Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Leider sehe ich aber keinen Vertreter der Bundesregierung.
({0})
- Herr Koppelin, zur Geschäftsordnung, bitte schön.
Herr Präsident! Ich sehe den entsprechenden Minister
nicht. Fairerweise muss man sagen, dass auch die Fraktionen etwas schwach besetzt sind. Daher beantrage ich
eine Unterbrechung der Sitzung für 15 Minuten.
In Anbetracht der Umstände würde ich diesem Antrag
gerne folgen.
({0})
- Ich höre keinen Widerspruch. Dann unterbreche ich
die Sitzung. Wir kommen um 13.15 Uhr wieder zusammen.
({1})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Agrarpolitischer Bericht der
Bundesregierung 2007.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz, Horst Seehofer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
bitte zunächst um Verständnis dafür, dass sich die Regierungsbefragung um eine Viertelstunde verzögert hat.
Das liegt daran, dass die Sitzung des zuständigen Ausschusses, in der es um die deutsche EU-Ratspräsidentschaft und unser Arbeitsprogramm ging, bis 13 Uhr gedauert hat.
Wir haben heute im Kabinett den Agrarpolitischen
Bericht 2007 behandelt. Die Jahresangabe 2007 ist etwas
irreführend, weil sich die Schlussfolgerungen dieses Berichts auf das Wirtschaftsjahr 2005/2006 beziehen. Ich
möchte Ihnen das wesentliche Ergebnis, das ich auch im
Kabinett vorgetragen habe, wiedergeben.
Erstens. Die Stimmung in der Agrarwirtschaft und der
Ernährungswirtschaft ist gut. Es gibt eine große Bereitschaft zur Innovation, und man konnte auf der Grünen
Woche - die übrigens mit einem Besucherrekord zu
Ende gegangen ist - die positive Stimmung buchstäblich
mit Händen greifen.
Aber auch die Lage in der Agrar- und Ernährungswirtschaft ist positiv. Viele Daten, die wir in dem Bericht
ausweisen, zeigen einen Aufwärtstrend. Das gilt auch für
die Stellung der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft auf den Weltmärkten. Wir haben bei den Exporten
einen Zuwachs von 10 Prozent erzielt. Mit den Amerikanern, Franzosen und Niederländern gehören wir jetzt im
Bereich Agrar- und Ernährungswirtschaft zu den vier
stärksten Exportnationen.
Wir haben wie auch im letzten Wirtschaftsjahr eine
Zunahme der Wertschöpfung zu verzeichnen. Die Einkommenslage ist besser als im Durchschnitt der fünf
Vorjahre. Der gesamte Bereich der Bioprodukte boomt.
Die Produktion hält nicht Schritt mit der Nachfrage.
Was die Nutzung der nachwachsenden Rohstoffe angeht, hat sich eine völlig neue, sehr positive Entwicklung
ergeben. Ich darf darauf hinweisen, dass wir heute im
Vergleich zu Anfang der 90er-Jahre das Fünffache der
landwirtschaftlichen Flächen für nachwachsende Rohstoffe nutzen. Besonders angenehm berührt mich, dass
sich in manchen Bereichen - ich denke zum Beispiel an
Redetext
die deutsche Holzwirtschaft - ein ausgesprochener Boom
entwickelt.
Zweitens. Die positive Entwicklung insgesamt geht
mit einem nach wie vor sehr starken Strukturwandel innerhalb der Landwirtschaft einher. Die positiven Daten
zur Wertschöpfung bzw. zur Gewinn- oder Einkommensentwicklung betreffen vor allem die größeren Betriebe.
Die Wachstumsschwelle liegt in Deutschland mittlerweile bei 75 Hektar. Die positiven Zahlen sind im Regelfall bei den Betrieben zu verzeichnen, die über eine landwirtschaftliche Nutzfläche von 75 Hektar und mehr
verfügen. Hingegen kommt es bei den landwirtschaftlichen Betrieben unter 50 Hektar - insbesondere bei denen
unter 20 Hektar - zu Betriebsschließungen. Das heißt,
dass wir bei der sehr leistungsstarken und dynamischen
Landwirtschaft nicht übersehen dürfen, dass es gerade
bei kleinen und mittleren Betrieben nach wie vor einen
sehr starken Strukturwandel gibt, der in der praktischen
Politik entsprechend abzufedern ist. Aber die leistungsstarken Betriebe haben sich einen großen Markt erkämpft. Wir spielen auch auf dem Weltmarkt eine beachtliche Rolle.
Ich sehe es als Fortschritt, dass wir in den letzten Monaten das Gegeneinander in der Landwirtschaft beendet
haben. Die alte Diskussion „öko gegen konventionell“
ist beendet, genauso wie die Diskussionen „groß gegen
klein“, „international gegen regional“. Wir haben ein
ganz vernünftiges partnerschaftliches Miteinander. Ich
glaube, das hat sowohl die Stimmungslage in der Agrarwirtschaft verbessert als auch zum ökonomischen Erfolg
überhaupt beigetragen.
Ich möchte eine dritte Bemerkung anschließen, die
ich auch im Kabinett gemacht habe. Ein Agrarbericht,
der sich auf ein Wirtschaftsjahr bezieht, verzerrt die Situation. Ich kann nur noch wiederholen, was ich hier vor
dem Deutschen Bundestag schon gesagt habe, nämlich
dass wir gemeinsam überlegen müssen, in welchen Intervallen und für welche Zeithorizonte wir solche Berichte erstatten. Wenn Sie globale Zahlen des zurückliegenden Wirtschaftsjahres betrachten, sehen Sie: Wir
haben beispielsweise bei der Einkommensentwicklung
eine Stagnation und einen leichten Rückgang, im Wirtschaftsjahr davor gab es aber ein Plus von 24 Prozent.
Mein Haus schreibt mir auf, dass für das vor uns liegende Wirtschaftsjahr mit einem Plus zwischen 5 und
10 Prozent zu rechnen ist.
Deshalb ist eine punktuelle Betrachtung eines Wirtschaftsjahres unzureichend, jedenfalls in der globalisierten Welt unserer Tage, und ich möchte darum bitten, den
Agrarbericht weiterzuentwickeln und die Agrarwirtschaft, die Forstwirtschaft und die gesamte Ernährungswirtschaft in einem Bericht zusammenzufassen. Ich
möchte das damit begründen, dass in der Agrar- und Ernährungswirtschaft insgesamt 4 Millionen Menschen beschäftigt sind; das sind 10 Prozent der Erwerbstätigen in
Deutschland. Wenn Sie nur den Kernbereich der Agrarbetriebe mit etwa 350 000 Beschäftigten betrachten, ist
das eine Marginalisierung des tatsächlichen Wirtschaftsgeschehens. Die Wertschöpfung aller Bereiche liegt insgesamt zwischen 7 und 8 Prozent. Ich möchte folgenden
Vergleich anstellen: Das gesamte deutsche Gesundheitswesen hat auch etwa 4 Millionen Beschäftigte.
Ich glaube, wir müssen die Frage des ländlichen Raumes, der Agrar- und Ernährungswirtschaft künftig in unserer Berichterstattung gegenüber der Öffentlichkeit als
Gesamtheit betrachten. Mein Vorschlag wäre eine Berichterstattung über einen längeren Zeithorizont von vier
bis fünf Jahren, weil nur eine solche längere Betrachtung
der Wirtschaft wirklich repräsentative Aussagen ermöglicht.
Ich glaube, insgesamt ist der Agrar- und Ernährungsbereich in einer guten Verfassung, und gerade bei den
jungen Landwirten, mit denen ich sehr stark in Kontakt
stehe, gibt es Perspektiven. Zum ersten Mal seit vielen
Jahren erlernen wieder mehr junge Leute den Beruf der
Bäuerin und des Bauern. Überhaupt werbe ich dafür, in
diesem Bereich so über die Perspektiven zu reden, dass
junge Menschen sich für diese Berufe entscheiden.
Wir dürfen auf der anderen Seite den Strukturwandel
nicht übersehen, den es nach wie vor gibt und den es
auch in den nächsten Jahren geben wird; denn wir haben
immer noch eine erhebliche Anzahl landwirtschaftlicher
Betriebe in der Größenklasse von 20 bis 50 Hektar. Mittlerweile verfügt allerdings über die Hälfte der Betriebe
über landwirtschaftliche Nutzflächen von mehr als
100 Hektar. Wir haben einerseits sehr viel Aufwind in
der Landwirtschaft, müssen auf der anderen Seite aber
die Notwendigkeit sehen, den Strukturwandel vernünftig
im Interesse der Betroffenen zu begleiten.
Vielen Dank, Herr Minister Seehofer. - Wir kommen
nun zu den Fragen zu diesem Themenbereich. Als erster
Fragestellerin gebe ich der Kollegin Julia Klöckner das
Wort.
Herzlichen Dank, Herr Minister Seehofer, für Ihre
Ausführungen. Sie haben angesprochen, den Agrarbericht etwas anders, etwas lebensnäher zu gestalten, und
zu Recht auch angeregt, den Ernährungsbereich in die
Berichterstattung einzubeziehen. Damit haben Sie eine
Frage, die ich stellen wollte, schon beantwortet. Ich habe
zu diesem Punkt aber noch eine Zusatzfrage:
Können Sie sich vorstellen, auch das sogenannte Agribusiness - vorgelagerter und nachgelagerter Bereich aufzunehmen, damit wir einen Querschnitt haben, der
zeigt, was sich rund um die Landwirtschaft und die Ernährungswirtschaft tut, und dass wir Maßnahmen, die
das BMELV in der Landwirtschaft angestoßen und ergriffen hat - ich nenne als Beispiel ein für die Zukunft
geplantes Schulmilchprojekt -, evaluieren?
Ja, ich kann mir alles vorstellen, was Sie gesagt haben.
({0})
Dann erteile ich - Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz:
Herr Präsident, ernsthaft, wenn das vielleicht zu flapsig war: Der Agrarbericht war mit sektoraler Betrachtung
des Kernbereichs der Landwirtschaft in Zeiten, als man
in Brüssel jährlich über die Preise für das nächste Wirtschaftsjahr verhandelt hat, sicherlich gerechtfertigt. Aber
angesichts der nun vorhandenen Vernetzung der verschiedenen Sektoren - Landwirtschaft, Forstwirtschaft,
Ernährungswirtschaft, Landwirtschaftstechnik, Innovation und ländlicher Raum - und in einer Zeit, in der wir in
der Landwirtschaft über eine derartige Vielzahl von Wirtschaftsmöglichkeiten verfügen wie niemals zuvor - denken Sie nur an die Nahrungsmittelproduktion, den Energiewirt, die Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten, den
Tourismus und den Kulturlandschaftspfleger sowie an
die veränderten Umweltbedingungen und ökonomischen
Bedingungen -, plädiere ich dafür, den Agrarbericht zu
verändern. Das können wir nur zusammen mit dem Parlament; denn wir sind gesetzlich verpflichtet, einen
Agrarbericht vorzulegen, und zwar in dieser Form. Darüber stehen wir innerhalb der Koalition in Kontakt, und
zwar nicht, um die öffentliche Debatte abzuschneiden
oder - wie ich bei der Diskussion über den Waldzustandsbericht gehört habe - um etwas zu verschweigen,
sondern um die Tragweite dieses Wirtschaftsbereichs in
der Öffentlichkeit deutlicher zu machen und repräsentativere Aussagen zu treffen, als sie mit einer temporären,
auf zwölf Monate begrenzten Betrachtungsweise möglich sind.
Vielen Dank. - Der nächste Fragesteller ist der Kollege Peter Bleser.
Herr Minister, Sie haben in Ihrem Bericht ausgewiesen, dass die deutsche Ernährungswirtschaft im abgelaufenen Jahr Exporte mit einem Volumen von 40 Milliarden Euro getätigt hat; das sind 10 Prozent mehr als im
Jahr zuvor. Welche Maßnahmen haben Sie in Ihrem
Haus ergriffen, die zu dieser fantastischen Entwicklung
beigetragen haben? Diese Entwicklung hat unter anderem dazu geführt, dass die Zahl der Auszubildenden in
der Ernährungswirtschaft, in den 14 grünen Berufen,
erstmals wieder enorm angestiegen ist.
({0})
Ich danke, lieber Kollege Peter Bleser, für diese zielführende Frage.
({0})
Zuallererst ist ein Zuwachs beim Export von über
10 Prozent in dem sensiblen Bereich von Nahrungsmitteln und Agrarprodukten Ausdruck der Qualität unserer
Produkte. Das ist das Verdienst der Erzeuger.
({1})
Wir diskutieren gelegentlich zu viel über Mängel, beispielsweise über Gammelfleisch, und übersehen dabei,
dass die Qualität unserer Produkte weltweit sehr geschätzt wird. Sonst würden sie nicht verkauft.
Natürlich kann man politisch etwas dafür tun. Das
machen wir auch. Wir haben in unserem Haus eine Exportunterstützungsstelle eingerichtet, die der Staatssekretär Gerd Müller leitet. Manche meinen: Das ist eine
Reisestelle. - Aber sie ist für den Export sehr wichtig.
Zudem haben wir, die deutsche Regierung, sehr viel dafür getan, dass es zu einem Abkommen über den freien
Handel mit Tier- und Pflanzenprodukten zwischen der
Russischen Föderation und der Europäischen Union gekommen ist. Russland ist für Deutschland der wichtigste
Drittstaat beim internationalen Handel. Deshalb war ein
solches Abkommen lebenswichtig für unsere Produzenten. Wir streben Gleiches zwischen der Russischen Föderation und Polen an, und zwar wieder über die EU.
Hier erweist sie sich als sehr hilfreich; denn die europäischen Mitgliedstaaten stellen in ihrer Gesamtheit eine
ganz andere Verhandlungsmacht dar, als wenn man versuchte, auf bilateraler Ebene Abkommen abzuschließen.
Lieber Kollege Bleser, entscheidend ist aber die Qualität unserer Produkte. Sie sind weltweit geachtet und geschätzt. Deshalb kam es zu diesem Zuwachs.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Bärbel Höhn.
Herr Minister, ich wusste gar nicht, dass Sie Stützfragen nötig haben.
({0})
Ich freue mich auf jeden Fall, dass Sie den Boom bei
den Bioprodukten und den nachwachsenden Rohstoffen
herausgestellt und damit letzten Endes die positive Wirkung des rot-grünen Regierungshandelns hervorgehoben
haben. Ich möchte etwas zu biogenen Kraftstoffen fragen. Die Bundesregierung hat zum 1. Januar 2007 eine
Änderung vorgenommen - die Beimischung - und damit
die Steuerbefreiung für die nächsten Jahre zumindest
partiell aufgehoben. Damit haben Sie die Mineralölkonzerne gestärkt und nicht den ländlichen Raum. Was wollen Sie tun, damit die Wertschöpfung weiter im ländlichen Raum bleibt? Denn je zentraler die Strukturen sind,
desto weniger hat der ländliche Raum davon.
Liebe Frau Kollegin Höhn, ich dachte auch nicht,
dass Sie sich selbst durch Ihre Fragen stützen müssen.
Insofern haben wir das jetzt wieder ausgeglichen.
({0})
Ich glaube, dass die Entwicklung von Biokraftstoffen
und Bioprodukten schon vor Ihrer Regierungszeit begonnen hat. Das haben Sie nicht verhindert. Das kann
man durchaus akzeptieren. Das ist eine Entwicklung, die
schon in den 90-er-Jahren massiv eingesetzt hat und jetzt
weitergeht. Sie haben prognostiziert, dies würde unter
einer Großen Koalition zu einem großen Problem werden. Ich war während der Grünen Woche bei der Neuland GmbH. Vor einem Jahr bin ich dort noch mit der
Prognose verabschiedet worden, in einem Jahr sei alles
kaputt. Jetzt konnte ich mein Grußwort mit der Feststellung beginnen, dass dieser Bereich so boomt wie nie zuvor. Übrigens stimmen auch die Erträge. Sie liegen
30 Prozent über den Erträgen konventioneller Betriebe.
Auch das steht im Agrarbericht. Das ist also eine wunderschöne Entwicklung.
Dazu, dass Sie gelegentlich sagen, die deutsche Regierung habe etwas versäumt, weil die Nachfrage größer
als die Produktion sei, muss ich Ihnen sagen, dass wir
eine ähnliche Entwicklung in ganz Europa haben. Mich
freut diese Entwicklung. Wir werden alles tun, damit das
so weitergeht. Das hat auch etwas mit verändertem Verbraucherbewustsein und dem veränderten Bewusstsein
bei vielen Handelsketten zu tun. Das sollte uns gemeinsam freuen. Ich stelle hier für die neue Regierung fest,
dass wir entgegen aller Prognosen sehr viel Positives für
den Biobereich erreicht haben. Das entspricht auch meiner tiefen Überzeugung. Nur, ich spiele den Biobereich
nicht gegen den anderen Bereich aus. Das hat sich verändert.
({1})
Auch andere Bereiche produzieren vernünftige Nahrungsmittel.
Zum Biosprit. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Die Regelung, die ich vorfand, war bis zum
Jahr 2009 gültig. Ohne eine Neuregelung wäre es
nach 2009 zu einer vollen Besteuerung gekommen. Es
war völlig offen, wie man nach 2009 weitermacht. Da ist
es mir doch lieber, wenn wir schrittweise zur Besteuerung kommen und den Leuten auch für die Zeit
nach 2009 Klarheit geben. Ich habe keinerlei Schwierigkeiten, diese Position gegenüber den Betroffenen zu vertreten. Wir haben jetzt Vertrauen und Verlässlichkeit
über das Jahr 2009 hinaus hergestellt. Das ist mir lieber,
als wie bisher bis zum Jahr 2009 weiterzumachen und
dann eine volle Besteuerung einzuführen. So war die
Rechtslage, Frau Höhn.
({2})
Frau Höhn, die Nachfrage muss ich genehmigen. Es
ist allgemein nicht üblich, Nachfragen zu stellen. Jeder
hat eine Frage. Ich habe eine sehr lange Liste. Ich bitte,
auf die Nachfrage zu verzichten.
({0})
Die nächste Frage hat die Kollegin Dr. Kirsten
Tackmann.
Herr Minister, Sie haben die Bilanz des Jahres 2005/
2006 dargestellt. Nun ist es so, dass die positive Entwicklung der landwirtschaftlichen Betriebe den sozialen
Brennpunkten in vielen ländlichen Räumen gegenübersteht. Ich möchte Sie fragen, ob Sie Konzepte entwickeln können, die eine Teilhabe der Bevölkerung im
ländlichen Raum insgesamt an dieser positiven Entwicklung möglich machen. In Ihrem Bericht steht auch, dass
wiederum 2,6 Prozent der Arbeitsplätze in der landwirtschaftlichen Produktion verloren gegangen sind. Ich
glaube, dass wir uns gemeinsam und ganz besonders Sie
als verantwortlicher Minister sich Gedanken machen
müssen, wie man Strukturpolitik im ländlichen Raum
betreibt, um Arbeitsplätze zu schaffen.
Die zweite Frage: In Ihrer Bilanz steht, dass die ostdeutschen Betriebe einen Gewinnrückgang in Höhe von
22 Prozent zu verzeichnen haben. Damit haben sie zwar
immer noch einen höheren Gewinn als die Betriebe in
den alten Bundesländern; aber es ist nachzulesen, dass
dieser Gewinnrückgang offensichtlich sehr stark mit den
politischen Rahmenbedingungen in Ostdeutschland zusammenhängt, also den geringeren Direktzahlungen, der
Kappung der Agrardieselbesteuerung und ähnlichen
Dingen. Ist es nicht an der Zeit, da einmal genau hinzuschauen? Denn im ostdeutschen ländlichen Raum bilden
die Landwirtschaftsbetriebe eine besondere Struktureinheit. Es sind teilweise die letzten Strukturen, die überhaupt noch funktionieren. Haben Sie eine Vorstellung
oder Ideen, wie man dort politisch agieren könnte?
Frau Kollegin Tackmann, Sie haben nicht das Recht,
eine Serie von Fragen zu stellen; denn sonst kommen die
anderen nicht mehr an die Reihe. - Danke.
({0})
Zur Frage nach dem ländlichen Raum: Über die
Hälfte der deutschen Bevölkerung lebt in ländlichen
Räumen. Ein erheblicher Teil der ländlichen Räume
- insbesondere in den neuen Ländern - ist von vielen
ökonomischen Problemen betroffen und wird von der
demografischen Entwicklung unseres Landes in besonderer Weise betroffen sein. Deshalb ist es ein ganz zentrales Ziel der Bundesregierung, neben dem Konzept der
Metropolregionen auch für die ländlichen Räume Konzepte hinsichtlich der Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Sie wissen, dass wir dazu einen bundesweiten
Dialog eröffnet haben. Dieser soll sich nicht in einem
endlosen Kongressleben erschöpfen, sondern er wird
dazu führen, dass wir ab Sommer dieses Jahres dem Parlament und der Öffentlichkeit im Rahmen eines Konzepts strukturelle Maßnahmen, die wir für die ländlichen
Räume ergreifen wollen, vorschlagen werden.
Das ist ein ganzheitlicher Ansatz, der nach Abschluss
des Dialogs die Notwendigkeit nach sich zieht, zu überlegen, wie wir zum Beispiel die zweite Säule bezüglich
der Förderung ausstatten und wie wir die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des
Küstenschutzes“ in Deutschland neu definieren. Das
muss politisch flankiert werden, woran wir gerade arbeiten. Allerdings richtet sich das nicht gegen die Städte,
sondern Stadt und Land sollen Hand in Hand gehen.
Es gibt viel bürgerschaftliches Engagement in den
ländlichen Räumen, zum Beispiel das Projekt „Regionen
Aktiv - Land gestaltet Zukunft“. Das wollen wir auch
weiterführen. Ich möchte aber auch meiner Überzeugung Ausdruck verleihen, dass die Zukunft der ländlichen Räume ohne Wertschöpfung in den ländlichen Räumen nicht denkbar ist. Das heißt, wir müssen überlegen,
wie wir die Wertschöpfung - zum Beispiel in der Landwirtschaft durch die Energieproduktion mit Biomasse
und nachwachsenden Rohstoffen - in den ländlichen
Räumen halten können. Nur dann werden wir auch die
jungen Leute in den ländlichen Räumen halten können.
Die zweite Frage betraf den Gewinnrückgang um
22 Prozent bei den Betrieben in Ostdeutschland. Wir haben dazu eine Begründung gegeben. Es gibt einige Begründungen, die auch für Westdeutschland gelten. Wenn
aber 5 Prozent der Mittel im Rahmen der Modulation
von der ersten in die zweite Säule gelangen, wenn also
5 Prozent der Direktzahlungen an die Betriebe in Projekte zur Entwicklung des ländlichen Raumes fließen
- wie übrigens von allen hier gewünscht -, dann schlägt
sich das natürlich in der Bilanz nieder. Das schlägt sich
in den neuen Ländern wegen der größeren Flächen natürlich etwas stärker nieder. Sie dürfen also nicht übersehen, dass wir eine gesetzliche Modulation von 5 Prozent
haben. Das heißt, die Zahlungen an die Betriebe werden
um 5 Prozent reduziert und das Geld geht weitestgehend
in Projekte zur Entwicklung des ländlichen Raumes.
