Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich und wünsche uns einen guten Tag und noch
möglichst viele gute Tage im gerade begonnenen neuen
Jahr.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich einige Mitteilungen zu machen. Die Kollegen Hans Eichel und
Bernd Neumann feierten am 24. Dezember beziehungsweise am 6. Januar ihren 65. Geburtstag und der Kollege
Johann-Henrich Krummacher feierte am 27. Dezember
seinen 60. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich
zu diesen runden Geburtstagen herzlich und wünsche alles Gute.
({0})
Ich gebe bekannt, dass der Kollege Henry Nitzsche
am 15. Dezember 2006 aus der Fraktion der CDU/CSU
ausgeschieden ist und dem Deutschen Bundestag künftig
als fraktionsloser Abgeordneter angehören wird.
Die Fraktion der SPD schlägt vor, die Kollegin Ulla
Burchardt für eine weitere Amtszeit als Mitglied des
Kuratoriums des Wissenschaftszentrums Berlin für
Sozialforschung zu benennen. Sind Sie damit einverstanden? ({1})
Das sieht so aus. Der Tag beginnt mit einem bemerkenswerten Maß an Harmonie; mal sehen, wie lange das hält.
Damit ist die Kollegin Ulla Burchardt für das Kuratorium des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung benannt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD:
Bewertung der anhaltend dynamischen Investitionstätigkeit deutscher Unternehmen und der kräftigen Belebung
der Binnennachfrage bei andauernd hohen Wachstumsraten im Außenhandel ({2})
ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Cornelia Pieper, Uwe Barth, Miriam Gruß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Voraussetzungen für Entwicklung, Bau und Betrieb einer
Europäischen Spallations-Neutronenquelle in Deutschland schaffen - Deutsche Bewerbung vorantreiben
- Drucksachen 16/386, 16/2738 Berichterstattung:
Abgeordnete Axel E. Fischer ({4})
Cornelia Pieper
Krista Sager
ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({5})
Beratung der Unterrichtung durch die deutsche Delegation
des Deutschen Bundestages zur Euromediterranen Parlamentarischen Versammlung
Gründungsversammlung der Euromediterranen Parlamentarischen Versammlung am 22./23. März 2004 in
Athen, Griechenland
- Drucksache 15/3414 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der
Europäischen Union ({6})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN:
Unterschiedliche Auffassungen in der Bundesregierung zu
einer klimaverträglichen Energieversorgung ohne Atomkraft
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun Bluhm,
Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der LINKEN
Neue Steuervergünstigungen und Gewinnverlagerungen
in das Ausland verhindern - REITs in Deutschland nicht
einführen
- Drucksache 16/4046 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({7})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Lötzer, Sabine
Zimmermann, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der LINKEN
Vollständige Öffnung der Postmärkte stoppen - Universaldienstverpflichtung absichern
- Drucksache 16/4044 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({8})
Finanzausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Knoche,
Dr. Norman Paech, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Keine Tornado-Aufklärungsflugzeuge in Afghanistan einsetzen
- Drucksache 16/4047 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({9})
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Die Tagesordnungspunkte 11, 23, 24 und 28 d werden
abgesetzt. In der Folge werden die Tagesordnungspunkte 12 und 13, 14 und 15, 16 und 17 sowie 18 und 19 jeweils getauscht.
Schließlich mache ich auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 73. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({10}) zur Mitberatung überwiesen werden.
Antrag der Abgeordneten Markus Löning,
Christian Ahrendt, Michael Link ({11}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Mehr Ehrgeiz für die deutsche Ratspräsidentschaft - eine EU der Erfolge für die Bürger
- Drucksache 16/3832 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der
Europäischen Union ({12})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Dann rufe ich nun den Tagesordnungspunkt 4 sowie
den Zusatzpunkt 2 auf:
4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({13})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Carsten
Müller ({14}), Ilse Aigner, Michael
Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René Röspel, Jörg Tauss, Nicolette
Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Innovationen für Deutschland durch das
Siebte Forschungsrahmenprogramm der
Europäischen Union
- zu dem Antrag der Abgeordneten Krista
Sager, Hans-Josef Fell, Kai Gehring, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Zukunftsfähige Forschung in Europa stärken
- Drucksachen 16/1547, 16/710, 16/2891 Berichterstattung:
Abgeordnete Carsten Müller ({15})
Cornelia Pieper
Krista Sager
ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({16})
zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Uwe Barth, Miriam Gruß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Voraussetzungen für Entwicklung, Bau und
Betrieb einer Europäischen Spallations-Neutronenquelle in Deutschland schaffen - Deutsche Bewerbung vorantreiben
- Drucksachen 16/386, 16/2738 Berichterstattung:
Abgeordnete Axel E. Fischer ({17})
Cornelia Pieper
Krista Sager
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Bundesministerin Dr. Annette Schavan.
({18})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Europa beBundesministerin Dr. Annette Schavan
sinnt sich auf seine Stärken in Wissenschaft und Forschung. Dafür steht das 7. Forschungsrahmenprogramm,
das Kommissar Potocnik und ich in dieser Woche in
Bonn vorgestellt haben. Es ist die zentrale Plattform für
die wichtigsten Forschungsthemen. Es bündelt die europäischen Forschungsanstrengungen. Es ist gelungen, mit
einer Laufzeit von sieben Jahren und einem Gesamtbudget von rund 54 Milliarden Euro das weltweit größte
Forschungsrahmenprogramm auf den Weg zu bringen.
In Erinnerung zu rufen ist: Dieser Etat liegt 60 Prozent
über dem des 6. Forschungsrahmenprogramms.
({0})
Ich will in vier Punkten skizzieren, wie die Weichen
für die europäische Forschung mit diesem Forschungsrahmenprogramm neu gestellt wurden:
Erstens deutlicher Bürokratieabbau. Die Förderverfahren sind vereinfacht. Das senkt den Verwaltungsaufwand für die Forschenden. Die förderrechtlichen Vorgaben sind nun transparent und eindeutig. Wir reduzieren
den administrativen Aufwand; das heißt weniger Formulare, weniger Bescheinigungen, weniger Bürgschaften.
Vor allem aber starten wir mit dem neuen Programm ein
einheitliches Kostenerstattungssystem. Alle Forschungseinrichtungen können ihre kompletten Kosten auf der
Grundlage eines transparenten und national angepassten
Kriterienkatalogs ansetzen. 60 Prozent der Kosten können pauschal erstattet werden. Das bedeutet über die eigentliche Projektförderung hinaus eine Stärkung der Institute der Hochschulen. Es handelt sich um ein
zweistufiges Antragsverfahren, das günstigere Teilnahmebedingungen für die Wirtschaft bewirkt. Denn es ist
dringend notwendig - das habe ich schon am Montag gesagt -, dass die Unternehmen in Europa noch stärker in
die Förderung von Forschung und Entwicklung einsteigen.
Zweitens thematische Kontinuität und Innovation.
Wir haben beim Vorläuferprogramm gelernt, dass die
deutschen Unternehmen und die deutsche Wissenschaft
dann besonders erfolgreich sind, wenn nationale und europäische Forschungsförderstrukturen gemeinsam wirken. So soll es auch beim 7.Forschungsrahmenprogramm sein. Zentrale Themen sind Energie, Gesundheit,
Umwelt und Klimawandel, Ernährung, Landwirtschaft
und Biotechnologie, Nanowissenschaft und Nanotechnologie, Material- und Produktionstechnologien, Transport, Sicherheit und Weltraum sowie, verbunden mit
einer starken Strategie, die Informations- und Kommunikationstechnologien.
Für die Entwicklung in den nächsten Jahren ist bedeutsam, dass die thematischen Schwerpunkte im
7. Forschungsrahmenprogramm und in unserer Hightechstrategie übereinstimmen und miteinander korrespondieren. Das ergibt für europäische Kooperationen
gute Möglichkeiten.
Zu den Innovationen, die gefördert werden, zählt erstmals die Sicherheitsforschung mit einem Fokus auf innere Sicherheit. Erstmals finden auch die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften als eigener Schwerpunkt
eine angemessene Berücksichtigung. Das passt sehr gut
zusammen mit unserem Jahr der Geisteswissenschaften.
({1})
Umsetzung von Forschungsergebnissen in die Anwendung ist nicht nur unser Thema, sondern auch ein
europäisches Thema. Auch das Forschungsrahmenprogramm enthält diesen Punkt. Die Fragen von Technologietransfer und Ergebnisverwertung werden schon bei
der Projektauswahl eine wichtige Rolle spielen.
Drittens die Grundlagenforschung. Sie ist ein wirklich neues Kapitel der europäischen Forschungsförderung. Der Europäische Forschungsrat, der in den nächsten Wochen seine Arbeit aufnehmen wird, gehört mit
dazu. Es ist ein zweiter wichtiger Impuls. Europäischer
Forschungsrat bedeutet nach dem Vorbild der Deutschen
Forschungsgemeinschaft: unabhängige und souveräne
Wissenschaft in Europa, Stärkung einer europäischen
Strategie der Grundlagenforschung. Jeder kennt die forschungspolitische Philosophie: Starke Grundlagenforschung und langfristig angelegte Strategien in der
Grundlagenforschung sind die Voraussetzungen für angewandte Forschung, für die Umsetzung der Forschungsergebnisse und für die Innovationskraft in Europa.
Ich kann nur sagen: Wir können diese Veränderung
nicht hoch genug einschätzen. Das ist im Vergleich zur
bisherigen Forschungspolitik eine wirklich neue Philosophie. Deutschland war hier prägend tätig. Das wird
nicht zuletzt daran deutlich, dass der bisherige Präsident
der Deutschen Forschungsgemeinschaft der erste Generalsekretär des Europäischen Forschungsrates ist. Hierin
liegt eine große Chance.
({2})
Viertens Nachwuchsförderung. Wir haben es an verschiedenen Stellen und in verschiedenen Debatten schon
gesagt: Der weltweite Innovationswettbewerb wird als
Wettbewerb um Talente entschieden. Wir wissen, dass es
in Europa einen enormen Nachholbedarf gibt. Nach
Analysen aus den vergangenen Jahren fehlen in Europa
zwischen 500 000 und 700 000 Forscherinnen und Forscher. Das heißt, Ziel aller Instrumente, die wir im Bereich der europäischen Forschungspolitik in Gang setzen, muss immer die stärkere Einbeziehung der jungen
Forscherinnen und Forscher sein. Der wissenschaftliche
Nachwuchs ist das Rückgrat der Forschung.
Auf meinen Vorschlag hin hat sich der Europäische
Forschungsrat dazu entschlossen, gerade in der ersten
Phase der Förderung exzellenter Teams von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern
eine hohe Priorität einzuräumen. Dafür stehen rund
380 Millionen Euro zur Verfügung. Auch das ist ein
ganz wichtiger Akzent im Hinblick auf eine weitsichtige
europäische Forschungspolitik.
({3})
Dass es mehr junge Leute gibt, die sich für Forschung
und Wissenschaft interessieren, setzt voraus, die Rahmenbedingungen für Forschungskarrieren in ganz Europa attraktiv zu gestalten, damit wir im Wettlauf der
Besten und um die Besten mithalten. Der Erfindungsund Pioniergeist junger Forscherinnen und Forscher darf
nicht durch überkommene Regularien erstickt werden.
Junge Wissenschaftler brauchen Freiräume, in denen sie
ihre Talente selbstständig entfalten können. Das 7. Forschungsrahmenprogramm wird uns zum Beispiel mit
den Marie-Curie-Maßnahmen für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf den richtigen Weg bringen.
Ich bin davon überzeugt: Das 7. Forschungsrahmenprogramm wird die nationalen Innovationsstrategien
deutlich unterstützen. Deutschland wird davon profitieren. Wir sind schon heute an 80 Prozent EU-geförderter
Forschungsvorhaben beteiligt. Die Zusammenarbeit
zwischen Wissenschaft und Wirtschaft wird gefördert
werden. Wir werden zu einer neuen Vernetzung der Spitzencluster in Europa kommen und damit das erreichen,
was wir dringend erreichen müssen: die wissenschaftlichen Ressourcen in Europa besser zu nutzen, die europäische Forschungsinfrastruktur weiter aus- und aufzubauen sowie die Kräfte der Europäischen Union im
Bereich Forschung und Innovation zu stärken.
Ich will an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, dass
das zwar wichtige Schritte sind, aber weitere folgen
müssen. Das Lissabonziel wird nicht automatisch erreicht; das muss in der Europäischen Union klar gesagt
werden. Dieses Ziel ist nur erreichbar, wenn die Erhöhung staatlicher Mittel mit erheblichen Steigerungen der
Finanzinvestitionen für Forschung und Entwicklung seitens der Unternehmen in den Mitgliedsländern der Europäischen Union verbunden ist.
({4})
Schon am Montag habe ich gesagt: Im Hinblick auf Investitionen der Unternehmen besteht zwischen den USA
und Europa eine Differenz von 480 Milliarden Euro. Es
muss in den nächsten Jahren aufseiten der Unternehmen
einen deutlichen Schub geben, um die Ziele und die Vorlage, die wir in Form von staatlichen Investitionen geleistet haben, tatsächlich zum Erfolg zu führen.
Das 7. Forschungsrahmenprogramm für Europa - es
ist das weltweit größte - bildet die Grundlage für künftigen Wohlstand in Europa. Es ist ein Instrument der
Zukunftssicherung. Es ist ein Instrument, das aufgrund
der erheblichen Möglichkeiten, die damit verbunden
sind, als Quelle für europäische Innovationskraft und
Zukunftsfähigkeit und damit auch als ein, wie ich finde,
überzeugender Beitrag zur Generationengerechtigkeit in
Europa genutzt werden kann.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort erhält nun die Kollegin Cornelia Pieper für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Frau Ministerin, Deutschland hat die EU-Ratspräsidentschaft angetreten und wird - da bin ich mir sicher - gerade auf dem Gebiet der Forschung und Technologie
deutliche Zeichen setzen müssen und wollen. Denn es
geht darum, den stotternden Motor des Lissabonprozesses endlich rundlaufen zu lassen. Wir wollen, dass sich
Europa zum Zentrum eines auf Forschung, Entwicklung
und Technologie basierenden Weltwirtschaftsraums entwickelt. Dabei darf man, glaube ich, nicht außer Acht
lassen, dass Deutschland nach wie vor die treibende
Kraft bei der Entwicklung des Innovationsmotors im europäischen Wirtschaftsraum bleiben wird.
Es macht uns als Liberale auch stolz, dass wir nach
dem Vorbild der Deutschen Forschungsgemeinschaft auf
europäischer Ebene den Europäischen Forschungsrat
gegründet haben, dem Professor Winnacker, der auch in
der deutschen Forschungslandschaft große Leistungen
vollbracht hat, als Generalsekretär vorsteht. Wir setzen
auf seine wissenschaftliche Exzellenz und auf den
wissenschaftlichen Beitrag der Nobelpreisträgerin
Christiane Nüsslein-Volhard und des Physikchemikers
Hans-Joachim Freund, die auch in dem Rat mitarbeiten.
Das ist ein gutes Zeichen, nicht nur für Deutschland und
Europa.
({0})
In der Tat ist das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm
mit seinen rund 54 Milliarden Euro bemerkenswert, womit auch ein Beitrag geleistet werden soll, um die EUForschungsausgaben von 2 Prozent auf 3 Prozent zu
steigern. Wir müssen uns aber angesichts des globalen
Wettbewerbs fragen, ob wir nicht nur in Europa, sondern
auch in Deutschland den Zug auf das richtige Gleis gesetzt haben und ein ausreichend schnelles Tempo fahren.
Dass die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie für Bildung in Europa allein 5 Prozent des Gesamthaushalts ausmachen und fast die Hälfte des EU-Haushalts immer noch in die Landwirtschaft fließt, ist auch
auf europäischer Ebene für uns Liberale immer noch
nicht die richtige Prioritätensetzung.
({1})
Der Forschungskommissar Potocnik - Frau Schavan
hat es bereits erwähnt - hatte für das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm mehr Forschungsinvestitionen gefordert. Das ist leider vereitelt worden. Die Prognosen sagen voraus, dass es angesichts des jetzt eingestellten
Betrages in Höhe von 54 Milliarden Euro schwer sein
wird, das 3-Prozent-Ziel zu erreichen.
Die Kritiker mahnen zu Recht, dass die Ausgaben für
Forschung nicht ausreichen werden, um zum einen den
Rückstand zur US-amerikanischen Forschung aufzuholen und zum anderen auch den Wettlauf mit den an die
Spitze strebenden asiatischen Staaten zu gewinnen. Japan gibt jetzt schon rund 3,2 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Forschung und Entwicklung aus, die USA
fast 3 Prozent. Das zeigt doch nur eines: Wir brauchen
mehr Tempo.
Hinzu kommt, dass die Aufholjagd mancher Länder
ungeheure Ausmaße angenommen hat. Denken Sie an
Indien und China! Indien gehört heute zu den Top Ten
der Weltrangliste. China hat dem Rest der Welt mit einem großangelegten Technologieprogramm den Kampf
angesagt. Angesichts dieser Tatsache finde ich es eigenartig, dass die Bundesregierung China immer noch als
Entwicklungsland betrachtet und jährlich mit
300 Millionen Euro Entwicklungshilfe fördert.
({2})
Deutschland muss sich zwar als Innovationsmotor für
die europäische Forschungsentwicklung mit Blick auf
die Zukunft orientieren, aber es hat sich noch nicht darauf eingestellt. Während sich Asien und Südamerika im
Transrapid auf der Überholspur bewegen, sitzen wir in
Deutschland immer noch im Schlafwagenabteil.
({3})
Allein dass die neue Spitzentechnologie des Transrapid zwar in Deutschland erfunden worden ist, er aber bis
heute nicht hier gebaut wird, trägt eine gewisse Symbolik. Denn Forschungspolitik wird nicht dadurch glaubwürdiger, dass Erfindungen mit deutschen Steuergeldern
im Ausland gebaut werden und abwandern. Das kann
nicht das Ziel sein. Die Bundesregierung hat die Aufgabe, diesen Prozess zu stoppen.
Überhaupt müssen wir lernen, vor unserer eigenen
Haustür zu kehren und unsere Chancen besser zu nutzen.
Das fängt mit dem 3-Prozent-Ziel an. Es ist in der Tat
mutig und richtig, dass die Bundesregierung bis 2010
3 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Forschung und
Entwicklung ausgeben will und 6 Milliarden Euro zusätzlich in den Haushalt eingestellt hat. Doch die Autoren des Berichts zur technologischen Leistungsfähigkeit rechnen damit, dass allein die öffentliche Hand ihre
jährlichen Ausgaben bis zum Jahr 2010 um
6 Milliarden Euro steigern müsste, um das 3-ProzentZiel zu erreichen.
({4})
Aber allein die Tatsache, dass die Bundesregierung bereits in diesem Haushaltsjahr wieder 260 Millionen Euro
mehr für die Steinkohlesubventionen ausgibt, zeigt, dass
sie die Prioritätensetzung zugunsten von Forschung und
Entwicklung noch längst nicht begriffen hat.
({5})
Somit wird die Vergangenheit subventioniert, aber nicht
in die Zukunft investiert.
Frau Ministerin, Sie haben gesagt, wir bräuchten
mehr Investitionen in Bildung und Forschung durch die
Bundesländer und das Engagement der Wirtschaft. Aber
sieben Bundesländer werden trotz des Paktes für Forschung ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung
in diesem Jahr nicht steigern. Das ist im Hinblick auf das
Erreichen des 3-Prozent-Ziels nicht hilfreich.
({6})
Frau Ministerin, Sie erheben den Anspruch, dass
Deutschland der Innovationsmotor in Europa ist. Die
Bundeskanzlerin fordert, mehr Freiheit zu wagen. Ob
wir diese Rolle in Europa spielen werden, hängt davon
ab, ob der Innovationsmotor in Deutschland wie geschmiert läuft. Wenn man aber genau hinschaut, dann
stellt man fest, dass er stottert.
Erstens. Es zeigt sich, dass sich die Große Koalition
schwer damit tut, die bestehenden Konfliktpotenziale bei
der Roten und der Grünen Biotechnologie sowie bei der
kerntechnischen Sicherheits- und Endlagerforschung
aufzuheben und einer Lösung zuzuführen.
Zweitens. In den Haushaltsberatungen setzten sich die
Gegner der von Forschungsministerin Schavan angekündigten Kernfusionsforschung durch und sperrten kurzerhand wichtige Forschungsmittel.
Drittens. In ihrer Regierungserklärung hob Frau Bundeskanzlerin Merkel auf die Freiheit der Entwicklungsmöglichkeiten bei der Nano-, der Bio- und der Informationstechnologie ab. Doch noch stehen die Signale des
Aufbruchs allein für die sogenannte Grüne Biotechnologie auf Rot. Das ist an der ablehnenden Haltung gegenüber Freisetzungsversuchen und der zögerlichen Haltung
gegenüber der Novellierung des Gentechnikgesetzes zu
erkennen. Forschung im Labor vorantreiben zu wollen,
bedeutet aber, Freisetzungsversuche nicht abzulehnen.
Das ist innovationshemmend. Das wollen wir Liberale
nicht.
({7})
Viertens. Auf dem Gebiet der Roten Biotechnologie
wurde von der Bundeskanzlerin die Novellierung des
Stammzellgesetzes angekündigt. Doch schon die zuständige Forschungsministerin Schavan eröffnet das
Sperrfeuer gegen die Aufhebung der Stichtagsregelung.
Wir Liberale fordern seit langem eine solche Aufhebung.
Frau Ministerin, ich fordere Sie auf: Beenden Sie den
jämmerlichen Zustand im deutschen Recht! Dass deutsche Stammzellforscher, selbst wenn sie mit anderen europäischen Forscherteams zusammenarbeiten, strafrechtlich verfolgt werden können, hat nichts mit
Forschungsfreiheit zu tun.
({8})
Es ist ebenfalls scheinheilig, dass mit deutschen Steuergeldern und deutscher Zustimmung im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm EU-Projekte zur Stammzellforschung gefördert werden. Dazu wollen wir von der
Bundesregierung eine klare Aussage. Wohin soll der Zug
fahren? Wie soll der Innovationsmotor laufen?
({9})
Deutschland braucht in Europa und im globalen Wettbewerb um die besten Köpfe und um Spitzentechnologie
nicht nur eine Hightechstrategie bis 2009, sondern auch
eine zwischen Bund und Ländern abgestimmte nationale
Forschungsstrategie. Vor allem müssen wir einen nationalen Führungsanspruch erheben. Deutschland muss
als Hightechstandort seine Kräfte darauf konzentrieren,
die energiewirtschaftliche Technologieführerschaft zu
übernehmen und zu behaupten, insbesondere was die
Steigerung der Energieeffizienz, aber auch was die Technologien klimaneutraler Energiegewinnung durch Biomasse und Geothermie sowie Windenergiegewinnung
auf See oder modernste Abscheide- und Einlagerungstechnologien bei den Treibhausgasen anbelangt. Wir
müssen unsere Anstrengungen vergrößern. Wir dürfen
- im Gegensatz zur Planung der Bundesregierung - unseren technologischen Vorsprung bei der Sicherheit von
Kernkraftanlagen und der Entsorgung nicht einbüßen.
({10})
Mit einem Wort: Deutschland braucht eine mutige Innovationspolitik, die zukunftsorientiert und ideologiefrei
ist. Das können wir aber bei der Großen Koalition, genauso wenig wie zuvor bei Rot-Grün, nicht erkennen.
Deswegen fordere ich Sie auf, Frau Ministerin: Haben
Sie mehr Mut und wagen Sie mehr Freiheit! Das ist gut
für Deutschland und für Europa. Wir alle gewinnen dabei. Auf diesem Weg werden wir Ihnen gerne helfen.
Vielen Dank.
({11})
Der Kollege René Röspel ist der nächste Redner für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Pieper, Sie haben die Rede von vor fünf
Monaten noch einmal gehalten.
({0})
Deswegen will ich gar nicht weiter darauf eingehen, bis
auf zwei Punkte vielleicht. Darüber, dass Sie bei der
Stammzellenforschung falsch liegen, werden wir morgen in aller Breite debattieren. Dann werden wir die Diskussion führen und die Argumente austauschen. Was die
Entwicklungshilfe für China anbelangt, will ich nur eine
Bemerkung machen: Aus meiner Sicht tobt der Kapitalismus nirgends schlimmer als im kommunistischen
China.
({1})
Wenn es dort Menschen gibt, die in bitterer Armut leben
und denen deutsche Entwicklungspolitik mit konkreten
Projekten helfen kann, dann sind die 300 Millionen Euro
gut angelegtes Geld, auch für die Beziehungen in der
Welt.
({2})
Europa ist klüger, als viele Menschen denken. Das erlebt man in den täglichen Debatten. Aber Europa kann
noch klüger werden. Vor allem muss Europa noch klüger
werden. Deshalb hat sich der Europäische Rat in Lissabon im März 2000 ein strategisches Ziel für dieses Jahrzehnt gesetzt. Er schreibt, Europa solle zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten
Wirtschaftsraum der Welt werden. Seit 17 Tagen ist die
Europäische Union ein Stück weiter und auf einem guten
Weg; denn seit 17 Tagen ist das 7. Forschungsrahmenprogramm in Kraft. Über 50 Milliarden Euro werden in
den Jahren 2007 bis 2013 zur Verfügung gestellt, um die
EU zum weltweit führenden Forschungsraum zu machen. Das Geld wird in viele sinnvolle Bereiche investiert.
Allein 6 Milliarden Euro gehen in ein Gesundheitsforschungsprogramm, das dazu dienen soll, die Gesundheit der Bürger in unserem Europa zu verbessern.
Klinische Forschungen über Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Infektionskrankheiten und auch über bisher
vernachlässigte Krankheiten, die häufig in der Dritten
Welt eine Rolle spielen, sollen stärker unterstützt werden. Besonderes Augenmerk im Rahmen der Gesundheitsforschung wird auf Kindergesundheit und auf Altersforschung gelegt.
2,3 Milliarden Euro stehen für Energieforschung zur
Verfügung. Da ist das Ziel nicht die Steigerung, sondern
die Minderung des Energieverbrauchs, also mehr Energie sparen. Darauf wird mein Kollege Dieter Grasedieck
gleich sehr ausführlich eingehen. 1,8 Milliarden Euro
werden in Umweltforschung investiert, zum Beispiel
für Umwelt und Gesundheit, für die Erhaltung der biologischen Vielfalt, aber auch für Klimaforschung. Wie
wichtig das ist, hat uns das Wetter in den letzten Wochen
ahnen lassen, und das werden wir vielleicht auch im
Laufe des heutigen Tages merken.
({3})
Sinnvoll ist deswegen auch, dass die Europäische Union
mit diesem Rahmenprogramm 4,2 Milliarden Euro für
Verkehrsforschung investieren wird; denn 25 Prozent,
also ein Viertel aller Kohlendioxidemissionen, die für
den Treibhauseffekt verantwortlich sind, kommen aus
dem Verkehr. Da müssen wir in Europa sehr viel besser
werden.
({4})
1,3 Milliarden Euro werden für ein Sicherheitsforschungsprogramm ausgegeben. Hier sollen neue Techniken entwickelt werden, um die EU und deren Bürger
gegen Bedrohungen wie Terrorismus, Naturkatastrophen
und Kriminalität zu schützen. Auch wenn - siehe ganz
aktuell Spanien und ETA - die Gefahr der terroristischen
Bedrohung in Europa vorhanden ist und zweifelsohne
nicht wegdiskutiert werden kann, so haben wir doch einige Probleme mit der Intention und mit der Ausführung
des Programms. Wenn man glaubt, Menschen fühlten
sich in erster Linie durch Terrorismus bedroht, dann
greift das zu kurz.
({5})
Wenn man beispielsweise die Schüler der GeschwisterScholl-Schule in Emsdetten fragen würde, wovon sie
sich aktuell bedroht fühlten, dann würde man sicherlich
eine andere Antwort erhalten als die, die der Hausbesitzer in Königstein an der Elbe geben würde, dessen
Haus 2002 beim Elbhochwasser zerstört worden ist.
Hinsichtlich des Sicherheitsbedürfnisses - ich schaue die
Kollegin Arndt-Brauer an - der Ochtruper im Münsterland sind sicherlich die Erinnerung an den letzten Winter
und die Erfahrung zu berücksichtigen, mehrere Tage
ohne Strom auskommen zu müssen, weil die Strommasten der Schneelast nicht haben standhalten können. Auch
das ist eine Frage von Sicherheit und Sicherheitsempfinden. Deshalb ist es richtig, dass wir im Koalitionsantrag
Wert darauf legen, dass die Gefahren und Risiken untersucht werden, denen die Menschen tatsächlich und in ihrem alltäglichen Umfeld ausgesetzt sind.
({6})
Sicherheitsforschung muss die Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen.
Wir legen ausdrücklich auch Wert darauf, dass auf europäischer Ebene und durch deutsche Programme keine
Forschung unterstützt wird, die unmittelbar auf militärische Zwecke ausgerichtet ist.
({7})
Mit dem 7. Forschungsrahmenprogramm wird - Frau
Ministerin hat das schon erwähnt - ein neuer Schritt gegangen: Der Europäische Forschungsrat wird eingerichtet; Forscher aller Fachrichtungen können Projektmittel beantragen; insgesamt 7,4 Milliarden Euro stehen
zur Verfügung. Einziges Kriterium für die Vergabe der
Mittel ist die Exzellenz der beantragten Arbeit. Wir wünschen in diesem Sinne dem Gründungsgeneralsekretär
und ehemaligen Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor Winnacker, viel Glück und Erfolg. Das ist ein guter Schritt, den Europa damit tut.
({8})
Europäischer Forschungsrat bedeutet: freie Fahrt für
exzellente Forschung, aber im Rahmen der Leitplanken,
die von der Gesellschaft durch Werte und Gesetz vorgegeben werden! Von dieser Stelle darf ich an die EU einmal die dringende Aufforderung richten, etwas mehr
Sensibilität bei gesellschaftlich umstrittenen Fragen, die
in den Mitgliedstaaten sehr differenziert diskutiert werden, an den Tag zu legen.
Von diesem 50-Milliarden-Euro-Programm werden
nicht nur die Wirtschaft, die Forschung und die Lehre
profitieren; es ist gleichzeitig ein gewaltiges Investitionsprogramm, von dem auch die Wirtschaft profitieren wird. Aber halt: Nur nehmen gilt auch nicht. Frau
Ministerin Schavan hat in den letzten Tagen und auch in
der heutigen Debatte ausdrücklich und mit Recht darauf
hingewiesen, dass sie von den Unternehmen mehr und
stärkere Investitionen in Forschung und Entwicklung
und in Ausbildung verlangen muss und kann.
({9})
Ausbildung und Forschung sind nicht nur Aufgaben der
öffentlichen Hand, sie sind nicht nur im Interesse der
Wirtschaft, sondern eigentlich deren Handlungsbasis.
({10})
Zu Beginn meiner Rede habe ich das Lissabonziel zitiert; danach soll Europa zum wettbewerbsfähigsten
Wirtschaftsraum der Welt gemacht werden. Mit diesem
Programm geht es aber nicht nur darum, Platz eins in der
Welt zu erobern, sondern auch darum, Europa nach innen zu entwickeln und zu stabilisieren. Wenn wir es mit
diesem Programm schaffen, den jungen Menschen, die
oben auf den Besuchertribünen sitzen, in einem zusammenwachsenden und stabilen Europa eine Perspektive
zu geben, eine gute Ausbildung zu ermöglichen, bei ihnen vielleicht das Interesse zu wecken, Ingenieur oder
Forscher zu werden - Wissenschaft macht nämlich ungeheuer Spaß -, und später eine gesunde Umwelt und
ein stabiles Europa vorzufinden, dann haben wir ein
wichtiges Ziel erreicht und dann wäre ich sogar zufrieden, wenn wir nur Platz zwei in der Welt erobern.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort erhält nun die Kollegin Petra Sitte für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden
über das neue EU-Forschungsrahmenprogramm ganz zu
Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Ich bin
schon der Auffassung, dass man beides nicht voneinander trennen kann, dass man auch in diesem Kontext
EU-Forschungspolitik diskutieren muss. Deshalb muss
man eben auch etwas zu dieser Ratspräsidentschaft sagen, die natürlich eine gewichtige Aufgabe ist - für jedes
Land.
Sie wissen genauso gut wie ich, dass diese Ratspräsidentschaft für Deutschland eine ganz besondere Herausforderung ist, und zwar nicht, weil Deutschland vor kurzem die Ratspräsidentschaft übernommen hat, sondern
weil die Europäische Gemeinschaft selbst in einer Krise
steckt. Das manifestiert sich nicht nur im Scheitern des
Verfassungsvertrages. Seine Ablehnung durch Volksabstimmungen, die Unterbrechung des Ratifikationsprozesses in vielen Mitgliedstaaten erfordern zwangsläufig
einen Neuansatz und eine Diskussion über Ziele und Inhalte der europäischen Verfassung. Das hat auch mit europäischer Forschungspolitik zu tun.
Ich befürchte allerdings, dass Krisenmanager es nicht
im Sinn haben, die Ablehnungsgründe stärker zu thematisieren. Offensichtlich scheint auch die Bundesregierung diesen Kurs zu tolerieren; denn, wie angekündigt,
wird jetzt eine Diplomatie der kleinen Gesprächskreise
begonnen. Dabei werden - so ist zu befürchten - Kriti7552
ken weichgezeichnet, Abstraktionsebenen erhöht, um
letztlich vielleicht doch noch zu Kompromissen zu kommen. Diese Verschleierung darf die Bundesregierung
während ihrer Ratspräsidentschaft eben nicht zulassen.
Sie muss dem aktiv begegnen. Das ist ihre Verantwortung innerhalb dieses Prozesses.
({0})
Sie werden der EU-Verfassung nur dann neue Impulse geben können, wenn Sie vertrauensbildende Inhalte vorschlagen. Wir haben in unserem Memorandum
festgehalten: Die EU ist als politischer, ökonomischer,
sozialer und ökologischer Verbund zu konzipieren. Europa darf sich nicht auf ökonomische Rivalität gegen andere Regionen und damit gegen Menschen in anderen
Regionen reduzieren.
({1})
Wir gewinnen die Zukunft gemeinsam nur, wenn wir uns
eben nicht abgrenzen, sondern auf eine faire und friedliche Globalisierung setzen. Das ist aus unserer Sicht die
Gestaltungsidee für Gesamteuropa.
({2})
Das ist auch die Gestaltungsidee, die die Forschungspolitik Europas durchziehen müsste.
({3})
Was heißt das jetzt konkret?
Erstens. Ungerechtigkeiten im Bildungssystem, insbesondere sozialbedingte, sind abzubauen.
Zweitens. Der europäische Forschungs- und Bildungsraum muss demokratische Mitwirkung ermöglichen.
Drittens. Die Themen sind an den zentralen Konflikten und Widersprüchen der Gesellschaft - an der Arbeitslosigkeit, der demografischen Entwicklung und der
Armut - auszurichten.
Viertens. Der Wissenstransfer muss neue reale Beschäftigungschancen bieten.
Jetzt schauen wir einmal, wie das neue EU-Forschungsrahmenprogramm herangeht: Als Ziel wird bestimmt - es wurde eben schon erwähnt -, Europa als
wissensbasierten, wettbewerbsfähigen Wirtschaftsraum
zu gestalten. Ich sage: Die Forschungsinvestitionen der
Mitgliedstaaten zu steigern bleibt fragwürdig, solange
ihr kleinster gemeinsamer Nenner vor allem in privatwirtschaftlicher Verwertbarkeit besteht.
({4})
So verwundert es am Ende nicht, wenn es der Forschungsförderung auf europäischer Ebene an Leitlinien
für einen europäischen und globalen Integrationsprozess
fehlt. Soziale und ökologische Nachhaltigkeit bleiben
nur unverbindliche Ziele der Forschungsförderung.
Frau Merkel hat unlängst gesagt, sie wolle das Thema
Klimawandel zum Schwerpunkt der EU-Präsidentschaft
machen. Die Forschungsförderung im Bereich Klimawandel ist in diesem Forschungsrahmenprogramm aber
nur in Versatzstücken fixiert. Vom Mittelzuwachs profitieren vor allem Hochtechnologien und Verfahrensoptimierungen. Informations-, Kommunikations-, Nano-,
Produktions- sowie Werkstofftechnologien und nicht zuletzt die Weltraumforschung werden mit rund 15 Milliarden Euro bedacht.
Themen- und disziplinenübergreifende Forschungen,
die Konzepte zur Bewältigung von sozialen, ökologischen und ökonomischen Problemen erarbeiten könnten,
bleiben in diesem Programm im Verhältnis zu den anderen Forschungsbereichen krass unterfinanziert. Während
im Hightechbereich Milliarden investiert werden, sind
für Geistes- und Sozialwissenschaften nur 610 Millionen Euro vorgesehen. Daher sollte die Bundesregierung
ihre Ratspräsidentschaft nutzen, aus dem deutschen Jahr
der Geisteswissenschaften 2007 neue Impulse für die
EU-Politik zu gewinnen.
({5})
Ich sage ausdrücklich: Wir sollten endlich anfangen, das
wissenschaftliche Potenzial der Geistes- und Sozialwissenschaften für die Erarbeitung dringend benötigter globaler Gestaltungskonzepte zu nutzen.
Ähnliche Defizite gibt es aber auch in anderen Bereichen, etwa im Bereich der Energieforschung. So sind
für erneuerbare Energien nur 400 Millionen Euro vorgesehen. Dagegen werden in die Kern- und Fusionsenergie
zweistellige Milliardenbeträge gesteckt. Was aber ist allenthalben unbestritten? Die Perspektiven erneuerbarer
Energien sind vielversprechend. Das gilt nicht für die
Kernenergie. Die Perspektiven der Fusionsenergie sind
völlig offen. Deshalb sagen wir: Hier müssen die Förderprioritäten umgekehrt werden.
({6})
Die Ökonomisierung der Forschung engt nicht nur die
Forschung selbst ein. Nein, die Forschung liefert uns
wissenschaftlich fundierte Alternativen für unsere politischen Entscheidungen, die wir hier zu fällen haben. Infolgedessen wird es, wenn dort keine Förderung erfolgt,
wenn dort keine Konzepte entwickelt werden, unseren
Debatten und den öffentlichen Debatten immer an Substanz fehlen. Deshalb ist diese Entwicklung so dramatisch; das darf die Forschungspolitik auf EU-Ebene nicht
ignorieren.
Deshalb wenden wir, Die Linke, uns auch so entschieden gegen das neue Sicherheitsforschungsprogramm.
({7})
Es steht exemplarisch für das, was wir kritisieren. Mittel
dieses Programms werden in erster Linie nicht etwa zivil
für den Schutz vor Umwelt- und Naturkatastrophen, sondern einseitig für technologische Forschungen in den
Bereichen der Terrorismusbekämpfung und der äußeren
Verteidigung eingesetzt. Die Ergebnisse dieser mit öffentlichen Mitteln, also mit Steuergeldern gewonnenen
Erkenntnisse werden dann privatwirtschaftlich angeeignet und kommerzialisiert. Es ist völlig logisch, dass mit
dieser Ausrichtung der Forschungspolitik am Ende nicht
viel von den Ankündigungen übrig bleibt, sich auf Prävention und Ursachenbekämpfung zu konzentrieren.
Ich will darauf verweisen, dass der Weg, den die
Bundesregierung bei der Umverteilung und Strukturveränderung von Instituten jetzt geht, außerordentlich
problematisch ist. Da finden sich Institute aus dem
Sicherheitsbereich nämlich plötzlich in zivilen Forschungseinrichtungen wieder. Damit verwischen sich
letztlich auch die Grenzen zwischen Wehr-, Verteidigungs- und ziviler Sicherheitsforschung. Das widerspricht der Beschlusslage des Bundestages.
({8})
Ich bin sehr gespannt auf die Kabinettsvorlage, die Ende
Januar zum nationalen Sicherheitsprogramm der Bundesrepublik Deutschland eingebracht werden wird.
Ich will dabei auch auf die Situation der Beschäftigten
verweisen. Nachdem sie über Jahre im zivilen Forschungsbereich gearbeitet haben, finden sie sich jetzt unter Umständen in Themen integriert, die eine militärische
Ausrichtung haben. Das widerspricht der EU-Charta für
Forscherinnen und Forscher.
Ich glaube, dass die Bundesregierung sich in diesem
Bereich der EU-Position gebeugt hat und dass an dieser
Stelle die eigentlich vorhanden gewesenen Widerstände
aufgegeben worden sind. Wir können das nicht akzeptieren. Diese Art von Heimatschutz in Deutschland bzw.
Europa lehnt die Linke ab.
Abschließend sei mit Blick auf die - natürlich auch
mediale - Selbstdarstellung zu den Chancen Deutschlands in der Ratspräsidentschaft doch noch einmal an
Folgendes erinnert: Es handelt sich um ein turnusmäßiges Ereignis. Jedes Mitgliedsland ereilt das früher oder
später, gewollt oder ungewollt. Aus der Diskussion der
letzten Wochen konnte man aber den Eindruck gewinnen, als habe Deutschland die Ratspräsidentschaft erobert und sei jetzt in der Lage, für das nächste halbe Jahr
das Europawetter vorauszusagen.
({9})
An 181 Tagen wird die Bundesregierung allein
107 Konferenzen abhalten. Nun hoffe ich sehr, dass
diese Ratspräsidentschaft sich am Ende der Zeit nicht
auf eine Ratskonferenzschaft reduziert haben wird.
Danke schön.
({10})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Krista Sager,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass es
im 7. Forschungsrahmenprogramm der Europäischen
Union zwar nicht so viel Geld gibt, wie viele erhofft haben, aber deutlich mehr als im 6. Forschungsrahmenprogramm, ist zumindest ein Zeichen dafür, dass in Europa
das Einvernehmen darüber, wo in Zukunft die Prioritäten
liegen müssen, wächst, und das ist ein gutes Signal.
({0})
Ich finde, dass das Europäische Parlament bei seinen
Nachbesserungen eine überwiegend gute Rolle gespielt
hat. Dass vom Parlament zum Beispiel die Forschungsmittel für erneuerbare Energien und Energieeffizienz erhöht worden sind, hat zwar nicht zu einem Ergebnis geführt, mit dem wir als Grüne zufrieden sind, aber es hat
doch gezeigt, dass das Parlament das Signal setzen
wollte: Wir müssen uns im Angesicht des Klimawandels
an dieser Stelle viel mehr anstrengen. - Auch das ist ein
gutes Zeichen gewesen.
({1})
Ein besonderes Augenmerk richtet sich natürlich auf
die neuen Instrumente. Einen Europäischen Forschungsrat, der die Exzellenz in der Grundlagenforschung stärken soll, halten auch wir für einen sehr viel
versprechenden Ansatz. Dass dieser Forschungsrat als
Allererstes die Unabhängigkeit besonders guter Nachwuchswissenschaftler stärken und fördern will, ist erfrischend und steht im Gegensatz zu der Kleinmütigkeit,
mit der hier in Deutschland die Juniorprofessur gefördert
worden ist. Dabei waren wir viel zu lange viel zu zögerlich. Es ist gut, dass die europäische Ebene uns zeigt: Da
müssen wir in Zukunft einen Schwerpunkt setzen.
({2})
Wie gut dieser Forschungsrat sein wird, wird in erster
Linie davon abhängen, ob er tatsächlich von nationalen
und wissenschaftlichen Lobbyistengruppen unabhängig
ist. Das muss er unter Beweis stellen. Da wird es nicht
reichen, wenn er sagt, seine Entscheidungen seien wissenschaftsgeleitet. Dabei sind wirklich Evaluation und
Transparenz gefragt. Daran wird am Ende seine Glaubwürdigkeit hängen.
Ausgesprochen kritisch sehen wir die Diskussion um
das sogenannte Europäische Technologieinstitut. Es ist
erst einmal gut, dass eine europäische Sondergründung
auf der grünen Wiese abgewehrt worden ist. Das aber ist
nur ein schwacher Trost, erkennt man jetzt doch: Mit
diesem Namen soll um jeden Preis etwas umgesetzt werden, ohne dass ein glaubwürdiges Konzept erkennbar ist.
({3})
Ich stehe einem Top-down-Ansatz, dass also auf europäischer Ebene entschieden wird, wo in Europa die
besten Ressourcen hinsichtlich Ausbildung und Forschung auf einem Gebiet zusammengezogen werden sollen, sehr skeptisch gegenüber. Ich sehe darin eher einen
Gegensatz zum Europäischen Forschungsrat und zu den
Instrumenten des 7. Forschungsrahmenprogrammes. Für
mich entsteht hier ein großes Tummelfeld für nationale
und industrielle Lobbyistengruppen. Auch die deutschen
Hochschulen finden es ausgesprochen dubios, dass diese
Einrichtungen nicht nur die Forschung fördern, sondern
auch Abschlüsse erteilen sollen.
Wir müssen uns auch einmal fragen, wie sich
Deutschland im europäischen Rahmen selbst aufgestellt
hat. Wir haben gerade entschieden, dass die Bundesregierung hinsichtlich Lehre und Studium weder auf der
nationalen noch auf der europäischen Ebene ein Wort
mitreden soll. Auf der europäischen Ebene gibt es demgegenüber eine Tendenz in Richtung Top-down-Entscheidungen. Europäische Einrichtungen, die Forschung
und Lehre betreffen, sollen jetzt platziert werden. Da
gibt es eindeutig eine Schieflage. Wir müssen im zweiten Teil der Föderalismusreform zusehen, dass dieses
Land auf den Gebieten Bildung und Wissenschaft wieder an Boden gewinnt.
({4})
Über die embryonale Stammzellforschung haben
wir in letzter Zeit durchaus widersprüchliche Meldungen
vernommen. Im zweiten Erfahrungsbericht zum Stammzellgesetz hat die Bundesregierung eindeutig gesagt,
dass sich das Stammzellgesetz in Deutschland bewährt
hat. Andererseits heißt es, man könne sich Veränderungen dieses bewährten Gesetzes durchaus vorstellen, und
die Bundesministerin sagt, dass wir eigentlich von der
embryonalen Stammzellforschung wegmüssen.
In den letzten Monaten ist immer wieder gesagt worden - ich finde diesen Versuch bemerkenswert -: Wenn
das 7. Forschungsrahmenprogramm startet, verändern
sich die Regelungen; dann müssen wir in Deutschland
mit einer Veränderung unseres Stammzellgesetzes nachziehen. Jetzt können wir feststellen: Die Regelungen für
das 7. Forschungsrahmenprogramm sind die gleichen
wie die, die für das 6. Forschungsrahmenprogramm galten. Es wird sogar gesagt, die Kommissionserklärung sei
eine Verschärfung. Frau Schavan, wir erwarten, dass Sie
dem Druck und den falschen Behauptungen weiterhin
Widerstand entgegensetzen.
Frau Pieper, ich glaube nicht, dass wir einen Markt
für den Handel mit weiblichen Eizellen brauchen. So
eine Art von Marktwirtschaft wünsche ich mir nicht.
({5})
Eine solche Entscheidung darf sich die Gesellschaft auch
nicht mit dem Verweis auf die Forschungsfreiheit abnehmen lassen.
Schlechte Karrierechancen von Frauen haben uns
schlechte Kritiken eingebracht, nicht nur von internationalen Gutachtern. Wir geraten auch auf europäischer
Ebene ins Hintertreffen. Wir sehen, dass wissenschaftliche Kommissionen und Entscheidungspanels streng geschlechtergerecht zusammengesetzt werden. Wenn es für
deutsche Wissenschaftlerinnen so schwierig ist, sich zu
positionieren, dann haben wir auf europäischer Ebene
das Nachsehen gegenüber den Skandinaviern und den
Niederländern. Ich finde es gut, dass uns die europäische
Ebene widerspiegelt, dass wir in Deutschland auf diesem
Gebiet viel mehr tun müssen. Leider hat sich die Bundesregierung selbst die Hände gebunden, hier etwas voranzubringen, um die Chancen von Frauen in der Wissenschaft zu verbessern. Auf diesem Gebiet müssen wir
dringend etwas tun.
({6})
Das Wort erhält nun der Kollege Carsten Müller für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
von den Rednern der Oppositionsfraktionen eben allerhand forschungspolitische Einsprengsel gehört. Das
Kernthema, um das wir uns heute bemühen sollten,
wurde allerdings nur am Rande gestreift. Es geht hier um
das 7. Forschungsrahmenprogramm. Man kann sich das
mit der Formel „drei mal sieben“ - Arend Oetker hat es
vor wenigen Tagen in Bonn so formuliert - sehr einfach
merken: Im Jahr 2007 startet mit einer Laufzeit von sieben Jahren das 7. Forschungsrahmenprogramm. Dann
gelingt es einem auch, das Thema konsequenter anzugehen.
54 Milliarden Euro werden in den nächsten sieben
Jahren für Forschung und Entwicklung durch die EU
verausgabt. Das sind rund 60 Prozent mehr, als der Mittelansatz im Vorgängerprogramm betrug. Wir haben es
zu Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft mit einem
regelrechten Stakkato von forschungspolitischen Richtungsentscheidungen zu tun. Das 7. Forschungsrahmenprogramm startet im Januar, und der Europäische Forschungsrat nimmt seine Tätigkeit im Februar auf. Darauf
freuen wir uns. Das zeigt, dass die Europäische Union
das richtige Ziel ins Visier genommen hat.
Es geht im Kern um die Erreichung der Lissabonziele, also darum, gemessen am Bruttoinlandsprodukt
3 Prozent für Forschung und Entwicklung aufzuwenden.
Das Ganze ist kein Selbstzweck, so wie es beispielsweise die Kollegin Sitte glauben machen wollte, sondern
es geht im Kern um nichts anderes als um die Schaffung
von Wirtschaftskraft, die in die Schaffung von Arbeitsund Ausbildungsplätzen in der Europäischen Union
münden soll.
Deutschland hat heute einen F-u-E-Anteil von rund
2,5 Prozent. Damit liegen wir im europäischen Vergleich
relativ gut. Der europäische Durchschnitt beträgt 1,8 Prozentpunkte. Wenn wir allerdings das Ziel vor Augen haben - wir wollen 3 Prozent erreichen -, wissen wir alle,
dass wir noch eine Menge zu tun haben. Weltweit liegt
Deutschland bedauerlicherweise derzeit nur auf Platz
neun - hinter den USA, hinter Japan.
Wir müssen, um dieses Ziel zu erreichen, eines unbedingt sicherstellen, nämlich private Forschungs- und
Entwicklungsinvestitionen anreizen.
({0})
Carsten Müller ({1})
Mein Vorredner René Röspel hat dies betont und insbesondere die Ministerin hat es sehr präzise herausgearbeitet: Es geht darum, dass nicht nur öffentliche Mittel für
Forschung und Entwicklung verausgabt werden, sondern
wir erwarten ein erhebliches Engagement der Privatwirtschaft. Von dieser Stelle soll eine Aufforderung an
die Privatwirtschaft ausgehen, diese Mittel tatsächlich zu
investieren. Sie werden sehen, dass es zu einer enormen
wirtschaftlichen Entwicklung kommen wird.
({2})
Wir haben mit der positiven Begleitung des 7. Forschungsrahmenprogrammes durch die Große Koalition
ein weiteres Mal untermauert, dass Forschung und Entwicklung im Fokus der Großen Koalition stehen. Am
Montag dieser Woche fand in Bonn die Auftaktkonferenz zum 7. Forschungsrahmenprogramm statt. Diese
war weltweit beachtet, und sie wurde europaweit besonders gut aufgenommen. Eine Vielzahl von europäischen
Teilnehmern hat dieses Rahmenprogramm auf den Weg
gebracht. Forschungskommissar Potočnik hat dort in Bezug auf den weltweiten Forschungswettbewerb zur Rolle
Deutschlands - darum geht es heute hier - gesagt, unser
Land sei der Schlüsselpartner im „Team Europe“. Das
können wir vonseiten der Union nur unterstützen. Ich
will das Bild wie folgt ausmalen: Das 7. Forschungsrahmenprogramm ist sozusagen die Spielaufstellung, und
Deutschland sollte nach unserem Dafürhalten Spielführer im Team Europe sein, wenn es um das Voranbringen
von Forschung und Entwicklung in Europa geht.
({3})
Das hat seine tatsächliche Berechtigung. Denn schon
im Vorgängerprogramm waren an mehr als 80 Prozent
aller Programme deutsche Forscherinnen und Forscher
beteiligt. Wichtige Bausteine für den Erfolg des 7. Forschungsrahmenprogrammes sind Kontinuität und Berechenbarkeit, beispielsweise gewährleistet durch die
lange Laufzeit, aber auch die Vereinfachung beim Zugang zu den Verfahren. Wir wollen wenig Bürokratie,
wir wollen einfache, schnell durchschaubare Verfahren,
um zu erreichen, dass sich insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen künftig viel stärker als bislang am europäischen Forschungsrahmenprogramm beteiligen.
({4})
Denn gerade dort, so haben wir festgestellt, sind Arbeitsund Ausbildungsplätze am ehesten zu schaffen.
Die vier wesentlichen Hauptüberschriften - neben
dem Euratomprogramm - sind bereits genannt worden.
Es geht hier - ich fasse es kurz zusammen - um das Programm Zusammenarbeit, um das Programm Ideen, um
das Programm Menschen und schließlich um das Programm Kapazitäten.
Aus der thematischen Schwerpunktsetzung will ich,
um einige Anmerkungen des Kollegen Röspel aus einer
anderen Sichtweise zu beleuchten, zwei Themen aufgreifen:
Das erste ist das Thema Sicherheitsforschung. Hier
haben wir eine durchaus andere Auffassung als die SPDFraktion. Wir sind der festen Überzeugung, dass Sicherheitsforschung ein Kernbedürfnis der Bevölkerung in
Deutschland und in Europa ist.
({5})
Man geht, wie ich glaube, durchaus fehl, wenn man das
nur auf terroristische Bedrohungen reduziert. Eine Vielzahl von Themen wird unter dieser Überschrift bearbeitet. Es geht zum Beispiel auch um den Umgang mit Naturkatastrophen und innere Sicherheit im Allgemeinen.
Das zweite wichtige Thema, das ich herausheben
möchte, ist die Energieforschung. Hier ist ein durchaus
ausgewogener Mix der verschiedenen Forschungsbereiche vorhanden. Die Forschung an erneuerbaren Energien
wird mit genauso großem Aufwand unterstützt wie zum
Beispiel die Fusionsforschung - auch das ist ein wichtiger Punkt - und kerntechnische Sicherheitsforschung.
({6})
Ich habe mich schon ein wenig darüber gewundert, dass
die Kollegin Dr. Sitte, als sie in ihren Ausführungen auf
den letzten Punkt abhob, die Notwendigkeit der kerntechnischen Sicherheitsforschung etwas in Abrede stellte.
Wir können die Wichtigkeit dieser Forschung allein
schon daran erkennen, wenn wir uns vor Augen führen,
welche atomaren Hinterlassenschaften eine SED-geführte DDR hinterlassen hat. Wir haben mit diesen Lasten
heute noch zu kämpfen.
({7})
Ich glaube, das Geld ist in atomare Sicherheitsforschung
gut investiert, zum einen für den Umgang mit den Hinterlassenschaften, zum anderen auch zur Eröffnung möglicher neuer Perspektiven.
({8})
Meine Damen und Herren, die ersten Ausschreibungen sind gelaufen. Die ersten Informationsveranstaltungen waren gut besucht. Ich habe mich davon selber überzeugt. Bei der Auseinandersetzung mit der Struktur des
Programms werden Sie festgestellt haben, dass im Jahre
2009 keine zusätzlichen Ausschreibungen laufen. Die
Unionsfraktion hält es für angezeigt, diese Zwischenetappe dafür zu nutzen, um zu evaluieren und zu erkunden, ob es uns gelungen ist, kleine und mittelständische
Unternehmen stärker für Forschung und Entwicklung zu
begeistern. Begeisterung ist nämlich genau das, was wir
im Wesentlichen mit dem 7. Forschungsrahmenprogramm und auch den flankierenden Maßnahmen der
Bundesregierung - 6-Milliarden-Programm, Hightechstrategie - erreichen wollen. Wir wollen junge Menschen dafür begeistern, sich für entsprechende Berufe in
Forschung und Entwicklung und damit für naturwissenschaftlich-technische Ausbildungen zu interessieren.
Nur dann gelingt es uns, unseren Spitzenplatz in der
Welt zu verteidigen und auszubauen.
Schließen möchte ich mit einem Zitat des EU-Forschungskommissars, der am Montag davon sprach, fol7556
Carsten Müller ({9})
gendes Schlagwort den jungen Menschen zu Gehör zu
bringen: „Science can be cool“ - Forschung kann cool
sein. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns nicht
kleinkariert sein, sondern am besten in Zusammenarbeit
aller Fraktionen dazu beitragen. Hierzu fordere ich Sie
auf. Sie können einen ersten Schritt tun, indem Sie dem
Unionsantrag zum 7. Forschungsrahmenprogramm zustimmen.
Vielen Dank.
({10})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Swen Schulz,
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es handelt sich um einen Koalitionsantrag, lieber Kollege Müller, um das noch einmal klarzustellen.
({0})
Die aktuelle europapolitische Diskussion macht deutlich, dass wir für die europäische Integration neue Impulse benötigen. Viele Menschen haben verinnerlicht,
dass Europa ein historisches Projekt ist vor dem Hintergrund der Geschichte von Krieg, Leid und Tod. Doch
Frieden und gefallene Grenzbäume sind für viele selbstverständlich geworden. Die Leute fragen heute genauer
nach dem Nutzen und sind besorgt über mögliche Nachteile der Europäischen Union.
Es geht nun um andere Fragen; das sehe ich ganz ähnlich wie die Kollegin Sitte. Wir brauchen neue Ideen für
Europa. Was eignet sich dafür besser als gemeinsame
Bildung und Forschung? Gemeinsam können wir erfolgreicher sein bei Innovationen. Gemeinsam können wir
die Wirtschaft stärker ankurbeln und Arbeitsplätze
schaffen. Das ist aber, lieber Kollege Müller, nicht alles.
Mit gemeinsamer Forschung können wir die Dinge
leichter verändern und das Leben der Menschen verbessern, indem wir zum Beispiel die Energieversorgung
vernünftig organisieren, die Umwelt schützen und kranken Menschen helfen. Das 7. Forschungsrahmenprogramm trägt dem Rechnung. Wir wollen und wir werden
unseren Teil dazu beitragen, dass europäische Forschung
die Gesellschaft voranbringt.
({1})
Darum ist es auch wichtig, dass wir nicht wahllos in
Technologie investieren. Das muss vielmehr mit Sinn
und Verstand passieren. Dafür benötigen wir die Geistesund Sozialwissenschaften.
({2})
Wir brauchen eine Einschätzung von gesellschaftlichem
Bedarf an Technologie, eine verantwortungsbewusste
Wissenschaft; ein Verständnis der Kulturen ist nötig sowie Konzepte zur Vorbeugung und zur Beilegung von
Konflikten. Ich möchte auch betonen: Die Geistes- und
Sozialwissenschaften tragen erheblich zum Wirtschaftswachstum und zum Arbeitsmarkt bei. Deshalb ist es
richtig, dass in der EU die Geistes- und Sozialwissenschaften gestärkt werden. Ich danke der Bundesregierung, ich danke der Ministerin dafür, dass sie darauf besonderen Wert legt.
({3})
Gerade Deutschland hat als zentral gelegenes Land
mit vielen Nachbarn und als Exportnation ein vitales Interesse an europäischer Zusammenarbeit. Das gilt auch
für die Wissenschaft. Darum wollen wir auch, dass in
den neuen Mitgliedstaaten Strukturen und Kompetenzen aufgebaut werden. Gleichzeitig ist wichtig, dass die
Forschungsmittel ausschließlich nach Exzellenz und
nicht nach regionalem Proporz vergeben werden.
Die Frage, die sich dann stellt, ist: Wie erhalten die
ärmeren Mitgliedstaaten in dem Wettbewerb überhaupt
eine Chance? So, wie wir in Deutschland einen fairen
Wettbewerb zwischen den Bundesländern organisieren
müssen, ist das auch in Europa nötig. Um das zu erreichen, müssen die Mittel, die für die Regionalförderung
vorgesehen sind, in erheblichem Maße in den Aufbau
der Bildungs- und Forschungslandschaft der neuen Mitgliedstaaten gesteckt werden, damit sie möglichst
schnell aufschließen und die europäische Wissenschaft
stärken. Auf lange Sicht wird es uns runterziehen, wenn
Europa geteilt bleibt und die eine Hälfte lediglich Bittsteller ist. Ich freue mich sehr, dass die Bundesregierung
das erkannt hat und eine entsprechende Politik vorantreibt. Sie hat da unsere volle Unterstützung.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können
uns alle schönen Überlegungen, Investitionen in Forschung sowie die verschiedenen Programme und Projekte sparen, wenn wir eines vernachlässigen, nämlich
die Menschen zu fördern. Auch das ist gerade mit Blick
auf die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im 7. Forschungsrahmenprogramm aufgenommen durch die Marie-Curie-Maßnahmen, durch die
Stipendien, die Mobilitätsförderung, durch den Europäischen Forschungsrat und anderes mehr.
Doch bevor das jetzt ausschließlich eine reine Lobeshymne auf die EU wird, möchte ich zwei Dinge kritisch ansprechen.
Erstens. Trotz der enormen Budgetsteigerung für die
Forschung gibt die EU immer noch zu viel für die falschen Prioritäten aus.
({5})
Ich nenne aus Zeitgründen nur die Stichworte „Landwirtschaft“ und „Atomenergie“.
({6})
Swen Schulz ({7})
Zweitens: das EIT, das Europäische Technologieinstitut; das wurde schon angesprochen. Ehrlich gesagt, erschließt sich mir das Konzept nicht so recht. Die Bundesregierung hat dankenswerterweise schon dazu
beigetragen, das Schlimmste zu verhindern, dass nämlich das Institut quasi auf die grüne Wiese gestellt wird.
Aber ich frage mich auch: Was soll das neue Konzept
des Netzwerkes bringen? Woher sollen die Milliarden
dafür kommen? Ich habe die herzliche Bitte an die Bundesregierung für die Ratspräsidentschaft, aber auch darüber hinaus: Passen Sie ganz besonders auf dieses
Thema auf, passen Sie auf, dass da kein Unfug geschieht.
Die Gesamtbilanz der EU-Forschungspolitik ist aber
positiv. Die Bundesregierung hat wesentlich dazu beigetragen. Der Koalitionsantrag macht das im Einzelnen
deutlich und setzt die richtigen Akzente für die künftigen
Herausforderungen.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: So wichtig und
hilfreich Europa ist, wer glaubt, dass die nationalen Anstrengungen vernachlässigt werden können, begeht einen schweren Fehler. Unsere Hausaufgaben müssen wir
schon in Deutschland machen.
