisch veränderter Sorten vielleicht gut beraten gewesen, die gute fachliche Praxis, von der so viel die Rede ist, zu regeln. Eine Anhörung zu diesem Thema hat traurige Ergebnisse ausgewiesen. Es bestehen große Unsicherheiten. Sie sprechen jetzt von 150 Metern Abstand. Ich frage mich natürlich ganz besorgt, wie Sie bei einem Abstand von 150 Metern zum Feld mit gentechnisch veränderten Pflanzen - welche auch immer das dann sein mögen die Interessen der Imker berücksichtigen wollen und werden; denn Bienen haben bekanntermaßen einen sehr weiten Aktionsradius. Ebenso besorgt stimmt mich die Frage: Wie regeln Sie denn die Koexistenz der Stoffströme bei der guten fachlichen Praxis? Dazu habe ich überhaupt noch kein Wort gehört. Es ist ein essenzielles Anrecht der Verbraucherinnen und Verbraucher, dass Folgendes hundertprozentig sichergestellt ist: Wenn auf dem Weg vom Acker zum Nutzungsort Bestandteile gentechnisch veränderter Produktion in die Nahrungs- oder Futtermittel kommen, geht das nicht ohne Kennzeichnung. Uns ist bei der Anhörung aufgezeigt worden, wie viele Möglichkeiten der Vermischung es gibt. Darauf hätte ich gerne eine Antwort.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Zum Ersten. Auch wenn es immer wieder behauptet wird, wird es nicht richtig: Ich habe noch keine einzige gentechnisch veränderte Pflanze zugelassen. Das war alles vor meiner Zeit. Daran waren Sie nicht unbeteiligt. ({0}) Das Einzige, was ich nach dem Regierungsantritt zu verantworten habe: Eine gentechnisch zugelassene Pflanze wurde ins Sortenregister der Bundesrepublik Deutschland eingetragen. ({1}) Das hat aber mit einer gentechnischen Genehmigung nichts zu tun, null Komma null zu tun. Meine Vorgängerin, der Sie nicht ganz fernstehen, war an der gentechnischen Zulassung von Pflanzen entschieden mehr beteiligt als ich. Ich darf noch einmal darauf hinweisen, dass die Bundesregierung Österreich und Ungarn auf der europäischen Ebene jüngst unterstützt hat, als die Kommission wegen der Nichtanwendung von MON 810 gegen die beiden Länder vorgehen wollte. Dadurch haben wir die erforderlichen Mehrheiten erreicht. Das Zweite, zu den Stoffströmen. Ich sage ja: Das können wir nur auf europäischer Ebene erreichen. Ich habe vor einiger Zeit eine interessante Fernsehdiskussion geführt. Die wunderschöne Frage der Moderatorin an einen Babynahrungshersteller, ob er garantieren könne, dass in seinem Produkt keinerlei gentechnisch veränderte Organismen - also auch Enzyme oder Vitaminstoffe oder Ähnliches - enthalten seien, ist mit einer bemerkenswerten Ungenauigkeit beantwortet worden. Genau das ist das Ergebnis einer umfassenden Kennzeichnung. Wir haben in sehr vielen Bereichen gentechnisch veränderte Organismen. Aber auch das ist nicht in der Zeit unter Horst Seehofer entstanden. Sie waren sieben Jahre an der Regierung beteiligt. ({2}) Die einzige Antwort auf diese Frage der Ströme ist die Kennzeichnung.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Fragesteller ist der Kollege Dr. Anton Hofreiter.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Minister, für den Bericht. Vorweg ein ganz kurzer Punkt und dann eine Frage zum Raps. Sie haben vorhin recht damit gehabt, dass Raps ein ganz großes Problem ist. Aber ich kann Sie trösten: Raps kreuzt nicht mit jeder Wildpflanze aus, wie Sie gemeint haben; Raps kreuzt nur mit einem Teil der Wildpflanzen aus dem Bereich der Kreuzblütler aus. Meine Frage dazu ist: Wie wollen Sie das beim Raps sicherstellen? Machen Sie ein Gentechnikgesetz nur für Mais, oder machen Sie ein Gentechnikgesetz, das generell gilt? Wir alle wissen: Raps hat nahe Verwandte in der einheimischen Flora. Die kreuzen aus. Abstandsregelungen sind damit nicht möglich usw. Deshalb meine Frage: Ist Ihr Gentechnikgesetz für Mais, oder ist es ein generelles Gentechnikgesetz?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Wenn wir Bayern „jeder“ sagen, ist auch „viele“ gemeint. Also, wir haben beide recht. ({0}) Trotzdem bleibt das Problem. Ich halte das Problem beim Raps nicht für lösbar, wenn es um die Koexistenz geht. Ob Sie mit „viele“ recht haben oder ich mit „jeder“ recht habe, es ist nicht lösbar, wenn es um die Koexistenz geht - jedenfalls so, wie ich Koexistenz definiere. Das Gentechnikgesetz ist ein Gesetz, das generell gilt. Die guten Regeln der fachlichen Praxis, die in einer Rechtsverordnung festgelegt werden sollen, müssen wir auf einzelne Pflanzensorten abstellen. Was wir jetzt regeln, bezieht sich auf den Mais.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort die Kollegin Ursula Heinen.

Ursula Heinen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, auch von mir herzlichen Dank für die Darstellung, insbesondere für den wichtigen Teil Präzisierung der Haftungsregelungen. Nachdem es nicht dazu gekommen ist, dass ein Haftungsfonds oder Ausgleichsfonds etc. gebildet wird, würde mich in dem Zusammenhang interessieren, wie jetzt die Selbstverpflichtung der Wirtschaftsverbände aussehen wird. Es geht ja darum, Landwirte, die die gute fachliche Praxis einhalten, besonders zu schützen, wenn es doch zu Verunreinigungen etc. gekommen ist.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Ich gebe das Ergebnis unserer fast einjährigen Untersuchung und all der Gespräche, die stattgefunden haben, wieder: Eine Versicherung ist aus versicherungsmathematischen Gründen momentan nicht möglich. Ich habe selbst mehrfach mit den Versicherungschefs gesprochen: Es gebe noch viele Unwägbarkeiten, die eine Versicherungslösung unmöglich machen. Zum Haftungsfonds möchte ich sagen: Stellen Sie sich vor, die Regierung hätte heute ein Gesetz beschlossen, das eine neue Abgabe in der Bundesrepublik Deutschland vorsieht und regelt, wer sie bezahlt, welche Höhe sie hat, wo sie hinterlegt wird, für welche Schäden man damit aufkommt, was geschieht, wenn nicht bezahlt wird. Sie kennen die Situation im wirtschaftlichen Bereich: Dort sind sehr viele Kleine, aber auch sehr starke Große unterwegs. Deshalb ist es objektiv betrachtet nicht möglich, einen Haftungsfonds einzurichten. Die Wirtschaft hat uns übermittelt, dass ein gesetzlicher Haftungsfonds keine adäquate Lösung sei. Sie hat in der Sache recht. Wir waren sehr erfreut, dass die Wirtschaft und andere, zum Beispiel der Bauernverband, sagen: Die Haftung soll nicht dem einzelnen Bauern überlassen sein. Die Wirtschaft insgesamt, beispielsweise die Sortenhersteller, wird - sie hat einer entsprechenden Selbstverpflichtung zugestimmt - für den Schaden des einzelnen Anbauers haften. Die Selbstverpflichtung ist in meiner Anwesenheit abgegeben und auch schriftlich festgehalten worden. Sie muss jetzt spezifiziert werden. Die Wirtschaft hat den Anspruch, dass die Regierung sagt, wie sie sich das insgesamt vorstellt. Der nächste Schritt, bei dem die Selbstverpflichtung konkretisiert wird, steht jetzt bevor. Das könnte zum Beispiel so aussehen: Man könnte schlicht und einfach die Differenz zwischen dem theoretisch erzielbaren Preis einer Ökoware und dem Marktpreis der kontaminierten Ware ausgleichen. Man könnte - in anderen europäischen Ländern wird so verfahren - die kontaminierte Ernte herauskaufen und thermisch verwerten; mit dem Eckpunktpapier wollen wir das ermöglichen. Ich bin froh, dass die Wirtschaft selbst hier in ihre Verantwortung eintritt. Es ist der Teil der Wirtschaft - das darf man nicht vergessen -, der die Gentechnik ökonomisch stärker nutzen will. Ich kann es nur ausdrücklich begrüßen, dass dieser Teil der Wirtschaft sagt: Wir stehen zu unserer Verantwortung und gehen die Selbstverpflichtung ein, weil uns das lieber ist als ein gesetzlich vorgeschriebener Haftungsfonds.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Johannes Röring.