Bei der Größe der Betriebe in den neuen Ländern
- ich möchte dies jetzt nicht kritisieren, aber man muss
es als mathematische Grundlage berücksichtigen - wirkt
sich das natürlich prozentual, also relativ, spürbarer aus
als beispielsweise in meinem Heimatland mit sehr kleinen landwirtschaftlichen Flächen.
({0})
- Wissen Sie, man kann eines nicht machen: Man darf
nicht gelegentlich hier im Parlament sagen, man wolle
mehr Geld von der ersten in die zweite Säule transferieren, und sich anschließend darüber wundern, dass es
plötzlich zu einem Rückgang der Mittel in der ersten
Säule kommt. Das geht nicht.
Die nächste Frage geht an den Kollegen HansMichael Goldmann.
Herr Minister, ich möchte mich auch dafür bedanken,
dass wir den Bericht gestern Abend schon zur Verfügung
hatten und somit schon lesen konnten. Ich finde Ihre
Idee, ihn in die Ernährungswirtschaft einzubinden, eine
interessante Überlegung, über die wir nachdenken und
die wir umsetzen sollten. Ich habe mir gedacht, dass wir
ihn vielleicht sogar in den Gesamtbereich Wirtschaft
einbinden sollten. Morgen gibt es einen Tagesordnungspunkt Jahreswirtschaftsbericht 2007, und ich finde, die
Agrarwirtschaft gehört genauso zur Wirtschaft wie andere Bereiche auch.
Es bestätigt sich ein bisschen, was in Fachkreisen gesagt wird - das meine ich ganz generell -: Die Stimmung
ist besser als die Lage. Ich habe mich erschrocken, als
ich einige Zahlen las. Ich hatte nicht für möglich gehalten, dass das durchschnittliche Einkommen um
1,4 Prozent gesunken ist. Vor allen Dingen hat mich die
Situation in den neuen Ländern erschreckt; das muss ich
sehr deutlich sagen. Wir brauchen Konzepte. Ich möchte
gerne nach solchen Konzepten fragen.
Erschreckt hat mich auch, dass 25 000 Euro eines
durchschnittlichen Einkommens von 36 000 Euro auf
Subventionen zurückgehen. Das zeigt, dass wir vor dramatischen Herausforderungen im Hinblick auf das stehen, was von der europäischen Ebene auf uns ganz sicherlich zukommt. Welche Reformen planen Sie
durchzuführen, um die Betriebe zu mehr unternehmerischem Tun zu bewegen?
Letzte Frage. Sind Sie mit der Regelung bezüglich der
Erntehelfer, die mittlerweile getroffen worden ist - sie
soll Bestand haben -, wirklich so zufrieden, dass Sie aufgeben und sich nicht mehr darum bemühen, eine bessere
Lösung zu finden? Die Beschreibung im Papier deckt
sich nach meinen Erfahrungen nicht mit der Realität.
Bisher gab es einen einzigen Bundesminister, der sein
eigenes Ministerium aufgelöst hat: Das war der Postminister. Ich kann Ihrem Vorschlag, den Agrarbericht in
den Jahreswirtschaftsbericht des Bundeswirtschaftsministers einzuarbeiten oder beide Berichte zusammenzulegen, nicht mit voller Begeisterung folgen. Wir sollten
versuchen, dafür zu sorgen, dass es sich in unserem Zuständigkeitsbereich in die Richtung entwickelt, die ich
vorhin angedeutet habe.
Was die von Ihnen genannten Zahlen angeht: Es ist
immer problematisch, eine Globalzahl in einer Statistik
isoliert zu betrachten. Wenn Sie ein paar Seiten weiterlesen - wie ich Sie kenne, tun Sie das sicherlich -, dann
werden Sie sehen, dass es eine Differenzierung nach Betriebsgrößen gibt. Sie werden sehen, dass Betriebe mit
einer Größe bis 50 Hektar Negativwerte haben, dass Betriebe mit einer Größe zwischen 50 und 75 Hektar einigermaßen stabile Werte haben und dass die Zahlen für
Betriebe mit einer Größe von mehr als 75 Hektar positiv
sind. Die entsprechenden Werte der kleinen Betriebe sinken, aber die Fläche der größeren Betriebe nimmt zu,
und der Umfang der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche
ist insgesamt gleich geblieben. Das sind die Auswirkungen des von mir angesprochenen Strukturwandels.
Wie dramatisch er - immer noch - ist, zeigt Folgendes: In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg hat ein
Bauer zehn Menschen ernährt; heute ernährt ein Bauer
140 Menschen. Man erkennt daran die ganze Dynamik
in diesem Bereich durch Innovation, durch Mechanisierung und vieles andere. Diese Dynamik ist ungebrochen.
Das sollten wir auch aussprechen.
Ich glaube, wir sind gut beraten - auch im Hinblick
auf Ihren Hinweis, dass 25 000 Euro eines durchschnittlichen Einkommens auf Subventionen zurückgehen -,
die Multifunktionalität der Landwirtschaft - Nahrungsmittel, Energie, Freizeit, Erholung, Tourismus, Kulturlandschaft - aufrechtzuerhalten und der Landwirtschaft
dabei zu helfen, in Europa nach marktwirtschaftlichen
Gesetzen tätig zu sein. Je besser sie ihre Existenz über
Preise und Einkommen sichern kann, desto weniger
Subventionen sind nötig.
Ich möchte - wie eben im Ausschuss - deutlich sagen, dass sich die Landwirte jetzt darauf verlassen können müssen, dass die Gemeinsame Agrarpolitik, die bis
zum Jahre 2013 vereinbart ist, fortbesteht. Wie soll jemand, der von staatlichen Rahmenbedingungen sehr
stark abhängig ist, investieren, wenn er sich auf diese
Rahmenbedingungen nicht verlassen kann? Die Verlässlichkeit, die Stabilität in der EU bis zum Jahre 2013 sind
Voraussetzung für die Investitionen.
Ich bin ein glühender Verfechter des Ansatzes, dass
wir die Landwirtschaft zu mehr unternehmerischem Tun
hinführen. Im Gegensatz zu meinem früheren Tätigkeitsfeld ist in der Landwirtschaft ein ganz hohes Maß an Bereitschaft vorhanden - darüber bin ich sehr froh -, sich
der unternehmerischen Tätigkeit mehr als der Diskussion über Subventionen zuzuwenden. Das freut mich ungemein. Gelegentlich stellt man fest, dass jeder von der
Marktwirtschaft spricht, dass man die Anhänger der
Marktwirtschaft aber mit nichts mehr bestrafen kann als
mit der Einführung der Marktwirtschaft.
({0})
- Ja, Erntehelfer. Ich bin mit dem Kollegen Müntefering
völlig d’accord; ich weiß, das hört nicht jeder gern. Angesichts der bei uns bestehenden Arbeitslosigkeit bin ich
dafür, dass wir verstärkt hier lebende Arbeitslose für solche Tätigkeiten heranziehen.
Das schändet übrigens auch nicht; das sollten wir
auch sagen. Allerdings sehe ich auch die Probleme, die
im praktischen Vollzug hier und dort entstanden sind.
Eine Erntehelferregel darf nicht so aussehen, dass sie in
der Praxis zulasten der Bauern geht. Wir brauchen ein
Stück mehr Flexibilität und ein Stück weniger Bürokratie. Unter keinen Umständen darf sich das wiederholen,
was im Vorjahr passiert ist, als wegen einer zu starren
Vorgehensweise der Behörden das eine oder andere nicht
möglich war.
Die nächste Frage hat die Kollegin Ulrike Höfken.
Herr Minister, Sie haben - so wie Sie gesagt haben gute Rahmenbedingungen übernommen; ich denke an
die Agrarreform, die Unterstützung von Bioprodukten
und an die erneuerbaren Energien. Das Problem ist, dass
Sie drohen, diese Fundamente einzureißen. Mit der finanziellen Vorausschau auf der europäischen Ebene hat
Frau Merkel höchstpersönlich dafür gesorgt, dass so viel
Geld aus der Landwirtschaft, und zwar aus einem sinnvollen Anwendungsbereich, wie niemals zuvor entzogen
wird, nämlich ungefähr 700 Millionen Euro. Ich habe im
Hinblick auf die zweite Säule ein Problem damit, dann
noch von Verlässlichkeit zu reden. Der Agrardiesel ist
noch viel teurer geworden und die Biospritbesteuerung
führt dazu, dass die Wertschöpfung in den ländlichen
Räumen gerade nicht mehr gewährleistet ist; das führt zu
Verwerfungen.
Meine Fragen: Erstens. Was halten Sie den Verlusten
von Finanzmitteln in der ganzen zweiten Säule entgegen? Gerade für die Biobetriebe ist, im Hinblick auf die
Umstellung, die Förderung der ländlichen Räume essenziell. Zweitens. Haben Sie vor, die Biospritbesteuerung
- die wir übrigens 2009 nicht auslaufen lassen, sondern
nur überprüfen lassen wollen - zu sichern oder die Besteuerung entsprechend wieder zurückzunehmen?
Zum letzten Punkt. Es gibt den ständigen Auftrag, das,
was wir entschieden haben, mit den Marktentwicklungen
zu vergleichen und auf Handlungsnotwendigkeiten,
wenn sie sich ergeben, zu reagieren. Es wäre ja weltfremd zu sagen: einmal entschieden, für immer entschieden.
Zu Ihrer anderen Frage muss ich Ihnen sagen: Die
Kanzlerin hat eindeutig deutsche Interessen vertreten.
Wir hatten im Zusammenhang mit der deutschen Einheit
ein zweites Sonderanliegen; das waren die Ziel-I-Gebiete. Es wird so oft davon gesprochen, die Österreicher
hätten für die zweite Säule etwas herausgeholt und die
Deutschen hätten das übersehen. Unsere Priorität war
aber nun einmal, die ungünstigen Wirtschaftsstrukturen
in den neuen Ländern durch zusätzliche europäische
Fördermittel für Ziel-I-Gebiete zu verbessern. Deshalb
haben wir deutsche Interessen vertreten.
({0})
Wissen Sie, Sie können bei den Verhandlungen nicht
zehn Sonderinteressen anmelden. Vor dem Hintergrund
unserer historischen Sondersituation durch die deutsche
Einheit war unser Interesse, bei der Förderung der Wirtschaftsstruktur zu einer zusätzlichen Mittelausstattung
zu kommen. Das ist gelungen: Beispielsweise bekommt
mein Heimatland Bayern in der zweiten Säule mehr Fördermittel als ganz Großbritannien. Die Förderung, die
als Ausgleichszulage in der zweiten Säule gezahlt wird,
ist auch nach Berücksichtigung der Sparmaßnahmen,
von denen Sie sprachen, noch höher als in jedem anderen Land.
({1})
- Ja, das ist in Ordnung. Wir dürfen nicht die These aufstellen, das Sparen führe zur Zerschlagung der Förderprogramme für den ländlichen Raum. Manchmal kann
man die Mittel auch sinnvoll einsetzen.
Die nächste Frage hat - ({0})
- Entschuldigen Sie, Frau Höfken, es kommen heute sowieso nicht alle Fragesteller zum Zuge.
({1})
- Es ist ja schön, dass alle an dem Thema so interessiert
sind; aber die nächste Frage hat die Kollegin Dr. Christel
Happach-Kasan.
Herr Minister, Sie haben eben sehr deutlich dargestellt, dass wir einen Wandel in der Landwirtschaft haben: zum einen hin zu größeren Betrieben, zum anderen
hin zur Produktion nachwachsender Rohstoffe; das gilt
insbesondere mit Blick auf die energetische Verwertung.
Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Sie gesagt haben, es gebe ein Prä für die unternehmerische Landwirtschaft. Die unternehmerische Landwirtschaft braucht
stabile rechtliche Rahmenbedingungen.
In der Beantwortung einer Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke haben Sie deutlich gemacht, dass wir insbesondere beim Mais ein Problem mit dem Maiszünsler
haben. Sie wissen aus der Diskussion sicherlich, dass
Bt-Mais eine Möglichkeit ist, um den Maiszünsler zu bekämpfen. Dies ist gerade auch aus umweltpolitischer
Sicht sinnvoll, wie das Ministerium für Umwelt in Bayern in einem sehr aufwendigen Bt-Mais-Monitoring dargestellt hat.
Wann wird das Gentechnikgesetz so novelliert, wie
Sie es im Koalitionsvertrag versprochen haben - hin zu
mehr Anwendung auf dem Acker und hin zu mehr Forschung -, um für Bt-Mais und die Europa im Zulassungsverfahren befindliche Stärkekartoffel in Deutschland etwas mehr Nutzungsmöglichkeiten zu schaffen?
Wie Sie wissen, sind wir dazu in einem sehr guten
Gespräch mit den Koalitionsfraktionen.
({0})
- „Sehr gut“, Herr Goldmann. Fachliche Tiefe ist kein
Widerspruch zu „sehr gut“. - Ich denke, dass wir mit den
Ergebnissen baldmöglichst ins Bundeskabinett gehen
können.
Ich muss Ihnen allerdings Folgendes sagen: In der
Hälfte der Bundesrepublik gibt es den Maiszünsler nicht
und in den Gegenden, wo es ihn gibt, mit sehr unterschiedlicher Befalldichte. Ich bin kein praktizierender
Landwirt. Deshalb rufe ich gelegentlich mir bekannte
Landwirte an und frage: Was macht ihr? Habt ihr den
Maiszünsler? Dann bekomme ich ganz überwiegend die
Antwort: Ja, aber nicht so besonders dramatisch. Wir
pflügen tiefer um, wir wechseln die Fruchtfolge, und
dann ist der Maiszünsler weg. - Es gibt also auch andere
Möglichkeiten der Bekämpfung als nur den Bt-Mais.
Trotzdem müssen wir Antworten darauf geben, was
die Forschung, die Sicherheit und die Frage der Koexistenz angeht. Sie werden erleben, dass wir sie geben.
Weil die vorgesehene Zeit eigentlich abgelaufen ist,
frage ich, ob es noch Fragen außerhalb dieses Themenbereichs gibt; wenn nicht, könnten wir die Zeit noch
weiter für dieses Thema nutzen. - Da es keine Fragen zu
anderen Themen gibt, setzen wir die Regierungsbefragung hierzu fort.
Die nächste Frage hat die Kollegin Cornelia Behm.
Herr Minister, sogar Herr Sonnleitner hat neulich zugegeben, dass die Vorgängerregierung in Sachen nachwachsende Rohstoffe nicht alles falsch gemacht hat. Nur so viel zu Ihrem Geplänkel mit Bärbel Höhn.
Sowohl um Klimaschutz zu betreiben als auch um die
Wertschöpfung im ländlichen Raum zu erhöhen, müssen
wir darauf achten, auf unseren Flächen eine maximale,
aber nachhaltig erzeugte Biomasse zu gewinnen, einerseits in Form nachwachsender Rohstoffe für die stoffliche und energetische Nutzung, andererseits aber auch
zur Nahrungsgewinnung. Ich frage Sie zu diesem Punkt,
welche Strategien Sie haben, um sicherzustellen, dass
die ökonomischen Interessen - man merkt, dass die sehr
in den Vordergrund gerückt werden - die ökologischen
und die sozialen Interessen nicht überlagern. Ich will
ganz konkret werden und Sie fragen, wie Sie bei der
Ausweitung der NaWaRo-Flächen sicherstellen wollen,
dass der Naturschutz nicht unter die Räder kommt, dass
also ausreichend Flächen für den Biotopschutz und den
Biotopverbund bleiben. Planen Sie zum Beispiel, sich
stärker für das Thema Agroforstsysteme zu engagieren?
Das würde durchaus einen Lösungsansatz bieten. Nehmen Sie sich des Problems an, dass wir immer nur Maisflächen im Auge haben? Wollen Sie nicht die Fruchtartenvielfalt fördern, auch durch Forschung im Bereich der
Technologie? Bis jetzt sagen die Anlagenbauer ja immer: Bei uns geht das nur mit dem Mais.
Ich habe von Nachhaltigkeit gesprochen. Dazu noch
die Frage: Wie ist der Stand der Nachhaltigkeitszertifizierung? Welche Kriterien müssen wir Ihres Erachtens
wann zur Anwendung bringen?
Diese Entwicklung rund um die nachwachsenden
Rohstoffe mit all ihren Verästelungen - Biokraftstoffe,
Biomasse, Biogas - ist eine positive Entwicklung. Sie ist
aus unterschiedlichen Gründen sehr unterstützenswert.
Es geht um Klimaschutz, um Umweltschutz, um die
Grundlagen der wirtschaftlichen Existenz der Bauern.
Ich habe letzte Woche im EU-Parlament in verschiedenen Ausschüssen darum gebeten - das möchte ich hier
ebenfalls tun -, zu überlegen - das tun auch wir als Regierung; dazu müssen wir aber auch einen Dialog führen -,
wie wir manche Fehler, die in der Agrarpolitik in den
Nachkriegsjahrzehnten gemacht wurden - da wurde das
Ökonomische, die Menge in den Vordergrund gestellt
und die Notwendigkeit der Rücksichtnahme auf unsere
Schöpfung lange Zeit übersehen -, beheben können.
Diese Frage stellt sich angesichts der Dynamik bei den
nachwachsenden Rohstoffen gleichermaßen. Wir sollten
vermeiden, die Fehler der Nachkriegsgeschichte jetzt zu
wiederholen. Ich habe den Eindruck, dass ich bei den zuständigen Ausschüssen des Europaparlaments auf sehr
offene Ohren gestoßen bin, als ich ausgeführt habe, dass
wir Nachhaltigkeitskriterien und Standards entwickeln
müssen. Zum Teil sind es die gleichen wie in der Nahrungsmittelproduktion; aber wir müssen sehr Obacht geben, dass es hier nicht zu einer platten Industrialisierung
unter Ausbeutung unserer Böden kommt.
Es ist kein Widerspruch, das Positive mit einer Fehlervermeidungsstrategie zu verbinden. Ich sagte bereits
heute im Fachausschuss, dass wir einmal zusammenstellen müssen, was wir schon haben und was wir noch
brauchen, und zwar unter spezifischer Bezugnahme auf
nachwachsende Rohstoffe, zum Beispiel Fruchtfolge,
vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit.
Im Europaparlament war die Schlussfolgerung bezüglich des Dialogs und auch der Entscheidungen über die
Nachhaltigkeit in diesem Zusammenhang: Wenn es gelänge, auf europäischer Ebene saubere Regeln und Standards als Gemeingut zu entwickeln, dann wären wir
auch gegenüber Drittstaaten in einer starken Stellung
und hätten eine gute Grundlage, wenn es um Wälder und
Ähnliches in anderen Regionen der Welt ginge. Ich
könnte mir vorstellen, dass zum Beispiel Zertifizierungssysteme im Verhältnis zu Drittstaaten durchaus eine Antwort sein können.
Aber lassen Sie uns das jetzt wirklich mit Nachdruck
diskutieren. Mein Interesse ist, auf europäischer Ebene
zu Regeln zu kommen. Denn nur wenn es uns auf europäischer Ebene gelingt, in diesem Zusammenhang Nachhaltigkeitsregeln zu entwickeln, werden wir auch weltweit Wirkung entfalten können.
Die Fragezeit für die Regierungsbefragung ist abgelaufen. Ich bedaure, dass viele Fragesteller nicht mehr
zum Zuge kommen konnten, aber wir haben die Zeit sogar schon überschritten. Deswegen müssen die Fragen
entfallen, können aber schriftlich gestellt werden.
Wir kommen dann zum Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
- Drucksache 16/4133 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Hartmut Schauerte zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 1 des Kollegen Hans-Josef
Fell vom Bündnis 90/Die Grünen:
Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor über kartellrechtswidrige Absprachen in Europa bezüglich der Vergabe von Aufträgen für Kraftwerke im Allgemeinen und
Atomkraftwerke im Besonderen?
Herr Schauerte, bitte.
Herr Kollege Fell, ich beantworte die Frage im Namen der Bundesregierung wie folgt: Der Bundesregierung sind keine kartellrechtswidrigen Absprachen in
Deutschland bezüglich der Vergabe von Aufträgen für
Kraftwerke im Allgemeinen und Atomkraftwerke im
Besonderen bekannt. Erkenntnisse über Absprachen in
Europa liegen der Bundesregierung nicht vor.
Herr Fell, Ihre Nachfrage.
Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Antwort. Es
ist Ihnen ja nicht entgangen, dass die EU-Kommission
kartellrechtliche Maßnahmen und Strafmaßnahmen gegenüber dem Konzern Siemens ergriffen hat. Ich frage
Sie in diesem Zusammenhang, ob die Bundesregierung
sich nun vornimmt, hier im Detail genauer hinzuschauen; denn es hat in den letzten Jahrzehnten auffällige Ereignisse gegeben. Wenn man beispielsweise die
Verteilung von Atomkraftwerken in Europa auf der
Landkarte betrachtet, sind Vermutungen sehr wohl gerechtfertigt, dass auch hier kartellrechtliche Absprachen
ein Thema sind.
Herr Kollege Fell, wir werden die Ergebnisse der Untersuchungen der Europäischen Kommission diesbezüglich abwarten.
Weitere Nachfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, ich fragte nicht, ob Sie die Ergebnisse abwarten wollen, sondern ich fragte, ob die Bundesregierung angesichts einer solch eindeutigen Indizienlage selbst aktiv werden will; denn kartellrechtliche
Absprachen sind im Bereich der Energiewirtschaft bereits nachgewiesen. Was wollen Sie also tun, um solch
verbotswidrige Handlungen zu unterbinden?
Ihre Bewertung, dass es sich um einen massiven
Missbrauch handelt, kann ich nicht teilen. Jedenfalls liegen uns bis heute keine Erkenntnisse dazu vor. Aber ich
will gerne zusagen, dass wir angesichts dieser Vorkommnisse noch einmal bei den beteiligten Unternehmen nachfragen.
Eine weitere Frage der Kollegin Bärbel Höhn.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben deutlich gemacht,
dass es zwar in der EU-Kommission Erkenntnisse über
kartellrechtliche Absprachen gibt, dass diese aber Ihnen
offensichtlich nicht vorliegen.
Ja.
Erste Frage: Haben Sie sich bei der EU über die vorliegenden Erkenntnisse erkundigt? Zweite Frage: Was
wollen Sie tun, um das Informationsdefizit - die EU
weiß ja mehr über deutsche Konzerne als die deutschen
Behörden - abzubauen?
Ich habe diese Frage gerade schon beantwortet. Wir
werden uns bei den beteiligten Unternehmen und bei den
zuständigen Behörden noch einmal erkundigen, ob auf
nationaler Ebene diesbezüglich irgendwelche Erkenntnisse vorliegen.