({8})
Die Regierungskoalition zeigt mit der Hightechstrategie,
dem 6-Milliarden-Programm und vielen anderen
Initiativen, wie das geht.
Vielen Dank.
({9})
Hans-Josef Fell ist der nächste Redner für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Forschung und Wissenschaft sollen und können
entscheidende Beiträge zur Lösung aktueller Probleme
liefern. Zu Recht wurden sie deshalb in den Mittelpunkt
der Lissabonstrategie gestellt, mit dem Ziel, Ausgaben in
Höhe von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die
Forschung anzustreben.
Die Aufgaben liegen klar auf der Hand und sind in
der Lissabonstrategie aufgezeigt worden: Beschäftigung,
Wettbewerb, Umweltschutz, Klimaschutz und einiges
mehr.
Eine Erhöhung der Forschungsmittel ist mit dem
7. Forschungsrahmenprogramm durchaus gelungen.
Doch zur Erreichung des 3-Prozent-Ziels wäre mehr notwendig und auch mehr möglich gewesen.
({0})
Wer hat das verhindert? Auf dem Finanzgipfel war es
eine der ersten Handlungen von Kanzlerin Merkel, einen
Finanzplan vorzulegen, um diese Finanzmittel im Hinblick auf den Vorschlag von Potočnik zu verringern. Das
war beim wichtigen Ziel der Forschung eine Fehlleistung und ein Fehlstart der Bundesregierung.
({1})
Doch es ist nicht nur mehr Geld für die Forschung
wichtig - es ist gut, dass mehr Geld zur Verfügung gestellt wurde -, sondern es ist auch wichtig, wofür das
Geld ausgegeben wird. Es sind durchaus gute und wichtige Maßnahmen vorgesehen, beispielsweise in den Bereichen Gesundheit, Nanotechnologie, Geistes- und
Sozialwissenschaften, Informationstechnologie und Umweltforschung.
Aber ich stimme meinem Kollegen Swen Schulz zu:
Es gibt auch deutliche Defizite und Fehlinvestitionen.
Wenn wir uns beispielsweise die Arbeitsplatzsituation
anschauen - die Schaffung von Arbeitsplätzen ist
schließlich ein wichtiges Ziel, das mit der Forschung
verfolgt werden soll -, stellen wir fest: Die Stütze für die
Schaffung von Arbeitsplätzen in Europa ist der Mittelstand. Im 7. Forschungsrahmenprogramm ist bei der
Mittelstandsunterstützung allerdings kein Schwerpunkt
gesetzt worden. Beispiel: Maschinenbau. Wo wird diese
Branche erwähnt? Sie ist eine große Stütze der europäischen Wirtschaft. Im 7. Forschungsrahmenprogramm:
Fehlanzeige. An dieser Stelle wird es seinen Aufgaben
nicht gerecht.
Beispiel: Ernährung. Wir alle wissen, wie wichtig die
Ernährungssicherung ist, und wie wichtig es ist, eine
sinnvolle Ernährungspolitik anzustreben. Aber worauf
wird im 7. Forschungsrahmenprogramm gesetzt? Hier
haben sich die Interessen der Agro-Gentechnik durchgesetzt und nicht diejenigen der biologischen Landwirtschaft und des Verbraucherschutzes. Allerdings sind
alle diese Interessen wichtig. Statt neue Arbeitplätze zu
schaffen - bisher ist die Agro-Gentechnik sehr erfolglos -,
hat Ihr Vorgehen in diesem Bereich zur Inakzeptanz der
Bevölkerung geführt. Obwohl die biologischen Lebensmittel boomen, finden sie im 7. Forschungsrahmenprogramm keine Unterstützung.
({2})
Klima- und Energieversorgungsprobleme sind in aller
Munde. Hier versagt das 7. Forschungsrahmenprogramm fast völlig. Insgesamt werden zusammen mit den
Euratommitteln, die gleichzeitig verabschiedet werden,
4 Milliarden Euro für die völlig erfolglosen Kernspaltungen und Kernfusionen bereitgestellt. Im Vergleich
dazu - Frau Sitte hat das schon gesagt - werden für
erneuerbaren Energien und Energieeffizienz nicht
einmal 1 Milliarde Euro zur Verfügung gestellt. Das ist
eine grandiose Differenz.
Betrachten wir einmal die Vergangenheit: In der
OECD wurden die Mittel für die öffentliche Energieforschung 50 Jahre lang zu 80 Prozent für Kernspaltung
und Kernfusion eingesetzt. Das Ergebnis ist beschämend: 2,5 Prozent der Weltenergienachfrage werden
durch diese Technologien abgedeckt, durch Kernfusion
gar nichts.
({3})
Das wird auch in den nächsten 50 Jahren so bleiben.
Dennoch wurden die Schwerpunkte erneut an dieser
Stelle gesetzt. Das ist eine grandiose Fehlleistung.
Als es um diesen Vorschlag von Potočnik ging, gab es
vonseiten der Bundesregierung keinen Widerspruch.
Auch die beiden großen Fraktionen haben sich nicht für
eine Erhöhung der Mittel für die erneuerbaren Energien
und für die Energieeffizienz eingesetzt. Lediglich das
EU-Parlament - meine Kollegin Krista Sager hat das
schon erwähnt - hat sich hier wenigstens ein Stück weit
in diese Richtung bewegt und Verbesserungen vorgeschlagen. Auch Umweltminister Gabriel hat sich nicht
dafür eingesetzt.
({4})
Seine Rhetorik für erneuerbare Energien war eine reine
Fehlanzeige. Es gab keine Investitionen und keine Maßnahmen auf EU-Ebene, diese Fehlallokation im 7. Forschungsrahmenprogramm zu korrigieren.
({5})
Ich hoffe, das wird sich in Zukunft ändern. Wir brauchen eine Erhöhung der Mittel für Forschung und Entwicklung, für die erneuerbaren Energien, für die biologische Landwirtschaft und für den Mittelstand. Es liegen
noch viele Aufgaben vor uns, die noch nicht erfüllt sind,
die aber einer Erfüllung harren.
({6})
Ich erteile das Wort der Kollegin Ilse Aigner, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Am
1. Januar dieses Jahres ist das 7. Forschungsrahmenprogramm in Kraft getreten, das Herzstück europäischer
Forschungspolitik. Wir haben heute schon viel über die
Strukturen und die Neuerungen gehört. Ich möchte deshalb etwas Grundsätzliches zur europäischen Forschungspolitik sagen.
Das Motto der deutschen EU-Ratspräsidentschaft lautet: „Europa gelingt gemeinsam“. Die Herausforderung
ist groß. Am 1. Januar dieses Jahres ist die EU auf
27 Mitgliedstaaten angewachsen, ist noch unterschiedlicher, noch vielstimmiger geworden. Ist die Forschungspolitik nun genau das Feld, dem wir uns zuvorderst widmen sollten? Ich sage: Ja. Erfolg oder Scheitern Europas
werden von keinem Bereich so abhängen wie von Bildung, Wissenschaft und Innovationen.
({0})
Forschung und Wissenschaft halten Europa zusammen, sie sind Teil seiner Identität und seiner Zukunft.
Wissenschaftler und Ingenieure bauen ebenso an dem
gemeinsamen Haus Europa wie Politiker und Unternehmer. Heute gibt es in Europa mehr wissenschaftliche
Institute, Hochschulen und Laboratorien als Burgen,
Schlösser und Museen. Auch die Wissenschaft prägt die
kulturelle Landschaft unseres Kontinents. Europa ist die
Wiege der modernen Wissenschaft. Sie ist eine zutiefst
europäische Errungenschaft, von den Anfängen griechischer Philosophie über die Aufklärung bis in die heutige
Zeit.
Forschung und Wissenschaft haben wir eindeutig auf
der positiven Seite zu verzeichnen. Über Kriege und Krisen hinweg haben Kooperationen in Wissenschaft und
Forschung Europa immer wieder zusammengeführt. Der
gemeinsame Forschungs- und Hochschulraum war früher eine Selbstverständlichkeit. Es gibt kaum eine große
Forscherpersönlichkeit - stellvertretend seien Alexander
von Humboldt und Justus von Liebig genannt -, die
nicht in Europa zu Hause gewesen wäre. Dieses Erbe
müssen wir wieder neu gewinnen und erarbeiten. Unsere
reiche wissenschaftliche Vergangenheit ist kein Grab der
Geschichte, sondern eine Schatzkammer, aus der wir
schöpfen können.
({1})
Europa ist mehr als eine Subventions-/Umverteilungsgemeinschaft. Wir brauchen eine Leitvorstellung
von der Zukunft Europas, seinem Platz und seinem Beitrag für die Fortentwicklung der Menschheit. Leistungen
in Forschung und Wissenschaft sowie Innovationen gehören unverzichtbar dazu. Die europäische Forschungspolitik hat seit der Gründung der Gemeinschaft immer
mehr an Bedeutung gewonnen. Bereits im Vertrag der
Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ist sie
erwähnt, und im Euratomvertrag spielte sie von Anfang
an eine große Rolle.
Das erste Forschungsrahmenprogramm startete 1984.
Seit der Einheitlichen Europäischen Akte 1987 ist Europa auch vertraglich eine Forschungs- und Technologiegemeinschaft. Dieser Vertrag verpflichtet die Union,
die wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen
der Wirtschaft zu stärken und dadurch ein hohes Maß an
internationaler Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Mit der
im Jahr 2000 verabschiedeten Lissabonstrategie kommt
der Forschung die zentrale Rolle in Europa zu.
Das 7. Forschungsrahmenprogramm ist ein riesengroßer Schritt nach vorne. Der European Research Council
ist für die europäische Forschungsförderung eine Revolution. Wir sind stolz, dass er nach dem Modell der DFG
konzipiert ist. Ich darf anmerken, dass unser Professor
Winnacker, als langjähriger Präsident der DFG ein erfahrener Mann, als Erster an der Spitze des ERC steht.
({2})
Wir wollen aber keine zentralistische europäische
Forschungspolitik; das ist trotz der Stärkung des Gemeinschaftsprogramms nicht unser Ziel. Wir setzen auch
in der Forschungspolitik auf das Subsidiaritätsprinzip.
Die Aufgabe der EU-Forschungspolitik ist es, aus dem
vielfältigen Mosaik der nationalen Forschungspolitiken
ein stimmiges Bild zu machen, sie muss Synergien freiIlse Aigner
setzen und einen Mehrwert erzeugen. Wenn wir mit unserem Modell der EU-Forschungspolitik Erfolg haben
wollen, kommt es entscheidend auf zwei Dinge an:
Erstens. Es kommt auf die Qualität an. Die EU-Forschungspolitik muss spitze sein. Das Forschungsrahmenprogramm ist ein Exzellenzinstrument, keine Gießkanne und kein Mittel zur Regionalentwicklung.
({3})
Exzellenz ist existenziell für unseren Erfolg.
Zweitens. Es kommt auf die Mitgliedstaaten an. Sie
müssen mitziehen und auch national deutlich mehr investieren. Deutschland ist mit der Hightechstrategie Vorreiter in Europa. Sie ist genau abgepasst und komplementär zu den europäischen Aktivitäten. Wir werden
unsere EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um unsere Partner in Europa für die Hightechstrategie zu gewinnen und
sie mitzureißen. Wir wollen zahlreiche Nachahmer finden, um die Zukunft Europas mit zündenden Ideen zu
gestalten.
({4})
Das Wort erhält nun der Kollege Dieter Grasedieck,
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Unser Präsident sprach zu Beginn von Harmonie. Wir sehen, dass Harmonien im Parlament eigentlich
nur Schlaglichter sind. Ich dachte, dass die Opposition
zu diesem Antrag grundsätzlich sagen würde: Das ist
gut, wir hätten es nicht besser machen können. - Danach
hätte man ja die Gründe nennen können. Das wäre gut
gewesen. Aber: Absolute Fehlanzeige!
({0})
Die eigentliche Botschaft dieses Programms - das hat
unter anderem auch Carsten Müller angesprochen - lautet: Team Europe. Mit einer gemeinsamen EU-Forschung gewinnen wir unsere Zukunft. Hier müssen wir
einen Schwerpunkt setzen. Visionen und neue kreative
Ideen entstehen durch Gespräche, Austausch und Zusammenarbeit. Dadurch können sehr viele neue Produkte entwickelt werden. Das ist das Ziel. Auf der einen
Seite brauchen wir eine innovative Forschung, und auf
der anderen Seite brauchen wir natürlich auch innovative
Produktionen. Die Zeit zwischen diesen zwei Polen
muss verkürzt werden. Das ist auch ein wichtiges Ziel,
das mit diesem EU-Forschungsrahmenprogramm verfolgt wird. Es muss hier in Europa in der Zukunft zügiger laufen. Dadurch werden natürlich Arbeitsplätze abgesichert. An den verschiedensten Stellen waren wir
dabei ganz sicher bereits erfolgreich.
Schauen Sie sich einmal die Regionen und die Zusammenarbeit dort an, zum Beispiel die Verbindung von
Aachen und Belgien sowie den Niederlanden. Dabei haben nicht allein die Hochschulen zusammengearbeitet.
Der Mittelstand war daran natürlich auch beteiligt. Das
soll innerhalb dieses Forschungsrahmenprogramms auch
herausgearbeitet werden. Die eigentliche Zielsetzung ist,
dass sich das genau so entwickeln wird.
({1})
Europa und Deutschland waren dabei erfolgreich.
Dies gilt trotz aller Turbulenzen aufgrund von Airbus in
der letzten Zeit auch für den Bereich der Luft- und
Raumfahrt. Wir haben hier viel erreicht. Hier entstehen
viele neue Arbeitsplätze, die für die Zukunft natürlich
abzusichern sind. Nach Aussage der Wissenschaftler
wird es bis 2020 zu einer Verdopplung des Luftverkehrs
kommen. Wenn das wirklich so kommt, dann werden der
Mittelstand und auch die Kleinbetriebe natürlich davon
profitieren. Die Spitzentechnologien müssen sich weiterentwickeln.
In diesem Zusammenhang kann man auch noch Ariane
nennen. Mehrere Satelliten mit einem Gesamtgewicht
von 8,3 Tonnen sind im vergangenen Jahr mit ihr in den
Weltraum gebracht worden. Das ist ein europäisches
Produkt. Deutschland hat davon natürlich profitiert.
Auch die Satellitenforschung, die ich am Rande mit aufführe, war ein Erfolgsmodell hier in Deutschland, bei
dem der Maschinenbau genauso wie die Elektrotechnik
mit im Boot waren. Das werden wir durch dieses EUForschungsrahmenprogramm auch weiterhin betreiben.
Dies ist eine wichtige Zielsetzung. Wir haben hier noch
viel zu tun. Ich nenne zum Beispiel die Navigation für
Blinde, die in der kommenden Zeit weiterentwickelt
werden soll.
Im EU-Forschungsrahmenprogramm wird ein weiterer Schwerpunkt bei der Energietechnologie gesetzt.
Hier kann man die Energieeffizienz herausstellen. Wir
sparen nicht nur Strom bzw. Energie, wir reduzieren natürlich auch den CO2-Ausstoß. Auch das ist ein ganz
wichtiger Punkt für die Zukunft, der von vielen bereits
genannt worden ist. Durch die Energieeffizienz und die
Forschung in diesem Bereich schaffen wir natürlich
viele Arbeitsplätze.
Wir können einen Exportschlager daraus machen. Das
entwickelt sich ja auch schon entsprechend. China und
Russland brauchen hier Unterstützung. Die russischen
Wissenschaftler sagen, dass man in Russland 40 Prozent
der Energie einsparen kann. Unsere Industrie arbeitet auf
diesem Gebiet natürlich schon intensiv.
Auch die erneuerbaren Energien sind ein Exportschlager in Deutschland. Wir müssen die Kraftwerkstechnologie in der kommenden Zeit weiterentwickeln. In Bezug
auf CO2-freie Kraftwerke gibt es drei Modelle. Das muss
verstärkt werden. Da müssen wir zusammenarbeiten,
auch mit den anderen Ländern in Europa.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist aber
auch schon angesprochen worden, dass nicht nur die
Technik unterstützt wird. Auch die Pädagogik, die Erziehungswissenschaften werden einbezogen. Zum Beispiel
soll das E-Learning in der Bildung, in der Lehre als additives Element eingebaut werden. E-Learning-Elemente
sollen den Präsenzunterricht in Form der Vorlesung an
der Hochschule oder in der Schule ergänzen. Auch hier
muss die Frage gestellt werden: Können wir - das ist ja
ein wichtiges Ziel - die Qualität der Bildung durch solche
Maßnahmen steigern? Auch da wird das EU-Forschungsrahmenprogramm helfen und unterstützen. 80 Prozent
aller Projekte werden im Übrigen von unseren Wissenschaftlern begleitet. Auch dadurch schaffen wir Arbeitsplätze.
Zusammenfassend kann man sagen: Das EU-Forschungsrahmenprogramm schafft Arbeitsplätze in Deutschland; das ist ein ganz wichtiger Punkt. Nur gemeinsam
mit Europa werden wir die Zukunft gewinnen.
Glück auf!
({2})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Jörg Tauss, ebenfalls für die SPD-Fraktion.
({0})
Trotz „Glück auf“ kommt nicht der Steiger. - Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin Pieper, ich
denke, wir sollten eines hier im Hause nicht tun. Es gibt
zwei Themen, von denen wir wissen, dass sie an Stammtischen, in der Öffentlichkeit und auch in Teilen der
Presse häufig sehr reißerisch dargestellt werden, nämlich
Europa und Entwicklungshilfe. Wir sollten nicht der
Versuchung erliegen, uns an einer solchen reißerischen
Darstellung zu beteiligen. Deswegen fand ich Ihren Beitrag zur Entwicklungshilfe bezogen auf China nicht
sehr glücklich. Weil das nicht zum ersten Mal der Fall
war, will ich mir jetzt doch einmal erlauben, an dieser
Stelle einen Satz dazu zu sagen.
Deutschland leistet in China Entwicklungshilfe - das
ist richtig -, aber ausschließlich im Rahmen der Millenniumsziele. Wir fördern Umweltschutz und regenerative
Energien. Wir fördern Aidsprävention im bevölkerungsreichsten Land der Welt, meine sehr verehrten Damen
und Herren. Wir fördern den Rechtsstaatsdialog und die
Armutsbekämpfung. Ich glaube, die Zusammenarbeit
mit China und die Entwicklung in China liegen in unserem elementaren Interesse, wenn China in Zukunft die
Bedeutung haben wird, die diesem Land zugeschrieben
wird.
({0})
Deswegen sollten wir hier nicht einfach sagen, wir würden mal eben 300 Millionen Euro nach China geben.
Europa ist oft genug in der Diskussion. Ich bin der
Letzte, der hier sagen würde, er habe keine Kritik an
dem einen oder anderen Punkt in Bezug auf Bürokratie
und in anderen Bereichen gehabt - selbstverständlich.
Wer hat keine Kritik? Auch im eigenen Land haben wir
Hausaufgaben zu erledigen. Aber mit dem 7. Forschungsrahmenprogramm der EU hat Europa tatsächlich
eine Leistung erbracht, natürlich mit Unterstützung der
nationalen Regierungen und einem wesentlichen Beitrag
der Bundesrepublik Deutschland, für den ich dankbar
bin und der die Handschrift dieses Programms ein Stück
weit ausmacht. Das heißt, die Schwerpunkte, die wir haben, sind in Europa anerkannt. Ohne unseren Beitrag
wären diese Schwerpunkte, Kollege Fell, in Europa nicht
übernommen worden. Wir sollten hier nicht so tun, als
ob es da in diesem Programm irgendwelche Defizite
gäbe und als ob wir unsere Hausaufgaben nicht erledigt
hätten.
Die KMU-Förderung ist ein klassisches Beispiel.
Für mich, Kollege Fell, ist die KMU-Förderung nicht zuvörderst Aufgabe des 7. Forschungsrahmenprogramms
der EU. Selbstverständlich sollen vor allem kleine und
mittlere technologiegetriebene Unternehmen Zugang zu
diesem Programm haben. Aber KMU-Förderung ist zunächst einmal eine Hausaufgabe, die wir im eigenen
Land erledigen müssen und erledigen wollen, was wir
auch tun werden.
({1})
Wir haben in diesem Bereich einige Schwerpunkte
gesetzt. Wir diskutieren im Moment noch mit dem Wirtschaftsministerium. Die Frage der Forschungsprämie betrifft zwar nicht die KMU-Förderung; aber sie ist ein
ganz wesentlicher Beitrag dazu, dass kleine und mittlere
Unternehmen, die bisher noch keinen Zugang zu Technologie haben, diesen bekommen. In diesem Bereich,
Kollege Fell, haben wir also ebenfalls keine Defizite.
Aber nun zum Forschungsrahmenprogramm selbst.
Es hat vier Schwerpunkte; sie sind in Teilen beschrieben
worden. Ich will noch einmal auf die 54 Milliarden Euro
zu sprechen kommen, damit alle sehen können, wo das
Geld bis zum Jahr 2013 hinfließt.
Der erste Schwerpunkt in diesem Bereich ist die Kooperation, ausgestattet mit einem Finanzvolumen von
32 Milliarden Euro. Kollege Fell, hier liegen die
Schwerpunkte selbstverständlich in den Bereichen Energie, Umwelt und Klimawandel. Was wäre das für ein
Forschungsprogramm, wenn der Klimawandel, eine der
zentralen Herausforderungen der Zukunft und der
Menschheit, kein Thema wäre. Dieser Punkt ist im ersten Teil dieses Programms enthalten.
({2})
Es sind auch andere Teile enthalten: Gesundheit, Lebensmittel, Landwirtschaft und selbstverständlich auch
Biotechnologie. Wir wollen schauen, wo da die Chancen
liegen. Deswegen verniedlicht doch niemand die Risiken. Selbstverständlich spielen auch die Sozial- und
Geisteswissenschaften eine wichtige Rolle in diesem Zusammenhang.
Das zweite Programm „Ideen“ wird mit 7,5 Milliarden Euro ausgestattet. Die Förderung von Ideen halte
ich für hochinteressant. Dazu soll auch der European
Research Council gehören unter Leitung - das wurde
schon mehrfach angesprochen - des Generalsekretärs
Winnacker. Ich glaube, es eröffnet hervorragende MögJörg Tauss
lichkeiten, wenn wir über dieses Programm die kreativsten Forscherinnen und Forscher in Europa fördern wollen. Das ist Aufgabe dieses Bereichs.
Mit dem dritten Programm „Menschen“ sollen die sogenannten Marie-Curie-Maßnahmen verstärkt werden.
Das ist von der Ministerin schon angesprochen worden.
Hier wollen wir für den Forscherberuf werben. Wir
wollen dafür werben, dass mehr junge Menschen in den
Bereich Wissenschaft gehen und dass - das ist ein deutsches Problem und kein europäisches Problem - mehr
junge Frauen in die Wissenschaft gehen.
({3})
Es ist eine Schande für Deutschland, dass es uns nicht
wie anderen europäischen Staaten und anderen Staaten
in der Welt gelingt, junge Frauen für den Bereich Wissenschaft zu gewinnen. Das wäre aber aufgrund unseres
Bedarfs notwendig und würde dem Begabungspotenzial
der Frauen entsprechen. Das heißt also, auch hier liegen
Chancen des Programms. Ich hoffe, dass das auch für
uns zutrifft.
Der vierte Programmteil trägt die Überschrift „Kapazitäten“. Es geht darin um Forschung und Innovation.
Dazu zählen die Forschungsinfrastruktur und die KMUFörderung, aber nicht mit der Gießkanne.
Frau Pieper, Sie haben wieder den ganzen Katalog alter Technologien aufgeführt. Über die Kernkraft könnten
wir jetzt tagelang streiten. Ich halte es in Europa für einen gesellschaftspolitischen Skandal - darüber müssen
wir diskutieren, wenn es um Europa geht -, dass der Bereich von Euratom der einzige Bereich ist, in den Milliardenbeträge fließen und bei dem die Parlamente keinen Zugriff haben und nicht mitreden dürfen.
({4})
Das zu ändern, muss einer der zentralen Punkte in der
europäischen Verfassung sein. Deswegen bin ich für die
europäische Verfassung. Es darf nicht sein, dass nichtdemokratisch legitimierte Strukturen ungeheure Beträge
in eine Technologie stecken, über die man streiten kann.
Frau Pieper, in den letzten Wochen gab es in diesem
Lande doch wirklich eine Aufbruchstimmung an den
Universitäten. Die Exzellenzinitiative, die wir gestartet
hatten, wurde in der letzten Zeit diskutiert, auch wenn es
eine verzerrende Berichterstattung der Medien bis hin
zur Tagesschau gegeben hat.
Herr Tauss, ich ahne, dass Sie sich jetzt in die Ihnen
typische Betriebstemperatur geredet haben.
({0})
Ja, Sie haben völlig recht.
Wenn ich Ihren Redefluss jetzt nicht sanft und freundschaftlich beende, dann führt es zu einem unüberschaubaren, weil nicht absehbaren Finale.
({0})
Ich weise Sie also auf Ihre längst überschrittene Redezeit
hin.
Herr Präsident, gestatten Sie mir dennoch eine
Schlussbemerkung. Auch für Sie dürfte sie interessant
sein.
Bei der Berichterstattung über die Exzellenzinitiative
wurde so getan, als ob es um eine Art Bundesliga für
Universitäten ginge. Wir haben aber auch hervorragende
Universitäten, die nicht ausgezeichnet wurden und die
für die Regionen, Stichwort „Lehrerausbildung“, wichtig
sind. Herr Präsident, ich bin dankbar, dass Sie mir gestatten, darauf hinzuweisen: Exzellenz ist wichtig, aber
in Deutschland können wir auf die Breite unserer Hochschulen stolz sein. Diese müssen wir fördern und stärken.
Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit.
({0})
Herr Kollege Tauss, ich bestätige gerne, dass insbesondere Ihre Schlussbemerkung meinen Informationsstand wesentlich befördert hat.
({0})
Das wäre allerdings auch dann der Fall gewesen, wenn
Sie sie gleich zu Beginn vorgetragen und pünktlich geschlossen hätten.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung auf Drucksache 16/2891. Der Ausschuss empfiehlt
unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme
des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 16/1547 mit dem Titel „Innovationen für
Deutschland durch das Siebte Forschungsrahmenpro-
gramm der Europäischen Union“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich der Stimme? - Die Beschlussempfehlung ist
mit breiter Mehrheit angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/710
mit dem Titel „Zukunftsfähige Forschung in Europa
stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? -
Auch diese Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit ange-
nommen.
Zum Zusatzpunkt 2 gibt es die Beschlussempfehlung
des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technik-
Präsident Dr. Norbert Lammert
folgenabschätzung auf Drucksache 16/2738 zu dem An-
trag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Voraussetzun-
gen für Entwicklung, Bau und Betrieb einer
Europäischen Spallations-Neutronenquelle in Deutsch-
land schaffen - Deutsche Bewerbung vorantreiben“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/386
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der
Stimme? - Auch diese Beschlussempfehlung ist mit
Mehrheit angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Dr. Heinrich L. Kolb, Jens
Ackermann, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zum
Schutz der arbeitenden Jugend ({2})
- Drucksache 16/2094 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Klaus
Ernst, Hüseyin-Kenan Aydin, Karin Binder, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes
- Drucksache 16/3016 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({4})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Auch hier sind nach einer interfraktionellen Vereinbarung für die Aussprache 75 Minuten vorgesehen. - Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Ernst Burgbacher für die FDP-Fraktion.
({5})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es um Arbeitsplätze im Hotel- und Gastronomiegewerbe. Gestatten
Sie mir, einige Zahlen zu nennen: Einerseits steigt seit
Jahren die Zahl der Ausbildungsplätze in diesem Bereich. Es gibt dort heute mehr als 100 000 Ausbildungsverhältnisse.
({0})
Allein 2005 wurden 43 000 Ausbildungsverträge neu geschlossen. Ich glaube, es ist durchaus an der Zeit, all den
Unternehmerinnen und Unternehmern, die ihre Verantwortung wahrnehmen, ein ganz herzliches Dankeschön
zu sagen.
({1})
Andererseits sagt uns die Bundesagentur für Arbeit,
es gebe in diesem Bereich mehr offene Ausbildungsstellen als unvermittelte Bewerber. Im Herbst 2006 habe es
über 22 000 offene Stellen für Köche und Servicepersonal im Gastgewerbe gegeben.
Ich will diesen Zahlen einen ganz konkreten Fall gegenüberstellen, der mir letzte Woche berichtet wurde.
Florian, ein Hauptschüler, hat das große Berufsziel,
Koch zu werden. Er macht in den Weihnachtsferien eine
Schnupperlehre in der Küche eines großen Restaurants.
Er ist hellauf begeistert, das Personal auch von ihm. Am
Ende dieser Lehre wird ihm gesagt: Wir nehmen dich,
aber erst in zwei Jahren. Versuche, diese zwei Jahre zu
überbrücken! Mache irgendetwas! Wenn du 18 bist,
dann kannst du wiederkommen. - Es ist für mich unerträglich, dass wir nach wie vor diesen Zustand haben.
({2})
Dass heute Jugendliche im Alter zwischen 16 und
18 Jahren nur bis 22 Uhr und vor Berufsschultagen nur
bis 20 Uhr arbeiten dürfen, führt zu einer groben
Benachteiligung von Haupt- und Realschülern gegenüber Gymnasiasten. Dies führt dazu, dass Ausbildungsplätze, die existieren könnten, nicht existieren. Es gäbe
jährlich gut 2 000 mehr. Es ist unverantwortlich, diesen
Zustand so beizubehalten.
({3})
Wir wollen nichts Revolutionäres. Wir wollen den
täglichen Arbeitszeitrahmen um eine Stunde erhöhen,
und zwar von 22 auf 23 Uhr und vor Berufsschultagen
von 20 auf 21 Uhr. Auch die Jugendlichen selbst wollen
das; das hören wir in vielen Gesprächen. Wer eine Lehre
in diesem Bereich beginnt, weiß, dass er abends und am
Wochenende arbeiten muss.
Jetzt gibt es eine Bund-Länder-Gruppe, die darüber
diskutiert. Es ist genug diskutiert worden. Wir müssen
endlich handeln.
({4})
Ich bin froh, dass sich eine Bundesratsinitiative aus Baden-Württemberg zu diesem Thema abzeichnet. Ich
werde sie unterstützen.
Worum geht es denn? Die Regelungen des Jugendarbeitschutzgesetzes stammen von 1976. Seither hat sich
einiges verändert. Das Ausgehverhalten zum Beispiel
hat sich völlig verändert; die Ausgehzeiten haben sich
nach hinten verlagert. Heute sind die Gaststätten um
18 oder 19 Uhr häufig noch leer; um 22 Uhr brummt
dann der Bär.
Das Ausgehverhalten Jugendlicher hat sich verändert.
Als ich 17 war, musste ich um 22 Uhr zu Hause sein.
({5})
Als meine Kinder 17 waren, haben sie sich um 22 Uhr
darauf vorbereitet, wegzugehen. Das ist die Entwicklung, vor der wir nicht die Augen verschließen sollten.
({6})
Der DGB hat in einem Brief geschrieben: „Auszubildende sollen etwas lernen und nicht als billige Arbeitskräfte missbraucht werden.“
({7})
Ich kann dazu nur feststellen: Der DGB hat nichts verstanden.
({8})
Das duale System, um das uns ganz Europa beneidet, basiert darauf, dass in der Berufsschule das theoretische
Wissen und ein Teil der Praxis gelernt wird. Entscheidend ist aber, dass man mitbekommt, wie die Praxis aussieht. Das ist aber nicht möglich, wenn ein Laden stillsteht, sondern nur dann, wenn er läuft. Das ist das
Problem. Zur Qualität der Ausbildung gehört, dass die
Jugendlichen nicht dann arbeiten, wenn das Lokal leer
ist, sondern dann, wenn die Gäste da sind.
({9})
Die Bundeskanzlerin hat in Ihrer Regierungserklärung gesagt:
Wir müssen immer wieder schauen: Wo sind Hürden, die Menschen den Weg in die Arbeitswelt versperren? Wir müssen lernen, dies möglichst vorurteilsfrei zu betrachten.
Hier gibt es eine Hürde, die wir ganz einfach wegräumen
könnten. Deswegen appelliere ich insbesondere an die
Union - Sie haben uns bisher immer zugestimmt -: Setzen Sie sich durch! Ich würde gern an einem Beispiel erkennen, dass auch Sie Mitglied der Koalition sind und
sich auch einmal gegen die SPD durchsetzen können.
({10})
Manche Kolleginnen und Kollegen auf der linken
Seite des Hauses tragen rote Buttons. Sie bedeuten offenbar „Wir bremsen Jugendliche in ihren Chancen aus“.
({11})
Ich appelliere an Sie: Kommen Sie endlich in der Realität an! Erkennen Sie endlich, dass Ihre Schutzvorschriften junge Menschen in Wahrheit nicht schützen, sondern
sie ihrer Chancen berauben! Das ist doch eine Tatsache.
({12})
Mit dem Antidiskriminierungsgesetz haben Sie
auch Schutzvorschriften eingeführt. Heute erkennen wir,
dass diejenigen, die Sie schützen wollen, weniger Chancen haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Sie wollen Jugendliche anscheinend schützen. In der Realität nehmen
Sie ihnen aber die Chancen auf einen Ausbildungsplatz
und damit auch auf einen Arbeitsplatz. Sie haben aber
gegenüber diesen Jugendlichen eine konkrete Verantwortung. Ich mahne an: Nehmen Sie diese Verantwortung wahr und kommen Sie endlich in der Realität an!
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Paul Lehrieder,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kollegen von der FDP, insbesondere geschätzter Kollege Burgbacher, Ihr Anliegen,
den Jugendarbeitsschutz punktuell flexibilisieren zu
wollen, mag ehrenwert sein.
({0})
Sie haben ausgeführt, dass es im Gastgewerbe
22 000 offene Stellen gibt, und Sie haben diesmal statt
der Tante Käthe den Florian zitiert, der nur dann die
Chance hätte, einen Ausbildungsplatz zu bekommen,
wenn er schon 18 Jahre alt wäre.
Ich glaube kaum, dass sehr viele kleine und mittelständische Unternehmen die Einstellung eines 16- bis
18-jährigen Jugendlichen davon abhängig machen, ob er
über 22 Uhr hinaus arbeiten kann. Im Übrigen kann man
die Gäste, die nach 22 Uhr noch ein Essen bestellen, an
einer Hand abzählen. Im Barbetrieb werden die Jugendlichen in aller Regel ohnehin nicht eingesetzt.
({1})
Der Ausbildungszweck - das kann man objektiv festhalten - wird zwischen 22 und 23 Uhr nicht in nennenswertem Umfang gefördert.
({2})
Das Jugendarbeitsschutzgesetz steht als Ganzes auf
dem Prüfstand. Kollege Burgbacher hat gezeigt, dass er
das sehr wohl weiß.
({3})
Das Jugendarbeitsschutzgesetz, das seit 1976 in Kraft ist
und seitdem nur partiell überarbeitet wurde, ist einer
Gesamtrevision zu unterziehen. Wir ziehen einen ganzheitlichen Ansatz der Überprüfung von Gesetzentwürfen
der Regelung von Einzelaspekten vor, die sich zudem
noch widersprechen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass
die Linkspartei jubelt, wenn sie sich die liberale Forderung nach Verlängerung der Arbeitszeit bis 23 Uhr bzw.
bis 21 Uhr auf der Zunge zergehen lässt. Umgekehrt
glaube ich nicht, dass die Linken bei der FDP auf viel
Gegenliebe stoßen, wenn sie junge Auszubildende bis
21 Jahre in das Jugendarbeitsschutzgesetz einbeziehen
wollen. Ein 16-jähriger Jugendlicher dürfte statt bislang
zwei Jahre bis zum 18. Lebensjahr dann bis zum
21. Lebensjahr, also noch einmal drei Jahre länger, mithin fünf Jahre nicht mehr als acht Stunden täglich und
nur an fünf Tagen in der Woche arbeiten. Drei Jahre länger dürfte er in den meisten Branchen weder in der
Nachtzeit zwischen 20 und 6 Uhr morgens noch am Wochenende arbeiten. Drei Jahre länger müssten Hauptund Realschüler warten, bis sie sozusagen als fertige Berufstätige gelten. Inwieweit das potenzielle Ausbildungsbetriebe und Arbeitgeber zu mehr Angeboten animiert und ob das wirklich im Interesse der Jugendlichen
ist, kann sich jeder selbst ausrechnen. Gerade Hauptund Realschüler hätten dann gegenüber Abiturienten
kaum noch eine ernst zu nehmende Chance.
Grundsätzlich bleibt festzuhalten: Natürlich beeinflusst das Jugendarbeitsschutzgesetz den Ausbildungsmarkt. Es verfolgt von der Intention des Gesetzgebers
her ein anderes Ziel. Es soll Jugendliche vor Überforderung, Überbeanspruchung und den Gefahren am
Arbeitsplatz entsprechend ihrem Entwicklungsstand
schützen. Dabei ist es egal, ob sie noch ausgebildet werden oder schon Arbeitnehmer sind. Die Entwicklung eines Jugendlichen kann mit 18 Jahren gemeinhin als abgeschlossen gelten. Die Volljährigkeit mit 18 ist sonst
unstrittig, meine Freunde von der Linkspartei. Irgendwo
muss schließlich eine klare Grenze verlaufen. Für junge
Erwachsene ist dann das Berufsbildungsgesetz mit besonderen Regelungen zum Schutz von Auszubildenden
maßgeblich. Junge Erwachsene in den Geltungsbereich
des Jugendarbeitsschutzgesetzes einzubeziehen, ist deshalb absolut nicht sinnvoll.
Für die FDP dagegen ist der Reifeprozess laut Gesetzentwurf schon viel früher abgeschlossen. Die Kollegen
von der Linkspartei möchten ihn allerdings fast bis zur
ewigen Jugend ausdehnen. Vielleicht sollten Sie sich als
vereinte Opposition in der Mitte treffen. Dann wären wir
wieder am Status quo, bei 18 Jahren.
({4})
- Es war nur ein gutgemeinter Vorschlag. Stellen Sie
eine Zwischenfrage, Herr Westerwelle. Dann verlängert
sich meine Redezeit.
Ein besonders hohes Gut im Jugendarbeitsschutzgesetz stellt die Nachtruhe dar. Gerade deshalb sollen die
sich noch in der Entwicklung befindenden Jugendlichen
grundsätzlich weder vor 6 Uhr noch nach 20 Uhr im
Ausbildungsbetrieb Dienst tun. Aufgrund der dort herrschenden Besonderheiten können Jugendliche ab
16 Jahre bereits jetzt im Hotel- und Gaststättengewerbe
bis 22 Uhr und bei Schichtdienst sogar bis 23 Uhr beschäftigt werden. Die Nachtruhe vor Berufsschultagen
soll sicherstellen, dass Jugendliche am Folgetag ausgeruht und aufnahmefähig am Berufsschulunterricht teilnehmen können. Ein weiterer Aspekt, den wir nicht ignorieren sollten, ist die ÖPNV-Anbindung. Nur wenige
Jugendliche im Alter von 16 bis 18 Jahren sind selbst
motorisiert. Viele sind auf öffentliche Verkehrsmittel wie
Busse angewiesen. Mit Ausnahme von Ballungsgebieten
ist die Bedienungshäufigkeit nach 22 Uhr oft so
schlecht, dass für viele Jugendliche nicht sichergestellt
ist, mit öffentlichen Verkehrsmitteln heimzukommen.
Das sollten wir nicht ganz außen vor lassen.
({5})
Die FDP fordert generell, die Arbeitszeit im Rahmen
des Jugendarbeitsschutzes weiter in den Abend zu verschieben. Begründung: Das Freizeitverhalten der Jugendlichen habe sich verändert. Herr Burgbacher, Sie
selbst haben gesagt, dass Ihre Kinder oft fortgehen,
wenn Sie um 22 Uhr nach Hause kommen. Wir dürfen
aber das selbstgewählte und von den Eltern tolerierte
Freizeitverhalten nicht mit beruflichen Anforderungen
vergleichen. Sonst vergleichen wir Äpfel mit Birnen.
Wenn die Jugendlichen am Freitag und am Samstag bis
in die Puppen in der Disko sind und am nächsten Tag
ausschlafen können, dann darf man das nicht mit der Arbeitszeit vergleichen; das funktioniert nicht. Das allein
ist kein hinreichender Anlass, das Gesetz zu ändern.
Mögliche Freizeitaktivitäten üben weder auf die besondere Schutzbedürftigkeit Jugendlicher im Erwerbsleben
noch auf den Schutzzweck des Gesetzes einen nachhaltigen Einfluss aus.
Zudem besteht ein Unterschied darin, dass Jugendliche die Dauer ihrer Freizeitaktivitäten selbst bestimmen
können. Sie können in der Freizeit heimgehen, wenn sie
wollen. Das können sie im Betrieb üblicherweise nicht.
Sie sind in ihrer Freizeit selbst verantwortlich, während
sie sich einer täglichen Arbeitszeit bis 23 Uhr bzw.
21 Uhr nicht entziehen können. Das Jugendarbeitsschutzgesetz soll - wie gerade erwähnt - gewährleisten,
dass die Jugendlichen nach Feierabend über genügend
Erholungszeit verfügen und sich gerade in der Klausurenphase auf die Berufsschule vorbereiten können.
Warten wir die Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe ab. Sie ist dabei, das gesamte Jugendarbeitsschutzgesetz im Hinblick auf mögliche Ausbildungshemmnisse zu durchleuchten, immer unter der
Voraussetzung, dass dabei die Sicherheit und der Gesundheitsschutz der Jugendlichen gewährleistet bleiben.
Dabei wird auch die gesundheitliche Betreuung unter die
Lupe genommen. Ich gehe davon aus, dass im Ergebnis
ein 18-jähriger, was das betrifft, nicht schlechter gestellt
sein wird als ein 16-jähriger Auszubildender. Dieses
Vorhaben geht Hand in Hand mit den Plänen der Bundesregierung, die berufliche Bildung zu modernisieren
und zu flexibilisieren. Das neue Berufsbildungsgesetz
bietet dafür eine Reihe von Ansatzpunkten. So müssen
die Ausbildungsberufe zügig entsprechend dem technischen Fortschritt erneuert werden. Bereits zum
Herbst 2006 sind zum Beispiel 17 Ausbildungsordnungen modernisiert worden. Es sind vier neue Berufe
geschaffen worden.
Sie sehen, das Jugendarbeitsschutzgesetz hängt mit
den Arbeitsmarktreformen dieser Großen Koalition eng
zusammen, die sich diese Regierung vorgenommen hat.
Es beeinflusst den Ausbildungsmarkt mit und ist obendrein geprägt von unserer Verantwortung für Sicherheit
und Wohlbefinden unserer Auszubildenden. Deshalb
müssen wir es, wenn wir es tun, umfassend und umsichPaul Lehrieder
tig überarbeiten. Der Weg dahin ist beschritten. Lassen
Sie uns deshalb gemeinsam die Ergebnisse der BundLänder-Kommission abwarten und diskutieren. Die Opposition von links und von rechts
({6})
ist natürlich herzlich eingeladen, fundierte Beiträge zur
Debatte beizusteuern. Ich freue mich auf die Diskussion
des Gesamtgesetzes.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort erhält nun die Kollegin Diana Golze, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße auch die auf der Tribüne
anwesenden Aktivistinnen und Aktivisten der Gewerkschaftsjugend
({0})
und sage ihnen, dass die Fraktion Die Linke geschlossen
hinter ihrer Forderung nach einem Erhalt des gesetzlichen Jugendarbeitsschutzes steht.
({1})
- Wen ich begrüße, darf ich ja wohl sagen.
Ich freue mich darüber, dass auch einige Abgeordnete
aus anderen Fraktionen heute ein Zeichen gegen die
Aushöhlung des Jugendarbeitsschutzes setzen.
({2})
Ich hoffe aber auch - das sage ich an die Adresse der
SPD -, dass Sie hier heute
({3})
nicht nur wohlfeile Lippenbekenntnisse abgeben. Sie
schwören öffentlich Eide auf den Erhalt des gesetzlichen
Jugendarbeitsschutzes,
({4})
während im sozialdemokratisch geführten Arbeitsministerium munter die Fundamente des Gesetzes untergraben
werden.
({5})
In den Anhörungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die
seit September 2006 tagt, wird deutlich, dass es bei der
geplanten Novellierung buchstäblich um den Kern des
gesetzlichen Jugendarbeitsschutzes geht. Die Wochenend- und Nachtarbeitsverbote werden durch die Beamten
aus den Ländern und aus dem Müntefering-Ministerium
ebenso infrage gestellt wie die Existenz der Ausschüsse
für Jugendarbeitsschutz. Für uns sind die Schutzrechte
von Jugendlichen aber keine Manövriermasse im Koalitionspoker, sondern politischer Kerninhalt. Deshalb sagen wir heute mit roten Buttons „Stopp!“ und erklären
uns mit den Protesten der Gewerkschaftsjugend solidarisch.
({6})
Eine Novellierung, eine Reform des Jugendarbeitsschutzes heißt für uns nicht weniger, sondern mehr und
bessere Schutzrechte für Jugendliche. Deshalb wird hier
und heute dem Bundestag das erste Mal seit Jahren eine
Initiative zur weitreichenden Verbesserung des gesetzlichen Jugendarbeitsschutzes vorgelegt - von der Linksfraktion.
({7})
Das Parlament und seine Gäste müssen sich heute aber
auch einmal mehr mit den neoliberalen Evergreens der
FDP befassen. Ihr Refrain lautet, dass die Schutzrechte
von Jugendlichen nur Ausbildungshemmnisse seien.
Wie unsinnig solche Behauptungen sind, zeigt schon die
Tatsache, dass seit 1976 mehrere Male am Jugendarbeitsschutz gesägt wurde. Im Jahr 2006 waren aber die
Chancen von Jugendlichen auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz schlechter denn je. Weniger Jugendarbeitsschutz schafft keinen einzigen neuen Ausbildungsplatz.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, ein kleiner
Rat am Rande: Sie legen heute zum dritten Mal seit 2003
dieselbe Initiative vor.
({9})
Sie sollten das Copy-and-Paste-Prinzip aber nicht ganz
so unbesehen anwenden. Sie wollen nämlich in Ihrem
Gesetzentwurf noch am Jugendarbeitsschutzgesetz in
der Fassung vom 21. Dezember 2000 herumdoktern.
Das stimmte, wenigstens formal, noch, als Sie diesen
Gesetzentwurf 2004 das letzte Mal eingebracht haben.
Mittlerweile haben wir das Jahr 2007, und Sie müssten
sich korrekterweise auf die zuletzt am 21. Januar 2005
geänderte Fassung beziehen.
({10})
Ein kleiner Fehler, der viel über die Entstehungsweise
Ihres Gesetzentwurfs besagt.
({11})
Bestellen Sie doch wenigstens Ihren Sekundanten aus
dem Arbeitgeberlager, dass sie Ihnen formal korrekte
Zuarbeiten machen.
({12})
Ich komme aus dem Land Brandenburg, wo die Situation am Ausbildungsmarkt noch dramatischer ist als anderswo. Wer die Realität in den Betrieben kennt, muss zu
der Schlussfolgerung kommen, dass nicht ein Abbau,
sondern ein Ausbau des Jugendarbeitsschutzes auf die
Tagesordnung gehört. Vor einer Woche hat die Gewerkschaftsjugend den „Berlin-Brandenburger Ausbildungsreport 2006“ veröffentlicht, der bestätigt, was viele
Gespräche vermuten lassen: Jeder fünfte Azubi in der Region macht regelmäßig Überstunden, und nur jeder
zweite von ihnen erhält dafür einen Ausgleich. Nehmen
wir doch zum Beispiel einmal das bei der FDP so beliebte
Hotel- und Gaststättengewerbe. Jeder fünfte Azubi unter
18 muss in Brandenburg regelmäßig mehr als 40 Stunden
pro Woche arbeiten, was - nebenbei bemerkt - illegal ist.
Jeder fünfte Azubi lernt so am Beginn seines Arbeitslebens erst einmal, dass seine Schutzrechte mit Füßen getreten werden. Einer solchen Branche wollen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf auch noch entgegenkommen? In
meinen Augen ist das ein Hohn.
({13})
Immer mehr Arbeitgeber beuten Auszubildende als
billige Arbeitskräfte schamlos aus. Wenn das ein Ende
haben soll, brauchen wir nicht weniger, sondern mehr
Jugendarbeitsschutz. Vor allem müssen wir dafür sorgen,
dass das Gesetz diejenigen erfasst, die es am Beginn
ihres Arbeitslebens am nötigsten brauchen: die 1,6 Millionen Auszubildenden. Das ist der Kern unserer Initiative. Wir wollen den Geltungsbereich des Jugendarbeitsschutzgesetzes auf alle Beschäftigten ausweiten, die
noch nicht 21 Jahre alt sind.
Lassen Sie mich erklären, was für diese Änderung
spricht, bevor ich die Gegenargumente entkräfte. Der gesetzliche Jugendarbeitsschutz in Deutschland ist ungenügend. Jeder fünfte Arbeitsunfall betrifft die 15- bis
24-Jährigen. Ganz real heißt das: Alle drei Minuten von
Montag bis Sonntag von 0 bis 24 Uhr - dreimal während
meiner Redezeit - verunglückt ein junger Mensch am Arbeitsplatz; insgesamt verunglücken pro Jahr 165 000
junge Menschen. Europaweit liegt die Wahrscheinlichkeit, dass 18- bis 24-Jährige am Arbeitsplatz verletzt werden, um 50 Prozent über der anderer Altersgruppen. Der
Gefahrenschwerpunkt liegt in der Frühphase von Ausbildung und Erwerbstätigkeit. Dann ist die Motivation hoch,
während ein spezifisches Gefahrenbewusstsein erst herausgebildet wird. Ein wirksamer Jugendarbeitsschutz
muss deshalb auch und vor allem Auszubildende erfassen.
Für unseren Vorschlag spricht die Tatsache, dass
gegenwärtig drei von vier Auszubildenden vom gesetzlichen Arbeitsschutz gar nicht erfasst werden, ganz einfach, weil sie über 18 Jahre alt sind. Das durchschnittliche Alter für den Einstieg in eine betriebliche
Ausbildung beträgt heute 18,8 Jahre. Ein Schutzgesetz,
das diejenigen, die es am dringendsten brauchen, nicht
mehr erfasst, ist wirkungslos und muss reformiert werden.
({14})
Solange die Schutzgrenze bei 18 Jahren liegt, erhalten Unternehmen auch noch einen Anreiz, nicht mehr
Haupt- oder Realschüler als Auszubildende einzustellen,
sondern Abiturienten, weil für die das Jugendarbeitsschutzgesetz nicht mehr gilt.
({15})
Ein Gesetz, durch das so falsche Anreize gesetzt werden,
muss - ich wiederhole es - reformiert werden.
Nicht zuletzt Ihre Politik, meine Damen und Herren
von der Koalition, ist eine Aufforderung zur Ausweitung
des Jugendarbeitsschutzes. Wer künftig bis zum 67. Lebensjahr arbeiten soll, sollte doch wenigstens am Anfang
so geschützt werden, dass er oder sie überhaupt so lange
arbeiten kann.
({16})
Der Jugendarbeitsschutz von heute ist die soziale Sicherheit von morgen.
Nun sind die Einwände schon gekommen: Sie sagen,
mehr Jugendarbeitsschutz schade den Chancen von Jugendlichen, einen Ausbildungsplatz zu finden.
({17})
Ich sage Ihnen, dass das allein deshalb nicht stimmt, weil
die Arbeitgeber immer Ausreden finden werden, um ihre
Ausbildungsverweigerung zu bemänteln.
({18})
Kein Schutzrecht in diesem Land wäre eingeführt worden, wenn wir vorher die Wirtschaft oder ihre Verbände
um Einverständnis gefragt hätten.
({19})
Ein weiterer Einwand, der schon gemacht wurde, lautet, dass der Jugendarbeitsschutz den Einsatz von Auszubildenden so sehr behindere, dass die Ausbildungsziele
nicht erreicht werden könnten. Das ist, gelinde gesagt,
Unsinn, weil das Gesetz selbst unzählige Abweichungsmöglichkeiten enthält, durch die das verhindert werden
kann.
Schließlich kam auch schon der Einwand, dass die
Ausweitung des Jugendarbeitsschutzes auf alle Jugendlichen unter 21 Jahren den flexiblen Einsatz von jungen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die keine Auszubildenden sind, verhindere. Auch dieser Einwand hält
einer Prüfung nicht stand. Schließlich können zentrale
Abweichungstatbestände über Tarifverträge mit den Gewerkschaften geregelt werden. Dann müssten sich Verbände wie der DEHOGA auf ihre eigentlichen Aufgaben
zurückziehen. Sie müssten dann nicht mehr ihre Energie
und die Beiträge ihrer Mitglieder für die Initiierung solcher Gesetzesinitiativen verschwenden, sondern konstruktive Tarifverträge aushandeln.
({20})
Dann müsste der DEHOGA nicht länger mit der Peinlichkeit leben, dass - wie im November 2006 während
des Verbandstages - draußen die Arbeitnehmer gegen
Armutslöhne protestieren und drinnen die Bosse mit den
Herren Westerwelle, Glos, Kuhn und Müntefering bei
Schnittchen und Sekt schwatzen.
({21})
Zu guter Letzt werden wir sicher auch noch mit der
neuen Einsicht beglückt, die Jugendlichen wollten ja eigentlich länger arbeiten, wenn sie das Gesetz nur ließe.
Das ist von allen Argumentationen die zynischste; dabei
missbraucht man die Ängste der Jugendlichen um ihren
Ausbildungs- oder Arbeitsplatz, um den Abbau ihrer
wichtigsten Schutzrechte zu ermöglichen.
({22})
Ich fasse zusammen: Die Gesetzesinitiative der FDP
lehnen wir als inhumanen Angriff auf die Schutzrechte
von Jugendlichen ab.
({23})
Den Plänen der Länder und des Bundes zur weiteren
Aushöhlung des Jugendarbeitsschutzes werden wir unseren entschiedenen Widerstand entgegensetzen. Nach
unserer Überzeugung gehört eine Ausweitung des gesetzlichen Jugendarbeitsschutzes auf die politische Tagesordnung. Die heute von uns vorgeschlagene Ausweitung des Schutzbereichs auf das 21. Lebensjahr kann
hier nur der Anfang sein.
({24})
Unsere Fraktion wird noch 2007 einen umfassenden
Vorschlag für die Reform des Jugendarbeitsschutzgesetzes vorlegen. Wir werden vorher mit den Betroffenen
- mit Jugendvertretern, Gewerkschaften und Jugendverbänden - darüber diskutieren; deren Stimme ist uns nämlich wichtig, anscheinend wichtiger als manch anderem
in diesem Hause.
({25})
Vielen Dank.
({26})
Das Wort hat nun der Kollege Wolfgang Grotthaus,
SPD-Fraktion.
({0})
Danke schön für Ihr Vertrauen, Herr Westerwelle. Ich
komme gleich zu Ihnen bzw. zu Herrn Burgbacher.
({0})
Es ist schon ein ziemlich starkes Stück, das Zustandekommen eines Lehrvertrages davon abhängig zu machen, ob jemand eine Stunde am Tag später arbeiten
kann, auch wenn er das nicht muss.
({1})
Dabei wird die Arbeitszeit des Einzelnen nicht erweitert,
sondern nur die Zeit, in der er arbeiten könnte.
({2})
Ich sage Ihnen: Die Beschränkungen des Jugendarbeitsschutzes haben nichts damit zu tun, dass Lehrverträge nicht abgeschlossen werden. Hier sollen junge
Menschen in die Haft genommen werden, um politische
Zielsetzungen zu erreichen.
({3})
Darüber sollten Sie einmal nachdenken. Ganz viele Unternehmerinnen und Unternehmer in diesem Gewerbe
stellen unabhängig von den Zeiten im Jugendarbeitsschutzgesetz junge Menschen ein. Sie sollten vielleicht
auf den Unternehmer, der den Florian nicht eingestellt
hat, einwirken und ihn animieren, einmal darüber nachzudenken.
({4})
Sie begründen die Tatsache, dass weniger junge Menschen aus dem Haupt- und Realschulbereich eingestellt
werden, mit den Beschränkungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes. Sie sagen, hier setze ein Verdrängungsprozess ein, Abiturienten verdrängten Haupt- und Realschüler; deswegen müsse die zulässige Arbeitszeit im
Rahmen des Jugendarbeitsschutzgesetzes geändert werden. Die Zielrichtung Ihres Antrages ist aber: Verzichtet
auf Arbeitnehmerrechte, hier insbesondere auf den Gesundheitsschutz! Dann erfolgen mehr Einstellungen von
Haupt- und Realschülern.
Man muss sich jetzt die Fragen stellen: Kann das richtig sein? Wie sieht die Realität aus? Dazu einige Anmerkungen: Das Gastgewerbe hat in den vergangenen Jahren seine Ausbildungszahlen deutlich gesteigert. Dazu
haben Sie etwas gesagt; Sie haben Zahlen genannt und
ein Dankeschön an die Unternehmerinnen und Unternehmer gerichtet. Den Dank möchte ich wiederholen.
({5})
Ich komme gleich aber zu einer anderen Schlussfolgerung als Sie. Herr Burgbacher, die reguläre Beschäftigung
ist in den vergangenen Jahren zugleich überdurchschnittlich abgebaut worden. Die Zahl der neu abgeschlossenen
Ausbildungsverträge mit Jugendlichen unter 18 Jahren ist
zwischen 1996 und 2005 um 25 Prozent gestiegen, und
zwar unabhängig von den Arbeitszeiten in diesem Gewerbe. Jetzt kommt der entscheidende Punkt: Nicht einmal jeder dritte Auszubildende wird nach der Ausbildung
in ein Beschäftigungsverhältnis übernommen. In keiner
anderen Branche ist die Übernahmequote geringer. Ein
Schelm, wer dabei auf die Idee kommt, dass hier junge
Menschen in der Ausbildungszeit als billige Arbeitskräfte
genutzt werden. Ich appelliere an die Unternehmerinnen
und Unternehmer insbesondere in diesem Gewerbe, den
jungen Menschen auch nach ihrer Ausbildung eine
Chance zu geben und sie in feste Beschäftigungsverhältnisse - das ist für uns der entscheidende Punkt - und nicht
nur in befristete oder in 400-Euro-Jobs einzustellen.
({6})
Nun sagen die von mir genannten Zahlen letztlich
aber noch nichts darüber aus, wie sich in den letzten Jahren das Verhältnis der Zahl der Abiturenten zu der Zahl
der Haupt- und Realschüler verändert hat. Wenn es denn
so sein sollte, dass Abiturienten immer mehr Haupt- und
Realschüler verdrängen, dann hängt dies bestimmt nicht
mit dem Jugendarbeitsschutzgesetz zusammen, sondern
mit dem insgesamt mäßigen Angebot an Ausbildungsstellen am Markt. Hier setzt ein Verdrängungsprozess
ein, der nicht durch den Abbau von Schutzrechten, sondern nur durch ein Mehrangebot an Ausbildungsplätzen
seitens der Unternehmerinnen und Unternehmer aufzuhalten ist. Wenn diese Forderung im Antrag der FDP
auftauchen würde, Kolleginnen und Kollegen der FDP,
wäre das ehrlicher und diente der Sache aus unserer
Sicht mehr.
({7})
Also, die Realität sieht anders aus. Deswegen kann
Ihr Antrag nur so bewertet werden, dass es Ihnen um
eine bestimmte Klientel oder - das scheint mir eher der
Fall zu sein - um einen weiteren Abbau von Schutzmaßnahmen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht.
Der Antrag der Fraktion Die Linke beinhaltet das Gegenteil des FDP-Antrags. Der Kollege der CDU/CSU
hat schon einen Vorschlag dazu gemacht, wie man sich
da arithmetisch einigen kann.
({8})
- Genau! - Hier ist der typische Reflex der Linken festzustellen: Es wird ein Antrag ins Plenum eingebracht,
der eine Verschlechterung in einem bestimmten Bereich
vorsieht. Die Linke sagt dann: Wir müssen den Stand
nicht nur halten, wir müssen noch etwas draufsatteln. Sie
haben gesagt, das sei noch nicht das Ende. Da fällt mir
die Jugendorganisation unserer Partei ein, die Jusos. Da
liegt die Altersgrenze bei 35 Jahren. Vielleicht sollte
- den Vorschlag will ich Ihnen von den Linken machen diese Arbeitszeit nicht nur für Menschen bis 18 oder bis
21 Jahre, sondern für Menschen bis 35 Jahre gelten.
({9})
Sie werden dann ungeteilte Zustimmung zumindest bei
einigen jungen Menschen finden.
Wir werden beide Anträge in der weiteren Behandlung ablehnen, weil man aus unserer Sicht bei beiden zu
kurz gesprungen ist, und zwar deswegen, weil es bei der
Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes nicht nur um
einen Punkt gehen kann. Wir sollten ähnlich wie bei der
Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes in der
letzten Wahlperiode - damit sage ich denjenigen, die die
Diskussion mitbekommen haben, schon genug - überprüfen, ob ein 1976 beschlossenes Gesetz den heutigen
Erfordernissen noch entspricht. Veränderungen im Betrieb, aber auch in der Gesellschaft können Veränderungen bei den Gesetzen notwendig machen. Deshalb ist es
gut, dass es zu dieser Thematik einen Arbeitskreis auf
Bund-Länder-Ebene gibt. Wir werden die Ergebnisse abwarten.
Wir werden sehr differenziert diskutieren - davon
gehe ich aus - und danach die Frage der Notwendigkeit
etwaiger gesetzlicher Änderungen bewerten. Dabei - das
sage ich schon hier und heute ganz klar - wird das betriebliche Interesse nicht vor den gesundheitlichen
Schutz von jungen Menschen gestellt, frei nach dem
Motto: Du kannst froh sein, dass du einen Arbeitsplatz
hast, auch wenn der krank macht und du keine Mitbestimmungsrechte hast.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin
Brigitte Pothmer vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Jugendarbeitsschutz als Sündenbock für die Ausbildungsplatzmisere - mein Gott, welch eine schlichte Logik
doch bei der FDP vorherrscht!
({0})
- Herr Westerwelle, ich finde, darauf sollten Sie wenigstens nicht auch noch stolz sein.