Johannes Röring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister Seehofer, vielen Dank für den Bericht. Bislang wurde bei dieser neuen Technologie immer nur von den Vorteilen berichtet, die die Agrarwirtschaft selber hat. Sehen Sie in dieser neuen Technologie auch neue Möglichkeiten für andere Bereiche? Könnte man zum Beispiel in den Bereichen Umwelt und Energieeffizienz davon profitieren?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Ich denke, dass es vor allem in der nächsten Generation dieser Technologie mehr nützliche Anwendungsmöglichkeiten geben wird als heute im Lebensmittelbereich. Im Lebensmittelbereich sieht es beim Genmais im Moment so aus, dass der Mehraufwand für eine gentechnisch veränderte Sorte in etwa dem entspricht, was man an Minderaufwand für Pflanzenschutzmittel und Ähnliches hat. In der nächsten Generation - da habe ich mich auch jenseits unserer Grenzen ein bisschen umgehört und umgesehen - wird es viele zusätzliche Anwendungsmöglichkeiten geben: bei der Reduzierung des Wasserverbrauchs beim Anbau einer Stärkekartoffel, beim Anbau von Wirkstoffen für Medikamente. Auch wird uns in der nächsten Zeit das Problem sehr beschäftigen, das Wachstum von Pflanzen unter besonderen klimatischen Bedingungen, bei besonderer Feuchtigkeit oder Trockenheit, zu ermöglichen. Ich habe mir das in Israel angesehen: Dort bezieht man 40 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion aus der Wüste, wo man zum Beispiel durch intelligente Bewässerung unter extremen klimatischen Bedingungen ernten kann. Ebenso gibt es im Hinblick auf die Überwindung des Hungers in bestimmten Regionen unseres Planeten interessante Ansätze. Ich glaube, es wäre unverantwortlich, wenn ein hochentwickeltes Land wie die Bundesrepublik Deutschland etwa im Hinblick auf solche Entwicklungsforschungen politisch zu dem Ergebnis käme: Wir beteiligen uns nicht am Erkenntnisgewinn in diesem Bereich. - Aus diesem Erkenntnisgewinn wird nämlich eines Tages auch ein Nutzungsgewinn entstehen. Ich sehe gerade in der nächsten Generation gewaltige Chancen dafür.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort erteile ich nun der Kollegin Christel Happach-Kasan.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, vielen Dank für den Vortrag, den Sie hier gehalten haben. Es gilt ja das Wort: Allzu viel Weihrauch schwächt den Heiligen. Ich möchte Sie diesem Effekt nicht aussetzen; das wäre sicherlich auch für Sie nicht so gut. Nun zu meiner Frage. Aus dem Koalitionsvertrag geht sehr eindeutig hervor, was in diesem Bereich die Marschrichtung der Koalition ist: verstärkte Forschung und verstärkter Anbau. Von fachlicher Seite her ist unbestritten, dass die infrage stehenden neuen Sorten unbedenklich für Umwelt und Gesundheit sind. Der Senat der Forschungsanstalten hat das auch sehr eindrucksvoll im Forschungsreport I/2006 belegt. Vor diesem Hintergrund würde ich gerne von Ihnen wissen, Herr Minister, warum Sie in der Weise, wie Sie es getan haben, im vergangenen Jahr die Diskussion über gentechnisch veränderte Pflanzen intoniert haben. Nach meiner Einschätzung haben Sie damals eher in die Richtung derjenigen geblinkt, die der Gentechnik skeptisch gegenüberstehen. Mit dem nun vorliegenden Eckpunktepapier, von dem, wie ich hoffe, viele Punkte umgesetzt werden, fahren Sie aber nun in eine andere Richtung. Was haben Sie damit bezweckt, dass Sie eine entsprechende Diskussion, die ja für viel Aufregung in der Bundesrepublik Deutschland gesorgt hat, mit Ihrer damaligen Zielrichtung angestoßen haben?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Erstens bedanke ich mich für Ihre fürsorgliche Eingangsbemerkung. Zweitens blinke ich nicht links und fahre dann rechts bzw. umgekehrt. Ich habe meine Position seit den Sommermonaten des letzten Jahres. Hier hat es nur in einem Punkt eine Veränderung gegeben, was aber nicht auf mich zurückgeht, sondern auf wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt. Es ging um die Frage des vorgegebenen Sicherheitsabstandes von 20 Metern. Ich habe mir die Studien über den Anbau von Mais genau angeschaut und dabei festgestellt, dass nur unter ganz bestimmten Studienbedingungen die Aussagen zutreffen. Darüber haben wir auch in unserer Fraktion in einer fraktionsoffenen Sitzung gesprochen. Vielfach wurde nämlich neben der abstrakten Aussage, dass 20 Meter Abstand bestehen muss, die weitere Bedingung, dass das angrenzende Feld eine bestimmte Mindestbreite haben muss, damit der Schwellenwert von 0,9 unterschritten wird, verschwiegen. Das Ergebnis einer Studie schaut natürlich schon völlig anders aus, wenn die weitere Bedingung, dass das angrenzende Feld wenigstens 90 Meter breit sein muss, nicht mitgeteilt wird. Vor diesem Hintergrund habe ich mich persönlich sehr um eine ideologiefreie Antwort auf die Frage bemüht, welche Aussagen wissenschaftlich belegt sind. Das ist der Wandel, der bei mir stattgefunden hat. Wenn einem, sobald man einen Erkenntnisgewinn auf wissenschaftlicher Grundlage in die eigene Positionierung einbringt, vorgehalten wird, man würde links blinken und rechts fahren, dann wird Politik schwierig. Ich vertrete diese Position jedenfalls seit den Sommermonaten des letzten Jahres. Ich habe da auch nichts intoniert. Wir werden hierüber in den nächsten Monaten noch eine sehr muntere öffentliche Debatte führen müssen, weil es diesbezüglich noch ein großes Informationsdefizit in der Öffentlichkeit gibt. Da können viele Ängste bedient werden. Das kenne ich schon. Ich war ja als Gesundheitsminister in den 90er-Jahren schon einmal für die gesamte Gentechnik zuständig. Ich orientiere mich an den Erfahrungen, die ich damals im Medizinbereich gesammelt habe. Da begann die Diskussion genauso wie jetzt hier ziemlich emotional mit Begriffen wie „Eingriff in die Schöpfung“, „unchristlich“ usw. Wir haben dann drei oder vier Jahre über die ethischen Grundregeln für die Nutzung der Roten Gentechnik in der Medizin diskutiert und den gesellschaftlichen Konsens hergestellt: Gentherapie ja, aber kein Eingriff in die menschliche Keimbahn und keine Schaffung eines künstlichen Menschen. Einen gesellschaftlichen Konsens in dem Bereich, über den wir jetzt reden, herzustellen, ist noch ein Stückchen schwieriger, da die Nützlichkeit der Genforschung bei Lebensmitteln, Futtermitteln und Pflanzen für die breite Öffentlichkeit nicht so leicht einsehbar ist wie die in der Medizin. Dieser Mühsal müssen wir uns aber unterziehen. Ich möchte nämlich unter allen Umständen vermeiden, dass in der Bundesrepublik Deutschland darauf verzichtet wird, den Erkenntnisgewinn, der gerade in der nächsten Generation stattfinden wird, zu erzielen. An die Adresse der FDP möchte ich noch sagen: Weite Teile der Ernährungswirtschaft - ich denke an die Bauern und den Handel -, die mit diesen Dingen zu tun haben, stehen all dem eigentlich sehr ablehnend gegenüber. Ich beziehe mich hierbei gar nicht auf die Haltung von Kirchen und gesellschaftlichen Gruppen, sondern gehe von der Wirtschaft aus. Ich habe darüber zum Beispiel in Brüssel mit dem Präsidenten des Bundesverbandes des Deutschen Groß- und Außenhandels diskutiert, der nicht im Verdacht steht, zukünftigen Entwicklungen nicht offen gegenüberzustehen. Er hat mit sehr drastischen Worten dargestellt, warum die deutsche Wirtschaft solche Dinge nicht ins Regal stellt. Auch das müssen wir sehen, wenn wir darüber diskutieren.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat die Kollegin Mechthild Rawert das Wort.

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ich begrüße außerordentlich, dass Sie bekräftigt haben, dass der Schutz von Mensch und Tier eine ganz wesentliche Intention ist. Ich möchte im Rahmen der Diskussion um die Ethik, wie sie vorhin er8166 wähnt worden ist, eine Frage in dem Kontext von Transparenz und Partizipation stellen. In den Eckpunkten heißt es unter der Überschrift „Die Betroffenen informieren - Transparenz sichern“, dass im öffentlichen Teil des Standortregisters nur die Gemarkung angegeben werden soll und eine Auskunft zu dieser Gemarkung nur demjenigen erteilt werden soll, der ein Interesse darlegt und bei dem zu vermuten ist, dass keine Zerstörungsabsicht vorliegt, die Auskunft also nur unter eingeschränkten Bedingungen erfolgen soll. Meine Frage ist: Wer prüft das anhand welcher Kriterien, und - da wir uns alle dem Bürokratieabbau verschrieben haben - wird dadurch nicht noch ein zusätzliches bürokratisches Monster geschaffen? Eine zweite Frage ist: Aus welchen Gründen soll das öffentliche Standortregister mit der flurstücksgenauen Angabe der Freisetzungsflächen eingeschränkt werden, wie es auch auf den Internetseiten nachzulesen ist, zumal es ja eigentlich keinen Zusammenhang zwischen der Feldzerstörung und diesem transparenten Standortregister gibt? Da beziehe ich mich auf die Aussage von Staatssekretär Paziorek am 3. November 2006, dass im Jahr 2005 kein Anstieg der Anzahl von Feldzerstörungen von Freisetzungsversuchen mit gentechnisch veränderten Pflanzen festgestellt werden konnte.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Man kann in der Tat aus guten Gründen zwei Denkschulen vertreten: die flurnummergenaue Transparenz und das Gegenteil. Ich bin der Meinung, in einer Zeit, wo Menschen in nicht unerheblichem Umfang Eigentum nicht mehr geachtet und Felder zertrampelt haben, darf es einem Staat erlaubt sein, Informationen zu rechtswidrigem Handeln gewissermaßen nicht auf dem Silbertablett zu präsentieren. Das ist meine persönliche Überzeugung. Deshalb neige ich mehr zu der zweiten Denkschule; man sollte also den Gegnern von Freisetzungsversuchen, denen, die Eigentum verletzen und Schaden anrichten, die entsprechenden Informationen nicht gewissermaßen frei Haus liefern. Trotzdem ist in diesem Bereich eine Transparenz vorhanden, mit der wir im internationalen Maßstab sehr gut dastehen: Wer gentechnisch veränderte Organismen anbaut, muss mit seinen Nachbarn Kontakt aufnehmen und sie informieren; im Standortregister erfolgt eine Benennung der Gemarkung; für jeden, der ein berechtigtes Interesse hat - das ist übrigens im öffentlichen Recht, im Grundbuchrecht und anderswo, selbstverständlich -, besteht ein Auskunftsrecht. Ich finde, diese drei Punkte schaffen eine saubere Transparenz. Ich habe einen inneren Widerstand gegenüber der anderen Denkschule; das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen. Aufgabe eines Rechtsstaats ist es auch, Rechtsgüter zu schützen und nicht gewissermaßen die Handlungsanleitung zur Zerstörung mitzuliefern.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun kommen wir zur Frage der Kollegin Ulrike Höfken.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister Seehofer, wenn es um den Schutz von Eigentum und Wahlfreiheit geht, dann müssen doch sicher in erster Linie die gentechnikfreie Produktion und der Wunsch der Verbraucherinnen und Verbraucher nach gentechnikfreien Produkten gemeint sein. Da müssen sich diejenigen, die Sie als verlässlichen Partner gesehen haben, in der letzten Zeit sogar die Biobauern, doch betrogen fühlen, und zwar in erster Linie von der Industrie, die hier unter dem Deckmantel der Forschung daherkommt. Wenn Sie zum Beispiel, wie Sie es gerade noch einmal getan haben, sagen, die Anwendung der Gentechnik bei Raps sei für Sie in Deutschland nicht vorstellbar, warum haben Sie dann gentechnisch veränderten Raps auf Forschungsfeldern zugelassen? Warum erlauben Sie dann die Möglichkeit der Auskreuzung, der Kontamination von Nachbarfeldern durch Forschungsfelder, auch wenn das Anbauprodukt nicht zum Essen verwendet werden soll? Warum wird die Haftung im Falle von Forschung im Hinblick auf Beeinträchtigungen von Grundstücken neu definiert? Warum soll es keine modernen Nachweisverfahren geben? Die Intention ist wohl, keine genauen Angaben zur Belastung machen zu müssen. Warum soll geprüft werden, inwieweit der Bund für Forschungsvorhaben die Haftung im Falle von Auskreuzungen auf den entsprechenden Flächen übernehmen kann? Bedeutet das nicht alles in allem, dass die Forschung aus ihrer Verantwortung entlassen wird?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Wir sehen das nicht so. Wir wollen bürokratische Hemmnisse, die die Forschung behindern, beseitigen, ohne - ich sage es noch einmal - die Umwelt und den Menschen im Geringsten zu gefährden. Wenn eine Freisetzungsgenehmigung für einen Standort A erteilt worden ist, dann wollen Sie doch nicht ernsthaft fordern, dass für die Standorte B, C und D dieses Verfahren noch einmal durchgeführt werden soll. Mit dem vereinfachten Verfahren sorgen wir dafür, dass eine Grundentscheidung für die Standorte B, C und D nicht noch einmal getroffen werden muss. Wenn für die Sicherheitsstufe 1 - per Definition besteht bei dieser Sicherheitsstufe für Mensch und Umwelt keine Gefahr - anstelle der Genehmigung eine Anmeldung erfolgt, wird man doch nicht im Ernst behaupten können, dass dies eine Verschlechterung der Situation für Umwelt und Mensch ist. Hinzu kommt, dass man solche bürokratischen Hürden niemandem erklären kann. Wir ändern die Genehmigungsbedingungen einer Freisetzung für die Forschung in keiner Weise. Die Regelungen, die seit über zehn Jahren im Gentechnikrecht enthalten sind und die durch europäische Richtlinien mehrfach bestätigt worden sind, besagen, dass eine Genehmigung für ein Forschungsvorhaben unter Freilandbedingungen an ganz eng gefasste Voraussetzungen zu knüpfen ist, was dazu führt, dass nach menschlichem Ermessen eine Gefahr ausgeschlossen werden kann. Das hat zum Beispiel in Gatersleben, wo Winterweizen angebaut wird, dazu geführt, dass ein Abstand von 500 Metern eingehalten wird und dass durch eine Einzäunung des Feldes mit einem engmaschigen Zaun sichergestellt wird, dass die dort lebenden Hamster - es wurde behauptet, dass es sie dort gibt; sie wurden aber noch nicht beobachtet - von den Keimen ferngehalten werden. Diese Punkte machen deutlich, dass mit maximalen Auflagen in Bezug auf Sicherheit dafür gesorgt wird, dass sich durch Forschung im Freiland keine negativen Auswirkungen ergeben. Ich habe mich beim Präsidenten des Umweltbundesamtes erkundigt: Es gibt keinen einzigen Fall, bei dem behauptet werden kann, es gebe eine Gefährdung. Das gilt auch für Ihre Regierungszeit, als das gleiche Recht galt. Ich muss noch Folgendes ergänzen: Zunächst erfolgt ohnehin die Forschung im Labor. Die Forschung im Freiland ist das letzte Glied in der Kette. Wenn vor der Erprobung unter natürlichen Bedingungen jahrelang in geschützten Labors geforscht wird, um eine gewisse Sicherheit zu gewährleisten - so wird es mit Arzneimitteln ebenfalls gemacht, die nach einer Erprobungszeit in Krankenhäusern getestet werden -, dann wird man nicht im Ernst sagen können, dass hier leichtfertig vorgegangen wird.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß das Wort.