Darf ich eine zweite Nachfrage stellen?
Bitte.
Halten Sie es für zielführend, allein bei den beteiligten Unternehmen nachzufragen? Offensichtlich scheint
das für Sie der richtige Weg zu sein, um herauszufinden,
ob sie sich kartellrechtswidrig abgesprochen haben.
Frau Kollegin, es ist selbstverständlich, dass wir die
Erkenntnisse der EU nutzen. Aber wir werden auch mit
den Beteiligten das Gespräch führen und über eventuelle
Vorkommnisse reden. Dann werden wir sehen, ob wir
weiter untersuchen müssen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Peter Paziorek zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 2 der Kollegin Bärbel Höhn:
Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um den einstimmigen Beschluss des Deutschen
Bundestages zu einem Import- und Handelsverbot für Robbenprodukte vom 19. Oktober 2006 ({0}) umzusetzen, und für wann ist in Deutschland mit
dem Inkrafttreten des Verbotes zu rechnen?
Werte Kollegin, die Bundesregierung setzt sich mit
Nachdruck für eine harmonisierte Lösung ein, die für die
gesamte Europäische Union gilt. Jüngst hat sich Staatssekretär Lindemann bei den Beratungen des Kommissionsvorschlags für eine „Verordnung des Europäischen
Parlaments und des Rates über ein Verbot des Inverkehrbringens sowie der Ein- und Ausfuhr von Katzen- und
Hundefellen sowie von Produkten, die solche Felle enthalten, in die bzw. aus der Gemeinschaft“ im Agrarrat
am 29. Januar dieses Jahres für die Aufnahme von Robbenfellen in den Verordnungsvorschlag ausgesprochen.
Der zuständige Kommissar Kyprianou lehnte das deutsche Anliegen ab, da es bereits ein Einfuhrverbot für bestimmte Robbenfelle gebe. Derzeit würden in der Kommission ebenfalls Untersuchungen zur artgerechten
Tötung der Tiere durchgeführt.
Parallel zu den entsprechenden Bemühungen auf
europäischer Ebene für ein Importverbot prüft das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz derzeit für den Fall, dass auf Gemeinschaftsebene keine ausreichende Regelung gefunden
wird, ob und gegebenenfalls welche Wege für ein nationales Handelsverbot gefunden werden können.
Nachfrage, Frau Höhn?
Herr Staatssekretär, im März beginnt wieder die Robbenjagd. Das Einfuhrverbot gilt nur für Robben mit weißem Fell. Deshalb werden die Robben exakt drei Wochen nach der Geburt erschlagen oder erschossen. Wir
haben aus diesem Grund am 19. Oktober letzten Jahres
im Bundestag den einstimmigen Beschluss gefasst, dass
ein Verbot auf EU-Ebene geprüft werden soll. In dem
entsprechenden Antrag hieß es:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, … solange ein solches Verbot
- damit ist ein Einfuhr- und Handelsverbot auf EUEbene gemeint nicht zustande kommt, den Import, die Be- und Verarbeitung und das Inverkehrbringen von Robbenprodukten in Deutschland wirkungsvoll zu unterbinden.
Das war, wie gesagt, ein einstimmiger Beschluss des
Bundestages.
Wir sind die Legislative und Sie sind die Exekutive.
Was haben Sie getan, um diesen Beschluss des Bundestages - Sie hatten ein halbes Jahr Zeit; in zwei Monaten
beginnt die Robbenjagd - umzusetzen?
Verehrte Frau Kollegin, ich kenne die Genesis dieses
Beschlusses, da ich selbst als Parlamentarischer Staatssekretär mit Ihnen zusammen an den Beratungen des
Ausschusses zu diesem Punkt teilgenommen habe. Es
handelt sich um einen gemeinsamen Beschluss aller
Fraktionen; insofern sind wir auch inhaltlich nicht auseinander. Es war aber klar, dass wir die schwierige Frage
zu behandeln haben, ob aus WTO-rechtlichen Gründen
ein nationaler Importstopp ausgesprochen werden kann.
Aus diesem Grunde hatten wir uns alle - sowohl die Legislative als auch die Exekutive - darauf verständigt, zunächst einmal zu versuchen, auf europäischer Ebene eine
Lösung zu finden. Wir prüfen zurzeit, welche rechtlichen Möglichkeiten im Rahmen dieses schwierigen Feldes - es muss sich in die WTO-Rechtsordnung einpassen - bestehen, um den Beschluss des Deutschen
Bundestages zur Umsetzung bringen zu können.
Eine weitere Nachfrage.
Herr Staatssekretär, ich muss Sie korrigieren: Der Beschluss des Bundestages lautet anders; dort steht nicht
„zunächst“, sondern „solange ein solches Verbot nicht
zustande kommt“. Das ist ein halbes Jahr her. Belgien,
das ebenso wie Deutschland ein EU-Staat ist, hat gerade
auf nationaler Ebene einen solchen Beschluss gefasst.
Auch die Niederlande sind hier sehr weit. Haben Sie sich
mit den Regelungen in diesen beiden Ländern auseinandergesetzt und Überlegungen angestellt, ob Sie solche
Regelungen für die Bundesrepublik Deutschland übernehmen können, um den Beschluss des Bundestages umzusetzen, in dem nicht von „zunächst“, sondern sinngemäß von „parallel“ die Rede ist?
Verehrte Frau Kollegin, genau das ist jetzt Gegenstand der Prüfung in unserem Hause, ob Mitgliedstaaten
der Europäischen Union einen solchen Sonderweg gehen
können, ohne von der EU gestoppt zu werden. Weil wir
das gemeinsame Ziel, für eine artgerechte Tötung einzutreten, erfolgreich umsetzen wollen, nehmen wir im Augenblick eine ganz intensive Prüfung dieser Rechtsfrage
vor.
Nun kommen wir zur Frage 3 der Kollegin Höhn:
Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass die Umsetzung der Transparenzinitiative zur Offenlegung der Empfänger von Agrarsubventionen rechtzeitig erfolgt, damit die
Informationen bei der Diskussion um die Neuorientierung der
europäischen Agrarpolitik im Rahmen des Midterm-Reviews
2008/2009 Berücksichtigung finden können?
Frau Kollegin, die Bundesregierung unterstützt die
Europäische Transparenzinitiative. Wichtige Gesichtspunkte in der Diskussion zu den Modalitäten einer Veröffentlichung sind für die Bundesregierung, dass auch
über Ziele und Zusammenhänge der Förderung umfassend informiert wird, die Gleichbehandlung aller Sektoren und Programme gewährleistet ist, datenschutzrechtliche Gesichtspunkte beachtet werden und der
bürokratische Aufwand begrenzt gehalten wird. Außerdem werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass die
EU-Kommission die Veröffentlichung übernimmt.
Was den Veröffentlichungszeitpunkt betrifft, sind die
Vorgaben in den jeweiligen Rats- bzw. Kommissionsverordnungen maßgebend. Für den Garantiefondsbereich ist
in der Änderungsverordnung Nr. 1995/2006 zur Allgemeinen Haushaltsordnung Nr. 1605/2002 vorgesehen,
dass die Daten des Haushaltsjahres 2008 veröffentlicht
werden, und zwar aus gutem Grund: Ausgaben des EUHaushaltsjahres 2008 betreffen das Antragsjahr 2007
- das ist mit dem Erntejahr deckungsgleich -, für das bis
zum 15. Mai 2007 von den Betriebsinhabern entsprechende Anträge zu stellen und von den zuständigen Landesbehörden anschließend zu bescheiden sind. Die Bundesregierung hat die Länder Ende letzten Jahres gebeten,
bereits mit diesen Anträgen die Bäuerinnen und Bauern
darüber zu informieren, dass mit einer Zuwendung eine
entsprechende Veröffentlichung vorgesehen ist. Die Zahlungen zu diesen Anträgen erfolgen im Jahre 2007 sowie
bis zum zweiten Quartal 2008 und werden auf den EUHaushalt 2008 gebucht.
Die Daten über die geleisteten Einzelzahlungen liegen beim bisherigen Verfahren in Deutschland zum weit
überwiegenden Teil zunächst nur auf der Ebene der Länder vor. Im Rahmen des vom EU-Recht vorgeschriebenen sogenannten Jahresabschlusses werden sie Anfang
2009 an die Bundesanstalt für landwirtschaftliche
Marktordnung und anschließend an unser Haus übermittelt; einige Tage später werden sie dann über das Bundesfinanzministerium an die EU-Kommission gesandt.
Ähnliches gilt auch für die flächenbezogenen ELERMaßnahmen, zum Beispiel für die Ausgleichszulage und
die Agrarumweltprogramme.
Dies bedeutet, dass sowohl der Bund als auch die EUKommission die Daten ohne großen zusätzlichen Aufwand, also grundsätzlich bei Beibehaltung des bisherigen Verfahrens, Anfang 2009 werden veröffentlichen
können.
Derzeit ist geplant, unmittelbar nach Vorliegen aller
den Agrarbereich betreffenden Bestimmungen - für
Marktordnungsmaßnahmen und Direktzahlungen liegen
derzeit auf EU-Ebene überhaupt noch keine DurchfühParl. Staatssekretär Dr. Peter Paziorek
rungsbestimmungen vor - ein Konzept zur Veröffentlichung zu erstellen und mit den Ländern abzustimmen. In
diesem Rahmen soll dann auch die Frage des Veröffentlichungszeitpunktes erörtert werden. Ich bin mir sicher,
dass dieses Vorgehen sowohl dem Anliegen der Veröffentlichung von EU-Subventionsdaten als auch einer
sachgerechten Diskussion zur Fortentwicklung der europäischen Gemeinsamen Agrarpolitik bestmöglich Rechnung trägt.
Die Kommission beabsichtigt, nach eingehenden Vorarbeiten ihr abschließendes Papier zur Überprüfung der
EU-Politiken Ende 2008 oder Anfang 2009 vorzulegen.
Also können die EU-Subventionsdaten in der sich daran
anschließenden Diskussion Berücksichtigung finden.
Nachfrage, Frau Höhn?
Ja. - Herr Staatssekretär, andere EU-Länder haben
mittlerweile die Subventionsempfänger benannt; das
geht bei diesen. Sie sagen, dass Sie prüfen; wenn ich es
richtig verstanden habe. Dazu würde ich gerne eine
Nachfrage stellen. Im Jahre 2009 wollen Sie die Daten
veröffentlichen. Ist es richtig, dass die Öffentlichkeit in
Deutschland anders als in anderen EU-Ländern erst im
Jahre 2009 die Daten erhält, und veröffentlichen Sie
dann nur die Daten oder auch die Namen der Subventionsempfänger?
Zunächst einmal habe ich geschildert, wie wir das
Ganze umsetzen wollen. In einem föderalen Staat - Frau
Höhn, das wissen Sie aus Ihrer vorherigen Tätigkeit in
der Politik - müssen wir solche Verwaltungsvollzugsmaßnahmen mit den Ländern abstimmen. Das ist nun
einmal so bei uns.
Wir haben uns schon einmal in einer Fragestunde mit
diesem Sachverhalt beschäftigt.
({0})
- Herzlichen Dank. Ich wollte das gerade sagen. Ich
kann Ihre Aussage durchaus unterstreichen. - Ich muss
klar und deutlich sagen: Das, was ich vorgetragen habe,
ist eine inzwischen in der Bundesregierung abgestimmte
Haltung. Es ist also klar: Die Daten werden veröffentlicht. Den Bäuerinnen und Bauern wird schon jetzt gesagt, sie müssten damit rechnen, dass auch ohne eine
Mindestgrenze entsprechende Daten veröffentlicht werden. Das ist der jetzige Sachverhalt.
Es tut mir leid, dass wir diese Daten aufgrund des
durchaus umfangreichen bürokratischen Aufwandes hinsichtlich der Frage, wann Zahlungen gebucht werden
und wann sie in die Berichte eingehen, nach dem jetzigen Stand erst 2009 veröffentlichen können. Aber Sie sehen: Ab sofort muss jeder - wenn die Verordnungen so
Platz greifen, wie wir es uns vorstellen - im Hinblick auf
die Zahlungen, die jetzt, in 2007, erfolgen, damit rechnen, dass sein Name zum frühestmöglichen Zeitpunkt
genannt wird.
Ihre zweite Nachfrage.
Herr Staatsekretär, Sie haben eben gesagt, dass das
noch rechtzeitig vor Erstellen des Midterm-Reviews sein
wird. Nun wissen wir aber, dass die EU die Abfassung
ihrer Midterm-Reviews teilweise nach vorne verlagert;
das haben wir mehrfach erlebt. Der Minister hat zwar
heute im Ausschuss gesagt, er sei nicht dafür; trotzdem
passiert das manchmal. Sind Sie auf einen solchen Fall
vorbereitet? Denn es wäre natürlich entscheidend wichtig, dass wir gerade dann, wenn Subventionen gekürzt
werden, zielgenauer fördern können und so sehen können, wo Umverteilungen möglich sind. Haben Sie eine
solche Möglichkeit eingeplant?
Es ist in der Tat so, dass wir diese Möglichkeit einplanen müssen. Ich kann Ihrer Sachverhaltsschilderung,
Frau Höhn, durchaus zustimmen. Ich kann aber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen - ich habe Ihnen ja den
großen Aufwand geschildert -, wie wir auf ein solches
Vorziehen reagieren würden. Ich kann aber versichern,
dass dieser Gesichtspunkt ein Prüfauftrag bei den zuständigen Stellen in unserem Hause sein wird.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Astrid Klug zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 4 des Abgeordneten HansJosef Fell:
Wurden der Bundesregierung im Rahmen der Energiegipfelrunden Vorschläge vorgelegt, die die Erreichung ambitionierter Klimaschutzziele unter Beibehaltung des Atomausstiegs beinhalten, und, falls ja, welche?
Sehr geehrter Herr Kollege Fell, ich beantworte Ihre
Frage wie folgt: Im Rahmen der Energiegipfelrunden
2006 und der untergeordneten Arbeitsgruppensitzungen
wurde insbesondere im Rahmen des Aktionsplans Energieeffizienz über eine Vielzahl von Emissionsminderungsansätzen diskutiert. Umfassende Konzepte zur
Erreichung ambitionierter Klimaschutzziele unter Beibehaltung des Atomausstieges wurden der Bundesregierung damals nicht vorgelegt.
Auf dem nächsten Energiegipfel im Frühsommer dieses Jahres soll über Energieszenarien bis 2020 diskutiert
werden. Hierfür werden derzeit verschiedene Szenarien
erstellt, darunter ist auch eines, das unter Zugrundelegung der verschiedenen energiepolitischen Vorgaben
des Koalitionsvertrages inklusive Beibehaltung des Atomausstiegs berechnet wird.
Eine Nachfrage, Kollege Fell? - Bitte.
Frau Staatssekretärin, vielen Dank für die Antwort.
Sie hat mich ein wenig verwundert; denn nach Aussagen
des Bundesverbandes Erneuerbare Energie habe er auf
dem letzten Kanzlergipfel ein Konzept vorgelegt, das
eine Stromerzeugung von etwa 240 Terawattstunden aus
erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2020 vorsieht.
Wenn man weiß, dass die Atomkraftwerke 1990 nur
160 Terawattstunden erzeugt haben, dann wird klar, dass
ein Atomausstieg mit gleichzeitigem Klimaschutz möglich ist. Insofern wundert mich, dass Sie sagen, solche
Konzepte seien nicht vorgelegt worden.
Es gibt derzeit noch kein fertiges Konzept innerhalb
der Bundesregierung, das man hätte vorlegen oder über
das man hätte diskutieren können. An solchen Konzepten wird aber gearbeitet.
In der Sache widerspreche ich Ihnen nicht. Sie wissen: Es gibt zur Bewertung der Atomkraft in Verbindung
mit dem Klimaschutz unterschiedliche Auffassungen in
der Bundesregierung. Ein Teil der Bundesregierung sieht
hier einen Zusammenhang. Ich gehöre zu dem Teil der
Bundesregierung, der meint, dass beides, sowohl der
Atomausstieg als auch ein ambitionierter Klimaschutz,
möglich ist. In diesem Zusammenhang gibt es ambitionierte Ziele, die auch im Rahmen der Energiegipfelrunden diskutiert werden. Sie kennen die Ziele; sie lassen
sich im Koalitionsvertrag wiederfinden. Dabei geht es
um die Verdoppelung der Energieeffizienz bis zum Jahr
2020 und einen weiteren deutlichen Ausbau der erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2020, wodurch die Folgen
der Abschaltung der Atomkraftwerke kompensiert werden könnten.
Zweite Zusatzfrage, Herr Fell? - Bitte.
Frau Staatssekretärin, gestatten Sie mir folgende Feststellung: Ich habe nicht danach gefragt, ob die Bundesregierung entsprechende Vorschläge vorgelegt hat. Vielmehr habe ich gefragt: Wurden der Bundesregierung im
Rahmen der Energiegipfelrunden Vorschläge vorgelegt?
Diese wurden - ich habe das bereits ausgeführt - vom
Bundesverband Erneuerbare Energie vorgestellt. Insofern irritiert mich, dass diese Vorschläge offensichtlich
nicht zur Kenntnis genommen werden.
Frau Merkel hat kürzlich gefordert, dass derjenige,
der aus der Atomenergie aussteigen will, glaubhafte
Konzepte zum Klimaschutz vorlegen muss. Die Antwort
auf diese große Frage ist doch längst gegeben. Warum
wird sie von der Bundesregierung nicht zur Kenntnis genommen?
Sie können sicher sein, dass alle Argumente und Zahlen, die im Rahmen der Energiegipfelrunden von den unterschiedlichen Seiten zur Sprache gebracht worden
sind, zur Kenntnis genommen werden. Sie fließen in genau die Szenarien ein, die ich Ihnen soeben beschrieben
habe und die derzeit erarbeitet werden. Für die nächste
Energiegipfelrunde werden verschiedene alternative
Szenarien unter Berücksichtigung der Vorgaben aus dem
Koalitionsvertrag berechnet. Diese reichen von der Beibehaltung der Atomenergie über den Ausstieg aus der
Atomenergie bis hin zu einem Szenario, das einen wesentlich höheren Anteil der erneuerbaren Energien berücksichtigt.
Wir sind davon überzeugt, dass bei Beibehaltung der
derzeitigen Dynamik im Bereich des Ausbaus der erneuerbaren Energien ambitioniertere Ziele als bisher - es
geht um 20 Prozent bis zum Jahr 2020 - erreichbar sind.
All diese Berechnungen fließen in die Debatte ein; ich
glaube, dass wir in der Sache nicht auseinander sind.
Diese Zahlen werden als Arbeitsgrundlage für alle Beteiligten dienen. Wir werden darüber diskutieren, welche
Auswirkungen der Atomausstieg haben wird und ob ein
ambitioniertes Klimaschutzziel mit dem Atomausstieg
vereinbar ist. Ich bin davon überzeugt, dass die Zahlen
das belegen werden.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Frage 5 der Abgeordneten Cornelia Hirsch soll schriftlich beantwortet
werden.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter
Altmaier zur Verfügung.
Die Fragen 6 und 7 der Kollegin Petra Pau sollen
schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 8 des Kollegen Omid
Nouripour:
Wie bewertet die Bundesregierung den Einsatz des im Dezember 2006 auch von EU-Kommissar Franco Frattini kritisierten Automated Targeting System, ATS, durch US-Behörden zur Untersuchung von Flugpassagieren bei der Einreise in
die USA?
Herr Kollege Nouripur, Ihre Frage bezieht sich auf
das sogenannte ATS, das Automated Targeting System,
das von den Vereinigten Staaten in den 90er-Jahren zur
Analyse von Passagier- und Frachtdaten aufgebaut
wurde und seitdem betrieben wird. Hier kommt es aus
Sicht der Bundesregierung darauf an, ob in Anbetracht
der derzeit bestehenden amerikanischen Vorschriften
weiterhin sichergestellt ist, dass die vom Department of
Homeland Security im Zusammenhang mit der Übermittlung von Fluggastdaten europäischer Fluggesellschaften, PNR, abgegebene Verpflichtungserklärung
auch künftig beachtet wird. Auf unsere Anfrage hin
wurde dies von amerikanischer Seite ausdrücklich bejaht. Darüber hinaus hat die Bundesregierung keine Veranlassung, eine Bewertung des ATS vorzunehmen.
Nachfrage?
Herzlichen Dank für die Antwort, Herr Staatssekretär
Altmaier. Die Bundesregierung hat zurzeit die Verhandlungsführung bezüglich der weiteren Aushandlungen des
Vertrages über den Austausch von Passagierdaten inne.
Mir stellt sich die Frage, inwieweit eine Zusammenarbeit mit den Amerikanern beim ATS überhaupt möglich
ist. Ich stelle diese Frage vor dem Hintergrund, dass die
Europäische Union einheitlich der Meinung ist, dass die
Daten für höchstens dreieinhalb Jahre gespeichert werden dürfen, während sie im ATS 40 Jahre lang gespeichert werden. Wie will die Bundesregierung als Verhandlungsführer gewährleisten, dass die Daten, die über
PNR im ATS landen, nach dreieinhalb Jahren gelöscht
werden?
Herr Kollege Nouripour, Sie wissen, dass das Interimsabkommen zum 31. Juli dieses Jahres auslaufen wird. In
den Gremien des Justiz- und Innenministerrates wird
zurzeit ein Mandat für die Verhandlungen zum Abschluss eines endgültigen Abkommens vorbereitet. Dieses Mandat wird im Augenblick auf Arbeitsebene beraten. Wir gehen davon aus, dass in der nächsten
Ratssitzung im Februar eine Einigung über dieses Mandat erzielt wird.
Ich bitte um Verständnis, dass ich zu Fragen der Verhandlungsführung, die von der Bundesregierung aufgrund der Ratspräsidentschaft wahrgenommen wird,
keine Aussagen machen kann, bevor der Europäische
Rat der Justiz- und Innenminister dieses Mandat nicht
beschlossen hat.
Weitere Nachfrage? - Bitte.
Am 4. Januar dieses Jahres erschien in der „Süddeutschen Zeitung“ ein Artikel über einen deutschen Staatsbürger, der in die USA einreisen wollte, aber aufgrund
des ATS als Risikopassagier, als Gefährder, eingestuft
wurde und demzufolge drei Tage lang nicht einreisen
durfte. Meine Frage: Ist es aus Sicht der Bundesregierung vertretbar, im Rahmen des Automated Targeting
System zu kooperieren, wenn dieses System zur Folge
hat, dass deutsche Staatsbürger fälschlicherweise als Gefährder eingestuft werden und infolgedessen womöglich
drei Tage in Haft sind?
Herr Kollege Nouripour, bei der Frage, wer unter welchen Voraussetzungen in ein Land einreisen darf, handelt es sich um eine Frage der nationalen Souveränität
und der Ausübung nationaler Hoheitsrechte. Die deutsche Rolle beschränkt sich darauf, deutsche Staatsbürger, die an der Einreise gehindert werden, konsularisch
zu betreuen und zu beraten.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
zur Verfügung.
