Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/1/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich, wünsche Ihnen bzw. uns einen guten Morgen. Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich einige amtliche Mitteilungen zu machen. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Haltung der Bundesregierung zu Forderungen nach der Fortsetzung der Steinkohlesubventionen für einen Sockelbergbau ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({0}) a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({1}), Kai Gehring und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen ({2}) - Drucksache 16/4148 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({3}) Rechtsausschuss b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Diaspora - Potenziale von Migrantinnen und Migranten für die Entwicklung der Herkunftsländer nutzen - Drucksache 16/4164 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({4}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Haushaltsausschuss ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({5}) a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 171 zu Petitionen - Drucksache 16/4172 - b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 172 zu Petitionen - Drucksache 16/4173 - c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 173 zu Petitionen - Drucksache 16/4174 - d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 174 zu Petitionen - Drucksache 16/4175 - e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10}) Sammelübersicht 175 zu Petitionen - Drucksache 16/4176 - f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11}) Sammelübersicht 176 zu Petitionen - Drucksache 16/4177 - g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12}) Sammelübersicht 177 zu Petitionen - Drucksache 16/4178 - h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13}) Sammelübersicht 178 zu Petitionen - Drucksache 16/4179 - i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14}) Sammelübersicht 179 zu Petitionen - Drucksache 16/4180 ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN: Protestaktionen der Gewerkschaften zur Heraufsetzung des Rentenalters ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften stärken - Drucksache 16/4153 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({15}) Auswärtiger Ausschuss Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Harald Leibrecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für eine konstruktive Zusammenarbeit mit Russland und einen kritischen Dialog - Drucksache 16/4165 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({16}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 7 Beratung des Berichts des Rechtsausschusses ({17}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung - zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck ({18}), Irmingard Schewe-Gerigk, Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft vollenden - zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg van Essen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Gleiche Rechte gleiche Pflichten - Benachteiligungen von Lebenspartnerschaften abbauen - Drucksachen 16/497, 16/565, 16/4057 Berichterstattung: Abgeordneter Andreas Schmidt ({19}) ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({20}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Errichtung einer Agentur der Europäischen Union für die Grundrechte Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Ermächtigung der Agentur der Europäischen Union für die Grundrechte, ihre Tätigkeiten in den Bereichen nach Titel VI des Vertrags über die Europäische Union auszuüben KOM ({21}) 280 endg.; Ratsdok. 10774/05 - Drucksachen 16/150 Nr. 2.65, 16/… Berichterstattung: Abgeordnete Thomas Silberhorn Josip Juratovic Michael Link ({22}) Dr. Hakki Keskin Omid Nouripour ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({23}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck ({24}), Rainder Steenblock, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Die Rechte der Bürgerinnen und Bürger in der EU stärken - Mandat der Grundrechteagentur sinnvoll ausgestalten - zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Löning, Michael Link ({25}), Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Eine Grundrechteagentur der EU wird nicht gebraucht - Drucksachen 16/3617, 16/3621, 16/4195 Berichterstattung: Abgeordnete Holger Haibach Christoph Strässer Florian Toncar Volker Beck ({26}) ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck ({27}) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Datenschutz und Bürgerrecht bei der Einführung biometrischer Ausweise wahren - Drucksache 16/4159 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({28}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien ZP 11 Beratung des Antrags der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Bekämpfung des Dopings im Sport - Drucksache 16/4166 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss ({29}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Gesundheit ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta Haßelmann, Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Das neue Bild vom Alter - Vielfalt und Potenziale anerkennen - Drucksache 16/4163 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({30}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainder Steenblock, Jürgen Trittin, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Berliner Erklärung - Werte und Aufgaben der EU im 21. Jahrhundert - Drucksache 16/4171 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 14 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Erneute Verschiebung der Reform der Pflegeversicherung - Auswirkungen auf die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Der Tagesordnungspunkt 32 - Attraktivität des Soldatenberufes steigern - soll ohne Debatte an die Ausschüsse überwiesen werden. An der Stelle wird stattdessen der Punkt 24 - Turkmenistan - aufgerufen und sofort abgestimmt. Außerdem sollen der Tagesordnungspunkt 26 schon nach dem Tagesordnungspunkt 16 und der Tagesordnungspunkt 17 erst nach dem Tagesordnungspunkt 23 aufgerufen werden. Präsident Dr. Norbert Lammert Das haben Sie alle sicherlich sorgfältig notiert. Für Rückfragen stehen wir hier oben aber gern zur Verfügung. Schließlich mache ich noch auf zwei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 23. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Sportausschuss ({31}) zur Mitberatung überwiesen werden. Gesetzentwurf der Abgeordneten Hans-Joachim Otto ({32}), Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP zur Änderung des Grundgesetzes ({33}) - Drucksache 16/387 überwiesen: Rechtsausschuss ({34}) Sportausschuss Ausschuss für Kultur und Medien Der in der 71. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({35}) zur Mitberatung überwiesen werden. Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock, Jürgen Trittin, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Forderungen an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft - Ratspräsidentschaft für eine zukunftsfähige EU nutzen - Drucksache 16/3327 überwiesen: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({36}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Sind Sie mit den vorgetragenen Vereinbarungen ein- verstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf: 3 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahreswirtschaftsbericht 2007 der Bundesregierung Den Aufschwung für Reformen nutzen - Drucksache 16/4170 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({37}) Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresgutachten 2006/07 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - Drucksache 16/3450 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({38}) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Sechzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 2004/2005 - Drucksache 16/2460 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({39}) Finanzausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Anlagenband zum Sechzehnten Hauptgutachten der Monopolkommission 2004/2005 - Drucksache 16/2461 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({40}) Finanzausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos. ({41})

Michael Glos (Minister:in)

Politiker ID: 11000691

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nun sagen es auch die Statistiker: 2006 war ein sehr erfolgreiches Jahr. Wir hatten ein wirtschaftliches Wachstum von 2,5 Prozent. Wir haben damit die Prognosen aller Pessimisten weit übertroffen. Selbst die amtlichen Prognostiker haben dieses Wachstum nicht vorausgesehen. Es war die höchste Wachstumsrate seit dem Boomjahr 2000. Ich komme jetzt zur Zukunft. Wir haben sehr gute Aussichten, das Wachstum fortzusetzen. Vor allem eines ist ganz besonders erfreulich: Die Arbeitslosigkeit ist binnen Jahresfrist um 764 000 verringert worden. ({0}) Ich bedanke mich in allererster Linie beim deutschen Mittelstand; denn die Arbeitsplätze, die neu und zusätzlich geschaffen worden sind, sind vor allem im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmungen entstanden. Wir haben aber auch große Fortschritte erzielt, was die Konsolidierung unseres öffentlichen Gemeinwesens anbelangt. Die Neuverschuldungsgrenze von 3 Prozent, die der Vertrag von Maastricht vorschreibt, ist nach fünf Jahren nicht wieder verletzt worden, sondern mit 1,9 Prozent wesentlich unterschritten worden. Das ist ein sehr akzeptables Ergebnis. Deswegen haben wir ein sehr gutes Fundament, um das robuste Wachstum fortzusetzen. Das ist das Verdienst selbstverständlich von vielen, von den Beschäftigten und den Tarifparteien, die in den letzten Jahren Lohnzurückhaltung geübt haben - sonst wäre diese Position nicht zu erreichen gewesen -, aber auch von den Unternehmungen, die sich entsprechend aufgestellt haben, die ihre Bilanzen bereinigt haben und die sich vor allem dem internationalen Wettbewerb verstärkt gestellt haben. Aber es ist natürlich auch ein Verdienst der neuen Bundesregierung. ({1}) Unsere wirtschaftspolitische Strategie hat dem Land wieder Zukunftsperspektiven gegeben und vor allen Dingen Vertrauen zurückgebracht. Das Vertrauen ist in der Wirtschaftspolitik ein ungeheuer wertvolles Gut. Deswegen müssen wir auch den Weg der Reformen weitergehen und insbesondere die Reformen jetzt zügig umsetzen, die wir versprochen haben; ich komme noch darauf. Den Optimismus, den ich teile, vertreten inzwischen Unternehmer, Investoren und zunehmend auch die Verbraucher. Das ist ganz besonders wichtig. Die Stimmen der Skeptiker - da braucht man nur nachzulesen, was allein in diesem Haus im Laufe des letzten Jahres alles gesagt worden ist -, die geglaubt haben, der Aufschwung werde durch die Umsatzsteuererhöhung zunichtegemacht, sind weniger geworden. Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass man mahnt. Aber das ging teilweise weit über Mahnungen hinaus. Es war der Versuch, den Aufschwung kaputtzureden. An der positiven Tendenz ändern auch aktuelle Nachrichten über den Ifo-Geschäftsklimaindex und den Konsumklimaindex der GfK nichts. Die konjunkturelle Grundtendenz bleibt aufwärtsgerichtet. ({2}) Eines macht sich immer deutlicher bemerkbar: Wenn man keine Angst mehr um den Arbeitsplatz hat, dann wird man wieder ausgabefreudiger. Ich bin überzeugt, der private Konsum nimmt zu. Auch für Investitionen sind die Voraussetzungen hervorragend. Die Kapazitätsauslastung ist inzwischen sehr gut. Die Gewinne entwickeln sich kräftig, vor allem bei exportorientierten Unternehmungen. Wir wissen, dass man nur aus Gewinnen investieren kann. Deswegen sind die Gewinne kein Selbstzweck. Außerdem haben wir Konkurrenz um international anlagesuchendes Kapital. Wir wollen, dass das Kapital nach Deutschland strömt und nicht Deutschland ausweicht, wie das jahrelang der Fall gewesen ist. ({3}) Das Wachstum ist bereits im letzten Jahr - das stimmt zusätzlich optimistisch - zu drei Vierteln aus einer anziehenden Inlandsnachfrage entstanden. Dieser Trend setzt sich fort, sodass wir nicht mehr so empfindlich sind, wenn außenwirtschaftliche Entwicklungen nicht so eintreten sollten, wie wir es gegenwärtig prognostizieren. Für 2007 haben deswegen alle Experten ihre Wachstumserwartungen hochgeschraubt. Sie bewegen sich zwischen 1,3 und 2,1 Prozent. Wir von der Bundesregierung stellen uns auf die sichere Seite. Unsere Wachstumsprognose beträgt rund 1¾ Prozent, spitz gerechnet: 1,7. Ich bin optimistisch, dass man im nächsten Jahr wieder sagen kann: Wir haben die Zielmarke überschritten und sind nicht daruntergeblieben. ({4}) Wir erwarten eine Zunahme der Zahl der Beschäftigten um 300 000 im Jahr 2007. Das ganz besonders Erfreuliche daran ist: Dieses Wachstum der Beschäftigung wird in allererster Linie im sozialversicherungspflichtigen Bereich stattfinden. Das ist auch für die Konsolidierung der Sozialkassen ganz wichtig. Die Zahl der Arbeitslosen wird im Jahresdurchschnitt weiter um etwa 480 000 auf rund 4 Millionen zurückgehen. Hier besteht die Chance, dass wir möglicherweise im Jahresdurchschnitt unter 4 Millionen bleiben. Aber ganz genau weiß man das selbstverständlich immer erst, wenn das Jahr herum ist. Wir sind also auf einem guten Weg, keineswegs am Ziel. Wir dürfen die Menschen nicht in der Illusion wiegen, dass alles prima und paletti sei und von selber so weitergehe. Genau das ist nicht der Fall. Wir müssen das Wachstum auch nutzen, um Reformen durchzuführen. ({5}) Wir müssen vor allen Dingen aufhören, den Menschen Angst vor Reformen zu machen. Sie haben immer Angst, für sie ändere sich etwas zum Negativen. Aber wenn man spürt, es wächst und es geht voran, dann hat man auch sehr viel mehr Vertrauen in Reformen. Wir leben in einer Welt, die sich, ob man will oder nicht, täglich wandelt. Wir müssen den Wandel positiv mitgestalten, damit wir Deutschen bleiben, was wir sind, nämlich Welthandelsnation Nummer eins und die drittstärkste Nation dieser Erde, was Industrieproduktion anbelangt. ({6}) An der Stelle möchte ich sagen: Ich freue mich, dass ich der Präsident von vier europäischen Räten bin. Ich habe inzwischen viel über europäische Politik dazugelernt und darüber, wie es auf europäischer Ebene zugeht. Ich vertrete die Interessen Europas in der Welt mit großer Überzeugung. Aber innerhalb Europas vertrete ich deutsche Interessen. ({7}) Ich sehe darin überhaupt keinen Widerspruch. Wenn der deutsche Wachstumsmotor gut läuft, dann ist das gut für Europa. Das passiert aber nicht im luftleeren Raum, sondern man muss immer wieder konkret sagen, wo unsere deutschen Interessen liegen. Manchmal gibt es nämlich konkurrierende Interessen. Wir wollen die CO2-Emissionen - nach der Mehrheitsmeinung in der Wissenschaft sind diese Emissionen Ursache für die Erderwärmung, die uns immer mehr Sorgen macht -, soweit uns das möglich ist, bekämpfen. Aber wir müssen es in der Weise tun, dass die deutsche Wirtschaft darunter nicht so leidet und dadurch die Beschäftigung in andere Teile der Welt abwandert, wo man sehr viel weniger sorgfältig mit der Umwelt umgeht. Auch das muss man immer wieder ganz deutlich herausstreichen und man muss alles tun, um die Menschen auf diesem Weg mitzunehmen. Ich möchte noch kurz auf den Bereich der Autos zu sprechen kommen. Natürlich wollen wir, dass der Schadstoffausstoß immer geringer wird. Dazu braucht es neue Entwicklungen und Zeit. Wir können aber kein Diktat der Kommission hinnehmen und wir können auch nicht hinnehmen, dass man alles über einen Kamm schert. ({8}) Ein anderes Beispiel, bei dem es um deutsche Interessen geht. Nicht nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der betreffenden Industrie machen sich berechtigte Sorgen, dass der EADS-Konzern, der das europäische Gemeinschaftsflugzeug Airbus baut und der breiter aufgestellt ist und nicht nur den zivilen Flugzeugbau umfasst, schwierige Zeiten durchläuft. Nun ergibt es keinen Sinn - dieses Haus wird sich noch damit beschäftigen -, alle Fehler aufzuzählen, die in der Vergangenheit passiert sind. Sicher sind darunter auch hausgemachte Fehler: im Management und in einzelnen Unternehmensteilen. Wenn es nun um die Sanierung geht, müssen wir natürlich darauf achten, dass dabei die Interessen der deutschen Standorte gewahrt bleiben. ({9}) Dafür werde ich mich mit Nachdruck einsetzen, soweit unser öffentliches Gemeinwesen überhaupt darauf Einfluss haben kann. Dieser Einfluss besteht weniger in Subventionen und Hilfen, die direkt aus meinem Haushalt fließen. Wir wissen auch, dass der Verteidigungsminister wesentliche Teile seines Investivhaushaltes für Aufträge an den EADS-Konzern verwendet. Wir müssen natürlich darauf achten, dass unsere Interessen berücksichtigt werden, wenn es um Entscheidungen darüber geht, wo in Zukunft die hochqualifizierten Arbeitsplätze sein werden. ({10}) Ich möchte noch zu ein paar Details des Jahreswirtschaftsberichts kommen. Wir müssen natürlich schauen, dass die Investitionsdynamik unserer Wirtschaft erhalten bleibt. Dazu gehört, dass wir weiter Reformen durchführen. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass wir die Unternehmensteuerreform, die in das Verhalten der Wirtschaft quasi schon eingepreist ist, zügig umsetzen. Man verlässt sich darauf, dass wir eine Unternehmensteuerreform durchführen und dass wir unsere Steuersätze wettbewerbsfähig machen. Wir haben nun das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorliegen, das uns auferlegt, Veränderungen im Erbschaftsteuerrecht vorzunehmen. Der Finanzminister wird in den nächsten Tagen sicher noch viel dazu sagen. Ich meine: Jetzt zeigt sich deutlich, wie nötig es gewesen ist, dass wir einen Gesetzentwurf eingebracht haben, durch den die Unternehmensnachfolge erleichtert wird. Angesichts der Tatsache, dass in Zukunft die bebauten Betriebsgrundstücke höher bewertet werden müssen, wäre der Betriebsübergang, was die Kapitalentnahme angeht, insbesondere bei mittleren und kleinen Unternehmen noch sehr viel schwieriger. Deswegen müssen wir schauen, dass wir diese Reform zügig abschließen und dass ein vernünftiges Ergebnis auf den Tisch gelegt wird. ({11}) Wir wollen weiter modernisieren. Wir wollen Bürokratie abbauen. Dazu haben wir zwei Mittelstandsentlastungsgesetze eingebracht. Das eine steht schon im Bundesgesetzblatt; das andere befindet sich jetzt im parlamentarischen Verfahren. Damit ist es noch nicht zu Ende; wir werden weiter daran arbeiten. Wir drängen in der Europäischen Union darauf, dass auch dort ein Bürokratieabbau erfolgt. Das 25-Prozent-Ziel, das man sich dort gesetzt hat, ist ein richtiges und konkretes Ziel; es ist zu erreichen. Wir wollen die Unternehmungen nicht ständig mit neuen Regulierungen knebeln, sondern dem unternehmerischen Handeln Raum geben. Wir wollen vor allen Dingen auch - dafür will ich mich während der Ratspräsidentschaft ganz besonders einsetzen -, dass die Zoll- und Zugangsschranken auf den internationalen Märkten weiter gesenkt bzw. beseitigt werden. Wir möchten, dass die Doharunde der WTO-Verhandlungen erneut an Dynamik gewinnt. Ich bedanke mich bei Frau Bundeskanzlerin Merkel, dass sie sich dafür beim amerikanischen Präsidenten ganz besonders eingesetzt hat. Ich halte das für künftiges Wachstum in Deutschland, Europa und der Welt für unverzichtbar. ({12}) Wir wollen auch, dass die Wissensgesellschaft weiter ausgebaut wird. Dafür sind in dieser Legislaturperiode zusätzliche Haushaltsmittel bereitgestellt. Seitens meines Hauses wird gerade damit der mittelständischen Wirtschaft sehr stark geholfen, Forschung und Innovationen zu fördern. Wir müssen natürlich immer da modernisieren, wo es notwendig ist, und in zukunftsgerichtete Technologien investieren. Dabei kommt es zwangsläufig zu Veränderungen. Ich bin, obwohl es gestern Abend keine volle Einigung gegeben hat, immer noch optimistisch, dass es uns gelingt, die Förderung der deutschen Steinkohle sozialverträglich und kalkulierbar für alle zurückzuführen mit dem Ziel, sie zu beenden. Denn es gibt auf dem Weltmarkt genügend Kohle. Sie ist dort sehr viel billiger einzukaufen. Es ist besser, die Ressourcen, die dort gebunden werden, in zukunftsgerichtete Technologien zu stecken. ({13}) Damit bin ich bei meinem letzten Thema: bei der Energie. Die Preissteigerungsrate des letzten Jahres, die mit 1,7 Prozent sehr maßvoll war, beruht zu 0,8 Prozent auf gestiegenen Energiekosten. Daran hat natürlich der hohe Öl- und Gaspreis einen wesentlichen Anteil, aber auch die Tatsache, dass wir innerhalb des Energiemarktes in Deutschland noch nicht genügend Wettbewerb haben. Es gibt jetzt hoffnungsfrohe Ansätze. Wir werden uns in der Europäischen Union für mehr Wettbewerb einsetzen. Der gemeinsame europäische Energiemarkt ist so wichtig, wie es einmal die Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die vor 50 Jahren am Anfang des Prozesses der europäischen Vereinigung stand, war. Bis dahin werden wir auch mit nationalen Maßnahmen dafür sorgen, dass den Verbrauchern nicht übermäßig in die Tasche gegriffen wird. ({14}) In diesem Zusammenhang möchte ich all jene, die sagen, das Ganze sei ein Handeln wider die Marktwirtschaft, an Ludwig Erhard erinnern, der immer gesagt hat: Zur sozialen Marktwirtschaft gehört auch, dass man eine entsprechende Kartellgesetzgebung hat, um Oligopolen auf die Finger zu schauen. ({15}) - Vielen Dank. Ich nehme den Beifall gerne entgegen, auch von der ganz linken Seite dieses Hauses. ({16}) Lassen Sie mich mit einem herzlichen Dank an diejenigen schließen, die dazu beigetragen haben, dass eine Sorge, die uns bewegt hat und über die wir oft diskutiert haben, etwas geringer geworden ist. An der Steigerung der Zahl der angebotenen Lehr- und Ausbildungsplätze haben viele - auch in diesem Hause - mitgewirkt. ({17}) Es gibt hier wunderbare Beispiele. Mich freut ganz besonders - dies darf ich noch ausführen -: Diejenige Handwerkskammer, die zumindest nach den mir vorliegenden Zahlen das Angebot am stärksten gesteigert hat, war die Handwerkskammer von Unterfranken. ({18}) Das ist zufälligerweise meine Heimat. Ich bedanke mich bei ihr stellvertretend für alle, die das fast genauso gut gemacht haben. Danke schön. ({19})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion. ({0})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Handballer sind spitze, unsere Fußballer sind klasse, nur die Kopfballer von der Regierung bleiben auf der Bank sitzen. So wird man nicht Weltmeister. ({0}) Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben den Jahreswirtschaftsbericht mit den Worten „Den Aufschwung für Reformen nutzen“ überschrieben. Damit haben Sie völlig recht. Sie müssen die Zeit, in der sich die wirtschaftliche Lage verbessert, nutzen, um endlich notwendige Reformen anzupacken. Das Dach repariert man am besten, wenn es draußen nicht heftig regnet. Aber Sie müssen auch handeln. Mit dieser Aussage haben Sie recht. Aber warum handelt die Bundesregierung nicht? Wer hindert sie daran? Wir nicht. Die große Koalition ist eher eine Achse der Reformunwilligen, die anstehenden Reformen werden von ihr nicht angepackt. ({1}) Vor lauter Frühlingsgefühlen haben Sie in der Regierung offenbar zu früh die Badehosen angezogen. Draußen sind aber noch Regen und Wind. Wir stellen fest: Das Wirtschaftswachstum schwächt sich gegenüber dem Vorjahr ab, die Massenarbeitslosigkeit ist unverändert hoch, und der Konsum ist gedämpft. Es geht nicht darum, Reformen nur um der Reform willen zu machen, also Aktionismus zu betreiben. Das haben Sie uns bei der Gesundheitsreform zur Genüge vorgeführt. „Viel Lärm um nichts“ ist noch milde formuliert. Shakespeare würde sich bei dem Vergleich wahrscheinlich im Grabe umdrehen. Nein, Sie haben viel Lärm um nichts Gutes gemacht: um höhere Steuern, um noch mehr Bürokratie, um höhere Kassenbeiträge und um weniger Wettbewerb. Es geht aber um sinnvolle Reformen, die erfolgreiches Wirtschaften auf lange Sicht möglich machen sollen. Da ist nicht alles Gold, was Sie uns als glänzend verkaufen wollen. Sie können das im Hauptgutachten der Monopolkommission nachlesen. Deutsche Unternehmen verlagern nach wie vor in beachtlichem Umfang ihre Aktivitäten ins Ausland. Wir können und wollen nicht mit Niedriglohnländern konkurrieren, aber es muss doch Aufgabe der Politik sein, dafür zu sorgen, dass die Unternehmen ihre Firmensitze nicht wegen zu hoher Steuern oder starrer Arbeitsmärkte ins Ausland verlagern. Wir brauchen andere Rahmenbedingungen. ({2}) Herr Glos, ich will Ihr Bemühen um den Bürokratieabbau nicht bestreiten. Die Bürokratiekosten unserer Unternehmen werden auf 46 Milliarden Euro geschätzt. Durch das Mittelstandsentlastungsgesetz haben Sie davon knapp 60 Millionen Euro gestrichen. Es ist nicht verkehrt, statistische Erhebungen für Kleinunternehmen auf drei Stichproben pro Jahr zu beschränken, die Gewinngrenzen für die Buchführungspflicht zu erhöhen und Anfragen ans Gewerberegister zu vereinfachen. All diese Maßnahmen sind richtig, aber sie reichen nicht. Sie müssen umfassend Bürokratie abbauen und die Unternehmen entlasten. ({3}) Ich weise auf die Generalunternehmerhaftung hin. Ein Generalunternehmer haftet für seine Subunternehmer, wenn diese Sozialversicherungsbeiträge nicht abführen. Ich weise auf die Bauabzugsteuer hin. 15 Prozent des Rechnungsbetrags müssen, wenn keine bürokratische Freistellungsgenehmigung vorliegt, an den Staat abgeführt werden. Die Motive von Grün-Rot, die Steuerhinterziehung abzuschwächen oder sogar zu unterbinden, waren ehrenwert, herausgekommen ist dabei aber: großer Aufwand und wenig Ergebnis. Deshalb sollten diese Maßnahmen abgeschafft werden. ({4}) Das Auslaufen der Steinkohlesubvention in elf Jahren feiern Sie als großen Erfolg. Wer sich das Rauchen abgewöhnen will und sich als Erstes hundert Stangen Zigaretten kauft, hat den falschen Ansatz gewählt. Hier sollten Sie mutiger und engagierter herangehen. Herr Rüttgers versucht ja, noch ein wenig Schwung in die Sache zu bringen. Vielleicht schafft er es zusammen mit der FDP in Nordrhein-Westfalen. ({5}) Mit Ihrem Dreiklang - sanieren, reformieren, investieren - sind Sie nicht weit gekommen. Den Haushalt über Steuererhöhungen sanieren zu wollen, bleibt der falsche Weg. Unser Konzept wäre, den Haushalt über Ausgabenkürzungen, über echtes Sparen, in Ordnung zu bringen, wie es jeder Private macht. Wenn er mehr ausgibt, als er einnimmt, streckt er sich nach der Decke. Sie hingegen erhöhen einfach die Einnahmen, während die Ausgaben relativ starr bleiben. ({6}) Auch zur Sicherung eines dauerhaften Wirtschaftswachstums haben wir ein anderes Konzept als SchwarzRot. Zu Recht wird herausgestellt, dass die Arbeitsproduktivität ansteigt. Das ist in Zeiten des Aufschwungs aber immer so. Da die Auslastung der Kapazitäten beim Aufschwung zunimmt, Sie also mit den gleichen Maschinen eine höhere Produktion erreichen, bedeutet das eine Steigerung der Arbeitsproduktivität. Wir müssen dafür sorgen, dass das Arbeitsvolumen zunimmt, dass wir mehr Beschäftigung haben. Die Unternehmen brauchen berechenbare Bedingungen. Dann werden die steigenden Umsätze auch von entsprechend steigenden Einstellungszahlen begleitet. Dafür müssen Sie die Voraussetzungen schaffen. ({7}) Der Konsum ist durch die Mehrwertsteuererhöhung gedämpft. Der positive Einmaleffekt, der von der Fußballweltmeisterschaft im vergangenen Jahr ausging, greift nicht mehr. Der Ifo-Index und die Zahlen zum Konsumklima verdeutlichen die gedämpfte Stimmung. Die Zahlen kommen nicht von ungefähr. Man kann sie nicht einfach verstecken. Sie zeigen an, dass Sie in diesem Jahr steuerpolitisch auf die Bremse getreten sind, obwohl Sie eigentlich Gas geben müssten, zum Beispiel bei der Unternehmensteuerreform. Davon ist aber nichts erkennbar. Machen Sie Tempo, damit sich der Aufschwung verstetigt, langanhaltend ist und die Beschäftigung endlich umfassend steigt! ({8}) Zur Steuervereinfachung geschieht praktisch gar nichts. Das ist eine Fata Morgana der Regierung. Die steuerlich schwierige Situation ist einer der Kernpunkte, warum viele Existenzgründer, kleine und mittlere Unternehmen sowie Mittelständler am Verzweifeln sind. Sie machen das Steuerrecht noch komplizierter, anstatt es zu vereinfachen. Es ist der Gipfel, dass man, wenn man eine Auskunft dazu haben möchte, noch Geld dafür zahlen muss. Das halte ich für Zynismus. ({9}) Um zu mehr Beschäftigung, zu mehr Arbeit zu kommen, müssen die Gewerkschaften von ihrem Irrglauben, dass man durch Arbeitszeitverkürzung Vollbeschäftigung erreichen könne, Abstand nehmen. Arbeitszeitverkürzungen, Altersteilzeit und Frühverrentungen waren falsche Wege. Wir müssen das anders anpacken. Eine liberale Politik für mehr Wirtschaftswachstum würde den Unternehmen nicht mehr Bürokratie aufladen, wie Sie es mit dem Antidiskriminierungsgesetz tun. Auch wenn Sie das Etikett „Wir wollen Bürokratie abbauen“ durch die Gegend tragen, machen Sie genau das Gegenteil: Sie machen es komplizierter. ({10}) Sie müssen das Risiko von Neueinstellungen durch vernünftige Arbeitsmarktreformen mindern. Sie müssen den Kündigungsschutz modernisieren, damit die kleinen Unternehmen keine Angst haben, dass sie sich, wenn sich die Wirtschaftslage verschlechtert, von neu eingestellten Mitarbeitern nicht mehr trennen können bzw. es unverhältnismäßig teuer wäre. Betriebliche Bündnisse für Arbeit sind zu ermöglichen. Die Union hat vor der Wahl immer erklärt, dass das erforderlich ist. Jetzt ist davon nichts mehr zu merken. Es ist ein Irrglaube, mit Mindestlöhnen Vollbeschäftigung erreichen zu können. Herr Müntefering, vielleicht geht man nicht nach Krakau zum Friseur. Vielleicht geht man aber seltener zum Friseur und lässt sich die Haare dann kürzer schneiden. Auch so kann man auf Verteuerung und Verkomplizierung reagieren. Die Mehrwertsteuererhöhung ist bereits eine Konsumbremse. Fügen Sie durch die Einführung des Mindestlohns nicht eine weitere Beschäftigungsbremse hinzu! Der Mindestlohn wird nur zu einem führen: Er wird die Schwarzarbeit fördern. Sie bauen eine Illusion auf. ({11}) Ein zu hoher Mindestlohn vernichtet Arbeitsplätze; ein zu niedriger Mindestlohn hat keinen Effekt. Es wäre reiner Zufall, wenn Sie die richtige Höhe beim Mindestlohn treffen würden. Tarifautonomie braucht mehr Vielfalt. Wir brauchen neue Elemente, wir müssen aus den Schützengräben heraus. Gewinnbeteiligung und Investivlohn können richtige Ansätze sein. Es muss aber Wahlfreiheit herrschen. Man kann zum Beispiel nicht den Investivlohn einführen wollen und dann sagen: Aber die Risiken werden verstaatlicht. Wenn ich einen Anteil an einem Unternehmen besitze, trage ich ein Stück weit auch das Risiko mit. Deshalb kann das nur freiwillig geschehen, nicht zwangsweise. Gewinnbeteiligung oder konjunkturabhängige Elemente bei der Entlohnung wie Einmalzahlungen sind Wege, die eine Entschärfung von Tarifkonflikten bedeuten würden. Moderate Lohnerhöhungen und mehr Beschäftigung sind besser als starke Lohnerhöhungen und das Verharren auf hoher Arbeitslosigkeit. Sie sehen, es ist viel zu tun. Der Wirtschaftsminister hat mit seinem Motto völlig Recht: den Aufschwung nutzen für Reformen. Nur muss man es auch tun. Der Wirtschaftsminister verdient Unterstützung in der Regierung. Man darf ihn mit seiner mahnenden Stimme nicht allein stehen lassen. Deshalb sollten die Kopfballer der Regierung aufstehen und den Wirtschaftsminister unterstützen. Er hat es verdient. Nur in Selbstlob und Selbstbeweihräucherung zu verharren, ist kein Weg hin zu mehr Beschäftigung. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Ludwig Stiegler für die SPD-Fraktion. ({0})

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe aufrichtiges Mitleid mit dem Kollegen Brüderle. Gestern Abend habe ich noch einmal seine Rede vom letzten Jahr gelesen. Wenn die Prophezeiungen aus dieser Rede eingetroffen wären, dann hätten wir heute den Weltuntergang. Herr Brüderle, es ist einfach ärgerlich: Die Konjunktur ist Ihrem Pessimismus nicht gefolgt. Sie ist ihren eigenen Weg gegangen. Diesen Weg haben der Wirtschaftsminister und die Koalitionsfraktionen vorgezeichnet. ({0}) Sie unken inzwischen sehr einsam in dem Glas, in dem die Wetterfrösche sitzen. Sie sind eine ganz einsame Unke. Bitte kommen Sie da heraus. ({1}) Die Institute kommen heraus; auch sie saßen ganz weit unten in dem Glas. Sie beeilen sich jetzt und übertreffen sich gegenseitig. Der Sachverständigenrat schleppt sich heraus. Auch die Presse kommt heraus. Wenn Sie sich einmal anschauen, was dieser Koalition im letzten Jahr von all den sogenannten Fachleuten prophezeit wurde und wie die Wirtschaft abgebildet wurde, dann sehen Sie, dass genau das Gegenteil von dem eingetreten ist, was dieser geballte Sachverstand uns hat weismachen wollen. Also verlassen wir uns besser auf uns statt auf Ratgeber, die immer nur ihre ideologischen Vorstellungen durch ihre ökonometrischen Modelle rechtfertigen wollen. ({2}) Wir waren in der Wirtschaftspolitik erfolgreich. Wir waren in der Finanzpolitik erfolgreich. Wir haben den Haushalt 2006 mutig angepackt. Der Finanzminister ist dafür belohnt worden. Ich sage noch einmal: Dieser Aufschwung war kein Selbstläufer. Manche sagen, es lag an der Weltwirtschaft, und manche sagen, es lag an den Unternehmen. ({3}) Das Muster ist immer das gleiche: Geht es schlecht, dann ist die Politik schuld, geht es gut, dann liegt es an der Tüchtigkeit der Manager. Diese Aufteilung machen wir nicht mit. Wir schauen genauer hin. Wer sich den Aufschwung und seine Komponenten im Jahre 2006 ansieht, der erkennt, dass die Politik der Großen Koalition einen enormen Anteil daran hat. ({4}) Ich nenne als Beispiel die energetische Gebäudesanierung. Der Haushaltsausschuss hat das Programm noch einmal aufgestockt. 17 Milliarden Euro sind ausgegeben worden. Das entspricht Investitionen in Höhe von 27 Milliarden Euro. Allein das bedeutet ein Wachstum um mehr als einen Prozentpunkt. Wenn man dann noch die Außenwirtschaft mit 0,7 Prozent dazurechnet, dann sieht man, dass es eine gute Wirtschaftspolitik war, die den Aufschwung ermöglicht hat. Wir haben letztes Jahr gesagt: Wir müssen den Kessel anheizen, damit die berühmten drei Schneebälle verdaut werden können. Siehe da, die drei Schneebälle zum 1. Januar dieses Jahres werden verdaut, weil der Kessel heiß ist. Bald können Sie, Herr Brüderle, sogar darin baden, wenn Sie noch ein bisschen warten. ({5}) Nicht nur für die energetische Gebäudesanierung danke ich der KfW sehr, sondern auch für die EigenproLudwig Stiegler gramme der KfW, die eine sehr große Nachfrage induziert haben. Wir haben das Handwerk gefördert. Das Handwerk ist mit unserem Programm hausieren gegangen. Die Handwerker verzeichnen wieder Umsätze und nehmen Einstellungen vor. Der Rückgang wurde gestoppt. Wir haben dem Handwerk eine Renaissance ermöglicht. Auch das war eine politische Entscheidung. Da klatscht sogar Ernst Hinsken. ({6}) - Wenn es ums Handwerk geht, halten Niederbayern und Oberpfälzer zusammen. Ich erinnere an die Sonderabschreibung von Ausrüstungsinvestitionen. Dieses Programm haben wir während der Koalitionsverhandlungen mit dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau besprochen. Wir haben die Wirkungen vorausgesagt, und siehe da: Die Ausrüstungsinvestitionen sind im letzten Jahr deutlich gestiegen, und sie werden auch in diesem Jahr steigen, weil das Programm am Ende dieses Jahres ausläuft. Man wird in diesem Jahr investieren und nach der Unternehmensteuerreform ernten können. Das hat 2006 Impulse gegeben, und es wird auch 2007 Impulse geben. Oder denken wir an die Infrastruktur, für die der Haushaltsausschuss die Mittel erhöht hat. Der Bauminister hat die Städtebauförderung vorangetrieben. In Ost wie in West ist im Stadtumbau einiges geschehen. Ich danke unseren - das waren noch die rot-grünen Finanz- und Haushaltspolitikern, die die Gewerbesteuer erhalten haben. Die Kommunen haben wieder Geld und treten wieder als Investoren auf dem Markt auf. Auch das ist eine späte politische Ernte. ({7}) Schließlich danke ich den Touristen, die gerade bei der Fußballweltmeisterschaft eine Menge zum IncomingTourismus beigetragen und damit gezeigt haben, dass er ein erheblicher Wachstumsträger ist. Also: Es waren nicht die Helden der Wirtschaft. Da gibt es sogar welche, die sich vom Aufschwung haben überholen lassen. So muss das Handwerk beklagen, dass keine Dämmstoffe mehr geliefert werden, weil die Produktion stockt. Es waren also nicht alle so helle und so optimistisch. Manche waren eher in Brüderle’schem Pessimismus verhangen. Das bremst zurzeit. Doch insgesamt hat die Wirtschaft zusammen mit der Politik in 2006 eine gute Entwicklung geschafft, auf die wir gemeinsam stolz sein können. ({8}) 1,5 Prozentpunkte des Wachstums sind politisch induziert. Nun ist der Aufschwung selbsttragend. Die Inlandsnachfrage hat fast alle Branchen und Unternehmensgrößen erreicht. Der Außenbeitrag stimmt. Der Arbeitsmarkt ist in Bewegung. Die Großen bauen zwar ab, doch die Kleinen stellen ein. Also lasst uns - da schließe ich mich dem Wirtschaftsminister an - den kleinen und mittleren Unternehmen danken und uns um ihre Belange kümmern! ({9}) Die Erwerbstätigenquote hat sich das Jahr über kontinuierlich positiv entwickelt. Brüderle hat gestern gesagt: Das war der milde Winter. Sie haben dabei übersehen, dass wir inzwischen ein Saisonkurzarbeitergeld für die ganzjährige Beschäftigung in der Bauwirtschaft haben. Das wirkt. Ich danke unseren Sozialpolitikern, die das vorbereitet haben, und ich danke auch denen in der Union, die ihre Bedenken am Ende zurückgestellt haben, dass wir dieses Saisonkurzarbeitergeld haben. Hoffentlich können wir es auf andere Branchen ausdehnen. Ich danke vor allem dem Bundesarbeitsminister, dass er dieses Vorhaben so durchgezogen hat. Auch das trägt zur Kontinuität der Beschäftigungsentwicklung bei. ({10}) Wir haben den Staatshaushalt unter Kontrolle gebracht. Was ist am Anfang des Jahres geunkt worden! Alles falsch: Wir halten die Maastrichtgrenze ein, und auch die Inflation ist trotz steigender Energiepreise unter Kontrolle. Das muss man immer wieder betonen; da hatten wir schon andere Zeiten mit anderen Problemen. Aber es gilt auch nach dem Schiller-Jahr: Des Lebens ungemischte Freude Ward keinem Irdischen zuteil. Der Schatten folgt dem Licht, hat Walter Giller einmal gesungen. Das Bruttoinlandsprodukt bzw. das Nationaleinkommen ist von der Entstehungsseite her okay. Es ist von der Verwendungsseite her besser geworden: Der private Verbrauch ist gestiegen. Aber die Verteilungsseite des Bruttoinlandsprodukts ist nach wie vor ein Problem, das uns nicht ruhen lassen kann. Das Volkseinkommen ist 2006 um 3,1 Prozent gestiegen; je Einwohner sogar um 3,3 Prozent, weil die Bevölkerungszahl etwas gesunken ist. Aber die beiden Komponenten des Volkseinkommens haben sich sehr unterschiedlich entwickelt. Das Arbeitnehmerentgelt mit 1 144 Milliarden Euro ist nur um 1,3 Prozent gewachsen. Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen mit 584 Milliarden Euro sind um 6,9 Prozent gewachsen. Schaubild 21 im Jahreswirtschaftsbericht zeigt, wie die Schere an dieser Stelle auseinandergeht. Das kann uns nicht freuen, und das darf uns auch nicht ruhen lassen. ({11}) Alarmierend ist die Lohnquote. Sie ist von 67,4 Prozent im Jahr 2005 auf 66,2 Prozent im Jahr 2006 heruntergegangen. Im Jahr 2000 waren es noch 72,2 Prozent. Die Lohnquote ist also zu niedrig. Die Bruttolöhne sind 2006 nur schwach um 1,4 Prozent gestiegen, die Nettolöhne nur um 0,3 Prozent. Der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst ist nur um 0,7 Prozent gestiegen. Beim Nettoverdienst ist sogar ein Minus von 0,3 Prozent zu verzeichnen. Allerdings wird sich die Lage 2007 bessern, weil die Sozialversicherungsbeiträge per Saldo unter 40 Prozent sinken. ({12}) Aber auch diese Entwicklung darf uns nicht ruhen lassen. Die Masseneinkommen stagnieren. Das hat auch makroökonomische Folgen. In diesem Zusammenhang sind folgende Zahlen sehr wichtig: Die monetären Sozialleistungen betrugen 2005 - für 2006 liegen die Zahlen noch nicht vollständig vor - 377,4 Milliarden Euro gegenüber Nettolöhnen in Höhe von 601,4 Milliarden. Dies entspricht einem Verhältnis von etwa 40 zu 60, und das muss sich ändern. Das Volkseinkommen ist noch nicht gerecht verteilt. Daran muss sich etwas ändern. Wir brauchen mehr Beschäftigung und bessere Löhne. Nur dann kommt es zu einem nachhaltigen Wachstum. Das ist unsere Botschaft an die Tarifpartner. ({13}) Wir stellen aber fest, dass das Lohndumping zunimmt. Immer mehr Menschen müssen mit Blick auf ihren Lebensunterhalt ihr Einkommen zusätzlich aufstocken. Deshalb müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Jahr mindestens durch Einmalzahlungen an den besseren Unternehmensergebnissen beteiligt werden. Es gibt durchaus Argumente dafür, dass das Lohnniveau im internationalen Wettbewerb nicht auf Dauer steigen kann. In einem guten Wirtschaftsjahr muss aber die Beute gerecht geteilt werden. Die Arbeitnehmer können nicht von einem guten Unternehmensergebnis ausgeschlossen werden. ({14}) Wir müssen stärker gegen das Lohndumping vorgehen. Ich denke in diesem Zusammenhang an den lizenzierten Bereich der Post. Bei der Post selber sind über 38 000 Arbeitsplätze abgebaut worden. Bei den Lizenznehmern sind zwar etwa 30 000 Arbeitsplätze entstanden, 60 Prozent sind aber prekäre Arbeitsverhältnisse. ({15}) - Das hat nicht der Gesetzgeber gemacht. Wir können aber etwas tun. Wir haben ein Postgesetz, und die Lizenznehmer müssen die allgemeinen Arbeitsbedingungen beachten. Wir fordern die Bundesnetzagentur auf, sich um die Löhne und Gehälter im lizenzierten Bereich der Post zu kümmern. Wir wollten mit der Postreform nicht erreichen, dass die Löhne sinken, sondern dass die Leistungen verbessert werden. ({16}) Deshalb werden wir auch mit der Union weiter über das Thema Mindestlohn reden. Herr Brüderle, es geht nicht nur um den Friseur. Auch den Flughafen München wird man nicht nach Krakau oder irgendwo anders hin verlegen können. Deshalb sehe ich nicht ein, dass die Leute oben in Glanz und Glimmer spazieren gehen, während die, die den Flughafen sauberhalten, bei Franz Müntefering anklopfen müssen, um ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. So haben wir nicht gewettet. ({17}) Wenn ich die Kanzlerin richtig verstehe, dann wollen wir keinen flächendeckenden Mindestlohn. Daraus höre ich als alter Hermeneutiker, dass über nichtflächendeckende Branchenmindestlöhne diskutiert werden kann. Es kann sein, dass ich mich irre, ({18}) aber mit einer gewissen hermeneutischen Kreativität kann man das aus dieser Äußerung heraushören. Insofern sage ich mit Franz Beckenbauer: „Schaun mer mal!“ Wenn der Franz schaut, dann kommt auch etwas dabei heraus. Das gilt für beide Franze. Ich glaube, das können wir schon miteinander angehen. Meine Damen und Herren, ich habe nur noch einen letzten Punkt, denn die Zeit läuft davon. Wir müssen uns dieses Jahr auch darum kümmern, dass Finanzinvestoren kleine und mittlere Unternehmen nicht ausbeuten. Ich habe wieder eine aktuelle Agenturmeldung auf dem Tisch: M2 Capital will ein Oldenburger Unternehmen, CeWe Color, um 37 Millionen Euro erleichtern. Es geht nicht um Leistungen. Sie tarnen es hier nicht einmal als Beratungsleistung. Nein, sie wollen Beute machen und dem Unternehmen das Geld nehmen, das es bräuchte, um sich von der analogen in die digitale Welt fortzuentwickeln. Solchen Entwicklungen müssen wir einen Riegel vorschieben, meine Damen und Herren! Das kann nicht der Sinn der Wirtschaft sein. ({19}) Wir haben mit den Leitlinien 2007 einen guten Wegweiser. Der Staat erhält ein tragfähiges Fundament. Der Wettbewerb und die Investitionsdynamik steigen, die Wissensgesellschaft wird vorangebracht, die Wohlstandsgrundlagen werden damit nachhaltig gesichert, und die Beschäftigungspotenziale werden für die unter 25-Jährigen und die über 50-Jährigen gehoben. Herr Brüderle, lassen Sie sich für die Rede 2008 etwas einfallen. Irgendwann geht der Pessimismus nicht mehr. Entscheiden Sie sich dann für Lob, Preis und Dank. Das ist die richtige rhetorische Konzeption. Herzlichen Dank. ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es ist doch ein schöner Beleg für die Solidarität der Demokraten, dass die Vorbereitung von Reden jetzt schon fraktionsübergreifend erfolgt. ({0}) - Eben drum. Präsident Dr. Norbert Lammert Das Wort hat nun der Kollege Oskar Lafontaine für die Fraktion Die Linke. ({1})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundeswirtschaftsminister hat das zurückliegende Jahr als ein sehr erfolgreiches Jahr bezeichnet. Wenn man sich bestimmte Zahlen ansieht, kann man zu diesem Urteil kommen. Aber wenn man die Frage stellt, für wen war das ein erfolgreiches Jahr, kommt man vielleicht zu einem ganz anderen Urteil. Deshalb stelle ich zunächst einmal für meine Fraktion fest, dass es positiv ist, dass die Wirtschaft wächst. Wir haben immer gesagt, dass dies die Voraussetzung dafür ist, um die Situation in Deutschland zu verbessern. Die Wirtschaft wächst. Wer sich nun die Federn dafür an den Hut stecken kann, darüber mag dann gerichtet werden, aber zunächst ist dies positiv. Positiv ist selbstverständlich auch, dass damit Haushaltskonsolidierungseffekte verbunden sind. Das ist im Interesse einer langfristigen, stetigen Finanzpolitik notwendig. Auch an dieser Stelle ist von unserer Seite nichts zu kritisieren. Zustimmen werden wir Ihnen auch, Herr Bundeswirtschaftsminister - falls Sie mir einmal Ihr Ohr leihen, es geht immerhin um Ihren Jahreswirtschaftsbericht -, wenn Sie sagen, Sie wollten auf die Kartellgesetzgebung zurückgreifen, wenn sich monopolartige Märkte bilden. Ich hatte an dieser Stelle bereits ausgeführt, dass für diese Denkart nicht in erster Linie Ludwig Erhard herangezogen werden muss, sondern Walter Eucken, der das sehr viel radikaler formuliert hat. Er sagte einmal: Es geht nicht um die Kontrolle wirtschaftlicher Macht - das ist die sozialdemokratische Position des Godesberger Programms; lange her -, es geht um die Verhinderung wirtschaftlicher Macht. Meine Damen und Herren, mit dieser Position fände Eucken bei den meisten Parteien in diesem Hohen Haus keinen Platz mehr. Soweit zu den positiven Würdigungen des Jahreswirtschaftsberichtes. Nun komme ich zu dem, was ebenfalls gesehen werden muss. Wenn die Wirtschaft wächst, wenn der Wohlstand wächst, stellt sich nämlich die Frage: Wo kommt das an? Und da ist das letzte Jahr eben kein gutes Jahr gewesen. Was der Kollege Stiegler vorgetragen hat, waren gute Absichtserklärungen, die den Kern des Problems nicht trafen. Das letzte Jahr und auch Ihre Projektion für dieses Jahr sind im Grunde genommen, wenn man Leistungen und Verteilung des Einkommens ansieht, eine einzige bodenlose Unverschämtheit und Frechheit. ({0}) Sie haben im letzten Jahr den Zuwachs des Wirtschaftswachstums klar verteilt: Die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sind um 6,9 Prozent gewachsen, das Arbeitnehmerentgelt ist um 1,3 Prozent gewachsen, und wenn Sie die Preissteigerung dazu in Relation setzen, die mit 1,7 Prozent angegeben wird, ist das eine einzige katastrophale Bilanz. ({1}) Alles, was Sie hier mit großem Getue an großen Erfolgen in der Wirtschaftspolitik vorlegen, geht an der großen Mehrheit der Menschen vorbei. Die Dreistigkeit ist darin begründet, dass das einfach so zur Kenntnis genommen wird, wenn auch - wie vorhin gehört - mit einigen Ausführungen, die aber keine Relevanz haben, weil nichts unternommen wird, daran etwas zu verändern. Ich lese Ihnen einmal Ihre eigenen Zahlen vor: Die Arbeitnehmerentgelte sind 2005 um 0,7 Prozent zurückgegangen, während Unternehmens- und Vermögenseinkommen ein Plus von 6,2 Prozent aufweisen. Im letzten Jahr wiesen die Arbeitnehmerentgelte ein Plus von 1,3 Prozent auf, während die Unternehmens- und Vermögenseinkommen um 6,9 Prozent stiegen. Nun sagen Sie: Unsere Absicht ist, das in diesem Jahr fortzusetzen. - Das ist der Skandal Ihrer Regierungspolitik. ({2}) - Herr Kollege Stiegler, Sie irren sich: Das ist keine Prognose, sondern eine Projektion, eine Absichtserklärung der Bundesregierung. Sie geht davon aus, dass die Arbeitnehmerentgelte in diesem Jahr ein Plus von 1,4 Prozent und die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen ein Plus von 5,0 Prozent - das ist wahrscheinlich noch niedrig angesetzt - aufweisen werden. Das Fazit lautet: In diesem Lande lohnt sich Leistung nicht. ({3}) Für qualifizierte Arbeit wird bestraft, während der leistungslose Besitz prämiiert und mit ständig steigenden Einkommen belohnt wird. Das ist die Bilanz Ihrer Wirtschaftspolitik. Sie tun nichts, um daran irgendetwas zu verändern. Vielmehr setzen Sie die Umverteilungspolitik der letzten Jahre fort. Vielleicht begreifen Sie das nicht. Auf der einen Seite wollen Sie eine Unternehmensteuerreform durchführen nach dem Motto: Die Unternehmer haben noch nicht genug und müssen daher um weitere 10 Milliarden Euro entlastet werden. Dadurch wird die Verteilung noch ungleicher. Auf der anderen Seite machen Sie sogenannte Reformen, die zu Sozialkürzungen führen. Das ist die ganze Ratio Ihrer Politik. Die bisherige Umverteilungspolitik wird in diesem Haus ohne Sinn und Verstand fortgesetzt. ({4}) Es ist immerhin gut, dass hier noch niemand Jubelarien gesungen hat, weil es nur noch 4,247 Millionen Arbeitslose gibt. Es ist positiv, dass sich der Wirtschaftsminister - er ist noch immer in ein angenehmes Gespräch vertieft - dies verkniffen hat. Aber es reicht nicht, dass ein Redner der SPD die schiefe Verteilung beklagt. Vielmehr muss darüber nachgedacht werden, was diese schiefe Verteilung verursacht. Das Problem ist, dass die große Mehrheit der Menschen weiß: Wenn Sie das Wort „Reform“ in den Mund nehmen, meinen Sie ausschließlich Sozialabbau. Die Menschen werden dadurch zunehmend verunsichert und fürchten sich vor Reformen. ({5}) Ich möchte Reformen nennen, die aus unserer Sicht notwendig sind und nicht zu weiteren Sozialkürzungen führen. Eine sinnvolle Reform wäre die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Es nutzt nichts, ständig das Lohndumping zu beklagen, wenn man nichts unternimmt, um die brutale Ausbeutung, die mittlerweile in Deutschland stattfindet, zu unterbinden. ({6}) Kürzlich ist durch die Presse gegangen, dass ein Hotel in Hamburg eine Reinigungskraft für 1,92 Euro pro Stunde beschäftigt hat. Das ist doch ein gesellschaftlicher Skandal. ({7}) Warum sitzt die Mehrheit dieses Hauses hier tatenlos herum und unternimmt nichts dagegen? Warum sind wir nach wie vor so anmaßend, zu glauben, dass wir alles besser wüssten als unsere europäischen Nachbarn? Wenn in vielen europäischen Staaten das Lohndumping durch Mindestlöhne bekämpft wird, wenn in unseren Nachbarstaaten Belgien, den Niederlanden, Frankreich und Großbritannien - ich könnte noch mehr Länder nennen - Mindestlöhne von 8 Euro pro Stunde gelten, dann ist es höchste Zeit, entsprechende Reformen in Deutschland durchzuführen. ({8}) Ich komme zur Verteilungspolitik. Herr Kollege Stiegler, Sie werden Ihr Händchen noch heben, wenn es um die Zustimmung zur Unternehmensteuersenkung geht. Nach all den vielen Milliardengeschenken, die in den letzten Jahren gemacht wurden, frage ich Sie: Wo bleiben denn die Arbeitnehmer? Sie haben doch Ihr Händchen gehoben, als es um die Zustimmung zur Mehrwertsteuererhöhung ging, die die Kaufkraft der großen Mehrheit des Volkes schwächt. Ihre Ausführungen hier sind doch total unglaubwürdig. Wenn Sie die ungerechte Verteilung beklagen, dann tun Sie doch endlich etwas! ({9}) Statt der Mehrwertsteuererhöhung wäre eine Reform notwendig gewesen. Beispielsweise bräuchten wir in Deutschland eine ähnliche Vermögensbesteuerung wie in anderen großen Industriestaaten. Hätten wir eine Vermögensbesteuerung wie Frankreich oder die USA, dann läge der Anteil des Aufkommens aus der Vermögensteuer am Bruttosozialprodukt bei über 3 Prozent. Das entspräche einem Plus von 50 Milliarden Euro. Hätten wir eine Vermögensbesteuerung wie Großbritannien, dann hätten wir ein Plus von 70 Milliarden Euro. Allein daran kann man erkennen, dass Ihre vielen Sozialabbauprogramme ein einziger Betrug waren. Sie sind doch die Ursache dafür, dass sich die Verteilung in Deutschland völlig falsch entwickelt hat. ({10}) Sie bieten der Bevölkerung nur Sprechblasen an. Beispielsweise hat Herr Rüttgers eine längere Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I für Ältere gefordert. Dazu wird gesagt: Das können wir eigentlich nicht bezahlen, allenfalls dann, wenn die Jüngeren weniger bekommen; das macht 1,8 Milliarden Euro. Wie unglaubwürdig ist eine solche Politik! Allein eine ordentliche Vermögensbesteuerung würde Sie spielend in die Lage versetzen, alle sozialen Ferkeleien in den letzten Jahren zurückzunehmen. So einfach ist das, wenn man bereit ist, die Prozentrechnung anzuwenden. ({11}) Jetzt komme ich zur Lohnpolitik. Da zeigt sich eine beispiellose Inkonsequenz. Der immer noch sehr schwatzhafte Bundeswirtschaftsminister hat vor einiger Zeit gesagt, er sei dafür, dass die Löhne steigen. Im Jahreswirtschaftsbericht steht jetzt das Gegenteil. Auch die Kanzlerin hat einmal gesagt, sie sei dafür, dass die Löhne steigen. Jetzt steht im Jahreswirtschaftsbericht wieder das Gegenteil. Sie wollen nicht nur in Deutschland das Lohndumping fortsetzen, sondern Sie wollen dieses sogar der Europäischen Union verordnen. Es steht dort nämlich - richtig brav von dem neoliberalen Beamten in der Wirtschaftsabteilung aufgeschrieben; wahrscheinlich haben Sie das nicht gelesen, deswegen lese ich es vor -: Für die Tarifvertragsparteien in allen EU-Mitgliedstaaten gilt es, ihre Lohnpolitik so auszurichten, dass sie vorrangig zur Stabilität des Preisniveaus sowie zu mehr Beschäftigung beiträgt. Das heißt also, wir müssen uns mehr zurückhalten, damit mehr Beschäftigung aufgebaut wird. Das ist der Irrtum des Neoliberalismus. Wenn alle europäischen Staaten ein solches Lohndumping wie Deutschland betreiben würden, dann hätten wir eine noch viel schwächere Binnenkonjunktur, als wir sie ohnehin haben. ({12}) Ich fasse zusammen: Es wird auf Dauer nicht gelingen, einen sich selbst tragenden, nachhaltigen Aufschwung in Deutschland ohne eine starke Binnenkonjunktur zu erreichen. Es wird auf Dauer nicht gelingen, die Verteilung in Deutschland zu ändern, wenn man nicht entsprechende Gesetze auf den Weg bringt. Daher sagen wir: Es ist positiv, dass die Wirtschaft wächst, es ist aber ein Skandal, dass das Wachstum der Wirtschaft nur einer Minderheit unseres Volkes zugutekommt. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Fritz Kuhn ist der nächste Redner für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion freut sich, wenn die Arbeitslosigkeit abgebaut wird. Wir haben gute Daten, und daran wollen wir nicht herumkritteln. Dass die Dividende von Reformen der vergangenen Regierung von dieser Bundesregierung eingestrichen wird, nehmen wir als Schicksal hin. Es kann auch einmal anders gehen. Dazu haben wir ein gelassenes Verhältnis. ({0}) Dennoch waren in Ihren Ausführungen, Herr Glos, Elemente von Schönrednerei, die ich nicht durchgehen lassen will. Sie haben - im Kontrast zur Diskussion über die Mehrwertsteuererhöhung des letzten Jahres - gesagt, das sei gar nicht so schlimm und der Aufschwung habe nur eine kleine Delle. Aber der Binnenmarkt bietet Anlass zur Sorge. Das Wachstum des Binnenmarkts wird von 0,6 Prozent im vergangenen Jahr auf 0,3 Prozent in diesem Jahr zurückgehen. Die Inflation ist höher als der Einkommenszuwachs der normalen Beschäftigten. Das heißt, dass dieser Aufschwung in erster Linie ein Exportund Investitionsgüteraufschwung ist, aber keiner des Binnenmarktes ({1}) Herr Stiegler, Sie könnten sich auch einmal einen neuen roten Pullover kaufen -, ({2}) ist ein klares Faktum. Darüber sollte man sich jedenfalls als Wirtschaftsminister Sorgen machen. Herr Glos, aus der heutigen Lage würde folgen - Herr Brüderle hat das angesprochen -, dass man in der Phase des Aufschwungs die notwendigen Reformen durchführt, die anstehen, weil Reformen leichter im Aufschwung als im Abschwung zu machen sind. Das haben wir in den vergangenen Jahren gesehen. Daran müssen sich der Jahreswirtschaftsbericht und die Politik, die Sie gegenwärtig betreiben, messen lassen. Übrigens, manche Ziele haben Sie nicht erreicht. Sie haben nicht erreicht, die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent zu drücken. ({3}) Herr Glos ist ein Rechenwitzbold. Er kommt auf die Zahl von 39,7 Prozent, weil er den Beitrag für die Krankenversicherung in Höhe von 0,9 Prozent, der 2004 beschlossen wurde und den die Arbeitnehmer allein bezahlen, einfach herausgerechnet hat. Dann können Sie gleich den Arbeitnehmeranteil herausrechnen; dann kommen Sie auf 20,3 Prozent und haben einen Riesenerfolg erzielt. Ich glaube, das Parlament lässt sich nicht für blöde verkaufen und nicht von Ihren Taschenspielertricks, Herr Glos, täuschen. Sie haben bislang das Ziel verfehlt, unter 40 Prozent zu kommen, weil die Lohnnebenkosten wegen der Erhöhung der Beiträge zur Rentenversicherung und zur Krankenversicherung steigen. Das ist niemandem verborgen geblieben. ({4}) Kommen wir jetzt zu den Reformen. Morgen reden wir über die Gesundheitsreform, die nicht nur von meiner Fraktion, sondern auch von allen Sachverständigen als Murks bezeichnet wird, weil sie keines der Probleme unseres Gesundheitssystems wirklich löst. Sie bringt nicht mehr Wettbewerb und nicht mehr Qualität, sondern eine chronische Unterfinanzierung des Systems, die von den Menschen entweder über Beiträge oder mit der kleinen Kopfpauschale zu bezahlen ist. Hier haben Sie den Reformspielraum, der vorhanden ist, nicht genutzt. Bei einem anderen Thema, nämlich der Arbeitsmarktpolitik, droht uns, dass der nächste Murks angefügt wird. Wenn Sie auf die Idee kommen, Mindestlöhne mit einem flächendeckenden Kombilohnansatz zu kombinieren, dann verbinden Sie etwas, was nicht zusammenpasst, und erreichen mit viel Geld, dass im Arbeitsmarkt überhaupt nichts passiert. Wir wissen, dass wir heute im Sozialgesetzbuch II und III genügend Modelle und Einzelpunkte haben, mit denen man für Menschen, die aufgrund spezifischer Probleme dauerarbeitslos sind, so etwas wie einen Kombilohn generieren kann. Machen Sie das aber flächendeckend, dann haben Sie riesige Mitnahmeeffekte und werden mit dem Kombilohn nichts erreichen. Deswegen appellieren wir an Sie: Kommen Sie zu einer undogmatischen Betrachtungsweise dessen, was am Arbeitsmarkt notwendig ist. Ich möchte drei Dinge nennen, die notwendig sind. Erstens: gezielteres Fördern der Dauerarbeitslosen. Da stehen wir immer noch auf der Bremse. Zweitens: ein möglichst branchenspezifischer Mindestlohn für Problemgruppen am Arbeitsmarkt. Ich will Ihnen eine Problemgruppe nennen, die für mich im Vordergrund steht - das kann man nach unterschiedlichen Methoden beurteilen -: Die Zeitarbeit und Leiharbeit ist eine Branche, die sich in unserer Wirtschaft zunehmend zu einem Lohndumpingbereich entwickelt. Zum Teil werden normale Belegschaften entlassen, weil man weiß, man bekommt stattdessen Zeitarbeiter mit geringeren Einkommen, die die gleiche Arbeit tun. Deswegen ist das ein Bereich, in dem Sie den Mindestlohn einführen können, ohne dass er die Schwarzarbeit verstärkt und ohne dass es irgendeinen wirtschaftlichen Schaden für die Beschäftigung bringt. ({5}) Im dritten Bereich, Herr Glos, tun Sie gar nichts - und Herr Müntefering auch nicht -: Das ist die effektive Bekämpfung der Schwarzarbeit. Wir müssen im unteren Bereich die Lohnnebenkosten senken; denn wir haben rechnerisch 5 Millionen Vollerwerbsarbeitsplätze in der Schwarzarbeit. Diese befinden sich nicht wegen der hohen Löhne in der Schwarzarbeit, sondern weil in diesem Bereich die hohen Lohnzusatzkosten besonders durchschlagen. Wenn eine Handwerkerstunde in Berlin 40 Euro kostet, die Sie netto verdient haben müssen, um sie legal zu finanzieren, dann wissen Sie, warum wir mit den derzeitigen Strukturen systematisch Erwerbsarbeitsplätze in die Schwarzarbeit drängen. An diesen Stellen, Herr Glos, müssen Sie einsteigen. Ich nenne hier noch den Punkt Unternehmensteuerreform. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum man in der jetzigen Situation, auch international, die Unternehmensteuerreform - bei der es richtig ist, die Sätze zu senken - so machen müsste, dass man die Unternehmen um 8 Milliarden Euro netto entlastet. ({6}) Das nehmen die Unternehmen mit und sagen kurz Danke schön, wenn sie bei Ihnen vorbeikommen; aber zusätzliche Investitionen können wir damit nicht generieren. Dieses Geld würden wir dringend für Forschung, Bildung und Ausbildung in Deutschland brauchen. Da ziehen Sie es ab. Das wird sich in Zukunft meines Erachtens rächen. ({7}) Unsere These heißt: Sie nutzen die Chancen dieses Aufschwungs für die notwendigen Reformen in Deutschland nicht. Das hat einen systematischen Grund, und zwar den, dass Sie bei jeder Strukturreform in dieser Großen Koalition keine gemeinsame Richtung definieren. Vielmehr wollen die einen immer dieses und die anderen immer jenes; wenn es einigermaßen gut geht, dann murksen sie das zusammen, und dabei kommt nichts Halbes und nichts Ganzes heraus. Das sagen mir die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und die Genossinnen und Genossen sagen es im privaten Gespräch auch. ({8}) Es ist also klar, dass die Zusammenarbeit, die zwischen ihnen stattfindet, hier vielleicht atmosphärisch nett sein mag, aber eine Reformrichtung bringt sie der Bundesrepublik Deutschland nicht. ({9}) Herr Glos, Ihre Wirtschaftspolitik, die Sie in der Koalition verantworten, ist ordnungspolitisch diffus. Manchmal finde ich übrigens, dass Sie als Wirtschaftsminister völlig den richtigen Punkt treffen, zum Beispiel wenn es bei der Frage der Energieerzeuger darum geht, den Betrieb der Netze und das Einspeisen in die Netze zu trennen, wie es die EU ja vorgeschlagen hat. Da sind Sie auf der richtigen Seite. Aber Sie können in dieser Regierung auf eines immer wetten: Einer zieht immer konsequent in die andere Richtung, in diesem Fall Herr Steinmeier oder die SPD, weil sie an den großen Energieerzeugern sehr hängt. Ordnungspolitische Klarheit erwächst daraus nicht. Es wäre für die Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland wichtig und richtig, dass wieder einmal jemand sagt: Wir wollen wirklichen Wettbewerb. Im Hinblick auf natürliche Monopole heißt dies - das gilt übrigens auch für die Bahn -, Herr Glos, dass es nicht gut ist, wenn einer über die Infrastruktur verfügt und dadurch indirekt regeln kann, zu welchen Bedingungen die Wettbewerber diese Infrastruktur nutzen können. Da wünsche ich Ihnen mehr ordnungspolitische Klarheit. Sie können es sich sparen, immer wieder Erhard, Eucken oder wen auch immer zu zitieren, wenn Sie in der Ordnungspolitik so schwanken, wie es diese Große Koalition tut. ({10}) Beim Thema Innovation sind Sie völlig schwach, Herr Glos. Die Autodiskussion, die Sie in den letzten zwei Wochen veranstaltet haben, ist ein Beleg dafür. Das will ich Ihnen ausführlich erläutern. Übrigens, die EU hat nicht das gesagt, wovon Sie behauptet haben, sie habe es gesagt. ({11}) Umweltkommissar Dimas hat gesagt: Wir wollen, dass die Flotte der europäischen Pkw bis 2012 einen durchschnittlichen CO2-Ausstoß von 120 Gramm hat. Die deutsche und die europäische Automobilindustrie haben im Rahmen der freiwilligen Selbstverpflichtung im Hinblick auf 2008 und 2012 von 140 Gramm gesprochen. Dimas hat weder gesagt, es müsse nationenscharf geschehen, noch gesagt, es müsse herstellerscharf geschehen. Das haben Sie mit der Vorstellung hypostasiert, wir müssten einen vielleicht drohenden Angriff abwehren. Doch von einem solchen Angriff war seitens der EU gar nicht die Rede. Selbstverständlich muss man auf der EUEbene über das 120-Gramm-Ziel verhandeln und die Frage stellen, welche Fahrzeugklasse welchen Beitrag zur Erreichung dieses Ziels leisten kann. Es hätte einen einfachen Weg gegeben. Klar ist doch: Diejenigen, die heute sehr viel verbrauchen, müssten einen größeren Beitrag leisten als diejenigen, die sehr wenig verbrauchen. Die deutsche Autodiskussion hat eine gute Tradition. Herr Glos, 1984 wurde der Katalysator eingeführt. ({12}) Damals wurde wortwörtlich derselbe Mist gesagt, den Sie jetzt erzählen. Damals hat es geheißen: 100 000 Arbeitsplätze gehen verloren, wenn beschlossen wird, dass der Katalysator verpflichtend ist; denn die Japaner haben einen günstigeren Katalysator. Man hat damals mit genau der gleichen Argumentation versucht, den technischen Fortschritt auszubremsen. Beim Dieselrußfilter war es nicht viel anders. Ich will auf Folgendes hinaus, Herr Glos: Wenn Sie nach dem Versagen der freiwilligen Selbstverpflichtung auf dem Gebiet der Innovationspolitik keine klare ordnungspolitische Vorgabe machen, dann schaden Sie der deutschen Automobilindustrie, und zwar deswegen, weil sie nicht gezwungen wird, die fortschrittliche Technik herzustellen, die die Weltmärkte brauchen. Schauen Sie doch nach Kalifornien! Schauen Sie doch in die Länder, die Autos importieren! Sie alle spüren und sagen inzwischen: Nur die fortschrittlichste Kraftfahrzeugtechnik mit den sparsamsten Motoren ist noch exportfähig. Wenn Sie auf die Bremse treten, dann machen Sie diesen Export kaputt. Natürlich kann man auch mit einem anderen Reifendruck und Ähnlichem etwas erreichen; aber die Zukunft des Autolandes Deutschland - das ist mittlerweile die Botschaft - kann nur gewährleistet werden, wenn wir die unter ökologischen Gesichtspunkten besten Fahrzeuge auf den Markt bringen. Dabei agieren Sie, Herr Verheugen und wie sie alle heißen als Bremser der technischen Entwicklung. Was Innovationen angeht, gilt für diese Bundesregierung: Fehlanzeige! ({13}) Sie haben zum Thema Korruptionsbekämpfung nichts gesagt. Wenn wir die Korruptionsbekämpfung in Deutschland nicht ernst nehmen, wenn wir keine andere Kultur der Aufsicht über die großen deutschen Aktiengesellschaften bekommen, dann werden wir wirtschaftlichen Schaden erleiden. Die Themen „Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat“, „Zahl der Aufsichtsratsmandate, die jemand haben darf“ und „Korruptionsregister“ gehören unbedingt auf die Tagesordnung, wenn wir unsere Exportchancen und die Chance, dass deutsche Unternehmen an den Börsen gut notiert sind, bewahren wollen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Glos?

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte, Herr Glos.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kuhn, es hat leider ein bisschen gedauert, bis ich durchgedrungen bin. Sie wissen über 1984 so gut Bescheid. Daher möchte ich Sie fragen, ob Sie wissen, wer damals der zuständige Minister war, der den Katalysator durchgesetzt hat, und welcher Partei er angehörte.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich will auf etwas anderes hinaus, Herr Glos. ({0}) - Ja, ja. - Mit Ihrer Frage versuchen Sie, davon abzulenken. Die deutsche Diskussion über das Auto findet immer nach folgendem Motto statt: Bei technischen Veränderungen besteht die Gefahr, dass wir eine große Zahl von Arbeitsplätzen verlieren. Das hat in den letzten 20 Jahren immer nach dem gleichen Mechanismus funktioniert, übrigens auch beim bleifreien Benzin. Ich möchte auf einen weiteren Punkt hinweisen: Die Diskussion, die wir heute führen, wurde fast wortgleich bereits im Jahre 1984 geführt. ({1}) Ich hätte mir vom heutigen Wirtschaftsminister gewünscht, dass er die Bedeutung von Klimaschutz und Klimapolitik verstanden hat und sagt: Leute, lasst uns nicht über das Ob einer neuen Fahrzeugtechnik streiten, sondern nur über das Wie. ({2}) Lasst uns in Brüssel Verhandlungen darüber führen, wie man dieses Vorhaben am besten umsetzen kann. - Aber Sie, Herr Glos, sind einen anderen Weg gegangen. Sie haben sich an die „Bild“-Zeitung, die „Bild am Sonntag“ und andere Medien gewandt. Sie haben sich wahrscheinlich gedacht: Autofahrer gibt es ziemlich viele; also wiederhole ich die alte Leier und tue so, als könne man den Fahrzeugfortschritt unterbinden. ({3}) Jetzt will ich meine Rede fortsetzen. ({4}) - Ja.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kuhn, sind Sie bereit, von mir die Antwort auf meine Frage entgegenzunehmen? ({0}) Ich meinte den damaligen Innenminister, der zugleich auch Umweltminister war: Dr. Fritz Zimmermann von der CSU.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin von dieser Information überwältigt und danke Ihnen herzlich, Herr Glos. ({0}) Nun will ich ernsthaft auf das zu sprechen kommen, was schiefläuft. Frau Merkel, ich kann nicht nachvollziehen, warum Sie die Diskussion über die europäisch-amerikanische Freihandelszone bzw. über den Binnenmarkt angefangen haben. Zunächst war von einer Freihandelszone die Rede. Dann haben Sie gemerkt, dass das in die falsche Richtung geht. Diese Diskussion führt wirklich in die Irre. Dass diese Debatte geführt wird, ist auch in den USA nicht besonders gut angekommen. Sie müssen Folgendes tun: dafür sorgen, dass im Rahmen der WTO endlich die Doharunde abgeschlossen wird. Sie dürfen nicht sagen: Das machen wir vielleicht. Sie müssen ein klares Bekenntnis abgeben, dass die viel zu hohen Agrarsubventionen in Europa und in den USA systematisch abgebaut werden müssen. Denn sie sind das Haupthindernis, das dazu geführt hat, dass wir in der Doharunde nicht weitergekommen sind. Herr Glos, übrigens wäre es in ordnungs- bzw. wirtschaftspolitischer Hinsicht wichtig, auch darauf hinzuweisen, dass es im Agrarsektor Unmengen von falschen Subventionen gibt. Dabei handelt es sich um Geld, das wir auch zulasten der Entwicklung der armen Länder ausgeben. Das sollten wir nicht tun. ({1}) Mein nächster Punkt ist ein Thema, das bei Ihnen, Herr Glos, nie eine Rolle spielt. Deswegen will ich es zum Schluss meiner Rede ansprechen. Bei einem internationalen Vergleich, was in den Ländern, die stärker wachsen als wir, die Wachstumsmotoren sind, sagen Ihnen die Experten: Eine entscheidende Weichenstellung für Wachstum ist, wie hoch in einem Land die Erwerbsarbeitsquote der Frauen ist. Hier stehen wir nach wie vor schlecht da. In Deutschland beiträgt sie gegenwärtig 60 Prozent, in Norwegen und Dänemark allerdings 72 Prozent. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Frage, wie viele Frauen arbeiten, ein Wachstumstreiber ist, und Sie müssen aus gesellschaftspolitischem und steuerpolitischem Blickwinkel fragen, wo Hindernisse bestehen. In Deutschland gibt es zwei Hindernisse: erstens das Ehegattensplitting, durch das die nicht arbeitenden Frauen steuerlich zu stark begünstigt werden, sodass es als Bremse wirkt, am Erwerbsarbeitsmarkt aufzutreten, und zweitens die noch immer schlechte Kinderbetreuungssituation, vor allem für Kinder unter drei Jahren. Hier müsste ein Wirtschaftsminister, der verstanden hat, wodurch Wachstumsimpulse gesetzt werden können, ebenso ansetzen wie bei den Investitionen. Nach meiner Überzeugung haben Sie das nicht bzw. zu wenig getan. ({2}) Ich möchte zum Schluss kommen. Herr Glos, auf der Optimismusschiene fahren wir gerne mit. Dennoch fordern wir Sie auf, im nächsten Jahr eine konsequente Reformpolitik zu betreiben, durch die die Situation der Wirtschaft, der Beschäftigten und auch der Verbraucher, des dritten Marktteilnehmers, verbessert wird. Sie müssen einschneidende Reformen auf den Weg bringen. ({3}) Dann würden Sie unserem Land etwas Gutes tun. Wir werden Sie auf diesem Weg kritisch begleiten und unterstützen. Aber in die Suppe des Aufschwungs zu spucken, ist nicht unser Ding. Vielen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Meister für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jeder, der in diesem Haus und in Deutschland auf einen fortgesetzten Aufschwung setzt, kann den Bundeswirtschaftsminister nur beglückwünschen. Die wirtschaftspolitische Strategie des vergangenen Jahres zeigt Erfolge. Wer sich die erste Runde der Debatte heute Morgen hier angehört hat, der konnte feststellen, dass es bei aller Kritik keine schlüssige Alternative zur Strategie der Bundesregierung gibt. Der Erfolg hat offenkundig viele Väter; das haben wir heute Morgen gehört. Ich möchte ausdrücklich bestätigen, dass auch ich das so sehe. Die Arbeitnehmer haben sich in den vergangenen Jahren eingebracht, indem sie sich zum Beispiel bei den Lohnforderungen zurückgenommen haben. Die Unternehmer entscheiden sich wieder mutig für Investitionen in diesem Land und tragen damit zum Aufschwung bei. Aber auch die Politik hat vor einem Jahr in Genshagen auf der Basis Sanieren, Investieren, Reformieren einen Grundstein gelegt, womit sie wieder Vertrauen und Verlässlichkeit für die Arbeitnehmer und die Unternehmer in diesem Land geschaffen hat. Deshalb sind alle drei - Arbeitnehmer, Unternehmer und Politik - für dieses Erfolgsergebnis des Jahres 2006 verantwortlich. ({0}) Ich rate uns dringend dazu, dass wir diese Gemeinsamkeit weiterführen, wenn wir in Deutschland weiterhin Erfolg haben wollen, und uns nach dem ersten Jahr jetzt nicht darüber streiten, wer den größten Anteil an dem Erfolg hat, sondern darauf setzen, dass die Gemeinsamkeit erhalten bleibt, sodass wir an dieser Stelle auch in der Zukunft gemeinsam Erfolg haben. Die Zahlen sprechen für sich: 2,5 Prozent Wachstum - wer das hier vor einem Jahr bei der Debatte angekündigt hätte, wäre mehr als belächelt worden - und ein Rückgang der Arbeitslosenzahl um eine dreiviertel Million binnen eines Jahres; wer das hier angekündigt hätte, wäre ausgelacht worden. Dies haben wir erreicht. Nach den realistischen Prognosen für das laufende Jahr wird das Wachstum beibehalten und die Arbeitslosenzahl um eine halbe Million weiter zurückgehen. Diese Fortschritte in unserem Land sollten wir nicht kleinreden. Ich glaube, einen wichtigen Anteil daran hat die Große Koalition, indem sie einen Stimmungsumschwung geschaffen, neues Vertrauen geweckt und durch eine klare wirtschaftspolitische Strategie Handlungsfähigkeit bewiesen hat. ({1}) Es gibt hier und da natürlich Berufskritiker - das haben wir heute Morgen auch gehört -, die grundsätzlich für Kritik bezahlt werden. Das ist in Ordnung, das müssen wir akzeptieren. Ich glaube aber, wenn wir uns das Verhalten der Wirtschaftssubjekte anschauen, derjenigen, die wirklich Wirtschaft betreiben, dann wird klar, dass sie eine andere Sprache sprechen. Die Binnenkonjunktur ist zum zweiten Standbein des Aufschwungs geworden. Wir müssen uns klarmachen, dass wir innerhalb von zwei Jahren über eine Million mehr Beschäftigte in Deutschland haben werden. Das bedeutet, dass mehr Menschen Einkommen haben werden, das auch wieder ausgegeben wird, was zum Binnenwachstum weiter beitragen wird. Über die Mehrbeschäftigung stärken wir die Binnenkonjunktur in Deutschland. Der Ansatz, den wir verfolgen, ist also richtig. Wenn wir uns den Ifo-Geschäftsklima-Index anschauen, dann stellen wir fest, dass sich die Geschäftserwartungen vier Monate hintereinander verbessert haben. Auch das zeigt, dass das Vertrauen in die Politik geDr. Michael Meister wachsen ist. Die Investitionsnachfrage ist ebenfalls gestiegen. Die Unternehmen investieren doch nur, wenn sie wissen, dass sich das in Zukunft rentieren wird. Das zeigt auch, dass Vertrauen in die Politik und in die Rahmenbedingungen vorhanden ist. Wir brauchen jetzt keine Politik der ruhigen Hand, sondern ein entschlossenes Umsetzen der Reformen, die wir uns vorgenommen haben. Ich glaube, deshalb ist es wichtig, dass wir uns jetzt nicht ausruhen; denn das Ausruhen nach dem Jahr 2000 hat dazu geführt, dass die Arbeitslosenzahl plötzlich massiv angestiegen ist, dass das Wachstum abgerutscht ist und dass wir massive Probleme mit unseren Staatshaushalten bekamen. Deshalb müssen wir eine andere Strategie fahren. Es ist mehrfach gesagt worden - ich bestätige das aus Sicht der Union auch -: bei Sonnenschein auf die Reformbaustelle. Herr Brüderle, Sie müssen sich aber entscheiden. Sie haben erst gesagt, dass man bei Sonnenschein auf die Baustelle muss, und dann haben Sie gesagt, dass es noch regnet. Nein, im Hinblick auf die Konjunktur scheint die Sonne momentan. Deshalb gehen wir auf die Baustelle. Sie können sich gerne weiter zu Hause vor dem Regen schützen. Dagegen haben wir nichts. ({2}) Ich möchte hier ausdrücklich auch einmal darauf hinweisen: An erster Stelle darf nicht die Frage stehen, wie wir den Mangel besser verteilen, sondern wir müssen über die Frage reden, wie wir den Mangel am besten reduzieren. Hier unterscheiden wir uns von einigen in diesem Haus, die den Mangel gerecht verteilen wollen. Nein, wir wollen dafür sorgen, dass die Mangelerscheinungen in unserem Lande verschwinden. Daran arbeiten wir. Der Kollege Stiegler hat darauf hingewiesen, dass wir in 2006 eine Menge getan haben. Die verschiedenen Maßnahmen haben dazu geführt, dass die Konjunktur angesprungen ist und gut läuft. ({3}) In diesem Bereich haben wir sehr viel auf den Weg gebracht, und es hat Wirkung gezeigt. Was wir neben einem guten Lauf der Konjunktur in unserem Land jetzt brauchen, ist eine vernünftige Strukturveränderung, damit das Ganze nachhaltig tragfähig wird und das Potenzialwachstum in Deutschland steigt. Deshalb ist es richtig, dass wir uns jetzt zum Beispiel des Arbeitsmarktes annehmen. Ich will an dieser Stelle die Diskussion einmal vom Kopf auf die Füße stellen. Es wird immer wieder behauptet, das Ganze sei zunächst einmal eine Einkommens- bzw. Lohnfrage. Für mich hat erste Priorität nach wie vor die Frage: Wie viel Beschäftigung haben wir im Land, und was können wir dafür tun, dass wir zu mehr Beschäftigung kommen? Wenn wir mehr Arbeit haben, haben wir mehr Wohlstand, und über mehr Wohlstand können wir auch mehr soziale Sicherheit finanzieren. Es darf nicht umgekehrt die Frage diskutiert werden: Wie greifen wir möglichst stark in den Arbeitsmarkt ein, um ihn zu behindern und damit in die Situation zu kommen, dass es weniger Arbeit, weniger Einkommen und damit weniger Wohlstand gibt? Also muss diese Debatte vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Es geht nicht darum, den Arbeitsmarkt zu stören, sondern darum, ihn funktionsfähiger zu machen und damit zu mehr Wohlstand der Menschen in Deutschland beizutragen. ({4}) Wenn wir über Strukturreformen reden, muss ich einmal festhalten: Wir haben in diesen Tagen eine Weichenstellung vorgenommen, die in ihrer Dimension nicht zu übertreffen ist. Das ist die Einigung in der Koalition zur Zukunft der deutschen Steinkohle. ({5}) An dieser Stelle ist eine Weichenstellung erfolgt, mit der wir den größten Subventionsabbau in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland festlegen. Bei aller Kritik, die hieran schon wieder im Detail geäußert wird, wäre es vernünftig, das erst einmal zur Kenntnis zu nehmen. Es gab viele Aktive in der Politik, die sich in wechselnden Regierungskonstellationen dieses Themas angenommen haben und nicht zum Ziel gekommen sind. Jetzt ist eine Vereinbarung getroffen worden, die das zu einem festen Datum zum Abschluss führen wird. Das ist ein positives Signal für alle Beteiligten. Wir erreichen Planungssicherheit für die Kumpel. Sie erhalten das Signal: Es kommt zu einem sozialverträglichen Ausstieg aus der Steinkohlensubventionierung. - Wir erreichen Verlässlichkeit für die öffentlichen Haushalte, indem wir einen klaren Zeitplan und einen klaren Verlauf signalisieren. Wir erreichen Planungssicherheit für die betroffenen Regionen, indem wir ihnen sagen, wie der Strukturwandel gestaltet werden kann. Wir erreichen letztlich auch Planungssicherheit für das betroffene Unternehmen, indem wir den Weg zum Börsengang eröffnen. Hiermit schaffen wir langfristig klare Rahmenbedingungen. Das sollte einmal gewürdigt werden und nicht immer nur mit Detailkritik an der einen oder anderen Stelle bedacht werden. ({6}) Als ich 1994 in den Deutschen Bundestag kam, hat mich meine Fraktion zunächst einmal in den Ausschuss für Post und Telekommunikation geschickt. ({7}) Ich habe deshalb damals aktiv an der sogenannten Postreform teilnehmen dürfen und will, weil auch das heute Morgen angesprochen worden ist, einfach einmal feststellen: Nach nahezu 13 Jahren hat sich diese Reform als Erfolgsgeschichte für unser Land erwiesen. Wir haben heute mehr Leistung, mehr Qualität, günstigere Preise und bessere Dienstleistungen. ({8}) Deshalb müssen wir in der aktuellen Diskussion daran festhalten, dass es darum geht, diese Erfolgsgeschichte fortzuschreiben und sie nicht beim letzten Schritt zu stören. Deshalb werbe ich dafür, dass wir an diesem Erfolgsweg festhalten und so erreichen, dass wir national eine gute Versorgung unserer Bevölkerung haben und international auch ein dominierender Spieler in diesem Markt sind. Sie haben heute Morgen das Stichwort Bürokratieabbau angesprochen. Uns im Deutschen Bundestag liegt jetzt das erste Gesetz vor, in dem im Vorblatt genannt ist, wie hoch die zusätzlichen Bürokratielasten sind bzw., in diesem speziellen Gesetz, in welchem Maß ein Abbau an Bürokratiekosten stattfindet. Das ist für uns als Mitglieder des Deutschen Bundestages ein qualitativer Sprung nach vorne, weil wir über die Bürokratie nicht mehr nur theoretisch debattieren: „Gibt es mehr oder weniger Bürokratie, macht man es besser oder schlechter?“, sondern eine klare Ansage seitens der Bundesregierung haben, was dieses zweite Mittelstandsentlastungsgesetz konkret an Entlastung für die Unternehmen, aber auch für die öffentliche Verwaltung bringt. Jetzt kann man natürlich sagen: Dieser Betrag ist bescheiden. - Ich bin mir mit dem Kollegen Stiegler, mit der SPD-Fraktion und mit meiner Fraktion darüber einig, dass wir der Bundesregierung dabei helfen werden, das Gesetz noch etwas anzureichern, sodass auch hierdurch schon mehr Bürokratieabbau stattfinden wird. Der qualitative Sprung für uns alle an dieser Stelle ist aber: Wir können messen. Wir sollten diese Möglichkeit nutzen. Die EU hat gesagt: Wir wollen 25 Prozent Bürokratieabbau. - Wir in Deutschland sollten nicht unter dieser Stange durchlaufen, sondern über diese Hürde springen. Deshalb sollten wir uns vornehmen, das Ziel „25 Prozent weniger Bürokratie in diesem Land“ zu erreichen. ({9}) Wenn wir dieses Ziel einmal erreicht haben werden, wird es damit aber nicht getan sein. Ich werbe an dieser Stelle um Nachhaltigkeit auch beim Bürokratieabbau. Wir sollten wie folgt verfahren: Wir legen sozusagen einen Deckel darauf. Jeder, der in Zukunft ein neues Gesetz vorlegt, mit dem neue Bürokratie geschaffen wird, muss an anderer Stelle Bürokratie abbauen, damit es nicht bei einem Einmaleffekt bleibt, sondern in diesem Land Bürokratiekosten dauerhaft begrenzt werden. Wenn wir mit solchen Mechanismen und Strategien arbeiten, dann können wir auf die Sonntagsreden zu dem Thema verzichten und endlich qualitativen Bürokratieabbau in Deutschland betreiben und so, ohne Geld in die Hand zu nehmen, für Entlastung der öffentlichen Verwaltung und der Bürger sorgen, meine Damen und Herren. ({10}) Ich sage ausdrücklich: Auch das kann Politik nicht alleine leisten, sondern wir brauchen den Bürger. Denn wenn wir Bürokratie abbauen sollen, muss der Bürger in diesem Land bereit sein, selbst mehr Verantwortung zu übernehmen, statt auf den Staat und die öffentliche Hand zu schauen. Auch an dieser Stelle flankieren wir. Ich nenne die Debatte über das Gemeinnützigkeitsrecht, die wir momentan führen. Wir wollen für den Bürger in diesem Land, der bereit ist, für seinen Staat, für die Gesellschaft mehr zu tun, bessere Rahmenbedingungen schaffen. Wir diskutieren momentan in der Koalition über steuerliche Rahmenbedingungen. Ich glaube aber, wir dürfen nicht beim Steuerrecht stehen bleiben. Wir müssen auch die Bürokratie im Vereinsrecht hinterfragen und über das Haftungsrecht für diejenigen sprechen, die ehrenamtlich tätig sind. Wir müssen die Frage stellen, inwieweit wir jemandem, der Verantwortung übernimmt, auch noch haftungsrechtliche Bedingungen aufbürden, mit denen er sich zusätzlich zu seinem Einsatz auseinandersetzen muss. Ich plädiere dafür, dass wir, wenn wir für Bürgerengagement werben, den Bürgern auch Rahmenbedingungen geben, die ihnen dieses Engagement für unsere Gesellschaft möglich machen, meine Damen und Herren. ({11}) Zum Abschluss: Sehr oft wird eingefordert, wir müssten bei der Unternehmensteuer etwas tun. Vor 18 Monaten gab es einen Jobgipfel, auf dem sich die Fraktionsvorsitzenden mit dem damaligen Bundeskanzler verständigt haben. Aber wer sich jetzt einmal die Eckpunkte der Unternehmensteuerreform, die seit 2. November vorliegen, anschaut und diese mit den Ergebnissen des Jobgipfels vergleicht, der sieht, dass zwar auch wir die Sätze etwas gesenkt haben, dass diese Unternehmensteuerreform jetzt aber auch strukturelle Verbesserungen bringt. Ich glaube, da sind wir in den letzten 18 Monaten einen gewaltigen Schritt vorangekommen. Es liegt jetzt an uns, diesen Fortschritt der strukturellen Verbesserung in den nächsten fünf Monaten in der Gesetzgebung umzusetzen und ins Gesetzbuch zu bringen. Dazu wollen wir einen Beitrag leisten, damit die Menschen sehen, dass sie sich darauf verlassen können, dass die Reformen, über die gesprochen wird, auch umgesetzt werden und dass ihnen damit auch klare Ansagen für die Zukunft gegeben werden. Vielen Dank, meine Damen und Herren, für die Aufmerksamkeit. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Martin Zeil für die FDP-Fraktion. ({0})