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, Sie klangen sehr zufrieden, als Sie über die Einbringung des Eckpunktepapiers im Kabinett berichtet haben. Sie können sich aber vorstellen, dass einige wie auch ich nicht ganz mit dem zufrieden sind, was heute eingebracht worden ist. Wir haben durchaus noch Fragen zu den Eckpunkten. Ich hoffe natürlich, dass wir in der nächsten Zeit diese Fragen miteinander klären können. Die Reaktionen, die wir schon heute Nachmittag per E-Mail und telefonisch erhalten haben, bestärken uns in diesem Vorgehen. Sie haben besonders herausgestellt, dass Sie die Forschung voranbringen wollen. Dazu würde ich gerne eine Frage stellen. Ich zitiere: Entsprechend der geltenden Rechtslage wird klargestellt, dass die verschuldensunabhängige Haftung … auf die aus der Grundstücksbeeinträchtigung resultierenden Schäden begrenzt ist. Meine Frage ist: Was bedeutet das denn konkret, wenn etwa von einem Versuchsfeld gentechnisch veränderter Reis, für den keine Genehmigung des Inverkehrbringens vorliegt und der nicht an Dritte weitergegeben werden darf, in die Nahrungsmittelkette gelangt? Das soll es ja tatsächlich geben, wie die Vergangenheit bewiesen hat. ({0}) Dann ist für mich wichtig: Wer haftet denn dann in so einem Fall, und wer kommt für diese Schäden auf?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Was die Zufriedenheit betrifft: Sie werden mir nachsehen können, dass es, wenn innerhalb des Kabinetts bei einem so komplexen und sensiblen Feld der Interessenausgleich gelingt, weltfremd wäre, wenn man damit nicht zufrieden wäre. Der andere Punkt: Wir ändern - auch dies sollten Sie zitieren - das Gesetz nicht. Wir stellen nur das klar, was heute im Gesetz steht, nämlich dass - jedenfalls dann, wenn kein Verschulden vorliegt - für die Folgenbeseitigung kein Anspruch auf Schadenersatz gegenüber dem Anbauer besteht. Sie kennen das berühmte Beispiel der Bahlsen-Kekse: Wenn weiterverarbeitet wird und kein Verschulden vorliegt, fallen all die Schäden, die daraus entstehen, nicht auf den Anbauer zurück. Das ist einer der Punkte - das hatte ich mit Ihrer Fraktion besprochen -, den wir in den nächsten Monaten im Rahmen des Symposiums zu Haftungsfragen etc. mit der Elite des deutschen Haftungsrechts durchleuchten werden. Fragen kann man immer schnell stellen, auch die Frage: Wer zahlt die Testkosten? ({0}) Man kommt dann aber immer an den Punkt - dieses Problem haben Sie genauso wie wir -: Wie löst man diese Frage, die man in den Raum stellt? Natürlich werden wir im Gesetzgebungsverfahren weiter Gehirnschmalz einsetzen; das ist ja der Sinn eines parlamentarischen Verfahrens. Frau Kollegin, Sie haben in diesem Zusammenhang den Eingang von E-Mails und Ähnlichem angesprochen. Wir haben als Parlamentarier schon die Aufgabe, Menschen von einer Sache zu überzeugen, und dürfen nicht einfach Stimmungen aufnehmen. Ich habe das Beispiel aus der Medizin nicht umsonst genannt: Die gleichen Leute, die oft fundamentalistisch gegen die Nutzung einer Technologie zu Felde ziehen, sind dann, wenn der Segen der Anwendung zur Verfügung steht, die Ersten, die den Segen in Anspruch nehmen wollen. Ich möchte vermeiden, dass wir dort, wo es in der Gentechnik positive Chancen gibt, diese verschlafen und dann die jeweiligen Produkte oder auch das Wissen aus dem Ausland beziehen. Das ist meine Motivation. ({1}) Aber das geht - das sollte klar sein - nicht um den Preis der Fahrlässigkeit. Darüber sollten wir mit den Menschen diskutieren. Denn wenn Sie die E-Mails, die wir bekommen, anschauen, dann stellen Sie fest, dass die jeweiligen Verfasser es am liebsten hätten, wenn wir uns mit dem ganzen Thema gar nicht beschäftigen und so etwas in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt nicht stattfinden lassen würden. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wir haben die Zeit schon etwas überschritten, Frau Kollegin.

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich beeile mich. Wenn Sie sagen, dass wir bei der Roten Gentechnik diese Ängste irgendwann einmal überwunden haben, muss ich dann davon ausgehen, dass wir jetzt einfach warten und die Zeit für uns arbeiten lassen, um auch die Ängste im Hinblick auf die Grüne Gentechnik zu überwinden?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Nein, ich habe schon vor ein paar Minuten ausdrücklich hinzugefügt, dass die Nützlichkeit der Pflanzen, die im Lebensmittel- und Futtermittelbereich von Bedeutung sind, von den Menschen nicht so hoch eingeschätzt wird, wie das in der Medizin der Fall ist. Das wird ein anderer Prozess werden. Aber ich rede ja hauptsächlich über die nächste Generation. Im Food-Bereich wird es sehr schwer werden. Sie erleben doch das Gleiche wie ich: Wo immer ich in Deutschland hinkomme, ist - jedenfalls in den meisten Bereichen - eine ganze Menge Widerstand seitens der Kirchen, der Landfrauen, der Gemeinden, der kommunalen Politiker und der Wirtschaft vorhanden. ({0}) Diesen Widerstand müssen wir ernst nehmen. Ich glaube, die Regierung hat dies sehr sensibel in dieses Eckpunktepapier aufgenommen. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Minister, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen. Wir haben zwar die dafür vorgesehene Zeit etwas überschritten. Aber ich denke, das ist angesichts der Bedeutung dieses Themas angemessen. Ich beende die Regierungsbefragung und rufe Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde - Drucksachen 16/4367, 16/4390 Zu Beginn kommen wir zu den dringlichen Fragen. Zum einen liegt uns die dringliche Frage 1 der Kollegin Cornelia Hirsch zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vor. Diese ist zurückgezogen. Zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes liegen uns die dringlichen Fragen 2 und 3 des Kollegen Volker Beck ({0}) vor. Sie sind ebenfalls zurückgezogen. Damit kommen wir zu den Fragen auf Drucksache 16/4367 in der üblichen Reihenfolge. Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf. Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann werden schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Frage 3 der Kollegin Cornelia Hirsch wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Frage 4 des Kollegen Dr. Karl Addicks wird auch schriftlich beantwortet. Damit rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Dr. Barbara Hendricks zur Verfügung. Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter auf: Was hat die Bundesregierung dazu veranlasst, sich mit den Finanzbehörden der Länder darüber zu einigen, dass die unentgeltliche oder verbilligte Überlassung von Parkraum/Stellplätzen generell nicht zu besteuern ist, und warum sind dagegen Zuschüsse des Arbeitgebers zu den Fahrtkosten des öffentlichen Verkehrs als geldwerter Vorteil zu versteuern? Frau Staatssekretärin, bitte sehr.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Präsidentin! Herr Kollege Hofreiter, zum steuerpflichtigen Arbeitslohn des Arbeitnehmers gehören alle Leistungen des Arbeitgebers, die dem Arbeitnehmer in Form von Bezügen oder geldwerten Vorteilen zufließen. Arbeitslohn wird nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes dann angenommen, wenn der Entlohnungscharakter für die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft im Vordergrund steht. Hingegen wird kein Arbeitslohn angenommen, wenn die Leistung im überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers erbracht wird. Hiervon wird im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder ausgegangen, wenn dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber kostenlos oder verbilligt Parkplätze zur Verfügung gestellt werden. Dass auch der Arbeitnehmer hieran ein Interesse hat, ist in diesem Fall von untergeordneter Bedeutung. Barzuschüsse des Arbeitgebers zu Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gehören und gehörten auch in der Vergangenheit auch bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zum steuerpflichtigen Arbeitslohn. Hier bestand und besteht lediglich die Möglichkeit, dass der Arbeitgeber diese Zuschüsse mit 15 Prozent pauschal versteuert und insofern eine Steuerpflicht beim empfangenden Arbeitnehmer nicht mehr eintritt. Durch die Neugestaltung der Entfernungspauschale ist die Pauschalversteuerung ab 2007 jedoch erst ab dem 21. Entfernungskilometer in Höhe der Entfernungspauschale zulässig. Vorteilhafter für die Arbeitnehmer ist es allerdings, wenn der Arbeitgeber für seine Arbeitnehmer selbst sogenannte Jobtickets erwirbt und an die Arbeitnehmer weitergibt. In diesem Fall ist die Weitergabe des Jobtickets steuerfrei, wenn der Wert des Tickets abzüglich eventueller Zuzahlungen des Arbeitnehmers die 44-EuroFreigrenze nach § 8 Abs. 2 Einkommensteuergesetz nicht übersteigt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine Nachfrage, Herr Dr. Hofreiter?