Die Fragen 9 und 10 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch
sollen schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Christine Scheel,
die anwesend ist, auf:
Welche kassenwirksamen Steuerausfälle durch die Unternehmensteuerreform werden in den einzelnen Jahren des Finanzplanungszeitraums von der Bundesregierung jeweils für
Körperschaft-, Gewerbe- und Einkommensteuer prognostiziert, und welche Annahmen insbesondere zum realen und nominellen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts liegen der Prognose der Bundesregierung zugrunde, dass die Einnahmen
aus der Körperschaftsteuer im Jahr 2010 wieder das Niveau
des Jahres 2007 erreichen werden ({0})?
Frau Kollegin Scheel, die in der angesprochenen Veröffentlichung zitierte Projektion des Steueraufkommens
der Körperschaft- und Gewerbesteuer für die Jahre ab
2008 wurde vor dem Hintergrund eines angenommenen
nominalen jährlichen Wachstums des Bruttoinlandsprodukts von 2,7 Prozent erstellt. Es handelt sich um eine
Projektion, nicht um eine abschließende Berechnung.
Ein nominales Wachstum von jährlich 2,7 Prozent lag
auch der letzten Steuerschätzung vom November zugrunde.
Ein mit den Ländern abgestimmtes Finanztableau mit
Angaben zu den finanziellen Auswirkungen auf die einzelnen Kassenjahre wird mit dem Regierungsentwurf
vorgelegt werden.
Nachfrage, Frau Scheel?
Ja. - Frau Staatssekretärin, Sie haben gesagt, dass Sie
ein nominelles Wachstum von 2,7 Prozent zugrunde gelegt haben. Das gilt ja dann für den gesamten Planungszeitraum, also bis 2009. Was würde denn passieren,
wenn dieses angenommene Wachstum um beispielsweise 0,5 Prozent geringer ausfallen würde? Welche
Steuerausfälle hätte das zur Folge?
Frau Kollegin Scheel, bezogen auf die Körperschaftsteuer in neuer Gestalt kann ich dazu aus dem Stand heraus keine Angaben machen. Dass eine nominelle und
reale Veränderung des Wirtschaftswachstums, egal ob
nach oben oder nach unten, Folgen für das Steueraufkommen hat, liegt auf der Hand. Ich glaube aber, dass es
nicht sinnvoll ist, jetzt hypothetisch zu fragen, welche
Folgen es für das Körperschaftsteueraufkommen hätte,
wenn dieses nominelle Wachstum von 2,7 Prozent nicht
einträte.
Ich sagte Ihnen schon: Wir werden das Gesetzgebungsverfahren wie immer rege begleiten und dem Bundestag im Zusammenhang mit dem Entwurf ein Finanztableau vorlegen. Dem werden wir Wachstumsannahmen
zugrunde legen, die auf den neuesten Daten beruhen.
Aber selbstverständlich kann sich die Situation in den
Folgejahren zum Positiven oder zum Negativen ändern.
Zweite Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, neben der Projektion unter Zugrundelegung des angenommenen Wachstums gibt es ja
auch Annahmen zum Steueraufkommen im Unternehmenssektor insgesamt. Wie kommen Sie denn zu der
konkreten Aussage - in allen Zeitungen ist nachzulesen,
dass Minister Peer Steinbrück dies gesagt hat -, dass in
der Folge 5 Milliarden Euro an Steuerausfällen zu verzeichnen sein werden, obwohl Sie gar nicht wissen, wie
hoch die Steuerbelastung der deutschen Unternehmen im
Einzelnen ist?
Frau Kollegin Scheel, die Maßnahmen im Gesetzentwurf, der noch nicht als Referentenentwurf vorliegt,
werden natürlich im Einzelnen bewertet. Daraufhin wird
dem Parlament ein Finanztableau vorgelegt.
Es ist damit zu rechnen, dass unmittelbar nach Inkrafttreten des Gesetzes im Jahre 2008 höhere Steuerausfälle als 5 Milliarden Euro für den Gesamtstaat zu
verzeichnen sein werden. Unser Ziel ist - das haben wir
immer so kommuniziert -, durch die Rückgewinnung
von Steuersubstrat in die Bundesrepublik Deutschland in
einem überschaubaren Zeitraum wieder auf dasselbe Niveau an Steuereinnahmen zu kommen wie in den Jahren
2006 oder 2007.
Unsere Zielrichtung ist eindeutig: Wir wollen den
Standort Deutschland für deutsche und ausländische Unternehmen attraktiver machen. Allein die Tatsache, dass
wir die Höhe der Besteuerung um fast zehn Prozentpunkte senken, bringt hier einen Vorteil mit sich. Die
Verlagerung von Gewinnen und Verlusten ist ja mit
Transaktionskosten verbunden. Diese Transaktionskosten rentieren sich nicht mehr, wenn der Steuersatz niedriger wird.
Dies alles sind Annahmen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens, die in das Finanztableau einfließen
werden.
Wir kommen zur Frage 12 der Kollegin Scheel:
Gelang es der Bundesregierung nach ihren bisherigen Plänen für die Ausgestaltung einer Abgeltungsteuer, Finanzierungsneutralität zwischen Eigen- und Fremdkapital herzustellen, und, falls dies nicht gelungen ist, wie beabsichtigt die
Bundesregierung, den durch die unterschiedliche Steuersatzbelastung entstehenden Anreiz, Investitionen verstärkt mit
Fremdkapital zu finanzieren, im Sinne einer soliden und krisenfesten Unternehmensfinanzierung abzumildern?
Frau Kollegin Scheel, die Bundesregierung erkennt
die Probleme, die sich durch die Spreizung der Steuersätze auf Erträge aus Fremdkapital, zum Beispiel Zinsen,
und auf Eigenkapital, zum Beispiel Dividenden, ergeben. Der steuerliche Anreiz zu einer erhöhten Fremdkapitalfinanzierung wird dadurch gemildert oder gar
genommen, dass der Anwendungsbereich der Abgeltungsteuer eingegrenzt werden soll.
Zinserträge aus Gesellschafterdarlehen und vergleichbaren Finanzierungsformen, etwa Back-to-back-Finanzierungen durch Zwischenschaltung eines Kreditinstitutes, unterliegen nicht der abgeltenden 25-prozentigen
Besteuerung, sondern sind normal zu veranlagen. Dies
hat zur Folge, dass etwa die Zinserträge aus Gesellschafterdarlehen beim Gesellschafter einer maximalen Einkommensteuerbelastung von 47,48 Prozent unterliegen.
Hinzu kommt die Belastung, die sich auf Ebene der Kapitalgesellschaft durch die gewerbesteuerliche Hinzurechnung des Zinsaufwands in Höhe von 25 Prozent ergibt. Bei übermäßiger Fremdfinanzierung greift auch
noch die Zinsschranke der Körperschaftsteuer.
Demgegenüber beträgt die maximale Gesamtbelastung auf Unternehmens- und Anteilseignerebene, also
bei Kapitalgesellschaften die maximale Gesamtbelastung von Dividenden - zusammengenommen die Vorbelastung auf Unternehmensebene -, 48,33 Prozent. - Dies
steht den 47,48 Prozent gegenüber, wie ich es Ihnen gerade für Personengesellschaften am Beispiel der Gesellschafterdarlehen dargelegt habe.
In Abwägung der Vorteile einer Abgeltungsteuer gegen die Nachteile dieser wirklich geringfügigen Beeinträchtigung der Finanzierungsneutralität hat sich die
Bundesregierung für die Realisierung der Vorteile der
Abgeltungsteuer entschieden.
Nachfrage, Kollegin Scheel?
Frau Staatssekretärin, die Einführung der Abgeltungsteuer ist ja zum 1. Januar 2009 geplant.
Wird die Abgeltungsteuer in dem Gesetzentwurf, der
demnächst vorgelegt wird, mit all den Modalitäten, die
Sie jetzt angesprochen haben - der unterschiedlichen
Behandlung von Zinsen und Dividenden, mit allen Einschränkungen -, im Detail geregelt werden?
Ja, Frau Kollegin, das ist Gegenstand des Gesetzentwurfes, der nach meinem jetzigen Stand in der nächsten
Woche als Referentenentwurf veröffentlicht wird.
Frage 13 der Kollegin Marieluise Beck soll ebenfalls
schriftlich beantwortet werden.
Dann kommen wir zur Frage 14 des Kollegen Lutz
Heilmann:
Trifft der Bericht der „Lübecker Nachrichten“ vom
17. Januar 2007 zu, dass in Schleswig-Holstein etwa 18 000
Anträge auf Kindergeld derzeit unbearbeitet sind, und wieso
hat die Bundesregierung die Verzögerungen der Bearbeitung
der Anträge auf Kindergeld noch immer nicht behoben, obwohl diese Verzögerungen seit mehr als einem Jahr bekannt
sind?
Herr Kollege Heilmann, bei der an die „Lübecker
Nachrichten“ übermittelten Zahl von 18 000 Kindergeldanträgen handelt es sich nicht um die Anzahl der Anträge, die, wie es im Bericht heißt, „auf ihre Bearbeitung
warten“, sondern um unerledigte Bearbeitungsvorgänge, von denen ein nicht bezifferbarer Anteil noch
nicht bearbeitungsreif ist. Gründe für eine fehlende Bearbeitungsreife sind zum Beispiel, dass die eingereichten
Anträge unvollständig sind oder dass sich die Rechtsauffassung der Familienkasse und der Antragsteller unterscheidet und daher noch Klärungsbedarf besteht.
Im letzten Jahr wurden mehr als 76 Prozent aller bei
den Familienkassen in Schleswig-Holstein eingegangenen Kindergeldanträge innerhalb von 20 Arbeitstagen
abschließend bearbeitet und erledigt. Somit kann nicht
von einer Verzögerung der Bearbeitung der Kindergeldanträge gesprochen werden.
Die angespannte Situation, die bei den Familienkassen
im Bereich der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit zu Beginn des Jahres 2006 vorherrschte,
wurde zwischenzeitlich durch den Einsatz verschiedener
Maßnahmen, zum Beispiel durch die Bereitstellung zusätzlicher Personalkapazitäten, behoben. Im Übrigen darf
ich Sie auf die ausführliche Antwort des Bundesministeriums der Finanzen - Drucksache 16/4051 vom 17. Januar 2007 - auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion verweisen, in der wir ganz allgemein und umfänglich auf den
Stand der Bearbeitung der Kindergeldanträge eingehen,
nicht nur bezogen auf das Land Schleswig-Holstein.
Gibt es eine Nachfrage? - Nein.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Rolf Schwanitz zur
Verfügung.
Wir kommen zur Frage 15 des Kollegen Dr. Edmund
Peter Geisen:
Gibt es ein Übereinkommen zwischen dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
und dem Bundesministerium für Gesundheit, wonach die
landwirtschaftlichen Krankenkassen auch nach 2008 Bundesmittel gemäß § 221 SGB V zur pauschalen Abgeltung der
Aufwendungen der Krankenkassen für versicherungsfremde
Leistungen entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtheit aller
gesetzlich Krankenversicherten erhalten werden, obwohl sie
laut GKV-WSG-Entwurf nicht an dem geplanten Gesundheitsfonds beteiligt sind, und, wenn nein, wie wird dann sichergestellt, dass die landwirtschaftlichen Krankenkassen ihren Anteil zur Abgeltung versicherungsfremder Leistungen
gemäß § 221 SGB V erhalten, da sie als Teil der gesetzlichen
Krankenversicherung durch die Übernahme gesamtgesellschaftlicher Aufgaben in gleicher Weise belastet werden wie
die übrigen Krankenkassen der gesetzlichen Krankenversicherung?
Herr Dr. Geisen, Ihre Fragen 15 und 16 beziehen sich
beide auf die Teilhabe der landwirtschaftlichen Krankenkassen am Bundeszuschuss ab 2009. Ich würde gerne,
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, beide Fragen im Zusammenhang beantworten.
Kollege Geisen ist einverstanden. Dann rufe ich zugleich Frage 16 auf:
Wenn ja, wann und an welcher Stelle ist bzw. wird dies
rechtlich verbindlich festgelegt?
Die Antwortet lautet wie folgt: Der Bundeszuschuss
nach § 221 SGB V zur pauschalen Abgeltung der Aufwendungen der Krankenkassen für versicherungsfremde
Leistungen wird ab dem Jahr 2009 an den Gesundheitsfonds gezahlt und von diesem über das System der risikoadjustierten Zuweisungen an die Krankenkassen verteilt. Deshalb können an ihm in diesem Verfahren nur
solche Krankenkassen teilhaben, die auch am Fondsverfahren teilnehmen, mithin nicht die landwirtschaftlichen
Krankenkassen.
Grundsätzlich erfüllt auch die landwirtschaftliche
Krankenversicherung Aufgaben, die von der Allgemeinheit zumindest anteilig zu finanzieren sind. Bis Ende
2008 ist eine Beteiligung der landwirtschaftlichen
Krankenkassen an den dafür bereitgestellten Bundeszu7762
schüssen gesichert. Auch wenn gegenwärtig noch keine
Regelung zur Fortführung der Beteiligung der landwirtschaftlichen Krankenkassen an den Zahlungen des Bundes vorgesehen ist, bedeutet dies nicht, dass deren
Einbeziehung zukünftig ausgeschlossen sein soll. Die
Bundesregierung wird prüfen, inwieweit die landwirtschaftlichen Krankenkassen auch in Zukunft in den Genuss der Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben durch Steuermittel kommen können. Es ist daran
gedacht, bis Ende 2008 ein Gutachten zu erstellen, das
die aktuelle Höhe und die voraussichtliche Entwicklung
der sogenannten „alten Last“ - gemeint ist das ungünstige Verhältnis der Altenteiler zur Zahl der beitragszahlenden Landwirte durch den andauernden Strukturwandel im landwirtschaftlichen Bereich - darlegt, deren
Tragung durch besondere Bundesmittel im Agrarhaushalt gerechtfertigt ist.
Nachfrage? - Kollege Geisen.
Erstens. Herr Staatssekretär Schwanitz, gerade weil
die Landwirtschaft völlig aus der Gesundheitsreform herausgehalten wurde: Stellt die Bundesregierung infrage,
dass die landwirtschaftlichen Krankenkassen sowie die
gesetzlichen Krankenkassen insgesamt gesamtgesellschaftliche Aufgaben wahrnehmen. Zweitens. Legt der
angekündigte Entschließungsantrag der Regierungskoalition zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz rechtlich
verbindlich fest, dass die landwirtschaftlichen Krankenkassen auch nach 2008 Bundesmittel gemäß § 221
SGB V für versicherungsfremde Leistungen entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtheit aller gesetzlichen
Krankenversicherungen erhalten und, wenn ja, wie? Das
ist meine Hauptfrage.
Ich habe noch eine weitere Frage.
Dazu kommen wir anschließend. - Bitte schön, Herr
Staatssekretär.
Herr Dr. Geisen, zunächst will ich noch einmal widersprechen, dass der Landwirtschaftsbereich vollständig
von der Gesundheitsreform ausgenommen werden soll.
Es gibt sehr wohl wichtige Teilbereiche - zum Beispiel
die Erweiterung des Leistungsangebots der gesetzlichen
Krankenkassen und die Verbandsbeziehungen -, in denen auch die landwirtschaftlichen Krankenkassen erfasst
sind. Daneben gibt es zweifellos Bereiche, bei denen
dies nicht der Fall ist.
Ich habe in meiner Antwort ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die zurzeit nicht vorgesehene Beteiligung
der landwirtschaftlichen Krankenkassen an den Zahlungen des Bundes ab 2009 nicht bedeutet, dass die Bundesregierung die Wahrnehmung gesamtgesellschaftlicher
Aufgaben durch die landwirtschaftliche Krankenkasse
infrage stellt. Das kommt in meiner Antwort deutlich
zum Ausdruck. Ich bestätige es an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich.
Wie ich bereits ausgeführt habe, werden wir bis Ende
2008 - auf der Grundlage eines noch zu erstellenden
Gutachtens - die weiteren Schritte zu erörtern haben.
Damit haben wir genügend Zeit, alle Faktoren abzuwägen und die weiteren Schritte in aller Ruhe zu entscheiden. Eine verbindliche Entscheidung - darauf bezog sich
meines Erachtens der dritte Teil Ihrer Frage - kann letztendlich nur der Gesetzgeber treffen. Damit wird er sich
sicherlich zu befassen haben.
Eine weitere Nachfrage. Bitte.
Ich habe noch zwei Nachfragen. Erstens. Gibt es für
den Zeitraum ab 2009 eine zeitliche Begrenzung zur
Zahlung der genannten Bundesmittel zum einen an die
landwirtschaftlichen Krankenkassen und zum anderen
an die übrigen gesetzlichen Krankenkassen und, wenn
ja, warum?
Zweitens. Wie wird dann - wenn nicht rechtlich verbindlich gewährleistet, dass die landwirtschaftlichen
Krankenkassen ab 2009 Bundesmittel gemäß § 221
SGB V für versicherungsfremde Leistungen entsprechend ihrem Anteil erhalten?
Herr Dr. Geisen, wie Sie wissen, gibt es für die Zuschüsse für die gesetzlichen Krankenkassen gemäß
§ 221 SGB V bislang keine zeitliche Begrenzung. Jetzt
haben wir entsprechende Regelungen verabredet. All
das, was die landwirtschaftlichen Krankenkassen betrifft, werden wir auf der Grundlage des erwähnten Gutachtens zu entscheiden haben. Ich kann zum jetzigen
Zeitpunkt keine Schlussfolgerungen ziehen; dies wäre
spekulativ, weil die Erhebungen, die im Zusammenhang
mit dem Gutachten vorzunehmen sind, noch nicht vorliegen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Goldmann. Bitte
schön, Herr Goldmann.
Herr Staatssekretär, bekanntlich ist die FDP kein Fan
des Gesundheitsfonds. Können Sie mir erklären, warum
Kinder von Landwirten anders behandelt werden als
Kinder von Lehrern, Ärzten und Handwerkern? Wenn
Sie der Meinung sind, dass auch für diese Kinder gesamtgesellschaftliche Leistungen erbracht werden sollen, dann frage ich Sie, was das Gutachten bewirken soll.
Heute Morgen ist uns von Kollegen der CDU/CSU und
der SPD im Ausschuss nachdrücklich versichert worden,
es stehe unerschütterlich fest, dass das Erbringen gesamtgesellschaftlicher Leistungen für Kinder von Landwirten bzw. von Personen, die in landwirtschaftlichen
Berufen tätig sind, auch nach 2009 anerkannt werden
solle; darüber gebe es sogar eine Protokollnotiz.
Herr Kollege Goldmann, zunächst noch einmal ausdrücklich: Selbstverständlich werden Kinder im Rahmen
der gesamten gesetzlichen Krankenversicherung nicht
unterschiedlich behandelt. Die Leistungsansprüche sind
identisch, auch im Bereich derer, die in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung versichert sind und
Versicherungsschutz genießen.
Ich habe ausdrücklich gesagt, dass die Verabredung,
auf der Grundlage eines Gutachtens zu entscheiden,
nicht bedeutet, dass für den Zeitraum nach 2009 eine
solche zusätzliche Erstattung - über die umfangreiche
Erstattung aus Bundesmitteln, die im Zusammenhang
mit der Defizithaftung des Bundes bei den Altenteilern
in einer beachtlichen Größenordnung in die landwirtschaftliche Krankenkasse laufen, hinaus - ausgeschlossen ist. Aber es macht sehr wohl Sinn, die besonderen
Fragen, die aus der Sondersituation der landwirtschaftlichen Krankenkassen resultieren - die Belastung der Beitragszahler in dieser besonderen Krankenversicherung,
auch die Entwicklung des Strukturwandels und damit die
sich bis dahin abzeichnende Sondersituation der Belastung bei den Altenteilern -, genau in Augenschein zu
nehmen und dann auf dieser Grundlage zu entscheiden.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Die Frage 17 der Kollegin Veronika Bellmann wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Achim Großmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 18 des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter auf:
Wie hoch wird in der Studie „Industriepolitischer Nutzen
des Transrapid“, die im Auftrag des damaligen Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen von Professor
Dr. Maennig in Zusammenarbeit mit Professor Dr. Baum erstellt wurde, der industriepolitische Nutzen des Transrapid
monetär quantifiziert, und in welchem Verhältnis steht dieser
industriepolitische Nutzen zu den Baukosten für die Transrapidverbindung vom Hauptbahnhof München zum Flughafen
München II?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege
Dr. Hofreiter, der von der Studie ermittelte gesamte volkswirtschaftliche Nutzen beläuft sich auf rund 2,9 Milliarden Euro. Davon sind rund 1,5 Milliarden Euro verkehrlich und darüber hinausgehend 1,38 Milliarden Euro
industriepolitisch induziert. Der industriepolitische Nutzen unterteilt sich in 0,94 Milliarden Euro erwartete Erfolge im In- und Ausland und 0,44 Milliarden Euro
Spin-off-Effekte. Die Investitionskosten betragen in realen Preisen 1,6 Milliarden Euro; das ist der Preisstand
von 2002. Davon werden zunächst, wie in der volkswirtschaftlichen Bewertung üblich, die Fahrzeugkosten abgezogen, die dem Betrieb zugerechnet und als negativer
Nutzen veranschlagt werden. Dann werden sowohl für
den Nutzen als auch für die Kosten die zur Ermittlung
des Nutzen-Kosten-Verhältnisses maßgeblichen Annuitäten gebildet, um die Werte finanzmathematisch vergleichbar zu machen. Das Nutzen-Kosten-Verhältnis
stellt sich dann auf 2,5.
Eine Nachfrage?
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, erst einmal vielen
Dank für die Beantwortung, aber ich habe eine Nachfrage. Wir hatten gerade eine recht denkwürdige Ausschusssitzung
({0})
- nicht jede Ausschusssitzung ist denkwürdig -, in der es
darum ging, wie sich Preise und Kosten entwickeln,
wenn die DB AG beteiligt ist. Es zeigte sich, dass man
ungefähr mit dem Faktor vier rechnen kann. Wenn wir
die 1,6 Milliarden Euro mit diesem Faktor multiplizieren, kommen wir zu ganz anderen Kosten als jenen, von
denen Sie gesprochen haben.
Deshalb meine Frage: Für wie wahrscheinlich halten
Sie persönlich bzw. hält Ihr Ministerium es, dass in diesem Fall der Kostenrahmen von 1,6 Milliarden Euro eingehalten wird - zum einen im Lichte der Erfahrung, dass
das in der jüngeren Vergangenheit bei keinem Großprojekt gelang, und zum anderen angesichts der Tatsache,
dass man mit diesem Projekt Neuland beschreitet, die
Technik noch nicht groß ausprobiert wurde und Tieflagen von 40 Metern vorkommen sollen?