Martin Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003868, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja erstaunlich, Herr Kollege Meister, dass jemand, der gerade vor 16 Monaten von der Oppositionsbank in die Regierungskoalition gewechselt ist, sich jetzt hier über Berufskritiker erhebt. ({0}) Es ist genauso falsch, von Berufskritikern zu sprechen, wie sich hier als Hofjubler zu betätigen, Herr Kollege Meister. ({1}) Außerdem hat man bei Ihnen den Eindruck, auch bei Ihren Reden, dass Ihnen der Ehrgeiz in der Wirtschaftspolitik abhandengekommen ist. Sie loben eine Wachstumsprognose von 1,7 Prozent als Riesenerfolg. Wenn ich das einmal mit den Daten anderer Länder in der Welt vergleiche, dann kann ich nur sagen, dass ich mir hier auch bei Ihnen einen wesentlich höheren Anspruch wünsche, meine Damen und Herren. ({2}) Es fehlt ja nicht am guten Willen. Das zeigen auch die schönen Worte im Jahreswirtschaftsbericht. Aber die Realität wird doch mehr von den Protektionisten und den Verfechtern einer Reformpause bestimmt. Gerade bei Rot-Schwarz müsste der Wirtschaftsminister als Lordsiegelbewahrer der sozialen Marktwirtschaft seine Stimme laut erheben. Doch diese Stimme ist aus unserer Sicht oft zu zaghaft, zu widersprüchlich, verhallt ungehört und ist manchmal gar nicht zu hören. ({3}) Ich komme aus einem wunderbaren Land - Bayern -, ({4}) in dem der Mittelstand eine große Rolle spielt. Dort haben die Menschen ein feines Gespür für den Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Es reicht eben nicht, den Mittelstand in Reden zu loben, ihn dann aber bei der Umsetzung von EU-Recht, der Abwehr von Bürokratielasten oder der Gegenfinanzierung der Unternehmensteuerreform im Stich zu lassen, meine Damen und Herren. ({5}) Herr Kollege Meister, Sie haben das Thema Bürokratieabbau angesprochen. Ihre Ausführungen waren interessant. Es wäre aber schön gewesen, wenn Sie dafür gesorgt hätten, dass Ihre Vorstellungen in Bezug auf den Normenkontrollrat, die Sie heute haben, damals bei der Verabschiedung des Gesetzes umgesetzt worden wären. Die Erfahrungen zeigen ja, dass der Normenkontrollrat ein allzu stumpfes Schwert ist; dafür haben Sie gesorgt. In der Presse war schon vom „kastrierten Hund“ die Rede. Sie haben das quantitative Ziel einer Reduzierung um 25 Prozent angesprochen. Wir haben damals entsprechende Regelungen vorgeschlagen, die Sie aber abgelehnt haben. Jetzt verstecken Sie sich hinter der EU. Auch das Gesetz zur Gesundheitsreform, das große Auswirkungen auf den Mittelstand hat, ist dem Normenkontrollrat nicht vorgelegt worden. Das ist ein großer Fehler. Lassen Sie mich noch zu einigen Wettbewerbsfragen Stellung nehmen. In Sachen Wettbewerb und Energiepolitik hat die Monopolkommission den Weg gewiesen. Es war aber die EU-Kommission und nicht der Wirtschaftsminister, die kürzlich mit weitreichenden Vorschlägen an die Öffentlichkeit getreten ist. Hier ist es ähnlich wie beim Energiemix: Sie liegen in Fragen des Wettbewerbs offenbar so weit auseinander, dass Deutschland, das zurzeit die Ratspräsidentschaft innehat, in dieser wichtigen Zukunftsfrage völlig kraft- und konzeptionslos agiert. ({6}) Mit der von Ihnen und vorhin auch vom Minister hochgelobten GWB-Novelle bäckt man kleine Semmeln, wie man bei uns in Bayern sagen würde. Sie konzentriert sich auf eine sektorspezifische Preiskontrolle und auf die untaugliche Einbeziehung von Untereinstandspreisen. Mit Preiskontrollen allein schaffen Sie jedoch noch lange keinen Wettbewerb. ({7}) Auch auf anderen Gebieten feiern die Vorstellungen der Protektionisten in Ihren Reihen fröhliche Urständ. Herr Kollege Meister hat über die Postdienstleistungen gesprochen. Der Jahreswirtschaftsbericht bekennt sich zur vollständigen Öffnung. Aber in der Koalition wird diese Öffnung wieder infrage gestellt. Es ist schon schlimm genug, wenn eine Regierung auf diese Weise demonstriert, dass sie nicht weiß, was sie will. Noch schlimmer ist es aber, wenn durch dieses Verhalten Zukunftschancen gerade des Mittelstandes verspielt werden. ({8}) Der Bundeswirtschaftsminister hat auch die Automobilindustrie, eine Schlüsselindustrie unseres Landes, angesprochen. Das Schlimme ist, dass Sie hier jenseits von Sachfragen keine einheitliche Meinung haben. Noch schlimmer ist, dass Sie kein Konzept haben. Man erkennt überhaupt nicht, worauf Sie hinauswollen. Das muss angesichts der Dringlichkeit dieses Themas wirklich beunruhigen. ({9}) Lassen Sie mich noch auf ein anderes Wettbewerbsthema zu sprechen kommen. Bei der Gesundheitsreform haben wir es schwarz auf weiß, dass die Regierung, auch der Wirtschaftsminister, überhaupt nicht erkannt hat, wo hier die Wettbewerbsprobleme liegen. Erst auf Hinweis des Wissenschaftlichen Beirats wurde das Problem der Nichtanwendung der Gesetze zum Schutze des Wettbewerbs überhaupt bekannt. Der Beirat schreibt: Ihr Ministerium hat die Zuständigkeit für das GWB. Es verteidigt insoweit eine stolze Tradition. Wir halten Ihr Einschreiten für unerlässlich. Die Antwort ist entlarvend. Sie lässt sich so zusammenfassen: Leider haben wir geschlafen; jetzt können wir nur noch eine Hilfsoperation machen. Aber das Ziel, nämlich die Zuständigkeit der Kartellbehörden sicherzustellen, wird nicht erreicht. - Einen stärkeren Beweis dafür, dass diese stolze, gerade unter liberalen Wirtschaftsministern begründete Tradition Vergangenheit ist - das ist wirklich ein Armutszeugnis -, kann es wohl nicht geben. ({10}) Otto Graf Lambsdorff, dessen 80. Geburtstag wir am Montag gefeiert haben, hat den Zustand der Regierung mit dem schönen Satz beschrieben: Das ist nicht Eintracht in Vielfalt, sondern Zwietracht in Einfalt. ({11}) Ein echter Aufbruch zu mehr Marktwirtschaft und Wettbewerb steht noch aus. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die SPD spricht nun der Kollege Rainer Wend.

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion heute Morgen gibt mir die Gelegenheit - diese Notwendigkeit ergibt sich für mich daraus -, ein paar Worte zum Thema Staatsverständnis auf den beiden unterschiedlichen Seiten des politischen Spektrums zu verlieren. Herr Kollege Lafontaine, Sie haben in Ihrer Rede eben sinngemäß gesagt - ich verdichte und verkürze -, man müsse ja nur die Unternehmensteuern stärker erhöhen und die Vermögensteuer wieder erheben, dann werde es in Sachen Gerechtigkeit und Wirtschaft in Deutschland besser werden. ({0}) Darauf erwidere ich Ihnen Folgendes, Herr Kollege Lafontaine: Wer in einer Welt, in der mit Niedrigstunternehmensteuern Konzernzentralen nach Irland bzw. Dublin gelockt werden, in der die Slowakei mit Niedrigstlöhnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihren Grenzgebieten zu unseren Lasten nach vorne bringen will, in der in Indien Callcenter mit qualifizierten und preiswerten Kräften entstehen und uns die Arbeitsplätze hier weggeholt werden, in der China Rohstoffe mit der Folge gigantischer Preiserhöhungen aufkauft, in der es um einen Wettbewerb um Investitionen und Arbeitsplätze geht, behauptet, man könne mal so einfach mit einer Vermögensteuer und höheren Unternehmensteuern die Lage in Deutschland in Ordnung bringen, hat in der Wirtschaftspolitik in den letzten 20 Jahren nichts dazugelernt und ist im Turm der 70er-Jahre geblieben. ({1}) Es ist ja noch schlimmer: Herr Lafontaine, Sie wollen das zwar nicht; aber objektiv tragen solche Parolen dazu bei, dass in unserem Land Demokratieverdrossenheit und Demokratiefeindlichkeit wachsen, ({2}) weil Sie die Illusion erwecken, es gäbe hier für unseren Staat und unsere Gesellschaft Handlungsmöglichkeiten. Das sind Fehlinformationen. Sie sind aus kurzfristigen Interessen populistisch, und Sie versagen bei der differenzierten Wirtschaftsdebatte in unserer Gesellschaft. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Wend, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lafontaine?

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das kann ich jetzt schlecht verweigern. ({0})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Wend, ich kenne Ihre Position. Ich weiß, dass Sie das, was Sie hier vorgetragen haben, auch ernst meinen. ({0})

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist wahr.

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Deshalb habe ich versucht, pädagogisch vorzugehen. Ich hatte Ihnen vorgeschlagen, die Vermögensteuer so wie beispielsweise in Frankreich, in den Vereinigten Staaten oder in Großbritannien und die Mindestlohnregelung so wie in den meisten europäischen Staaten zu gestalten. Auch diese Staaten sind auf dieser Welt; ich nehme an, das ist Ihnen bekannt. Was ist Ihr Gegenargument, Herr Kollege Wend?

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Weltökonom, ich darf mich zunächst sehr herzlich für Ihre pädagogische Belehrung bedanken und möchte Ihnen, ohne belehrend wirken zu wollen, sagen: Demjenigen, der sich einzelne Punkte - ob im Lohnbereich oder bei der Steuer, also mal eben in Amerika die Vermögensteuer - herausgreift, ohne zu berücksichtigen, wie die Steuerlage bei Erträgen und anderen Dingen in den Vereinigten Staaten ist, der Rosinenpickerei betreibt, um sozusagen seine eigene Ideologie zu legitimieren, werfe ich vor, Herr Lafontaine, dass er aus kurzfristigen wahltaktischen Interessen heraus populistisch ist und sich einer differenzierten Wirtschaftsdebatte in unserer Gesellschaft verweigert. ({0}) Auch zur anderen Seite dieses Hauses ist in Sachen Staatsverständnis etwas zu sagen. Ich berichte Ihnen einmal vom Jahresempfang der Industrie- und Handelskammer in Bielefeld. Der Präsident dieser Industrie- und Handelskammer hat die Wirtschaftsdaten wunderbar geschildert und dargestellt, wie gut alles geworden sei und dass die Situation im Hinblick auf die Wirtschaftsentwicklung und die Arbeitsplätze besser geworden sei. Dann hat er gefragt: Wer hat das alles zu verantworten? Daraufhin hat er geantwortet: Die Politik - er differenziert gar nicht mehr - hat damit gar nichts zu tun. Wir in der Wirtschaft haben es geschafft, dass alles gut geworden ist. Dazu hatte ich drei Überlegungen: Als Erstes war ich ein bisschen demotiviert. Ich muss meinen Kollegen und Freunden von der IG Metall die Rente mit 67 erläutern, ich muss bei der Arbeiterwohlfahrt über die Arbeitsmarktreformen reden. Wozu mache ich das alles? Denn dies ist ja anscheinend völlig unerheblich für die wirtschaftliche Entwicklung. Als Zweites war ich darüber besorgt, wie es mit unserer Wirtschaft weitergeht. Denn das intellektuelle Niveau zu sagen: „Wenn es schlecht läuft, ist die Politik schuld, und wenn es gut läuft, dann ist die Wirtschaft dafür verantwortlich“, ({1}) macht mir Sorgen dahin gehend, wie solche, die das sagen, die Wirtschaft unseres Landes weiterführen wollen. ({2}) Als Drittes war ich ein bisschen verärgert. Ich sage mit großem Ernst: Die Demokratieverdrossenheit, die damit auch von Teilen der Wirtschaft gefördert wird, kann ich nicht für richtig halten. Das ist nicht in Ordnung. Jeder muss sich um seine eigenen Dinge kümmern. Die Politik muss ihre Aufgaben bewältigen, und die Wirtschaft muss ihre Aufgaben bewältigen. Beide sollten an die Arbeit gehen. ({3}) Lassen Sie mich etwas zum Thema Steinkohle sagen. Ich halte den Kompromiss für vertretbar. Es ist ein schwieriger Kompromiss; dennoch können wir ihm zustimmen. Wir haben uns darauf geeinigt, bis zum Jahr 2018 sozialverträglich aus dem Steinkohlenbergbau auszusteigen, im Jahr 2012 aber noch einmal darüber nachzudenken. Ich meine, alle sollten zu diesem Kompromiss stehen. Meine Bitte an Sie, Frau Bundeskanzlerin, ist: Sagen Sie Ihrem Stoiber von Nordrhein-Westfalen, dass es keinen Sinn macht, Verständigungen immer wieder infrage zu stellen. ({4}) Eine Große Koalition lebt von Verlässlichkeit. Dazu gehört auch, getroffene Vereinbarungen umzusetzen. Wir stehen trotz aller Schwierigkeiten, die wir mit diesem Kompromiss haben, zu dem, was wir politisch entschieden haben. Wir erwarten, dass auch CDU/CSU zu diesem politischen Kompromiss stehen. Bitte erweisen Sie sich als verlässlicher Koalitionspartner! Nur wenn wir bei solch schwierigen Verabredungen zusammenstehen, werden wir diese Koalition zum Erfolg führen können. ({5}) Ich habe bereits versucht, anhand einiger Schlagzeilen deutlich zu machen, dass wir in einer Welt leben, die komplizierter geworden ist und keine einfachen Lösungen für ihre Probleme findet. Die Koalition hat sich die Sanierung des Haushalts und die Reformierung der sozialen Sicherungssysteme vorgenommen. Das sind schwierige Aufgaben, die wir nicht als Selbstzweck angehen, sondern um den Investitionsstandort verlässlich zu machen und an die neuen Verhältnisse anzupassen. Wir wollen in Bildung und Forschung investieren, weil in der Wissensgesellschaft die Zukunft liegt. Das sind die richtigen Überschriften für unsere Politik. Wir wissen, dass wir in dieser Koalition zu Kompromissen gezwungen sind. Wir stehen zu diesen Kompromissen, auch wenn sie uns manchmal schwerfallen. Diesen Weg wollen wir bis zum Ende der Legislaturperiode gehen. Erste Erfolge sind sichtbar, und wir sind davon überzeugt, dass weitere Erfolge in der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik eintreten werden. Wir Sozialdemokraten erweisen uns als verlässlicher Koalitionspartner. Lassen Sie uns gemeinsam diese erfolgreiche Politik weiter betreiben! ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Roland Claus für die Fraktion Die Linke. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will über den Zusammenhang von Jahreswirtschaftsbericht und wirtschaftlicher Lage in Ostdeutschland reden. Sie haben als Bundesregierung Ihren Bericht mit dem Titel „Den Aufschwung für Reformen nutzen“ überschrieben. Dazu kann ich Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierung, nur sagen: Die Mehrheit der Bevölkerung wird das als knallharte Drohung verstehen. ({0}) Ihr gefühlter und zum Teil auch gemessener Aufschwung kommt nicht an. Der Bundeswirtschaftsminister hat uns heute wieder einmal erklärt, dass die Leute keine Angst mehr um ihren Arbeitsplatz haben. Darauf muss ich erwidern: Sie haben den Deutschen Bundestag mit dem wirklichen Leben verwechselt. ({1}) Ich kann auch verstehen, dass die Koalition ihre Schwierigkeiten hat, wenn mein Kollege Oskar Lafontaine hier einige Wahrheiten sagt. Dass die Bundeskanzlerin bei seiner Rede quasi eine improvisierte Kabinettssitzung einberuft, um nicht zuhören zu müssen, ist jedoch kein Zeichen von Stärke und Souveränität, sondern von Schwäche im Umgang mit kritischen Argumenten. ({2}) In Ostdeutschland ist die Zufriedenheit der Bevölkerung - das ist zugegebenermaßen eine etwas vage Kategorie, aber jeder wird sie täglich in sich abfragen innerhalb weniger Monate von 59 auf 39 Prozent gesun7808 ken. Angesichts dessen stellen wir erneut die Frage: Müssen wir noch über den Osten reden? Und als Fraktion einer Partei, die sehr wohl bundesweite Politikangebote macht, die sich aber weiterhin für die Lebensinteressen der Ostdeutschen einsetzen wird, meinen wir: Ja. ({3}) Man kann eine Menge Fakten anführen. Einige Schlaglichter machen das besonders deutlich. Gestern Abend fand in Potsdam ein großes Treffen des Ostdeutschen Sparkassenverbandes statt. Hunderte sachkundiger Leute trafen sich dort. Ich habe mich nach Vertretern der Bundesregierung umgeschaut - Fehlanzeige. Als einziger Bundestagsabgeordneter hatte ich die Gelegenheit, das Hohe Haus zu vertreten. Ich bin zwar dankbar, dass Sie mir das Feld überlassen haben; ({4}) ich halte Ihr Verhalten aber angesichts des Erfolges dieses Verbandes für ziemlich ignorant. Weitere Fakten, die man zur Sprache bringen muss: Die Arbeitslosigkeit ist im Osten Deutschlands doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt und hat sich inzwischen auf diesem Niveau verfestigt. Der Unterschied bei der Rente beträgt 12 Prozent, bei Löhnen und Gehältern 20 Prozent. Selbst die Deutsche Bank stellt in ihrem Gutachten fest - lassen Sie mich das zitieren -: Der Lebensstandard in Ostdeutschland wird zwar weiter zunehmen, aber der Abstand zum Westen wächst an. Diese Entwicklung wollen Sie fortführen. Wir sind aber nicht bereit, das hinzunehmen. ({5}) In Ihrem Jahreswirtschaftsbericht preisen Sie erneut den Niedriglohn als eine Art Allheilmittel. Im Osten ist der Niedriglohn kein Sonderfall, sondern der Regelfall. Wir sagen Ihnen: Wir brauchen keine weiteren Niedriglohnexperimente. Die in diesem Land vorhandenen Niedriglohnrealitäten sind schon schlimm genug. ({6}) Deshalb wird meine Fraktion die Forderungen der Gewerkschaften nach besseren Tarifabschlüssen und Mindestlöhnen unterstützen. Sie wird sie in diesem Arbeitskampf begleiten. In Ihrem Bericht ist erneut sehr oft von Innovation die Rede; das macht sich in solchen Berichten immer gut. Sie haben eine Reihe von Regierungsprogrammen aufgelegt; Stichworte: Genshagen, 6-Milliarden-Programm, 24-Milliarden-Programm. Inzwischen versteht niemand mehr, wie dieses heillose Durcheinander von Innovationsförderungen zusammenpassen soll. Sie kommunizieren jedes Instrument anders. Ich darf darauf verweisen - das ist wiederum Fakt -, dass nur 7 Prozent der Industrieforschung in den neuen Bundesländern angesiedelt sind. Gleich zu welchem Unternehmen ich komme, allerorts beklagen die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer den Bildungszustand in Deutschland. Gerade im Osten der Republik sieht man die bildungspolitische Kleinstaaterei, die Sie mit Ihrer Föderalismusreform beschlossen haben, sehr kritisch. ({7}) Sie werden nicht umhinkommen, über unsere Vorschläge zur öffentlich geförderten Beschäftigung, insbesondere für Langzeitarbeitslose, zu reden. Der CDUWirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt, dem Bundesland, aus dem ich komme, hat das inzwischen verstanden. Er hat angefangen, Vorschläge der Linkspartei.PDS umzusetzen. Er hat die sogenannte Bürgerarbeit als Modellprojekt eingeführt. Diesem Projekt stehen wir kritisch gegenüber. Es geht uns noch nicht weit genug, weil es aus der Hartz-IV-Situation noch nicht wirklich herausführt. Die Union in Sachsen-Anhalt ist nach jahrzehntelanger Verweigerung aber wenigstens bereit, diesen Vorschlägen ihre Zustimmung zu geben. Sie ist bereit, zuzugeben, dass sie hinzugelernt hat. Wir reden ja auch über den Bericht des Sachverständigenrates. Ich will darauf verweisen, dass es im Osten nur ein Institut gibt, das zu den führenden Wirtschaftsforschungsinstituten zählt, das Institut für Wirtschaftsforschung Halle.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, Sie denken an die Redezeit.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Ende, Herr Präsident. - Im Sommer dieses Jahres sollen diese Institute evaluiert werden. Danach soll entschieden werden, wie sie weiter gefördert werden. Durch gezielte Indiskretionen wird dieses Institut nun infrage gestellt. Man kann zu diesem Institut eine kritische Meinung haben - die habe auch ich -, es wäre aber ein fataler Fehler, dieses Institut herauszunehmen. ({0}) Wir empfehlen Ihnen: Beachten Sie die Entwicklung in den neuen Bundesländern! Auch für die Wirtschaft gilt: Der Osten ist nicht das Gestern der Republik, sondern das Morgen. Vielen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Laurenz Meyer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über die wirtschaftspolitischen Theorien, die hier zum Teil vertreten werden, insbesondere von der Linken, kann man sich nur wundern. Kollege Wend hat einiges Richtige dazu gesagt. Ich will den Wirtschaftsverlauf einmal aus unserer Sicht darstellen und sagen, weswegen wir große Chancen haben. Laurenz Meyer ({0}) Wir haben einen Riesenzuwachs an Arbeitsplätzen und haben damit den Trend umgekehrt. Ich sage ganz offen, Herr Wirtschaftsminister: Ich persönlich habe zu Beginn des vergangenen Jahres den in der Finanzplanung unterstellten Ansatz eines Zuwachses von 200 000 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen für sehr riskant gehalten. ({1}) Von vorher Jahr für Jahr 400 000 minus auf 200 000 plus - das ist eine gewaltige Umkehr. Wir haben aber nicht 200 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen, sondern fast 350 000. Damit gibt es circa 800 000 Arbeitslose weniger. Meine Damen und Herren auch von der Linken, Sie sollten das wahrnehmen. Dazu müssen Sie den Kopf gebrauchen. Die Situation ist so. ({2}) Das eigentlich Wichtige an dieser Veränderung ist, dass mehr Menschen Arbeit gefunden haben. Gott sei es gelobt! Aber noch wichtiger ist, dass aufgrund dieser Tatsache jetzt weniger Menschen in Deutschland Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Das Angstsparen, dass jeder jeden noch verfügbaren Euro lieber auf die Seite legt, weil er nicht weiß, was nächsten Monat ist, ist zurückgegangen; die verhältnismäßig sehr hohe deutsche Sparquote ist gesunken. Im Inland wird wieder mehr Geld ausgegeben. Das trägt den Aufschwung zusätzlich. Nicht nur die Kaufkraft durch zusätzliche Beschäftigung, sondern auch der Rückgang des Angstsparens und der Verlust der Angst um den Arbeitsplatz sind die selbsttragenden Elemente, die jetzt zusätzlichen Schub geben. Deswegen können wir guter Hoffnung sein, dass sich der Arbeitsmarkt in diesem Jahr noch stärker bewegt als im letzten Jahr. ({3}) Ich habe die Bitte an die SPD-Kollegen, noch einmal nachzudenken und mit uns in Gesprächen zu überlegen, was wir tun können, ohne etwas einzureißen. Unser Arbeitsmarkt hat leider Gottes ein gewisses Maß an Starrheit; das haben die Diskussionen in der Kommission unter Herrn Müntefering gezeigt. Es gibt zurzeit nur zwei Ventile: das eine sind die 400-Euro-Jobs, das andere ist die Zeitarbeit. Die Arbeitgeber flüchten in diese beiden Bereiche. Daher gibt es hier einen starken Zuwachs, aber zu wenige Einstellungen in den Betrieben selbst. ({4}) Wir sollten deshalb darüber nachdenken, wie wir - und zwar mit sozialer Sicherheit für alle, die Arbeit haben einen Weg finden, der es ermöglicht, dass diejenigen, die Arbeit suchen, schneller eingestellt werden. ({5}) Ein weiterer Gesichtspunkt ist, dass wir auf dem Arbeitsmarkt ein riesiges Potenzial, was offene Stellen angeht, zu verzeichnen haben. Die Zahlen belegen eine großartige Veränderung: Es gibt 800 000 offene Stellen. Das muss uns aber in unserem Engagement beflügeln, die Vermittlungstätigkeit noch stärker anzukurbeln. 800 000 offene Stellen und noch 4 Millionen Arbeitslose - es macht mich unruhig, dass diese Stellen nicht schneller besetzt werden. Hier muss sich mehr tun. Wir müssen konstatieren, dass wir inzwischen in verschiedenen Teilen Deutschlands einen Facharbeitermangel haben, der sehr unterschiedlich strukturiert ist. Die Situationen in Ostdeutschland und Westdeutschland unterscheiden sich hier etwas. Übrigens, noch einmal an die Linke gesagt: Es sollte Ihnen zu denken geben, dass die Länder, die am schlechtesten dastehen, die sind, in denen Sie eine Zeit lang Verantwortung getragen haben. Das müsste in Ihren Köpfen irgendwann einmal ankommen. ({6}) Wir müssen überlegen - das ist meine Bitte an die Kollegen; hier wende ich mich insbesondere an Herrn Stiegler und Herrn Wend -, ob wir nicht den Kombilohn als zusätzlichen Ansatzpunkt brauchen. Vor dem Hintergrund der Bedürfnisse, die wir haben, wäre es denkbar, Arbeitnehmern, die noch nicht die erforderliche Qualifikation für eine offene Facharbeiterstelle haben, während der Qualifizierungsphase einen Kombilohn zu zahlen. Dabei geht es nicht darum, die Unternehmen aus ihrer Verantwortung für die Weiterbildung zu entlassen. Aber wir müssen denen, die uns Sorgen machen, denen, die nicht so qualifiziert sind, dass sie gleich auf dem Arbeitsmarkt unterkommen, besonders helfen. In diesem Zusammenhang noch zwei Punkte: Wir haben nach Aussagen der Arbeitsagentur inzwischen 6 Millionen Vollzeitarbeitsplätze in der Schwarzarbeit. Was heißt das? Das heißt für mich, es gibt genügend Arbeit in Deutschland, aber nicht genügend bezahlbare Arbeit. ({7}) Das heißt, wir müssen die Anreizsysteme so verändern, dass zumindest ein Teil dieser Schwarzarbeit - wir reden nie von der gesamten Schwarzarbeit - in legale, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze umgewandelt werden kann. Es gibt einen ganz konkreten Vorschlag, über den wir reden sollten; ich weiß, Herr Kuhn, dass Sie eigene, auch diskussionswürdige Vorstellungen entwickelt haben. Wir haben allein in den Privathaushalten in Deutschland über 4 Millionen Beschäftigungsverhältnisse, davon 120 000 gemeldete, also sozialversicherungspflichtige. Wir reden von einem Verhältnis von 4 Millionen zu 120 000! Im letzten Jahr haben wir bereits einen ersten Anreiz gesetzt, diese Beschäftigungsverhältnisse zu legalisieren, indem wir eine Beschäftigung im Privathaushalt mit einer relativ geringen Summe absetzungsfähig gemacht haben. Ich habe an alle Kollegen die Bitte, gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir es als Große Koalition in dieser Legislaturperiode schaffen können, Privathaushalte wie Unternehmen zu behandeln, damit hier legale, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstehen. ({8}) Laurenz Meyer ({9}) Zurzeit findet jemand, der arbeitslos wird und Arbeitslosengeld I bekommt, schnell wieder Arbeit. Sehr viel weniger Leute als früher erleben den Übergang vom Arbeitslosengeld I zum Arbeitslosengeld II. Das kann jedoch nur der erste Schritt sein. Nach wie vor finden zu wenige, die Arbeitslosengeld II beziehen, wieder einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz. Das ist die Gruppe derer, der unsere Hauptsorge gelten muss, wenn wir unsere Wertvorstellungen als Christdemokraten ernst nehmen. Bei der SPD sehe ich das vom Ansatz her ähnlich. Wir müssen gerade für die weniger Qualifizierten, die keine Berufsausbildung oder keine abgeschlossene Schulausbildung haben, Möglichkeiten schaffen. Das ist die Problemgruppe, die auch von einer Verbesserung der konjunkturellen Entwicklung nicht automatisch ergriffen wird. Mit Mindestlöhnen, wie sie diskutiert werden, eröffnen wir dieser Gruppe aber keine Chancen. ({10}) Besser ist es, dafür zu sorgen, dass die Menschen - sei es zunächst auch nur für einen Stundenlohn von 5 Euro - in den Arbeitsmarkt kommen. Durch eine Kombination von eigenem Einkommen und Sozialtransfers könnten wir sicherstellen, dass die Menschen und ihre Familien mit einem Mindesteinkommen ein existenzwürdiges Leben führen können. Das ist unsere Konzeption. Wir glauben, dass es besser ist, die Menschen zunächst in den Arbeitsmarkt zu bringen, als sie draußen stehen zu lassen. Es macht keinen Sinn, wie Herr Lafontaine und andere es tun, in erster Linie zuzusehen, dass die, die sich auf dem Arbeitsmarkt befinden, möglichst viel haben. Vielmehr müssen möglichst viele selber Geld verdienen können, weil das eine Frage der Würde des einzelnen Menschen ist. ({11}) - Wenn ich so einen Blödsinn höre! Wenn es darum ginge, dass die Würde des Menschen vom Einkommen des Einzelnen abhängig ist, dann müsste Herr Ackermann von der Deutschen Bank in Deutschland derjenige mit der größten Würde sein. Was Sie da erzählen, ist doch grober Unfug. ({12}) Lassen Sie mich abschließend auf die Energiepolitik zu sprechen kommen. ({13}) Wir müssen langsam aufpassen, Herr Wirtschaftsminister - darüber haben wir gestern bereits im Wirtschaftsausschuss diskutiert -, dass die verschiedenen Instrumente, die wir einsetzen - Anreizregulierung, Kartellrecht und die Regelungen hinsichtlich der CO2-Emissionen; dabei bin ich völlig anderer Meinung als Sie, Herr Zeil -, nicht mit den Vorschlägen auf europäischer Ebene kollidieren und dass wir nicht unseren Standort überfordern, indem wir in Deutschland Standortrisiken vor dem Hintergrund unseres spezifischen Produktionshintergrunds eingehen. ({14}) - Umso besser, wenn ich Sie nicht missverstanden habe. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass die Diskrepanz zwischen den Meldungen des Umweltministers im Zusammenhang mit den CO2-Emissionen nach Brüssel und den Forderungen Brüssels uns gegenüber einer Größenordnung von 40 Millionen Tonnen entspricht und damit - sei es Zufall oder nicht - haargenau die Menge an CO2-Emissionen ausmacht, die wir vermeiden können, wenn wir den vorliegenden Anträgen entsprechend die Kernkraftwerke bis 2012 laufen lassen würden. Wir werden uns mit dieser Frage noch weiter beschäftigen müssen. Noch eine letzte Bemerkung zur Kohle: Was gestern in der Aktuellen Stunde die Kollegen der SPD zum Teil vorgetragen haben, nämlich dass die endgültige Entscheidung erst 2012 falle, halte ich für falsch, ({15}) und zwar aus zwei Gründen: Erstens ist der Bundestag jederzeit mit einer entsprechenden Mehrheit in der Lage, eine bereits getroffene Entscheidung wieder zu kippen, wenn sich die Rahmenbedingungen völlig ändern. Viel wichtiger ist aber zweitens - das hat das eingangs von mir erwähnte Beispiel der Stilllegung der Zeche Sophia Jacoba im Rheinland gezeigt -, dass wir einen langfristigen Termin brauchen, auf den sich alle Betroffenen einstellen können. Dann ändert sich die psychologische Wahrnehmung vor Ort, und es wird auf das Neue hingearbeitet.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Meyer!

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. - Dann wird auf das Neue hingearbeitet, statt nur das Althergebrachte zu verteidigen. ({0}) Deshalb halte ich es für falsch, wenn der Eindruck erweckt wird, als wenn nur der erste Schritt erfolgt wäre. Wir haben es mit einer endgültigen Entscheidung zu tun, die der Bundestag jederzeit bei fundamentaler Änderung der Rahmendaten revidieren kann. Auch alle anderen Argumente sind inzwischen weitgehend -

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, ich darf Sie an Ihr Versprechen erinnern.

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin beim letzten Satz, Frau Präsidentin. - Auch alle anderen Argumente sind weitgehend erledigt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD - spätestens Laurenz Meyer ({0}) seitdem die RAG vor wenigen Wochen den größten Bergbauzulieferer, den wir in der Bundesrepublik hatten, an die amerikanische Konkurrenz verkauft und die Kokerei in Dortmund geschlossen hat.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, das waren jetzt mindestens fünf Schlusssätze. Ich muss Sie jetzt an Ihr Versprechen erinnern. ({0}) Sie haben Ihre Redezeit um zwei Minuten überzogen.

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mich darauf aufmerksam machen, Frau Präsidentin, und schließe damit. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Joachim Poß, SPD-Fraktion.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu einer guten Koalition gehört, Herr Kollege Meyer, dass man sich ausspricht und offen die Meinung sagt. Deshalb will ich erstens zu Ihren letzten Bemerkungen feststellen: Sorgen Sie bei Ihrem nordrhein-westfälischen Parteifreund Rüttgers dafür, dass endlich Planungssicherheit für die Bergleute und die Kohle geschaffen werden kann! Das wäre Ihre Aufgabe. Sie sollten hier keine Ablenkungsdiskussion führen. Herr Rüttgers ist derjenige, der quer im Stall steht. ({0}) Zweitens. Zur Offenheit gehört auch, Kollege Meister, dass man keine Legenden entstehen lässt. Sie haben von der Gefahr der Politik der ruhigen Hand im Jahr 2000 gesprochen. Im Jahr 2000 hatten wir ein Wirtschaftswachstum von 2,9 Prozent. Dann kamen der Crash an den Börsen und Finanzmärkten im Frühjahr 2001 und die Unsicherheit durch Nine-Eleven. Das hat uns wirtschaftspolitisch zurückgeworfen, nicht die Politik der ruhigen Hand. Daran will ich in diesem Zusammenhang erinnern. ({1}) Der dritte Punkt ist - auch dabei bin ich für einen sehr offenen und konstruktiven Umgang innerhalb der Koalition -, wie wir mit wichtigen Themen umgehen, zum Beispiel mit der Erbschaftsteuer. ({2}) - Sie wollen sie abschaffen. Das ist klar. - Nachdem wir einen Kompromiss geschmiedet hatten, kam jetzt ein Urteil, das sicher viele von uns so erwartet haben. Zu dem, was Herr Glos gestern in der Pressekonferenz und heute gesagt hat, möchte ich einen CDU-Finanzminister zitieren, den in seiner Kompetenz wohl unbestrittenen Gerhard Stratthaus, der laut heutigem „Handelsblatt“ gesagt hat: Es muss so schnell wie möglich Rechtssicherheit mit neuen Bewertungsregeln geschaffen werden, auf denen eine Verschonung von Betriebsvermögen aufbauen kann. Ich bin genau dieser Meinung. ({3}) Die SPD steht auch eindeutig zu der Vereinbarung der Schonung des Betriebsübergangs. Daran hat sich nichts geändert. Aber wir können eine Regelung nicht auf eine verfassungswidrige Grundlage aufsetzen. Ich glaube, das geht schon aus rechtsstaatlichen Gründen nicht, von anderen, politischen Gründen will ich gar nicht erst sprechen. ({4}) Darüber müssen wir uns in der Koalition und müssen sich Bund und Länder - auch jenseits der Parteien - in den nächsten Tagen und Wochen verständigen. Wir wissen ja, dass die Ländermehrheit im Herbst letzten Jahres im Finanzausschuss des Bundesrates ein Votum abgegeben hat, das man im Weiteren berücksichtigen muss. Noch eine Bemerkung zu einem meiner Vorredner: Der Kollege Lafontaine hat in seiner Bilanz der Politik der letzten Jahre, die er hier unter Verteilungsaspekten angestellt hat, manche fundamentalen Daten gänzlich ausgeklinkt, zum Bespiel den Umstand, dass die Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland im letzten Jahr so viele Steuern gezahlt haben wie noch nie. Wesentlich waren die - reaktivierte - Körperschaftsteuer und die Gewerbesteuer mit einem Aufkommen von 38 Milliarden Euro. Es wurde schon erwähnt: Das versetzt die Kommunen in die Lage, über die Schuldentilgung hinaus verstärkt zu investieren. Warum wird das in Ihrem Zerrbild nie erwähnt? Das gehört auch zu den Erfolgen unserer Politik, für die wir 2003 gestritten haben. ({5}) Warum fehlt denn in der Bilanz von Lafontaine und anderen, dass durch unsere Steuersenkungen bei der Einkommensteuer in den letzten Jahren ein Arbeitnehmer, verheiratet, zwei Kinder, unter Berücksichtigung des Kindergeldes ein Jahreseinkommen von 37 600 Euro haben kann und trotzdem keine Steuern zahlen muss? Warum fehlt das denn in dieser Bilanz? Sie suchen sich wirklich nur das zusammen, was Ihnen gerade so in den Kram passt. ({6}) Wir können die Verantwortung der Gewerkschaften für die Lohnfindung politisch nicht ersetzen und wollen das auch nicht. Unser Beitrag muss es sein - das ist auch in der Rede von Herrn Meyer hier angeklungen -, schon in der Suchphase und beim Austausch von Meinungen zu klären, was der Staat zur Rahmensetzung beitragen kann. Ich finde es gar nicht schlimm, wenn man das hier so offen diskutiert, wie Sie das haben anklingen lassen, und bin ganz zuversichtlich, dass wir da, genauso wie in anderen Fällen, zu guten Lösungen kommen werden. Noch ein Wort zur Vermögensteuer - leider ist Oskar Lafontaine nicht mehr im Saal -: Die Chance auf Wiedereinführung der Vermögensteuer hat bis zum März 1999 bestanden, bis zu dem Zeitpunkt, als unsere relative Bundesratsmehrheit durch die Wahlniederlage in Hessen verloren gegangen ist. Der damalige SPD-Vorsitzende und Finanzminister, der die Vermögensteuer bis März 1999 hätte durchsetzen können, hieß Oskar Lafontaine. Der hat in dieser Frage - das kann ich als jemand, der als Ohren- und Augenzeuge in den Koalitionsgremien unmittelbar beteiligt war, sagen - kräftig gewackelt. Andere in der SPD waren dagegen, das gehört auch mit zur historischen Wahrheit. Aber er hat kräftig gewackelt. Lafontaine kann sich in dieser Frage hier nicht hinstellen und die Backen aufblasen, er ist in dieser Frage nicht glaubwürdig. ({7}) Ich freue mich darüber, dass offenbar zunehmend Konsens darüber besteht, dass wir bei der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte nur über Wirtschaftswachstum vorankommen können. Das hat sich im letzten Jahr gezeigt: Auf Bundesebene hatten wir Steuermehreinnahmen von fast 10 Milliarden Euro, die gänzlich in die Senkung der Nettokreditaufnahme gesteckt wurden. Auch damit hat vor einem Jahr, wenn wir ehrlich sind, keiner gerechnet. Weil diese Strategie, nicht nur die Binnenkonjunktur zu stimulieren, zum Beispiel über unser 25-Milliarden-Impulsprogramm, sondern auch konjunkturgerechte Konsolidierung zu betreiben, 2006 so erfolgreich war - ich füge in Klammern hinzu: und im Bundesrat nicht blockiert wurde -, sollten wir diesen Policy Mix beibehalten. Wir wären schlecht beraten - ich sage das nicht nur mit Blick auf die Bundesbank, sondern auch mit Blick auf einige Stimmen aus der Koalition -, mit überzogenen einseitigen Sparanstrengungen zulasten der Binnennachfrage das, was wir erreicht haben, jetzt wieder zunichtezumachen. Ich bin hier sehr für Differenzierung. Aber ich glaube, unsere Verantwortung besteht darin, zu sehen, mit welchem Policy Mix wir unsere Ziele erreichen können. Den erfolgreichen Weg des Jahres 2006 - Wachstum, Beschäftigung und Konsolidierung - sollten wir 2007 und darüber hinaus fortsetzen. Das heißt für mich, es muss alles vermieden werden, zum Beispiel Investitionen durch Kürzungen zu beschädigen. Der Staat muss alles, was im Rahmen seiner Möglichkeiten ist - die Wahrheit ist, dass das nicht allzu viel ist -, dafür tun, die Weichen so zu stellen, dass wir unseren Beitrag zur weiteren Stabilisierung der konjunkturellen Entwicklung leisten können. Danke schön. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Garrelt Duin, SPD-Fraktion.

Garrelt Duin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003751, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Poß hat gerade sehr ausdrücklich darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dass wir die richtigen Schwerpunkte setzen. Um in der Arbeitsmarktpolitik sowie der Haushalts- und Finanzpolitik erfolgreich zu sein, brauchen wir eine nachhaltige Wirtschaftspolitik und ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Ich habe schon in der Debatte während der Aktuellen Stunde in der letzten Sitzungswoche, als es um ein ähnliches Thema wie heute ging, gesagt, dass wir in Deutschland eine Standortdebatte brauchen, in der nicht einseitig auf vermeintliche Starrheiten des Arbeitsmarktes hingewiesen wird und die nicht auf Kosten und Steuern ausgerichtet ist, sondern in der die Bedingungen für einen wirklichen Qualitätswettbewerb in den Mittelpunkt gestellt werden. Innovation ist der Schlüssel zur wirtschaftlichen Weiterentwicklung in einem Hochlohnland wie Deutschland, was wir weiterhin bleiben wollen. Innovationen kommen aus den Universitäten, vielen mittelständischen Betrieben, die unter anderem als Zulieferer tätig sind und eigene Produkte für den Markt entwickeln, und der Industrie. Viele qualifizierte Dienstleistungen hängen unmittelbar von der Industrie ab. Zunehmend mehr Industrieprodukte enthalten einen hohen Anteil an Wissen und Dienstleistungen. Europa und insbesondere Deutschland brauchen deswegen auch in Zukunft eine starke Industrie als Basis einer wissensintensiven und wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft. Wir setzen dabei nicht auf die Konservierung überholter Strukturen, sondern auf den Ausbau der qualitativen Vorsprünge. ({0}) Wir müssen die industrielle Struktur unserer Ökonomie auf die knapper werdenden Ressourcen einstellen. Sie haben recht: Das hat viel mit der Kohle zu tun. Wir müssen uns auf die Veränderungen in diesem Bereich einstellen. Das haben wir getan. Es wird aber deutlich - darauf hat Herr Wend vorhin zu Recht hingewiesen -, dass wir einen Dissens in der Frage haben, was die Politik, der Staat dabei machen kann. Der Staat kann und darf meines Erachtens Märkte nicht ersetzen und keine konkreten Produkte vorgeben. Aber er kann als Pionier Leitmärkten entscheidende Impulse geben. Er muss industriepolitische Prioritäten setzen und sich in Partnerschaft mit Wirtschaft und Wissenschaft auf strategische Felder konzentrieren. Man kann drei Dinge tun: die staatliche Nachfrage organisieren - auf diesem Feld müssen wir noch stärker werden -, die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen optimieren und - Herr Kuhn, hier gebe ich Ihnen ausdrücklich recht - mit ambitionierten Grenzwerten in diesem Bereich, die rechtzeitig angekündigt werden, um Planungssicherheit zu schaffen, Innovationen auslösen. Wir haben in den letzten Tagen eine öffentliche Diskussion über den Beitrag der europäischen und damit nicht zuletzt der deutschen Automobilindustrie zum Klimaschutz erlebt. Ich will als Mitglied der Gruppe CARS 21, die in Europa einige Dinge vereinbart hat, in Erinnerung rufen, dass die europäische Automobilindustrie im Jahr 1999 eine Selbstverpflichtung zum Klimaschutz abgegeben hat, wonach für das Jahr 2008 ein durchschnittlicher CO2-Ausstoß von 140 Gramm pro Kilometer für die gesamte europäische Fahrzeugflotte erreicht werden soll. Danach wird bis zum Jahr 2012 - so die Selbstverpflichtung der europäischen Automobilindustrie - eine weitere Senkung auf 120 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer in Aussicht gestellt. Die Koalitionsfraktionen haben sich bereits im Koalitionsvertrag ausdrücklich zu diesen Abgasgrenzwerten für CO2 bekannt. Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass wir, wenn die Autoindustrie in Europa ihre Selbstverpflichtung nicht einhält, auf europäischer Ebene selbstverständlich für eine entsprechende Gesetzgebung sorgen werden. Für die SPD-Bundestagsfraktion ist völlig klar, dass dieser Beitrag der europäischen Automobilindustrie zum Erreichen der europäischen Klimaschutzziele ebenso notwendig ist wie für die europäischen Verbraucher. Klar ist aber auch - auch das steht im Koalitionsvertrag; Herr Zeil, Sie haben darauf Bezug genommen -, dass das Ziel von 120 Gramm CO2 nicht allein durch die Veränderung der Fahrzeugtechnik erreicht werden kann, sondern anteilig auch durch eine erhöhte Beimischung zum Beispiel von Biokraftstoffen. Diese muss angerechnet werden. Außerdem muss klar sein, dass alle Fahrzeuge in Europa zum Erreichen dieses Ziels beitragen müssen, die großen, aber auch die mittleren und die kleinen. Es geht also um die Beteiligung aller Fahrzeugklassen. Es darf nicht sein, dass einige Unternehmen, weil sie kleine Fahrzeuge bauen, gar nichts für das Klima zu tun brauchen, und alle anderen, vorzugsweise die deutsche Fahrzeugindustrie, die gesamte Aufgabe schultern müssen. ({1}) Diese Haltung wird sowohl von Herrn Glos als auch von Herrn Umweltminister Gabriel und im Übrigen auch von Herrn Verheugen vertreten. Die Unterschiede, die manchmal in den Medien künstlich aufgebaut werden, entsprechen schlichtweg nicht der Realität. Es geht um eine differenzierte Herangehensweise. ({2}) Lassen Sie mich abschließend, da wir über Europa und die Möglichkeiten des Einflusses sprechen, in der Kürze der mir verbleibenden Zeit das Thema Airbus aufgreifen, weil auch der Minister dieses angesprochen hat. Ich glaube, wir haben zwei Möglichkeiten. Wir können an Frankreich appellieren, dass die Franzosen den staatlichen Einfluss, den sie auf industriepolitische Entscheidungen in ihrem Land nehmen, ein bisschen drosseln mögen, so wie wir das auch tun. Sie mögen sich also auf ein defensives Verhalten einlassen. Wir können auch an den Weihnachtsmann glauben. ({3}) Ich glaube, dass wir einen anderen Weg gehen müssen: Mit der gleichen Klarheit, Härte und Intensität, wie das in Frankreich gemacht wird, sollten wir, was Airbus angeht, im Sinne der Beschäftigten an den deutschen Standorten agieren. ({4}) Was Herr Enders in diesen Tagen auf einem parlamentarischen Abend in Berlin gesagt hat, war dem nicht zuträglich und hat eher für Verwirrung und Unsicherheit gesorgt als für Klarheit. Ich wünsche, dass Sie, Herr Glos, und alle anderen erfolgreich sind im Sinne der Arbeitsplätze in unserem Land. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/4170, 16/3450, 16/2460 und 16/2461 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be- schlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Anette Hübinger, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Sascha Raabe, Gabriele Groneberg, Dr. Bärbel Kofler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die deutsche G8- und EU-Präsidentschaft neue Impulse für die Entwicklungspolitik - Drucksache 16/4160 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Zwölfter Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung - Drucksache 15/5815 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({1}) Auswärtiger Ausschuss Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hellmut Königshaus, Dr. Karl Addicks, Harald Leibrecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Die Entwicklungszusammenarbeit mit Schwellenländern auf eine neue Grundlage stellen - Drucksache 16/3839 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({2}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Jürgen Trittin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Reformen für eine gerechte Globalisierung Deutsche G8-Präsidentschaft für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung nutzen - Drucksache 16/4151 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({3}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die beiden Präsidentschaften, die EU-Präsidentschaft und die G-8-Präsidentschaft, sind für Deutschland und diese Bundesregierung eine einmalige und außergewöhnliche Chance, unsere globale Verantwortung deutlich zu dokumentieren und Schlussfolgerungen auch für die praktische internationale Arbeit zu ziehen. ({0}) Dabei geht es vor allen Dingen auch darum, dass nachhaltige Entwicklung, sozialer Ausgleich, Bewahrung der Umwelt, partnerschaftliche Verantwortung und die Umsetzung der Milleniumsentwicklungsziele verwirklicht werden. Insgesamt ist für beide Präsidentschaften Afrika das verbindende - ich möchte sagen - Topthema dieser Präsidentschaften. Ich möchte an der Stelle dem Bundespräsidenten sehr herzlich danken, dass er Afrika mit seiner „Partnerschaft für Afrika“ immer wieder auch auf die Agenda Deutschlands setzt und damit die Verbundenheit mit unserem Nachbarkontinent deutlich macht. Ich danke ihm sehr für dieses Engagement. ({1}) Bei seiner letzten Reise stand das Thema der Zusammenarbeit der jungen Generation auf beiden Kontinenten im Mittelpunkt. Zur Erinnerung: Fast die Hälfte aller Menschen in Afrika ist unter 18 Jahre alt. Wir sollten und wollen dazu beitragen, dass diesen Jugendlichen Stimme und Zukunft gegeben wird. ({2}) Ich möchte zum Zweiten daran erinnern - auch den Kollegen Tauss - ({3}) - Ja, guten Morgen! Nehmen Sie schon einmal Platz. ({4}) Das geht jetzt aber nicht von meiner Zeit ab, sondern von seiner! Liebe Kolleginnen und Kollegen, Konflikte, Hunger und Aids sind nur eine Seite der Medaille. Afrika ist auch ein Kontinent von positiven Botschaften. Afrika entwickelt höhere Wachstumsraten und demokratischere Strukturen. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich ein Lob sagen: Ich finde es hervorragend, dass die Afrikanische Union zum zweiten Mal dem sudanesischen Präsidenten Bashir die AU-Präsidentschaft verweigert hat und stattdessen den ghanaischen Präsidenten Kufuor zum Präsidenten gewählt hat. ({5}) Glückwunsch, das ist eine weise Entscheidung. Ein Afrikaziel unserer Doppelpräsidentschaft ist ein Pakt für nachhaltiges Wirtschaftswachstum, verbunden mit nachhaltigen Investitionen. Wir wollen zum Beispiel mit der Weltbank dafür sorgen, dass es einen regionalen Mikrofinanzfonds gibt, der den armen Bevölkerungsgruppen in Afrika den Zugang zu Krediten und damit zu neuen Lebenschancen ermöglicht. Wir wollen die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, die die Europäische Union mit den afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten abschließt, entwicklungsförderlich gestalten. Es geht nicht an, dass die 50 ärmsten Länder nur über ein halbes Prozent des Welthandels verfügen. Das muss geändert werden; diese Länder müssen ihren gerechten Anteil am Handel erhalten. ({6}) Wir unterstützen gute Regierungsführung und verweisen darauf, dass es einen Überprüfungsmechanismus innerhalb der afrikanischen Länder gibt, den wir besonders unter dem Gesichtspunkt der Bekämpfung von Korruption unterstützen. Nicht zuletzt wollen wir gerade während unserer G-8und EU-Ratspräsidentschaft dazu beitragen, HIV/Aids zu bekämpfen. Es ist ein Skandal, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass mittlerweile im südlichen Afrika 70 Prozent aller Infizierten Frauen sind. Wir wollen, dass ein Schwerpunkt bei der Bekämpfung von HIV/Aids bei den Frauen gesetzt wird und dass Frauen und Kinder gerettet werden. Das ist wichtig und das wollen wir zu einem Schwerpunkt unserer Arbeit machen. ({7}) Ich möchte im Übrigen darauf hinweisen, dass es nachher, zwei Tagesordnungspunkte weiter, noch eine Debatte zur Genitalverstümmelung von Frauen gibt. Ich will an dieser Stelle sagen: Unser Ministerium ist engagiert im Kampf gegen diese widerwärtige Menschenrechtsverletzung an Frauen. Wir unterstützen die afrikanischen Staaten und vor allen Dingen die Nichtregierungsorganisationen im Kampf dagegen. Es ist zum Beispiel in Benin gelungen, das Abschwören von der Genitalverstümmelung durch alle Gesellschaftsgruppen zu erreichen. Das ist ein riesengroßer Fortschritt, den wir auch in anderen Ländern erreichen wollen. ({8}) Wir wollen unsere Entwicklungspolitik an den folgenden Kriterien orientieren: Die Effektivität muss gesteigert werden. Wir wollen eine bessere Arbeitsteilung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten. Dazu werden wir ganz konkrete Vorschläge vorlegen und hoffentlich auch im Rat der Entwicklungsminister beschließen lassen. Selbstverständlich wollen wir auch den Stufenplan zur Steigerung der Finanzmittel für die Entwicklungszusammenarbeit umsetzen. Ich will darauf hinweisen, dass beim Gipfel in Gleneagles alle Staats- und Regierungschefs zugesagt haben, dass bis zum Jahr 2010 die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit für Afrika verdoppelt werden sollen. Auch dem sind wir verpflichtet, und das hat entsprechende Konsequenzen, die wir mittragen müssen und auch wollen. Klima und Energie. Wir wissen - nicht erst seit dem Bericht von Nicholas Stern -, dass der Klimawandel besonders zulasten der ärmsten Entwicklungsländer und der Länder in Afrika geht, die für die entsprechenden Belastungen durch den CO2-Ausstoß in keiner Weise verantwortlich sind. Eines unserer zentralen Ziele ist, eine nachhaltige Energieversorgung, Energieeffizienz sowie den sofortigen und konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien - eine der zentralen Aufgaben gerade mit Blick auf die afrikanischen Länder - voranzubringen. ({9}) Gleichzeitig wollen wir den Entwicklungsländern helfen, mit dem Klimawandel fertig zu werden und ihre Wälder zu erhalten. Unser Planet Erde hat keine Zukunft ohne den Schutz unserer Lebensgrundlagen und ohne den Schutz der Biodiversität. Das muss jedem klar sein, auch uns selbst! ({10}) Wir wollen strategische Partnerschaften aufbauen; wir tun dies schon jetzt. In diesem Kontext steht die Kooperation mit China. Wir können den Klimawandel nur gemeinsam mit China eindämmen. Wenn wir erneuerbare Energien in China fördern, dann sind das - auch im Hinblick auf unsere eigene Zukunft - gut angelegte Investitionen. Das muss immer wieder klargemacht werden. Unabhängig davon gibt es aus afrikanischen Ländern - dankenswerterweise - immer mehr Kritik am Vorgehen Chinas in Afrika. Die Zerstörung lokaler Industrieund Arbeitsmärkte wird zu Recht beklagt. Diese Kritik unterstützen wir, und wir üben sie auch im Gespräch mit der chinesischen Seite. Sie ist bitter notwendig. ({11}) Wir brauchen den Dialog mit der Zivilgesellschaft. Deshalb bitte ich alle Anhänger der Zivilgesellschaft in unserem Land, für die Heiligendamm ein Merkposten ist, diese Ziele gemeinsam zu unterstützen. Sie wissen: Auf dem Gipfel von Köln 1999 wurde die Entschuldung der ärmsten Länder beschlossen. In Gleneagles gab es einen weiteren Erlass der Schulden der ärmsten Länder. Heiligendamm muss die Versprechen erfüllen und einen Nachhaltigkeitspakt mit unserem Nachbarkontinent Afrika schließen. Ich komme zum Schluss. Amartya Sen hat zum Thema „Auswirkungen der Globalisierung“ gesagt: Wer der Globalisierung ihren Stachel nehmen will, muss dafür sorgen, dass ihr gewaltiger Nutzen gerechter verteilt wird - nicht in dieser unausgewogenen und ungleichen Weise wie jetzt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist auch unsere Zukunftsfrage. Wir wollen ihre Beantwortung während unserer Präsidentschaften entschlossen angehen und einen praktischen Beitrag zur Lösung der damit verbundenen Probleme leisten. Vielen Dank. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Hellmut Königshaus, FDPFraktion. ({0})

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist wirklich ein Jammer: Endlich einmal eine Kernzeitdebatte zur Entwicklungspolitik, endlich einmal die Gelegenheit, auch die Kollegen aus anderen Bereichen mit diesem wichtigen Thema zu befassen, und nun das. Die Bundesregierung legt uns hier einen Bericht vor, der wirklich reichlich angestaubt ist: Er stammt aus dem Mai 2005. Ich wiederhole: Mai 2005. Man sieht daran, welche dynamische Entwicklung die Entwicklungspolitik unter der Kanzlerin Merkel offenbar genommen hat. Frau Ministerin, herzlichen Glückwunsch! Sie haben es geschafft, die rot-grüne Politik in diesem Bereich völlig ungestört fortzusetzen. Auch das muss man erst einmal schaffen. ({0}) Außerdem liegen Anträge der Koalition und der Grünen vor. Beide wurden ganz offenkundig aus dem Fundus zusammengeklaubt. Was darin steht, das sind wirklich lauter olle Kamellen. Das ist wirklich schade. Gut, dass wenigstens unser Antrag tagesaktuell ist: Er befasst sich wirklich mit dem von Ihnen angesprochenen Thema der Schwellenländerpolitik. ({1}) Die Schwellenländer, insbesondere Indien und China, haben sich doch wirtschaftlich weiß Gott rasant entwickelt. Sie sind inzwischen längst zu echten Wettbewerbern für die europäische und insbesondere für die deutsche Wirtschaft geworden. Mit ihrer enormen Wirtschaftskraft haben sie teilweise mehr Einfluss auf die Entwicklung in der Welt als mancher G-8-Staat. Dennoch behandeln wir diese Länder nach wie vor so, als habe sich dort in der Vergangenheit nichts getan. ({2}) Deshalb - dies stellen wir in unserem Antrag sehr ausführlich dar -, Kollege Tauss, müssen wir unsere Politik gegenüber den Schwellenländern auf eine neue Grundlage stellen. ({3}) Angesichts der in manchen dieser Länder angehäuften Devisenreserven wirken unsere Zahlungen trotz ihrer wirklich beträchtlichen Größenordnung geradezu grotesk. Die Devisenreserven Chinas beispielsweise sind - natürlich nur dem Betrag nach - größer als der Schuldenberg des Herrn Steinbrück; das will weiß Gott etwas heißen. ({4}) Es ist aber nicht etwa so, dass der chinesische Finanzminister dem Herrn Steinbrück hilft. Nein, es ist genau umgekehrt: Herr Steinbrück macht zulasten unserer Kinder und folgender Generationen Schulden, um Geld nach China zu schaufeln. Für wie blöd müssen uns die Chinesen eigentlich halten, wenn wir sagen, dass wir eine solche Politik in die Zukunft perpetuieren wollen? ({5}) Die Inder, Brasilianer und Südafrikaner sagen sich: Solange ihr uns Geld gebt, nehmen wir es dankend an; nötig ist es allerdings nicht. - Gewiss, auch in diesen Ländern gibt es Armut; das ist ganz klar. Aber sie benötigen nicht in erster Linie Geld; das haben sie. Was sie brauchen, ist technische Hilfe. Dafür können sie bezahlen. Dazu sind sie auch bereit. Dieses Geld sollten wir auch annehmen. ({6}) China beispielsweise ist inzwischen zu einem der wichtigsten Geber in Afrika geworden. Aber China geht anders vor als wir, die wir ethische Ziele verfolgen. Nein, die Chinesen pumpen Geld nach Afrika und treten dort generös in Spendierhosen auf. Gleichzeitig schicken wir Geld nach China. China gewinnt in Afrika an Einfluss und sichert seine Rohstoffbasis, während wir dort in zunehmendem Maße beides verlieren, weil wir unser ohnehin nur gepumptes Geld nach China schicken, anstatt dort unsere Interessen zu vertreten. ({7}) Ich habe die Ministerin so verstanden, als müssten wir mit unserer Entwicklungszusammenarbeit in China unser Klima verteidigen. - Dort meldet sich jemand zu einer Zwischenfrage, Frau Präsidentin. - Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Wenn wir der chinesischen Politik in Afrika, dem Raubbau, den China dort betreibt, und der Rücksichtslosigkeit, mit der das Land vorgeht, in den Arm fallen, tun wir mehr für das Weltklima als mit jedem Windpark, den wir in China aufbauen. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Koczy?

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber selbstverständlich, insbesondere von der Kollegin Koczy.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, vor Kurzem fand eine Veranstaltung der GKKE, der katholischen und der evangelischen Kirche, zum Thema Armutsbekämpfung statt. Beide Kirchen haben dazu aufgefordert, den Blick darauf zu richten, dass in den vier Schwellenländern bzw. sogenannten Ankerländern China, Indien, Brasilien und Südafrika die Hälfte aller Armen weltweit lebt. Wie stehen Sie zu der Aufforderung der Kirchen, dass die Armutsbekämpfung in Ländern wie Indien und China auch in Zukunft von deutscher Seite zu unterstützen ist?

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass wir hierzu einen Beitrag leisten. ({0}) Aber natürlich muss auch eine angemessene Eigenbeteiligung stattfinden. Es ist doch nicht einzusehen, dass die chinesische Staatswirtschaft die halbe amerikanische Wirtschaft aufkauft und wir in irgendwelchen staubigen Regionen Chinas Armutsbekämpfung betreiben. Das muss nicht sein. ({1}) - Weil ich diesen Zuruf gehört habe, sage ich: Das hat nichts mit Stammtisch zu tun. ({2}) - Nein, das ist auch nicht Brüderle. Brüderle befasst sich mit diesem Thema nicht mehr. ({3}) Dieses Thema haben wir in unserer Diskussion längst geklärt. Für jedermann ist klar, dass wir uns nicht Geld pumpen können, um Ländern wie China das Schuldenmachen zu ersparen und ihre eigenen Probleme zu lösen. Aber wir dürfen die wirklich Bedürftigen, die sich nicht selbst helfen können, nicht zugunsten einer solchen Politik vernachlässigen. Das wäre nicht fair. ({4}) Deshalb wollen wir diese Politik nicht fortsetzen. In unserem Antrag fordern wir genau das, was auch die meisten Kollegen von der Union, wie ich weiß, unterstützen - offenbar ist der Kollege Kampeter der Einzige, der das offen aussprechen darf -: Schluss mit diesem Unfug! Wer hindert Sie eigentlich daran, hier eine Kurskorrektur vorzunehmen, die weiterhin nötige Hilfe an eine Eigenbeteiligung zu binden und unsere Aufmerksamkeit tatsächlich den wirklich Bedürftigen zuzuwenden? Stimmen Sie unserem Antrag zu, verwerfen Sie Ihre beiden Patchwork-Anträge und werfen Sie den Bericht der Bundesregierung dorthin, wo er hingehört: ins Archiv des Vergessens! ({5}) Wahrscheinlich wird die Bundesregierung in der Lage sein, irgendwann einen neuen Bericht abzugeben, in dem über das, was die Ministerin uns eben hier mitgeteilt hat, Auskunft gegeben wird. Vielleicht können wir dann über die Schlagworte hinaus, die sie hier aufgezählt hat, auch etwas Substanzielles hören. Was wollen Sie aus diesem Bericht aus dem Jahr 2005 hier denn noch erörtern? Das sind zwei Jahre alte olle Kamellen, die natürlich rot-grün durchwirkt sind. Sie stammen ja aus dieser Zeit. Der Neuigkeitswert besteht allenfalls darin, dass die Große Koalition unter Beteiligung und Führung der Union diese rot-grüne Politik jetzt offenbar als ihre eigene zu verkaufen gedenkt. Das kann doch wohl auch aus Ihrer Sicht nicht richtig sein. ({6}) Um diesen Bericht angemessen zu würdigen, genügt es eigentlich, den damaligen Oppositionsabgeordneten Dr. Ruck zu zitieren. Er hat beispielsweise am 8. Mai 2003 hier zu dieser Politik ausgerufen: Sie, Frau Ministerin, hüpfen von einem Elend oder Krisenherd zum anderen, nach dem Motto: Ziel ist, was Publicity schafft. Dem ist gerade in Bezug auf diesen Bericht überhaupt nichts hinzuzufügen. Nun aber zu dem Antrag der Koalition. Wie peinlich! Im Rubrum als Erster gleich wieder der Kollege Dr. Ruck, der heute Koalitionsabgeordneter ist. Auch dort ist inhaltlich alles wieder wie unter Rot-Grün gehabt. Dieser Bericht ist aktueller, als man auf den ersten Blick glaubt, wenn man Ihren Bericht liest. Die Textbausteine wurden in den letzen Tagen allerdings ganz offenbar wieder überstürzt auf dem Wühltisch mit den vorhandenen Papieren zusammengestoppelt. Folgerichtig gehen Sie mit Ihrem Antrag auch an den drängenden aktuellen Herausforderungen vorbei. Während beispielsweise die Kanzlerin, die jetzt nicht da ist, die Bedeutung der zivilen Komponente in Afghanistan immer wieder betont und während hier in Berlin das internationale Koordinierungskomitee zum Wiederaufbau Afghanistans tagt, bekommen Sie es fertig, einen Antrag zur Entwicklungspolitik vorzulegen, in dem das Wort Afghanistan nicht einmal in einer Fußnote auftaucht. Das sollen neue Impulse für die Entwicklungspolitik sein? Schauen Sie einmal nach! Fehlanzeige! Keine Impulse! Nirgendwo! ({7}) Man hat den Eindruck, dass Sie vielleicht zu lange auf Impulse der Bundesregierung gewartet haben. Aber da kam natürlich nichts. Deshalb haben Sie offenbar gestern noch schnell etwas zusammentragen lassen und nennen es nun Antrag. Nebenbei bemerkt: Eingang gestern Nachmittag. Der erste Monat der Präsidentschaft war da schon vorbei. Guten Morgen, meine Damen und Herren! Bei den Grünen war es ähnlich. Sie legten allerdings immerhin schon gestern Vormittag Ihren Antrag vor: eine gedrängte Zehnjahresliste aller Ihrer Anträge, die Sie immer schon gestellt haben. ({8}) Die Absicht, die Sie haben und hatten, war aber schlicht und einfach, das Thema nicht allein der FDP zu überlassen. ({9}) Deshalb haben Sie solche Papiere zusammengestellt. So, wie Sie das hier betrieben haben, so lieblos, so zusammengestoppelt, so zusammenhanglos, kann man weiß Gott nicht für Entwicklungspolitik werben. Nutzen Sie die Chancen, die Sie jetzt haben, und kommen Sie mit Inhalten rüber! Dann können wir in Zukunft in der Entwicklungspolitik auch gemeinsam etwas bewirken. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Christian Ruck, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Königshaus, ich fand Sie heute sehr aufgeregt und hektisch, sogar ein bisschen überaufgeregt. ({0}) Deswegen sind Ihnen auch manche Dinge herausgeplatzt, die Sie normalerweise so nicht gesagt hätten. Das nehmen wir Ihnen nicht übel. ({1}) Sie gestatten aber, dass ich genau das, was Sie angemahnt haben, auch tun möchte, nämlich den Zusammenhang zu dem herzustellen, über das wir heute diskutieren. In der Tat: Durch die Globalisierung und das Ende des Ost-West-Konflikts wurde die Welt verändert. Das zwingt uns natürlich, auch die Weichen in der Entwicklungspolitik neu zu stellen. Das Ende des Ost-West-Konflikts war natürlich ein großer Segen - das ist akzeptiert -, aber es hat gerade in Entwicklungs- und Transformationsländern dramatische Entwicklungen ausgelöst, die neue Probleme bringen oder alte verschärfen. Wir sehen auf der einen Seite Länder mit Tendenzen zu Staatszerfall, zu Bürgerkriegen, zu politischen Wirren, zu Stagnation und Perspektivlosigkeit und auf der anderen Seite, nicht zuletzt durch die Erfolge der Entwicklungshilfe und der Entwicklungszusammenarbeit auch Deutschlands, kleine und große Entwicklungsländer, die erstaunliche Fortschritte machen, die sogenannten Schwellenländer, die uns jetzt aber - so paradox das ist - neue Probleme bereiten, etwa die Verschärfung des Wettbewerbs um Rohstoffe, Märkte und Energiequellen. Besorgniserregend ist, dass die Kluft zwischen den erfolgreichen Industrie- und Schwellenländern einerseits und den erfolglosen Entwicklungsländern andererseits sowie die Kluft innerhalb dieser Länder wächst. So gibt es wirklich schreckliches Elend auf der einen Seite und märchenhaften Reichtum auf der anderen Seite. Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass unsere Welt zunehmend aus dem Gleichgewicht gerät. Globalisierung heißt in diesem Zusammenhang, dass wir als Deutsche und Europäer von den gewaltigen Umbrüchen auf diesen Kontinenten zunehmend unmittelbar und hautnah betroffen sind und auch stärker darauf reagieren müssen. Wirtschaftliche und ökologische Risiken, steigende Migration, wachsende soziale Spannungen bis hin zu unmittelbarer Bedrohung unserer Sicherheit, alles das erzwingt eine aktivere deutsche und europäische Politik auch gegenüber den Entwicklungsländern bis hin zu Friedenseinsätzen der Bundeswehr. ({2}) Die Entwicklungspolitik nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein, und zu dieser Schlüsselrolle bekennen wir uns. Sie muss nämlich helfen, politische und wirtschaftliche Strukturen in den Entwicklungsländern zu verbessern. Sie muss Entwicklungsperspektiven für die Menschen eröffnen, Spannungen mildern und globale Gefahren dort abwehren, wo sie entstehen. Das ist die Aufgabe einer modernen Entwicklungspolitik. ({3}) Vor diesem Hintergrund hat die internationale Gemeinschaft auf guten Konferenzen eine ganze Reihe von guten Beschlüssen gefasst. Zu nennen sind die Millenniumserklärung, Monterrey, die Afrikainitiativen der G 8, der Johannisburggipfel, die Erklärung von Paris zur Verbesserung der Effizienz. Das alles war gut und richtig. Das alles war mit ein Ergebnis einer engagierten deutschen politischen Beteiligung. Aber von den Beschlüssen zur Umsetzung ist es noch ein weiter Weg. Gerade auch deswegen ruhen viele Hoffnungen auf uns, auf Deutschland, die wir heuer den G-8-Gipfel beherbergen und die EU-Ratspräsidentschaft innehaben. Herr Königshaus, ich muss Ihnen übrigens eines sagen: Ihr plumper Trick, um die Koalitionspartner, die inzwischen in bewährter Weise zusammenarbeiten, auseinanderzudividieren - das kennen wir von Juso- und JUZeiten -, wird hier nicht helfen. Sie werden sich an uns die Zähne ausbeißen. ({4}) - Ja. Wahr ist - das können auch Sie nachlesen -: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Entwicklungspolitik das war auch schon Thema ihrer ersten Regierungserklärung; ich nenne in diesem Zusammenhang auch den gestrigen Unionskongress ({5}) stärker als alle ihre Vorgänger zu einem Fokus ihres Regierungshandelns gemacht. Das sieht man auch am Entwicklungshaushalt, der in den letzten zwei Jahren um mehr als eine halbe Milliarde Euro gestiegen ist. ({6}) Weitere Steigerungen sind im Busch. ({7}) Daran haben auch Sie nichts zu mäkeln. ({8}) Gemeinsam haben wir erkämpft - daran sieht man, dass die Entwicklungspolitik ein viel stärkeres Gewicht erhalten hat -, dass ganz wichtige Themen unserer Tagesordnungen auch auf den Tagesordnungen der Ratspräsidentschaft und des G-8-Gipfels stehen. Es sind zentrale Elemente und Aspekte unserer Entwicklungspolitik. Zum einen geht es um eine bessere Arbeitsteilung und Koordinierung. Wir müssen in diesem Jahr einen entscheidenden Schritt - dies ist doch auch Ihr Anliegen auf dem Weg zu einer transparenteren, effizienteren und schlüssigeren Aufgaben- und Arbeitsteilung, vor allem zwischen der EU und den Mitgliedstaaten, vorankommen. ({9}) Davon sind wir noch ein gutes Stück entfernt. Wir möchten Sie, Frau Ministerin, zu den Fortschritten, die sich abzeichnen, beglückwünschen, aber auch dazu ermutigen, diesen Kampf eisern fortzuführen. Unsere Rückendeckung haben Sie. Ein Beispiel - wir kennen es alle - ist doch, dass viele ärmere Entwicklungsländer mit schwachen Strukturen schon allein dadurch plattgemacht werden, dass 40 oder 50 Geberdelegationen kommen und sie fragen, was sie wollen. Da ist noch kein Spatenstich passiert, und die Länder sind - durch unsere Hilfe - schon am Ende. ({10}) Das muss sich ändern. Wichtig ist auch, dass bei den Handelsbeziehungen zwischen Europa und den Entwicklungsländern Fortschritte erzielt werden. Das ist auch richtig gesagt worden. Dabei geht es nicht nur um Liberalisierung. Es geht darum, dass man durch Liberalisierung Wachstumseffekte erzeugt, die natürlich auch den Armen in den Entwicklungsländern zugutekommen müssen. ({11}) - Wenn Sie mir eine Zwischenfrage stellen, kann ich Ihnen das ausführlich erläutern. Richtig ist auch, dass Klima- und Energiefragen in den Fokus rücken. Zu Recht ist der Stern-Report erwähnt worden. Er macht uns in dramatischer Weise klar, dass wir uns auch auf diesem Gebiet stärker anstrengen müssen. Das gilt ebenso für die Entwicklungs- und die Schwellenländer. Für uns ist auch der Dialog mit Afrika ganz wichtig. Afrika wird im Fokus von G 8 und EU stehen. Aber entscheidend ist, dass wir nicht nur über Finanzen sprechen und darüber, was wir für Afrika tun können, sondern dass wir die Afrikaner auch fragen: Was ist mit eurer Regierungsführung? Was ist mit euren Vorschlägen? Was sind eure Beiträge, um euren eigenen Kontinent besser in den Griff zu bekommen? ({12}) Natürlich dürfen wir gerade in Bezug auf Afrika nicht die Augen vor Fortschritten verschließen, vor Fortschritten bei Wachstumsraten, aber auch in Demokratiefragen. Viele von uns waren in Ghana. Ghana ist ein gutes Beispiel, aber es gibt auch andere gute Beispiele. Nach wie vor gilt das Wort des ehemaligen Weltbankvizepräsidenten Richard, der vor zwei Jahren im Ausschuss gesagt hat: Die Armutsbekämpfung in Afrika kommt deswegen nicht voran, weil es in Afrika die meisten Länder mit schlechter Regierungsführung gibt. - Ich glaube, dass wir auch dieses Thema zur Sprache bringen müssen und von den Afrikanern Lösungsvorschläge fordern müssen. ({13}) Das ist ein wichtiger Punkt; denn - auch das war Tenor unseres gestrigen Kongresses - die entscheidende Frage in der Entwicklungspolitik ist nicht so sehr das Geld, sondern die Frage: Gibt es entwicklungsorientierte Regierungen und Eliten, gibt es Good Governance in diesen Ländern? Und gibt es auch bei uns Good Governance, zum Beispiel in Handelsfragen und anderen Dingen? ({14}) Ich glaube, dass wir auch uns als Industrieländer gerade mit Blick auf Afrika fragen müssen, wie wir die Wildwestmethoden bei der Ausbeutung von Rohstoffen in Afrika abstellen wollen, wie wir den Afrikanern dazu verhelfen können, dass sie den Reichtum, den sie im Boden haben, ordentlich und für ihre eigene Bevölkerung gewinnbringend abbauen können. Da spielen natürlich China und andere Schwellenländer - China ist ja nur der böse Vorzeigeknabe - eine wichtige Rolle. Man muss zwischen der berechtigten und der unberechtigten Kritik an diesen Ländern unterscheiden. Unberechtigt ist, ihnen vorzuwerfen, dass sie allmählich das machen, was wir schon immer gemacht haben. ({15}) Berechtigt ist aber die Forderung, dass sie mit uns zusammen einen Verhaltenskodex entwickeln, der auch unseren entwicklungspolitischen Vorstellungen von Menschenwürde und Demokratie entspricht und nicht Good Governance und Bad Governance durcheinanderbringt, wie es bei den Chinesen der Fall ist. Das ist der Punkt. ({16}) Für mich - auch das möchte ich Ihnen sagen, Herr Königshaus - ist es die falsche Strategie, angesichts des Verhaltens der Chinesen beleidigt zu sein. Ich bin auch nicht für eine offene politische Kriegserklärung. Ich bin fest davon überzeugt - nach unserem gestrigen Kongress umso mehr -, dass wir mit einer intensiveren Zusammenarbeit und auch einem offenen Dialog eine gute Chance haben, Einfluss auf die Politik dieser Länder, sogar auf die Politik Chinas, zu nehmen. Herr Königshaus, ich rate Ihnen, einmal eine nüchterne Analyse von dem zu erstellen, was wir bereits mit Kreditfinanzierung und anderen Maßnahmen auf den Weg gebracht haben.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, darf ich Sie ebenfalls an Ihre Redezeit erinnern?