({1})
Abiturienten, so meinen Sie, nehmen den Hauptschülern Ausbildungsplätze weg, weil sie über 18 Jahre alt
sind und nicht mehr unter das Jugendarbeitsschutzgesetz
fallen. Herr Burgbacher, es trifft tatsächlich zu, dass der
Anteil der Auszubildenden mit Hauptschulabschluss im
Gaststättengewerbe zurückgegangen ist. Er liegt inzwischen bei 30 bis 35 Prozent. Das ist richtig. Das hat aber
überhaupt nichts mit dem Jugendarbeitsschutzgesetz zu
tun. Das liegt vielmehr an den auch in diesem Bereich
gestiegenen Anforderungen. Der DEHOGA selbst sagt,
dass nur noch die Hälfte aller Ausbildungsplätze in diesem Bereich für Hauptschülerinnen und Hauptschüler
zugänglich ist. Da liegt das Problem und nicht im JuBrigitte Pothmer
gendarbeitsschutzgesetz. Das hat etwas mit den gestiegenen Anforderungen zu tun. Es ist dramatisch, dass
Hauptschülerinnen und Hauptschüler auf diese gestiegenen Anforderungen nicht vorbereitet sind. Hier versagt
nicht der Jugendarbeitsschutz, sondern das föderale Bildungssystem, und zwar mit dramatischen Folgen.
({2})
Ich will Ihnen einmal sagen, wo die Arbeit eigentlich
zu machen wäre. Nehmen wir einmal das Beispiel Niedersachsen, wo die FDP mit in der Regierungsverantwortung steht; sie strebt sie erneut an. In Niedersachsen
verlassen fast 9 Prozent der Jugendlichen die Schule
ohne Abschluss. Meine Damen und Herren von der FDP,
das ist eine Aufgabe, um die Sie sich einmal kümmern
müssten. Dieses Ergebnis ist wahrlich kein gutes Zeugnis Ihrer Arbeit dort.
({3})
Ob jemand einen Ausbildungsplatz findet, hängt in
erster Linie von seiner Qualifikation ab. Das hängt von
der Nationalität ab. Es hat auch mit regionalen Gegebenheiten zu tun. Mit einem hat es aber nichts zu tun, nämlich mit dem Jugendarbeitsschutzgesetz. Der Jugendarbeitsschutz ist notwendig. Er soll die Jugendlichen vor
Überforderung und Gefahren schützen. Dieser Schutz
muss nach unserer Ansicht auch weiterhin gewährleistet
sein.
Herr Burgbacher, Sie haben heute wieder, wie schon
in früheren Debatten, mit dem Ausgehverhalten der
Jugendlichen argumentiert, frei nach dem Motto: Wer
mit 16 in die Disco geht, kann auch bis 24 Uhr kellnern.
Wie man bei uns zu Hause sagte: Wer feiern kann, der
muss auch arbeiten können.
({4})
Im Prinzip habe ich ja nichts dagegen. Konsequenterweise müssten Sie dann aber das Prinzip des Freizeitverhaltens auf die Arbeitssituation ausdehnen. Dann muss
auch dort gelten: Ich gehe feiern, wann ich will, ich gehe
arbeiten, wann ich will, und ich gehe auch nach Hause,
wann ich will. Wenn Sie dieses Freizeitsprinzip auf die
Arbeitssituation übertragen, dann kann daraus etwas
werden.
({5})
Ich finde, Sie sollten diese törichten Argumente
schlicht und ergreifend aus dem Spiel lassen. Jugendliche stehen doch deswegen unter dem besonderen Schutz
des Staates, weil ihre psychische und physische Entwicklung mit 16 Jahren noch nicht abgeschlossen ist. Es
macht Sinn, dass wir sie schützen.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei,
das hat etwas mit dem Alter sowie der körperlichen und
psychischen Entwicklung zu tun. Es kann doch nicht
richtig sein, Auszubildende, die ihre Ausbildung erst mit
18 Jahren beginnen - das sind die meisten -, wie Kinder
zu behandeln. Dieser Logik kann ich nicht folgen, und
ich finde sie falsch. Ich glaube im Übrigen, dass die jungen Menschen das gar nicht wollen.
({7})
Frau Golze, ich habe Ihnen sehr genau zugehört. Ich
habe auch Ihren Antrag sehr genau gelesen. Sie argumentieren mit der erhöhten Verletzungsgefahr. In der
Begründung Ihres Antrags schreiben Sie aber selbst
- ich zitiere -:
Der Schwerpunkt von Gefährdungen liegt zudem
unabhängig vom Zeitpunkt des Beginns
- damit ist das Alter gemeint in der Frühphase von Ausbildungs- und Erwerbstätigkeit.
Die Gefährdung ist also vom Alter unabhängig. Die Gefährdung hat vielmehr damit zu tun, dass die Leute eine
neue, eine ungewohnte Tätigkeit aufnehmen. Sie hat
nicht in erster Linie mit dem Alter zu tun. Wir sehen daher keinen Änderungsbedarf beim Jugendarbeitsschutz,
weder in die eine noch in die andere Richtung.
({8})
Herr Burgbacher, wenn Sie sich um die Behebung der
Ausbildungsplatzmisere wirklich verdient machen wollen, müssen Sie gänzlich andere Dinge tun. Dann geht es
um strukturelle Maßnahmen, um die Modularisierung
von Ausbildungsgängen und darum, dass die Änderungen des Berufsausbildungsgesetzes von 2005 endlich
auch in den Ländern umgesetzt werden. Vier von
16 Ländern haben das bisher getan. Darum sollten Sie
sich einmal kümmern. Es geht auch darum, die duale
Ausbildung grundsätzlich zu erweitern und zu modernisieren. Es geht vor allen Dingen darum, die schulische
Ausbildung erheblich zu verbessern.
Wenn 25 Prozent eines Jahrganges gar keinen oder einen schlechten Schulabschluss haben, dann ist der zentrale Angriffspunkt an dieser Stelle. Es kann einfach
nicht richtig sein, dass es in Deutschland immer noch
Personen gibt, die die Schule mit dem Etikett „Nicht
ausbildungsfähig“ verlassen. Vor dieser Aufgabe stehen
wir.
Ich habe das Gefühl, dass Sie das nicht wirklich interessiert. Sie begreifen sich eher als verlängerter Arm des
DEHOGA. Denn der Gesetzentwurf, den Sie hier vorgelegt haben, entspricht eins zu eins dem, was der
DEHOGA fordert.
({9})
Wahrscheinlich, Herr Westerwelle, hatten auch Sie
eher den DEHOGA als die Jugendlichen im Blick, als
Sie die FDP zum Anwalt der „vergessenen Mitte“ ausgerufen haben. Gemeint haben Sie damit diejenigen - ich
zitiere Sie jetzt einmal -, „die morgens nicht liegen bleiben, sondern aufstehen, ihre Kinder zur Schule bringen
und arbeiten gehen.“ Was soll das eigentlich heißen?
({10})
Heißt das, dass die 4 Millionen Menschen ohne Arbeit
Faulenzer sind? Heißt das, dass sich Arbeitslose nicht
um ihre Kinder kümmern? Heißt das, dass Schulabbrecher selber schuld sind? Herr Westerwelle, diese Fragen
müssen Sie beantworten. Sie sind nicht der Anwalt der
„vergessenen Mitte“ der Gesellschaft, sondern mit dieser
Politik kann man die FDP als Anwalt der Gesellschaft
vergessen.
Ich danke Ihnen.
({11})
Das Wort hat jetzt der Kollege Ernst Hinsken von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Ich verhehle nicht, dass ich mit vielem, was Herr
Burgbacher hier ausführte, sympathisiere.
({1})
Ich werde im Laufe meiner Rede versuchen, das eine
oder andere aus meiner Sicht zu beleuchten.
({2})
Ich glaube, dass gerade in dem Stadium, in dem wir
uns jetzt befinden, auf die Arbeitsgruppe gesetzt werden
muss, die bis zum März dieses Jahres zu einem Ergebnis
kommen wird, das zugrunde gelegt wird, um eine akzeptable Lösung für alle Seiten zu finden, die zugleich als
praktikabel bezeichnet werden kann.
({3})
Zu Ihnen, verehrte Frau Kollegin Golze, möchte ich
nur sagen: Das, was Sie hier ausführten, war für mich
Klassenkampf pur.
({4})
Aushöhlung des Jugendarbeitsschutzgesetzes, Ausbeutung, Horrorszenarien und dergleichen bestimmten Ihre
Rede. Ich richte an Sie folgende Frage: Haben Sie überhaupt schon einmal einen Betrieb von innen gesehen, sodass Sie hier überhaupt mitreden können?
({5})
Denn Ihre Ausführungen waren völlig weltfremd.
Ich verweise deshalb darauf, dass es heute darum
geht, dabei zu helfen, Entscheidungen herbeiführen, die
dringend erforderlich sind, um der Jugendarbeitslosigkeit verstärkt begegnen zu können und noch mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. Schließlich ist die Ausbildung der Schlüssel zur Zukunft.
({6})
Wir alle sagen ja: Alle Jugendlichen müssen einen Ausbildungsplatz bekommen.
Ich freue mich, heute sagen zu dürfen, dass zum
Stichtag 30. September 2006 4,8 Prozent mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung standen als im Vorjahr. Die
gute Konjunktur macht sich nun auch auf dem Ausbildungsmarkt bemerkbar. Deshalb sage ich ein herzliches
Dankeschön an alle Betriebe, die bereit waren, zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, um den
jungen Mitbürgern das notwendige Rüstzeug für die Zukunft zu geben.
({7})
Insbesondere im Hotel- und Gaststättenbereich hat
man eine federführende Rolle übernommen. Allein hier
sind über 100 000 Azubis beschäftigt. In dieser Branche
werden mittlerweile 9 Prozent der Ausbildungsverträge
abgeschlossen. Sie ist Spitzenreiter. Das sollte einmal
gesagt und anerkannt werden. Diese Zukunftsbranchen
- so möchte ich Hotellerie und Gastronomie bezeichnen könnten noch viel mehr ausbilden, wenn Restriktionen
wegfielen.
Herr Kollege Hinsken, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulling-Schröter?
Selbstverständlich, gern.
Danke schön. - Kollege Hinsken, ist Ihnen bekannt,
dass man sich in den Berufsschulen darüber Gedanken
macht, warum Azubis aus bestimmten Branchen sehr oft
im Unterricht einschlafen?
({0})
In einem Artikel meiner Heimatzeitung, dem „Donaukurier“, den Sie als Bayer ja kennen, stand, dass vor allen
Dingen Azubis, die in einem touristischen Gebiet in der
Nähe meines Wahlkreises im Gaststättengewerbe tätig
sind, sehr lange arbeiten müssen und zu spät zum Unterricht kommen, weil sie vorher halbe Nächte durcharbeiEva Bulling-Schröter
ten mussten. Wie stehen Sie dazu? Das ist in besagter
Zeitung nachzulesen. Das heißt, es handelt sich hierbei
um keine übertriebene Darstellung.
Verehrte Frau Kollegin, ich weiß nicht, in welchen
Schulen geschlafen wird.
({0})
Wenn das in Ihrer Heimat der Fall ist, dann bitte ich Sie,
dafür zu sorgen, dass das möglichst bald abgestellt wird.
Außerdem ist für mich nicht nachvollziehbar, dass
Schüler, wie Sie sagen, zu spät zum Unterricht kommen.
Das liegt dann auch an der Schule. Diese hat ja die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass jeder so pünktlich erscheint, wie es auch beim Arbeitsplatz erwartet wird.
({1})
- Ich habe Ihre Frage sehr wohl verstanden.
In diesen Fällen sind, wie ich meine, nicht wir gefordert und gefragt, sondern hierfür gibt es gesetzliche
Grundlagen. Wenn die eingehalten werden, dann trägt
das dazu bei, dass die Schüler dem Schulunterricht folgen können, statt einzuschlafen.
Ihre Ausführungen kann ich auch insofern nicht nachvollziehen, als man ja gar nicht weiß, wo der Jugendliche am Abend vor dem Berufsschulunterricht war. War
er im Betrieb oder war er zu guter Letzt in der Disco?
Wenn er dort bis 24 Uhr oder 1 Uhr war, dann kann ich
mir vorstellen, dass er müde ist und sich nicht so wie die
anderen auf den Unterricht konzentrieren kann.
({2})
- Meine Kollegen signalisieren mir, ich solle mit der
Rede fortfahren. Aber gut, ich lasse noch eine weitere
Zwischenfrage zu.
Kollege Hinsken, ich habe jetzt bayerisch gesprochen; wir beide verstehen ja sehr gut Bayerisch. Es geht
nicht darum, dass Schüler abends in der Disco oder sonst
wo waren, sondern es war nachweislich so, dass sie wesentlich länger als acht Stunden und auch deutlich nach
22 Uhr arbeiten mussten, und das über Wochen hinweg.
Es geht auch nicht darum, dass die Schüler faul oder undiszipliniert wären. Es liegt auch nicht an der Schule.
Vielmehr haben in einigen Fällen Arbeitgeber ihre Azubis - Eltern haben sich sogar bei mir persönlich beschwert - sehr lange, also deutlich über 22 Uhr hinaus,
arbeiten lassen, unter anderem auch deswegen, weil am
Personal gespart wurde.
Sie wissen, dass es gegen die gesetzlichen Grundlagen und Bestimmungen verstößt, wenn ein Azubi länger
als acht Stunden zur Arbeit herangezogen wird. Wenn
die gesetzlichen Grundlagen und Bestimmungen nicht
eingehalten werden, dann sollten sich die Betroffenen
- ich empfehle Ihnen, dies auch den Leuten, die zu Ihnen
kommen, zu sagen - bei den zuständigen Ämtern darüber beschweren. Dann könnte kontrolliert werden, ob
ihre Ausführungen zutreffend sind oder nicht.
({0})
Meine Damen und Herren, ich habe vorhin gesagt,
dass es mir vor allen Dingen darum geht, dass Restriktionen wegfallen. Hier sind wir als Gesetzgeber gefragt.
Eine Möglichkeit hierfür besteht in der Anpassung des
Jugendarbeitsschutzgesetzes. Ich halte die Aussage des
Präsidenten des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes Ernst Fischer für interessant, dass allein durch
eine generelle Heraufsetzung der Nachtruhegrenze bei
Auszubildenden unter 18 Jahren auf 23 Uhr und an Tagen vor Berufsschulunterricht auf 21 Uhr mindestens
2 000 neue Ausbildungsplätze geschaffen werden könnten.
({1})
- Erstens glaube ich das, und zweitens finde ich das richtig, was er sagt. - Deshalb trete ich für eine Korrektur
ein und hoffe, dass die Arbeitsgruppe, die sich mit diesen Fragen beschäftigt, zu entsprechenden Ergebnissen
kommt;
({2})
denn was bei Mehrschichtbetrieben möglich ist, muss
doch überall möglich sein.
({3})
Verehrte Frau Kollegin Pothmer, was in Österreich
möglich ist - die haben das nämlich 2001 in dem Sinne
geändert, wie der Antrag lautet; unter Umständen machen wir das ja auch -, das muss auch bei uns möglich
sein. Da ist die Situation so, dass sie betriebsfreundlich
ausgestaltet ist und dem Jugendlichen gesagt wird, wenn
viel Umsatz da ist, wenn viel Arbeit da ist, dann lernst
du am meisten und dann darfst du nicht durch Abwesenheit glänzen.
({4})
Schließlich hat sich die Praxis in den Betrieben verändert. Viele Betriebe - das kann nicht beiseitegeschoben
werden - haben mittags geschlossen. Das Ausgehverhalten hat sich in die Abendstunden verlegt.
Herr Kollege Hinsken, entschuldigen Sie, dass ich Sie
noch einmal unterbreche. Erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Faße von der SPD-Fraktion?
Selbstverständlich.
Bitte, Frau Faße.
Sehr geehrter Herr Kollege Hinsken, geben Sie mir
Recht, dass wir im DEHOGA-Bereich Probleme haben,
weil Stellen nicht besetzt sind? Könnte das vielleicht erstens daran liegen, dass schon diese Ausbildungsstellen
sehr unattraktiv sind? Könnte es zweitens an der Bezahlung liegen? Könnten Sie mir drittens sagen, warum wir
so viele Abbrüche in diesem Bereich haben? Müssten
wir uns nicht viertens vermehrt damit auseinandersetzen,
dass junge Leute in diesem Bereich sehr wohl ungesetzlich beschäftigt werden, statt uns damit auseinanderzusetzen, ob wir eine Stunde mehr oder weniger draufpacken? Ich glaube, wir müssen uns mit den Inhalten, mit
der Form der Ausbildung in diesem Bereich sehr intensiv auseinandersetzen. Aber es kann nicht sein, dass hier
gilt: Es sind unbesetzte Arbeitsplätze da, und das liegt an
der Altersbeschränkung 18 Jahre. Geben Sie mir recht,
dass hier eine Vielzahl von Themen bearbeitet werden
muss, aber bestimmt nicht das letzte?
({0})
Verehrte Frau Kollegin Faße, in verschiedener Hinsicht gebe ich Ihnen recht. Aber ich meine, gerade das,
was Sie jetzt alles angesprochen haben, müsste einmal in
den dafür zuständigen Gremien angesprochen werden.
Es muss angesprochen werden, inwieweit das zutrifft,
und wenn es zutrifft, müssen Maßnahmen ergriffen werden, um Missstände abzustellen. Ansonsten bin ich
schon der Meinung, dass gerade im Hotellerie- und
Gaststättenbereich - damit habe ich sehr viel zu tun immer gute Arbeit geleistet wird, hervorragend ausgebildet wird.
Wenn wir immer wieder sagen, die Tourismusbranche
ist eine Leitökonomie des 21. Jahrhunderts - und dazu
gehören auch Hotellerie und Gastronomie -, dann sollten wir auch das Notwendige an Maßnahmen ergreifen,
um vermehrt Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen und Qualität während der Ausbildungszeit zu vermitteln, die wir dringend brauchen, um auch in Zukunft bestehen zu können.
({0})
Meine Damen und Herren, ich habe noch einmal ausgeführt, dass sich das Ausgehverhalten der Gäste in die
Abendstunden verlagert hat. In den Sommermonaten
sind die Restaurants oft noch um 22 Uhr voll besetzt.
Und wenn der Azubi dann seine Tätigkeit beendet und
den Löffel fallen lässt, dann stört das den Betriebsablauf.
Im Restaurant muss doch die Arbeit dann gemacht werden, wenn sie anfällt.
({1})
Gastwirte müssen sich nach dem Gast richten und nicht
umgekehrt. Dazu brauchen sie auch die Mitarbeiter.
Übrigens, die Ausnahme der Beschränkung bei
Schichtbetrieben - dort haben wir es doch - benachteiligt vor allem kleine Unternehmen, und die bilden doch
am meisten aus. Profitieren würden von einer solchen
Regelung gerade die Real- und Hauptschüler, die noch
nicht 18 Jahre alt sind. Die Gastronomie - das haben Gespräche ergeben - wäre zufriedener und würde es lieber
sehen, wenn sie Real- und Hauptschüler bekommt - da
die dauerhaft in der Branche bleiben -, anstatt nur Abiturienten einzustellen.
Ich habe auch - es ist mir ganz wichtig, das hier zu
sagen - mit betroffenen Jugendlichen in Betrieben gesprochen, als ich dafür warb, vermehrt Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Sie werden es nicht
glauben - ich bin gerne bereit, den Kontakt zu diesen Jugendlichen zu vermitteln -: Da gab es verständnisvolle
Reaktionen. Sie sehen es doch selber, dass man, wenn
die meiste Arbeit da ist, nicht einfach nach Hause gehen
kann, sondern bereit sein muss, mitzuhelfen, damit es im
Betrieb einigermaßen läuft.
({2})
Die Ausdehnung der Arbeitszeit führt übrigens nicht
zu einer Gesundheitsgefährdung. Schauen Sie, auch ein
Bäckerlehrling ist nicht gefährdet, weil er schon als 17-Jähriger um 4 Uhr mit der Arbeit beginnen muss. Bereits
jetzt dürfen Jugendliche ab 16 Jahren öffentliche Tanzveranstaltungen bis 24 Uhr allein besuchen.
({3})
Ich bin der festen Überzeugung, dass das ein vernünftiger und richtiger Schritt ist.
An dieser Stelle möchte ich an die Verhandlungspartner in der Bund-Länder-Kommission, die beim Bundesminister für Arbeit angesiedelt ist, appellieren: Geben
wir uns doch alle einen Ruck, und gestalten wir die Ausbildungszeiten auf dem Sektor Hotellerie und Gastronomie so, wie ich es beschrieben habe! Niemandem fällt
eine Perle aus der Krone, wenn er, ohne dass die Gesamtarbeitszeit verlängert wird, täglich eine Stunde länger arbeitet.
({4})
So könnten wir die Grundlage dafür schaffen, dass ordnungsgemäß ausgebildet werden kann und die Ausbildungsplätze, die wir dringend benötigen, auch in Zukunft vorgehalten werden können.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir zwei Vorbemerkungen. Erstens. Da ich
nur vier Minuten Redezeit habe, lasse ich Zwischenfragen zu.
({0})
Zweitens. Das, was du, lieber Ernst, gesagt hast, werte
ich als Bestätigung der Position der FDP. Du hast deine
Aussage heute zwar ein bisschen verklausuliert - vielleicht gilt also doch Marx, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt -, aber ich zitiere gerne, was du in der Debatte vom 10. März 2005 unmissverständlich ausgeführt
hast:
Der Vorschlag der FDP, das Jugendarbeitsschutzgesetz zu ändern, findet … unsere volle Unterstützung. Warum? Weil er in die richtige Richtung geht.
Es ist doch ein Ding der Unmöglichkeit, zu sagen,
einem über 16-Jährigen sei es nicht zuzumuten, bis
23 Uhr zu arbeiten …
Das war damals noch der unverfälschte Originalton
von Ernst Hinsken. Heute klang das ein bisschen modifizierter. Auch der Zwischenruf von Klaus Brähmig damals ist in diesem Zusammenhang interessant: dass das
Jugendarbeitsschutzgesetz so schnell wie möglich abgeschafft gehört.
({1})
An dieser Stelle möchte ich beide beim Wort nehmen.
Wenn richtig ist, was unser Altbundeskanzler
Dr. Helmut Kohl gesagt hat
({2})
- entscheidend ist, was hinten herauskommt -, dann ist
heute der Zeitpunkt gekommen, um zu springen und zu
entscheiden. Hic Rhodus, hic salta!
Wenn im Jugendarbeitsschutzgesetz in der von beiden
festgestellten Weise Restriktionen bestehen, dann ist
beim Gesetzentwurf der FDP die Hand zu heben. Ich
fordere zumindest alle Kolleginnen und Kollegen von
der Union auf, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Natürlich lade ich auch die Kolleginnen und Kollegen
von der SPD ein, das Gleiche zu tun.
({3})
Dass die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit
eine der zentralen Aufgaben unserer Arbeitsmarktpolitik
und der Politik insgesamt ist, ist unbestritten. Aber die
Politik muss auch dafür sorgen, dass es Rahmenbedingungen gibt, die es den Betrieben ermöglichen, auszubilden. Der Gesetzentwurf der FDP-Bundestagsfraktion ist
ein Beitrag, bestehende Barrieren abzubauen, mit denen
sich Jugendliche unter 18 Jahren bei der Ausbildungsplatzsuche insbesondere im Hotel- und Gaststättengewerbe konfrontiert sehen. Ich will es auf den Punkt bringen: Das Jugendarbeitsschutzgesetz soll Jugendliche bei
der Arbeit schützen, aber es soll sie nicht vor der Arbeit
schützen.
({4})
Deswegen muss man wirklich versuchen, die konkrete
Einstellungssituation in den Blick zu nehmen und die
Entscheidung der Betriebe nachzuvollziehen. Der 18-jährige Abiturient hat also das Prä.
Es wurde vom Kollegen Grotthaus darauf hingewiesen, dass nur ein Drittel aller Auszubildenden übernommen wird. Herr Kollege Grotthaus, dass dem so ist,
könnte auch an den Auszubildenden liegen. Denn viele
Abiturienten, die ihre Ausbildung in dieser Branche in
der Tasche haben, beginnen anschließend mit einem Studium der Tourismuswirtschaft oder einer vergleichbaren
Fachrichtung. Deswegen haben sie ihrerseits gar kein Interesse, nach ihrer Ausbildung dauerhaft in diesem Bereich zu arbeiten.
({5})
Die Betriebe hingegen würden sich sehr freuen, wenn
mehr Haupt- und Realschüler ihre Ausbildung bei ihnen
beginnen würden. Denn Haupt- und Realschüler bieten
die Gewähr, auf Dauer im Unternehmen zu bleiben. Warum sollte man den Betrieben das nicht ermöglichen?
({6})
Ich finde es wieder einmal bemerkenswert, wie verquer die Linken denken. Das kann man sehr gut daran
erkennen, wie Sie in Ihrem Gesetzentwurf argumentieren: Weil junge Menschen immer später in die Ausbildung eintreten, wollen Sie den Geltungsbereich des
Jugendarbeitschutzgesetzes von 18 auf 21 Jahre ausdehnen. Das Gegenteil wäre richtig: Frühere Einschulung,
kürzere Schulzeiten, kürzere Ausbildungszeiten, das wären die Antworten, die wir im Sinne des Ganzen und
auch im Sinne der Finanzierung unserer Sozialsysteme
geben müssten.
({7})
Ein Allerletztes - weil niemand Zwischenfragen gestellt hat; ich bin sehr enttäuscht, liebe Kolleginnen und
Kollegen! -:
({8})
Räumen Sie auf mit der Mär, Auszubildende seien billige Arbeitskräfte! Das mag vor dreißig, vierzig Jahren
so gewesen sein. Heute sind Auszubildende längst nicht
mehr billige Arbeitskräfte. Wenn Sie sich die betriebswirtschaftlichen Kalkulationen ansehen, dann sehen Sie,
dass Aushilfskräfte und Teilzeitkräfte für die Betriebe allemal billiger sind. Wir wollen aber, dass die jungen
Menschen eine Chance bekommen. Dafür ist der Gesetzentwurf der FDP der richtige Weg. Ich empfehle Ihnen
nochmals, ihm zuzustimmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Andrea Nahles von
der SPD-Fraktion.
({0})
Lieber Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und
Kollegen! Herr Kolb, wir haben - das ist mir durch Ihren
Redebeitrag deutlich geworden - in der Tat eine große
Lücke im Jugendarbeitsschutzgesetz: Es fehlt, dass man
die Jugendlichen auch vor Ihnen, der FDP, schützen
muss. Das scheint mir das größte Manko zu sein.
({0})
Es ist schon bedauerlich, dass wir uns ausgerechnet
heute, wo die EU-Arbeitsminister und -Sozialminister
im Rahmen unserer EU-Ratspräsidentschaft zum ersten
Mal hier in Berlin zusammenkommen und das Thema
„Gute Arbeit“ behandeln, mit Ihrem Gesetzentwurf befassen müssen.
({1})
Ganz Europa versteht, dass wir die Lernbedingungen,
die Weiterbildungsbedingungen für Arbeitnehmer verbessern müssen, für junge wie für alte. Ganz Europa versteht, dass wir nicht mehr Deregulierung brauchen, sondern mehr Prävention. Wenn die Leute bis 67 arbeiten
sollen, müssen wir mit dem Gesundheitsschutz, mit dem
Arbeitsschutz schon bei den Auszubildenden Ernst machen.
({2})
Ganz Europa begreift das, nur die FDP nicht. Es tut mir
leid: Das ist ein Armutszeugnis.
({3})
Es ist eine Absurdität, hier zu hören, wir hätten die
Realitäten nicht im Auge. Das haben wir sehr wohl.
Schauen Sie einmal in den Ausbildungsreport, den der
DGB dankenswerterweise angefertigt hat, und gucken
Sie sich an, was die jungen Leute selber über ihre Ausbildungssituation berichten! Da haben wir zum Beispiel
den Fall eines Kochs, der beschreibt, wie er jeden Tag
mehr als zehn Stunden, meistens zwölf Stunden, arbeitet
- auf der Basis des jetzigen Jugendarbeitsschutzgesetzes und wie ihm die Chefin, wenn er sich ein bisschen Lernzeit ausbedingt, weil ihm die Ausbildung wichtig ist, mit
Rausschmiss droht, wenn er nicht macht, was sie will. In
Betrieben wird, gerade weil es einen Ausbildungsplatzmangel gibt, zunehmend Druck auf die Auszubildenden
ausgeübt, sie werden de facto stückchenweise um ihre
Rechte betrogen. Das sind die Realitäten in den Ausbildungsbetrieben. Dem jetzt auch noch das Siegel der Legitimation aufzudrücken, denen noch zu sagen: „Jawohl,
ihr tut recht, lasst es weiter so laufen“, das können wir
nicht akzeptieren. Wir müssen uns vielmehr zum Anwalt
der Interessen der jungen Menschen machen. Auch
wenn es zu wenige Ausbildungsplätze gibt, ist uns die
Situation in der Ausbildung nicht egal.
({4})
Das ist eine der zentralen Botschaften, die vom heutigen
Tag ausgehen muss.
Ich will auch ganz klar sagen, dass wir hier von der
FDP eine falsche Rechnung vorgeführt bekommen: dass
weniger Jugendarbeitsschutz mehr Arbeitsplätze bedeute. Tatsache ist, dass wir bereits zweimal - 1984 sowie 1996 unter der Regierung Kohl, an der Sie von der
FDP ja beteiligt waren ({5})
deutliche Verschlechterungen der Jugendarbeitsschutzbedingungen hatten: Verlängerung der Arbeitszeiten, Schichtdienstverlängerung, all das, was Sie jetzt
wieder fordern. Wenn wir uns aber anschauen, wie sich
die Anzahl der Ausbildungsplätze im Zeitraum von
1984 über 1996 bis heute entwickelt hat, muss man feststellen: Das ist dramatisch.
({6})
Im Jahre 1984 gab es noch circa 720 000 betriebliche
Ausbildungsplätze. Im Jahre 1996 gab es in Gesamtdeutschland nur noch ungefähr 600 000 betriebliche
Ausbildungsplätze. Im Jahre 2005 gab es nur noch
590 000 betriebliche Ausbildungsplätze.
Das muss uns doch dazu ermuntern, die Ursachen dafür ehrlich zu benennen. Das hat nichts damit zu tun, ob
eine Stunde länger gearbeitet wird oder nicht, sondern
das hat mit dem gravierenden Strukturwandel und damit
zu tun, dass die Ausbildungsquoten in den Großbetrieben halbiert wurden. Das hat auch damit zu tun, dass
sich immer mehr Betriebe aus der Ausbildungsverantwortung zurückgezogen haben. In Deutschland bilden
mittlerweile nämlich nur noch 23 Prozent der Betriebe
aus. Das sind die entscheidenden Skandale, über die wir
reden müssen.
Ich sage von meiner Seite: Der Ausbildungspakt hat
im letzten Jahr nur gerade so eben und mit größter Mühe
sowie übrigens einer massiven staatlichen Hilfe - wir
haben die EQJs ausgebaut - funktioniert. Das war okay.
Für das Jahr 2007 kann das aber wahrscheinlich nicht
das letzte Wort gewesen sein. Wir müssen diesen Ausbildungspakt weiterentwickeln, damit wir den jungen Leuten am Ende auch entsprechende Ausbildungsangebote
machen können.
({7})
Ein weiterer Punkt. Das Ganze geht ja auf das Saarland zurück. Wir haben heute auch hier gehört, dass es in
der Union einige Befürworter gibt. Ich selber komme
aus Rheinland-Pfalz, wo die Strukturen, wie Sie wissen,
sehr ähnlich wie die im Saarland sind. Es ist sehr interessant, zu beobachten, wie die Realitäten dort aussehen.
Vor wenigen Tagen war ich in der Arbeitsagentur in
meinem Wahlkreis. Mir fiel dabei auf, dass der Zuwachs
bei den freien Fördermitteln sehr groß war. Ich habe gefragt, warum sie besonders viele Zuwächse bei der Gewährung von Mitteln nach § 10 SGB III haben. Sie berichteten mir: Na ja, wir mussten den Auszubildenden in
letzter Zeit sehr oft und mit sehr unkonventionellen Dingen unter die Arme greifen. Wir kaufen ihnen zum Teil
Mofas und Mopede oder unterstützen sie dabei.
({8})
Ich habe nachgefragt: Mofas und Mopede? Das hätte ich
mir auch gewünscht. - Das, was dahinter steckt, ist ganz
banal: Die jungen Menschen müssen immer weiter zu ihrem Ausbildungsplatz fahren, nämlich 20 oder auch
30 Kilometer.
Selbstverständlich gibt es weder bei Ihnen im Saarland, wo Herr Müller die Anliegen des DEHOGA unterstützt, noch bei uns in der Eifel einen ausreichenden öffentlichen Personennahverkehr. Dadurch sind die jungen
Leute ernstlich gezwungen, mit ihren Mofas - den Achtzigern, wie sie so schön heißen - durch die Gegend zu
düsen. Im Sommer ist das vielleicht kein Problem, aber
bei einem Wetter wie heute und im tiefen Winter ist das
anders.
16- und 17-Jährige müssen zusätzlich zu ihrer eigentlichen Berufsausbildungszeit weite Wege mit einer kleinen Achtziger bzw. einem Moped zurücklegen. Das ist
in den ländlichen Regionen in Deutschland kein Einzelfall. Ich frage mich: Wollen wir ihnen noch zusätzliche
Arbeitszeit auf die Schultern packen? Ich sage: Nein. An
dieser Stelle muss ganz klar auch das Recht der jungen
Leute gesehen werden.
({9})
Lassen Sie mich als Letztes sagen: Ich höre von Ihnen
immer das Wort „Generationengerechtigkeit“. Die FDP
sagt immer wieder, Generationengerechtigkeit habe
für sie Priorität. Ich höre das immer dann, wenn es um
die Rente geht und Sie den Leuten sagen, dass sie mehr
Eigenverantwortung übernehmen müssen. In Wirklichkeit geht es dabei um die privaten Versicherungen, die
Profite machen, wenn zusätzliche Lebensversicherungen
abgeschlossen werden.
Wenn es bezüglich der Generationengerechtigkeit um
die Rechte von jungen Menschen und der jungen Generation geht, dann ist bei Ihnen aber Fehlanzeige.
({10})
Sie sollten wirklich versuchen, die Generationengerechtigkeit nicht nur dann auf Ihren Schild zu heben, wenn es
einzelnen Interessengruppen nutzt, sondern Sie sollten
die Generationengerechtigkeit auch als etwas begreifen,
was beim Arbeitsschutz und bei den Arbeitsbedingungen
der jungen Menschen in der Ausbildung anfängt.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gitta Connemann von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie alle
kennen bestimmt die Geschichte vom Hans Guckindieluft:
Wenn der Hans zur Schule ging,
Stets sein Blick am Himmel hing.
Nach den Dächern, Wolken, Schwalben
schaut er aufwärts, allenthalben:
Vor die eignen Füße dicht,
Ja, da sah der Bursche nicht.
So heißt es im „Struwwelpeter“. Ich zitiere daraus heute
nicht, weil es um Jugendliche geht, sondern weil mich
einige Wortbeiträge, aber auch die vorliegenden Anträge
an das Verhalten von Hans erinnern. Sie richten den
Blick nur auf das, was sie sehen wollen, aber nicht auf
die Realität.
Dabei verdient das Jugendarbeitsschutzgesetz sicherlich eine ernsthaftere Debatte, als sie heute stattgefunden
hat. Denn immerhin geht es darin um den Schutz von
Jugendlichen vor Überforderung und Gefahren am
Ausbildungs- und Arbeitsplatz. So hat das Nachtarbeitsverbot des § 14 den Zweck, den Jugendlichen eine
ausreichende Nachtruhe zu sichern.
Eine ausreichende Nachtruhe ist für jeden Menschen lebenswichtig, für junge, in der Entwicklung
stehende Menschen ganz besonders.
So heißt es in der amtlichen Begründung zum Gesetz.
Dieses Gesetz stammt aus dem Jahre 1976. Die Erkenntnis, dass Jugendliche eine ausreichende Nachtruhe
brauchen, hat an Aktualität nichts verloren. Aber es gilt
auch die Erkenntnis, dass Jugendliche von heute sich
körperlich und geistig schneller entwickeln als vor
30 Jahren. Das möchte ich ausdrücklich nicht mit deren
Freizeitverhalten begründen. Jugendliche gehen sicherlich heute länger aus als früher. Aber mögliche Freizeitaktivitäten und der Schutzzweck dieses Gesetzes stehen
nicht auf demselben Blatt.
({0})
Es geht ausschließlich darum, welchen Schutzes Jugendliche bedürfen, und zwar angesichts ihrer Reife. Diese
entwickelt sich heute schneller. Das hat der Gesetzgeber
übrigens erkannt und weitgehend reagiert. Ich erinnere
nur an die Herabsetzung der Volljährigkeitsgrenze
von 21 auf 18 Jahre. Ein 18-Jähriger ist voll geschäftsfähig - mit allen Konsequenzen. Die Änderungen im Jugendschutzgesetz will ich hier gar nicht anführen. Auch
weitere Beispiele ließen sich nennen.
Allein das wäre schon Argument genug, um das Jugendarbeitsschutzgesetz auf seine Aktualität hin zu prüfen. Hinzu kommt aber, dass die Novellierung angemahnt wird, und zwar zum einen von den Ländern und
zum anderen auch von Ausbildungsbetrieben. Diese
Ausbildungsbetriebe sollten wir ernst nehmen. Ich
muss Ihnen sagen: Als ich hier den einen oder anderen
Wortbeitrag gehört habe, hat es mich geschaudert, und
zwar durchaus auch bei dem, was Sie gesagt haben, Frau
Nahles, um das in aller Deutlichkeit zu sagen.
({1})
So eine verzerrte Wahrnehmung von Ausbildungsbetrieben! Es ist gar keine Frage: Ein Ausbildungsbetrieb, der
sich nicht an die Vorschriften des Jugendarbeitsschutzgesetzes hält, wie sie dargestellt worden sind, verhält
sich nicht nur nicht korrekt, sondern - ich bitte um Entschuldigung - das ist unter aller Sau, und dann sollte
man ihn entsprechend anzeigen.
({2})
- Ich komme aus der Landwirtschaft; deswegen darf ich
das so nennen.
({3})
Aber es geht in diesem Fall darum, ein Gesetz weiterzuentwickeln, und zwar im Sinne von Ausbildung.
Denn eine Ausbildung ist das beste Kapital für die Zukunft junger Menschen. Erst diese gibt ihnen das Rückgrat für den Arbeitsmarkt. Da hat sich die Situation sicherlich entspannt; aber es gibt nach wie vor zu wenig
Ausbildungsplätze, obwohl in Hotellerie und Gastronomie noch Ausbildungspotenzial vorhanden ist. Es gibt
unbesetzte Stellen. Wenn genau diese Ausbildungsbetriebe sagen, sie hätten ein Problem mit einem bestimmten Gesetz, und wenn diese Ausbildungsbetriebe in der
Vergangenheit unter Beweis gestellt haben, dass es ihnen
wirklich um Ausbildung geht, indem sie auch in schlechten Zeiten immer wieder die Ausbildungsquote erhöht
haben, dann sollten wir diese Ausbildungsbetriebe doch
wenigstens anhören.
Es gibt die Klage, dass Jugendliche nur bis 22 Uhr arbeiten dürfen. Nur zur Klarstellung: Es geht hier nicht
um die Verlängerung der Arbeitszeit, sondern um eine
andere Verteilung der Beschäftigungszeiten.
({4})
Die entsprechenden Gründe sind genannt worden. Es ist
auch gesagt worden, dass Schulabgänger unter 18 durch
die Begrenzung auf 22 Uhr schlechtere Chancen haben,
und zwar unabhängig vom formalen Schulabschluss,
weil entscheidend das Ausbildungseintrittsalter ist. Das
ist anhand der Zahlen des DIHK belegbar.
({5})
Es gibt weitere Ungereimtheiten. Herr Kollege
Hinsken hat schon erwähnt, dass es für Mehrschichtbetriebe Ausnahmen gibt. Für mich persönlich ist nicht
nachvollziehbar, wieso man bei einer Fast-Food-Kette
bis 23 Uhr arbeiten darf, aber in einem benachbarten Hotelrestaurant nicht.
({6})
Hier besteht offensichtlich eine Ungleichbehandlung,
die kaum durch den Gesundheitsschutz gerechtfertigt
sein kann und die zulasten kleinerer Betriebe geht.
Frau Nahles, Sie haben ja recht, wenn Sie sagen, die
Ausbildungsquote bei großen Betrieben sei massiv rückläufig. Wir haben Stabilität am Ausbildungsmarkt wegen
der kleinen und mittleren Betriebe. Genau diesen sollten wir deshalb unter die Arme greifen.
({7})
Es gibt auf jeden Fall Gründe genug, über eine Novellierung des Jugendarbeitsschutzgesetzes nachzudenken.
Die einschlägige EU-Richtlinie schafft Raum dafür. Der
Kollege Hinsken hat bereits erwähnt, dass das Nachbarland Österreich davon schon Gebrauch gemacht hat.
Vor diesem Hintergrund hat der Länderausschuss für
Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik gefordert, das Jugendarbeitsschutzgesetz den heutigen Bedürfnissen anzupassen und zu modernisieren. Die von uns gemeinsam
getragene Bundesregierung hat darauf reagiert und eine
Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet. Diese wird
jetzt prüfen, ob Änderungen erforderlich sind, um die
Ausbildungs- und Beschäftigungschancen junger Menschen zu verbessern.
Bei allen Überlegungen muss natürlich die Gewährleistung des Gesundheitsschutzes der Jugendlichen an
erster Stelle stehen. Das ist überhaupt keine Frage. Denn
eine Aktualisierung darf nicht auf Kosten ihrer Sicherheit gehen. Deswegen muss eine Gesamtprüfung stattfinden. Die Betonung liegt auf „gesamt“.
In diesem Punkt richtet sich meine Kritik an die FDP.
({8})
Herr Kollege Burgbacher und Herr Kollege Kolb, ich
schätze Sie als sachliche Kollegen. Aber Sie fordern hier
nur eine punktuelle Überprüfung des Gesetzes. Wir
brauchen aber eine Gesamtbetrachtung. Das wissen Sie;
denn es sind auch Länder in dieser Arbeitsgruppe, an deren Regierung die FDP beteiligt ist. Ihre Forderung ist
also nicht ganz nachvollziehbar.
({9})
Aufgabe der Arbeitsgruppe ist die Erarbeitung eines
umfassenden Berichtes, der das Für und Wider insgesamt abwägt. Nur auf einer solchen Grundlage kann die
Entscheidung gefällt werden, ob und wie das Jugendarbeitsschutzgesetz novelliert werden sollte. So stellt sich
eine verantwortungsvolle Politik dar.
Meine Damen und Herren von der Linken, Sie haben
bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass es Ihnen darum nicht geht. Auch in diesem Fall ist es so. Auch heute
zeichnen Sie sich durch eine Bewusstseinstrübung aus,
die schon sprichwörtlich und eigentlich ermüdend ist.
Das einzig Interessante an Ihren Initiativen ist inzwischen die Frage, mit welcher Kostümierung Sie diese begleiten.
({10})
T-Shirts, Tüten und Eisenkugeln; heute ist es der rote
Button. Ich halte der Jugendabteilung des DGB-Bezirksverbandes Berlin-Brandenburg zugute, dass es dieser
wirklich um den Gesundheitsschutz junger Menschen
bei der Arbeit geht. Ihnen, meine Damen und Herren von
der Linken, nehme ich das nicht ab. Das zeigt mir schon
ein Blick auf Ihre Bundestagshomepage. Dort fordern
Sie, die Grenze für das aktive und passive Wahlrecht
auf 16 Jahre zu senken. Nach Ihrer Vorstellung dürfte
also ein 16-Jähriger Mitglied des Deutschen Bundestages sein. Ein Mandat hat Pflichten, beispielsweise die
Vertretung von vielen Menschen auch nach 22 Uhr. Ein
16-Jähriger könnte also noch um 23 Uhr als Abgeordneter tätig sein, aber nicht als Koch.
({11})
Das zeigt die Absurdität Ihres Antrages.
Ich bin froh, dass sich die Bundesregierung verantwortungsvoll zeigt. Wir brauchen eine vorurteilsfreie
Prüfung - für Gesundheitsschutz und mehr Ausbildungsplätze.
({12})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
der Kollege Willi Brase von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Für mögliche
2 000 Ausbildungsplätze, verbunden mit dem Hinweis,
dass angeblich so viele junge Leute mit Abi im Hotelund Gaststättengewerbe als Auszubildende beschäftigt
sind - nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit sind
es gerade einmal 1,3 Prozent -, leichtfertig das Jugendarbeitsschutzgesetz zu ändern, halte ich für den falschen
Weg. Das sollten wir nicht machen.
({0})
Es fällt auf, dass immer dann, wenn betriebliche
Ausbildungsplätze fehlen, gefordert wird - manchmal
ist es ja schon fast egal, wie die wirtschaftliche Lage
aussieht -: Wir müssen die Schutzrechte verändern. Ich
sage dazu: verschlechtern. Dann wird gefordert: Wir
müssen die Ausbildungsvergütungen senken. Manchmal
wird auch gefordert: Wir müssen die Löhne nach unten
drücken. Ich kann all denen, die das fordern, nur sagen:
Gehen Sie nach Kamp-Lintfort und Bocholt zu den bei
BenQ beschäftigten Arbeitnehmern! Die werden Ihnen
sagen, welche bitteren Pillen sie in den letzten Monaten
haben schlucken müssen. Es kann für uns kein Weg sein,
so eine Politik zu machen.
({1})
Wir sehen keinen Handlungsbedarf, am bestehenden
Jugendarbeitsschutzgesetz etwas zu verändern, und deshalb auch keine großartige Notwendigkeit, hier und
heute auf das Arbeitspapier der saarländischen Regierung einzugehen. Mich erstaunt und wundert es, warum
das Bundesland Saarland, das sagt: „Wir brauchen mehr
Ausbildungsplätze und wollen deshalb das Jugendarbeitsschutzgesetz ein Stück weit verändern“ - ich sage:
zuungunsten der Jugendlichen verschlechtern -, nicht
von den Möglichkeiten des Berufsbildungsgesetzes,
das wir mit breitester Mehrheit beschlossen haben, Gebrauch macht. Ich erinnere zum Beispiel an den § 43
Abs. 2, der es in bestimmten Fällen endlich ermöglicht,
eine vollzeitschulische Ausbildung unter Anerkennung
als Berufsausbildung und mit Zulassung zur Kammerprüfung auf den Weg zu bringen.
({2})
Ich sage das deshalb, weil das Saarland nach einer Umfrage der Kultusministerkonferenz mittlerweile das einzige Bundesland ist, das in diesem Bereich nicht handeln
will. Dazu sage ich: Lieber dort handeln, anstatt am Jugendarbeitsschutz herumzumäkeln!
({3})
Wir begrüßen ausdrücklich, dass sich die Gewerkschaftsjugend - ob nun auf regionaler, bezirklicher oder
Bundesebene - mit Unterstützung der Jusos dieses Themas annimmt. Es ist noch nicht allzu lange her, da war
über die Homepage www.azubi.de eine teilweise erschütternde Auflistung einzusehen, zu welchen ausbildungsfremden Tätigkeiten Auszubildende in sehr vielen Fällen - natürlich unter Druck - herangezogen
wurden,
({4})
weil wir kein Überangebot an Ausbildungsplätzen haben. Angesichts der Tätigkeiten, die Auszubildende teilweise sogar in Verletzung des bestehenden Jugendarbeitsschutzgesetzes zu übernehmen haben, kann ich nur
sagen: Wir sind gut beraten, dieser Sache nachzugehen
und nicht leichtfertig Änderungen voranzutreiben, die
das Ausmaß dieser Verstöße nachher möglicherweise
noch vergrößern.
({5})
Mir ist es wichtig, festzustellen, dass die Frage des
Arbeitsschutzes oder des Gesundheitsschutzes im Arbeitsleben eine Angelegenheit ist, die - meine Kollegin
Frau Nahles hat darauf hingewiesen - nicht nur für junge
Leute wichtig ist. Eine vernünftige betriebliche Gesundheitspolitik ist vielmehr während des gesamten
Ausbildungs- und Arbeitslebens notwendig. Wenn wir
wollen, dass die Menschen, sowohl was die Wochenarbeitszeit als auch teilweise die Lebensarbeitszeit angeht,
länger arbeiten, dann müssen wir diesen Aspekt wesentlich stärker nach vorne bringen. Wir hoffen, dass es
Franz Müntefering während der EU-Ratspräsidentschaft
gelingt, das Bewusstsein, wie wichtig gutes und gesundes Arbeiten ist, auch im EU-Kontext zu stärken. Prävention muss die Perspektive der Zukunft sein, nicht die
Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Menschen
und schon gar nicht die der Auszubildenden.
({6})
Das Beste, was wir machen können, ist, dass wir die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dazu ermuntern
und aufrufen, da, wo sie es wollen und können,
Betriebs- und Personalräte sowie Jugend- und Auszubildendenvertretungen zu bilden. Denn diese haben
nach dem Gesetz die Aufgabe, mit dafür zu sorgen, dass
Schutzvorschriften eingehalten und ausbildungsfremde Arbeiten verhindert werden. Überall dort, wo
Betriebsräte sind, kann auch der Jugendarbeitsschutz
vernünftig eingehalten werden. Wir möchten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausdrücklich dazu ermuntern und auffordern, Betriebs- und Personalräte zu
bilden.
({7})
Die Fraktion Die Linke hat in ihrem vorliegenden Gesetzentwurf gefordert, den Geltungsbereich des
Jugendarbeitsschutzgesetzes auf Jugendliche bis
21 Jahre auszuweiten; dazu ist einiges gesagt worden. Es
ist schwierig, zu sagen: Wir weiten den Geltungsbereich
des Jugendarbeitsschutzgesetzes auf ein höheres Alter,
also für Jugendliche bis 21 Jahre, aus. Da stellt sich für
mich die Frage: Wie ist das im Kontext mit der Volljährigkeit ab 18 Jahre zu sehen? Ich konnte mit 18 Jahren
noch nicht wählen. Ich hätte mich gefreut, wenn ich das
gedurft hätte. Ich konnte aber schon mit 18 Jahren zur
Bundeswehr gehen. Es gibt Zivildienstleistende, die
19 oder 20 Jahre alt sind. Manche Zivildienstleistende
werden auch zur Nachtarbeit eingesetzt. Das ist bei einigen Organisationen notwendig. Wenn man leichtfertig
beschließen würde, den Geltungsbereich des Jugendarbeitsschutzgesetzes auf Jugendliche bis 21 Jahre zu erweitern, dann würde das in diesem Bereich zu Problemen führen.
Ich will auf Folgendes hinaus: Bevor man zu einer Erweiterung des Geltungsbereichs des Gesetzes kommt,
sollte man genauer darauf achten, welche Wirkungen damit für den gesamten Bereich verbunden wären. Wir
wissen, dass sich 17-Jährige in der Regel darauf freuen,
dass sie bald 18 werden, weil sie dann volljährig und
voll geschäftsfähig sind. Damit stehen sie voll ihre Frau
bzw. ihren Mann. Ich finde, dass das nach wie vor der
beste Weg ist. Deshalb sehen wir derzeit keine Notwendigkeit, den Geltungsbereich des Gesetzes auf Jugendliche bis 21 Jahre zu erhöhen.
({8})
Es wird immer wieder gefordert, Ausbildungshemmnisse zu beseitigen, und behauptet, dazu gehöre auch das
Jugendarbeitsschutzgesetz. Bis heute gibt es aber keine
verlässliche Statistik, die belegt, dass mit weniger Jugendarbeitsschutz in massivem Umfang zusätzliche
Ausbildungsplätze in der Bundesrepublik entstehen.
({9})
- Es gibt deshalb keine Statistik, weil dieser Punkt nicht
entscheidend ist. Entscheidend sind verschiedene andere
Faktore, wie die Erwartungen der Unternehmen, was
Wachstum und Beschäftigung angeht. Des Weiteren finden teilweise Verdrängungsprozesse statt, die wir in den
Griff bekommen müssen.
Wir können doch nicht darüber diskutieren, dass wir
zukünftig das Ausbildungsalter in der beruflichen Bildung weiter anheben wollen. Wir müssen es in den
nächsten Wochen, Monaten und Jahren vielmehr schaffen, das Ausbildungseinstiegsalter wieder zu senken.
Diesen Weg müssen wir gehen.
({10})
Wenn auf Landesebene im Bildungsbereich die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur von 13 auf zwölf
Jahre geregelt würde, dann hätte das zur Folge, dass das
Ausbildungseinstiegsalter entsprechend sinkt. Wenn wir
diskutieren, dass in der schulischen Bildung manches
verbessert werden muss, um die Fähigkeiten der jungen
Leute hinsichtlich der Ausbildung wieder zu erweitern,
dann geht es darum, dass sie nach zehn Pflichtschuljahren in die betriebliche Ausbildung eintreten können. Das
ist der richtige Weg. Es hat keinen Sinn, das Jugendarbeitsschutzgesetz zu verschlechtern.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen16/2094 und 16/3016 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist
nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 c sowie
Zusatzpunkt 3 auf:
28 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umwelthaftung
zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden
- Drucksache 16/3806 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern ({1})
- Drucksachen 16/4027, 16/4038 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({2})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 11. April 2006 zwischen der
Regierung der Bundesrepublik Deutschland
und der Regierung der Republik Polen über
die Durchführung des Übereinkommens vom
25. Februar 1991 über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen ({3})
- Drucksache 16/4011 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 3 Beratung der Unterrichtung durch die deutsche
Delegation des Deutschen Bundestages zur Euromediterranen Parlamentarischen Versammlung
Gründungsversammlung der Euromediterranen Parlamentarischen Versammlung am
22./23. März 2004 in Athen, Griechenland
- Drucksache 15/3414 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({4})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Zu Tagesordnungspunkt 28 b liegt inzwischen die Gegenäußerung der Bundesregierung zu der
Stellungnahme des Bundesrates auf Drucksache 16/4038
vor, die wie die Vorlage auf Drucksache 16/4027 überwiesen werden soll. Sind Sie damit einverstanden? - Das
ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:
Beratung der Vierten Beschlussempfehlung des
Wahlprüfungsausschusses
zu 11 gegen die Gültigkeit der Wahl zum
16. Deutschen Bundestag eingegangenen
Wahleinsprüchen
- Drucksache 16/3900 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Carl-Christian Dressel
Hans-Christian Ströbele
Es handelt sich um die Beschlussfassung zu einer
Vorlage, zu der keine Aussprache vorgesehen ist. Wird
das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist
der Fall. Das Wort hat der Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses, der Abgeordnete Strobl. - Bitte
schön.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Jeder Wahlberechtigte kann innerhalb von zwei Monaten
nach dem Wahltag beim Deutschen Bundestag Einspruch gegen die Gültigkeit der Bundestagswahl einlegen. Insgesamt 195 solcher Wahleinsprüche sind nach
der Bundestagswahl am 18. September 2005 eingegangen. 157 dieser Einsprüche hat der Bundestag bereits im
letzten Jahr zurückgewiesen. Heute empfiehlt Ihnen der
Wahlprüfungsausschuss die Zurückweisung weiterer elf
Einsprüche. Neun davon betreffen die Kandidatur von
Mitgliedern der WASG auf Listen der Linkspartei.
Diese Wahlkooperation beider Parteien hat - nicht nur
unter Staats- und Verfassungsrechtlern, sondern auch in
der Öffentlichkeit - zu mitunter hitzigen Diskussionen
geführt. Deshalb erlaube ich mir als Vorsitzender des
Wahlprüfungsausschusses, unsere Beschlussempfehlungen mit einigen grundsätzlichen Bemerkungen kurz zu
erläutern. Zugleich nutze ich die Gelegenheit für ein
kleines Resümee unserer bisherigen Wahlprüfung und
für einige grundsätzliche Anmerkungen zum Wahlprüfungsverfahren.
Ein erfolgreicher Wahleinspruch kann gravierende
Folgen haben, nämlich eine Wiederholung der Bundestagswahl. Aus diesem Grunde sind die Anforderungen
an eine Ungültigkeitserklärung der Wahl hoch. Erstens muss ein Verstoß gegen Vorgaben des Wahlrechts,
ein sogenannter Wahlfehler, vorliegen. Zweitens muss
dieser Wahlfehler mandatsrelevant sein. Das heißt, der
Rechtsverstoß muss sich nachweisbar auf die Sitzverteilung im Deutschen Bundestag ausgewirkt haben oder
mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zumindest ausgewirkt haben können. Diese hohen Hürden, Wahlfehler
und Mandatsrelevanz, sind verantwortlich dafür, dass
bisher noch nie eine Bundestagswahl für ungültig erklärt
wurde, weder vom Deutschen Bundestag noch vom
Bundesverfassungsgericht, das in zweiter Instanz für die
Wahlprüfung zuständig ist, da alle Wahlprüfungsentscheidungen, die der Deutsche Bundestag trifft, vor dem
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe angegriffen werden können.
Nun wäre es ein großes Missverständnis, anzunehmen, die Wahlprüfung sei praktisch bedeutungslos, da
noch nie eine Bundestagswahl für ungültig erklärt
wurde. Das Gegenteil ist der Fall; denn allein schon die
Überprüfung der Vorbereitung und Durchführung der
Wahl auf ihre Rechtmäßigkeit und erst recht die Aufdeckung von Wahlfehlern tragen dazu bei, dass die
Wahlbehörden bei künftigen Wahlen sorgfältiger agieren
und dass sich Wahlfehler nicht regelmäßig wiederholen.
Deshalb geht der Wahlprüfungsausschuss jedem zulässigen Einspruch gründlich nach, auch wenn die fehlende
Mandatsrelevanz des behaupteten Wahlfehlers auf der
Hand liegen mag. Bei der Prüfung eines Einspruchs werden häufig Fragen im Hinblick auf die Praxistauglichkeit
bestimmter Wahlrechtsvorschriften aufgeworfen. Es entspricht einer bewährten Praxis, die Bundesregierung
dann in Form sogenannter Prüfbitten zu entsprechenden
Reformüberlegungen zu veranlassen. Das Wahlprüfverfahren wird damit zum Impulsgeber für eine Fortentwicklung unseres Wahlrechts!
Thomas Strobl ({0})
Das Gesagte spiegelt sich auch in den heute zur Entscheidung anstehenden Einsprüchen betreffend die Kandidatur von Mitgliedern der WASG auf Listen der
Linkspartei wider. Der Ausschuss empfiehlt Ihnen die
Zurückweisung dieser Einsprüche, weil er einen Wahlfehler, also einen Verstoß gegen das Wahlrecht, nicht
feststellen konnte. Zwar geht das Bundeswahlgesetz davon aus, dass Listen nur von jeweils einer Partei eingereicht werden können. Es schreibt - anders als das Landtagswahlrecht in Schleswig-Holstein oder in MecklenburgVorpommern - aber nicht vor, dass nur Mitglieder der
einreichenden Partei über deren Liste kandidieren dürfen. Der Umstand, dass überhaupt Mitglieder der WASG
auf den Listen der Linkspartei kandidierten, stand als
solcher der Zulässigkeit dieser Listen also nicht entgegen.
Art und Umfang der Platzierung von WASG-Mitgliedern auf den Listen rechtfertigen nach Auffassung des
Ausschusses auch nicht die Annahme, dass es sich nur
noch formal um Listen der Linkspartei, materiell aber
um die 5-Prozent-Klausel aushebelnde gemeinsame Listen beider Parteien gehandelt hätte. So fanden sich jeweils auf den ersten fünf Plätzen, die die aussichtsreichsten sind, stets mehr Mitglieder der Linkspartei als solche
der WASG. Aufgrund der auf die Bildung einer gemeinsamen Partei ausgerichteten nachweisbaren Anstrengungen beider Parteien stellten sich die Listen als hinreichend homogen dar.
Dass Ihnen der Ausschuss die Zurückweisung der
Einsprüche empfiehlt, heißt indessen nicht, dass sich damit die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfange eine Partei Nichtmitglieder auf ihre Listen setzen
darf, ein für allemal erledigt hätte. Vielmehr wird noch
- das ist in der Beschlussempfehlung ausdrücklich vermerkt - darüber zu reden sein, ob insoweit für künftige
Bundestagswahlen nähere gesetzliche Vorgaben gemacht werden sollten. De lege ferenda wäre freilich
denkbar, dass nur Mitglieder der einreichenden Partei
über deren Liste kandidieren dürfen.
Die große Aufmerksamkeit, die die Wahlkooperation
von Linkspartei und WASG zu Recht gefunden hat, darf
indessen nicht den Eindruck vermitteln, es handle sich
dabei um das einzige bedeutende Thema der Wahlprüfung in dieser Wahlperiode. Vielmehr betrafen auch die
bereits zurückgewiesenen Einsprüche wichtige Themen
und warfen die Frage nach gesetzgeberischen Maßnahmen auf. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang sowohl an die Nachwahl in Dresden im Oktober 2005 als
auch an die Versendung von mehr als 10 000 falschen
Stimmzetteln an die Briefwähler der beiden Dortmunder
Wahlkreise. Es gibt seitens des Bundesrates bereits einen
Gesetzentwurf bzw. eine Entschließung, in der die Bundesregierung zur Überprüfung der einschlägigen Wahlrechtsbestimmungen aufgefordert wird. Ferner hat der
Deutsche Bundestag die Bundesregierung anlässlich einschlägiger Wahleinsprüche gebeten, zu prüfen, wie sichergestellt werden kann, dass nur Wahlberechtigte an
Bundestagswahlen teilnehmen. Hintergrund ist, dass
nach dem seit 2000 geltenden Staatsangehörigkeitsrecht
auch Deutsche, die im Inland leben, die deutsche
Staatsangehörigkeit verlieren können, wenn sie eine
ausländische Staatsangehörigkeit, zum Beispiel die türkische, annehmen. Hier ist von mehreren Tausend Fällen
die Rede, in denen Deutsche durch die Annahme der türkischen Staatsbürgerschaft die deutsche Staatsbürgerschaft verloren und trotzdem an der Bundestagswahl
teilgenommen haben sollen. Zu erwähnen sind weiterhin
die Einsprüche, die die Zulässigkeit des Einsatzes von
Wahlgeräten zum Gegenstand hatten. Sie zeugen, ebenso
wie eine zurzeit anhängige öffentliche Petition, von einem offenbar weitverbreiteten Misstrauen gegen diese
Form der Erleichterung der Abgabe und Zählung der
Stimmen.
Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich mich bei
den Kolleginnen und Kollegen im Wahlprüfungsausschuss für die kollegiale Zusammenarbeit und beim Sekretariat des Ausschusses für die geleistete Unterstützung ganz herzlich bedanken. Ausdrücklich möchte ich
dem langjährigen Sekretär des 1. Ausschusses, Herrn
Dr. Winkelmann, danken. Er hat sich nicht nur um die
Fortentwicklung des Wahlrechtes, sondern auch um die
Fortentwicklung des Parlamentsrechtes hoch verdient
gemacht.
({1})
Ich bitte Sie nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, der
Beschlussempfehlung zuzustimmen.
Vielen Dank für die Berichterstattung, Herr Kollege
Strobl.