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. Mir leuchtet überhaupt nicht ein, warum es für den Arbeitgeber im stärkeren eigenen Interesse sein soll, wenn die Arbeitskräfte selber mit dem Auto statt mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommen. Das ist mir einfach unklar. Dass Sie sagen, es sei im Interesse des Arbeitgebers, den Arbeitskräften einen kostenlosen Parkplatz zur Verfügung zu stellen, damit diese nicht nach einem suchen müssen, leuchtet mir ein. Aber wieso ist das Interesse daran im Verhältnis höher als daran, dass sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommen? Dies könnte von weitaus größerem Interesse für den Arbeitgeber sein, da die Arbeitnehmer weniger gestresst und entspannter ankommen. Es kommt zu weniger Ausfällen, da es sicherer ist, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, usw.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Hofreiter, das ist in der Tat eine Einschätzung, die nicht vollständig von der Hand zu weisen ist. Ich kann Ihre Beurteilung aus Ihrer Sicht sehr gut verstehen. Ich hatte Ihnen aber gerade gesagt, dass nach objektiven Gesichtspunkten entschieden wird, welches Interesse im Vordergrund steht: das Arbeitgeber- oder das Arbeitnehmerinteresse. Der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes liegt genau diese Beurteilung zugrunde. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass bei einer Einstellungsänderung von Arbeitgebern die höchstrichterliche Rechtsprechung in Zukunft möglicherweise anders erfolgen könnte. Natürlich können sich Wertungen - Wie beurteilt man A oder B? auch bei den Gerichten ändern. Das ist keine Frage. Ich hatte aber den Ausweg gleichsam gewiesen, indem ich auf die Jobtickets hingewiesen habe. Entscheidend ist, wie man im Betrieb damit umgeht. Gibt man den Arbeitnehmern einen Barzuschuss, damit sie sich ein Ticket des öffentlichen Personennahverkehrs erwerben, oder erwirbt die Personalabteilung für die Beschäftigten des Unternehmens die Jobtickets, die gewöhnlich von den Verkehrsunternehmen rabattiert werden, weil eine größere Anzahl von Tickets erworben wird, und gibt dann die Tickets an die Arbeitnehmer ab, möglicherweise mit einem eigenen Obolus des Arbeitnehmers? Die Ausgestaltung ist freigestellt. Wenn man dem Arbeitnehmer ein solches Jobticket gibt, ist das steuerfrei. Vor dem Hintergrund der jetzigen Rechtslage und der Auslegung der bestehenden Gesetze, auch durch die obersten Gerichte, ist es auch derzeit möglich, durch betriebliche Praxis eine Steuerfreiheit im Wert von 44 Euro pro Monat herbeizuführen. Damit kommt man beim Jobticket schon ganz schön weit.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Dr. Hermann Otto Solms auf: Hat die Bundesregierung Informationen darüber, dass private Veräußerungsgewinne in der Schweiz, Österreich, Luxemburg, Frankreich, Großbritannien, Italien, Schweden sowie den USA besteuert werden, und, wenn ja, welche Steuersätze, Freibeträge und Spekulationsfristen für private Veräußerungsgewinne gelten in den genannten Ländern?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Solms, nach vorliegenden Informationen werden private Veräußerungsgewinne in Frankreich, Italien, Luxemburg, Schweden, Großbritannien wie in insgesamt 17 Mitgliedstaaten der Europäischen Union und den USA besteuert. In Österreich sind private Veräußerungsgewinne grundsätzlich nicht steuerpflichtig, es sei denn, es handelt sich um Spekulationsgeschäfte oder wesentliche Beteiligungen. ({0}) Soweit Sie dies wünschen, bin ich gern bereit, Ihnen zur konkreten Ausgestaltung der Steuerpflicht in den von Ihnen genannten Ländern eine Aufzeichnung zu übersenden. In der Schweiz sind private Veräußerungsgewinne steuerfrei.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben eine Zusatzfrage, bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte die Zusatzfragen gerne nach Beantwortung der zweiten Frage stellen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann rufe ich die Frage 7 des Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms auf: Vizepräsidentin Petra Pau Sieht die Bundesregierung angesichts der in der Schweiz, Österreich, Luxemburg, Frankreich, Großbritannien, Italien, Schweden und den USA geltenden Regelungen für private Veräußerungsgewinne die Gefahr, dass es bei Einführung einer Abgeltungsteuer in Höhe von circa 28,5 Prozent inklusive Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer zu einer Kapitalflucht aus Deutschland kommen könnte?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Die Bundesregierung teilt derartige Befürchtungen nicht. Zum einen müssen Steuerpflichtige auch bei einer Kapitalanlage im Ausland die steuerrelevanten Tatbestände, also laufende Zinsen, Dividenden oder Veräußerungsgeschäfte, in der Einkommensteuererklärung angeben, da eine Kapitalanlage im Ausland die deutsche Steuerpflicht nicht entfallen lässt und das Besteuerungsregime im Ausland insoweit nicht von Belang ist. Zum anderen wird eine verstärkte Abwanderung von Kapital ins Ausland gerade dadurch vermieden, dass die Steuerpflichtigen hinsichtlich ihrer Zinseinkünfte zukünftig nicht mehr dem bisher geltenden progressiven Steuersatz von 42 bzw. bis zu 45 Prozent zuzüglich Solidaritätszuschlag sowie gegebenenfalls Kirchensteuer unterliegen, sondern lediglich ein die Einkommensteuer abgeltender Steuersatz von 25 Prozent zuzüglich Solidaritätszuschlag sowie gegebenenfalls Kirchensteuer Anwendung findet. Weiterhin wird die im Rahmen der Unternehmensteuerreform beabsichtigte Einführung einer Besteuerung von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften außerhalb der bisherigen Einjahresfrist nicht zu einer massiven Verlagerung von Depots ins Ausland führen. Es trifft zwar, isoliert betrachtet, zu, dass die Einführung einer uneingeschränkten Wertpapierveräußerungsgewinnbesteuerung bei einer Haltedauer von mehr als einem Jahr für den Anleger bei Veräußerungsgewinnen zu einer steuerlichen Mehrbelastung führen kann; genauso richtig ist allerdings auf der anderen Seite, dass Veräußerungsverluste künftig auch nach Ablauf eines Jahres steuermindernd zu berücksichtigen sein werden. Bereits diese Wechselwirkung zeigt, dass die Beurteilung des Gesamtkonzepts der Abgeltungsteuer nicht auf einzelne Teilaspekte eingeengt werden darf. Außerdem fallen im Zusammenhang mit der Kapitalanlage in Wertpapieren neben einmaligen Veräußerungsgewinnen auch laufende Zinsen und Dividenden an. Für den Anleger ist daher neben der steuerrechtlichen Behandlung langfristiger Veräußerungsgewinne ebenso die Frage bedeutsam, wie kurzfristige Umschichtungen im Depot und laufende Erträge künftig behandelt werden. Die Abgeltungsteuer wird dabei für die meisten privaten Anleger insgesamt gesehen gegenüber dem derzeitigen Recht die deutlich attraktivere Alternative darstellen, zumal sich die geringere steuerliche Belastung der laufenden Erträge auch auf die Wertentwicklung langfristiger Anlagen vorteilhaft auswirkt. Im Übrigen wird die einheitliche Behandlung der unterschiedlichen Kapitalanlageformen gegenüber dem heutigen Recht ein Höchstmaß an steuerrechtlicher Transparenz und übrigens auch Vereinfachungen bieten. Die Rendite wird sich künftig nach rein betriebswirtschaftlichen Kriterien richten, sodass die Einschätzung von Anlagerisiken nicht mehr von steuerlichen Überlegungen überlagert wird, wie dies gegenwärtig insbesondere in der Grauzone der Abgrenzung der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen gegenüber laufenden Kapitalerträgen der Fall ist. Gerade dieser Gesichtspunkt sollte nicht unterschätzt werden. Er wird auch vonseiten der Banken hervorgehoben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben insgesamt vier Nachfragemöglichkeiten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, der internationale Vergleich ist jetzt natürlich nicht möglich, weil Sie die einzelnen Kriterien und Abgrenzungsmöglichkeiten bei der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen in den anderen Ländern noch nicht genannt haben. Diesen Vergleich wird man noch ziehen müssen. Ich möchte auf die Aktiengewinne eingehen. Angesichts der Tatsache, dass Veräußerungsgewinne, die hier bislang steuerfrei waren und in der Schweiz und in Österreich weiterhin steuerfrei sein werden, hier nun in die Besteuerung einbezogen werden, erscheint es mir ziemlich weltfremd, zu sagen, dass dies keinen Einfluss auf das Verhalten der Vermögensbesitzer oder anlagebereiten Menschen haben wird.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege, wenn Sie dies annehmen, dann unterstellen Sie zugleich Steuerhinterziehung, weil ein in der Bundesrepublik ansässiger Aktiendepotbesitzer, der sein Aktiendepot nach Österreich verlegt, gleichwohl in Deutschland steuerpflichtig ist. Wenn Sie dies also annehmen, dann unterstellen Sie allen Anlegern, dass sie vorhaben, Steuerhinterziehung zu begehen. Dies will ich den Vermögenden in der Bundesrepublik Deutschland nicht pauschal unterstellen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir gehen ja von der Realität aus, Frau Staatssekretärin, nicht vom Ideal. Die Realität ist so, dass es viele Deutsche gibt, die Konten im Ausland unterhalten und den Finanzbehörden nicht über alle Konten Bericht erstatten. ({0}) Unser gemeinsames Interesse ist es, diese Anleger dazu zu bewegen, ihr Anlagekapital zu offenbaren oder nach Deutschland zurückzutransferieren. Deswegen ist es doch wichtig, zu überlegen, welche Motive die Menschen bewegen könnten, diesen Weg zu gehen. Ich glaube, die Androhung, dass Veräußerungsgewinne, die bislang steuerfrei waren, nun mit knapp 30 Prozent besteuert werden sollen, ist für die betroffenen Personen keine Anregung, ihr Anlagekapital nach Deutschland zurückzuverlagern.