Herr Dr. Hofreiter, ich würde Ihnen gerne bei einem
Glas Bier etwas über meine persönliche Meinung erzählen, aber ich glaube, es ist nicht die Aufgabe eines
Staatssekretärs, in der Fragestunde seine persönliche
Meinung wiederzugeben, wenn eine Position der Bundesregierung abgefragt ist.
Sie haben - das werden Sie hoffentlich zugeben - die
Ergebnisse der Ausschusssitzung sehr polemisch zusammengefasst. Ich kann Sie nicht bestätigen, vor allen Dingen auch deshalb nicht, weil viele Kostenschätzungen ja
nicht ursächlich von der DB AG zu verantworten sind.
Eine weitere Nachfrage.
Ich habe danach gefragt, für wie wahrscheinlich die
Bundesregierung es hält, dass das real eintritt.
Obwohl Geisteswissenschaftler, bin ich eher der Meinung, dass wir uns mit den Zahlen zu beschäftigen haben, wenn sie konkret vorliegen, das heißt, wenn das
Projekt in der Ausschreibung ist und wenn wir über die
Planungsleistungen, darüber, was auf uns zukommt, detaillierte Vorstellungen haben. Alles andere bewegt sich
- das hat Ihnen auch der ehemalige bayerische Verkehrsminister, Herr Dr. Wiesheu, gesagt - eher im Rahmen
der Spekulation.
Dann kommen wir zur Frage 19 des Kollegen
Hofreiter:
Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um den in der Antwort auf die Kleine Anfrage der
Fraktion der FDP auf Bundestagsdrucksache 16/2965 als
rechtswidrig, weil keine Ermächtigung für die Länderbehörden in dieser Sache besteht, bezeichneten Modellversuch für
Gigaliner des Landes Niedersachsen zu unterbinden, und wie
steht die Bundesregierung zum Modellversuch für Gigaliner
in Nordrhein-Westfalen?
Bitte, Herr Staatssekretär Großmann.
Herr Dr. Hofreiter, nachdem die Bundesregierung davon erfahren hatte, dass das Land Niedersachsen einen
Modellversuch mit modularen Nutzfahrzeugkombinationen durchführen will, hat das Bundesministerium für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung durch Schreiben
vom Januar 2006 an das Niedersächsische Ministerium
für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr klargestellt, dass die
Durchführung eines sogenannten Modellversuchs nicht
vor Abschluss der zu diesem Thema in Auftrag gegebenen Untersuchungen durch die Bundesanstalt für Straßenwesen erfolgen sollte. Niedersachsen wurde daher
ausdrücklich gebeten, von seinem Vorhaben Abstand zu
nehmen. Ebenso hat die Verkehrsministerkonferenz im
Mai 2006 beschlossen, dass vor einer endgültigen Zulassung modularer Nutzfahrzeugkombinationen auf der Basis von Ausnahmegenehmigungen die Ergebnisse der
Bundesanstalt für Straßenwesen ausgewertet werden
sollten.
Da sich das Land Niedersachsen dieser Bitte des
BMVBS und dem Beschluss der Verkehrsministerkonferenz widersetzt hat, wurde es vom BMVBS auf Staatssekretärsebene im August 2006 erneut angeschrieben. Die
Rechtswidrigkeit der von Niedersachsen erteilten straßenverkehrsrechtlichen Erlaubnisse wurde vom BMVBS
ausdrücklich beanstandet und ein sofortiger Abbruch des
Versuchs gefordert. Auch auf dieses Schreiben hat das
Land ablehnend reagiert.
Die Bundesregierung beurteilt den in NordrheinWestfalen eingeleiteten Modellversuch ebenso wie den
laufenden Versuch in Niedersachsen als rechtswidrig.
Straßenverkehrsrechtliche Erlaubnisse dürfen nach den
allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 29 Abs. 3 der
Straßenverkehrs-Ordnung nur erteilt werden, falls es
sich bei dem Transportgut um unteilbare Ladungen handelt und eine Beförderung auf der Schiene oder auf dem
Wasserweg nicht möglich ist. Sowohl in NordrheinWestfalen als auch in Niedersachsen werden jedoch teilbare Ladungen transportiert. Damit werden die zum
Schutz der Verkehrssicherheit und der Verkehrsinfrastruktur vorgesehenen restriktiven Erteilungsvoraussetzungen für Erlaubnisse unterlaufen, und damit wird eine
Grundentscheidung des Verordnungsgebers konterkariert.
Bitte schön, eine Nachfrage, Herr Hofreiter.
Damit sind wir uns einig, dass die Versuche illegal
sind. Sie haben das betont und es den beiden Bundesländern mitgeteilt. Aber was folgt eigentlich daraus, wenn
sich ein Bundesland nach Meinung der Bundesregierung
nicht an ein Bundesgesetz hält, außer dass man ihm
schriftlich mitteilt, dass es gegen ein Bundesgesetz verstößt? Wenn nur Schreiben die Folge sind, was hindert
dann in Zukunft einzelne Bundesländer daran, weitere
Verstöße zu begehen, wenn ihnen bestimmte Bundesgesetze nicht passen?
Denkbar wäre, dass dem Kraftfahrt-Bundesamt die
Aufgabe der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen
nach § 70 Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung sowie
die Erteilung von straßenverkehrsrechtlichen Erlaubnissen nach § 29 Abs. 3 der Straßenverkehrs-Ordnung für
Fahrzeuge übertragen werden, die aufgrund neuer technischer Konzepte im Rahmen eines Pilotversuches, also
zeitlich befristet, am Verkehr teilnehmen sollen.
Das ist eine Maßnahme, die sehr weit geht. Wir haben
erst einmal versucht - ich glaube, das ist politisch sinnvoll -, dies nicht nur mit Briefen, sondern auch in Gesprächen mit den betreffenden Bundesländern zu bereinigen. Wir werden sicherlich prüfen, ob wir, wenn diese
Gespräche nicht zum Erfolg führen, von der angesprochenen anderen Variante Gebrauch machen, also die Zulassungskompetenz wieder dem Bund übertragen.
Eine weitere Nachfrage.
Gibt es dafür irgendeinen Zeitrahmen? Die Versuche
laufen schließlich schon eine gewisse Zeit. Wann also ist
der Zeitpunkt erreicht, an dem der Geduldsfaden endgültig reißt, wenn es keine einvernehmliche Lösung mit den
betreffenden Bundesländern gibt?
Es geht nicht um Geduld. Vielmehr sollte man sich
auf vernünftige Weise darüber einigen, dass diese Versuche - das hat auch die Verkehrsministerkonferenz ergeben - nicht laufen sollen. Wir rechnen in Bälde mit den
Ergebnissen der BASt, die diese Versuche untersucht.
Parallel prüfen wir, ob wir gegenüber den Bundesländern anders reagieren müssen. Ich nenne Ihnen jetzt bewusst keine Deadline, keine „Geduldsfadenreißfrist“.
Wir sind aber schon ernsthaft daran interessiert, dass wir
uns durchsetzen.
Die Frage 20 des Kollegen Volker Beck ({0}) soll
schriftlich beantwortet werden.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Die Fragen 21 bis 23 im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie die
Fragen 24 bis 26 im Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes sollen ebenfalls schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister Gernot Erler zur Verfügung.
Die Frage 27 der Kollegin Marieluise Beck ({1})
und die Frage 28 des Kollegen Volker Beck ({2}) sollen schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 29 des Kollegen Wolfgang
Gehrcke:
Hält die Bundesregierung - in Übereinstimmung mit vielen Medien - die Charakterisierung von Guantánamo als
„Hölle“ ({3})
für zutreffend?
Herr Kollege Gehrcke, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Die Haltung der Bundesregierung zu Guantánamo
ist bekannt. Sowohl die frühere als auch die jetzige Bundesregierung haben mehrfach deutlich gemacht, dass
eine Institution wie Guantánamo nicht mit rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbar ist. Auch die EU vertritt diesen Standpunkt und hat dies wiederholt gegenüber den
Vereinigten Staaten von Amerika deutlich gemacht.
Nachfrage, Herr Gehrcke?
Herr Staatsminister, ich hatte Sie eigentlich gefragt,
wie dem Text zu entnehmen ist, ob Sie eine Formulierung wie die, die die „Frankfurter Rundschau“ zum Lager Guantánamo benutzt hat, nämlich „Hölle“, als angemessen betrachten. Ich kann die Frage auch anders
formulieren: Wie würde die Bundesregierung ein Gefangenenlager bezeichnen, in dem geschlagen und gefoltert
wird, in dem Menschen in Ketten gelegt, mit Kapuzen
überzogen und Kälte- und Hitzeschocks ausgesetzt werden? Gibt es aus Sicht der Bundesregierung einen Begriff, den man dafür benutzen kann?
Herr Kollege Gehrcke, ich selber habe in einer Rede
vor diesem Hohen Hause am 26. Januar 2006 eine umfassende Bewertung abgegeben und deutlich gemacht,
dass die Art und Weise, wie Gefangene in Guantánamo
behandelt werden, nicht mit dem Völkerrecht vereinbar
ist. Ich glaube, das ist die angemessenere Sprache für
den politischen Bereich, unbeschadet des Rechts der
Presse, andere Begriffe zu benutzen.
Weitere Nachfrage?
Herr Staatsminister, ich versuche noch einmal, andersrum zu fragen; das ist Ihnen nicht unbekannt. Ich
möchte Sie fragen, ob die Beamten des Bundesnachrichtendienstes und des Verfassungsschutzes, die in
Guantánamo einen Gefangenen verhört haben, außer den
Eindrücken, die sie aus dem Verhör über die Person des
Gefangenen gewonnen haben, auch ihre Informationen
über die Zustände in dem Lager schriftlich festgehalten
haben und ob die Bundesregierung sich mit diesen Informationen direkt auseinandergesetzt hat.
Herr Kollege Gehrcke, wie ich Sie einschätze, wissen
Sie ganz genau, welche Antwort jetzt folgen muss: Über
Tätigkeiten der Mitarbeiter der Dienste, nach denen Sie
gefragt haben, kann die Bundesregierung öffentlich
keine Auskunft geben. Das ist auch Angelegenheit des
eingerichteten Untersuchungsausschusses.
({0})
Wir kommen zur Frage 30 des Kollegen Wolfgang
Gehrcke:
Welche Kriterien müssen nach Auffassung der Bundesregierung und den diplomatischen Gepflogenheiten entsprechend erfüllt sein, damit aus dem „Angebot“ einer ausländischen Regierung ein „offizielles Angebot“ wird?
Herr Kollege Gehrcke, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Ich beziehe Ihre Frage auf die derzeitige Diskussion über ein angebliches Angebot zur Freilassung von
Herrn Kurnaz aus Guantánamo. Was die Frage des Angebots an sich angeht, so setzt ein Angebot im Wortsinne
immer voraus, dass jene, die es machen, auch die Kompetenz haben, es einzulösen. Auf diese Tatsache hat der
Bundesminister des Auswärtigen insbesondere mit seiner Qualifizierung als „offiziell“ hingewiesen. Im Übrigen möchte ich an dieser Stelle den Beratungen des Untersuchungsausschusses nicht vorgreifen.
Nachfrage, Herr Kollege Gehrcke?
Herr Staatsminister, wie Sie meine Frage interpretieren, ist Ihre Angelegenheit. Das steht nicht in der Frage.
Ich habe gefragt, ob es Kriterien der Bundesregierung
gibt, ab wann ein „Angebot“ zu einem „offiziellen
Angebot“ wird. Nehmen Sie das als Frage eines Lernbereiten, was die Außenpolitik angeht. Ich möchte einfach
wissen, ab wann ein Angebot ein offizielles ist und ob es
dafür Kriterien gibt. Ich habe Sie nicht nach Herrn
Steinmeier gefragt.
Herr Kollege Gehrcke, die Bundesregierung hat kein
spezielles Verständnis zu dem Begriff „Angebot“ und
der Logik eines solchen Begriffes. Ich habe deswegen
ausgeführt, dass ein Angebot dann als offiziell - danach
fragen Sie ausdrücklich - gelten kann, wenn die Anbieter tatsächlich befugt sind, ein solches Angebot umzusetzen. Das ist das, was mit diesem Begriff „offiziell“ gemeint gewesen ist.
Herr Kollege Gehrcke, zweite Nachfrage.
Herr Staatsminister, bevor ein Vertrag völkerrechtlich
geschlossen wird, gibt es - wie mir bekannt ist - eine
Menge Vorstufen: Es gibt Papiere, Non-Paper, Verhandlungen und Gespräche. Man startet nie mit einem offiziellen Angebot. Vielmehr gehen dem Verhandlungen,
Gespräche und Papiere voraus.
Da Sie den Fall Steinmeier direkt angesprochen haben, muss ich Sie jetzt fragen, ob es eigentlich ungewöhnlich ist, dass Vorgespräche dieser Art geführt werden, bevor ein offizielles Angebot von autorisierten
Stellen - von einem Minister, einer Regierung oder wem
auch immer - gemacht wird?
Herr Gehrcke, schon die Logik gebietet es, anzuerkennen, dass von einem Angebot immer erst dann gesprochen werden kann, wenn derjenige, der da handelt,
auch eine entsprechende Autorisierung hat. Und genau
auf diesen Tatbestand bezieht sich die ganze Diskussion
zwischen uns beiden.
({0})
Wir kommen dann zur Frage 31 des Kollegen
Nouripour:
Ist bzw. war die Praxis der Regierung der Republik Kasachstan zur Abschiebung von Flüchtlingen der uighurischen
Minderheit in die Volksrepublik China Gegenstand der Gespräche der Vertreter der Bundesregierung mit dem kasachischen Staatspräsidenten Nursultan Nasarbajew, der in dieser
Woche die Bundesrepublik Deutschland besucht?
Meine Antwort auf die Frage lautet wie folgt: Die
Bundesregierung verfolgt in engem Benehmen mit dem
UNHCR - also mit dem Hohen Kommissar der UN für
Flüchtlingsfragen - den Schutz uighurischer wie auch
usbekischer Flüchtlinge in Kasachstan. Nach Informationen des UNHCR ist es im Jahr 2006 in Kasachstan zu
drei Fällen von Auslieferungen uighurischer Flüchtlingen an die Volksrepublik China gekommen. Die Bundesregierung ist in diesen und weiteren ihr bekannt werdenden Fällen um die Aufklärung und Thematisierung von
Missständen bemüht.
Dies geschieht in engem Einvernehmen mit dem
UNHCR, um den besten Schutz der betroffenen Personen zu gewährleisten. Bei meinem Gespräch mit dem
damaligen kasachischen Außenminister Tokajew am
14. Juli 2006 habe ich die Probleme bei der kasachischen
Flüchtlingspolitik thematisiert. Der damalige Außenminister Tokajew hat mir dabei versichert, dass Kasachstan
sich an die internationalen Verpflichtungen der UNFlüchtlingskonvention halten werde. In einer Reihe von
Fällen prominenter usbekischer Flüchtlinge hat die kasachische Regierung entsprechend diesen Normen korrekt
und umsichtig gehandelt.
Die Bundesregierung wird sich auch in Zukunft für
die Gewährleistung des Flüchtlingsschutzes in Kasachstan den internationalen Normen entsprechend einsetzen
und dies bei politischen Gesprächen angemessen und
zum Nutzen der betroffenen Flüchtlinge ansprechen.
Nachfrage.
Herzlichen Dank, Herr Staatsminister, für die Antwort. - Die erste Nachfrage, die ich dazu habe, ist die ursprünglich formulierte: Waren die Flüchtlinge aus Uighurien und ihre Abschiebung nach China Gegenstand der
Gespräche mit dem Staatspräsidenten Nasarbajew, die in
dieser Woche stattgefunden haben?
Herr Kollege Nouripour, der gesamte Komplex der
Menschenrechte einschließlich der Flüchtlingsproblematik hat sowohl in den bilateralen Gesprächen wie auch
bei den öffentlichen Veranstaltungen eine Rolle gespielt.
Die kasachische Seite ist dabei sehr offen auf unsere
Vorträge eingegangen.
Zweite Nachfrage.
Die Frau Bundeskanzlerin soll gestern in einem dieser
Gespräche davon gesprochen haben, dass die Bundesrepublik Bedingungen formulieren werde, die erfüllt
sein müssen, damit man das Bestreben Kasachstans unterstützen kann, turnusgemäß im Jahr 2009 den Vorsitz
der OSZE zu übernehmen. Gehört - wenn diese Nachricht denn stimmt - der Umgang der kasachischen Regierung mit den Flüchtlingen, speziell mit Flüchtlingen
aus den uighurischen Gebieten, zu diesen Bedingungen?
Die Voraussetzungen dafür, dass die Bewerbung Kasachstans für die Präsidentschaft in der OSZE im Jahr
2009 erfolgreich ist, sind nicht etwa vonseiten der BunStaatsminister Gernot Erler
desregierung definiert worden. Diese Voraussetzungen
ergeben sich vielmehr daraus, dass Kasachstan zeigen
muss, dass es durch eigene Reformpolitik im Pressewesen, im Wahlrecht usw. qualifiziert dafür ist, diese
verantwortungsvolle Arbeit in der Präsidentschaft der
OSZE wahrzunehmen.
Logischerweise gehört dazu auch der ganze Bereich
der Menschenrechte und der Flüchtlingspolitik. Wir haben von der kasachischen Regierung klare Ansagen
dazu, dass diesbezüglich in der nächsten Zeit - in den
nächsten Wochen und Monaten - Fortschritte erzielt
werden sollen. Hierbei geht es vor allen Dingen um die
Umsetzung von bereits angekündigten Gesetzesänderungen.
Wie gesagt, es gibt schon konkrete Beispiele. Ein solches Beispiel ist - ich habe es im Bericht über meinen
Besuch in Astana angesprochen -, dass es uns gelungen
ist, eine Änderung der kasachischen Flüchtlingspolitik
zu erreichen.
Vielen Dank. - Wir kommen jetzt zur letzten Frage in
der Fragestunde, nämlich zu Frage 32 des Kollegen
Jürgen Trittin:
Welche Ergebnisse hat das Treffen der Außenminister der
NATO hinsichtlich der Anpassung der zivilen und militärischen Strategie und Operationsführung von ISAF in Afghanistan ergeben, und welche Initiativen gedenkt man gegenüber Pakistan zu ergreifen?
Herr Kollege Trittin, meine Antwort lautet folgendermaßen: Das informelle NATO-Außenministertreffen am
26. Januar 2007 in Brüssel hat die beim Rigagipfel angestoßene politische Strategiediskussion zu Afghanistan
fortgeführt und auf den Punkt zu bringen versucht. Die
Notwendigkeit eines umfassenden zivil-militärischen
Ansatzes für den Erfolg der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan wurde einhellig betont, die Zielsetzung einer Verbesserung der Zusammenarbeit und Koordinierung vorgegeben. Nun muss dies konkret in die
Praxis umgesetzt werden.
Hohe Erwartungen richteten sich an die Vereinten Nationen, ihre Koordinierungsrolle verstärkt wahrzunehmen. Das JCMB-Treffen, also das Treffen des Joint
Coordination and Monitoring Board, auf Ebene der politischen Direktoren in Berlin am gestrigen Tag hat dazu
wichtige Impulse gegeben. Neben der Verstärkung der
zivilen Anstrengungen wurden vereinzelt Forderungen
nach mehr Einsatzkräften für ISAF geäußert. Eine vertiefte Diskussion ist für das Treffen der Verteidigungsminister am 8./9. Februar 2007 zu erwarten.
Insgesamt ist dabei wichtig, dass Sicherheit und Wiederaufbau sich gegenseitig bedingen und nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Es herrschte Einigkeit
darüber, dass Pakistan eine regional herausgehobene
Rolle für die Befriedung Afghanistans spielt. Deutschland hat hier im Rahmen von G-8-Vorsitz und EU-Ratspräsidentschaft die Initiative ergriffen und wird mit der
EU-Troika Pakistan am 8. Februar 2007 einen wichtigen
Impuls geben. Ziel ist, den Dialog zwischen Afghanistan
und Pakistan auf eine breitere Basis zu stellen, unter anderem durch die politische Flankierung der funktionierenden militärischen Zusammenarbeit zwischen ISAF,
Pakistan und Afghanistan, die „Tripartite Commission“.
Nachfrage, Kollege Trittin.
Herr Staatsminister, meine Frage zielte nicht so sehr
auf die Verstärkung der humanitären Hilfe und der besseren Koordination im Rahmen der UN, sondern darauf,
ob es hinsichtlich der Strategie- und Operationsführung
militärischer Aktionen der NATO zu einer Veränderung
der Strategie gekommen ist, weil wir feststellen mussten,
dass insbesondere im Süden Afghanistans - anders als
im Norden - oft in einer Weise vorgegangen wurde, dass
die militärische Aktion die Legitimation des Aufbaus
und damit das produktive Zusammenwirken von „zivil“
und „militärisch“ infrage gestellt hat. Ich glaube, das ist
vor dem Hintergrund angeforderter Verstärkungen aus
Deutschland eine legitime Frage.
Herr Kollege Trittin, Sie kennen die deutsche Position
dazu. Wir versuchen unserer Verantwortung für die Nordregion nachzukommen. Dabei geht es genau darum, den
militärischen Teil zu nutzen, um einen sicheren Rahmen
zu schaffen, damit der Wiederaufbau durch die afghanische Regierung und die internationalen Hilfsorganisationen so gestaltet werden kann, dass dabei ein Fortschritt
und ein Nutzen für die Bevölkerung entstehen. Wir sind
davon überzeugt, dass dieser Ansatz der einzige ist, der
uns in Afghanistan voranbringt.
Das Problem ist natürlich - das muss man ehrlich sagen -: Im Süden und Osten des Landes ist es etwas
schwieriger als im Norden - dort tragen wir die Verantwortung -, das umzusetzen. Wir glauben aber, dass es
gar keine Alternative zu einer Verstärkung dieser zivil-militärischen Zusammenarbeit gibt. Ich habe die verschiedenen Ereignisse, die zum Teil auf Initiativen der
Bundesregierung zurückgehen, noch einmal genannt, um
diesen Grundgedanken hier zu unterstreichen.
Ich kann Ihnen sagen: Wir machen Fortschritte. Die
zweitägige Tagung dieser Koordinierungseinrichtung hat
gezeigt, dass sich dieser Grundansatz als konsensfähig
erwiesen hat. Wir wollen dies mit den verschiedenen
Troikatreffen und auch mit der bevorstehenden Sitzung
der Verteidigungsminister der NATO in diesem Sinne
fortsetzen.
Zweite Nachfrage, bitte.