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich für den Hinweis, Frau Präsidentin. Ich befinde mich bereits im Sinkflug. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Es muss aber ein schneller Sinkflug sein. ({0})

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl. - Vor diesem Hintergrund wünsche ich unserer Kanzlerin und allen beteiligten Ministerinnen und Ministern eine glückliche Hand und viel Erfolg beim Bohren dicker Bretter. Denn eine solche Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder. Ich wünsche viel Erfolg bei der EU-Ratspräsidentschaft und beim G-8-Gipfel. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Hüseyin Aydin, Fraktion Die Linke. ({0})

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die unsoziale Politik der Bundesregierung ist unpopulär. Der Außenminister steht auf der Kippe. Da kommt die aktuelle G-8-Präsidentschaft gerade recht, um sich wenigstens auf internationalem Parkett als Speerspitze der Armutsbekämpfung darzustellen. ({0}) Auf dem G-8-Gipfel vor zwei Jahren wurde den 18 höchstverschuldeten Ländern ein Teilerlass ihrer Schulden versprochen. Geschehen ist aber so gut wie nichts. Nach Angaben der Weltbank flossen 2004 über 333 Mil-liarden US-Dollar an Kreditrückzahlungen aus dem Süden in den Norden. Das war mehr als viermal so viel wie die kombinierte Entwicklungshilfe aller Industriestaaten zusammen. Ich betone: Die eigentlichen Kredite sind längst zurückgezahlt worden. Doch die armen Länder stöhnen weiter unter der Last der Zinsen. Bei Geld hört die Freundschaft auf. Ich sage Ihnen: Auch von Heiligendamm ist nichts zu erwarten. ({1}) Die sogenannte Entschuldungsinitiative der G 8 ist nichts als eine große Augenwischerei. ({2}) Das erklärt, warum Deutschland effektiv weniger als je zuvor in die Entwicklungszusammenarbeit steckt. Frau Merkel, ich muss heute in der Zeitung lesen, dass Sie darüber nachdenken, auch noch Militäreinsätze wie im Kongo aus dem Topf der Entwicklungshilfe zu zahlen. Während das Geld für Gesundheit und Bildung fehlt, erklären Sie dreist, Deutschland würde die Millenniumsziele erreichen. Der vorliegende Antrag der Regierungsparteien reiht sich nahtlos in diese Beschönigungspolitik ein. Sie wollen uns tatsächlich weismachen, dass die G 8 sich „zu einer wichtigen Institution des internationalen Entwicklungsdialogs entwickelt“ haben. ({3}) Wie dieser Dialog aussah, ist hinlänglich bekannt: Die Staaten der G 8 dominieren die multilateralen Finanzinstitutionen IWF und Weltbank. Sie haben diesen Einfluss genutzt, um die armen Länder zu erpressen. Im Zuge der sogenannten Strukturanpassungsprogramme der 80er- und 90er-Jahre wurden afrikanische Staaten gezwungen, öffentliche Unternehmen zu privatisieren. Heute wird diese Politik unter dem zynischen Namen Armutsreduzierung fortgesetzt. Doch arm bleibt arm. Davon konnte ich mir in der letzten Woche aus Anlass des Weltsozialforums in Kenia ein Bild machen. Mithilfe der korrupten Regierungen Moi und nun auch Kibaki konnte sich das internationale Kapital profitträchtige Unternehmen wie die staatliche Fluglinie unter den Nagel reißen. Die Kehrseite ist: Der Verkauf von staatlichen Betrieben hat in den letzten zehn Jahren 80 000 Arbeitsplätze gekostet. Die Armut nimmt zu; die Slums wachsen. Die Aidsraten steigen rapide in die Höhe. In einem Elendsviertel von Nairobi leben 500 000 Kinder zwischen sechs und 15 Jahren. Doch dort gibt es nur vier Schulen. UN-Generalsekretär Ban hat gestern diesen Slum besucht und seine Betroffenheit erklärt. Doch die Menschen brauchen keine Worte, sondern Taten. ({4}) Außer Frage steht: Die deutsche Entwicklungshilfe leistet in Kenia gute Arbeit. Doch leider wird die engagierte Arbeit der Entwicklungshelfer durch die aggressive Marktöffnungspolitik der G 8 völlig konterkariert. Die Bundesregierung ist daran aktiv beteiligt. Derzeit wird aus Mitteln deutscher Entwicklungszusammenarbeit die Wasserversorgung in Kenia aufgebaut, um sie später an profitorientierte Unternehmen zu veräußern. Wozu das geführt hat, kann man sich im Nachbarland Tansania anschauen. ({5}) Die Regierungsparteien versprechen in ihrem Antrag neue Impulse für die Entwicklungspolitik. Doch all das, was sie uns vorsetzen, ist der gleiche alte neoliberale Quark. Die Linke sagt Nein zu einer Politik, die nur den Konzernen auf der Welt nutzt. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Thilo Hoppe, Bündnis 90/Die Grünen.

Thilo Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003558, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe den Eindruck, in dieser Debatte sagt jeder das, was er schon immer einmal sagen wollte oder schon in anderen Debatten gesagt hat. ({0}) Ich möchte mich jetzt stark auf die große Chance beziehen, die sich durch die Doppelpräsidentschaft in der G 8 und der EU bietet. Deutschland könnte und müsste neue Impulse setzen, und zwar nicht nur für die Entwicklungspolitik, auf die sich die Koalition in ihrem Antrag beschränkt, sondern auch für den Klimaschutz, die internationale Abrüstung, einen neuen Ordnungsrahmen und neue durchsetzungsfähige Spielregeln in der Globalisierung. ({1}) Doch leider ist die Bundesregierung dabei, diese Chance zu vertun. In den Reden, die wir heute oder auch zum Beispiel gestern von der Bundeskanzlerin auf dem entwicklungspolitischen Kongress der CDU/CSU-Fraktion gehört haben, wurde zwar viel Richtiges gesagt. ({2}) - Das kann ich unterstreichen; da habe ich mich kaum an irgendwelchen Äußerungen stoßen können. - Aber Entwicklungsrhetorik allein reicht nicht. Den schönen Worten müssen auch Taten folgen. ({3}) - Warten wir einmal den Haushalt ab. Sie vertrösten uns schon seit Monaten. ({4}) Sie haben die Debatte im Sommer verzögert, als es um die Einführung der Flugticket-Tax, um innovative Finanzierungsinstrumente ging. Da wurde immer wieder gesagt: Wir sind dabei; da ist etwas im Busche. - Wir haben nun lange darauf gewartet, dass der Vorhang gelichtet und präsentiert wird, ({5}) welche innovativen Finanzierungsinstrumente, zum Beispiel die Tobin Tax, die Kerosinsteuer oder zumindest die Flugticketabgabe, Deutschland einführt. Aber nichts geschieht. Fehlanzeige! Entwicklungsrhetorik allein reicht nicht aus. ({6}) Gewisse Themen, die weltweit eine große Rolle spielen, kamen heute überhaupt nicht vor. Im Koalitionsantrag werden die G 8 gelobt und deren Wohltaten gepriesen. Aber die international intensiv geführte Debatte über die Legitimität der G 8, darüber, dass sie ihren Horizont eigentlich überschritten hat, wird überhaupt nicht aufgegriffen. Die in Heiligendamm versammelten Staatschefs repräsentieren gerade einmal 13 Prozent der Weltbevölkerung. Dieser Klub der Reichen maßt sich an, über die Zukunft der Welt zu entscheiden. Ohne die stärkere Einbeziehung der Schwellen- und Entwicklungsländer lässt sich mittlerweile keine der Zukunftsfragen befriedigend anpacken. Wir brauchen sehr dringend ernsthafte Anstöße für eine Debatte darüber, wie die G 8 transformiert werden kann. Im Grunde genommen muss diese Debatte dahin zielen, die Strukturen der Vereinten Nationen zu stärken. ({7}) Dazu gibt es interessante Vorschläge, die noch überhaupt keine Rolle gespielt haben. Ein Panel, das noch Kofi Annan eingesetzt hat, hat konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt, wie der ECOSOC, der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen, der zugegebenermaßen noch ein Schattendasein fristet, kräftig aufgewertet werden kann. Diese Governance-Debatte wollen wir führen. Sie steht auch im Zentrum unseres Antrags. Man kann es natürlich auch so wie die Linke machen, die sagt: Die G 8 dürfte es eigentlich gar nicht geben. ({8}) Deswegen setzen wir uns mit den Inhalten des G-8-Treffens gar nicht auseinander und richten keine Forderungen an die G 8. - Wir gehen den Weg, dass wir diese Governance-Debatte führen und die Legitimation der G 8 infrage stellen, uns aber auch zur real existierenden G 8 verhalten und sie mit unseren inhaltlichen Forderungen konfrontieren. ({9}) In diesem Zusammenhang ist die größte Herausforderung die Klimakatastrophe. Sie wird hauptsächlich von den Industrienationen verursacht, und die Ärmsten der Armen müssen sie ausbaden; ({10}) auch das kam gestern auf dem Kongress der CDU/CSUFraktion auf den Tisch. Wenn es uns nicht gelingt, die Erderwärmung auf 2 Grad zu begrenzen - auch das enthält große Risiken -, dann wird es in Afrika - darüber haben gestern Wissenschaftler berichtet - Ernteausfälle von 25 bis 40 Prozent geben. Das hat dramatische Auswirkungen auf die Zahl der Hungernden. Alle G-8-Staaten, auch die USA, müssen sich zu verbindlichen CO2-Reduzierungszielen verpflichten. Wie kann Deutschland jedoch Impulse geben und eine Vorreiterrolle einnehmen, wenn es nicht einmal die Hausaufgaben im eigenen Land erledigt, wenn es sich eine peinliche Diskussion mit der EU-Kommission leistet, die Automobilindustrie in Schutz nimmt und keine verbindlichen Reduzierungsvorgaben macht? ({11}) Zum Thema Abrüstung. Die G-8-Staaten sind für die weltweit höchsten Militärausgaben verantwortlich. Gibt es Impulse für eine neue Runde der Abrüstungspolitik? Fehlanzeige! Besonders beim gefährlichen Atomdeal zwischen den USA und Indien könnte Deutschland einiges aufhalten. Aber dieser Themenbereich wird völlig ausgeblendet. Zum Thema Finanzmärkte. Hier haben die Risiken - auch durch die Hedgefonds und Private Equity Fonds deutlich zugenommen. Die Forderung nach mehr Transparenz reicht hier nicht aus, vielmehr brauchen wir eine Debatte über internationale Standards in der Finanzkontrolle. Auch zum Thema Austrocknung der Steueroasen finden wir im Antrag der Koalition nichts. Hier müssen die G 8 voranschreiten, sie müssen neue Impulse geben. Dass das nicht geschieht, liegt vielleicht daran, dass viele Nutznießer dieser Steueroasen in den G-8-Staaten zu finden sind. ({12}) Nun zum Thema Entwicklungspolitik, das in der heutigen Debatte von den meisten Rednern in den Vordergrund gestellt worden ist. Entwicklungsrhetorik reicht nicht aus. Sie sprechen die notwendigen Reformen an; dabei kann ich Sie unterstützen. Sie sind notwendig und richtig. Wir brauchen bessere Regierungsführungen in den Entwicklungsländern, wir müssen Reforminitiativen wie die NEPAD-Initiative unterstützen. Darüber hinaus brauchen wir Reformen bei den Instrumenten unserer Entwicklungszusammenarbeit, und schließlich brauchen wir Reformen bei den Strukturen des Welthandels. Dass Sie die Reformdebatte so stark in den Vordergrund stellen, erhärtet den Verdacht, dass Sie auf der finanziellen Ebene nichts zu bieten haben. Sie wollen davon ablenken, dass wir das 0,7-Prozent-Ziel bei der Entwicklungshilfe nicht erreichen werden. Darüber hinaus haben Sie keinen Plan zur Erreichung des Millenniumsziels vorgelegt. Das muss aufgearbeitet werden, sonst steht Deutschland als Gastgeber mit leeren Händen da. Wir haben einen großen Forderungskatalog vorgelegt und konkrete Vorschläge unterbreitet. Dazu gehören unter anderem die Einbeziehung des Tropenwaldschutzes in das Kioto-plus-Abkommen, eine verschärfte Aufsicht über die internationalen Finanzmärkte, aber auch neue Anstöße in der internationalen Abrüstungspolitik und neue Finanzierungsinstrumente in der Entwicklungspolitik. Unsere umfassenden Forderungen haben wir vorgelegt. Ich kann Ihnen nur raten: Greifen Sie diese Vorschläge auf! ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Walter Riester, SPDFraktion. ({0})

Walter Riester (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003616, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das G-8-Treffen soll unter dem Motto „Wachstum und Verantwortung“ stehen. Ich möchte den Begriff der Verantwortung auf uns beziehen und in den Mittelpunkt meiner wenigen Minuten Redezeit stellen. Kollege Hoppe, viele Ihrer angesprochenen Punkte unterstütze ich. Über vieles müssen wir wirklich eine Debatte führen. Ich begrüße es beispielsweise sehr, dass unser Vizekanzler bei der Eröffnung der Diskussion mit den EU-Arbeits- und Sozialministern die Frage der sozialen Verantwortung in Europa in den Vordergrund gestellt hat. Dort forderte er eine Besinnung der Europäischen Union auf ihre sozialen Werte. Um die Herzen der Menschen für die EU zu gewinnen, sei es auch entscheidend - sagte er weiter -, dass „Europa in seiner sozialen Dimension erkennbar ist“. Das ist ein wichtiger Punkt. Genauso wie Sie bin ich der Auffassung: Es darf nicht bei der Rhetorik bleiben. Ich will einen kritischen Punkt ansprechen: Vor zehn Jahren wurde die revidierte Europäische Sozialcharta im Europarat beschlossen. 40 Länder haben zwischenzeitlich diese Sozialcharta gezeichnet. Nicht gezeichnet haben sie Kroatien, Mazedonien, die Schweiz, Liechtenstein - so weit, so schlecht - und Deutschland. ({0}) Als Vertreter dieses Parlaments fällt mir langsam kein Argument mehr ein, wenn ich von Vertretern des Europarates gefragt werde, warum wir die Sozialcharta nicht einmal gezeichnet haben. Ich weiß es nicht. ({1}) Ich sage sehr deutlich: Wenn bis zum Ende der deutschen EU-Ratspräsidentschaft keine Entscheidung darüber fällt, werde ich eine parlamentarische Anfrage an die Regierung stellen. Auch das ist Verantwortung. ({2}) Ich habe mich außerordentlich über eine bemerkenswerte Rede gefreut, die unsere Bundeskanzlerin im November in Berlin zum Thema „Globalisierung fair gestalten“ gehalten hat. Sie hat gesagt, wie wichtig es ist, dass man auf die WTO wirklich bauen kann - ich zitiere sie -: Die Welthandelsorganisation ist eine sehr mächtige Organisation. Deshalb finde ich, dass man gerade hier über ökologische und soziale Dinge sprechen muss. Die Welthandelsorganisation kennt als eine der wenigen multilateralen Organisationen richtige Sanktionsmechanismen, sodass die Einhaltung der Standards auch hinterher eingeklagt werden kann. Ich war bei der Rede anwesend. Ich hatte überhaupt nicht den Eindruck, dass das Entwicklungs- oder Handelsrhetorik ist. Sie erschien mir sehr glaubwürdig. ({3}) Trotzdem möchte ich auf Folgendes hinweisen: Vor 30 Jahren - jetzt greife ich noch weiter zurück - hat die OECD Leitsätze beschlossen - wir haben dazugehört -, nach denen multinationale Unternehmen an Menschenrechtsgesichtspunkten zu messen sind. Jedes Unterzeichnerland hat zu diesem Zweck eine nationale Kontaktstelle eingerichtet. In Deutschland ist sie beim Wirtschaftsministerium, im Bereich des Außenhandels, angesiedelt. Diese Stelle hat einen Arbeitskreis eingerichtet, dem Vertreter von sieben Ministerien, der Wirtschaftsverbände, der Gewerkschaften und der Nichtregierungsorganisationen angehören. Seit mehreren Jahren hört man aus diesem Bereich die Klage - ich nehme an, sie wird nicht nur mir gegenüber geäußert -, dass es nicht nur schleppend vorangeht, sondern ein hohes Maß an Intransparenz vorherrscht. Neun große Unternehmen stehen im Moment unter dem Vorwurf, Menschenrechte verletzt zu haben. Korruptionsvorwürfe sind ebenso im Spiel wie der Vorwurf von groben Arbeitsrechtsverletzungen. Hier geht es nicht um ein paar Mittelständler, sondern um große, namhafte Unternehmen. An diesem Punkt komme ich zur Glaubwürdigkeit. Ich bin der Meinung, dass unsere Arbeit transparent sein muss und dass unsere Erklärungen von uns selbst in der Praxis konsequent umgesetzt werden müssen. Nur dann ist es glaubwürdig, wenn wir sagen, dass wir die Globalisierung sozial gestalten wollen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Überarbeitung der EU-Vergaberichtlinien hinweisen. Damit werden wir demnächst konfrontiert sein. Die EU-Vergaberichtlinien sehen vor - und es wird Sie nicht überraschen, dass ich das für sehr gut halte -: Die Auftraggeber können zusätzliche Bedingungen für die Ausführung des Auftrags vorschreiben, sofern diese mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind und in der Bekanntmachung … oder in den Verdingungsunterlagen angegeben werden. Die Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags können insbesondere soziale und umweltbezogene Aspekte betreffen. Ich nehme an, dass wir das wollen. Zwischen der Entwicklungsministerin, dem Umweltminister und dem Wirtschaftsminister gibt es aber eine heftige Auseinandersetzung, die ich kaum nachvollziehen kann. Ich kann dem Wirtschaftsministerium nur raten, einen Blick in die österreichischen oder in die französischen Ausschreibungsrichtlinien zu werfen, selbst wenn es ihm nicht um soziale Aspekte geht. Diese Länder wissen, wie sie ihre nationale Wirtschaft vor einem Unterbietungswettbewerb schützen, der mit unsoliden Methoden geführt wird. Demnächst werden wir vor diesem Problem stehen. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege.

Walter Riester (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003616, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Signal ist angekommen. Ich kann meine Rede auch beenden. Das war ein Beitrag zu der Frage, wie die Rhetorik mit der Praxis in Übereinstimmung gebracht werden kann. Lassen Sie uns gemeinsam dafür eintreten! Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Heike Hänsel, Fraktion Die Linke. ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Wieczorek-Zeul, Sie haben gesagt, Afrika sei das Topthema der Entwicklungspolitik. Ich bringe Ihnen eine Botschaft von vielen zivilgesellschaftlichen Gruppen aus Afrika mit. Die zentrale Botschaft des Weltsozialforums, das letzte Woche in Kenia, Nairobi, mit mehr als 50 000 Teilnehmern stattgefunden hat, lautet: Die Handelspolitik der Europäischen Union bedroht die Existenzgrundlage vieler Menschen in den Ländern Afrikas. Im Mittelpunkt der Kritik dieser Gruppen stehen die Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, die sogenannten EPAs, die eine weitgehende Marktöffnung und Zollsenkungen in den afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten vorsehen, und zwar vor allem in sensiblen Bereichen wie öffentlicher Beschaffung, Investitions7824 schutz und Wettbewerb. Bereits jetzt können viele Kleinbauern, Händler und vor allem Händlerinnen nicht mehr mit den hochsubventionierten Billigprodukten aus der EU auf ihren heimischen Märkten konkurrieren. In ganz Westafrika zum Beispiel bekommt man weit und breit nur europäisches Geflügel bzw. Hähnchenabfälle zu kaufen. Das, was wir an der chinesischen Regierung kritisieren, betreiben wir bereits seit Jahren auf diesem Kontinent. Dies würde durch die EPAs massiv verschärft. ({0}) Deshalb gab es zum Abschluss des Weltsozialforums eine große Demonstration, die mit den folgenden konkreten Forderungen zur Vertretung der Europäischen Kommission zog: Stopp der aktuellen EPA-Verhandlungen! Wir brauchen ein neues Verhandlungsmandat, das entwicklungspolitische statt handelspolitische Schwerpunkte setzt. Diese Verhandlungen müssen offen und transparent geführt werden. ({1}) Ich fordere die Bundesregierung hiermit auf, sich im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft für einen Stopp der aktuellen EPA-Verhandlungen einzusetzen. Das wäre in meinen Augen der glaubwürdigste Beitrag zur Entwicklungspolitik. Dies ist in Ihrem Antrag allerdings überhaupt nicht zu finden. ({2}) Die Länder des Südens, unter anderem Afrikas, leiden nach wie vor unter der enormen Schuldenlast. Mein Kollege Hüseyin Aydin ist bereits darauf eingegangen. Die kenianische Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai kritisierte auf dem Weltsozialforum: Wir haben Entschuldung von den G-8-Staaten gefordert, bisher haben wir nur Mogelpackungen bekommen. Deswegen fordern wir als Linksfraktion endlich umfassende und vor allem ernsthafte Entschuldungsinitiativen, die nicht an neoliberale Marktforderungen geknüpft sind, sondern an Strategien zur Armutsbekämpfung. Wir haben viele Vorschläge gemacht, unter anderem die Streichung illegitimer Schulden. Die haben Sie abgelehnt. ({3}) Die G-8-Staaten - das stimmt, Herr Hoppe - repräsentieren gerade einmal 13 Prozent der Weltbevölkerung. Wir hinterfragen die demokratische Legitimation dieser Treffen. Da haben Sie Recht. ({4}) Worin begründet sich eigentlich deren Legitimation? Durch militärische und wirtschaftliche Macht. ({5}) Sie marginalisieren die Vereinten Nationen. Deshalb fordern auch wir eine Umverlagerung der globalen Herausforderungen, zum Beispiel Entwicklungs-, Energie-, Ressourcen- und Abrüstungsfragen, zu den Vereinten Nationen. ({6}) Ich muss sagen, Herr Hoppe: Sie waren sieben Jahre lang an der Regierung beteiligt. Wir haben keinerlei Initiativen vonseiten der Grünen, vonseiten grüner Minister, die jetzt hier sitzen, bezüglich der Reform der G-8Staaten und einer Abkehr von dieser dominanten, exklusiven Politik erlebt. ({7}) Sie haben - wie alle anderen - an den G-8-Gipfeln teilgenommen. Wir glauben, dass eine andere Entwicklungspolitik möglich ist. Deshalb mobilisieren wir gemeinsam mit vielen zivilgesellschaftlichen Gruppen gegen den G-8Gipfel im Juni in Deutschland. Danke. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Anette Hübinger, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Anette Hübinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Ministerin! „Die deutsche G-8- und EU-Präsidentschaft - neue Impulse für die Entwicklungspolitik“ - der Titel unseres Antrages macht deutlich, welche Bedeutung wir der deutschen G-8- und EU-Ratspräsidentschaft für die Entwicklungspolitik beimessen. Wir sehen in den Präsidentschaften die Möglichkeit, wichtige Impulse für die Entwicklungspolitik zu geben, die man mit Fug und Recht als Querschnittsaufgabe bezeichnen kann. Unsere Welt befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Es gibt Entwicklungsländer, die sich dynamisch entwickeln und bemerkenswerte Wachstumspfade beschreiten. Andere Länder hingegen sind von Bürgerkrieg und Staatszerfall bedroht. Wir als CDU/CSU-Fraktion sehen uns aufgrund unserer abendländischen Kultur und aufgrund unserer christlichen Werte verpflichtet, Elend und Not zu lindern und die Menschen in den ärmsten Ländern zu befähigen, ihre eigenen Potenziale und Kapazitäten zu nutzen. ({0}) Die Verabschiedung der Millenniumsziele hat eine verstärkte Diskussion über die Wirksamkeit der eingesetzten Mittel ausgelöst. Unser ehrgeiziges Ziel, bis 2015 die Armut zu halbieren, wird wesentlich davon abhängen, wie wir die Entwicklungszusammenarbeit in Zukunft gestalten. Für die Erreichung der ODA-Quote werden wir weiterhin kämpfen. Das beweist nicht zuletzt die Erhöhung der im Haushalt bereitgestellten Mittel um 16 Prozent innerhalb von zwei Jahren - eine Erhöhung, wie wir sie seit Jahren nicht hatten. ({1}) Mit gleicher Vehemenz müssen wir den Wirkungsgrad der europäischen Entwicklungszusammenarbeit überprüfen. In diesem Zusammenhang möchte ich drei Bereiche ansprechen: Erstens. Wir begrüßen ausdrücklich, dass die deutsche Ratspräsidentschaft die Verbesserung der Arbeitsteilung auf europäischer Ebene zu einem Schwerpunkt erklärt hat. ({2}) Denn die bestehende Fragmentierung beeinträchtigt die Wirksamkeit der europäischen Entwicklungszusammenarbeit. Wir müssen uns untereinander besser absprechen und zu einem pragmatischen Ansatz bei der Arbeits- und Lastenteilung kommen. Die EU sollte nicht als 28. Geber auftreten. ({3}) Das europäische Vergabeverfahren muss im Interesse der Entwicklungsländer entbürokratisiert und beschleunigt werden. Des Weiteren brauchen wir für multilaterale Investitionen bessere Monitoring- und Evaluierungsinstrumente. In der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist man schon einen Schritt weiter. Mithilfe der EU-Battle-Groups ist die Fähigkeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu rascher Krisenreaktion deutlich verbessert worden. Um nachhaltig zu wirken, müssen diese Einsätze von entwicklungspolitischen Maßnahmen, die über die Zeit des Militäreinsatzes hinausgehen, begleitet werden. Denn erst die anschließende Entwicklungszusammenarbeit ermöglicht die weiterführende Stabilität und gibt den dort lebenden Menschen Zukunftsperspektiven. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird deutlich, dass eine moderne Entwicklungszusammenarbeit nur durch koordiniertes Miteinander funktioniert. ({5}) National wie auf europäischer Ebene ist eine ressortübergreifende Arbeit für den Erfolg von Entwicklungspolitik unerlässlich. ({6}) Zweitens. Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den Ländern in Afrika, der Karibik und dem pazifischen Raum haben eine lange Tradition. Seit dem Loméabkommen von 1975 ist die Globalisierung in großen Schritten vorangegangen. Während der deutschen Ratspräsidentschaft wird es verschiedene Ministertreffen geben, um die 2008 in Kraft tretenden Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen den oben genannten Regionen und der EU erfolgreich zu beenden. Erstmals werden handels- und entwicklungspolitische Ansätze miteinander verknüpft, um dadurch eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in diesen Ländern zu fördern. Denn die Abschottung der Märkte und die bisher gewährten Handelspräferenzen haben nicht zu den erhofften Entwicklungen in diesen Ländern geführt. ({7}) Vor dem Hintergrund des momentanen Stillstands der Doharunde gewinnt der erfolgreiche Abschluss der Verhandlungen zwischen der EU und den AKP-Staaten umso mehr an Bedeutung. Es wäre ein deutliches Signal an die Blockierer der Doharunde, wenn dennoch multilaterale Verträge im Interesse der Entwicklungsländer geschlossen werden könnten. Multilaterale Verträge sind besser überprüfbar und haben eine höhere Verlässlichkeit für die Akteure. Das ist besonders im Hinblick auf die Erhöhung von Investitionen der Privatwirtschaft in Entwicklungsländern wichtig. Drittens. Im Umgang mit Rohstoffen und Ressourcen sind international gültige Standards heute unabdingbar. Die 2003 ins Leben gerufene EITI-Initiative - eine Initiative, die sich für mehr Transparenz im Umgang mit Rohstoffen einsetzt - versucht, die Korruption in Entwicklungsländern zu bekämpfen und Good Governance zu stärken. Wir beobachten, dass gerade rohstoffreiche Entwicklungsländer sehr korruptionsanfällig sind und so trotz guter Ausgangsbedingungen Entwicklung fast unmöglich ist. Für den Aufbau funktionierender Strukturen, die eine nachhaltige Entwicklung ermöglichen, sind Rechtstaatlichkeit und Demokratieverständnis Voraussetzungen. Das heißt auch, dass wir im Dialog mit unseren Partnerländern Missstände und Probleme offen ansprechen. Die Folgen der Klimaveränderung sind eines der größten Probleme, das uns alle berührt. Der Vorschlag der Europäischen Kommission, den Energieverbrauch bis 2020 um 30 Prozent zu reduzieren, zeigt, dass wir unseren Beitrag leisten wollen. Wenn man jedoch berücksichtigt, dass der Anteil der Europäischen Union an den gesamten CO2-Emissionen 15 Prozent beträgt - das heißt, 85 Prozent werden woanders emittiert -, brauchen wir eine verstärkte globale Verantwortung. ({8}) Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft steht vor großen Aufgaben. Die Rolle der Europäischen Union wird in Zukunft auch davon abhängen, wie wir es schaffen, die Herausforderungen in dieser Welt gemeinsam anzugehen. Gerade im Hinblick auf unseren Nachbarkontinent Afrika, auf dem der entwicklungspolitische Schwerpunkt dieser Ratspräsidentschaft liegt, stehen wir vor gewaltigen Anstrengungen. Nur, wenn wir diese Aufgabe gemeinsam in der EU und partnerschaftlich mit Afrika angehen, werden wir Erfolge erzielen. Das afrikanische Sprichwort „Wenn du schnell vorwärtskommen willst, dann gehe alleine; wenn du weit gehen willst, dann gehe zusammen“ sollten wir beherzigen. ({9}) Die Modernisierung der Entwicklungspolitik ist ein wichtiger Weg, den wir gemeinsam mit unseren Partnern gehen wollen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Sascha Raabe, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am Anfang dieser Debatte haben einige Redner die Entwicklungszusammenarbeit der Koalition angegriffen. Diese Angriffe waren aus meiner Sicht nicht nur polemisch, sondern gehen auch an der Sache vorbei. Denn dass wir in der Koalition die rot-grüne Regierungspolitik in diesem Bereich fortsetzen, ({0}) ist doch nicht zu kritisieren, Herr Königshaus. Das steht schließlich in Kontinuität zu dem, was durch unsere Ministerin eingeleitet wurde. ({1}) - Darüber sollte man nicht lachen; das können Sie Fastnacht tun. Sie hätten etwas mehr nachdenken sollen. Wir verstehen Entwicklungszusammenarbeit nämlich nicht mehr nur als reine Projektarbeit, sondern wir setzen sie gemeinsam mit der Union in der Erkenntnis fort, dass wir einerseits Hilfe zur Selbsthilfe leisten und andererseits die notwendigen Rahmenbedingungen im Hinblick auf den Welthandel schaffen müssen. Das betrifft auch die Punkte, die Walter Riester genannt hat. Das alles führen wir in einem modernen Verständnis von Entwicklungszusammenarbeit weiter. Deswegen schaufeln wir auch nicht einfach Geld nach China, wie Sie behauptet haben. Vielmehr verfolgen wir dort auch ein egoistisches Leitmotiv. Denn wenn wir dem Energiehunger dieser Nation, die zusammen mit Indien über 2 Milliarden Einwohner zählt - das ist ein Vielfaches der Einwohnerzahlen von Europa und den USA -, in der Form gerecht werden wollen, dass uns noch Luft zum Atmen bleibt, dann ist die Luft für uns genauso wichtig wie für die ärmsten Menschen in China und Indien. Deswegen werden wir diese Länder auch weiter motivieren, auf saubere Energien zu setzen. Das ist ebenso in unserem Interesse wie im Interesse der Armen dort. ({2}) Herr Hoppe, Sie haben einige Male versucht, einen ebenfalls wichtigen Teil unserer Politik zu kritisieren. Dabei geht es um die Frage, wie wir die ODA-Quote so steigern können, wie wir es vereinbart haben. Sie beklagen immer wieder, dass wir uns noch nicht auf eine Flugticketabgabe festgelegt haben. Wichtig ist aber, dass wir Geld zur Verfügung stellen. ({3}) Wir haben in den letzten beiden Haushalten je 300 Millionen Euro mehr für Entwicklungszusammenarbeit ausgegeben. ({4}) Das entspricht einem Plus von jeweils 8 Prozent pro Haushaltsjahr. Daran zeigt sich, dass wir auf einem guten Pfad sind. Es ist verständlich, dass Sie sich damit erkennbar schwertun, weil das keinen Angriffspunkt für Sie bietet. Herr Aydin, zur ODA-Quote gehört auch in einem gewissen Maße der Schuldenerlass. Sie haben in Ihrer Rede gesagt, der Schuldenerlass habe nichts gebracht. Das ist sehr zynisch. Sagen Sie das den über 15 Millionen Kindern in Afrika, die wegen des Schuldenerlasses jetzt eine Grundschule besuchen können! Sagen Sie den Eltern, den Familien und den Menschen, denen wir dort geholfen haben, dass Ihrer Meinung nach der Schuldenerlass nichts gebracht hat! ({5}) Auch ich bin in den Elendsvierteln von Nairobi gewesen. Die Armut dort ist tatsächlich so, wie wir es uns in Deutschland nicht vorstellen können: keine Straßen, eine Abwasserrinne, wo es nach Kot und Urin riecht, kein Trinkwasser. Die Menschen dort leben wirklich im tiefsten Elend. Das macht betroffen. Aber man darf die Erfolge deutscher Entwicklungszusammenarbeit auch nicht kleinreden. Wir haben dort Projekte, mit denen es zum Beispiel die KfW und die GTZ 18 000 Frauen pro Jahr ermöglichen, dass sie ihre Kinder für einen ganz geringen Betrag in einer Klinik gebären können, egal ob sie einen Kaiserschnitt benötigen oder was auch immer. Wir machen dort Familienplanung. Wir haben durch den Global Fund für Aids dort eine Krankenstation. Mir wurde gesagt, noch vor ein, zwei Jahren gab es Sammelplätze, von wo man die Toten, jeden Tag zehn bis 15, einfach weggeschafft hat. Das gibt es heute nicht mehr, auch dank deutscher Entwicklungszusammenarbeit. ({6}) Wir bauen auch soziale Sicherungssysteme im Gesundheitswesen bis in die Dörfer hinein auf. Ich glaube, an der Stelle muss man auch unseren deutschen Entwicklungshelfern, sowohl den staatlichen als auch denen der Nichtregierungsorganisationen, einmal ein herzliches Dankeschön für ihr Engagement aussprechen. ({7}) Dann zum Punkt der Wasserversorgung, Herr Aydin: Unser Entwicklungsverständnis ist ein anderes als Ihres. Wir wollen nicht wie Sie immer nur Almosen und Geld geben, sondern wir wollen, dass sich die Menschen selbst helfen können. ({8}) Deswegen investieren wir auch in Infrastrukturmaßnahmen. Dazu gehört auch, dass wir die Wasserversorgung so aufbauen wollen, dass sich diese Systeme am Ende selbst tragen können, natürlich sozial gestaffelt, sodass sich auch die Ärmsten Wasser leisten können und die Reichen mehr bezahlen. Wie ist es denn im Augenblick? In vielen Bereichen gibt es gar keine Trinkwasserversorgung, sondern es kommen in vielen Vierteln private Händler mit völlig überzogenen Preisen und liefern teures Trinkwasser in schlechter Qualität. Deswegen ist es richtig, dass wir dort mit Krediten und finanzieller Zusammenarbeit dazu beitragen, dass eine sich selbst tragende Wasserversorgung aufgebaut wird. Ihre Kritik daran, dass wir Kredite vergeben und nicht nur Geld schenken, trifft auch nicht das Selbstverständnis der Menschen in den Entwicklungsländern. Denn sie sind stolz. Deshalb werden wir auch weiter darauf achten, dass wir Kredite vergeben, die an Armutsbekämpfungsprogramme gebunden sind. Wir machen auch nicht nur blinden Schuldenerlass. Die Entwicklungsländer zahlen uns mit Stolz und erhobenem Haupt das Geld zurück. Das ist doch der richtige Weg. Herr Yunus hat nicht umsonst den Friedensnobelpreis für die Vergabe von Mikrokrediten bekommen. Denn er verschenkt auch nicht einfach das Geld an die Ärmsten, sondern er gibt ihnen die Möglichkeit einer Starthilfe, damit sie sich selbst mit kleinen Unternehmen in die Lage versetzen können ({9}) - Ja, eine Zwischenfrage?

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nein, ich lasse keine Zwischenfrage mehr zu, weil Ihre Redezeit überschritten ist.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann lassen Sie mich noch einen Abschlusssatz sagen. Es ist wichtig, dass wir den Menschen nicht die Würde nehmen, denn die Menschen sind fleißig. Auch in Nairobi konnte ich mich davon überzeugen, wie fleißig die Ärmsten der Armen in den Slums sind, sie arbeiten, sie wollen von ihrer eigenen Hände Arbeit leben. Dazu wollen wir sie in die Lage versetzen. Da ist ein Kredit besser, als dauerhaft zu glauben, man könnte das Geld verschenken. Denn die Menschen wollen ihr Leben mit Würde selbst bestimmen. Dabei wollen wir ihnen helfen, und deshalb werden wir diese Politik fortführen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/4160, 15/5815, 16/3839 und 16/4151 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 e und 32 sowie Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf: 34 a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reduzierung und Beschleunigung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren - Drucksache 16/1337 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul Schäfer ({1}), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Verzicht auf den Verkauf und das Überlassen von überschüssigem Wehrmaterial - Drucksache 16/3350 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({2}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul Schäfer ({3}), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Stopp von staatlichen Bürgschaften für Rüstungsexporte - Drucksache 16/3697 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({4}) Auswärtiger Ausschuss Finanzausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Dr. Christel Happach-Kasan, HansMichael Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Gründung eines Deutschen Biomasseforschungszentrums vorantreiben - Drucksache 16/3838 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({5}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Hellmut Königshaus, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Telekommunikationsmärkte in Entwicklungsländern liberalisieren - Die digitale Spaltung überwinden - Drucksache 16/4059 7828 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({6}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 32 Beratung des Antrags der Abgeordneten Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Rainer Stinner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Attraktivität des Soldatenberufes steigern - Drucksache 16/2836 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({7}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss ZP 2 a)Erste Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({8}), Kai Gehring und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen ({9}) - Drucksache 16/4148 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({10}) Rechtsausschuss b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Diaspora - Potenziale von Migrantinnen und Migranten für die Entwicklung der Herkunftsländer nutzen - Drucksache 16/4164 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({11}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Haushaltsausschuss Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 16/4059 - Tagesordnungspunkt 34 e - soll zusätzlich an den Ausschuss für Kultur und Medien überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 35 a bis 35 q sowie Zusatzpunkte 3 a bis 3 i auf. Es handelt sich um die Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 35 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsgesetzes - Drucksache 16/2919 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({12}) - Drucksache 16/4193 Berichterstattung: Abgeordnete Friedrich Merz Klaus Uwe Benneter Dr. Gesine Lötzsch Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4193, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Ich würde jetzt gern wissen, wie die Fraktion Die Linke stimmt. ({13}) Dann frage ich noch einmal: Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der Linken angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Ergebnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Tagesordnungspunkt 35 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Umweltverträglichkeit von Waschund Reinigungsmitteln ({14}) - Drucksache 16/3654 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({15}) - Drucksache 16/4188 Berichterstattung: Abgeordnete Jens Koeppen Heinz Schmitt ({16}) Eva Bulling-Schröter Sylvia Kotting-Uhl Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Drucksache 16/4188, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 35 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales - Drucksache 16/3657 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({17}) - Drucksache 16/4196 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Michael Fuchs Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4196, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 35 d: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 21. Mai 2003 über Schadstofffreisetzungs- und -verbringungsregister - Drucksache 16/3755 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({18}) - Drucksache 16/4189 Berichterstattung: Abgeordnete Jens Koeppen Heinz Schmitt ({19}) Horst Meierhofer Lutz Heilmann Sylvia Kotting-Uhl Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Ziffer I seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4189, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 35 e: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Protokolls über Schadstofffreisetzungs- und -verbringungsregister vom 21. Mai 2003 sowie zur Durchführung der Verordnung ({20}) Nr. 166/2006 - Drucksache 16/3756 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({21}) - Drucksache 16/4189 Berichterstattung: Abgeordnete Jens Koeppen Heinz Schmitt ({22}) Horst Meierhofer Lutz Heilmann Sylvia Kotting-Uhl Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Ziffer II seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4189, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Tagesordnungspunkt 35 f: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 11. April 2006 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über die Durchführung des Übereinkommens vom 25. Februar 1991 über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen ({23}) - Drucksache 16/4011 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({24}) - Drucksache 16/4190 Berichterstattung: Abgeordnete Andreas Jung ({25}) Dr. Matthias Miersch Horst Meierhofer Lutz Heilmann Sylvia Kotting-Uhl Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 16/4190, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Da es sich um ein Vertragsgesetz handelt, entfällt die dritte Lesung. Tagesordnungspunkt 35 g: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({26}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen Ratsdok. 13076/06 - Drucksachen 16/4105 Nr. 2.96, 16/4192 Berichterstattung: Abgeordnete Michael Grosse-Brömer Mechthild Dyckmans Jerzy Montag Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 35 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses ({27}) Übersicht 5 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht - Drucksache 16/4058 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 35 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({28}) Sammelübersicht 162 zu Petitionen - Drucksache 16/4067 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 162 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 35 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({29}) Sammelübersicht 163 zu Petitionen - Drucksache 16/4068 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 163 ist mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen und bei Gegenstimmen der Linken angenommen. Tagesordnungspunkt 35 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({30}) Sammelübersicht 164 zu Petitionen - Drucksache 16/4069 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 164 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 35 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({31}) Sammelübersicht 165 zu Petitionen - Drucksache 16/4070 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 165 ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, der CDU/ CSU und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Tagesordnungspunkt 35 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({32}) Sammelübersicht 166 zu Petitionen - Drucksache 16/4071 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 166 ist mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der Grünen und Gegenstimmen der Linken angenommen. Tagesordnungspunkt 35 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({33}) Sammelübersicht 167 zu Petitionen - Drucksache 16/4072 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthal- tungen? - Die Sammelübersicht 167 ist bei Gegenstim- men der Fraktion Die Linke, im Übrigen mit den Stim- men der restlichen Fraktionen angenommen.1) Tagesordnungspunkt 35 o: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({34}) Sammelübersicht 168 zu Petitionen - Drucksache 16/4073 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 168 ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 35 p: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({35}) Sammelübersicht 169 zu Petitionen - Drucksache 16/4074 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 169 ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, der SPD und der CDU/ CSU bei Gegenstimmen der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 35 q: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({36}) Sammelübersicht 170 zu Petitionen - Drucksache 16/4075 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthal- tungen? - Die Sammelübersicht 170 ist mit den Stim- 1) Analge 2 men der Regierungsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Zusatzpunkt 3 a: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({37}) Sammelübersicht 171 zu Petitionen - Drucksache 16/4172 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 171 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Zusatzpunkt 3 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({38}) Sammelübersicht 172 zu Petitionen - Drucksache 16/4173 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 172 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Zusatzpunkt 3 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({39}) Sammelübersicht 173 zu Petitionen - Drucksache 16/4174 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 173 ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Zusatzpunkt 3 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({40}) Sammelübersicht 174 zu Petitionen - Drucksache 16/4175 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 174 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Zusatzpunkt 3 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({41}) Sammelübersicht 175 zu Petitionen - Drucksache 16/4176 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 175 ist mit den Stimmen der Fraktion Die Linke, der SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Zusatzpunkt 3 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({42}) Sammelübersicht 176 zu Petitionen - Drucksache 16/4177 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 176 ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Linken angenommen. Zusatzpunkt 3 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({43}) Sammelübersicht 177 zu Petitionen - Drucksache 16/4178 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 177 ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Zusatzpunkt 3 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({44}) Sammelübersicht 178 zu Petitionen - Drucksache 16/4179 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 178 ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Gegenstimmen der Fraktionen der FDP und der Linken angenommen. Zusatzpunkt 3 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({45}) Sammelübersicht 179 zu Petitionen - Drucksache 16/4180 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 179 ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN Protestaktionen der Gewerkschaften zur Heraufsetzung des Rentenalters Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Oskar Lafontaine, Fraktion Die Linke. ({46})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Gewerkschaften wehren sich zurzeit gegen die Rentenkürzungen, denen viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entgegensehen. ({0}) Ich möchte für die Fraktion Die Linke erklären, dass wir diese betrieblichen Maßnahmen der deutschen Gewerkschaften nachhaltig unterstützen. ({1}) Wir sehen in diesen betrieblichen Maßnahmen politische Streiks. Wir sind der Auffassung, dass es notwendig wäre, in Deutschland ebenso wie in den meisten anderen europäischen Staaten und in vielen Ländern der Welt auch die Möglichkeit des politischen Streiks zuzulassen, ({2}) damit die Bevölkerung die Möglichkeit hat, sich gegen unsoziale Maßnahmen der Regierung und der Parlamentsmehrheit zur Wehr zu setzen. ({3}) Dass diese Maßnahme notwendig ist, zeigen erschütternde Befragungsergebnisse, die zum Jahreswechsel veröffentlicht worden sind. Nach Meinungsbefragungen sind 80 Prozent der Bevölkerung der Auffassung, dass es sowieso keinen Sinn mehr habe, zur Wahl zu gehen, weil diejenigen, die sie in die Parlamente entsenden, sowieso machten, was sie wollten, und die Interessen der Wähler nicht mehr vertreten würden. Nach einer anderen Untersuchung sind 60 Prozent der Bevölkerung der Auffassung, dass es in Deutschland ungerecht zugeht, während 60 Prozent der Parlamentarier der Auffassung sind, dass es in Deutschland gerecht zugeht. Noch nie hat sich die Volksvertretung so weit von dem Volk entfernt wie derzeit. Auch deshalb brauchen wir das demokratische Institut des politischen Streiks. ({4}) Meine Damen und Herren, selbst wenn Sie diesen Befragungen nicht glauben, dann sollten Sie selbstkritisch mit sich zurate gehen und sich einmal die Frage stellen, wer Sie eigentlich so erleuchtet hat, dass Sie in allen entscheidenden Fragen, über die in den letzten Jahren und Monaten abgestimmt wurde, gegen die Mehrheit des Volkes abstimmten. Nehmen Sie beispielsweise die Rentenfrage: Sie stimmen mit großer Mehrheit gegen die Mehrheit des Volkes. Nehmen Sie die Steuerfrage - Mehrwertsteuererhöhung -: Sie stimmen mit großer Mehrheit gegen die Mehrheit des Volkes. Nehmen Sie die Gesundheitsreform: Sie stimmen mit großer Mehrheit gegen die Mehrheit des Volkes. Nehmen Sie die Kürzung vieler sozialer Leistungen: Sie stimmen immer mit großer Mehrheit gegen die Mehrheit des Volkes. Auch bei den ausufernden Auslandseinsätzen der Bundeswehr stimmen Sie gegen die Mehrheit des Volkes. Meine Damen und Herren, Sie sollten mit sich zurate gehen. Ein Parlament, das sich Volksvertretung nennt, aber mit großer Mehrheit immer gegen das Volk abstimmt, ist im Grunde genommen keine Volksvertretung mehr. ({5}) Deshalb wird der Ruf nach direkter Demokratie laut, ({6}) nach der Möglichkeit, dass die Bevölkerung sich in Volksabstimmungen zu einzelnen Fragen äußern kann, weil die Bevölkerung - nach unserer Auffassung zu Recht - der Meinung ist, dass sie selbst in bestimmten Fragen genauso sachkundig entscheiden kann wie ihre Volksvertreter. Deshalb brauchen wir direkte Formen der Demokratie, damit nicht immer wieder gegen die Interessen des Volkes abgestimmt wird. ({7}) Dass dies hervorragende Effekte zeigen kann, haben beispielsweise unsere französischen Nachbarn gezeigt. Dort hat die Regierung entgegen dem mehrheitlichen Willen der Bevölkerung den Kündigungsschutz für junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abgeschafft. Die Bevölkerung hat gesagt: Das wollen wir nicht hinnehmen. Insbesondere junge Menschen haben gesagt: Das wollen wir nicht hinnehmen. Sie kennen die sozialen Probleme der Jugendlichen in Frankreich. Die Bevölkerung ging mit den Gewerkschaften auf die Straße und hat die Regierung gezwungen, dieses Gesetz zurückzunehmen. Wir wünschen uns solche Möglichkeiten auch für Deutschland. ({8}) Es ist schlicht und einfach eine Anmaßung, zu glauben, all das, was die Bevölkerung in den Sachfragen für richtig hält, sei falsch, sei nicht begründet und diejenigen, die dies hier vertreten, seien Populisten, während diejenigen, die gegen die Bevölkerung argumentieren und ihre Abstimmungen gegen die Interessen der Bevölkerung durchführen, von Sachverstand usw. geprägt seien. Das ist eine Form der Anmaßung. Ihr ständiger Vorwurf des Populismus fällt letztendlich anklagend auf Sie selbst zurück. Sie entscheiden immer gegen die Mehrheit der Bevölkerung. Wir brauchen letztendlich wieder einmal direkte Demokratie in Deutschland. ({9}) Gestatten Sie mir folgenden Hinweis: Auch der Umgang mit den Bergleuten zeigt wieder, dass es in der Vergangenheit möglich war, Interessen der Bergleute durchzusetzen; damals waren die Bergleute nämlich noch stark genug. Ich erinnere an die großen Demonstrationen in Bonn. Es kam zu einem vernünftigen Kompromiss, aber letztendlich nur deshalb, weil die Bergleute stark genug waren, ihre Interessen durchzusetzen. Jetzt sind sie einem unwürdigen Hin und Her ausgesetzt. Ich kann mir vorstellen, dass viele Bergleute ihr Vertrauen in die parlamentarischen Institutionen verlieren. Die zitierten Umfragen sind auf jeden Fall eindeutig. Das Institut des politischen Streiks ist ein elementares Institut jeder funktionierenden Demokratie. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Soziale Marktwirtschaft ist keine reine Staatsveranstaltung. Sie lebt von starken Interessenorganisationen. Sie braucht starke und freie Gewerkschaften. Deswegen ist es so bedauerlich, dass sich Teile der Gewerkschaftsbewegung mit ihren Aktionen in diesen Tagen aus dem seriösen Teil der Debatte um die Zukunft unseres Rentensystems verabschiedet haben. Ich wiederhole: Das ist das eigentlich Bedauerliche an dieser Debatte. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang zitieren, was Peter Struck dem IG-Metall-Vorsitzenden dieser Tage ins Stammbuch geschrieben hat - wo der Kollege Struck recht hat, hat er recht -: Der oft wiederholte Vorwurf, die Erhöhung des Rentenalters bedeute eine Rentenkürzung, ist angesichts einer im Durchschnitt weiter steigenden Rentenbezugsdauer haltlos. Tatsächlich sorgen gerade unsere Maßnahmen dafür, dass die heutigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner keine Einbußen fürchten müssen. Wer die Augen vor der Realität und vor gesellschaftlichen Entwicklungen verschließt, untergräbt langfristig die Stabilität unserer sozialen Sicherungssysteme. Genau das, was der Kollege Peter Struck der Führung dieser Gewerkschaft ins Stammbuch geschrieben hat, ist Tatsache. Wir machen eine Politik, die auf die Nachhaltigkeit der Rentenversicherung abzielt und die deswegen auch sozial gerecht ist. ({0}) Ich will deutlich sagen: So äußert sich in der Tat in dieser Zeit nicht nur die Spitze einer Gewerkschaft. Wenn ich mich über meinen Freund Klaus Brandner ärgere - das kommt gelegentlich vor -, dann nehme ich mir meine Heimatzeitung, um zu lesen, was die dortigen Gewerkschaftsfunktionäre sagen. Dort kann ich folgende Aussage des örtlichen IG-Metall-Bevollmächtigten lesen: „Die einen arbeiten sich zu Tode, die anderen stehen vor dem Arbeitsamt.“ Wenn ich das lese, weiß ich, was ich an Klaus Brandner habe, ({1}) und bin froh, dass es im Gewerkschaftslager auch andere Stimmen gibt. Meine Damen und Herren, wie weit muss man von der Realität entfernt sein, wenn man angesichts einer gegenwärtigen durchschnittlichen Rentenbezugsdauer von 17 Jahren, die bis zum Jahre 2030 auf 18 Jahre steigen wird, behauptet, die Leute in Deutschland arbeiteten sich zu Tode? Wie borniert und realitätsfern sind die Gewerkschaftsfunktionäre, die solch einen Blödsinn verbreiten? ({2}) Es gibt viele gute Gründe, warum wir Gewerkschaften brauchen, und viele wichtige Ziele, für die sie sich engagieren können. Es gibt viele Themen, über die man streitige Diskussionen führen kann, indem man Pro- und Kontraargumente austauscht. Aber diese Auseinandersetzung, die Teile - ich betone: Teile - der deutschen Gewerkschaftsbewegung führen, ist ein Kampf gegen Adam Riese und gegen alle mathematischen Gesetze. Diesen Kampf kann keine Gewerkschaft gewinnen. ({3}) Die durchschnittliche Rentenbezugsdauer beträgt schon heute 17 Jahre. Aber das ist nicht alles. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung und trotz der Maßnahmen, die wir durchführen müssen, um die Rente zukunftsfähig zu machen, wird sie weiter steigen. In den 60er-Jahren betrug die Rentenbezugsdauer zehn Jahre, heute beträgt sie mehr als 17 Jahre und bis zum Jahre 2030 wird sie auf 18 Jahre steigen. Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt insgesamt wie auch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt für Ältere gibt uns recht: In einem Jahr haben wir die Zahl der Arbeitslosen um 764 000 Personen reduziert. Wir sind damit noch nicht am Ziel. Aber wir haben einen großen Schritt getan, um bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit voranzukommen. Wenn man sich die Arbeitslosenzahlen von Älteren ansieht, stellt man fest: Bei den über 55-Jährigen ging die Arbeitslosigkeit in einem Jahr um 12 Prozent und bei den über 50-Jährigen um fast 13 Prozent zurück. Was will man denn noch verlangen außer einem solch starken Rückgang der Arbeitslosigkeit, den wir in nur einem Jahr erreicht haben und den wir auch für die nächsten Jahre anpeilen, und zwar bevor die behutsame Anhebung des Renteneintrittsalters überhaupt einsetzt? Die Behauptungen, dass es keine lange Rentenbezugsdauer gibt und dass auf dem Arbeitsmarkt für Ältere keine Fortschritte erzielt worden sind, sind unsinnig. Das weisen wir entschieden zurück. ({4}) Abschließend möchte ich eines zu Herrn Lafontaine und seiner falschen, aber immer wieder aufgestellten Behauptung sagen, wir würden gegen die Interessen des Volkes regieren. ({5}) Herr Lafontaine, dass Sie entscheiden, wer das Volk ist, das kennen wir aus der Tradition der Partei, der Sie sich angeschlossen haben. Sie von den Linken sind vor dem Hintergrund Ihrer Geschichte die Allerletzten, die sich freien Gewerkschaften an den Hals werfen sollten. Sie sind die Letzten, die dafür eine politische Legitimation haben. ({6}) Wir stehen für ein Land mit freien Gewerkschaften, nicht Sie. Sie wurden von 8 Prozent der Menschen gewählt; das ist wahr. Wir Demokraten haben daher anzuerkennen: 8 Prozent haben Sie gewählt, 92 Prozent haben andere Parteien gewählt, nämlich die demokratischen Parteien, die in diesem Hause verantwortungsvolle Politik machen. ({7}) Wir haben für die Politik, die wir machen, ein Mandat. Wir machen sie im Interesse der Menschen, für eine zukunftsfähige Rentenversicherung und gegen Ihre Polemik und Ihren Widerstand. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich L. Kolb, FDPFraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn will ich für meine Fraktion klipp und klar sagen: Die von den Gewerkschaften organisierten Arbeitsniederlegungen in den Betrieben stellen einen klaren Rechtsbruch dar. ({0}) - Sie sollten zuhören. - Aus guten Gründen, nämlich aufgrund der leidvollen Erfahrungen in der Weimarer Republik, haben sich die Verfassungsväter dafür entschieden, politische Streiks im Grundgesetz zu verbieten. Es ist den Gewerkschaften unbenommen, im Rahmen des Demonstrationsrechts - allerdings außerhalb der Betriebe und außerhalb der Arbeitszeit - gegen das Vorhaben der Koalition, das gesetzliche Renteneintrittsalter anzuheben, mobilzumachen; das steht außer Frage. Aber massenhafte Arbeitsniederlegungen und Protest während der Arbeitszeit, was im Grunde eine Geiselnahme der betroffenen Unternehmen ist, sind durch nichts zu rechtfertigen. ({1}) Die Gewerkschaften, die das selbst natürlich ganz anders sehen, wären gut beraten, diese wichtige Grenzlinie unseres Rechtsstaates nicht zu überschreiten. ({2}) Es ist nicht nur peinlich, sondern in höchstem Maße bedenklich, dass beide Fraktionsvorsitzenden einer im Deutschen Bundestag vertretenen Partei, nämlich der Linken, diese Streiks nicht nur ausdrücklich gutheißen und begrüßen, ({3}) sondern den politischen Streik darüber hinaus sogar für legitim erklären. ({4}) - Der Beifall kommt von der falschen Seite. ({5}) Das wirft ein deutliches Licht auf das Rechtsverständnis von Herrn Gysi und von Herrn Lafontaine. Herr Gysi und Herr Lafontaine, Sie sollten sich dafür schämen. ({6}) Doch nun zur Sache. Zunächst einmal gibt es ein demografisches Problem in der Rentenversicherung - ob Herr Peters von der IG Metall das wahrhaben will oder nicht. Die Lebenserwartung steigt. Mit der Lebenserwartung steigt auch die Rentenbezugsdauer. Das belastet die Rentenversicherung und führt seit Jahren zu steigenden Beiträgen. Davor kann man die Augen nicht verschließen. Auf diesen Umstand muss der Gesetzgeber reagieren, es ist aber die Frage, wie. ({7}) Eine Anhebung des starren Renteneintrittsalters von 65 Jahre auf 67 Jahre, wie von der Koalition geplant, führt im Ergebnis zu einer geringen Entlastung von etwa 0,5 Beitragspunkten und wirft jede Menge neuer Fragen auf, etwa die Frage, ob die vorgesehenen Ausnahmeregelungen - beispielsweise für besonders lang Versicherte - überhaupt verfassungskonform sind, weil sie gegen das Äquivalenzprinzip verstoßen. Der Vorschlag führt auch zu unterschiedlichen Belastungen einzelner Jahrgänge. Besonders die Jahrgänge 1959 bis 1974 werden über Gebühr belastet. Das ist nicht generationengerecht und führt mit Sicherheit zu Klagen in Karlsruhe. ({8}) Hinzu kommt: Viele Menschen können oder wollen derzeit überhaupt nicht bis zum 67. Lebensjahr arbeiten. Aktuell sind nur noch 45 Prozent der über 55-Jährigen und 28 Prozent der über 60-Jährigen erwerbstätig, also in einem Arbeitsverhältnis. Das heißt, der Rentenzugang aus einem Arbeitsverhältnis heraus bei Erreichen der Regelaltersgrenze ist von der Regel zur Ausnahme geworden. Vor diesem Hintergrund empfinden viele Menschen die Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters als verkappte Rentenkürzung. Insoweit stimme ich Herrn Peters sogar zu. ({9}) Zustimmen könnte ich sogar auch seiner Forderung nach einem flexiblen Ausstieg aus dem Arbeitsleben. Damit hören die Gemeinsamkeiten dann aber auch ausdrücklich auf; denn Herr Peters wünscht sich eine Finanzierung seiner Vorschläge - normale Altersruhe ohne Abschlag nach 40 Versicherungsjahren, erleichterter Zugang zur Erwerbsunfähigkeitsrente, Erhalt der Altersteilzeit -, durch die der Beitragsdruck in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht nur nicht beseitigt, sondern sogar noch verstärkt würde. Hier muss ich Herrn Peters klipp und klar sagen: Flexibilität muss auch finanzierbar sein, und das geht bei einem vorzeitigen Renteneintritt nicht ohne Abschläge. Die FDP-Fraktion hat diesbezüglich andere Vorstellungen, die wir in dieser Woche in der Fraktion auch behandelt und beschlossen haben. Mit einem flexiblen Rentenrecht wollen wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass ältere Menschen länger am Erwerbsleben teilnehmen wollen und können. Die Versicherten sollen ab dem 60. Lebensjahr den Zeitpunkt ihres Renteneintritts - bei Grundsicherungsfreiheit - selbst bestimmen können. Das ist der entscheidende Punkt: Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Nicht mehr die möglichst frühe Verrentung, sondern eine möglichst lange Teilhabe am Erwerbsleben muss zum Leitbild werden. Das ist übrigens auch das, was sich die Menschen wünschen. Mehr als zwei Drittel der Befragten sagen: Wir wollen selbst entscheiden, wann wir in den Ruhestand eintreten. Um dies zu ermöglichen und auch Entscheidungsfreiheit zu gewährleisten, bedarf es einer weiteren Änderung im Rentenrecht: Die Zuverdienstgrenzen müssen fallen. Mit der Aufhebung aller Zuverdienstgrenzen müssen Anreize für die Arbeitnehmer geschaffen werden, auch bei Rentenbezug weiter tätig zu sein. ({10}) Mit diesem Zuverdienst kann der eigene Lebensstandard verbessert werden. Durch die Verbeitragung der Zuverdienste, die wir vorschlagen, werden zusätzliche Einnahmen für die Sozialversicherung erzielt. Das, flankiert durch Änderungen im Arbeitsrecht - Verbesserung der Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt für ältere Arbeitnehmer, Beseitigung von Beschäftigungshindernissen -, wird dazu führen, dass eine Regelung geschaffen werden kann, die den Interessen der Menschen entspricht.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege!

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mit Aktionen, wie den von der Linken hier vorgeschlagenen - die Forderung nach einem politischen Streik -, wird für die Menschen in diesem Lande am Ende nichts verbessert. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes. ({0})

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass es gut ist und sich seit 1949 auch bewährt hat, dass die Bundesrepublik Deutschland eine parlamentarische Demokratie und keine Umfragedemokratie ist. ({0}) Zu den einleitenden Bemerkungen zur heutigen Aktuellen Stunde. Wir haben nicht viel Inhaltliches zu dem Thema gehört, das eigentlich besprochen werden soll, nämlich auf eine der größten - und erfreulichsten - Herausforderungen der Gesellschaft zu antworten und zu sagen, wie auf das längere Leben zu reagieren ist. Gewerkschaften sind immer Gestaltungs- und Gegenmacht zugleich gewesen. Aber man kann nicht gegen das längere Leben, schon gar nicht gegen diese erfreuliche Entwicklung und nicht gegen die daraus resultierenden Folgen sein. Es geht dabei darum, die Folgen so aufzunehmen, dass sie auch gestaltet werden können. Die Gewerkschaften haben selbst zu dieser Entwicklung beigetragen, indem sie für humane Arbeitsbedingungen eingetreten sind. Medizinisch-technischer Fortschritt, gesündere Umwelt - all das hat dazu geführt, dass wir uns heute über eine längere Lebenserwartung freuen können. Verantwortliches Handeln bedeutet, jetzt auch die richtigen Antworten darauf zu geben und die sozialen Sicherungssysteme dabei stabil zu halten. ({1}) Dem darf man nicht ausweichen. Man muss vielleicht auch Antworten geben, die im ersten Moment nicht gefallen. Aber man muss Antworten geben, die das für die Menschen kalkulierbar machen, damit sie wissen, worauf sie sich einstellen müssen. Fakt ist nun einmal - dem kann man nicht ausweichen die längere Lebenserwartung. Erfreulicherweise ist in den letzten 40 Jahren im Schnitt bei den Männern ein Plus von elf Jahren und bei den Frauen von zwölf Jahren zu verzeichnen. Das hat zur Folge, dass die Rentenbezugsdauer sich von zehn Jahren auf 17 Jahre erhöht. Das ist ein Plus von 70 Prozent. Da kann man nicht von einer Rentenkürzung sprechen. Das geht nicht. Das geht erst recht nicht, wenn man weiß, dass über die längere Erarbeitung von Anwartschaftszeiten Rentenansprüche steigen. Das geht auch nicht, wenn man sein Handeln darauf ausrichtet, eine positive Tarifentwicklung zu erreichen. Die trägt wieder zu Rentenerhöhungen bei. Da darf man also nicht von Rentenkürzungen sprechen. ({2}) Ich habe eine Vermutung, nämlich die, dass diejenigen, die von „Rentenkürzung“ sprechen, die hohe Arbeitslosigkeit in die Zukunft projizieren wollen, ({3}) sich also wie Kassandra verhalten, damit sie einen Nährboden für ihre Politik finden. Das geht nicht. ({4}) Dass die Dinge veränderbar sind, zeigt die Realität: 764 000 Arbeitslose weniger, 430 000 sozialversicherungspflichtige Jobs mehr. Man darf die Hände eben nicht in den Schoß legen. Wir wollen noch besser werden, aber ein bisschen Optimismus darf bei dieser Entwicklung schon an den Tag gelegt werden. Es geht an dieser Stelle auch darum zu sagen: Wie werden die Kosten der älter werdenden Gesellschaft gerecht verteilt? Sie sollen nicht nur einer Generation angelastet werden, sondern auf die Beitragszahler sowie die Rentnerinnen und Rentner verteilt werden. Was in Solidarität erhalten werden soll, muss auch in Solidarität getragen werden. Dann darf man auch nicht Ausflüchte machen und fordern, es müssten noch mehr Steuern ins System. 77,4 Milliarden Euro fließen aus dem Bundeshaushalt bereits in die Rentenversicherung. Daran wird auch noch einmal die gesellschaftliche Aufgabe einer guten und solidarischen Rentenversicherung ganz deutlich. Man darf der Demografie nicht ausweichen. In den 60er-Jahren wurden von einer Frau in ihrem Leben im Schnitt 2,4 Kinder geboren. Heute sind es nur noch 1,4 Kinder. Das heißt: Es kommen immer weniger Jüngere nach, was am Ende zur Folge hat, dass sich das heutige Verhältnis der Zahl derjenigen, die im erwerbsfähigen Alter sind, zu der Zahl derjenigen über 65 Jahre von drei zu eins in den nächsten zehn oder 15 Jahren auf zwei zu eins verändern wird. ({5}) Wir brauchen Wachstum, hohe Beschäftigungsraten und Produktivität, wenn das gemeinsam geschultert werden soll, wenn die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler gewährleisten sollen, dass die Rentnerinnen und Rentner auch im Alter ein angemessenes Auskommen haben. Das gilt es zu organisieren. Es gibt einen weiteren ganz wichtigen Punkt in dieser Debatte. Es geht auch um einen Sichtwechsel in der Gesellschaft. Es ist nicht in Ordnung, dass sich in Deutschland die Vorstellung breitgemacht hat, mit 50 Jahren gehöre man zum alten Eisen. Es geht darum, ein Stück weit die soziale Wertigkeit des Menschen im Alter in Deutschland auch in den Betrieben wiederherzustellen. Es geht darum, das Alter wieder ernst zu nehmen und schlichtweg zu registrieren, dass in Deutschland die Zahl der über 65-Jährigen in den nächsten Jahren, ungefähr bis zum Jahr 2030, um 6,4 Millionen zunehmen wird, aber die Zahl derjenigen, die im beschäftigungsfähigen Alter sind, sich um 5,4 Millionen reduzieren wird. Das bedeutet, dass sich die Altersstruktur in den Betrieben verändert. Das bedeutet für die Unternehmen auch, dass sie sich dann, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben wollen, wieder auf die Kompetenzen der Älteren besinnen müssen sowie darauf, was Prozesswissen ist, was Erfahrungswissen ist und was Produktkenntnis ist. Wer wettbewerbsfähig bleiben will, der muss mit uns gemeinsam daran arbeiten, dass die Beschäftigungsquote der Älteren in den Betrieben wieder steigt. ({6}) Dann reden wir über gute Arbeit, über die Bedingungen der Arbeit, kurzum darüber, dass Arbeit nicht krank machen darf. Wir müssen die Beschäftigungsfähigkeit der Menschen in den Betrieben erhalten. Wir wissen, wie die Bedingungen sind und wie schwierig das manchmal ist. Auch deswegen haben wir jetzt in die Konzeption mit hineingenommen, dass diejenigen, die 45 Jahre einbezahlt haben, mit 65 Jahren abschlagsfrei gehen können. ({7}) Auch deswegen haben wir in unsere Vorschläge mit hineingeschrieben, dass diejenigen, die 35 Pflichtbeitragsjahre haben, bis zum Jahre 2023 in der Erwerbsminderungsrente unter den gleichen Bedingungen behandelt werden wie heute. Ab dem Jahr 2024 gilt das noch für diejenigen, die 40 Beitragsjahre haben. Ich glaube, dass das gute Entscheidungen gewesen sind. Nicht gut ist die Beschäftigungsquote. Wir sind auch hier nicht erfolglos gewesen: Im Jahr 2000 lag die Beschäftigungsquote der über 55-Jährigen bei 37,5 Prozent, heute liegt sie bei 48,3 Prozent. Das geht also. Aber wir wollen besser werden. Wir haben uns in Europa darauf verständigt, dass wir bis zum Jahre 2010 eine Beschäftigungsquote von 50 Prozent erreichen wollen. Selbst 60 bis 70 Prozent wie in Schweden, Kanada, Finnland und Norwegen sind keine Vision, sondern können Realität werden, wenn wir unsere ganze Kraft darauf konzentrieren. Das machen wir, zum Beispiel mit der Initiative „50 plus“. Das ist die andere Seite der Medaille: daran zu arbeiten, dass durch Weiterbildung, Qualifizierung und Lohnkostenzuschüsse auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über 50 Jahre eine Chance haben und dass die Unternehmen sie einstellen. Die Initiative „Neue Qualität der Arbeit“ bringt Arbeitgeber und Gewerkschaften zusammen. Sie bringt all diejenigen zusammen, die dieses Ziel unterstützen und daran arbeiten wollen, es vernünftig zu gestalten. An diesem Punkt gibt es Gemeinsamkeiten mit den Gewerkschaften: daran zu arbeiten, dass es nicht einen weiteren Ausfall bei der sogenannten Bruttowertschöpfung in Deutschland durch verloren gegangene Arbeitstage wegen Krankheit in Höhe von 66 Milliarden Euro gibt und dass gesunde Arbeitsbedingungen geschaffen werden, damit Arbeit nicht krank macht. Dieses Parlament hat in der letzten und vorletzten Legislaturperiode im Betriebsverfassungsgesetz viele Möglichkeiten der Einflussnahme der Betriebsparteien geschaffen. Es hat von Weiterbildung und Qualifizierung bis hin zu den Fragen der Gestaltung der Arbeitsbedingungen für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Regelungen in die Mitbestimmungs- und Mitwirkungsbereiche hineingeschrieben. Ich wünschte mir, wir würden Transparente sehen, die lauten: „Gegen Altersausgrenzung aus dem Betrieb - für höhere Beschäftigungsquoten Älterer“, „Gegen Altersdiskriminierung bei Weiterbildung - für lebensbegleitende Qualifizierung“, „Arbeit darf Gesundheit nicht zerstören“ und „Für den Erhalt der Beschäftigung und der Leistungsfähigkeit“. Daran gemeinsam zu arbeiten, das ist unsere Aufgabe, weil auch über diesen Weg eine Verlässlichkeit für die ökonomische Entwicklung und für die Beschäftigungsentwicklung in Deutschland entsteht. Die 25 Milliarden Euro, die wir in unser Innovationsprogramm, unser Wachstumsprogramm investiert haben, sind gut investiertes Geld. Hohe Beschäftigungsquoten für Alt und für Jung, Produktivität, ein gutes Wirtschaftswachstum, Investitionen in Bildung und in Forschung, das sind die besten Garanten für die Sicherung eines solidarisch finanzierten Alterssicherungssystems, wie wir es in unserer bewährten Rentenversicherung haben. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort für Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist das gute Recht der Gewerkschaften, die Interessen der Beschäftigten auch politisch zu vertreten. ({0}) Das sage ich als Gewerkschaftsmitglied. Ich habe allerdings Zweifel, dass in diesem Falle die Interessen der Beschäftigten wirklich gut vertreten werden. Es hilft doch niemandem, wenn die Gewerkschaften den Menschen vorgaukeln, es könne alles so bleiben, wie es ist, wenn sie behaupten, die Demografie sei nur ein Vorwand, es gehe lediglich um Rentenkürzungen. Ich finde das perfide. ({1}) Haben die Gewerkschaftsvertreter wirklich noch nicht mitbekommen, dass immer weniger Kinder geboren werden, dass 2030 8 Millionen weniger Erwerbstätige eine wachsende Anzahl von Renten zu finanzieren haben? ({2}) - Sie brauchen nicht so zu schreien. - Ist es ihnen entgangen, dass die Menschen im Jahre 2030 durchschnittlich vier Jahre älter werden? Wissen sie nicht, dass die Rentenlaufzeiten dann 20 Jahre betragen? Ich kann nicht glauben, dass sie das nicht wissen. Die Gewerkschaften behaupten, die längere Lebensarbeitszeit führe zu höherer Jugendarbeitslosigkeit. Richtig ist: Länder, in denen mehr Ältere beschäftigt sind, haben eine niedrigere Jugendarbeitslosigkeit. Sie behaupten, es gebe nicht genügend Arbeitsplätze für ältere Beschäftigte. Richtig ist: Sie beschreiben die heutige Situation. Es geht aber um die Situation in 22 Jahren. ({3}) Die heutige Arbeitsmarktsituation in das Jahre 2029 zu übertragen, hieße, sie wollen keine Maßnahmen ergreifen und würden den Kopf in den Sand stecken. ({4}) Die Gewerkschaft sagt, es würden altersgerechte Arbeitsplätze fehlen. Diesem Argument kann ich zustimmen, wenn es um die heutige Realität geht. Nur: Sie haben aber gemeinsam mit den Arbeitgebern die Frühverrentungspolitik propagiert; sie haben Fakten geschaffen. Damit sind wir beim Kern des Problems. Auf dem Arbeitsmarkt herrscht noch immer der Jugendwahn. 50-Jährige gehören zum alten Eisen. Darum brauchen wir eine neue Kultur der Altersarbeit. ({5}) Die Ursachen für das Fehlen einer solchen Kultur erfahren wir aus dem Mund des Betriebsratsvorsitzenden von VW. ({6}) Er sagt in der „Frankfurter Rundschau“: „Wir haben praktisch keine Erfahrung mit 60-Jährigen.“ Denn 90 Prozent der Leute gehen bereits mit 58 Jahren in Altersteilzeit. - Das werden wir uns künftig nicht mehr leisten können. ({7}) Für uns Grüne ist die Integration Älterer in den Arbeitsmarkt eine wesentliche Voraussetzung für die Rente ab 67. Deshalb haben wir die Bundesregierung aufgefordert, ein Gesamtkonzept zur Integration älterer Beschäftigter vorzulegen und alle zwei Jahre über die Beschäftigungsquote der über 55-Jährigen zu berichten. Erhöht sie sich nicht deutlich, müssen weitere Maßnahmen ergriffen werden. Herr Brauksiepe, Sie haben vorhin die Situation optimistisch dargestellt. Ich glaube, Schönfärberei ist im Moment nicht angebracht. ({8}) Herr Thönnes sagte gerade, das Programm „50 plus“ wirke. Das Programm „50 plus“ ist schon etwas älter. Die Realität sah da bisher ganz anders aus. ({9}) Wir sind in der Tat sehr weit von einer befriedigenden Erwerbsintegration älterer Beschäftigter entfernt. Darum brauchen wir endlich einen Mentalitätswechsel. Die Frühverrentung hat uns in die Sackgasse geführt und verhindert geradezu Erfahrungen bei der Beschäftigung von Älteren in den Betrieben. Dass es kaum wissenschaftliche Expertisen zur Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit Älterer gibt, ist doch ein Zeichen dafür, dass in den Köpfen noch immer die Frühverrentungsideologie steckt. Das müssen wir beenden. ({10}) Strategien zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit bis zur Rente sind vor allem bei Arbeitsplätzen von gering Qualifizierten erforderlich. Natürlich haben Gewerkschaftsvertreter recht, wenn sie darauf hinweisen, dass es nicht möglich ist, am Fließband zu stehen und unter hohem Leistungsdruck bis 67 im Akkord zu arbeiten. Ich frage: Warum schließen die Gewerkschaften nicht mit den Arbeitgebern Vereinbarungen darüber ab, dass die Arbeitsbedingungen und die Arbeitsorganisation verändert werden? Das wäre doch ein wichtiges Betätigungsfeld. ({11}) Die Realität zeigt: Solange es staatlich abgepolsterte Altersteilzeitprogramme gibt, werden große Betriebe keinen Anlass haben, sich ernsthaft mit altersgerechten Arbeitsbedingungen auseinanderzusetzen. Solange es so einfach ist, ganze Generationen aus dem Arbeitsprozess auszugliedern, werden diese Arbeitgeber weiterhin auf technische Rationalisierungen setzen. Fließbänder ohne Beschäftigte gehören doch bereits heute zur weitverbreiteten Realität. Ich fordere die Gewerkschaften auf: Verschließen Sie nicht weiter die Augen vor der demografischen Entwicklung! Tragen Sie gemeinsam mit den Arbeitgebern Verantwortung! ({12}) Setzten Sie sich für bessere und altersgerechte Arbeitsbedingungen ein! Ich nenne in diesem Zusammenhang nur: Weiterbildungsstrategien für lebenslanges Lernen, betriebliche Gesundheitsförderung und Prävention oder auch die systematische Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen nach dem Arbeitsschutzgesetz. Fordern Sie von den Arbeitgebern Investitionen in die Köpfe ihrer Belegschaften, in die Köpfe der Jungen und in die Köpfe der Alten! Damit wird im Übrigen die Leistungsfähigkeit der Unternehmen im globalen Wettbewerb dauerhaft gestärkt. Meine Damen und Herren von der Linken, ich glaube, es ist Ihnen hier nicht gelungen, mit Ihrer Aktuellen Stunde wirklich überzeugend darzulegen, warum das Modell der Rente mit 67 nicht richtig ist. ({13}) Schauen Sie sich einmal Fernsehsendungen wie „Aufstand der Alten“ an. Da wird prognostiziert, was passieren wird, wenn wir heute nichts tun. Deshalb müssen wir etwas unternehmen. Vielen Dank. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Gerald Weiß das Wort.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Schewe-Gerigk, Sie haben fast nur Vernünftiges gesagt, muss ich feststellen. ({0}) Allerdings lagen Sie an einer Stelle falsch: als Sie sagten, Dr. Brauksiepe betreibe Schönfärberei, als er die - positive - Entwicklung der Beschäftigung lebensälterer Arbeitnehmer darstellte. Er hat schlicht die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit genannt. Das zeigt: Auch bei der Beschäftigung Lebensälterer geht es in der Bundesrepublik aufwärts, wie es insgesamt am Arbeitsmarkt aufwärtsgeht. ({1}) Der grundlegende Sachverhalt ist so einfach, dass ihn auch die IG Metall kennt. Jede Generation lebt fünf bis sechs Jahre länger, hat also eine größere Lebenserwartung. Das bedeutet, dass sie länger Rente bezieht. Das ist schön. Aber jede Generation in Deutschland ist auch ein Drittel kleiner als die vorhergehende Generation. Das ist unschön, weil der demografische Umbruch eine Anspannung für den Generationenvertrag bedeutet. Wenn wir nicht an der richtigen Stelle eingreifen, wird sich das Verhältnis der Erwerbstätigen zu den Rentenbeziehern so verändern, dass dieses System, dieser Generationenvertrag, nicht mehr funktionieren kann. Wir dürfen die Jüngeren nicht überfordern, und wir müssen den Älteren eine angemessene Sicherung ihres Alters gewährleisten. Das sind die beiden Ziele. Das zu erreichen, dafür gibt es nicht viele Stellräder. Ein Stellrad ist das Rentenniveau. Wir können das Rentenniveau nicht noch weiter senken, als es ohnehin geschehen und geplant ist. Wir müssen den Älteren einen angemessenen Alterslohn für ihre Lebensleistung geben. Wir können aber auch den Rentenversicherungsbeitrag nicht weiter anheben. Er darf 20 und später 22 Prozent nicht überschreiten, weil wir die Betriebe sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Aktiven, nicht überfordern dürfen. Wir können auch die Bundeszuschüsse - es sind insgesamt 78 Milliarden Euro - nicht weiter steigen lassen. Das ist schon jeder dritte Euro des Haushalts. Es bleibt nur ein Stellrad: Das ist die Lebensarbeitszeit. Wenn man fünf bis sechs Jahre länger lebt, ist es ebenso gerecht wie angemessen und erforderlich, dass man in diesen fünf bis sechs Jahren längeren Lebens zwei Jahre länger arbeitet. Es ist eine schlichte Wahrheit: Wir müssen länger arbeiten. ({2}) Das weiß auch die IG Metall. Es ist nicht populär, dies den Menschen zu sagen. Dies ist schon gar nicht populistisch; aber es ist verantwortungsvoll. Wenn wir das System der Rentenversicherung, den Generationenvertrag, nachhaltig sichern wollen, muss die künftige Rentnergeneration - es geht nicht um die jetzige - angemessen länger arbeiten, um vor allem die Jungen nicht zu überfordern. ({3}) Wir müssen dafür sorgen, dass sie auch Arbeitschancen hat. Ich schließe mich all dem, was Franz Thönnes gesagt hat, an: Es geschieht unter der Überschrift „50 plus“ im Arbeitsschutz und wo auch immer einiges, damit die Menschen länger arbeiten können. Wir geben den Menschen Sicherheit. Die Anhebung des Rentenalters erfolgt über eine lange Strecke. Das Ganze beginnt 2012 - die Regierung hätte sich auch drücken und in dieser Legislaturperiode gar nichts machen können - und hat eine Spanne bis 2029. Wir gehen in kleinen Stufen vor, die für jeden kalkulierbar sind. Wir sagen jedem, was das für ihn bedeutet. Es ist eine verantwortliche Politik, den Menschen Klarheit, Gewissheit, Sicherheit und Kalkulierbarkeit in Bezug auf ihr eigenes Leben zu geben. ({4}) Herr Lafontaine, die Leute, die das alles wissen und politische Streiks veranstalten sowie illegitime Maßnahmen und widerrechtliche Aktionen gegen diese einfache Wahrheit und einfache Notwendigkeit starten, versündigen sich in Wahrheit an diesem Volk. Sie führen dieses Volk in die Irre. Sie machen den Leuten ein X für ein U vor und verleiten sie auf eine Strecke, die ins Nichts führt. Diejenigen, die so argumentieren, wie Sie es heute getan haben, als Sie sagten, man brauche politische Streiks, sind Leute vom Schlage derjenigen, die die Weimarer Republik zu Grabe getragen haben. ({5}) Diesen Weg beschreiten wir nicht, und diesem Weg widersprechen wir. Herzlichen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächster spricht der Kollege Werner Dreibus für die Linke. ({0})