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Solms, mir ist bisher in allen Debatten, die wir im Zusammenhang mit der Abgeltungsteuer hatten - wir führen solche Debatten im politischen Raum seit vielen Jahren -, immer dargetan worden, dass den Vermögenden daran läge, Anonymität zu bewahren und dass sie deswegen eine Abgeltungsteuer befürworteten, die anonym und direkt von der Quelle her, nämlich von der depotführenden Bank - sofern es sich um Veräußerungsgewinne oder um Dividendenerträge handelt -, an das Finanzamt abgeführt würde, ohne dass die Anonymität des Inhabers eines solchen Depots oder Kontos offenbar wird. Nachdem dies ab dem Jahr 2009 durch eine anonyme Abgeltungsteuer sichergestellt werden soll, erhebt sich jetzt eine neue Debatte, die Sie hier darstellen. Ich gehe davon aus, dass Sie sie sich nicht persönlich zu eigen machen. Man kann von einem Abgeordneten des Deutschen Bundestages nicht erwarten, dass er in diesem Hohen Hause Verständnis für Steuerhinterziehung äußert; das nehme ich von Ihnen nicht an. Insofern glaube ich, dass wir jetzt nicht in eine neue Schieflage der Debatte kommen sollten. Die Anonymität wird zukünftig gewährleistet sein. Der Bürger, der möglicherweise gleichzeitig Veräußerungsverluste geltend machen will, tut gut daran, sich von seiner Bank die Erträgnisaufstellung geben zu lassen und sie aufzubewahren, damit er in einem späteren Fall die Saldierung machen kann. Wenn er zu einem späteren Zeitpunkt Veräußerungsverluste erleidet, wird er diese geltend machen können. Das wird in dieser sogenannten Schedule eingearbeitet sein. Früher versteuerte Gewinne werden mit anfallenden Verlusten verrechnet werden können. Dies ist neu. Insofern müsste insbesondere jemand, der zu risikoreichen Anlagen neigt, daran interessiert sein, sich die Möglichkeit der Verlustverrechnung zu eröffnen. Im Übrigen ist die abgeltende Wirkung der Kapitalertragsbesteuerung und der Veräußerungsgewinnbesteuerung für die große Mehrheit der Steuerpflichtigen eine Erleichterung. Denn wir bleiben auf jeden Fall - auch inklusive Solidaritätszuschlag und möglicherweise Kirchensteuer - in einer Größenordnung von etwa 28 Prozent, also deutlich unter 30 Prozent. Unter den Kapitalanlegern befindet sich ein überproportional hoher Anteil von Bürgerinnen und Bürgern, die aufgrund ihres Einkommens dem Spitzensteuersatz unterliegen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu zwei weiteren Nachfragen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, nur damit es hier kein Missverständnis gibt: Die Abgeltungsteuer auf Zinsen und Dividenden wird von uns ausdrücklich begrüßt. Dies wird zu einer deutlichen Vereinfachung der Verfahren und zu mehr Vertrauen bei den Anlegern führen. Es geht mir darum, ob die Bundesregierung durch die Einbeziehung der Veräußerungsgewinne in die Abgeltungsteuer, die nicht zwingend notwendig wäre, tatsächlich das erreicht, was sie eigentlich erreichen will. Ich möchte meine Frage ergänzen: Welche Auswirkungen wird das auf die auch von der Bundesregierung unterstützten Anstrengungen im Hinblick auf die private Altersvorsorge haben? Denn unter Einbeziehung der Besteuerung der Veräußerungsgewinne werden auch private Sparpläne, in welcher Form auch immer, ganz anders behandelt bzw. von ganz anderer Attraktivität sein - sie werden an Attraktivität verlieren -, als es bisher der Fall war. Diese Entwicklung wäre sehr negativ. Schließlich wissen wir alle, dass wir in Zukunft sehr viel stärker auf die private Altersvorsorge angewiesen sein werden.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Solms, ich bin davon überzeugt, dass wir diesen besonderen Aspekt - die private Altersvorsorge durch Fondssparpläne - im anstehenden Gesetzgebungsverfahren noch erörtern werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf. Die Fragen 8 und 9 der Kollegin Bärbel Höhn werden schriftlich beantwortet. Die Frage 10 der Kollegin Cornelia Behm wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Die Frage 11 des Kollegen Hettlich wird schriftlich beantwortet. Die Fragen 12 und 13 der Kollegin Lötzsch werden schriftlich beantwortet. Auch meine Fragen, die Fragen 14 und 15 der Abgeordneten Pau, werden schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Hier hätte der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Beantwortung zur Verfügung gestanden. Aber aufgrund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde werden die Fragen 16 und 17 der Kollegin Deligöz, die Fragen 18 und 19 der Kollegin Sager und die Fragen 20 und 21 der Kollegin Hinz schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Fragen 22 und 23 der Kollegin Höfken werden schriftlich beantwortet. Vizepräsidentin Petra Pau Ich rufe die Frage 24 der Kollegin Bender auf: Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse der Tagung der Gesundheitsministerkonferenz zum Thema Schutz vor Passivrauchen vom 23. Februar 2007, und warum nutzt die Bundesregierung die Möglichkeit im Arbeitsschutz nicht, um für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer konsequente Regelungen zum Schutz vor Passivrauchen vorzuschlagen? Für die Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk zur Verfügung.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Ich würde die beiden Fragen der Kollegin Bender gerne gemeinsam beantworten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gut. Dann rufe ich auch die Frage 25 der Kollegin Bender auf: Wie lautet die im Referentenentwurf „Gesetz zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchs“ vorgesehene Änderung der Arbeitsstättenverordnung, die laut Kritik von Verbänden, die sich für den Schutz vor Passivrauchen einsetzen, keine Veränderung der Rechtslage bedeuten würde, und welche Vorschläge machen zum Beispiel die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen oder der Ärztliche Arbeitskreis Rauchen und Gesundheit zu diesem Punkt?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Danke schön, Frau Präsidentin. - Die Bundesregierung begrüßt, dass sich die Gesundheitsminister der Länder auf einheitliche Regelungen zum Nichtraucherschutz verständigt haben. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält Regelungen zur Verbesserung des Arbeitsschutzes. Weitergehende Regelungen für den Gaststättenbereich konnten aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht getroffen werden. Die Kompetenz für den Arbeitsschutz erfasst ausschließlich Regelungen im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, nicht aber zum Verhalten Selbstständiger oder Dritter. Gastbezogene Regelungen des Nichtraucherschutzes fallen, soweit sie zugleich dem Schutz der in der Gastronomie Beschäftigten dienen, unter das Gaststättenrecht, sodass hierfür allein die Länder gesetzgebungsbefugt sind. Wie an der Diskussion der Gesundheitspolitikerinnen und Gesundheitspolitiker dieses Hauses zu erkennen war, gab es hierzu unterschiedliche Einschätzungen. Letztendlich war man sich jedoch einig, dass der Arbeitsschutz im Prinzip nur eine Struktur hätte regeln können, in der der Beschäftigte betroffen ist. Wenn eine Gaststätte zum Beispiel in Familienbesitz ist und dort nur Mitglieder der Familie arbeiten, aber keine Beschäftigungsverhältnisse im klassischen Sinne vorhanden sind, hätten die Regelungen des Arbeitsschutzes nicht gegolten. Ein weiterer wichtiger Punkt war, dass man Scheinselbstständigkeit verhindern wollte, die dadurch hätte entstehen können, dass über Umgehungstatbestände selbstständige Beschäftigungsverhältnisse in Gaststätten geschaffen und damit Arbeitsschutz und Nichtraucherschutz ausgehebelt worden wären. Die entscheidende Stelle des Gesetzentwurfes, den das Kabinett beschlossen hat, lautet wie folgt: Soweit erforderlich, hat der Gesetzgeber ein allgemeines oder auf einzelne Bereiche der Arbeitsstätte beschränktes Rauchverbot zu erlassen. Das unterstützt die Vorhaben der Länder im Hinblick auf das Gaststättenrecht und es stellt klar, dass das Rauchverbot erlassen werden kann. Bereits nach der geltenden Rechtslage ist der Arbeitgeber verpflichtet, in der Arbeitsstätte Maßnahmen zum Schutz der nichtrauchenden Beschäftigten zu ergreifen. Der jetzt angefügte Satz bringt zum Ausdruck, dass insbesondere ein allgemeines Rauchverbot für den gesamten Betrieb oder ein auf einzelne Bereiche der Arbeitsstätte beschränktes Rauchverbot geeignete Maßnahmen im Sinne der Arbeitsstättenverordnung sind. Sie fragten, wie wir einschätzen, was Experten zu diesem Punkt gesagt haben. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, die Sie insbesondere zitieren, geht in ihrer Stellungnahme davon aus, dass diese Arbeitsstättenverordnung nur aufzuheben sei. Dem schließt sich der Ärztliche Arbeitskreis Rauchen und Gesundheit an. Wir müssen allerdings sagen: Solange es keine landesrechtlichen Regelungen gibt, stehen diesen Forderungen verfassungsrechtliche Hindernisse entgegen. Deshalb können sie, um einen effektiven Nichtraucherschutz in Gaststätten zu garantieren - eine Forderung, die uns Gesundheitspolitikerinnen und Gesundheitspolitiker eint -, nicht zum Zuge kommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Bender, Sie haben jetzt die Möglichkeit, vier Nachfragen zu stellen. Bitte.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, meine erste Zusatzfrage lautet: Was ändert die im Kabinett beschlossene Formulierung am Regelungsgehalt der Arbeitsstättenverordnung der Sache nach? Denn es war dem Arbeitgeber ja schon bisher möglich, Rauchverbote zu erlassen.