Herr Kollege Erler, vor dem Hintergrund, dass die angefragten zusätzlichen Aufklärungskapazitäten in Gestalt der deutschen Tornados explizit nicht für die Aufklärung im Norden, sondern für die Aufklärung im
Süden benötigt werden, frage ich Sie: Wie beurteilen Sie
die Feststellungen, die der afghanische Außenminister
unter anderem gestern in einer öffentlichen Veranstaltung gemacht hat, wonach die Störungen durch militante
Kräfte im Süden von Pakistan nicht unterbunden, sondern aktiv gefördert und unterstützt werden?
Wir nehmen solche Beobachtungen, die sich mit anderen Informationen decken, die wir erhalten, ernst.
Deswegen gab es die deutsche Initiative, jetzt ein
Troika-Treffen mit Pakistan vorzubereiten, das in den
nächsten Tagen - genauer, ich hatte es gesagt, am
8. Februar - stattfinden wird, um gemeinsam nach Möglichkeiten zu suchen, eine stärkere Kontrolle der illegalen Grenzübertritte zu bewerkstelligen. Wir haben den
Eindruck, dass die pakistanische Regierung sich auf eine
Position zubewegt, sich bei der Grenzkontrolle von außen helfen zu lassen. Das ist allemal besser, als wenn
man sich hinterher überlegen muss, wie man die ISAF in
den Grenzgebieten Afghanistans gegen solche Milizen,
die die Grenze überschreiten, verteidigen kann.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. Wir sind am Ende
der Fragestunde.
Ich unterbreche jetzt die Sitzung. Sie wird um
15.35 Uhr mit dem Aufruf einer Aktuellen Stunde fortgesetzt.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP
Haltung der Bundesregierung zu Forderungen
nach der Fortsetzung der Steinkohlesubventionen für einen Sockelbergbau
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die
FDP-Fraktion der Kollege Friedhoff.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDPFraktion hat die heutige Aktuelle Stunde beantragt, weil
sie damit den Beschlüssen der Bundesregierung zum sogenannten Sockelbergbau auf den Grund gehen möchte.
Die FDP fordert seit über 20 Jahren den Ausstieg aus
dem subventionierten deutschen Steinkohlenbergbau;
denn seit mehr als 20 Jahren kann man die Versorgungssicherheit gleich gut, aber viel preiswerter zum Beispiel
durch Bevorratung erreichen.
({0})
Mit dieser Position standen wir lange Zeit völlig alleine da. Bei den letzten großen Demonstrationen 1997
in Bonn wurde den Kumpels im Ollenhauer-Haus und
bei den Grünen die Verpflegung gereicht, während im
Dehler-Haus die Scheiben zu Bruch gingen.
({1})
Nun ist unsere Erkenntnis auch bei den Grünen und
bei großen Teilen der SPD angekommen. Die Abkehr
von der Dauersubventionierung deutscher Steinkohle ist
der Kern der Koalitionsbeschlüsse, und den begrüßen
wir. Wir begrüßen auch, dass es jetzt eine reelle Chance
für den „weißen“ Bereich der RAG zum Börsengang
gibt und hiermit der Strukturwandel im Kohlerevier weiter unterstützt werden kann.
({2})
Der vorgesehenen Überprüfung des Ausstiegsbeschlusses im Jahre 2012 - sozusagen die Gesichtswahrungsklausel für die Glückauf-Fraktion in der SPD - sehen wir mit Gelassenheit entgegen. Wir haben nichts
gegen die Förderung von Steinkohle in Deutschland; wir
wenden uns gegen unsinnige Subventionierung.
({3})
Wenn die deutsche Steinkohle so wichtig und 2012 wettbewerbsfähig wäre, dann brauchten wir dafür auch keine
Subventionen. Was sollte dann also ein Sockelbergbau?
Dann wird Kohle nach den Regeln des Marktes gefördert
werden, allerdings sicher stärker als heute unter den Gesichtspunkten des Umweltschutzes. Bereits heute leben
350 000 Menschen in der Folge von Bergschäden, besser
gesagt: Bergsenkungen, in Wohnungen, die unterhalb
des Rheinpegels liegen. Das darf so nicht weitergehen.
({4})
Was uns an den Beschlüssen allerdings Sorge bereitet,
ist der Zeitplan: sozialverträgliches Auslaufen im
Jahre 2018. Damit ich nicht missverstanden werde: Die
FDP ist, wie in der Vergangenheit auch, für ein sozialverträgliches Ende der Subventionen. Dazu stehen wir.
Was allerdings unter „sozialverträglich“ verstanden
wird, darüber sollten wir noch einmal nachdenken. Nach
Berechnungen im Bundeswirtschaftsministerium werden
von heute bis zum Auslaufen im Jahre 2018 39,7 Milliarden Euro Steuergelder in den Bergbau gesteckt. Dies
bedeutet bei heute etwa 35 000 Bergleuten einen Betrag
von 1,13 Millionen Euro pro Kumpel - ein gewaltiger
Betrag. Steigt man 2012 aus den Subventionen aus, spart
man laut dem Arbeitspapier des BMWi stolze 12 Milliarden Euro; allerdings sind dann noch 10 600 Bergleute beschäftigt.
Ist es nun wirklich sozial verträglich, so viel Geld für
das Auslaufen einer unwirtschaftlich gewordenen Industrie aufzuwenden? Uns kommen da Zweifel. Wir glauben, dass man dieses Geld besser in neue Arbeitsplätze
für die Kumpels stecken sollte.
({5})
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Strukturwandel immer mit Geld verbunden war und ist. Aber hier
wird das Geld nicht für Strukturwandel und die Schaffung neuer Arbeitsplätze verwendet, sondern in das Beenden von Beschäftigung gesteckt. Hier müssen wir umdenken und uns ein Beispiel am gelungenen
Strukturwandel zum Beispiel in der deutschen Stahlindustrie nehmen.
({6})
Aus den einstmaligen Stahlunternehmen Thyssen, Krupp
oder Mannesmann sind längst Unternehmen mit modernen, zukunftsfähigen Produkten geworden, ohne dass es
hoher Subventionen bedurfte. Das Geld wurde lieber in
den Strukturwandel der Konzerne gesteckt, um neue Tätigkeitsfelder zu erschließen, in denen dann neue Arbeitsplätze entstanden sind.So macht es die private, unsubventionierte Wirtschaft.
Auf diese Weise wurde in der Krise der europäischen
Stahlindustrie in Luxemburg eine Beschäftigungsgesellschaft von Unternehmen und Betriebsrat der Arbed gegründet, in die alle freigesetzten Stahlwerker übernommen wurden und die dann eine verbesserte Infrastruktur
schaffte. Dies war viel billiger, schaffte zusätzliche öffentliche Infrastruktur und brachte neue Arbeitsplätze.
Warum sollte bei der deutschen Steinkohle nicht auch
das möglich sein, was bei den deutschen Stahlkonzernen
und bei der Arbed in Luxemburg gelungen ist?
({7})
Wenn man nicht 2018, sondern sechs Jahre früher,
also 2012, die Subventionen beendet, kann man laut
BMWi 12 Milliarden Euro einsparen. Damit ließe sich
eine Transrapidstrecke wie in München vom Flughafen
zur Innenstadt achtmal bauen.
({8})
Damit ließen sich mehr als die dann noch im Bergbau tätigen Arbeitnehmer mit einer Perspektive in Arbeit und
Brot bringen.
Oder: Warum kann der freigesetzte Elektriker im
Bergbau zum Beispiel nicht bei der STEAG eingesetzt
werden? Stehen hier vielleicht die hohen Leistungen des
Anpassungsgeldes oder die Bedingungen in den Bewilligungsbescheiden für die Subventionen einer sinnvollen
Regelung entgegen? Auch bei der Steinkohle gibt es eine
soziale Verantwortung des Konzerns für die Mitarbeiter.
Was sagt der montanmitbestimmte Aufsichtsrat dazu?
Kollege Friedhoff, kommen Sie bitte zum Schluss.
Mit dem Geld der Steuerzahler sich die Ruhe der
Bergleute zu erkaufen, sie mit hohen Subventionen
Kohle fördern zu lassen und nicht das Geld für einen
Strukturwandel, also für die Zukunft, einzusetzen - das
erscheint mir einfältig und gerade nicht sozialverträglich
zu sein.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Laurenz
Meyer das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Ausgangssituation, die
wir im Bergbau vorfinden, ist uns allen seit Jahren bekannt. Es handelt sich um ein immer weiteres Abschmelzen des Bergbaus. Heute sind gerade noch ein Drittel der
bei der RAG Beschäftigten im eigentlichen Bergbaubereich tätig. Die Frage ist: Wie können wir den jetzt anstehenden Prozess angesichts der Lage auf dem Weltmarkt
begleiten?
Die Preise am Weltmarkt richten sich in dramatischer
Weise gegen die von der RAG geförderte Kohle. Das hat
nichts mit der Leistungsfähigkeit der Bergleute, sondern
mit den anderen Umständen zu tun, unter denen bei uns
Kohle gefördert wird. Tagebau wie in anderen Ländern
ist natürlich wesentlich kostengünstiger als der Kohleabbau in Tiefen, wie sie etwa im Ruhrgebiet zu finden sind.
Dort muss man immer tiefer gehen, um noch Kohle fördern zu können.
Für 1 Tonne Steinkohle werden am Weltmarkt 60 Euro
verlangt, während 1 Tonne heimischer Steinkohle 130 bis
140 Euro, manchmal - wie im Falle des Bergbaus im östlichen Ruhrgebiet - bis zu 340 Euro kostet. Diese hohen
Preise erklären sich aus Störungen, beispielsweise Störungen im Produktionsablauf. Die Preise für die heimische Steinkohle liegen also um den Faktor fünf bis sechs
höher als die für die Steinkohle auf dem Weltmarkt.
Deswegen ist es richtig, darüber nachzudenken, wie
die langfristige Konzeption aussehen soll. Wir wollen
den Börsengang der RAG und damit das Gründen einer
Stiftung ermöglichen, um den Aufbau von neuen Arbeitsplätzen in diesem Unternehmen zu unterstützen. Bis
2018 ist es ein langer Zeitraum. Ich verhehle nicht, dass
wir es lieber gesehen hätten, wenn der Ausstieg eher erfolgen würde. Dann hätten wir schon früher mehr Geld
für den Aufbau neuer Arbeitsplätze.
({0})
Der entscheidende Punkt ist aber, dass wir jetzt einen
Endzeitpunkt definieren, den der Bundestag - wann
auch immer; es ist jetzt die Rede von 2012 - natürlich
noch überprüfen kann. Sollten sich fundamentale Marktdaten ändern, wäre der Bundestag selbstverständlich
frei, in neue Überlegungen einzutreten. Warum sollte
sich der Bundestag gehindert fühlen, darüber nachzudenken, wenn sich irgendwann - möglicherweise in Teilbereichen, etwa bei der Kokskohle - andere Preisverhältnisse ergeben?
Eines sage ich hier auch an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen der Grünen: Im Vergleich zur Förderung mancher alternativer Energien ist die Subvention
Laurenz Meyer ({1})
der Steinkohle eine verdammt wirtschaftliche Angelegenheit.
({2})
- Das ist so, bezogen auf die Kilowattstunde. Das muss
man einfach nüchtern sehen.
Die Überprüfung des Beschlusses ist also immer
möglich. Mit ihm ist jetzt sichergestellt worden, dass ein
sozialverträglicher Prozess ablaufen wird. So leid es mir
tut, die schlechteste Alternative wäre für den größten
Teil der Bergleute ein Sockelbergbau gewesen, weil
dann von den vorhandenen acht Anlagen sechs hätten
geschlossen werden müssen, und zwar möglicherweise
ohne das Anpassungsgeld, also ohne sozialverträgliche
Regelungen. Dafür wären auch in den Ländern keine
Mehrheiten vorhanden gewesen.
({3})
Das, was jetzt verabschiedet wird, ist für die allermeisten die absolut beste Lösung. Aus meiner Landtagstätigkeit habe ich das Beispiel „Sophia Jacoba“ im
Aachener Bereich vor Augen. Dort ist sehr frühzeitig ein
Stilllegungstermin definiert worden, wodurch man sich
rechtzeitig auf die neue Zeit einstellen konnte. Es ändert
sich auch das Denken in den betroffenen Regionen,
wenn nicht mehr nur das Verteidigen des Hergebrachten
im Vordergrund steht, sondern man sich auf etwas Neues
konzentrieren muss. Entscheidend ist, dass wir einen solchen Prozess unterstützen, auch mit finanziellen Mitteln
- nicht für die Bergleute selbst; sie sind finanziell abgesichert -, da wir für die Kinder der heutigen Bergleute
zukunftssichere Arbeitsplätze brauchen. An diesen
Standorten haben wir es mit sehr konzentrierten regionalwirtschaftlichen Problemen zu tun. Aus diesen Gründen wäre ein Sockelbergbau kein vernünftiger Weg gewesen, auch wenn ihm der eine oder andere angehangen
hat. Die Beihilferegelungen hätten überhaupt nicht degressiv gestaltet werden können, und der Bundestag
wäre in seiner Mehrheit niemals bereit gewesen, eine
dauerhafte Garantieerklärung für jedwede Kosten- und
Erlössituation der Kohleförderung in Deutschland abzugeben.
Wir sollten nun die gefundene Lösung mit den Betroffenen sehr offensiv und nüchtern diskutieren, die Umstrukturierungsprozesse umgehend anschieben und so
neue Strukturen für die Zukunft schaffen. Sollte sich an
den energiepolitischen Verhältnissen einmal etwas dramatisch ändern, wird der Bundestag jederzeit in der
Lage sein, das Thema neu aufzugreifen. Wir sollten nun
so, wie vorgesehen, vorgehen. Ich begrüße für unsere
Fraktion das, was am Sonntagabend vereinbart worden
ist.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Ulla Lötzer für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Meyer, begrüßen wir Ihren Beschluss zum Ende der heimischen Steinkohle nicht.
Auch Ihr selbsterklärter Arbeiterführer Rüttgers macht
hier mehr als deutlich, dass er die Interessen Tausender
Bergleute, ohne mit der Wimper zu zucken, auf dem Altar des Börsengangs der RAG opfert.
({0})
Selbst das Datum 2018 stellt Herr Rüttgers laut
Tickermeldung von heute noch infrage. Nachdem die
Bergleute und mit ihnen viele Menschen im Ruhrgebiet
lange für Sozialverträglichkeit gekämpft haben, wird die
RAG von Ihnen aus der sozialen Verantwortung entlassen. Die Steinkohle soll in eine Stiftung überführt werden, die dann für die Ewigkeitskosten - die Stilllegungskosten, die Pensionen der Bergleute, die Kosten der
Berg- und Wasserschäden - aufkommen soll. Es geht um
schätzungsweise 13 Milliarden Euro, die aus den Rückstellungen der RAG und den Erlösen des Börsengangs
finanziert werden sollen. Dies ist ein riskantes Spiel.
Herr Meyer, das ist Ihnen durchaus klar; denn schon geht
in Ihrer Partei der Streit insbesondere darüber los, wie
diese Mittel aufgebracht werden sollen. Herr Ramsauer
sperrt sich mit aller Gewalt gegen eine Übernahme der
Kosten durch den Bund; stattdessen solle der Strompreis
erhöht werden. Frau Thoben fordert heute eine Beteiligung des Bundes an den Ewigkeitskosten, damit das
Land nicht auf einem Fass ohne Boden sitzen bleibe. Die
Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sollen für das aufkommen,
was Sie der RAG erlassen. Der Börsengang ist nicht nur
ein Projekt der Landesregierung und der CDU. Er ist ein
gemeinsames Projekt der CDU, der SPD, der Grünen
und der FDP. Das Glitzern des Shareholder-Values vor
Augen zählt offensichtlich nichts anderes mehr.
({1})
Ihre Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, den Börsengang der RAG zu befürworten und
gleichzeitig für einen Sockelbergbau einzutreten, war,
ehrlich gesagt, von Anfang an unglaubwürdig.
({2})
Das ist eine Politik nach dem Motto „Wasch mir den
Pelz, aber mach mich nicht nass“. Unter dem Titel
„Neue Kraft für NRW“ kann man noch heute bei der
SPD lesen:
Wie zuvor Vizekanzler … Müntefering sprach sich
auch Kraft für den Erhalt des Steinkohlebergbaus
aus und kündigte an, die SPD werde … an einem …
Steinkohlesockel festhalten.
({3})
Es war immer klar: Wer einen Sockelbergbau will,
darf den profitablen Bereich der RAG nicht aus der Haftung für die Steinkohlenförderung entlassen.
({4})
Daher wundert es nicht, dass die Aussagen zum Festhalten an einem Sockelbergbau nicht einmal eine Halbwertszeit von einer Woche nach dem Landesparteitag
hatten. Ein lächerlicher und fadenscheiniger Versuch,
nicht ganz als Wortbrecherin dazustehen, ist da die für
2012 vereinbarte Überprüfung.
Welche Alternative bieten Sie denn jetzt den Menschen im Ruhrgebiet? Was sagen Sie den Leuten in
Kamp-Lintfort, die erst 1 000 Arbeitsplätze durch Managementversagen bei BenQ verloren haben und jetzt
noch einmal 3 000 Arbeitsplätze in der Steinkohlenförderung verlieren? Sie versprechen einen sukzessiven
Arbeitsplatzabbau ohne betriebsbedingte Kündigungen.
Die IG Bergbau, Chemie, Energie sagt, die Details
müssten noch geklärt werden. Herr Sommer warnt, ein
Abschieben in Transfergesellschaften sei mit ihm nicht
zu machen. Da hat er recht.
({5})
Über Ersatzarbeitsplätze, über Perspektiven für die
Auszubildenden sagen Sie nichts. Stattdessen liest man,
Sie wollten den Bundesanteil an den Subventionen ab
2009 von 80 auf 66 Prozent kürzen. Wir fordern Sie auf,
ein Konzept vorzulegen und die Subventionen von Bund
und Land nicht zu kürzen, sondern die Mittel stattdessen
für den Aufbau von Ersatzarbeitsplätzen in der Region
bereitzustellen.
({6})
Der Wandel hin zu einer nachhaltigen Energiepolitik,
zu Energieeffizienz und zu erneuerbaren Energien bietet
auch für NRW Chancen. Es geht nicht einfach um den
Ersatz von heimischer Kohle durch billigere Importkohle. Gebraucht wird speziell für die Kohlebergbauregionen eine gezielte Ansiedlungsstrategie im Bereich der
erneuerbaren Energien. In der energetischen Häusersanierung zum Beispiel gibt es im Ruhrgebiet nachweislich einen hohen Arbeitskräftebedarf und gute
Kenntnisse. Den Bergleuten muss dafür ein Qualifizierungsangebot gemacht werden.
Wir treten nach wie vor dafür ein, eine Grundfördermenge an Steinkohle zu erhalten. Nur so kann die damit
verbundene Kompetenz erhalten werden. An dieser
Kompetenz hängen noch einmal Tausende von Arbeitsplätzen im Ruhrgebiet. Mittelfristig kann die Kohle ein
wichtiger Ersatzrohstoff für das zur Neige gehende
Erdöl als Grundstoff der petrochemischen Industrie werden. Deshalb wäre es extrem kurzsichtig, das Know-how
schnell abreißen zu lassen. Statt die Bergleute die Zeche
zahlen zu lassen, muss die RAG mit in der Haftung bleiben. Voraussetzung dafür ist, den Börsengang zu stoppen.
Danke.
({7})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Rolf
Hempelmann das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Schon vor eineinviertel Jahren sind die Weichen für
die Entscheidung gestellt worden, die in den letzten Tagen gefällt worden ist und die heute Abend in einem
weiteren Kohlespitzengespräch zu bestätigen sein wird.
Vor eineinviertel Jahren ist im Koalitionsvertrag die
Rede davon gewesen, dass die weitere Subventionierung
der deutschen Steinkohle degressiv, aber sozialverträglich erfolgen soll, dass dabei betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden sind und die Bundesregierung den
Börsengang der RAG unterstützen will.
Offen blieb lediglich eine Frage, nämlich die Frage,
ob der subventionierte Steinkohlenbergbau in Deutschland am Ende dieses Prozesses auslaufen oder ob es einen Sockelbergbau geben soll.
Vor eineinviertel Jahren saßen nicht nur Bundespolitiker, sondern auch die Vertreter der Länder - insbesondere der Ministerpräsident des Saarlandes, Peter Müller,
und die Wirtschaftsministerin des Landes NordrheinWestfalen, Frau Thoben - am Verhandlungstisch. Alle
haben sich zu den Prinzipien der Sozialverträglichkeit
und zum Börsengang bekannt; das war gut so. Dennoch
muss man einräumen, dass die einzelnen Positionen weit
auseinandergingen. Von daher freue ich mich über die
Einigung, zu der es in dieser Woche gekommen ist. Sie
ist heute noch zu bestätigen. Diese Einigung zeigt die
Handlungsfähigkeit der Großen Koalition und der Politik insgesamt.
Aus Sicht der SPD ist das Ergebnis, vor allem deshalb, weil der Sockel nicht fest vereinbart werden
konnte, sicherlich kein Grund zu unbegrenztem Jubel,
aber das Ergebnis ist sehr zufriedenstellend. Warum? Es
ist erstens zufriedenstellend, weil der Zugang zu den Lagerstätten nicht endgültig verschüttet worden ist. Wir haben eine belastbare Überprüfung für das Jahr 2012 vorgesehen, die Kriterien für diese Überprüfung sind schon
heute konkret fixiert worden. Da insbesondere von der
FDP Kritik an der Politik des Kohlesockels geäußert
wurde, möchte ich zweitens deutlich machen, dass wir
angesichts steigender Importabhängigkeit und steigender
Preise für Importenergie sowie angesichts einer zunehmenden internationalen Nachfrage nach Energieprodukten die Auffassung vertreten, dass eine Vorkehrung im
Sinne einer heimischen Energiereserve nur richtig sein
kann.
({0})
Außerdem sollte man im Auge behalten, dass in der
Vergangenheit weder die Politik noch die Industrie besondere Prognosefähigkeit bewiesen haben. Ich denke
dabei nur an das Thema Kokskohle, das bereits kurz angesprochen wurde. Hätte man in der Vergangenheit vorsorglicher gehandelt, wären wir in diesem Bereich heute
noch aktiv. Wir sind es nicht mehr. Inzwischen sind die
Preise jedoch so gestiegen, dass es heute wirtschaftlich
wäre.
Wir haben - das war für die SPD besonders wichtig eine Perspektive bis zum Jahr 2018 eröffnet. Entgegen
anderslautenden Aussagen in der Debatte ist dieser Weg
der einzige sozialverträgliche aus der Steinkohle. Das ist
nicht nur die Position einer sogenannten Glückauf-Fraktion, sondern diese Position wird auch durch Gutachten
belegt. Deswegen ist es wichtig, dass wir bei diesem Datum bleiben. Ich sage das ausdrücklich, weil es heute
Tickermeldungen gibt, die besagen, dass der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen andere Überlegungen anstellt. Ich denke, nach den Gesprächen am
Sonntag und dem Steinkohlenspitzengespräch im Koalitionsausschuss am Montag sollte der Ministerpräsident
des Landes, das von diesen Regelungen am meisten profitiert, den Weg freimachen. Ich bin ganz sicher, dass die
Kollegen der CDU/CSU-Fraktion und die Unionsmitglieder im Kabinett entsprechend Einfluss nehmen werden.