Werner Dreibus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003749, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich würde zunächst gern ein paar Bemerkungen zum eigentlichen Gegenstand dieser Debatte machen. Wir wollten nämlich nicht - heute jedenfalls nicht - über das Für und Wider - wir sind für das Wider - der Rente mit 67 debattieren, vielmehr wollen wir das, was in den letzten Tagen in unserem Land passiert ist, zum Gegenstand der Beratung im Bundestag machen, weil es dort hingehört. ({0}) Dieses Thema beschäftigt offensichtlich viele Menschen. Möglicherweise bewegt es sie mehr als den einen oder anderen meiner Vorrednerinnen und Vorredner. Bis gestern Abend haben allein in der Metallindustrie mehr als 250 000 Menschen zeitweise - bis zu zwei, drei Stunden - die Arbeit niedergelegt. ({1}) Das war eine nicht einfache Entscheidung für jeden einzelnen dieser mehr als 250 000 Menschen. Diese Menschen haben es sich nicht so einfach gemacht wie viele von Ihnen hier. Sie haben sich sehr gut überlegt, ob sie es für sich verantworten können, die Arbeit niederzulegen, um sich gegen das, was von Ihnen geplant wurde und durchgezogen werden soll, zu wehren, indem sie demonstrieren und protestieren. ({2}) Diese Menschen haben eine sehr sorgfältige und gewissenhafte Entscheidung getroffen. Mehr als 250 000 Menschen haben diese Entscheidung für sich getroffen. Ich würde Ihnen daher dringend empfehlen, sich ernsthafter und sorgfältiger mit diesen Ereignissen zu beschäftigen, als Sie es bis jetzt mit Ihren Zwischenrufen tun. ({3}) 250 000 und mehr machen von ihren demokratischen Rechten Gebrauch. 250 000 Menschen zeigen Engagement für Sozialstaat und Demokratie. ({4}) 250 000 Menschen sind ein lebendiger Gegenbeweis gegen Politikverdrossenheit. ({5}) 250 000 Menschen zeigen in lobenswerter Weise ein bürgerschaftliches Engagement - damit will ich einen anderen Begriff einführen - durch ihre Aktivitäten. ({6}) - Ja, so einfach ist Ihre Welt; sie ist nicht schwarz-weiß, sie ist nur schwarz. ({7}) Diese 250 000 und mehr hätten es, und zwar unabhängig von unseren sachlichen politischen Meinungsverschiedenheiten und dem Gegenstand ihrer Proteste, zumindest verdient, dass wir ihnen für dieses Engagement - sie haben sich nicht hinter den Fernseher zurückgezogen, sondern öffentlich, während der Arbeitszeit Gesicht gezeigt ({8}) und sich engagiert - hier in diesem Haus unseren Respekt zollen. ({9}) Stattdessen wurde Hohn und Schmutz über sie ausgeschüttet, zumindest haben das einige von Ihnen gemacht. ({10}) Ich will einiges anführen: bedauerlich, unseriös, borniert, blödsinnig, unsinnig, klarer Rechtsbruch, Geiselnahme, sollten sich schämen, perfide, widerrechtlich, versündigen sich am Volk usw. ({11}) Das waren einige Stichworte. Herr Brauksiepe, lesen Sie sich Ihre Rede im Protokoll noch einmal durch! Ich finde Ihre Wortwahl in keiner Weise dem angemessen, was die Menschen mit ihrem Engagement zeigen. ({12}) Das war schlicht und ergreifend unanständig. ({13}) - Sie wissen doch, dass das, was Sie sagen, Unsinn ist. Was schreien Sie da? Keiner der Menschen, die gestern und vorgestern ihre Arbeit niedergelegt haben, bekommt dafür einen Cent. Die Menschen opfern sogar Geld, um politische Signale zu setzen. ({14}) Und was machen Sie hier? Diese 250 000 Menschen - es werden in den nächsten Tagen noch viel mehr werden - nehmen ihr demokratisches Recht in Anspruch, und zwar überall, im Norden, im Süden, im Osten und im Westen. ({15}) Ich will Ihnen das an einem Beispiel verdeutlichen. Am 26. Januar 2007 fand in Leipzig auf dem Betriebsgelände von BMW eine Demonstration von Mitarbeitern der dort angesiedelten Unternehmen statt. Sie haben dort während der Arbeitszeit öffentlich demonstriert. Dass das in Leipzig und bei BMW nicht ganz einfach ist, weiß, wer sich in der Region ein bisschen auskennt. Diese Menschen wissen sehr genau, was sie tun. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die Entscheidung, zu demonstrieren, eine sehr gewissenhafte Entscheidung ist. Die Demonstranten haben eine Resolution verabschiedet und unsere Abgeordnete Barbara Höll gebeten, diese Resolution der Bundesregierung zu überreichen. Stellvertretend für diese 250 000 Menschen und die vielen anderen werde ich diese Resolution jetzt dem Herrn Staatssekretär überreichen. Ich bitte Sie alle, weniger in Sonntagsreden über Demokratieverdrossenheit zu reden, sondern sich ein bisschen mehr und ernsthafter mit dem bürgerschaftlichen Engagement der Menschen zu beschäftigen, die in diesen Tagen gegen Ihre falsche Politik demonstrieren.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Werner Dreibus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003749, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Brandner für die SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten Tagen haben Zehntausende Kolleginnen und Kollegen ihre Arbeit zeitweise unterbrochen, um gegen die Rente mit 67 zu demonstrieren. Ich will gleich deutlich sagen: Wir kriminalisieren die Menschen, die demonstriert haben, nicht. Sie haben aus der Sorge heraus, dass ihre Lebens- und Altersbedingungen im Deutschen Bundestag nicht richtig gewichtet werden könnten, gehandelt. Wir machen uns allerdings Sorgen darüber, dass der Deutsche Bundestag selbst zu einem Ort der Demonstration wird. Das nimmt der Debatte in dem einen oder anderen Fall die Ernsthaftigkeit. Das will ich ganz deutlich sagen. ({0}) Ich glaube, es ist deutlich geworden, wo die Sorgen der Menschen als Vorwand dienen, um eine Plattform zu finden, von der aus man das Thema politischer Streik nach vorne tragen kann. ({1}) Es geht aber nicht um den politischen Streik, sondern um ein wichtiges sozialpolitisches Thema. Damit ist es uns ernst. Dem stellen wir uns nicht hinter verschlossenen Türen, sondern ich stelle mich diesem Thema in Betriebsversammlungen von Klein- und Großunternehmen, in Gesprächen mit IG-Metallerinnen und IG-Metallern, in Gesprächen mit Arbeitnehmerinnern und Arbeitnehmern sowie mit Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern auf sehr sachliche, argumentative Weise, auch wenn das oft in einer angeheizten Atmosphäre stattfindet. Die Demonstration aber zu nutzen, um das Thema politischer Streik nach vorne zu bringen, ist nicht nur fadenscheinig, sondern nimmt der Debatte auch ein Stück weit die Ernsthaftigkeit. ({2}) Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Wir haben Verständnis für die Menschen, die sagen, sie schaffen es nicht, bis 67 zu arbeiten, zum Beispiel, weil sie im Dreischichtbetrieb am Band stehen. Viele von ihnen können es sich nicht vorstellen, dass sie bis 67 am Band arbeiten können. Was sind denn die Forderungen? Die Menschen wollen Arbeitsplatzsicherheit. Sie wollen eine sichere Zukunft mit einer auskömmlichen Altersversorgung. Die Menschen fürchten sich, den Belastungen nicht gewachsen zu sein. Wir lesen: Millionen Menschen haben keine Arbeit, und die, die noch Arbeit haben, sollen länger arbeiten. Dieser Spruch klingt auf den ersten Blick eingängig und verständlich. Es soll suggeriert werden, dass die Rente mit 67 morgen kommt. Sie kommt aber morgen nicht; sie kommt auch übermorgen nicht. Sie kommt im Jahr 2029. Natürlich fällt es schwer, sich heute vorzustellen, wie die Lebens- und Arbeitsbedingungen im Jahr 2029 sein werden. Vor zwei Jahren hatten wir im Frühjahr 5,2 Millionen Arbeitslose. Zwei Jahre später, im Jahr 2007, haben wir 4,2 Millionen Arbeitslose. 1 Million Arbeitslose weniger in zwei Jahren! Wer hätte sich das vor zwei Jahren vorstellen können? Auch das muss einmal gesagt werden. ({3}) Wir haben gute Aussichten. Laut der Prognosen aller wirtschaftswissenschaftlichen Institute wird die durchschnittliche Arbeitslosenzahl in 2007 unter 4 Millionen sinken. Wenn man sich noch nicht einmal Veränderungen für die nächsten ein bis zwei Jahre richtig vorstellen konnte - diese haben nun stattgefunden -, wie kann man sich dann erst Veränderungen vorstellen, die es in 2029 geben soll? Wir haben die Aufgabe, verantwortungsvolle, nachhaltige und zukunftsorientierte Politik zu machen. Deshalb müssen wir auf den Rat der Fachleute eingehen, die sagen: 2029 werden dem Arbeitsmarkt etwa 10 Millionen Menschen weniger zur Verfügung stehen. Wir leben länger und müssen daher jetzt eine verantwortungsvolle, vorausschauende Politik machen, damit wir die Lasten der heutigen Generation nicht auf die folgenden Generationen übertragen. Wir werden uns dem demografischen Wandel nicht entgegensetzen können. Wir können diese Entwicklung nicht aufhalten. Sie ist Fakt, und wir müssen schon jetzt die notwendigen Konsequenzen daraus ziehen. Das heißt, wir müssen den Protest dahin lenken, wo er hingehört, nämlich in Richtung Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Dazu haben wir Sozialdemokraten in der Vergangenheit viel geleistet. Wir haben das Betriebsverfassungsgesetz reformiert und dadurch die Mitbestimmungsrechte zur Ausgestaltung menschengerechter Arbeitsbedingungen verbessert. Damit haben wir die Voraussetzungen geschaffen, die Arbeitsbedingungen in den Betrieben besser zu gestalten. Aber wie ernst nehmen die Arbeitgeber diese Verpflichtung? Wie wäre es, wenn die Gewerkschaften die Arbeitgeber stärker auffordern würden, die Arbeitsbedingungen zu verändern, zu verbessern, anzupassen? Wie wäre es, wenn die Betriebsräte stärker gefördert würden, sie fitter gemacht würden, diese Ansprüche besser umsetzen zu können? Hier gibt es Alternativen, die genutzt werden müssen. Die Gewerkschaften - darum bitte ich - sollten diesen Gestaltungsrahmen zukünftig stärker nutzen. In der Vergangenheit haben die Arbeitgeber oft darauf hingearbeitet, die Menschen auszupressen. Diese sind häufig ausgebrannt; das wissen wir. Wenn wir nicht mehr hinnehmen wollen, dass sie aus dem Erwerbsleben hinausgedrängt und durch jüngere, leistungsfähigere Menschen ersetzt werden, dann muss jetzt ein Umdenkungsprozess stattfinden. ({4}) Er ist immer dann dringend notwendig, wenn wir eine Notwendigkeit der Produktivitätssteigerung erkennen. Hierbei gibt es mehrere Alternativen. Sie ist besser erreichbar, wenn wir nicht auf Arbeitszeitverlängerung und Arbeitsverdichtung, sondern auf nachhaltige Qualifizierung und auf mehr Weiterbildung setzen. Das schafft Motivation. Eine humane Arbeitsgestaltung ist aus unserer Sicht denkbar. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. - Wir sind für Planbarkeit und Verlässlichkeit. Deshalb haben wir eine lange Vorlaufzeit. Wir haben einen Korridor von vier Jahren geschaffen, in dem die zukünftigen Übergangsbedingungen organisiert werden können.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Altersteilzeit bleibt im Rahmen der steuerlichen Förderung erhalten. Das sollten wir gemeinsam nutzen, damit wir einen echten Generationenvertrag, der auf Erfolg baut und belastbar ist, gestalten können. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Max Straubinger hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Werte Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Reform der sozialen Sicherungssysteme ist eines der großen Anliegen der Großen Koalition. Sie ist dringend notwendig, weil wir die sozialen Sicherungssysteme, die wir alle schätzen und über viele Jahre und Jahrzehnte in unserem Land erarbeitet haben, zukunftsfest gestalten müssen. Dies bedeutet, dass angesichts der demografischen Entwicklung, die wir erleben - sie wurde heute vielfältig dargelegt -, Neujustierungen vorgenommen werden müssen. Dazu zählen alle Reformen, zum Beispiel die Reform des Gesundheitswesens, die wir morgen in diesem Hohen Haus abschließend beraten werden. Vor allen Dingen müssen wir unser Rentensystem zukunftsfest neu ausrichten, und zwar unter dem Gesichtspunkt, dass die Rente der Lohn für die langjährige Erwerbsarbeit und die Beitragszahlungen ist, die der Einzelne erbracht hat. Darüber hinaus muss auch darauf geachtet werden, dass die Beitragszahler aufgrund der demografischen Entwicklung nicht über Gebühr belastet werden. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre im Jahre 2029 letztendlich zu sehen. Natürlich gibt es Widerspruch, gibt es viel Kritik. Die IG Metall und Verdi setzen sich jetzt an die Spitze derer, die massivste Kritik vortragen. Jeder in Deutschland hat das Recht, Kritik vorzutragen, und zwar in den verschiedensten Formen, natürlich auch in Form von Demonstrationen. Aber ich sage ganz offen: Diese politisch motivierten Streiks gehören nicht in die Betriebe! ({0}) Politisch motivierte Streiks in Betrieben sind dazu angetan, unsere bewährten staatlichen und demokratischen Prinzipien über den Haufen zu werfen. Das ist es, was die Linken in diesem Hause letztendlich wollen. ({1}) Vorhin hat der Kollege Dreibus davon gesprochen, an diesen Demonstrationen hätten sich 250 000 Menschen beteiligt. ({2}) Wie viele sind für diese Aktion der IG Metall wohl in Zwangshaft genommen worden? ({3}) Denn wenn ein hoher Prozentsatz der Mitarbeiter nicht mehr am Band steht, kann nicht mehr weitergearbeitet werden, dann ist der Betrieb stillgelegt. Das kann nicht im Sinne der Beschäftigten bei uns in Deutschland sein! ({4}) Ich glaube, dass diese Aktionen letztendlich nicht den Menschen in unserem Land dienen. Die Unterstützung von der linken Seite ist rein populistisch motiviert. Ihre Partei steht in der Tradition von SED und PDS und des sogenannten Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds, der nur am Ersten Mai demonstrieren durfte, und lediglich zur Huldigung der Herrscher in der ehemaligen DDR. ({5}) Da bin ich schon erstaunt, dass sich ausgerechnet Sie an die Spitze derer stellen möchten, die für freie Meinungsäußerung bzw. das Recht, zu demonstrieren, eintreten. Sie sind keine Vertretung für die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. ({6}) Der Kollege Lafontaine hat hier angeführt, dass es unbedingt des politischen Streiks bedarf, dass dieser politische Streik angeblich so erfolgreich ist. ({7}) Er hat dies begründet mit den Maßnahmen in Frankreich. Aber man muss doch auch sehen, dass das Ergebnis dieser Streikmaßnahmen - die höchste Jugendarbeitslosigkeit in Europa - für die Jugendlichen in Frankreich erschütternd ist. ({8}) Deshalb ist es unredlich, wenn Ihre Partei in der Tradition von SED, PDS und Stasi heute versucht, sich als die Beschützer von Freiheit und bürgerlichem Engagement darzustellen. Dies ist den Bürgerinnen und Bürgern sicher bewusst. Denn gerade einmal 8 Prozent haben Sie gewählt, 92 Prozent haben die anderen Parteien in Deutschland unterstützt. Das sollte Ihnen Nachdenklichkeit gebieten. Die Gewerkschaften kann ich nur auffordern, wieder zu einer sinnvollen Beteiligung am demokratischen Diskussionsprozess zurückzukehren und nicht auf populistische Art und Weise letztendlich mit der Zukunft Deutschlands zu spielen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich erteile das Wort der Kollegin Silvia Schmidt für die SPD-Fraktion. ({0})

Silvia Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003217, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wie wir wissen, haben die Alterung und der Bevölkerungsrückgang Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme. Die Folgen, die sich aus der Bevölkerungsentwicklung für die Unternehmen ergeben, sind offensichtlich, und sie sind von jedem verstanden worden. Wenn die Gesellschaft älter wird, dann kann die Belegschaft nicht jünger werden. Die Beschäftigungsquote bei uns ist zwar gestiegen; in anderen Industrienationen wie den USA, Japan und Schweden liegt sie aber bei über 60 Prozent. In Deutschland wird in hohem Maße menschliches Potenzial vergeben. Denn es sind die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die gehen müssen, obwohl sie hervorragende Arbeit leisten. Statt die Kenntnis auch mancher leistungsgeminderter Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen weiterhin gewinnbringend einzusetzen, legen viele Arbeitgeber diesen wertvollen Mitarbeitern einen Rentenantrag vor oder entlassen sie in die Arbeitslosigkeit. Davor haben die Menschen Angst. Daher sehen wir es als Aufgabe an, die Ausgliederung älterer vermeintlich oder tatsächlich leistungsgeminderter Mitarbeiter aus den Betrieben zu verhindern. Wir wollen Erwerbsfähigkeit statt Erwerbsunfähigkeit. Es geht um Diversity und Inclusion, also um Vielfalt und volle Eingliederung. Es geht nicht darum, Menschen zur Arbeit zu verurteilen, sondern um Teilhabe; das heißt es geht darum, Menschen in Arbeit zu bringen und auch zu halten. Es gibt durchaus positive Beispiele in der deutschen Wirtschaft. Degussa zum Beispiel bietet betriebliche Weiterbildung und ein Programm für lebenslanges Lernen an. Die Hamburger Hochbahn kümmert sich um ihre älteren Mitarbeiter und bietet ihnen angemessene Arbeitsplätze an. Darüber hinaus hat sie gesundheitsfördernde Maßnahmen im Programm. Daimler-Chrysler etabliert bereits weltweit Diversity Management, um Vielfalt an Mitarbeitern mit Älteren, Jüngeren und Behinderten zu gewährleisten. Mit solchen Maßnahmen trägt man auch dem demografischen Faktor Rechnung. Auch die Deutsche Telekom entwickelt bereits erfolgreich Strategien, um ältere Mitarbeiter umfassend miteinzubeziehen. Diese Mitarbeiter fühlen sich in ihren Unternehmen ausgesprochen wohl und möchten durchaus länger bleiben. Denn diese Arbeit macht auch Spaß. Wenn man im Unternehmen angenommen ist, dann macht die Arbeit Spaß. Silvia Schmidt ({0}) Solche Möglichkeiten, die schon Unternehmen wie Ford und Daimler-Chrysler erfolgversprechend vorantreiben, müssten auch von anderen Unternehmen in ihre Strategie miteinbezogen werden. Es geht nicht darum, Jüngere gegen Ältere auszuspielen, und es geht auch nicht im Umkehrschluss um einen Zwangsausschluss aus dem Arbeitsleben. Ich denke, Franz Müntefering hat es treffend bemerkt: Der Mix der Generationen in der Belegschaft ist das beste Erfolgsrezept für ein Unternehmen. Es kommt auf Vielfalt und vollständige Eingliederung an. Dabei gehen, wie gesagt, die großen Weltkonzerne voran, vor allem in den USA. Wir haben in Deutschland bereits die besten Möglichkeiten geschaffen. Ich erinnere nur an das im Sozialgesetzbuch IX geregelte Betriebliche Eingliederungsmanagement und an das Betriebsverfassungsgesetz. Im Betriebsverfassungsgesetz zum Beispiel geht es um altersgerechte Arbeitsplatzgestaltung. Es ist aber erschreckend, dass viele Mitarbeiter in den Unternehmen das Betriebliche Eingliederungsmanagement, Servicestellen und Integrationsämter nicht kennen und ihren Rechtsanspruch nicht wahrnehmen. Das ist doch der wahre Grund, warum Menschen verunsichert sind. Es gibt doch auch heute schon ausreichend Möglichkeiten, in der Arbeitswelt zu verbleiben. Sie werden aber nicht genutzt. Dafür gehe ich gerne demonstrieren, um zu zeigen, welche Möglichkeiten es gibt. Außerdem haben wir - auch das ist, glaube ich, schon angesprochen worden - endlich die Reha zur Pflichtleistung gemacht. Wir haben auch die betriebliche Gesundheitsförderung zur Pflichtleistung der Kassen gemacht. Auch für die Prävention wurde einiges getan. Das alles sind Möglichkeiten, um die Menschen länger in Arbeit zu halten. ({1}) Es geht der Bundesregierung nicht darum, Menschen an den Arbeitsplatz festzubinden. Es muss unser aller Anliegen sein, darum zu kämpfen, dass die Menschen am Arbeitsmarkt teilhaben. Dann ist auch die Rente mit 67 für alle kein Problem - ganz im Gegenteil. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht der Kollege Dr. Michael Fuchs für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Kollege Lafontaine, dass ich Ihnen heute zweimal zuhören muss, ist schon eine echte Zumutung. Zweimal hier diesen Populismus zu erleben, das grenzt für mich schon fast an Körperverletzung. Was Sie uns hier zumuten, ist ziemlich unerhört. ({0}) Ich kann Ihnen dazu eins sagen: Als ich letzte Woche das große Vergnügen hatte, mit Herrn Peters und den Kollegen Stiegler und Kolb bei einer gemeinsamen Podiumsdiskussion zu sein, da habe ich zum ersten Mal gedacht und zu mir gesagt: Wenn du einmal im Deutschen Bundestag zu diesem Thema reden musst, dann zitierst du Karl Marx. Das fällt mir zwar ein bisschen schwer, und gerade bei mir ist das vielleicht auch ein bisschen ungewohnt, aber Karl Marx hat einmal gesagt: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“ ({1}) Dieses Bewusstsein von Herrn Peters zum Thema Rente mit 67 zu erleben, das war schon bemerkenswert. Ich darf ihn zitieren: Ein demografisches Problem gibt es in Deutschland nicht. Das ist nur ein vorgeschobenes Argument. Meine Damen und Herren, wer so etwas behauptet, auf welchem Stern lebt der bitte! Was hat der für ein Bewusstsein? - Wahrscheinlich überhaupt keins. ({2}) Ich empfinde es als schlicht unverschämt, so etwas zu behaupten und die Alterung der Gesellschaft nicht wahrnehmen zu wollen. Egal welche Professoren Sie nehmen, ob das Börsch-Supan, Höhn, Radermacher oder der Amerikaner Vaupel ist, jeder hat das Problem erkannt. Anscheinend ist das aber an der IG Metall und natürlich auch an der sie tragenden Linken vorbeigegangen. ({3}) Das sind vernebelte Köpfe, die so etwas behaupten, um es auf den Punkt zu bringen. Ich habe auch Herrn Peters ins Gesicht gesagt, dass die Aktionen der IG Metall nicht nur politischer Streik sind, der in diesem Land Gott sei Dank nicht rechtmäßig ist, sondern dass es unanständig ist, was Sie machen. Um noch ein Wort hinzuzufügen, Herr Dreibus: Ich empfinde es als unanständig, dass Sie die Kollegen von der SPD an den Pranger stellen wollen; dass Sie Plakate drucken lassen, wo die Kollegen dann 500 Zeilen zugesagt bekommen, in denen sie sich wehren bzw. Begründungen abgeben dürfen. Dass Sie diese Plakate dann in den Betrieben verteilen, das empfinde ich als unanständig. Wenn Sie das nicht kapieren, tun Sie mir Leid. ({4}) So kann man mit Kollegen nicht umgehen. Ich denke schon, dass das nicht in Ordnung ist. Das, was die IG Metall in den Wahlkreisen aufzieht, das sollten wir uns nicht gefallen lassen. So können wir im Deutschen BunDr. Michael Fuchs destag nicht miteinander umgehen. Es wäre gut, wenn auch Sie das kapieren könnten. ({5}) Diese landesweiten Proteste haben nichts mit Protesten in den Betrieben zu tun, sie sind pur politisch motiviert. Es wird purer Druck auf die Abgeordneten ausgeübt. Das lassen wir uns nicht gefallen. Gott sei Dank ist der Deutsche Bundestag selbstbewusst genug, diese Gesetze so umzusetzen. Es wird auch völlig unterschlagen, dass niemand bis 67 arbeiten muss, wenn er schon 45 Jahre gearbeitet hat. ({6}) Dieses ist in der Argumentation überhaupt nicht vorhanden. Meine Damen und Herren, wir wollen doch bitte festhalten: Es gibt genügend Leute - wir haben in Deutschland die ältesten Studenten in der ganzen Welt; wir haben auch die jüngsten Rentner; Gott sei Dank sind es noch zwei getrennte Gruppen -, die eine Lebensarbeitszeit haben, die vielleicht bei 28 oder weniger Jahren liegt. Dass das nicht funktionieren kann, wenn die Lebenserwartung praktisch alle zehn Jahre um ein Jahr steigt, muss doch eigentlich jedem einleuchten. Als 1957 die Rentengesetze gemacht wurden, lag die Lebenserwartung bei Männern bei 66 Jahren. Das entsprach im Prinzip einer Rentenbezugszeit von einem einzigen Jahr. Bei Frauen lag sie bei 71 Jahren. Heute ist sie praktisch um zehn Jahre gestiegen. Das müssen wir doch zur Kenntnis nehmen. Es ist ein bisschen ungerecht, dass die Frauen eine so wesentlich höhere Lebenserwartung haben als wir Männer. Das sollte man in diesem Zusammenhang auch einmal erwähnen dürfen. ({7}) - Wir machen kein Gesetz dazu, Herr Kollege Brandner. Wir brauchen eine Vorbereitung der Arbeitswelt auf längeres Arbeiten. Das heißt, dass wir keine Gesetze mehr machen dürfen, die in Richtung Verkürzung der Lebensarbeitszeit gehen. Frühverrentungsmaßnahmen werden wir uns also in Zukunft nicht mehr leisten können. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer permanent weitergebildet werden, damit sie der längeren Lebensarbeitszeit gewachsen sind; das gehört einfach dazu. Das sollten wir in diesem Zusammenhang offen sagen. Hier wäre das richtige Betätigungsfeld für vernünftig arbeitende Gewerkschaften. Ich finde, es ist traurig, dass wir eine solche Debatte führen müssen. ({8}) Wahrscheinlich haben wir von den Populisten der Linken nichts anderes zu erwarten. Wir werden uns leider weiter mit so etwas herumschlagen müssen. Aber wir tun es ja gerne. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Gregor Amann für die SPD-Fraktion. ({0})

Gregor Amann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003731, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wenn Sie, meine Damen und Herren von der Linksfraktion, diese Aktuelle Stunde beantragt haben, will ich mich aufgrund meiner beschränkten Redezeit nicht sehr lange mit Ihnen befassen. Ihre politische Taktik ist zu plump und durchschaubar. Sie malen Horrorszenarien und wollen die Menschen in Furcht und Schrecken versetzen, genauso wie die Schlangenölverkäufer auf den mittelalterlichen Jahrmärkten. Wenn die Menschen in Angst und Panik sind, verkaufen Sie ihnen Ihr Schlangenöl, Ihr vermeintliches Wundermittel, das alle Krankheiten heilen und Probleme lösen soll, das aber in Wirklichkeit nur aus Hühnerfett und Spucke zusammengerührt ist. ({0}) Die Wahrheit ist: Der Verkauf dieses Schlangenöls hilft nur Ihnen. Sie sind die politischen Schlangenölverkäufer von heute. ({1}) Sehr ernst nehmen wir Sozialdemokraten dagegen die Gewerkschaften. Sie sind eine unersetzliche Stütze unseres Wirtschafts- und Sozialsystems. Ohne starke Arbeitnehmervertreter und Betriebsräte sowie ohne den gemeinsamen Kampf von Sozialdemokraten und Gewerkschaften hätten wir heute wahrscheinlich noch Arbeitsbedingungen, wie sie einst Marx und Engels beschrieben haben und wie sie im Übrigen heute noch in manchen Ländern existieren. Ohne starke Gewerkschaften hätten wir heute wahrscheinlich keine Mitbestimmung in Deutschland, einer der Erfolgsfaktoren unseres Wirtschaftssystems. Ohne starke Gewerkschaften sowie den gemeinsamen Kampf von Sozialdemokraten und Gewerkschaften wäre Deutschland wahrscheinlich nicht so wohlhabend, wie es heute ist. Deswegen betrübt es mich nicht nur, sondern macht mich auch nachdenklich, wenn Zehntausende Gewerkschafter auf die Straße gehen und an Arbeitsniederlegungen gegen eine Politik teilnehmen, die wir Sozialdemokraten mitinitiiert haben, für die wir mitverantwortlich sind. Wie gesagt, ich nehme diese Proteste sehr ernst. Die Argumente für die Rente mit 67 sind bekannt - sie wurden mehrfach genannt -: längere Rentenbezugsdauer und Rückgang der Geburtenrate. Weil wir zukünftigen Generationen keine unzumutbaren Beitragssätze und Steuerlasten aufbürden wollen, ist es richtig und notwendig, das Renteneintrittsalter langfristig auf 67 anzuheben. Die Gewerkschaftsproteste sind deshalb paradoxerweise ein Zeichen der Schwäche der Gewerkschaften. Denn die Gewerkschaften sind heute in einer schwierigen Lage: Auf der einen Seite schwächt der Globalisierungsdruck ihre Kampfkraft. Auf der anderen Seite führen gerade ihre historischen Erfolge dazu, dass viele Menschen die Notwendigkeit einer gewerkschaftlichen Mitgliedschaft nicht mehr erkennen, weil sie glauben, die mühsam erkämpften Erfolge seien selbstverständlich, und vergessen, dass Solidarität immer wieder neu gelebt werden muss. In dieser schwierigen Lage der Gewerkschaften konnten einige Gewerkschaftsführer - ich sage bewusst nicht: alle - der Versuchung des Populismus nicht widerstehen. Sie benutzen den Unmut über die Rente mit 67 - dass er vorhanden ist, gebe ich zu; ich sage selbstkritisch, dass wir vielleicht nicht genügend Zeit darauf verwendet haben, es zu erläutern -, um Kampfeskraft und Stärke vorzutäuschen. Aber die Gewerkschaften kämpfen hier an der falschen Front. Wir brauchen starke Gewerkschaften für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, damit Menschen mit 55 nicht kaputt sind. Wir brauchen starke Gewerkschaften für Fort- und Weiterbildung für Junge und Alte in und mit den Unternehmen. Wir brauchen starke Gewerkschaften für den Mentalitätswandel in der Gesellschaft, damit nicht nur Kraft und Schnelligkeit der Jungen, sondern auch die Erfahrung und die Weisheit der Älteren Anerkennung und Verwendung finden. Und wir brauchen Gewerkschaften für gute Tarifabschlüsse. Ich will diejenen, die immer von Rentenkürzung reden, daran erinnern, dass das Rentenniveau unmittelbar an die Lohnhöhe gekoppelt ist. Wer hohe Renten möchte, muss für hohe Lohnabschlüsse sorgen. Bei all diesen Kämpfen finden die Gewerkschaften die SPD auf ihrer Seite. Lasst uns den Menschen nicht Angst einjagen, sondern stellen wir uns den Herausforderungen unserer Zeit, so wie unsere Väter und Mütter sich erfolgreich den Herausforderungen ihrer Zeit gestellt haben. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zum Abschluss der Aktuellen Stunde gebe ich das Wort dem Kollegen Anton Schaaf für die SPD-Fraktion.

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Lafontaine, Herr Kollege Dreibus, das, was Sie hier betrieben haben, war aus meiner Sicht ein absolut untauglicher Versuch zu verschleiern, dass Sie auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen in unserem Lande keine, aber auch gar keine Antwort haben. ({0}) Lafontaine kommt in der Aktuellen Stunde zum Thema „Protestaktionen der Gewerkschaften zur Heraufsetzung des Rentenalters“ daher und erzählt uns etwas über die Möglichkeiten des politischen Streiks. ({1}) Herr Dreibus kommt daher und erzählt uns etwas von einem außerordentlichen bürgerschaftlichen Engagement. ({2}) Zu dem Hintergrund, warum die Kolleginnen und Kollegen motiviert worden sind, auf die Straße zu gehen, und dazu, wie man diese Probleme diskutieren und lösen kann, haben weder Lafontaine noch Dreibus einen einzigen Satz gesagt. ({3}) Die Linksfraktion macht das, was sie schon bei anderen Themen immer wieder gemacht hat: Sie nutzt nicht nur die Ängste der Menschen, sondern sie schürt die Ängste der Menschen aus purem Populismus, aus parteipolitischem Interesse. ({4}) Herr Lafontaine, man kann den Kolleginnen und Kollegen - auch ich bin selbstverständlich Gewerkschaftsmitglied - die richtigen Fragen stellen: Wie verhält es sich denn mit der Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Warum lassen wir alle - ich sage: alle - zu, dass Menschen durch die Arbeit kaputt gemacht werden? Wieso lassen wir das zu? Wir haben den Gewerkschaften viele Möglichkeiten eingeräumt, zuletzt mit der Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes. Was machen wir denn mit diesen Möglichkeiten in den Betrieben, um die Kolleginnen und Kollegen davor zu schützen, dass sie von der Arbeit kaputt gemacht werden? ({5}) Wo weisen wir Verantwortung zu? Genau diesen Weg müssen wir beschreiten. Wir stellen zumindest die richtigen Fragen. Ob die Antworten richtig sind, werden wir am Ende sehen. Ich glaube, die Rente mit 67 ist eine Antwort; denn es gibt zurzeit nur drei Stellschrauben: Beiträge, Steuerzuschuss oder Rentenhöhe. ({6}) - Sie reden wieder über gesellschaftliche Umverteilung. Die müssen Sie zunächst einmal möglich machen. So einfach ist dieses Spiel nicht. Wir sind kein isolierter Markt, sondern wir bewegen uns auf einem internationalen, globalisierten Markt. ({7}) Das ist nicht so einfach, wie Sie es darstellen. Aber der Weltökonom Lafontaine müsste eigentlich auch Ihnen, Herr Dreibus, erklären können, dass es so einfach nicht ist. ({8}) Wenn man zur Kenntnis nimmt, dass nur drei Stellschrauben zur Verfügung stehen, dann ist es vor dem Hintergrund einer älter werdenden Gesellschaft und weniger nachrückender junger Menschen die beste Lösung - auch im Sinne der Betroffenen -, das Renteneintrittsalter moderat und planbar anzuheben, damit die Renten nicht dauerhaft gekürzt werden müssen und die nachfolgenden Generationen nicht überfordert werden. Sie sind immer noch die Antworten auf Fragen schuldig geblieben, die in vorherigen Debatten zur Rente mit 67 gestellt worden sind. Ich habe Ihnen das Beispiel genannt. Jemand, der im letzten Jahr geboren wurde, hat eine gute Chance, deutlich über 90 zu werden. Die ersten 20 Jahre ist er in Schule, Ausbildung oder Qualifizierung. Und dann sagen Sie, man solle sie frühestmöglich in Rente gehen lassen - mit 60, mit 63, mit 65. In der Zwischenzeit müssen immer weniger Menschen das verdienen, was andere dann - wohlverdient - konsumieren. Die Rechnung wird schlichtweg nicht aufgehen. Es kann nicht sein, dass die Hälfte des Lebens nichts erwirtschaftet, sondern nur etwas konsumiert wird - auch wenn es berechtigt ist -, während auf der anderen Seite die Menschen, die es erwirtschaften, immer weniger werden. ({9}) Die Rechnung geht schlichtweg nicht auf. ({10}) Sie liefern überhaupt keine Antworten auf die Fragen, die Herausforderungen gesellschaftlicher Art sind. Sie stellen sich populistisch hin, nehmen Protest auf, schüren die Ängste der Menschen und liefern definitiv - auch heute wieder - keine Antwort. Sie sind eindeutig entlarvt: Sie haben versucht, davon abzulenken, dass Sie zu der Frage der Demografie überhaupt keine Antwort haben. ({11}) Sie stellen sich in die Reihe derer, die die demografische Entwicklung der Gesellschaft sogar leugnen - was für eine Ironie. Meine Damen und Herren, die Frage der Rente mit 67 ist in der Sozialdemokratie nicht unstrittig, ohne jeden Zweifel. Ich denke, wir haben in den Verhandlungen gute, tragbare Ergebnisse erzielt, was die Frage der Erwerbsminderung und was die Frage des flexiblen Zugangs angeht. Wenn Sie noch einmal genau hingeschaut hätten - aber Sie interessiert ja der Inhalt des Gesetzes überhaupt nicht, das ist mir schon völlig klar geworden -, dann hätten Sie auch die Vorbehaltsklausel gesehen, die im Gesetzentwurf steht. Danach ist nämlich völlig klar, dass, wenn die Beschäftigungssituation für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht deutlich besser wird, im Jahre 2010 entschieden werden muss - da haben wir uns mit dem Gesetzentwurf selbst in die Pflicht genommen -, ob die Rente mit 67 überhaupt machbar ist. Aber das interessiert Sie überhaupt nicht. Sie ignorieren auch diesen Bestandteil des Gesetzentwurfs, wie übrigens - leider Gottes - auch die Kolleginnen und Kollegen in den Gewerkschaften. Ich nenne noch einen Punkt, der mir sehr wichtig ist. Wir werden eine ausführliche Debatte über flexible Zugänge in die Altersrente brauchen. Ich halte die Altersteilzeit nach wie vor für eine der zentralen Möglichkeiten, flexibel und sozial verträglich in die Altersrente zu gehen. Wir sollten uns, nachdem wir das Verfahren abgeschlossen haben, im Rahmen der Koalition noch einmal zusammensetzen und das Thema Altersteilzeit vernünftig miteinander diskutieren, um zu schauen, ob wir nicht vernünftige, richtige Lösungen für die Betriebe, aber vor allen Dingen auch für die beschäftigten Menschen erreichen können. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise Beck ({0}), Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Mädchen und Frauen vor Genitalverstümmelung schützen - Drucksache 16/3542 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle Laurischk, Dr. Karl Addicks, Burkhardt MüllerSönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen ächten und bekämpfen - Drucksache 16/3842 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Monika Knoche, Petra Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Weibliche Genitalverstümmelung verhindern Menschenrechte durchsetzen -Drucksache 16/4152 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen. ({4})

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zehn Jahren hatte die grüne Bundestagsfraktion das Thema weibliche Genitalverstümmelung erstmals mit einer großen Anhörung auf die politische Agenda gesetzt. Damals haben wir ein gesellschaftliches Tabu gebrochen. Aus unserem kurz darauf folgenden Antrag wollte die Bundestagsverwaltung den Ausdruck Genitalverstümmelung ausdrücklich herausstreichen; sie hielt ihn für unzumutbar. Wir haben uns dann doch durchgesetzt. Heute ist nicht nur die Bundestagsverwaltung ein großes Stück weiter. Damals wurde uns von der „taz“ die Einmischung in fremde Kulturen vorgeworfen; sie sprach von „westeuropäischer Überheblichkeit“. Dabei hatten 1995 auf der Weltfrauenkonferenz in Peking afrikanische Frauen selbst gefordert, Genitalverstümmelung als ein gesundheitspolitisches Problem und als eine Menschenrechtsverletzung anzuprangern. Im Gegensatz zu vielen europäischen Wohlmeinenden wussten sie nämlich, dass die profane Begründung für diese grausame Praxis nichts anderes ist als männlicher Kontrollanspruch über die weibliche Sexualität. ({0}) Ich denke, darin ist sich der gesamte Bundestag heute einig: Die Zeiten, in denen Menschenrechtsverletzungen an Frauen als Ausdruck einer bestimmten Kultur oder Religion von unserer Gesellschaft, ja auch von vielen in diesem Hause für hinnehmbar gehalten wurden, sind ein für alle Mal vorbei. ({1}) Übrigens hat auch eine angesehene islamische Instanz, der Großmufti von al-Azhar, weibliche Genitalverstümmelung kürzlich zu einem strafbaren Verbrechen erklärt, das gegen die höchsten Werte des Islam verstößt. So viel zur Religion. ({2}) Aber manche im Bundestag machen es sich immer noch sehr bequem: Sie prangern die Menschenrechtsverletzungen an Frauen zwar an, tun aber wenig, um diesen auch tatsächlich zu helfen. Jahrelang haben sich Union und zunächst auch Teile der SPD geweigert, die weibliche Genitalverstümmelung als eigenständigen Asylgrund anzuerkennen. Erst in den Verhandlungen über das Zuwanderungsgesetz konnten wir Grüne uns endlich durchsetzen. Vorher wurden zahlreiche Mädchen und Frauen - Menschenrechtsverletzung hin oder her - wieder dorthin zurückgeschickt, wo ihnen die grausame Praxis drohte, die immerhin für jede zehnte Frau den Tod bedeutet, für die anderen meist lebenslange Qualen. Sie wissen, weltweit sind circa 130 Millionen Frauen an ihren Genitalien verstümmelt; täglich kommen 6 000 bis 8 000 neue hinzu. Genitalverstümmelung ist inzwischen aber auch zu einem deutschen Problem geworden: Schätzungen zufolge leben bei uns 30 000 Mädchen und Frauen, die davon betroffen oder bedroht sind. Viele Eltern, die durch Migration und Flucht nach Europa gekommen sind, werfen den Glauben daran, dass diese grausame Praxis für ihre Töchter biologisch oder sozial notwendig ist, hier einfach nicht über Bord. Die Mädchen werden zum Zweck der Verstümmelung häufig ins Ausland verbracht. Wir wissen, dass solche Verstümmelungen aber auch in Deutschland vorgenommen werden, teilweise unter Beteiligung medizinischen Personals, und das müssen wir verhindern. ({3}) Dazu müssen wir weitere konsequente Maßnahmen ergreifen. Andere europäische Staaten haben es uns bereits vorgemacht, und die Vereinten Nationen empfehlen es auch: Wir wollen, dass die weibliche Genitalverstümmelung explizit in das Strafgesetzbuch aufgenommen wird, und zwar als Tatbestand der schweren Körperverletzung; denn um eine solche handelt es sich bei dieser grausamen Praxis. Oftmals sind die Eltern zugleich auch die Täter. Kommt es tatsächlich zu einer Ausweisung der Eltern, muss natürlich sichergestellt werden, dass das Opfer selbst nicht ausreisen muss. Selbstverständlich reicht ein ausdrückliches Verbot nicht aus. Wir müssen flächendeckend darüber informieren. Aber auch die Betroffenen müssen wissen, welch schwere seelische und körperliche Schäden sie ihren Töchtern zufügen. Ganz wichtig dafür ist die Schulung gerade ihrer potenziellen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner. Das sind zunächst Ärztinnen und Ärzte, zu denen die Mädchen und Frauen in die Sprechstunde kommen. Das Thema Genitalverstümmelung muss daher Eingang in die medizinische Ausund Fortbildung finden. Ärzte müssen wissen, dass sie ihre Approbation verlieren können, wenn sie eine solche Verstümmelung vornehmen, ({4}) selbst dann, wenn die Patientin einwilligt. Das ist nämlich unwirksam. Die neuen Empfehlungen der Bundesärztekammer begrüßen wir ausdrücklich als eine gute Grundlageninformation. Ich finde aber, sie sollten noch einmal daraufhin evaluiert werden, ob sie nicht noch detailliertere Informationen enthalten müssten. Fortbildung und Sensibilisierung brauchen aber auch Strafverfolgungsbehörden, Polizei und Justiz, Lehrer und Lehrerinnen, Sozialarbeiter und viele andere, um die strafrechtliche Verfolgung zu verbessern und Hinweise auf eine möglicherweise drohende Genitalverstümmelung frühzeitig zu erkennen. Auf internationaler Ebene muss die Bundesregierung sicherstellen, dass Länder, in denen Genitalverstümmelung in großem Maße stattfindet - ich nenne das Land Mali -, weder durch deutsche Behörden noch durch die EU als sogenannte sichere Herkunftsländer eingestuft werden. ({5}) Natürlich muss sie sich auch für entsprechende Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit einsetzen. Frau Ministerin Wieczorek-Zeul hat heute Morgen schon gesagt, dass sie das machen will. Das finde ich sehr gut. Auch der Einsatz für Bildung und wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen ist zugleich ein Einsatz für die Bekämpfung von Gewalt und von Menschenrechtsverletzungen gegen sie. Ich freue mich, dass die beiden anderen Oppositionsfraktionen auf unsere Initiative hin ebenfalls Anträge eingebracht haben, auch wenn die Linke kaum substanzielle Forderungen aufstellt und die FDP vor allem eine Reihe von Prüfaufträgen vergibt. Ich sage ausdrücklich: Wir finden den Antrag der FDP, zu überprüfen, ob hier nicht das Weltrechtsprinzip gelten kann, richtig. Schade ist, dass sich die Bundesregierung bisher noch gar nicht geäußert hat, was sie tun möchte, um den Schutz der Frauen und Mädchen zu verbessern. Bei diesem Thema sollten wir alle zusammenarbeiten: Regierung und Opposition, Bund und Länder. Wir Grüne sind auf jeden Fall zu einem gemeinsamen Vorgehen bereit. Lassen Sie uns möglichst bald darüber reden, welche Maßnahmen wir gemeinsam ergreifen können, um den Frauen zu helfen. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich erteile Michaela Noll für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Michaela Tadjadod (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003645, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Es muss aufhören, endlich aufhören.“ Diese Worte stammen nicht von mir, sondern von Waris Dirie, der UNO-Sonderbotschafterin, die den Kampf gegen Genitalverstümmelung schon vor einigen Jahren aufnahm. „Es muss aufhören, endlich aufhören.“ Das ist eine Aufforderung an uns. Hier sind wir als Politiker gefordert. Heute sprechen wir über die verschiedenen Anträge der Oppositionsfraktionen, in denen es um diese traurige und abscheuliche Form der Menschenrechtsverletzung geht. Das, was Frau Kollegin Schewe-Gerigk sagte, ist richtig: Es gibt mittlerweile 150 Millionen Opfer der Verstümmelung. Ich denke, die Dunkelziffer ist noch viel höher. Um sich die Dimension, um die es geht, vorstellen zu können: 150 Millionen Betroffene, das entspricht der kompletten Bevölkerung Frankreichs und Deutschlands. Es sind nicht nur Frauen betroffen, sondern auch Mädchen in der Pubertät und mittlerweile sogar Säuglinge im Alter von sechs bis sieben Tagen. 15 Prozent der Mädchen sterben sofort, 20 Prozent sterben kurze Zeit später an den Folgen der Genitalverstümmelung. Diese Art der Verstümmelung ist durch nichts zu rechtfertigen, weder durch kulturelle noch durch religiöse Gründe. Es gibt keine Religion, die sie vorschreibt. Frau Kollegin Schewe-Gerigk, jetzt muss ich Sie persönlich ansprechen: Auf der einen Seite haben Sie gesagt, dass Sie mit uns gemeinsam etwas auf den Weg bringen wollen. Wir waren schon einmal so weit: Im Jahre 1998 haben wir im Deutschen Bundestag über alle Fraktionsgrenzen hinweg einen gemeinsamen Antrag erarbeitet. In der 14. Legislaturperiode haben wir einen Antrag eingebracht, den Sie leider abgelehnt haben. In der 15. Legislaturperiode haben wir erneut einen Antrag eingebracht, den Sie auf die lange Bank geschoben haben. Reichen Sie uns doch bitte einmal auf faire Art und Weise die Hand. Bei diesem Thema sollte die Parteipolitik wirklich nicht zu Streit führen. ({0}) Wir sollten uns fragen: Was hilft tatsächlich? Auf internationaler Ebene ist bereits eine Menge geschehen. Die Bundesregierung ist sehr aktiv. Wir haben eine konsequente Informationspolitik verfolgt. Trotzdem muss man sagen: Es ist noch nicht so gut, als dass man nicht noch etwas verbessern könnte. Sie haben recht: Mittlerweile gibt es deutliche Hinweise darauf, dass diese Taten auch in Deutschland geschehen. Hierzulande gibt es circa 30 000 Opfer. Richtig ist: Die Ärzte haben meiner Meinung nach eine Schlüsselrolle, weil sie diejenigen sind, die im direkten Kontakt zu den Frauen stehen. Im Jahre 2005 hat der Berufsverband der Frauenärzte zusammen mit UNICEF und Terre des Femmes eine Umfrage durchgeführt. 500 Ärzte haben sich daran be7850 teiligt. 43 Prozent von ihnen haben berichtet, dass sie Frauen mit solchen Verstümmelungen bereits behandelt haben. Viele von ihnen haben gesagt, dass sie sich überfordert fühlen. Es ist wichtig, dass wir die Ärzte informieren und sensibilisieren. Ich bin der Bundesärztekammer dankbar, dass sie reagiert und eine Empfehlung veröffentlicht hat, die wir nun in allen Gremien bekannt machen müssen. Nun komme ich zum Antrag der FDP, die Folgen der Einführung einer Meldepflicht zu prüfen. Einerseits sage ich als Juristin: Es könnte sein, dass wir mit verfassungsrechtlichen Bedenken rechnen müssen, Stichwort: Berufsausübungsfreiheit. Andererseits müssen wir uns fragen: Ist die Einführung einer Meldepflicht zielführend? Können wir den Frauen dadurch tatsächlich helfen? Vielleicht tauchen die Frauen, wenn eine Meldepflicht existiert, eher unter, und es passiert das, was Waris Dirie in ihrem Buch „Schmerzenskinder“ schreibt: Heute weiß ich, dass Genitalverstümmelung auch in jedem europäischen Land stattfindet. Wer es sich leisten kann, bringt seine Töchter in Nobelkliniken oder zum Privatarzt. Wer weniger Geld hat, lässt den grausamen Job im Hinterhof erledigen oder schickt die Kinder in den Ferien nach Afrika, damit Oma sich darum kümmert. Wir wollen nicht, dass die Frauen zu schlecht ausgebildeten Personen gehen oder in ihre Herkunftsländer gebracht werden. Listen von Verstümmlern werden in dieser Community mittlerweile unter der Hand weitergegeben; so ist es zumindest in Frankreich. Daher müssen wir uns fragen: Ist die Einführung einer Meldepflicht wirklich ein gangbarer Weg? Ich glaube, dass Gesetze allein nicht überzeugend sind. In vielen afrikanischen Ländern ist die Genitalverstümmelung bereits unter Strafe gestellt. Die Verbesserung der sozialen Lage und der Bildung der Frauen ist wichtig. Aber wir müssen auch die Männer in den Blick nehmen. Denn die Männer sind diejenigen, die in diesen Ländern die Gesetze erlassen. Die Männer sind die religiösen Führer, die auf Einhaltung der Tradition beharren. Die Männer sind diejenigen, die eine nicht verstümmelte Frau als Braut ablehnen, weil sie als unrein oder als Hure gilt. Gestern hatte ich Gelegenheit, mit einem afrikanischen Mann zu sprechen. Er bestätigte mir: In den Dörfern predigen die religiösen Führer nach wie vor, dass ein Geschlechtsakt mit einer unverstümmelten Frau eine potenzielle Gefährdung für jeden Mann darstellt und dass die Kinder bei der Geburt versterben, wenn die Frau vorher nicht verstümmelt war. - Solange mit diesen Ängsten gearbeitet wird, werden wir auch international wenig bewegen. Ich bin natürlich froh, dass in Kairo mittlerweile diese Sitzung stattgefunden hat. Es kann sein, dass das, was die islamischen Gelehrten gesagt haben, eine Signalwirkung hat. Diese Botschaft muss aber erst einmal in 28 Ländern auch verbreitet werden. Erst dann haben wir wirklich einen Anfang gemacht. Wir müssen die Menschen vor Ort aber auch in die Lage versetzen, Traditionen und Normen kritisch zu analysieren und zu hinterfragen. Solange in den Dörfern Prediger aufstehen und das, was sie sagen, mangels Bildung unkritisch geglaubt wird, weil man es nicht besser weiß, können wir meiner Meinung nach auf internationaler Ebene zwar alles versuchen, aber wir werden scheitern. Manchmal hat es geholfen - kleine Projekte sprechen da für sich -, Männern vor Ort einfach einen Film über Genitalverstümmelung zu zeigen. Sie kehrten daraufhin von der Praxis ab, und in ihrer Dorfgemeinschaft wurde dieses grausame Ritual einfach nicht mehr praktiziert. Ich glaube, solche Projekte sind zielführend. Gesetze alleine werden nicht reichen. Ich bitte noch einmal alle Kolleginnen und Kollegen, die hier sitzen: Lassen Sie uns keinen parteipolitischen Streit führen. Es geht um die Sache. Diese Frauen brauchen die Solidarität aller Menschen. ({1}) Wir müssen nur schauen, welchen Weg wir gehen. Er muss tatsächlich zielführend sein. Ich schließe jetzt mit meinem Eingangssatz: Es muss aufhören, endlich aufhören. Helfen Sie bitte alle mit! Danke schön. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt die Kollegin Sibylle Laurischk für die FDP-Fraktion. ({0})

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Laut WHO leben weit über 100 Millionen Frauen weltweit, deren Genitalien verstümmelt wurden. In Deutschland leben circa 30 000 von Genitalverstümmlung betroffene oder bedrohte Frauen, so die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der FDP-Fraktion vom Mai 2006. Die Genitalverstümmelung von Frauen und Mädchen ist also ein Tatbestand, der auch uns in Deutschland betrifft. Die Dunkelziffer ist hoch. Die Verstümmelung der weiblichen Genitalien wird seit der Vierten UN-Weltfrauenkonferenz in Peking im Jahre 1995 weltweit als schwerwiegende Menschenrechtsverletzung geächtet. Frauen werden körperlich schwer verletzt, ihre Gesundheit wird dauerhaft geschädigt und ein menschenwürdiges Leben ist oftmals kaum mehr möglich. Häufig sterben die Frauen an den Folgen dieser Tortur. Das zentrale Problem ist nach meiner Einschätzung aber die frühe und sich lebenslang auswirkende Traumatisierung von Mädchen und Frauen, die von Generation zu Generation weitergereicht wird und den Frauen ein selbstbestimmtes Leben unmöglich macht. Die genitale Verstümmelung stellt einen besonders drastischen menschenrechtswidrigen Auswuchs von Gewalt gegen Frauen dar. ({0}) Der Deutsche Bundestag hat sich immer wieder mit diesem Thema beschäftigt. Es ist dringend nötig, der Bundesregierung weitere Maßnahmen zur Prävention abzuverlangen. Neben der internationalen Entwicklungszusammenarbeit müssen wir auch Fragen der Prävention im Inland und auf europäischer Ebene beantworten. Die Aufklärung aller, die mit betroffenen oder bedrohten Frauen und Mädchen in Kontakt kommen können, ist geboten. Mitarbeiter von Beratungsstellen für Migrantinnen, Ärzte, Hebammen, Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen, Polizeibeamte und Mitarbeiter der Jugendbehörden, Strafrichter und Familienrichter, kurz, alle, die mit der Problematik in Berührung kommen, müssen Informationen über den sensiblen Umgang mit betroffenen Frauen und mit diesem Thema erhalten. Die Bundesärztekammer hat Richtlinien verabschiedet, mit denen die gravierenden gesundheitlichen und psychischen Folgen drastisch beschrieben werden, jegliche Beteiligung von Ärzten berufsrechtlich untersagt wird und psychosoziale Beratungsstellen, die kompetent in diesem Konfliktfeld beraten können, gefordert werden. Vorbildlich ist die Öffentlichkeitsarbeit von Nichtregierungsorganisationen, wie Plan International, Terre des Femmes und Intact zusammen mit der GTZ, um nur einige zu nennen. In Fachkreisen wird die ausdrückliche Strafbarkeit gefordert, weil man sich davon eine größere Handhabbarkeit und generalpräventive Wirkung verspricht. Die FDP-Fraktion hält eine solche explizite Strafbarkeit durch Aufnahme in den § 226 StGB eher für symbolisch als für sachlich gerechtfertigt, da eine Strafbarkeitslücke für im Inland begangene Genitalverstümmelungen nicht besteht. Darüber hinaus bestimmt § 228 StGB, dass die Tat selbst bei Einwilligung des Opfers rechtswidrig bleibt. Auch wenn die Tat in Deutschland vorbereitet und anschließend im Ausland durchgeführt wird, ist eine Strafbarkeit nach deutschem Strafrecht möglich. Die Vorbereitungshandlung bestimmt den Tatort, sodass nach § 9 Abs. 1 StGB eine Inlandstat vorliegt. Gleichwohl ist wegen der gravierenden Menschenrechtsverletzung, die die Genitalverstümmelung darstellt, durchaus zu überlegen, ob es geboten ist, sie in das Weltrechtsprinzip aufzunehmen. Das würde bedeuten, dass ein nationales Gericht für das Strafverfahren gegen eine Person zuständig ist, die eines schwerwiegenden internationalen Verbrechens beschuldigt wird. § 6 StGB zählt dazu unter anderem den Menschenhandel. Hier kann man durchaus von einer Gleichwertigkeit des Unrechts sprechen. Zu überlegen ist auch, ob die Genitalverstümmelung im Straftatenkatalog des § 5 StGB zu berücksichtigen ist, der diejenigen Taten enthält, bei denen das deutsche Strafrecht unabhängig vom Recht des Tatorts, also auch für Taten, die im Ausland begangen werden, gilt. Die rechtssystematisch richtige Einfügung muss Thema einer Anhörung in den zuständigen Parlamentsausschüssen sein. Die FDP-Fraktion wird eine solche Anhörung beantragen. Wir sind uns dessen bewusst, dass ein langer, vielleicht auch schwieriger Weg, mit vielen Abstimmungsnotwendigkeiten nicht zuletzt auf internationaler Ebene, vor uns liegt. Allein, die Auffassung der Bundesregierung, ein erhöhter Schutz vor Genitalverstümmelung sei durch die Aufnahme in das Weltrechtsprinzip nicht zu erwarten, kann als Grund für die Ablehnung nicht ausreichen. Ich hoffe, dass alle im Bundestag vertretenen Fraktionen den Handlungsbedarf erkennen und dass wir uns gemeinsam aufmachen, um vielfältige Aktivitäten zur Bekämpfung und Ächtung der Genitalverstümmelung zu beschließen und die Bundesregierung in die Pflicht zu nehmen. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Angelika Graf für die SPD-Fraktion.

Angelika Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002662, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zahlen, die heute hier schon mehrfach genannt worden sind, sind schrecklich. Etwa 150 Millionen Frauen sind weltweit von Genitalverstümmelung betroffen. Jeden Tag müssen etwa 6 000 Mädchen diese Qual erleiden. Ich möchte nicht über die schrecklichen Einzelheiten dieser in weiten Teilen Afrikas gebräuchlichen qualvollen Riten sprechen. Insbesondere seit der Lektüre des Buches „Wüstenblume“ von Waris Dirie steigen vor mir aber immer wieder die Bilder der kleinen Mädchen auf, die, festgehalten und geknebelt, eine schreckliche, ihr ganzes weiteres Frauenleben bestimmende Prozedur über sich ergehen lassen müssen, weil es eben so Sitte ist und zum Frausein dazugehört. Bildung und Wissen spielen bestimmt eine große Rolle; denn die Eltern tun das sicherlich nicht aus Grausamkeit; sie wollen das Beste für ihr Kind; sie wollen, dass es in der Gesellschaft des Heimatlandes seinen Platz findet. Viele Mädchen wie die Schwester und die Cousinen der Autorin von „Wüstenblume“ überleben die Entfernung ihrer äußeren Geschlechtsorgane nicht. Aber auch Geburten können für beschnittene Frauen zu einem Lebensrisiko und jeder Geschlechtsverkehr kann zu einer Vergewaltigung werden. Alle Fraktionen dieses Hauses beschäftigen sich seit vielen Jahren mit dem Phänomen; das ist schon angesprochen worden. Ich kann mich daran erinnern, dass wir 1998 gemeinsam einer Entschließung zugestimmt haben. Seit wir - Sie, Frau Schewe-Gerigk, und ich - im Parlament sind, ist dies ein Thema, das im Endeffekt immer einvernehmlich behandelt worden ist. Ich darf auch an die Große Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion aus der 14. Legislaturperiode erinnern. Damals wie heute beschäftigen wir uns aus frauen-, menschenrechts- und Angelika Graf ({0}) entwicklungspolitischer Sicht mit diesem Thema und fragen uns: Wie können wir dazu beitragen, dass diese steinzeitliche Methode der Ausübung von Macht über Frauen von der Erde verschwindet? Den Part der Entwicklungspolitik wird meine Kollegin Riemann-Hanewinckel und die frauenpolitischen Aspekte die Kollegin Gradistanac darstellen. Ich möchte mich mit der Situation in Deutschland befassen. Die Arbeitsgruppe „Menschenrechte und Humanitäre Hilfe“ der SPD-Bundestagsfraktion hat diese Woche die Gelegenheit gehabt, mit Frau Dr. Goesmann von der Bundesärztekammer darüber zu sprechen. Schätzungen zufolge leben - auch diese Zahl ist schon genannt worden - etwa 30 000 Frauen und Mädchen aus den entsprechenden Herkunftsländern in Deutschland, die entweder bereits beschnitten oder von einer derartigen Verstümmelung bedroht sind. Gynäkologen, Hausärzte, aber auch Psychologen, die sich mit einer solchen Beschneidung konfrontiert sehen, stehen oft hilflos vor dieser Situation. Oft ist es eine Notfallversorgung, sei es nun, weil eine Geburt bevorsteht, weil starke gesundheitliche Beschwerden akut behandelt werden müssen oder weil sich bei einem Mädchen, welches verstümmelt aus den Ferien im Herkunftsland zurückkehrt, eine entsprechende Komplikation einstellt. Wir müssen, zusammen mit der Ärztekammer und den NGOs, die in diesem Bereich arbeiten, wie Terres des Femmes, dafür sorgen, dass das Thema aus dem Tabubereich herausgeholt wird und Einzug in die Aus- und Weiterbildung der Ärzte findet. ({1}) Darauf hat bereits 1996 der 99. Deutsche Ärztetag hingewiesen. Die im April 2006 von der Gesundheitsministerin und der Ärztekammer vorgestellten „Empfehlungen zum Umgang mit Patientinnen nach weiblicher Genitalverstümmelung“, die ständig weiterentwickelt werden - das ist also nichts Statisches -, bieten jedenfalls eine gute Grundlage für solche Diskussionen. Auch wenn es zurzeit noch keinen Fall einer Verurteilung wegen Durchführung einer solchen Verstümmelung gibt, muss, auch wegen der hartnäckigen Gerüchte, dass es selbstverständlich in Deutschland in den entsprechenden Communities solche Prozesse geben könnte, darauf hingewiesen werden, dass es sich nach unserem geltenden Strafgesetzbuch hierbei meist um eine schwere oder gefährliche Körperverletzung handelt. Mit dem Strafrechtsparagrafen ist es jedoch sicherlich nicht getan. Die Zahlen sagen uns, wir müssen in Deutschland die Genitalverstümmelung noch stärker thematisieren und von Genitalverstümmelung bedrohte Mädchen und ihre Eltern erreichen. Wir müssen die möglichen Ansprechpartner vor Ort für das Problem sensibilisieren, damit diese eine mögliche Gefährdung erkennen bzw. bei bereits erfolgter Genitalverstümmelung Hilfe leisten können. Dazu gehört die Vermittlung von Wissen über diese Tradition und auch über deren Strafbarkeit bei Ärzten, Sozialarbeitern, Lehrern, Polizisten und Ausländerbehörden. Hier sind vor allen Dingen die Länder gefragt, das Thema stärker in das Bewusstsein zu bringen, zum Beispiel bei Aus- und Fortbildungen der Lehrer und der Polizei. Nicht zu vergessen die Mitarbeiter der Jugendämter: Sie können ein Mädchen schützen, indem sie den Eltern, wie 2005 im Fall einer mit einem Deutschen verheirateten Ghanaerin geschehen, das Recht der Aufenthaltsbestimmung für das Kind entziehen. Für ihre Fortbildung sind die örtlichen Träger der Jugendhilfe, also die Kommunen, zuständig. Die Ziele des Programms „Frühe Hilfen für Eltern und Kinder und soziale Frühwarnsysteme“ der Bundesregierung, nämlich Risiken für Kinder frühzeitig zu entdecken und die Erziehungskompetenz der Eltern zu stärken, müssen auch beim Thema Genitalverstümmelung verfolgt werden. ({2}) Wir wollen davon bedrohte Mädchen rechtzeitig erreichen. Müttern und Vätern, die aus Regionen kommen, wo die Genitalverstümmelung gängige Praxis ist, müssen wir einfühlsam und sensibel klarmachen, dass eine Beschneidung der Töchter eben keine ehrenwerte Fortführung der Tradition, sondern mit lebenslangen Qualen für die Töchter verbunden und bei uns in Deutschland definitiv verboten ist. Den beschnittenen Frauen müssen wir gleichzeitig unsere Hilfe anbieten und deutlich machen, dass sie nicht verachtet werden wegen ihrer Beschneidung. Wir müssen sie gewinnen zum Kampf gegen Genitalverstümmelung. Das ist ein ganz wichtiges Ziel. Man wird diesen Kampf nur mit ihnen gewinnen und nicht gegen sie. Wir sollten Anstrengungen unternehmen, einen gemeinsamen Antrag hinzubekommen, weil wir bei diesem Thema nicht weit auseinanderliegen. Ich sehe dafür relativ große und gute Chancen und werde alles unterstützen, was zu einem gemeinsamen Antrag führen könnte. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat die Kollegin Kirsten Tackmann für Die Linke das Wort. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Fatuma aus Äthiopien ist sieben Jahre alt. Zu ihrem Geburtstag versprachen ihr die Eltern ein großes Fest. Weil Du dann zur Frau wirst, sagten sie. Sie verschwiegen aber: Dieser Tag ist das Ende der Kindheit und der Beginn lebenslanger Qualen, seelisch und körperlich. Was mit dem Begriff Beschneidung harmlos nach einem kleinen operativen Eingriff klingt, ist für die Mädchen schlimmste Folter. Es geht um die Entfernung der Klitoris und der Schamlippen sowie um die fast vollständige Verschließung der Vagina ohne Betäubung und steDr. Kirsten Tackmann rile Instrumente. Es sind nicht nur die unvorstellbaren Schmerzen und die Lebensgefahr durch Verbluten und Infektionen infolge der Verstümmelung selbst. Es bleiben Probleme beim Urinieren, Schmerzen bei der Menstruation, Angst vor Geschlechtsverkehr und Angst vor dem Gebären. Es geht also um lebenslange körperliche und seelische Verstümmelung. Wir dürfen nicht nur über Einzelschicksale reden. Es geht weltweit - das ist heute schon mehrfach gesagt worden; man kann es nicht oft genug wiederholen - um bis zu 150 Millionen Frauen, die betroffen sind - Tendenz eher steigend. In manchen Ländern Afrikas und Asiens werden 70 bis 99 Prozent der Mädchen so grausam zugerichtet. Jedes Jahr werden weitere 3 Millionen Frauen Opfer dieser barbarischen Form sexueller Gewalt. Wir sollten aber nicht vergessen: Es sind gesellschaftliche Bedingungen, unter denen die weibliche Genitalverstümmelung stattfindet, die Tradition oder Religion genannt werden. Diese Gewalttat geht vom Umfeld der betroffenen Mädchen aus und wird von diesem sanktioniert. Genitalverstümmelung steht also im direkten Zusammenhang mit Unwissenheit, Armut und dem sozialen Status der Frauen. Das hat bereits vor zehn Jahren die damalige Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen zum Thema „Traditionelle Praktiken, die die Gesundheit von Frauen und Kindern beeinträchtigen“ festgestellt. Die gesellschaftlichen Bedingungen sind es also, die verändert werden müssen. Weibliche Genitalverstümmelung ist ein Verbrechen, für das es keine Rechtfertigung geben darf; auch das ist schon gesagt worden. Das zu erreichen, ist ein beschwerlicher Weg, aber einen anderen gibt es nicht. Dazu wird unter anderem deutlich mehr Geld zur Unterstützung des Kampfes vor Ort gebraucht, auch von der Bundesrepublik. Wir fordern daher eine Verdreifachung des entsprechenden Budgets. Über die Bedeutung dieser Projekte ist hier schon gesprochen worden. Auch in Europa - das ist schon erwähnt worden müssen wir uns mit Genitalverstümmelungen auseinandersetzen. Circa 30 000 Mädchen und Frauen sind davon bedroht oder wurden bereits dadurch verletzt. Selbst in Deutschland werden vermutlich Genitalverstümmelungen vorgenommen. Über die Beteiligung von hier niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten wissen wir viel zu wenig. Über die Rolle dieser Gruppe sind schon Ausführungen gemacht worden, denen ich mich gerne anschließen möchte. Erfreulicherweise wächst der Widerstand weltweit, er wird auch immer wirkungsvoller. Auf die Konferenz in Kairo ist bereits hingewiesen worden. Von höchsten Rechtsgelehrten und Religionsführern aus islamisch geprägten Staaten Afrikas ist dort festgestellt worden, dass man den Koran zur Begründung von Genitalverstümmelungen nicht heranziehen kann. Einstimmig wurde von der Konferenz bestätigt, dass die weibliche Genitalverstümmelung mit dem Islam unvereinbar ist. Auf dieser Grundlage ist es nun endlich möglich, gegen diese religiösen Rechtfertigungsversuche vorzugehen. In zwei Dingen sind wir uns fraktionsübergreifend vermutlich einig: Erstens. Weibliche Genitalverstümmelung ist eine schwere Menschenrechtsverletzung, die Frauen dauerhaft der sexuellen Selbstbestimmung und eines Teils ihrer Persönlichkeit beraubt. Sie verletzt das Recht auf körperliche Unversehrtheit in schwerster Form. Zweitens. Gegen Genitalverstümmelungen und ihre Folgen müssen wir dringend etwas tun, und zwar wirkungsvoll. Erforderlich ist eine Ursachenbekämpfung: eine umfassende Beratung und Aufklärung auch in Deutschland, die Verbesserung der sozialen Situation bzw. des sozialen Status der bedrohten Frauen und Mädchen in ihrem Umfeld sowie effektive Maßnahmen zur gezielten Unterstützung von Frauen und Mädchen im Asylprozess. Dieser Punkt hat heute bislang noch keine Rolle gespielt. Letzteres ist ein sehr schwerwiegendes Problem. Die Pro-Asyl-Studie vom Dezember 2006 zur Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hat zum Beispiel bei Antragstellerinnen aus Eritrea festgestellt, dass bei Opfern sexueller Gewalt keine sensible Aufklärung des Sachverhaltes erfolgte. Vielmehr wurde im Bescheid der Tatbestand sogar bagatellisiert. Sonderbeauftragte des Bundesamts, die sich mit der geschlechtsspezifischen Verfolgung beschäftigen, wurden in vielen Fällen nicht hinzugezogen. Wir fordern daher insbesondere für Asylbewerberinnen aus Ländern, von denen die Genitalverstümmelungspraxis bekannt ist, erstens besonders sensible Anhörungen durch entsprechend qualifizierte weibliche Mitarbeiterinnen des Asylbundesamtes, inklusive weiblicher Sprachmittlerinnen. Nach Aussagen der Bundesregierung sind es immerhin 30 Länder, von denen eine Genitalverstümmelungspraxis bekannt ist. Wir fordern zweitens im Rahmen des Asylverfahrens eine unabhängige Beratung vor der Erstanhörung zum Beispiel durch kompetente Beratungsstellen oder Rechtsanwältinnen. ({0}) Wir fordern drittens, dass das Vorbringen des Fluchtgrundes „Genitalverstümmelung“ im Verlaufe eines Asylverfahrens nicht als gesteigertes oder verspätetes Vorbringen bewertet wird. Häufig verschweigen nämlich Frauen, gerade schwer traumatisierte Frauen, bei der Erstanhörung aus Scham eine Genitalverstümmelung. Erst nach einiger Zeit sowie psychologischer Betreuung und Beratung sind sie in der Lage, über Genitalverstümmelung zu reden. Das muss im Verfahren berücksichtigt werden und darf nicht noch zum Nachteil ausgelegt werden. ({1}) Viertens dürfen Länder mit bekannter Genitalverstümmelungspraxis nicht als sogenannte sichere Herkunftsländer eingestuft werden. Die deutsche EU-Ratspräsi7854 dentschaft kann für eine Initiative zur Harmonisierung des europäischen Rechtsrahmens genutzt werden. Es besteht folgendes Problem: Nach einem Bericht von Pro Asyl hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zum Beispiel den Asylantrag einer Minderjährigen aus Guinea mit der Begründung, sie habe eine inländische Fluchtalternative, abgelehnt. Allerdings hatte die Betroffene in der Anhörung bereits berichtet, dass sie bei dem Versuch, sich in der Hauptstadt niederzulassen, von ihrer Familie aufgespürt wurde und deswegen auch von dort wieder flüchten musste. Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle zehn Sekunden wird weltweit ein Mädchen an seinen Genitalien verstümmelt, während meiner Rede also 42. Lassen Sie uns gemeinsam einen Weg finden, diese unmenschlichen Praktiken endlich zu beenden und ihre Folgen zu mindern. Danke schön. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Sibylle Pfeiffer das Wort für die CDU/CSUFraktion.

Sibylle Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Ihnen zunächst sagen, dass ich dankbar bin, dass wir das Thema der Genitalverstümmelung um diese hervorragende und wirklich exponierte Zeit hier bei uns im Bundestag debattieren können. ({0}) Ich bin versucht, mein Konzept völlig wegzulegen; denn ich möchte jetzt nicht einfach all das wiederholen, was schon gesagt worden ist. Eines möchte ich aber zu Beginn meiner Rede doch sagen - ich versuche jetzt, nur auf wenige Punkte meines Konzeptes einzugehen -: Das Problem der Genitalverstümmelung muss dort gelöst werden, wo es verursacht wird. Als Entwicklungspolitikerin kann ich das eine oder andere Wort dazu sagen und auf einige Länder und Verwicklungen hinweisen, die sich in diesem Zusammenhang feststellen lassen. Einige Länder haben die Menschenrechtscharta unterschrieben; etliche sind im Menschenrechtsrat vertreten. Viele Länder in Afrika haben Gesetze erlassen. Aber Papier ist geduldig; das wissen wir. Ich hoffe, dass das Papier, das im November von den islamischen Gelehrten verabschiedet worden ist, nicht genauso geduldig ist. Es kommt einer Fatwa gleich; das heißt, es ist ein Gesetz. Aber wie gesagt: Gesetze hin, Gesetze her; Papier ist geduldig. Wie kontrollieren wir das? Was kontrollieren wir eigentlich? Wo kontrollieren wir? Wen kontrollieren wir wann und wie? Wir sollten uns einmal überlegen, was in den Staaten passiert, in denen es Beschneidungen gibt. Dies geschieht - wir haben es schon gehört - in 28 Ländern Afrikas. Aber Beschneidungen gibt es auch in asiatischen Ländern und neuerdings in Europa - und das ist das Dramatischste an dem Ganzen. Frauen werden entstellt, werden verstümmelt. Verstümmelung ist meiner Meinung nach nichts anderes als eine Menschenrechtsverletzung. Auch Frauen sind Menschen. Deshalb müssen wir zusehen, wie wir an die Menschen herankommen, die das tun. Michaela Noll hat schon gesagt: Wir müssen an die Männer heran. - Ja, wir müssen an die Männer heran. Männer sind diejenigen, die die Gesetze erlassen, die auf deren Ausführung achten. Trotzdem sind es immer wieder Frauen, die die Ausführungen vornehmen. Aber können allein Frauen - vor allen Dingen diejenigen vor Ort - dieses Problem lösen? Ich glaube das nicht. Ich glaube, die Frauen vor Ort haben diese Kraft noch nicht. Nur, wie kommen wir als Entwicklungspolitiker an die Männer heran? Wissen sie überhaupt, was da passiert? Wissen denn die Männer, was dieses Ritual in sich birgt, was diesen Mädchen und jungen Frauen angetan wird, oder muss man ihnen das erst einmal verdeutlichen? Muss man sie fragen: Hast du schon einmal nachgedacht, was das bedeutet? Schließlich warst du noch nie dabei. - Frauen nehmen die Eingriffe vor; bisher war noch kein Mann dabei. Es gibt Filme darüber. Wer von Ihnen einmal einen solchen Film gesehen hat, der kann die Bilder nicht so schnell abschütteln. Ich sage Ihnen: Die Bilder sind fürchterlich. Können wir solche Filme zeigen? Können wir die Männer integrieren? Können wir die Männer dazu bewegen, sich solche Filme anzusehen? Dann würden sie erfahren, was die Frauen durchleben müssen, mit denen sie ein glückliches und erfülltes Leben führen wollen. Ich frage: Geht das? Können wir vielleicht durch die Hintertür kommen? Wir alle wissen, dass gesellschaftliche Veränderungen nur über Frauen stattfinden. Wenn wir aber an die Frauen nicht herankommen - wir Entwicklungspolitiker dürfen uns mit den Frauen nicht auseinandersetzen -, haben wir ein Problem. Waris Dirie ist hier schon genannt worden. Der einzige Weg, den wir als Entwicklungspolitiker gehen können, ist, Verbündete zu suchen. Wir müssen uns Frauen vor Ort suchen, die davon berichten, was ihnen passiert ist. Wir brauchen Frauen, die mutig genug sind, in die Welt zu gehen und zu berichten, was ihnen passiert ist. Schließlich geht es um mehr als 130 Millionen Mädchen und Frauen. Wir wollen die Frauen unterstützen, die helfen wollen und sich öffentlich dazu bekennen, damit ihre Töchter und Enkelinnen diese Verstümmelung nicht erleben müssen. Wir europäischen Entwicklungspolitiker kommen nicht an die Menschen heran, denen wir eigentlich helfen wollen. Deshalb müssen wir sehr viel vor Ort arbeiten; wir müssen die Frauen stärken und ihnen neues Selbstbewusstsein geben. Ein wichtiger Schritt ist, dass wir mit dieser Thematik an die Öffentlichkeit gehen, dass der Deutsche Bundestag zu dieser Uhrzeit über dieses Thema diskutiert. Solche Möglichkeiten müssen wir öfter nutzen. Dieses Thema darf kein Nischenthema sein; es muss in die Öffentlichkeit. Dann haben wir auch die Öffentlichkeit hinter uns. In den Entwicklungsländern Afrikas und Asiens ist die Situation nicht anders; darüber sind wir uns alle einig. Wir müssen unsere Unterstützung ausbauen und unser Anliegen laut hinausposaunen. Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Karl Addicks hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Karl Addicks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003713, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste auf den Tribünen! Wir sprechen heute über ein sehr ernstes und schwieriges Thema. Es geht um die Sitten und Gebräuche anderer Völker. Es gibt Sitten und Gebräuche anderer Völker, die wir nicht ignorieren oder einfach hinnehmen können. Hier und heute geht es um die Genitalverstümmelung von Frauen, vorwiegend in Afrika, aber auch in Asien. Diese Verstümmelungen müssen sofort aufhören; es dürfte sie eigentlich schon längst nicht mehr geben. Wenn wir wollen, dass diese Verstümmelungen bald aufhören, dann müssen wir noch sehr viel mehr dagegen tun. Menschenrechte werden hier auf schlimmste Weise mit den Füßen getreten. Es hat auf diesem Globus schon einige schlimme Gebräuche gegeben. Ich erinnere an die Fußverkrüppelung in China oder an Zehenamputationen in Japan. Auch in Europa hat es schlimme Unsitten gegeben; auch wir sind nicht ganz frei davon gewesen. Immer waren Frauen die Opfer. Eine ganz schlimme Praktik existiert noch: Die Genitalverstümmelung von Mädchen und jungen Frauen wird heute, im 21. Jahrhundert, immer noch praktiziert. Das ist unfassbar. Dieses grausame Ritual ist und bleibt ein verbrecherischer Eingriff in die Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen und in das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit. ({0}) Dort, wo Menschenrechte verletzt werden, wird die Entwicklung ganzer Gesellschaften verletzt. Deshalb sage ich hier wie meine Kollegin Pfeiffer, dass sich die Entwicklungspolitik viel mehr einmischen muss. Sie muss ihre Einflussmöglichkeiten stärker wahrnehmen. Es gibt viele Möglichkeiten, etwas zu tun: Auf die Regierungen in den Ländern muss Einfluss genommen werden; religiöse Autoritäten müssen gefragt werden; die Menschen müssen aufgeklärt werden; sie müssen Bildung erhalten. Genitalverstümmelung ist ein Frevel an der Schöpfung. Das ist Körperverletzung, häufig mit Todesfolge. Ich kann Ihnen die schrecklichen Bilder nicht ersparen - ich sage das an die Adresse unserer Gäste auf den Tribünen -: Die Mädchen werden gepackt, zum Block gezerrt und von vielen Händen fixiert. Mit einer Glasscherbe oder einer Rasierklinge wird ihnen ein Teil ihres Genitales entfernt - es tut mir leid, aber das muss auch in diesem Hohen Hause einmal so drastisch gesagt werden; denn so ist es nun einmal -; das blutet sehr stark. Es ist eine Schinderei ohnegleichen. Diejenigen, denen das angetan wird, sind physisch und psychisch für ihr ganzes Leben gezeichnet. Viele sterben sofort an dem starken Blutverlust, manche später an den Infektionen, die Folge dieser unsäglichen Prozedur sind. Die meisten leiden ihr Leben lang an Beschwerden psychischer und physiologischer Art. Sie haben Beschwerden bei der Menstruation, beim Wasserlassen, vor allem bei den Geburten; ganz zu schweigen von der sexuellen Invalidisierung. - Wir müssen diese Dinge hier und heute an die Öffentlichkeit bringen, vor allem in den Ländern, in denen die Genitalverstümmelung nach wie vor praktiziert wird. Deshalb befasst sich der Deutsche Bundestag heute zu Recht wieder einmal mit diesem Thema. Genitalverstümmelungen geschehen aber nicht nur in Afrika, sondern zum Teil auch hier, bei uns. Wir wollen uns nicht erheben, wir wollen diesem Treiben aber auch nicht länger zusehen. Sonst machen wir uns schuldig an den Mädchen und jungen Frauen, denen diese Gewalt angetan wird. Es ist dem Wirken zahlreicher Nichtregierungsorganisationen zu verdanken, dass diesem Thema mehr und mehr öffentliche Aufmerksamkeit geschenkt wird. Im Kampf gegen diese grausame Unsitte sind erste Erfolge sichtbar.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege.

Dr. Karl Addicks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003713, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Noch ein, zwei Sätze, bitte. - Viele der ehemaligen Beschneiderinnen kämpfen bereits auf unserer Seite. Einen wichtigen und mutigen Beitrag hat Rüdiger Nehberg geleistet, der mit seinen heimlichen Filmaufnahmen die muslimischen Gelehrten überzeugt hat, dass das aufhören muss. Ich danke Rüdiger Nehberg und allen anderen, die sich eingesetzt haben, für ihr Engagement. ({0}) Den Beschneiderinnen rufe ich an dieser Stelle zu: Legen Sie endlich Ihre Rasierklingen weg und lassen Sie die Körper der Kinder so, wie die Schöpfung sie gemacht hat: intakt! Danke. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das war eine ziemlich optimale Ausnutzung von drei Minuten Redezeit. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Das Wort hat die Kollegin Christel RiemannHanewinckel für die SPD-Fraktion.