Wir kommen zur Abstimmung. Die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen hat Einzelabstimmung zu
den Empfehlungen des Ausschusses zu den Anlagen 1
bis 9 einerseits sowie 10 und 11 andererseits verlangt.
Ich darf darauf hinweisen, dass in den Anlagen 1 bis 9
Entscheidungen enthalten sind, die die Zulassung der
Landeslisten der Linkspartei/PDS betreffen. Bevor wir
abstimmen, weise ich darauf hin, dass bei Nichtzustimmung zu den Ausschussbeschlussempfehlungen diese
gemäß § 13 des Wahlprüfungsgesetzes als an den Wahlprüfungsausschuss zurückverwiesen gelten.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zu den Anlagen 1 bis 9 auf
Drucksache 16/3900? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit den
Stimmen aller anderen Fraktionen angenommen.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung zu den
Anlagen 10 und 11? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Diese Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Damit ist die Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/3900 insgesamt angenommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Unterschiedliche Auffassungen in der Bundesregierung zu einer klimaverträglichen Energieversorgung ohne Atomkraft
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Renate Künast vom Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
in den letzten Tagen und Wochen eine bemerkenswerte
Debatte, einen bemerkenswerten Zickzackkurs der Koalitionsfraktionen und auch der Regierungsmitglieder erlebt. Zuletzt wurde eine aktuelle Umfrage von Forsa
- sie stammt vom 14. Januar dieses Jahres - als Argument benutzt. Diese Umfrage will ich gern aufgreifen.
Danach halten es 61 Prozent der Bundesbürger für
nicht vertretbar - die Frage wurde ihnen so gestellt -,
aus der Atomenergie auszusteigen, bevor - jetzt kommt
das Wichtige - alternative Energien wie Sonnen- und
Windkraft in einem vergleichbaren Umfang zur Verfügung stehen. Da haben manche gestutzt, und viele von
der Koalition, insbesondere von der CDU/CSU, nehmen
das immer wieder gern als Argument dafür, dass man
nicht aussteigen dürfe. Genau das und die Tatsache, dass
Frau Merkel sagte, wer aus der Atomenergie aussteigen
wolle, müsse auch die Alternativen aufzeigen, sind für
uns der Ansatzpunkt, hierüber zu diskutieren.
({0})
- Klatschen Sie nicht zu früh, Sie Lobbyvertreter!
({1})
Wissen Sie was? Uns als Grüne können Sie mit dieser
Argumentation, auch mit dieser Umfrage gar nicht
schrecken. Warum? Weil wir genau den gleichen Ansatz
wie diese 61 Prozent haben! Wir stehen dafür, den
Atomausstieg so zu organisieren, dass wir parallel mit
Steigerung der Energieeffizienz, mit Einsparungen und
mit erneuerbaren Energien in eine Alternative einsteigen. Es gibt keinen Grund zum Frohlocken, und es gibt
keinen Grund zur Sorge. Es ist machbar, und wir werden
es machen.
({2})
Ich weiß genau, dass Sie wissen, dass es möglich ist.
Man braucht allerdings wirklich auch den Willen, eines
zu erkennen: dass der Atomausstieg und Klimaschutz
zueinander gehören. Es gibt bei Ihnen ein munteres
Durcheinander und kein Konzept, gleichwohl in Ihrer
Koalitionsvereinbarung steht, dass Sie den Atomausstieg
nicht rückgängig machen wollen. Zu Ihnen - das sage
ich direkt in Richtung CDU/CSU - kann ich nur eines
sagen: Ihre Politik, Ihr ewiges Geschwatze über das
Rückgängigmachen führt dazu, dass in dieser Republik
Investitionen in Milliardenhöhe nicht getätigt werden,
dass in dieser Republik Zehntausende, wenn nicht gar
Hunderttausende zukunftssicherer Arbeitsplätze nicht
entstehen. Das ist Ihr Problem.
({3})
Man tut so, als wäre die Atomkraft da, um das Klima
zu schützen, und als ob man deshalb an ihr festhalten
müsste. 6 Prozent des deutschen Energieverbrauchs werden durch die Atomenergie erzeugt. Weltweit sind es
circa 2,5 Prozent, und die Tendenz ist sogar sinkend. Sie
sehen, wie klein die Spanne überhaupt ist, um Klimaschutz mithilfe von Atomkraftwerken zu betreiben; die
vorhandenen Möglichkeiten würden dafür nicht einmal
ausreichen.
({4})
Ich will ein Szenario von CDU/CSU und FDP aufgreifen. Sie haben einmal gesagt: Wenn man mithilfe
von Atomkraftwerken wirklich Klimaschutz betreiben
wollte, also eine entsprechende CO2-Reduzierung erzielen wollte, müsste man - so lautet das Ergebnis einer
früheren Enquete-Kommission des Bundestages - allein
in Deutschland 50 bis 70 neue Atomkraftwerke bauen.
Sie wissen doch selber: Das geht nicht, weil Sie sonst
Ihre privaten Vorgärten zur Verfügung stellen müssten.
({5})
Dies wird in Deutschland gar nicht möglich sein.
Sie suggerieren, das Zudrehen des Ölhahns in Russland vor einigen Tagen sei ein Argument für die Richtigkeit Ihrer Position. Ich sage Ihnen: Das ist es nicht. Warum? Weil Atomenergie kein Ersatz für Öl ist, auch
wenn Sie so tun. 70 Prozent des Öls werden zum Antrieb
von Autos genutzt. Die Atomenergie ist aber keine Technologie zum Antrieb von Fahrzeugen; es gibt nämlich
keine Minireaktoren in Autos. Also lassen Sie den
Quatsch, und beleidigen Sie nicht unseren Intellekt mit
solchen Argumentationen!
({6})
Die Atomenergie ist und bleibt eine Risikotechnologie. Sie wissen es: Atomkraftwerke sind nicht sicher.
Das hat uns Tschernobyl gezeigt. Unter dem dortigen
Unglück leiden Menschen bis heute. Forsmark hat uns
gezeigt, dass auch die modernsten Kraftwerke nicht sicher sind. Wir alle wissen um die Gefahr durch Anschläge. Wir wissen, dass die alten Atomkraftwerke in
Deutschland dringend geschlossen werden müssen, weil
sie nie im Leben den Zusammenstoß mit einem Starfighter, mit einem Eurofighter, geschweige denn mit einem
Passagierflugzeug, von Terroristen gesteuert, aushalten
würden. Auch da liegen die Gefahren der Atomkraft.
({7})
Wir wissen, dass eine große Mehrheit in dieser Republik es ablehnt, wieder in die Atomenergie einzusteigen.
Wir wissen - das weiß auch Frau Merkel; diesen Fehdehandschuh nehmen wir gerne auf -, dass Alternativen
vorhanden sind. Wenn wir uns in Europa das ehrgeizige
Ziel setzen, die CO2-Emmissionen um 30 Prozent zu
senken, dann setzt das Innovationen und Investitionen in
Gang, die ihresgleichen suchen. Wir müssen es anpacken. Setzen wir auf die Klimaschutzpotenziale im Verkehr und in den Haushalten!
Dann würde folgender Satz gelten - das ist mein Fazit -:
Eine Versorgungslücke durch das Auslaufen der
Kernenergie existiert nicht.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSUFraktion, hier warte ich auf Applaus bei Ihnen; denn dieser Satz ist ein Originalzitat aus dem Papier „Ergebnisse
des Energiegipfels vom 3. April 2006“. Das war der
Energiegipfel der Regierung von Angela Merkel; dieser
Satz trägt ihre Unterschrift. Dieser Satz stimmt. Also lassen Sie uns endlich mit dem Gerede über die Atomenergie aufhören! Sie ist nämlich gefährlich. Lassen Sie uns
endlich den Bau von Alternativen anpacken! Es macht
Sinn, auf erneuerbare Energien, auf Effizienz und Einsparen zu setzen.
({9})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Katherina Reiche von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Die heutige Debatte hat das Thema:
Unterschiedliche Auffassungen in der Bundesregierung zu einer klimaverträglichen Energieversorgung ohne Atomkraft
Frau Künast, ich möchte Folgendes feststellen:
Erstens. Sowohl die Koalition als auch die Bundesregierung stehen zum Koalitionsvertrag.
Zweitens. Die Kanzlerin hat das Thema Energieversorgung in Europa mit all seinen Facetten zu dem Thema
der deutschen EU-Ratspräsidentschaft gemacht.
Drittens. In dieser Funktion ist es notwendig, den
Blick nicht nur auf den Koalitionsvertrag zu lenken, sondern auch auf das, was andere Länder in Europa tun und
worüber sie diskutieren. Bei diesem Thema - das wird
man wohl noch dürfen - denkt nicht jedes Land wie wir.
Denkverbote darf es nicht geben.
Der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine im
vergangenen Jahr und der Ölstreit mit Weißrussland in
diesem Jahr zeigen doch eines: Deutschland und Europa
müssen mit ihren heimischen Energieressourcen besser
haushalten, sie müssen sich stärker entwickeln und sich
unabhängiger von Importen machen. Die Europäische
Kommission hat in der vergangenen Woche ein Strategiepapier zur Energiepolitik veröffentlicht. Darin hat sie
deutlich gemacht: Wenn wir unsere Energieerzeugung
nicht wettbewerbs- und zukunftsfähig gestalten, wird die
Importabhängigkeit der Europäischen Union steigen. Im
Jahr 2030 werden - so die Prognose - 60 Prozent des
Energiebedarfs in der EU mit Energieimporten gedeckt;
bereits heute sind es 50 Prozent. Wir in Deutschland
decken schon heute zwei Drittel unseres Bedarfs mit Importen.
Gleichzeitig stellt uns der Klimawandel vor neue Herausforderungen. Der „Stern“-Report - auch Sie haben
ihn zur Kenntnis genommen und darüber breit diskutiert hat uns anschaulich vor Augen geführt, dass wir es uns
nicht leisten können, heute nicht zu handeln. Bei der
Verringerung der Importabhängigkeit und beim Klimaschutz werden die erneuerbaren Energien, aber auch die
Steigerung der Energieeffizienz - Frau Künast, in Ihrem
Redeschwall habe ich dieses Thema fast vermisst selbstverständlich eine große Rolle spielen.
Die Europäische Kommission hat in ihrem Strategiepapier die Bedeutung der erneuerbaren Energien hervorgehoben: Bis zum Jahr 2020 sollen 20 Prozent der Gesamterzeugung in der EU aus regenerativen Energien
stammen. Angesichts der aktuellen und der zu erwartenden Entwicklung sollten wir ernsthaft prüfen, ob unsere
Ziele in Deutschland beim Ausbau der erneuerbaren
Energien nicht anzupassen sind, ob wir nicht mehr können.
Auch im Wärmebereich sollten wir die erneuerbaren
Energien vorantreiben. Die Aufstockung des Marktanreizprogrammes um 39 Millionen Euro in diesem Jahr
war ein ganz deutlicher Schritt in diese Richtung. Wir investieren jetzt 213 Millionen Euro in das Marktanreizprogramm. Wir zeigen: Hier funktioniert der Markt. Wir
haben hier ein Instrument geschaffen, das von den Menschen angenommen wird. Die Koalition hat hier einen
deutlichen Impuls gesetzt.
({0})
Wir werden noch weitere Vorschläge zur Förderung
der erneuerbaren Energien im Wärmebereich diskutieren. Wir haben einiges vor. Ich sage Ihnen: Wir kommen
hier zu mehr marktkonformen Lösungen.
Bei der Nutzung der erneuerbaren Energien zur Wärmeerzeugung sollten wir folgenden Gedanken aufnehmen: Es hilft im Klimaschutz nicht weiter, wenn die umweltfreundlich erzeugte Wärme durch undichte Fenster
oder fehlende Wärmedämmung am Gebäude wieder verloren geht. Deshalb sollten wir das CO2-Gebäudesanierungsprogramm und das Marktanreizprogramm besser
aufeinander abstimmen.
({1})
Investitionen für erneuerbare Energien in energieeffizienten Gebäuden könnten durch einen Bonus gefördert
werden. Diese Verbindung bringt mehr Effizienz und
mehr Klimaschutz.
({2})
Katherina Reiche ({3})
Anknüpfungspunkt für die Debatte war die Kernenergie. Wir debattieren dieses Thema im Deutschen Bundestag heute zum wiederholten Male. Es ist bekannt,
dass es in der Koalition zu diesem Punkt unterschiedliche Auffassungen gibt. Der Koalitionsvertrag - dazu
habe ich mich bereits geäußert - ist aber eindeutig. Der
Koalitionsvertrag - das habe ich ebenfalls schon gesagt bedeutet kein Denkverbot. Es ist selbstverständlich, dass
man darüber nachdenken muss, welche Konsequenzen
es für die Versorgungssicherheit und den Klimaschutz
hat, wenn wir in Deutschland aus der Kernenergie aussteigen. Wir sprechen hier über 30 Prozent der Stromerzeugung in Deutschland. Dieser Anteil muss ersetzt werden - beispielsweise durch Gasimporte, beispielsweise
durch erneuerbare Energien, die dann wiederum in anderen Bereichen fehlen würden. Hierdurch würden unsere
Spielräume bei der Energieversorgung weiter eingeschränkt. Gas und Biomasse sind für die Wärmeerzeugung und als Kraftstoff noch nicht in ausreichendem
Maß vorhanden. Mit längeren Laufzeiten wäre da anderes möglich.
Noch einmal: Wir stehen zum Vertrag. Wir halten den
Ausstieg aus der Kernenergie aber für verfrüht. Wir
brauchen sie, bis wir tatsächlich vernünftige, wettbewerbsfähige und bezahlbare Alternativen haben.
Sicherung der Energieversorgung, Verringerung der
Abhängigkeit von Importen, mehr Effizienz und Klimaschutz - das sind zentrale Herausforderungen unserer
Zeit. Wir sind bereit, uns diesen Herausforderungen zu
stellen, sie nicht nur zu begleiten, sondern durch aktives
praktisches politisches Handeln auch zu bestehen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gudrun Kopp von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Wir möchten aufhören, über die gefährliche Atomtechnologie zu sprechen, haben Sie, Frau Künast, gefordert. Wenn ich das richtig verstanden habe, haben Sie die
heutige Debatte zu dem Thema beantragt; wir führen sie
aufgrund Ihres Wunsches. Sie müssen sich entscheiden,
was Sie möchten.
({0})
Als Replik auf das, was Sie gefordert haben - die
Kernkraftwerke in Deutschland ohne einen zusätzlichen
Schutz gegen Flugzeugabstürze müssen abgeschaltet
werden -, kann ich Ihnen nur sagen: Dies hätte Herr
Trittin dann bereits in der vergangenen Legislaturperiode
bei dem einen oder anderen Werk tun müssen.
({1})
Verantwortung verschieben und hier Nebelkerzen werfen - da springen Sie einfach zu kurz.
Sprechen wir vom Dissens, sprechen wir von Verzögerungen in der energiepolitischen Debatte in der Großen Koalition! Da findet derzeit energiepolitisch eine
Achterbahndiskussion statt. Es gibt einen tiefgreifenden
Dissens beim Thema Steinkohlesubventionen. Die SPD
fordert plötzlich, einen Sockelbergbau aufrechtzuerhalten. An der Finanzierung wird sich der Bund dann allerdings ohne das Land NRW beteiligen müssen. In
Nordhrein-Westfalen, wo wir mitregieren, haben wir
nämlich ganz klar vereinbart, dass wir aus der Steinkohlesubventionierung aussteigen werden.
({2})
Sie haben einen anhaltend tiefgehenden Dissens bei
der Nutzung der Kernenergie. Sie können keine Entscheidung für einen Endlagerstandort für Atommüll treffen.
({3})
Ein Hin und Her findet beim Emissionshandel statt.
Es gibt immer wieder Verzögerungen und auch ein ständiges Hickhack beim Wärmegesetz. Einmal heißt es:
„Ja, es kommt“, und einmal heißt es: „Nein, es kommt
nicht“; auch Frau Reiche hat sich in dem Punkt mehrmals widersprochen.
({4})
Es gibt Verzögerungen beim Energiepass für Gebäude,
bei der Kraftwerksanschlussverordnung und, und, und.
Das alles geschieht vor dem Hintergrund, dass Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft innehat und die G 8
führt. Dieses Verhalten zeugt von energiepolitischer
Konzeptions- und Kopflosigkeit. Wir blamieren uns in
der EU und der Welt.
({5})
Die FDP-Bundestagsfraktion setzt sich - das wissen
Sie - für einen breit aufgestellten, unideologischen Energiemix ein. Wir fordern Sie auf, einmal zu sagen, wie
sich die Lücke, die sich aus dem Ausstieg aus der Kernenergie zum jetzigen Zeitpunkt ergäbe, überhaupt schließen ließe, und zwar vor dem Hintergrund, dass der Klimaschutz eine riesengroße Rolle spielt.
({6})
Staatssekretär Müller hat am vergangenen Montag gesagt, dass sich die Kernenergie in Deutschland durch den
Einsatz erneuerbarer Energien komplett ersetzen lasse.
Das ist nach unserer Rechnung nicht der Fall. Der Anteil
des Stromes aus kerntechnischen Anlagen liegt in
Deutschland bei 30 Prozent. Selbst wenn der Anteil der
erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung bis zum
Jahr 2020 auf 25 Prozent erhöht werden könnte - derzeit
sind es 11 Prozent -, bleibt die Frage, wie der dann verbleibende Rest gedeckt werden kann.
({7})
- Ja, möglicherweise mit Kohlekraftwerken. Schönen
Gruß in Richtung Klimaschutz. Es fehlt ein Konzept,
wie Sie diese Lücke schließen wollen. Auch an dieser
Stelle bleiben Sie Antworten schuldig.
({8})
Die FDP tritt dafür ein, dass die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990 um 30 Prozent
gesenkt werden. Wir setzen uns ferner dafür ein, dass in
der zweiten Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 die anteiligen 10 Prozent der Emissionszertifikate - das ist jetzt
schon möglich - versteigert werden. Die Erlöse aus diesen Versteigerungen sollten zur Senkung bzw. Abschaffung der Stromsteuer herangezogen werden. Das würde
auch eine Entlastung der Privathaushalte bedeuten.
({9})
Wir setzen auf Energieeffizienz und Energieeinsparung. Wir setzen bei der Förderung erneuerbarer Energien, vor allem im Wärmebereich, auf marktwirtschaftliche Instrumente, nicht nach dem EEG, sondern nach
einem Mengensteuersystem. Wir setzen auf die CO2arme Kohleverstromung und auf die Kernenergie, die
wir dringend brauchen. Von daher fordern wir die Bundesregierung auf, sich endlich, insbesondere mit Blick
auf den Klimaschutz, dazu durchzuringen, ihre Ideologie
hintanzustellen und dafür zu sorgen, dass Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden
sowie der Wirtschaftsstandort Deutschland gestärkt
wird.
Der neuerliche Konflikt zwischen Russland und
Weißrussland war nach dem Konflikt von vor einem Jahr
mehr als ein Weckruf. Hier läuteten die Alarmglocken.
Wir müssen unsere Exportabhängigkeit verringern. Das
gilt gerade beim Gas, aber auch beim Öl. Wir sind total
abhängig.
({10})
Wir stellen fest, dass Russland nicht der zuverlässige
Partner ist, den wir uns wünschen.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kopp.
Insofern ist ein breiter Energiemix, zu dem mittelfristig auch die Kernenergie gehört, angesagt.
Wir fordern Sie auf, die Realitäten endlich anzuerkennen.
Danke.
({0})
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus welchen Gründen die Aktuelle Stunde auch immer beantragt
wurde - darüber kann sich jeder eine Meinung bilden -,
auf jeden Fall ist es wichtig, dass wir über die Energieund Klimafragen debattieren. Die Diskussion zeigt nämlich, dass wir noch eine Menge Klarheit schaffen müssen. Aus meiner Sicht ist die Energiefrage die wichtigste
Schlüsselfrage dieses Jahrhunderts.
({0})
Im Übrigen bezieht sich die Frage nicht nur auf Gas,
Öl, Kohle oder Uran, sondern auf eine Vielzahl von Rohstoffen. Wir müssen der Wahrheit ins Auge schauen,
dass sich in diesem Jahrhundert die Verteilungs- und
Nutzungskonflikte auch bei Edelmetallen und vielen anderen Stoffen zuspitzen werden. Wenn wir darauf nicht
vorbereitet sind, wird sich das vor allem in vielen Industriestaaten brutal auswirken. Insofern ist diese Diskussion notwendig, und es ist gut, dass sie geführt wird, von
mir aus auch kontrovers. Aber wir sollten sie auf jeden
Fall konstruktiv führen, bis wir sagen können: Wir nähern uns an. In diesem Sinne sollten auch die Kontroversen ausgetragen werden. Ich finde das nicht falsch.
({1})
Es geht also um eine Frage, die eine erhebliche Tragweite hat, nicht nur für Ökonomie und Ökologie, sondern meines Erachtens in der Konsequenz auch für Frieden und Freiheit in der Welt. Darum geht es bei diesem
Thema. Dazu möchte ich drei Anmerkungen machen.
Zum Klimawandel. Die Bundeskanzlerin hat gesagt
- das Parlament hat das auch schon mehrfach getan -,
dass der Klimawandel die größte Herausforderung dieses Jahrhunderts für die Menschheit ist. Nur ein paar Daten: Nach allen Szenarien, die wir kennen, können wir
schon heute kaum noch etwas für die Abbremsung des
Klimawandels in den nächsten 50 Jahren tun. Alle Szenarien zeigen, dass sich das, was wir heute tun, wahrscheinlich erst 2050 und später auswirkt.
Es gibt eine Reihe von Faktoren, die verlangen, dass
wir die Anstrengungen verstärken. Wir werden wahrscheinlich noch in diesem, aber spätestens im nächsten
Jahrzehnt erleben, dass sich die Erderwärmung auf
0,2 Grad pro Jahrzehnt beschleunigt. Aller Wahrscheinlichkeit nach kommt es im globalen Mittel Ende dieses
Jahrhunderts zu einer Erwärmung um 3 Grad. Das bedeutet beispielsweise, denn es gibt erhebliche regionale
Unterschiede, dass Regionen wie Grönland Erwärmungsprozesse von mehr als 10 Grad erleben werden.
Auch wissen wir nicht, was in Nordrussland passieren
wird. Wenn die Erwärmung tief in die Böden geht und
damit die Methanreservoire freisetzt, kann sich der Prozess schnell dramatisch beschleunigen.
Vieles andere wissen wir auch nicht genau, zum Beispiel wie die großen Eisflächen auf der Erde reagieren
werden. Aber wir wissen, dass dort gewaltige Veränderungsprozesse stattfinden. Das, was wir wissen, ist schon
Parl. Staatssekretär Michael Müller
so alarmierend, dass man sich wundern muss, warum wir
nicht mehr tun. Wir reden mehr über das Problem, als
dass wir handeln.
({2})
Vor diesem Hintergrund muss ich Ihnen sagen: Natürlich muss man sich fragen - das hat die Enquete-Kommission getan -, ob nicht angesichts dieser Herausforderung für die Menschheit ein anderes großes Risiko in
Kauf genommen werden muss, also beispielsweise die
Nutzung der Atomkraft, um diese Gefahr abzuwenden.
Ich erinnere daran, dass der Bundestag das getan hat. Im
Bundestag wurde intensiv darüber diskutiert. Wir haben
1990 die Studie der Weltenergiekonferenz von Cannes
zugrunde gelegt, die eine Verzwölffachung der Atomnutzung vorsah, also von etwa 440 auf weit über 5 000 Reaktoren. Das interessante Ergebnis dieser Studie war,
dass die Kohlendioxidemissionen trotzdem von circa
22 Milliarden Tonnen unvertretbar auf über
40 Milliarden Tonnen ansteigen. Und warum? Weil die
verschwenderische - das heißt die sehr ineffiziente Form der Energienutzung nicht beendet wurde. Das ist
der eigentliche Kern.
({3})
Im Übrigen sieht man, wenn man das Thema vertieft
betrachtet, dass ganz schnell andere Abhängigkeitsprobleme entstehen. Wir haben heute laut dem Red Book
der OECD eine Reichweite von Uran von 150 Jahren,
bei, wie ausgeführt, etwa 440 Atomkraftwerken in der
Welt. Nehmen Sie einmal das FUSER-Szenario, das von
über 5 000 Atomkraftwerken ausgeht: Dann beträgt die
Reichweite auf einmal nur noch 15 Jahre. Wer im Ernst
kann das verantworten?
({4})
- Das kann niemand verantworten.
Insofern kommen wir an der Feststellung nicht vorbei, die die Kommission - übrigens auch mit Zustimmung der Kollegen von CDU/CSU, FDP und aus der
Wissenschaft - einmütig getroffen hat, dass es bei der
Lösung des Klimaproblems nicht um den Austausch von
Brennstoffen geht, sondern darum, unter welchen Bedingungen wir am besten die Potenziale von Einsparung,
Effizienzsteigerung und erneuerbaren Energien mobilisieren können. Das ist die Kernfrage, die einstimmig von
der Kommission festgestellt wurde und auf die sie ihre
Empfehlungen bezieht. Das ist die richtige Schlussfolgerung, die wir ziehen müssen. Es geht eben nicht nur um
die Entkopplung von Wirtschafts- und Energiewachstum, sondern es geht um die Frage, unter welchen Bedingungen wir eine erhebliche Reduktion des Energieumsatzes erreichen können.
({5})
Der zweite Punkt. Es ist völlig richtig, dass man,
wenn man Ausstieg und klimaverträgliche Energiepolitik einfordert, auch sagen muss, wie das gehen soll. Die
Europäische Kommission hat am 10. Januar 2007 gefordert, dass im Jahr 2020 in den EU-Mitgliedstaaten der
Anteil der erneuerbaren Energien im Energiebereich, in
den drei Feldern Verkehr, Wärme und Strom, 20 Prozent
betragen soll. Es wurde nachgewiesen, dass das geht. Ich
nehme an, dass Sie diese Auffassung teilen.
In fast allen klimastrategischen Szenarien, die ich
kenne, geht man davon aus, dass bis zum Jahre 2020,
meist sogar bis zum Jahre 2050, etwa 40 Prozent der
CO2-Einsparungen auf den Einsatz erneuerbarer Energien und etwa 60 Prozent auf Effizienzgewinne entfallen. Auf dieser Basis liegen wir weit über dem 40-Prozent-Reduktionsziel. Deshalb ist die Frage der
Reduktion der CO2-Emissionen keine technische Frage,
sondern eine politische und eine ökonomische Frage.
Damit hängt alles davon ab, ob wir den politischen Willen aufbringen, dieses Ziel durchzusetzen, ob wir die
Kraft haben, diese gesellschaftliche Anstrengung zu
stemmen, und bereit sind, die Übergangsphase, die bei
einem Umstieg immer am schwierigsten ist, in Kauf zu
nehmen. Es geht also darum, ob wir im Hinblick auf unsere Zukunftsverantwortung bereit sind, den schwierigen
Prozess des Umbaus zu verfolgen. Im Kern geht es nicht
um das Ob, sondern um das Wie.
({6})
Ich könnte Ihnen zahlreiche Beispiele nennen. So
zeigt die für das Bundeswirtschaftsministerium erstellte
Studie zur Kraft-Wärme-Kopplung ein Potenzial auf, das
um eine Größenordnung von 10 Terawattstunden höher
liegt als das Gesamtpotenzial der Atomkraft. Allein
durch die bessere Einstellung der Heizungsanlagen in
Deutschland könnten zwei Großkraftwerke überflüssig
werden. Das Problem des Stand-by-Betriebes ist Ihnen
bekannt. Wenn das 5-Liter-Auto zum Regelfall würde,
dann würde der Energieumsatz im Verkehrssektor fast
um die Hälfte reduziert. All das sind doch machbare
Visionen. Deshalb finde ich es viel interessanter, zu fragen, ob die Politik den Mut hat,
({7})
eine solche gleichsam europäische Mondfahrt zu organisieren. Aber es wäre eine große Chance, um zu zeigen,
was wir technologisch können. Das trüge auch zu einer
stabilen Weltwirtschaft und damit zum Frieden auf Erden bei, indem Verteilungskonflikte um Energie und
Rohstoffe entschärft werden. Es wäre großartig, wenn
wir Europäer diese Vision Wirklichkeit werden ließen.
({8})
Lassen Sie mich drittens noch eines sagen: Es wird
häufig gesagt, die Atomkraft müsse noch länger eingesetzt werden, um Zeit zu gewinnen. Seit der ersten Ölpreiskrise 1973 kenne ich diese Debatte. Auf obige Forderung kann ich nur entgegnen: Umgekehrt wird ein
Parl. Staatssekretär Michael Müller
Schuh daraus, wir haben nämlich bei den alternativen
Energien schon viel zu viel Zeit verloren. Das ist die
Wahrheit.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Kurt Hill von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, Sie
machen Ihre energiepolitischen Hausaufgaben nicht. Die
Verbraucherinnen und Verbraucher können das an den
überhöhten Energierechnungen ablesen, und wir alle
spüren, insbesondere heute, den Klimawandel. Wie sehr
die Regierung der Realität hinterherkriecht, lässt sich an
der heutigen Debatte ablesen. Läuft in der Energieversorgung etwas schief, wird panikartig nach mehr Atomkraft gerufen. Das, meine Damen und Herren, ist ein
Tanz um das Goldene Kalb und sonst nichts.
({0})
Das Einknicken der EU-Kommission und der deutschen Ratspräsidentschaft vor der Atomlobby zeigt die
Konzeptlosigkeit. Frau Künast hat bereits auf die Aussage unserer Bundeskanzlerin im Deutschlandfunk hingewiesen, dass diejenigen, die gleichzeitig Atomausstieg
und Klimaschutz wollen, natürlich auch aufgefordert
seien, Antworten zu geben. Wo ist denn die Antwort von
Frau Dr. Merkel? Sie steht in der Pflicht, eine Antwort
zu geben.
({1})
Seit Beginn dieser Legislaturperiode warten wir auf ein
schlüssiges Energiekonzept der Bundesregierung, das
genau diese Fragen beantwortet.
Die Energiekonzerne nutzen derweil Atommeiler und
Klimaschutz als Gelddruckmaschine. Die Zeche zahlen
die Bürgerinnen und Bürger über die Stromrechnung, inklusive 19 Prozent Mehrwertsteuer. Wenn die abgeschriebenen und maroden Atomblöcke bisher die Strompreise nicht gesenkt haben, warum sollte das durch
längere Laufzeiten geschehen? Wenn Uran als Brennstoff zu 100 Prozent importiert werden muss, wie sollen
Atomkraftwerke die Versorgungssicherheit erhöhen?
({2})
Hinzu kommt, dass sie ohnehin im Sommer regelmäßig
wegen Kühlwassermangels versagen.
({3})
- So ist es. Es zeugt von Inkompetenz in der Sache zu
behaupten, Atommeiler könnten die Versorgungssicherheit erhöhen. Dass sie das Klima retten würden, ist
schlichtweg falsch. Denn Atommeiler zementieren die
kartellartigen Strukturen in der Energieversorgung und
mehr nicht. Ihr Grundlaststrom verträgt sich nicht mit
den Anforderungen an eine moderne Energieerzeugung.
Gefragt sind dezentrale, schnell regelbare Kraftwerke
mit Kraft-Wärme-Kopplung, die den wachsenden Anteil
von Strom aus Wind, Sonne und Bioenergie ergänzen.
Laufzeitverlängerungen bedeuten daher eine fahrlässige
Verzögerung im Klimaschutz.
({4})
Wer sich für die Strahlentechnik ausspricht, sagt Nein zu
erneuerbaren Energien. So sieht es aus.
Ich möchte es ganz deutlich sagen: Es ist unmoralisch, das Strahlenrisiko der Atomkraft mit den Gefahren
des Klimawandels zu rechtfertigen. Die Zahlen sprechen
eine deutliche Sprache. 29 Milliarden Kilowattstunden
Strom produzieren die fünf Atomkraftwerke jährlich, die
bis 2010 abgeschaltet werden. Erneuerbare Energien liefern bis zu diesem Zeitpunkt schon über 100 Milliarden
Kilowattstunden Strom. Bereits 2015 werden die erneuerbaren Energien die Strommengen bereitstellen, die alle
jetzigen Atommeiler liefern. Die gefährliche Strahlentechnik ist überflüssig wie die Pest. Außer dem Energiekartell nützt sie niemandem.
({5})
Auch ich nehme Bezug auf die FORSA-Umfrage:
61 Prozent der Befragten halten einen Ausstieg aus der
Atomkraft für nicht vertretbar, ehe nicht Sonnen- und
Windenergie oder andere Alternativen in einem vergleichbaren Umfang zur Verfügung stehen. Wind, Sonne
und Bioenergie können bereits viel mehr als das. Sie
sparen pro Jahr fast 100 Millionen Tonnen Klimagase
ein, senken die Energiekosten jährlich um
8,9 Milliarden Euro, erfordern keine strahlenden Endlager und stehen für eine friedliche Energienutzung. Fazit:
Atomkraft schadet dem Geldbeutel und dem Klima und
nicht mehr.
({6})
Die Linke fordert deshalb von der Bundesregierung
ein klares Bekenntnis zum Atomausstieg. Den Schlüssel
für die Energiewirtschaft der Zukunft bilden Energieeffizienz, Energieeinsparung und erneuerbare Energien. Nur
so gelingt es uns, die Energiesicherheit zu erhöhen und
den CO2-Ausstoß bis 2050 um 80 Prozent zu senken.
Lassen Sie mich jetzt zum Schluss kommen. Ich
möchte den Satz der Bundeskanzlerin, den ich eingangs
nannte, neu formulieren: Diejenigen, die sich dem
Atomausstieg und dem Klimaschutz verweigern, sind
jetzt auch aufgefordert, Antworten zu geben.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Dr. Georg
Nüßlein von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Titel
der heutigen Aktuellen Stunde suggeriert, dass es den
Antragstellern darum geht, herauszuarbeiten, dass sich
die Koalitionspartner über die Energiepolitik uneinig
sind. Nun könnte man dazu sagen: Wir sind uns öfter uneinig.
({0})
Bevor Sie sich über diese Einlassung freuen, füge ich
gleich hinzu: Gott sei Dank! Schließlich kann man nicht
in einem Wahlkampf gegeneinander antreten und dann,
wenn man in die Situation einer Großen Koalition
kommt, immer in allen Punkten vollständig einig sein.
({1})
Frau Künast, das müssten Sie aus der Zeit Ihrer Beteiligung an der letzten Regierung auch noch wissen.
({2})
Nun sage ich etwas, was Sie vielleicht auch wundern
wird: Wir sind uns in entscheidenden Teilen der Energiepolitik sehr wohl einig. Wichtige Beispiele sind für mich
die wachsende Bedeutung erneuerbarer Energien sowie
des EEG als Instrument zum Ausbau der erneuerbaren
Energien und die Bedeutung der erneuerbaren Energien
im Wärmebereich. Frau Kollegin Reiche hat zu diesem
Thema heute bereits richtungweisende Ausführungen
gemacht.
Beim Thema Kernenergie sind wir uns, wie ich
meine, einig, und zwar darüber, dass wir uns nicht einig
sind. Auch das ist eine sehr ehrliche Aussage. Aber vielleicht ändert sich an dieser Uneinigkeit, um die es Ihnen
vermutlich geht, noch etwas. Denn die Bürgerinnen und
Bürger fangen immer dann, wenn uns Russland demonstriert, was man dort unter „Druschba“ - sprich: Freundschaft - versteht, damit an, umzudenken bzw. nachzudenken. Wie wir heute schon gehört haben, hat die
Kanzlerin angemahnt, über den Atomausstieg nachzudenken. Nachdenken schadet der Politik nie.
({3})
Im Übrigen tut das auch Umweltminister Gabriel. In
einer der letzten Sitzungen des Umweltausschusses vor
dem Jahreswechsel hat er sich sehr deutlich eingelassen
und gesagt: Die ambitionierten klimapolitischen Ziele,
die uns von der europäischen Ebene vorgegeben werden,
können wir bei einem gleichzeitigen Ausstieg aus der
Kernenergie wohl nicht erreichen.
({4})
- Wenn Sie das bestreiten, fragen Sie den Kollegen
Schwabe, der unmittelbar neben Ihnen sitzt. Er sah sich
in der damaligen Sitzung genötigt, zu remonstrieren und
zu sagen: Herr Minister, ich weise darauf hin, dass das
nicht die Position der SPD ist.
({5})
- Das hat er gesagt. Das steht so im Protokoll. Aber wir
sollten uns an dieser Stelle nicht zur Freude der Grünen
streiten.
({6})
Unterhalten Sie sich mit Ihrem Minister. Er wird Ihnen
sagen, was er mit seiner Äußerung zum Ausdruck bringen wollte.
({7})
Nun komme ich auf einen Punkt zu sprechen, über
den hoffentlich Einigkeit besteht: das Zielsystem. Wir
brauchen eine Energieversorgung, in deren Rahmen Klimaverträglichkeit, Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit sinnvoll miteinander kombiniert werden.
Die Position der Union in dieser Frage ist sehr plausibel.
Wir sagen: Wir brauchen einen breiten Energiemix ohne
ideologische Verengung.
({8})
Wir müssen den Anteil der fossilen Energien reduzieren,
die erneuerbaren Energien aufbauen und die Effizienz
steigern. Aber ich meine, dass wir die Kernkraftwerke
weiterlaufen lassen müssen, bis wir sie wirtschaftlich
sinnvoll ersetzen können.
Dass das nicht so einfach ist, wie der eine oder andere
suggeriert, möchte ich mit Zahlen belegen: Wir decken
28 Prozent unseres Strombedarfs mit Kernenergie ab;
das ist ein Fakt. Die Kernenergie liefert 48 Prozent der
Grundlast. Daran werden wir auch durch die verstärkte
Nutzung von Wind und Sonne - Wind ist der eigentliche
Wachstumsmotor der erneuerbaren Energien - nicht viel
ändern können.
Im Hinblick auf die nachwachsenden Rohstoffe müssen wir uns um das Thema Mobilität und Wärme kümmern. Aber ich denke, dass wir das Thema erneuerbare
Energien nicht zu sehr strapazieren sollten. Wir sollten
dafür sorgen, dass sie sich weiterhin so gut wie in der
Vergangenheit entwickeln. Dann werden wir alle Freude
an diesem Thema haben.
Wenn wir über Effizienzsteigerungen diskutieren,
müssen vor allem die klimaschädlichen Folgen der Nutzung von Kohle und Gas im Mittelpunkt stehen.
Abschließend noch einen Satz zur Kernenergie. Auf
der Welt gibt es insgesamt 444 Kernkraftwerke, 78 davon in unseren Nachbarstaaten. Daran wird der Ausstieg
Deutschlands aus der Kernenergie nichts ändern, mithin
auch nichts an den damit verbundenen Risiken, sehr
wohl aber an den zusätzlichen Abhängigkeiten, in die
wir uns dadurch begeben. Darüber sollten wir nachdenken. Nachdenken schadet nicht.
({9})
Miteinander reden schadet auch nicht. Wenn wir so vorgehen, werden wir sehen, dass die Große Koalition auch
an dieser Stelle vorankommt.
Vielen herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Bärbel Höhn vom
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Reden
der Großen Koalition haben deutlich gemacht, wie wichtig diese Aktuelle Stunde ist.
({0})
Denn ein solches Hin und Her und ein solches Verniedlichen, Herr Nüßlein, habe ich selten gehört. Sie können ja
uneinig sein in unwichtigen Fragen. Allerdings hat Herr
Müller - wie viele andere auch - deutlich gemacht, dass
die Energiepolitik eine der wichtigsten Fragen ist. Die
Kanzlerin selbst hat gesagt, die Energiepolitik wird eine
der zentralen Fragen unserer EU-Ratspräsidentschaft.
Doch wie wollen Sie im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft etwas umsetzen, wenn in einer zentralen Frage der
eine Hüh und der andere Hott sagt, wenn Sie selber noch
nicht wissen, wohin Sie wollen? Das geht nicht.
({1})
Das schadet letzten Endes Europa. Denn dieses Hüh und
Hott bedeutet, dass Sie die erneuerbaren Energien am
Ende nicht ausreichend nach vorne bringen, dass Sie
Energieeffizienz und Energiesparen nicht ausreichend
nach vorne bringen. Deshalb: Das, was Sie hier reden
und was Sie anderswo tun, sind zwei verschiedene Sachen. Wir werden das weiter deutlich machen.
({2})
Das Jahr ist noch keine drei Wochen alt, da haben Sie in
der Energiepolitik schon drei Konflikte: Der erste ist der
Atomausstieg. Der zweite ist das Wärmegesetz. Warum
sagt Frau Reiche, dass sie das Wärmegesetz nicht will?
({3}) [CDU/CSU] - Dr. Georg Nüßlein
[CDU/CSU]: Sie hat das Gegenteil gesagt! Sie
müssen schon zuhören! - Peter Rauen [CDU/
CSU]: Die Ohren aufmachen und zuhören!)
Gleichzeitig sagen Sie, dass Sie die erneuerbaren Energien nach vorne bringen können. Wie passt das zusammen? Das werden wir weiter thematisieren. Der dritte ist
der Wettbewerb auf dem Energiemarkt, den Sie nicht
herstellen wollen.
Der Ausgangspunkt für den Konflikt war, dass Russland seine Öllieferungen an Weißrussland eingestellt hat.
Wer solche Lieferengpässe beim Öl heranzieht, um die
Kernenergie zu propagieren, der hat nicht verstanden,
dass Öl und Atom nichts miteinander zu tun haben, der
argumentiert vollkommen ideologisch. Ich muss wie
Herr Kelber sagen: Wer so argumentiert, der ist nicht in
der Lage, das Thema Energieversorgung intellektuell zu
erfassen.
({4})
Recht hat der Mann, damit hat die CDU/CSU ein Problem. So sagte Volker Kauder - er ist nicht irgendwer in
der CDU/CSU, sondern ihr Fraktionsvorsitzender - gestern: Wer verhindern wolle, dass sich eines Tages nur
noch Reiche warme Wohnungen leisten können, müsse
den Atomausstieg rückgängig machen. Diese Aussage
ist so falsch wie schamlos. Herr Kauder sollte sich schämen, hier die Ängste der Leute zu schüren. Das geht
nicht.
({5})
Ihre Forderung, die Atomkraftwerke länger laufen zu
lassen, bedeutet nichts anderes, als das Oligopol, das wir
auf dem Energiemarkt haben und das den Energiekonzernen ihre unverschämte und unsoziale Preispolitik ermöglicht, weiter zu fördern. Wer keinen Wettbewerb auf
dem Energiemarkt schafft, wer nicht die Oligopole
bricht, der ist schuld, wenn die Menschen Wärme eines
Tages nicht mehr bezahlen können. Deshalb brauchen
wir mehr Wettbewerb auf dem Energiemarkt; nur so
können wir das Thema endlich in den Griff bekommen.
({6})
Wer behauptet, dass wir die Atomkraftwerke länger
laufen lassen müssten, um von Energieimporten aus
Russland unabhängiger zu werden - wie Sie das behauptet haben, Frau Kopp -, der weiß nicht, was er redet. Wo
kommt das Uran denn her? Im Jahre 2004 haben wir
25 Prozent des Urans aus Russland bezogen, liebe Frau
Kopp. Wissen Sie, welches die anderen Länder sind, aus
denen wir Uran bezogen haben? Das waren so vertrauenswürdige Länder wie Niger, Usbekistan und Kasachstan!
({7})
Da kann ich nur sagen: Herzlichen Glückwunsch, in
welche Unabhängigkeit Sie uns da bringen wollen!
Es gibt nur einen Weg, auf dem wir vorankommen
können: indem wir auf die erneuerbaren Energien setzen,
Energie einsparen und die Energieeffizienz steigern. Das
ist auch die einzige Möglichkeit, mit der wir die Konflikte um knapper werdende Ressourcen lösen können.
Die erneuerbaren Energien sind der Weg für den Frieden
auf dieser Erde. Deshalb müssen wir die erneuerbaren
Energien nach vorne bringen, müssen wir sie stärken.
({8})
Was Sie mit Ihrer Politik, den großen Energiekonzernen eine Verlängerung der Laufzeit ihrer Atomkraftwerke in Aussicht zu stellen, erreichen, können wir
heute in der „Financial Times Deutschland“ lesen: Wenn
Sie den Energiekonzernen den kleinen Finger reichen,
nehmen die gleich die ganze Hand. So verkünden diese
heute, sie wollen nicht bis 2020 so weit sein, den CO2Ausstoß zu reduzieren, sondern erst 2040 damit anfangen. Deshalb passen Sie auf, was sie tun!
Wir müssen auch deshalb den Wettbewerb stärken
und auf erneuerbare Energien setzen, weil es nur durch
eine dezentrale Energieerzeugung endlich zu mehr Wettbewerb auf dem Energiemarkt kommen wird, sodass es
faire Preise auf dem Energiemarkt geben wird und wir
am Ende nicht durch überhöhte Preise in eine soziale
Schieflage geraten. Momentan müssen die Verbraucher
und die Wirtschaft die erhöhten Preise der Energiekonzerne bezahlen, weil sie ein Kartell haben und ihre
Preise absprechen. Das ist unsozial. Deshalb müssen wir
auf erneuerbare Energien, Effizienz und Energieeinsparmaßnahmen setzen.
Lieber Herr Müller, ganz zum Schluss - es wäre nett,
wenn Sie zuhören würden -: Sie sprechen hier von
Mehrheiten im Bundestag. Ich sage: Schauen Sie doch
einmal, dass Sie die Mehrheiten in der Bundesregierung
erreichen. Dann wären wir schon weiter.
({9})
Das Wort hat jetzt der Kollege Frank Schwabe von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Damen und Herren! Herr Dr. Nüßlein hat gerade von 444 Atomkraftwerken geredet. Es gibt noch
eine ganze Menge mehr, die zum Glück aber stillgelegt
in der Gegend herumstehen oder gar nicht erst ans Netz
gegangen sind.
Nach meinen Zahlen waren Ende des letzten Jahres
442 Atomkraftwerke am Netz. Mittlerweile sind wir bei
437. Warum eigentlich? - Dies sind wir deshalb, weil
pünktlich zum Jahreswechsel - das ist wunderbar - fünf
Atomkraftwerke vom Netz gegangen sind. So ist nämlich die Realität. Es ist auch gut so, dass das so geschehen ist. In den nächsten Jahren werden weitere 200 vom
Netz gehen. Selbst dann, wenn heute alle auf der Welt
anfangen würden, neue Atomkraftwerke zu planen,
würde die Stromversorgung durch die Atomenergie bis
zum Jahre 2020 weiter zurückgehen. So ist die aktuelle
Situation.
17 von 27 Ländern der Europäischen Union nutzen
keine Atomenergie oder haben gesagt, dass sie aussteigen wollen. Insofern kann ich gar nicht nachvollziehen,
wieso in einigen Medien und insbesondere auch in Anzeigenkampagnen gelegentlich der Eindruck erweckt
wird, es gebe eine Renaissance der Atomenergie. Durch
die Zahlen wird deutlich, dass es diese Renaissance nicht
gibt.
({0})
Das wird auch nicht dadurch besser, dass gelegentlich
überlegt wird - auch von der Union -, wann die SPD so
weit ist, den Ausstiegsbeschluss infrage zu stellen. Das
wird auch nicht dadurch besser, dass man bestimmte Äußerungen im Umweltausschuss missinterpretiert. Ich
habe das an der entsprechenden Stelle klargestellt, weil
Sie den Minister missinterpretiert haben. Ich denke, es
war notwendig, dazu ein paar Sätze zu sagen. Die SPD
steht ohne Frage zu diesem Ausstiegsbeschluss. Das
konnte man in den letzten Tagen - ich weiß gar nicht,
wie häufig - bei den Äußerungen von Herrn Gabriel in
den Zeitungen auch nachlesen.
Man muss sicherlich zur Kenntnis nehmen, - ich weiß
nicht, ob man sie loben muss -, dass die Energieversorgungsunternehmen in der letzten Zeit zumindest eine
gute Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit gemacht haben.
Warum entdecken gerade die Stromversorger, die EVUs,
die den Klimawandel in den letzten Jahren lange in Abrede gestellt oder zumindest unterschätzt haben, dieses
Thema jetzt für sich? Das muss man die Öffentlichkeit
wirklich einmal fragen. Wer glaubt denn eigentlich, dass
börsennotierte Großkonzerne jetzt aus tiefster Überzeugung mit der Atomenergie Klimaschutz betreiben wollen? Das erzählen mir genau dieselben, die zum Thema
Emissionshandel permanent in meinem Büro auf dem
Stuhl sitzen und erzählen, dass jede Minderungsverpflichtung, die wir eingehen, eigentlich zu anspruchsvoll
ist.
({1})
Deshalb habe ich den Eindruck - ich glaube, diesen
kann man ganz gut untermauern -, dass es überhaupt
nicht um Klimaschutz geht. Ansonsten würden die
Selbstverpflichtungen, die die Stromversorger eingegangen sind, eingehalten. Ich denke, mittlerweile glaubt
man auch in der Politik nicht mehr, dass das mit den
Selbstverpflichtungen so funktioniert. Warum werden
sie eigentlich nicht eingehalten? Wenn sie hinsichtlich
der CO2-Minderung und des Klimaschutzes eingehalten
würden, dann müssten wir uns mit der Europäischen
Kommission nicht mehr über den Nationalen Allokationsplan streiten. Warum werden sie nicht eingehalten?
({2})
Es geht also um die Gewinnmaximierung einiger.
Durch jeden weiteren Tag, den ein alter Atomreaktor am
Netz ist, erhält man eine Menge Geld. Das ist eine Maschine zum Gelddrucken. Es geht um Gewinnmaximierung. Das ist ja erst einmal nichts Schlechtes und ein
Ziel in der Wirtschaft, das man durchaus vertreten kann.
Das ist keine Schande.Aber man muss es auch so benennen. Man darf den Menschen keinen Sand in die Augen
streuen. Es muss klar sein, wer welche Aufgabe hat und
dass Politik - also wir - die Aufgabe hat, Klimaschutz
zu betreiben und für die Sicherheit der Menschen zu sorgen und eben nicht die Gewinnmaximierungsinteressen
der großen Unternehmen zu vertreten.
International betrachtet ist das Argument der vermeintlichen Rettung des Klimas über Atomenergie geradezu lachhaft, wenn klar wird, dass selbst größte Anstrengungen - das könnte man jetzt lange ausreizen nicht dazu führen werden, dass man beim Primärenergieverbrauch jemals auch nur über 10 Prozent kommen
wird.
({3})
Auch national ist die Debatte - das muss man wirklich mit allem Bedacht sagen - verlogen. Das, was in der
Klimadebatte und in der Frage der Versorgungssicherheit jetzt notwendig ist, ist nichts anderes als das, was
der Herr Staatssekretär gesagt hat, nämlich eine energiepolitische Revolution. Es sind Quantensprünge im Bereich von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien
notwendig. Eine Verlängerung der Nutzung der nicht zukunftsfähigen Atomenergie führt nicht zum Umstieg auf
eine andere Energieversorgung, die den Klimaschutz in
den Mittelpunkt rückt.
({4})
Notwendig ist jetzt zweierlei: erstens die Erkenntnis
- es ist gut, dass auch viele junge Menschen hier anwesend sind -, dass wir an dem Thema Klimaschutz nicht
vorbeikommen werden. Das wird die Energieversorgung
in der Welt dramatisch verändern. Diejenigen, die sich
als Erste darauf einstellen, werden entsprechend gut dastehen. Ich hoffe, dass die Bundesrepublik Deutschland
das tut. Zweitens ist es notwendig, jetzt den Mut aufzubringen, den Umstieg zu organisieren. Das ist die Verantwortung, die wir gemeinsam haben, ob beim Emissionshandel, beim Wärmegesetz oder bei anderen
Dingen.
Es gibt gute, wie ich finde: überragende, Gründe, die
gegen die Nutzung der Atomenergie sprechen. Es mag
ganz spezielle Gründe - wenn auch keine guten - dafür
geben, die Atomenergie weiter zu nutzen. Der Klimaschutz, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist allerdings
garantiert keiner dieser Gründe.
({5})
Das Wort hat der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Künast,
wenn jemand heute den Intellekt anderer beleidigt, dann
sind Sie es, weil Sie sich nach wie vor beharrlich weigern, Zahlen und Fakten zur Kenntnis zu nehmen, und
weil Sie auch heute wieder Antworten schuldig geblieben sind.
Die Wahrheit ist nämlich immer konkret. Ich will
gerne die Themen, die bereits von verschiedener Seite
angesprochen worden sind, noch einmal aufgreifen.
In der Tat ist es richtig, dass das Einsparen von Energie und die Verbesserung der Energieeffizienz das wirksamste, schnellste und kostengünstigste Mittel ist, den
Energieverbrauch zu reduzieren und damit einen wertvollen Beitrag zur Verringerung der Treibhausgasemissionen zu leisten. Da sind wir uns in der Regierung und,
wie ich glaube, im ganzen Haus weitestgehend einig.
Unsere Bundesregierung hat da bereits sehr viel unternommen und auch Positives erreicht. Ich nenne nur einmal das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, das einen
Renner darstellt, jetzt ergänzt um eine Zuschussvariante
für Eigenheimbesitzer. Durch dieses Programm wird
nachhaltig CO2 eingespart, und zwar nicht irgendwann
in der Zukunft, sondern heute, mit einem Volumen von
fast 2 Milliarden Euro pro Jahr. Außerdem ist es ein Mittelstandsbeschäftigungsprogramm und hat weitere positive Auswirkungen.
Aber mit all den Bemühungen schaffen wir es gerade
einmal, 20 Prozent bis 2020 einzusparen. Auf das
Jahr 2020 komme ich noch zu sprechen; das ist nämlich
unser momentaner Zielhorizont, was den Klimaschutz
und den Kernenergieausstieg, wie er jetzt im Gesetzblatt
steht, anbelangt. In dem EU-Grünbuch wird nachgewiesen, dass wir, Herr Staatssekretär Müller, 20 Prozent des
Energieverbrauchs bis 2020 einsparen können; so weit,
so gut.
({0})
- Mit heutiger und auch mit weiterer Technologie. Lassen Sie es 30 Prozent sein. Aber wir sind uns auch einig, dass wir in Zukunft auf jeden Fall nicht null Energieverbrauch haben werden, sondern 70 oder 80 Prozent
des heutigen Energieverbrauchs. Die Frage ist: Wie erzeugen wir diese 70 oder 80 Prozent der Energie?
Dabei werden unzweifelhaft die erneuerbaren Energien eine wichtige, herausragende Rolle spielen. Aber
auch heute habe ich niemanden getroffen, dessen Annahme optimistischer war, als dass wir bis zum
Jahr 2020 maximal 30 Prozent des Stromverbrauchs in
Deutschland aus erneuerbaren Energien produzieren. Ich
glaube, es gibt niemanden, auch nicht hier im Saal, der
sagt, dass mehr realistisch wäre, von wirtschaftlichen
Gesichtspunkten einmal ganz zu schweigen. Im
Jahr 2006 waren es knapp 12 Prozent; die Zahlen sind
gerade erst letzte Woche veröffentlicht worden. Das
heißt, wir schaffen es genau bis 2020 - der Kollege
Nüßlein hat es angesprochen -, die Kernenergie durch
erneuerbare Energien zu ersetzen. Knapp 30 Prozent der
Stromproduktion kommen heute aus Kernkraft, und wir
schaffen es, diese 30 Prozent bis zum Jahr 2020 zu ersetzen. Aber was passiert mit den übrigen 70 Prozent?
({1})
Die fliegen nicht wie das Manna vom Himmel, sondern
die müssen aus fossilen Energien erzeugt werden, was in
Bezug auf den Klimaschutz mit Sicherheit nicht hilfreich
ist.
Wir haben eine Chance. Deshalb sollten wir jetzt
nicht darüber schwadronieren, was man in Niger oder in
China oder sonst wo erreichen kann, sondern die Frage
ist: Was können wir konkret hier in Deutschland tun?
Wir können durch eine Verlängerung der Laufzeit der
Kernkraftwerke erreichen, im Jahr 2020 60 Prozent des
Stroms immissionsfrei zu erzeugen, nämlich 30 Prozent
aus Kernenergie und 30 Prozent aus erneuerbaren Energien.
({2})
Das heißt, dann müssten nur noch 40 Prozent aus fossilen Brennstoffen erzeugt werden.
({3})
Mit dem jetzt eingeschlagenen Weg erreichen wir das
Gegenteil. Genau aus diesem Grund sind wir der Meinung, dass wir die Kernenergie brauchen, und zwar nicht
nur aus wirtschaftlichen Gründen, nicht nur aus Diversifizierungsgründen, sondern gerade wegen des Klimaschutzes.
Jetzt reden wir - ({4})
- Wir als Union, Sie vielleicht auch noch einmal; denn
irgendwann werden Sie ja auch noch gescheiter - wenn
nicht in diesem Leben, dann aber vielleicht im nächsten.
({5})
Unser jetziges Klimaschutzziel ist eine Reduzierung
des Ausstoßes klimaschädlicher Gase um 21 Prozent in
Deutschland bis zum Jahr 2012. Das haben wir verabredet. Bis 2020 wollen wir sogar eine Reduktion um
40 Prozent. Das können wir machen, aber heute Morgen
hat noch niemand dargelegt, wie er dieses Ziel ohne den
Beitrag der Kernkraft erreichen will.
({6})
- Herr Kelber, Sie haben die Chance, das nachher noch
darzulegen. Ich bin gespannt darauf. Bisher habe ich es
noch von niemandem gehört.
Vielen Dank.
({7})
Der Kollege Axel Berg bekommt das Wort für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dass die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen eine
Aktuelle Stunde zum Thema klimaverträgliche Energieversorgung einberufen hat, ist lustig. Sie fragt nicht die
Bundesregierung nach ihrer Auffassung, sondern will,
dass das Parlament für die Regierung antwortet. Auch
gut, das machen wir natürlich mit Vergnügen.
Zunächst darf ich feststellen, dass die Kanzlerin eindeutig zum Koalitionsvertrag und damit zum Atomausstieg steht. Wie Sie wissen, bestimmt die Bundeskanzlerin die Richtlinien der Politik. Das als Einstieg und erste
Antwort, auch für die Kollegen Nüßlein und Pfeiffer.
({0})
Natürlich gibt es parteipolitische Differenzen - Herr
Nüßlein, Sie haben es angesprochen - zwischen der SPD
und der Union. Aber das ist Parteipolitik und eben nicht
Regierungshandeln und schon gar nicht gesetzgeberische Tätigkeit.
Die Diskussion um die Kernkraft und deren vorgebliche positive klimapolitische Bilanz gleicht dem Austreiben des Teufels mit dem Beelzebub. Atomkraft ist mitnichten klimafreundlich. Denken Sie doch nur an den
CO2-Ausstoß beim Uranabbau, beim Transport, beim
Kraftwerksbau - das sind Kolosse aus Beton und Stahl -,
beim Bau und beim Bewachen eines Endlagers für Tausende von Jahren.
({1})
Doch selbst, wenn es anders wäre, liebe Meckerer unter
Ihnen, wäre es unverantwortlich, unserer Nachwelt, den
Generationen der nächsten tausend Jahre, strahlenden
Müll zu hinterlassen, um den diese sich dann kümmern
müssen, obwohl diese Generationen nur noch aus den
Geschichtsbüchern wissen werden, dass es in der Geschichte der Menschheit einmal eine kurze Phase gab, in
der Atomkraft genutzt wurde.
({2})
Die Gefahr eines Unfalls oder eines Anschlags stelle ich
dabei gar nicht in Rechnung. Das alles ist doch weder
verantwortungsvoll noch irgendwie nachhaltig.
Mir scheint, bei der Debatte hat sich die Atomindustrie in ihrer eigenen Desinformationskampagne ein bisschen verheddert. Sie selbst will bis 2020, also noch bevor wir in Deutschland endgültig ausgestiegen sind, rund
160 Terawattstunden atomar erzeugen. Die Branche der
erneuerbaren Energien verspricht wiederum, bis dahin
240 Terawattstunden zu erzeugen, also ein Drittel mehr.
Diese Branche hat sich in den letzten Jahren als wesentlich glaubwürdiger dargestellt.
({3})
Darüber hinaus sind wir an qualitativem und nicht nur an
rein quantitativem Wachstum mit einem höheren Energieverbrauch interessiert.
Frau Merkel hat am Wochenende die Anhänger des
Atomausstiegs aufgefordert, Alternativen für Strom aus
Uran zu nennen. Dieser Aufforderung möchte ich natürlich gerne nachkommen:
Erstens. Wir dürfen diese Diskussion nicht auf den
Strom verengen, wie es auch in dieser Debatte wieder
der Fall war. Wir müssen immer die gesamte Energie sehen, also auch die Wärme und den Verkehr. Bei der
Wärme hilft uns beispielsweise ein massiver Ausbau der
KWK, der Kraft-Wärme-Kopplung. Hier können wir
schon jetzt Wirkungsgrade von bis zu 90 Prozent erreichen. Das ist eine Technologie für die mittelfristige
Energieversorgung im Strom- und Wärmebereich. Statten wir unsere Kraftwerke damit weiter massiv aus, können wir Anlagen zur einfachen Wärmeproduktion abschalten. Außerdem soll ein Erneuerbare-EnergienWärmegesetz beschlossen werden.
Beim Verkehr geht es darum, Sprit aus fossilen
Brennstoffen durch Biosprit zu ersetzen. Mit Atomreaktoren ist außer U-Booten bisher noch nie etwas gefahren.
({4})
Zweitens. Mit der Erfindung der Dampfmaschine
kam vor 200 Jahren die Industrialisierung mit Massenproduktionen in Gang. Mithilfe einer Maschine konnte
ein Mann die Arbeit erledigen, für die man vorher
100 Männer brauchte. Seitdem wurde der Faktor Arbeit
extrem rationalisiert; das ist einer der Gründe für die Arbeitslosigkeit, die wir heute haben. Ich bin davon überzeugt, dass wir in wenigen Jahrzehnten ebenso 100-mal
mehr Licht aus einer Kilowattstunde Strom erzeugen
können und 100-mal so viel Arbeit aus einem Kubikmeter Holz herausholen können.
Drittens. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind rund
90 Prozent der Energieforschungsmittel der OECD-Länder, also der reichen Industrieländer, in die Kernenergieforschung geflossen. Insofern ist es überhaupt kein
Wunder, dass wir in der Entwicklung der Effizienztechnologien und der Technologien der erneuerbaren Energien noch nicht weiter sind.
2004 wurden gerade einmal 2,5 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs - diese Zahl ist bekannt; sie
wurde vorhin erwähnt - durch Atomstrom gedeckt. Für
60 Jahre Forschung ist das eine historisch einmalige
Fehlallokation von Forschungsmitteln, gepaart mit
extremem Marktversagen.