({1})
Das Datum 2018 ist ein wichtiges Signal für die Beschäftigten im sogenannten schwarzen Bereich. Genauso
wichtig ist es aber, dass wir mit unseren Entscheidungen
den Weg für den hier gerade gescholtenen RAG-Börsengang freigemacht haben. Man sollte nicht vergessen,
dass es hier um Wertschöpfung und um die Sicherung
von Arbeitsplätzen in den Kohlerevieren in NordrheinWestfalen geht.
Denjenigen, die Subventionsmittel zur Finanzierung
des Strukturwandels in Nordrhein-Westfalen fordern,
sage ich: Die beste Unterstützung eines Strukturwandels
in Nordrhein-Westfalen ist der RAG-Börsengang. Damit
werden Arbeitsplätze im Lande gehalten, damit wird
eine Branche weiterentwickelt und konkurrenzfähig,
Zerschlagung und Marktbereinigung werden vermieden. Insofern ist der RAG-Börsengang genau der richtige Weg.
({2})
Meine Damen und Herren, jetzt beginnt die Arbeit
des Gesetzgebers. Wir müssen ein Steinkohlenfinanzierungsgesetz vorlegen. Ich hoffe, dass wir zügig von den
zuständigen Ministerien die entsprechenden Vorlagen
bekommen. Ich denke, wir werden in der Detailarbeit
beweisen, dass das, was jetzt in den Eckpunkten festgelegt worden ist, unsere Leitlinie für die Zukunft ist.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt die Kollegen Bärbel Höhn für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Zunächst muss ich sagen:
Die Zielsetzung des Beschlusses der Bundesregierung ist
richtig. Es ist gut, dass wir zu einem Ende des Steinkohlenbergbaus in Deutschland kommen. Diese Entscheidung ist richtig, aber auch überfällig.
Das sage ich als Abgeordnete aus einem Wahlkreis, in
dem in den letzten Jahrzehnten infolge des Strukturwandels 30 000 Arbeitsplätze abgebaut wurden. Das ist hart
für die Region. Ich habe viele Gespräche mit den betroffenen Menschen geführt. Dieses Thema ist also auch in
sozialer Hinsicht sehr sensibel. Ich sage das ferner vor
dem Hintergrund, dass im Norden meines Wahlkreises
noch immer Kohle abgebaut wird. Ich habe in den letzten Jahrzehnten erlebt, dass das Festhalten am Steinkohlenbergbau ein Hemmschuh für die Zukunftsentwicklung dieser Region war. Deshalb ist es richtig, aus dem
Steinkohlenabbau auszusteigen.
({0})
Trotzdem sind drei Punkte Ihres Beschlusses zu kritisieren. Erstens ist 2018 viel zu spät,
({1})
zweitens ist die Option für eine Überprüfung im Jahr
2012 fatal, und drittens - das ist eine ganz wichtige
Frage - ist überhaupt noch nicht geklärt, wer die Ewigkeitskosten trägt. Sie haben Ihre Hausaufgaben noch
nicht gemacht.
({2})
Ich gehe auf diese drei Punkte näher ein.
Der erste Punkt betrifft das Jahr 2018. Man muss wissen, dass in jedem Jahr 2,5 Milliarden Euro Subventionen in diesen Bereich gesteckt werden. In jedem Jahr, in
dem der Bergbau länger besteht, werden 2,5 Milliarden
Euro quasi in die Vergangenheit gesteckt und können
deshalb nicht in die Zukunft dieses Landes investiert
werden. Deshalb ist es falsch, bis 2018 zu warten.
({3})
Sie können die Kosten zusammenzählen. Die Grünen
haben den Beschluss gefasst, dass der Ausstieg 2012,
spätestens 2015 erfolgen soll. Allein auf Bundesebene
würden wir 6 bis 12 Milliarden Euro sparen, wenn wir
das realisieren würden.
Der zweite Punkt: Warum ist die Überprüfung im Jahr
2012 fatal? Dahinter stecken durchaus interessante
Überlegungen, Stichwort Versorgungssicherheit. Dazu
muss man Folgendes sagen: Die Ressourcen an Öl, Gas
und Uran sind begrenzt; sie reichen vielleicht noch 50
oder 75 Jahre. Bei der Kohle ist das anders. Wir haben
Kohlevorräte für 200 Jahre. Es ist keineswegs so, dass
die Kohlevorräte nur in politisch instabilen Ländern vorkommen, wie es bei Gas, Öl und Uran der Fall ist. Hinzu
kommt, dass die Kohle in den anderen Ländern im Tagebau abgebaut wird, die Kosten demzufolge viel geringer
sind. Der Abbau einer Tonne Kohle kostet in Deutschland 190 Euro. Der Weltmarktpreis liegt zurzeit bei
60 Euro. An dieser Situation wird sich im Wesentlichen
nichts ändern. Deshalb ist es richtig, aus dem Steinkohlenabbau in Deutschland auszusteigen.
({4})
Die Überprüfung wird aber auch deshalb teuer, weil
wir - zu Recht - zugesichert haben, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird. Als Ministerin in NRW habe ich aber erlebt, dass diese Zusicherung
dazu führt, dass die RAG weitere Einstellungen vornimmt frei nach dem Motto: Wir können den Sockelbergbau doch nicht mit dem alten Personal durchführen;
wir müssen dafür neue Leute einstellen. Dadurch wird es
immer teurer. Je länger es den Sockelbergbau gibt, desto
mehr Kosten werden aufgehäuft, die am Ende von der
Gesellschaft getragen werden müssen. Diese Überprüfungsoption lässt die Ewigkeitskosten in die Höhe steigen. Deshalb ist sie falsch.
({5})
Brauchen wir die heimische Steinkohle? Mit der heimischen Steinkohle werden momentan 10 Prozent des
Strombedarfs und 3 Prozent des gesamten Energiebedarfs gedeckt. Herr Meyer, bei den erneuerbaren Energien sind wir diesbezüglich schon viel weiter. 12 Prozent
des Strombedarfs werden aus erneuerbaren Energien gedeckt. Im Bereich der Primärenergie tragen die erneuerbaren Energien sogar doppelt so viel zur Bedarfsdeckung bei wie die Kohle. Herr Meyer, deshalb sind die
Subventionen, die wir für den Steinkohlenbergbau bezahlen, gemessen an der Wirkung im Vergleich mit den
erneuerbaren Energien, unangemessen. Bei den erneuerbaren Energien sinken die Kosten, während sie bei der
Steinkohle gleich hoch bleiben. Das ist der Unterschied.
({6})
Letzter Punkt: Die Frage der Ewigkeitskosten muss
geklärt werden. Wir reden hier über voraussichtlich ungefähr 35 Milliarden Euro. Deshalb sagen wir Grüne:
Wir sind dafür, dass die RAG an die Börse geht, und wir
sind für eine Stiftung, weil dieses Modell richtig ist.
Gleichzeitig sagen wir aber auch: Man muss die Kosten
ehrlich beziffern. In dem KPMG-Gutachten sind ganz
viele Kosten gar nicht berücksichtigt worden. Was machen Sie zum Beispiel mit den Deichen? Die Kosten für
die Deiche wurden überhaupt nicht berücksichtigt. Die
Leute am Niederrhein wohnen hinter 13 oder 15 Meter
hohen Deichen, weil die Region um 12 Meter abgesackt
ist. Diese Menschen leben in einer Art Badewanne.
Wenn ein Hochwasser kommt, können sie sich nicht einmal auf ihre Dächer retten. Sie sind Wasserfluten ausgesetzt.
Was machen wir mit diesen Ewigkeitskosten? Ich
sage Ihnen: Wir müssen die Finanzierung sehr schnell
klären. Denn eines gilt: Kohlepolitik ist Vergangenheit.
Alles, was wir da reinstecken, ist falsch investiert. Wir
müssen in die Zukunft investieren und nicht in die Vergangenheit.
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr. Pfeiffer für die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich denke, hier wird ein Meilenstein erreicht:
das Auslaufen der Subventionen für den Steinkohlenbergbau. Frau Höhn, wir in der Großen Koalition erreichen jetzt gemeinsam das - dies unterstreicht einmal
mehr die Handlungsfähigkeit dieser Großen Koalition -,
was Sie weder während Ihrer Beteiligung an der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen noch während Ihrer
Beteiligung an der rot-grünen Regierung in Berlin erreichen konnten.
Wir setzen mit dieser Entscheidung ein ordnungspolitisch klares Signal. Es bedeutet den Einstieg in den größten Subventionsabbau der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
({0})
- Die Zahlen sind genannt worden. Mit Verlaub, wenn
man die 45 Milliarden Euro - über die reden wir -, die
von Bund und Ländern, von der öffentlichen Hand, für
den Steinkohlenbergbau, bis er ausläuft, ausgegeben
werden, in andere Bereiche investieren würde, dann
könnte man heute alle Verkehrsprojekte, für die es eine
Planfeststellung im Bereich des Bundesverkehrswegeplanes gibt, locker sofort umsetzen.
({1})
Insofern ist das Ende heute nicht erreicht. Aber wir haben den Einstieg geschafft.
Wir schaffen Planungssicherheit für alle Beteiligten.
Dies gilt zum Beispiel für die betroffenen Bergbauregionen, weil wir hiermit den Startschuss für einen zukunftsgerichteten Strukturwandel geben. Der RAG geben wir
die Perspektive, ihre anderen Bereiche, die zukunftsfähig sind, in denen Innovationspotenzial vorhanden und
Beschäftigungsaufbau noch möglich ist, ohne Damoklesschwert dauerhaft in der Zukunft zu betreiben. Ich
denke, das sind sehr wichtige Entscheidungen.
Ich möchte noch ein paar Mythen über die Bedeutung
des Steinkohlenbergbaus ansprechen, die heute wieder
insbesondere von der ganz linken Seite angeklungen sind.
Die Zahlen wurden ja genannt. Im Jahr 2004, als die Fördermengen noch größer waren, hatte der deutsche Steinkohlenbergbau einen Anteil an der weltweiten Förderung
in Höhe von gerade einmal 0,6 Prozent. Der Beitrag der
Steinkohle zum Primärenergieverbrauch liegt heute bei
5 Prozent. Der Sockelbergbau, über den diskutiert wurde,
wäre ein versorgungssicherheitspolitischer, ordnungspolitischer und finanzieller Wahnsinn. Es würde den Steuerzahler pro Jahr 1,5 Milliarden Euro kosten, 6 bis 8 Millionen Tonnen Steinkohle zu fördern. 6 bis 8 Millionen
Tonnen Steinkohle kann man heute am Weltmarkt für
700 Millionen Euro kaufen. Die Kosten wären also mehr
als doppelt so hoch. Das macht überhaupt keinen Sinn
und hätte inklusive der Altlasten dazu geführt, dass wir
quasi jeden Arbeitsplatz in diesem Bereich mit
150 000 Euro - das ist schon heute fast so - subventionieren. Insofern ist es ein Einstieg in den Ausstieg.
Zur hohen Wertschöpfung, deren Verlust beklagt
wird: Es ist nicht mehr so, dass die Zulieferindustrie den
Steinkohlenbergbau in Deutschland aus technologischer
Sicht als Referenzprojekt für notwendig hält. Er wird bereits ganz anders betrieben; sie braucht ihn daher nicht
mehr. Insofern ist die Grundsatzentscheidung, die jetzt
gefallen ist, von historischer Bedeutung und geht in die
richtige Richtung. Es hätte aus unserer Sicht schneller
gehen können. Das ist ganz klar. Die Gelder stehen jetzt
nicht für den Strukturwandel zur Verfügung. Das ist angeklungen.
Andere Chancen - auch energiepolitische - seien
noch am Rande angesprochen: Ein RAG-Nachfolgeunternehmen ist die STEAG, ein Player, der den Wettbewerb im Energiebereich in Deutschland und in Europa
beleben kann. Diversifizierung ist ferner wichtig, um die
Versorgungssicherheit gewährleisten zu können.
Welche Fragen sind noch zu klären? Auch das ist
schon gesagt worden: Für die Union ist das Ende der
Fahnenstange erreicht. Bei dieser nochmaligen Kraftanstrengung, auch aus öffentlichen Mitteln, muss es bleiben. Es kann nicht sein, dass wir ohne Not die Ewigkeitslasten übernehmen. Sie sind keine bundespolitische
Aufgabe - der Bund beteiligt sich unter Versorgungssicherheitsgesichtspunkten an den Steinkohlenbergbausubventionen -, sie sind eindeutig Ländersache.
Fazit: Es ist ordnungspolitisch richtig, diesen Ausstieg zu machen. Wir beenden damit die Subventionspolitik. Denn auch mit den 150 Milliarden Euro, die in der
Vergangenheit an Subventionen geflossen sind, ist es
nicht gelungen, den heimischen Steinkohlenbergbau international wettbewerbsfähig zu machen. Wir stellen die
Weichen für die Zukunft richtig. Deutschland braucht Investitionen in seine industrielle Zukunft und nicht in die
Vergangenheit.
Vielen Dank.
({2})
Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Gudrun
Kopp das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und
Damen! In den letzten vier Jahrzehnten sind in die Förderung der deutschen Steinkohle circa 128 Milliarden
Euro an Subventionen geflossen. Jahrzehntelang war die
FDP ein einsamer Rufer, der gesagt hat: Was nicht annähernd wettbewerbsfähig ist, sollten wir auch nicht künstlich am Leben erhalten. Jetzt kommt dieses Ende - auf
Druck der Liberalen in Nordrhein-Westfalen, auf Druck
der nordrhein-westfälischen Landesregierung, die die
schwarz-rote Koalition hierzu getrieben hat.
({0})
Die Grundsatzentscheidung - Ausstieg aus der Subventionierung der Steinkohlenförderung - ist zweifellos
richtig. Denn diese Subventionierung macht allein etwa
30 Prozent der Bundesfinanzhilfen aus. Das ist ein Riesenbatzen Geld.
Der Börsengang der RAG wird von uns auf jeden Fall
befürwortet. Aber es stellen sich Fragen, und ob diese
Große Koalition sich tatsächlich so einig ist, das werden
wir sehen.
({1})
Der Erlös des Börsengangs wird wahrscheinlich bei
5,5 Milliarden Euro liegen; über die Rückstellungen
müssen wir spekulieren. Dem stehen, wie gesagt, die
Pensions-, Alt- und Ewigkeitslasten von rund 13 Milliarden Euro gegenüber.
({2})
Diese Regierung wird die Frage beantworten müssen,
wie diese Lücke zu füllen ist, wie die Kosten verteilt
werden sollen. Mit 2018 ist der Ausstieg ferner viel zu
weit in die Zukunft verlegt. Das sind noch elf Jahre.
({3})
Es geht also um Milliardensummen, die wir noch einsparen könnten. Da gilt es nachzuverhandeln.
Die Frage ist nun, wie Sie sich dabei verhalten werden. Denn überhaupt noch nicht angesprochen ist die
Problematik, wie dieses Ausstiegsszenario beihilferechtlich aussieht. Die SPD sagt, man werde den Beschluss
2012 überprüfen. Die CDU/CSU hält dagegen: Kommt
nicht infrage, der Ausstieg bleibt. Die SPD wiederum
besteht darauf, das sei eine echte Revisionsklausel, dann
solle tatsächlich geprüft werden.
({4})
Dabei hat Kommissar Piebalgs noch im vergangenen
Jahr bei einer öffentlichen Veranstaltung im Landtag in
Düsseldorf ausdrücklich gesagt, dass es für die Subventionierung keine Anschlussregelung geben könne - schon
gar keine Subventionierung im Rahmen eines Sockelbergbaus - und dass ein Hintertürchen mit der EU nicht
zu machen sei.
Was die frühere rot-grüne Bundesregierung angeht,
haben die Grünen in der Tat damals versäumt, das zu
vollziehen, was jetzt endlich beschlossen worden ist.
({5})
Seinerzeit ist eine Regelung zur Weiterführung der
Subventionierung getroffen worden, die 2010 ausläuft.
Insofern stellt sich die Frage, wie bis zum Jahr 2018 zu
verfahren ist, zumal auch die Revisionsklausel eine
Rolle spielt. Ich halte das für problematisch und finde es
auch nicht ehrlich.
Wenn es bei dem Ausstiegsbeschluss bleibt - wir hoffen, dass der Zeitpunkt noch vorgezogen wird und dass
für das Ruhrgebiet Perspektiven geschaffen werden -,
dann finde ich es unseriös, ein Hintertürchen offenzulassen, indem seitens der SPD eine Überprüfung im Jahr
2012 angekündigt wird. Was sollen die Menschen in den
Bergbauregionen davon halten? Das ist doch unzumutbar. Es ist ein vorgezogenes Wahlkampfgeplänkel. Insofern kann man, wenn es bei dem Beschluss bleibt, nur jedem empfehlen, sich auf den Ausstieg einzustellen und
finanziell und strukturell auf die Zukunft einzurichten.
({6})
Eine Frage stellt sich immer wieder: Brauchen wir die
heimische Steinkohle für unsere Energiesicherheit? Ich
glaube, wir können sie getrost mit Nein beantworten. Ich
möchte Ihnen eine interessante Zahl nennen. Gerade einmal 0,3 Prozent des weltweiten Steinkohlenabbaus erfolgt in Deutschland. Es gibt weltweit genügend Vorräte
in politisch stabilen Regionen. Die Preisunterschiede
sind eklatant: 49 Euro pro Tonne für die Importsteinkohle gegenüber 190 Euro für die deutsche Steinkohle.
Insofern ergeben sich keinerlei Notwendigkeiten, in diesem Bereich das Rad zurückzudrehen. Dazu sollten wir
stehen.
Die Fragen sind - möglicherweise am heutigen
Abend - zu klären, und wir alle können nur hoffen, dass
die Streitigkeiten über die dann wichtigen Detailfragen
nicht wieder von vorne losgehen und die Ewiggestrigen
am Ende doch noch das Sagen haben. Schauen Sie nach
vorn! Gestalten Sie das Ende der Subventionierung so
bald wie möglich - nicht erst 2018 - und verunsichern
Sie die Menschen nicht mit einem unnötigen Zickzackkurs wie bei der Überprüfungsklausel bis 2012!
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Rolf Stöckel für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Beschäftigten, die Betriebsräte, das Unternehmen, aber vor allen Dingen die
Menschen im Revier sind sicherlich an der einen oder
anderen Stelle bestürzt über den Ausstiegsbeschluss.
Aber nach fast zwei Jahren Planungsunsicherheit und sozialen Ängsten, die nicht nur durch Aussagen der Landesregierung, sondern auch der Fraktionen im Bundestag immer wieder geschürt worden sind, erwarten sie
von dieser Regierungskoalition vor allem, dass endlich
eine Perspektive ausgehandelt wird.
Dass die FDP diese Aktuelle Stunde nutzt, um ihren
ideologischen Kampf gegen die Steinkohle weiterzuführen, überrascht nicht wirklich.
({0})
Auch Ihre betriebswirtschaftlichen Rechnungen, wie
viel die Arbeitsplätze kosten und auch in Zukunft kosten
werden, sind nicht gerade neu und originell. Ich möchte
Sie daran erinnern, dass vor zehn Jahren - 1997, als Sie
noch im Bund Regierungsverantwortung getragen
haben - eine Vereinbarung zum Subventionsabbau geschlossen worden ist und dass die Zahl der Beschäftigten
von 600 000 im Jahr 1958 mittlerweile auf 36 000 geschrumpft ist. Es hat ein permanenter Subventionsabbau
und Abbau von Fördermengen und Personal stattgefunden. Es gibt keinen vergleichbaren Wirtschaftsbereich
- vielmehr sind neue Bereiche entstanden, die gefördert
werden, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem
Transrapid -, in dem öffentliche Subventionen so stark
abgebaut worden sind und in dem trotzdem wie in den
Steinkohlerevieren ein Strukturwandel im Hinblick auf
moderne Arbeitsplätze, Konversion und regenerative
Energien gelungen ist.
Frau Höhn müsste eigentlich am besten wissen, was
dort in Nordrhein-Westfalen entstanden ist. Das heißt,
der Erhalt des Steinkohlenbergbaus mit öffentlicher Förderung in einer Wertschöpfungskette muss nicht automatisch neue moderne Arbeitsplätze und Strukturwandel
konterkarieren. Wir haben das in NRW bewiesen, vor allen Dingen in Zeiten einer SPD-geführten Landesregierung. Nur so war es überhaupt möglich, den Strukturwandel ohne Brüche und soziale Verwerfungen in
Nordrhein-Westfalen hinzubekommen.
({1})
Die Menschen in Nordrhein-Westfalen, im Kohlerevier, haben ja Einbußen und Veränderungen in Kauf genommen. Sie haben nicht nur weniger Beschäftigung
und Einkommenseinbußen hingenommen, sondern viele
ehemalige Bergleute, die umgeschult worden sind, hatten durchaus noch weitere soziale Risiken zu tragen.
Viele von ihnen sind mittlerweile arbeitslos.
Die FDP und die CDU, die in NRW bei der Regierungsübernahme den Amtseid geleistet haben, Schaden
vom Land abzuwenden, könnten das hier tun. Das Land
NRW investiert jährlich 500 Millionen Euro und bekommt dafür eine Wirtschaftskraft von geschätzten
3 Milliarden Euro zurück. Deshalb kann ich nicht erkennen, dass die Politik, die aktuell über die Tickermeldungen verbreitet wird, dass man nämlich doch eine schnellere Schließung von Schachtanlagen will, Schaden vom
Land NRW abwendet.
({2})
Noch wissen wir nicht, welche volkswirtschaftlichen
Belastungen auf das Land zukommen. Sie machen hier
betriebswirtschaftliche Rechnungen auf, in denen aber
die Kosten der explodierenden Arbeitslosigkeit, die ein
schneller Ausstieg automatisch hervorrufen wird, ebenso
wenig enthalten sind
({3})
wie fehlende Ausbildungsplätze, die noch ungeklärte
Haftung für Altlasten und Pensionen sowie - noch wichtiger - die Gefährdung vieler Arbeitsplätze in kleinen
und mittleren Betrieben, etwa in Betrieben der Zulieferindustrie oder der Bergbautechnologie mit Tausenden
Beschäftigten - ich kenne solche Betriebe in meinem
Wahlkreis -, die mittlerweile zu 70 Prozent von Umsätzen mit dem Ausland leben. Im Gegensatz zu dem, was
ich hier gerade gehört habe, sagen diese Unternehmen
- das weiß Herr Meyer auch ganz genau -, dass der Referenzbergbau, ein Sockelbergbau an diesem Standort
für diese Technologie unbedingt notwendig ist.