Christel Hanewinckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen des Deutschen Bundestages! Traditionen, Religionen, Kulturen und Hoffnungen haben Frauen in vielen Ländern der Erde dazu gebracht, Angehörige ihres eigenen Geschlechtes leiden zu lassen, ihnen Schmerzen zuzufügen, Vertrauen zu zerstören, Frauen und Mädchen nicht wiedergutzumachenden Schaden zuzufügen und Frauen ein Leben lang die Bürde der Scham aufzuerlegen. Männlich dominierte Gesellschaften nehmen Verstümmelungen oder gar den Tod ihrer Frauen in Kauf. Gleiche Rechte für Frauen und Männer sind für sie nicht vorstellbar, weil sie offenbar Angst davor haben. Es sind im wahrsten Sinne des Wortes „Hintermänner“, die für Leid, Krankheit und Tod von Frauen und Mädchen verantwortlich sind; denn hinter jeder Genitalverstümmelung stehen Befürchtungen und Ängste von Männern, wenn es um die Selbstbestimmung der Frau geht. Was ist bisher getan worden, um den Machtmissbrauch der Männer zu „beschneiden“, zu ächten und unter Strafe zu stellen? Wie werden den Frauen, und zwar den Opfern und den Täterinnen, andere Wege eröffnet? Ich gehe in der Geschichte um fast 30 Jahre zurück. Im Jahr 1979 wurde die Genitalverstümmelung von Frauen im Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, kurz CEDAW genannt, erstmals benannt und geächtet; die Nationen dieser Welt wurden zu ihrer Bekämpfung aufgerufen. Die Tabuisierung dieses großen Gewaltverbrechens wurde durch CEDAW endlich aufgebrochen. Alle Länder, die dem Übereinkommen beigetreten sind, müssen nun in Regierungsberichten darlegen, was sie in ihrem Land zur Bekämpfung dieser Menschenrechtsverletzungen tun. In der Folge ist die Ächtung und Bekämpfung der Genitalverstümmelung in eine Reihe von internationalen Übereinkommen, Protokollen und Erklärungen aufgenommen worden. Ich nenne nur einige, die deutlich machen, wie umfassend die Ächtung ist: die UN-Kinderrechtskonvention, die Aktionsplattform der 4.Weltfrauenkonferenz in Peking, die Millenniumserklärung der Vereinten Nationen im Jahr 2000 und die Millenniumsentwicklungsziele; in den Zielen drei bis fünf wird darauf eingegangen. Deutschland hat sich zum Beispiel in Peking, aber auch in den Nachfolgekonferenzen in New York bei Peking + 5, im CEDAW-Ausschuss und vor allen Dingen in der Frauenrechtskommission der Vereinten Nationen immer aufs Neue für Vereinbarungen eingesetzt, in denen wirksame Maßnahmen zur Aufklärung und zur Bekämpfung weiblicher Genitalverstümmelung gefordert werden. Besonders wichtig ist dabei - dies wird vor allen Dingen im Zusammenhang mit den Vereinten Nationen immer wieder genannt - das Aufbrechen von Geschlechterstereotypen. Dazu gehört der Zugang der Frauen zu Bildung, zu Gesundheitsvorsorge und zu wirtschaftlichen Ressourcen. All das sind Entwicklungen, die in männerdominierten Gesellschaften Angst verursachen, weil die Sorge besteht, dass die Frauen die gleichen Rechte bekommen könnten wie die Männer; denn es führt in der Folge - das ist beabsichtigt - zur Eigenständigkeit der Frauen und zur Gleichberechtigung. Zur Geschlechtergerechtigkeit gehört - das haben wir in Peking erstmals sehr deutlich festgestellt -, dass Menschenrechte unteilbar sind und damit für Frauen und Männer gleichermaßen gelten. Das bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die sexuelle Selbstbestimmung der Frauen zu den Menschenrechten gehört. ({0}) Genitalverstümmelung zu benennen, zu ächten und damit zu enttabuisieren, sie bei den Weltkonferenzen der Vereinten Nationen als Menschenrechtsverletzung zu benennen, sie in bilateralen Verhandlungen immer wieder zu thematisieren und in die Millenniumsentwicklungsziele einzuarbeiten, ist die eine Seite. Die andere Seite ist das konkrete Handeln. Ich will ein paar Punkte der Entwicklungszusammenarbeit anführen, die genannt werden müssen, weil Deutschland an dieser Stelle nicht nur in den Verhandlungen aktiv ist, sondern auch konkret handelt und vieles für die betroffenen Frauen und die Gesellschaften vor Ort tut. Deutschland unterstützt seit 2001 über das entwicklungspolitische Ministerium die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen in Afrika mit 500 000 Euro. Für das GTZ-Projekt „Förderung von Initiativen zur Überwindung der weiblichen Genitalverstümmelung“ - manche von Ihnen kennen es vielleicht; aber es ist noch zu wenig bekannt, deshalb müssen wir hier darüber reden -, das von 1999 bis 2007, also über acht Jahre, läuft, werden vom BMZ insgesamt 5,8 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das Auswärtige Amt unterstützt außerdem von 2001 bis 2005 einzelne Maßnahmen von Nichtregierungsorganisationen mit 176 000 Euro. Eine besondere Rolle in der Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands spielen die sogenannten nationalen Roadmaps. Das sind die Vereinbarungen, die auf Basis der allgemein formulierten Millenniumsentwicklungsziele für die einzelnen Nationen aufgestellt werden. In ihnen werden die Inhalte der Ziele konkretisiert. Dabei geht es um das, was vor Ort passiert. Deutschland befindet sich hier nicht nur in bilateraler Zusammenarbeit mit vielen Ländern durch Gespräche; wir unterstützen auch. Im Rahmen des überregionalen Projektes der GTZ werden Regierungen sowie nationale Organisationen beraten, um Strategien und Programme vor Ort gegen die weibliche Genitalverstümmelung zu entwickeln. Hier geht es nicht vorrangig um die strafrechtliche Verfolgung, sondern darum, vor Ort etwas zu entwickeln, durch das den betroffenen Frauen, und zwar sowohl den Täterinnen als auch den Opfern, andere Möglichkeiten für ihr Leben eröffnet werden. Geändert werden können die Einstellung und das Verhalten der Menschen durch den Dialog mit den unterschiedlichen Zielgruppen, durch Aufklärung über die Folgen von Genitalverstümmelung und vor allen Dingen durch die Vermittlung des Begriffs der Menschenrechte. Darüber hinaus muss man den Beschneiderinnen alternative Erwerbsmöglichkeiten auftun; ansonsten wird diese Praxis weiter bestehen. Letztendlich hilft die wirtschaftliche Eigenständigkeit von Frauen in der Breite, dass Frauen eigenständig werden können. Besonders wichtig und interessant finde ich den Ansatz, den Mädchen, Müttern und Familien Alternativen zu diesem Initiationsritus aufzuzeigen. Auch wir in Deutschland kennen verschiedene Initiationsrituale, allerdings nicht so etwas wie Genitalverstümmelung. Auch durch eine Neuentwicklung von Ritualen wird man an dieser Stelle neue Wege gehen können. Das sind nur einige kleine Beispiele, die deutlich machen, dass engagierte Entwicklungspolitik etwas bewirken kann. Ich nenne am Schluss noch ein Beispiel: Die Regierung von Benin hat 2005 offiziell das Ende dieser grausamen Praxis verkündet. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit hat dazu einen wichtigen Beitrag geleistet. Wir alle können in unseren Wahlkreisen dafür sorgen, dass über diese schwere Menschenrechtsverletzung geredet wird. Wie wir gehört haben, ist inzwischen auch Deutschland betroffen. Der 6. Februar ist der Internationale Tag gegen Genitalverstümmelung. Vielleicht fällt der einen oder dem anderen im Wahlkreis etwas ein,

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kommen Sie jetzt bitte zum Ende!

Christel Hanewinckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- wie die Problematik bekannt gemacht werden kann bzw. wie mit Organisationen vor Ort darüber geredet werden kann. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Ursula Heinen für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Ursula Heinen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, das Wichtigste an dieser Debatte ist, dass wir dieses Thema ins Bewusstsein holen, wie es alle Rednerinnen getan haben. Ich möchte mich aber auch bei Herrn Dr. Addicks für die klaren Worte bedanken, die er hier im Plenum gefunden hat, ({0}) um auch denjenigen, die sich nicht so intensiv damit befasst haben, deutlich zu machen, worum es hier geht. Wir haben die Zahlen gehört: Weltweit gibt es zwischen 130 und 150 Millionen genitalverstümmelte Mädchen und Frauen. Nach Hochrechnungen leben auch in Deutschland circa 30 000 beschnittene Frauen. Statistiken darüber gibt es nicht; weil sich dies im Dunklen abspielt. Es gab eine Umfrage bei Frauenärzten - meine Kollegin Michaela Noll hat das bereits erwähnt -, deren Rücklauf traurigerweise sehr gering ausfiel. Nur 500 Frauenärzte haben sich an dieser Umfrage beteiligt; das sind vergleichsweise wenige. Von diesen 500 Ärzten haben jedoch 43 Prozent schon einmal eine genitalverstümmelte Frau betreut. Ein Drittel der Ärzte hat einer genitalverstümmelten Frau sogar schon einmal bei der Geburt eines Kindes, was gerade für diese Frauen eine ausgesprochen schmerzhafte Angelegenheit ist, geholfen. Weil auch die Ärzte so wenig darüber wissen, ist es entscheidend, dass wir uns mit diesem Thema befassen. Dass 90 Prozent der Ärzte mehr Informationen gewünscht haben, hat zu den bereits erwähnten Empfehlungen der Bundesärztekammer geführt. Über eine Meldepflicht von Ärztinnen und Ärzten, wie sie die FDP in ihrem Antrag als Prüfaufgabe formuliert hat, kann man durchaus nachdenken. Meine Kollegin Michaela Noll hat allerdings schon die Sorge zum Ausdruck gebracht, dass die jungen Mädchen, um die es geht - Sie sprechen ja ausdrücklich „von einer drohenden Genitalverstümmelung“ -, dann vielleicht nicht mehr zum Arzt gehen. Das sind Punkte, die wir sorgfältig bedenken müssen. Ich denke aber, dass wir uns sicherlich entsprechend offen zeigen können. Der Antrag der Grünen beschäftigt sich hauptsächlich mit dem bestehenden rechtlichen Rahmen. Auch der Antrag der FDP nimmt darauf Bezug. Das Strafgesetzbuch bietet uns in der Tat genug Möglichkeiten, die Genitalverstümmelung als schwere Körperverletzung zu bestrafen. Das ist sicherlich unstrittig. ({1}) Die einzelnen Paragrafen werden jedem Tatbestand gerecht. Derjenige, der die Genitalverstümmelung vornimmt, kann belangt werden. Auch die Eltern, die ihre Kinder für einen solchen Eingriff ins Ausland schaffen, können belangt werden. Der BGH ist sogar so weit gegangen, das elterliche Sorgerecht bei Gefahr von Genitalverstümmelung einzuschränken. Insofern ist der erforderliche Rechtsrahmen in Deutschland vorhanden. Ich bezweifele, dass es uns weiterbringen würde, wenn die Genitalverstümmelung explizit in § 226 des Strafgesetzbuchs aufgenommen würde. Meine Kollegin Annette Widmann-Mauz hat in ihrem Antrag in der letzten Legislaturperiode ausdrücklich festgehalten, dass es weniger um die Frage einer Strafnorm im Gesetzbuch als um die Strafverfolgung geht. ({2}) Letzteres ist unser Hauptproblem. An diesem Punkt müssen wir ansetzen, um diejenigen zu erwischen, die die Genitalverstümmelung durchführen. Nichtsdestotrotz sollten wir meines Erachtens auch in diesem Punkt prüfen, inwieweit wir Änderungen vornehmen können. Deshalb wird der Antrag auch an andere Ausschüsse - sicherlich auch an den Rechtssausschuss - überwiesen. Dort wird man sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob Änderungen Sinn machen. Ein weiterer Punkt, der bereits angesprochen wurde, ist die Aufnahme der Genitalverstümmelung in das internationale Recht. Auch das sollten wir prüfen. ({3}) Der Sprecher unserer Fraktion, Johannes Singhammer, hat bereits festgestellt, dass wir alles unternehmen, was dem Ziel dient, die Genitalverstümmelung nachhaltig zu bekämpfen und die Verantwortlichen zu erwischen. Ich denke aber, dass die Diskussionen in dieser Frage in die richtige Richtung führen müssen. ({4}) Ein weiterer Punkt, auf den ich eingehen will, betrifft die Frage des sicheren Herkunftslandes, die Frau Tackmann angesprochen hat. Ich habe mich eben noch kurz mit einigen Innenpolitikern verständigt: Auch die drohende Genitalverstümmelung bedeutet eine Verletzung der Menschenrechte und ist damit ein Tatbestand, der die Verhinderung von Abschiebung, Ausweisung etc. rechtfertigt. Insofern gibt es im Aufenthaltsrecht bereits einen Schutz für die betroffenen Frauen. Auch das müssen wir berücksichtigen. Nach meiner Erinnerung hat es in der letzten Legislaturperiode lange Diskussionen gegeben, die wir inzwischen zu einem guten und vernünftigen Ende geführt haben. Ich denke, dass wir - meine Vorrednerin hat schon darauf hingewiesen - den 6. Februar wie vorgesehen zum Anlass nehmen sollten, über dieses Thema öffentlich - sei es in Artikeln oder in unseren Wahlkreisen - zu debattieren, um seinen Hintergrund deutlich zu machen. Wenn wir die Möglichkeit haben, dem einen oder anderen Mädchen die brutale Tortur zu ersparen, dann sollten wir sie nutzen. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Zu einer Kurzintervention erteile ich nun das Wort der Frau Kollegin Schewe-Gerigk.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Noll, Sie haben mich persönlich angesprochen und auf zwei Anträge der CDU/CSU-Fraktion aus der letzten und vorletzten Legislaturperiode hingewiesen. Sie haben dabei den Eindruck vermittelt, als hätten wir uns - weil wir Ihrem Antrag nicht zugestimmt haben - bewusst gegen die Bekämpfung der Genitalverstümmelung ausgesprochen. Ich habe das in der Zwischenzeit überprüfen lassen. Es geht zum einen um einen Antrag, der sich auf Frauen in den Krisenregionen Subsahara-Afrikas bezog und in dem Sie sehr viele Forderungen formuliert haben, die wir so nicht teilen konnten. Deshalb haben wir Ihren Antrag abgelehnt und einen eigenen Antrag vorgelegt. Bei Ihrem zweiten Antrag aus dem Jahr 2001 ist es umso schlimmer; darin ging es ausdrücklich um die Genitalverstümmelung bei Mädchen und Frauen. In diesem Antrag haben Sie festgestellt, dass es nicht notwendig sei, einen eigenständigen Asylanspruch zu formulieren, weil schon nach geltendem Recht die geschlechtsspezifische Verfolgung vom Asylgrundrecht erfasst sei. Das war nicht der Fall. Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, wie zäh die Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz waren und wie intensiv gerade meine Fraktion dafür gekämpft hat. Wenn das, was Sie in Ihrem Antrag festgestellt haben, schon der Fall gewesen wäre, dann hätte man dieses Instrument sicherlich nicht gebraucht. Ich möchte nicht, dass hier der Eindruck entsteht, dass die Grünen gegen etwas stimmen, nur weil es von der falschen Fraktion kommt. Ihre Anträge waren für uns nicht weitgehend genug. Wir mussten hier klarstellen, dass das auch im Zuwanderungsgesetz mit aufgenommen wird. Ich erinnere noch einmal an die peinliche Situation im Wahlkampf, als Ministerpräsident Stoiber bei Sabine Christiansen herumgestottert hat, dass nun alle Frauen dieser Welt nach Deutschland kommen würden, wenn dieses Gesetz Wirklichkeit würde. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, wollen Sie antworten?

Michaela Tadjadod (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003645, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, so wollte ich das auch nicht verstanden wissen. Es ging einfach darum, dass Sie so getan haben, als seien Sie diejenigen gewesen, die das sozusagen exklusiv behandelten. Wir haben immer gesagt: Unser Ziel war es, eine gemeinsame Beschlussempfehlung zu erarbeiten, mit der wir gemeinsam eine Initiative planen. Das haben wir geschafft, und dahin ging mein deutlicher Hinweis. Ich finde es einfach falsch, dann zu sagen, wir sind diejenigen, die am meisten transportiert haben. Außerdem waren Sie es, die zu der Zeit an der Regierung waren. Sie hätten ja noch mehr anschieben können. Unser Antrag war nur ein Anstoß, um deutlich zu machen: Wir wollen mehr gegen Genitalverstümmelung tun. Der zweite Antrag, den Sie angesprochen haben - er wurde gar nicht näher debattiert -, enthielt nur einen einzigen Passus, in dem es gezielt um Genitalverstümmelung ging. Es ging nicht darum, Ihre Arbeit infrage zu stellen. Ich wollte lediglich betonen, dass unser Angebot immer lautete: Dieses Thema können wir unabhängig von Parteipolitik behandeln; da geht es um die Sache, nämlich die betroffenen Frauen. Danke schön. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat die Kollegin Renate Gradistanac das Wort.

Renate Gradistanac (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003134, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße es ausdrücklich, dass wir heute über drei Anträge diskutieren, den Antrag der Grünen, den der FDP und den der Linken. In der Problembeschreibung und im Forderungskatalog unterscheiden sie sich meiner Meinung nach nicht grundsätzlich. Darum könnte ich mir auch gut vorstellen, dass wir uns darauf verständigen, miteinander einen interfraktionellen Antrag zu verabschieden. Ich meine, die Einführung eines eigenen Straftatbestandes kann geprüft werden. Gefordert wurde dies übrigens auch bei der Berliner Konferenz, die unter anderem vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Dezember 2006 organisiert wurde. Mit einer speziellen Gesetzgebung könnte Klarheit und Nachdruck in der öffentlichen Debatte geschaffen werden. Aber - das klang heute schon mehrfach an - Änderungen im Strafrecht allein reichen nicht aus, um Frauen und Mädchen zu schützen. Es müssen weitere Schritte hinzukommen, auch darin sind wir uns einig. Lassen Sie mich einen Blick zurück werfen - da ich die Letzte auf der Rednerliste bin, kann ich das ein bisschen zusammenfassen -: Am 17. Juni 1998 hat der Deutsche Bundestag die Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen als schwerwiegende Menschenrechtsverletzung verurteilt. Sie - so stand es damals in der Vorlage - ist durch kulturelle oder religiöse Traditionen nicht zu rechtfertigen. Alle Fraktionen, um auch das einfach noch einmal herauszuheben, waren sich einig, dass die Beschneidung ein Verstoß gegen das Grundgesetz und eine Straftat gegen die körperliche Unversehrtheit ist. Wenige Wochen davor, am 1. April 1998, trat das 6. Gesetz zur Reform des Strafrechts in Kraft. Die Vorschriften, nach denen Genitalverstümmelung als Körperverletzung oder Misshandlung Schutzbefohlener bestraft wird, wurden verschärft. Im Jahr 1999 dann - jetzt wird es spannend, weil Sie gesagt haben, wir hätten nichts Bewegendes getan - hat die rot-grüne Regierung einen nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen vorgelegt. In diesem Plan sind explizit Maßnahmen zur Bekämpfung der Genitalverstümmelung benannt. Mit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes - das war schon eine riesige Herausforderung - am 1. Januar 2005 wurden die Frauenrechte gestärkt. Seitdem wird nicht nur Schutz vor Übergriffen nichtstaatlicher Täter gewährt, sondern auch geschlechtsspezifische Verfolgung anerkannt. Damit erhalten Frauen bei einer drohenden Verstümmelung Abschiebeschutz nach der Genfer Flüchtlingskommission. Für diese Legislaturperiode steht die Fortschreibung des Aktionsplanes zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen an, so steht es in unserem Koalitionsvertrag. Wir begrüßen, dass die Bundesärztekammer eine Empfehlung für Ärztinnen und Ärzte herausgegeben hat; denn diesen mangelt es oft an Erfahrungen mit beschnittenen Patientinnen. In Kairo hat zudem eine Konferenz stattgefunden, auf der sich die Islamgelehrten darauf verständigt haben, die Beschneidung bzw. die Verstümmelung von Frauen zu ächten. Wenn wir das heute mehrmals betonen, dann - so hoffe ich - hat das eine Wellenwirkung. In der Vorbereitung auf die heutige Rede habe ich mir die Aktionspläne von Großbritannien und Norwegen zur Bekämpfung der weiblichen Genitalverstümmelung angeschaut. Das Kernstück des norwegischen Aktionsplans besteht aus Maßnahmen, die vier Ziele umfassen: erstens die Verhinderung der Genitalverstümmelung von Mädchen, die im Land - in diesem Fall in Norwegen leben; zweitens die Hilfe für Mädchen und Frauen, die bereits verstümmelt bzw. beschnitten sind; drittens die Kooperation und Koordination mit Einzelpersonen und Organisationen, wobei statt eines konfrontativen ein kooperativer Ansatz verfolgt wird - das ist neu und nach meiner Meinung ganz im Sinne der Betroffenen -; und viertens das Engagement auf internationaler Ebene. Es ist überlegenswert, diesen Weg zu gehen; denn ich meine, dass er beispielhaft ist. In wenigen Tagen - viele wissen wahrscheinlich gar nicht, dass der heutige Termin deshalb geschickt gewählt ist - ist der fünfte internationale Tag „Null Toleranz gegenüber weiblicher Genitalverstümmelung“. Die UNSonderbotschafterin Waris Dirie hat gestern in München eine Unterrichtsmappe von Terre des Femmes vorgestellt. Ich glaube, alle unterstützen dieses Engagement an Schulen. Ich schließe mich ausdrücklich dem Appell von Waris Dirie an: „Information und Bildung sind die stärksten Waffen im Kampf gegen dieses frauenverachtende Ritual. Wenn es uns gelingt, unsere Grenzen im Kopf zu überwinden, können wir alles erreichen“, auch einen gemeinsamen Antrag, den wir dann verabschieden. Danke. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache zu diesem Punkt. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/3542, 16/3842 und 16/4152 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlos- sen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 20. Oktober 2005 über den Schutz und die Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen - Drucksache 16/3711 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien ({0}) - Drucksache 16/4144 Berichterstattung: Abgeordnete Monika Grütters Steffen Reiche ({1}) Dr. Lukrezia Jochimsen b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN UNESCO-Übereinkommen zur kulturellen Vielfalt schnell ratifizieren - Drucksachen 16/457, 16/4144 Berichterstattung: Abgeordnete Monika Grütters Steffen Reiche ({3}) Dr. Lukrezia Jochimsen c) - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 14. November 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut - Drucksache 16/1372 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des UNESCOÜbereinkommens vom 14. November 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut ({4}) - Drucksache 16/1371 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien ({5}) - Drucksache 16/4145 Berichterstattung: Abgeordnete Monika Grütters Steffen Reiche ({6}) Dr. Lukrezia Jochimsen Zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Zu dem Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum Kulturgutübereinkommen liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Wolfgang Börnsen für die CDU/CSU-Fraktion. ({7})

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ein Film aus Deutschland hat in diesem Jahr die Chance, Oscarpreisträger zu werden. „Das Leben der Anderen“ ist dafür nominiert. Das ist eine riesengroße Anerkennung für die Filmschaffenden und den Film in Deutschland insgesamt sowie ein persönlicher Erfolg für Florian Henckel von Donnersmarck. Heute erfahre ich: Er ist plötzlich abgesetzt worden. ({0}) Das heißt, das müsste ich mitteilen, wenn ohne Einschränkung allein die WTO-Regeln gelten würden, wenn das GATS-Abkommen ausschließlich die Richtung vorgäbe. Denn was heute noch öffentlich gefördert wird, wäre dann nicht mehr statthaft. Das gilt auch für diesen Oscar-verdächtigen, mehrfach staatlich gestützten Film. Unsere kulturelle Welt wäre völlig auf den Kopf gestellt. Damit dies nicht geschieht, werden wir von der Union heute einer Konvention zustimmen, die zum einen die Vielfalt der Kulturen auf unserer Erde gewährleistet und zum anderen staatliche Kulturförderung legalisiert. Wer diesem Abkommen zustimmt, der stimmt für ein Recht jedes Mitgliedstaates auf eine eigenständige Kulturpolitik. Wer dagegen ist, öffnet das Tor zu einer auch im Kulturbereich unaufhaltsamen, uneingeschränkten Liberalisierung. ({1}) Die Kultur würde eine Ware werden. Das wollen wir nicht. ({2}) Die Mechanismen des GATS würden die Kulturschaffenden voll treffen. Der Markt allein entscheidet, nur kommerzielle Kategorien gelten dann. Die öffentliche Kulturförderung wäre aufgehoben. Das Abkommen, das noch keine völkerrechtlich verbindliche Rechtskraft hat, verhindert, dass die Kulturförderung von Bund, Ländern und Gemeinden bei uns unter das Fallbeil kommt, aber auch, dass der öffentlich-rechtliche RundWolfgang Börnsen ({3}) funk in eine Existenzkrise gerät. Genauer gesagt: ARD und ZDF kämen ohne diese Konvention unter die Räder; denn ihre Art der Gebührenfinanzierung entspräche nicht den GATS-Grundsätzen. Das wollen wir nicht! Auch die Theaterlandschaft in Deutschland wäre dann diesem freien Spiel der Kräfte ausgesetzt: die Opern, Orchester, das Tanztheater. Sie würden der Meistbegünstigungsklausel des GATS-Abkommens unterliegen. Inländische Anbieter dürften gegenüber ausländischen nicht bevorzugt werden, das heißt, keine öffentliche Förderung erhalten. Die öffentliche Unterstützung nationaler Kulturanbieter von Film und Theater wäre im Zweifel unzulässig. Eine Klage privater Theater gegen diese Wettbewerbsungleichheit hätte Erfolg und brächte damit unsere gesamte Kulturförderung ins Wanken. Staatliche Förderung würde als unzulässiger Protektionismus gelten, weil sie den Markt verzerrt. Im extremsten Fall könnte das dazu führen, dass nicht mehr die Qualität und Tradition eine Rolle auf der kulturellen Bühne spielen, sondern nur noch die günstigen Preise. Kultur wird zum Fast Food. Nicht mit uns! Um die Bedeutung der heutigen Beschlussfassung noch einmal zu unterstreichen, möchte ich ganz ohne Dramatik darauf hinweisen: Käme es nicht zur Konvention, hätten wir München ohne das Deutsche Museum, Bayreuth ohne Wagner, Berlin ohne Museumsinsel, Weimar ohne Klassik, ({4}) dafür überall Dallas, Denver und Donald Duck. Das wollen wir, Herr Otto, nicht. ({5}) Was für die Bühne gilt, trifft auch für die Kunst- und Filmförderung zu. Auch die Übernahme des Arbeitgeberanteils bei der Künstlersozialversicherung durch den Staat würde als unzulässiger Eingriff in den Markt bewertet, und das wäre nicht mehr erlaubt. Damit wäre auch einer der größten Fortschritte der letzten Jahrzehnte für die Sicherung des Lebensstandards von Künstlerinnen und Künstlern extrem gefährdet. Auch das lehnen wir ab. Deshalb spricht sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion einstimmig und mit Nachdruck für das Übereinkommen zur kulturellen Vielfalt aus. Deshalb begrüßen wir auch, wie sicher alle Fraktionen, das Tempo, mit dem die Bundesregierung unter Federführung von Staatsminister Bernd Neumann dieses Anliegen voranbringt. ({6}) Denn schließlich will dieses Abkommen nicht mehr und nicht weniger als die Garantie der nationalen kulturellen Eigenständigkeit und Identität. Der Staatsminister - das darf ich wegen eines Zurufs sagen - ist erkrankt. ({7}) Er wäre sicher gerne dabei gewesen. Ich wünsche ihm von hier aus gute Genesung. ({8}) Antriebsfeder für die Entwicklung der Konvention war die Furcht der Weltgemeinschaft der 148 UNESCOStaaten vor einer Homogenisierung dieses Planeten: durch unbegrenzten Handel, durch die alles sprachlich gleichmachende Internetkultur, durch die zunehmende Globalisierung und durch die technologische Entwicklung. Die Sicherstellung der Pluralität der Kulturen ist eine der wesentlichsten Voraussetzungen für ein zivilisatorisches Wachstum. ({9}) Ohne Vielfalt, ohne Wettbewerb, ohne Alternativen würde die Menschheit verarmen. ({10}) Eine alleinige Fixierung auf die materielle Entwicklung auch und gerade in den Ländern der Dritten Welt wird mit Recht als Rückschritt in der Menschheitsentwicklung gesehen. Als ehemaliger Entwicklungshelfer weiß ich, wovon ich spreche. Kultur ist mehr als die Summe der schönen Künste. Kultur umfasst Lebensformen, Formen des Zusammenlebens, Wertesysteme, Traditionen und Überzeugungen. Kultur ist die Gesamtheit der unverwechselbaren geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Eigenschaften, die eine Gesellschaft kennzeichnen, so die UNESCO. Das Abkommen, über das wir heute beschließen, will mehr als nur eine Garantie der Anerkennung der Vielfalt der Kulturen. Es öffnet das Tor für einen Paradigmenwechsel, auch und ganz besonders in der Entwicklungszusammenarbeit auf unserer Erde. Wachstum ja, aber nicht um den Preis der Aufgabe von Identität. ({11}) Dieses Dokument zur kulturellen Vielfalt schafft eine neue Balance zum Welthandelsabkommen. Dabei soll nicht der grenzüberschreitende freie Handel torpediert werden. Nein, es wird nur Respekt eingefordert, dass Kulturaktivitäten, Güter und Dienstleistungen gleichzeitig auch ideelle Werte beinhalten und nicht allein auf ihren materiellen Grundbestand reduziert werden dürfen. Wenn wir zulassen, dass der kulturelle Weltmarkt von fünf oder sechs Global Players dominiert wird, werden wir in kürzester Zeit die kulturelle Vielfalt auf unserer Erde vermissen. Nein, kein Hollywood für jedermann! Gerade wir Europäer tragen von unserem Grundverständnis her eine besondere Verantwortung für die Bewahrung der Kultur kleinerer, entwicklungsschwächerer Länder. ({12}) Gerade für diese Länder hat die Zielsetzung der Anerkennung der staatlichen kulturellen Souveränität durch die UNESCO-Konvention eine herausragende Bedeutung. Die hier gemeinte Eigenständigkeit geht davon aus, dass Menschen nicht nur Angehörige von Ländern sind. Sie sind zunächst Mitglieder von Kulturen und Religio7862 Wolfgang Börnsen ({13}) nen. In den 190 UN-Staaten gibt es davon Tausende mit unterschiedlichen Traditionen und oft gegensätzlichen Ausrichtungen. Sie sind nicht selten - auch das muss man kritisch sagen - Ausgangspunkt von Spannungen, Kriegen und Dauerkonflikten. Die Garantie ihrer Eigenständigkeit, die Souveränität ihrer Kulturen, dass sie weder bedroht noch in ihrer Existenz gefährdet werden, schafft erst die Freiheit zum Dialog. Eine Nivellierung der Kulturenvielfalt, ihre Homogenisierung, ist nicht der Weg zum Frieden. ({14}) Das UNESCO-Abkommen macht das Recht, im eigenen Land Kulturpolitik nach eigenen Traditionen und Zielen zu betreiben, so wie wir es in unserem föderalen System mit Erfolg praktizieren, völkerrechtlich verbindlich. Vielfalt und Qualität kennzeichnen den Kulturstandort Deutschland. So soll es auch bleiben. Den besonderen Wert der Kultur unterstreichen die Länder der Bundesrepublik in ihren Verfassungen. Deswegen wäre es meiner persönlichen Meinung nach konsequent, wenn auch der Bund in seinem Grundgesetz die Kultur als Staatsziel berücksichtigen würde. ({15}) - Das hat lange gedauert, Herr Otto. - Durch ein solches Bekenntnis bestätigt man doch gleichzeitig den nationalen Rang, den man der Kultur einräumt, und stärkt damit seine Legitimation für internationale Vereinbarungen, so zum Beispiel auch für die heute zur Rede stehende UNESCO-Konvention. Dieses Abkommen ist ein erster bedeutender Schritt zur Sicherung und Achtung der Kulturen weltweit. Doch unser Kontinent - reich an Kulturgeschichte freud- und leidvoller Erfahrung - sollte baldmöglichst einen zweiten Schritt gehen und zu einer Europäischen Kulturcharta kommen. Unsere kulturelle Vielfalt als Kernbestand unseres europäischen Selbstverständnisses müssen wir sichern. Damit verdeutlichen wir auch den Vorrang der Kultur und ihrer identitätsstiftenden Wirkung. Das gemeinsame kulturelle Erbe Europa gilt es zu revitalisieren; denn noch nehmen Europas Bürger die Europäische Union in erster Linie als Wirtschaftsgemeinschaft wahr. Das reicht als Bindung nicht aus. Europa muss sich zunehmend als eine Kultur- und Wertegemeinschaft verstehen. Die Kultur muss Motor, muss Lokomotive der europäischen Einigung werden. Die kulturelle Vielfalt ist der eigentliche Schatz Europas. Dieses Fundament gilt es zu sichern. Sie ist der Grundstein für eine gemeinsame europäische Identität. Sie erst verhilft unserem Kontinent zu Bindung untereinander, zu Gemeinschaft miteinander, zu Selbstbewusstsein und Stärke. ({16}) Gerade das benötigen wir im weltweiten Wettbewerb. Die UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt und dazu die Europäische Kulturcharta - jetzt und hier, damit kulturelle Eigenständigkeit und Vielfalt in unserem Land, in Europa und weltweit garantiert bleiben! Danke schön. ({17})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Christoph Waitz für die FDP-Fraktion.

Christoph Waitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003859, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute abschließend über zwei UNESCO-Konventionen, die dem Ursprung nach zwar zusammengehören, inhaltlich aber nichts miteinander zu tun haben. Daher werde ich mich zuerst zur UNESCO-Konvention von 1970 äußern und anschließend etwas zur Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt sagen, auf die der Kollege Börnsen in seinem Vortrag den Schwerpunkt gelegt hat. Ich möchte mit Erlaubnis der Präsidentin zitieren, was der kultur- und medienpolitische Sprecher der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, Kollege Börnsen, über das Gesetzgebungsverfahren zur Ausführung des UNESCOÜbereinkommens von 1970 im letzten Jahr gesagt hat: Eine Umsetzung muss allerdings mit Augenmaß erfolgen. Eine bürokratische Mehrbelastung für den Kunstmarkt ist nicht hinnehmbar! - Dieser Satz endet mit einem Ausrufezeichen. Die Konvention muss ähnlich wie EU-Vorlagen 1 : 1 umgesetzt werden. Sie sollte nicht über die Mindestvorschriften hinausgehen. Bei einer Überinterpretation der Konvention besteht die Gefahr, dass Deutschland noch weiter an den Rand des internationalen Kunstmarktes gedrängt wird. ({0}) Die FDP kann jedes einzelne Wort dieser Aussage unterschreiben. ({1}) Allerdings ist nichts von dem, was die Union und Herr Börnsen vor einem Jahr angekündigt haben, in die Tat umgesetzt worden. ({2}) Statt die Konvention eins zu eins umzusetzen, ist die Bundesregierung mehrfach darüber hinausgegangen. In Musterschülermanier hat der Kulturstaatsminister ein Ausführungsgesetz vorgelegt, das über das Ziel hinausschießt und vor allem die Bürokratie verstärkt, anstatt Kulturgüter wirksam zu schützen. ({3}) Es ist ein Irrglaube, dass mit diesem Ausführungsgesetz auch nur eine Raubgrabung im Irak oder anderswo verhindert werden kann. Die Folge dieses Gesetzes wird stattdessen Bürokratismus für den Kunsthandel, für das Kunstsammeln und für den Kulturgüteraustausch sein. ({4}) - Herr Grindel! Wir hatten die Hoffnung, dass wenigstens die politischen Kräfte innerhalb des Parlaments erkennen, dass hier des Guten zu viel getan wurde, und dass der Eifer der Regierung in den parlamentarischen Beratungen noch korrigiert wird. Doch leider haben die Berichterstatter von Union und SPD nicht einmal ein Komma im Gesetzentwurf geändert, ohne vorher beim BKM der Regierung um Erlaubnis zu bitten. Ich möchte hier eines deutlich sagen: Die FDP ist für den Kulturgüterschutz und gegen Raubgrabungen. Wir teilen Ihre Ziele. Wir halten die Umsetzung aber für ungeeignet, in manchen Aspekten sogar für kontraproduktiv. Ich möchte Ihnen anhand von Beispielen erläutern, warum wir gegen das Ausführungs- und das Ratifizierungsgesetz der UNESCO-Konvention stimmen werden. Die UNESCO-Konvention von 1970 sieht vor, dass der Betreiber eines Kunst- oder Antiquitätenhandels oder eines Auktionshauses bei Erwerb und Veräußerung von Kulturgut Aufzeichnungen zur Identität des Veräußerers zu machen hat. ({5}) - Ich komme darauf noch zu sprechen. Während alle anderen Staaten - ich betone: alle - der Konvention folgen und lediglich die Aufzeichnung der Identität des Veräußerers festschreiben, fordert die Koalition von CDU/CSU und SPD zusätzlich die Aufzeichnung der Identität des Einlieferers, des Erwerbers und des Auftraggebers, also die Identität von vier Personen statt die von einer, wie von der Konvention gefordert. Das ist wohl kaum eine Eins-zu-eins-Umsetzung. Dieser Bürokratismus wird jedoch, wenn er nur von einem der 110 Unterzeichnerstaaten eingeführt wird, nicht dazu führen, dass illegale Geschäfte aufgedeckt oder verhindert werden. Das Ergebnis wird schlicht und einfach sein, dass Kunsttransfers nicht mehr in Deutschland abgewickelt werden. ({6}) Herr Börnsen hat noch vor einem Jahr sehr richtig erkannt: Deutschland wird noch weiter an den Rand des internationalen Kunstmarktes gedrängt. ({7}) In einem weiteren Punkt geht das Ausführungsgesetz über den Text der Konvention hinaus. Denn es wird eine Beweislastumkehr eingeführt, die nicht nur der gesetzlichen Eigentumsvermutung des BGB entgegensteht, sondern auch den rechtmäßigen Eigentümer eines Kunstwerkes unter Verdacht stellt. Nach dem Motto „Schuldig, bis die Unschuld bewiesen werden kann“ muss der Besitzer eines Kunstwerkes darlegen, dass er rechtmäßig Eigentum am Kunstwerk erworben hat. Doch wer hebt allen Ernstes Rechnungsbelege mehrere Jahrzehnte lang auf und vererbt diese auch noch an die nächste Generation? ({8}) Ich bedaure, dass die Koalition trotz intensiver Diskussionen in weiteren Punkten keine Änderungen am Regierungsentwurf vorgenommen hat. Zum einen halten wir die von den Münzhändlern und Münzsammlern vorgetragenen Bedenken für gewichtig. Wie anders ließe sich erklären, dass beispielsweise Dänemark Münzen generell aus dem Geltungsbereich der UNESCO-Konvention herausgenommen hat? Diese sind nicht nur in Dänemark, sondern auch in Deutschland durch die bestehenden Gesetze ausreichend geschützt. Zum anderen fehlt eine Regelung zur Sicherung des freien Geleits für Kulturgüter. Ein Beispiel für eine durch die Regelungen des freien Geleits ermöglichte Ausstellung ist die im Jahr 2003 in Berlin und Bonn gezeigte Ausstellung „Schätze der Himmelssöhne“. Das Eigentum an den bedeutenden Exponaten, unter anderem aus dem Nationalen Palastmuseum von Taipeh, wurde und wird von der Volksrepublik China beansprucht. Diese Kunstschätze wurden von Taiwan nur deshalb ausgeliehen, weil deren Rückgabe auf der Grundlage des Kulturgutsicherungsgesetzes von der Bundesrepublik rechtsverbindlich zugesagt werden konnte. Nach der Ratifizierung des UNESCO-Abkommens von 1970 ist nicht auszuschließen, dass eine solche völkerrechtlich verbindliche Rückgabezusage zukünftig mit Rückgabeansprüchen von Vertragsstaaten dieser Konvention kollidiert. ({9}) Dass allein diese Rechtsuntersicherheit ausreicht, um zukünftige Ausstellungsvorhaben zu verhindern, wird sowohl von den Beamten des Kulturstaatsministers als auch von der Regierungskoalition verkannt. Durch die Abgabe eines einfachen völkerrechtlichen Vorbehalts, dass das freie Geleit von Forderungen auf der Grundlage dieses UNESCO-Übereinkommens unberührt bleibt, wäre diese Rechtsunsicherheit beseitigt. Von der Möglichkeit, bei der Ratifizierung der UNESCOKonvention Vorbehalte einzulegen, haben insgesamt 15 Staaten, darunter die USA, Frankreich, Dänemark, Schweden und Großbritannien, Gebrauch gemacht. Weder der Kulturstaatsminister noch die Regierungskoalition haben überzeugend darlegen können, warum Deutschland von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen sollte. Abschließend komme ich zum UNESCO-Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Niemand ist gegen die Ziele, die in dieser Konvention formuliert sind. Wir brauchen wirksame Instrumente, die dazu beitragen, dass kulturelle Waren und Dienstleistungen nicht nur als Wirtschaftsgüter, sondern auch als Kulturgüter betrachtet und auch so behandelt werden. Herr Börnsen, Sie haben das sehr ausführlich dargestellt. Aber mit Kulturförderung und Kulturschutz muss sich jedes Land selbst befassen. Hierbei geht es im Prinzip darum, Protektionismus zu gewährleisten bzw. zu ermöglichen, und es geht um die Quotierung und den Schutz einer ganz bestimmten Kultur vor einer möglicherweise übermächtigen kulturellen Bedrohung. Sie haben das in meinen Augen zum Teil zu einfach dargestellt. Welche Auswirkungen diese Konvention hat, kann heute niemand sagen. Insofern wäre nach unserer Vorstellung eine sorgsame Prüfung im Rahmen einer Gesetzesfolgenabschätzung erforderlich gewesen. Darauf und auf eine ausführliche Diskussion über die Folgen dieser Konvention hat die Bundesregierung zugunsten einer ohne Not übereilt vollzogenen Ratifizierung leider verzichtet. Die wünschenswerte kulturelle Vielfalt könnte infolge der Ratifizierung dieser Konvention leicht zu einem Antidiskriminierungsgesetz werden, das dazu führt, dass vor lauter Gleichberechtigung und Solidarität die Freiheit der individuellen künstlerischen Ausdrucksformen behindert wird. Nicht alles, was gut gemeint ist, ist auch wirklich gut. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Steffen Reiche für die SPD-Fraktion.

Steffen Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kulturfreunde! Wir alle haben Kultur. Vor allem: Wir leben von Kultur. Deshalb ist es so wichtig, dass wir mit unserem heutigen Beschluss zwei weiteren der sieben schon jetzt gültigen globalen Kulturkonventionen beitreten, indem wir sie ratifizieren. Vier der sieben gültigen UNESCO-Konventionen werden damit nach dem Beschluss des Bundesrates auch in Deutschland anerkannt. Dann sind sie auch hier gültig. Kultur gehört wie die Umwelt zu den Grundlagen unseres Lebens. ({0}) Unsere Werte und unsere Identität sind ohne Kultur nicht denkbar. So wie unsere Umwelt unser Leben materiell ermöglicht, so tut dies unsere Kultur ideell. Sie ist wie die Umwelt das, was wir nicht selber herstellen können und deshalb besonders schützen müssen. Beide, Kultur und Umwelt, müssen in Zeiten der Globalisierung auch global geschützt werden. Seit 1954 gibt es nun schon insgesamt sieben UNESCO-Konventionen zum Schutz der Kultur. Sieben ist eine heilige Zahl und zeigt Vollständigkeit, Geschlossenheit und Integrität. Dass nun vier von sieben dieser Übereinkommen in Deutschland gelten, ist eine gute, aber keine zufriedenstellende Bilanz. „Die Welt ist flach“, hat Thomas L. Friedman entdeckt. Die Globalisierung hat zu einer Einebnung der Welt geführt. Wirtschaftliche Güter, Produkte und Dienstleistungen werden weltweit produziert und gehandelt, als wäre unser runder Globus flach. Dabei darf es aber nicht zu einer Einebnung der Kulturen kommen. Bei der Einebnung der Welt dürfen der Bestand der Kulturen, ihre Vielfalt und Verschiedenartigkeit nicht gleich mit eingeebnet werden; denn sonst kommt es unwiederbringlich zum Verlust von Kulturen und Kulturgütern. Das ist dann auch der Anlass zum Kampf der Kulturen. Wenn andere Völker sich bei der globalen Einebnung auf einer flachen Welt um ihre Kultur und ihre Kulturgüter betrogen fühlen, dann kämpfen sie: zuerst um ihre Kultur und dann auch gegen andere. Denn mit ihrer Kultur würde nicht nur ihre Kultur verloren gehen, sondern zugleich auch ihre Identität, ihre Werte und ihre Lebensgrundlagen. Die UNESCO ist die höchste von fünf Ebenen der Kulturpolitik, der Politik zum Schutz der Kulturen. Ich bitte, dass das in Zukunft deutlicher bemerkt und berücksichtigt wird: Mittlerweile gibt es fünf Ebenen, auf denen Kulturpolitik betrieben wird, nämlich die lokale, kommunale Ebene, die regionale Ebene, die nationale Ebene, die kontinentale Ebene, also Europa, und die globale Ebene, also die UNESCO. Heute ratifizieren wir die nach der Haager Konvention von 1954 älteste UNESCO-Konvention, nämlich das „Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut“ aus dem Jahre 1970. Zugleich, also im Doppelpack, ratifizieren wir die siebente UNESCO-Konvention, also die letzte und jüngste von 2005, die „Konvention zum Schutz und zur Förderung der kulturellen Vielfalt“. Leider bleiben damit aber eben drei von sieben Konventionen auch heute noch in Deutschland nicht bindendes, nicht umgesetztes Völkerrecht; denn gültig sind diese drei von Deutschland noch nicht ratifizierten Konventionen schon längst, weil über 30 Staaten jede von ihnen ratifiziert hat. International gültig, von Deutschland aber noch nicht ratifiziert, sind die vierte Konvention von 1995, die Unidroit-Konvention, die fünfte Konvention, die „Konvention zum Schutz des Kulturerbes unter Wasser“, und die sechste Konvention, die „Konvention zum Schutz des immateriellen Kulturerbes“. Keine der fünf Fraktionen im Parlament darf sich heute brüsten; denn alle haben in den 37 Jahren seit 1970 regiert oder mitregiert - die PDS 19 Jahre, die SPD 18 Jahre, die CDU/CSU 17 Jahre, die Grünen sieben Jahre und die FDP am längsten, nämlich 28 Jahre ({1}) Steffen Reiche ({2}) und es nicht geschafft, diese Konventionen zu ratifizieren. Nun endlich schaffen wir es in der ersten großen Koalition seit 1970. ({3}) Auch für scheinbar so kleine Dinge braucht man also große Koalitionen. ({4}) Was gut für die Kultur der Welt ist, muss auch gut sein für Deutschland, und zwar nicht nur deshalb, weil Deutschland ein schöner und wichtiger Teil der Welt, Kulturnation und Impulsgeber für andere Kulturen ist, sondern auch, weil wir mit der großartigen globalen Sammlungs- und Museumskultur des 19. Jahrhunderts auch einer der wichtigsten Impulsgeber für den globalen Schutz der Kulturen waren. Der Geist ist nicht zu sich selbst zurückgekehrt, wie Hegel prophezeite. Alles, was er hervorbrachte, wurde ab da aber gesammelt und gezeigt als Zeugnis des einen Weltgeistes. Etwas anderes wird heute zugleich belegt und bewiesen. Wo manche noch darüber streiten, ob der Bund eine kulturelle Aufgabe und somit auch Kulturhoheit hat, beweisen wir heute gleich dreifach: Der Bund hat eine solche Kulturaufgabe und Kulturhoheit, die er zum Schutz der Kultur anwendet. Die Europäische Union, die die UNESCO-Konventionen zur kulturellen Vielfalt mit erarbeitet hat, hat sie. Die UNO, die Staatengemeinschaft, hat sie ebenfalls; das haben wir zum Glück längst erkannt. So wie wir das Klima nur global und gemeinsam schützen können, so können wir auch die Kultur nur global und gemeinsam schützen. So wie es das Weltklima gibt, das aus vielen einzelnen lokalen und regionalen Wettern besteht, so gibt es auch die Weltkultur, die aus vielen einzelnen lokalen, regionalen und nationalen Kulturen besteht. Für Außerirdische wäre diese Weltkultur anders erkennbar und wahrnehmbar als für uns. ({5}) Aber da es diese Außerirdischen, diese ETs, nicht gibt, sind wir als Weltbürger gut beraten, unsere Weltkultur in ihrer Vielfalt selbst besser zu erkennen und zu schützen. ({6}) Diese Aufgabe kann uns keiner abnehmen. Unser Welterbe an Kulturen und Kulturgütern ist keine nachwachsende Ressource. Es ist einmalig. Das viele Zerstörte aus Jahrtausenden Kulturgeschichte ist unwiederbringlich verloren. Deshalb müssen wir das bisher noch Erhaltene für uns und künftig Lebende besser schützen. Deshalb muss Deutschland, auch und gerade weil es ein so reiches und an Kulturerbe reiches Land ist, vorbildlich sein. Jedes Land, auch Sachsen, jede Stadt, auch Dresden, ({7}) muss sich an die völkerrechtlich bindenden Verträge halten. ({8}) Unsere Debatte heute zeigt: Neben den Kommunen und Regionen, die hier Verantwortung wahrnehmen, sind die Nationen, die EU und die UNO zu gleich wichtigen Akteuren für die Kultur in der Welt geworden. Ich freue mich darüber, dass wir heute die Kulturschutzkonvention ratifizieren. Meine Lieblingssendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, das ab heute durch die UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt gegen alle EU-Dienstleistungsrichtlinien und WTO/GATS-Angriffe auf Dauer, einklagbar und endgültig geschützt ist, der „Kulturweltspiegel“, hat neulich davor gewarnt, dass Deutschland zu einer Drehscheibe des illegalen Kulturgüterhandels werden könnte. ({9}) Wir müssen uns vor Augen halten: Nach dem illegalen Drogenhandel und nach dem illegalen Waffenhandel ist der illegale Kulturhandel der drittgrößte Markt. ({10}) Wenn es da Sumpf gegeben hat, auch in Deutschland, ist er jetzt trockengelegt. ({11}) Kulturgüter sind keine normalen Waren. Es gibt einen Unterschied zwischen dem Klauen eines Radios und dem Klauen der Himmelsscheibe von Nebra. Die rund 3 600 Jahre alte Scheibe ist die weltälteste Darstellung des Kosmos. Ihr Verkäufer gab an, sie sei 1999 von Schatzsuchern mit einem Metalldetektor gefunden worden. Tatsächlich war sie aber bei dem Trubel der deutschen Wiedervereinigung gestohlen worden und dann auf dem Schwarzmarkt mit einer Preisvorstellung von 10 Millionen Euro angeboten worden. Dieser archäologische Fund ist Eigentum des Landes Sachsen-Anhalt und wurde nach einer verdeckten Aktion der Schweizer Polizei nach Deutschland zurückgebracht. Deshalb bin ich dankbar dafür, dass der Ausschuss meiner Bitte gefolgt ist und wir dem Beauftragten der Bundesregierung gemeinsam einen Brief geschrieben haben des Inhalts, mit der nächsten Änderung des BGB solle auch der § 948 so geändert werden, dass das Schatzregal künftig in allen Bundesländern gilt. ({12}) Diese Konvention entfaltet ihre Wirkung nun auch in Deutschland. Die Ratifikation ist ein Beitrag Deutschlands zum internationalen Weltkulturerbe, denn wir schützen mit dem Gesetz nicht nur unser eigenes Erbe vor anderen Staaten, sondern respektieren zugleich das kulturelle Erbe anderer Staaten. Nach der Ratifizierung dieser beiden Konventionen ist vor der Ratifizierung der nächsten drei Konventionen. Weder die FDP, die trotz 28 Jahren Regierungsmitver7866 Steffen Reiche ({13}) antwortung seit 1970 auch heute nicht ratifizieren will, weil sie wenig Schutz geben will, ({14}) weil sie sich von den Kulturgüterlobbyisten hat verführen lassen, noch jemand anders darf uns daran hindern, erst die Konvention zum Schutz des immateriellen Kulturerbes von 2003 und dann das Übereinkommen von 2001 zum Schutz des Kulturerbes unter Wasser zu ratifizieren. Vier Schritte sind wir gegangen, drei müssen wir noch gehen, um beim Weltkulturerbe nicht nur anerkanntes, sondern auch anerkennendes UNESCO-Mitglied zu sein. Seien Sie mit uns auf dem Weg! Das würde mich freuen; ich würde es herzlich begrüßen. Vielen Dank. ({15})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Dr. Lukrezia Jochimsen für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wir feiern heute eine Art Festakt für die Kultur. Das ist auch gut so und obendrein überfällig. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr, am 25. Januar 2006, hat meine Fraktion den Antrag gestellt, das UNESCO-Übereinkommen zur kulturellen Vielfalt schnell zu ratifizieren. Ich erinnere mich noch gut an die 37. Sitzung am 1. Juni vergangenen Jahres, als die gleichen Themen wie heute, die beiden UNESCO-Konventionen, auf der Tagesordnung standen, allerdings spätabends und mitten in der Nacht. Damals habe ich als einzige Rednerin zu diesem Thema zu begründen versucht, warum wir als Linksfraktion die Ratifizierung der UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt für so dringlich und notwendig erachten. Es geht um grundsätzliche Fragen: Ist kulturelle Vielfalt ein bestimmendes Merkmal der Menschheit? Ist sie eine Hauptantriebskraft für die nachhaltige Entwicklung von Gemeinschaften, Völkern und Nationen? Ist sie unabdingbar für Frieden und Sicherheit auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene? Ist sie Teil der Verwirklichung von Menschenrechten und Grundfreiheiten? 148 Staaten, darunter 25 europäische, sagen Ja. Sie vertreten die Überzeugung, dass Kultur mehr ist als nur Ware, dass kulturelles Schaffen mehr ist als eine Dienstleistung und dass wir alle ein Recht auf eigene und vielfältige Kultur haben. ({0}) Eigene und vielfältige Kultur, damit ist im Grunde der Begriff der Leitkultur neu definiert - schade, dass der Kollege Lammert nicht anwesend ist -: Eigenart und Vielfalt in jeder einzelnen Gesellschaft, respektiert von allen anderen Gesellschaften, das ist ein Begriff, mit dem wir eine Kulturdiskussion gut im Inneren führen und uns ebenfalls offen nach außen wenden können. ({1}) Das sagt sich leicht; aber - machen wir uns nichts vor - einfach zu verwirklichen ist es nicht. Denn wer sich für das Recht auf eigene Kultur einsetzt, gerät zwangsläufig in Konflikt mit der globalen Kommerzialisierung, die nur Waren, Dienstleistungen und ihre Verwertung kennt, aber keine Werte an sich. Der Kollege Börnsen hat das zu Beginn dieser Debatte, wie ich finde, sehr eindrucksvoll vorgetragen. ({2}) Insofern ist der beeindruckende weltweite Einsatz für die kulturelle Vielfalt, dem wir uns nun heute durch die Ratifizierung des UNESCO-Übereinkommens anschließen, auch Teil des globalen Kampfes gegen die Kommerzialisierung aller Dinge und Werte, auch der Kultur. ({3}) Da diese Kommerzialisierung ein rasantes Tempo vorlegt, muss die Gegenbewegung ebenso dynamisch sein, um das Gleichgewicht zwischen Handelsfreiheit und Kultur zu erhalten. Dafür gibt es gute Ansätze. So hat die Arbeitsgruppe der Assemblée nationale und des Deutschen Bundestages zum Thema „Kulturelle Vielfalt in Europa“ bereits wichtige Impulse für die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen in Deutschland und Frankreich, aber auch der gesamten EU erarbeitet. „Unterschiedliche Wege, gleiche Ziele“ heißt ein Motto. Es ist ein Signal für das Zusammengehen zweier Staaten in Europa mit Öffnungsperspektiven für andere. Wir können also bewegen und wir können gegensteuern, wenn wir uns mit all denen zusammentun, die auf ihre eigenständige und vielfältige Kultur setzen. Das Staatsziel Kultur gehört dazu und die Völkerrechtsbindung beim Weltkulturerbe gleichermaßen. ({4}) Insofern wird meine Fraktion dem Gesetzentwurf der Regierung zustimmen. ({5}) Nun zum UNESCO-Übereinkommen von 1970. Auch diesem Gesetzentwurf der Regierung werden wir zustimmen; dem Ausführungsgesetz dazu allerdings nicht. Wir haben intensiv und permanent daran gearbeitet, dass es zu einer überfraktionellen Zustimmung zu diesem Ausführungsgesetz kommt. Es war uns klar, dass nach 36 Jahren Nichtstun in Sachen Kulturgutschutz in diesem Land gewissermaßen ein undurchsichtiges, wildwüchsiges Rechtsterrain existiert, welches schwierig zu bearbeiten ist. ({6}) Aus Respekt vor der umfangreichen und schwierigen Arbeit, die alle Fraktionen geleistet haben, wäre ein gemeinsames Ergebnis sehr zu begrüßen gewesen. Unsere Sorge galt dabei vor allem dem Schutz archäologischer Kulturgüter. Sie sind noch viel stärker als andere Kulturgüter gefährdet, wie die Raubgrabungen im Irak, in Süditalien und selbst hierzulande, Beispiel Nebra, zeigen. Uns erscheinen die vorgesehen Regelungen zum Schutz dieser Kulturgüter nicht ausreichend. Deshalb hat meine Fraktion eine Evaluierung der Auswirkungen des Gesetzes vorgeschlagen. Nach Ablauf von drei Jahren soll ein Bericht über seine Auswirkungen, insbesondere mit Blick auf die archäologischen Kulturgüter, vorgelegt werden, um gegebenenfalls Nachbesserungen vorzunehmen. Dieser Bericht soll von einer unabhängigen Kommission erstellt werden, die vom Staatsminister für Kultur einberufen wird. Aber selbst dieser Vorschlag wurde von den Koalitionsfraktionen abgelehnt. Sie schlagen im neuen Gesetz lediglich vor, dass ein Bericht erstellt wird. Uns geht es aber nicht um einen allgemeinen Bericht, sondern um eine zeitnahe Evaluierung der Auswirkungen dieses Gesetzes mit gleichzeitiger Verpflichtung, gegebenenfalls neue Handlungsempfehlungen für den Gesetzgeber zu entwickeln. Die Linksfraktion bringt diesen Vorschlag nun in einem eigenen Entschließungsantrag ein. Ich kann Sie nur bitten, sich diesem Antrag anzuschließen. Eine mehrheitliche Zustimmung böte die Möglichkeit, das Ausführungsgesetz in einem entscheidenden Punkt dann doch noch zu verbessern. Von dieser Notwendigkeit sind im Übrigen nicht nur wir überzeugt. Darauf haben mehrere Sachverständige in der öffentlichen Anhörung hingewiesen. Meine Bitte ist also: Setzen Sie sich einmal darüber hinweg, dass ein guter Antrag, nur weil er von der Linksfraktion kommt, abgelehnt werden muss. Danke schön. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Uschi Eid für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln heute zwei UNESCO-Übereinkommen zur internationalen Kulturpolitik abschließend, zum Teil nach sehr intensiver Beratung. Zum einen ist es die UNESCO-Konvention von 1970 zum Kulturgüterschutz. Es ist ein bedeutsames Abkommen, dessen Ratifizierung durch Deutschland wirklich überfällig ist. Die Plünderung von Grabungsstätten im Irak, die Sprengung von Buddha-Statuen in Afghanistan haben uns das Problem drastisch vor Augen geführt. Es geht um die Bewahrung des kulturellen Erbes vor unwiederbringlichem Verlust. Uns alle hat der illegale Kunsthandel, insbesondere mit Hehlerware aus Ausgrabungsstätten, aufgeschreckt. Es steht außer Frage: Nur durch international abgestimmte Maßnahmen kann dieser illegale Handel unterbunden werden. Seit 37 Jahren liegt diese Konvention vor. In der letzten Legislaturperiode war es die rot-grüne Mehrheit, die endlich die Beratung dieser Konvention auf die Tagesordnung gesetzt hat. Wir haben den Entschluss der jetzigen Bundesregierung, dem Abkommen beizutreten, von Anfang an begrüßt. Wir hatten ein großes Interesse daran, ein praktikables, aber auch wirksames Ausführungsgesetzt mit auf den Weg zu bringen. Ein Hauptproblem, das uns von Anfang an begleitet hat, war ja, wie man zwischen den Interessen der beteiligten redlichen Akteure - Wissenschaft, Handel und Museen - und den notwendigen Regelungen für einen wirksamen Schutz von Kulturgütern einen Kompromiss finden kann, der das übergeordnete Ziel nicht unterläuft und auch gegenüber den anderen Vertragsstaaten keinen Zweifel daran lässt, dass man die Verpflichtung zum Schutz ihres Kulturerbes ernst nimmt. Es war meiner Fraktion ein echtes Anliegen, dieses Abkommen heute gemeinsam, das heißt, getragen von allen Parteien, zu verabschieden. Fast wäre es auch gelungen. Meine Fraktion war zu weitgehenden Zugeständnissen bereit. Leider hat die Koalition dies in letzter Minute vereitelt. Ich möchte deshalb nochmals zwei Forderungen von uns hervorheben, die leider im Kulturausschuss abgelehnt wurden: Erstens. Wir beantragten die Verlängerung der Frist für die Nacherfassung von archäologischen Bodenfunden und deren nachträgliche Klassifizierung und Eintragung in die Liste schützenswerter Kulturgüter durch die Herkunftsländer von einem Jahr auf zwei Jahre. Vor allem für Entwicklungs- und Schwellenländer, die keine hinreichenden Informations- nur oder schwach ausgebildete Wissenschaftsstrukturen haben, ist eine Einjahresfrist zu knapp. Zugleich sind diese aber in der Mehrzahl von Raubgrabungen und dem illegalen Handel mit antiken Gegenständen betroffen. Im Gegensatz zur Koalition sind wir der Auffassung, dass dem gutgläubigen Erwerber und Besitzer sowie dem Kunsthandel eine Zweijahresfrist unter Abwägung aller Rechtssicherheitsargumente zumutbar gewesen wäre. ({0}) Zweitens. Wirksamer Kulturgüterschutz braucht Transparenz. Dazu gehört eine Aufzeichnungs- und Informationspflicht. Diese sollte so präzise und praktikabel wie möglich gestaltet werden, um die Wege, die Kulturgüter nehmen, auch wirklich nachvollziehbar zu machen, und zwar über einen angemessenen Zeitraum. Deshalb haben wir gefordert, die Fristen der Aufbewahrung von Herkunfts- und Verbleibnachweisen von zehn auf 30 Jahre auszudehnen - auch deswegen, weil Ansprüche auf die Rückgabe von Kulturgütern laut Gesetzentwurf nach 30 Jahren erlöschen. Dass diese Forderung mit Verweis auf eine zu große Belastung des Kunsthandels abgelehnt wurde, bedauere ich; denn selbst in Ländern, die für ihre liberale Kunsthandelspraxis bekannt sind, gelten 30 Jahre, so etwa in der Schweiz. Ich bedauere es außerordentlich, dem Gesetzentwurf in der jetzigen Form auch nach dem langen und intensiven Beratungsverlauf nicht zustimmen zu können. Da wir diese Konvention aber für eine der wichtigsten Konventionen im Hinblick auf die Einhaltung eines internationalen Kulturgüterschutzes halten, werden wir dem Ratifizierungsgesetz zustimmen. Die zweite Konvention, um die es heute geht, ist die UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt. Meine Fraktion begrüßt, dass Deutschland diesem Übereinkommen in Kürze beitreten wird; mit dem von uns vorgelegten Entschließungsantrag bekräftigen wir dies. ({1}) Wir begrüßen die in der Konvention festgelegten Grundprinzipien: das gemeinsame Erbe der Menschheit zum Nutzen aller zu achten und zu erhalten, die Kultur als strategisches Element in die Entwicklungspolitik zu integrieren, dass die kulturelle Vielfalt durch den freien Austausch von Ideen gestärkt und durch grenzüberschreitende Interaktionen bereichert wird und dem Doppelcharakter kultureller Güter, Aktivitäten und Dienstleistungen zum einen als Handelsware, zum anderen aber ganz besonders als Träger von kultureller Sinngebung Rechnung getragen wird. Meine Bedenken hinsichtlich des möglichen Missbrauchs dieser Konvention zur Abschottung der eigenen Bevölkerung gegenüber fremden kulturellen Einflüssen, für protektionistische Maßnahmen oder das Schüren ethnischer Unterschiede für machtpolitische Zwecke unter dem Deckmantel der Förderung kultureller Vielfalt habe ich bereits bei der Beratung im Juni 2006 zu Protokoll gegeben. Diese Problemdimensionen des Abkommens müssen wir mit bedenken und verantwortungsvoll mit der Umsetzung dieser Konvention umgehen. ({2}) Deshalb fordern wir Grüne die Bundesregierung in unserem Entschließungsantrag auf, sich darum zu bemühen, Mitglied in der Konferenz der Vertragsparteien zu werden und eine Mitgliedschaft im zwischenstaatlichen Ausschuss anzustreben, um entsprechenden Einfluss auf die Umsetzung der Konvention zu nehmen. Sie sehen: Egal wer diese Regierung stellt, ich habe in dieser Hinsicht in die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland großes Vertrauen. ({3}) Die Europäische Gemeinschaft hat bei den Verhandlungen über die Konvention mit einer Stimme für die Mitgliedstaaten gesprochen. Deutschland kommt in seiner Ratspräsidentschaft die Aufgabe zu, unter den EUMitgliedstaaten eine gemeinsame Position in Bezug auf die Arbeitsagenda und die Umsetzungsschritte der Konvention herbeizuführen und diese in die Vorbereitung der Vertragsstaatenkonferenz einzubringen. Auch die Einbindung der Zivilgesellschaft ist in der Konvention festgeschrieben. Kulturnutzer, Kulturverbände und Kulturindustrie sind am Umsetzungsprozess breit zu beteiligen. Dies sicherzustellen, muss Aufgabe der deutschen Regierung im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft sein. ({4}) Ich komme zum Schluss. Kulturelle Vielfalt ist ein hohes Gut, aber sie ist kein Selbstzweck. Eine Vielfalt um der Vielfalt willen, eine Vielfalt, die sich nicht aufeinander zu beziehen weiß, wird allen guten Intentionen der UNESCO-Konvention zuwiderlaufen. Kulturelle Vielfalt muss der kulturellen Freiheit dienen. Hier stehen die demokratisch verfassten Staaten, hier steht Deutschland in der besonderen Pflicht, und die Bundesregierung muss diese Verantwortung mit all ihren politischen Gestaltungsmöglichkeiten wahrnehmen. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat die Kollegin Professor Monika Grütters für die Fraktion der CDU/CSU das Wort. ({0})

Prof. Monika Grütters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003761, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben es schon in der ersten Rederunde gemerkt: Am meisten umstritten ist und bleibt in einigen Teilen das UNESCO-Abkommen zum Kulturgüterschutz. Deshalb möchte ich darauf eingehen. Ich finde, was lange währt, wird endlich gut. Das ist immerhin ein schönes deutsches Sprichwort. Ich bin erleichtert und froh, dass wir heute nach fast 37 Jahren endlich zur Verabschiedung eines Gesetzes kommen, mit dem Deutschland wieder in die Gemeinschaft der Staaten aufgenommen wird, die sich weltweit darauf verständigt haben, Kulturgüter vor der unerlaubten Ausfuhr aus dem Stammland, vor der unerlaubten Einfuhr in andere Länder und vor dem Handel als möglicher Hehlerware zu schützen. ({0}) So weit Deutschland beim Beitritt zum UNESCOKulturgüterschutzabkommen hinterherhinkt, so flott ist es beim Beitritt zum UNESCO-Abkommen zur kulturellen Vielfalt. Es ist ermutigend, dass wir Versäumnisse auf der einen Seite auf der anderen schnell wieder wettmachen können. Frau Jochimsen, dass der Staatsminister für Kultur und Medien die Umsetzung der UNESCO-Konvention zum Kulturgüterschutz in deutsches Recht auf die Agenda seiner ersten 100 Tage im Amt gesetzt hat - das ist übrigens auch Teil unserer Koalitionsvereinbarung -, mag Sie darüber in Kenntnis setzen, dass Sie mit Ihrem Antrag nicht die Ersten waren. ({1}) Wir sind in dieser Angelegenheit vorgeprescht. ({2}) Für eine Kulturnation wie Deutschland ist es von herausragender Bedeutung, sich einer solchen internationalen Vereinbarung zum Kulturgüterschutz nicht länger zu verschließen, Herr Otto. Alles andere wäre - das war es auch fast 37 Jahre lang - unwürdig. ({3}) Immerhin haben 109 Staaten, darunter Kunsthandelszentren wie Großbritannien und die USA, längst ihr Commitment erklärt. Bald kann auch die große Kunsthandelsnation Deutschland wieder aufrecht und selbstbewusst auftreten. ({4}) Dass es in Deutschland mehr als 36 Jahre gedauert hat, liegt einerseits an der komplizierten Rechtsprechung hierzulande und andererseits natürlich an den unterschiedlichen Interessen der Betroffenen. Die Archäologen fordern detaillierte Aufzeichnungspflichten und Aufbewahrungspflichten von 30 Jahren - dem haben Sie sich angeschlossen, Frau Eid -, während die Vertreter des Kunsthandels - das ist FDP-Linie - zusätzliche Dokumentationspflichten gänzlich ablehnen. ({5}) - Sage ich ja. Sie lehnen sie wegen der größeren Bürokratie ab. - Numismatiker dagegen wollen massenhaft produzierte Kulturgüter wie Briefmarken, Bücher, Grafiken, Medaillen oder Münzen gänzlich aus dem Geltungsbereich des Gesetzes ausschließen. Dass das nicht harmonisch zusammengefügt werden kann, ist evident. Es ist aber beachtlich, dass wir es geschafft haben, zu einem, wie ich meine, guten Ende der Diskussion zu kommen. ({6}) Immerhin haben wir jetzt festgelegt, wie die Definition „geschütztes Kulturgut“ aussehen soll. Wir haben ferner festgelegt, wie sich die daraus ergebenden Listen geschützter Kulturgüter aussehen müssen. Wir haben Aufzeichnungsregelungen gestaltet, die nicht über das vorhandene Maß hinausgehen. Wir haben Wertgrenzen, die lange umstritten waren, festgelegt und sind zu einem Kompromiss gekommen. In diesem Punkt haben wir noch einmal nachgegeben. Schließlich haben wir auch festgelegt, welche Fristen für die Nacherfassung wichtig sind und wie lange ein Staat das Recht haben soll, einmal ins Ausland verbrachte Kulturgüter zurückzuverlangen. Der Weg war steinig, weil es bei der Umsetzung in deutsches Recht um heikle politische und juristische Fragen ging. ({7}) Herr Otto, um zu einem Ergebnis zu kommen, haben wir im Kulturausschuss - das war am Anfang nicht selbstverständlich - intensiv diskutiert. Wir haben keine kleine, sondern eine große Anhörung durchgeführt. Als Abgeordnete, die noch nicht so lange im Bundestag ist, finde ich es beachtlich, dass wir in fünf Berichterstattergesprächen versucht haben, einen Allparteienkompromiss zu erarbeiten. Uns wäre diese Einigung wichtig gewesen, weil es nicht um ein Detail, sondern um Deutschlands Selbstverständnis in der internationalen Gemeinschaft geht. Es tut mir leid, dass am Ende kein Allparteienkompromiss zustande gekommen ist; aber immerhin haben wir heute eine Mehrheit. Die Grünen werden dem Ratifizierungsgesetz - Frau Eid hat es schon gesagt - nach langen, zähen Verhandlungen zustimmen und sich bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf der Koalition enthalten. Ich finde, das ist eine konstruktive und sehr faire Einstellung zu diesem Anliegen. ({8}) Wir haben versucht, Ihre Anregungen aufzugreifen, wenn das auch nicht in allen Punkten möglich war. Frau Jochimsen, die Linke hat mit ihrer Empfehlung, das Gesetz nach drei Jahren zu evaluieren - ich gestehe, dass das nicht auf unsere Initiative zurückgeht -, im Kulturausschuss eine entsprechende Entschließung bewirkt. Auch das finde ich nicht selbstverständlich. Deshalb finde ich es schade, dass Sie am Ende nicht mehr zustimmen konnten. Wir anderen haben der Entschließung auf Ihre Anregung hin zugestimmt. Nur die FDP - das möchte ich hier deutlich betonen ({9}) hat auf der Zielgeraden, nach vielen Berichterstattergesprächen, endlich klargemacht - ich glaube, das war von Anfang an so -, dass sie nicht mitmachen will. ({10}) Als die FDP zum Beispiel mit ihrer Forderung nach einer Wertgrenze von 3 000 bis 5 000 Euro kam, war ganz offensichtlich, dass die FDP bei ihrer Klientelpolitik bleibt und sich damit eindeutig gegen den internationalen Kulturgüterschutz stellt. ({11}) Das ist schade, auch wenn es eine Mehrheit für dieses Gesetz ohne Sie gibt. Herr Waitz, Sie müssen sich aber schon fragen lassen, was Ihnen wichtiger ist: Ihre nicht gerade große Wählerschaft oder der Schutz nationalen Kulturgutes und die Mitgliedschaft Deutschlands in einer internationalen Gemeinschaft? Unser Ziel bei der Ausfertigung dieses Gesetzes konnte es nach 36 Jahren nicht sein, unterschiedliche Gegensätze weiterhin zu kultivieren. Sie sind ja allgemein bekannt. Wir wollten einen gangbaren Weg beschreiten, der die Kulturnation Deutschland wieder in den Staatenverbund aufnimmt, der sich internationalen Standards des Kulturgüterschutzes verpflichtet fühlt. Das scheint Ihr Ziel nicht zu sein. Da Ihre Forderungen zuletzt regelrecht radikal aussahen, drängt sich mir der Verdacht auf, dass Sie das von Anfang an nicht wollten. Das Kulturgüterschutzanliegen ist meines Erachtens dennoch so bedeutsam, dass es den Versuch eines parteiübergreifenden Ansatzes rechtfertigt. Künftig wird es einen öffentlich-rechtlichen Rückgabeanspruch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den UNESCO-Vertragsstaaten für national wertvolles Kulturgut geben. Zweitens gibt es Einfuhrregelungen, die die Verbringung solcher Gegenstände nach Deutschland verhindern sollen, die kulturelles Erbe eines anderen Vertragsstaates sind und deren Ausfuhr dort verboten ist. Herr Waitz, drittens sind die im Gesetz enthaltenen Aufzeichnungspflichten für gewerbliche Kunsthändler und Versteigerer so gestaltet, dass sie mit bereits vorhandenen Aufzeichnungspflichten im Steuerund Handelsrecht korrespondieren. ({12}) Ich meine, dass dieses Gesetz dem guten Ruf der Kunsthandelsbranche, der Sie sich angeblich so verpflichtet fühlen, nur dienen kann. Das sollten Sie Ihren Freunden mitteilen. ({13}) Deshalb sind übermäßige Belastungen, wie Herr Börnsen es gleich zu Anfang gesagt hat, auch nicht zu befürchten. Mit der Ratifizierung des Kulturgüterschutzabkommens haben wir ein wichtiges kulturpolitisches Vorhaben unseres Koalitionsvertrages umgesetzt. Beide Gesetzentwürfe zu den UNESCO-Konventionen, der zur kulturellen Vielfalt und der zum Kulturgüterschutz, bedeuten einen deutlichen Fortschritt für den Kulturgüterschutz in unserem Land. Ich finde, darauf können wir stolz sein. Vielen Dank. ({14})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Otto. ({0})

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Kollegin Grütters, Sie und viele Ihrer Vorredner erwecken hier den Eindruck, als ob wir uns ohne dieses von Ihnen heute zur Abstimmung gestellte Gesetz in einem rechtlosen Zustand, geradezu in einem Hehlerland befänden. Das ist gigantischer Unsinn. ({0}) - Dieser Eindruck zieht sich hier durch. Wir seien in einem rechtlosen Zustand, das ganze Land sei mit Hehlerware überschwemmt, wir seien nicht im internationalen Geleitzug. Lassen Sie mich in aller Deutlichkeit sagen: Wir haben fast 37 Jahre lang darüber diskutiert, und alle Fraktionen dieses Hauses waren aus guten Gründen ein wenig zurückhaltend. Denn damit wird der Kunsthandel insgesamt behindert. Ich will vor allen Dingen auf eines hinweisen: Es gab über all die Jahre das europäische Kulturgutübereinkommen, das äußerst wirksam ist. Wir hatten ein deutsches Kulturgutschutzgesetz, das durchaus wirksam war. Wir waren in keinem rechtlosen Zustand. Meine nächste Bemerkung: Wir sind weit über das hinausgegangen, was in anderen Ländern der internationalen Gemeinschaft gilt. Kollege Waitz hat darauf hingewiesen. Kein Land dieser Erde, kein einziges von den 140 Ländern, die das Übereinkommen ratifiziert haben, verlangt eine Registrierpflicht über den Veräußerer hinaus. Das ist eine riesige bürokratische Maschine, die überhaupt nichts zur Erkenntnis beiträgt. Ich weiß nicht, was man damit erreichen will. Die Beweislastumkehr wird dazu führen, dass Privatleute in einigen Jahren Probleme bekommen. Wer kann denn all die Belege aufbewahren? Wenn Sie etwas erben, müssen Sie in 20 oder 30 Jahren beweisen, dass dieses Kunstwerk schon zu dem Zeitpunkt in Deutschland war und nicht erst später nach Deutschland gekommen ist. Das kann im privaten Bereich niemand. Das ist eine Übererfüllung und wird im UNESCO-Übereinkommen nicht gefordert. Eine letzte Bemerkung zu den Wertgrenzen. Verehrte Frau Kollegin Grütters, machen Sie sich doch bitte einmal die Mühe und schauen sich einmal an, welche Wertgrenzen unsere europäischen Partnerländer eingeführt haben. Die Wertgrenze in Großbritannien liegt bei 20 000 Euro. In vielen Ländern liegt die Wertgrenze bei 10 000 Euro. Wenn wir die Wertgrenze von 1 000 auf 3 000 Euro anheben wollen, erheben Sie den pauschalen Vorwurf der Klientelpolitik. Wir wollen den Kunsthandel nicht strangulieren. Wir wollen nicht, dass Kunsthandel in andere Länder ausweicht. Deswegen finde ich es nicht korrekt, dass Sie uns hier unlautere Motive vorwerfen. Ich akzeptiere, dass Sie mit diesem Gesetz etwas Gutes erreichen wollen,

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, Sie müssen bitte an Ihre Redezeit denken.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- letzte Bemerkung -, ich akzeptiere aber nicht, dass der FDP unlautere Motive vorgeworfen werden. Ich möchte den Kunsthandel in Deutschland vor dem pauschalen Vorwurf, der hierbei mitschwingt, in Schutz nehmen. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Grütters zur Erwiderung, bitte.

Prof. Monika Grütters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003761, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Otto, ich finde es wichtig, dass wir Polemik in der Diskussion über ein solch heikles Gesetz vermeiden. Sie hat in den Medien stattgefunden und uns alle eher belastet. Ich finde es daher unnötig, dass Sie sie noch einmal so deutlich haben aufleben lassen. Von unserer Seite gab es dies in den Reden jetzt jedenfalls nicht. Zu Ihren konkreten Anmerkungen. Der Kunsthandel wird in den anderen 109 Staaten nicht behindert. Er wird hier selbstverständlich genauso wenig behindert werden. Ehrlich gesagt, jeder Kunsthändler zeichnet natürlich heute schon auf, was er an wen wo verkauft. ({0}) Das ist eine Selbstverständlichkeit für jedes seriöse Mitglied dieses Berufsstandes und für die Branche. Herr Otto, es muss Anliegen der Kulturnation Deutschland sein, dieses Abkommen zu ratifizieren. Es geht nicht darum, dass es fast 37 Jahre lang anders möglich war. Es geht um unser Selbstverständnis und darum, ob wir dieser Staatengemeinschaft angehören wollen. Die komplizierte deutsche Rechtslage ist der Grund dafür, dass wir den Gesetzentwurf nur mühsam hinbekommen haben und es so lange gedauert hat. Aber sich weiter auf die allbekannten, nicht versöhnlichen Gegensätze zu berufen, ist kein Fortschritt. ({1}) Die Belege für bedeutende Erbstücke bewahre ich auf. Die wird man mir natürlich auch vererben. Alles andere lässt sich im Wege der Provenienzforschung im Zweifelsfalle - nur um den geht es - nachvollziehen. Zu dem Letzten, den Wertgrenzen, kann ich Ihnen nur sagen: Wir hätten das Gesetz am liebsten ganz ohne verabschiedet. Das wäre auch gegangen. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin Monika Griefahn für die SPD.