({5})
In dieser Situation befinden wir uns jetzt.
Bereits mehrere Enquete-Kommissionen zu Energiefragen haben sich des Themas der Kernenergienutzung
angenommen. Also sollten wir uns jetzt nicht allzu lange
mit diesen ollen Kamellen, mit dieser veralteten Technologie, aufhalten.
({6})
Lasst uns doch lieber gemeinsam darüber diskutieren,
wie wir eine innovative, fortschrittliche und nachhaltige
Energiestrategie organisieren! Letztlich wollen wir dies
doch alle, wie aus den grundsätzlichen Beteuerungen der
Kollegen hervorgeht. Noch haben wir den First-MoverVorteil, der uns beispielsweise zum „Windweltmeister“
machte und der deutschen Windindustrie 2005 eine
Exportquote von mehr als 70 Prozent bescherte. Das ist
der First-Mover-Vorteil.
Sofern uns der Klimawandel nicht schon vorher vom
Planeten vertreiben sollte, werden sich die erneuerbaren
Energien doch sowieso durchsetzen, schon deshalb, weil
Öl und Gas genauso wie Kohle und Uran irgendwann
einmal erschöpft sein werden. Also lasst uns bei den anderen Technologien der erneuerbaren Energien Weltmeister werden und nicht an der Atomkrafttechnologie
festhalten, die weltweit ein Auslaufmodell ist!
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Wir müssen jetzt das langfristige Ziel ins Auge fassen
und es konsequent verfolgen. Dies ist eine umfassende
regenerative Energieversorgung.
Ich danke Ihnen.
({0})
Für die CDU/CSU-Fraktion hören wir jetzt den Kollegen Franz Obermeier.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Lassen
Sie mich ein paar Gedanken zu dieser Aktuellen Stunde
vortragen. Zunächst einmal möchte auch ich mich darum
bemühen, die Fragestellung der Grünen zu beantworten.
Ja, wir haben eine Große Koalition. Diese Große Koalition hat eine große Menge an Gemeinsamkeiten und in
einer Frage, in der Energiepolitik,
({0})
in der Kernenergiefrage,
({1})
sind wir unterschiedlicher Auffassung. Das ist nichts Besonderes. In einer guten Demokratie muss es so sein,
dass zwei große Volksparteien miteinander koalieren
können. Denn wir sind keine Einheitspartei, Herr Hill;
({2})
wir sind demokratische Parteien, die ihre eigenen Ansichten zu dem Thema haben.
({3})
Die Gemeinsamkeiten sind sehr breit angelegt. Es ist
schon eine ganze Reihe davon genannt worden. Was die
Förderung der erneuerbaren Energien angeht, besteht
eine Gemeinsamkeit darin, dass wir alle Möglichkeiten
ausschöpfen wollen, die erneuerbaren Energien und die
Nutzung der nachwachsenden Rohstoffe so schnell wie
möglich in die Energiemärkte in der Bundesrepublik
Deutschland und in Europa einzuführen, auch wenn sich
die jeweiligen Vorstellungen in geringen Nuancen unterscheiden.
In der heutigen Debatte ist zum Beispiel die Frage der
Ökonomie ziemlich vernachlässigt worden. Ich möchte
näher darauf eingehen, weil wir in den sieben Jahren der
rot-grünen Regierung feststellen mussten, dass die ökonomische Betrachtung der Energiepreise relativ wenig
Berücksichtigung fand. Die Grünen haben - das haben
wir in der Energie-Enquete hinlänglich verfolgen müssen - den Aspekt der volkswirtschaftlichen Auswirkungen hinsichtlich der dirigistischen Eingriffe durch eine
Regierung nicht berücksichtigen wollen.
Wenn es jetzt um die Frage der technischen Möglichkeiten zur Nutzung der nachwachsenden Rohstoffe geht,
dann müssen wir auch den ökonomischen Aspekt in den
Vordergrund rücken.
({4})
Es geht um die offenen Fragen hinsichtlich der modernen Energiepolitik. Die Frage, wie die Versorgungssicherheit in Europa und in der Welt ohne Kernkraft gewährleistet werden kann, ist sehr wohl relevant, auch
wenn - wie von den Rednern der SPD ausgeführt wurde der Anteil anderer Energiequellen relativ gering ist. In
der Bundesrepublik Deutschland wird der Grundlastbedarf fast zur Hälfte aus Strom aus der Kernenergie gedeckt. Das ist deswegen ein Problem, weil beispielsweise bei der Windkraftleistung die zehnfache Menge
notwendig wäre, um Grundlaststrom zu ersetzen.
({5})
-Sie sollten die dena-Studie lesen, die schließlich einigermaßen objektiv ist. Der könnten Sie schon glauben.
({6})
Das bedeutet, dass wir sehr wohl die Frage berücksichtigen müssen, wie wir den Umstieg von den herkömmlichen Wandlungstechniken hin zu den moderneren nachwachsenden Rohstoffen gestalten. In der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion vertreten wir dabei die Auffassung, dass wir auch aus ökonomischen Gründen die
Kernkraft zumindest als Brücke in das neue Zeitalter
dringend brauchen. Das bitte ich, immer wieder zu berücksichtigen.
({7})
Im Übrigen stand die Lautstärke, mit der Sie die
Frage nach den Treibhausgasemissionen beantwortet haben, Frau Künast, im umgekehrten Verhältnis zur Logik
des Inhalts.
({8})
Es ist unbestreitbar ein Problem, wenn wir in kurzer Zeit
30 Prozent der Stromerzeugung CO2-frei substituieren
müssen. Das wird nur mit fossiler Energie möglich sein.
Dagegen wehren wir uns. Wir vertreten den Standpunkt,
dass mittel- und langfristige Strategien notwendig sind,
bei denen sowohl die ökonomischen als auch die ökologischen Aspekte - sprich: die CO2-Implikationen - berücksichtigt werden, um dem Riesenproblem der sozialen
Frage in der Bundesrepublik Deutschland einigermaßen
gerecht zu werden. Denn unser größtes Problem ist nach
wie vor die Massenarbeitslosigkeit, die wir nur durch
eine Stärkung im internationalen Wettbewerb bewältigen
können.
Herzlichen Dank.
({9})
Für die SPD spricht jetzt der Kollege Christoph Pries.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als ich am 8. Januar vom Stopp der russischen Erdöllieferungen erfuhr, schossen mir sofort zwei Gedanken
durch den Kopf: Erstens. Das ist eine Situation, die
zeigt, wie abhängig wir von einer sicheren Energieversorgung sind. Das ist eine Situation, die zeigt, dass es
uns gelingen muss, wirtschaftliches Wachstum und
Energieverbrauch zu entkoppeln. Das ist eine Situation,
die zeigt, wie wichtig unsere Anstrengungen im Hinblick auf mehr Energieeffizienz und mehr Energieeinsparung sowie den Ausbau der erneuerbaren Energien
sind.
Mein zweiter Gedanke war etwas profaner. Mir war
unmittelbar klar, dass ich einmal mehr an dieser Stelle
zum Thema Atomenergie reden würde. Manche Zuhörer
werden sich vielleicht fragen, warum das. Sachlich besteht natürlich zwischen Erdölimporten und Atomstrom
kein Zusammenhang.
({0})
Das Beispiel vom Auto, das mit Benzin und Diesel fährt,
und von Atomkraftwerken, die lediglich Strom erzeugen, muss ich hier nicht wiederholen. Es wurde schon so
oft gesagt. Nichtsdestotrotz ist es die Wahrheit.
Erdöl wird in Deutschland lediglich zu 1,6 Prozent in
der Stromerzeugung eingesetzt. Man sollte also annehmen, dass wir nicht über mehr Atomstrom, sondern über
einen geringeren Spritverbrauch diskutierten, wie es
Umweltminister Gabriel gefordert hat. Wer aber die Diskussionen in den letzten Monaten verfolgt hat, dem
musste klar sein: Der Stopp der Öllieferungen aus Russland würde den interessierten Kreisen als willkommener
Auftakt für die diesjährige Atomdebatte dienen. Neue
Sachargumente haben die zahlreichen Wortmeldungen in
den letzten Tagen nicht hervorgebracht. Aber darum geht
es auch gar nicht. Vielmehr geht es darum, das Thema
Atomenergie um jeden Preis auf der Tagesordnung zu
halten. Das Ergebnis der aktuellen Diskussion lässt sich
daher in drei Sätzen kurz und knapp zusammenfassen:
Erstens. Zwischen Union und SPD bestehen weiterhin
unterschiedliche Auffassungen über die Nutzung der
Atomenergie.
Zweitens. Für eine Änderung des Atomgesetzes gibt
es keine parlamentarische Mehrheit.
Drittens. Der Atomausstieg steht daher nicht zur Disposition.
({1})
Ich möchte noch auf eine Meldung aus den letzten Tagen eingehen. Der Kollege Wanderwitz meldete sich in
der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ zu Wort. In
seiner Funktion als Sprecher der Jungen Gruppe in der
Unionsfraktion sprach er sich für den Neubau von Atomkraftwerken aus.
({2})
- Herr Mißfelder, ich finde das gut. Ich finde es gut, dass
diejenigen hier im Hause, die Atomkraftwerke bauen
wollen, dies endlich offen zugeben. Ich finde das gut,
weil es den Bürgerinnen und Bürgern deutlich macht,
dass viele, die von Reststrommengen oder längeren
Laufzeiten reden, eigentlich neue Atomkraftwerke meinen.
({3})
Ich finde das gut, weil man den Bürgerinnen und Bürgern dann deutlich machen kann, was sie zukünftig in
Deutschland wieder erwarten könnte.
Wenden wir uns kurz dem einzigen Neubauprojekt
der Atomindustrie in Westeuropa zu, dem europäischen
Druckwasserreaktor in Finnland. Lassen wir das erste
Jahr nach Baubeginn Revue passieren, treffen wir auf
viele alte Bekannte aus 50 Jahren Atomenergie. Da wären erstens die üblichen technischen Probleme und Baumängel sowie die daraus folgenden Bauverzögerungen.
Nur ein Jahr nach Baubeginn hat sich der Termin für die
Fertigstellung des Projektes bereits von 2009 auf 2011
verschoben. Der Grund dafür sind gravierende Mängel
in der Bauausführung: schlechte Bauplanung, mangelhafte Betonqualität und jetzt der Austausch fehlerhafter
Rohre im Reaktorkühlsystem.
({4})
Da wären zweitens die Subventionen. Auch der finnische Reaktor konnte lediglich auf der Grundlage massiver staatlicher Hilfen und Stromabnahmegarantien realisiert werden. Ohne den Griff in die Tasche des
Steuerzahlers werden neue Atomkraftwerke nirgendwo
in Westeuropa ans Netz gehen.
({5})
Da wären drittens die üblichen Kostensteigerungen.
Der Hersteller liefert den Reaktor zum Festpreis von
3 Milliarden Euro. Dieser Schnäppchenpreis wurde von
Experten von Anfang an als unrealistisch niedrig eingestuft. Hinzu werden weitere Verluste kommen. Alleine
die Konditionalstrafen und die Schadenersatzverpflichtungen durch die Bauverzögerungen werden bereits auf
rund 1 Milliarde Euro geschätzt. In Finnland treffen die
Kostensteigerungen das ausführende Unternehmen. Die
Erfahrungen in der Vergangenheit lehren aber, dass bei
zukünftigen Projekten der Steuerzahler zur Kasse gebeten wird.
Ein Beispiel aus meiner Heimat: Der Schnelle Brüter
in Kalkar am Niederrhein war einst auch ein Prestigeobjekt der Atomindustrie. Er hat zwar nie Strom erzeugt,
dafür aber knapp 3,6 Milliarden Euro verschlungen. Die
einst gepriesene Brütertechnologie war weltweit ein sicherheitstechnisches und finanzielles Fiasko. Statt erneut
viel Geld in eine Technologie von gestern zu stecken,
sollten wir lieber mutig in die Technologien und Arbeitsplätze von morgen investieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, lassen Sie uns unsere Energie auf Fortschritte in den Bereichen Energieeffizienz, Energieeinsparung und erneuerbare Energien konzentrieren, bei denen wir uns
grundsätzlich einig sind. Lassen Sie uns weniger Energie
darauf verwenden, zu betonen, wo wir bekanntermaßen
unterschiedlicher Auffassung sind. Das wäre in jeder
Hinsicht ein wichtiger Beitrag zur Energieeffizienz und
zum Klimaschutz.
({6})
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Als letzter in der Aktuellen Stunde hat der Kollege
Uli Kelber für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Es wäre in der Tat gut, wenn wir in Deutschland
endlich über die wirklich notwendigen Schritte zum Klimaschutz sprechen würden, über Energieeffizienz und
erneuerbare Energien, aber nicht über eine Dinosauriertechnologie wie die Atomkraft, die zur Nutzenergieversorgung in Deutschland - es wurden immer die Zahlen
weltweit erwähnt - gerade einmal etwas mehr als
5 Prozent beisteuert.
({0})
Schon deswegen ist sie kein wichtiger Bestandteil einer
Politik für den Klimaschutz. Die erneuerbaren Energien
tragen fast 8 Prozent zur Energieversorgung bei und ihr
Anteil steigt jedes Jahr um einen Prozentpunkt.
({1})
Machen Sie es doch einfach der SPD nach: Sprechen
Sie mit uns, mit Bundesumweltminister Sigmar Gabriel
über ökologische Industriepolitik,
({2})
über Arbeitsplätze durch Technologievorsprung, Ingenieurleistung beim Einsparen von Energiebedarf und
über erneuerbare Energien, die jedes Jahr preisgünstiger
statt teurer werden.
({3})
Wir können so Versorgungssicherheit, Preisstabilität und
Klimaschutz unter einen Hut bringen und in allen drei
Feldern erfolgreicher sein als mit der heutigen fossilen
und nuklearen Energieerzeugung. Wir müssen den
Kleinmut einstellen. Eine andere Energieversorgung ist
machbar, finanzierbar, und sie ist wirtschaftlich sinnvoll.
Aber die Debatte von heute ist nun einmal auch zum
Thema Atomenergie angesetzt worden. Wir als SPD haben in den letzten Wochen einen Fehler gemacht.
({4})
Wir haben auf die laufenden Angriffe der Atomlobby, in
welcher Ausprägung auch immer, immer nur mit dem
Hinweis reagiert, der Vertrag werde eingehalten. Das
werden wir beenden. Wir werden ab jetzt die Argumente
wieder stärker in den Vordergrund stellen, mit denen sich
die Atomlobby auseinandersetzen muss.
({5})
Es gibt keinen Grund, weder für den Klimaschutz noch
für die Versorgungssicherheit und schon gar nicht für die
Preisstabilität, auf Atomenergie zu setzen. Ich nenne Ihnen fünf Argumente:
Erstens. Keine Versorgungssicherheit durch Atomenergie. Uran, das zu 100 Prozent importiert wird, wird
jetzt schon knapp, weil keine Minen mehr exploriert
wurden und in wenigen Jahren die Lagerstätten für leicht
gewinnbares Uran erschöpft sind.
({6})
Außerdem liefert Atomstrom keinerlei Beitrag zur Versorgung im Wärmebereich und im Treibstoffbereich, die
mehr als zwei Drittel unseres Energiebedarfs ausmachen. Was sollen wir also mit der Atomkraft, wenn wir
die Versorgungssicherheit gewährleisten wollen?
Zweitens. Atomenergie bietet das Gegenteil von
Preisstabilität, und zwar aus einem einfachen Grund: Die
Atomkraftwerke sind Kraftwerke der Monopolisten.
({7})
Es sind die Monopolisten, die die hohen Preise diktieren.
Heute gab es ein neues Gutachten der Industrie, in welchem nachgewiesen wird, dass diese Monopolisten vermutlich die Strombörsen manipulieren, um Preise, die
um 30 bis 40 Prozent höher liegen, durchzusetzen. Deren Spielzeuge, die Meiler der Monopolisten, wollen Sie
noch länger am Netz lassen?
({8})
Geben Sie doch endlich den Wettbewerbern freien
Raum. Geben Sie denen die Möglichkeit, mit einzugreifen und damit die Preise zu senken. Wenn ich schon den
Satz höre: Brücke zum Solarzeitalter. - Neben der Tatsache, dass man irgendwann auch einmal über die Brücken
gehen muss, muss man feststellen, dass die Verlängerung
der Laufzeit der Kraftwerke der Monopolisten, die das
Solarzeitalter so weit wie möglich nach hinten hinausschieben wollen, nichts anderes heißt, als das Solarzeitalter nach hinten zu verschieben. Das steckt hinter dem
Gerede von der Brücke.
({9})
Drittens. Atomstrom ist nichts für den Klimaschutz.
Er ist nicht CO2-frei. Ich lasse die Argumente der aufwendigen Uranbeschaffung und des Baus weg und beschränke mich nur auf den Betrieb. Ein Atomkraftwerk
kann im Gegensatz zu modernen, dezentralen Kraftwerken nicht produktiv gleichzeitig Strom und Wärme produzieren. Zwei Drittel der produzierten Energie geht als
Wärme über die Kühltürme in die Atmosphäre oder in
die Flüsse hinein. Das heißt, zu Atomkraftwerken gehören Millionen von Einzelheizungen in Wohnungen und
Firmengebäuden, die dann laufend CO2 produzieren. Jeder, der von Energiepolitik etwas Ahnung hat, weiß deswegen, dass moderne Kraft-Wärme-Kopplungskraftwerke - sogar solche, die auf fossiler Basis betrieben
werden - eine bessere CO2-Bilanz haben als die Summe
aus Atomkraftwerken und Einzelheizungen.
({10})
Viertens, Endlagerung. Kein einziges Land auf der
Welt hat das Problem, für 250 000 Jahre tödlichen Müll
sicher zu verwahren, gelöst. Was in Deutschland passiert, das finde ich schon spannend. Herr Pfeiffer, Ihre
Landesregierung, gestellt von CDU und FDP
({11})
- Frau Kopp, dort ist Ihre Partei auch einmal an der Regierung beteiligt; Baden-Württemberg ist eines der beiden Länder -,
({12})
schreibt an den Bundesumweltminister Briefe. Sie fordert in Bezug auf das Endlager in der Schweiz, dass
nicht an einem Standort exploriert wird, sondern dass
der bestgeeignete Standort in der Schweiz gefunden
wird. Dies sei nach internationalen Kriterien das einzig
akzeptable Verfahren. Die gleiche Landesregierung verweigert den deutschen Bürgern ein solches Endlager auf
deutschem Boden.
({13})
Das ist schizophren bis zum Abwinken.
({14})
Letzter Punkt, die Unbeherrschbarkeit der Risiken am
Beispiel des Terrorismus. Ich habe 2002 das vertrauliche
Gutachten über die Sicherheit der deutschen Atomkraftwerke gegen Terrorangriffe gelesen. Es war zeitgleich in
den Zeitungen nachzulesen - so viel zur Sicherheitsphilosophie. Wir wissen, dass unsere ältesten Kraftwerke
keinerlei Schutz gegen gezielte Terrorangriffe besitzen,
dass aber der durch einen solchen Angriff ausgelöste Super-GAU für Millionen von Menschen verheerende Auswirkungen hätte und Kosten in Billionenhöhe verursachen würde. Wer auf dieser Grundlage immer noch für
Atomenergie streitet, hat entweder gute Nerven oder
kein Verantwortungsgefühl. Das ist nicht unser Weg.
Machen Sie mit auf dem Weg zu einer neuen Energieversorgung! Dann klappt es auch mit dem Klimaschutz.
Vielen Dank.
({15})
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung arbeitsrechtlicher Vorschriften
in der Wissenschaft
- Drucksache 16/3438 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
({0})
- Drucksache 16/4043 Berichterstattung:
Abgeordnete Carsten Müller ({1})
Cornelia Pieper
Volker Schneider ({2})
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({3})
zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Wissenschaftssystem zukunftsfähig gestalten - wissenschaftsadäquate Arbeitsbedingungen schaffen
- Drucksachen 16/3286, 16/4043 Berichterstattung:
Abgeordnete Carsten Müller ({4})
Cornelia Pieper
Volker Schneider ({5})
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Zwischen den Fraktionen ist verabredet, eine halbe
Stunde zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Carsten Müller von der CDU/CSU-Fraktion.
({6})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir haben uns heute Vormittag über das
7. Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union
unterhalten. Dabei geht es um den Wettbewerb um die
klügsten Köpfe in Europa und in der Welt. Wir haben gemeinsam herausgearbeitet, dass zwar erhebliche Finanzmittel bereitgestellt werden, dass Finanzen allein aber
nicht alles bestellen können. Mindestens genauso wichtig sind - das entspricht auch den Vorstellungen von
Frau Ministerin Schavan - attraktive Rahmenbedingungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in
Deutschland. Zusätzlich wollen wir insbesondere junge
Menschen für Wissenschaft und Forschung begeistern.
Zugegebenermaßen versprüht der bloße Arbeitstitel
„Entwurf eines Gesetzes zur Änderung arbeitsrechtlicher
Vorschriften in der Wissenschaft“ auf den unvoreingenommenen Zuhörer keinen besonderen Esprit. Auch der
Name des heute zu beschließenden Gesetzes - Wissenschaftszeitvertragsgesetz - ist nicht wirklich aufregend.
({0})
- Herr Kollege Tauss, das haben wir in den wenigen vergangenen Monaten schon so hervorragend gemacht, dass
ich keinen Zweifel habe, dass uns das gelingen wird.
In Wahrheit ist dieses Gesetz ein bedeutender Baustein, wenn es darum geht, sinnvolle, praktikable Rahmenbedingungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu setzen.
({1})
Wissenschaft und Forschung stehen auf der Tagesordnung der Großen Koalition ganz oben. Der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD legt fest - ich zitiere -:
Carsten Müller ({2})
Wir wollen junge Talente und Nachwuchswissenschaftler fördern und ihnen Karriereperspektiven
eröffnen. Die Besten aus aller Welt müssen in
Deutschland attraktive Studien- und Arbeitsbedingungen vorfinden.
Worum geht es bei dem hier in Rede stehenden Gesetz im Kern? Unbefristete freie Stellen in den Stellenplänen unserer Universitäten und unserer außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind tatsächlich
Mangelware. Wer sich heute hier hinstellt und einfach
nur unbefristete Stellen fordert, der redet an den Realitäten vorbei. Mit anderen Worten: Er macht nichts anderes, als eine Sonntagsrede zu halten.
Bisher gab es nur sehr restriktiv ausgeprägte Möglichkeiten zum Abschluss befristeter Beschäftigungsverhältnisse. Das führte nicht selten dazu, dass wir unsere
klügsten Köpfe auf dem Höhepunkt ihrer wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit verloren haben, und zwar zum
Teil - das ist keine schlechte Alternative - an die Industrie, zum Teil aber auch - diese Alternative ist nicht zu
begrüßen - an das Ausland.
Ein fiktiver Lebenslauf einer jungen Wissenschaftlerin mag in etwa so aussehen: Abitur im Jahr 1997, anschließend Studium des Maschinenbaus, zugleich Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft, Vordiplom im
Zeitraum 1999/2000, Diplom im Jahre 2003, danach Geburt zweier Kinder, wiederum Tätigkeit an der Uni in befristeten Arbeitsverhältnissen als wissenschaftliche
Hilfskraft. Dieser jungen Frau war es nach bisheriger
Rechtslage nicht möglich, länger als zwölf Jahre, neun
Monate und 20 Tage befristet an universitären oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen beschäftigt zu
werden. Danach musste sie, völlig unabhängig von ihrer
Qualifikation, diese Einrichtung verlassen.
({3})
Mit der heutigen Zustimmung zu diesem Gesetz ändert sich die Situation fundamental. Zum einen kann
diese junge Frau nunmehr 16 Jahre und neun Monate
lang beschäftigt werden. Das resultiert aus einer von uns
sehr begrüßten und unterstützten familienpolitischen
Komponente: Für die Erziehung und Betreuung eines
jeden Kindes unter 18 Jahren werden zwei Jahre angerechnet, in denen eine weitere befristete Beschäftigung
möglich ist.
({4})
Zudem ist nach diesen rund 17 Jahren für die junge
Wissenschaftlerin nicht zwangsläufig Schluss. Sie kann
nämlich aufgrund eines neueingeführten Drittmittelbefristungstatbestandes darüber hinaus auf befristeten Stellen, die überwiegend drittmittelfinanziert sind, weiterbeschäftigt werden. Das ist der materielle Hintergrund des
Gesetzes, über das wir uns heute unterhalten.
Das Ganze hat auch einen formellen Hintergrund: Wir
waren aufgrund der Föderalismusreform angehalten, die
bisher zum Teil im Hochschulrahmengesetz befindlichen Regelungen nunmehr in ein neues Gesetz zu überführen und die alten Regelungen so zu ersetzen.
({5})
Der Ausschuss für Bildung und Forschung hat eine
sehr umfangreiche Anhörung zum Thema durchgeführt.
Die Fachleute haben die Gesetzesinitiative der Bundesregierung praktisch einhellig unterstützt; sie halten sie
für richtig und wichtig. Weil sie richtig und wichtig ist,
zählt nun bei der Beschlussfassung darüber jeder Tag.
Jeder Tag, den dieses Gesetz früher kommt, ist ein Gewinn für den Wissenschaftsstandort Deutschland, weil
sich die von außen gesetzten Rahmenbedingungen, unter
denen Forschung und Entwicklung stattfinden, in den
vergangenen Jahren erheblich geändert haben. So sind
zum Beispiel die Drittmitteleinnahmen der Hochschulen
im Zeitraum zwischen 1995 und 2003 um rund
60 Prozent auf rund 3,4 Milliarden Euro gestiegen. Dieser Anstieg ist zu begrüßen. Wir müssen ihm Rechnung
tragen.
Wir stellen immer wieder fest, dass Wissenschaft und
Forschung heute wesentlich in Teamarbeit betrieben
werden. Dem wollen wir Rechnung tragen, indem wir
den personellen Geltungsbereich dieses neuen Gesetzes
auf das wissenschaftliche Personal und auf das nichtwissenschaftliche Personal erstrecken.
({6})
Ich habe eben von der Wichtigkeit dieser Initiative
gesprochen. Ich möchte das mit zwei Zitaten aus der Anhörung untermalen. Professor Dicke von der Hochschulrektorenkonferenz ließ sich wie folgt ein:
Die HRK begrüßt diese Regelungsvorschläge und
bittet darum, sie schnellstmöglich zu verabschieden, denn sie stellen eine realistische Perspektive
für den leistungsstarken wissenschaftlichen Nachwuchs dar.
Herr Dr. Hartmer vom Deutschen Hochschulverband
ergänzte:
Aus der Sicht der betroffenen Nachwuchswissenschaftler ist dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung uneingeschränkt und nachhaltig zu begrüßen.
Wir haben uns auch mit einem Entschließungsantrag der Linksfraktion auseinanderzusetzen. Dieser
Antrag wird den Anforderungen tatsächlich nicht gerecht. Er zementiert unzureichende, heute bereits bestehende Rahmenbedingungen und ist insofern irregeleitet.
Damit ist er in der Sachdiskussion nicht ohne Weiteres
zu gebrauchen.
Ein Aspekt erschien mir aber doch interessant, auch
wenn es nicht zum heutigen Thema passt. Ich zitiere aus
dem Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke:
Die Tarifsperre stellt einen unzumutbaren Eingriff
in die Koalitionsfreiheit und in das verfassungsrechtlich geschützte Recht der Tarifautonomie dar.
An einer anderen Stelle findet sich folgende Formulierung - ich zitiere noch einmal -:
Carsten Müller ({7})
Tarifliche Regelungen können wesentlich zielgerichteter den spezifischen Bedingungen… Rechnung tragen …
Ein hochinteressantes Zitat! Aber wie halten Sie es mit
diesen zweifelsohne richtigen Erkenntnissen beispielsweise bei der Diskussion um Mindestlöhne? Ihre Ausführungen dazu - sicherlich zu anderer Zeit - interessieren mich. Vielleicht nutzen Sie aber auch schon Ihre
Redezeit heute, um darauf einzugehen.
({8})
Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz kodifiziert in
wesentlichen Bestandteilen die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Wir finden relativ wenige Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus, glaube
ich, die Zweifel daran haben, dass das Bundesarbeitsgericht den besonderen Bedürfnissen und Anforderungen
von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in diesem
Lande Rechnung trägt.
Wir haben es in diesem Gesetz mit einer Tarifsperre
zu tun. Hierdurch werden sowohl kollektivrechtliche wie
auch einzelvertragliche Abweichungen ausgeschlossen.
Diese Tarifsperre ist vom Bundesverfassungsgericht
überprüft worden. Sie hat sich als durchaus haltbar erwiesen. Insofern haben wir diesen Gedanken fortgeführt.
Um bestehenden Bedenken zu begegnen, haben wir uns
allerdings auf Folgendes verständigt: Wir wollen recht
zeitnah eine Evaluation der Regelungen vornehmen, um
festzustellen, ob mit den Befristungsmöglichkeiten
Schindluder getrieben wird, mithin: ob sie missbraucht
werden. Das jedenfalls ist nicht Ziel dieser Initiative.
Wir sind uns auch ziemlich sicher, dass es nicht zu einem Missbrauch kommen wird; aber wir wollen diesen
Bedenken Rechnung tragen.
({9})
Trotz dieses wichtigen Bausteins ist das Fernziel für
uns, mittelfristig einen unbürokratischen und praktikablen Wissenschaftstarifvertrag zu bewirken.
({10})
Das ist ein wichtiges Anliegen.
Ich will noch folgendes Fazit ziehen: Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist ein wichtiger Baustein für
die Schaffung attraktiver Rahmenbedingungen. Das Ministerium hat einen guten Gesetzentwurf vorgelegt. Hierfür danke ich der Frau Ministerin sehr herzlich.
({11})
Dieser gute Entwurf ist durch die Änderungsanträge der
Koalition noch besser geworden. Mithin gibt es lauter
gute Gründe für eine Zustimmung. Ich bitte darum, dass
Sie diese heute geben.
Vielen Dank.
({12})
Für die FDP erteile ich das Wort Uwe Barth.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich kann fast nahtlos an das vom Kollegen Müller eben Gesagte anschließen.
({0})
Es entspricht unserem Selbstverständnis, das wir als
konstruktive Opposition haben, dass man guten Gesetzentwürfen auch zustimmt.
({1})
Es freut mich, dass wir dieses Wissenschaftszeitvertragsgesetz heute verabschieden können. Es freut mich
auch deshalb, weil es eine ganz zentrale und langjährige
Forderung der Liberalen umsetzt, nämlich die Forderung, die Befristungsregelungen für das Personal, welches sich noch in der wissenschaftlichen Ausbildung befindet, von denen für das sogenannte Drittmittelpersonal
zu trennen. Mit dieser Trennung entspricht das neue Gesetz der Lebenswirklichkeit an unseren Universitäten
wesentlich besser, als es das Hochschulrahmengesetz jemals getan hat.
({2})
Gerade bei Arbeitsverhältnissen auf Drittmittelbasis
stieß das HRG sehr schnell an seine Grenzen, weil eine
sichere Prognose über das Ende eines Arbeitsverhältnisses oftmals nicht möglich ist, genau dies aber die Forderung des Bundesarbeitsgerichts in seiner Rechtsprechung war.
Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz schafft durch
den Befristungsgrund der Drittmittelfinanzierung an dieser Stelle die dringend notwendige Rechtssicherheit. Mit
Beendigung eines befristeten Projekts endet auch das
Arbeitsverhältnis. Diese Regelung erleichtert aus unserer Sicht ganz entscheidend sowohl die Möglichkeit,
projektorientierte Teambildungen vorzunehmen, als
auch die Teilhabe an internationalen Forschungskooperationen, die in aller Regel ebenfalls zeitlich befristet
sind und eine hohe Mobilitätsbereitschaft erfordern. Wir
beschließen daher heute ein Gesetz, das den wirklichen
Verhältnissen an den Hochschulen und auch an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die an dieser
Stelle nicht unerwähnt bleiben dürfen, tatsächlich endlich gerecht wird.
Für die Wissenschaftler eröffnet sich mit der Regelung die Chance, eine Wissenschaftskarriere mit Drittmittelprojekten einzuschlagen, auf Drittmittelprojekten
aufzubauen. Das Risiko eines abrupten Abbruchs nach
der Qualifikationsphase wird durch dieses Gesetz deutlich reduziert.
({3})
- Vielen Dank, Herr Kollege Kretschmer. - Für unser
Land bedeutet dies natürlich, dass Nachwuchswissenschaftler sich ihre Karrierechancen nicht mehr zwingend
im Ausland suchen müssen, sondern auch bei uns Karrierechancen haben.
Die familienpolitische Komponente des Gesetzentwurfs möchte ich in besonderem Maße hervorheben.
({4})
- Vielen Dank, Herr Tauss, es geschieht sehr selten, dass
Sie mir applaudieren.
({5})
Mit der Anrechnung der Kindererziehungszeiten auf
die Höchstbefristungsdauer wurde ein wichtiger Schritt
in Richtung Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch
und gerade von hochgebildeten Menschen - es geht um
wissenschaftliche Karrieren - unternommen.
({6})
Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist ein guter
Schritt hin zu einem konkurrenzfähigen, aufgaben- und
leistungsbezogenen Vergütungssystem im Bereich der
Wissenschaft. Es erlaubt mehr Flexibilität und mehr Differenzierungen. Deshalb werden wir Liberale dem Gesetzentwurf zustimmen.
({7})
Ich möchte allerdings darauf hinweisen - Kollege
Müller hat das am Schluss seiner Ausführungen ebenfalls
getan -, dass ein zweiter, ganz wesentlicher Bestandteil
noch fehlt, nämlich der Wissenschaftstarifvertrag. Er
wird dringend gebraucht. Daran müssen wir - das ist der
nächste Schritt - unbedingt arbeiten.
Ich bedanke mich recht herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Jetzt spricht der Kollege Tauss für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir verabschieden heute ein Gesetz, das zwar - der Kollege Müller hat darauf hingewiesen - einen merkwürdigen, eher langweiligen Titel trägt, das aber für die deutsche Wissenschaft und Forschung, vor allem für unseren
wissenschaftlichen Nachwuchs, von erheblicher Bedeutung ist. In allen Gesprächen, die wir in der Vergangenheit mit Vertretern der Hochschuleinrichtungen und der
außeruniversitären Einrichtungen geführt haben, ist dieses Thema angesprochen worden.
Dass die Hochschulen zum Teil von zaudernden Personalabteilungen arbeitsrechtlich nicht immer richtig beraten wurden, muss man an dieser Stelle auch einmal
festhalten.
({0})
Die Verunsicherung lag eher aufseiten der Personalabteilungen als beim Gesetzgeber; nichtsdestotrotz: Es gab
eine solche Verunsicherung, und es kam vor, dass junge
Menschen sehr restriktiv - zum Teil zu einem Zeitpunkt,
zu dem es überhaupt nicht nötig gewesen wäre - aus
ihrer Stelle an der Universität verabschiedet wurden,
was natürlich zu Härtefällen führte. Das wiederum
führte unter anderem zu der Gründung der Initiative
„Lost Generation“.
Wir reagieren natürlich auch auf eine andere Entwicklung; Kollege Müller ist auch darauf bereits eingegangen. Zur Erreichung des 3-Prozent-Ziels müssen wir den
Einsatz von Drittmitteln im Bereich der Wissenschaft,
der Hochschulen, verstärken. Im Land tut sich auf diesem Gebiet viel. In der Vergangenheit konnten wir bereits steigende Drittmittelquoten an Instituten der Hochschulen und Universitäten als Erfolg feiern, und dies,
wie ich meine, zu Recht.
Nur, diese Mittel sind naturgemäß flüchtig. Keiner
kann sich darauf verlassen, dass die Drittmittel nach Abschluss eines Projektes automatisch in ein anderes Projekt fließen. Das ist klar. Umso unerfreulicher war es,
wenn jemand, der in einem Projekt beschäftigt war, das
über Drittmittel finanziert wurde und noch nicht beendet
war, aus arbeitsrechtlicher Verunsicherung heraus verabschiedet wurde. Die Universitäten haben umgekehrt damit argumentiert, dass sie auf der Grundlage dieser
flüchtigen Drittmittel nicht feste Stellen einrichten können, für die sie das Kostenrisiko allein tragen müssen.
Vor diesem Hintergrund haben wir gesagt: Wir müssen und wollen etwas ändern. Man kann lange darüber
diskutieren, ob die Diskussionen immer richtig verlaufen
sind. Karl R. Popper hat es einmal wunderbar auf den
Punkt gebracht: Eine Illusion ist als Illusion durchaus
Realität. - Mit anderen Worten: Vor einem eingebildeten
Tiger springt man genauso zur Seite wie vor einem echten. Die Universitäten und Forschungseinrichtungen
sind immer wieder beiseitegesprungen. Viele sind, Kollege Müller, der geforderten Prognose sogar ausgewichen. Wenn man eine Prognose gestellt hätte, hätte man
in vielen Fällen festgestellt, dass die Fortführung des Arbeitsverhältnisses möglich gewesen wäre. Diese Möglichkeiten wurden aber nicht genutzt. Um noch einmal
Popper zu zitieren: Eine Illusion ist als Illusion eben Realität.
Mit der Reform des Hochschulrahmengesetzes im
Jahr 2002 haben wir versucht, diese Rechtsunsicherheit
ein Stück weit zu beenden. Dies ist, wie die Praxis gezeigt hat, leider nicht gelungen. Andererseits muss man
ganz klar sagen: Auch vor der HRG-Novellierung in
2002 - man tut manchmal so, als sei die Welt in der Ver7600
gangenheit ganz traumhaft gewesen - bestanden einige
Probleme. Es gab Kettenarbeitsverträge mit vorgetäuschtem Arbeitgeberwechsel innerhalb von Instituten
und andere arbeitsrechtliche Taschenspielertricks. Wie
gesagt: Das Thema beschäftigt uns seit einiger Zeit.
Ein Problem besteht zweifellos darin - die Fraktion
Die Linke kritisiert dies -, dass wir hier einen neuen
eigenen Befristungstatbestand einführen. Dies ist tatsächlich so. Es handelt sich um einen eigenen neuen Befristungstatbestand. Es ist ein Stück weit Sonderarbeitsrecht. Dass wir Sozialdemokraten dem nicht nur mit
Begeisterung gegenüberstehen, ist klar. Ich sage Ihnen
aber: In Abwägung dessen, was für die jungen Menschen in den Hochschulen die Praxis ist, ist das für mich
ein formalrechtlich kleineres Übel - das hat auch die Anhörung ergeben -, das ich an dieser Stelle akzeptiere,
wenngleich ich es nicht völlig ignoriere.
Es gibt noch weitergehende Vorschläge: Im Bundesrat
wurde eine Regelung diskutiert - Hamburg hatte diesen
Vorschlag gemacht -, wonach allein der Umstand, dass
irgendwohin Drittmittel fließen, eine Befristung begründet. Das halte ich für inakzeptabel. Ich glaube, ihr von
der Arbeitsgruppe Recht - es sind genügend qualifizierte
Juristen, lieber Kollege Stünker, hier im Saal - hättet
dann darauf hingewiesen, dass dies europarechtlich
überhaupt nicht machbar ist. Es hätte jenseits der rechtlichen Problematik zudem zu einem Sozialdumping in
Wissenschaft und Forschung geführt. Damit wäre nicht
ein größeres Maß an Rechtssicherheit geschaffen worden, sondern sie wäre zulasten der Beschäftigten verringert worden. Aus diesem Grunde tragen wir diesen Weg
mit. Ich halte ihn für vernünftig, und wir haben das in
den Verhandlungen mit dem Hause so bestätigt.
Darüber hinaus begrüßen wir - das ist schon angesprochen worden; ich freue mich, dass die FDP dies
auch so sieht -, dass der Gesetzentwurf eine familienpolitische Komponente enthält. Die Erziehung und Betreuung eines Kindes verlängert die Möglichkeit einer
weiteren befristeten Beschäftigung um zwei Jahre. Ich
glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt, wenn wir über
wissenschaftlich tätige Mütter, zum Beispiel in der Medizin, reden. Das ist eine familienfreundliche Lösung,
die die Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Karriere
und Familie deutlich verbessert. Ich glaube, solche Signale sind an mehreren Stellen wichtig.
({1})
- Die Familienpolitikerin klatscht als Erste begeistert
Beifall.
Leider will Die Linke, liebe Frau Kollegin Hirsch,
auch von dieser Komponente nichts wissen. Das finde
ich schade. Aber darüber können wir uns noch einmal
unterhalten. Kollege Schneider, gestern Abend haben
Sie uns wieder so nette Witze erzählt. Manchmal, wenn
ich eure Anträge lese, habe ich den Eindruck, dass sie
genau in diese Richtung gehen: Lösungen wollen wir
nicht, aber gut, dass wir darüber geredet haben. - Es
reicht für die Wissenschaftler nicht, dass wir darüber reden. Wir müssen etwas tun. Das haben wir mit diesem
Gesetz gemacht.
Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, natürlich gibt
es weitere Punkte, über die wir diskutieren können. Das
Thema Wissenschaftstarifvertrag ist angesprochen
worden. Kollege Barth, ich will hier mit einem Missverständnis aufräumen: Wir machen den Wissenschaftstarifvertrag nicht.
({2})
- Wir setzen uns seit geraumer Zeit dafür ein; das ist
nicht der Punkt.
Der Punkt ist, dass es eine Tarifgemeinschaft der Länder gibt. Über Ihre Regierungsbeteiligung in BadenWürttemberg zum Beispiel haben auch Sie dort ein bisschen Verantwortung. Mit Herrn Frankenberg streite ich
seit zwei Jahren darüber. Ich habe ihm gesagt, er solle
mal in der Tarifgemeinschaft der Länder entsprechend
initiativ werden. Erst hieß es, das sei sehr schwierig, später wurde sogar etwas angekündigt, aber dann stellte sich
heraus, dass das offensichtlich nicht so ernst gemeint
war.
Ich würde mich freuen, wenn es Initiativen für einen
Wissenschaftstarifvertrag gäbe, der über das hinausgeht,
was wir hier diskutieren. Wir sind da völlig offen; allerdings werden Tarifverträge von den Tarifvertragsparteien, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, geschlossen. An
dieser Stelle sind übrigens die Gewerkschaft Verdi und
an ihrer Spitze Herr Bsirske, der oft beschimpft wird,
wesentlich flexibler als die Arbeitgeberseite im öffentlichen Bereich auf Länderebene. Mit den Gewerkschaften
hätten wir - entgegen dem, was gemeinhin unterstellt
wird - schon längst ein modernes Tarifrecht. Da es bislang nicht vereinbart werden konnte, müssen wir dafür
sorgen.
Es gibt eine weitere Befürchtung, die Kollege
Schneider sicher noch mit Vehemenz vortragen wird
- wie gesagt: man sollte nicht nur darüber reden! -: Ein
solcher Tarifvertrag könnte nach Umsetzung unseres Gesetzentwurfes nicht nur für junge Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler, sondern auch für nichtwissenschaftliches Personal einen zusätzlichen Befristungstatbestand begründen, der dann zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses führt. Ja, dies sehen wir so. Dies ist
- Frau Kollegin Hirsch, Sie haben recht - Fakt. Oft werden auch in befristeten Projekten wie Drittmittelprojekten Hilfspersonal oder ergänzendes qualifiziertes Personal wie Facharbeiter benötigt, so zum Beispiel
Glasbläser für chemische Experimente, in denen ganz
spezielles Glas gebraucht wird. Das ist alles unbestritten.
Wir können aber doch nun nicht hingehen und fordern, dass diejenigen, die in einem Drittmittelprojekt für
nichtwissenschaftsnahe Tätigkeiten bzw. Hilfstätigkeiten gebraucht werden, unbefristet eingestellt werden.
Dazu würde es nie kommen. Vielmehr entstünde die Situation, dass die Erledigung dieser Tätigkeiten, sofern in
den wissenschaftlichen Einrichtungen dafür überhaupt
noch Personal vorhanden ist, outgesourct würde, über
einen Werksvertrag oder wie auch immer erledigt würde.
Damit wäre also nichts gewonnen.
({3})
Ich sage hier an dieser Stelle allerdings mit aller Klarheit auch für die Koalition - hier sind wir uns einig -:
Wir werden sehr sorgfältig beobachten, wie Wissenschaftseinrichtungen, insbesondere die, die vom Bund
mitfinanziert werden, mit diesem Gesetz umgehen.
Missbräuche wie bei den Fraunhofer-Instituten - der Gesamtbetriebsrat hat uns ja geschrieben - oder wo auch
immer werden wir nicht akzeptieren. Diese Zusage - so
steht es auch in unserem Entschließungsantrag - geben
wir. Ich glaube aber nicht, dass wir hier von Missbrauch
reden sollten, sondern von den Chancen, die sich aus
diesem neuen Arbeitsrecht für befristete Drittmittelprojekte ergeben. Diese Chancen sollten wir nutzen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Jetzt gebe ich das Wort dem Kollegen Volker
Schneider für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es war ja zu erwarten: Sie reden hier darüber, dass Menschen über längere Zeit befristet eingestellt werden können, aber nicht darüber, was das für eine mittel- und
langfristige Familien- und Lebensplanung bedeutet. Sie
reden auch nicht darüber, dass dieses Gesetz - Herr
Tauss hat es ja wenigstens in Ansätzen getan - unterm
Strich auch dazu beiträgt, dass man für ein Forschungsprojekt benötigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
besonders einfach wieder los wird.
({0})
Denken Sie etwa an einen auf Nanotechnologie spezialisierten Physiker - selbstverständlich gilt Gleiches auch
für eine Physikerin -, der gezielt für ein Forschungsprojekt etwa im Bereich der Nanomesstechnik angeworben
wurde: Es ist Fakt, dass seine bzw. ihre Verwendungsmöglichkeit in anderen Projekten äußerst begrenzt ist.
Auch ohne dieses hier zu beratende Gesetz gibt es
schon jetzt für die Arbeitgeber in den Forschungseinrichtungen Möglichkeiten genug, dieses „Problem“ zu
bewältigen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit
unbefristeten Verträgen können betriebsbedingt gekündigt werden.
({1})
Befristungen von Arbeitsverhältnissen sind bei Vorliegen eines sachlichen Grundes in Form von zweck- oder
zeitbefristeten Arbeitsverhältnissen möglich. Das Hochschulrahmengesetz eröffnet in §§ 57 a ff. erweiterte
Möglichkeiten, auch ohne einen Sachgrund Arbeitsverhältnisse zu befristen. So wundert es nicht, dass schon
jetzt, um nur ein Beispiel zu nennen - Herr Tauss ist ja
auch schon darauf eingegangen -, die Fraunhofer-Gesellschaft 46 Prozent der Wissenschaftler und 34 Prozent
aller Beschäftigten befristet beschäftigt. Dagegen werden haushaltsrechtlich mögliche und gebotene Chancen
auf unbefristete Beschäftigung nach Einschätzung des
Gesamtbetriebsrates bei weitem nicht ausgeschöpft.
Dennoch wollen Sie mit dem hier vorliegenden
Gesetzentwurf Möglichkeiten der sachgrundlosen Befristung durch die Einbeziehung des nichtwissenschaftlichen Personals und das Instrument der Drittmittelfinanzierung erheblich ausweiten.
({2})
Der Dank der Arbeitgeber, Herr Tauss, für dieses Geschenk dürfte Ihnen gewiss sein. Wozu noch faire Arbeitsverträge aushandeln, die sowohl der Rechtssicherheit und der Reduzierung des unternehmerischen Risikos
aufseiten der Arbeitgeber dienen, als auch die Arbeitnehmer in geeigneter Form für diese Art der Risikoüberwälzung auf sie entschädigen?
Möchten Sie eine Frage des Kollegen Tauss zulassen?
Aber bitte.
Bitte schön.
Lieber Kollege, vielleicht können wir die Kirche im
Dorf lassen und nicht infrage stellen, dass die Arbeitgeber überhaupt noch an fairen Arbeitsverhältnissen interessiert seien.
Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass gerade eine
Institution wie die Fraunhofer-Gesellschaft darauf angewiesen ist, hervorragendes Personal zu bekommen, sodass
dort ein natürliches Interesse des Arbeitgebers - ich weiß
natürlich, dass es sich hier um eine öffentlich wie privat
geförderte Wissenschaftsorganisation handelt - vorhanden ist, den Leuten nicht übel mitzuspielen, sondern mit
ihnen Arbeitsverträge abzuschließen, die ein vernünftiges
wissenschaftliches Arbeiten ohne Angst vor der Zukunft
ermöglichen? Voraussetzung dafür, dass man sich auf
seine wissenschaftliche Arbeit konzentrieren kann, ist ja,
dass man sich nicht täglich nach einem anderen Arbeitsplatz umschauen muss. Können wir uns nicht darauf verständigen, dass das ein wenig ein Popanz ist, den Sie hier
aufbauen?
Herr Kollege Tauss, wenn ich Ihnen als Mitglied der
Fraktion Die Linke jetzt antworte, dass ich Ihre Meinung
nicht teile, wird Sie das mit Sicherheit weder wundern
noch befriedigen.
({0})
Volker Schneider ({1})
Aber so einfach mache ich es mir auch gar nicht. Ich
empfehle Ihnen einen Blick in die heutige Ausgabe der
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Sie wissen, das ist
nicht gerade unser Kampfblatt. Dort finden Sie einen Ar-
tikel mit der Überschrift: „Mitte dreißig am Abgrund“.
Dort werden Sie einiges darüber lesen, wie im Bereich
der Wissenschaft, zum Beispiel vom Präsidenten der
Deutschen Forschungsgemeinschaft, Ihr Gesetz in die-
sem Punkt eingeschätzt wird. Dort heißt es: Mit dem Ge-
setz werden nun definitiv nicht die attraktiven Arbeitsbe-
dingungen geschaffen, wie Sie hier vorgeben, sondern es
wird dabei bleiben, dass wir im internationalen Ver-
gleich Probleme haben werden, a) Wissenschaftler zu
beschäftigen und b) diese Wissenschaftler zu halten, und
zum guten Schluss wird im Zweifelsfall auch nach
18 Jahren der Wissenschaftler in die USA auswandern.
({2})
- Die „FAZ“ können Sie auch nicht mehr lesen; auch sie
scheint zum linken Kampfblatt zu verkommen.
Ich sagte bereits: Der Dank der Arbeitgeber für dieses
Geschenk dürfte Ihnen gewiss sein. Wozu dann noch
faire Arbeitsverträge aushandeln? Warum Arbeitgeber in
der Pflicht belassen, am Ende eines Projektes zu überprüfen, ob man nicht doch noch eine Beschäftigungsmöglichkeit in anderen Bereichen der Einrichtung hat?
Das gilt insbesondere für den nichtwissenschaftlichen Bereich. Denn ich habe ja bereits erwähnt, dass die
Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bei hochspezialisierten Wissenschaftlern durchaus sehr eingeschränkt
sind. Aber was heißt das für die Sekretärin? Ist denn
auch die Sekretärin in dem Moment, in dem ihr Chef das
Projekt beendet hat, in keinem anderen Bereich mehr
einsetzbar? Das ist für mich nicht nachzuvollziehen. Das
scheint eine neue, moderne Form von Leibeigenschaft
zwischen wissenschaftlichem und nichtwissenschaftlichem Personal zu sein, etwa in der Form: zusammen eingestellt, zusammen gearbeitet, zusammen entlassen.
({3})
Den Arbeitgebern garantieren Sie aber nicht nur Bequemlichkeit im individualrechtlichen Bereich, auch
kollektivrechtlich brennt in diesem Gesetz nichts an.
Den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften wird
durch die Tarifsperre verboten, abweichende und für
Arbeitnehmer günstigere Vereinbarungen zu schließen.
Zur Legitimation dieses fragwürdigen Fakts verweisen
Sie auf eine Nichteinigung zwischen Arbeitgebern und
Gewerkschaften, die auf die Jahre 1983 und 1984 datiert so, als seien nicht 23 Jahre ins Land gegangen; so, als
seien die handelnden Akteure die gleichen wie damals.
Herr Müller, was für eine armselige Begründung!
Angesichts so viel grundsätzlicher Kritik kann die
Fraktion Die Linke dem vorliegenden Entwurf insgesamt nicht zustimmen, obwohl wir etwa die familienpolitische Komponente des Entwurfs durchaus begrüßen
und im Ausschuss, Herr Tauss, durch Zustimmung in
Einzelfragen unsere Bereitschaft zur konstruktiven Zusammenarbeit mehr als unter Beweis gestellt haben.
Vielen Dank.
({4})
Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Kai Gehring,
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das heute hier vorliegende Wissenschaftszeitvertragsgesetz könnte für die Wissenschaft in Deutschland ein wichtiger Schritt sein. Leider ist es ein Schritt,
den die Bundesregierung in die falsche Richtung geht.
Es ist das erste Bundesgesetz, mit dem der Abschied
vom Hochschulrahmengesetz umgesetzt wird und mit
dem sich einmal mehr zeigt, welche negativen und gravierenden Auswirkungen die Föderalismusreform I auf
Bildung und Wissenschaft in unserem Land hat. Das Ziel
der Reform des Arbeitsrechtes für Beschäftigte in der
Wissenschaft muss sein, dass es auch unterhalb der Professur attraktive Beschäftigungsverhältnisse gibt
({0})
und wir alle jungen Talente für den Wissenschaftsstandort gewinnen.
({1})
Unser Ziel ist deshalb ein Arbeitsrecht für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, das dem normalen
Arbeitsrecht entspricht. Dieses Gesetz leistet das Gegenteil. An die Stelle des Sonderrechts der lebenslangen
Verbeamtung tritt nach dem Willen der Koalition nun
das Sonderrecht der ewigen Befristung. So können wir
niemanden davon überzeugen, dass es sich lohnt, in
Deutschland Forscherin oder Forscher zu werden.
({2})
Zu den Details unserer Kritik: Ihr Gesetzentwurf lässt
keine Möglichkeiten zu, von Tarifverträgen abzuweichen. Er enthält eine Tarifsperre. Ich frage die Große
Koalition: Warum gehen Sie so zentralistisch vor? Warum wollen Sie alle über einen Kamm scheren? Warum
glauben Sie, dass große Hochschulen die gleichen Probleme wie kleine Forschungseinrichtungen haben und
dass kleine Hochschulen die gleichen Lösungen wie
große Forschungseinrichtungen wollen? Das ist doch realitätsfern.
({3})
Wir Grüne haben deswegen eine Streichung der Tarifsperre beantragt. Unserer Meinung nach können die Tarifpartner passgenauere Lösungen als der Gesetzgeber
finden. Forschungseinrichtungen könnten ohne Tarifsperre adäquate Regelungen treffen. Aber erstaunlicherweise hat uns nicht einmal die SPD in diesem Vorhaben
unterstützt.
({4})
Das ist die eine Unlogik Ihres Gesetzentwurfs.
Die zweite Unlogik besteht darin, dass Sie sich weigern, etwas klarzustellen, was für die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter eine Mindestsicherung bedeuten würde.
Ich meine eine bindende Regelung, dass die Dauer des
Arbeitsvertrages zumindest der Dauer der Bewilligung
der Drittmittel entsprechen muss. Ihr Gesetz hätte zur
Folge, dass der Arbeitgeber die Mittel, die ihm zur Verfügung stehen, zeitlich stückeln kann. Das würde dazu
führen, dass ein Wissenschaftler noch nicht einmal im
Hinblick auf seine Mittel und die Laufzeit seines Projekts Zukunftssicherheit hätte. Das ist ein schwerwiegendes und unnötiges Problem, gerade für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Kindern, der
Kinderkomponente zum Trotz.
({5})
Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die Mindestdauer
des Arbeitsvertrages der Dauer der Bewilligung der
Drittmittel entspricht.
Kollege Tauss, nehmen Sie doch in Ihrem Gesetzentwurf diese kleine Präzisierung vor. Das wäre das Mindeste, was die Bundesregierung in ihrer Verantwortung
für die Wissenschaftler tun müsste. Andernfalls wird die
durch die Befristung entstehende Unsicherheit allein auf
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abgewälzt.
Das ist keine zukunftsweisende Lösung.
({6})
Wir brauchen mehr Menschen, die sich für ein Leben
in der Wissenschaft entscheiden. Die Bundesregierung
allerdings gibt nur Lippenbekenntnissen ab. Das haben
wir auch heute Morgen in der Debatte über das 7. FRP
erneut feststellen können. Mit Ihrem Gesetzentwurf hätten Sie beweisen können, dass Sie es ernst meinen, aber
diese Chance haben Sie leider vertan.
Ihr Gesetzentwurf ist kein gelungener Beitrag, um die
Konkurrenzfähigkeit Deutschlands innerhalb der BrainCirculation zu verbessern, für die sich die EU in ihrem
neuen Rahmenprogramm starkmacht. Verschärfend
kommt hinzu, dass die Bundesregierung auch das nichtwissenschaftliche Personal einbeziehen will. In Ihrem
Gesetzentwurf wird als einzige Bedingung für die Befristung eines Arbeitsvertrages die „überwiegende Finanzierung aus Drittmitteln“ genannt. Man muss, glaube
ich, kein Pessimist sein, um sich die Folgen auszumalen:
Die Mittel werden hin- und hergeschoben, bis sie „passen“. Aus unbefristeten Arbeitsverhältnissen werden
dann reihenweise befristete.
({7})
Ob die betroffenen Personen wichtige Daueraufgaben
übernehmen oder nicht, ist dabei zweitrangig. An den
Hochschulen sind allerdings vor allem im Zusammenhang mit Betreuung und Lehre in großem Umfang Daueraufgaben zu erfüllen. Können diese nicht erfüllt werden, birgt das nicht nur für die betroffenen Forscher,
sondern auch für die Studierenden Nachteile.
Wie wir auch heute wieder gehört haben, erwidern die
Koalitionsfraktionen auf unsere Befürchtung einer massenhaften Umwandlung unbefristeter in befristete Beschäftigungsverhältnisse lapidar: Ach, das wird schon
nicht passieren. Das werden wir einmal evaluieren. Diese Evaluierung werden wir einfordern. Wir werden
Sie kritisch begleiten und auffordern, Konsequenzen aus
den Ergebnissen zu ziehen.
({8})
Grundsätzlich bleiben wir Grüne dabei: Für die Wissenschaft in Deutschland wäre es viel besser, wenn für
das wissenschaftliche wie für das nichtwissenschaftliche
Personal die Grundsätze des allgemeinen Arbeitsrechts
und damit auch die des Befristungs- und Kündigungsschutzrechts gelten würden. Die Tarifpartner haben das
in Aussicht gestellt. Sie sollten nicht durch ein ungeeignetes Gesetz entmutigt werden.
Sie müssten zum Ende kommen, Herr Kollege.
Das war mein letzter Satz.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung arbeitsrechtlicher Vorschriften in der Wissen-
schaft auf Drucksache 16/3438. Der Ausschuss für Bil-
dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/4043, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Großen Koalition und der
FDP gegen die Stimmen der Linken und des
Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, aufzustehen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Ge-
setzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimm-
ergebnis wie zuvor angenommen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/4079. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Da-
mit ist der Entschließungsantrag bei Zustimmung der
Fraktion Die Linke und Gegenstimmen aus dem übrigen
Haus abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 6 b. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung auf Drucksache 16/4043 zu dem Antrag der
Fraktion der FDP mit dem Titel „Wissenschaftssystem
zukunftsfähig gestalten - wissenschaftsadäquate Ar-
beitsbedingungen schaffen“. Der Ausschuss empfiehlt
unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den An-
trag auf Drucksache 16/3286 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung ge-
gen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Zustimmung der
übrigen Mitglieder des Hauses angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Vereinheitlichung von
Vorschriften über bestimmte elektronische
Informations- und Kommunikationsdienste
({0})
- Drucksachen 16/3078, 16/3135 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Bärbel Höhn, Volker Beck ({1}),
Grietje Bettin, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Teledienstegesetzes
({2})
- Drucksache 16/1436 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie
({3})
- Drucksache 16/4078 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Martin Dörmann
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Grietje Bettin, Ekin Deligöz, Kai
Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Verbraucher beim Telemediengesetz nicht
übergehen
- Drucksachen 16/3499, 16/4078 Berichterstattung:
Abgeordneter Martin Dörmann
Es liegen hierzu ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Der Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie hat in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4078 den von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Anti-Spam-Gesetzes auf Drucksache 16/1436
sowie den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen auf Drucksache 16/3499 mit dem Titel „Verbraucher beim Telemediengesetz nicht übergehen“ mit
einbezogen. Über diese Vorlagen soll ebenfalls abschließend beraten und abgestimmt werden. - Ich sehe, Sie
sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Parlamentarische Staatssekretärin Dagmar
Wöhrl für die Bundesregierung.
({5})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir alle wissen, dass die Informationswirtschaft
boomt. Sie ist heute einer der wichtigsten Wirtschaftsbereiche überhaupt. Hier geht es um eine Schlüsseltechnologie, die ein Wachstumsbeschleuniger für viele andere
Branchen ist.
Die Nutzung des Internets ist für die meisten Menschen heute eine Selbstverständlichkeit, ob das Onlineshopping ist, ob das E-Mail-Communication ist oder
Electronic Banking. Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung sind inzwischen online und nutzen die neuen
Dienste; die Tendenz ist steigend. Die hervorragende
Entwicklung in unserem Land zeigt, dass Deutschland
hier über gute Rahmenbedingungen verfügt. Wir wollen
natürlich, dass das so bleibt. Deshalb wollen wir die vorhandenen Regelungen ständig fortentwickeln und verbessern. Ich glaube, wir sind uns einig: Wir brauchen
heute und auch zukünftig einfache Regelungen, wir
brauchen verlässliche Regelungen, und wir brauchen
faire Regelungen - für die Unternehmen und auch für
die Verbraucher.
({0})
Kernstück des Gesetzentwurfes, über den wir heute
reden, ist das neue Telemediengesetz, das gemeinsam
mit dem neuen Staatsvertrag der Länder für Rundfunk und Telemedien zum 1. März 2007 in Kraft treten
soll. Wenn man sich die beiden Regelwerke ansieht,
merkt man, sie verhalten sich wie die zwei Seiten einer
Medaille: Mit dem Telemediengesetz werden die wirtschaftlichen Anforderungen an die neuen Dienste geregelt, mit dem Rundfunkstaatsvertrag die inhaltlichen.
Diese beiden Regelwerke bilden gemeinsam den neuen
Rechtsrahmen für die Telemedien. Drei wesentliche Verbesserungen sind damit auf den Weg gebracht worden:
Durch den Wegfall der komplizierten Abgrenzung von
Tele- und Mediendiensten wird der bestehende Rechtsrahmen vereinfacht.
Zugleich wird ein übergreifendes und einheitliches Datenschutzkonzept für Rundfunk und Telemedien geschaffen. Im Übrigen streben die Länder damit erste
Schritte für die Vereinfachung ihrer Aufsichtsratsstrukturen an.