Hier geht es um zukunftsorientierte Arbeitsplätze;
denn Kohletechnologie und Energiegewinnung aus
Kohle wird es auf der Welt noch viele Jahrzehnte geben.
Und das ist eine Frage des Verbrauchs und nicht etwa der
vorhandenen Vorräte. Ob die Vorräte noch für 200 Jahre
reichen werden, hängt wesentlich vom Verbrauch, aber
auch von der übrigen Nutzung der Kohle ab. Das entscheidet doch letztendlich darüber, ob wir auch in Zukunft in dieser Exportwirtschaft führend sind und mit
dazu beitragen können, dem Klimawandel umweltfreundlich zu begegnen, auch durch Technologie aus
Deutschland und mit Arbeitsplätzen, die in Deutschland
erhalten werden und neu entstehen können.
({4})
Die Kommunalpolitiker in meinem Wahlkreis - ihre
Stellungnahmen haben wir nach der Kohlerunde am
Montag heute alle auf dem Tisch - schütteln den Kopf.
Kollege Stöckel, die Stellungnahmen können Sie jetzt
aber nicht mehr vortragen.
Das tun aber nicht nur die Bürgermeister - in Hamm
etwa ist es ein Parteikollege von Herrn Meyer -, sondern
auch die Unternehmen sagen deutlich: Wir brauchen einen Sockelbergbau.
Es ist gut, dass die Parteifreunde der SPD in NRW mit
Hannelore Kraft an der Spitze deutlich zu diesem Sockelbergbau stehen.
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.
Wir wollen, dass in einem Finanzierungsgesetz für
die Steinkohle diese Option erhalten wird. Wenn diese
Option im Finanzierungsgesetz nicht realistisch niedergelegt wird, dann sehe ich zum Beispiel keine Möglichkeit, Herr Meyer, das Donarfeld zu erschließen, wo wir
im nächsten Jahrzehnt ohne öffentliche Subventionen
Kokskohle wirtschaftlich erfolgreich werden abbauen
können.
({0})
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Meckelburg für
die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich komme aus Gelsenkirchen und weiß deshalb, wovon
ich rede, wenn ich über Bergbau, Steinkohle und Bergarbeiterfamilien spreche. Dennoch sage ich deutlich: Der
Ausstieg aus der subventionierten Steinkohle ist notwendig. Er ist nach jetzigem Plan für 2018 vorgesehen. Damit haben die verbliebenen rund 35 000 Beschäftigten
des RAG-Konzerns Sicherheit.
({0})
- Stimmt, auch im Saarland. Aber ich rede in erster Linie
über die Region, aus der ich komme.
Im Jahr 2012 soll der Ausstieg aus der Steinkohleförderung noch einmal überprüft werden. Wenn es nach mir
geht, ist das nicht unbedingt notwendig. Ich finde, wir
sollten die laufenden Gespräche nutzen, darüber nachzudenken, ob es nicht möglich ist, die Zeitschiene zu verkürzen.
({1})
Darum bitte ich die Kollegen, ohne die Gespräche erschweren zu wollen. Ich kann die Position der Kollegen
sicherlich nachvollziehen. Aber wir sollten in dieser
Frage offen miteinander umgehen. Ich jedenfalls habe
den Eindruck, dass in den Fraktionen viel mehr Punkte
mehrheitsfähig sind, als der Beifall und die jeweiligen
Gesamtpositionen vermuten lassen. Vielleicht kann man
hier ein Stück weiterkommen.
Der Ausstieg soll sozialverträglich und ohne betriebsbedingte Kündigungen erfolgen. Frau Lötzer, den früher
oft gehörten Satz „Bergleute sollen die Zeche zahlen“
hätten Sie sich sparen können. So wird es nicht sein. Für
den Übergang wird es sicherlich keine Modelle mehr geben, die zu Frühverrentung führen, sondern Modelle, mit
denen langfristig Arbeitsplätze in anderen Bereichen geschaffen werden. Da wir insbesondere im letzten Jahr
gelernt haben, welche Auswirkung die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze auf das gesamte
System der Sozialversicherung hat, muss das unser Ziel
sein.
({2})
Für diejenigen, die aus einer bergbaufernen Region
kommen, möchte ich zwei, drei Sätze zum besseren Verständnis sagen. Ich komme aus einer Stadt, in der der
Bergbau in der Vergangenheit eine große Rolle gespielt
hat, in der heute noch viele Menschen vom Bergbau leben und mit ihm verbunden sind, in der Familien über
Generationen im Bergbau tätig waren, in der der Bergbau das Leben in vielen Stadtteilen geprägt hat und in
der es mit Schalke 04 einen Fußballverein gibt, der 1904
als Knappenverein begonnen hat.
({3})
Wenn man sich diesen Verein anschaut, dann stellt man
fest, dass sich auch dort vieles verändert hat. Es sind
nicht mehr die Bergleute, die nach der Arbeit in der
Grube zum Fußball gehen. Dass sich etwas verändert
hat, haben die Menschen in meiner Region erkannt.
Auch bei uns weiß jeder, dass der subventionierte Steinkohlenbergbau auf Dauer keine Chance hat und dass ein
Sockelbergbau - zumindest aus meiner Sicht - nicht
dringend notwendig ist.
Wir sollten die Überprüfung ernst nehmen und möglicherweise die laufenden Gespräche dazu nutzen, ein
Stück weiterzukommen. Ich sage das deswegen, weil es
nach wie vor in meiner Region und insbesondere in Gelsenkirchen Enttäuschungen über solche Beschlüsse gibt.
Aber ich finde, wir sollten die nun getroffenen Beschlüsse mit Ehrlichkeit und in aller Deutlichkeit vertreten und sagen: Der Bergbau ist nicht die Zukunft des
Ruhrgebiets und des Saarlands. Wir brauchen vielmehr
Gelder für Innovationen; das ist der entscheidende Begriff. Statt Tradition und Emotion, die man mit dem
Bergbau verbindet, brauchen wir Vernunft, Emotion und
Zukunft, das heißt Innovationen und Investitionen in die
Bereiche, in denen Arbeitsplätze entstehen.
({4})
Ich möchte zwei, drei Punkte aufgreifen, die ständig
gegen die Bergbauförderung angeführt werden. Ich will
das nicht vertiefen, nur so viel: Die Bergbausubventionen sind zu teuer geworden. Zu diesem Schluss kommt
man, wenn man - wie in den letzten Tagen geschehen das auf die Tonne Kohle oder die Zahl der Mitarbeiter
umrechnet. Die Subventionen sind inzwischen so hoch,
dass die im Bergbau Beschäftigten ein auskömmliches
Leben führen könnten, wenn man ihnen die Subventionen direkt auszahlte. Das ist natürlich kein gangbares
Modell. Aber das zeigt, wie teuer das Ganze geworden
ist. Deswegen ist vielleicht jedes Jahr, das wir früher aus
der Bergbauförderung aussteigen, ein Jahr, das uns helfen wird, zu Innovationen zu kommen.
Zwei Argumente zugunsten des Bergbaus, die bislang
eine große Rolle gespielt haben, trage ich nicht mehr
mit. Das erste betrifft die Rohstoff- und Energiesicherheit. Schon heute werden 60 Prozent der Kohle importiert, Tendenz steigend. Zur heimischen Energieversorgung trägt die deutsche Kohle ohnehin nur 5 Prozent bei.
Der Anteil am Weltmarkt beträgt nur noch 0,3 bzw.
0,4 Prozent. Diese Zahlen muss man zur Kenntnis nehmen. Das Argument der Rohstoff- und Energiesicherheit
zieht also nicht mehr.
Das zweite Argument ist folgendes - das gilt auch im
Hinblick auf die Zulieferbetriebe -: Von 1996 mit
45 Millionen Tonnen hat sich die Steinkohlenförderung
bis heute mehr als halbiert.
Trotzdem haben wir eine stabile Beschäftigung. Der
Exportanteil in diesem Bereich beträgt 90 Prozent. Insofern ist das kein Argument dafür, die Subventionen auf
längere Sicht zu erhalten.
Meine Position ist völlig klar. Ich trage die Beschlüsse und wünsche, dass wir noch ein Stückchen Flexibilität hinbekommen. Ich hoffe vor allem, dass diejenigen, die sich damit in den nächsten Stunden sehr intensiv
beschäftigen müssen, uns einen Weg aufweisen, der uns
als Gesetzgeber das Leben einfach macht.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Dieter Grasedieck für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Kopp, Sie beklagten die Subventionen.
Wenn Sie sich einmal das Gutachten des IfW ansehen,
dann stellen Sie fest, dass 2004 die Subventionen in
Deutschland insgesamt rund 150 Milliarden Euro betragen haben. Die Subventionen für die Steinkohle machten
weniger als 2 Prozent aus.
Interessant war auch die Aussage von Herrn
Friedhoff. Er sprach von der Kohlefraktion. Ich bin
stolz, Mitglied einer Kohlefraktion zu sein, Herr
Friedhoff.
({0})
Wir sind trotzdem handlungsfähig, wir suchen trotzdem Lösungen. Wir haben diese Lösungen mit der CDU/
CSU gefunden. Die Gegenwart trotz unterschiedlicher
Zukunftsziele zu gestalten, das ist eine wichtige Aufgabe
der Koalition. Diese Aufgabe haben wir gelöst. Wir haben Ergebnisse vorzuweisen. Eckpunkte sind aufgeführt
worden. Wir arbeiten erfolgreich. Unsere Region, unser
Revier hat Zukunftsaussichten, hat Perspektiven: Erstens. Durch den Börsengang werden 100 000 Arbeitsplätze gesichert. Zweitens. 34 000 Kumpels fallen nicht
ins Bergfreie. Drittens. Wir erhalten die Arbeitsplätze
von 40 000 Menschen in der Zulieferindustrie. Viertens.
2012 entscheiden wir über die Zukunft unserer Kohle.
Insgesamt sind es 140 000 Arbeitsplätze, die bei der
STEAG, der Degussa, dem Bergbau und der Zulieferindustrie erhalten werden können. Es ist vorhin schon
darauf hingewiesen worden, dass die STEAG wirklich
eine hervorragende Arbeit leistet. Die Kohlekraftwerke,
die in der nächsten Zeit gebaut werden sollen, haben
Wirkungsgrade, die im Bereich von 46 bis 50 Prozent
liegen. Wenn wir die Kraft-Wärme-Koppelung hinzunehmen, so kommen wir auf 70 Prozent. Die Kraftwerke
sind ein Exportschlager. Diese Exportschlager müssen
erhalten bleiben. Das ist nur in der Kombination mit der
Kohle denkbar. Das CO2-freie Kraftwerk ist nicht nur
ein Schlagwort. Es wird umgesetzt. Es wird produziert.
Die Umwelt wird dadurch entlastet. Deshalb ist diese
Entwicklung wichtig.
Betrachten wir unsere Bergmaschinen. Sie werden
schneller, flexibler und stabiler, und es werden mehr
elektronische Geräte in sie eingebaut. Das sind Export7778
schlager „Made in Germany“. Diese haben einen großen
Stellenwert. Fast 40 Prozent der Weltproduktion dieser
Maschinen kommen aus Deutschland. Auch das muss
gesehen werden. Russen und Chinesen kaufen unsere
Technologie. Diese Technologie wird auch im Tunnelbau eingesetzt. Österreicher und Schweizer setzen unsere Bergmaschinen ein, die bei uns im Bergbau getestet
worden sind. Dieses Wissen darf nicht verloren gehen.
Deswegen brauchen wir ein Übungsfeld. Auch dafür ist
der Bergbau wichtig. Daran hängen viele Arbeitsplätze.
({1})
Man muss auch berücksichtigen, dass bei der RAG
viele junge Menschen in den verschiedensten Berufen ausgebildet werden. In unserem Revier sind das 10 000 Ausbildungsplätze, in meinem Wahlkreis 420 Ausbildungsplätze in den modernsten Berufen. IT-Kaufleute,
Industriemechaniker, Elektroniker usw. werden vom
Markt aufgesogen. Sie werden in der Kleinindustrie und
in der Großindustrie gebraucht. Es ist wichtig, dass wir
den Jugendlichen eine Chance geben. Auch deshalb ist
es entscheidend, dass wir im Bergbau weiterarbeiten
können.
Zusammenfassend sage ich: Die Entwicklung von
Spitzentechnologien und die Sicherung von Arbeits- und
Ausbildungsplätzen machen einen Sockelbergbau, so
meine ich, auch über 2018 hinaus erforderlich. Der
Sockelbergbau ist sicher ein Zukunftsziel der SPD.
Heute aber gestalten CDU/CSU und meine Partei auf der
Grundlage der ausgehandelten Eckpunkte die Gegenwart. Glück auf!
({2})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Franz
Obermeier das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Diese
Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen sind
angetreten mit dem Ziel, Subventionen abzubauen. Jetzt
hat unser Wirtschaftsminister, Michael Glos, den größten und vermutlich auch schwierigsten Brocken in die
Hand genommen. Vor wenigen Tagen kam es zu einer
weitgehenden Verständigung über den Abbau der Bergbausubventionen.
Ich verhehle nicht, dass mir der Zeitraum bis 2018
sehr lang erscheint. Aber bei genauerer Betrachtung
muss man natürlich die schon mehrfach angesprochenen
Umstände berücksichtigen, nämlich dass es sich um
Tausende von Arbeitsplätzen handelt. Wir wollen selbstverständlich eine sozialverträgliche Umstellung der Arbeitsplätze und wissen ganz genau, dass solche Dinge
Zeit brauchen. Das geht nicht so einfach - und vor allem
nicht so schnell -, wenn man den betroffenen Menschen
eine vernünftige Perspektive bieten will.
Meine Vorredner haben schon gesagt, dass es noch
eine ganze Reihe offener Fragen gibt. Ich möchte beispielsweise auf die Frage eingehen, was der Sockelbergbau eigentlich bedeutet. Zu welchem Zweck brauchen
wir den Sockelbergbau? Ist der Sockelbergbau uns als
Vertretern des Bundes diese Ausgaben wirklich wert?
Selbstverständlich sind wir als Bundesrepublik Deutschland in der Bergbautechnologie weltweit führend, und
das bindet auch einiges. Aber ich möchte an die Kollegen von der SPD doch die Frage richten, ob es denn damit tatsächlich so ernst gemeint ist, insbesondere wenn
man bedenkt, dass die RAG die DMT verkauft hat. Man
muss hinterfragen, ob das wirklich noch diesen Stellenwert hat und ob der Sockelbergbau wirklich notwendig
für die weitere Entwicklung der Bergbautechnologie ist.
Ist es wirklich notwendig, hier im Land zwei Gruben zu
unterhalten, in denen man diese Technologie weiterentwickelt?
({0})
Wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass es notwendig ist, dann stellt sich natürlich die Frage, ob es Aufgabe des Steuerzahlers ist, diese Technologie über zwei
Gruben am Leben zu erhalten. Ist das die Aufgabe der
Wirtschaft oder ist es die Aufgabe des Steuerzahlers? Sie
können sich die Antwort bei mir leicht denken: Es ist die
Aufgabe der Wirtschaft selber!
({1})
Man könnte bösartig formulieren, dass der Sockelbergbau nichts anderes als eine Verlängerung des Leidens ist.
Und daran möchte ich mich nicht beteiligen.
Mein zweiter Punkt betrifft die Frage der Ewigkeitslasten. Es soll Börsenerlöse geben und es sollen Rückstellungen von der RAG gebildet werden. Und dann
redet man darüber, dass die Summe, die dabei herauskommt, nicht dafür reicht, die Ewigkeitslasten zu finanzieren. Wenn die Ewigkeitslasten weiterhin durch den
Steuerzahler - auf Bundes- und Landesebene - getragen
werden, dann begehen wir - diese Auffassung vertrete
ich - einen schweren Fehler.
Ich habe die Hoffnung, dass die Prämissen bei der
Klärung der jetzt noch anstehenden Fragen eindeutig geregelt werden. Es kann nicht sein - dies wurde gelegentlich angesprochen -, dass diese Lasten dem Bundeshaushalt aufgebürdet werden.
Zum Abschluss noch ein Wort an die Kollegin Höhn.
Frau Höhn, während Ihrer fünfminütigen Rede hatte ich
den Eindruck, Sie hätten in den zurückliegenden Jahren
nie irgendwo Regierungsverantwortung getragen.
({2})
In Ihrer Rede haben Sie so getan, als hätten Sie noch nie
etwas zu entscheiden gehabt, weder im Land NRW noch
hier im Deutschen Bundestag. Ihre Partei führt sich auf,
als hätte sie mit sämtlichen entscheidenden Fragen noch
nie etwas zu tun gehabt. Die Wähler werden bald merken, dass Sie versuchen, sie zu verdummen.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Kollege Gerd Bollmann für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Menschen im Ruhrgebiet
({0})
kennen die Bedeutung der Steinkohle. Die Menschen im
Ruhrgebiet wissen, warum erneuerbare Energien gefördert werden müssen. Die Menschen im Ruhrgebiet wissen ganz genau, warum sie der FDP nie mehr als
3 Prozent der Stimmen geben.
({1})
- Das war falsch gerade. Entschuldigung!
({2})
Nach intensiven und kontroversen Verhandlungen
wurde ein Kompromiss zur Zukunft des deutschen Steinkohlenbergbaus geschlossen. Den Bergleuten und ihren
Familien gibt dieser Beschluss Sicherheit. Die Förderung des Steinkohlenbergbaus bis mindestens 2018 ist
verbindlich festgelegt. Es wird keine betriebsbedingten
Kündigungen für die Bergleute geben. Damit sind die
Pläne der CDU-FDP geführten NRW-Landesregierung
vom Tisch. Ein abrupter Ausstieg mit Einsparungen von
750 Millionen Euro bis 2010 auf Kosten der Bergleute
und ihrer Familien, wie er insbesondere von der FDP
propagiert wurde, hat keine Mehrheit gefunden. Es besteht weiterhin die Möglichkeit, auch über 2018 hinaus,
Kohle zu fördern.
({3})] [CDU/CSU]: Was? -
Gudrun Kopp [FDP]: Wo leben Sie?)
Ein Sockelbergbau, der die Importabhängigkeit senkt
und zukünftige Chancen offenhält, ist möglich. Die SPD
hat erreicht, dass 2012 eine neue Bewertung der Lage
vorgenommen wird: aus wirtschafts- und energiepolitischen Erwägungen genauso wie aus industrie- und forschungspolitischer Perspektive.
({4})
Eines muss allen Beteiligten klar sein: Die Optionsklausel ist keine Pro-Forma-Angelegenheit.
({5})
Die Entscheidung 2012 ist ergebnisoffen. Die Option
wird im Steinkohlegesetz festgeschrieben. Angesichts
schneller Veränderungen auf den globalen Energiemärkten ist es höchst fraglich, ob es vernünftig ist, die Zugänge zu den heimischen Kohlevorkommen endgültig zu
schließen. Heute kann niemand vorhersagen, wie die genaue Preisentwicklung bei Steinkohle, Kokskohle und
Kokskohleerzeugnissen sein wird.
Auch Umwelt- und Klimaschutzgründe werden als
Argumente für das Ende der deutschen Steinkohlenförderung herangezogen.
({6})
Ich halte das bei einigen für eine große Heuchelei. Ja, es
ist richtig, dass wir bei der Energieversorgung die Verbrennung fossiler Energieträger deutlich verringern müssen. Das Ziel einer fortschrittlichen Energiepolitik sind
der Ausstieg aus der Atomenergie und eine vollständige
Energieerzeugung aus umweltfreundlicher und schadstofffreier erneuerbarer Energie.
Aber wir reden heute weder über das Ende der Steinkohle in der Energieerzeugung noch über das Ende von
Kohlekraftwerken. Wir werden Kohle auch weiterhin
nutzen, möglicherweise allerdings keine heimische
Kohle, sondern Importkohle. Ökologisch ist es irrelevant, ob wir Steinkohle aus dem Ruhrgebiet oder aus
Südafrika verwerten.
({7})
Zur Energiesicherheit noch einige Anmerkungen: Einige bedeutende kohleliefernde Länder gelten als Risikoländer. Kohleimporte über große Strecken, zum Teil
um den halben Globus, tragen ein hohes Transportkostenrisiko. Geopolitische Risiken gewinnen auch auf dem
Kohleweltmarkt an Gewicht. Politische Konflikte, Krisen oder gar Kriege machen auch vor dem internationalen Kohlehandel nicht halt. Das darf nicht vernachlässigt
werden. China, die USA, Russland und Indien kontrollieren fast 75 Prozent der Weltproduktion und
65 Prozent der Kohlevorräte. Sie haben bei der Kohle
auf Dauer eine große Verfügungsmacht. Nur der Zugriff
auf eigene Reserven erhält ein Stück Unabhängigkeit
aufrecht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will keinen
Hehl daraus machen, dass ich mir eine Lösung gewünscht hätte, die bereits heute die Festschreibung eines
Sockelbergbaus vorgesehen hätte. Die hierfür vorgesehenen Subventionen wären gut angelegtes Geld. Selbst
die Zeitschrift - jetzt hören auch Sie von der FDP bitte
gut zu - „Der NRW-Mittelstand“ vom Bundesverband
mittelständische Wirtschaft, Ausgabe November/Dezember 2006, schreibt:
Die Kohlebeihilfen für NRW sind kein „Geschenk“. Die Beihilfen fließen eins zu eins über
Aufträge des Bergbaus in mittelständische Zulieferbetriebe zurück.
({8})
Der Staat zahlt hier nicht drauf, sondern betreibt
Mittelstandsförderung. Davon profitieren steuerzahlende Firmen mit weltweit nachgefragtem
Know-How und damit wiederum auch der Staat.
Teuer für die öffentliche Hand wird es dagegen,
wenn der Bergbau dicht gemacht ist und die Arbeitslosigkeit im Revier auf neue Rekordhöhen
klettert. Unternehmen stärken sieht anders aus.
Aber, meine Kolleginnen und Kollegen, auch ein klares und deutliches Wort an die Adresse der Betreiber von
Kohlekraftwerken: Die Kohle als Brücke ins solare Zeitalter - egal ob heimische Kohle oder Importkohle genutzt wird - hat nach 2012 nur eine Chance, wenn ihr
Einsatz auf dem höchsten Stand der Technik geschieht.
Der Einsatz aller Formen der Kraft-Wärme-Kopplung
muss weiter vorangebracht werden. Auf Zeit spielen ist
nicht mehr möglich.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, alles in allem hat es
sich gelohnt: Die Bergleute haben eine Perspektive, die
RAG bleibt als leistungsfähiger Konzern erhalten, und
die Chance, heimische Steinkohle als Energieträger zu
nutzen, bleibt gewahrt.
Ich danke für die Aufmerksamkeit. Glück auf!
({10})
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Wir sind am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
({0})
- Offensichtlich gibt es noch großen Diskussionsbedarf.
Doch die Diskussion muss nun außerhalb der Sitzung
fortgesetzt werden.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 1. Februar 2007,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.