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir entscheiden heute über die Ergebnisse zweier Prozesse, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf der einen Seite geht es um das UNESCO-Übereinkommen von 1970. Vor allem mit uns selbst - die Interessen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland waren, das muss man deutlich sagen, sehr verschieden - haben wir mehr als 36 Jahre ringen müssen, um zu einer Umsetzung dieser Konvention zu kommen. Heute nun steht diese an; darüber bin ich sehr froh. Auf der anderen Seite steht die UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt. Da war die Situation ganz anders: Die Bundesrepublik Deutschland hat entscheidend zur Entstehung dieser Konvention beigetragen, die bereits 2005 in der Generalversammlung der UNESCO verabschiedet worden ist. Ich bin sehr froh darüber, dass wir zu ihrer Entstehung einen positiven Beitrag leisten konnten. Wir haben beide Verfahren zu einem Ergebnis gebracht, das sich sehen lassen kann. Das Schöne dabei ist, dass die Ratifizierung dieser beiden Abkommen durch die Bundesrepublik auch noch in die deutsche EU-Ratspräsidentschaft fällt. Wir zeigen damit nicht nur, welchen großen Stellenwert die Kultur im Zusammenhang mit Europa besitzt, sondern wir unterstreichen auch, welche eigene kulturpolitische Verantwortung wir innerhalb der Europäischen Union zu übernehmen bereit sind. Auch das ist ein Signal. ({0}) Zu den inhaltlichen Punkten des UNESCO-Kulturgüterschutzabkommens haben Steffen Reiche und Frau Grütters genug gesagt. Deswegen will ich jetzt mehr auf die Konvention zur kulturellen Vielfalt eingehen. Die Unterzeichnerstaaten sollen mit dieser Konvention in die Lage versetzt werden, sich - jeder einzeln, aber auch gemeinsam - wirkungsvoll für eine möglichst bunte Vielfalt kultureller Ausdrucksformen zu engagieren und diese zu bewahren. Das bezieht sich auf vieles: auf Literatur, Musik, Schauspiel, Malerei, Architektur, Kunsthandwerk, Film, Video, Rundfunk, Neue Medien, aber auch auf Sprache und kulturelle Überlieferung - auch das ein ganz wichtiger Punkt, der meist ein wenig zu kurz kommt. Zusammen mit vielen anderen Aspekten gehört das zu unserem kulturellen Erbe, aber auch zu dem kulturellen Erbe von vielen, die in Nationalstaaten mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen leben. Es geht dabei nicht darum, die verschiedenen Kulturelemente zu einem großen Ganzen zu verschmelzen, sondern wir wollen die Vielfalt schützen. Das ist eine Frage von Melting Pot versus Salad Bowl, um das Neudeutsch zu sagen, ({1}) also Schmelztiegel gegenüber Salatschüssel, bei der die einzelnen Blätter zu sehen sind; eben kein Labskaus, wie wir in Hamburg sagen würden. Mit der vorliegenden UNESCO-Konvention sollen den Mitgliedstaaten die zum Schutz der Vielfalt notwendigen Instrumente an die Hand gegeben werden. Das macht ihre große Bedeutung aus. Die Mitgliedstaaten werden sich über den hohen Rang der Kultur klar werden, diese vertreten und gegenüber anderen Interessen abwägen müssen. Zum Beispiel werden Kulturgüter bei internationalen Wirtschaftsabkommen häufig wie Wirtschaftsgüter behandelt, was ihrem kulturellen Charakter gefährlich entgegensteht. Wir glauben, dass Kultur eine Sonderrolle haben muss. Ansonsten unterliegt sie sehr schnell Liberalisierungsbestrebungen, und nur das wirtschaftlich Stärkste, der Mainstream, setzt sich durch. Wir sehen das in den USA häufig: Wenn Sie in dem sehr reichen Silicon Valley wohnen, müssen Sie 200 Kilometer fahren, nach San Francisco, wenn Sie in die Oper wollen. Sonst gibt es weit und breit keine. Dagegen gibt es bei uns auch im ländlichen Raum durchaus kulturelle Leuchttürme. Ich glaube, das ist etwas ganz Wichtiges, was wir erhalten sollten. ({2}) Wir Sozialdemokraten haben immer für die Einsicht gekämpft, dass Kultur Lebensmittel ist, und zwar ein möglichst vielfältiges Lebensmittel. Beim Essen will man doch auch nicht jeden Tag Kartoffeln mit Rührei auf der Speisekarte stehen haben. In der Konvention ist deshalb das Ziel formuliert, dass die Staaten weiterhin eine eigenständige Kulturpolitik verfolgen können. Das muss gerade in Zeiten globalisierter Kultur gewährleistet sein, damit wir keinen kulturellen Einheitsbrei bekommen. Sonst gäbe es irgendwann nur noch Britney Spears. Eine tolle Gruppe wie Natural Seven aus den USA, die ich kürzlich gesehen habe, hätte dann vielleicht nicht mehr die Möglichkeit, hier aufzutreten. Auch die Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird von Liberalisierungsbefürwortern immer wieder infrage gestellt. Das haben wir im Zusammenhang mit der EU-Dienstleistungsrichtlinie erlebt, als verlangt wurde, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk dem Markt überlassen werden müsse. Wir glauben, dass dieser Rundfunk ein wichtiger Teil der demokratischen Ordnung ist und dass er auch einen kulturellen Auftrag hat und deshalb nicht als reines Wirtschaftsgut behandelt werden darf. ({3}) Die Konvention hat zwar in einem solchen Fall keine bindende Wirkung, aber gerade bei der Dienstleistungsrichtlinie hat sich gezeigt, wie wichtig sie ist. Denn inzwischen enthält diese Richtlinie einen Verweis auf die Konvention. Das heißt, dass auch die Anliegen der Konvention in der Dienstleistungsrichtlinie berücksichtigt werden müssen. Dazu gehört auch die Sicherung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Darin sehe ich auch Chancen für andere internationale Abkommen, zum Beispiel innerhalb der WTO das GATS-Abkommen, das den grenzüberschreitenden Handel mit immateriellen Wirtschaftsgütern regelt. Dazu gehören auch Bildung oder Medien, die in dem Abkommen als Wirtschaftsgut betrachtet werden und der freien Marktwirtschaft unterliegen sollen. Wenn wir es schaffen, dass die Konvention zur kulturellen Vielfalt in diesem Bereich Wirkung entfaltet, dann wird eine Abwägung zugunsten des Schutzes und der Förderung von Medien und Bildung auf nationaler Ebene möglich, statt sie als reines Wirtschaftsgut zu betrachten. Richtig ist - wie Frau Eid festgestellt hat -, dass der Ausdruck der kulturellen Vielfalt nicht als Entschuldigung dafür genutzt werden darf, Maßnahmen gegen Grundrechte wie die Pressefreiheit oder die Gleichberechtigung von Frauen als Teil der kulturellen Identität darzustellen. Es gibt Länder, die es als Teil ihrer kulturellen Identität bezeichnen, Frauen zu unterdrücken oder auf Pressefreiheit zu verzichten. ({4}) Wir haben klargemacht, dass das ein wichtiger Punkt ist. Es ist kein Element von Kultur, wenn Grundrechte betroffen sind. Neben Frankreich, Kanada und Brasilien war Deutschland die treibende Kraft bei der Erarbeitung der Konvention. In der bundesweiten Koalition für kulturelle Vielfalt haben wir bereits im Vorfeld der Entwicklung der Konvention mit allen Beteiligten - vom Deutschen Kulturrat über die Bibliotheken und Universitäten bis hin zu den Kommunen und Ländern wurden alle Gruppen, die daran interessiert waren, einbezogen - zusammengearbeitet. Damit haben wir das, was Uschi Eid eingefordert hat, schon erfüllt: die Beteiligung der gesellschaftlichen Gruppen. Das, was im Antrag der Grünen gefordert wird, haben wir bereits im Vorfeld gemacht. Andere Länder beginnen erst jetzt damit. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich der Deutschen UNESCO-Kommission danken, die mithilfe des BKM und des Auswärtigen Amtes den Prozess angestoßen und begleitet hat. Wir haben eine breite Debatte führen und dadurch den Prozess sehr schnell in Gang setzen können. Insofern können wir den Prozess nach der Ratifizierung sehr schnell fortsetzen, weil schon alle gesellschaftlichen Gruppen beteiligt sind. Ich glaube, das ist ein sehr wichtiger Punkt. Für die anstehende Umsetzung der Konvention haben wir angefangen, Bündnispartner zu suchen. Frau Jochimsen hat die gemeinsame Arbeitsgruppe des Deutschen Bundestages und der Assemblée Nationale bereits erwähnt. Dabei haben wir konkret darauf geachtet, welche Elemente in Europa einen konkreten Anschub brauchen, wo wir Initiativen ergreifen müssen - sei es im Urheberrecht, beim Film oder der Förderung von Musik -, um die Vielfalt zu gewährleisten, welche Rahmenbedingungen für die Vielfalt wir mit Blick auf Europa berücksichtigen müssen und welche Vorschläge wir machen müssen. Wegen der bevorstehenden Wahlen in Frankreich haben wir ein Zwischenergebnis erstellt. Dieser Bericht wird den beiden Präsidien des Bundestages und der Assemblée Nationale am 14. Februar vorgestellt. Die Arbeit war sehr gut und intensiv. Wir haben beschlossen, sie weiterzuführen und andere europäische Länder in den Prozess einzubeziehen. Wir haben bereits Kontakt zu den Italienern aufgenommen und werden noch weitere Länder ansprechen. Denn ich glaube, es ist wichtig, dass wir dabei alle an einem Strang ziehen. Ich finde, das ist eine tolle europäische Perspektive, die uns weltweit weiterbringen kann, weil wir dann mit einer Stimme sprechen, aber dabei die Vielfalt in Europa erhalten. Das sollte uns wichtig sein. Herzlichen Dank. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Zunächst Tagesordnungspunkt 6 a: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Übereinkommen vom 20. Oktober 2005 über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen, Drucksache 16/3711. Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4144, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen. ({0}) Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4213. Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der FDP-Fraktion und Gegenstimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Tagesordnungspunkt 6 b: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf Drucksache 16/4144 zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „UNESCO-Übereinkommen zur kulturellen Vielfalt schnell ratifizieren“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 16/457 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDPFraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 6 c: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut, Drucksache 16/1372. Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4145, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen. ({1}) Wir bleiben noch beim Tagesordnungspunkt 6 c. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Ausführungsgesetz zum Kulturgutübereinkommen, Drucksache 16/1371. Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt unter Buchstabe b Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4145, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Lesung angenommen. Unter Buchstabe b Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4145 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und die Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Nun kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4212. Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 7 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts - Drucksache 16/3945 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({2}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. ({3}) - Darf ich bitten, dass diejenigen, die der weiteren Debatte nicht folgen wollen, den Saal verlassen und die Gespräche außerhalb fortführen. Das gilt insbesondere für die engagierten Kulturpolitiker. - Ich danke Ihnen. Ich eröffne die Aussprache zur Reform des Versicherungsvertragsrechts und erteile das Wort der Bundesministerin für Justiz, Brigitte Zypries.

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass es in Deutschland 430 Millionen Versicherungsverträge gibt. Für alle Menschen, die einen Versicherungsvertrag abgeschlossen haben oder dies in Zukunft tun werden, soll der 1. Januar 2008 zu einem guten Tag werden. ({0}) Das ist nämlich der Tag, an dem das reformierte Versicherungsvertragsgesetz, über dessen Entwurf wir heute beraten, in Kraft treten soll. Dieses Gesetz wird für mehr Verbraucherschutz sorgen und Versicherte insbesondere bei Lebensversicherungen deutlich besserstellen. Das geltende Recht stammt aus dem Jahre 1908 und trägt den Belangen der Versicherten heute zu wenig Rechnung. Wir meinen, dass der gerechte Interessenausgleich zwischen Versicherungsunternehmen und Versicherten nachjustiert werden muss. Besonders wichtig sind Verbesserungen für die Kunden von Lebensversicherungen. Sie alle wissen, dass diese im Zuge der dritten Säule der Rentenversicherung eine ganz neue Bedeutung bekommen haben. Wir werden künftig den Anspruch des Versicherungsnehmers auf Überschussbeteiligung an die Versicherung als Regelfall im Gesetz festschreiben. Wir legen zudem fest, dass die Versicherten an den stillen Reserven einer Versicherung beteiligt werden müssen. Das soll auch für die Restlaufzeit der Verträge gelten, die bei Inkrafttreten des Gesetzes schon bestehen. Eine weitere Verbesserung betrifft die Rückkaufswerte von Lebensversicherungen. Wir haben bisher im Falle einer vorzeitigen Kündigung immer auf den unklaren Begriff des Zeitwertes einer Lebensversicherung abgestellt. Das hat zu Rechtsunsicherheiten und Entscheidungen der höchsten deutschen Gerichte geführt. Künftig wird deshalb der Rückkaufswert anhand des Deckungskapitals der Versicherung berechnet. Das ist eine klare Regelung. Sie wird dazu führen, dass die Versicherten bei vorzeitiger Kündigung ihres Vertrages mehr Geld bekommen. Mehr Geld bekommen werden sie auch in den Fällen des sogenannten Frühstornos. Wenn man heutzutage einen Vertrag abschließt und ihn bereits nach einem Jahr wieder verkaufen muss, dann werden die Abschlussgebühr der Versicherung und die Provision für den Versicherungsmakler in voller Höhe in den ersten Jahren auf die Prämien umgelegt, sodass man nichts zurückbekommt. Ich möchte folgendes Beispiel n ennen: Ein 30-Jähriger, der eine Kapitallebensversicherung mit 35 Jahren Laufzeit abschließt, 1 000 Euro Jahresbeitrag zahlt und im zweiten Jahr kündigt, geht bislang in aller Regel leer aus, das heißt, die 1 000 Euro sind weg. Das wollen wir ändern. Künftig müssen die Abschlusskosten des Vertrages einschließlich der Provision auf fünf Jahre verteilt werden. Das bedeutet konkret: Wer 1 000 Euro gezahlt hat und im zweiten Jahr kündigt, bekommt künftig 560 Euro zurück. Das ist eine deutliche Verbesserung. Neben diesen Verbesserungen wollen wir den Verbraucherschutz im Versicherungsrecht insgesamt stärken. Dazu drei Beispiele, die zeigen, was das konkret bedeutet: Erstens. Es soll mehr Informationen für die Verbraucher geben. Wir wollen eine bessere Beratung, und wir schaffen das Policenmodell ab. Bisher kommt ein Vertrag zustande, wenn die Versicherung den Versicherungsschein, also die Police, übersendet. Häufig bekommt der Versicherungsnehmer erst dann alle Vertragsbedingungen. Das wollen wir ändern. Künftig muss schon vorher über die Details informiert werden. Erst dann wird unterschrieben. Mit anderen Worten: Wir gleichen das Verfahren beim Versicherungsabschluss dem Verfahren an, das auch sonst in Deutschland beim Rechtsverkehr gilt. Zweitens. Wir wollen mehr Transparenz bei den Kosten. Bei einer Lebensversicherung und bei den Krankenversicherungen müssen in Zukunft vor dem Vertragsabschluss die Abschlusskosten und die Vertriebskosten, also die Verwaltungskosten, die anfallen, offengelegt werden. Dadurch wiederum bekommen die Verbraucher mehr Klarheit über das, was sie am Ende herausbekommen bzw. was alles im Laufe einer 35-jährigen Versicherungszeit für die Verwaltung der Versicherungsunternehmen verschwindet. Drittens. Wir wollen mehr Fairness bei Verstößen des Versicherten gegen Vertragspflichten. Galt bisher das Alles-oder-nichts-Prinzip, entweder Vollversicherung oder gar nichts, so soll es künftig eine Abwägung geben, wie schwer das Verschulden des Versicherungsnehmers in dem Einzelfall wirklich ist. Ein Beispiel: Wenn man aus dem Haus geht, ein Fenster gekippt lässt und dann eingebrochen wird, dann hat man nach bisheriger Rechtslage grob fahrlässig gehandelt und bekommt keinen Pfennig. Wenn man so etwas künftig macht, dann soll geprüft werden, welchen Anteil das Verschulden ausmacht, und nur um diesen Anteil kann die Versicherung die Leistungen dann kürzen. Wir haben mit diesem Gesetzentwurf, der Ihnen jetzt zur Beratung vorliegt, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in seinen Entscheidungen zum Versicherungsvertragsrecht berücksichtigt. Wir haben schon vorher, im Jahr 2000, eine Expertenkommission eingesetzt und einen Entwurf zum Versicherungsvertragsrecht erarbeiten lassen. Da waren Wissenschaftler, Rechtsanwälte, Vertreter der Versicherungswirtschaft und die Verbraucherverbände beteiligt. Angesichts dieser breiten und auch langandauernden Vorbereitungen seit dem Jahr 2000 - jetzt haben wir das Jahr 2007 - kann man sagen, dass die Vorarbeiten ausgezeichnet waren und dass der Gesetzentwurf, der jetzt vorliegt, ein solider Gesetzentwurf ist, der bereits im Vorfeld auf breite Zustimmung gestoßen ist, wenn auch nicht bei allen Versicherungsunternehmen. Der Bundesrat hat nur ganz wenige Änderungsvorschläge gemacht, was für die Akzeptanz spricht. Wir verbinden mit diesem Gesetzentwurf die Modernisierung des Rechts mit mehr Schutz für die Verbraucher und mit mehr Gerechtigkeit beim Interessenausgleich. Ich hoffe, dass der Gesetzentwurf auch hier im Hause eine breite Zustimmung findet. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun die Kollegin Mechthild Dyckmans für die FDP-Fraktion. ({0})

Mechthild Dyckmans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003752, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Frau Ministerin hat es gesagt: Sechseinhalb Jahre wurde an der Reform des Versicherungsvertragsrechts bereits gearbeitet, und heute beraten wir den Gesetzentwurf hier in erster Lesung. Eines ist meiner Meinung nach unstreitig: Umfassende Änderungen des Gesetzes, das aus dem Jahr 1908 stammt, sind angebracht. Das Gesetz muss den heutigen Rahmenbedingungen und Gerechtigkeitsvorstellungen angepasst werden. Deshalb steht die FDP vom Grundsatz her den Zielen der Reform positiv gegenüber. ({0}) Bei der Reform hat der Gesetzgeber verschiedene Vorgaben zu beachten. Zum einen gibt es mehrere EURichtlinien, die uns entsprechende Vorgaben machen. Deutschland ist bereits einem Vertragsverletzungsverfahren ausgesetzt. Sowohl die geltenden deutschen Rechtsvorschriften über vorvertragliche Pflichten der Versicherungsunternehmen als auch die Regelungen über das Recht auf Rücktritt von einem Lebensversicherungsvertrag entsprechen nach Ansicht der EU-Kommission nicht dem Europarecht. Hier ist dringend dafür Sorge zu tragen, dass die deutschen Regelungen richtlinienkonform gefasst werden. Neben den EU-Vorgaben sind auch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs aus den letzten Jahren zu beachten; die Frau Ministerin hat schon darauf hingewiesen. Das betrifft zum einen die Frage der Überschussbeteiligung bei kapitalgebundenen Lebensversicherungen. Es fehlen nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juli 2005 hinreichende rechtliche Vorkehrungen dafür, dass bei den Berechnungen des bei Vertragsende zu zahlenden Schlussüberschusses die Vermögenswerte, die aus den Prämien der Versicherer erwirtschaftet wurden, angemessen berücksichtigt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber Zeit bis Ende 2007 gegeben. Der Weg zu einer verfassungsfesten und dennoch wirtschaftlich tragfähigen Regelung der Überschussbeteiligung ist schwierig. Nach dem Gesetzentwurf soll künftig die Hälfte der Bewertungsreserven nach Beendigung des Vertrages ausgezahlt werden. Die neue Regelung ist ein Schritt in die richtige Richtung. In den Beratungen werden wir aber meines Erachtens noch zu diskutieren haben, ob wir auch festverzinsliche Wertpapiere mit unter die jetzige Regelung fallen lassen. ({1}) Lassen Sie mich zum anderen auch die Neuregelung des Rückkaufswertes ansprechen. Hier muss das Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Oktober 2005 beachtet werden. Der Bundesgerichtshof hat mangelnde Transparenz bei der Berechnung der Rückkaufswerte, der Abschlusskosten und des Stornoabzugs moniert. Darin liege für die Versicherungsnehmer eine unangemessene Benachteiligung. In diesem Zusammenhang sind zwei Punkte besonders zu berücksichtigen und bedürfen einer Diskussion. Ausländische Versicherer sehen in den Regelungen der garantierten Rückkaufswerte Verstöße gegen das geltende EU-Recht. Insbesondere Lebensversicherer aus dem angelsächsischen Raum bieten am Markt nämlich Lebensversicherungen in einer Konzeption an, die es ihnen nicht ermöglicht, garantierte Rückkaufswerte auszuweisen. Damit könnte diese Regelung zu einer Einschränkung des Wettbewerbs und der Produktvielfalt führen und somit mit dem EU-Recht nicht vereinbar sein. Der Bundesregierung ist dieses Problem offensichtlich bisher entgangen; denn sie hat vor zehn Tagen auf eine entsprechende schriftliche Frage von mir geantwortet, dies müsse man erst einmal prüfen. ({2}) Auch hier bietet sich also ausreichender Diskussionsstoff für eine Anhörung im Rechtsausschuss, die meine Fraktion beantragen wird. ({3}) Es gibt aber noch einen anderen Kritikpunkt bei der Regelung der Mindestrückkaufswerte, nämlich die Anwendung dieser Regelung auf Altverträge. Der Bundesrat lehnt in seiner Stellungnahme eine Rückwirkung auf Altverträge ausdrücklich ab. In ihrer Gegenäußerung verweist die Bundesregierung auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Übergangsregelung die Interessen der Versicherungsnehmer bei einem Frühstorno von Altverträgen hinreichend berücksichtigen müsse. Die Bundesregierung hat in ihrer Gegenäußerung zugesagt, die jetzt vorgeschlagene Regelung er7876 neut hinsichtlich verfassungsrechtlicher Fragen zu prüfen. Ich bin mir sicher, dass wir dieses Problem auch in den parlamentarischen Beratungen vertieft diskutieren werden. Eine weitere grundlegende Änderung im Versicherungsvertragsgesetz wird in den Beratungen natürlich auch ausführlich zu diskutieren sein, nämlich die vorgeschlagene Abschaffung des Policenmodells. Nach Ansicht der EU-Kommission entspricht das Policenmodell nicht den EU-Vorgaben. Hier ist - ich erwähnte es schon ein Vertragsverletzungsverfahren anhängig. Bei den Beratungen zu diesem Thema werden wir die Auswirkungen einer Abschaffung des Policenmodells auf die Versicherungswirtschaft und die damit verbundenen praktischen Schwierigkeiten in die Prüfung einzubeziehen haben. Auch müssen wir Übergangs- und Umsetzungsfristen in den Blick nehmen, gerade im Hinblick darauf, dass es hier, wie die Frau Ministerin sagte, um etwa 430 Millionen Verträge geht. Lassen Sie mich als letzten Punkt noch kurz die geplante teilweise Abschaffung des Alles-oder-nichtsPrinzips erwähnen; die Frau Ministerin hat auch das schon angesprochen. Die grob fahrlässige Verletzung von Anzeige- und Obliegenheitspflichten des Versicherungsnehmers soll künftig entsprechend der Schwere seines Verschuldens nur zu einer Kürzung, nicht zu einem vollständigen Verlust des Anspruchs führen. Dies entspricht meines Erachtens dem heutigen Gerechtigkeitsempfinden. Praktische Schwierigkeiten bei der Bewertung des Grades des Verschuldens sollten sich im Rahmen halten. Es wird also ein wichtiges Ziel der parlamentarischen Beratungen sein, das Gesetz so zu fassen, dass es einen sinnvollen Beitrag zum Verbraucherschutz darstellt. Die geplanten Regelungen müssen nicht nur daraufhin überprüft werden, ob sie für den einzelnen Versicherungsnehmer Vorteile bringen. Belastungen und Mehrkosten für die Versichertengemeinschaft und auch für die Versicherungsunternehmen müssen genauso überprüft und beurteilt werden. Insoweit freue ich mich auf die Beratungen im Rechtsausschuss. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Marco Wanderwitz für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Marco Wanderwitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Wir befassen uns heute in erster Lesung mit dem Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsgesetzes, des VVG. Ich meine, diese Reform ist ein zentrales Thema der Rechts- und Verbraucherpolitik der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode. Das Versicherungsvertragsgesetz ist - das wurde von meinen beiden Vorrednerinnen schon erwähnt - fast 100 Jahre alt. An sich ist es ein schöner Umstand, dass es so lange Bestand gehabt hat. Das zeigt, dass unsere Zivilrechtsordnung von hoher Qualität und Stetigkeit ist. Rechtssicherheit ist - darauf sollte man bei jeder sich bietenden Gelegenheit hinweisen - ein hohes Gut und für Deutschland auch ein Standortfaktor. Dennoch bedarf das VVG nunmehr dringend einer grundlegenden Überarbeitung. Nicht zuletzt die bereits angesprochenen Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 2005 zeigen dies. Im Koalitionsvertrag haben wir uns, geprägt vom Leitbild eines eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Verbrauchers, den wir stärken wollen, zu einer Neujustierung des Interessenausgleichs zwischen Versicherern und Versicherten bekannt. Transparenz ist dabei eine notwendige Voraussetzung. Der Gesetzentwurf Ihres Hauses, sehr geehrte Frau Ministerin, hat viele Anregungen der Beteiligten bereits aufgenommen und ist eine gute Grundlage für unser parlamentarisches Verfahren, an dessen Beginn wir stehen. Ich denke, es war richtig, komplett neu anzusetzen und keine Änderungen des bestehenden Gesetzes vorzunehmen. Auch die schon erwähnte vorangegangene Arbeit der Expertenkommission möchte ich noch einmal ausdrücklich loben. Hervorzuheben ist auch die große praktische Bedeutung dieser Reform. Allein im Bereich der Lebensversicherungen, also in einem Teilbereich der Versicherungswirtschaft, gibt es zurzeit rund 95 Millionen Bestandsverträge. Täglich werden in Deutschland Tausende neuer Lebensversicherungsverträge angebahnt oder abgeschlossen. Der Versicherungsplatz und Versicherungsmarkt Deutschland ist von großer Bedeutung, auch für unsere Volkswirtschaft. Ich möchte mich heute zu Beginn des parlamentarischen Verfahrens, das wir nach Möglichkeit vor der parlamentarischen Sommerpause abschließen sollten, auf einige grundsätzliche Ausführungen zum Inhalt sowie auf das Aufzeigen der wesentlichen Felder, in Bezug auf die ich noch Gesprächsbedarf sehe, beschränken. Zuerst möchte ich Lob und Zustimmung zu ausgewählten Punkten - Frau Ministerin, Sie haben sie teilweise schon näher erläutert - äußern. Das neue allgemeine Widerrufsrecht für alle Versicherungsverträge, unabhängig vom Vertriebsweg und ohne die Notwendigkeit einer Begründung, schafft mehr Rechtssicherheit und mehr Rechtsklarheit. Auch der Wegfall der Klagefrist des Versicherungsnehmers für den Fall der Ablehnung einer Leistung durch den Versicherer stärkt die Versicherten und ist ein sinnvoller Verzicht auf eine von den allgemeinen Verjährungsregelungen abweichende Sonderregelung. ({0}) Die gesetzliche Verankerung des Anspruches auf Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung als Regelfall und die Beteiligung an den sogenannten stillen Reserven ist dem Grunde nach begrüßenswert, ebenso wie - das wurde angesprochen - die Berechnung der Rückkaufswerte bei vorzeitiger Vertragsauflösung nach dem Deckungskapital der Versicherung. Ich glaube, im Detail müssen wir hier allerdings noch nachjustieren. Frau Kollegin Dyckmans hat schon einen Punkt angesprochen, der auch auf meiner Agenda steht. Wir liegen da recht dicht beieinander. Die Verteilung der Abschluss- und Vertriebskosten auf fünf Jahre im Frühstornofall sowie deren Transparentmachung sind ebenfalls positiv zu erwähnen. ({1}) Ich möchte aber auch die wichtigsten mir noch problematisch erscheinenden Bereiche, bei denen ich teilweise noch erheblichen Gesprächsbedarf sehe - das will ich nicht verhehlen -, ansprechen. Zunächst zum Inkrafttreten. Ich halte eine angemessene Übergangsfrist für nötig. ({2}) Nachdem das Gesetz durch Abdruck im Gesetzblatt in Kraft getreten ist, sind eine Reihe von Verordnungen und Ausführungsbestimmungen nötig. Erst wenn diese vorhanden sind, ist es der Versicherungswirtschaft möglich, sich auf den neuen Zustand einzustellen. In der Folge muss eine Menge Papier gedruckt werden. Mitarbeiter und Vertreter müssen geschult werden. Problematisch erscheint mir eine Rückwirkung auf Bestandsverträge. Zum einen wurden diese auf einer gesetzlich regulierten, vertraglichen Geschäftsgrundlage abgeschlossen. Wenn man hier rückwirkend eingreifen würde, wäre dies ein schwerwiegender Eingriff, der einer guten Rechtfertigung bedürfte. Zum anderen handelt es sich um eine schiere Unzahl von Verträgen, auf jeweils unterschiedlichen Allgemeinen Versicherungsbedingungen bzw. Tarifmodellen beruhend. Der Aufwand und die damit verbundenen Kosten, die letztlich bei den Versicherten ankommen, erscheinen mir nicht verhältnismäßig. Die geplante Abschaffung des sogenannten Policenmodells sehe ich ebenfalls kritisch. Obgleich mir bewusst ist, dass es seitens der Europäischen Union Bedenken gegen das bestehende deutsche Recht gibt, halte ich das Modell für ausgereift und im Grunde für gut. ({3}) Dem Zugewinn unter Verbraucherschutzaspekten steht insbesondere ein Mehr an Kosten gegenüber, was dazu führt, dass die Renditen geschmälert und die Beiträge erhöht werden. Zudem würde in Addition mit den schon genannten weitergehenden Widerrufsrechten ein Zustand erreicht, der den Versicherungsunternehmen nur schwer zumutbar zu sein scheint. Auch von der geplanten Abschaffung des sogenannten Alles-oder-nichts-Prinzips bin ich noch nicht überzeugt. Die Besserstellung von Versicherungsnehmern, die Anzeige- und Obliegenheitspflichten, also einen Vertrag, verletzen, geht zulasten der Renditen bzw. des Beitragsniveaus der Versicherungsnehmer, die vollumfänglich vertragstreu sind. Das entspricht nicht meinem Verständnis von Verbraucherschutz. Zum Abschluss möchte ich auf die vorzeitige Kündigung von Lebensversicherungsverträgen zurückkommen. Wir sollten, wie ich meine, eine Möglichkeit finden, die Versicherungsnehmer besser als bisher auf die verschiedenen Möglichkeiten, die es abgesehen von einer Kündigung gibt, hinzuweisen und sie besser zu informieren. Das Stichwort in diesem Zusammenhang lautet „Zweitmarkt“. ({4}) All das konnte nur ein erster Ausschnitt sein. Wir haben im parlamentarischen Verfahren noch viel vor. Frau Kollegin Dyckmans, ich kann Ihnen versichern, dass zu diesem Thema eine Anhörung stattfinden wird. Die Koalitionsfraktionen verfügen über das notwendige Quorum, um dafür zu sorgen. ({5}) Ich freue mich auf die Beratungen. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Kollegin Dağdelen hat ihre Rede zu Protokoll ge- geben, sodass der nächste Redner der Kollege Jerzy Montag von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen ist.1)

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das in Deutschland heute geltende Gesetz über den Versicherungsvertrag beginnt mit folgenden Worten: Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen, verordnen im Namen des Reichs … Das war im Jahre 1908. Im Jahre 1910 ist dieses Gesetz in Kraft getreten. ({0}) Inzwischen mussten die Deutschen zwei Weltkriege er- leiden, 13 Jahre lang hat in Deutschland die Weimarer Republik existiert, und es kam zur Nazidiktatur. Auch in den mehr als 50 Jahren des demokratischen Deutsch- lands ist dieses Gesetz nicht den Notwendigkeiten der modernen Welt und den neuen Risiken, die versichert sein wollen, angepasst worden. Dementsprechend schweigt das Versicherungsgesetz zum Problem der Berufsunfähigkeit. Dafür ist die Hagel- Versicherung umfassend geregelt. Es gibt keine Rege- lungen über den vorläufigen Deckungsschutz, was auch nicht verwundert, weil es im Jahre 1908 in Deutschland nicht sehr viele Autos gab. Aber heute brauchen Millio- nen von Menschen die Zusage einer vorläufigen 1) Anlage 4 Deckung. Dafür gibt es allerdings keine gesetzlichen Regelungen. Das geltende Recht verpflichtet die Versicherungsgesellschaften weder zu einer Beratung und Information vor einem Versicherungsabschluss noch zur laufenden Information im Rahmen langjähriger Versicherungsverträge. Aber es ermöglicht ein sogenanntes Policenmodell, das in der Praxis seit Jahren dazu führt, dass die Versicherten die Katze im Sack kaufen müssen. Denn die Bedingungen, die für ihre Rechte und Pflichten und für ihre Belastungen auf Jahre bzw. Jahrzehnte hinaus von großer Bedeutung sind, erhalten sie erst, nachdem sie ihren Wunsch geäußert haben, einen Vertrag abzuschließen - dies ist das Angebot zum Abschluss eines Versicherungsvertrages -, und zwar zusammen mit der Versicherungspolice, bei vielen Versicherungen sogar erst dann, wenn der Vertrag zustande gekommen ist. Über Jahrzehnte hinweg musste die Justiz durch Auslegung und freihändige Rechtschöpfung auf Veränderungen reagieren, die sich aus den neuen Risiken, gegen die die Menschen sich versichern wollen und wofür die Versicherer eine Absicherung gegen Prämienzahlung anbieten, ergeben. Gesetzliche Änderungen gab es bisher nur punktuell. Oft wurden sie durch entsprechende Vorgaben der Europäischen Union angestoßen. In rot-grüner Verantwortung hat das Bundesjustizministerium das Problem erstmals 2000 angepackt und eine Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts berufen. Es hat leider vier Jahre gedauert, bis im April 2004 ein Kommissionsbericht vorgelegen hat. Noch einmal zwei Jahre später liegt jetzt der Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts auf dem Tisch. Wir Grünen begrüßen den Gesetzentwurf und die allermeisten Regelungen, die darin vorgeschlagen werden. Ich will sie nicht im Einzelnen noch einmal aufführen; sie alle sind von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern genannt worden. Es wird jetzt Beratungen und Informationen geben. Ein Policenmodell wird es nicht mehr geben. Herr Kollege Wanderwitz, wir werden uns auch vom Prinzip „Alles oder nichts“ verabschieden, das eben doch zulasten des Einzelnen geht, weil die Reaktion der Versicherung auf ein Fehlverhalten nicht adäquat und abgestuft ist. Das ist ungerecht. In der Pflichtversicherung wird es auch hinsichtlich des Selbstbehalts einen umfassenden Direktanspruch geben, und auch bei der Lebensversicherung verzeichnen wir entscheidende Verbesserungen. Von allen Seiten gibt es Kritik und Lob. Anders könnte es auch gar nicht sein. Frau Kollegin Dyckmans, wir werden uns in den parlamentarischen Beratungen nicht nur auf Antrag Ihrer sehr honorigen Fraktion, ({1}) sondern auch auf übereinstimmenden Wunsch des ganzen Hauses sehr ausführlich mit den Problemen beschäftigen. Zum Schluss will ich an einen Punkt erinnern, der in diesem Gesetz bisher keinen Niederschlag gefunden hat. In Art. 3 des Grundgesetzes heißt es: Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Diese Aufforderung an den Staat hat in dem Gesetzentwurf keinen Niederschlag gefunden. Das wollen wir Grüne ändern. Danke schön. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat der Kollege Dirk Manzewski für die Fraktion der SPD das Wort.

Dirk Manzewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003177, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist hier schon gesagt worden: Das geltende Versicherungsvertragsgesetz stammt im Wesentlichen aus dem Jahre 1908 und wird - ich glaube, darin sind wir uns einig - insbesondere den Erfordernissen eines modernen Verbraucherschutzes längst nicht mehr gerecht. Ich teile daher die Auffassung der Bundesregierung, dass punktuelle Änderungen oder Ergänzungen nicht mehr ausreichend sind, sondern dass wir eine Gesamtreform brauchen. Lassen Sie mich meine Rede aufgrund der nur wenigen Zeit, die ich hier habe, auf einige wesentliche Neuerungen beschränken. Kollege Wanderwitz, ich halte es für wichtig und richtig, dass die Versicherer die Versicherungsnehmer vor Abschluss des Vertrages nunmehr nicht nur besser beraten und informieren müssen, sondern dass sie die Beratung jetzt auch zu dokumentieren haben. Ich finde das gut, weil damit der Verbraucherschutz erheblich gestärkt wird; ({0}) denn zum einen wird dem Verbraucher dadurch besser Gelegenheit gegeben, sich bereits vor Abschluss eines Vertrages noch genauer mit den Einzelheiten des Vertrages auseinanderzusetzen, und zum anderen - das ist ja auch nicht unwichtig - wird ihm im Streitfall die Beweisführung erleichtert. Ich finde, das ist sehr gut. ({1}) Neu ist, dass der Versicherungsnehmer grundsätzlich nur ihm bekannte Umstände anzeigen muss, nach denen der Versicherer zuvor in Textform gefragt hat. Das Risiko einer Fehleinschätzung in der Frage, ob ein bestimmter Umstand für das Versicherungsverhältnis wichtig gewesen ist oder nicht, liegt damit nicht mehr beim Versicherungsnehmer. Ich glaube nicht, dass es hierdurch zu ungerechten Ergebnissen kommen wird. Selbst wenn die Versicherung nachlässig gewesen ist, wird die Rechtsprechung in Extremfällen meiner AuffasDirk Manzewski sung nach schon Mittel und Wege finden, um zu einem gerechten Ergebnis zu kommen. ({2}) Anders als bisher soll der Geschädigte nun, wie wir das aus der Kraftfahrzeugversicherung kennen, bei allen Pflichtversicherungen einen Direktanspruch gegen den Versicherer bekommen. Damit erhält der Geschädigte einen verhandlungs- und zahlungsbereiten sowie weitgehend insolvenzsicheren Schuldner. Wir werden allerdings im Detail noch zu überprüfen haben, Frau Ministerin, inwieweit sich das gegebenenfalls auf die Gesamtheit der Versicherungsverträge negativ auswirken könnte. Soweit der Versicherungsnehmer bislang gezwungen war, seinen Anspruch auf die Versicherungsleistung binnen sechs Monaten geltend zu machen, soll diese im Grunde genommen einseitige Verkürzung der Verjährungsfrist zulasten der Versicherungsnehmer - meiner Auffassung nach völlig zu Recht - wegfallen. Künftig sollen zudem alle Versicherungsverträge, also nicht nur, wie bislang, die Fernabsatzverträge, unabhängig vom Vertriebsweg und ohne Angabe von Gründen widerrufen werden können. Da es nach der Reform kaum einen Vertrag geben dürfte, bei dem der Kunde vor Vertragsschluss derart über diesen informiert wird, sollten wir zumindest andiskutieren, ob wir da nicht vielleicht ein bisschen über das Ziel hinausschießen. Aber ich bin da nicht festgelegt. Leichte Probleme habe ich mit der Aufgabe des sogenannten Alles-oder-nichts-Prinzips. Bislang ist es so - das ist schon angesprochen worden -, dass der Versicherungsnehmer keinen Anspruch aus einem Versicherungsvertrag hat, wenn er den Versicherungsfall vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig verursacht hat. Bei grob fahrlässigen Verstößen sieht der Entwurf ein abgestuftes Modell vor, nach dem die Leistung je nach Schwere des Verschuldens lediglich gekürzt werden kann. Wir sollten uns aber darüber im Klaren sein, dass wir der Rechtsprechung damit erhebliche Probleme bereiten, und ausgiebig diskutieren, ob wir dies tatsächlich wollen. Dabei sollte uns natürlich bewusst sein, dass wir die Auswirkungen zu überprüfen haben, deren Kosten dann gegebenenfalls auf die Gesamtheit der Versicherten umgelegt werden. Ich persönlich gehe davon aus, dass Versicherungen dadurch möglicherweise teurer werden würden. Änderungen - die Ministerin hat es angesprochen - soll es auch bei den so bedeutenden Lebensversicherungen geben. Für den Versicherungsnehmer wird es in diesem Zusammenhang sicherlich vorteilhaft sein, mittels einer Modellrechnung vorab darüber informiert zu werden, welche Leistungen ihn realistischerweise erwarten, wobei natürlich allen klar ist: Es kann sich hierbei nur um eine fundierte Prognose und nicht um eine Leistungszusage handeln. Nicht zuletzt aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - auch das ist von den Kollegen schon angesprochen worden - soll der Versicherungsnehmer zukünftig richtigerweise an den stillen Reserven der Versicherung angemessen beteiligt werden. Wir werden allerdings darüber reden müssen, ob die angedachte Höhe nicht möglicherweise etwas überzogen ist. Der Rückkaufswert der Lebensversicherung soll künftig nicht mehr nach dem Zeitwert, sondern - das finde ich sehr gut - nach dem Deckungskapital der Versicherung berechnet werden. Der Rückkaufswert wird sich hierdurch mit Sicherheit besser bestimmen lassen. Damit er in den ersten Jahren etwas höher ausfällt - auch das ist von der Ministerin gesagt worden -, werden die Abschlusskosten der Lebensversicherung auf die ersten fünf Jahre verteilt. Dies ist ein wesentlicher Vorteil für den Versicherungsnehmer, da die gezahlten Prämien bislang gleich mit den Abschlusskosten verrechnet worden sind und dementsprechend der Rückkaufswert anfangs bis auf null minimiert wurde. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe jetzt die eine oder andere allerdings nur leichte Kritik geäußert oder angemahnt, dass wir uns noch über die eine oder andere Sache unterhalten müssen. Ansonsten, Frau Ministerin: Es handelt sich um ein großes und umfängliches Werk. Ich muss Ihnen ein Lob dafür aussprechen. Ich finde, es ist sehr gelungen, auch wenn über die eine oder andere Frage sicherlich noch zu reden sein wird. Großer Respekt also vor Ihrem Haus! Bei allen positiven Aspekten werden wir bei den anstehenden Diskussionen natürlich auch im Auge zu behalten haben, dass der Versicherungsstandort Deutschland weiterhin attraktiv bleibt. Insofern bin ich auf die in den nächsten Wochen anstehenden intensiven Beratungen sehr gespannt. - Frau Kollegin Dyckmans, der Termin für die Anhörung wird übrigens der 24. April sein, wie von der Koalition schon vorausgedacht. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächster hat das Wort der Kollege Klaus-Peter Flosbach für die CDU/CSU-Fraktion.

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen die Novellierung des Versicherungsvertragsrechts. Dieses Recht soll nun unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung und der Vertragspraxis zeitgemäß und übersichtlich gestaltet werden. Das Gesetz wird nicht nur zukünftige Versicherungsverträge betreffen, sondern auch die bereits genannten etwa 430 Millionen Versicherungsverträge, davon etwa 95 Millionen Lebensversicherungsverträge. Inhaltlich geht es hier um einen fairen Ausgleich zwischen Versicherungsunternehmen und Versicherten bzw. Verbrauchern. Gott sei Dank hat die Vorlage 333 Seiten, sodass wir genügend Diskussionsstoff haben und uns über die verschiedenen Themen unterhalten können. Ich möchte einige Themen ansprechen, die bereits von den Kollegen hier angesprochen worden sind, aber das Ganze einmal aus Sicht des Finanzausschusses beleuchten. Dauerthema ist selbstverständlich auch bei diesem Gesetz die Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Überschüssen bzw. an den stillen Reserven. Ich finde es ganz hervorragend, dass auch hier als Regelfall festgelegt wird, dass man an Immobilien, Aktien und festverzinslichen Wertpapieren entsprechend beteiligt werden soll. Praxis ist allerdings schon heute, dass etwa 90 Prozent aller Überschüsse ohnehin den Versicherten zugewiesen werden; es gibt sogar Unternehmen, die auf 100 Prozent kommen. Nun gibt es ein Problem: Der Gesetzentwurf will sämtliche Bewertungsreserven jährlich neu ermitteln und jedem einzelnen Lebensversicherungsvertrag innerhalb von zwei Jahren rechnerisch zu 50 Prozent zuordnen. Das hat selbstverständlich auch bei einer vorzeitigen Kündigung Vorteile. Das hört sich gut an; ich möchte aber auf die Probleme hinweisen. Hier ist bereits gesagt worden, dass festverzinsliche Wertpapiere, sogenannte Rentenpapiere, ein Problem darstellen könnten. 80 Prozent aller Anlagen bei Versicherungsgesellschaften sind festverzinsliche Papiere, die zum großen Teil an der Börse gehandelt werden. Wenn die Zinsen von 4 Prozent auf 3 Prozent sinken, dann steigen die Kurse, weil niemand sein 4-prozentiges Papier zu 100 Prozent verkaufen würde; denn dann würde er am Markt nur 3 Prozent bekommen. Dadurch bildet sich eine stille Reserve. Genau diese Reserve soll dem einzelnen Vertrag zugewiesen werden. Darin liegt vielleicht noch nicht das Problem. Ein Problem gibt es erst dann, wenn der Zins von 4 auf 5 Prozent steigt; denn dann fallen die Kurse, und es gibt keine Reserve, sondern stille Lasten. Nun ist die Frage: Wer trägt diese stillen Lasten? Wo soll der Ausgleich herkommen? Wenn die kurzzeitigen Reserven eben nicht mehr zum Ausgleich zur Verfügung stehen, dann ist die Frage: Kann der Garantiezins noch gehalten werden? Hier ist auch ein Problem für die Altersvorsorge des Einzelnen. Wenn hier Unsicherheiten entstehen, sinkt beispielsweise die Vorsorgebereitschaft in der Bevölkerung deutlich, gerade in den Bereichen, wo der Gesetzgeber besonders fördern will, nämlich bei der Riester-Rente, bei der betrieblichen Altersversorgung und bei der sogenannten Basisrente oder Rürup-Rente. Denn hier gibt es überall lebenslange Garantien. Diese lebenslangen Garantien müssen kapitalmäßig unterlegt sein. Eine Gefährdung oder Verteuerung dieser Garantien in Lebensversicherungsverträgen darf nicht die Folge dieses Versicherungsvertragsgesetzes sein. Auch bei einer vorzeitigen Kündigung der Lebensversicherung muss ein fairer Ausgleich zwischen den Ansprüchen der Versichertengemeinschaft und dem Anspruch auf einen angemessenen Rückkaufswert bei Ausscheiden eines Versicherungsnehmers möglich sein. In der Anfangsphase wird es wahrscheinlich in Zukunft weniger Probleme geben, da, wie bereits gesagt worden ist, die Abschlusskosten auf fünf Jahre verteilt werden und, wie bei der Riester-Rente, eine deutliche Verbesserung eintreten wird. Bedenklich sind meines Erachtens aber die Überlegungen, die neuen Rückkaufswertregelungen auf alle bestehenden Lebensversicherungsverträge auszudehnen. Das wäre ein nachträglicher Eingriff in die bestehende Kalkulation dieser Verträge. Gerade wir seitens des Finanzausschusses legen großen Wert darauf, dass die Versicherungswirtschaft eine langfristige Kapitalanlagepolitik betreibt. Wir verlangen dies ganz einfach aus Gründen der Stabilität des deutschen Finanzmarktes. Ich erwähne an dieser Stelle die bitteren Erfahrungen, die wir vor drei oder vier Jahren mit Versicherungsgesellschaften gemacht haben, als die Aktienkurse dramatisch fielen und sogar eine Lebensversicherungsgesellschaft Insolvenz anmelden musste. Ich will einen letzten Punkt ansprechen. Wir haben mit der Umsetzung der Versicherungsvermittlerrichtlinie vor kurzem deutlich die Qualität und die Ansprüche an die Vermittler erhöht. Besonders sind - der Kollege Manzewski hat das ebenfalls getan - die Dokumentationspflichten zu erwähnen. Ich glaube, das ist der wichtigste Punkt für den Versicherungsnehmer, für den Verbraucher. Wir haben heute die sinnvolle Regelung, dass ein Verbraucher innerhalb von 14 Tagen bzw. von 30 Tagen bei Lebensversicherungen nach Überlassung der allgemeinen Versicherungsbedingungen und der maßgeblichen Verbraucherinformationen von seinem Widerspruchs- bzw. Widerrufsrecht Gebrauch machen kann. Diese Unterlagen müssen jetzt vor Unterzeichnung eines Versicherungsvertrages vorliegen. Bitte stellen Sie sich einmal die neue Praxis vor. Ein sogenannter Mehrfachagent, der beispielsweise mit zehn oder 15 Gesellschaften zusammenarbeitet, muss für alle Verträge die maßgeblichen Versicherungsbedingungen mit sich führen. Es gibt Hunderttausende von unabhängigen Versicherungsmaklern, die teilweise mit bis zu 50 oder 100 Gesellschaften zusammenarbeiten. Auch diese müssen vor jedem Vertragsabschluss all diese Unterlagen mit sich führen. Herr Montag, es ist ein Irrtum, zu glauben, dass dadurch der Verbraucherschutz erhöht wird. Das kann nicht sein. Mit der Versicherungsvermittlerrichtlinie haben wir mit der Dokumentationspflicht und der Erhöhung der Beratungsqualität einen Weg gefunden, dieses Problem zu lösen. Wir sollten auch einen Weg finden, dass die gesamte Vermittlerbranche nicht mit einer überbordenden Bürokratie überzogen wird. Wir sollten uns an den Realitäten orientieren und gleichzeitig den Verbraucherschutz im Auge behalten. ({0}) Selbstverständlich müssen die allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Verfügung gestellt werden. Das ist zwingend vorgegeben. Egal ob vor oder nach Vertragsabschluss: Man braucht juristischen Beistand, um diese zu verstehen. Wir sind seitens der Union für einen wirksamen Verbraucherschutz. Wir werben für Transparenz und hohe Beratungsqualität. Wir brauchen natürlich eine Modernisierung der Vertragsbeziehungen zwischen Versicherungsnehmern und Versicherungsunternehmen. Ich glaube, in dem Gesetz wurden sehr viele gute Ansätze gefunden. Wir sollten aber auch - da appelliere ich an Sie - die Marktpartner nicht überfordern und mit unnötiger Bürokratie belasten, die dann zu Ausweichreaktionen führen und letztendlich den gesamten deutschen Finanzmarkt belasten. Ich freue mich auf die Beratung. Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache. Zwischen den Fraktionen ist verabredet, den Gesetzentwurf auf Drucksache 16/3945 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJoachim Otto ({0}), Christoph Waitz, Jürgen Koppelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Hauptstadtkulturfinanzierung des Bundes in einem Staatsvertrag regeln - Drucksache 16/3667 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({1}) Haushaltsausschuss Hierzu ist zwischen den Fraktionen verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren, wobei die FDP sechs Minuten erhalten soll. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich gebe das Wort dem Kollegen Hans-Joachim Otto, FDP-Fraktion. ({2})

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich erinnere mich noch mit Freude an den 22. Oktober 2003, als eine sehr geschätzte Kollegin bei einer Pressekonferenz in der Staatsoper Unter den Linden kluge Worte sprach. Sie sprach davon, dass nur durch eine Übernahme der Staatsoper in die Obhut des Bundes ein langes Siechtum der drei Frankfurter Opern ({0}) - Entschuldigung -, der drei Berliner Opern verhindert werden könne. Diese Kollegin heißt Angela Merkel. Sie wurde damals unterstützt unter anderem von Hans-Dietrich Genscher, Wolfgang Gerhardt und Peter Gauweiler. Anlass war ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen von Union und FDP, der die Errichtung einer Bundesstiftung „Staatsoper Unter den Linden“ forderte. Damals hieß die gemeinsame Forderung - ich zitiere aus dem Antrag -: Offensichtlich aber kann eine sinnvolle Zukunft für dieses bedeutende kulturpolitische Instrument Staatsoper nur in der Abkoppelung von der gegenwärtigen Trägerschaft durch das Land Berlin liegen, das damit schon jetzt überfordert ist. Was in Oppositionszeiten richtig ist, kann doch in Regierungszeiten nicht ganz falsch sein. ({1}) Heute, drei Jahre später, sind wir in der Frage der Staatsoper und der Hauptstadtkulturförderung insgesamt nicht einen Schritt weitergekommen. Wie bereits damals allen Beteiligten klar war - oder sagen wir: zumindest hätte klar sein müssen -, siechen die drei Opern in dem erbarmungslosen Sparmodell der Opernstiftung weiter finanziell vor sich hin. Die Zukunft der Opernstiftung - dies wurde auch Michael Schindhelm klar, der die Flucht ergriff - ist nicht das, was man gemeinhin unter Zukunft versteht. Die Opernstiftung war von vornherein eine gigantische Selbsttäuschung, gegründet auf einem sumpfigen Boden, und zwar schon deshalb, weil die Übernahme der Kosten für die Sanierung der Staatsoper in Höhe von mindestens 130 Millionen Euro völlig ausgeklammert worden war. ({2}) Die Frage der Staatsoper ist aber nur ein Symptom einer viel umfassenderen Frage: Wofür und nach welchen Kriterien trägt eigentlich der Bund bei der Kulturförderung in der Bundeshauptstadt Berlin Verantwortung? ({3}) Wir hätten viele der Probleme, mit denen wir uns immer noch beschäftigen müssen, nicht, wenn es bereits 2003 eine umfassende parlamentarische Diskussion und Verständigung gegeben hätte. Heute rächt es sich, dass der Ende 2003 mit heißer Nadel gestrickte Hauptstadtkulturvertrag in Hinterzimmern an den Parlamenten von Berlin und Bund vorbeigemogelt wurde. ({4}) Aber es gibt Hoffnung. Ich bin zuversichtlich, dass die Hauptstadtkulturdebatte im Jahre 2007 anders verlaufen wird; denn der heutige Kulturstaatsminister Bernd Neumann ({5}) - ein guter Mann; auch von dieser Stelle beste Genesungswünsche - zählte 2003 zu den Initiatoren eines gemeinsamen Antrages von Union und FDP, ({6}) dessen zentrale Forderung lautet - Herr Börnsen, bitte hören Sie jetzt zu! -, dass der Hauptstadtkulturvertrag als eine „für das Verhältnis des Gesamtstaates zu seiner Hauptstadt wesentliche Entscheidung in Form eines Staatsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Berlin“ geschlossen werde und auch die Parlamente daran zu beteiligen seien. ({7}) Hans-Joachim Otto ({8}) Lieber Herr Börnsen, was in Oppositionszeiten richtig war, braucht doch in Regierungszeiten nicht ganz falsch zu sein. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube - und hiermit komme ich zum Ende -, dass es in den Reihen des Deutschen Bundestages - ich will das betonen - eine große Sympathie und ein großes Verständnis für das kulturpolitische Engagement des Bundes in Berlin gibt. Uns allen ist doch klar, dass Berlin als Hauptstadt in besonderer Weise eine Bühne zur Präsentation Deutschlands in der Welt ist. Aber ich weiß - jeder Kollege wird dies, wenn er ehrlich ist, bestätigen können -, dass die Hauptstadtkulturförderung nur dann in den Wahlkreisen zu vermitteln ist, wenn sie nach überzeugenden Kriterien und in einem transparenten Verfahren erfolgt. Der Bund muss daher das Heft des Handelns jetzt selbst in die Hand nehmen und in einem grundlegenden öffentlichen und parlamentarischen Diskussionsprozess klären, was Hauptstadtkultur ist und was nicht. ({10}) Die ohnedies anstehenden Beratungen darüber, wie die Hauptstadtklausel des neuen Grundgesetzartikels 22 Abs. 1 ausgefüllt werden kann, bieten einen willkommenen Anlass, auch den Hauptstadtkulturvertrag grundlegend neu zu verhandeln. Dabei ist - das sage ich schon einmal vorsichtig - auch die Übernahme der Staatsoper in die Obhut des Bundes denkbar. Angesichts der Tatsache allerdings, dass bereits jetzt mehr Bundesgeld in die Berliner Kultur fließt, als die Berliner selbst dafür bereitstellen, kann eine Übernahme der Staatsoper nur dann erfolgen, wenn der Bund im Gegenzug bisher von ihm finanzierte, aber nicht zwingend in seinen Kompetenzbereich fallende andere Institutionen in die Obhut des Landes Berlin zurückgibt. Ich will hier keine Beispiele nennen; aber warum die Berliner Festspiele - um nur einen Punkt aufzugreifen - in der Obhut des Bundes sind, konnte mir noch niemand erklären. Wie auch immer geartete Beteiligungsvarianten - das sage ich schon jetzt; denn ich vermute, dass ähnliche Dinge vorgeschlagen werden - würden der Systematik, der Transparenz und der Klärung von Verantwortlichkeiten zuwiderlaufen und das Siechen der Opernstiftung nur verlängern. Die Hauptstadtkulturförderung braucht klare Verhältnisse und klare Zuständigkeiten. Sie braucht einen politisch legitimierten und von den Parlamenten verabschiedeten Staatsvertrag. Ich bitte deshalb um wohlwollende Beratung in den zuständigen Ausschüssen. Vielen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Dorothee Bär. ({0})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute zu einem Antrag der FDP-Fraktion, der sich explizit mit Berliner Opernhäusern und nicht mit Frankfurter Opernhäusern beschäftigt, Herr Kollege Otto. ({0}) - Wunderbar! Herr Otto, sprechen wir deutlich aus, was Sie hier fordern: Sie wollen, dass der Bund die Staatsoper übernimmt und dafür andere Einrichtungen abgibt. Mit Ihrem Antrag schaden Sie Berlin mehr, als Sie der Stadt helfen können. ({1}) - Auf Frau Merkel komme ich nachher noch zu sprechen. Das wird Ihnen aber nicht gefallen. ({2}) Bei einer grundsätzlichen Neuverhandlung des Hauptstadtkulturvertrages stünde dessen gesamte Finanzierung auf dem Prüfstand. Dann würden Einrichtungen wie der durch den Bund geförderte Hamburger Bahnhof eventuell an das Land Berlin zurückgehen. Eine Übernahme der Staatsoper Unter den Linden ist seit der Verabschiedung des Hauptstadtkulturvertrages endgültig vom Tisch. Ich finde es sehr schofelig von Ihnen, Frau Merkel in diesem Zusammenhang zu zitieren. Sie hat die Aussage, die Sie vorhin zitiert haben, vor Gründung der Opernstiftung gemacht. Im Wahlkampf hat sie ganz explizit gesagt: Stiftungen nimmt man nicht einfach so zurück. Wenn Sie Frau Merkel zitieren, dann sollten Sie sie vollständig zitieren. ({3}) Der Erhalt der drei Opernhäuser in Berlin durch das Land war die Bedingung für eine Übernahme der Akademie der Künste und der Stiftung Deutsche Kinemathek durch den Bund. Darüber hinaus fällt die Finanzierung eines Repertoiretheaters nicht in die Kompetenz des Bundes. Deswegen appelliere ich an dieser Stelle an Sie, den bestehenden Hauptstadtkulturvertrag zu akzeptieren und auf dieser Grundlage von der Berliner Landesregierung endlich die Leistungen einzufordern, die das Land Berlin zu erbringen hat. Die Bundesregierung lässt Berlin mit der Sanierung der Staatsoper nicht im Stich. Der Bund hat freiwillig und aus eigenem Antrieb - das ist Bernd Neumann und der Bundeskanzlerin mit zu verdanken - einen Zuschuss zur Sanierung der Staatsoper in Höhe von 50 Millionen Euro beschlossen und veranschlagt. ({4}) Der Verein der Freunde und Förderer der Staatsoper Unter den Linden, dessen Ehrenvorsitzender HansDietrich Genscher ist, hat 30 Millionen Euro für die Gebäudesanierung zugesagt. Beide warten nur noch darauf, dass auch Herr Wowereit seinen Teil der Abmachung erfüllt und ebenfalls 50 Millionen Euro im Land Berlin investiert. Aber nicht einmal dazu scheint er bereit zu sein. ({5}) Die FDP will bundesgeförderte Kultureinrichtungen in die finanzielle Verantwortung des Landes Berlin zurückgeben. So soll die Übernahme der Staatsoper Unter den Linden durch den Bund finanziert werden. Herr Otto, wieso soll die Bundesregierung anderen Einrichtungen effektive finanzielle Zuwendungen streichen, wenn der Berliner Senat seinen Teil der Abmachung nicht einhält? Herr Otto, Ihr Ehrenvorsitzender jedenfalls hat keine Probleme mit dem Hauptstadtkulturvertrag. ({6}) Hans-Dietrich Genscher ist nicht nur Ehrenvorsitzender Ihrer Partei, er hat auch den Ehrenvorsitz des Vereins der Freunde und Förderer der Staatsoper Unter den Linden übernommen. Sie sehen, dass die Sanierung der Staatsoper auf den Weg gebracht ist. Der Bund hat seine Leistungen in Bezug auf die Staatsoper zugesagt. Wir warten jetzt nur noch auf den rot-roten Senat. Sehr ernst scheint es dem Berliner Senat mit der Kulturförderung allerdings nicht zu sein. ({7}) Nur 1,8 Prozent des Berliner Haushalts fließen in den kulturellen Bereich, Herr Kollege Schulz. Angesichts der enormen Bedeutung der Kultur für Berlin muss da auch Raum für die drei bestehenden Opernhäuser sein. Man müsste nur wollen. Es besteht kein Zweifel: Berlin genießt einen kulturellen Sonderstatus, der den Bund mit in die Verantwortung zieht. Die Stadt ist ein Symbol der Erinnerung an die jahrzehntelange Spaltung der Welt in Freiheit und Unfreiheit. Die Pflege dieses kulturellen Sonderstatus ist eine große Herausforderung, der man sich verantwortungsvoll annehmen muss. Der Bund hat sich dieser Verantwortung mit dem Hauptstadtkulturvertrag gestellt. Der Bund fördert die Kultur der Bundeshauptstadt jährlich mit mehr als 420 Millionen Euro. Der Stadt Berlin ist ihre Kultur hingegen nur 350 Millionen Euro wert. Die Kultur in der Hauptstadt wird somit zu über 50 Prozent durch Bundesmittel finanziert. Der Berliner Senat ist bei keinem anderen Ressort geiziger als bei der Kultur. Gleichzeitig wird der Regierende Bürgermeister, Klaus Wowereit, nicht müde, seinen Blick in die Berliner Kassen mit dem Slogan „Wir sind arm, aber sexy“ zu kommentieren. ({8}) Die jüngste Degradierung der Kultur auf ein Staatssekretärsamt durch Herrn Wowereit entlarvt ihn als einen Verräter Berlins als Kulturhauptstadt der Bundesrepublik. ({9}) - Wer schreit, hat Unrecht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dieses Verhalten zeigt auch, wie wenig der Regierende Bürgermeister sein oft zitiertes eigenes Bonmot verstanden hat. Hat sich denn Herr Wowereit je gefragt, warum Berlin zwar nicht reich, aber immerhin sexy ist? Die Kultur macht Berlin sexy, Herr Wowereit. Die Kultur macht die Anziehungskraft unserer Hauptstadt aus. Die Kultur lockt die zahlreichen Touristen in die Stadt, die dann die Abendkassen der Theater, Kinos und Opernhäuser füllen. Deshalb kann uns allen die Kultur nicht genug wert sein, gerade Ihnen - ich hoffe, er hört zu und schämt sich -, Herr Wowereit. ({10}) Der Bund und das Land Berlin müssen daher eine Antwort auf die Frage der finanziellen Verantwortung finden. Besonders das Land Berlin - ich freue mich darüber, dass so viele Berliner Kollegen anwesend sind darf sich nicht aus seiner Verantwortung stehlen. ({11}) Allein der Sonderstatus entbindet die Berliner Landesregierung nicht von ihrer politischen Verantwortung, die sie der Stadt, den Bürgern und nicht zuletzt dem Bund schuldet. ({12}) Deshalb, lieber Herr Kollege Wowereit vor dem Fernsehbildschirm da draußen, ({13}) fragen Sie sich nicht nur, was der Bund für Sie tun kann, fragen Sie auch, was Sie für den Bund tun können und müssen! ({14}) Deshalb fordere ich Sie auf: Unterlassen Sie Ihre unerschöpflichen Forderungen an den Bund! Es ist die gemeinsame Pflicht des Landes Berlin und des Bundes, zum Erhalt und zur Förderung der Kultur beizutragen. Zu diesem Zweck brauchen wir eine transparente und strukturierte Finanzierung. ({15}) Die Verantwortlichkeiten müssen klar geregelt werden, auch um der stetig wachsenden Anspruchshaltung des Landes Berlin Einhalt zu gebieten. Deswegen ist der Hauptstadtkulturvertrag das richtige Mittel. Die Entscheidungen, die darin getroffen wurden, binden beide Seiten, Berlin und den Bund. Nun ist es lediglich notwendig, dass Berlin seine Aufgaben erfüllt. Dann steht einer Sanierung der Staatsoper nichts mehr im Wege. Es geht uns allen darum, Herr Otto, dass dieses einmalige Haus erhalten bleiben kann. ({16}) Lassen Sie uns nicht länger darum herumreden, sondern gemeinsam handeln. Alle sollten einen Beitrag dazu leisten, dass Berlin in Zukunft nicht nur sexy ist, sondern auch wieder reich werden kann. Wir alle sollten unsere Berliner Kollegen darin unterstützen, dass wesentlich mehr für die Kultur getan wird und dass alle drei Opernhäuser erhalten bleiben. Vielen Dank. ({17})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat bekanntlich am 19. Oktober des vergangenen Jahres die Auffassung vertreten, dass Berlin für Wissenschaft und Kultur immer noch zu viel Geld ausgebe. Diese Aussage konnte bei vielen Menschen nur Kopfschütteln hervorrufen. Denn jeder weiß, dass die Zukunft Berlins nur gesichert werden kann, wenn die Stärken der Stadt - Wissenschaft und Kultur - weiter gefördert werden. Das haben leider weder die Verfassungsrichter noch die FDP noch meine Vorrednerin verstanden. Das ist sehr bedauerlich. ({0}) Im vorliegenden Antrag der Liberalen wird verlangt, dass der Bund Institutionen, die er bereits von Berlin übernommen hat, an Berlin zurückgibt und dafür die Staatsoper von Berlin übernimmt. Die FDP, die angeblich alles immer unbürokratischer machen will, möchte gern die ganze Kulturförderung in Berlin umstrukturieren. Sie möchte Zuständigkeiten ändern und Verwirrung stiften mit dem Ziel, dass sich inhaltlich nichts, aber auch gar nichts ändert. Auf diese Weise hält man die Bürokratie in ständiger Aufregung, ohne dass etwas für die Kulturlandschaft oder die Künstler getan wird. ({1}) Meine Damen und Herren von der FDP, es würde mich gar nicht wundern, wenn der nächste Antrag von Ihrer Fraktion von der Bundesregierung fordert, die Finanzierung der ersten Geige in der Staatsoper zu übernehmen unter der Bedingung, dass Berlin die Finanzierung der Posaunen und Hörner übernimmt. Ein solch unsinniges Zuständigkeitskarussell werden wir nicht mit in Gang setzen. Das lehnen wir ab. ({2}) Die Antragsteller fordern unter anderem, den Hauptstadtkulturfonds vom Bund auf Berlin zurückzuverlagern, und erwarten von Berlin eine Garantie, diese Einrichtungen weiter zu fördern. Das ist natürlich - das wissen Sie selbst - ein nicht auflösbarer Widerspruch. Sie können nicht einerseits das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bejubeln, von Berlin den Abbau weiterer Schulden verlangen, und gleichzeitig von Berlin verlangen, mehr Geld für Kultur auszugeben. Wie soll das zusammengehen? Der alte Adam Riese hätte damit seine Schwierigkeiten! ({3}) - Wohnungen verkaufen ist eine schlechte Idee. Deshalb haben wir uns in der rot-roten Koalition in Berlin geeinigt, keinen kommunalen Wohnungsbestand zu verkaufen; das kann ich hier noch einmal in aller Deutlichkeit sagen. ({4}) Wir Berlinerinnen und Berliner wollen die Opernstiftung zum Erfolg führen und damit die drei Opern und das Staatsballett erhalten. Klaus Wowereit hat doch recht, wenn er vom Bund die Übernahme der Staatsoper fordert. Denn wenn wir nur ein bisschen an die Geschichte denken, müssen wir doch feststellen: Es war offenkundig ein Fehler im sogenannten Einigungsvertrag, die ehemals preußische und in der DDR ebenfalls vom Staat finanzierte Staatsoper auf das Land Berlin zu übertragen. Dieser Fehler sollte korrigiert werden! ({5}) Die Sanierung der Staatsoper darf nicht länger aufgeschoben werden, wir brauchen für den Haushalt 2008 eine gesicherte Finanzierung. Die FDP fordert in ihrem Antrag, die Hauptstadtkulturfinanzierung durch einen Staatsvertrag zu regeln. Ich will daran erinnern, dass es in der Berlinklausel im Grundgesetz heißt - ich zitiere -: Die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland ist Berlin. Die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt ist Aufgabe des Bundes. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt. Ich denke, das sollten wir machen - und keinen neuen Staatsvertrag. Den Unterschied zwischen Bundesgesetz und Staatsvertrag können Sie ja einmal in Ihrer Fraktion diskutieren. Wir als Linke werden diesen Antrag ablehnen, weil er eben nicht auf die Stärkung der Kultur in Berlin gerichtet ist. Ihre Absicht ist vielmehr, die Kulturlandschaft Berlins zu destabilisieren. Denn es ist doch wohl kein Zufall, dass ausgerechnet der Landesvorsitzende der FDP Berlin, der Bundestagsabgeordnete Löning, und auch der zweite Berliner FDP-Abgeordnete diesen Antrag nicht unterschrieben haben - weil sie erkannt haben, dass er kontraproduktiv ist. ({6}) Wir als Linke werden in Abstimmung mit den Berliner Künstlern und Berliner Kulturpolitikern einen Antrag in den Bundestag einbringen, der es dem Bund ermöglicht, seine Aufgabe, die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt, tatsächlich zu erfüllen. Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Thierse.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der FDP-Antrag ist Anlass, wieder einmal über Hauptstadtkultur zu diskutieren, ist Anlass, uns des - bei allem Streit im Detail - doch breiten überparteilichen Konsenses zu versichern, der im Bundestag bei diesem Thema immer gegolten hat; dabei soll es bleiben. Wie andere Hauptstädte muss sich auch die deutsche Hauptstadt wesentlich über ihre Kultur definieren. Der Blick auf andere europäische Metropolen zeigt, dass sie ihre Bedeutung, ihre Ausstrahlung aus der historisch gewachsenen Vitalität und Lebendigkeit ihres kulturellen Lebens gewinnen. Neben ihrer Funktion als politisches Dienstleistungszentrum sind sie Forum der Kultur des ganzen Landes - auch und gerade weil Kultur in den Globalisierungsprozessen, in der globalisierten Welt in besonderem Maße ein Faktor von Identifikation, von Beheimatung geworden ist. Dies muss auch für Berlin gelten. Das begründet fundamental die Verantwortung des Gesamtstaates für die Kultur in Berlin. ({0}) Nun kennt das föderale Deutschland - ich weiß es keine Kulturhauptstadt wie etwa Paris es ist. Berlin kann keine kulturelle Definitionsmacht, kann kein Monopol beanspruchen, gewiss. Aber kulturelle Impulse, Signale können von der Hauptstadtkultur in die Länder, in die Regionen, in die Städte Deutschlands ausgehen. Hier kann deutsche Kultur sich in besonders wahrnehmbarer Weise der Welt zeigen. In Berlin können und sollen sich die regionale kulturelle Vielfalt und der kulturelle Reichtum Deutschlands zeigen. Wenn Berlin, wie wir alle immer wieder sagen, der Ort der Repräsentation des Gesamtstaates ist - wie es jetzt in Art. 22 des Grundgesetzes heißt -, dann ist die hauptstädtische Kultur auch und ganz wesentlich eine Angelegenheit der Länder. Sie sollten deshalb Kulturförderung in und für Berlin nicht misstrauisch betrachten und beinahe als Bedrohung empfinden, sondern als Chance: Berlin als kulturelles Schaufenster des deutschen Föderalismus, des demokratischen und sozialen Bundesstaates. Darum geht es. ({1}) Das begründet die gemeinsame kulturpolitische Verantwortung der Stadt Berlin, der deutschen Länder und des Bundes für die hauptstädtische Kultur. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit ihrem Schwerpunkt Berlin ist übrigens ein Beispiel des gelingenden kooperativen Föderalismus im Bereich der Kultur, wobei gewiss der Bund die finanzielle Hauptlast trägt. Der Hauptstadtkulturvertrag schließlich ist ein besonders wichtiges Instrument der Kulturförderung Berlins durch den Bund. Der ab 1. Januar 2004 in Kraft gesetzte Vertrag ist unbefristet gültig. Trotzdem, liebe Kollegen von der FDP, halte ich es für angemessen - insofern stimmen wir der Intention Ihres Antrags zu -, über alle Fragen der Bundeskulturförderung für Berlin zu diskutieren und so viel Transparenz wie möglich zu schaffen. Aber es ist, denke ich, ohnehin unsere ständige Aufgabe als Kulturpolitiker, darüber zu diskutieren und Transparenz herzustellen. ({2}) Das verlangt auch die neue Berlinklausel in Art. 22 des Grundgesetzes, auf die Sie in Ihrem Antrag zu Recht hinweisen. Im Gespräch zwischen Bundestag, Bundesregierung und dem Land Berlin muss geklärt werden, was in einem Bundesgesetz, von dem in Art. 22 des Grundgesetzes die Rede ist, unter Bundesaufgaben verstanden und was - neben den berühmten Sicherheitsfragen, über die gelegentlich auch gestritten wird - überhaupt geregelt werden kann und muss. Es muss geklärt werden, was vertraglich - in einem Staatsvertrag oder in einem verlängerten oder neuen Hauptstadtkulturvertrag - geregelt werden kann und muss und was etwa nur in das jeweilige Jahreshaushaltsgesetz gehört. Darüber müssen wir uns verständigen. So klar ist das nicht. Das ist längst noch nicht ausgemacht. Diese Grundfragen müssen wir klären. Um diese grundsätzliche Klärung zu erreichen, müssen wichtige Einzelfragen geklärt werden, die die Verantwortung des Bundes in Berlin sehr stark betreffen. Ich nenne nur einige: Das ist erstens die Frage nach der Zukunft der NSGedenkstätten in Berlin. Berlin hat in besonderer Weise die geschichtliche Last der NS-Vergangenheit an Gedenkstätten als Aufgabe zu tragen. Die Frage, was aus der Idee der Stiftung für diese Gedenkstätten wird, ist bisher unbeantwortet geblieben. Die rot-grüne Bundesregierung hat diese Idee vorgetragen. Wir müssen damit weiterkommen. ({3}) Die zweite Frage, die wir zu klären haben, betrifft die Zukunft der Gedenkstätten für die SED-Diktatur in Berlin in Hohenschönhausen und in der Normannenstraße. Diese Aufgabe hat nicht nur Berlin allein zu tragen und zu verantworten; der Bund muss sich beteiligen. ({4}) Die dritte Frage betrifft die Zukunft der Erinnerung an die Mauer speziell in Berlin. Alle drei Aufgaben sind wichtig. Es sind inhaltliche, erinnerungspolitische und finanzielle Aufgaben auch in der Verantwortung des Bundes. Ich komme zu einem weiteren Thema, der Zukunft des Humboldt-Forums, jenem faszinierenden Projekt, die Kulturen der Welt in der Mitte der deutschen Hauptstadt zu präsentieren. Ich freue mich sehr, dass nach einer Phase des Stillstands oder auch Stillschweigens wieder Bewegung in die Sache kommt, wenn ich den zuständigen Minister Tiefensee richtig verstanden habe. Ich sage etwas pathetisch: Es wäre eine kulturpolitische Großtat, die einer Großen Koalition würdig ist, wenn wir dieses Projekt auf den Weg bringen würden. ({5}) All das sind Aufgaben, bei deren Lösung der Bund besondere Verantwortung trägt. Erst dann kommt das Thema, das gegenwärtig öffentlich diskutiert wird und das offensichtlich Motiv des FDP-Antrags gewesen ist: die Zukunft der Berliner Opern, insbesondere der Staatsoper. ({6}) Die Situation ist kompliziert wie einfach zugleich: Berlin verträgt drei Opern auf höchstem Niveau. ({7}) Das Land Berlin kann sie auf dem bisherigen Niveau nicht alleine finanzieren. Deutschland muss ein Interesse daran haben, dass wenigstens eines der Opernhäuser auf allerhöchstem künstlerischem Niveau agiert. In der Fußballersprache, die wir uns angewöhnt haben, heißt das, dass sie in der Weltliga oder in der Champions League spielt. Das kann die Staatsoper sein, muss sie aber nicht. ({8}) Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es durchaus unterschiedliche und unterschiedlich diskutable Wege: Erstens. Der Bund übernimmt eine dem Anteil der Staatsoper in etwa entsprechende anteilige Finanzierung der Opernstiftung, deren Möglichkeiten noch lange nicht ausgereizt sind. Das ist die eine Möglichkeit. Die Zweite: Die Staatsoper wird Teil der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Dagegen gibt es allerhand Einwände, aber es ist eine der Möglichkeiten. Die Dritte: Der Bund übernimmt in einer eigenen Rechtskonstruktion, etwa einer Bundesstiftung, die Staatsoper unmittelbar, was manche als einen Sündenfall gegenüber unserem Kulturföderalismus empfinden würden. Das haben wir sonst so nicht, dass der Gesamtstaat ein Repertoiretheater übernimmt. Aber was nicht ist, kann ja werden. Ich halte das nicht für ausgeschlossen. Das ist eine der Möglichkeiten. Über diese verschiedenen Möglichkeiten - vielleicht gibt es auch noch andere Lösungen - ist zu diskutieren. In jedem Fall bleibt auch Berlin in kulturpolitischer und finanzieller Verantwortung, mindestens für das Niveau und die auskömmliche Finanzierung der beiden anderen Opern wie auch für die anderen national bedeutsamen Kulturinstitutionen. Der Vorwurf, der hier erhoben wurde und immer mitklingt, dass Berlin zu wenig für Kultur ausgebe, stimmt ja nicht. ({9}) Ich habe mir das noch einmal genau angesehen. Mit Sachsen zusammen gibt Berlin pro Einwohner das meiste für Kultur aus. ({10}) Man kann sich mehr wünschen, aber Sie kennen die finanzielle Lage Berlins und das Verfassungsgerichtsurteil. Berlin entzieht sich auch nicht seiner finanziellen Verantwortung für die Sanierung der Staatsoper - wie behauptet -, sondern ich bin sicher, Berlin steht zu seiner Verpflichtung für die mindestens 50 Millionen Euro für die Sanierung der Staatsoper. ({11}) - Wollen wir wetten? Nein, ich bin ganz sicher. Berlin darf sich auch seiner Verantwortung im Zusammenhang mit dem Humboldt-Forum nicht entziehen. Das sage ich auch ausdrücklich. ({12}) Zum Schluss: Dass der Bund fast die Hälfte seines Kulturetats für Berlin verwendet, ({13}) dass damit etwa die Hälfte der Kulturfinanzierung der Hauptstadt vom Bund getragen wird, ist gut begründet und vernünftig und zugleich für mich als Berliner Abgeordneter ein Anlass, ein Grund, ein kräftiges Dankeschön zu sagen. ({14}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben Stoff zum Diskutieren, über Aufgaben, über Probleme - ich sage es etwas pathetisch -, die uns das Glück der deutschen Einheit beschert hat. Gut so! ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Wolfgang Wieland.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte mich als Innenpolitiker gefreut, hier einmal nicht einer Debatte über Terror und Folter, sondern über die schönen Dinge des Lebens beizuwohnen. Stattdessen erlebe ich hier die Sprecherin der CDU, Frau Bär, und ihren Koalitionspartner, der von Karneval redet und richtig wütend wird. Deshalb schließe ich mich zunächst einmal dem an, was der Kollege Thierse hier gesagt hat und was auch angesichts der Lamoryanz des Landes Berlin - das muss man doch einmal sagen - gesagt werden muss. Nach dieser Verfassungsgerichtsentscheidung wurde unisono gesagt: Jetzt lässt uns der Bund im Stich, jetzt stehen wir wieder ganz allein mit dem Rücken zur Wand. ({0}) Festzuhalten ist: 425 Millionen Euro gehen im Jahr für Kulturförderung vom Bund nach Berlin. ({1}) Das ist eine Menge Moos. ({2}) Und da kann man auch vom Senat in Berlin einmal Dankbarkeit erwarten, wie Sie, Kollege Thierse, das hier geäußert haben, ({3}) und nicht immer diese Haltung: Hey Bund, ich brauch mehr Geld!, von der durchgehend hier die Rede ist. Lieber Kollege Otto, an Ihrer Initiative ist ja richtig, dass wir eine Systematisierungsdebatte darüber führen müssen, was ist nationale Kultur, was hat internationale Ausstrahlung und was ist so etwas wie kommunale kulturelle Grundversorgung. ({4}) Wir müssen sie in Berlin führen, wir müssen sie aber auch über Berlin hinaus führen. Was ist beispielsweise mit Weimar? Den Kollegen Thierse würde ich fragen: Gibt es denn nur in Berlin Gedenkstätten, die an die Opfer der NS-Zeit, an das DDR-Regime erinnern? - Nein, es gibt sie bundesweit. ({5}) - Ja, heute reden wir darüber. Aber diese Debatte muss natürlich auch für das ganze Land geführt werden. Nur dann vermeiden wir, dass die Menschen immer sagen: Alles geht nach Berlin, ihr wollt alles für Berlin haben. Deswegen bitte ich, diese Debatte breiter zu führen. ({6}) Lieber Kollege Otto, Sie haben gesagt: Wir, die FDP, wollen die Berliner Staatsoper Unter den Linden retten. Kosten darf es aber nichts. Das muss beim Hauptstadtkulturfonds, bei den Berliner Festspielen oder wo auch immer eingespart werden. - Das ist Ausdruck des alten Denkens: Auf der einen Seite ist die Hochkultur, die weiterhin gefördert werden soll. Auf der anderen Seite ist die Kiezkultur mit ihren Projekten, mit der die Berliner - weil das sowieso etwas schmuddelig ist - alleine klarkommen sollen. Völlig unverständlich wird es, wenn man weiß, dass die FDP im Berliner Abgeordnetenhaus einen fast gleichlautenden Antrag zur Staatsoper Unter den Linden eingebracht hat, in dem aber Ausführungen zur Kostenneutralität fehlen. So weit wollten Sie offenbar nicht gehen. Wer so mit zwei Zungen spricht, Kollege Otto, der macht sich von Anfang an unglaubwürdig. ({7}) Klaus Wowereit, sozusagen der regierende Kultursenator, hat sich einfach hingestellt und gesagt: Berlin gibt keinen Anteil zur Finanzierung der Staatsoper. Wir können sie auch schließen. - Das lassen wir ihm nicht durchgehen; denn das ist kein akzeptabler Standpunkt. Es muss bei der Aufteilung bleiben: 50 Millionen Euro vom Bund, 50 Millionen Euro vom Land Berlin und 30 Millionen Euro nicht aus dem Portemonnaie von Herrn Genscher, sondern von den Mäzenen, die sich zusammengeschlossen haben. Das Gleiche gilt für das Humboldt-Forum. ({8}) Man muss sagen, was man will, und darf nicht ständig motzen und die Bundesregierung gegen sich aufbringen. Wenn man etwas will, muss man ein entsprechendes Verhalten an den Tag legen. Auch dies richte ich an die Adresse von Klaus Wowereit. ({9}) Abschließend: Berlin war bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs die größte Industriestadt Europas. Davon ist wenig bis nichts übrig geblieben. Was gerettet werden konnte, ist die fantastische Kulturlandschaft. Das brauche ich Ihnen, den Anwesenden, nicht zu sagen. Ich hoffe, Sie sagen es Ihren Kolleginnen und Kollegen sowie Besuchergruppen und anderen, was man alles in Berlin kulturell erleben kann. ({10}) Nun besteht glücklicherweise die Chance - darauf hat Wolfgang Thierse bereits hingewiesen -, mit der Museumsinsel, dem Humboldt-Forum und sanierter Staatsoper das zu vollenden, was als strahlender Leuchtturm einer europäischen Kulturmetropole wirken könnte. Vertun wir diese Chance nicht, sondern nutzen wir sie! ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/3667 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b sowie den Zusatzpunkt 5 auf: 9 a Beratung des Antrags der Abgeordneten JohannHenrich Krummacher, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Swen Schulz ({0}), Jörg Tauss, René Röspel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Geistes- und Sozialwissenschaften stärken - Drucksache 16/4161 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss 9 b Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Perspektiven für die Geistes- und Sozialwissenschaften verbessern - Drucksache 16/4154 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften stärken - Drucksache 16/4153 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({4}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen Jo Krummacher für die CDU/CSU-Fraktion. ({5})

Johann Henrich Krummacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wissen, das ist die Zukunftsressource schlechthin. Wissen wird durch Wissenschaft erschaffen - dieser Konnex zwischen Sprache und Inhalt besteht nicht zufällig -, die ihrerseits wiederum auf der richtigen Wissenschaftspolitik aufbaut. Das ist der allgemeine Konsens, auf dem wir aufbauen können. Wissenschaftspolitik braucht Balance. ({0}) Der Bereich der Natur- und Technikwissenschaften hat Fahrt aufgenommen. Die jüngste Hightechstrategie ist ein hervorragendes Beispiel. Entsprechend erhalten die Geistes- und Sozialwissenschaften nun ebenfalls eine zentrale Stellung. Beides ist notwendig, ergänzt einander und garantiert die Balance. Das Motto der Hightechstrategie lautet: Ideen zünden. Mit Blick auf die Geistes- und Sozialwissenschaften würde ich dem gern - Sie gestatten das dem Theologen - das Luther-Wort voranstellen: Lasset die Geister aufeinander krachen, auf dass die Wahrheit aufblitzt. ({1}) Die Geistes- und Sozialwissenschaften liefern uns das entscheidende Instrumentarium, um uns selbst in der Welt überhaupt erst erkennen und einordnen zu können. Gerade bei den Geisteswissenschaften - der Philosophie, der Theologie, den Sprach- und Geschichtswissenschaften bis hin zu den sogenannten Orchideenfächern - ist Deutschland im internationalen Vergleich sehr leistungsfähig und hoch anerkannt. ({2}) Man könnte sagen: Auch hier ist Deutschland Exportweltmeister. Geisteswissenschaften sind in der Lage, höchst wertvolle und konkrete Erkenntnisse über geistige, soziale, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklungen, Strukturen und Prozesse zu liefern. Gleichzeitig sind sie, um bewusst literarisch zu werden, auch ein nie endender Quell der Freude. Sich das konkrete Wirken der Geisteswissenschaften vor Augen zu führen, schärft den Blick für deren Wert. Die Idee des friedlichen Zusammenlebens der europäischen Nationen ist eine Idee von Geisteswissenschaftlern, die Politik und Gesellschaft inspiriert haben. Eine der herausragenden Leistungen der Geisteswissenschaften ist die Aufarbeitung der NS-Diktatur. Die Aufarbeitung der SED-Vergangenheit wiederum ist ein konkreter aktueller Prozess, der ohne die Geisteswissenschaften kaum gelingen könnte. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie die Zwischenfrage der Kollegin Hinz zulassen?