({1})
Die Umsetzung dieser Kernanliegen wird von allen
beteiligten Kreisen begrüßt. Ich möchte hier noch einmal
auf einige wesentliche Änderungen, die uns besonders
wichtig erscheinen, hinweisen.
Wer Verbraucher bei der E-Mail-Werbung in die Irre
führt und den Empfänger solcher Nachrichten dadurch
bei der Spam-Bekämpfung behindert, wird zukünftig
mit einem Bußgeld von bis zu 50 000 Euro rechnen müssen.
({2})
Wir wissen um die Ereignisse in diesem Bereich. Sie
werden zum Beispiel vorgeblich von der Staatsanwaltschaft München angemailt, auf der als Betreff „Ihr Strafverfahren XY“ steht. Diese Nachricht täuscht über den
Charakter der Mail, nämlich darüber, dass es sich um einen kommerziell orientierten Absender handelt. Durch
diese und ähnlich falsche Angaben werden sehr hohe
Öffnungsraten erzielt. Ich glaube, wir sind uns darin einig, dass es nur wenige Menschen geben wird, die eine
solche Mail ungelesen einfach löschen würden.
Wir alle wissen auch, dass es nach wie vor ein sehr
hohes Spam-Aufkommen gibt, womit sehr hohe Produktionsverluste verbunden sind. Das trägt nicht gerade
dazu bei, dass das so wichtige Vertrauen in den Bereich
der Kommunikation mit E-Mails nachhaltig gestärkt
wird. Im Gegenteil: Dieses Vertrauen trägt Schaden davon. Wir wissen aber auch, dass wir den größten Teil der
Spammer mit nationalen Regelungen nicht erreichen
würden, weil die meisten im außereuropäischen Ausland
sitzen.
Vor diesem Hintergrund hat es auch keinen Sinn, weitergehende Regelungen einzuführen, wie sie von der Opposition gefordert werden. Diese könnten wir nicht
durchsetzen. Deswegen heißt es für uns, hier ein Signal
zu setzen, dass wir solche Verhaltensweisen zukünftig
nicht mehr tolerieren werden. Es wird einen neuen Bußgeldtatbestand im Telemediengesetz geben. Dadurch
wird eine bislang noch bestehende Regelungslücke geschlossen und die internationale Zusammenarbeit in Zukunft erleichtert - darüber sind wir froh -, die gerade im
Bereich der Spam-Bekämpfung wichtig ist.
({3})
Ein wichtiger Punkt ist auch weiterhin, dass wir die
Datenschutzvorschriften für Anbieter von Internetzugängen und E-Mail-Diensten nennenswert reduzieren
werden. Die Interessen der Nutzer bleiben gewahrt, da
diese Anbieter ohnehin schon dem Telekommunikationsdatenschutz unterliegen. Sehr wichtig ist auch, dass
die Diensteanbieter in Zukunft mehr Klarheit erhalten.
Sie können zukünftig Auskunftsersuchen von Sicherheitsbehörden oder Rechteinhabern nachkommen, ohne
in Konflikt mit dem Datenschutz zu kommen. So ist es
zum Beispiel Verkaufsplattformen zukünftig möglich
- zum Beispiel bei einem Betrugsverdacht -, Auskünfte
über bestimmte Daten ihrer Kunden zu erteilen. Wichtig
ist, dass mit dieser datenschutzrechtlichen Öffnungsklausel keine Pflicht der Diensteanbieter verbunden ist
und auch keine Befugnisse von Sicherheitsbehörden
festgeschrieben werden. Diese müssen zukünftig noch in
den speziellen Fachgesetzen geregelt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, uns allen ist klar, dass wir auch mit diesem Gesetz nicht am
Ende des Weges angelangt sind. Es gibt weiter reichende
Forderungen, etwa hinsichtlich der Verantwortlichkeit
der Diensteanbieter. Ich glaube aber auch, dass wir verschiedene Dinge nicht übersehen dürfen. Es gibt sehr
viele verschiedene Interessen auf verschiedenen Seiten:
Es gibt die Diensteanbieter, die Inhaber von Rechten
geistigen Eigentums und die Verbraucher. Diese verschiedenen Interessen müssen wir auch zukünftig sorgfältig prüfen und gegeneinander abwägen.
Dann haben wir noch andere Gegebenheiten zu beachten, nämlich die zwingenden Vorgaben des europäischen Rechtes. Deswegen ist es für uns wichtig, dass
zunächst auf der europäischen Ebene versucht wird, hier
eine binnenmarktgerechte Fortentwicklung zu erreichen.
Wir glauben, dass diese Ergebnisse dann leicht in deutsches Recht umgesetzt werden können. Die Europäische
Kommission ist hier bereits in Gespräche mit den Mitgliedstaaten eingetreten. Es sind Studien in Auftrag gegeben worden, unter anderem zu den Fragen der Verantwortlichkeit der Diensteanbieter. Wir hoffen, dass die
ersten Ergebnisse uns schon bald vorliegen werden. In
diesen Studien werden viele Punkte angesprochen, unter
anderem, wie die Haftung bei Suchmaschinenanbietern
und Links zukünftig ausgestaltet werden kann. Unser
Ministerium und die Mitgliedstaaten befinden sich in
sehr engen Abstimmungen mit allen beteiligten Kreisen.
Wir werden uns aktiv in die Diskussion einbringen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Jetzt spricht für die FDP-Fraktion der Kollege HansJoachim Otto.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal Glückwunsch, Frau Wöhrl! Sie sind seit
Tagen die erste führende CSU-Politikerin, die sich nicht
zu personalpolitischen, sondern zu fachlichen Fragen geäußert hat.
({0})
Willkommen im Reich der Fachfragen!
({1})
Hans-Joachim Otto ({2})
Auch in der Sache kann ich Frau Wöhrl in vielen Dingen zustimmen. Dieses Gesetz wäre ein ziemlich gutes
Gesetz, wenn es vor einem oder zwei Jahren eingebracht
worden wäre. In der Tat bringt es Verbesserungen gegenüber dem jetzigen Zustand. Wir sind uns allerdings einig
- ich hoffe, auch da, Herr Dörmann, nicken Sie -, dass
dieses Gesetz schon jetzt, bevor wir es überhaupt verabschiedet haben, überholt ist, in Teilen sogar obsolet. Begrifflichkeiten stimmen nicht mehr mit dem TKG überein. Es gibt europäische Regelungen, die bald umgesetzt
werden müssen; Sie haben eben völlig zu Recht Haftungsregelungen für Links, Suchmaschinen und Ähnliches angesprochen. Die gesamten Überwachungspflichten müssen geändert werden. All das sind Dinge, in
denen wir uns weitgehend einig sind.
Ich frage mich jetzt nur: Warum - das ist meine Kritik
an diesem Gesetzentwurf - haben wir das nicht gleich
gemeinsam hier geändert? Der Kollege Meyer hat gestern im Wirtschaftsausschuss gesagt - ich stimme ihm da
zu -, die Reform dieses Gesetzes müsse bereits im Februar beginnen. Es tritt aber erst im März in Kraft. Das
heißt, das Gesetz ist noch gar nicht in Kraft, aber wir
müssen schon wieder nachbessern. Bildlich gesprochen:
Sie zwingen uns, das Flugzeug während des Fluges zu
reparieren, anstatt die Reparatur schon vor dem Start
vorzunehmen.
({3})
Das ist die Hauptkritik an diesem Gesetzentwurf. Ich
meine, dass es nicht der Rechtssicherheit dient, auch
nicht dem Vertrauen in die Gesetzgebungsarbeit, wenn
wir den Verbrauchern und auch der Industrie sagen müssen, dass das Gesetz, das sie jetzt bekommen, praktisch
überholt ist und wir bereits an einer Novelle arbeiten.
Nun rechne ich schon fest mit Ihrem Einwand des angeblichen Zeitdrucks und der Pflicht zur Notifizierung
bei der EU-Kommission. Meine Damen und Herren, so
ganz ernst kann ich solche Argumente nicht nehmen;
denn Sie haben selber heute einen Änderungsantrag eingebracht, der nicht nur redaktionelle Änderungen beinhaltet. In § 14 Abs. 2 ist auf Anregung des Bundesrates
beispielsweise eine recht weitgehende inhaltliche Änderung bei den Bestandsdaten enthalten. Dann hätten wir
meines Erachtens auch gemeinsam dieses Gesetz gut
machen können und nicht nur gut gemeint.
Jetzt komme ich zu der komplizierten Frage, warum
die FDP-Fraktion diesem Gesetzentwurf trotzdem zustimmt. Wir tun das deshalb, weil wir - das ist ein Angebot an die Koalitionsfraktionen - die Hoffnung haben,
dass wir, anders als beim TKG, wo es die Geheimdiplomatie zugunsten eines Staatsbetriebes gab, beim Telemediengesetz zu einer konstruktiven und vertrauensvollen
Zusammenarbeit über Fraktionsgrenzen hinweg kommen. Das ist ein klares Angebot an die Regierungsfraktionen, dass man hier wieder auf den Pfad der fachlichen
Vernunft zurückkehrt und dass wir uns über die Änderungen, über die wir weitgehend einig sind - Frau
Wöhrl, Sie haben eben schon einige angesprochen; die
Richtung stimmt -, gemeinsam verständigen. Denn das
Wichtigste, was wir bei dem wirtschaftlich enorm wichtigen Bereich des E-Commerce und der Telemedien erreichen müssen, sind Rechtssicherheit, Klarheit und Berechenbarkeit für die Branche. In diesem Bereich
werden Milliardenbeträge umgesetzt und es gibt dort
große Steigerungsraten.
Um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu sichern,
müssen wir einen verlässlichen Rechtsrahmen setzen.
Ich sehe es als ein hohes Gut an, dass die Fraktionen des
Deutschen Bundestages nach Möglichkeit zusammenarbeiten. Herr Meyer, das Angebot gilt: Wir sollten so
schnell wie möglich die Reform auf den Weg bringen,
um Rechtssicherheit und Klarheit herzustellen und um
das Vertrauen in die Gesetzgebungskompetenz zu stärken.
Wir werden - ich gebe es zu: - schweren Herzens diesem Gesetz unsere Zustimmung erteilen und hoffen,
dass unser Angebot von den Koalitionsfraktionen in angemessener Weise beantwortet wird. Herr Dörmann, ich
bin gespannt, was Sie mir auf dieses Angebot jetzt antworten werden.
Vielen Dank.
({4})
Nun erteile ich dem Kollegen Dörmann das Wort für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Otto, zunächst einmal bedanke ich mich
für das Angebot, das Sie unterbreitet haben. Auf dieses
Angebot werden wir im Laufe des Jahres sicherlich zurückkommen.
({0})
Ich bedanke mich insbesondere für die Zustimmung der
FDP zu unserem Gesetzentwurf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bedeutung des
Internets für Wirtschaft und Verbraucher nimmt täglich
zu. Ende 2006 verfügten rund 68 Prozent der erwachsenen Deutschen über einen Internetzugang. Die Anwendungen im Internet sind vielfältig. Fast drei Viertel der
deutschen Internetnutzer stellten Preisvergleiche an. 60 Prozent kauften Produkte und Dienstleistungen. 50 Prozent
tätigten ihre Bankgeschäfte online. Millionen besuchen
täglich Suchmaschinen und Internetforen. Allein bei
Ebay sind in Deutschland 20 Millionen Mitglieder registriert. Dort werden alle 50 Sekunden eine Digitalkamera,
alle zwei Minuten ein Fahrzeug und täglich immerhin
13 Bagger verkauft.
Die Bedeutung der Internetbranche als wichtiger
Zukunfts- und Wachstumsmarkt in Deutschland wird
weiterhin steigen. Die neuen Möglichkeiten schaffen jedoch auch vielfältige praktische und rechtliche Problemstellungen. Neue Kommunikationsforen und Geschäftsmodelle sowie die massenhafte Nutzung des Internets
stellen besondere Herausforderungen dar.
Wir alle wollen, dass im Internet kein rechtsfreier
Raum entsteht und dass rechtswidrige Handlungen auch
dort wirksam bekämpft werden können. Zugleich sind
wir darauf angewiesen, dass mit den von uns gewonnenen Daten sorgfältig umgegangen wird. Es darf nicht
zum gläsernen Menschen kommen. Schließlich geht es
auch darum, die Offenheit und Meinungsvielfalt dieses
neuen Mediums zu bewahren und zu befördern.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stellt sich die
Bundesregierung diesen Herausforderungen. Im Kern
geht es dabei um das neue Telemediengesetz. In ihm
sind jetzt die grundlegenden wirtschaftsbezogenen Regelungen sowohl für die Tele- als auch für die Mediendienste zusammengefasst, die bislang in unterschiedlichen Gesetzen bzw. im Mediendienste-Staatsvertrag
normiert wurden.
Die bisherige Unterscheidung hat sich angesichts der
immer weiter fortschreitenden Konvergenz im Bereich
der Informations- und Kommunikationstechnologie
weitgehend überlebt. Mit diesem Gesetz wird jetzt ein
vereinfachter, einheitlicher und entwicklungsoffener
Rechtsrahmen geschaffen, durch den die komplizierte
Abgrenzung entfallen kann. Das schafft mehr Klarheit
und Rechtssicherheit sowohl für die Nutzer als auch für
die Diensteanbieter.
Mit dem Telemediengesetz wird zudem ein übergreifendes und einheitliches Datenschutzkonzept für Rundfunk und Telemedien in Abgrenzung zum Datenschutz
für Telekommunikation normiert. Das soll ebenfalls zusätzliche Rechtssicherheit schaffen. Diesem Ziel dienen
auch die klarer geregelten Befugnisse der Diensteanbieter zur Auskunftserteilung über Nutzerdaten.
Es wurde gerade schon erwähnt: Ein besonderes Ärgernis im Internet ist das sogenannte Spamming, also
das Senden unerwünschter E-Mails. Schutzvorschriften
gibt es bereits in mehreren Gesetzen. Einerseits gibt es
strafrechtliche Verbote und Sanktionen. Zudem gibt es
im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb zivilrechtliche Vorschriften. So können beispielsweise Verbraucherverbände gegen Spammer gerichtlich vorgehen, insbesondere auch durch schnell wirksame einstweilige
Verfügungen.
Die bereits bestehenden Anti-Spam-Vorschriften werden nun in dem neuen Telemediengesetz um einen Ordnungswidrigkeitentatbestand erweitert. Danach kann mit
einem Bußgeld in Höhe von 50 000 Euro belegt werden,
wer in der Kopf- oder Betreffzeile einer Werbe-E-Mail
den kommerziellen Charakter der Nachricht absichtlich
verschleiert oder verheimlicht.
In der vom Wirtschaftsausschuss durchgeführten Anhörung zum vorliegenden Gesetzentwurf hat sich im
Wesentlichen zweierlei ergeben: Einerseits gibt es für
die Zusammenführung der Vorschriften in einem einheitlichen Telemediengesetz eine einhellige Zustimmung,
übrigens auch hier im Hause; Kollege Otto hat darauf
hingewiesen. Andererseits werden bezüglich einiger Detailregelungen Verbesserungsvorschläge unterbreitet,
wobei diese Vorschläge jedoch sehr unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob die Experten eher die Gesichtspunkte des Verbraucherschutzes und des Datenschutzes
oder die Interessen von verschiedenen Unternehmen vertreten.
Bei der Anhörung wurden insbesondere folgende Fragestellungen beleuchtet: Ist eine noch schärfere Antispamregelung sinnvoll und zielführend, auch vor dem
Hintergrund, dass etwa 85 Prozent der Spammails aus
dem Ausland versendet werden, sodass ein direkter Zugriff auf die Absender faktisch nicht möglich ist? Bedarf
es einer Präzisierung der Datenschutzvorschriften?
Müssen einzelne Begriffsbestimmungen gesetzlich noch
näher definiert werden? Und schließlich: Müssen die
Verantwortlichkeitsvorschriften im Telemediengesetz, die gegenüber dem geltenden Recht unverändert
geblieben sind, weiterentwickelt werden?
({1})
Gerade der letztgenannte Bereich der Verantwortlichkeit kennzeichnet einen wichtigen und entscheidenden
Zielkonflikt. Einerseits wird in Teilen der Internetwirtschaft das Bedürfnis gesehen, einzelne Diensteanbieter,
beispielsweise Suchmaschinen, von Verantwortlichkeiten möglichst freizustellen, unter anderem mit der Begründung, man könne anhand der Vielzahl der potenziellen Fälle das Problem nur schwer handhaben.
Andererseits stehen dem die berechtigten Interessen der
betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber, die beispielsweise Unterlassungsansprüche aufgrund der Verletzung von Persönlichkeitsrechten oder
auch Eigentumsrechten wirksam geltend machen wollen. Eines ist klar: Allein vor der Masse dürfen wir nicht
kapitulieren, wenn es um Rechtsverstöße geht.
Die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Probleme betreffen einen zentralen Bestandteil der Umsetzung der europäischen E-Commerce-Richtlinie, der
hier einschlägig ist. Hierzu wird gerade eine Studie der
EU erarbeitet, die bis Mitte 2007 fertiggestellt sein soll.
In ihr werden die Erfahrungen der einzelnen Mitgliedsländer mit den Verantwortlichkeitsvorschriften ausgewertet.
Die Koalitionsfraktionen haben bereits im Wirtschaftsausschuss deutlich gemacht, dass sie die in der
Anhörung aufgeworfenen Fragen, Herr Otto, sehr ernst
nehmen
({2})
und an der einen oder anderen Stelle durchaus Präzisierungs- und Änderungsbedarf sehen. Dennoch haben wir
darauf verzichtet, bereits in diesem Gesetzgebungsverfahren wesentliche Änderungen an dem Gesetzentwurf
der Bundesregierung vorzunehmen, und uns in unserem
Änderungsantrag auf wenige, nicht so gravierende Punkte
beschränkt.
Dies hat einen besonderen Grund: In dem Telemediengesetz fassen wir nämlich die wirtschaftsbezogenen
Vorschriften bei den Tele- und Mediendiensten zusammen, während die medienrechtlichen Bestimmungen im
neunten Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien
normiert sind, der am 1. März dieses Jahres in Kraft tritt.
Bund und Länder hatten sich nämlich im Vorfeld darauf
verständigt, gemeinsam für einen entsprechenden rechtlichen Rahmen zu sorgen, um auch hier eine klare Zuordnung vorzunehmen.
Um aber keinen rechtsfreien Raum zu schaffen, müssen das Telemediengesetz und der Rundfunkstaatsvertrag zur gleichen Zeit in Kraft treten. Dies stellen wir mit
der heutigen Verabschiedung des Telemediengesetzes sicher. Würden wir in diesem Gesetzgebungsverfahren
wesentliche Änderungen an dem Gesetzentwurf vornehmen, müssten diese bei der EU notifiziert werden, was
zu erheblichen Zeitverzögerungen führen würde, sodass
ein gleichzeitiges Inkrafttreten nicht mehr möglich wäre.
Deshalb, sehr geehrter Herr Otto, haben sich die Koalitionsfraktionen dafür entschieden, zusätzliche Änderungswünsche in diesem Gesetzgebungsverfahren zunächst zurückzustellen. Wir tun dies übrigens guten
Gewissens, weil das neue Telemediengesetz zu einer
deutlichen Verbesserung gegenüber dem heutigen
Rechtszustand führt, was letzten Endes unbestritten ist.
Bei der späteren Novellierung können wir dann die Ergebnisse der aktuellen EU-Studie zur E-CommerceRichtlinie berücksichtigen, aus der sich aller Voraussicht
nach ohnehin Änderungsbedarf ergeben wird.
Mit dem neuen Telemediengesetz schaffen wir erstmals einen einheitlichen Rechtsrahmen für Tele- und
Mediendienste. Das ist ein wichtiger Schritt zu mehr
Rechtssicherheit, und es ist ein wirksamer Beitrag für
die Fortentwicklung des Internets. Das ist letztendlich
gut für uns Nutzer und für die positive Entwicklung der
Internetwirtschaft. Daher bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Herzlichen Dank.
({3})
Es spricht jetzt für die Linke die Kollegin Ulla Lötzer.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Stellen
Sie sich vor, Sie gehen in einem Supermarkt einkaufen
und müssen dort erst einmal Ihre persönlichen Daten,
Neigungen und Einkaufswünsche angeben und einer
Weiterverwendung der Daten zustimmen. Ich würde in
diesem Fall sofort kehrtmachen.
Während wir uns im Supermarkt - noch jedenfalls anonym bewegen können, ist das im Internet nicht der
Fall. Daten werden gespeichert und weiterverkauft. Jeder Klick wird vermerkt. Der Weg zum gläsernen Menschen im Internet ist schon ziemlich weit fortgeschritten.
Die Veröffentlichung von Sucheingaben von
600 000 Menschen durch das Internetunternehmen AOL
macht die besondere Dringlichkeit deutlich. Den 20 Millionen Datensätzen ließen sich Namen, finanzielle Informationen, Krankheiten oder Informationen über das
Sexualleben entnehmen. Das Problem wird durch die
eingeschränkte Wahlmöglichkeit der Verbraucherinnen
und Verbraucher beim Onlineshopping noch verstärkt.
61 Prozent der Internetnutzer haben in einer Umfrage
erklärt, dass sie beim Onlineshopping um ihre Internetsicherheit besorgt sind. 78 Prozent gaben an, dass ihre
Hauptsorge dem Diebstahl und dem Weiterverkauf ihrer
Daten an Dritte gilt.
Die Stärkung der Interessen der Nutzerinnen und Nutzer und ihr Schutz vor Datenmissbrauch und Datendiebstahl müssten das Kernelement eines Telemediengesetzes sein. Der vorliegende Gesetzentwurf wird unserer
Auffassung nach diesem Anspruch in vielen Punkten
nicht gerecht. Auch das wurde bei der Anhörung mehr
als deutlich.
Sie, Kollege Dörrmann und auch Frau Wöhrl, haben
schon angekündigt - Herr Otto hat das auch angesprochen -, dass schon bei der Verabschiedung des Gesetzentwurfs weitergehende Novellierungen anstehen. Dann
stellt sich uns aber die Frage, warum wir heute Regelungen beschließen sollten, die wir morgen rückgängig machen müssten, zumal die vorgesehenen Regelungen den
Datenschutz und den Verbraucher- und Verbraucherinnenschutz nicht verbessern, sondern verschlechtern.
({0})
Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Otto, sehen wir dazu keinerlei Veranlassung.
Wir beschränken uns deshalb darauf, noch einmal aus
unserer Sicht den dringendsten Änderungsbedarf auch
aus Sicht der Verbraucherschutzverbände und der Datenschützer zu benennen. Dazu gehört die Einführung eines
Koppelungsverbotes. Die Nutzung von Diensten soll
nicht an die Zustimmung zur weitreichenden Datenerhebung und -verwendung gekoppelt werden, wie es bei Ihrem Entwurf möglich ist.
Nutzungsprofile sollen nur dann erstellt werden dürfen, wenn der Nutzer explizit eingewilligt hat. Die Möglichkeit der anonymen Nutzung von Telemediendiensten
soll im Gesetz verstärkt werden.
Nach wie vor halten wir den weitreichenden Zugriff
staatlicher Stellen und anderer auf die Telemedienbestandsdaten für besorgniserregend. Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, warum das Grundrecht auf das
Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis nicht gleichermaßen für die Internetnutzung gelten sollte.
({1})
Stattdessen verankern Sie einen Freibrief für die ermittelnden Behörden, da es weder einer Ermächtigungsschwelle noch einer konkreten und klaren Zweckbestimmung oder einer richterlichen Anordnung bedarf.
Gänzlich abzulehnen sind die Aufnahme der Nachrichtendienste in den Kreis der berechtigten Stellen und die
Zulassung von Auskünften „zur Durchsetzung der Rechte
am geistigen Eigentum“. Letztere kritisierte der stellvertretende Landesdatenschutzbeauftragte von SchleswigHolstein in der Anhörung als verfassungswidrig. Wer
seine Rechte in diesem Zusammenhang durchsetzen will,
kann sich an die für die Strafverfolgung zuständigen Stellen wenden.
Auch wir begrüßen den Ansatz, Telemedienrechte zusammenzuführen und zu vereinheitlichen. Es kommt
aber auf den Inhalt an. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf haben Sie die Chance vertan, das Vertrauen der
Verbraucherinnen und Verbraucher zu stärken und den
Datenschutz zu verbessern. Damit erschließen Sie auch
keine brachliegenden wirtschaftlichen Potenziale.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({2})
Zum Abschluss der Debatte spricht die Kollegin
Grietje Bettin für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe schon in der Anhörung und im Ausschuss
gesagt, dass wir die Zusammenlegung von Teledienstegesetz und Mediendienste-Staatsvertrag der Bundesländer grundsätzlich begrüßen und dass wir diese Regelung
für längst überfällig halten. Überall wurde das Telemediengesetz von der Bundesregierung als die Neuordnung
der Medienordnung angepriesen. Aber das wird dem vorgelegten sehr lückenhaften Gesetzentwurf in keiner
Weise gerecht.
({0})
Das Gesetz ist schon heute veraltet. Man kann davon
ausgehen, dass es bereits in einem halben Jahr oder
schon früher überarbeitet werden muss.
({1})
Aber ob das dann wirklich gemacht wird, steht für mich
noch in den Sternen; denn das ist ein sehr unübliches
Verfahren. Zu diesem seltsamen Verfahren kommt es,
weil die Bundesregierung die Einwände und Bedenken
der Unternehmen und Verbände nicht ernst nimmt
({2})
und weil sie sich nicht traut, den Bundesländern die Stirn
zu bieten. Konsequenterweise müsste sie das Inkrafttreten des Rundfunkstaatsvertrags verzögern, der - das
haben schon meine Vorrednerinnen und Vorredner deutlich gemacht - mit dem Telemediengesetz zusammenhängt.
({3})
In unserer Anhörung wurde deutlich, dass alle die Zusammenlegung von Tele- und Mediendiensten grundsätzlich begrüßen, dass es aber leider an allen Ecken und
Enden noch Mängel gibt und dass der Gesetzentwurf so
eigentlich gar nicht verabschiedet werden dürfte. Es
fehlt beispielsweise eine positiv-rechtliche Definition
des neuen Begriffs „Telemedium“. Das heißt, auch mit
dem neuen Gesetz weiß kein Diensteanbieter genau,
wann sein Angebot Rundfunk, Telekommunikation oder
Telemedium ist.
Geradezu fahrlässig ist aber, dass die Bundesregierung nun einen Gesetzentwurf verabschieden möchte,
mit dem die Entwicklung auf europäischer Ebene
schlicht ignoriert wird. Fast zeitgleich mit Brüssel verabschieden wir hier einen Gesetzentwurf, der eine Zweiteilung in Telemedium und Rundfunk vorsieht. Brüssel
geht aber schon viel weiter und unterscheidet zwischen
linearen und non-linearen audiovisuellen Diensten sowie
Informationsdiensten im Sinne von E-Commerce. Sie
verhalten sich so, als wäre die langwierige und aufgeregte Debatte über die EU-Fernsehrichtlinie unbemerkt
an Deutschland vorbeigezogen. Allein deshalb ist schon
am heutigen Tag klar, dass wir das Telemediengesetz in
Kürze überarbeiten müssen. Ein solches Verfahren können wir Grünen nicht unterstützen.
({4})
Wir hinken mit diesem Gesetz den internationalen
Entwicklungen hinterher. Mit diesem Stückwerk macht
man Deutschland nicht zur Spitze im IKT-Bereich, Frau
Wöhrl. Es ist eher ein Armutszeugnis für die Bundesregierung, wenn bei Verabschiedung des Gesetzes die
Überarbeitungsnotwendigkeit schon deutlich sichtbar
wird. Wir Grüne bedauern es sehr, dass die Chancen und
Möglichkeiten der digitalen Welt noch immer nicht in
den Köpfen der Bundesregierung angekommen sind.
Das zeigt sich nicht nur in mangelndem Willen, die Verantwortlichkeiten neu zu ordnen. Der Föderalismus
macht es uns hier sicherlich nicht leicht. Aber unser
Hauptkritikpunkt ist, dass die Bundesregierung die Welt
des Internets wieder einmal ohne die Nutzerinnen und
Nutzer, ohne die Verbraucherinnen und Verbraucher gestalten will. Sie verkennt völlig, dass gerade hier die
Grundsteine für verbraucherfreundliche Regelungen
gelegt werden könnten. Hier liegen Wettbewerbsvorteile
aus unserer Sicht ungenutzt auf der Straße, zum Beispiel
im Bereich des Datenschutzes.
({5})
Die Bundesregierung nutzt dieses Gesetzeswerk nicht,
um endlich eine Angleichung des Datenschutzniveaus
bei Rundfunk, Telekommunikation und Telemedien herzustellen, wie dies schon lange von allen Seiten gefordert
wird. Wir halten die unterschiedlichen Niveaus für unzulässig; denn bei allen Formen der Kommunikation und
der Mediennutzung muss man den höchsten Schutz des
Individuums gewährleisten und sich am Fernmeldegeheimnis des Grundgesetzes zwingend orientieren.
Wir bedauern zudem, dass die Bundesregierung den
Vorschlag des Bundesrates nicht aufgenommen hat, ein
uneingeschränktes Verbot der Koppelung von Dienstenutzung und Datenherausgabe im Telemediengesetz
festzuschreiben. Dann hätte die weitverbreitete Praxis
endlich ein Ende gehabt, dass Internetdienste nur der
nutzen kann, der seine persönlichen Daten bereitwillig
preisgibt und in die Zusendung von Werbung einwilligt.
Stattdessen erweitert die Bundesregierung den Zugriff
auf persönliche Daten sogar noch. Das finden wir ausgesprochen bedauerlich.
Leider ist meine Zeit schon zu Ende. Deshalb kann
ich zu dem wichtigen Thema Spam nicht mehr kommen.
Zusammenfassend lässt sich nur wiederholen: Dieses
Gesetz ist aus unserer Sicht eher ein Armutszeugnis und
verdient die Bezeichnung Neuordnung der Medienordnung mit Sicherheit nicht.
Danke schön.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Vereinheitlichung von Vorschriften über bestimmte elek-
tronische Informations- und Kommunikationsdienste auf
den Drucksachen 16/3078 und 16/3135. Der Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter Buch-
stabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/4078, den Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition und der FDP gegen die Stimmen
der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen ange-
nommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu-
stimmen will, den bitte ich, aufzustehen. - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in
dritter Beratung mit dem gleichen Stimmergebnis wie
vorher angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs-
antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4080? -
Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Ent-
schließungsantrag bei Zustimmung der FDP und Ableh-
nung durch die übrigen Mitglieder des Hauses abge-
lehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 16/4081? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch
dieser Entschließungsantrag ist bei Zustimmung durch
die Fraktionen des Bündnisses 90/Die Grünen und Die
Linke, Gegenstimmen der Koalitionsfraktionen und bei
Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten
Entwurfs eines Anti-Spam-Gesetzes auf der Drucksa-
che 16/1436. Der Ausschuss für Wirtschaft und Techno-
logie empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/4078, den Gesetzentwurf ab-
zulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf
in zweiter Beratung bei Zustimmung der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen und Die Linke, Gegenstim-
men der Koalition und Enthaltung der FDP abgelehnt.
Nach unserer Geschäftsordnung entfällt damit die wei-
tere Beratung.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie auf
Drucksache 16/4078 zu dem Antrag der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Verbraucher
beim Telemediengesetz nicht übergehen“. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschluss-
empfehlung, den Antrag auf Drucksache 16/3499 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Be-
schlussempfehlung bei Zustimmung der Koalition, Ge-
genstimmen der Fraktionen des Bündnisses 90/Die Grü-
nen und Die Linke und Enthaltung der FDP-Fraktion
angenommen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Hirsch, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Praktika gesetzlich regeln
- Drucksache 16/3349 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({0})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Perspektiven für die Generation Praktikum
schaffen
- Drucksache 16/3544 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({1})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Es ist verabredet, hierzu eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Cornelia Hirsch, Die Linke.
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In den letzten Monaten gab es gleich zwei Petitionen
zum Thema Praktika an den Bundestag. Beide haben
sehr viel Unterstützung erhalten. Allein die letzte haben
fast 60 000 Menschen unterzeichnet, 60 000 Menschen,
die damit mehr und bessere gesetzliche Bestimmungen
für Praktika eingefordert haben. Darum ist es gut und
richtig, dass sich der Bundestag heute auf Antrag der
Linken mit diesem Thema befasst.
({0})
Ich möchte Ihnen und vor allem den weiteren Zuhörerinnen und Zuhörern unseren Antrag ganz grob erläutern. Grundsätzlich unterscheiden wir darin zwischen
echten Praktika auf der einen und Scheinpraktika auf
der anderen Seite. Echte Praktika sind für uns solche
Praktika, die man traditionell kennt: Während Studium
oder Ausbildung arbeitet man für einige Wochen oder
Monate in einem Unternehmen mit, kann Gelerntes in
der Praxis ausprobieren und Neues kennenlernen. Wir
wollen, dass alle die Möglichkeit haben, solche Erfahrungen zu sammeln, und wir wollen, dass diese Praktika
mehr beinhalten als Kaffeekochen und Kopieren.
({1})
Deshalb ist unsere erste Forderung die nach verbindlichen Praktikarichtlinien, die unter anderem eine Vergütung und eben auch eine ausreichende Betreuung vorschreiben.
Neben den echten Praktika gibt es leider auch immer
mehr Scheinpraktika. Scheinpraktika haben mit Praktika im traditionellen Sinne überhaupt nichts mehr zu
tun. Sie werden nur als Vorwand benutzt, um arbeitsrechtliche Bestimmungen zu umgehen. Praktisch gestaltet sich das so, dass Unternehmen anstelle regulärer
Arbeitsverhältnisse vermeintliche Praktikumsstellen anbieten. Die Betroffenen arbeiten dann meist ohne Lohn
und unter vollkommen unsicheren Arbeitsbedingungen
in den Unternehmen mit. Kaum jemand muckt dagegen
auf, kaum jemand kann dagegen aufmucken; zu groß ist
die Sorge, hinausgeworfen zu werden, vollkommen ausgegrenzt zu sein und gar nichts mehr zu finden. Das ist
Ausbeutung pur.
({2})
Unsere zweite Forderung ist deshalb, solche Scheinpraktika zu verbieten. So viel zu unserem Antrag.
Die Vorschläge, die wir aus den anderen Fraktionen
bisher gehört haben, überzeugen uns nicht.
Ich möchte hier als erstes Beispiel den Antrag der
Grünen aufführen, der hier ebenfalls behandelt wird. Sie
schlagen allen Ernstes vor, das Problem der Scheinpraktika mit freiwilligen Selbstverpflichtungen der Unternehmen zu lösen. Das wird weiß Gott nicht funktionieren. Mit solchen Vorschlägen mogeln Sie sich auf
Kosten der Betroffenen um eine Lösung herum.
({3})
Was wir brauchen, sind gesetzliche Bestimmungen, die
ausreichend Schutz gegen die zunehmende Ausbeutung
bieten.
Wenig glaubwürdig sind auch die Kolleginnen und
Kollegen aus der SPD. Wir halten es wirklich für sehr
scheinheilig, sich hier hinzustellen und - Vizekanzler
Müntefering hat es vorgemacht - zu sagen: „Wir wollen
etwas gegen die Ausbeutung der Praktikantinnen und
Praktikanten unternehmen“, und das, obwohl diese Fraktion die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern schon seit mehreren Jahren systematisch abbaut.
({4})
Müssen die Betroffenen denn beim Thema Praktikum
genauso lange warten wie bei der Forderung nach einer
gesetzlichen Ausbildungsumlage, die man versprochen
hat? Erwartet sie das gleiche Theater wie beim gesetzlichen Mindestlohn, wo wir hier ein unsägliches Herumlavieren erleben?
({5})
Wir sagen Nein. Solch eine Politik - links blinken,
und dann schon umkippen, bevor man überhaupt angefangen hat, abzubiegen - sollte sich wirklich niemand
mehr gefallen lassen.
({6})
- Bevor Sie sich zu sehr aufregen, komme ich auf die
nächste Fraktion zu sprechen.
Genau das Gleiche gilt nämlich für die Vorschläge
von Union und FDP. Man braucht keine hellseherischen
Fähigkeiten zu haben, um hier zu erahnen, was Sie uns
nachher vorschlagen werden. Herr Barth will sprechen,
Frau Bär will sprechen. Sicherlich werden sie sich hinstellen und sagen: Natürlich ist es ein Problem, dass Absolventinnen und Absolventen unter dem Vorwand von
Praktikastellen ausgebeutet werden;
({7})
aber es ist doch vollkommen verkehrt, jetzt wieder mit
weiteren gesetzlichen Forderungen zu kommen, wie es
die Linken ja immer täten. Sie werden sagen: Der richtige Weg sind weitere Flexibilisierungen.
({8})
Ihre Flexibilisierung heißt aber - das müssen immer
mehr Menschen am eigenen Leib erfahren - Abbau von
erkämpften Rechten, heißt Arbeitslosigkeit oder Arbeit
mit zu wenig Lohn zum Leben. Das wollen wir nicht.
({9})
Wir wollen sinnvolle, sichere und gerecht bezahlte
Arbeit. Statt immer weiterer Flexibilisierung, also eines
Abbaus von Rechten, fordern wir Verbesserungen und
einen weiteren Ausbau. Ein erster Schritt in diese Richtung ist, dass Praktika wieder zu dem werden, was sie eigentlich sein sollten: ein Lernverhältnis und kein Deckmantel, um arbeitsrechtliche Bestimmungen zu
umgehen.
Besten Dank.
({10})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dorothee Bär für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Hirsch,
ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie vom Rednerpult
aus einmal verkauften, was Sie vorschlagen, und nicht
nur ankündigten, was Herr Barth und ich hier sagen. Das
können wir selber.
({0})
Sie sprechen in Ihren Anträgen immer von der „Generation Praktikum“; dies ist zu einem geflügelten Begriff in den Medien geworden. Ich möchte aber zum Anfang sagen: So wie 1968 nicht alle 68er waren, sind
heute nicht alle Hochschulabsolventen Praktikanten, die
bei geringer oder gar keiner Bezahlung ausgebeutet werden. Ich finde es nicht gut, wenn hier eine ganze Generation pauschal abgewatscht wird. Praktikum ist selbstverständlich nicht gleich Praktikum. Sie haben die
Unterscheidung zwischen echten Praktika und Scheinpraktika angesprochen. Ich möchte an Sie appellieren,
mit diesem Pauschalausdruck nicht die zu verunglimpfen, die sich Mühe geben, die Praktika anbieten, oder
die, die Praktika machen. Sie selber können, wenn Sie
Praktikanten haben, mit gutem Beispiel vorangehen.
({1})
- Es wundert mich zwar, dass jemand bei Ihnen ein
Praktikum machen will; aber das ist ein anderes Thema.
({2})
Sie wollen mit Ihrem Antrag die Hürden für Praktikumsplätze so hoch hängen, dass es bald gar keine Möglichkeit mehr gibt, überhaupt Praktikumsplätze anzubieten. Das Problem ist auch: Wenn Sie allen Studenten das
Gefühl geben, am Ende ihres Studiums stünde die Arbeitslosigkeit, nehmen Sie ihnen die Hoffnung, nach erfolgreich abgeschlossenem Hochschulstudium einen Arbeitsplatz zu finden.
({3})
- Nein, das wollen Sie nicht. Es wäre schön, wenn Sie es
wollten. Sie haben gesagt, es gebe - - Nein, das würde
jetzt zu weit führen. Ich möchte mir keine Rüge der Präsidentin einhandeln.
Es gibt inzwischen deutliche Signale, dass sich gerade
für Akademiker die Situation auf dem Arbeitsmarkt ändert. Ich glaube, dass die Chancen von Akademikern auf
dem Arbeitsmarkt nicht nur momentan gut sind, sondern
auch künftig immer besser werden. Das zeigt sich allein
an der Arbeitslosenquote, die zwar zuletzt bei
3,8 Prozent lag - wir sind uns einig, dass das
3,8 Prozentpunkte zu viel sind -, aber trotzdem erheblich niedriger als die allgemeine Arbeitslosenquote ist.
Zum Vergleich: Der Anteil der Arbeitslosen, die gar keinen Berufsabschluss haben, hat sich im selben Zeitraum
vervierfacht.
Ich glaube, dass sich die Situation für Akademiker
weiter verbessern wird, weil die Nachfrage nach Höherund Höchstqualifizierten, die die Anpassungen an die
neuen Bedingungen am Arbeitsmarkt leisten können,
steigen wird. Leider Gottes spielt es auch eine Rolle,
dass die Zahl der Erwerbspersonen insgesamt weiter abnehmen wird; infolge des Geburtenrückgangs geht
selbstverständlich auch die Zahl der Akademiker zurück.
Wir werden den Arbeitsmarkt für weitere Akademikergruppen öffnen und den Akademikern helfen, dass sie
keine größeren Schwierigkeiten beim Berufseinstieg
mehr haben.
Selbstverständlich müssen wir - das sieht auch unsere
Fraktion so - die derzeitige Situation kritisch beäugen.
({4})
Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass es nicht sein
kann, dass Hochschulabsolventen monatelang ohne Bezahlung voll arbeiten. Es kann auch nicht sein, dass sie
keine Planungssicherheit haben. Ich denke, wenn jemand monatelang ohne Bezahlung und ohne Planungssicherheit arbeitet, hat er das große Problem, dass er sich
nicht um die Familie kümmern kann bzw. keine Familie
planen kann. Schon allein deswegen sind wir, ist die
Bundesregierung nicht untätig. Deswegen erübrigt sich
eigentlich Ihr Antrag.
({5})
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales
möchte alle Hochschulabsolventen auf unbezahlten
Praktikumsstellen besser über ihre Rechte aufklären.
Deswegen hat es einen Fragenkatalog zum Thema
Praktika erarbeitet; er wird auf der Homepage des Ministeriums präsentiert.
({6})
Der Katalog beinhaltet beispielsweise Fragen zur Arbeitszeitregelung, zu den Pausen und Ruhezeiten.
Zudem gibt es die Initiative „Fair Company“.
400 Unternehmen haben sich zusammengeschlossen und
sich zur Einhaltung bestimmter Regeln verpflichtet. Beispielsweise dürfen keine Vollzeitstellen durch Praktikumsstellen ersetzt werden; Hochschulabsolventen, die
sich auf eine feste Stelle beworben haben, dürfen nicht
mit einem Praktikum vertröstet werden; Praktikanten
dürfen nicht mit der vagen Aussicht auf eine anschließende Vollzeitanstellung geködert werden.
({7})
Einige Absolventen haben so die Möglichkeit, mit Unternehmen, die sich schon zur Teilnahme bereiterklärt
haben, gut und sicher zusammenzuarbeiten. Die positiven Beispiele sollen anspornen und dazu führen, dass
bald mehr Unternehmen teilnehmen werden.
Ich rufe Sie deshalb dazu auf, sich - mit uns zusammen - konstruktiv mit diesen Themen zu beschäftigen
und sich nicht immer diesem blinden Aktionismus zu
widmen. Es ist für uns ganz wichtig, sicherzustellen,
dass es weiterhin nicht nur genügend Akademiker, sondern überhaupt genügend Qualifizierte gibt, die besser
ausgebildet und besser weitergebildet werden.
({8})
Wir sollten den jungen Akademikern auch Mut zusprechen und ihnen sagen: Geht nach dem Studium mit Optimismus hinaus! Stattdessen sagen Sie ihnen: Ihr studiert
nur, um unbezahlte Praktika zu machen; es gibt eben
keine Arbeitsplätze in Deutschland.
Vielen Dank.
({9})
Ich erteile das Wort Kollegen Uwe Barth, Fraktion
der FDP.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In einem vielbeachteten Artikel in der „Zeit“
wurde im März 2005 erstmalig auf die Probleme und
Missstände hingewiesen, mit denen manche Hochschulabgänger bei ihrer Suche nach einem Berufseinstieg in
der Tat konfrontiert werden. Im letzten Jahr hat es der
Begriff „Generation Praktikum“ bei der Wahl zum Wort
des Jahres auf Platz zwei geschafft. Die bereits erwähnte
öffentliche Petition mit 60 000 Unterschriften ist ein
weiterer Beleg für die große öffentliche Aufmerksamkeit
und die Bedeutung, die dieses Thema hat.
Wichtig ist, dass man sich darüber klar wird, worüber
man spricht. Nicht Praktika sind das Problem, sondern
der Missbrauch dieses an sich sehr sinnvollen und notwendigen Instrumentes
({0})
und damit der Missbrauch der Praktikanten als billige
oder gar kostenlose Arbeitskräfte.
({1})
Während wir uns bis dahin noch einig sind, kommt
nun der Bruch, liebe Kollegin Hirsch. Ihr Antrag zeichnet sich durch sehr regen Gebrauch der Wörter „müssen“
und „dürfen“ aus. Damit dokumentieren Sie ihr Bestreben, alles gesetzlich zu regeln. Dagegen sind für uns gesetzliche Regelungen kein Allheilmittel. Das Beispiel
des Fahrraddiebstahls mag das verdeutlichen. Auch
Fahrraddiebstahl ist verboten, findet aber trotzdem statt.
Wir haben es hierbei eben nicht vorrangig mit einem juristischen, sondern mit einem moralischen Problem zu
tun.
Mit der Forderung, sich bei der Entlohnung von Praktikanten an einem gesetzlichen Mindestlohn zu orientieren, machen Sie letztlich genau den Fehler, den Sie den
betreffenden Unternehmen berechtigterweise vorwerfen:
Sie verwechseln nämlich Praktikumsplätze mit regulären
Arbeitsplätzen. Ein Praktikant ist laut Definition des
Bundesarbeitsgerichts, wer sich für eine vorübergehende
Dauer zwecks Erwerbs praktischer Kenntnisse und Erfahrungen einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit und
Ausbildung, die keine systematische Berufsausbildung
darstellt, unterzieht.
Mit Forderungen nach einem Mindestlohn wecken
Sie Hoffnungen und Begehrlichkeiten - beides können
Sie ja sehr gut -; Sie helfen aber in Wahrheit niemandem
weiter, nicht den Unternehmen und erst recht nicht den
Praktikanten. Mit solchen Forderungen fördern Sie die
Praktika nicht; sie gefährden ihre Existenz.
({2})
Gerade kleine und mittlere Unternehmen, Theater, Kultureinrichtungen, aber vor allem auch soziale Einrichtungen wären dann schlichtweg nicht mehr in der Lage,
Praktikumsplätze anzubieten. Verlierer wären die Einrichtungen, und Verlierer wären vor allem die Praktikanten.
Wir müssen an dieser Stelle deshalb ganz klar differenzieren zwischen Unternehmen, die aus wirtschaftlichen
Zwängen heraus nicht in der Lage sind, ihren Praktikanten Aufwandsentschädigungen oder eine Entlohnung anzubieten, die im Praktikum aber Wissen vermitteln - das
ist der Sinn des Praktikums -, und Unternehmen, die Praktikanten gezielt ausnutzen, obwohl sie in der Lage wären,
eine Entlohnung zu zahlen, oder - schlimmer noch - Unternehmen, die Praktikanten statt regulärer Arbeitskräfte
einstellen. Das ist in der Tat moralisch verwerflich.
({3})
Das sind auch die Fälle, die unter den Betroffenen für
Verärgerung sorgen. Wenn Praktikanten eine Stelle antreten und von Monat zu Monat vertröstet werden, wenn
ihnen bei Erreichen guter Leistungen eine feste Anstellung in Aussicht gestellt wird, die Einlösung dieses Versprechens mit Ausreden aber immer weiter hinausgeschoben wird und es eben nicht zu der Einstellung
kommt, dann entsteht Verärgerung. Das sind die schwarzen Schafe, um die es geht.
Mein dringender Appell ist deshalb, diesen Unterschied nicht aus den Augen zu verlieren, hier nicht alle
über einen Kamm zu scheren und mit gesetzlichen Rege7614
lungen am Ende nicht mehr Schaden anzurichten, als
Nutzen zu erzielen. Es ist ganz klar, dass wir das Handeln dieser schwarzen Schafe nicht tolerieren können.
Wichtiger als gesetzliche Regelungen ist aus unserer
Sicht aber, dass die von den Prozessen Betroffenen handeln. Wenn Fachbereiche von ihren Studenten den Nachweis über ein Pflichtpraktikum verlangen, dann haben
die entsprechenden Universitäten ihren Studenten gegenüber natürlich auch eine gewisse Verantwortung. Bei
der Suche nach geeigneten Praktikumsplätzen und bei
der Durchführung des Praktikums können Universitäten
helfen. Durch eine gezielte Vermittlung kann sichergestellt werden, dass die Praktika nur in Betrieben, Unternehmen und Einrichtungen stattfinden, die mit ihren
Praktikanten fair umgehen. Auch Praktikumsvereinbarungen - das gilt übrigens auch für Praktika, die nach der
Ausbildung stattfinden - sind mit Sicherheit ein geeignetes und sehr einfaches Mittel. Hier kann man festschreiben - das liegt im beiderseitigen Interesse -, in welchem
Rahmen das Praktikum stattfindet. Gerade im Bereich
der Bachelorausbildungen müssen sich die Universitäten
die Frage stellen, ob ein sechsmonatiges Praktikum sinnvoll und notwendig ist. Auch das gehört dazu.
({4})
Zum Schluss möchte ich an die Studenten und Absolventen appellieren. Ich weiß, dass die Angst vor einer
Lücke im Erwerbslebenslauf sehr groß ist und der Start
ins Berufsleben alles andere als einfach ist. Um eines
möchte ich aber doch bitten: Lassen Sie nicht alles mit
sich machen! Man kann schwarze Schafe über Netzwerke identifizieren, ächten und meiden. Verkaufen Sie
sich nicht unter Wert, liebe Praktikanten, liebe Absolventen! Sie sind die Zukunft unseres Landes und nicht
seine Reserve an billigen Arbeitskräften!
Vielen Dank.
({5})
Ich erteile das Wort Kollegin Anette Kramme, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Früher fiel es schwer, den Plural des Wortes Praktikum zu bilden, viele sagten „Praktikums“ oder,
noch schrecklicher, „Praktikas“. Heute hört man
den Plural nur noch in der richtigen Form. … Sie
- die Praktikanten spazieren in die Firmen, sie werden von den älteren
Kollegen ob ihrer Jugend und ihres Fleißes geliebt,
aber diese Liebe ist nicht von Dauer. Sie werden benutzt, aber nicht gebraucht.
Leider ist mir dieser schöne Spruch nicht eingefallen.
Ich habe ihn aus der „Zeit“ vom 31. März 2005 zitiert.
Spätestens seit diesem Artikel wissen wir, dass es eine
„Generation Praktikum“ gibt. Das Studium ist längst
keine sichere Eintrittskarte mehr in das Berufsleben.
Auch Hochschulabsolventen müssen oft monatelang um
einen Arbeitsplatz kämpfen.
Um die Dramatik des Themas ein wenig zu veranschaulichen, habe ich im Internet recherchiert und mir
laufende Stellenausschreibungen für Praktikanten angeschaut. Ich möchte an dieser Stelle nur ein einziges,
dafür aber signifikantes Beispiel nennen: eine PR-Agentur aus Frankfurt am Main. Voraussetzung für das dreibis sechsmonatige Praktikum ist unter anderem ein abgeschlossenes Hochschulstudium, erste Erfahrungen im
Kommunikations-, Marketing- oder Medienbereich, idealerweise in einer PR-Agentur, und natürlich hohe Einsatzbereitschaft. Das Unternehmen bietet im Gegenzug
- so ist es tatsächlich formuliert - nette Kollegen, interessante Kunden und die Option zur Übernahme in ein
einjähriges Traineeprogramm.
Die Praktikumsofferte ist zynisch. Man könnte glauben, es sei ein Einzelfall. Es handelt sich aber nicht um
einen Einzelfall. Es handelt sich vielmehr um die verflixte Realität. Unzählige solcher Beispiele lassen sich
finden.
Was verstehen wir generell, abstrakt unter einem
Praktikum? In der Regel wird „Praktikum“ definiert als
Lernverhältnis, das für einen begrenzten Zeitraum zur
beruflichen Orientierung und zum Erwerb erster beruflicher Kenntnisse absolviert wird. Diese primären Zielsetzungen des Praktikums werden immer häufiger verfehlt.
Praktikantinnen und Praktikanten werden oft als billige
oder kostenlose Arbeitskräfte missbraucht.
({0})
Es gibt derzeit keine bundesweit erhobenen belastbaren Daten über die Zahl der Hochschulabsolventen, die
unbezahlte Praktika absolvieren. Aber es ist nicht zu
übersehen, dass immer mehr Hochschulabsolventen im
Anschluss an das Studium nicht den Berufseinstieg finden, sondern stattdessen ein Praktikum, dann vielleicht
noch eines und dann noch ein weiteres absolvieren.
In einer repräsentativen Studie der FU Berlin gaben
im Jahr 2005 ein Viertel der Absolventen aus dem Jahrgang 2000 an, nach dem Studium Praktika absolviert zu
haben. In fast der Hälfte der Fälle waren die Praktika unbezahlt. Die Stichprobe der DGB-Jugend weist in eine
ähnliche Richtung. Von 100 befragten Praktikanten sagte
die Hälfte, sie hätten eine reguläre Stelle ersetzt. 40 Prozent von ihnen bekamen trotz Vollzeittätigkeit keinerlei
Lohn.
Das Problem „Generation Praktikum“ ist interessanterweise kein spezifisch deutsches Thema. In mehreren
Ländern der EU hat sich ein regelrechter Praktikantenarbeitsmarkt herausgebildet. Dessen Merkmale sind ein
extrem hohes Qualifikationsniveau, flexibelste Arbeitszeiten, Überstundenbereitschaft, niedrige Sozialstandards und eine geringe bis keine Entlohnung.
Es ist wichtig, dass wir das Thema „Generation Praktikum“ heute auf der Tagesordnung haben. Die Anträge
der Linken und der Grünen enthalten allerdings keine
neuen Aspekte. All die angesprochenen Gesichtspunkte
sind bereits in die Überlegungen des BMAS eingeflossen.
({1})
Ein Teil der Praktikanten fällt derzeit unter § 26 des
Berufsbildungsgesetzes. Der Lernzweck des Praktikums steht nach den in § 26 genannten Vorschriften im
Vordergrund. Nichtsdestotrotz haben diese Praktikanten
Anspruch auf Vergütung. Auch das Bundesurlaubsgesetz, das Arbeitszeitgesetz und das Betriebsverfassungsgesetz finden Anwendung. Steht jedoch nicht der Lernzweck im Vordergrund, sondern das Erbringen einer
Arbeitsleistung, so handelt es sich - auch wenn als Praktikum tituliert - um ein Arbeitsverhältnis.
({2})
Gestatten Sie mir, dass ich kurz aus einem Urteil des
Bundesarbeitsgerichtes aus dem Jahr 2003 zitiere - dort
ist dies ganz hübsch zusammengefasst -:
Arbeitnehmer ist, wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienst eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist …
Demgegenüber ist ein Praktikant in aller Regel vorübergehend in einem Betrieb praktisch tätig, um
sich die zur Vorbereitung auf einen - meist akademischen - Beruf notwendigen praktischen Kenntnisse und Erfahrungen anzueignen. … Die Vergütung ist der Höhe nach deshalb
- im letzteren Fall auch eher eine Aufwandsentschädigung oder Beihilfe zum Lebensunterhalt.
Scheinpraktikanten haben also die Möglichkeit, vor
das Arbeitsgericht zu ziehen. Der Betroffene kann auf
eine angemessene Vergütung nach § 138 des Bürgerlichen Gesetzbuches klagen. Es besteht auch die Möglichkeit, die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Wir haben im
Strafgesetzbuch eine spezielle Vorschrift zum sogenannten Lohnwucher. Tatsächlich ist dies das aber eine sehr
hohe Hürde. Zum einen wissen viele nicht um ihre
Rechte - ich denke, das ist ein Hauptproblem -, zum anderen scheuen sie den Weg zum Gericht. Denn es besteht
die vage Hoffnung auf Festanstellung. Den Einstieg ins
Unternehmen will man sich schließlich nicht verbauen.
Ich sage ganz klar: Wenn Unternehmen Vollzeitarbeit,
die es bei ihnen gibt, von Menschen erledigen lassen, die
man Hospitanten, Volontäre oder Praktikanten nennt,
und ihnen kein Geld dafür gibt, dann ist das unerträglich.
({3})
Erstens müssen wir in den nächsten Wochen politisch
klären, bei welcher Art von Praktika tatsächlich politischer oder rechtlicher Handlungsbedarf besteht. Bei einem Schülerpraktikanten, der für eine Woche in einen
Betrieb hineinschaut, besteht sicherlich kein Handlungsbedürfnis. Interessanter ist die Thematik der Hochschulabsolventen. Interessant ist die Problematik allerdings
auch bei Studenten. Denn Studenten können durchaus
relevante Arbeitsleistung erbringen.
Zweitens müssen wir klären, ob es rechtlich erforderlich ist, in § 26 Berufsbildungsgesetz eine genaue Definition des Begriffes Praktikum in Abgrenzung zum Begriff Arbeitsverhältnis vorzunehmen. Das BAG arbeitet
durchaus mit diesen Begrifflichkeiten. Da ist genauer
vorzugehen. Meine Damen und Herren der Linken, Ihr
Antrag bleibt an dieser Stelle schlichtweg oberflächlich.
Drittens. Wir müssen klären, ob es sinnvoll ist, den
Parteien eines Praktikumsvertrages aufzuerlegen, dass
eine schriftliche Niederlegung der Vertragsbedingungen
zu erfolgen hat.
Viertens. Wir sollten auch darüber reden, ob durch
eine gesetzliche Regelung festgelegt werden soll, dass
die Ausbildungsinhalte für das jeweilige Praktikumsverhältnis konkret umschrieben werden müssen. Ich denke,
das würde dem Arbeitgeber klarmachen, was er machen
oder nicht machen muss. Dies könnte in einem ersten
Schritt schnell umgesetzt werden.
Fünftens. Wir müssen abschließend eine politische
Entscheidung darüber treffen, ob es sinnvoll ist, einen
zeitlichen Rahmen für die Lernverhältnisse gesetzlich
festzuschreiben.
Praktika sind wichtig. Es darf aber nicht passieren,
dass sich Arbeitgeber aufgrund gesetzlicher Regelungen
aus der Ausbildung zurückziehen. Ausbeutung darf umgekehrt aber genauso wenig stattfinden. Wir werden
sorgfältig abwägen, welche Maßnahmen wir ergreifen
können.
Ganz herzlichen Dank.
({4})
Ich erteile das Wort Kollegen Kai Gehring, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! „Der dümmste Hund im ganzen Land, das ist
und bleibt der Praktikant“ - so titelte die „tageszeitung“
vor einigen Wochen zum Thema Generation Praktikum.
Ich fürchte, dies trifft das Gefühl und die Lebensrealität
zahlreicher junger Menschen in unserem Land gut. Belegt wird dies unter anderem durch die beeindruckende
Unterstützung für die Petition gegen die Ausbeutung von
Praktikanten. Über 60 000 junge Menschen, darüber hinaus fairwork e. V. und die Gewerkschaften dürfen wir
hier im Bundestag nicht ignorieren. Daher bringen wir
heute auch eine wichtige gesellschaftliche Debatte ins
Parlament.
Die Realität sieht folgendermaßen aus: Viele Hochschulabsolventinnen und -absolventen finden nach dem
Studium nicht sofort eine feste Stelle. Um Lücken im
Lebenslauf zu vermeiden, nehmen sie fast jede Form
von Beschäftigung an. „Schwarze Schafe“ unter den Unternehmen nutzen dies aus und bieten statt vollwertiger
Jobs geringfügig oder nicht bezahlte Praktika an. Das
geht dann klar zulasten regulärer Beschäftigung. Gleichzeitig gilt auch: Ein Hochschulabschluss ist und bleibt
die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit. Wir dürfen das Problem der Generation Praktikum also weder
verharmlosen noch dramatisieren, sondern wir müssen
es anpacken und Lösungen dafür vorschlagen.
({0})
Die Ausnutzung von Praktikantinnen und Praktikanten dürfen wir nicht akzeptieren. Ich habe die Hoffnung,
dass das hier im Parlament auf breiten Konsens stößt. Es
ist offensichtlich: Die Generation Praktikum ist kein Medienhype, sondern für Tausende junger Menschen prekäre Realität. Die Botschaft unserer heutigen Debatte
muss daher lauten: Wo Praktikum draufsteht, muss Fairness drin sein.
Es wurde Zeit, dass sich der Bundestag endlich mit
dem Thema beschäftigt. Es hat ja über ein Jahr gedauert,
bis ein Kabinettsmitglied erstmals das Problem erkannt
und benannt hat. Frau Kramme, es ist schon wirklich ein
starkes Stück, dass Sie unsere Vorschläge mal eben so
abkanzeln und sich dazu inhaltlich überhaupt nicht positionieren, obwohl Sie selber als Koalition noch gar
nichts vorgelegt haben.
({1})
Wir Grüne sind da schon weiter: Wir waren die erste
Fraktion, die das Thema im Parlament auf die Agenda
gesetzt und eigene Vorschläge für faire Praktika gemacht
hat. Wir haben in unserem Antrag ein Maßnahmenbündel vorgelegt, um der Generation Praktikum Perspektiven zu eröffnen.
Auch das Agieren der Linksfraktion in dieser Debatte
ist wenig hilfreich. Gleich den Holzhammer herauszuholen, sei es der gesetzgeberische oder rhetorische, hilft
uns in dieser Debatte nicht weiter.
({2})
Wir Grüne wollen erstens keine Endlospraktika. Je
länger ein Praktikum dauert, desto mehr steht Arbeit
statt Lernen im Vordergrund. Deswegen sollen Praktika
während des Studiums in der Regel nicht länger als vier
Monate dauern. Praktika nach dem Studium sollten eher
die Ausnahme sein. Ein Studium muss für den direkten
Berufseinstieg qualifizieren und nicht für Praktikaschleifen.
Wir wollen zweitens kein Praktikum ohne Vergütung.
Wer ein Praktikum macht, soll dafür auch eine Aufwandsentschädigung erhalten. Die Tarifpartner sind gefordert,
hierzu angemessene Regelungen zu treffen; denn neben
einem Vollzeitpraktikum kann man keinen Lebensunterhalt mehr verdienen. Deshalb muss gerade Unternehmen, die Praktikanten teilweise fest als billige Arbeitskraft einplanen, klargemacht werden: Ein Praktikum ist
ein Lern- und kein Arbeitsverhältnis.
Ein Mindestlohn für Praktikanten schafft aus unserer
Sicht allerdings eher einen Niedriglohnsektor für Akademikerinnen und Akademiker und könnte das Problem
zementieren, anstatt es zu lösen.