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Das ist richtig. Es ist ihm möglich, Rauchverbote zu erlassen. Es gibt aber die Einschränkung mit dem Publikumsverkehr. Im Prinzip ist jetzt klargestellt, dass der Arbeitgeber solche Rauchverbote überall erlassen kann. Aber wie ich sagte: Das Ganze macht nur Sinn im Zusammenhang mit der Regelung im Gaststättenrecht, die die Länder erlassen werden. Sie wissen ja, dass man sich bei dem Treffen in Hannover geeinigt hat, dass die Länder in ihrem Verantwortungsbereich, dem Gaststättenrecht, Regelungen treffen wollen. Das unterstreicht noch einmal, dass man in diesem Bereich Regelungen treffen kann, und macht die Absicht des Gesetzgebers klarer. Die Debatte, ob man über den Arbeitsschutz ein Rauchverbot in Gaststätten erreichen kann, ob also der Bund die entsprechende Kompetenz hat, ist von den GeParl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk sundheitspolitikern geführt worden, und dieser Weg ist verfassungsrechtlich geprüft worden. Doch dem standen die Bedenken entgegen, weil über den Arbeitsschutz nur Arbeitplatzregelungen erlassen werden können, aber keine allgemeinen Regelungen, die den Gast einschließen. Solche Regelungen würden insbesondere dort nicht gelten, wo es keine klassischen Beschäftigungsverhältnisse gibt, also in eigentümergeführten Gaststätten. Einen solchen Flickenteppich - dass dort, wo der Eigentümer nicht in der Gaststätte steht, ein Rauchverbot über den Arbeitsschutz gilt, aber dort, wo der Eigentümer in der Gaststätte steht, keines gilt - hätte man sicher nicht gewollt. Ich glaube, das wäre keine sinnvolle Regelung gewesen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Frage. Bitte.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, die Länder haben den Bund aufgefordert, so etwas über den Arbeitsschutz zu regeln, Sie hingegen halten es für entscheidend, dass die Länder dies über ihre Gaststättengesetze tun. Könnte es sein, dass hier Schwarzer Peter gespielt wird, dass die eine Ebene behauptet, die andere sei zuständig, und am Ende gar nichts passiert?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Diesen Eindruck habe ich nicht, Frau Kollegin Bender. Sie kennen wie ich die Diskussion über den Nichtraucherschutz und wissen, dass sie schon lange Jahre geführt wird. Sie wissen, der Nichtraucherschutz ist mir ein persönliches Anliegen. Es war in allen Fraktionen und in allen Parlamenten in Deutschland nicht immer einfach - ich sage es einmal vorsichtig -, Mehrheiten für den Nichtraucherschutz zu organisieren. Deshalb bin ich sehr froh, dass Bund und Länder jetzt gemeinsam vorgehen: Der Bund hat einen Gesetzentwurf vorgelegt; er regelt, was in seiner Kompetenz zu regeln ist. Hierbei finde ich insbesondere die Heraufsetzung der Altersgrenze für die Abgabe von Tabakwaren von 16 auf 18 Jahre, die entsprechende Ergänzung dieser Regelung im Arbeitsstättenrecht und die Regelungen für die Bundeseinrichtungen wichtig. Die Länder haben sich verpflichtet, in ihrem Einflussbereich die Regelungen zu komplettieren. Das betrifft Schulen und Kindergärten, aber auch Gaststätten und Krankenhäuser. Insofern gibt es eine gemeinsame Stellungnahme, die beim Nichtrauchergipfel in Hannover vereinbart wurde. Darin begrüßen die Länder ausdrücklich die Ergänzung der Regelung im Arbeitsstättenrecht, die sie als Unterstützung betrachten, und machen deutlich, dass sie - weil sie die Zuständigkeit im Gaststättenrecht übertragen bekommen wollten - handeln müssen und handeln werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre dritte Nachfrage, bitte.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zum Handeln der Länder: Die Länder NordrheinWestfalen und Niedersachsen, in denen immerhin 30 Prozent der Bevölkerung leben, haben sich vorbehalten, das Gaststättenrecht so zu regeln, dass ganze Gaststätten zu Rauchergaststätten werden können. Wie bewertet die Bundesregierung dieses Ausscheren aus der ansonsten etwas verbindlicheren Stellungnahme der Länder?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Zunächst einmal finde ich es erfreulich, dass die Befürchtung vonseiten des Bundes, dass es zu einem Flickenteppich von Regelungen kommt, nicht eingetroffen ist. Vielmehr wurde über die gemeinsame Stellungnahme mit 16 : 0 abgestimmt. Zwei Länder, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, haben in einer Protokollnotiz - das ist ein deutlich abgeschwächtes Instrument - festgehalten, dass sie sich vorbehalten, zu prüfen, inwieweit einzelnen gastronomischen Betrieben ermöglicht wird, sich zu Rauchergaststätten zu erklären. Das ist ein Prüfauftrag; es bedeutet kein Abweichen von der generellen Linie, dass auch in Gaststätten der Nichtraucherschutz verstärkt werden muss. Ich halte es für wichtig, dass dieser Grundkonsens von allen Bundesländern getragen wurde und dass alle Bundesländer bereit waren, entsprechende Regelungen zu schaffen. Ich glaube, dass in Zukunft die Akzeptanz in der Bevölkerung dazu beitragen wird, dass einheitlichere Strukturen entstehen. Denn Umfragen zufolge wünschen sich 70 Prozent der Bevölkerung klare Regelungen zum Nichtraucherschutz.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 26 des Kollegen Dr. Harald Terpe: Worin besteht aus Sicht der Bundesregierung im Vergleich zur jetzigen Praxis die grundsätzliche Neuerung der im Referentenentwurf „Gesetz zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchs“ in Bezug auf den öffentlichen Nahverkehr und die Eisenbahnen enthaltenen Vorschrift zur Einrichtung gesonderter Raucherräume, und in welchem Verhältnis steht diese Vorschrift zur schrittweisen Einführung vollständig rauchfreier Nahverkehrszüge der Deutschen Bahn?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Terpe, die grundsätzliche Neuerung der Vorschrift besteht darin, dass nun grundsätzlich für alle öffentlichen Verkehrsmittel die gleichen Mindeststandards für den Schutz vor Passivrauch gelten. Für Bereiche, in denen bereits auf freiwilliger Basis weitergehende Rauchverbote bestehen - zum Beispiel in Passagierflugzeugen oder in Nahverkehrszügen -, bedeutet dies in der Praxis keine Änderung, sondern eine gesetzliche Normierung. In Teilen des öffentlichen Personennahverkehrs kommt es zu Verbesserungen des gesetzlichen Nichtraucherschutzes. Hier sind insbesondere die Taxen zu nen8174 nen, die mit dieser Regelung erfasst werden, was bislang nicht der Fall war. Auch wenn die Deutsche Bahn beispielsweise weitergehende Regelungen geschaffen hatte, ist zu berücksichtigen, dass es in Deutschland neben der Deutschen Bahn auch private Betreiber gibt. Mit der Vorschrift werden einheitliche Mindeststandards geschaffen. Man darf weitergehen, aber nicht dahinter zurückfallen. Insofern bedeutet das eine deutliche Verbesserung bei allen Beförderungsmitteln. Wir sind sehr froh, dass uns das Verkehrsministerium beim Schutz der Nichtraucher unterstützt hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Dr. Harald Terpe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003854, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, ich habe eine Nachfrage. Bestehen Ihrerseits Befürchtungen, dass durch die gesetzliche Normierung - ich gebe Ihnen Recht, dass dadurch Standards geschaffen werden - die freiwilligen Vereinbarungen wieder auf das Niveau der Normierung zurückgeführt werden?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Unsere Gespräche haben ergeben, dass diese Befürchtung nicht eintreffen wird; man will vielmehr an dem festhalten, was man beim Nichtraucherschutz erreicht hat. Man möchte aber gleiche Bedingungen für alle haben. Insofern ist das ein Stück Fortschritt, der dort erzielt wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie eine zweite Nachfrage?

Dr. Harald Terpe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003854, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann rufe ich die Frage 27 des Kollegen Dr. Harald Terpe auf: Warum ist im Referentenentwurf „Gesetz zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchs“ nicht vorgesehen, dass Inhaber des Hausrechts oder Betreiber von Verkehrsmitteln für die Durchsetzung der vorgesehenen Rauchverbote verantwortlich sind, und wie stellt sich die Bundesregierung die Durchsetzung der vorgesehenen Rauchverbote alternativ vor? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Die Bundesregierung hält es für nicht erforderlich, die Verantwortung für die Durchsetzung der vorgesehenen Rauchverbote auf die Inhaber des Hausrechts und die Betreiber von Verkehrsmitteln zu übertragen. Auch bisherige Regelungen zu Rauchverboten im gewerblichen Straßenpersonenverkehr sehen dies nicht vor. Im Bereich des Bundes ist davon auszugehen, dass das Gesetz auch ohne eine gegen den Inhaber des Hausrechts wirkende Sanktionsregelung umgesetzt wird. Im Übrigen stellt das Rauchen in einem Bereich mit Rauchverbot eine Ordnungswidrigkeit dar. Deshalb gilt hier das Ordnungswidrigkeitenrecht. Das ist unseres Erachtens die geeignete Maßnahme, um Rauchverbote durchzusetzen; denn Ordnungswidrigkeiten können hier in einem gewissen finanziellen Rahmen geahndet werden. Wenn man etwas zahlen muss, weil man ordnungswidrig gehandelt hat, dann tut das dem Betreffenden weh. Mit dieser Maßnahme wird auf jeden Fall eine angemessene Durchsetzung der Rauchverbote gewährleistet.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie eine Nachfrage? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zu Frage 28 der Kollegin Elisabeth Scharfenberg: Fällt der Deutsche Bundestag unter den Regelungsbereich des Referentenentwurfs „Gesetz zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchs“, das heißt unter „sonstige öffentliche Einrichtungen des Bundes“, falls nein, wie begründet die Bundesregierung dies? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin Scharfenberg, ich bin sehr dankbar dafür, dass Sie danach fragen, ob die Regelungen des Gesetzes auch für den Deutschen Bundestag gelten. Ich würde mich sehr freuen, wenn der Deutsche Bundestag von seinen Regelungsrechten Gebrauch macht. Das ist eine Frage, die sowohl im Präsidium als auch im Ältestenrat des Deutschen Bundestages zu stellen sein wird. Wir kommen nach intensiver juristischer Prüfung zu dem Ergebnis, dass der Bereich der Verwaltung des Deutschen Bundestages unter die Regelung fällt, weil es sich um eine Verwaltungsstruktur des Bundes handelt. Der Bundestag als Verfassungsorgan sollte nach Auffassung der Bundesregierung eigenständig über ein Rauchverbot in seinem Bereich, also in den Abgeordnetenbüros, dem Plenargebäude und in sonstigen Arbeitsräumen, entscheiden. Dies ist jederzeit möglich. Es war schon in der Vergangenheit jederzeit möglich.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie eine Nachfrage? - Das ist nicht der Fall. Dann rufe ich die Frage 29 der Kollegin Elisabeth Scharfenberg auf: Welche Kriterien müssen nach Ansicht der Bundesregierung die im Referentenentwurf „Gesetz zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchs“ vorgesehenen speziellen Raucherräume erfüllen, und aufgrund welcher Kriterien dürfen solche Raucherräume überhaupt eingerichtet werden? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Sie fragen nach den Kriterien, die die sogenannten speziellen Raucherräume erfüllen müssen, die als AusParl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk nahme zulässig sind. Die Grundphilosophie des Gesetzentwurfes ist: Generell gilt die Regel „nicht rauchen“, es sei denn, es werden eigenständige, abgeschlossene Räume vorgesehen, die als solche gekennzeichnet sind. Aus dem Gesetzentwurf ergibt sich, dass es sich um einen gesonderten Raum handeln muss und dass eine ausreichende Zahl von Räumen vorhanden sein muss. Das heißt, die überwiegende Zahl dem Nichtraucherschutz dienend. In der Begründung werden nähere Erläuterungen gegeben, zum Beispiel dass es keine Hauptaufenthaltsräume und im Bereich des Bundes keine Dienstoder Arbeitsräume sein dürfen. Weitere Kriterien können in einer Rechtsverordnung festgelegt werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - In dem Referentenentwurf ist von Raucherräumen und Raucherbereichen die Rede. Ist davon auszugehen, dass damit das Gleiche gemeint ist, oder handelt es sich dabei um verschiedene Definitionen bzw. verschiedene Räumlichkeiten?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Für uns ist von der Anlage des Gesetzentwurfes her ganz klar, dass wir nur den abgeschlossenen Raum meinen. Wenn man in einem Raum Nichtraucher- und Raucherzonen hat, dann ist der Nichtraucherschutz faktisch nicht mehr gewährleistet. Insofern ist wichtig, dass der Raucherraum abgeschlossen ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie noch eine weitere Nachfrage? - Das ist nicht der Fall. Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin. Die Fragen 30 und 31 des Kollegen Jörg Rohde werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter auf: Wann wird die Strecke München-Kempten-Immenstadt-Lindau, deren Infrastrukturertüchtigung für den Neigetechnikzugeinsatz laut Unterlagen der DB Regio von 1999 schon 2001 abgeschlossen sein sollte, für bogenschnelles Fahren hergerichtet sein, und warum wurden die dazu erforderlichen Baumaßnahmen nicht in die im November 2006 beendete Generalsanierung des Schienennetzes im Allgäu integriert?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Frau Präsidentin! Herr Kollege Hofreiter, bei der Strecke München-Kempten-Immenstadt-Lindau handelt es sich um eine Strecke des Schienenpersonennahverkehrs. Die Länder, in diesem Fall der Freistaat Bayern, können in ihrer Funktion als Aufgabenträger für den SPNV die Prioritäten für Investitionen in die Infrastruktur des SPNV gemäß der gesetzlichen Regelung, § 8 Abs. 2 Satz 2 des Bundesschienenwegeausbaugesetzes, selbst bestimmen und mit der Deutschen Bahn AG vereinbaren, in welche Projekte investiert werden soll. Nach Angaben der DB Netz AG besteht für das Projekt kein eindeutiges Projektziel mehr, da der Freistaat Bayern seinen Bedarf für den Neigetechnikausbau der Strecke München-Kempten-Lindau nicht mehr im bisherigen Umfang aufrechterhält und eine neue verkehrliche Aufgabenstellung noch nicht formuliert hat. Die Realisierung einer Neigetechnikertüchtigung der Strecke oder einzelner Streckenabschnitte für den bogenschnellen Einsatz der Neigetechnikzüge bleibt bis zum Vorliegen des überarbeiteten Angebotskonzepts, für das noch kein Termin bekannt ist, und einer daraus abzuleitenden verbindlichen Angebotsbestellung durch den Freistaat zurückgestellt. Der Bund ist an diesem Abstimmungsprozess nicht beteiligt und wirkt bei der Auswahl der Vorhaben nicht mit. Nach Auskunft der DB Netz AG ist es bisher nicht zu einer Einigung mit dem Freistaat Bayern über den Ausbau der Strecke gekommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die erste Nachfrage, bitte.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für diese doch relativ klaren Ausführungen, Frau Staatssekretärin. Ich hätte schon noch eine Frage. Wie erklären Sie sich eigentlich das Verhalten der DB AG, die zu 100 Prozent in Bundesbesitz ist und daher eigentlich komplett in die Verantwortung Ihres Ministeriums fällt? Sie ist in Bundesbesitz und nicht in Länderbesitz. Diese Firma, für die Ihr Ministerium verantwortlich ist, schreibt: Die Realisierung des Konzeptes Allgäu-Schwaben-Takt-Neu und der Einsatz von Neigetechnikzügen sind ab dem Fahrplanwechsel 2001 vorgesehen. Zu diesem Zeitpunkt wird die Ertüchtigung der Infrastruktur abgeschlossen sein. - Das ist offensichtlich eine Falschaussage, die die DB AG getroffen hat. Das ist nur ein Beispiel von ganz vielen. Hat das irgendwelche Konsequenzen?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Herr Kollege Hofreiter, wie ich ausgeführt habe, haben sich in der Prioritätensetzung des Freistaates Bayern Veränderungen ergeben. Was die Investitionen angeht, so ist die Prioritätensetzung allein Sache des Freistaates Bayern. Insofern wird sich auch die DB AG an die Veränderungen des Bestell- und Investitionsverhaltens des Freistaates Bayern anzupassen haben. Es ist auch deutlich geworden, dass es zwischen den beiden Partnern noch keine Einigung gibt. Insofern dürfte das, was Sie zitiert haben, eine Aussage der Vergangenheit sein, aber nicht eine der Gegenwart.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie können eine zweite Nachfrage stellen.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wann haben sich denn diese Prioritätensetzungen exakt verändert? War das 1999, oder war das 2001? Sie haben relativ klar gesagt, dass der Freistaat Bayern das prioritär nicht mehr will. Aber er wollte es einmal. Wann exakt war der Zeitpunkt?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Ich kann Ihnen diese Auskunft nicht geben, weil mir die Unterlagen dazu nicht vorliegen. Ich werde aber prüfen, ob wir das feststellen können. Dann werden wir Sie darüber informieren.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen zur Frage 33 des Kollegen Barth: Trifft es zu, dass der Deutsche Wetterdienst, eine teilrechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, seine Niederlassung in Leipzig von derzeit 70,5 Planstellen auf 17 Planstellen verkleinern wird, und, wenn ja, was sind die Gründe hierfür?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Frau Präsidentin! Herr Kollege Barth, der Deutsche Wetterdienst plant, den Personalbestand seiner Niederlassung in Leipzig von derzeit 70,5 Stellen auf 17 Stellen zu verringern. Dieser Vorschlag ist Teil eines Maßnahmenpakets im Rahmen der Weiterentwicklung der Strategie des Deutschen Wetterdienstes bis zum Jahr 2015, das dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zur Prüfung und Zustimmung vorliegt. Der Deutsche Wetterdienst hat seit 1993 die gesetzlichen Stelleneinsparungen erfüllt. Er muss auch weiterhin mit einem Rückgang der ihm zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen rechnen. Gleichzeitig fällt ihm als wissenschaftlich-technischem Dienstleister mit umfassender Verantwortung für die Daseinsvorsorge in den Bereichen Meteorologie und Klimaüberwachung die Aufgabe zu, die operativen Prozesse der Wettervorhersage und der Wetterwarnungen weiter zu optimieren. Dazu bedarf es einer mittelfristig ausgerichteten Strategie. Diese sieht vor, die Produktionsverfahren stärker zu zentralisieren und kleinere dezentrale Niederlassungen zu schließen. Ohne eine signifikante Straffung seiner Standortstruktur wird der Deutsche Wetterdienst weiteren Personaleinsparungen nicht entsprechen können. Nach diesen Überlegungen erhält Leipzig in Zukunft den Status einer regionalen Wetterberatungsstelle, die vom nationalen Warndienst der Vorhersage- und Beratungszentrale in Offenburg rund um die Uhr mit Informationen versorgt wird und die in konkreten Warnsituationen den ständigen Kontakt zu den Kunden und insbesondere zu den Katastrophenschutzeinrichtungen der Länder halten soll. Im Bereich der Luftfahrtberatung ist eine Konzentration auf eine geringe Anzahl von Luftfahrtberatungszentren vorgesehen. Für den Flughafen Leipzig schlägt der Deutsche Wetterdienst vor, den Beratungsdienst von der benachbarten Luftfahrtberatungszentrale in Potsdam durchführen zu lassen. Ferner sieht die Strategie des Deutschen Wetterdienstes für die Betreuung der Messnetze eine Konzentration auf eine geringere Zahl an Standorten vor.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit, zwei Nachfragen zu stellen. Ihre erste Nachfrage, bitte.