Johann Henrich Krummacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, Kollegin Hinz, bitte schön.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, erstaunt es angesichts der Tatsache, dass Sie die Geisteswissenschaften heute Abend so herausheben und die Bundesministerin das Jahr der Geisteswissenschaften ausgerufen hat, ({0}) nicht auch Sie, dass vom Ressort nicht einmal ein Parlamentarischer Staatssekretär anwesend ist, um diese wichtige Debatte zu verfolgen und um deutlich zu machen, wie bedeutend die Sozial- und Geisteswissenschaften in unserem Land sind? ({1})

Johann Henrich Krummacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Hinz, ich danke Ihnen für die Frage. Sowohl die Ministerin als auch die Staatssekretäre sind wegen der Geisteswissenschaften unterwegs. Wir haben uns verabredet, arbeitsteilig vorzugehen. ({0}) - Da kommt er. ({1}) - Er ist da. ({2}) Die Geisteswissenschaften stellen so etwas wie einen Generalschlüssel dar, um Zugang zu elementaren Problemlösungen zu erlangen. Umso mehr freut es mich, dass mit dem hier vorliegenden gemeinsamen Antrag von Union und SPD nicht nur die Leistungen der Geistes- und Sozialwissenschaften verdeutlicht, sondern auch die bestehenden Herausforderungen skizziert sowie - basierend auf den Untersuchungen des Wissenschaftsrates und anderer Organisationen und Einrichtungen - konkrete Lösungsund Weiterentwicklungsansätze beschrieben werden. Das Ziel ist, die geistes- und sozialwissenschaftliche Infrastruktur zu stärken, die richtigen förderpolitischen Maßnahmen zu ergreifen und das öffentliche Bewusstsein sowie die öffentliche Wahrnehmung für die große Bedeutung der Geistes- und Sozialwissenschaften zu sensibilisieren. ({3}) Noch erfreulicher ist, dass wir gemeinsam mit der Bundesregierung bereits die Weichen gestellt haben. Das Jahr der Geisteswissenschaften ist eingeleitet und bietet ein großes öffentliches Forum zur Präsentation geistesund sozialwissenschaftlicher Leistungsfähigkeit. Gleichzeitig eröffnet das Jahr der Geisteswissenschaften auch konkrete und neue Förderinstrumente. Dazu gehört die Steigerung der Ausgaben für Geistes- und Sozialwissenschaften im Haushalt 2007, und dazu gehört die Förderinitiative „Freiraum für geisteswissenschaftliche Forschung“ mit ihrem Kernelement, den internationalen Forschungskollegs. Ein bis zwei herausragende Forscherpersönlichkeiten können bis zu zehn weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einladen und so eine höchst effektive Forschungseinheit bilden. Dazu gehört auch die europäische Ebene. Nicht zuletzt auf deutsche Initiative hin wurden im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm erstmals geisteswissenschaftliche Themen explizit ausgeschrieben. Für die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften stehen nun insgesamt 623 Millionen Euro bereit. In den Förderrichtlinien des Bundesministeriums „Geisteswissenschaften im gesellschaftlichen Dialog“ wurden beim Förderschwerpunkt „Europa - Kulturelle und soziale Bestimmungen Europas und des Europäischen“ aufgrund des großen Zuspruchs aus der Wissenschaft Nachwuchsgruppen aufgebaut, um jüngere deutsche Geisteswissenschaftler auf die europäische Zusammenarbeit vorzubereiten. Dies unterstreicht: Es ist wichtig, dass die Geisteswissenschaften ihren Blick auch nach Europa richten. Es zeigt aber auch, dass die Bundesregierung einen zuverlässigen Beitrag zur Stärkung der Geistes- und Sozialwissenschaften leistet. Auch persönlich weiß ich das Anliegen und die Bedeutung der Geistes- und Sozialwissenschaften bei Dr. Annette Schavan in guten, sachkundigen und verlässlichen Händen. ({4}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Manfred Rommel, der hochgeschätzte und langjährige Oberbürgermeister meines Wahlkreises Stuttgart, hat einmal scherzhaft gedichtet: Oh Mensch, Du sollst - mag es Dir glücken rückwärts schauend vorwärts blicken! Manfred Rommel weist darauf hin, dass dies anatomisch kaum möglich ist. Aber im übertragenen Sinn ist genau das nicht nur sehr wohl möglich, sondern auch notwendig. Die Geisteswissenschaften sind der Schlüssel, um mit den Nachwirkungen der Vergangenheit umzugehen, die Probleme der Gegenwart zu beheben und uns damit auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, im großen Prozess der Evolution hat die Natur Wesen entstehen lassen - nämlich uns Menschen -, die so ausgestattet sind, dass sie nicht nur ihre Naturbestimmung erfüllen, sondern wissen wollen. Dieses „wissen wollen“ ist geradezu ein Teil der menschlichen Naturbestimmung. Der Heidelberger Philosoph Hans-Georg Gadamer hat stets darauf hingewiesen, dass es die Vorgegebenheit der menschlichen Natur in ihrer Fragelust und in ihrer Wissensfähigkeit ist, die der modernen Wissenschaftsgesinnung - auch der Naturwissenschaftsgesinnung - ebenso zugrunde liegt wie den religiösen Vorstellungen, den Rechtsordnungen, den Sittenordnungen, den Wirtschaftsformen und sogar den Friedensordnungen, die die Menschen entwickelt haben. Der vorliegende gemeinsame Antrag von Union und SPD verdeutlicht die fundamentale Bedeutung der Geistesund Sozialwissenschaften. Basierend auf den Empfehlungen des Wissenschaftsrats markiert er den forschungspolitischen Weg, das Denken in Deutschland in seiner geisteswissenschaftlichen Urform stark und wach zu halten. Durch die bereits eingeleiteten Maßnahmen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter Dr. Annette Schavan sind wir auf dem allerbesten Weg, den Forschungsstandort Deutschland insgesamt zu stärken. Gerade die technologisierte Informationsgesellschaft braucht Wissende und Wertende - Menschen mit Leidenschaft fürs Denken. Darum bitte ich um eine breite Zustimmung. Danke. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächster hat Patrick Meinhardt das Wort für die FDP-Fraktion.

Patrick Meinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003807, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir erlebten in der vergangenen Woche eine würdige Auftaktveranstaltung für das Wissenschaftsjahr 2007. Das Motto „Die Geisteswissenschaften. ABC der Menschheit“ ist gut gewählt. Oder um es mit Wilhelm Busch zu sagen: Nicht allein das Abc Bringt den Menschen in die Höh’; Nicht allein in Schreiben, Lesen Übt sich ein vernünftig Wesen; … Sondern auch der Weisheit Lehren Muß man mit Vergnügen hören. ({0}) Das Jahr der Geisteswissenschaften, Kollege Tauss, soll auch ein Zeichen gegen den Zeitgeist setzen. Der Werbebotschaft „Geiz ist geil“ einer nicht ganz unbekannten Firmengruppe setzen wir mit diesem Jahr den Slogan „Geist ist geil“ entgegen. Geisteswissenschaften einerseits und Natur- und Ingenieurwissenschaften andererseits sind zwei Seiten einund derselben Medaille. In einer Welt, in der mit dem Maß vermeintlich profitschaffender Naturwissenschaften gemessen wird, hören wir oft, dass die Geisteswissenschaften keinen gleichwertigen Beitrag leisten. Genau dieser von Grund auf falschen Ansicht soll dieses Wissenschaftsjahr entgegentreten. ({1}) Die Geisteswissenschaften waren und sind für jedes funktionierende Gemeinwesen unabdingbar. Von Thales über Pythagoras bis zu Kant interessieren sich auch die Mathematik und die Naturwissenschaften für die Geisteswissenschaften. „Natur braucht Geist“ titelte gestern sehr richtig die „Rheinische Post“. ({2}) Zum Menschen, also zur Humanität, gehört eben die nutzenfreie Wissbegier. Nutzlos sind Neugierde und Wissbegier im Zeitalter der Globalisierung, der Ökonomisierung und der Wissensgesellschaft ganz sicher nicht. Das Zeitalter der Globalisierung verlangt nicht weniger, sondern mehr an Geisteswissenschaft. ({3}) Erlauben Sie mir, einen Aspekt der philologischen Dimension solch einer humanistischen Bildung herauszugreifen. Die 740 000 Latein- und 15 000 Altgriechischschüler in Deutschland - ihre Zahl nimmt wieder stetig zu - lehren uns eines: Weder Latein noch Altgriechisch sind tote Sprachen. Das Gegenteil ist der Fall: Wer Latein und Altgriechisch kann, setzt sich mit Fragen der Geisteshaltung, der Ethik, der Philosophie und damit auch der Lebensführung intensiver auseinander. ({4}) Latein und Altgriechisch schulen den Geist, schärfen den Verstand und sensibilisieren für den bewussten Umgang mit den kulturellen Traditionen. Deshalb sollten wir das Jahr 2007 als Jahr der Geisteswissenschaften auch aktiv dafür nutzen, für die humanistische Bildung und das Erlernen von Latein und Altgriechisch zu werben. ({5}) Viele Naturwissenschaftler sind deswegen so gute Forscher, weil sie eine humanistische Bildung genossen haben. Das Jahr der Geisteswissenschaften muss deswegen ein Jahr der humanistischen Bildung sein. ({6}) Die Literaturwissenschaften beginnen in der Regel mit einer Art geistiger Wahrnehmung, nämlich mit der Fähigkeit, selbst komplexe Texte zu lesen. Vor dem Hintergrund der PISA-Ergebnisse frage ich mich: Was haben wir falsch gemacht, dass so viele junge Menschen in Deutschland hierzu heutzutage nicht in der Lage sind? Umso mehr muss die Vermittlung von Sprachkompetenz im Zentrum des Wissenschaftsjahres stehen. Das Jahr der Geisteswissenschaften muss deswegen auch ein Jahr der frühkindlichen Bildung sein. Nicht zu unterschätzen ist die Rolle der kulturellen Infrastruktur eines Landes. Dank ihrer Museen, Theater, Musik und Vortragskultur blühen in Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, eine Reihe von Metropolen auf, was ohne die Kulturwissenschaften so sicherlich nicht denkbar wäre. Nicht grundlos hat die Stadt Dresden nach dem Fall der Mauer eine Renaissance erlebt und sich zum Zentrum der Wirtschaft und der Wissenschaften in Sachsen und auch in Deutschland entwickelt. Es geht in diesem Jahr um Freiheit und Verantwortung in der Wissenschaft, der wir Liberale uns besonders verpflichtet fühlen. Es geht in diesem Jahr um Freiheit und Verantwortung in unserer Gesellschaft, die sich konkret erweisen muss. Außerdem geht es in diesem Jahr um Freiheit und Verantwortung im Leben eines jeden Einzelnen von uns. Das Jahr der Geisteswissenschaften ist deswegen sicherlich auch ein Jahr der Freiheit. ({7}) Konkrete Vorschläge zur Sicherung und zum Ausbau der Geistes-, Sozial- und eben auch der Kulturwissenschaften hat die FDP-Fraktion vorgelegt. Der Antrag der Koalitionsfraktionen zeigt uns Liberalen, dass wir in der Ziel- und in der Wegbeschreibung nicht weit auseinanderliegen. ({8}) Ein Jahr der Geisteswissenschaften kann nicht schwarz, rot, grün oder gelb sein. Deswegen halten wir als FDP es für sinnvoll, hier und heute über unsere Anträge zu debattieren; aber wir halten es nicht für sinnvoll, mit unterschiedlichen Anträgen das Jahr der Geisteswissenschaften zu eröffnen. Ein gutes Zeichen des richtigen Geistes ist es jetzt, einen gemeinsamen Antrag zu formulieren. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Swen Schulz spricht jetzt für die SPD-Fraktion.

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Geistes- und Sozialwissenschaften befinden sich seit einiger Zeit in einer Art Legitimationskrise; jedenfalls wird viel darüber berichtet. Wenn man die Menschen heute fragt, wozu wir eigentlich Forschung benötigen, dann wird die große Mehrheit sicherlich Themen wie die Bekämpfung von Krankheiten oder technologische Errungenschaften nennen, durch die das Leben erleichtert wird und Arbeitsplätze geschaffen werden. Wenn man selbstkritisch den Umgang der Politik mit dieser Frage betrachtet, fällt auf: Immer wieder begründen wir zusätzliche Ausgaben für die Wissenschaft mit ihrer ökonomischen Bedeutung. Dann sprechen wir von der Bio- und Nanotechnologie, von Medizin, Gentechnik usw. ({0}) Lieber Herr Tauss, Finanz- und Wissenschaftsminister der Länder kommen auf die Idee, die angeblich lukrativen Wissenschaften fördern zu wollen, da sie bestimmt bald zu Wachstum und Arbeitsplätzen in ihrer Region beitragen. Das alles ist gut und richtig. Wer das aber zulasten der Geistes- und Sozialwissenschaften macht und die Universitäten auf ingenieurs- und naturwissenschaftliche Wirtschaftswachstumsagenturen reduziert, der begeht einen schweren Fehler. ({1}) Tatsächlich sind auch die Geistes- und Sozialwissenschaften von großer ökonomischer Bedeutung. Ganze Wirtschaftszweige leben vom Input dieser Disziplinen. Das gilt zum Beispiel für den riesigen Medienbereich. Unternehmen stellen Künstler, Kulturwissenschaftler, Germanisten und Sinologen ein, um ihr Geschäft voranzutreiben. Auch eine Technologiefirma benötigt mehr als nur eine Erfindung. Sie muss gesellschaftliche Zusammenhänge beachten und braucht die Bereiche Design, Öffentlichkeitsarbeit und Werbung. ({2}) Für die Ausbildung der dafür kompetenten Leute benötigt man die Geistes- und Sozialwissenschaften. Ohne sie kann man ganz tolle Patente entwickeln, anmelden und sie sich zu Hause an die Wand hängen. Aber das war dann auch alles; denn daraus entsteht kein Geschäft. Swen Schulz ({3}) Doch bei den Geistes- und Sozialwissenschaften geht es um mehr. Es geht vor allem darum, gesellschaftliche Innovationen zu schaffen. Welche Technologien benötigen wir? Wie setzen wir sie ein? Welche Chancen und welche Risiken bestehen? Das sind die zentralen Fragen. Für die Lösung großer gesellschaftlicher Probleme benötigen wir mehr als Technologien. Damit nicht der Eindruck entsteht, als würde in dieser Frage immer pro domo gesprochen, will ich den Biochemiker Ernst-Ludwig Winnacker zitieren, der gefragt wurde, ob die Wissenschaft zur Lösung der Menschheitsprobleme beitragen kann und, wenn ja, wo und wie. Er antwortete mit Bezug auf die demografische Entwicklung: Die entscheidende Frage ist doch, wie wir die Lebensqualität im Alter sichern und verbessern können. Das ist zunächst ein medizinisches Problem. Aber das ist längst noch nicht alles. Altern bedeutet zum Glück ja nicht nur Krankheit. Wir müssen neue Formen des Zusammenlebens suchen und finden, räumlich und sozial. Hier sind die Soziologen und die Philosophen gefragt, aber genauso die Architekten und die Städteplaner. Hier entsteht ein neues Thema für die Wissenschaft als Ganzes, das gerade erst von uns entdeckt wird. ({4}) Ich finde, das hört sich nicht nach einer Krise, sondern vielmehr nach einem Aufbruch zu neuen Ufern an. Hier im Bundestag sollten wir den dafür notwendigen Rückenwind organisieren. ({5}) Die Geistes- und Sozialwissenschaften sind also nützlich. Doch wir müssen aufpassen, welche Begründung wir für die Förderung der Wissenschaft anführen. Es darf nicht ausschließlich um ihren offensichtlichen Nutzen gehen. Denn dann laufen wir Gefahr, die Förderung von gesellschaftlichen Schwankungen abhängig zu machen. Wenn sich der erhoffte Erfolg nicht schnell einstellt, verliert man die Geduld. Schnell ist ein anderes Thema en vogue. So kann eine wissenschaftsfremde Kurzatmigkeit entstehen. Ein anderes Beispiel ist die Bildungsforschung. Bis zur PISA-Studie hat sich kaum ein Mensch dafür interessiert. Heute können wir alle nicht genug von Langzeitstudien und exzellenten Bildungsforschern bekommen. Das hat allerdings Jahrzehnte wissenschaftlicher Arbeit zur Voraussetzung. Ganz ähnlich ist es auch der Islamwissenschaft ergangen. Welche Wissenschaft läuft wohl gegenwärtig unbeachtet nebenher, hat aber künftig eine größere Bedeutung, als wir es uns heute vorstellen können? Wir wissen es nicht. Wir müssen auch beachten, dass Innovationen nicht nach politischem Plan laufen. Wissenschaft ist keine Maschine, die man mit Geld gut ölen kann und aus der dann hinten Technologie, Arbeitsplätze oder Frieden und Freiheit herauskommen. Wissenschaft, die sich frei entwickelt, bringt häufig einen unerwarteten Nutzen. Es gibt zum Beispiel das Prinzip Kolumbus: Er wollte eine Route nach Indien finden und ist dabei gescheitert. Aber er hat Amerika entdeckt. Das ist immerhin ja auch eine nicht unerhebliche Entdeckung. Wir müssen der Wissenschaft Freiraum lassen. Bei aller notwendigen politischen Steuerung muss es Nischen geben, in denen die Wissenschaft unabhängig arbeiten kann. Das ist für die geistige Kraft einer Gesellschaft unerlässlich. ({6}) Damit jetzt keine Missverständnisse entstehen: Ich rede hier nicht einer hoffnungslosen Wissenschaftsromantik das Wort. Auch die Geistes- und Sozialwissenschaften brauchen Entwicklung und neue Impulse. Sie müssen sich rechtfertigen und Qualität nachweisen. Die Gesellschaft hat das Recht, zu erfahren, was mit ihrem Geld geschieht, und die Politik hat die Pflicht, im öffentlichen Interesse Schwerpunkte zu setzen. Doch Wissenschaft - das müssen wir dabei sehen - ist kein Investment, das nach einer bestimmten Frist einen messbaren Nutzen bringt. Eine reine Nutzenorientierung, die Ökonomisierung, darf die Wissenschaft nicht beherrschen. ({7}) Julian Nida-Rümelin hat jüngst deutlich gemacht, dass er die spezifische Kultur der europäischen Geisteswissenschaften durch einige aktuelle Entwicklungen gefährdet sieht. Ich denke, wir müssen das ernst nehmen. Für die Geistes- und Sozialwissenschaften ist die Situation an den Hochschulen von besonderer Bedeutung. Schließlich werden sie in erster Linie dort betrieben. Darum sind Ideen für einen Wettbewerb zugunsten exzellenter Lehre, wie sie in letzter Zeit entstehen, natürlich von großem Interesse. ({8}) Wir müssen dabei aber beachten, dass wir Leuchttürme der Forschung auswählen können. Es darf nicht sein, dass es nur wenige Spitzenunis für die Lehre gibt. Vielleicht sollten wir hinsichtlich der Lehre weniger über einen Exzellenzwettbewerb und mehr über Evaluation nachdenken. Wir müssen wissen, wo und wie Lehre mit welcher Qualität gemacht wird. Dann benötigen wir ein Förderprogramm für die Lehre, etwa für die Bewältigung der Herausforderung der Umstellung auf Bachelor und Master, auf das alle Hochschulen zugreifen können. Dort lassen sich zum Beispiel durch die Veröffentlichung der Evaluationsergebnisse auch Wettbewerbselemente einbauen, um eine Dynamik in den Prozess zu bekommen. Es geht aber bitte nicht, einfach nur ein paar Projekte auszuwählen und extra Geld für sie bereitzustellen. Das greift zu kurz. ({9}) Wir werden noch Gelegenheit haben, näher über die vielen wichtigen Einzelaspekte in den Geistes- und Sozialwissenschaften zu sprechen - der Kollege Krummacher hat bereits einiges dazu erwähnt -: über das Jahr der Geisteswissenschaften, das hier schon eine Rolle gespielt hat, Swen Schulz ({10}) die Förderprogramme des Bundes, die aufgestockt werden, die Arbeit von Stiftungen, das Akademienprogramm, die Verbesserung der Förderung durch die EU, über die sehr gute Initiative für Forschungskollegs, über die Zukunft der geisteswissenschaftlichen Zentren, die mir besonders am Herzen liegen, und über die Zukunft der kleinen Fächer, die einen besonderen Schutz benötigen. Lieber Herr Meinhardt, der Antrag der Koalition ist ein Gesprächsangebot. FDP und Linke haben in ihren Anträgen Anregungen formuliert. Ich bin mir sicher, dass unser früherer Koalitionspartner Bündnis 90/ Die Grünen nicht nachstehen wird. Bei den Geistes- und Sozialwissenschaften geht es unter anderem ja um Kultur. Vielleicht können wir an dieser Stelle die politische Kultur ein wenig pflegen und im produktiven Streit die Geistes- und Sozialwissenschaften gemeinsam stärken. Das würde mich freuen. Vielen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Jan Korte hat das Wort für die Linke. ({0})

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich schließe mich gerne dem produktiven Diskurs hier an und finde es richtig, dass ein solcher Antrag, in dem doch einige Dinge zur Situation der Geistesund Sozialwissenschaften präzise benannt worden sind, von Ihnen vorgelegt wurde. ({0}) Auf Seite 3 des Antrags der Koalitionsfraktionen heißt es - ich zitiere -: Allerdings birgt die Verschärfung des Wettbewerbs um öffentliche Mittel die Gefahr, dass die Geistesund Sozialwissenschaften gegenüber den als expansiv erlebten Natur- und Ingenieurswissenschaften benachteiligt werden. Eine Ausrichtung der Förderung alleine an Drittmittelquoten wird den Geistesund Sozialwissenschaften nicht gerecht. Das ist zwar durchaus richtig, aber leider ist das nicht ganz die Wahrheit, sondern Sie treffen haarscharf an ihr vorbei. So richtig diese Analyse in dem Punkt ansatzweise ist: Das Grundproblem - Kollege Schulz, Sie haben es angesprochen - ist die Ökonomisierung des Bildungssystems. Gerade in den Sozial- und Geisteswissenschaften, die an den Universitäten eine große Rolle spielen, wirkt sich diese Ökonomisierung von Lehre und Forschung verheerend aus. Ebenso fehlt ein Verweis auf die Studienbedingungen in den Geistes- und Sozialwissenschaften an den deutschen Hochschulen. Ein konkretes Beispiel. Es ist wenig förderlich und dient nicht dem Erkenntnisgewinn, wenn man zum Beispiel an der Uni Hannover ein soziologisches Seminar veranstaltet, einen Lektürekurs zu „Das Kapital“ von Karl Marx, drei Bände - man muss sich ein wenig konzentrieren, aber wenn man es vernünftig macht, kann man den größtmöglichen Erkenntnisgewinn erzielen -, an dem 80 Personen teilnehmen. Das ist aber die Realität an den Hochschulen. Das ist eigentlich der Kern des Problems. ({1}) In dem Antrag der FDP ist zu wenig davon die Rede - das ist nicht ganz überraschend -, dass man sich darüber verständigen muss, was denn die Rolle von Geistes- und Sozialwissenschaften in einer Gesellschaft ist. Dabei - das ist zum Teil schon richtig angesprochen worden - kann es nicht um Verwertungskriterien im ökonomischen Sinne gehen, sondern es muss darum gehen, Kritik üben zu lernen; das ist ein Wert an sich. Die Kritik als solche ist sozusagen der Kern von Geistes- und Sozialwissenschaften. In dem Antrag kommt leider auch nicht vor, dass es wichtig ist, Analysen greifbar zu machen, Kritik sichtbar zu machen, und zwar als Voraussetzung dafür, die Gesellschaft zu verändern. Das ist aus unserer Sicht eine originäre Aufgabe der Geistes- und Sozialwissenschaften. Deswegen haben wir als linke Fraktion ebenfalls einen Antrag eingebracht. Uns geht es darum, dass diese Fragen langfristig und systematisch diskutiert werden. Dazu soll nach unserer Vorstellung ein Diskussionsforum unter dem Titel „Perspektiven der Geistes-, Kulturund Sozialwissenschaften“ eingerichtet werden. Außerdem ist es dringend erforderlich, sich noch einmal genau anzuschauen, was eigentlich der Bolognaprozess für die Geistes- und Sozialwissenschaften bedeutet. Dabei geht es im Kern - es ist natürlich auch eine Ausgestaltungsfrage - um Verschulung, um Verschulung von Lehre und Studium. Das Hineinpressen in einen Bachelor- und Masterstudiengang ist gerade bei den Geistesund Sozialwissenschaften der Erkenntnis - das ist ganz klar - nicht förderlich. Das ist nicht verschulbar. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. ({2}) Ich glaube, dass wir einige Schritte gemeinsam gehen können. Es ist ganz wichtig, die Funktion von Geistesund Sozialwissenschaften in der Gesellschaft noch einmal zu diskutieren und zu analysieren und sich jeglichen Bestrebungen in Richtung ökonomischer Verwertbarkeit von Lehre und Forschung entgegenzustellen. Wir brauchen gerade für die Studentinnen und Studenten der Geistes- und Sozialwissenschaften mehr Muße und Zeit; das ist die Mutter der Geistes- und Sozialwissenschaften. Längere Zeit in der Bibliothek sitzen zu können und zu versuchen, mit anderen das zu diskutieren, was man gerade gelesen hat, ist der Kern von Geistes- und Sozialwissenschaften. Dafür müssen wir die Bedingungen ändern. Zum Beispiel darf es keine Studiengebühren für ein Langzeitstudium geben. Eine letzte Bemerkung will ich noch machen. Gerade die Studentinnen und Studenten der Geistes- und Sozialwissenschaften sind diejenigen, die politisch aktiv sind. ({3}) Es sind diejenigen, die sich in politischen Interessenvertretungen engagieren. Sie werden aufgrund dieser Studienbedingungen davon abgehalten. Ich hoffe, dass wir in einen Diskurs eintreten können. Wir sind dazu bereit. Es gibt einen alten Lehrsatz, und der ist wahr: Der Geist steht links. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Krista Sager für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Jahr der Geisteswissenschaften und die Empfehlungen des Wissenschaftsrates schaffen gute Voraussetzungen dafür, deutlich zu machen, dass die Geisteswissenschaften in Deutschland auch international ein hohes Ansehen genießen. ({0}) Sie sind keineswegs nachrangig, sie sind überhaupt nicht irgendwie defizitär; im Gegenteil: Sie sind unverzichtbar. Ich gebe allen recht, die gesagt haben: Der Bedarf an geistes- und sozialwissenschaftlichen Orientierungsleistungen wird noch höher werden. ({1}) Die Geisteswissenschaften haben allen Grund, sich vor dem Hintergrund dieser Feststellungen erhobenen Hauptes nicht nur in der wissenschaftlichen Community, sondern auch in der Gesellschaft zu präsentieren. Dass die Empfehlungen des Wissenschaftsrates von der Bundesregierung zügig umgesetzt werden, lässt sich für die Geisteswissenschaften auf der Habenseite verbuchen. Aber man wird den Eindruck nicht los, dass sich hinter diesem Feuerwerk der Sympathiebekundungen für die Geisteswissenschaften eine große Portion schlechten Gewissens gegenüber den Stiefkindern der Wissenschaftspolitik verbirgt. ({2}) - Schauen Sie sich die Länder an! ({3}) Ich denke, dieses schlechte Gewissen besteht durchaus zu Recht. ({4}) Herr Professor Lepenies hat bei der Eröffnung des Jahres der Geisteswissenschaften sehr eindrucksvoll erklärt, dass sich selbst technische Universitäten in China höchst lebendige geisteswissenschaftliche Fachbereiche leisten. In Deutschland geht die Entwicklung längst in eine andere Richtung. ({5}) Da, wo in Deutschland geklotzt und nicht gekleckert wird - bei Hightech, Bio- und Gentechnik und jetzt auch bei der Sicherheitsforschung -, kann im Ernst nicht wirklich die Rede von der vielbeschworenen interdisziplinären Einbeziehung der Geisteswissenschaften und Partnerschaft mit diesen sein. ({6}) - Ja, auf dem Papier, aber nicht in der Realität. ({7}) So positiv die Autonomie der Hochschulen auch ist - ich bin ausdrücklich dafür -: In Deutschland scheint man der Meinung zu sein, Profilbildung sei, wenn alle das Gleiche machen. Wie soll eigentlich Profil entstehen, wenn alle der Meinung sind, die angeblich nützlichen Fächer werden gepflegt und die angeblich weniger nützlichen geisteswissenschaftlichen Fächer werden gerupft? ({8}) Ich glaube, dass in Bezug auf dieses Jahr der Geisteswissenschaften der Prüfstein, ob das nicht nur ein Jahr des schlechten Gewissens wird, tatsächlich ist, ob es gelingt, verbindliche Vereinbarungen mit den Ländern zu treffen und konkrete Anreize für den Erhalt der sogenannten kleinen Fächer zu schaffen. Daran wird sich vieles messen lassen. ({9}) Da erwarte ich in der Tat auch von der Bundesministerin, dass sie dafür sorgt, dass der Ruf nach dem Erhalt der kleinen Fächer nicht einfach im föderalen Nirwana verhallt. Da muss wirklich Butter bei die Fische! In einer Sache gebe ich meinen Kollegen recht: Wir brauchen einen viel stärkeren Blick auf die Lehre gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Wenn der größte Teil der jungen Leute, die wir von den Universitäten ins Berufsleben entlassen, geistes- und sozialwissenschaftliche Studien absolvieren, dann kann es nicht sein, dass nur über die Leistungsfähigkeit in der Forschung gesprochen wird und die Lehre immer weiter aus dem Blick gerät. Deswegen hat Herr Schulz vollkommen recht: Wir brauchen auch einen Qualitätswettbewerb für gute Lehre. ({10}) Das muss nicht bedeuten, dass eine einzelne Uni ein Hütchen aufbekommt, sondern man muss wirklich schauen, wo in Deutschland systematisch und strukturell etwas für gute Lehre getan wird, und das muss dann auch honoriert werden. Sonst bekommt die Lehre nicht den Stellenwert, den sie braucht und den sie verdient hat. ({11}) Wir sollten im Ausschuss gemeinsam darüber beraten, was Bund und Länder dazu beitragen können, dass das Jahr der Geisteswissenschaften nicht nur ein Jahr der freundlichen Reden bleibt. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Zwischen den Fraktionen ist verabredet, die Vorlage auf Drucksache 16/4153 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlagen auf den Drucksachen 16/4161 und 16/4154 sollen an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. - Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Hüseyin-Kenan Aydin, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Dauergenehmigungen für Militärflüge aufheben - Drucksachen 16/857, 16/3831 Berichterstattung: Abgeordnete Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Dr. Rolf Mützenich Wolfgang Gehrcke Hierfür ist eine halbe Stunde Debattenzeit vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich erteile das Wort dem Kollegen Niels Annen für die SPD-Fraktion. ({1})

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die zuständigen Ausschüsse haben den hier vorliegenden Antrag der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der einbringenden Fraktion einhellig abgelehnt. Ich glaube, aus gutem Grund. Denn liest man diesen Antrag genau - man muss sich schon ein wenig näher damit beschäftigen -, dann kann man zwei Ebenen herausfiltrieren, um die es möglicherweise gehen könnte. Die eine Ebene ist, dass das gültige NATO-Truppenstatut verändert werden soll. Es soll von einer generellen Genehmigung von Überflügen der Alliierten zu einer Einzelfallprüfung übergegangen werden. Da fragt man sich natürlich - wir haben in diesem Hause schon viele Debatten über Bürokratieabbau gehabt -, ob damit die Errichtung einer neuen Behörde beabsichtigt ist. Aber Spaß beiseite. Die andere Ebene bezieht sich auf die anhaltende Debatte um die sogenannten CIA-Geheimflüge in Deutschland. Für uns als gleichberechtigtes und vollwertiges Mitglied der NATO ist es doch im Sinne der Effektivität und der Verlässlichkeit im Bündnis eine absurde Vorstellung, an dieser Stelle das NATO-Truppenstatut verändern zu wollen oder gar aufzukündigen. Denn dadurch würde ein Misstrauen innerhalb des Bündnisses zum Ausdruck kommen, was uns bei den bevorstehenden durchaus schwierigen Debatten nicht helfen würde und die Bewältigung der vor uns liegenden Aufgaben nicht leichter machen würde. ({0}) - Ich komme noch darauf zurück. Was die Frage der Gefangenentransporte betrifft, so haben der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung in Person des Außenministers und der Kanzlerin sich in diesem Hause sehr ernsthaft dazu geäußert. Es gibt einen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages, dessen Einsetzung - dies geschah im Hinblick auf die offenen Fragen, die Sie zu Recht ansprechen - beispielsweise vom Europäischen Parlament ausdrücklich gelobt wurde. Gleichzeitig waren diese Transporte mehrfach Gegenstand von Gesprächen der Kanzlerin und des Außenministers mit der amerikanischen Außenministerin und der amerikanischen Administration. Dabei hat die deutsche Seite immer wieder betont, dass der internationale Terrorismus in der Tat entschlossen bekämpft werden muss, dies aber im Hinblick auf die Wahl der Mittel kein Persilschein bedeutet. ({1}) Alle Maßnahmen - dieser Punkt ist für die Diskussionen, die uns noch bevorstehen, wichtig - müssen mit demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbar sein und dem Recht der jeweiligen Länder sowie dem internationalen Recht uneingeschränkt Rechnung tragen. ({2}) Ich will hinzufügen - Sie werden das sicherlich noch erwähnen -, dass das selbstverständlich auch für unsere Verbündeten in den Vereinigten Staaten gilt. Ganz generell gesprochen: Wir müssen uns darauf verlassen können, dass die USA bilaterale Verträge ebenso achten wie das Regime des Völkerrechts und der Menschenrechte; denn der Kampf gegen den Terrorismus bedarf nicht nur militärischer Mittel, sondern vor allem auch der Legitimität der eingesetzten Mittel. Genau darum geht es. Nach der Lektüre dieses Antrages habe ich allerdings manchmal den Eindruck gehabt - Kollege Gehrcke, wir haben unterschiedliche politische Ansichten; aber Sie wissen, dass ich Ihre Arbeit sehr schätze -, dass es Ihnen in diesem Antrag um eine ernsthafte Diskussion gar nicht geht. Er stellt sich im Grunde genommen in die Reihe von Vorwürfen, die auch in diesem Hause immer wiederholt worden sind. Beispielsweise haben Ihre Fraktionsvorsitzenden behauptet, dass es eine doppelzüngige Politik der alten rot-grünen Bundesregierung gegeben habe und dass die Ablehnung des Irakkrieges überhaupt nicht ernst gemeint gewesen sei. Ich will hier klarstellen: Die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung hat sich nicht in blinder Gefolgschaft der sogenannten Koalition der Willigen angeschlossen. Deutschland hat sich eben nicht an dem völkerrechtswidrigen Irakkrieg beteiligt, auch wenn das hier immer wieder suggeriert wird. Sie hat auch die falsche Entscheidung der amerikanischen Regierung - so wird es inzwischen auch vom amerikanischen Kongress gesehen - kritisiert. ({3}) Bundeskanzler Schröder hat in der elementaren Frage von Krieg und Frieden für den Frieden votiert. Ich stehe nicht unbedingt in dem Verdacht, jede Entscheidung von Gerhard Schröder immer nur verteidigt zu haben. Aber ich will an dieser Stelle eines sagen, weil immer der Eindruck erweckt wird, wir würden nicht ehrlich argumentieren: Die Politik der rot-grünen Regierung war klar und transparent und wurde in diesem Hause vorgestellt. ({4}) - Warten Sie es ab, Herr Kollege Gehrcke! Ich kann Ihnen das vorlesen. Ich zitiere Gerhard Schröder. Er hat an dieser Stelle gesagt: Solidarität, wie wir sie geleistet haben und nach wie vor leisten, schafft aber auch das Recht, ja die Pflicht, zu differenzieren. … Und uns eint eine Freundschaft, - mit den Vereinigten Staaten die auf gegenseitigem Respekt und der Verfolgung gemeinsamer Ziele beruht und in der wir deshalb zu unterschiedlichen Meinungen kommen und dies ertragen können. Er hat hinzugefügt: Wir machen dieses Abenteuer nicht mit; aber wir stehen zu unseren Bündnispflichten. Wir stehen zur Kooperation mit den entsprechenden Stellen der Vereinigten Staaten. - Daraus hat nie irgendjemand einen Hehl gemacht. ({5}) Diesen Eindruck erwecken Sie wissentlich, und der ist falsch. Eine einseitige Reduzierung der Außenpolitik auf militärische Mittel lehnen wir ab. Dass das richtig ist, zeigt doch - ich sage das ohne jegliche Befriedigung darüber, dass sich die Position als richtig erwiesen hat - die Geschichte im Irak, die entsetzlichen Bilder, das Chaos, mit dem wir es zu tun haben. Wir tragen dort Verantwortung; da kann es gar keine Frage geben. Die deutsche Regierung definiert Sicherheit umfassender. Sicherheitspolitik wird seit Rot-Grün - ich sage ausdrücklich, dass ich sehr froh bin, dass wir uns darüber auch in der neuen Regierung verständigen konnten und große Schritte in die richtige Richtung gemacht haben - von der deutschen Regierung nicht allein mit militärischen Mitteln verfolgt - wo es notwendig ist, erfolgt eine militärische Absicherung -, sondern auch mit diplomatischen Mitteln und vor allem mit entwicklungspolitischen und zivilen Instrumenten. ({6}) Die Regierung hat die entsprechenden Mechanismen nicht nur proklamiert, sondern sie auch praktisch umgesetzt. Für Deutschland steht im Mittelpunkt, den Menschen in den Ländern, die von Krieg und gewalttätigen Konflikten betroffen sind, wieder eine Perspektive für eine friedliche Zukunft zu bieten. Dazu gehören zentral der Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur und die Unterstützung derjenigen, die sie aufbauen müssen und polizeiliche Aufgaben wahrnehmen; Sie kennen unsere Programme. Nur ein staatliches Gewaltmonopol, das Hand in Hand mit sozialer Gerechtigkeit und der Wahrung der Menschenrechte geht, hat eine Chance auf langfristige Stabilität; an dieser Stelle sind wir uns, glaube ich, wirklich einig. Failing States, wie sie im Irak oder in Somalia entstanden sind, versinken nicht nur im Chaos. Die Menschen wenden sich auch radikalen Kräften zu. Deswegen stimme ich dem zu, was Außenminister Steinmeier beispielsweise in Bezug auf Afghanistan gesagt hat: Da, wo Stabilisierungserfolge ausbleiben, nutzen die Taliban eben ihre Chance und an anderer Stelle entsprechend andere terroristische Gruppierungen, indem sie sich maßgeblich als Beschützer der Bevölkerung aufspielen. Einsätze der Bundeswehr - auch im Rahmen der NATO; darum geht es ja hier - wurden daher auch unter dieser Vorgabe neu orientiert, und die Zusammenarbeit mit zivilen Akteuren wurde intensiviert und abgestimmt. Entwicklungen wie im vergleichbar ruhigeren Norden in Afghanistan - das bedeutet nicht ruhig -, in dem sich die Bundesrepublik Deutschland seit fünf Jahren engagiert, zeigen, dass der Ansatz, zivile und militärische Komponenten zusammenzubringen, richtig ist. Das alles ist ein mühsames Geschäft. Es bedarf dafür tagtäglicher diplomatischer Bemühungen und der Bereitschaft zahlreicher Menschen, sich als Soldatinnen und Soldaten sowie als Entwicklungshelfer und Polizisten einzusetzen. Dieses Haus sollte diesen Menschen dafür dankbar sein. ({7}) Die Bundesregierung unterstützt diese Menschen mit Rat und Tat, und sie führt die notwendige Diskussion über die Frage, wie wir unser Engagement weiterentwickeln können. An dieser Stelle möchte ich auf die NATO und die Frage zu sprechen kommen, was Bündnisverpflichtung eigentlich bedeutet. Wir haben - das ist noch gar nicht lange her - auf der Sicherheitskonferenz in München eine Rede von Gerhard Schröder - Peter Struck hat sie damals vorgetragen - gehört. Er hat vernünftigerweise darauf hingewiesen, dass die Zukunft des Bündnisses auch davon abhängt, ob wir die notwendigen strategischen Debatten - es gibt Anlass, diese zu führen - auch wirklich gemeinsam im transatlantischen Kontext bewältigen. Die Bundeskanzlerin hat diesen Gedanken ein Jahr später aufgegriffen. Wir führen diese Debatte heute. Man kann ja über die eine oder andere Entscheidung unterschiedlicher Meinung sein. Aber wir haben auf dem NATO-Außenministertreffen eine Diskussion über die richtige Strategie für Afghanistan geführt. Wir haben die Politischen Direktoren nach Berlin eingeladen und mit ihnen die Situation erörtert. Es geht doch darum, dass Bündnisverpflichtungen nicht, wie das manchmal suggeriert wird, bedeuten, dass wir unsere Souveränität an den Nagel hängen würden. Das ist übrigens eine Argumentation, die mit der einen oder anderen auch in Deutschland verbreiteten Auffassung manchmal auf gefährliche Art und Weise spielt. Das sollten wir an dieser Stelle nicht tun. Wir brauchen eine vernünftige Diskussion über die Weiterentwicklung der Strategie der NATO ({8}) und keinen billigen Populismus, im Rahmen dessen im Übrigen Vorschläge unterbreitet werden, die vollkommen unpraktikabel sind. Ich glaube, dass der Deutsche Bundestag gut beraten wäre, dem Vorbild der zuständigen Ausschüsse zu folgen und den vorliegenden Antrag abzuweisen. Herzlichen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dr. Rainer Stinner spricht jetzt für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihnen von der Linksfraktion muss man eines lassen: Sie sind konsequent. Sie wollen die NATO zerstören. Das versuchen Sie mit einer ganzen Reihe von Anträgen, auch heute. ({0}) Wir hingegen glauben, dass die NATO nicht zerstört werden sollte. Deshalb werden wir Ihren Antrag heute ablehnen. ({1}) - Auch das ist konsequent, richtig. Wir glauben, dass durch die Befolgung Ihres Antrages die Bündnisfähigkeit unseres Landes nachhaltig, und zwar gravierend, vermindert würde. Sie stellen Ihren Antrag, um genau das zu erreichen; das ist uns bekannt. Dummerweise haben Sie für ein multilaterales Sicherheitssystem - im Gegensatz zur NATO - keinerlei Konzepte vorgelegt. ({2}) Eine Zerstörung der NATO, die Ihr Antrag impliziert, bedeutete, dass wir in der Außen- und Sicherheitspolitik eine Renationalisierung erleben würden. Davon haben wir in Deutschland nun wirklich die Nase voll. ({3}) Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. Gleichwohl verkenne ich nicht, dass Sie in Ihrem Antrag ein wichtiges Thema angesprochen haben, nämlich die Frage, wie wir mit Bündnispartnern umgehen, deren Verhalten im Einzelfall für uns unakzeptabel ist. Für meine Fraktion steht außer Zweifel - ich glaube, das gilt für die meisten Fraktionen -, dass das bei den sogenannten CIA-Flügen der Fall ist. Wenn wir sagen: „Wir brauchen die NATO als Bündnis“, stehen wir als getreuer Bündnispartner vor der Abwägung, wie weit die Bündnissolidarität gehen muss, damit die NATO handlungsfähig bleibt, und wie weit sie gehen darf, wenn unsere Werte beeinträchtigt zu werden drohen. Das ist eine Frage, mit der wir uns beschäftigen müssen. Das betrifft aber, wie wir alle wissen, nicht nur das NATO-Zusatzabkommen. Das ist das geringste Problem. Wir alle wissen, dass die CIA-Flüge auch durch Kündigung des Abkommens nicht verhindert worden wären. Sie sind nämlich in keiner Weise durch bestehende Abkommen mit unseren Bündnispartnern gedeckt. Wir erwarten, dass die Bundesregierung das deutlich macht; das tut sie ja auch. Das Thema CIA-Flüge wird im Untersuchungsausschuss behandelt werden. Wir erwarten, dass nach Abschluss dieses Ausschusses klare Erkenntnisse und entsprechende Vorschläge vorliegen, wie wir dafür sorgen können, dass Bündnispartner getroffene Regeln einhalten. Ich sage hier sehr deutlich: Es ist für uns inakzeptabel, dass Deutschland ein Transitland für Gefangenentransporte im rechtsfreien Raum ist und bleiben wird. ({4}) Ich möchte deutlich machen, worauf es bei einer Problemlösung, an der Sie gar kein Interesse haben, ankommt. ({5}) - Ich nehme nur zur Kenntnis, wie Sie hier agieren. - An einer Problemlösung haben Sie kein Interesse. Sie haben ein Interesse an der Zerstörung der NATO. Bei einer Problemlösung geht es aber nicht darum, Vereinbarungen aufzukündigen, sondern politisch zu agieren. Ich glaube, dass das der richtige Weg ist. Die jetzige Bundeskanzlerin proklamiert nicht nur auf Marktplätzen Menschenrechte; sie spricht die Dinge auch im Einzelfall an. Damit hat sie Erfolg, wie wir bei Herrn Kurnaz gesehen haben. Dieses Vorgehen bzw. Nichtvorgehen einer Regierung beschäftigt uns alle nachhaltig. Herr Annen, es ist sympathisch, dass Sie das damalige Vorgehen Ihrer Regierung verteidigt haben. Ich glaube nicht, dass Ihre heutige Präsentation eine durchschlagende Wirkung haben wird, aber das muss die Öffentlichkeit beurteilen. ({6}) - Es mag sein, dass Sie dem nicht ganz zustimmen, jedenfalls nicht zustimmen können. Ich verstehe das. Im Rahmen der NATO wird nicht nur darüber diskutiert, was wir machen, sondern auch, wie wir es tun, Herr Gehrcke. Die Diskussion darüber ist längst überfällig, sie hat aber begonnen. Das halten wir für richtig und wichtig. Diese Diskussion müssen wir natürlich fortsetzen. Ich verhehle nicht, dass die Erklärung von Riga nur ein erster Schritt gewesen ist. Weitere Schritte müssen folgen, insbesondere was das Vorgehen der NATO in Afghanistan angeht. Das werden wir entsprechend einfordern. Im Gegensatz zu Ihnen wollen wir ein handlungsfähiges Bündnis, das rechtsstaatliche Prinzipien nicht nur predigt, sondern selbst befolgt. Unser Weg ist der bessere. Das ist besser, als durch Kündigungen von Verträgen die Handlungsfähigkeit zu zerstören. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. Danke schön. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg für die CDU/CSU-Fraktion.

Karl Theodor Guttenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Menschen in unserem Land erwarten, dass in diesem Hause substanzielle Themen debattiert werden. Die beiden letzten Redebeiträge haben diesen Anspruch erfüllt. Herr Gehrcke, Ihr Antrag erfüllt diesen Anspruch in unseren Augen leider nicht. Sie haben ja nachher noch die Möglichkeit, das eine oder andere dazu zu sagen. Ich bin sehr gespannt darauf, ob die Punkte, die ich versuche zu benennen und die sich im Wesentlichen auf den Antrag beschränken, ausgehebelt werden können. Ihr Antrag ist zunächst einmal ein weiterer Beitrag unter der Rubrik - die gibt es bei Ihnen nicht zum ersten Mal -: Wie banne ich möglichst viele antiamerikanische Ressentiments auf eine Antragsseite? ({0}) Unter diesem Aspekt kann ich Ihnen nur gratulieren. Das ist Ihnen diesmal in herausragender Weise gelungen, bringt uns aber dem Anspruch der Substanz alles andere als näher. Dieser Ort hat es nicht verdient, zur Plattform von Verunglimpfungen und Beleidigungen unserer Bündnispartner zu werden, egal welcher Bündnispartner. Kritik ja - die müssen auch wir immer wieder äußern; das sollten wir gelegentlich einmal etwas lauter tun -, Beleidigung nein! ({1}) Sie bewegen sich hier wirklich am Rande der Beleidigung. Im Grunde haben Sie die Schwelle zur Beleidigung überschritten. Bereits im Feststellungsteil Ihres Antrages überschreiten Sie mit Ihren Argumenten einige Grenzen des guten Stils, des guten Geschmacks und in meinen Augen letztlich auch der Redlichkeit. Es steht außer Frage - Kollege Annen hat es angesprochen; Kollege Stinner hat es ebenso benannt -, dass die Vereinigten Staaten gerade im Rahmen ihres selbst proklamierten Krieges gegen den Terror - ich bin weiterhin sehr unglücklich über diesen Begriff - gelegentlich auf Mittel zurückgreifen, die unserem Rechtsverständnis fremd sind. Ich bin dankbar, dass diese Bundesregierung, die Bundeskanzlerin, aber auch viele Abgeordnete aus diesem Hause wiederholt darauf hingewiesen haben, und zwar auch bei unseren Bündnispartnern, allerdings in einem anderen Tonfall, in einem anderen Stil und damit auch mit einer anderen Wirksamkeit als Sie mit Ihrem Antrag. Diesen Unterschied sollten wir darstellen. Ich betone, dass es im Umgang mit Partnern wie mit sich selbst - das bezieht sich auf das, was wir gestern lesen durften - mit Blick auf die Wahrung unseres Rechtsstaatsverständnisses keine bewussten Nachlässigkeiten geben kann und darf. Die dürfen wir uns alle nicht leisten. Die darf sich keine Regierung leisten und die dürfen auch wir uns im Umgang mit unseren Partnern nicht leisten. Bei einigen Formulierungen in Ihrem Antrag hat man - bei aller Bereitschaft zu konstruktiver Kritik - das Gefühl, dass die Schwelle zur Unerträglichkeit schlicht überschritten ist. Sie unterstellen der Bundesregierung - so steht es in Ihrem Antrag -, sie würde „die Vorbereitung auf einen Angriff auf den Iran“ unterstützen. Herr Gehrcke, das wissen Sie nun wirklich besser. Zum einen würde ich mich freuen, wenn Sie mir nachher in Ihren vier Minuten Redezeit - das ist natürlich nicht furchtbar viel Zeit - Beweise für Ihre Behauptung vortragen würKarl-Theodor Freiherr zu Guttenberg den, die über das hinausreichen, was möglicherweise der eine oder andere Journalist in den Vereinigten Staaten schreibt. Mit Blick auf die Vereinigten Staaten ist dieser Vorwurf reichlich verwegen, mit Blick auf die Bundesrepublik Deutschland ist er schlichtweg absurd. ({2}) Sie schreiben dann - es wird in diesem Antrag immer besser -: Ramstein und die anderen Stützpunkte der USStreitkräfte in Deutschland hätten sich „zu den wichtigsten Drehscheiben für völkerrechtswidrige Kriege und andere US-Militäreinsätze entwickelt“. ({3}) Dieser Satz im Antrag lohnt im Grunde nicht einmal der Kommentierung. ({4}) - Ihnen fallen wahrscheinlich noch bemerkenswertere, noch unerträglichere Formulierungen dazu ein, obwohl Sie eigentlich schon die Grenze dessen, was man sich vorstellen könnte, überschritten haben. Betrachten wir einmal den Kontext. Sind völkerrechtswidrige Kriege letztendlich eine Unterkategorie von US-Militäreinsätzen? ({5}) - Herr Gehrcke, ich glaube Ihnen, dass Sie so denken. Das entspricht bemerkenswerterweise einer langen Tradition. Damit sind Sie im Grunde konsequent - und verantwortungslos. So muss man es nämlich sehen. ({6}) Jetzt kommen Sie mit dem Völkerrecht. Herr Gehrcke, Sie erheben gegenüber der Bundesregierung den durchaus massiven Vorwurf, diese habe gegen das NATO-Truppenstatut verstoßen; in Ihrem Antrag ist von „eindeutigen Bestimmungen“ die Rede. Eine Konkretisierung dieses Vorwurfs bleiben Sie uns in Ihrem Antrag schuldig. Sie benennen keine konkrete Norm, keinen Artikel. Wir können in Ihrem Antrag nichts Näheres darüber lesen, wogegen die Bundesregierung verstoßen haben soll. Ich bitte Sie herzlich, uns das in Ihren vier Minuten Redezeit zu erklären. Doch wahrscheinlich bleiben Sie uns die Konkretisierung aus gutem Grunde schuldig. Können Sie uns diese „eindeutigen Bestimmungen“ überhaupt nennen? Mich würde das interessieren; die Benennung des Artikels, der Vorschrift, der entsprechenden Rechtsgrundlage reicht bereits. Es wäre sicher etwas weit hergeholt, zu behaupten, dass Ihr Schweigen damit zusammenhängen könnte, dass es in besagtem Statut keine Bestimmung über die Nutzung des Luftraums gibt. Vielleicht sollten Sie die besagten Vertragswerke erst einmal lesen, bevor Sie der Bundesregierung Rechtsbruch vorwerfen; das wäre doch die Voraussetzung dafür. ({7}) Ich darf Ihnen ganz herzlich für die Information danken - damit haben Sie einen Beitrag zu unserer Bildung leisten wollen -, dass Deutschland nach dem Chicagoer Luftfahrtabkommen die Hoheit über seinen Luftraum ausübt. Eigentlich wissen wir das; doch immerhin hat es die Seite Ihres Antrags gefüllt. Sie beschränken sich schließlich nicht darauf, zu fordern, dass erteilte Dauergenehmigungen für Militärflugzeuge - Herr Annen hat das schon angesprochen -, also für Flugzeuge, die in Deutschland landen, sowie für solche, die es nur überfliegen, nicht zu verlängern seien. Sie fordern gar, anzustreben, dass - ich zitiere jegliche Bewegungen der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen … in jedem Einzelfall der Genehmigung durch die zuständigen deutschen Stellen bedürfen … ({8}) - Rechtsnorm vielleicht. Aber das ist doch eine geradezu groteske Vorstellung, Herr Gehrcke. Jede Truppenbewegung zu genehmigen, ist unglaublich praktikabel, nicht wahr? Unter diesen Praktikabilitätsgesichtspunkten könnte man Ihre Forderung möglicherweise diskutieren. Meine beiden Vorredner haben es schon gesagt: Es geht Ihnen mit diesen Forderungen eigentlich um eine Destabilisierung der NATO. Herr Stinner ist da noch weiter gegangen - ich kann mich dem nur anschließen -: Es geht Ihnen um eine völlige Marginalisierung der NATO. Gleichzeitig verunmöglichen Sie damit einen gewissen Wirkungsbereich unserer Bundeswehr. Das mag mit diesem Antrag auch intendiert sein. Bestenfalls ist es Ihnen egal. Ebenso egal sollte uns Ihr Antrag sein. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Gert Winkelmeier das Wort.

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn ein Buchhalter eine Bilanz aufhübscht, wandert er dafür nach § 331 HGB ins Gefängnis. Für deutsche Politiker gelten offensichtlich andere Maßstäbe. Bis heute dulden die jeweiligen Bundesregierungen, dass die USStreitkräfte von ihren Stützpunkten in Deutschland ausgehend, insbesondere von Ramstein, Krieg gegen den Irak führen - ohne juristische Konsequenzen -, einen Krieg, der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nicht legitimiert wurde, also völkerrechtswidrig ist. Die Stützpunkte in Deutschland sind den USA jedoch ausschließlich für die in Deutschland für den NATO-Verteidigungsauftrag stationierten Truppen überlassen worden. Nur in diesem Rahmen dürfen Verbündete ohne Einzelfallgenehmigung unseren Luftraum nutzen. So sieht es das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut von 1994 vor. Die Bundesregierung wusste bereits beim Truppenaufmarsch gegen den Irak im Jahre 2002, dass die USA einen von der Charta der Vereinten Nationen nicht gedeckten Angriffskrieg planten. Trotzdem verkündete der damalige Bundeskanzler: Wir haben nicht vor, die Bewegungsfreiheit unserer Freunde einzuschränken. Gegen ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages begründete er dies mit Bündnisverpflichtungen. Auf rechtliche Einwände antwortete er: Hier geht es nicht um Juristerei, sondern um Politik. Offensichtlich hat Herr Schröder mit dieser unverfrorenen Aufkündigung des Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz - keine Politik außerhalb des Rechts - auch für die neue Bundesregierung Maßstäbe gesetzt. Es scheint, dass wir es seitdem mit einer „Na-und-Politik“ zu tun haben. Ich nenne zwei Beispiele: Verbringung mutmaßlicher Terroristen mit als zivil registrierten Flugzeugen im Regierungsauftrag aus den USA über Deutschland in osteuropäische oder nordafrikanische Folterkeller - na und? Verurteilung der Gewährung von Überflugrechten zur Führung des Irakkrieges durch den zweiten Wehrdienstsenat in der Disziplinarsache des Majors Pfaff - na und? Es gab keine Konsequenzen. Auch nach den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses des Europäischen Parlaments wegen illegaler CIA-Aktivitäten in Europa ist die Bundesregierung ihrer Pflicht aus Art. 25 des Grundgesetzes, Verstöße verbündeter Staaten gegen das Völkerrecht auf deutschem Hoheitsgebiet zu verhindern, nicht nachgekommen. Wenn sich unsere Regierungen aus Opportunismus, Feigheit oder welchen Gründen auch immer nicht an Recht und Gesetz halten, dann müssen wir, das Parlament - also der Gesetzgeber -, ihnen Fußfesseln anlegen, ({0}) sozusagen zur Generalprävention, damit Verfassungsbruch nicht zum Gewohnheitsrecht wird. Deswegen sollten wir den Forderungen im Antrag der Linksfraktion zustimmen, keine Pauschalgenehmigungen mehr für Flüge ausländischer Streitkräfte zu gewähren und das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut neu zu verhandeln. Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Wolfgang Gehrcke für die Linke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Niels Annen hat völlig Recht, wenn er davon ausgeht, dass ich persönlich und, wie ich hoffe, auch meine Fraktion ein tiefes und meines Erachtens begründetes Misstrauen in die Politik der USA haben. ({0}) Das ist keine Frage; er hat völlig recht. Dieses Misstrauen ist auf Erfahrung begründet. Nicht nur wir empfinden es, sondern auch ein Großteil der Bevölkerung unseres Landes. ({1}) Sie haben bereits deutlich gemacht, was das Ziel unseres Antrages ist, und ich betone es noch einmal: Ich möchte, dass damit Schluss gemacht wird, dass der deutsche Luftraum, das Territorium unseres Landes, als Drehscheibe für völkerrechtswidrige Kriege und den Transport von Menschen, die gefoltert und misshandelt werden, gebraucht bzw. missbraucht wird. Dies zu beenden, ist unser Ziel. Der Bundestag sollte ein Interesse haben, das zu beenden. ({2}) Ich schäme mich für die Politik der USA, auch wenn ich sie nicht zu verantworten habe. Wie bezeichnet man ein Land, das Menschen in Ketten legen, schlagen und foltern lässt? ({3}) Ein solcher Staat ist ein Folterstaat und ein Terrorist. Das muss man klar aussprechen und vor allem abstellen. ({4}) Ich schäme mich dafür, dass Deutschland einer solchen Politik Beihilfe geleistet hat. Ich glaube, man muss noch einmal klar die bekannten Trennlinien aufzeigen. Ich verweise auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das Sie hier nie kommentieren, wenn wir über die Rechtsgrundlagen diskutieren. ({5}) Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Falle des Majors Pfaff lautet, dass der Krieg gegen den Irak völkerrechtswidrig war und dass die rot-grüne Regierung unseres Landes Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Krieg geleistet hat. Das ist etwas, ({6}) zu dem Sie sich nie geäußert haben. Sie müssen sich aber damit auseinandersetzen. ({7}) Dass sich die rot-grüne Bundesregierung vom Bundesverwaltungsgericht vorhalten lassen muss, Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Krieg geleistet zu haben, ist schlimm. Mit der übrigen rot-grünen Menschenrechtspolitik beschäftigen sich derzeit zwei Untersuchungsausschüsse. Das ist die Bilanz Ihrer Politik. ({8}) Unser Antrag zielt in einer relativ bescheidenen Forderung darauf, mehr Kontrolle auf deutscher Seite über das zu gewinnen, was in unserem Land passiert. Wir wollen, dass man von der Ausnahmeregelung, eine Dauergenehmigung zu erteilen, zu der Rechtsnorm der Einzelregelungen mit allen Folgen zurückkehrt. Man muss hier auch festhalten, dass wir hier nicht nur auf die Vergangenheit bezogen diskutieren. In Washington und in vielen Orten dieser Welt wird auf allen Fluren davon gesprochen, dass nicht ausgeschlossen werden kann - das wissen Sie sehr genau, wahrscheinlich besser als ich -, dass sich Präsident Bush, was den Iran angeht, wieder für einen Krieg entscheidet. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass jetzt klar gesagt wird: Sollte ein solcher Umstand eintreten, startet kein amerikanisches Flugzeug mehr von Ramstein aus, werden keine Gefangenen mehr transportiert, wird diesmal keine Beihilfe geleistet. ({9}) Es ist also ein Präventivantrag, weil wir eine große Sorge haben. Ich sage Ihnen: Einen weiteren Krieg wie den gegen Irak, einen Krieg gegen den Iran, einen weiteren Militärschlag wird die Welt nicht aushalten. Deshalb muss man rechtzeitig Zeichen setzen: mindestens ein „Ohne uns“, am besten ein „Dagegen“. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Gehrcke, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Freiherr zu Guttenberg zulassen?

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, gern.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Karl Theodor Guttenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Gehrcke, dürfte ich Sie noch einmal bitten - ohne Sie dabei in der Polemik unterbrechen zu wollen -, mir die Rechtsgrundlage zu nennen, die ich bezüglich des Truppenstatuts erfragt habe?

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das Truppenstatut - das ist ja ein Beistandspakt, der geschlossen worden ist - gestattet nicht, dass Truppen ohne die Genehmigung unseres Landes bewegt werden; das ist die Regel. So etwas muss vorher angemeldet und genehmigt werden. Das kann man durch eine Dauergenehmigung ersetzen, muss man aber nicht. Das Statut gestattet aber nicht, dass diese Truppen in völkerrechtswidrigen Kriegen eingesetzt werden. Das ist eine ganz klare Bestimmung. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde nicht, dass man, wenn man zum Beispiel die Anwendung von Folter - das hat es gegeben - kritisiert, antiamerikanisch ist. Ich finde aber auch nicht, dass man einen Staat, der über eine funktionierende Demokratie und über ein funktionierendes rechtliches System, auch Gerichtssystem, verfügt und die Fähigkeit zur Selbstkorrektur hat, umstandslos als einen Terrorstaat hinstellen kann. ({0}) Lieber Wolfgang Gehrcke, damit nimmt man an dieser Stelle auch ein Stück der Wirksamkeit der eigenen Kritik weg. Ich teile ja Ihre Auffassung in manchen Ihrer Ansätze. Aber was würde eigentlich anders werden, folgte man Ihrem Vorschlag? Glaubt irgendjemand, dass die USA, wenn sie Ramstein nicht hätten nutzen können, auf den Irakkrieg verzichtet hätten? Das ist eine durchgehend naive Vorstellung. Ihnen geht es gar nicht darum, diesen Krieg oder einen potenziellen neuen Krieg gegen den Iran zu unterbinden. ({1}) Dieser Antrag ist nur dazu da, zu insinuieren, dass die damalige Bundesregierung die Amerikaner nicht daran gehindert hat, diesen Krieg zu führen und damit mitschuldig geworden ist. Das ist die ganze Polemik, die hinter diesem Antrag steht. Ich sage das in aller Ruhe: Ich lasse mir diesen Schuh nicht anziehen. Ich glaube, dass man im Rahmen einer vernünftigen Politik die USA für die Menschenrechtsverletzungen und die Folter nachdrücklich kritisieren kann. Gleichzeitig muss man aber im Hinterkopf haben, dass man wahrscheinlich keines der Probleme dieser Welt ohne einen multilateralen Ansatz lösen kann, der nicht auch die Bereitschaft der Einbeziehung der USA beinhaltet. ({2}) Damit komme ich zu einem Punkt, der vielleicht ein bisschen ernster ist und Sie zum Nachdenken bringen sollte. Natürlich ist die NATO von heute nicht mehr die NATO der späten 80er-Jahre, der die NATO der Nachrüstung. Sie hat sich in dieser Hinsicht völlig verändert. Niemand glaubt mehr an eine Bedrohung aus dem Osten. In der Anfangszeit wurde eine Funktion der NATO wie folgt beschrieben: „to keep the Germans down and to keep the US in“. ({3}) - Diese Funktion relativiert sich gerade, beispielsweise durch die Partnerschaft für den Frieden. ({4}) Hinter diesem Satz steht sicherlich eine wichtige Erkenntnis. Allerdings haben Sie, meine Damen und Herren von der Linksfraktion, noch immer nicht gelernt, dass wir in der Außen- und Sicherheitspolitik auf Systeme multilateraler Absicherung angewiesen sind. Das beinhaltet beispielsweise Veränderungen der Funktionsweise von regionalen Bündnissen wie der NATO und der Europäischen Union sowie die Einbindung der Außenpolitik in das System der Vereinten Nationen. Aber was ist das Gemeinsame solcher Einbindungen? Solche Einbindungen gehen immer mit der Abtretung von Souveränitätsrechten der Nationalstaaten einher. Was mich bei Ihnen von der Linkspartei so stört, ist, dass Sie mit schöner Regelmäßigkeit bei jedem Konflikt, den es gibt, nicht die Sache kritisieren, sondern immer den Punkt herausgreifen - sei es, ob es um Afghanistan geht, oder sei es, ob es um das zur Diskussion stehende Thema geht -, dass Deutschland Hoheitsrechte an andere, an multilaterale Institutionen abgibt. Es tut mir leid, aber das halte ich nicht für links. Ständig zu kritisieren, dass wir Hoheitsrechte verlieren, ist nicht links, sondern nationalistisch. ({5}) Lieber Wolfgang Gehrcke, ich weiß, dass Sie persönlich das besser wissen. Aber Sie täten innerhalb der Linkspartei gut daran - gerade mit Blick auf bestimmte Veränderungen in diesem Land -, darüber nachzudenken, wie man Ihre Kritik an Menschenrechtsverletzungen und einer verfehlten Politik der USA gegenüber dem Iran so in reale Politik umsetzen kann, dass daraus nicht eine nationale Geisterfahrt wird, sondern eine wirklich verantwortungsvolle internationale Politik. Diese programmatische Weiterentwicklung haben Sie noch vor sich. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/3831 zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Dauergenehmigungen für Militärflüge aufheben“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/857 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke sowie des fraktionslosen Abgeordneten Gert Winkelmeier angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes sowie zur Änderung des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes und anderer Vorschriften - Drucksachen 16/1937, 16/2210 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0}) - Drucksache 16/4191 - Berichterstattung: Abgeordnete Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Ulrich Krüger Dr. Gerhard Schick Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion des Bünd- nisses 90/Die Grünen vor. Für die Aussprache ist eine halbe Stunde vorgesehen. Die Reden sind zu Protokoll gegeben worden, und zwar von den Kollegen Klaus- Peter Flosbach, Dr. Hans-Ulrich Krüger, Frank Schäffler, Dr. Axel Troost und Dr. Gerhard Schick.1) Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes sowie zur Änderung des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes und anderer Vorschriften. Das sind die Drucksachen 16/1937 und 16/2210. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4191, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/4214? - Wer stimmt dagegen? - Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, der Fraktion Die Linke und der FDP gegen die Stimmen der Fraktion der Grünen abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Zustimmung des übrigen Hauses ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit wie zuvor angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 12 sowie den Zusatzpunkt 6 auf: 12 Beratung des Antrags der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Anforderungen an eine strategische Partnerschaft der EU mit Russland - Drucksache 16/4155 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Harald Leibrecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP 1) Anlage 5 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Für eine konstruktive Zusammenarbeit mit Russland und einen kritischen Dialog - Drucksache 16/4165 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Marieluise Beck, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die deutsche Ratspräsidentschaft ist das Ziel vorgegeben, die Verhandlungen über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland in Gang zu bringen. Die EU will mit Russland entlang der vier Räume eine strategische Partnerschaft entwickeln. Deswegen müssen wir uns damit befassen und definieren, welche Anforderungen wir an diese Partnerschaft und damit an ein neues PKA stellen wollen. Russland ist ein wichtiger, aber eben auch ein schwieriger Partner der EU. Die EU braucht Russland, aber umgekehrt braucht Russland auch die EU. Das gilt nicht nur für Gas und Öl, sondern auch für Russland als Teil einer demokratischen und friedlichen Staatengemeinschaft und als Teil von Europa. Es geht also um ein Russland, das einen konstruktiven Beitrag auch zur Lösung internationaler Krisen leistet, und um ein Russland, in dem sich die Zivilgesellschaft frei entwickeln kann und Journalisten nicht um ihr Leben fürchten müssen. Der Energiehunger der westlichen Welt und zunehmend auch der Schwellenländer stärkt Russlands Stellung als Energielieferant. Aber jeder Lieferant braucht Käufer. Das sollten wir uns vielleicht öfter sagen. Der Lieferant Russland braucht westliche Technologie, um neue Ressourcen zu erschließen und seine eigene Energieeffizienz zu verbessern. Das heißt, Russland braucht auch westliche Devisen. Deswegen gibt es keinen Grund für die EU, Russland gegenüber in irgendeiner Form leisezutreten. Wir können sehr wohl verlässliche Lieferbedingungen verlangen und fordern, dass Öl und Gas nicht als politische Druckmittel verwendet werden wie etwa im Falle der Ukraine, im Fall von Belarus und vor allem auch - da ist es am offensichtlichsten - im Fall der litauischen Raffinerie, die Rosneft haben wollte und zu der kein Öl mehr fließt, seit eine polnische Firma den Zuschlag bekommen hat. In der Konsequenz bedeutet das, dass die Bundesregierung als EU- und G-8-Präsidentin Russland mit Selbstbewusstsein und voller Entschiedenheit gegenübertreten kann und muss. ({0}) Das gilt auch für die elementaren Werte von Demokratie und Menschenrechten. Russland ist Mitglied der OSZE und des Europarates und hat sich mithin diesen Grundwerten verschrieben. Deswegen sollten wir Russlands Ansprüche auch ernst nehmen. Die Entwicklung der demokratischen Rechte ist unter Putin allerdings rückläufig, und das muss uns Sorge machen. Das fordert immer wieder unsere Konfliktbereitschaft. Rechtssicherheit, Gleichheit vor dem Gesetz und eine unabhängige Justiz sind wichtig für das Funktionieren jeder Demokratie. ({1}) Auch ausländische Unternehmen, die in Russland schon tätig sind oder tätig werden wollen, brauchen rechtliche Rahmenbedingungen, auf die sie sich verlassen können. Ich sage nur: Das Herausdrängen von Shell war ausgesprochen ominös. Der Europarat hat sich sehr besorgt über die fehlende Unabhängigkeit insbesondere der russischen Justiz geäußert. Die Fälle, in denen Wissenschaftler, Journalisten und Anwälte wegen angeblicher Preisgabe von Staatsgeheimnissen angeprangert und ohne fairen Prozess zu hohen Haftstrafen verurteilt werden, sind besorgniserregend. Zwei von ihnen sind die beiden Physiker - ich möchte sie nennen, damit sie Öffentlichkeit bekommen Igor Sutjagin und Valentin Danilow. Beide wurden nach dubiosen Verfahren zu 14 bzw. 15 Jahren Gefängnis oder Lagerhaft verurteilt. Ihnen wurde vorgeworfen, geheime Informationen preisgegeben zu haben. Dabei waren alle diese Informationen nachweislich bereits der Öffentlichkeit zugänglich. Nennen möchte ich hier auch den Anwalt Michail Trepaschkin. Er hatte dem FSB Beteiligung an Bombenanschlägen vorgeworfen. Auch er wurde wegen vermeintlicher Preisgabe von Staatsgeheimnissen von einem Militärgericht zu vier Jahren Haft verurteilt. Allen drei Prozessen ist gemein, dass sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden. Im Fall Danilow blieb sogar das Urteil geheim. Neben dem prominenten Fall Chodorkowski gibt es die weniger bekannte Juristin Swetlana Bachmina aus dem Jukos-Konzern: Auch an ihr wurde ein Exempel statuiert. Ich möchte das sagen, weil eben hinter Chodorkowski auch noch weniger bekannte Namen stehen. Sie wurde zu sechseinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt - gerade oberhalb der Bewährungsgrenze. Frau Bachmina ist Mutter von zwei kleinen Kindern, die sie alle drei Monate einmal sehen darf. Es gibt also wieder eine willkürliche Rechtsprechung in Russland. Das darf uns nicht gleichgültig sein. ({2}) Aus unserer Perspektive bedeutet eine strategische Partnerschaft immer auch die Einhaltung der universellen Marieluise Beck ({3}) Werte, auf die sich die europäische Staatengemeinschaft verständigt hat. Schönen Dank. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Karl-Georg Wellmann, CDU/CSU-Fraktion.

Karl Georg Wellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003862, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Beck, Sie haben einen Antrag vorgelegt, dessen Überschrift verheißungsvoll klingt: „Anforderungen an eine strategische Partnerschaft der EU mit Russland“. Der Inhalt ist aber enttäuschend. Ihrer Rede gebe ich zu 100 Prozent Recht, aber nicht Ihrem Antrag. Der Antrag stellt ein Sammelsurium von Fakten und Stimmungen zu Russland dar, nach dem Motto: Was wir schon immer mal zu Russland sagen wollten! Der Antrag bleibt qualitativ weit hinter dem zurück, was Sie hier gesagt haben. Sie fordern sogar in diesem Antrag die Bundesregierung auf, die Förderung alternativer Energien fortzusetzen. Was das in einem Antrag zur strategischen Partnerschaft zwischen der EU und Russland zu suchen hat, erschließt sich mir nicht. ({0}) Frau Beck, Sie haben ja das halbe Wahlprogramm der Grünen mit untergebracht. Was strategische Partnerschaft inhaltlich bedeutet, muss zunächst definiert werden. Die Kanzlerin verwendet den Begriff, zuletzt in Sotschi; Putin tut das auch, zuletzt in der „FAZ“ vom 22. November. Übrigens liefert er in diesem Artikel eine ziemlich gute Definition von strategischer Partnerschaft. Er sagt, das sei eine Partnerschaft, der gemeinsame Bestrebungen und Werte zugrunde liegen. Wir sollten - darauf legen wir großen Wert bei dem Begriff strategische Partnerschaft - zunächst einmal die eigenen Maßstäbe im Auge behalten. Der Begriff strategische Partnerschaft trifft zunächst einmal und zuallererst auf unsere europäische und unsere atlantische Wertegemeinschaft zu; diese verkörpern sich in der Europäischen Union und der NATO. So weit sind wir mit Russland bei weitem noch nicht. Es gibt gute Ansätze im globalen Zusammenhang ich meine die gemeinsame Bearbeitung der Problemgebiete Iran, Nordkorea und Naher Osten. Das gilt auch in den Bereichen der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Drogenhandels. Aber sonst? Sehen wir nach Osteuropa: In der Ukraine haben wir in der Vergangenheit höchst unterschiedliche Interessen formuliert. Wir haben die orangene Revolution - damit ist die Entwicklung von Demokratie und Zivilgesellschaft in der Ukraine gemeint - unterstützt; Russland hat das Gegenteil getan. Ähnliches gilt für Georgien. Moskau lässt bis heute erkennen, dass ihm die EU- und NATO-Mitgliedschaft der baltischen Staaten schwer im Magen liegt. Russland hält die sogenannten eingefrorenen Konflikte am Kochen und sponsert die Separatisten in Moldawien und Georgien. Die Handhabung dieser eingefrorenen Konflikte steht in quälendem Kontrast zu den Ankündigungen von Präsident Putin in der „FAZ“ hinsichtlich der strategischen Partnerschaft mit uns. Ich sage ganz deutlich: Die Frozen Conflicts sind mit einer strategischen Partnerschaft inkompatibel. Auch in Zentralasien gibt es eine erhebliche Konkurrenz. Auch dort kann von einer strategischen Partnerschaft keine Rede sein. Alles in allem müssen wir feststellen, dass von einer strategischen Partnerschaft noch keine Rede sein kann. Wir streben sie an. Vielleicht sind wir auch auf dem Weg dorthin; aber es gibt sie noch nicht. Die Frage ist: Wie kommen wir weiter? Wie kommen wir zu einer strategischen Partnerschaft mit Russland? Wir müssen die eigenen Interessen definieren. Dabei sollten wir - das sage ich ganz ausdrücklich - die Interessen unserer östlichen Nachbarn, der Polen und der baltischen Staaten, einbeziehen; ({1}) sie haben nämlich ganz spezifische, historische Erfahrungen in Bezug auf Russland, übrigens auch in Bezug auf Deutschland. Deshalb haben sie ganz spezifische Anforderungen und Bedürfnisse in Bezug auf Sicherheit und Stabilität in Europa. Russland und der Rest Europas sind geostrategisch aufeinander angewiesen, ob sie wollen oder nicht. Jede andere Behauptung ist Gerede. Gerhard Schröder hat neulich im „Adlon“ gesagt, Russland habe eine Alternative zur EU, nämlich die Hinwendung zur eurasischen Region. Das stimmt so nicht. Das Letzte, was Russland meiner Einschätzung nach will, ist eine Abhängigkeit, auch eine wirtschaftliche Abhängigkeit, von Asien. Auch die asiatischen Länder wollen aus der wirtschaftlich einseitigen Abhängigkeit von Russland heraus. Russland und die zentralasiatischen Staaten müssen ihre Volkswirtschaften modernisieren, und das geht nicht ohne die Unterstützung der EU und Amerikas. Auch deshalb kommt eine Abwendung Russlands von Europa nicht ernsthaft in Betracht. Wir haben ein Interesse an einem starken Russland, an der guten Entwicklung seiner Volkswirtschaft, aber auch an der Entwicklung seiner Zivilgesellschaft und seiner demokratischen Institutionen. Außerdem haben wir ein Interesse an einer geordneten Entwicklung der Staaten Osteuropas, an der Modernisierung seiner Gesellschaften. Das sollte möglichst nicht im Konflikt mit Russland passieren, sondern im Rahmen einer strategischen Partnerschaft. Insoweit sehe ich eine Verantwortungsidentität zwischen Russland und der EU. Herr Hoyer, die spannende Frage ist: Gehören gemeinsame Werte zwingend zu einer strategischen Partnerschaft? Sie behaupten dies in Ihrem Antrag. Putin schreibt, Russland habe Europa viel zu bieten. In der Tat gibt es eine starke kulturelle Affinität zwischen Russland und Europa und natürlich auch zwischen Russland und Deutschland. Wir alle kennen allerdings die innenpolitischen Zustände in Russland. Diese Zustände machen uns Sorgen - die Kanzlerin hat das in Russland erst neulich deutlich angesprochen -: Die Rechte der Opposition werden behindert, die Zivilgesellschaft wird durch das NGO-Gesetz behindert; die Justiz ist nicht unabhängig. Ich will hier ausdrücklich einmal ein politisches Prinzip nennen, das für uns essenziell ist: Es ist die Tatsache, dass bei uns das Parlament die Geheimdienste kontrolliert und nicht umgekehrt. Ich finde, wir müssen aber auch eigene Wege dieser osteuropäischen Staaten, auch Russlands, zur Modernisierung akzeptieren. Wir müssen Tradition und gesellschaftliche Realitäten berücksichtigen und kommen an der Tatsache nicht vorbei, dass Russland seit 300 Jahren eine andere politische Tradition gelebt hat. Wir können eben nicht voraussetzen, dass Russland eine lupenreine Westminsterdemokratie installiert, bevor wir eine partnerschaftliche Zusammenarbeit eingehen. Um gar kein Missverständnis zu erzeugen: Diese Position schließt nicht aus, dass wir uns als Partner die Wahrheit sagen und unsere Sorgen in Bezug auf Menschenrechte und Demokratie in Russland sehr deutlich artikulieren. ({2}) Ich sage nochmals: Die Kanzlerin hat bewiesen, dass das geht. Wir wollen ein starkes und stabiles Russland. Wir wollen in den Beziehungen zu Russland aber den Vorrang von Politik und Diplomatie. Deshalb sollten wir nicht nur über Begriffe und Definitionen, was strategische Partnerschaft ist, reden, sondern konkrete Schritte machen. Ich nenne das zu verhandelnde Partnerschaftsund Kooperationsabkommen und die Vereinbarung einer Energiecharta. Vor diesem Hintergrund wäre eine funktionierende strategische Partnerschaft das Beste, was der EU und Russland passieren kann. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Werner Hoyer, FDP-Fraktion.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Wellmann, Letzterem stimme ich ausdrücklich zu. Das wäre außerordentlich wünschenswert. Ich habe mit diesem Begriff „strategische Partnerschaft“ Probleme, weil wir nach meiner Auffassung noch nicht so weit sind. Überhaupt finde ich, dass es bei der Verwendung von Begriffen wie Strategie, Taktik, Konzept usw. mittlerweile einen ziemlichen Wildwuchs gibt. Ich würde mich freuen, wenn wir uns darüber verständigen könnten. Vielleicht gelingt das im Laufe der Beratungen dieser Anträge im Ausschuss. Ich bin auf jeden Fall gern bereit, dazu beizutragen. Man muss sich zumindest darüber im Klaren sein, welche Ziele man gemeinsam anstrebt und welche Maßstäbe man auf dem Weg zur Zielerreichung beachten muss. Dieses Minimum an Verständigung über eine strategische Partnerschaft würde ich mir eindeutig wünschen. ({0}) Russland ist für uns wichtig. Russland ist ein bedeutsames, großes Land. Es hat eine fantastische Kultur. Es gibt eine große westeuropäisch-russische und eine deutsch-russische Geschichte, die keineswegs nur von Katastrophen gekennzeichnet ist. Deswegen sollten wir uns in der Tat bemühen. Ich habe außerordentlich begrüßt, dass die Kameraderie, die im Verhältnis zu Putin eine Zeit lang geherrscht hat, von der Bundeskanzlerin geknickt worden ist, dass aber auch nicht auf ein Russia-Bashing, auf ein „Draufkloppen“ auf Russland, umgestellt worden ist. Dafür ist Russland und dafür sind unsere Beziehungen zu Russland zu wichtig. Ich finde diese Entwicklung und die Art und Weise, wie die Bundeskanzlerin das angepackt hat, erfreulich. ({1}) Wir brauchen eine enge und faire Partnerschaft mit Russland. Hier gibt es noch sehr viel zu tun. Wir verkennen nicht, welche Schwierigkeiten Präsident Putin hat. Nach Gorbatschow und Jelzin hat er weiß Gott ein schweres Erbe übernommen. Dieses Land zu regieren und es - das ist für ihn ein sehr wichtiges Ziel - mit Stabilität auszustatten, ist eine gigantische Herausforderung. Deswegen sollten wir nicht ungerecht sein. Gleichwohl ist wichtig: Wenn wir davon überzeugt sind, dass bestimmte Kriterien wie die Gewährleistung der Menschenrechte, der Pressefreiheit und eines funktionierenden Rechtssystems erfüllt sein müssen, da sie nach unseren Maßstäben unverhandelbar sind, dann müssen wir das deutlich sagen und diese Auffassung in den Dialog mit Russland einbringen. Wir dürfen unsere eigenen Werte und Grundvorstellungen nicht verstecken. ({2}) Es gibt viel aufzuklären. Der russische Botschafter sagte in einer deutschen Fernsehsendung, die am Sonntagabend ausgestrahlt wurde, dass auch in anderen Ländern schlimme Verbrechen geschehen, dass auch dort Menschen umgebracht werden und dass auch diese Verbrechen im Nachhinein nicht immer aufgeklärt werden können. Das Problem ist, dass häufig gerade diejenigen, die mit dem System über Kreuz liegen, ein solches Schicksal erleiden müssen. Deswegen ist es unbedingt erforderlich, dass die Geschehnisse in Russland aufgeklärt werden. ({3}) Russland ist für uns ein außerordentlich wichtiger Partner. Ich hoffe, dass die Verhandlungen der Europäischen Union mit Russland zu einem guten Ergebnis führen. Frau Beck, eines ist ausgesprochen wichtig: Wir müssen uns darüber klar werden - darauf hat auch Herr Wellmann hingewiesen -, dass Russland natürlich in wesentlichen ökonomischen Bereichen - ich nenne die Stichworte Rohstoffe und Energie - ein sehr wichtiger Lieferant für uns ist. Wir sollten alles tun, um nicht nur Energie einzusparen und effizienter mit ihr umzugehen, sondern um auch neue Quellen aufzudecken und bestehende Abhängigkeiten zu reduzieren. All das ist richtig. Aber Russland ist und bleibt noch für lange Zeit unser wichtigster Energielieferant. Sollte sich allerdings so etwas wie ein bilaterales Monopol entwickeln - schließlich ist Westeuropa, wenn es seine Kräfte bündelt, ein sehr bedeutender Nachfrager -, muss in diesem bilateralen Monopol Waffengleichheit herrschen. Es ist wichtig, auch im Abkommen zwischen der Europäischen Union und Russland festzuhalten, dass nicht nur Russland bzw. Gasprom kräftig in Westeuropa einkaufen und seine Interessen über die Vertriebswege sichern kann, sondern dass auch umgekehrt wir Westeuropäer die Chance haben, uns in Russland am Aufbau der Infrastruktur, die wir gemeinsam brauchen, zu beteiligen. Das ist, wie ich glaube, außerordentlich wichtig. Das sollten wir mit dem notwendigen Selbstbewusstsein angehen. Ich formuliere es einmal etwas platt: Auch die Russen können ihr Öl nicht saufen. ({4}) Wir müssen uns darauf einrichten, dass wir es noch lange brauchen. Die Vorstellung allerdings, man könne es mal eben durch eine kleine Pipeline durch das Altai-Gebirge nach Asien weiterverkaufen, ist völlig unrealistisch. Deswegen ist unsere Verhandlungsposition, wenn wir Europäer uns einigen können, gar nicht so schlecht. Wir sollten die Dinge mit dem nötigen Selbstbewusstsein und einer konstruktiven Grundhaltung angehen und mit Freude mit Russland zusammenarbeiten, unsere eigenen Werte dabei aber nicht vergessen oder gar hintanstellen. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Staatsminister Gernot Erler.