({3})
Wir wollen drittens keine falschen Versprechungen.
Deshalb ist es richtig, ein unabhängiges Gütesiegel
„Faires Praktikum“ einzuführen. Die Arbeitgeber verpflichten sich damit auf überprüfbare Mindeststandards
für faire Praktika, damit diejenigen, die eine Praktikumsstelle suchen, auch wissen, was sie erwartet und wo es
fair zugeht.
Viertens. Wichtig ist bei dieser ganzen Debatte auch,
darauf hinzuweisen, dass wir den Praxisbezug im Studium stärken wollen. Wer Praktika von Absolventen reduzieren will, muss letztlich Praktika im Studium fördern. Deswegen fordern wir auch die Hochschulen auf,
in allen Studiengängen Praktika verbindlich zu verankern; denn so lernen Studierende früher, was sie später
für die Berufspraxis brauchen, wobei Praxisbezug kein
Selbstzweck ist.
Wir wollen fünftens auch eine bessere Studierendenund Absolventenberatung; denn das ist gut für den besseren Übergang vom Studium zum Beruf.
Ich bin auch der Meinung, dass wir prüfen sollten, ob
es beim Berufsbildungsgesetz Änderungsmöglichkeiten
gibt. Ich bin sehr gespannt, was hierzu aus dem
Müntefering-Ministerium auf den Tisch kommen wird.
Sie sehen, es gibt keine einfachen Lösungen für das
komplexe Problem, aber mit den Vorschlägen der Grünen können wir einen großen Schritt tun, um die Ausnutzung von Praktikantinnen und Praktikanten zu beenden.
Wir haben als erste Fraktion im Deutschen Bundestag
faire Mindeststandards für Praktikanten in Fraktionsund Abgeordnetenbüros beschlossen. Wir appellieren
auch an alle anderen Fraktionen: Folgen Sie unserem
Beispiel oder machen Sie die Regelungen, die Sie haben,
transparent! Wir alle müssen mit gutem Beispiel vorangehen, wenn es um faire Praktikumsbedingungen geht.
({4})
Das gilt übrigens auch und ganz besonders für die
Bundesregierung. Es ist ein Armutszeugnis, wenn Sie
freimütig erklären, dass es für Praktika im Kanzleramt
oder in den Ministerien grundsätzlich keine Vergütung
gibt.
({5})
Das zeigt, dass die Problematik der Generation Praktikum Anstrengungen von allen Seiten erfordert. Politik,
Hochschulen, Arbeitgeber, Gewerkschaften, Arbeitsagenturen, Studierende und Absolventen, sie alle müssen
gemeinsam an einem Strang ziehen. Es ist höchste Zeit,
dass auch die Große Koalition hierzu einen Beitrag leisKai Gehring
tet. Dann können wir die Generation Praktikum hoffentlich bald wieder aus unserem Wortschatz streichen.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Franz Romer,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sprechen heute über ein Thema, das sich inzwischen
in der öffentlichen Diskussion unter dem Begriff „Generation Praktikum“ eingeprägt hat. Es gibt in Deutschland
viele Unternehmen und Behörden, die jungen Menschen
nach dem Schulabschluss oder während des Studiums einen Einblick in die praktische Arbeit bieten oder auch
erst dazu beitragen, dass sich junge Menschen für ein
Berufsziel entscheiden. Zudem bieten Praktika den Arbeitnehmern und Arbeitgebern die Möglichkeit, einander besser kennenzulernen. Wie wir aus der Arbeitsvermittlung wissen, kann daraus häufig auch eine
Festanstellung entstehen.
Doch wie in jedem System gibt es auch hier in der
Praxis einige schwarze Schafe, die die Abhängigkeitssituation und die Lage auf dem Arbeitsmarkt ausnutzen,
um mit Praktikanten preiswerte Arbeitskräfte zu gewinnen. Verfolgt man die Diskussion zum Thema „Generation Praktikum“, so wird von einer starken Zunahme von
unbezahlten oder gering entlohnten Praktika von Berufsanfängern ausgegangen.
Zu dieser Gruppe gehören besonders die gut qualifizierten Hochschulabsolventen.
Die Betroffenen berichten, dass es inzwischen in einigen Branchen völlig normal sei, dass qualifizierte Praktikanten unentgeltlich oder gering entlohnt über einen sehr
langen Zeitraum beschäftigt werden. Dabei dienen diese
Stellen nicht primär der Aus- oder Weiterbildung, sondern entsprechen eher der Charakteristik gewöhnlicher
Arbeitsplätze.
Die Große Koalition weiß um dieses Problem. Franz
Müntefering hat schon im September letzten Jahres betont, dass die Bundesregierung dieses Problem mit Sorge
betrachtet und an verschiedenen Maßnahmen zu seiner
Lösung arbeitet.
Die Anträge des Bündnisses 90/Die Grünen und der
Linksfraktion sind voreilig und schießen über das Ziel
hinaus. Deshalb lehnen wir sie ab. Bevor bestehende Gesetze geändert oder gar neue beschlossen werden, sollten
wir erst einmal eine genaue Ermittlung des Sachverhalts
durchführen. Denn wir brauchen eine solide Basis für
die weitere Diskussion.
Wir müssen auch prüfen, ob nicht schon die bestehenden Regelungen eine Handlungsmöglichkeit bieten. Im
Antrag der Grünen wird zum Beispiel eine zeitliche Befristung gefordert, die durch eine Selbstverpflichtung
der Unternehmen erreicht werden soll.
({0})
Meiner Meinung nach geht es wirklich nicht um die
Dauer der geleisteten Praktika.
({1})
Vielmehr sind die Praktikumsstellen vom ersten Tag an
wirkliche Arbeitsverhältnisse mit Anspruch auf Arbeitsentgelt. Mit einer zeitlichen Begrenzung lösen wir dieses
Problem also nicht.
Die Linksfraktion fordert in ihrem Antrag zunächst
einmal eine ordentliche Überregulierung aller Praktikumsverhältnisse. Dem können wir nicht zustimmen.
Das BMA befasst sich momentan mit der Auswertung
der Datenlage. Des Weiteren prüft das BMA die rechtlichen Handlungsoptionen und erstellt Material zur Information der Praktikanten, wie es im Antrag der Grünen
gefordert wird. Es geht vor allem darum, den Betroffenen all ihre Möglichkeiten, Rechte und Pflichten aufzuzeigen, die zum Beispiel im Bundesbildungsgesetz zur
Regelung von Praktika bereits festgelegt worden sind.
Wir müssen die abschließenden Bewertungen des Ministeriums abwarten, um die tatsächliche Lage besser beurteilen zu können. Damit wäre dann aber der Forderung
beider Anträge nach mehr Informationen Rechnung getragen.
Fragen wir uns nach den Ursachen für die Entwicklung im Bereich der Praktika, so wird schnell klar, dass
die Probleme auf dem Arbeitsmarkt die Unternehmen
und die Behörden erst in die Lage versetzen, das Überangebot an gut ausgebildeten Berufsanfängern auszunutzen. Wir müssen also dafür sorgen, dass Hochschulabgänger ihr frisches Wissen und Können nicht in endlos
aneinandergereihten Praktika vergeuden. Wir müssen
den Arbeitsmarkt stärken, den Berufsanfängern einen
geordneten Berufseinstieg ermöglichen und unserer
Volkswirtschaft das wichtige Know-how der hochqualifizierten Absolventen zuführen.
Manchmal hat man das Gefühl, Absolventen suchen
schon gar nicht mehr nach einem Arbeitsplatz, sondern
reihen ein Praktikum an das andere. Das ist eine absurde
Vorstellung. Dieses Problem ist nicht in erster Linie
durch Neuregelungen bei den Praktika zu lösen. Eine
Überregulierung aller Praktikumsverhältnisse darf nicht
dazu führen, dass die Unternehmen oder Behörden, die
ordnungsgemäße Praktika anbieten, keine Anreize mehr
haben, Stellen zur Verfügung zu stellen.
Ich unterstütze ausdrücklich die Initiative „Fair Company“ unter der Schirmherrschaft Franz Münteferings.
Sie ist ein Gütesiegel für Unternehmen, die sich bestimmten Regeln für faire Praktika unterwerfen. Sie garantieren unter anderem, keine regulären Arbeitsplätze
durch Praktika zu ersetzen
({2})
und keine Bewerber auf ordnungsgemäße Stellen mit
Praktika zu vertrösten.
({3})
Auch wir Bundestagsabgeordnete beschäftigen in
unseren Büros Praktikanten. Wir sollten Vorbild sein
({4})
und uns ebenfalls fair verhalten, wenn es um die Vergabe
und Ausgestaltung von Praktikumsplätzen geht. Ich persönlich biete in der Regel Studierenden nur ein auf sechs
bis acht Wochen begrenztes Praktikum an.
({5})
Junge Berufseinsteiger mehrere Monate unentgeltlich
oder gering bezahlt zu beschäftigen, halte ich für nicht
vertretbar.
Ich fasse zusammen: Wir werden die Anträge von
Bündnis 90/Die Grünen und der Linkspartei ablehnen.
Wir sehen das Problem; doch die Anträge sind zur Lösung nicht geeignet. Das BMA wird eine Datenbasis und
einen Handlungsrahmen erarbeiten. Die Große Koalition
wird weiter die Rahmenbedingungen verbessern, damit
gerade junge Berufseinsteiger bessere Möglichkeiten bekommen. Wenn uns eine weitere Verbesserung am Arbeitsmarkt durch sinkende Lohnnebenkosten und durch
eine Verbesserung der Rahmenbedingungen gelingt,
müssen wir über dieses Thema nicht mehr reden.
Ich bedanke mich.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegen Swen Schulz, SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Generation Praktikum“ ist bei den „Wörtern des
Jahres“ 2006 auf Platz zwei gelandet, hinter „Fanmeile“
und vor „Karikaturenstreit“. In Berlin läuft gerade ein
Theaterstück mit dem Titel „Tod eines Praktikanten“.
Die beiden Petitionen zum Thema Praktika haben zusammen die Unterstützung von über 100 000 Bürgerinnen
und Bürgern erhalten. Das sind Schlaglichter, die deutlich machen, dass es im Bereich Praktika ernste Probleme gibt, die viele Menschen betreffen. Sie zeigen die
Notwendigkeit, dass wir im Deutschen Bundestag über
Handlungsmöglichkeiten sprechen.
Nachdem sich die SPD-Fraktion schon im letzten Jahr
mit dieser Thematik befasst hat und Franz Müntefering
angekündigt hat, sich diesem Thema zu widmen, liegen
nun Anträge der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen vor. Bei allen Differenzen, die in der Debatte deutlich geworden sind, sage ich: Vom Grundsatz
her freue ich mich darüber, dass Sie sich mit diesen Anträgen mit dem Thema beschäftigen und dass wir uns
hierüber austauschen.
Um dem Problem auf den Grund gehen zu können,
muss man zunächst einmal feststellen: Nicht alle Praktika sind schlecht.
({0})
Im Gegenteil - das sage ich auch an die Adresse der Zuschauerinnen und Zuschauer, von denen viele jüngeren
Alters sind -, es ist so, dass die meisten Praktika sinnvoll
sind und erfolgreich durchgeführt werden. Sie sind unverzichtbarer Bestandteil von Ausbildungen und Studiengängen, weil sie Einblicke in die Arbeitswelt verschaffen. Zeitlich begrenzt werden berufliche Fertigkeiten
vermittelt, die auf dem weiteren Lebensweg enorm helfen. Das sind faire Praktika; sie finden unsere volle Unterstützung.
({1})
Aber es gibt eben auch unfaire Praktika. Immer häufiger wird berichtet, dass Arbeitsplatzsuchende wie Praktikanten eingestuft, aber wie reguläre Arbeitskräfte eingesetzt werden. Das sind die genannten Scheinpraktika:
ohne oder nur für geringe Bezahlung und ohne soziale
Absicherung, sechs Monate, ein Jahr oder gar länger, als
Ersatz für regulär Vollzeitbeschäftigte. Dagegen wollen
wir vorgehen.
({2})
Offenbar hat sich ein regelrechter Praktikantenarbeitsmarkt herausgebildet. Es gibt Unternehmen, die die Not
der Leute schamlos ausnutzen, sie ködern mit dem Versprechen, dass, wenn sie im Praktikum gute Leistungen
zeigen, eine reguläre Stelle in Aussicht stehe. Diese Versprechen erweisen sich häufig als trügerisch.
({3})
Die Kosten für die Gesellschaft und für die Betroffenen
sind hoch: Vollwertige Arbeitsplätze werden verdrängt,
Sozialversicherungsabgaben fehlen, Steuern werden
nicht gezahlt, der Staat muss mit Transferzahlungen
mehr Hilfe zum Lebensunterhalt leisten. Man muss sich
auch einmal vergegenwärtigen, wie sozial ungerecht das
ist: Wer kann es sich schon leisten, monatelang ohne Bezahlung zu arbeiten, allein in der Hoffnung, im Anschluss einen Job zu bekommen? Außerdem wird die Familiengründung durch so eine Phase natürlich erschwert.
({4})
Studium und Qualifikation werden unattraktiver, wenn
sich die Leute fragen müssen, wann sie nach dem Studium bzw. nach der Ausbildung endlich ins reguläre Arbeitsleben eintreten können.
Eine Reihe von Unternehmen schert sich nicht um
Verantwortung, will einfach nur Kosten sparen. Aber am
Swen Schulz ({5})
Ende werden auch diese Unternehmen es teuer bezahlen,
wenn sie so mit dem Nachwuchs an qualifizierten Arbeitskräften umgehen. Das darf so nicht weitergehen.
Wir müssen faire Praktika unterstützen und dürfen diese
neue Form der Ausbeutung nicht tolerieren.
({6})
Es gibt einige untergesetzliche Maßnahmen, die wir
ergreifen sollten und von denen einige in den Anträgen
genannt sind. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales richtet bereits ein Internetportal mit Informationen
für Praktikantinnen und Praktikanten ein. Denn sie haben Rechte, wie die Kollegin Kramme bereits ausgeführt
hat.
Wir sollten auch die Gewerkschaften und die vernünftigen Unternehmen mit ins Boot holen. Viele sehen ja,
dass da etwas schiefläuft. Die Initiative „Fair Company“, deren Schirmherr Franz Müntefering ist, zählt
heute fast 700 Unternehmen, die sich zu fairen Praktika
bekennen und verpflichten, und es kommen täglich neue
hinzu.
({7})
Das ist eine gute Basis für eine breite Aktion, vielleicht
für eine Stiftung, die sich um faire Praktika kümmert.
Wir müssen mit den Betroffenen zusammenarbeiten und
uns auch anschauen, was die Arbeitsagenturen und die
Jobcenter machen.
Die Hochschulen können helfen, und die öffentlichen
Arbeitgeber müssen mit gutem Beispiel vorangehen.
Das ist hier bereits gesagt worden, und das betrifft insbesondere die Bundesregierung und den Deutschen Bundestag sowie seine Abgeordneten. Es ist richtig, dass
sich der Ältestenrat auf Initiative der SPD mit dem
Thema befasst. Ich setze einfach einmal auf eine breite
Unterstützung nach der heutigen Debatte.
({8})
In den Anträgen und auch in den angesprochenen Petitionen werden zusätzlich gesetzliche Maßnahmen gefordert. Es dreht sich dabei vor allem um die klarere Definition von Praktika, damit alle Beteiligten genauer
wissen, was Recht ist. Es geht um eine Höchstdauer von
Praktika, weil mit der Dauer auch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass aus dem Lernverhältnis ein Arbeitsverhältnis wird, und vielfach wird eine vorgeschriebene
Vergütung gefordert.
Wir müssen das diskutieren. Ich bitte aber alle Fraktionen herzlich, es sich dabei nicht zu einfach zu
machen, sondern mit uns zusammen sorgfältig darüber
nachzudenken, womit wir die Situation wirklich verbessern; denn es gibt ja bereits einen rechtlichen Schutz.
Offenkundig haben wir aber ein Durchsetzungsproblem.
Schließlich sind die Praktikantinnen und Praktikanten in
einer denkbar schwachen Position. Die Frage ist also:
Was hilft in der Realität?
Wir müssen ein Weiteres bedenken: Gesetze bergen
immer auch die Gefahr, dass überreglementiert wird mit unerwünschten Folgen.
({9})
Ich möchte hier nicht großartig ein Gesetz machen, mich
dabei ganz toll fühlen und hinterher Briefe erhalten, in
denen steht: Ihr habt das ja vielleicht gut gemeint, aber
das Gesetz führt dazu, dass das Praktikum, das ich machen wollte, jetzt nicht mehr möglich ist, weil es nicht
mehr angeboten werden kann. - Es gibt also einen Unterschied zwischen gut gemeint und gut gemacht. Das
müssen wir dabei bedenken.
({10})
Darum sage ich Ihnen für die SPD-Fraktion zu: Wir
werden die verschiedenen Forderungen und Möglichkeiten sorgfältig prüfen und mit Ihnen gemeinsam diskutieren, um dann zu schauen, was die beste Vorgehensweise
ist. Kollegin Kramme hat dazu ja schon einiges gesagt.
Zum Schluss sage ich: Wenn wir das hinbekommen,
dann leisten wir einen wichtigen Beitrag dazu, den Leuten tatsächlich zu helfen, sodass bald vielleicht nicht
mehr von der Generation Praktikum, sondern von der
Generation Arbeit die Rede ist.
Vielen Dank.
({11})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/3349 und 16/3544 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen,
wobei die Federführung jeweils beim Ausschuss für Bil-
dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung liegen
soll. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, Hartwig
Fischer ({0}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele Groneberg, Dr. Sascha Raabe,
Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Energie- und Entwicklungspolitik stärker verzahnen - Synergieeffekte für die weltweite
Energie- und Entwicklungsförderung besser
nutzen
- Drucksache 16/4045 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute
Koczy, Thilo Hoppe, Marieluise Beck ({2}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Rohstoffeinnahmen für nachhaltige Entwicklung nutzen
- Drucksache 16/4054 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({3})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Gabriele Groneberg, SPD-Fraktion, das Wort.
({4})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Energie
ist in den letzten Monaten ohne Frage das Thema Nummer eins. Sorgen um unsere eigene Energiesicherheit,
steigende Energiepreise überall auf der Welt und vor allem auch ein zunehmender Energiehunger in Entwicklungs- und Schwellenländern bestimmen die Diskussionen. Wir alle wissen: Eine sichere und wirtschaftlichere
Energieversorgung ist ein überaus wichtiger Standortfaktor für alle Volkswirtschaften. Der Faktor Energie
entscheidet mit über deren Zukunftsfähigkeit.
Die Versorgung mit Energie ist entscheidend für
wirtschaftliches Wachstum, für Gesundheit und Bildung,
für menschlichen Wohlstand. Die Frage der Energie berührt eben alle Bereiche der gesellschaftlichen Entwicklung.
Energiepolitik - und das mit ihr verbundene Interesse
an einer ausreichenden Energieversorgung - hat inzwischen oberste Priorität auf der politischen Agenda. Die
deutsche EU-Ratspräsidentschaft widmet sich aus gutem Grund diesem Thema. Antworten auf die aktuellen
energiepolitischen Fragen zu finden hat in diesen Zeiten
absoluten Vorrang, ja ist geradezu mit Brisanz versehen,
denkt man an unberechenbare Gas- und Öllieferanten,
das Versiegen vorhandener Ölfelder, die Debatte um eine
Renaissance der Atomkraft, den wachsenden Energiebedarf der Schwellen- und Entwicklungsländer und damit
selbstverständlich auch eine Verschärfung der Ressourcenkonkurrenz sowie die Konflikte und Kriege, die daraus resultieren.
Nicht zu vergessen: Das Thema Energie ist mehr als
nur Versorgung: Die Aspekte der Klimaverträglichkeit
gewinnen in dramatischer Weise an Bedeutung; der
Streit um die Klimaveränderungen, deren Herkunft
und Auswirkungen nimmt an Heftigkeit zu. Es verwundert also nicht, dass in diesen Zeiten der Begriff der
Energieaußenpolitik geprägt wurde.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, untrennbar
verbunden werden müssen selbstverständlich auch Energie- und Entwicklungspolitik. Dies betrifft die vorhandenen oder eben nicht vorhandenen Ressourcen ebenso wie
die klimatischen Auswirkungen. Unser vorliegender Antrag beschäftigt sich ausführlich mit diesen Problemen.
Ich will an einigen Beispielen deutlich machen, worum
es hier geht.
Beispiel Afrika. Auf unserem afrikanischen Nachbarkontinent liegt ein Zehntel der weltweit bekannten Ölreserven. Diese Ölvorkommen bergen ein enormes Potenzial, eine einmalige Chance für die betroffenen Staaten,
energetisch, aber vor allen Dingen auch finanziell, wenn
es darum geht, das aus der Ölförderung gewonnene Geld
in Wachstum und Entwicklung in diesen Ländern zu investieren.
Deshalb müssen wir gerade jetzt die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung der rohstofffördernden Länder und Regionen mit dem Ziel unterstützen,
dass das Geld in den wichtigen Bereichen wie Versorgung der Bevölkerung mit Wasser und Energie und Aufbau von Bildungs- und Gesundheitssystemen ebenso wie
für die wirtschaftliche Entwicklung Verwendung findet.
({0})
Ressourcen können Fluch und Segen mit sich bringen. Wir wissen, dass die größten Probleme in diesem
Zusammenhang im Bereich der Korruption von Regierungen und in den Eigeninteressen diverser Machtcliquen liegen. Die Undurchsichtigkeit der Einnahmeflüsse
begünstigt schlechte Regierungsführung und die Veruntreuung von Mitteln. Von 1997 bis 2002 sind alleine in
Angola 1,5 Milliarden Dollar in diesem Bereich versickert und damit verlorengegangen - und dies angesichts
der vielen Probleme gerade in diesem Land.
Wir, die Industriestaaten, sind aufgefordert, Entwicklungs- und Schwellenländer in ihren Bestrebungen nach
einem transparenten Abbau ihrer Rohstoffe zu unterstützen, damit die Gewinne der Bevölkerung in den Ländern
zugutekommen.
Hier kommt der Transparenzinitiative für den Rohstoffsektor, „Extractive Industries Transparency Initiative“, EITI, eine besondere Bedeutung zu. Sie fordert
eine Offenlegung der Einnahmen aus der Rohstoffwirtschaft, um durch Transparenz die Korruption zu bekämpfen. Deshalb fordern wir mit dem vorliegenden
Antrag auch, dass die Initiative in ihrer Arbeit weiterhin
politisch, organisatorisch und finanziell unterstützt wird.
({1})
Es wird in Zukunft auch auf internationaler sowie auf
bilateraler Ebene wichtig sein, dass im Dialog mit den
EITI-Staaten deutlich gemacht wird, dass die vollstänGabriele Groneberg
dige Umsetzung der eingegangenen Verpflichtung für
tatsächliche Transparenzfortschritte unabdingbar ist.
Ebenso müssen wir regionale Kontrollmechanismen
unterstützen. Ganz wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass wir, wie wir es auch in unserem Antrag fordern, bestehende Strukturen zum Beispiel in Afrika stärken. Die Initiative „New Partnership for Africa’s
Development“, NEPAD, ist hier ein entscheidender
Schritt in die richtige Richtung. Erstmals bekannten sich
bei der Gründung der Initiative im Jahr 2001 die afrikanischen Regierungschefs zu ihrer Verantwortung, durch
gute Regierungsführung die Grundlagen für eine nachhaltige Entwicklung des Kontinents schaffen. NEPAD
zeigt die Einsicht der afrikanischen Staaten in die Notwendigkeit von Good Governance, wie man auf Neudeutsch so schön sagt, von guter Regierungsführung
eben. Nur eine gute Regierungsführung wird bei rohstoffreichen Entwicklungsländern zur Verteilungsgerechtigkeit beitragen.
Aber nicht alle Entwicklungsländer sind mit Ressourcen, vor allem im Energiebereich, gesegnet. 2 Milliarden
Menschen haben heute auf diesem Globus keinen Zugang zu Elektrizität; vielen anderen fehlt der Zugang zu
moderner und sauberer Energie. Sie decken ihren Energiebedarf mit Feuerholz und anderer Biomasse.
Der Energiebedarf dieser Länder wird in den nächsten
Jahren aber enorm ansteigen. Der Weltenergieverbrauch wird in den nächsten 30 Jahren um zwei Drittel
zunehmen. Nahezu zwei Drittel des Wachstums werden
dabei auf die Entwicklungsländer entfallen. Die globale
Energienachfrage wird von 30 auf 43 Prozent steigen,
hauptsächlich in Asien.
Damit sind wir bei zwei weiteren Handlungsfeldern
und auch bei der Verbindung von Energie- und Entwicklungspolitik mit dem Thema Klimaschutz. Wirtschaftliches Wachstum führt zu vermehrten CO2-Emissionen,
die wiederum eine nachweisbare und immer deutlicher
empfundene Bedrohung für das Klima darstellen. Nach
seriösen Klimastudien wird bis zum Jahre 2100 die weltweite Temperatur um durchschnittlich 3 Grad Celsius
steigen, der Pegel der Nordsee soll um über 40 Zentimeter steigen.
Jahrzehntelange Anstrengungen im entwicklungspolitischen Bereich könnten durch die Folgen des Klimawandels damit zunichtegemacht werden. Zunehmende
Versteppung und Verwüstung von Landstrichen, verbunden mit immer knapper werdenden Wasserressourcen,
vertreiben die Menschen aus ihren Heimatregionen. Höhere Energieeffizienz, verbunden mit dem Einsatz
erneuerbarer Energien, werden helfen, den steigenden
Energiehunger zu stillen und mindestens den Klimawandel nicht noch weiter anzuheizen.
Ein ganz wichtiges Argument, gerade für rohstoffarme Entwicklungsländer, für den Einsatz erneuerbarer
Energien ist, dass diese entscheidend zur Armutsbekämpfung beitragen können, wenn damit eine Energieversorgung gewährleistet wird, die nachfragegerecht, effizient, kostengünstig und vor allen Dingen dezentral
einsetzbar ist.
({2})
Der Wechsel zu heimischer erneuerbarer Energie
- vor allem wenn sie vor Ort vorhanden ist, wie Windund Sonnenenergie oder Geothermie - befreit die Entwicklungsländer von ihrer Energieimportlast. Die Energieimportlast, die die Entwicklungsländer schultern
müssen, ist immens. Eine Entlastung von mehr als
60 Milliarden US-Dollar kann erreicht werden, wenn
diese Länder nicht die Mehraufwendungen für den gestiegenen Ölpreis aufwenden müssen. Steigt der Preis
pro Barrel Öl nur um einen US-Dollar, treibt das die Ölrechnung der ärmsten Länder pro Jahr um eine Milliarde
US-Dollar in die Höhe.
Vor dem Hintergrund der Energieimportlast und des
sich beschleunigenden Klimawandels müssen wir unsere
Anstrengungen intensivieren, Entwicklungsländern zu
helfen - das gilt insbesondere für die afrikanischen Länder südlich der Sahara -, sich auf die klimatischen Veränderungen einzustellen. Wir in Deutschland sind prädestiniert dafür; wir können das mit leistungsfähigen und
klimafreundlichen Technologien.
Der Aufbau von nuklearer Technologie zur Energieerzeugung kann unserer Meinung nach keine Lösung der
anstehenden Energieproblematik sein;
({3})
denn das verständliche Streben nach Energiesicherheit
und nach Energieunabhängigkeit geht teilweise Hand in
Hand mit der Gefahr des missbräuchlichen Umgangs mit
Nuklearmaterial. Dazu gibt es eine Menge zu sagen.
Mein Kollege wird dazu Ausführungen machen.
Noch vor 20 Jahren haben Ideologien die Außenpolitik bestimmt. Heute steht zunehmend Energiesicherheit
im Zentrum deutscher Außenpolitik. Hier ist es von außerordentlicher Bedeutung, in Zusammenhängen zu denken. Unser Antrag zeigt: Energie-, Entwicklungs- und
Klimaschutzpolitik können nicht mehr sektoral betrachtet werden. Diese Politikfelder sind komplex miteinander verbunden.
Erneuerbare Energien sind kein Luxus, sie sind ein
Schlüssel zur Armutsbekämpfung. Sie ermöglichen
Energiesicherheit für uns ebenso wie für die Entwicklungsländer.
Ich danke Ihnen.
({4})
Ich erteile das Wort Kollegen Karl Addicks, FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Energiefragen sind in der Tat sehr eng mit Entwicklungsfragen verknüpft. Daher kann ich die Anträge der
Grünen und der Koalition im Grunde nur begrüßen.
Allerdings - ich darf Ihnen das an dieser Stelle sagen habe ich Anlass, mich ein bisschen darüber zu ärgern,
dass Sie uns nur wenig Zeit gegeben haben, uns mit diesen Anträgen zu befassen. Ich habe Ihre Anträge gestern
bekommen; am Montag wurden sie auf die Tagesordnung gesetzt. Ich finde das nicht in Ordnung. Das sollte
in Zukunft früher geschehen. Das wäre ein kollegialerer
Umgang mit der Opposition.
({0})
Aber wir wollen hier nicht lamentieren. Das muss man
wahrscheinlich so hinnehmen.
Sowohl der Antrag der Grünen als auch der der Koalition sind im Grunde nicht verkehrt. Wir haben in unserer
Kleinen Anfrage „Verantwortung der ölproduzierenden
Länder“ diese Fragen schon aufgeworfen. Ich kann mich
aber, ehrlich gesagt, mit der Definition von Konfliktrohstoffen im Antrag der Grünen nicht so richtig anfreunden. Das geht ein bisschen in eine bürokratische Richtung. Wozu die Definition von Konfliktrohstoffen
einführen? Damit wird ein wenig über das Ziel hinausgeschossen.
Außerdem sollten wir im Entwicklungszusammenhang immer wieder sehr ernsthaft über die korrekte Verteilung der Rohstoffeinnahmen der Entwicklungsländer diskutieren. Frau Kollegin Groneberg hat gerade
schon die Beispiele Angola und Nigeria erwähnt und angesprochen, in welcher Höhe nebenbei Gelder abgezweigt werden. Die Summen, die Sie, Frau Kollegin
Groneberg, genannt haben, sind wahrscheinlich stark untertrieben. Ich glaube, dass sie wesentlich größer sind.
Das hat auch etwas mit Post-Conflict-Countries und PreConflict-Countries zu tun. Wir sollten das Augenmerk
viel mehr darauf richten, dass in den Entwicklungsländern Konflikte um die Verteilung von Rohstoffen gar
nicht erst entstehen. Denn wenn Konflikte und Bürgerkriege entstehen, wird unsere ganze Arbeit, die wir als
Entwicklungspolitiker geleistet haben, letztlich zunichtegemacht.
Wenn wir Ihnen aber gute Vorschläge machen, um
Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in manchen Ländern zu fördern und Ungerechtigkeiten zu verhindern,
dann sollten Sie in Zukunft nicht all diese Anträge einfach ablehnen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an
die Anträge, die wir zu Kenia und Südafrika gestellt haben. Sie wissen - ich möchte daran erinnern -, was in
Kenia passiert ist. Es kam zu einer Beschränkung der
Pressefreiheit. Die Eliten in diesen Ländern, die mehr
oder weniger korrupt sind, lachen sich tot, wenn sie sehen, wie wir damit umgehen und dass ihnen im Grunde
überhaupt nichts droht. Wenn Sie dann noch die Nichteinhaltung von Konditionen mit TZ-Maßnahmen flankieren wollen, kann ich mich eines gewissen Lächelns
nicht enthalten. Da kann der Polizei- bzw. Innenminister
von Kenia also ruhig weiter missliebige Zeitungen
schließen und TV-Stationen zerstören. Die Engländer
haben darauf etwas anders reagiert. Wir sollten zumindest ein Signal setzen. Ich würde mich freuen, wenn von
Ihnen ein entsprechendes Signal käme.
({1})
Entwicklung und Energiepreise verhalten sich geradezu umgekehrt proportional, zumindest in den kleineren Ländern, die selber keine Ressourcen haben. Denn
eine höhere Ölrechnung macht zwar die Förderländer
reich. Die anderen aber, die keine Ressourcen haben,
macht sie arm. Dadurch werden wichtige Mittel für die
Entwicklung derjenigen Länder, die keine Ressourcen
haben, letztlich aufgezehrt. Wir haben mit unserer Kleinen Anfrage zur Verantwortung der ölproduzierenden
Länder ein bisschen an die Solidarität zumindest derjenigen OPEC-Länder, die keine Entwicklungsländer
mehr sind und schon einen gewissen Entwicklungsstand
erreicht haben, appelliert, denjenigen unter die Arme zu
greifen, die überhaupt nichts haben.
Die entwicklungspolitische Ausgangslage ist durch
ein globales Bevölkerungswachstum, einen drastischen
Zuwachs des Bedarfs an Primärenergie vor allem in
China und Indien, durch zunehmende geostrategische
Risiken in den Reserveländern, durch überregionale
Machtmonopole des Energiesektors und durch ein Überschreiten des weltweiten Fördermaximums, das wahrscheinlich im nächsten Jahrzehnt erreicht werden wird,
gekennzeichnet. China zum Beispiel hat sich von einem
früheren Rohölexporteur zu einem der größeren Rohölimporteure gewandelt. Wenn das Fördermaximum
überschritten sein wird, wie es im nächsten Jahrzehnt der
Fall sein wird, dann müssen wir wirklich aufpassen.
Denn dann geht es abwärts. Diejenigen Förder- oder
Ressourcenländer, die dann nicht die Chance ergriffen
haben, ihre Wirtschaft auf ein nachhaltiges Wirtschaften umzustellen, werden dann möglicherweise schlecht
aussehen. Die Internationale Energieagentur hat prognostiziert, dass wir bis 2030 einen Anstieg des Primärenergiebedarfes um 52 Prozent haben werden. Darin liegt ein sehr großes Konfliktpotenzial. Hier haben
wir wirklich dringenden Handlungsbedarf.
In den beiden vorliegenden Anträgen, im Antrag der
Koalition und in dem der Grünen, wird vorgeschlagen,
sich von der Konzentration auf die begrenzten Ressourcen zu lösen und auf erneuerbare Energien zu setzen.
Dies ist aus unserer Sicht ein sehr richtiger Ansatz. Ich
erinnere an das Beispiel Namibia; wir haben dieses Land
kürzlich besucht. Namibia wird alsbald im Hinblick auf
seine Elektrizitätsversorgung vor Problemen stehen, weil
die Lieferverträge, die mit Südafrika bestanden, gekündigt wurden und bisher nichts an die Stelle dessen gesetzt worden ist. Wir können nur hoffen, dass in Namibia
Ende dieses Jahres nicht die Lichter ausgehen. Wir sollten alsbald eine Initiative ergreifen und den Namibiern
mithilfe von regenerativen Energien helfen, das Loch zu
stopfen.
({2})
Wir müssen bei unseren zukünftigen Anstrengungen
auch einen Schwerpunkt auf die Energiespeicherung und
auf dezentrale und lokale Nutzungsmöglichkeiten legen.
Insbesondere bei der Elektrifizierung des ländlichen
Raumes sollten wir gezielter vorgehen und sie mit angepassten Instrumenten der Entwicklungszusammenarbeit
fördern.
Aber für eine verantwortliche und sachgerechte Förderung erneuerbarer Energien ist die Liberalisierung
und wettbewerbliche Ausgestaltung dieser Märkte essentiell. Das müssen wir beachten. Ansonsten kann der
Zugang zu elektrischer Energie in diesen Ländern nicht
kostendeckend ermöglicht werden, wodurch die Abhängigkeit von den Lieferanten verstärkt wird.
Ich sehe, dass meine Redezeit abgelaufen ist. Deshalb
kann ich meine Ausführungen leider nicht so beenden,
wie ich es mir gewünscht hätte.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Ich erteile das Wort Kollegen Christian Ruck, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag, den wir als Koalitionäre vorgelegt haben, beschäftigt sich in der Tat mit
einem sehr komplizierten und delikaten, aber auch sehr
wichtigen Thema. Nicht zuletzt deshalb hat Global Witness die heutige Debatte als eine historische Chance bezeichnet, die wir auch nutzen wollen.
In unserem Antrag sind vier Facetten genannt, die
zum Ausdruck bringen sollen, wie sehr Energie- und
Entwicklungspolitik miteinander verzahnt werden müssen.
Die erste Facette ist von Frau Kollegin Groneberg
schon ausführlich dargelegt worden, nämlich dass die
weltweit tendenziell steigenden Energiepreise die Entwicklungsländer, die nicht über eigene Energiequellen
verfügen, in dramatischem Maße ärmer machen.
Das Beispiel Kenia wurde bereits genannt. Allein die
Mehrkosten, die Kenia in den letzten Jahren für steigende Energiepreise aufwenden musste, übersteigen die
gesamten Einnahmen Kenias aus der Entwicklungshilfe.
Die Entwicklungshilfe verliert aber vollständig ihren
Sinn, wenn sie von steigenden Energiekosten aufgefressen wird.
({0})
Dieser Entwicklung kann man nicht tatenlos zusehen.
Sie macht Wachstumschancen zunichte, die wir alle wollen. Sie macht auch die Chancen zunichte, die Millennium-Development-Ziele zu erreichen, und deshalb
müssen wir im Verbund mit unseren Partnern alles tun,
um dem entgegenzuwirken.
Frau Kollegin, Sie haben schon viele Punkte genannt,
zum Beispiel die Energieeffizienz und die erneuerbaren
Energien in den armen Ländern. Ein wichtiger Punkt, in
dem ich Ihnen zustimme, Herr Addicks - er ist auch in
unserem Antrag aufgeführt -, ist, dass wir uns an diejenigen wenden müssen, die in besonderer Weise von der
Erhöhung der Energiepreise - vor allem der Erdölpreise profitieren, nämlich die OPEC-Staaten. An dieser Stelle
wollen wir zum Ausdruck bringen, dass die von der
OPEC geleistete Entwicklungshilfe für die betroffenen
Länder zu wenig ist und entsprechend erhöht werden
muss.
Die zweite Facette - auch das wurde schon genannt ist, dass die Entwicklungsländer insgesamt eine immer
stärkere Schlüsselrolle in der Energie- und Klimapolitik spielen. Berechnungen zufolge werden zwei Drittel
des Zuwachses am Energiebedarf der nächsten 50 Jahre
von den Entwicklungsländern beansprucht. Das hat
schon heute sehr negative klimapolitische Auswirkungen. China zum Beispiel ist nicht nur der größte SO2Emittent, sondern auch der zweitgrößte CO2-Emittent.
Indonesien ist der drittgrößte CO2-Emittent. Das hat eine
traurige Ursache, nämlich die nicht in den Griff zu bekommenden großen Waldbrände in Indonesien, die in
manchen Jahren für bis zu 50 Prozent des weltweiten
CO2-Ausstoßes verantwortlich waren.
So kann es in unser aller Interesse nicht weitergehen.
Deswegen meinen wir, dass gerade in diesem klimapolitischen Zusammenhang der Waldschutz und die technologische Zusammenarbeit intensiviert werden müssen.
Letztere muss darauf hinwirken, dass auch den Entwicklungs- und Schwellenländern gelingt, was uns bereits gelungen ist, nämlich das Wachstum vom Energieverbrauch abzukoppeln. Ich glaube, das ist das A und O,
und es ist nur durch technologische Sprünge und durch
die technologische Zusammenarbeit zwischen den Industrienationen und den Entwicklungs- und Schwellenländern möglich.
({1})
In diesem Zusammenhang möchte ich ansprechen, dass
wir hier die Verantwortung von zum Beispiel China und
Indien einfordern müssen. Diese Länder müssen sich bewegen und sagen: Wir, die Entwicklungs- und Schwellenländer, wollen verantwortungsbewusste Partner im
Kiotomechanismus sein und bekennen uns dazu, in diesem Gesamtsystem mitzumachen.
Die dritte Facette ist ebenfalls dramatisch und betrifft
das Desaster vieler rohstoffreicher und insbesondere
ölreicher Entwicklungsländer im Umgang mit ihrem eigenen Reichtum. Es gibt in rohstoffreichen Entwicklungsländern eine unheilige Allianz aus schwacher Verwaltung und Demokratie, korrupten Eliten und rein
gewinnorientierten, meistens ausländischen Extraktionsfirmen, die oft mit politischer Rückendeckung agieren.
Diese unheilige Allianz hat bislang dafür gesorgt, dass
der Ressourcenreichtum bzw. der Ölreichtum in vielen
Ländern statt zum Segen zum Fluch wurde. Kenianische
Politiker haben vor einigen Jahren die berühmte Aussage
gemacht: Auch bei uns in Kenia suchen nun die Amerikaner nach Öl und wir beten täglich zu Gott, dass sie keines finden. - Das ist eine bizarre Situation, die aber die
Realität in vielen Entwicklungsländern widerspiegelt.
Der Reichtum weniger wird nicht zur Entwicklung vieler
genutzt.
Leider wird diese Situation durch eine sehr aggressive
Beschaffungspolitik großer Schwellenländer wie China,
die neue Global Player sind, noch verschärft. Diese betreiben sozusagen im staatskapitalistischen Verfahren
ganz offen eine Energiebevorratungspolitik. Wir, die Industrienationen, sollten uns vor Scheinheiligkeit hüten;
denn das, was die einen offen machen, haben gelegentlich andere weniger offen versucht, um ihren Energiebedarf zu decken. Aber uns bereitet große Sorgen, dass die
Volksrepublik China in einer Art und Weise auftritt, die
unsere verzweifelten Versuche unterminiert, eine Entwicklungspolitik zu betreiben, die auf Good Governance
und die Einhaltung der Menschenrechte achtet sowie
Bad Governance isoliert und ächtet. Es ist daher entscheidend, dass wir alle, insbesondere die Europäer, gerade während des deutschen Vorsitzes beim G-8-Gipfel
und der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in diesem
Jahr dies zum Gegenstand eines ernsthaften Dialogs vor
allem mit der Volksrepublik China machen und sie an
ihre Verantwortung für die Welt erinnern.
({2})
Natürlich müssen wir als westliche Verbündete in diesem Fall einig sein. Das ist eine Aufgabe für den G-8Gipfel. Dort müssen wir auf der Grundlage eines geschlossenen Verhaltenskodex auf höchster Ebene mit
solchen Ländern wie China und Indien verhandeln können.
Die vielen Beispiele vor allem, aber nicht nur aus
Afrika wie Angola, der Sudan und der Kongo - darauf
wurde schon hingewiesen - zeigen uns, dass mit den
dortigen Problemen ernsthafte Sicherheitsprobleme einhergehen, die uns alle berühren. Wir müssen das zunehmend in Rechnung stellen und unser politisches Engagement in dieser Hinsicht verstärken. Wir müssen zudem
bereit sein, in den rohstoffreichen Entwicklungsländern
mit neuen entwicklungspolitischen Ansätzen verstärkt
aufzuwarten, und zwar in zwei Richtungen. Wir müssen
eine technische Kooperation anbieten, die gutwillige Regierungen in die Lage versetzt, bei ihren Rohstoffvorkommen und Rohstoffextraktionen mit technischem und
administrativem Know-how Ordnung zu halten.
Das heißt, dass sie zum Beispiel eine Grenzsicherung,
Finanzinstitutionen und Steuerinstitutionen aufbauen
können, die sie in die Lage versetzen, ihre Rohstoffe
besser zu kontrollieren. Das betrifft auch die Frage, was
sie in Bezug auf ihre Entwicklung mit den Einkommen
besser machen können.
Letzte Facette - auch das wurde schon angesprochen sind unsere eigenen Interessen. Wir haben ein großes Interesse, unsere eigene Energieversorgung - Stichwort:
Russland - auch in andere Länder stärker zu diversifizieren. Wir haben ein Interesse an guten energiepolitischen
Verbindungen zu Entwicklungsländern. Wir haben aus
diesem Grund auch ein erhebliches Interesse an geordneten, gesitteten Extraktionsverfahren und an der politischen Stabilität der betreffenden Länder, vor allem der
afrikanischen Länder. Daraus ergibt sich genau die Verbindung, die wir heute im Parlament diskutieren, nämlich
die Verbindung von Energiepolitik und Entwicklungspolitik. Ich glaube, das ist eine große Aufgabe für die
Zukunft. Wir müssen schon heute im Vorfeld des G-8Gipfels und während der Europapräsidentschaft damit
anfangen.
Vielen Dank.
({3})
Ich erteile das Wort Kollegin Heike Hänsel, Fraktion
Die Linke.
({0})
Danke schön. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Energie ist natürlich das aktuelle Thema
- wir hatten heute die Aktuelle Stunde darüber -, und sie
ist der entscheidende Faktor für Entwicklung. Das ist
ganz klar und wird mittlerweile von großen Teilen der
Bevölkerung erkannt. Es ist wichtig, dass wir dieses
Thema hier diskutieren.
Zu den Anträgen der Koalition und der Grünen möchte
ich bemerken, dass es für mich in diesen Anträgen einige
problematische Punkte gibt und ich mit der Stoßrichtung
zum Teil nicht ganz einverstanden bin. Ich möchte einige
Punkte nennen. Sie sprechen von dem Fluch der Ressourcen. Ich sehe Ressourcen weder als Fluch noch als Segen,
weil Ressourcenreichtum per se nicht zu Armut und
Krieg führt, im Gegenteil. Vielmehr stellt sich die Frage
des Umgangs mit den Ressourcen. Insofern müssen sich
die Abnehmer dieser Ressourcen - das sind hauptsächlich die führenden Industrieländer - die Frage stellen,
wie sie damit umgehen und wie sie um den Zugang zu
diesen Ressourcen kämpfen. Es stellt sich auch generell
die Frage nach dem enormen Ressourcenverbrauch unserer Länder.
Insofern stellen sich für mich erst einmal andere Fragen, nämlich die, wie wir es schaffen, von diesem
enormen Ressourcenverbrauch wegzukommen und den
Wandel in unserem Energiesystem hier in den Industrieländern durch eine konsequente Umstellung auf regenerative Energien einzuleiten und das Bewusstsein zu
schaffen, dass wir mit diesem Wachstum nicht mehr weitermachen können, sondern dass wir vielmehr von diesem quantitativen Wachstum, von dem wir ständig sprechen, wegmüssen, hin zu einem qualitativen Wachstum;
denn dieses Wachstum und dieser Wohlstand, den wir
momentan haben und den wir weiter anstreben, gehen
ganz klar auf Kosten der Umwelt, des Klimas und der
Entwicklungsmöglichkeiten der Länder des Südens.
Deswegen stellt sich in erster Linie die Frage an uns:
Was machen wir?
({0})
Dazu gehört für mich auch ganz klar die Absage an
unsere aggressive Außenpolitik. Das neue Weißbuch zur
Zukunft der Bundeswehr ist vorgestellt worden. Darin
steht ganz klar, dass wir auch den Zugang zu Energie
notfalls militärisch absichern müssen. Das ist für mich
Rohstoffimperialismus, und das lehnen wir ganz klar ab.
({1})
Ich muss auch sagen, dass mir der Tenor, wie wir hier
jetzt Energie und Entwicklung diskutieren, nicht gefällt.
Auch Sie, Herr Ruck, haben gerade gesagt - wenn Sie
bitte zuhören -,
({2})
China verbrauche sehr viel Energie. Letztendlich geht es
in dem Antrag über Energie- und Entwicklungspolitik
doch sehr stark um die Energiesicherheit Deutschlands.
({3})
- Ich denke, es geht um die Entwicklungsländer. - Letztendlich geht es - das steht auch im Koalitionsvertrag darum, dass Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit die weltweite Sicherung der Energieversorgung garantieren sollen. Das ist für mich ein instrumentelles
Verhältnis zur Entwicklungspolitik. Sie beklagen das bei
den Chinesen und sagen, China betreibe eine aggressive
Ressourcen- und Energiepolitik. Aber wir haben das seit
Jahrzehnten gemacht. Sie haben im Grunde von uns gelernt.
({4})
Das ist für mich - Sie haben es selber gesagt - eine
scheinheilige Diskussion. Sie wollen zum Beispiel
China an die internationale Verantwortung erinnern. Erinnern Sie auch die USA an die internationale Verantwortung, was zum Beispiel den Irakkrieg angeht?
({5})
Gab es bis heute irgendeine Konsequenz aus diesem
Ölkrieg? Condoleezza Rice ist zurzeit in der Bundesrepublik. Frau Wieczorek-Zeul und Herr Ruck, es wäre
sehr wichtig, ganz klar zu sagen: Wir tragen diese aggressive und verbrecherische Politik, diese Kriegspolitik
nicht mit.
({6})
Das wäre, was Energiepolitik angeht, das Wahrnehmen
internationaler Verantwortung. Ich wiederhole: Bis heute
gab es keinerlei Konsequenzen.
Solange wir international völkerrechtswidrige Kriege
akzeptieren, können wir der chinesischen Regierung
doch nicht sagen, sie solle ihre Verantwortung in Afrika
wahrnehmen. Das ist eine verlogene Politik. Wir müssen
zu etwas ganz anderem kommen: Wir brauchen internationales Recht, und wir brauchen internationale Vereinbarungen, was die Umstellung des Energiesystems angeht.
Ich möchte etwas zum Antrag der Grünen sagen. Sie
haben die Transparency-Initiative angesprochen. Auch
wenn ich sie im Prinzip gut finde, ist sie meiner Meinung nach nicht weitreichend genug, weil sie unverbindlich bleibt. Wir brauchen im Grunde auch da eine internationale, rechtlich verbindliche Vereinbarung, wie wir
mit Rohstoffen umgehen, was Einnahmen und was Ausgaben angeht. Natürlich basiert bisher vieles auf Freiwilligkeit. Das ist einfach nicht ausreichend.
Ich muss Ihnen auch noch sagen: Sie wenden sich an
die G-8-Staaten und fordern sie auf, gemeinsam mit den
Schwellenländern einen Aktionsplan für die Rohstoffländer zu entwickeln. Das wundert mich natürlich schon
etwas. Früher wären Sie aufgestanden und hätten gegen
die Treffen der G-8-Staaten demonstriert. Jetzt werden
diejenigen, die für diese Energiepolitik verantwortlich
sind, beauftragt, für eine Neuausrichtung dieser Politik
zu sorgen. Das wird nicht möglich sein.
Wir können das nur durch die Stärkung der Zivilbevölkerung erreichen. Die Zivilbevölkerung muss ganz
andere Möglichkeiten der Einflussnahme haben, um in
den jeweiligen Ländern Entscheidungen herbeizuführen.
Die G-8-Staaten werden diese Entscheidungen nicht herbeiführen. Diese Staaten planen nämlich im Grunde
nichts anderes als neue Strategien, um ihre Energieversorgung zu sichern. Deshalb wollen wir gemeinsam mit
vielen Initiativen gegen die G-8-Treffen mobilisieren.
Energiesicherheit durch die Umstellung auf regenerative
Energien in den Ländern des Südens wird nur gemeinsam mit der Zivilbevölkerung und mit engagierten Initiativen möglich sein.
Danke.
({7})
Ich erteile das Wort Kollegin Ute Koczy, Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Leonardo DiCaprio hat sein Kaufverhalten
geändert. In Zukunft will er eine schriftliche Bestätigung
dafür haben, dass er beim Kauf von Schmuck keine „Konfliktdiamanten“ erwirbt; denn er hat bei den Aufnahmen
zum Film „Blood Diamond“ - „Blutdiamanten“ -, der am
25. Januar in Deutschland Premiere hat, einen Schmuggler
gespielt und viel über die Tragödien in Sierra Leone gelernt. Der „Titanic“-Star lässt uns nacherleben, wie brutal
der Krieg um Rohstoffe in Afrika ist.
Herr Addicks, es geht darum, festzuhalten, welche
Stoffe Konfliktrohstoffe sind, und gegen die damit verbundenen Missstände anzugehen.
Ich halte fest: Afrika ist nicht der einzige Kontinent,
dessen Reichtümer durch ausländische Mächte geplündert werden. Hinzu kommt: Industrieländer erhalten
Konkurrenz in ihrem Rohstoffhunger durch aufstrebende
Staaten, die das westliche Konsummodell nachahmen.
Erdöl, Gas, Eisenerz, Kupfer, Kobalt, Gold, Platin, Holz,
Wasser und anderes sind ein knappes, ein teures Gut.
Was noch schlimmer ist: Sie alle gehen zur Neige.
Die Frage aus meiner Sicht als Entwicklungspolitikerin ist nicht „Wer wird diesen Kampf gewinnen?“, sondern: Was tun wir in dieser Situation? Wie meistern wir
das? Diese Frage wollen wir mit diesem Antrag beantworten, zumindest wollen wir dies versuchen. Mit dem
grünen Antrag zu Rohstoffen wollen wir erreichen, dass
die internationale Gemeinschaft handelt, und zwar ähnlich wie im Fall des Kimberleyprozesses, bei dem es
darum ging, diejenigen Diamanten zu kennzeichnen, an
denen Blut klebt, sodass man sie nicht mehr kauft.
Genauso müssen wir mit allen Rohstoffen umgehen.
Es kann nicht angehen, dass wir ignorieren, dass internationale Rohstoffkonflikte entstehen und dass wir keine
Grundlage dafür haben, dass der Verkauf von Konfliktrohstoffen international geächtet und völkerrechtlich unterbunden wird, ja, vielleicht sogar strafrechtlich verfolgt
wird.
Herr Addicks beklagt, das wäre zu viel Bürokratie.
Was soll man mit Verbrechern tun, die durch die Welt
reisen, die ihr Volk ausgebeutet haben, die Reichtum erworben haben, die aber straffrei bleiben, weil es keine
rechtlichen Möglichkeiten gibt, sie zu bestrafen? Solche
Systeme zu schaffen, ist der erste Schritt; die NGO Global Witness hat angeregt, darüber zu diskutieren, ob das
nicht möglich ist.
({0})
- Sie haben aber gesagt, man solle das lieber nicht tun,
weil das zu Bürokratie führe.
Ich sage: Wir müssen einmal darüber diskutieren, wie
wir mit den Rohstofffragen insgesamt umgehen: Wie
können wir den Ressourcenfluch, den auch die Koalitionsfraktionen beklagen, bekämpfen? Wir müssen über
die kalten Kriege um Rohstoffe reden und deren Dynamik erkennen. Ich sehe es als Aufgabe der Entwicklungspolitik an, hier Maßnahmen zu ergreifen.
Die heutige Debatte ist eine Premiere: Global Witness
hat eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der die Organisation dem Bundestag dazu gratuliert, dass er das erste
Parlament weltweit ist, das eine Debatte darüber führt,
inwiefern internationales Handeln notwendig ist, um das
Geschäft mit Konfliktrohstoffen zu stoppen.
({1})
- Das stimmt so nicht.
Es gibt auch andere Wege, dies zu stoppen. Initiativen
wie Publish What You Pay und EITI setzen auf mehr Öffentlichkeit und Transparenz im Rohstoffsektor. Die guten Ansätze reichen nicht aus; wir müssen mehr tun.
Wir diskutieren heute über zwei Anträge, die sehr unterschiedlich auf Fragen des Umgangs mit Rohstoffen
und Energie in Bezug auf die Entwicklungspolitik eingehen. Der Antrag der Grünen konzentriert sich auf das
Ziel, Rohstoffeinnahmen für eine nachhaltige Entwicklung zu nutzen. Wir müssen als diejenigen, die direkt
von den Rohstoffen profitieren, die Verantwortung dafür
übernehmen, dass wir beim Kauf von Rohstoffen keine
ökologischen Desaster hervorrufen oder Konflikte schüren. Insofern ist uns Leonardo DiCaprio um Längen voraus.
Der Antrag der Koalition hingegen geht vor allem auf
Energiefragen ein. Er enthält einen Absatz, den ich
scharf kritisiere. CDU/CSU und SPD stehen in der Gefahr, die Entwicklungspolitik für die Energiepolitik
Deutschlands zu instrumentalisieren. In Ihrem Antrag
wird deutlich auf die vitalen deutschen Interessen in
Zentralasien sowie in der Nord- und Subsahara verwiesen; man will die betreffenden Länder stabilisieren, damit sie den deutschen Markt weiter beliefern. Damit geben Sie etwas Kostbares auf: das partnerschaftliche
Verhältnis zu den Entwicklungsländern, das es ermöglicht, auf Augenhöhe zu diskutieren, weil man nicht die
eigenen Interessen in den Vordergrund stellt. Ich erkenne
in Ihren Positionen einen Zickzackkurs: Auf der einen
Seite wollen Sie die erneuerbaren Energien fördern, die
Energieeffizienz steigern und Energie einsparen; Sie haben also die drei E der Grünen übernommen.
({2})
Das unterstützen wir, damit sind wir einverstanden.
Ich würde Sie jetzt loben, wenn Sie diese Position nicht
konterkarieren würden, indem Sie auf den Energiemix
anspielen, aber an keiner Stelle sagen: Nein zur Atomkraft!
({3})
Wir wissen, dass sich die afrikanischen Staaten auf
den Weg machen, eine Politik der Nutzung fossiler Energien und der Atomenergie wieder voranzutreiben; wir
sagen aber ganz klar: Afrika braucht alles außer Atomkraft.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Ich erteile das Wort Kollegen Frank Schwabe, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Ich
möchte, weil es so wichtig ist, noch einmal wiederholen,
was einige schon gesagt haben: Die Energie- und Klimafragen sind die entscheidenden Fragen des 21. Jahrhunderts. Das gilt für die nationale Politik - Herr
Dr. Nüßlein und ich konnten das schon heute Mittag miteinander diskutieren; auch er wird gleich noch reden -,
aber erst recht für die internationale Politik, insbesondere für die Entwicklungszusammenarbeit. Mit dem Klimathema sind sowohl Risiken als auch Chancen für die
Entwicklungszusammenarbeit verbunden. Der Klimawandel hat große Auswirkungen auf die EntwicklungsFrank Schwabe
zusammenarbeit. Deswegen befasst sich das Ministerium dankenswerterweise sehr stark und engagiert mit
diesem Themenkomplex.
({0})
Der Klimawandel trifft uns in Deutschland und in
Europa. Er trifft allerdings nicht nur uns hier, sondern er
trifft auch die Entwicklungsländer in besonders dramatischer Art und Weise; das ist heute schon angeführt worden. Wir in den entwickelten Ländern sind es allerdings,
die über 150 Jahre eine Art des Lebens und Wirtschaftens sowie des Energieverbrauchs entwickelt haben, die
den Klimawandel verursacht. Deshalb fordern die Entwicklungsländer zu Recht, dass wir unseren Lebenswandel ändern und zeigen, dass Wohlstand und nachhaltige
Energienutzung Hand in Hand gehen können und müssen, bevor wir den Entwicklungsländern besondere Anstrengungen, zum Beispiel im Rahmen internationaler
Klimaprotokolle, abverlangen können.
Es ist gerade das Beispiel China angesprochen worden. Es ist im Prinzip ein Dominoeffekt. Wir Deutsche
müssen innerhalb Europas vorangehen. Wir müssen zusehen, dass die Amerikaner dazukommen.
({1})
Wir müssen die Schwellenländer wie China, Indien und
andere gewinnen. Dann werden wir in der Lage sein,
auch Entwicklungsländer davon zu überzeugen, mitzumachen.
(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Da haben wir aber lange zu tun, wenn wir
diese Reihenfolge abarbeiten wollen!
Ich bin nicht sicher, ob sich die Chinesen jemals irgendwelchen Protokollen wie dem Kiotoprotokoll anschließen - ich hoffe es, und ich glaube es auch -; ich bin mir
nur ziemlich sicher: Sie werden sich auf keinen Fall anschließen, wenn wir nicht mit ambitionierten Klimaschutzzielen vorangehen.
({2})
Das ist unsere Aufgabe vor Ort. Eine gute Politik im
Sinne der Entwicklungsländer umfasst nicht allein den
Klimaschutz bei uns zu Hause, aber eben auch den Klimaschutz bei uns zu Hause.
Wir haben bei der Reduzierung von Treibhausgasemissionen Vorbild zu sein, und wir sind das auch. Wir
haben im Deutschen Bundestag einen guten Antrag verabschiedet, der besagt, dass wir bis zum Jahr 2020 in
diesem Bereich um 40 Prozent reduzieren wollen. Wir
haben auch bei der Steigerung von Energieeffizienz und
dem Ausbau von erneuerbaren Energien Vorbild zu sein.
In den Entwicklungsländern drohen die Veränderungen durch den Klimawandel die Erfolge, die es in der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit gibt, leider zu
konterkarieren. Das Beispiel Kenia ist heute schon vielfach in unterschiedlicher Weise angesprochen worden.
Auch ich will das Beispiel Kenia noch einmal anführen,
weil ich die Gelegenheit hatte, mich im Rahmen der
Teilnahme an der Weltklimakonferenz in Nairobi mit
Kenia und der Situation dort ein bisschen mehr auseinanderzusetzen.
Es ist so, dass in Kenia nur 70 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner in den Städten und 48 Prozent derjenigen auf dem Lande Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Es gibt tolle Projekte der GTZ, der
Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, um diese
Quote zu erhöhen. Fast in Blickweite dieser Projekte
schmelzen allerdings am Mount Kenia, dem zweitgrößten Bergmassiv Afrikas nach dem Kilimandscharo, die
Gletscher. Der Berg, der in der Sprache der Massai
„schwarz-weißer Berg“ heißt, wird seinen Namen in
20 Jahren wohl nicht mehr verdienen, weil es dann
nichts Weißes mehr geben wird; sprich: Alle Gletscher
werden bis dahin abgeschmolzen sein. Das allerdings hat
dramatische Auswirkungen auf die Menschen, die am
Fuße des Berges leben und das Schmelzwasser dieser
Gletscher als Trinkwasser nutzen.
Auf der einen Seite gibt es also gute Projekte zur
Trinkwasserbereitstellung, auf der anderen Seite macht
der Klimawandel solche guten Ansätze wieder kaputt.
Es gibt leider eine ganze Menge solcher Beispiele; man
könnte das entsprechend fortführen.
Die Folgen des Klimawandels für die Entwicklungsländer und für die Entwicklungszusammenarbeit sind
unübersehbar. Es liegen aber auch Chancen in der Debatte; auch das ist heute schon angesprochen worden.
1,6 Milliarden Menschen auf der Erde sind heute
ohne Stromversorgung. Das ist schlecht für die Menschen. In der internationalen Klimadebatte ist klar, dass
es nicht nur schlecht für die Menschen, sondern auch
schlecht für die Menschheit wäre, wenn diese Menschen
zukünftig durch zentrale Großkraftwerke versorgt würden. Das gilt sowohl für den fossilen als auch für den
atomaren Bereich. Deshalb gilt es aus Sicht des Klimaschutzes und aus Sicht der Entwicklungszusammenarbeit, den Kampf um eine nachhaltige Energieversorgung aufzunehmen.