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, Sie haben hier die Strategie des Deutschen Wetterdienstes und die damit verbundenen inhaltlichen Änderungen vorgetragen. Ich möchte zunächst einmal sagen, dass es mir zwar schwerfällt, ich aber trotzdem dem Impuls, den Antrag zu stellen, den zuständigen Minister herbeizubitten, auch angesichts der Mehrheitsverhältnisse nicht nachgebe. Es hätte mich allerdings schon interessiert, was er als ehemaliger Oberbürgermeister der betroffenen Stadt - es geht ja um den Wetterdienst in Leipzig - hierzu auch persönlich zu sagen gehabt hätte. Ich sage ausdrücklich: Ich widerstehe diesem Impuls. Sie haben gesagt, dass diese Strategie des Deutschen Wetterdienstes dem Ministerium zur Begutachtung und zur Zustimmung vorliegt; das muss auch so sein. Wie wird sich das Ministerium zu dieser Strategie und damit auch zu den Auswirkungen, insbesondere zu dem geplanten Personalabbau, positionieren?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Was das Thema Personalabbau angeht, müssen wir zusehen, dass die Auflagen, die auch vom Bundestag beschlossen werden, erfüllt werden. Deshalb wird dieses Konzept zurzeit in unserem Ministerium beraten. Es gibt noch keine abschließende Zustimmung. Auf jeden Fall erwarten wir von unseren Behörden zunächst einmal konzeptionelle Vorschläge, wie beim Thema Personaleinsparungen vorgegangen werden soll. Wenn diese Vorschläge vorliegen, wird entschieden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich mache es ganz kurz: Wann wird diese Entschei- dung getroffen?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Wir sind zurzeit in den Abstimmungen. Sie müssen Verständnis dafür haben, dass es noch viele Gespräche geben wird. Daher werde ich Ihnen hier jetzt keinen Zeitpunkt nennen können. Wir sind aber auf einem guten Weg. Wir müssen mit den Mitarbeitern und mit den Menschen, die diese Konzepte umsetzen wollen, reden. Daran arbeiten wir.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen zur Frage 34, ebenfalls vom Kollegen Uwe Barth: Welche berufliche Perspektive wird den betroffenen Mit- arbeitern geboten, und wie schätzt die Bundesregierung die Folgen einer Konzentration der jeweiligen Dienste an einzel- nen Standorten im Bundesgebiet ein? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Frau Präsidentin! Herr Kollege Barth, im Zusammen- hang mit den Auswirkungen der in der Beantwortung von Frage 33 genannten Maßnahmen auf die Mitarbeiter ist zu berücksichtigen, dass von den derzeit 70 Beschäf- tigten der Niederlassung Leipzig 17 bis zum 31. Dezem- ber 2015 in Ruhestand gehen werden. Darüber hinaus sind weitere Anträge auf Gewährung von Altersteilzeit zu erwarten, sodass sich die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Jahr 2015 nach heutigem Erkenntnis- stand auf etwa 35 bis 40 reduziert. Nach Billigung der DWD-Strategie, also der Strategie des Deutschen Wetterdienstes, für den Zeitraum bis zum Jahr 2015 durch das Ministerium wird der Deutsche Wetterdienst Umsetzungskonzepte auch in personeller Hinsicht für die einzelnen Maßnahmen entwickeln. Da- bei werden soziale Gesichtspunkte berücksichtigt, so- weit dies im Rahmen der dienstlichen Vorgaben möglich ist. Soweit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Wege der späteren Umsetzung der Wetterdienststrategien neue Aufgaben zugewiesen werden, sind Qualifizierungs- und Umschulungsprogramme vorgesehen, um die Mitarbei- terinnen und Mitarbeiter auf die Wahrnehmung neuer bzw. veränderter Aufgabenprofile innerhalb und außer- halb des Wetterdienstes vorzubereiten. Der Wetterdienst wird in seiner Eigenschaft als wis- senschaftlich-technischer Dienstleister auch in Zukunft darauf angewiesen sein, seine Verfahren weiter zu opti- mieren. Deshalb werden die vorgeschlagenen Maßnah- men zur Verringerung und Konzentration der Standort- struktur einhergehen mit entsprechend ausgearbeiteten Fachkonzepten, die eine Ertüchtigung des Dienstes si- cherstellen sollen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage. - Sie verzichten. Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin. Ich rufe den Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes auf. Der Staatsminister Bernd Neumann wird die Fragen beantworten. Ich rufe die Frage 35 des Kollegen Dr. Diether Dehm auf: Wie viele zulässige Auskunftsverlangen sind an die Bun- desbeauftragte für die Stasiunterlagen, BStU, Marianne Birthler, seit dem Inkrafttreten des Siebenten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, StUG, gestellt wor- den, die nach der zuvor geltenden Fassung nicht mehr hätten beantwortet werden dürfen, und wie sind die Personen, zu de- nen Auskünfte begehrt wurden, auf die in § 20 Abs. 1 Nr. 6 bzw. 7 StUG genannten Personengruppen aufzugliedern? Bitte, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Grundsätzlich wären nach der alten Fassung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes durch Ablauf der in Abs. 3 vorgesehenen Frist alle Überprüfungen nach den § § 20, 21 Nr. 1 Abs. 1 Nr. 6 und 7 Stasi-Unterlagen-Gesetz ab dem 29. Dezember 2006 unzulässig geworden. Entspre- chende Auskunftsverlangen hätten also abschlägig be- schieden werden müssen. Ausnahmen hätten sich ledig- lich aus entsprechender Anwendung des § 52 Abs. 1 des Bundeszentralregistergesetzes, also wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder eine Ausnahme zwingend gebietet, ergeben. Demgegenüber ist durch die Gesetzesänderung ein großer Teil der Überprüfungsmöglichkeiten erhalten ge- blieben. Einige Tatbestände sind neu geregelt worden. Die Erhebung aller zwischen dem 29. Dezember 2006 und dem 13. Februar 2007 eingegangenen Überprü- fungsgesuche ergibt folgendes Bild - das ist ja der Kern Ihrer Frage, Herr Abgeordneter. Ich muss sehen, dass ich die Antwort so knapp wie möglich halte. Wir beziehen uns jetzt immer auf § 20 Abs. 1 Nr. 6, so wie Sie das an- gesprochen haben. Ich setze voraus, dass Sie die Titel kennen; sonst müsste ich sie im Einzelnen vorlesen. a): eine Person, b): 63 Personen, c): keine, d): zwei Perso- nen, e): keine, f): keine, g): zwei Personen. Dasselbe be- zogen auf Nr. 7: a): eine Person, b) bis f): jeweils keine Person. Damit müsste ich Ihre Frage, auch in den Einzelheiten, mindestens formal beantwortet haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege Dehm hat die Möglichkeit zu zwei Nachfragen. ({0}) Ich rufe dann auch die Frage 36 des Kollegen Diether Dehm auf: Wie bewertet die Bundesregierung den Nutzen der Gesetzesänderung für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und für das Ansehen der Verfassungsorgane? Bitte, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Die erhebliche Anzahl an Überprüfungsgesuchen belegt den nach wie vor hohen Bedarf und das Interesse an Aufklärung. Durch den Erhalt weitgehender Überprüfungsmöglichkeiten kann gewährleistet werden, dass keine ehemaligen Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes unerkannt Mitglieder der Bundesregierung oder einer Landesregierung, Abgeordnete, Angehörige kommuna8178 ler Vertretungskörperschaften, kommunale Wahlbeamte, Behördenleiter, Richter sowie hohe Soldaten werden. Dass die Öffentlichkeit auf diese Gewissheit vertrauen kann, bewertet die Bundesregierung als überaus wichtig für das Ansehen der Verfassungsorgane. Soweit die Frage auf den Nutzen für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abhebt, zielt sie offenbar auf die nunmehr explizit geregelten Sicherheits- und Zuverlässigkeitsüberprüfungen. Dass insoweit eine eindeutige Regelung geschaffen worden ist und nicht der mit einer gewissen Auslegungsunsicherheit behaftete Ausnahmetatbestand des § 52 Abs. 1 des Bundeszentralregistergesetzes bemüht werden muss, bewertet die Bundesregierung als Gewinn für die Sicherheit der Bundesrepublik. Die auffallend hohen Antragszahlen in diesem Bereich sprechen für sich. So weit die Antwort auf Ihre Fragen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatsminister. - Kollege Dehm, Sie haben das Wort für die erste Nachfrage.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, vielleicht kann ich die beiden Fachfragen im Zusammenhang stellen; das würde Zeit sparen. Zu Beginn der Legislatur hat eine Kollegin der Grünen bei einem Redebeitrag von mir dazwischengerufen, ich hätte Wolf Biermann für die damalige Stasi als dessen damaliger Manager bespitzelt. Ich habe der Kollegin daraufhin angeboten, dass sie in meinem Büro die zugeschriebene Akte mit meiner Abschöpfung einsehen kann. Darin ist nämlich nachzulesen, dass die Akte bereits wenige Wochen, nachdem ich Anfang 1977 Biermanns Manager geworden war, vom MfS mit dem enttäuschten Hinweis beendet wurde, ich stünde unbelehrbar zu Bahro und Biermann. ({0}) 1977 legte mich die Stasi darum sogar in die DDR-Einreisefahndung. Dennoch gab es 1996 eine Pressekampagne mit dem Hinweis, ich sei IM gewesen und bis zur Wende geblieben. Meine erste Frage ist, warum die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung in die Akteneinsichtspraxis der Birthler-Behörde keinen Eingang gefunden hat. Ich konnte mich gegen die Vorwürfe zunächst überhaupt nicht wehren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Dehm, bitte versuchen Sie, die Frage zu formulieren.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das war die erste Frage. Ich würde gern die zweite Frage anschließen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

In Ordnung. Dann stellen Sie bitte die Frage.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die zweite Frage. - Gegen diesen Rufmord konnte ich mich nicht wehren, weil im Rahmen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes die Gauck-Behörde mir auf meine Anfrage mitgeteilt hatte, es gebe keine Unterlagen, während sie diese Unterlagen bereits an WDR, „Spiegel“ und „Bild“-Zeitung gegeben hatte. Ich bekam wochenlang keine Einsicht in diese Akte. Das heißt: Ich konnte mich wochenlang nicht wehren, weil ich, als Täter verdächtigt, keinen Zugang zu der Akte, keine Einsicht in die Akte hatte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zur Frage. Jeder Schwerverbrecher, der unter dem Verdacht steht, ein Totschlagsdelikt begangen zu haben, hat mehr Rechte; die Verjährung beträgt da 15 Jahre. 23 Jahre, nachdem die Stasi ohne mein Wissen eine Akte angelegt hatte, hatte ich nicht die Gelegenheit, in die Akte einzusehen und meine Unschuld zu beweisen, während bereits eine Pressekampagne lief. Ich frage Sie, wie lange die Bundesregierung noch zulassen möchte, dass diese Praxis abseits von Rechtsstaatlichkeit, Akteneinsichtsrecht und Unschuldsvermutung in der Bundesrepublik anhält. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Staatsminister hat die Möglichkeit, auf die Fragen zu antworten. ({0})

Not found (Gast)

Herr Kollege Dehm, in Ihrer Frage kommt die persönliche Betroffenheit zum Ausdruck; das ist nachvollziehbar. Ich bin jetzt nicht in der Lage, Ihren Fall im Einzelnen zu bewerten - ganz abgesehen davon, dass ich nicht Mitarbeiter der Birthler-Behörde bin. Dazu müsste man dort nachfragen. Generell möchte ich sagen, dass die weitere Überprüfungsmöglichkeit für besondere Verantwortungsträger, insbesondere im öffentlichen Bereich, die wir geschaffen haben, auch die Chance bietet, Klärung herbeizuführen. Es geht nicht immer nur um Belastung, sondern auch um die Chance, Auskunft zu bekommen. ({0}) Das bietet auch die Möglichkeit, von Verdächtigungen freizukommen. Das kann ich generell dazu sagen. Deshalb glaube ich, dass die Novellierung, die wir Ende des letzten Jahres mit großer Mehrheit beschlossen haben, rechtsstaatlich ist und auch jeder rechtlichen Überprüfung durch die zuständigen Gerichte standhalten wird. Insofern glaube ich, dass dies verantwortbar ist. Aber Ihren Einzelfall kann ich, wie gesagt, aus dem Stand nicht beurteilen. Das steht mir auch nicht zu. Das müsste gegebenenfalls von denen, die dafür zuständig sind, beantwortet werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatsminister. Da die Fragen 37 und 38 des Kollegen Waitz und ebenso die Fragen 39 und 40 des Kollegen Otto ({0}) schriftlich beantwortet werden, sind wir damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf. Die Frage 41 des Kollegen Niebel sowie die Fragen 42 und 43 des Kollegen Burgbacher werden schriftlich beantwortet. Die Frage 44 der Kollegin Hirsch wurde zurückgezogen. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Die Fragen 45 und 46 des Kollegen Steenblock werden schriftlich beantwortet; die Frage 47 der Kollegin Behm wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 1. März 2007, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen noch viel Erfolg bei all Ihren Vorhaben heute Abend. Die Sitzung ist geschlossen.