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte bietet eine gute Gelegenheit zur Klärung, was eigentlich das zwischen der EU und der Russischen Föderation vereinbarte Ziel, an einer strategischen Partnerschaft zu bauen, bedeutet. Der Begriff stützt sich zunächst einmal auf Intensität. Ich möchte das an fünf Punkten zeigen: Erster Punkt. Seit zehn Jahren haben wir das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen als Grundlage. Wenn man sich einmal den Text anschaut, dann wird man sehen, dass dort von einer hohen Verbindlichkeit, gemeinsamen Werten, Prinzipien und Abläufen die Rede ist. Zweiter Punkt. Neben diesem PKA hat sich die Arbeit an den vier gemeinsamen Räumen in zentralen Feldern der Zusammenarbeit mit sehr konkreten Ergebnissen dynamisch entwickelt. Dritter Punkt. Zweimal im Jahr finden EU-RusslandGipfel statt, die sehr intensiv vorbereitet werden und nach sehr offenen Diskussionen ebenfalls zu sehr konkreten Ergebnissen kommen. Vierter Punkt. Es gibt die wachsende Rolle der Energiezusammenarbeit. Russland liefert immerhin 70 Prozent der eigenen Produktion in die EU, und die EU verlässt sich auf die Russische Föderation, um 30 Prozent ihres Gas- und Erdölbedarfs zu befriedigen. Deshalb kann man schon von einer wechselseitigen Abhängigkeit sprechen, die geradezu zur Zusammenarbeit zwingt. Wir haben in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten auch gute Erfahrungen mit der Verlässlichkeit beider Partner gemacht. Fünfter Punkt. Jeder, der sich mit internationaler Politik beschäftigt, weiß, dass Russland ein unverzichtbarer Partner bei dem Bemühen um die Lösung von Konflikten ist - ob im Kosovo, im Iran, in Afghanistan oder im Nahen Osten. Allein aufgrund dieser fünf Punkte, durch die die Intensität des Austausches deutlich wird, ist es gerechtfertigt, von einer Arbeit an einer strategischen Partnerschaft zu sprechen. ({0}) Strategische Partnerschaft bedeutet aber auch noch etwas anderes. Sie bedeutet einen akzeptierten Anspruch beider Seiten auf den offenen und kritischen Dialog über die gesellschaftliche Entwicklung bei beiden Partnern. Kritische Fragen kommen eben nicht unter die Räder einer strategischen Partnerschaft, sondern sind im Gegenteil ein Teil der strategischen Partnerschaft. Wir haben in der Tat Grund, Fragen zu stellen, weil es uns aufgrund der Intensität der Zusammenarbeit nicht egal sein kann, wohin der Partner geht. Wir sind davon überzeugt, dass zu einem starken Russland, das Anspruch auf Ansehen und Einfluss erhebt, eine freie Presse, ein System eigenständiger Parteien, rechtstaatliche Verhältnisse, die Vermeidung von Straffreiheit bei aller Form von Verbrechen und eine sehr lebendige Zivilgesellschaft, auch wenn sie regierungskritisch auftritt, gehören. ({1}) Nicht nur, weil es unseren gemeinsamen Werten entspricht, sondern auch, weil es im Interesse dieses Partners Russland ist, erwarten wir, dass die abscheulichen Morde an Anna Politkowskaja und dem Ex-Geheimdienstmann Litwinenko aufgeklärt werden. ({2}) Deswegen beobachten wir aufmerksam, in welche Richtung sich die Anwendung des neuen NGO-Gesetzes entwickelt. Wir werden das bei jeder Begegnung mit unseren russischen Partnern immer wieder ansprechen. ({3}) Abschließend sage ich: Die Intensivierung und das Verständnis dieser strategischen Partnerschaft, die ich versucht habe, hier kurz zu beschreiben, sind ohne Alternative. Es wird kein Zurück hinter einen ständigen intensiven Austausch über Werte und ihre richtige Umsetzung und auch kein Zurück hin zu einer partiellen und seelenlosen Interessenkoordinierung geben. Das ist bei der Qualität dieser wechselseitigen Abhängigkeit nicht mehr angemessen. Dies ist unser Verständnis von einer strategischen Partnerschaft, an der wir weiterhin bauen müssen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Gehrke, Fraktion Die Linke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt muss ich aufpassen, dass ich nicht eine Debatte fortsetze, die zu Ende ist; wir kommen darauf zurück. Ich möchte mich bei der politischen Konkurrenz, also bei den Grünen und bei der FDP, für die Anträge ausdrücklich bedanken, auch wenn ich sie inhaltlich nicht teile. ({0}) Es ist nämlich notwendig, dass die Problematik der strategischen Partnerschaft Deutschland/EU/Russland hier im Parlament endlich einmal zur Diskussion gebracht wird. An die Kollegen der SPD und der CDU/CSU gerichtet sage ich: Für mich ist schon augenfällig, dass zu allen wichtigen außenpolitischen Fragen in den letzten Monaten im Bundestag ausschließlich Anträge der Oppositionsparteien und keine Anträge der Koalitionsparteien vorgelegt worden sind. Es scheint, als ob Sie zu diesen Themen zwar etwas zu sagen, aber nichts zu formulieren hätten. ({1}) Das galt für den Nahen Osten, das gilt jetzt für Russland. Ich könnte eine Unmenge von Themen nennen. Da muss man einmal Farbe bekennen. Ich ärgere mich etwas darüber, dass auch wir nichts zum Thema Russland vorgelegt haben; kommt aber. ({2}) - Man muss auch ein bisschen selbstkritisch sein. ({3}) - Nur ein bisschen. Zur Sache selbst. Ähnlich wie Kollege Hoyer finde ich den Begriff der strategischen Partnerschaft überzogen; eine solche ist noch nicht nachgewiesen. Wenn man eine strategisch begründete Partnerschaft, eine strategisch begründete Konzeption entwickeln will, muss erst einmal eine Analyse der übereinstimmenden und der divergierenden Interessen vorgelegt werden; sie sind immer die Grundlage, um so etwas zu beschreiben. Wenn man etwas Polemik machen wollte, könnte man sagen: Das ist früher durch Männerfreundschaften überdeckt worden. Das ist heute ohnehin nicht mehr angesagt. Eine Analyse der unterschiedlichen Interessen ist also unabdingbar, wenn man eine strategische Partnerschaft beschreiben will. Ich würde das Verhältnis EU/Deutschland/Russland derzeitig auf die Begrifflichkeit bringen wollen: Instabilität in der Stabilität. Ich sehe sehr viele instabile Entwicklungen, aber ich sehe natürlich auch, dass sich in der Zusammenarbeit viele gemeinsame Grundlagen herausgebildet haben. Wenn wir über strategische Partnerschaft reden, sollten wir uns immer wieder klar machen, dass Europapolitik mehr ist als EU-Politik. Wenn wir selbst von Europa reden, reden wir meist nur von der EU und denken wenig darüber hinaus. Ein zweiter Gesichtspunkt, den ich im Antrag der FDP richtig beschrieben finde - wenn meine Zeit es zulässt, würde ich Ihnen gern noch sagen, wo ich Ihren Antrag kritisiere und inhaltlich nicht teile -, ist der, dass Sicherheit und Stabilität in Europa nur mit Russland und nicht gegen Russland oder gar ohne Russland zu erreichen sind. Ein Drittes muss man eigentlich einmal gründlicher bedenken. Ich habe bei vielen Debatten den Eindruck, dass immer noch die Überlegung mitschwingt, den russischen Einfluss zu begrenzen. Wenn man eine vernünftige Politik in Europa entwickeln will, muss Europa ein Interesse daran haben, dass Russland seine weltpolitische Rolle in vielen Konflikten dieser Welt mehr und vielleicht besser ausfüllt. Ich weiß auch nicht, ob man umgekehrt von einer Deutschland- und Europastrategie Russlands sprechen kann; auch insofern setze ich Fragezeichen. Wir müssten jedenfalls ein Interesse daran haben, dass von Russland mehr Weltpolitik gemacht wird. Einiges in den beiden Anträgen teile ich nicht. Ich würde mich nicht auf einen gemeinsamen Wertekanon berufen wollen. Den halte ich für nicht tauglich, wenn man Interessenübereinstimmungen und Interessendivergenzen beschreibt, zumal man noch nicht weiß, ob er in dieser Form in der EU überhaupt vorhanden ist. Kollege Hoyer, einen Wertekanon „Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und freie Marktwirtschaft“ unterschreibe ich Ihnen, was Letzteres angeht, natürlich nicht. ({4}) Da sind unser Grundgesetz und anderes differenzierter. Bei beiden Anträgen fällt mir auf, dass die Abrüstungsproblematik überhaupt keine Rolle spielt, als ob die Beziehung zu Russland nicht auch etwas mit Abrüstung und Rüstungskontrolle zu tun hätte. Wir hätten eine gute Chance, finde ich, über Interessen und Interessenbalancen zu diskutieren und dann wirklich zu einer strategisch begründeten Partnerschaft zu kommen. Noch sind wir nicht da. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat Kollege Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion, das Wort.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte, die sich mit der Entwicklung Russlands befasst, empfinde ich als sehr wohltuend. Ich glaube, dass sie angesichts der Probleme, vor denen Russland steht, auch angemessen ist. Am Ende des Jahres wird die Staatsduma neu gewählt werden, anschließend der Präsident. Es gibt durchaus Ängste und Sorgen; sie sind zum Teil hier, wie ich finde, zu Recht, geäußert worden. Was die innere Entwicklung Russlands angeht, blicken eine Menge Menschen - besonders diejenigen, von denen wir hoffen und erwarten, dass sie die russische Demokratie stützen, stärken, fördern - mit großer Sorge auf die kommenden Monate. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass Russland in der Tat eine junge Demokratie ist, worauf die Widersprüchlichkeit der Entwicklung unter anderem zurückzuführen ist. Wenn man sich vor Augen führt, wie sie geprägt wird - ({0}) - Deutschland scheint das Handballhalbfinale gewonnen zu haben. Obwohl ich rede, hat Deutschland gewonnen; das freut mich ganz besonders. ({1}) Ich darf das offenbar verkünden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich höre gerade, Deutschland hat dieses Halbfinalspiel soeben im Siebenmeterwerfen gewonnen. ({0}) - In der zweiten Verlängerung, gut.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wie auch immer, vielleicht gewähren wir auch Russland eine weitere Verlängerung ({0}) beim Aufbau, Stärken und Stützen der Demokratie. Dieses Land hat es wirklich verdient. Ich darf einmal erwähnen, worum es mir besonders geht. Dabei will ich mich gar nicht von denen abheben, die in der Vorgängerregierung mit Russland zusammengearbeitet haben; aber ich will das deutlich machen. Wenn ich mir vor Augen führe, wie es beispielsweise Jabloko bei den Wahlen in Sankt Petersburg, die im März stattfinden, unmöglich gemacht wird, überhaupt zur Wahl anzutreten, wenn ich mir anschaue, in welcher Weise Memorial eingezwängt wird und wie dessen Handlungsmöglichkeiten beschränkt werden, wenn ich sehe, dass der Kollege Rybkin, den wir ja alle aus der Staatsduma kennen, es kaum mehr schaffen kann, wieder in die Staatsduma gewählt zu werden, dann sehe ich lauter alarmierende Anzeichen. Ich glaube, das darf man hier klar und deutlich sagen: Ich wünsche mir, dass in den nächsten Monaten bis zur Wahl der Staatsduma die besorgniserregenden Entwicklungen vielleicht doch noch einmal korrigiert werden; denn die Entwicklung Russlands und die Stärkung der Demokratie in Russland sind wichtig dafür, dass es auch ein strategischer Partner der Demokratien in der europäischen Demokratiefamilie wird. Das würde ich mir wünschen. Ich hoffe sehr, dass die Administration insoweit alles tut, dass die Demokraten eine wirkliche Chance bei der Staatsdumawahl haben werden. ({1}) Neben diesen Alarmzeichen sollten wir aber auch sehen, vor welchen Schwierigkeiten die russische Demokratie steht. Ich empfehle Ihnen allen den jüngsten Essay von Michail Ryklin mit dem Titel „Mit dem Recht des Stärkeren“; Herr Annen hat gerade das Buch in der Hand. Darin hat er eine Reihe von gesellschaftlichen Konflikten, wie ich finde, exakt beschrieben. Dabei wird deutlich, dass mit dem Ende des realen Kommunismus bei vielen Menschen in Russland leider immer noch eine gewisse Empfänglichkeit und Bereitschaft vorhanden ist, eine Ideologie durch eine andere auszutauschen, in diesem Fall durch die Gefahr des Nationalismus. In der Nähe von Sankt Petersburg oder gar in der Stadt und auch in anderen Regionen dieses Landes ist eine gefährliche Entwicklung in Richtung Rassismus und Antisemitismus deutlich zu erkennen. Wenn das so überscharf erkennbar ist, ist es umso wichtiger und notwendiger, dass wir auf unserer Seite die strategische Partnerschaft so auffassen, dass wir Russland auf dem Weg der Stärkung der Demokratie mit fördern. Ich verstehe das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen als eines der möglichen Instrumente und Mittel, die russische Demokratie zu stärken und zu fördern. Nehmen wir nur einmal einen Punkt heraus. Gernot Erler hat vorhin von den verschiedenen Operationsmöglichkeiten gesprochen. 2004 ist entschieden worden, dass es einen Menschenrechtsdialog zwischen der Europäischen Union und Russland gibt. Er findet im Mai erneut statt. Ich glaube, dass dieser Menschenrechtsdialog von uns gemeinsam so ausgestaltet werden kann, dass wir über die kritischen Punkte mit den Kollegen diskutieren können. Wichtig ist, dass wir mithelfen, dass Russland die Probleme lösen kann, die zu einer Fessel bei der Modernisierung des Landes werden können. So Gert Weisskirchen ({2}) verstehe ich unseren Beitrag im Rahmen des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens. In Europa gibt es Produzenten von Energie, Konsumenten von Energie, und es gibt diejenigen, die sowohl Konsumenten sind als auch für den Transport der Energie zu uns nach Westeuropa wichtig sind. Ich würde es mir sehr wünschen, dass wir unsere gemeinsamen Interessen erkennen. Wenn eine Energiecharta nicht möglich ist, dann sollten die Verhandlungen zum Partnerschafts- und Kooperationsabkommen dazu genutzt werden - Frank-Walter Steinmeier hat es uns im Auswärtigen Ausschuss erläutert -, um Grundelemente der Energiecharta in dieses Abkommen aufzunehmen. Das wäre ein ganz wesentlicher Schritt nach vorne, um Verlässlichkeit deutlich zu machen und um die Ängste, die in Polen und anderswo gegenüber einem sehr machtvollen und nicht immer vernünftig handelnden russischen Produzenten bestehen, abzubauen. Wir müssen erkennen, dass wir in Europa aufeinander angewiesen sind. Russland und die Länder der Europäischen Union brauchen einander; denn wir wollen gute Nachbarn sein. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/4165 zu Zusatzpunkt 6 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/4155 zu Tagesordnungspunkt 12 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens - Drucksache 16/3227 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0}) - Drucksache 16/4194 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Günter Krings Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Jerzy Montag Die Reden von den Kollegen Günter Krings, Dirk Manzewski, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Wolfgang Nešković, Jerzy Montag und Alfred Hartenbach sind zu Protokoll gegeben.1) 1) Anlage 4 Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens, Drucksache 16/3227. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4194, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulrike Flach, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Stammzellgesetzes - Drucksache 16/383 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Die Reden der Kollegen Eberhard Gienger, René Röspel, Ulrike Flach, Monika Knoche und Priska Hinz sind zu Protokoll gegeben worden.2) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/383 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften - Drucksachen 16/2703, 16/3037 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({2}) - Drucksache 16/4169 - Berichterstattung: Abgeordneter Winfried Hermann Es liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion des Bünd- nisses 90/Die Grünen vor. 2) Anlage 7 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Achim Großmann das Wort.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Fünfte Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften und die darauf aufbauenden Verordnungen dienen der Umsetzung der Richtlinie über die Eisenbahnsicherheit in der Europäischen Gemeinschaft. Die Kommission hatte ihre Initiative für eine europäische Regelung damit begründet, dass die Mitgliedstaaten ihre Sicherheitsvorschriften und -normen bis heute überwiegend nach einzelstaatlichen Leitlinien entwickelt haben, wobei sie jeweils nationale technische und betriebliche Konzepte zugrunde gelegt haben. Gleichzeitig haben Unterschiede grundsätzlicher, konzeptioneller und kultureller Art die Überwindung technischer Hindernisse und die Aufnahme grenzüberschreitender Verkehrsdienste erschwert. Zudem bestehen Unterschiede zwischen den nationalen Sicherheitsanforderungen, die das reibungslose Funktionieren des Eisenbahnverkehrs in der Gemeinschaft beeinträchtigen. Deshalb muss im Zuge der Bemühungen zur Errichtung eines Binnenmarktes für Eisenbahnverkehrsdienste ein gemeinsamer europäischer Rahmen für die Regelung der Eisenbahnsicherheit geschaffen werden, der die Bedingungen harmonisiert und damit Interoperabilität ermöglicht. Dies ist für die Wettbewerbsfähigkeit der Eisenbahnen im europäischen Verkehrsmarkt eine zwingende Notwendigkeit. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Harmonisierung des Inhalts der Sicherheitsvorschriften, der Sicherheitsbescheinigungen für Eisenbahnunternehmen, der Aufgaben und Funktionen der Sicherheitsbehörden sowie der Untersuchung von Unfällen. Die nationale Umsetzung dieser Richtlinie bedeutet aber nicht, dass in Deutschland eine neue Sicherheit geschaffen wird. Unser System, das auf der Konzession, der Eigenverantwortlichkeit der Eisenbahnen zur sicheren Betriebsführung sowie der Eisenbahnaufsicht des Bundes und der Länder aufbaut, entspricht uneingeschränkt den Sicherheitsanforderungen. Unser deutsches System hat allerdings die Besonderheit, dass es als einziges in der EU von einer föderalen Kompetenzverteilung geprägt ist. Das heißt, es besteht Bundeszuständigkeit für die Eisenbahnen des Bundes und Länderzuständigkeit für die nichtbundeseigenen Eisenbahnen. Die mittlerweile mehr als zwei Jahre mit den Ländern geführte Diskussion hat leider zu keiner einvernehmlichen Lösung in dieser Frage geführt. Deshalb hat die Bundesregierung in ihrem Entwurf ein Modell umgesetzt, das die Errichtung einer Sicherheitsbehörde beim Bund vorsieht, bei der ein Beirat zur Berücksichtigung der Länderbelange eingerichtet wird. Mit diesem Gesetzentwurf erhält die Sicherheitsbehörde folgende Aufgaben: die Genehmigung struktureller Teilsysteme, die Überwachung der Interoperabilitätskomponenten, die Erteilung der Sicherheitsbescheinigungen und Sicherheitsgenehmigungen und deren Überwachung, die Genehmigung und Überwachung von Schulungseinrichtungen, die Überwachung und Weiterentwicklung der nationalen Sicherheitsvorschriften und schließlich das Führen des nationalen Einstellungsregisters für Fahrzeuge. Zudem obliegt dem Bund die Untersuchung gefährlicher Ereignisse im Eisenbahnbetrieb auf Eisenbahninfrastrukturen, die seiner Eisenbahnaufsicht unterliegen. Der Freistaat Bayern hat im Bundesrat einen Antrag eingebracht, der eine Behörde des Bundes mit zusätzlicher Nutzung der Ausnahmetatbestände der Richtlinie vorsieht. Dieser Antrag, der bereits zuvor im Arbeitskreis „Bahnpolitik“ der Länder mit deutlicher Mehrheit beschlossen wurde, ist auch maßgeblicher Teil der Stellungnahme des Bundesrates. Auf Basis dieses Antrages ist der Regierungsentwurf noch einmal überarbeitet worden. Die Änderungen sind auf Antrag der Koalitionsfraktionen in die Ausschussberatungen eingebracht worden. Der im Bundesrat ebenfalls angenommene Vorschlag Niedersachsens für eine Öffnungsklausel, mit der den Ländern die Möglichkeit gegeben wird, zu wählen, ob sie die Aufgaben einer Sicherheitsbehörde künftig selbst ausüben, stößt bei der Bundesregierung aber auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Dies würde zu einer unzulässigen partiellen Bundesverwaltung führen. Daneben wäre sie zudem mit einem hohen Koordinierungsaufwand verbunden. Dadurch würden für die deutschen Eisenbahnunternehmen und die deutsche Bahnindustrie die Zulassungsprozesse deutlich verteuert. Die Folge wäre eine erhebliche Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit des Verkehrsträgers Schiene gegenüber anderen Verkehrsträgern. Der Gesetzentwurf und die verschiedenen Änderungsvorschläge sind in einer vom federführenden Ausschuss anberaumten Anhörung eingehend erörtert worden. Ich glaube, mit Recht sagen zu können, dass wir hier eine für die recht komplizierten Verhältnisse in Deutschland gute Lösung gefunden haben. Das wurde uns von den Sachverständigen, insbesondere von Professor Ronellenfitsch, bestätigt. ({0}) Ich darf mich sehr herzlich für die konstruktive Mitarbeit bedanken. Sie alle wissen, dass wir etwas unter Zeitdruck stehen. Mit der Umsetzung der europäischen Richtlinie hinken wir ziemlich weit zurück. Deshalb will ich zum Schluss an die Länder appellieren, dass sie diesem Gesetzentwurf in der kommenden Bundesratssitzung zustimmen, damit wir in Europa, in Brüssel, Vollzug melden können. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Patrick Döring, FDPFraktion.

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme zunächst auf Ihre letzten Bemerkungen zu sprechen, Herr Staatssekretär. Bei allem Verständnis dafür, dass Sie mögliche Schwierigkeiten in der EU oder im Bundesrat sehen und anmerken: Für den Zeitplan und die Dauer der Diskussionen können die Parlamentarier des Verkehrsausschusses und des gesamten Hauses am wenigsten. ({0}) Deswegen ist Ihr Appell bei uns an der falschen Adresse. Die Bundesregierung hat ohne Not einen zentralistischen Gesetzentwurf eingebracht, der vorsieht, dass alle Kompetenzen beim Eisenbahn-Bundesamt gebündelt werden. Dieser Gesetzentwurf hat, wie wir heute wissen, nicht einmal die volle Unterstützung der diese Bundesregierung tragenden Koalition; denn sonst hätten Sie sicherlich nicht umfangreiche Änderungsanträge eingebracht. Das Übel liegt, wie so oft im Leben, im Anfang begründet: Am Anfang haben Sie die EU-Richtlinie so ausgelegt, dass eine einzige Sicherheitsbehörde zuständig sein soll. Inzwischen wissen wir dank der von den Oppositionsfraktionen durchgesetzten Anhörung und anderer Ausführungen aber, dass dies nicht Inhalt der EU-Richtlinie ist. Die Änderungsanträge, die die Koalition gestellt hat und die mit ihrer Mehrheit heute verabschiedet werden, sind ein Schritt in die Richtung, in die auch wir wollen: Wir wollen die Kompetenzen der Länder erhalten und stützen. Das ist vernünftig, weil sie eine gute Arbeit leisten. Ich finde es bemerkenswert, dass die Koalition, die den VDV bei vielen, insbesondere bahnpolitischen Diskussionen als Kronzeugen anführt, ausgerechnet in diesem Fall eine Meinung vertritt, die völlig konträr zur Meinung des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen ist. Der VDV sagt: Unsere Mitgliedsunternehmen, die nicht zur DB AG gehören, befürchten, dass das Eisenbahn-Bundesamt sie nicht so gut behandelt wie die DB AG. - Solche Befürchtungen, die auch schriftlich verfasst wurden, kommen sicherlich nicht von ungefähr. Sie haben diese Bedenken nicht vollständig aufgenommen, versuchen jetzt aber durch die Änderungsanträge, das Schlimmste zu verhindern. Das gelingt Ihnen nicht in allen Punkten. Jetzt werden wir nämlich eine Diskussion darüber führen, ob das Eisenbahn-Bundesamt zuständig ist, wenn ein Nicht-DB-Unternehmen auf bundesbahneigenen Schienennetzen fährt. Zukünftig wird es so sein, dass dieses Unternehmen dann zwei Genehmigungen braucht. Diese Doppelbürokratie ist das Ergebnis des Beratungsverfahrens. ({1}) Sie haben wiederholt behauptet - ich vermute, die Kollegen Beckmeyer und Ferlemann werden das gleich wieder tun -, dass eine Öffnungsklausel, wie sie der Bundesrat vorschlägt, verfassungswidrig sei. Mir ist weder in der Anhörung noch in der Diskussion im Ausschuss noch heute klar geworden, warum etwas, was zurzeit geltendes Recht ist, auf einmal, über Nacht, durch eine EU-Richtlinie verfassungswidrig werden soll. Das ist nicht geklärt. ({2}) Ich bin der festen Überzeugung, dass sich die Koalitionskollegen von der Justizministerin haben ins Bockshorn jagen lassen, von welchen Interessen auch immer sie geleitet gewesen sein mag. In den öffentlichen Äußerungen zu diesem Thema, zum Beispiel in der Pressemitteilung des Kollegen Beckmeyer, wird das Hohelied von mehr Sicherheit gesungen. Niemand kann einer Fraktion dieses Hauses vorwerfen, dass sie etwas gegen mehr Sicherheit auf der Schiene hat, ganz im Gegenteil. Gerade bei dem Orkan Kyrill, über den wir am Mittwoch im Ausschuss diskutiert haben, hat sich das System Schiene als durchaus sicher erwiesen. Das gilt übrigens auch für die Nicht-DBBahnen. Aber statt mehr Sicherheit wird dieses Gesetz vor allen Dingen mehr Bürokratie für die kleinen und mittelständischen Unternehmen produzieren, die versuchen, in den Ländern etwas besser und erfolgreicher zu sein als die Deutsche Bahn AG. Diese Doppelbürokratie hätte man vermeiden können. Am Ende fehlte ganz offensichtlich der Mut, über die verfassungsrechtliche Frage noch einmal zu diskutieren. Deshalb sage ich für meine Fraktion: Wir werden diesen Weg nicht mitgehen. Wir werden die Änderungsanträge der Koalition nicht mittragen und hoffen darauf, dass die Bundesländer im Bundesrat ihre Interessen und Aufgaben verteidigen und dafür werben, dass alles so bleibt, wie es ist. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Enak Ferlemann, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Enak Ferlemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003525, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben uns hier heute auf Wunsch unserer Kolleginnen und Kollegen von der FDP zahlreich versammelt, um vor Millionen von Zuschauern vor den Fernsehschirmen, vor einem vollen Plenum und vor vollen Rängen zu einem der bedeutendsten Gesetzgebungswerke in dieser Legislaturperiode zu sprechen. ({0}) Wir sind der FDP außerordentlich dankbar dafür, dass sie uns die Gelegenheit gibt, heute über die großartige Arbeit der Koalitionsfraktionen noch einmal ausführlich zu diskutieren und sie darstellen zu können. ({1}) Ich bin sehr dankbar, dass trotz des unglaublichen Handballkrimis, den wir gerade erleben durften, so viele Kollegen gekommen sind. ({2}) Wir alle freuen uns sehr, Herr Döring, dass Deutschland rechtzeitig ins Finale eingezogen ist. ({3}) Wir haben es den Kolleginnen und Kollegen der vorigen Debatte zu verdanken, dass wir mit der FDP keine Handgreiflichkeiten austauschen mussten, um das Halbfinale zu Ende sehen zu können. Herr Döring, ich verstehe nicht, warum Sie diese Debatte vom Zaun gebrochen haben. Sie verstehen es wahrscheinlich selber nicht, ({4}) Kollege Friedrich auch nicht. Nun aber stehen wir hier und müssen uns über dieses Thema noch einmal unterhalten, ({5}) obwohl wir das schon mehrfach getan haben. ({6}) Herr Staatssekretär Großmann hat in hervorragender Art und Weise dargestellt, wie das Gesetzgebungsverfahren verlaufen ist und wie kompliziert dieses so bedeutende Gesetzgebungswerk auf den Weg gebracht worden ist. ({7}) Wie Sie wissen, hatten wir große Schwierigkeiten, zu einem Regierungsentwurf zu kommen. Sie kennen die Probleme mit den Bundesländern. Es kam zu der einmaligen Situation, dass im Bundesrat zwei Anträge beschlossen wurden, die sich widersprechen, aber beide eine Mehrheit bekommen haben. ({8}) Es blieb dann den Koalitionsfraktionen überlassen, etwas Vernünftiges daraus zu machen. ({9}) Als wir dann den Gesetzentwurf mit einem Änderungsantrag - Herr Kollege Hermann, den fanden auch Sie eigentlich ganz gut - vorgelegt haben, haben die Oppositionsfraktionen eine Anhörung durchgesetzt, die zum Ergebnis hatte, dass wir - ich finde, zu Recht - ein großes Lob für diesen Änderungsantrag bekommen haben. ({10}) Jetzt kritisieren Sie, Herr Kollege Döring, dass es so gekommen ist, und sagen, verfassungsrechtlich sei das alles nicht richtig, wir hätten uns vom Justizministerium vielleicht falsch informieren lassen. Ich empfehle Ihnen: Lesen Sie noch einmal das Wortprotokoll der Anhörung durch, insbesondere das, was Professor Ronellenfitsch zur Systematik unserer Verfassung ausgeführt hat. Das wäre für Sie sehr lehrreich. Ich glaube, Sie könnten noch einmal das bestätigt bekommen, was Ihnen der Staatssekretär schon mitgeteilt hat und was ich sehr unterstreiche. Ich finde es also großartig, dass wir heute zu so vorgerückter Stunde ({11}) diese spannende, inhaltsreiche und uns weit nach vorne bringende Debatte über dieses Gesetzgebungswerk führen dürfen. ({12}) Ich bedanke mich herzlich dafür. Wir lehnen den Entschließungsantrag der Grünen natürlich ab, der sicherlich Gutes beinhaltet, aber noch auf einen Stand vor dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen rekurriert, also völlig veraltet ist. ({13}) Uns liegt auch ein Änderungsantrag der FDP-Fraktion vor, der leider verfassungsrechtlich völlig neben der Spur liegt. ({14}) Man kann diesem Hohen Hause nur ernsthaft empfehlen, dieses Gesetzgebungswerk zusammen mit unserem Änderungsantrag heute zu verabschieden. Ich gehe davon aus, Herr Döring, dass der Bundesrat - vielleicht bis auf das Land Niedersachsen, das von einem Minister vertreten wird, der Ihrer Partei angehört - mit übergroßer Mehrheit dem Gesetz zustimmen wird. Wir können die europarechtlichen Vorgaben einigermaßen fristgemäß umsetzen und haben keine Strafzahlung zu erwarten, wenn wir dieses bedeutende Gesetzgebungswerk noch rechtzeitig in Kraft setzen. Ich darf mich herzlich für diese spannende Debatte und für die übergroße Aufmerksamkeit der Kolleginnen und Kollegen bedanken. Herzlichen Dank. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Dorothée Menzner, Fraktion Die Linke. ({0})

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Ferlemann, Sie haben diese Debatte so gelobt. Deshalb finde ich es wichtig, zu sagen, wie die letzte Woche abgelaufen ist. Nicht nur die Gesundheitspolitiker haben das Problem, dass sie im letzten Moment Änderungsanträge hereingereicht bekommen, auch wir haben vorgestern Abend erst wenige Stunden vor der Ausschusssitzung die letzte Fassung bekommen. Wie eben schon erwähnt wurde, hat am 17. Januar eine Anhörung im Ausschuss stattgefunden, bei der immerhin sechs von sieben Experten große Bedenken gegen den vorliegenden Gesetzentwurf geäußert haben, ({0}) ein Experte sogar verfassungsrechtliche Bedenken. Da hätte man schon annehmen können, dass die Neufassung Ihres Gesetzentwurfs einige Änderungen beinhaltet. ({1}) Ein kleiner Satz in Ihrem Gesetzentwurf ist geändert worden; im Übrigen gehen Sie arrogant über die Meinung der Experten hinweg. Ich meine, dass die Koalition damit leben muss, dass die Opposition darüber noch beraten möchte. ({2}) Außerdem will ich hier im Plenum deutlich machen: Wir sind nicht schuld daran, dass das so lange gedauert hat. Das sind andere. Aber das kann nicht zulasten der Qualität gehen. Wir haben die letzten Monate mehrfach Gesetzentwürfe erlebt, deren Qualität nicht die beste war. Noch einmal dazu, worum es hier eigentlich geht: Das Allgemeine Eisenbahngesetz muss geändert werden, um Vorgaben der EU umzusetzen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass wir klar regeln, wer bei europaweitem Verkehr für die Zulassung, also für die Sicherheit, zuständig ist. Dabei stellt sich die Frage, welche Rolle die Landesbehörden spielen werden. Werden regional tätige Eisenbahnunternehmen zukünftig zwei Ansprechpartner haben? Wird zukünftig immer erst ein Jurist gefragt werden müssen, wo welcher Antrag zu stellen ist? Das wäre eine ziemliche Belastung für kleine und mittelständische Eisenbahnunternehmen. ({3}) Diese Unternehmen haben in den letzten Jahren massiv zu Innovationen und Neuerungen beigetragen. Das sind nicht alles nur kleine, historische Bahnen, sondern darunter sind auch Unternehmen mit mehreren Hundert Beschäftigten. Ein kurzes Wort zu den Änderungsanträgen. Den Entschließungsantrag der Grünen unterstützen wir. Zu dem Änderungsantrag der Liberalen muss ich sagen: Was Sie gestern vorgelegt haben, fanden wir inhaltlich ganz klasse. ({4}) Aber - darüber haben wir diskutiert - juristisch waren da solche Fallstricke drin, dass wir dem nicht zustimmen konnten. Wenn wir im Verkehrsausschuss ausführlich Pfusch am Bau kritisieren - Hauptbahnhof in Berlin, sage ich nur -, dürfen wir bei Gesetzentwürfen auch nicht schludern. ({5}) Aber ich habe zur Kenntnis genommen: Sie haben daran gearbeitet, haben Ihren Änderungsantrag noch einmal korrigiert. Daher werden wir ihm jetzt zustimmen können. ({6}) Ich danke. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Winfried Hermann, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, ich bin ganz überrascht. Ich dachte, es spricht noch ein Kollege vor mir. Kollege Ferlemann, ich teile Ihre Freude über den Handballsieg. ({0}) Ihre Enttäuschung über die Debatte kann ich nicht teilen. Aber ich kann sie verstehen. Denn es ist ja offenkundig geworden, dass Sie nicht besonders viel Diskussionsbedarf sehen. Ihre Fraktion hat zu der ganzen Sache ja nicht besonders viel zu sagen gehabt. ({1}) Wie wir wissen, sind nicht einmal die Änderungsanträge von Ihnen gekommen, sondern vom Ministerium. ({2}) Wir Grünen begrüßen die Umsetzung des zweiten europäischen Eisenbahnpakets in deutsches Recht, keine Frage. Es ist auch gut, dass der Gesetzentwurf jetzt endlich im Parlament beraten wird. Noch besser wäre es allerdings, wenn dieser Gesetzentwurf stärker an unserer Verfassung und föderalen Gliederung orientiert wäre. Stattdessen wird versucht, über europäische Vorgaben einen deutschen Zentralismus durchzusetzen, der an dieser Stelle nicht angemessen ist. ({3}) Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab - das sage ich gleich vorweg -, weil wir schwerwiegende Bedenken haben. ({4}) Dabei geht es nicht um lächerliche Kleinigkeiten nach dem Motto „Es ist zwar ein bisschen unklar, ob es mit der Verfassung vereinbar ist, aber das ist nicht so schlimm“. Kollege Ferlemann, es war anders, als Sie es dargestellt haben. Mehrere Fachleute haben festgestellt, dass erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Gesetzentwurf bestehen, weil er den Ländern die Zuständigkeit für die Überwachung nimmt, die sie in diesem Bereich qua Grundgesetz haben. Das ist ein schwerwiegender Vorwurf, den wir - übrigens von Anfang an - ernst genommen haben. Sie haben mit Ihrer dankenswerterweise kurzen Rede eines nicht geschafft: Sie konnten nicht erklären, warum Sie ohne Not zentralistische Regelungen einführen und nichts anderes zulassen wollen. Das ist seitens der Europäischen Union nicht zwingend erforderlich gewesen. ({5}) Hier hätten Sie Spielräume gehabt, die Sie aber nicht genutzt haben. Das ist ein großer Fehler. ({6}) Sie hätten dafür sorgen sollen, dass in Deutschland neue einheitliche Sicherheitsstandards geschaffen werden und nicht mehr die Standards der DB für alle gelten, wie in vergangenen Zeiten, als es nur die Deutsche Bundesbahn gab. Obwohl sich dies inzwischen geändert hat, wird es noch so gehandhabt. Notwendig ist deshalb ein einheitlicher gesetzlicher Rahmen in Sicherheitsfragen, der dann mit der administrativen Kompetenz unserer Landesbehörden, die das bisher gut gemacht haben, landesspezifisch bzw. regionalspezifisch umgesetzt wird. Die „subnormativen“ Regelungen, die durch die DB und über das EisenbahnBundesamt auf die anderen Eisenbahnen übertragen werden, müssen dringend beseitigt werden - wenn nicht in diesem Gesetz, dann in noch folgenden Gesetzen. In der Anhörung und auch danach haben Sie uns gesagt, dass den föderalen Bedenken durch Ihre Anträge und die Einrichtung eines Eisenbahnsicherheitsbeirats für die Länder Rechnung getragen wird. Ein Beirat ist aber kein Entscheidungsgremium und auch kein Administrationsgremium. Diese beiden Kompetenzrechte, die die Länder unabdingbar und zweifelsfrei haben, wollen Sie ihnen nehmen. Das kann der Beirat nicht ersetzen. Ich will unterstreichen, was die Kollegin und der Kollege von der Opposition gesagt haben. Die von Ihnen beabsichtigte regionale Sonderregelung bedeutet an vielen Stellen doppelte Genehmigungen und damit doppelte Bürokratie. Das entspricht nicht der Absicht zum Bürokratieabbau, die Sie sonst immer wieder verkünden. Es ist vielmehr ein Beispiel für Bürokratieaufbau. ({7}) Wir argumentieren nicht nur aus verfassungsrechtlicher Sicht für die Kompetenzen der Länder; sie sind vielmehr auch inhaltlich und praktisch begründet. Die Landesbehörden haben über die Jahre bewiesen, dass ihre nichtbundeseigenen Eisenbahnen Sicherheitsstandards pflegen können, die außerordentlich gut funktionieren, aber kostengünstiger sind als das, was die DB seit vielen Jahren praktiziert. Unsere Sorge ist, dass das, was mit der föderalen Struktur regional gelungen ist, durch den Zugriff einer zentralistischen Behörde beseitigt wird, die sich nicht vor Ort befindet und in ihren Entscheidungen keine regionalen Unterschiede berücksichtigen kann; vielmehr werden dann die Standards von oben nach unten verordnet. Wie Sie bereits bemerkt haben, haben wir erhebliche Bedenken gegen den Gesetzentwurf. Obwohl mit den Änderungsanträgen einiges verbessert worden ist, lehnen wir den Gesetzentwurf ab, weil er vom Ansatz her falsch ausgerichtet ist und dies durch die Änderungsanträge letztlich nicht korrigiert wird. Zum Antrag der FDP möchte ich feststellen: Auch wenn wir nicht in allen Punkten übereinstimmen, so geht er grundsätzlich in die richtige Richtung. ({8}): Oh!) Die FDP übt dieselbe Kritik wie wir. Deshalb werden wir diesem Antrag zustimmen. Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegen Uwe Beckmeyer, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man kann feststellen, dass die Oppositionsredner in der Eisenbahndebatte partiell Entzugserscheinungen haben. Das habe ich schon im Ausschuss bemerkt, und es scheint auch im Plenum der Fall zu sein. Ich will einige Punkte zurechtrücken. Wir reden weder über Zentralismus noch über mehr Bürokratie. Wir reden vielmehr über ein größer werdendes Europa und den Eisenbahnverkehr innerhalb dieses größer werdenden Europas. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass wir auf der einen Seite grenzüberschreitende Verkehre mit einem europäischen Lokführerschein, mit einer entsprechenden Sicherheitstechnik aufbauen wollen, und auf der anderen Seite brauche ich zwei Zulassungsbehörden, wenn ich einen Güterzug von Duisburg nach Bremen fahren lasse. In Deutschland! ({0}) Das kann doch wohl nicht der Fall sein. Und insofern irren Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Sie sagen, wir bauen mehr Bürokratie auf und es ist alles zentralistisch. Nein, wir wollen eine einheitliche Behandlung des Güterverkehrs in Deutschland erreichen. Das ist der Ansatz: Einheitlichkeit, nicht Zentralismus. ({1}) Der Punkt ist, dass wir von Europa aufgefordert worden sind, in der Angelegenheit tätig zu werden. Ich glaube, es ist auch richtig, dass wir das tun. Wir sind im Verzug. Ich hoffe aber, dass der Gesetzentwurf mit dem Abschluss der heutigen Debatte im Bundestag den Bundesrat Ende Februar erreichen wird. Das ist nicht arrogant, und es ist auch nicht in irgendeiner Form über Sie gekommen, als wenn das eine Diskussion wäre, von der Sie erst heute erfahren. Wir haben darüber schon Ende letzten Jahres diskutiert; wir haben eine ordentliche Anhörung durchgeführt. Ich unterstreiche das, was Herr Ronellenfitsch gesagt hat: Ich halte den Kompromiss, den man für die Regionalbahnen der Länder gefunden hat, für die optimale Lösung, die per Definition in das Gesetz aufgenommen wurde. Die Änderung, die wir letztendlich eingefügt haben, betrifft die Eilbedürftigkeitsklausel, die herausgenommen worden ist. Ich denke, auch das ist ein Reflex dessen, worüber auf Länderseite diskutiert wird. Diese Herausnahme wird den Diskussionsprozess im Bundesrat erleichtern, sodass dort eine breite Zustimmung über Ländergrenzen hinweg herbeigeführt werden kann. Ich glaube, dass alles das, was hier aktuell noch einmal angeführt worden ist, nicht trägt. Wir haben bei den Definitionen Regionalbahn und Serviceeinrichtungen klare Abgrenzungen vorgenommen. Die Zuständigkeiten sind ebenfalls genau definiert. Insofern meine ich schon, dass es angemessen ist, dieses Gesetz heute im Deutschen Bundestag in der von den Koalitionsfraktionen geänderten Fassung anzunehmen. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften. Das sind die Drucksachen 16/2703 und 16/3037. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4169, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/4215? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit wie vorher angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4216. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor abgelehnt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell wurde vereinbart, die heutige Tagesordnung um Zusatzpunkt 15 zu erweitern: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}) zum Widerruf der Genehmigung zur Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen - Drucksache 16/4244 Sind Sie damit einverstanden, dass wir über diesen Zusatzpunkt ohne Aussprache sofort beraten? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Wir kommen sofort zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 16/4244? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 7 auf: Beratung des Berichts des Rechtsausschusses ({1}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung - zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck ({2}), Irmingard Schewe-Gerigk, Grietje Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft vollenden - zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg van Essen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Gleiche Rechte gleiche Pflichten - Benachteiligungen von Lebenspartnerschaften abbauen - Drucksachen 16/497, 16/565, 16/4057 Berichterstattung: Abgeordneter Andreas Schmidt ({3}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Volker Beck, Fraktion der Grünen, das Wort. ({4})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen von der Union, ich darf Ihnen zuerst die freundlichen Grüße des Neujahrsempfangs der Lesben und Schwulen in der Union aus der saarländischen Landesvertretung überbringen. Dort hat man mir zwei Botschaften mit auf den Weg gegeben: Zum einen sei das Motto für 2007 in Sachen Lebenspartnerschaft mehr Mut und zum anderen sei man sich mit der Bundestagsfraktion darüber einig, dass Anpassungen im Steuerrecht, im Beamtenrecht und auf weiteren Rechtsgebieten betreffend die Lebenspartnerschaften notwendig seien. Ich hoffe, dass wir heute diese Einigkeit auch im Plenum feststellen werden. ({0}) Frau Granold, Sie haben am 10. Februar 2006 mit ihrer Rede vielen Lesben und Schwulen in Deutschland Mut gemacht und Hoffnung gegeben. Sie haben damals gesagt: Nachdem nun Rechte und Pflichten der Lebenspartnerschaften begründet worden sind, müssen wir ein Stück weit Anpassungen vornehmen … Diese Anpassungen betreffen das Steuerrecht, das Erbschaftsteuerrecht und auch das Beamtenrecht. … Wir müssen uns bei den Beratungen in den Ausschüssen eingehend damit befassen, in welchem Umfang hier Anpassungen vorgenommen werden müssen. Wir hatten gedacht, dass die Koalition das ernst meint, und haben gehofft, dass wir im Ausschuss tatsächlich parteiübergreifend, über die Grenzen von Koalition und Opposition hinweg, vorankommen. Leider ist daraus nichts geworden. Wer sich den Bericht des Rechtsausschusses anschaut, der sieht ein ziemlich betrübliches Ergebnis. In der 17. Sitzung am 31. Mai 2006 haben Sie kurz beraten und vertagt. In der 22. Sitzung am 28. Juni 2006 haben Sie gegen den Willen der Opposition vertagt. In der 25. Sitzung am 27. September 2006 haben Sie nicht beraten und vertagt. In der 43. Sitzung in diesem Jahr haben Sie ebenfalls nicht beraten und vertagt. ({1}) Was ist denn nun? Wollen Sie mit uns beraten? Dann tun Sie es auch. Wir sind bereit, Gespräche zu führen und Schritte zu gehen, die uns vielleicht nicht ganz an das Ziel unserer Anträge bringen, die aber für die Menschen einen Fortschritt bedeuten. Verwehren Sie sich nicht! Es ist uns natürlich nicht entgangen, dass es in der Koalition ein paar Differenzen in den Grundhaltungen gibt. ({2}) - Wenn dem nicht so ist, dann haben Sie Ihre alten Positionen verraten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Aber das möchte ich zu Ihren Gunsten und um der Sache willen nicht unterstellen. Es tut sich aber etwas in der Union. Die CSU will fast wagen, in ihr neues Grundsatzprogramm zu schreiben, dass Lesben und Schwule vielleicht doch so etwas Ähnliches wie Menschen sind und dass in den eingetragenen Lebenspartnerschaften Verantwortung gelebt wird. Wenn die CSU anerkennt, dass Menschen - das könnten auch Lesben und Schwule sein - in diesen Partnerschaften füreinander einstehen und verlässlich Verantwortung füreinander übernehmen, dann ziehen Sie aus diesen Programmsätzen eine rechtspolitische Konsequenz. Beraten Sie gemeinsam mit der SPD und der Opposition darüber, welches die Schritte sein könnten! Es ist doch unfair, dass eingetragene Lebenspartnerschaften alle Pflichten der Ehe übernehmen - das volle Unterhaltsrecht einschließlich des nachpartnerschaftlichen Unterhalts, das mit dem, was die Ehe betrifft, identisch ist -, dass aber beim Steuerrecht, Erbschaftsteuerrecht sowie Beamtenrecht und bei der Beamtenversorgung des Bundes so getan wird, als ob das alles nicht existierte. Gleiche Pflichten, gleiche Rechte, nur das ist fair. ({3}) Schauen Sie sich doch einmal in Europa um! Heute hat das italienische Parlament beschlossen, ein Gesetz vorzubereiten, das die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare vorsieht, obwohl der Vatikan dagegen Sturm läuft. In Frankreich, in Skandinavien, in den Niederlanden, in Großbritannien, in der konservativen Schweiz, in Tschechien, überall haben wir Gesetze, die die eingetragene Partnerschaft anerkennen oder sogar die Ehe für Lesben und Schwule geöffnet haben. Lassen Sie uns in Deutschland doch nicht erneut das Schlusslicht in der Gesellschaftspolitik werden, bloß weil es eine Große Koalition gibt. Volker Beck ({4}) Erkennen Sie an: Es gibt in der Gesellschaft eine Mehrheit von über 60 Prozent für die vollständige Gleichstellung. Erkennen Sie an, dass es hier im Parlament eine Mehrheit von über 60 Prozent für eine vollständige Gleichstellung gibt. Machen Sie den Weg frei! Wenn es nicht anders geht, liebe Damen und Herren von der Union, dann geben Sie die Abstimmung in der Koalition frei. Es gibt eine Mehrheit im Haus für die Gleichstellung. Benutzen Sie nicht ihre Stellung in der Koalition als Veto gegen den gesellschaftlichen Fortschritt! Geben Sie Ihrem Herzen einen Ruck! Ich weiß, wenn die Abstimmung freigegeben würde, dann wäre eine ganze Reihe der Kolleginnen und Kollegen der Union auf unserer Seite. Nehmen Sie die Schwulen und Lesben nicht länger in Geiselhaft, sondern machen Sie den Weg frei für die Gleichstellung! ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Ute Granold, CDU/CSUFraktion.

Ute Granold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003538, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Beck, bei allem Verständnis für Ihr Anliegen muss ich Ihnen sagen, dass wir noch ein bisschen Geduld haben müssen. Ich bezweifle, dass 60 Prozent der Bevölkerung für eine vollständige Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften sind. Ich glaube es nicht. ({0}) Ich bedanke mich zunächst einmal für Ihren Gruß von den Lesben und Schwulen aus der Union. Ich stehe in regem Kontakt auch zu dieser Gruppe aus meiner Partei. Ich denke schon, dass wir zu einem Ergebnis kommen. ({1}) Sie haben meine Rede vom Februar 2006 zitiert. Der habe ich nichts hinzuzufügen. Weil wir heute eine Geschäftsordnungsdebatte haben, möchte ich aber doch etwas dazu sagen, warum wir darüber nicht geredet haben. Wir haben darüber nicht gesprochen, weil wir meinen, dass wir noch nicht so weit sind, darüber inhaltlich debattieren zu können. Wir haben zwei Anträge vorliegen, einen von Grün und einen von Gelb. Wir haben aber zwischenzeitlich auch einen Gesetzentwurf von Grün vorliegen. Sie hätten besser den Gesetzentwurf auf die Tagesordnung setzen lassen, dann hätten wir einen Schritt weiterkommen können. Was Sie wollen, ist ganz klar. Sie wollen das Thema besetzen, indem wir heute formell darüber diskutieren. In Kürze wird das Thema dann erneut aufgerufen, und wir reden inhaltlich darüber. Wenn es einen sachlichen Grund gibt, das Thema nicht zu behandeln - schauen Sie in die Geschäftsordnung; Sie kennen sie ganz gut -, dann kann man das Verfahren vertagen, bis die Zeit reif ist. Ich kann Ihnen auch sagen, warum die Zeit noch nicht reif ist. Sie ist noch nicht reif, weil das Bundesverfassungsgericht über das zweite Lebenspartnerschaftsgesetz, das wir 2004 verabschiedet haben, ein Normenkontrollverfahren durchführt. Der Antrag datiert aus dem Jahr 2005. Ich meine, dass wir der Entscheidung des Gerichts nicht vorgreifen sollten. Das zweite Gesetz ist immerhin ein Gesetz für eine Bevölkerungsgruppe, die in der letzten Zeit sehr gut bedient wurde und doch nur einen kleinen Teil der Bevölkerung ausmacht. ({2}) Das erste Lebenspartnerschaftsgesetz wurde vom Bundesverfassungsgericht für verfassungskonform erklärt. Sie kennen aber auch das Votum: 5 : 3. Es war nicht ganz klar gewesen, ob das Gesetz in Ordnung ist. Aber wir akzeptieren das Votum. Sie sollten noch einmal einen Blick in das Minderheitenvotum werfen. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht gesagt, dass die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft eins zu eins mit der Ehe gleichzusetzen ist. Es heißt vielmehr, dass die Möglichkeit besteht, dass ein Institut eingesetzt wird. Das heißt aber nicht, dass der Gesetzgeber eine Verpflichtung hat, die Lebenspartnerschaft der Ehe gleichzustellen. Das sollte man klar und deutlich sagen. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin Granold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck? ({0})

Ute Granold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003538, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Natürlich.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Sinn einer solchen Debatte ist der Austausch, der im Ausschuss leider verweigert wird. Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass in dem Urteil, das Sie zitiert haben, insbesondere gesagt wird, dass der Nichtberücksichtigung im Steuerrecht grundsätzliche Bedeutung zukommen könnte, und dass das Bundesverfassungsgericht geradezu dazu aufgefordert hat, diese Frage von dem Verfassungsgericht überprüfen zu lassen? Ist das nicht eher ein Hinweis darauf, dass das Bundesverfassungsgericht die jetzige Rechtslage in dieser Frage für mangelhaft hält und den Gesetzgeber damit indirekt aufgefordert hat, zu handeln? Das ist etwas ganz anderes als das, was Sie hier insinuieren, nämlich dass man möglicherweise verfassungswidrig handeln würde, wenn man etwas in dieser Richtung tun würde. ({0})

Ute Granold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003538, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir haben doch in dem zweiten Gesetz, Herr Beck, wesentliche Anpassungen an das Familienrecht vorge7918 nommen. Das steht derzeit zur Überprüfung an. Auf die Unterhaltspflichten, die Sie angesprochen haben, und auf die Stiefkindadoption komme ich gleich noch zu sprechen. Das Bundesverfassungsgericht hat damals auch gesagt, dass eine gewisse steuerliche Erleichterung schon vorhanden ist, weil Sie die Unterhaltszahlungen, die Sie erbringen, durchaus schon heute als eine außergewöhnliche Belastung absetzen können. Insofern sollte man schon korrekt sein. Aber das ist gar nicht das Thema. Das Thema ist, dass die zweite Änderung, die schon weitreichend war, derzeit zur Überprüfung ansteht. Ich denke, wir sollten dieses Urteil abwarten. Sie wissen auch, dass die Union die Stiefkindadoption und auch die Volladoption bekämpft hat und weiter bekämpfen wird. Diese Adoption wollen Sie ja mit Ihrem Gesetzentwurf ermöglichen; ebenfalls die FDP, wie aus ihrem Antrag hervorgeht. ({0}) Ich muss jetzt nicht wiederholen, was wir die Adoption betreffend gesagt haben. Es geht um das Kindeswohl, das für uns überall der zentrale Punkt ist. Es geht nicht darum, dass individuelle Lebenspläne von Erwachsenen verwirklicht werden. An dieser Auffassung wird sich bei der Union überhaupt nichts ändern. Ich muss auch erwähnen, dass es auf der europäischen Ebene - Sie haben unsere Nachbarländer angesprochen Vereinbarungen gibt, die dahin gehen, dass eine Adoption nur bei verschiedengeschlechtlichen Partnerschaften möglich ist. Es gibt auch keine Initiative auf europäischer Ebene, das zu ändern. Wenn wir dieses Instrument also im Gesetz installieren würden, dann wäre das mit dem europäischen Recht nicht vereinbar. Ich meine, wir sollten, wenn wir das zu einem guten Ende bringen wollen, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes abwarten. Diese Entscheidung wird sicherlich auch bald ergehen. Dann sollten wir uns im Rechtsausschuss, wie sich das gehört - weil dann auch sachlich beraten werden kann -, dem zuwenden, was Sie und die FDP in Ihren Anträgen formuliert haben. Wir werden uns mit Ihrem Gesetzentwurf in diesem Haus sicherlich in Kürze auch noch befassen. Deshalb denke ich, dass die heutige Debatte überflüssig ist. Wir hätten an dieser Stelle besser etwas anderes gemacht. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Kollege Michael Kauch, FDPFraktion. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der russische Präsident hat heute in der Debatte um das erneute Verbot des Moskauer Christopher Street Day die Homosexuellen als Teil eines demografischen Problems bezeichnet. Als ob man über seine sexuelle Orientierung nach demografischen Gründen entscheidet! Nicht die Schwulen und Lesben sind ein Problem für das russische Volk, sondern der Präsident, der die Freiheit seiner Bürger nicht schützt. Aber was Putin offen sagt, denken sich insgeheim doch viele Gegner der eingetragenen Partnerschaft - als sei diese eine Gefahr für die Ehe und als würden die Partner, die diese Lebenspartnerschaft eingehen, eine heterosexuelle Ehe eingehen, wenn es diese Lebenspartnerschaft nicht gäbe. Welch ein Unsinn! Es ist doch ein Gewinn für unsere Gesellschaft, wenn Menschen Verantwortung füreinander übernehmen. Das ist kein Gegeneinander, das ist ein Miteinander. Das ist keine Konkurrenz für die Ehe. ({0}) Bei gleichgeschlechtlichen Paaren bestehen immer noch erhebliche Divergenzen zu den Rechten von Ehegatten, zum Beispiel im Einkommensteuerrecht. Herr Kollege Beck hat es dargestellt. Noch dramatischer - da würde ich gern einmal die Union fragen, ob das mit ihrem Menschenbild vereinbar ist - ist die Situation im Erbschaftsteuerrecht. Bei den Erbschaften gelten für eingetragene Lebenspartner wesentlich niedrigere Freibeträge und höhere Steuersätze als für Ehegatten. Nicht nur das: Wenn ich von meiner Tante etwas erbe, dann zahle ich weniger Erbschaftsteuer, als wenn ich von dem Partner etwas erbe, mit dem ich den Bund fürs Leben eingegangen bin. Wenn Sie einen Lebenspartner bis zum Tode pflegen, werden Sie bei der Erbschaftsteuer wie Fremde behandelt. Was das in der Praxis bedeutet, sehen wir an vielen Fällen. Da müssen Menschen nach dem Verlust ihres Partners auch noch die Eigentumswohnung verkaufen, damit sie die Erbschaftsteuer bezahlen können. Das finde ich vom deutschen Staat extrem schäbig. ({1}) Es gibt immer noch kein gemeinsames Adoptionsrecht für Lebenspartner. Ihre These, Frau Granold, dass es um das Kindeswohl geht, ist sehr wohl richtig. Aber da frage ich mich doch: Was ist denn das Kindeswohl? Alle erziehungswissenschaftlichen Studien zu diesem Thema zeigen, dass Schwule und Lesben genauso gute Eltern sind wie heterosexuelle Paare. Es gibt seit vielen Jahren, beispielsweise in Berlin, homosexuelle Pflegeeltern. Die Kinder in diesen Partnerschaften wachsen wohlbehütet auf. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Union, glauben, die Kinder seien im Heim besser als in einem behüteten Haus mit zwei Männern oder mit zwei Frauen aufgehoben, dann hat das nichts mit dem Kindeswohl, sondern mit Ihrer verstaubten Ideologie zu tun. ({2}) Frau Granold hat sich bei der letzten Beratung dieses Antrags der FDP über Anpassungen im Steuer-, Erbschaftsteuer- und Beamtenrecht wohlwollend geäußert. Geschehen ist nichts. Sie haben das mit juristischen Vorbehalten begründet. Diese Vorbehalte hätten Sie aber auch vor einem Jahr äußern können, wenn sie wirklich so gewichtig gewesen wären. Stattdessen haben Sie sich als die große Öffnerin der Union abfeiern lassen. Die Zielgruppen waren erfreut; auch die LSU war ganz erfreut. Ihr Generalsekretär setzt in der Debatte über Ihr Grundsatzprogramm noch einen drauf: Öffnet die CDU für ein modernes Familienbild! Das ist die schöne Theorie. Fakt ist: Sie machen hier nichts für die Gleichstellung von Schwulen und Lesben, sondern Sie verfolgen weiterhin Ihre konservative Ideologie. Was Sie von der SPD angeht, frage ich mich, ob Sie nicht können oder nicht wollen, ({3}) wenn es darum geht, in der Koalition Prioritäten zu setzen. Ich finde es schon bemerkenswert, dass Sie sich nicht einmal dazu durchringen können, die Anträge der Opposition im Rechtsausschuss zu behandeln. Die Bundesjustizministerin weist stets darauf hin, was alles getan werden muss. Unmittelbar vor den Christopher Street Days gibt es immer eine Reihe von Interviews, in denen Frau Zypries den Journalisten kluge Ideen in den Block diktiert. Aber seit Sie mit der Union regieren, hat sich in diesem Land in dieser Frage nichts bewegt. Das finde ich umso interessanter, als die Justizministerin auf europäischer Ebene im Rahmen der EURatspräsidentschaft sagt, es sei das Ziel der SPD und der Bundesregierung, für ein modernes Familienrecht in Europa zu sorgen. Sie haben die Ratspräsidentschaft, Sie sprechen nach außen schöne Worte; aber Ihre Hausaufgaben hier in Deutschland haben Sie nicht erledigt. Wir, Deutschland, waren lange Zeit an der Spitze; jetzt befinden wir uns im europäischen Geleitzug relativ weit hinten. Wir Liberale werden uns mit dieser Untätigkeit der Großen Koalition nicht zufriedengeben. Wir erwarten zumindest praktische Verbesserungen, wie sie Frau Granold vor einem Jahr versprochen hat. Für uns Liberale gilt aber unbeschadet dessen: gleiche Pflichten, gleiche Rechte. Das ist unser Ziel. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Barbara Höll, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Beck, wenn es so wäre wie im Handball - dass die Verzögerungstaktik der Großen Koalition nur die Verlängerung wäre - und wenn wir bei diesem Thema zu einem solch glücklichen Ergebnis wie die deutschen Handballmänner gekommen wären - sie haben im Halbfinale mit 32 : 31 gesiegt; dazu auch von hier herzlichen Glückwunsch! -, ({0}) dann wäre es gut. Leider hat mich die Rede eben nicht mehr so ganz optimistisch gestimmt. Richtig ist, wie mein Vorredner sagte: gleiche Rechte, gleiche Pflichten. Ich sage hier für die Fraktion der Linken: Wir haben jetzt zwei Rechtsinstitute: die Ehe und die eingetragene Lebenspartnerschaft. Daher ist es nur recht und billig, dass aus gleichen Pflichten gleiche Rechte erwachsen. ({1}) Dazu ist es notwendig - im Antrag der Grünen ist es richtig ausgeführt -, dass es im Zivilrecht, im Steuerrecht und im Adoptionsrecht zu Änderungen kommt. Da haben Sie unsere volle Unterstützung. Aber wir müssen gleichzeitig natürlich endlich einmal zur Kenntnis nehmen, dass auch dies nur die halbe Wahrheit ist. Sehen wir uns doch die Realität an: Es gibt schon in familiären Strukturen zusammenlebende Menschen, denen weder das Rechtsinstitut Ehe noch das Rechtsinstitut eingetragene Lebenspartnerschaft offensteht. Eine alleinstehende Frau mit Kind oder ein alleinstehender Mann mit Kind haben diese Möglichkeiten nicht. Auch Geschwister oder andere Verwandte, die zusammenleben, und Menschen, die Verantwortung für ältere Pflegebedürftige oder für Kinder übernehmen, haben diese Möglichkeiten nicht. Hier besteht eine Lücke. Ein anderes Beispiel. Bei Hartz IV geht die jetzige Koalition natürlich voran. Allerdings hat an diesem Gesetz auch die ehemalige rot-grüne Regierung ihren Anteil. Menschen, die zusammenleben und Verantwortung füreinander übernehmen, müssen doch keine Liebesbeziehung haben. Wenn sie aber lediglich in einer Wohngemeinschaft leben, werden sie in Haftung genommen. Für diese Personen gilt nur im Steuerrecht die Individualisierung. Aber im Sozialrecht müssen sie füreinander einstehen. Auch das ist völlig inkonsequent. Der konsequente Wege wäre, jetzt das vorhandene Institut der Lebenspartnerschaft zu ergänzen und einen unwürdigen Zustand zu beenden, der einigen von Ihnen vielleicht lächerlich erscheint: dass die Eintragung einer Lebenspartnerschaft in den verschiedenen Bundesländern noch immer unterschiedlich gehandhabt wird. Wir müssen dafür sorgen, dass zwei Menschen, die sich als Lebenspartner eintragen lassen wollen, wenigstens zum Standesamt gehen können. Den gegenwärtig bestehenden Anachronismus muss man sich einmal vor Augen führen. Diese Diskriminierung muss beseitigt werden. Eine Gleichbehandlung erreichen wir nur dann, wenn wir gesetzlich regeln, dass Familie dort ist, wo Menschen miteinander leben und füreinander Verantwortung übernehmen. Das ist nur durch eine konsequente Individualisierung im Steuerrecht und im Sozialrecht zu schaffen. ({2}) Ich möchte noch eine Bemerkung zum Bundesverfassungsgericht machen. Das Ehegattensplitting wurde in den 50er-Jahren eingeführt, um das Zusammenleben mit Kindern zu erleichtern. Das Bundesverfassungsgericht hat damals aber weiß Gott nicht festgeschrieben, dass das Ehegattensplitting bzw. die Zusammenveranlagung die einzige Möglichkeit ist. ({3}) Nein, hier müssen wir eine Reform durchführen. Lassen wir die Menschen, wie wir es in unserem Antrag vorgeschlagen haben, zum Beispiel im Erbschaftsteuerrecht selbst bestimmen. Dann können sie eine Person ihres Willens - minderjährige Kinder und ältere Partner ausgenommen - besonders begünstigen; ansonsten erfolgt eine weitgehende Gleichbehandlung. Hier besteht Handlungsbedarf. Ich hoffe, dass es uns gelingt, dieser Verzögerung nicht weiter anheimzufallen, sondern uns aufzuraffen und mit einer wirklichen Kraftanstrengung eine gesetzliche Regelung zu schaffen, die der Lebensrealität der Menschen Genüge tut. Hier sind wir gefordert. Ich denke, wenn man die Mehrheit dieses Hauses entscheiden lässt, wie sie es für richtig hält, dann ist das möglich. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Christine Lambrecht, SPD-Fraktion. ({0})

Christine Lambrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin jetzt seit 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages. Wenn ich eines gelernt habe, dann das, dass ich hier dicke Bretter bohren muss und dass die Dinge nur sehr selten so schnell vorangehen, wie ich es mir vorgestellt habe, als ich in den Deutschen Bundestag, der damals noch in Bonn war, eingezogen bin. ({0}) - Na, sehen Sie. Selten war meine Übereinstimmung mit dem, was Herr Gehb eingeworfen hat, so groß wie gerade jetzt. Für das Thema, über das wir im Rahmen der heutigen Geschäftsordnungsdebatte sprechen, gilt das erst recht. Wir haben unglaublich lange gebraucht, bis wir das Lebenspartnerschaftsgesetz im Jahre 2001 nach vielen Diskussionen, die auch in der rot-grünen Koalition zu führen waren, auf den Weg gebracht haben. Hier im Deutschen Bundestag haben wir mit unserer damaligen Mehrheit einen Gesetzentwurf beschlossen, in dem all das, was heute gefordert wird - einzige Ausnahme ist die Forderung der FDP nach einem absoluten Adoptionsrecht -, bereits enthalten war. Stellen wir uns einmal vor, Rot-Grün hätte damals nicht nur im Bundestag eine Mehrheit gehabt, sondern auch Verantwortung in einigen Ländern getragen, in denen die FDP mitregiert hat. Wäre schon damals die Einsicht in das vorhanden gewesen, was heute lautstark von Ihnen vorgetragen wurde, ({1}) dann wären wir im Interesse der Betroffenen schon sehr viel weiter und dann hätte es heute Abend und bei vielen anderen Gelegenheiten überhaupt keiner Diskussion bedurft. Denn dann hätten wir mit Ausnahme des Adoptionsrechts all das, was Sie, Herr Kauch, heute gefordert haben, schon längst als Lebenswirklichkeit beklatschen können. ({2}) Natürlich haben Sie das Recht, dazuzulernen. Es tut mir leid, dass gerade Sie jetzt für die damalige Position der FDP in Haft genommen werden; denn Sie sind erst seit 2003 Mitglied des Bundestags. ({3}) Wären Sie schon damals dabei gewesen, hätten Sie Ihre Kollegen beraten können. Dann hätte die FDP vermutlich eine andere Position gehabt. Damals allerdings war die FDP sehr kritisch. Sie glaubte nicht, dass dieses Vorhaben mit Art. 6 des Grundgesetzes vereinbar ist, und setzte sich für eine Prüfung dieser Frage durch das Bundesverfassungsgericht ein. Es wurde gesagt: Erst dann, wenn das wirklich Schwarz auf Weiß vorliegt, drehen wir uns natürlich. - Das tun Sie dann aber richtig, so wie wir das von der FDP kennen. ({4}) Wenn Sie dabei gewesen wären, wären wir vielleicht schon einige Schritte weiter. Das sind wir aber nicht. Deswegen müssen wir heute leider die Schritte nachholen, die seit 2001 schon längst Realität sein könnten. Ich kann den Betroffenen nur sagen: Wir könnten schon weiter sein. Herr Beck, nichtsdestotrotz haben Sie und viele andere Betroffene recht. Wir müssen bei diesem Thema weiterkommen. Die Fragen, um die es geht, liegen ja auf dem Tisch. Auch hier sage ich aber: Es bedarf der Auseinandersetzung und Beratung in der Großen Koalition. Herr Beck, wir beide hatten nie ein Problem mit diesen Positionen, aber ich kann mich zumindest noch an eine wirklich beeindruckende und emotionale Rede einer Ihrer Fraktionskolleginnen - die Dame heißt Antje Vollmer - erinnern, die sie genau gegen das Adoptionsrecht für Kinder gehalten hat, das wir wenigstens für die Kinder durchgesetzt haben, die schon in einer solchen Partnerschaft zusammenleben. ({5}) Das zeigt, es ist nicht ganz so einfach, wie viele das hier darstellen - diese sagen, dass sie jetzt schnell einmal das, das und das ändern -, sondern es ist eine wirklich sensible Materie. Deswegen müssen wir uns die entsprechende Zeit nehmen. Die Fragen, die heute Abend alle angesprochen worden sind, liegen auf dem Tisch. Ich kann Ihnen sagen: Wir werden am Ball bleiben. Ich freue mich, dass mittlerweile offensichtlich alle mehr oder weniger intensiv mit im Boot sind. In der Zwischenzeit ist die Situation eben anders als im Jahr 2001. Herr Kauch, ich hätte mir Ihr Engagement früher gewünscht. Schade, dass Sie so spät in den Bundestag gekommen sind. Die FDP hätte sich schneller bewegen und wir hätten im Interesse der Menschen weiterkommen können. Wir werden am Ball bleiben, aber wir werden Zeit brauchen. Von daher kann ich nur noch einmal die Kollegin unterstützen: Legen Sie einen Gesetzentwurf vor. ({6}) Wir werden darüber reden. Ich kann Ihnen aber versichern: Auch ohne einen solchen Entwurf werden wir über dieses Thema reden. Haben Sie aber etwas Geduld. Ich weiß, das fällt Männern ein bisschen schwerer als Frauen. ({7}) Wir Frauen sind in solchen Situationen etwas gelassener. Deswegen werden wir als Berichterstatterinnen uns die entsprechende Zeit nehmen, um hier zu einem guten Ergebnis zu kommen. In diesem Sinne vielen Dank für Ihre Geduld zumindest heute Abend. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt zu einer ganzen Reihe von Tagesordnungspunkten hintereinander. Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit. Ich rufe die Zusatzpunkte 8 und 9 auf: ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Errichtung einer Agentur der Europäischen Union für die Grundrechte Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Ermächtigung der Agentur der Europäischen Union für die Grundrechte, ihre Tätigkeiten in den Bereichen nach Titel VI des Vertrags über die Europäische Union auszuüben KOM ({1}) 280 endg.; Ratsdok. 10774/05 - Drucksachen 16/150 Nr. 2.65, 16/4246 Berichterstattung: Abgeordnete Thomas Silberhorn Josip Juratovic Michael Link ({2}) Dr. Hakki Keskin Omid Nouripour ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({3}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck ({4}), Rainder Steenblock, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Die Rechte der Bürgerinnen und Bürger in der EU stärken - Mandat der Grundrechteagentur sinnvoll ausgestalten - zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Löning, Michael Link ({5}), Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Eine Grundrechteagentur der EU wird nicht gebraucht - Drucksachen 16/3617, 16/3621, 16/4195 Berichterstattung: Abgeordnete Holger Haibach Christoph Strässer Florian Toncar Volker Beck ({6}) Folgende Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll ge- geben: Holger Haibach, Thomas Silberhorn, Christoph Strässer, Axel Schäfer, Christian Ahrendt, Dr. Hakki Keskin und Omid Nouripour.1) Zusatzpunkt 8. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union auf Drucksache 16/4246 zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung über einen Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Errichtung einer Agentur der Europäischen Union für die Grundrechte sowie über einen Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Ermächtigung dieser Agentur zur Ausübung ihrer Tätig- keit in bestimmten Bereichen. Der Ausschuss empfiehlt 1) Anlage 8 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse die Annahme einer Stellungnahme auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 3 des Grundgesetzes. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Zusatzpunkt 9. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe auf Drucksache 16/4195. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3617 mit dem Titel „Die Rechte der Bürgerinnen und Bürger in der EU stärken - Mandat der Grundrechteagentur sinnvoll ausgestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Linken und der Grünen angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der FDP auf Drucksache 16/3621 mit dem Titel „Eine Grundrechteagentur der EU wird nicht gebraucht“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Grünen gegen die Stimmen der FDP und der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Pau, Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Jan Korte und der Fraktion der LINKEN Änderung des Bundespolizeigesetzes für Auslandseinsätze der Bundespolizei - Drucksache 16/3421 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({7}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Zu Protokoll gegeben worden sind die Reden der Kol- leginnen und Kollegen Ralf Göbel, Wolfgang Gunkel, Gisela Piltz, Ulla Jelpke, Silke Stokar von Neuforn und des fraktionslosen Kollegen Gert Winkelmeier.1) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/3421 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federfüh- rung beim Innenausschuss liegen soll. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überwei- sung so beschlossen. Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 d sowie Zusatzpunkt 10 auf: 1) Anlage 9 26 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Passgesetzes und weiterer Vorschriften - Drucksache 16/4138 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({8}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Karl Addicks, Uwe Barth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Sicherheitslücken bei biometrischen Pässen beseitigen - Drucksache 16/854 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({9}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr ({10}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Keine Einführung des elektronischen Personalausweises - Drucksache 16/3046 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({11}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien d) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({12}) gemäß § 56a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung hier: TA-Projekt: Biometrie und Ausweisdokumente - Leistungsfähigkeit, politische Rahmenbedingungen, rechtliche Ausgestaltung Zweiter Sachstandsbericht - Drucksache 15/4000 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({13}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck ({14}) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Datenschutz und Bürgerrecht bei der Einführung biometrischer Ausweise wahren - Drucksache 16/4159 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({15}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben die Kolleginnen und Kollegen Altmaier - der Vorname steht nicht hier ({16}) - jawohl, Peter -, Frank Hofmann, Gisela Piltz, Jan Korte, Wolfgang Wieland und Gert Winkelmeier.1) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/4138, 16/854, 16/3046, 15/4000 und 16/4159 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 18: Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel Höhn, Jerzy Montag, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Verbot von Telefonwerbung zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher wirksam durchsetzen - Drucksache 16/4156 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({17}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({18}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Federführung strittig Ich weise darauf hin, dass es sich um einen neuen Ti- tel handelt. 1) Anlage 10 Zu Protokoll gegeben worden sind die Reden der Kol- leginnen und Kollegen Julia Klöckner, Dr. Günter Krings, Dirk Manzewski, Hans-Michael Goldmann, Karin Binder und Bärbel Höhn.2) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/4156 an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, den Rechtsausschuss und den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD wünschen die Federführung beim Rechtsausschuss. Die Fraktion Die Linke und die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen wünschen die Federführung beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen - Federführung beim Landwirtschaftsausschuss - abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD - Federführung beim Rechtsausschuss - abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts - Drucksache 16/3655 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({19}) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Zu Protokoll wurden die Reden von folgenden Kolle- gen gegeben: Dr. Jürgen Gehb, Christine Lambrecht, Mechthild Dyckmans, Sevim Dağdelen, Jerzy Montag und Alfred Hartenbach, Letzterer für die Bundesregie- rung.3) ({20}) - Und für sich selbst - erstaunlich! ({21}) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 16/3655 an die in der Tagesord- 2) Anlage 11 3) Anlage 12 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Tagesordnungspunkt 20: Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans- Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP Planungssicherheit für Landwirte und Milch- wirtschaft durch definitiven Beschluss zum Auslaufen der Milchquotenregelung schaffen - Drucksache 16/3345 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Folgende Redner haben ihre Reden zu Protokoll gege- ben: Dr. Wilhelm Priesmeier, Hans-Michael Goldmann, Dr. Kirsten Tackmann, Bärbel Höhn und für die Bundes- regierung Kollege Gerd Müller.1) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/3345 an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Die Überweisung ist also so beschlossen. Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft - Drucksache 16/3291 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({22}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen; aber die Re- den sind zu Protokoll gegeben, und zwar von folgenden Kolleginnen und Kollegen: Ute Granold, Klaus Uwe Benneter, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Sevim Dağdelen, Josef Winkler und noch einmal Alfred Hartenbach.2) Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 16/3291 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Die Überweisung ist also so beschlossen. 1) Anlage 13 2) Anlage 14 Tagesordnungspunkt 22: Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Heimbericht im Bundestag diskutieren - Missstände offenlegen und bekämpfen - Drucksache 16/3696 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({23}) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Kollege Seifert, wollen Sie dazu sprechen? ({24}) - Gut. Ich frage nur, weil hier der Haken fehlt. Also haben folgende Kolleginnen und Kollegen ihre Reden zu Protokoll gegeben: Markus Grübel, Wolfgang Spanier, Sibylle Laurischk, Dr. Ilja Seifert und Britta Haßelmann.3) Ich schließe also die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/3696 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Die Überweisung ist so beschlossen. Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 d: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dorothee Bär, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Renate Schmidt ({25}), Dr. Ernst Dieter Rossmann, Jörg Tauss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD BAföG an neue Entwicklungen anpassen Auszubildende mit Kindern unterstützen, Auslandsaufenthalte erleichtern, Migrantenförderung verbessern und Hinzuverdienstgrenzen erhöhen - Drucksache 16/4162 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({26}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ina Lenke, Uwe Barth, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Studierende Mütter durch die Sofortmaß- nahme Baby-BAföG unterstützen - Drucksache 16/3142 - 3) Anlage 15 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({27}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider ({28}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Statt Nullrunde - BAföG angleichen - Drucksache 16/4157 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({29}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Sofortmaßnahmen beim BAföG - für mehr Zugangsgerechtigkeit und höhere Bildungsbeteiligung - Drucksache 16/4158 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({30}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Folgende Rednerinnen und Redner haben ihre Reden zu Protokoll gegeben: Dorothee Bär, Renate Schmidt, Uwe Barth, Cornelia Hirsch, Kai Gehring und Andreas Storm.1) Ich schließe also die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 16/4162, 16/3142, 16/4157 und 16/4158 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss, den Innenausschuss, den Finanzausschuss, den Aus- schuss für Arbeit und Soziales, den Ausschuss für Fami- lie, Senioren, Frauen und Jugend sowie den Haushalts- ausschuss zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Über- weisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: 1) Anlage 16 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Absatzfondsgesetzes und des Holzabsatzfondsgesetzes - Drucksache 16/4149 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({31}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss Folgende Rednerinnen und Redner haben ihre Reden zu Protokoll gegeben: Marlene Mortler, Gustav Herzog, Hans-Michael Goldmann, Dr. Kirsten Tackmann und Ulrike Höfken.2) Ich schließe also die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 16/4149 zur federführenden Beratung an den Landwirtschaftsausschuss und zur Mitberatung an den Finanzausschuss, den Wirtschaftsausschuss und den Haushaltsausschuss zu überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Die Überweisung ist also so beschlossen. Tagesordnungspunkt 25 sowie Zusatzpunkt 11: 25 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 12. September 2002 zum Übereinkommen vom 16. November 1989 gegen Doping - Drucksache 16/4012 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss ({32}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Gesundheit ZP 11 Beratung des Antrags der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Bekämpfung des Dopings im Sport - Drucksache 16/4166 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss ({33}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Gesundheit Die Reden der Kollegen Bernd Heynemann, Dr. Peter Danckert, Dagmar Freitag, Detlef Parr, Katrin Kunert, Winfried Hermann und des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Bergner sind zu Protokoll gegeben.3) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/4012 und 16/4166 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/4012 soll zusätzlich an den Innenausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Über- weisungen so beschlossen. 2) Anlage 17 3) Anlage 18 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 2. Februar 2007, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und eine gute Nachtruhe. Die Sitzung ist geschlossen.