Dazu dient zum Beispiel das, was bei der Klimakonferenz in Nairobi auf Initiative von Minister Gabriel verabredet wurde, nämlich den europäischen Dachfonds für
Energieeffizienz und erneuerbare Energien, GEEREF,
weiter aufzustocken. Dazu dient der flexible Mechanismus des Kiotoprotokolls, CDM, der in den Entwicklungsländern allerdings nicht ausreichend gut funktioniert. In Schwellenländern funktioniert er sehr gut, in
Entwicklungsländern leider nicht ausreichend. Dazu
dient auch die Ausweitung der Exportunterstützung.
Dazu dient nicht zuletzt die Initiative zur Gründung einer internationalen Energieagentur für erneuerbare Energien.
Mit Blick auf die Zeit sage ich nur noch: Es gibt
große Potenziale im Rahmen einer Verknüpfung von
Energie-, Klima- und Entwicklungspolitik. Der heutige
Tag - auch das ist schon angesprochen worden - mit der
Behandlung dieser Anträge und der Verabschiedung des
Koalitionsantrags ist ein guter Tag.
Vielen Dank.
({3})
Ich erteile das Wort Kollegen Georg Nüßlein, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Gestatten Sie mir bitte, dass ich als letzter Redner in dieser
Debatte noch einmal herausstelle, welche Bedeutung das
Thema, über das wir hier reden, hat.
Im 21. Jahrhundert wird der Zugang zu Rohstoffen,
speziell zu Wasser und Energie, nicht nur über Wohlstand, sondern vor allem über den Frieden in der Welt
entscheiden.
({0})
Wir werden - ich hoffe, diese Prophezeiung ist falsch erbitterte Kämpfe um eben diesen Zugang erleben. Ich
glaube, dass sich Europa da nicht heraushalten kann. Wir
können doch nicht ernsthaft glauben, dass wir in Europa
in Frieden leben können, während ein erheblicher Teil
der Menschheit deutlich unterhalb der Armutsgrenze
lebt.
Für einen Energiepolitiker ist es etwas Besonderes,
wenn er seine Rede so beginnt. Entscheidend ist, dass
wir dank dieses Antrags aus dem Klein-Klein der Energiepolitik herauskommen - wo wir uns immer um den
deutschen Energiemix streiten - und den Blick über den
Tellerrand hinaus auf die umfassende Verantwortung der
Politik richten können. Auf der einen Seite geht es darum, den Wohlstand und den Frieden in der Welt zu sichern, und auf der anderen Seite darum, die Schöpfung
zu bewahren, indem wir den Klimawandel aufhalten.
Damit bin ich beim Zusammenhang zwischen Energie- und Entwicklungspolitik. Der Klimawandel trifft
die Entwicklungs- und Schwellenländer geografisch bedingt am stärksten. Der Klimawandel hängt davon ab,
welche Energie wir einsetzen. Der Wohlstand hängt davon ab, welchen Zugang wir zu Energie haben. Er hängt
auch von der Frage der Good Governance ab, also davon, wie die entsprechenden Gelder letztlich verteilt
werden.
({1})
Philosophisch kann man über die Frage diskutieren,
wie man verhindern will, dass die Schwellenländer im
Hinblick auf den Klimawandel und den Ressourcenverbrauch die gleichen Fehler machen, die wir gemacht haben. Es ist nämlich eine philosophische Frage, ob man
einen Anspruch darauf hat, Fehler zu machen. Ich
meine, die Entwicklungsländer haben einen Anspruch
auf Entwicklung.
An dieser Stelle müssen wir über die Rolle Deutschlands reden. Der Anteil Deutschlands an den CO2-Emissionen beträgt 3,19 Prozent. Trotzdem diskutieren wir
schwerpunktmäßig über die Frage, was wir in Deutschland tun können, um die CO2-Emissionen zu reduzieren.
Das ist zunächst einmal richtig, weil wir eine Vorbildfunktion haben. Wir müssen zeigen, dass wir mit den
Ressourcen vorsichtig umgehen und klimaschädliche
Gase reduzieren. Angesichts dieser Vorbildfunktion sollten wir nicht zu zaghaft sein.
({2})
In diesem Prozess müssen wir auch in technischer
Hinsicht Vorbild sein. Die erneuerbaren Energien wurden angesprochen. Gott sei Dank haben wir auf diesem
Gebiet die Technologieführerschaft inne. Es liegt an uns,
im Bereich des Exports noch das eine oder andere zu bewegen.
Frau Koczy hat vorhin das Thema Kernenergie angesprochen. Liebe Kollegin, vollkommen unabhängig von
der Frage, ob man für oder gegen den Ausstieg ist, wird
es auf der Welt nach wie vor Kernkraftwerke geben.
Wenn sie mit deutscher Technik ausgestattet wären, wäre
mir persönlich ganz erheblich wohler.
({3})
Wir sollten auch auf diesem Gebiet Vorbild sein und den
Technologietransfer sicherstellen. Deshalb brauchen wir
auf diesem Gebiet Fortschritte in den Bereichen Forschung und Technik.
({4})
- Sie können Kernkraftwerke nicht wegbeten, es wird
halt so sein.
({5})
Zu den Themen Ressourcenbeschaffung und Breite
des Energiemix in Deutschland sage ich Ihnen ganz offen: Wenn in Entwicklungsländern wie Mauretanien das
erste Barrel Öl gefördert wird, dürfen wir nicht sofort
ankündigen, dass wir uns entwicklungspolitisch zurückziehen wollen. Wir müssen uns vielmehr sowohl aufgrund eigener Interessen engagieren, aber auch, weil wir
nur so einen Beitrag dazu leisten können, dass die Gelder strukturfördernd eingesetzt und die Einnahmen sinnvoll verteilt werden.
Das Gleiche gilt für die Schwellenländer, speziell für
China. Mit Blick auf China gibt es den einen oder anderen, der sagt: China hat jetzt ein Stadium erreicht, ab
dem man entwicklungspolitisch und im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit nichts mehr tun muss.
Doch das Gegenteil ist der Fall. In China spielt die Musik. Da wird über das Klima und über die Beschaffungsmärkte entschieden. Deshalb müssen wir uns einmischen. Das können wir nur über die wirtschaftliche
Zusammenarbeit tun im Sinne eines Do-ut-des-Prinzips,
also einer Zusammenarbeit, bei der der eine gibt, damit
auch der andere gibt. Nur dann, wenn wir bei diesem
Thema bleiben, können wir auf die Standards, auf die
Menschenrechte und auf die Wirtschaft in China sinnDr. Georg Nüßlein
voll einwirken. Deshalb müssen wir bei diesem Thema
bleiben.
Vielen herzlichen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 16/4045 zu Tagesordnungspunkt 9 a zur federführenden Beratung an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss, den Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie, den Verteidigungsausschuss, den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, den Ausschuss für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe, den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, den Ausschuss
für die Angelegenheiten der Europäischen Union sowie
den Haushaltausschuss zu überweisen.
Die Vorlage auf Drucksache 16/4054 zu Tagesordnungspunkt 9 b soll zur federführenden Beratung an den
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
sowie an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit überwiesen werden.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Omid Nouripour, Claudia Roth
({0}) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für eine Initiative der Bundesregierung mit
dem Ziel einer humanitären, kohärenten und
nachhaltigen Ausrichtung der europäischen
Flüchtlingspolitik
- Drucksache 16/3541 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen fünf Minuten
erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Josef Winkler, Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
deutsche EU-Ratspräsidentschaft setzt sich selber große
Ziele. Sie steht aber auch gerade hinsichtlich der Flüchtlings- und Migrationspolitik vor großen Herausforderungen. Wir haben die Bilder aus dem Mittelmeer vor
Augen. Im letzten Jahr sind Tausende von Bootsflüchtlingen bei dem Versuch umgekommen, sich nach Europa
zu retten. Aber nicht nur dort, auch an den östlichen Außengrenzen der EU spielen sich dramatische Szenen ab,
wenn Flüchtlinge versuchen, in die Europäische Union
einzuwandern.
Insbesondere aus Afghanistan, Sri Lanka, Tschetschenien und dem Irak kommen Flüchtlinge, die Schutz vor
Verfolgung suchen. Die Europäische Union kann und
darf sich hier nicht achselzuckend abwenden. Deshalb
hat die deutsche EU-Ratspräsidentschaft die politische
Verantwortung, klare Signale für eine humanitäre, kohärente und nachhaltige Ausrichtung der europäischen
Flüchtlings-, Einwanderungs- und Integrationspolitik zu
senden.
Das, was Herr Bundesinnenminister Schäuble bisher
auf europäischer Ebene vorgelegt hat, ist dazu nicht geeignet. Es ist sehr dürftig und bleibt weit hinter den großen Erwartungen zurück, die wir zu Recht an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft in diesem Bereich haben.
({0})
Im Bereich der Flüchtlingspolitik fehlt das klare
Bekenntnis zum Flüchtlingsschutz völlig. Stattdessen
redet der Innenminister nebulös von zirkulärer, befristeter Migration. Diese verquaste Sprache zeigt schon, was
sich dahinter verbirgt, nämlich der Versuch, in die alte
Gastarbeiterpolitik der 50er-, 60er-Jahre zurückzukommen. Das ist mit uns nicht zu machen.
({1})
Wenn man liest, was der Innenminister zur Integration sagt, die angeblich an vorderster Stelle der politischen Agenda der Bundesregierung steht - schließlich
gibt es eine Staatsministerin im Kanzleramt für diesen
Bereich -, stellt man fest, dass Integration auf europäischer Ebene in dem ganzen Plan nur an einer Stelle auftaucht, nämlich bei der Reintegration in den ausländischen Arbeitsmarkt nach der Rückkehr, also Integration
im Ausland. Das kann doch wohl nicht wahr sein!
({2})
Wir schlagen in vielen Punkten konkret vor, wie es
auf europäischer Ebene besser gemacht werden kann.
Ich will nur wenige anreißen. Zum einen müssen die
Seenotrettungsdienste ausgebaut werden, insbesondere
die zivilen. Es muss endlich klar geregelt werden, dass
Kapitäne, die die Anweisung geben, schiffbrüchige
Flüchtlinge an Bord zu nehmen, nicht länger wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung verfolgt werden können. Es gab ja schon entsprechende Verfahren; es handelt sich dabei also nicht um eine rein theoretische
Diskussion. Neben dem Fall Cap Anamur, der sich nicht
zur Verallgemeinerung anbietet, gibt es auch andere. Solange die Rechtslage unklar ist, besteht eben die Gefahr,
dass Flüchtlinge nicht aufgenommen werden.
Um den Anrainerstaaten des Mittelmeeres Anreize
zur Aufnahme zu geben, ist es wichtig, klare Neurege7630
lungen für die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb
der EU zu finden. Es wird ja auch von verschiedenen
EU-Staaten gefordert, dass Flüchtlinge solidarisch und
human innerhalb der EU umverteilt werden, also nicht
nur die Kostenlasten von allen getragen werden, sondern
auch die Flüchtlinge verteilt werden. Hierbei sollte man
sich an dem Vorschlag des UNHCR, also des Hohen
Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen, orientieren, dass gemäß dem Resettlement-Verfahren klar festgelegt wird, dass zum Beispiel eine bestimmte Zahl von
aufgenommenen Flüchtlingen in Deutschland unterkommt.
Wir brauchen also ein schlüssiges Gesamtkonzept,
das Fragen der Entwicklungszusammenarbeit, des Umweltschutzes, aber auch der Demokratie- und Menschenrechtspolitik mit einer gesteuerten Wirtschaftsmigration
verknüpft. Das Konzept der zirkulären Migration, das
der Bundesinnenminister gemeinsam mit dem französischen Amtskollegen im Oktober letzten Jahres der Öffentlichkeit vorgestellt hat, beinhaltet als einzig guten
Punkt, dass endlich auch legale Zuwanderungsmöglichkeiten in die EU vorgesehen werden. Wir wissen ja,
dass der Druck an den Außengrenzen auch deshalb so
groß ist, weil es fast keine Möglichkeiten gibt, legal dauerhaft in die EU einzureisen. Solange das so bleibt, läuft
alles andere ins Leere und wird in keiner Weise für eine
Eingrenzung der Problematik sorgen können.
Deshalb verfolgen die Grünen einen anderen Ansatz
und fordern von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
eine stringentere Politik insbesondere in Form der Schaffung von legalen Zuwanderungsmöglichkeiten. Man
kann nicht ständig darüber klagen, dass Menschen bei
dem Versuch, in die EU einzureisen, ums Leben kommen. Wenn man der Masse der Flüchtlinge, die in die
EU drängen, Herr werden will, reicht es nicht, die Abschottung der Grenzen zu verbessern, sondern man muss
auch Wege zu einer legalen Einreise in die EU aufzeigen. Ich meine, dass die Bundesregierung hier nun wirklich einmal klare Kante zeigen sollte. Wir Grünen haben
das mit den zwölf in unserem Antrag enthaltenen Punkten getan. Ich hoffe, dass wir Sie im Ausschuss bei der
Beratung davon überzeugen können, einige davon aufzugreifen.
Herzlichen Dank.
({3})
Ich erteile das Wort Kollegen Reinhard Grindel,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich zunächst Bundesinnenminister
Wolfgang Schäuble und auch dem Parlamentarischen
Staatssekretär Peter Altmaier sehr herzlich zum gelungenen EU-Ministerrat in Dresden gratulieren. Es ist nicht
nur mit der Überführung des Vertrages von Prüm in den
EU-Rechtsrahmen, sondern gerade auch bei der Verbesserung der Zusammenarbeit in Migrationsfragen mit den
Herkunfts- und Transitländern zu wichtigen Weichenstellungen gekommen. Damit wird deutlich gemacht: Im
Alleingang wird die Steuerung von Migration nicht gelingen, sondern nur gemeinsam mit anderen Staaten. Das
war ein guter Auftakt für die EU-Ratspräsidentschaft.
Herzlichen Glückwunsch dazu.
({0})
Herr Kollege Winkler, Sie haben kritisiert, dass von
Integration nicht die Rede gewesen sei. Das ist ein grober Fehler. Die Frage der Integration ist nun wirklich
eine Aufgabe der Mitgliedstaaten. Nicht jedes Problem
in Europa ist ein Problem für Europa. Über Integration
und ihre konkrete Ausgestaltung entscheiden wir auf nationaler Ebene selbst. Insofern hat Bundesinnenminister
Schäuble recht, wenn er sich in dieser Frage auf europäischer Ebene zurückhält. Das erwarten wir von der Kommission übrigens auch.
Wir als CDU/CSU sind davon überzeugt, dass es in
erster Linie um die Bekämpfung der Fluchtursachen vor
Ort gehen muss. Wir glauben, dass man den potenziellen
Flüchtlingen in ihrer Heimat eine Perspektive eröffnen
muss. Deswegen unterstützen wir den in Dresden erzielten Konsens, nämlich erstens illegale Migration nicht zu
tolerieren, sondern zu bekämpfen und zweitens Illegale
sofort zurückzuführen und ihren Status unter keinen
Umständen innerhalb der EU zu legalisieren. Das würde
nämlich den Weg nach Europa nur attraktiver machen.
Wir müssen Pull-Effekte verhindern.
Dabei geht es weniger um das Schicksal der Bootsflüchtlinge, was uns natürlich wegen der Todesfälle, die
Kollege Winkler angesprochen hat, besonders bewegt.
Ihre Zahl ist allerdings relativ gering im Vergleich zur
Zahl der illegalen Zuwanderer über die ost- und südosteuropäischen Länder oder zur Zahl derjenigen, die Touristenvisa missbrauchen.
Insofern - da sind wir uns mit der Bundesregierung
einig - kommt dem Aufbau der Grenzschutzagentur
Frontex und ihrer Arbeit eine zentrale Rolle zu.
({1})
Es gibt keinen Gegensatz zwischen dem Schutz der
Außengrenzen und dem Schutz von Migranten. Es ist
richtig, was der Direktor von Frontex, Ilkka Laitinen,
gestern gegenüber der Zeitung „Die Welt“ erklärt hat.
Ich zitiere:
Stärkere Kontrollen sprechen sich unter den Menschen, die illegal nach Europa wollen, sehr schnell
herum.
Das heißt, es fällt Schlepper- und Schleuserbanden dann
schwerer, ihr abscheuliches Geschäft mit der Not der
Menschen zu machen, wenn klar ist, dass es keine
Schleichwege nach Europa gibt.
({2})
Wir haben doch in Deutschland Anfang der 90erJahre - Kollege Wiefelspütz hat damals den Asylkompromiss und die Rückführungspolitik mit verhandelt
und vereinbart - die Erfahrung gemacht, dass der Zustrom von Flüchtlingen durch eine konsequente Rückführungspolitik deutlich verringert werden konnte. Erst
dadurch, dass sich vor Ort, in der Heimat potenzieller
Flüchtlinge, herumgesprochen hat, dass es keinen Sinn
macht, viel Geld für Schleuser und Schlepper auszugeben, weil man relativ schnell wieder in die Heimat zurückgeführt wird, konnte den Schleppern ihr schmutziges Handwerk gelegt werden.
Und daraus folgt auch eine weitere Konsequenz: Es
muss überall die Erkenntnis reifen, dass die stillschweigende Zulassung von illegaler Beschäftigung und erst
recht von Legalisierungskampagnen nur einen Anreiz
schaffen, sich nach Europa aufzumachen. Und ich zitiere
noch einmal Laitinen, der sagt:
Es gibt in der Tat Gründe, warum Illegale ein bestimmtes Land ansteuern. Das hat nicht zuletzt mit
der unterschiedlichen Gesetzeslage zu tun.
Im Vordergrund muss also eine unverzügliche Rückführung von illegalen Immigranten in ihre Herkunfts- oder
Transitländer stehen.
Wir unterstützen auch nicht den Vorschlag, den der
Kollege Winkler hier zu einer noch stärkeren Teilung
der Verantwortung für Flüchtlinge, die aus Seenot gerettet wurden, unterbreitet hat, wie es in der Tat einige
EU-Mittelmeerländer verlangen. Im vergangenen Jahr
sind - das war die Spitze - auf den Kanarischen Inseln
30 000 Illegale angekommen. Wir hatten in Zeiten der
starken Zuwanderung von Asylbewerbern und Bürgerkriegsflüchtlingen zu uns nach Deutschland jeweils
mehrere 100 000 im Jahr und konnten uns auch nicht auf
eine Lastenteilung innerhalb der EU stützen.
Entscheidender ist aber, Kollege Winkler, dass die
Länder mit der illegalen Migration nicht allein gelassen
werden. Es gibt die Unterstützung durch Frontex. Diese
muss noch ausgebaut werden, etwa durch eine stärkere
operative Zusammenarbeit gerade in Krisensituationen,
aber es gibt hier die Solidarität der Europäischen Union.
({3})
Wir müssen selbstverständlich die Flüchtlinge gerade
in Transitländern schützen - auch das unterstütze ich -,
indem dort demokratische Polizeistrukturen und humane
Asylsysteme sichergestellt werden.
Richtig ist aber auch, dass jedes Zielland von Migration auch selbst für sich Konzepte entwickeln muss, um
den illegalen Zustrom zu reduzieren. Dass zum Beispiel
in Spanien und Italien ein Ende der Legalisierungskampagnen ein Mittel wäre, um den Pullfaktor zu reduzieren,
das muss dort eigentlich jedem Politiker klar sein.
({4})
Dabei verkennen wir nicht: Eine Verbesserung der
wirtschaftlichen Perspektiven in den Herkunftsländern
muss in der Tat dazukommen. Deshalb ist es richtig - ich
will das hier ausdrücklich unterstreichen -, wenn der
Bundesinnenminister in Dresden einen ganzheitlichen,
einen globalen Ansatz gefordert hat. Dabei kommt es
nicht nur auf eine enge Zusammenarbeit innerhalb der
EU an, sondern Voraussetzung für eine wirksame Kontrolle und Steuerung der Zuwanderung ist gerade auch
die Kooperation mit den Herkunfts- und Transitstaaten.
Wir brauchen mit ihnen Partnerschaftsabkommen, in
denen sie sich zur Rücknahme übrigens nicht nur ihrer
eigenen Staatsangehörigen, sondern auch von Flüchtlingen aus Drittstaaten verpflichten, die sich über ihr Territorium auf den Weg nach Europa gemacht haben.
Wahr ist aber auch, dass es eine Bereitschaft, solche
Partnerschaftsabkommen abzuschließen, nur geben
wird, wenn wir den Herkunfts- und Transitländern auch
etwas anzubieten haben. Dazu gehört eine intensivere
Entwicklungszusammenarbeit, bei der wir die Push-Faktoren wie Armut, Arbeitslosigkeit, regionale Konflikte
oder eine schlechte Gesundheitsversorgung angehen
müssen. Eine geeignete Maßnahme wäre sicherlich
auch, für Studenten aus diesen Ländern einen erleichterten Zugang zu unseren Universitäten zu schaffen.
({5})
Selbstverständlich - um das klar zu betonen - könnte
auch das in der deutsch-französischen Initiative erarbeitete Konzept zur Förderung der zirkulären Migration als
Anreiz dienen. Kollege Winkler, das darf man nicht als
alte Gastarbeiterpolitik diskreditieren.
({6})
Die zirkuläre Migration ist in erster Linie im Interesse der Heimatländer der Migranten, weil dadurch dem
Brain-Drain entgegengewirkt wird und die Rückkehr der
Arbeitsmigranten mit einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage vor Ort einhergeht; denn wenn sie in Ihre
Heimat zurückkehren, bringen sie Devisen und berufliche Qualifikation mit. Gleichzeitig könnte die zirkuläre
Migration in EU-Ländern, in denen die illegale Beschäftigung in einzelnen Wirtschaftszweigen ein großes Ausmaß hat, eine sinnvolle Alternative sein, um die Zuwanderung besser zu steuern.
Völlig klar muss dabei sein, dass eine zirkuläre Migration nur in solchen EU-Ländern vertretbar ist, die
über einen aufnahmefähigen Arbeitsmarkt verfügen. Außerdem muss die tatsächliche Rückkehr der Migranten in
ihre Heimat nach zwei oder drei Jahren sichergestellt
sein. Insofern können die Entscheidungen über zirkuläre
Migration nur auf nationaler Ebene und nicht zentral in
Brüssel getroffen werden. So, Herr Kollege Altmaier,
habe ich die Ausführungen, die der Bundesinnenminister
in seinem Papier mit Herrn Sarkozy gemacht hat, immer
verstanden.
Lassen Sie mich am Ende noch auf Cap Anamur zu
sprechen kommen. Herr Kollege Winkler, ich sage Ihnen: Ich finde es peinlich, dass Sie diesen Fall in Ihrem
Antrag ansprechen. Sie haben die Strafverfahren erwähnt. Fest steht - das haben viele vergessen -, dass dieses Schiff mehrere Tage auf See bleiben musste, damit
der damalige Chef von Cap Anamur, Elias Bierdel, beim
Einlaufen in einen sizilianischen Hafen medienwirksam
an Bord dabei sein konnte. Fest steht auch, dass man die
37 Afrikaner, die damals an Bord waren, als Bürgerkriegsflüchtlinge aus Darfur, also aus dem Sudan, ausgegeben hat, auf deren Tragödie man angeblich aufmerksam machen wollte. Tatsächlich waren sie
Wirtschaftsflüchtlinge aus Nigeria. Der Begründer von
Cap Anamur, Rupert Neudeck, hat das als verantwortungslose Aktion bezeichnet. Um es deutlich zu sagen:
Das ist ein sehr schlechter Fall, um Ihre Position zu stützen.
({7})
Ich komme zum Schluss. Wir brauchen in der Tat eine
europäische Flüchtlingspolitik mit Augenmaß. Wir brauchen eine Politik, die den sozialen Zusammenhalt in unseren Gesellschaften nicht gefährdet. Wir werden nur
dann in unserer Bevölkerung Akzeptanz für die Gewährung von Asyl und wohlüberlegte legale Migration erreichen, wenn wir gleichzeitig mit aller Konsequenz für die
Sicherung unserer Außengrenzen und für eine konsequente Rückführung illegaler Immigranten sorgen. Um
diese Balance und diesen Ausgleich der Interessen muss
es in der europäischen Flüchtlingspolitik gehen. Dabei
haben die Bundesregierung und insbesondere der Bundesinnenminister unsere Unterstützung.
Herzlichen Dank.
({8})
Ich erteile das Wort Kollegen Hartfrid Wolff, FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Grünen ist in seiner humanitären Intention überzeugend und begrüßenswert. Zumindest gilt dies auf den
ersten Blick.
({0})
Die Grünen haben recht: Wir brauchen ein einheitliches
europäisches Flüchtlings- und Asylkonzept. Wir brauchen eine europäische Lastenteilung im Bereich der
Flüchtlingsströme. Wir müssen Hemmnisse beseitigen,
die die Bereitschaft, aus Seenot zu retten, einschränken.
Doch die Grünen beleuchten in ihrem Antrag - vielleicht
nicht unbeabsichtigt - nur Teilaspekte und übersehen
den Gesamtzusammenhang ihrer grundsätzlich berechtigten Anliegen.
Im vorliegenden Antrag wird beispielsweise das humanitäre Anliegen der Seenotrettung mit den Zuwanderungsbestimmungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union verknüpft, und zwar zu Recht. Für die FDP
gilt unmissverständlich: Pacta sunt servanda. Abgeschlossene internationale Verträge müssen eingehalten
werden. Man darf aber niemals vergessen, die wirklichen Ursachen der Flüchtlingsströme zu bekämpfen.
Deshalb muss die wirtschaftliche Unterstützung in den
Drittländern verstärkt werden. Es darf aber auch keine
Anreizsysteme geben, die eine weitere unkontrollierte
Zuwanderung ermöglichen. Falsche Anreize tragen wesentlich dazu bei, dass solche humanitären Katastrophen
entstehen.
Wir müssen uns im Klaren sein, dass viele Einreisende reine Wirtschaftsflüchtlinge sind, die von Schlepperorganisationen und Menschenhändlern in die EU gelockt werden. Wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass
kriminelle Schleuser Menschen aus Geldgier mit falschen Versprechungen nach Europa locken. Wir dürfen
nicht die Augen davor verschließen, dass solche Schlepperbanden sogar den Tod der Verschleppten auf See billigend in Kauf nehmen. Wenn sich Menschen, durch falsche Versprechungen verlockt, selbst in Gefahr bringen,
etwa auf See, dann ist Seenotrettung zwar notwendig,
aber keine Ursachenbekämpfung. Vielmehr muss man
sowohl in den Herkunftsländern der Migranten als auch
in der EU darauf hinwirken, dass solche Tragödien gar
nicht erst stattfinden.
Ich habe manchmal den Eindruck, dass bei einzelnen
Vertretern der Grünen nach wie vor eine naive Freude
über unkontrollierte und unsteuerbare Zuwanderung besteht.
({1})
So kann es nicht gehen. Wir brauchen eine Steuerung der
Zuwanderung, keine Ausweitung der Anreize und keine
Vereinfachung der Möglichkeiten der unkontrollierten
Zuwanderung. Die Beihilfe zur illegalen Einreise muss
strafbar bleiben; das gilt für die illegale Migration über
See wie für die über Land.
({2})
Gegebenenfalls ist das Vorliegen einer strafbaren Handlung in jedem Einzelfall zu prüfen, wobei selbstverständlich klar sein muss, dass eine Rettung aus Seenot
niemals eine rechtswidrige Tat sein kann. Viele Gedanken im Antrag der Grünen sind - ich wiederhole das ausdrücklich - aus liberaler Sicht absolut richtig, und wir
unterstützen sie; doch Lösungsansätze enthält Ihr Antrag
nicht.
Überzeugender sind die Ansätze der EU-Kommission, die auch eine Intensivierung der Zusammenarbeit
mit Drittländern, etwa mit Marokko, zum Ziel haben.
Gleichzeitig wird in den Plänen der EU-Kommission
hervorgehoben, dass es Anreize zur illegalen Beschäftigung gibt. Ein Thema ist auch die Lastenverteilung innerhalb der EU. In der Tat können wir Malta und die Kanaren nicht mit den Tausenden von Migranten
alleinlassen. Wir Liberalen unterstützen das Anliegen,
legale Wirtschaftsmigration steuernd zu erleichtern. Notwendig ist aber auch, illegale Migration zu unterbinden
und mit aller Härte gegen Menschenhandel und menschenverachtende Schleuserbanden vorzugehen. Hier
müssen auch repressive Maßnahmen, wie sie die EU angedacht hat, greifen. Wir brauchen eine gesteuerte ZuHartfrid Wolff ({3})
wanderung, aber keine Anreize für weitere illegale Einwanderung.
In dem Antrag der Grünen werden wichtige Anliegen
thematisiert, die wir unterstützen. Konsequent verweigert wird aber der Blick auf die Folgen, die ein blauäugiges Gutmenschentum haben kann. Wir alle hier sind in
der Verantwortung, die Probleme insgesamt ins Auge zu
fassen und kritisch zu diskutieren.
Vielen Dank.
({4})
Ich erteile das Wort Kollegen Dieter Wiefelspütz,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die europäische Flüchtlingspolitik hat sich an
den Werten von Realismus und von Menschlichkeit zu
orientieren.
({0})
- Einverstanden: an den Werten von Menschlichkeit und
von Realismus. Oder sagen wir besser: Im Zweifel muss
die Flüchtlingspolitik immer humanitär ausgerichtet
sein. Das ist unser Wertgefüge; davon gehe ich aus.
Ihr Antrag, geschätzter Kollege Winkler, ist ausschließlich von Menschenfreundlichkeit geprägt. Das ist
in dieser Welt, wie sie ist, ein bisschen zu wenig. Sie
blenden in Ihrem Antrag die brutale Realität des organisierten Menschenhandels aus, bei dem mit der Not von
Menschen, mit den Hoffnungen von Menschen, mit dem
Elend von Menschen brutalste Geschäfte gemacht werden. Sie blenden das aus, Sie befinden sich in einer ganz
anderen Wirklichkeit: in einer, die Sie sich zusammengemalt haben.
Ich denke, wenn Menschlichkeit unser wichtigstes
Ziel ist, auch im Zusammenhang mit Flüchtlingen, müssen wir viel ernster diskutieren, was wir gemeinsam zur
Ursachenbekämpfung beitragen können. Ich denke,
dass das, was Deutschland in der letzten Zeit auf die
Reihe bekommen hat - egal wer in Deutschland regiert
hat -, nicht unbedingt Ruhmestaten sind. Ich räume ein:
Die Überschrift „Ursachenbekämpfung“ geht uns allen
wohl leicht über die Lippen. Doch wenn sie umgesetzt
werden muss - was wehtun kann -, wird es ungleich
schwieriger; das will ich durchaus selbstkritisch anmahnen. Wir sollten miteinander bei den Überlegungen wetteifern, was wir dazu beitragen können, dass es nicht zu
diesem Elend von Flüchtlingssituationen kommt, wie sie
weltweit jeden Tag auftreten. Deswegen hat die Bekämpfung der Ursachen aus meiner Sicht allererste Priorität, gerade der Menschlichkeit wegen. Ich füge hinzu
- ich bitte, auch das nicht misszuverstehen -: Ich bin der
Meinung, dass wir dabei helfen sollten, dass Flüchtlinge
nicht so entwurzelt werden, wie das vielfach der Fall ist.
Bei einem konkreten Flüchtlingsschicksal bin ich,
wenn man die Ursache schon nicht bekämpfen kann, als
zweitbeste Hilfe im Zweifel immer dafür, dass man versucht, den Flüchtlingen in der Region, in der sie zu
Hause sind, zu helfen.
({1})
Ich finde es sehr unwürdig und brutal, sie dazu zu zwingen, Tausende von Kilometern zurückzulegen, um ihr
Leben zu retten oder zu versuchen, ihre Lebenschancen
zu nutzen. Ich weiß, dass das leicht wieder denunziert
und auch kritisiert werden kann, nach dem Motto: Egal
was mit den Flüchtlingen passiert, Hauptsache sie kommen nicht nach Europa, geschweige denn nach Deutschland. - Das ist nicht mein Ziel.
({2})
Wenn es nicht anders geht und wenn ein Flüchtling nur
in Europa bzw. in Deutschland ohne Furcht um sein Leben und seine Freiheit leben kann, dann muss eine faire
Chance für ihn bestehen, dass er Europa auch erreicht
und in Deutschland ankommt. Das ist doch überhaupt
keine Frage.
({3})
Herr Staatssekretär Altmaier und Herr Staatsminister
Erler, ich würde mir aber schon wünschen - vielleicht ist
das etwas salopp gesagt, aber erlauben Sie mir das bitte -,
dass es zum Markenzeichen deutscher Außenpolitik und
internationaler Innenpolitik wird, dass wir wirklich substanzielle Beiträge zur Ursachenbekämpfung leisten, so
schwierig das auch ist. Wenn man eine humanitäre
Flüchtlingspolitik betreiben will, dann muss das eigentlich die Nummer eins, Nummer zwei und Nummer drei
der Bemühungen sein. Darüber hinaus sind aber auch
andere Aspekte wichtig.
Herr Grindel, die Flüchtlingszahlen gehen immer
weiter in den Keller. Sie haben von dem Asylkompromiss von 1992/1993 gesprochen. Damals gab es
420 000 Asylanträge. In diesem Jahr werden es vielleicht noch 20 000, 25 000 oder 30 000 Asylanträge sein eher weniger.
({4})
Ich meine, dass man diese Zahlen nicht als Erfolgszahlen transportieren sollte; denn das Elend in dieser Welt
ist ja nicht geringer geworden.
({5})
Strukturen haben sich verändert. Es wäre nicht richtig,
sich nur auf die Beantwortung der Frage zu beschränken,
wie wir mit diesen 20 000 bis 30 000 Asylbewerbern
umgehen. Ich meine, dass wir alle miteinander auch vor
dem Hintergrund solcher Zahlen Veranlassung haben,
hier und dort auch ein bisschen Großzügigkeit walten zu
lassen, wobei sich schon die Frage stellt, ob das Wort
„Großzügigkeit“ in diesem Zusammenhang überhaupt
ganz angemessen ist.
An die Adresse der Grünen sage ich, dass es richtig
ist, dass wir Grenzsicherung betreiben, Kriminalität bekämpfen und Illegalität unterbinden. Das darf kein Widerspruch zu dem sein, was ich eingangs gesagt habe.
({6})
- Ich möchte Sie einfach ansprechen. Das müssen Sie
aushalten. Ich glaube nämlich bei allem Respekt wirklich, dass Ihr Antrag einseitig ist und dass Sie dabei eine
ganze Menge an Wirklichkeit ausblenden und einfach
nicht zur Kenntnis nehmen.
({7})
Eine menschliche Politik muss die Wirklichkeit
- zum Teil auch eine scheußliche Wirklichkeit - annehmen und damit umgehen. Ich kann überhaupt nichts
Positives daran finden, dass Menschen - beispielsweise
Bootsflüchtlinge - in dieser Weise schamlosen kriminellen Machenschaften zum Opfer fallen. Das muss mit allen Mitteln unterbunden werden. Es muss dafür Sorge
getragen werden, dass es gar nicht zu solchen Situationen kommt. Hier müssen wir zum Teil Ursachenbekämpfung betreiben. Wenn es aber zu kriminellem Menschenhandel kommt, dann muss dieser auch unterbunden
werden.
({8})
Das darf nicht als etwas Inhumanes denunziert werden.
Man muss diesen Verbrechern das Handwerk legen. Das
halte ich für unerlässlich.
({9})
Aus Zeitgründen will ich zwei Aspekte nur noch kurz
ansprechen. Wir werden bei der Novelle des Aufenthaltsgesetzes dafür sorgen, dass Menschen, die aus rein
altruistischen Gründen, aus rein humanitären Gründen
dazu beitragen, dass jemand nach Deutschland kommt,
sich nicht vor einem Strafgericht rechtfertigen müssen.
Das werden wir durchsetzen. Insoweit
({10})
werden Wünsche, die wir seit langem haben, in Erfüllung gehen, aber nicht, weil Sie das fordern, sondern
weil die Große Koalition aus Sozialdemokraten und
Menschen aus der Union das für richtig hält. Wir werden
das umsetzen; das ist sachgerecht.
Lassen Sie mich zum Schluss, Herr Grindel, einen
Aspekt kurz andeuten, den ich nicht ganz so euphorisch
sehe wie Sie. Das sage ich auch an die Adresse des Parlamentarischen Staatssekretärs. Bezüglich der zirkulären Arbeitsmigration - ich räume ein, dass ich das
Wort für ein Ungeheuer halte ({11})
bin ich nicht nur aus sprachlichen Gründen, sondern
auch aus inhaltlichen Gründen, Herr Grindel, skeptisch.
Ich bin im Übrigen auch skeptisch, ob ausgerechnet die
Innenminister - der geschätzte Kollege Dr. Schäuble und
der geschätzte Innenminister der Französischen Republik - aus ihrer Ressortverantwortung heraus die Richtigen sind, um über zentrale Arbeitsmarktfragen zu reden.
Ich bin da skeptisch - mehr will ich dazu gar nicht sagen und bitte darum, dass das - jedenfalls in Deutschland;
wir reden hier nicht über Frankreich - sehr sorgfältig mit
denjenigen, die in Bezug auf den Arbeitsmarkt Verantwortung haben und davon auch etwas verstehen, abgestimmt wird. Das wollte ich noch gesagt haben.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({12})
Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Ulla Jelpke für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie Sie
alle wissen, sehen wir uns im Mittelmeer mit einer humanitären Katastrophe konfrontiert. Nach Angaben der
Flüchtlingsorganisation Pro Asyl sind allein im vergangenen Jahr 6 000 Menschen bei dem Versuch umgekommen, über den Seeweg in die Europäische Union zu gelangen. Dass so viele Menschen der europäischen
Flüchtlingsabwehr zum Opfer fallen, ist erschütternd.
Umso bezeichnender ist, dass es keine offiziellen Zahlen
gibt. Auf unsere Kleinen Anfragen zu den Todesopfern
an den EU-Außengrenzen kann die Bundesregierung
keine Angaben machen. Angeblich liegen keine amtlichen Zahlen vor. Polizei, Marine, Nachrichtendienste,
sie alle sind im Einsatz, um Europas Grenzen zu schützen. Wie viele Leben dieser sogenannte Schutz kostet,
scheint die Verantwortlichen aber nicht wirklich zu interessieren. Da werden die Prioritäten der Politik schnell
klar.
Meine Damen und Herren, die gesamte Flüchtlingspolitik der Europäischen Union ist auf Abschottung ausgerichtet. Motor dieser Entwicklung war schon immer
die Bundesrepublik Deutschland. Minister Schäuble
führt an dieser Stelle die Politik seines Vorgängers in der
Bundesregierung von SPD und Grünen weiter. Es war
Otto Schily, der die verstärkte Zusammenarbeit der EUStaaten bei der Flüchtlingsabwehr vorangetrieben hat.
Der Antrag der Grünen zielt leider nicht auf eine Kehrtwende dieser Politik. Auch wenn er erreichen will, dass
es weniger Todesopfer gibt, reicht das bei weitem nicht
aus. Anstatt das Übel an der Wurzel zu packen, wollen
die Grünen leider auch nur an den Symptomen herumdoktern.
Meine Damen und Herren, bei dem am Dienstag zu
Ende gegangenen Treffen der EU-Innen- und -Justizminister in Dresden wurde noch einmal deutlich, dass es
der Europäischen Union weiter nur um eins geht: die
Abschottung noch weiter zu perfektionieren. An keiner
Stelle war dort die Rede von effektivem Flüchtlingsschutz. Der Schutz der Grenzen steht an erster Stelle;
erst weit dahinter kommt der Schutz der Menschen. Von
einer ernsthaften Bekämpfung der Fluchtursachen kann
meiner Meinung nach, Herr Grindel, nicht wirklich die
Rede sein, wenn man hier im Wesentlichen auf die Bekämpfung des Schleppertums oder auch die Einführung
des Gastarbeiterstatus, den Sie hier letztendlich einfordern, abzielt.
Bei der Bekämpfung von Flüchtlingen wurde dagegen eine neue Stufe erreicht. Die nordafrikanischen
Transitstaaten sollen gedrängt werden, abgeschobene
Flüchtlinge aufzunehmen. Ausgerechnet mit Regimen
wie Libyen, Marokko und Mauretanien soll eng zusammengearbeitet werden. Diese Staaten werden von
Flüchtlingsorganisationen beschuldigt, systematisch
Flüchtlinge in die Wüste abgeschoben zu haben. Pro
Asyl fordert zu Recht ein „Ende der Kumpanei bei Menschenrechtsverletzungen gegenüber Flüchtlingen und
Migranten“.
({0})
Dieser permanente Bruch der Menschenrechte wird
von der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX
koordiniert. EU-Innenkommissar Frattini will, dass die
Mitgliedstaaten bis April FRONTEX mehr Schiffe,
Hubschrauber und Flugzeuge zur Verfügung stellen, um
sie technisch aufzurüsten. Die EU-Kommission schreibt
hierzu eindeutig:
Ständige Operationen auf See würden nicht nur das
Abfangen einer größeren Zahl von Schiffen mit illegalen Einwanderern ermöglichen, sondern auch
als Abschreckung wirken.
Darum geht es: nicht Schutz, sondern Abschreckung.
Dafür nimmt man meines Erachtens auch Tote in Kauf.
Amnesty International hat in seinem Zehnpunkteplan
für die deutsche Ratspräsidentschaft gefordert:
Der Versuch, Europa zu erreichen, darf nicht zur
Todesfalle werden. Die EU muss die Menschen
wirksam schützen, die ihre Außengrenzen anstreben. Sie muss jedem, der ihr Territorium erreicht,
ein faires Asylverfahren garantieren. Der Flüchtlingsschutz darf nicht auf EU-Anrainerstaaten ausgelagert werden.
({1})
Dieser Forderung können wir uns nur voll und ganz
anschließen. Statt einer Agentur zur Koordinierung des
Grenzschutzes brauchen wir eine Agentur zur Koordinierung des Flüchtlingsschutzes.
Ich danke Ihnen.
({2})
Die Aussprache ist damit geschlossen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/3541 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 13 sowie
Zusatzpunkt 5 auf:
13 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Schaffung deutscher Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen
- Drucksachen 16/4026, 16/4036 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Neue Steuervergünstigungen und Gewinnverlagerungen in das Ausland verhindern REITs in Deutschland nicht einführen
- Drucksache 16/4046 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für
die Bundesregierung der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Dr. Barbara Hendricks.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das heute zur Beratung anstehende Gesetz
führt Real Estate Investment Trusts, sogenannte REITs,
in Deutschland ein und schafft damit ein börsennotiertes
Immobilienanlageprodukt, welches wir bisher noch
nicht hatten. REITs haben sich als internationaler Standard in über 20 Ländern der Welt etabliert. Bei uns muss
dies erst noch, wie gesagt, geschehen.
Die gesetzliche Einführung eines deutschen REIT soll
das Spektrum der indirekten Immobilienanlage in
Deutschland ergänzen, um eine Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland und eine Professionalisierung der Immobilienwirtschaft und Wettbewerbsgleichheit gegenüber europäischen Finanz- und
Immobilienstandorten zu erreichen. Die Einführung
deutscher REITs wird zudem die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen steigern und
hochqualifizierte Arbeitsplätze in Deutschland schaffen.
Das Gesetz enthält im Wesentlichen folgende Elemente:
Der deutsche REIT ist als in Deutschland ansässige
Aktiengesellschaft, also REIT AG, ausgestaltet, die
zwingend an der Börse notiert sein muss. Der Streubesitz soll durch eine dauerhafte Quote von 15 Prozent gesichert werden, um deutsche REITs einem breiten Anlegerkreis zugänglich zu machen.
Die REIT AG ist von der Körperschaft- und Gewerbesteuer befreit, vorausgesetzt der REIT beschränkt sich
auf seine Haupttätigkeit, nämlich den Erwerb, die Bewirtschaftung und den Verkauf von Immobilien. Die
Besteuerung der Erträge des REIT erfolgt nach Ausschüttung direkt beim Anleger als Dividende. Das Halbeinkünfteverfahren gilt nicht.
An einer REIT AG darf sich jeder Aktionär nur mit
weniger als 10 Prozent direkt beteiligen. Diese Höchstbeteiligungsklausel passt einerseits zum Charakter der
REIT-Aktiengesellschaft als einer Kapitalgesellschaft
mit breitem Anlegerkreis. Sie sichert andererseits die
nach dem Doppelbesteuerungsabkommen höchstmögliche Quellenbesteuerung ausländischer Anteilseigner und
vermeidet negative Auswirkungen auf das Steueraufkommen. Investoren können jedoch mittelbar mehr als
10 Prozent an einem REIT halten.
Es ist die steuerliche Begünstigung der Aufdeckung
stiller Reserven vorgesehen. Durch einen nur hälftigen
Wertansatz über einen Zeitraum von drei Jahren soll sowohl die Einführung von REITs gefördert als auch der
Immobilienmarkt mobilisiert werden.
Mit diesen Regelungen erfüllt der Gesetzentwurf die
im Koalitionsvertrag genannten Voraussetzungen für die
Einführung deutscher REITs und stellt insbesondere die
verlässliche Besteuerung beim Anteilseigner sicher.
Am Dienstag hat das Bundeskabinett die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates vom 15. Dezember 2006 beschlossen. Soweit
der Bundesrat um die Prüfung bestimmter Maßnahmen
gebeten hat, wird die Bundesregierung diesem Wunsch
entsprechen. Vor dem 1. Januar 2007 erbaute Bestandswohnungen, deren Nutzfläche überwiegend, also zu
mehr als 50 Prozent, Wohnzwecken dient, bleiben, anders als der Bundesrat es vorgeschlagen hatte, von dem
Anwendungsbereich ausgenommen, um befürchteten
negativen Auswirkungen auf den Mieterschutz sowie die
Stadtentwicklung entgegenzuwirken. REITs werden sich
in Deutschland auch ohne die Einbeziehung von Wohnungen etablieren können, weil ausreichend Geschäftsimmobilien zur Verfügung stehen.
Entscheidend ist, dass in Deutschland der Einstieg in
den REITs-Markt möglich sein wird. Dies wird das Gesetz leisten.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Carl-Ludwig Thiele für
die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Die FDP hat seit Jahren die
Einführung von REITs gefordert. Unsere Bundestagsfraktion hat dazu eine Anhörung durchgeführt; die FDP
insgesamt hat dazu einen Kongress veranstaltet. Wir
freuen uns, dass wir heute über den Gesetzentwurf der
Bundesregierung diskutieren können, in der Hoffnung
darauf, dass dieser Gesetzentwurf in Kürze zum Gesetz
wird und in Deutschland Wirksamkeit entfaltet und die
REITs damit in Deutschland endlich eingeführt werden.
Allerdings ist zu dem Gesetzentwurf zu sagen: Er
kommt zwar spät, aber vielleicht noch nicht zu spät. Zudem ist er noch nicht ausreichend. Denn im Gesetzentwurf ist die Einbeziehung von Wohnimmobilien ausgeschlossen; auf diesen Punkt werde ich gleich separat
eingehen.
Finanzminister Steinbrück hatte noch Anfang letzten
Jahres erklärt, dass er direkt nach der Sommerpause einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen werde.
({0})
Daran ist er allerdings leider innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion gescheitert.
Wir wollen, dass auch Wohnimmobilien im Bestand
in REITs aufgenommen werden. Wir sehen uns mit großen Teilen der Union und einer großen Minderheit der
SPD darin einig, dass das so kommt. Es ist bedauerlich,
dass die Blockade seitens der Linken innerhalb der SPD
dazu führt, dass dieses Instrument, das es international
gibt und dort eine positive Wirkung entfaltet, wie die
Staatssekretärin ausgeführt hat, nicht gleich mit voller
Schlagkraft in Deutschland eingesetzt werden kann.
({1})
Das Thema Immobilien bringt es mit sich, darauf hinzuweisen, dass heute draußen ein Sturm tobt. Wenn man
hier im Plenum des Deutschen Bundestages ist, hat man
fast den Eindruck, man sei im Auge des Orkans; denn es
ist sehr ruhig hier. Wir bekommen den Sturm nicht mit.
Immobilien haben einen Wert für die Menschen, und
zwar nicht nur einen materiellen, sondern auch einen immateriellen. Die Werte, die in unserem Land in diesem
Bereich über Generationen hinweg geschaffen worden
sind, müssen weiter gepflegt und bewahrt werden.
Dieser Bereich der Volkswirtschaft ist nicht zu unterschätzen. Es wird hier ein Volksvermögen von
7 000 Milliarden Euro geschätzt. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich die volkswirtschaftliche Bedeutung dieses Bereiches klarzumachen: Im Grundstücksund Wohnungswesen sind - ohne den Bereich Bauwirtschaft - etwa 400 000 Erwerbstätige beschäftigt. Insofern ist es gut, dass dieser Bereich weiter professionalisiert werden soll.
Es gibt viele Gründe, die für die Einführung von
REITs sprechen; auf einige dieser Gründe möchte ich
kurz eingehen:
Erstens: Die Anlageklasse Immobilie wird in Zukunft
an Attraktivität gewinnen. Sie bringt nachhaltige
Erträge. Sie ist im Gegensatz zu den umlagefinanzierten Alterssicherungssystemen geeignet, Kapitaldeckung
für den Einzelnen zu schaffen.
Zweitens. Die deutschen Unternehmen haben im internationalen Vergleich eine sehr niedrige Eigenkapitalquote, aber überdurchschnittlich viel Immobilienbesitz.
In anderen Ländern ist der Immobilienbesitz weniger
verbreitet. Dort werden Immobilien vermehrt gemietet
oder geleast.
Wenn wir durch eine Exitstrategie unseren Unternehmen in Deutschland ermöglichen können, die Immobilien aus den Unternehmen auszugliedern, sie aber dennoch zur Verfügung zu haben, dann können wir die
Eigenkapitalbasis vieler deutscher Unternehmen stärken,
in der Hoffnung darauf, dass das verfügbare Eigenkapital dann für Investitionen zugunsten der wirtschaftlichen
Fortentwicklung des Betriebes und damit auch der Arbeitsplätze genutzt wird.
({2})
Drittens. Auch der öffentliche Immobilienbesitz ist
in diesem Zusammenhang besonders betroffen. Schon
vor der Diskussion um die REITs haben Kommunen damit begonnen, große Wohnungsbestände zu veräußern.
Von Rot-Grün wurden unter dem SPD-Minister
Müntefering Hunderttausende von Wohnungen veräußert, was wir zwar für richtig halten, aber in Verbindung
mit einem angemessenen Mieterschutz, der gleichwohl
bereits gesetzlich geregelt ist und noch weiter gestärkt
werden kann.
Alle diese Möglichkeiten wurden in der Vergangenheit von Sozialdemokraten genutzt, die das vielleicht
auch in Zukunft tun werden, eventuell sogar in Berlin.
Insofern sollte das Instrumentarium nicht verteufelt werden. Das ist billige Parteitaktik und geht an den Bedürfnissen der Menschen völlig vorbei.
({3})
Viertens. In anderen Ländern gibt es REITs schon
längst. Sie sind dort bereits etabliert. Wenn wir wollen,
dass der Finanzplatz Deutschland und die Immobilien in
Deutschland international stärkere Anerkennung finden, dann sollten wir hier die Möglichkeit eröffnen, ein
international geltendes Instrument wie REITs in
Deutschland einzuführen, damit wir nicht nur Sonderwege beschreiten, sondern damit auch Anleger aus
Deutschland und der ganzen Welt die Möglichkeit haben, mithilfe der REITs in deutsche Immobilien zu investieren. Wir benötigen das Kapital, mit dem dann weiter gearbeitet werden kann.
Insofern freue ich mich auf konstruktive Beratungen.
Wir werden eine Anhörung durchführen. Dem Gesetzentwurf werden wir in seinen Grundzügen zustimmen.
Allerdings werden wir sehr genau darauf achten, ob
nicht der eine Geburtsfehler behoben werden kann und
die Wohnimmobilien im Bestand, die etwa 60 Prozent
des Immobilienvermögens in Deutschland ausmachen,
mit aufgenommen werden. Das wäre sinnvoll, und ich
appelliere, sich dem nicht zu verschließen, auch wenn im
außerparlamentarischen Bereich erste Festlegungen erfolgt sind.
Herzlichen Dank.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Leo Dautzenberg für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Finanzmarktpolitik ist
ein Bereich, der häufig ohne die Aufmerksamkeit der
breiten Bevölkerung diskutiert wird. Ein Grund dafür ist
die zweifelsohne falsche Annahme, dass der Finanzmarkt nichts mit der allgemeinen Bevölkerung und der
Volkswirtschaft zu tun habe - zumindest nichts Gutes -,
sondern ein Thema für Börsen, Banken, Versicherungen
und die Vermögenden in unserer Gesellschaft sei.
Dieser Irrglaube herrscht leider auch bei einigen Vertretern in diesem Hause vor, wie Ihr Antrag beweist,
meine Damen und Herren von der Linken. Wer so einseitig diskutiert, verkennt die Rolle des Finanzmarktes für
die gesamte Volkswirtschaft.
({0})
Der deutsche Finanzmarkt leistet einen unverzichtbaren Wachstumsbeitrag. Allein der Anteil der Kreditwirtschaft an der Bruttowertschöpfung liegt bei ungefähr
3,2 Prozent. Die Finanzbranche hat damit insgesamt für
das Wachstum in Deutschland eine ähnliche Bedeutung
wie die großen Industriebranchen. Das gilt auch für die
Zahl der Arbeitsplätze. Darum ist es unsere Verantwortung als Finanzpolitiker, den deutschen Finanzmarkt
durch die richtigen politischen Weichenstellungen so
auszugestalten, dass er sich positiv weiterentwickeln
kann.
Unter diesem Vorzeichen möchte ich auch den Entwurf eines Gesetzes zur Schaffung deutscher Immobilienaktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen
- also REITs - diskutieren, den wir heute in erster Beratung behandeln. Mit dem Gesetz führen wir in Deutschland ein international anerkanntes Finanzprodukt ein,
nämlich die sogenannten Real Estate Investment Trusts,
besser bekannt unter ihrer Abkürzung REITs. REITs sind
steuertransparente, an der Börse notierte Aktiengesellschaften, deren Kerngeschäft es ist, Immobilienbestände
zu verwalten, zu erwerben und zu verkaufen.
Auf Unternehmensebene sind REITs von der Besteuerung befreit. Um diesen Status aber zu erreichen, müssen REITs ihren Gewinn zu mindestens 90 Prozent an
die Anteilseigner ausschütten. Dieser Gewinn wird dann
beim Anteilseigner besteuert. Der REIT ist somit kein
steuerfreies Produkt, wie Sie, meine Damen und Herren
von der Fraktion Die Linke, es in Ihrem Antrag glauben
machen wollen. Die Besteuerung findet lediglich auf einer anderen Ebene statt. Auf die weiteren Detailregelungen zum Beispiel zum Mindestgrundkapital, zu den Haltefristen und zur Mindeststreuung möchte ich aus
Zeitgründen nicht eingehen. Das Ganze ist also in ein
Rahmenwerk eingebunden, das erfüllt werden muss. Das
macht den Sonderstatus dieses Produktes deutlich.
REITs wurden erstmals in den Vereinigten Staaten
von Amerika eingeführt, und zwar bereits im Jahre 1960.
Mittlerweile gibt es vergleichbare Strukturen in vielen
Ländern der Welt. Seit 2000 wurden in sieben Ländern
REITs aufgelegt. Warum brauchen wir nun auch in
Deutschland das Produkt REIT? Wir haben doch bereits
Immobilienanlageprodukte, mag der eine oder andere
ins Feld führen; das ist richtig. Wir verfügen mit offenen
und geschlossenen Fonds sowie Spezialfonds bereits
über verschiedene, gute Finanzprodukte. Allerdings sind
REITs mit diesen Produkten nicht zu vergleichen. Ihr
Chance-Risiko-Profil liegt zwischen Renten und Aktien.
REITs sind also nicht, wie einige Kritiker fälschlicherweise vorbringen, hochspekulative Anlagen. Sie wirken
vielmehr portfoliostabilisierend und sind daher für institutionelle Investoren besonders interessant. Kurz gesagt:
REITs ergänzen und verbessern das Anlagespektrum in
Deutschland.
({1})
Darüber hinaus ist die Einführung von REITs - damit
komme ich zu meiner Eingangsbemerkung zurück nicht nur für den Finanzmarkt positiv. Sie ist erst recht
kein Steuergeschenk an die Akteure des Finanzmarktes.
Vielmehr werden auch andere Wirtschaftszweige unmittelbar - genauso wie der Arbeitsmarkt mittelbar profitieren. So eröffnet der REIT beispielsweise der Immobilienwirtschaft die Chance, sich weiter zu professionalisieren, und zwar durch die Schaffung neuer Berufssparten und qualifizierter Arbeitsplätze zum Beispiel im
Bereich des Portfoliomanagements. Im Vergleich zu anderen Eigentümern können REITs zum Beispiel eine effizientere Verwaltung aufbauen, und zwar dadurch, dass
sie sich auf bestimmte Immobilienarten und Standorte
spezialisieren. Ebenso interessant sind REITs für Unternehmen mit großen Immobilienbeständen. Sie bieten
den Unternehmen eine attraktive Möglichkeit, sich von
ihren Immobilienbeständen zu trennen, um somit finanziell flexibler zu werden, sich auf ihr Kerngeschäft zu
konzentrieren und dabei wiederum Liquidität für andere
Bereiche zu gewinnen.
({2})
Ich begrüße daher ausdrücklich, dass die Bundesregierung mit diesem Gesetz nun endlich dem deutschen
Finanz- und Immobilienmarkt das Produkt REIT anbietet. Die Große Koalition hat sich für die Einführung von
REITs bereits im Koalitionsvertrag ausgesprochen. Wir
haben uns darauf verständigt, die Einführung unter der
Bedingung voranzutreiben, dass zum einen die verlässliche Besteuerung beim Anleger sichergestellt wird und
dass zum anderen positive Auswirkungen auf Immobilienmarkt und Standortbedingungen, also auf den Finanzmarkt, zu erwarten sind. Über die positiven Auswirkungen auf Immobilienmarkt und Standortbedingungen
habe ich bereits gesprochen.
Kommen wir also zur verlässlichen Besteuerung
beim Anleger. Auch dies stellt das Gesetz, das als Entwurf vorliegt, sicher. In der Tat war es keine leichte Aufgabe, die besondere steuerliche REIT-Konstruktion in
die deutsche Steuersystematik umzusetzen und gleichzeitig die verlässliche Besteuerung beim in- und ausländischen Anleger sicherzustellen. Die Problematik bestand hier vor allem im Zugriff auf den ausländischen
Anleger. Hierfür hat das Bundesministerium der Finanzen eine gute Lösung gefunden, nämlich das Dividendenmodell mit Streubesitzklausel. Dieses Modell sieht
vor, dass ein einzelner Anleger unmittelbar maximal
10 Prozent der Anteile an einem REIT halten darf. So sichert sich der deutsche Staat seinen Zugriff auf den ausländischen Anleger. Das heißt, auch die fiskalischen Interessen des Staates sind mit diesem Gesetz gewahrt.
In seiner rechtlichen Gestalt orientiert sich der deutsche REIT an den international bekannten Standards eines REIT. Dies gilt bis auf eine entscheidende Ausnahme. Diese Ausnahme besteht darin, dass der deutsche
REIT - so sieht es zumindest der Gesetzentwurf vor nicht in Bestandsimmobilien investieren darf. Bestandsimmobilien sind laut Definition im Gesetz solche Immobilien, die vor dem 1. Januar 2007 erbaut wurden und die
zu mehr als 50 Prozent Wohnzwecken dienen. Diese
Ausklammerung, mit dem Argument der sozialen Wohnungspolitik und des Mieterschutzes begründet, geht an
den Tatsachen vorbei. Meine Fraktion hält diese Ausklammerung für sachlich falsch.
({3})
Mit dieser Einschätzung stehen wir nicht alleine. Der
Bundesrat ebenso wie viele Fachleute teilen unsere Ansicht. Selbst das Bundesfinanzministerium sah im Referentenentwurf noch die Einbeziehung der Wohnimmobilien vor.
Die Befürchtung, dass REITs aufgrund ihrer Renditeorientierung übermäßige Mieterhöhungen veranlassen
könnten, ist schon alleine deshalb unzutreffend, weil natürlich auch REITs an das deutsche Mietrecht gebunden
sind.
({4})
Selbst wenn sich die Befürchtung begründen ließe, ist
eine Ausklammerung der Bestandsimmobilien aus dem
deutschen REIT wirkungslos; denn damit könnte noch
lange nicht verhindert werden, dass zum Beispiel ein
ausländischer REIT in Paris oder demnächst in London
oder aber auch ausländische Private-Equity-Firmen
deutsche Wohnungen kaufen.
({5})
Sie können im Grunde jeden Wohnungsbestand verkaufen, ihn nur nicht in einen deutschen REIT einbringen.
({6})
Eine größere Widersinnigkeit habe ich bisher kaum erlebt.
({7})
Die Ausklammerung von Bestandsimmobilien ist aber
nicht nur wohnungspolitisch wirkungslos, sie ist auch
marktschädigend, weil durchaus viele Wohnungsunternehmen und Wohnungsbesitzer in Deutschland an einem
Verkauf oder an einer Umwandlung in einen REIT interessiert sind. Durch diese Ausklammerung geht dieses
Potenzial am deutschen Markt vorbei.
In dem Beratungsverfahren werden wir als Union die
Integration von Wohnimmobilien weiterhin verfolgen.
Gleiches gilt für die EK-02-Problematik früherer
gemeinnütziger Wohnungsunternehmen. Wir müssen
überlegen, ob wir dafür nicht eine Regelung finden. Auf
der anderen Seite sind auch noch Fragen bei der ExitTax - Konversion des Wohnungsbauvermögens in den
REIT hinein - zu klären, zum Beispiel wer davon begünstigt werden soll. Im Gesetzentwurf sind zwei vorgesehen, nämlich der REIT und die offenen Immobilienfonds. Ob das der Weisheit letzter Schluss sein soll,
müssen wir diskutieren.
Wir haben einen entscheidenden Schritt vollzogen,
indem der Gesetzentwurf eingebracht worden ist. Es gilt
der Grundsatz, dass in den Beratungen noch etwas verändert werden kann. Insofern sind wir auf einem guten
Wege, ein gutes Finanzmarktprodukt für Deutschland zu
kreieren.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Axel Troost für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Heuschrecken im Wohnzimmer“ war der Titel einer Fernsehsendung von diesem Montag.
({0})
Der Anlass: Eine Welle von Privatisierungen kommunaler Wohnungen durchzieht die Republik. Immer
mehr Menschen fragen sich: Werde ich auch morgen
noch ein Dach über dem Kopf haben? Kann ich die drohenden Mieterhöhungen bezahlen? Aber - und das
stimmt mich persönlich sehr zufrieden und zuversichtlich - auch der Widerstand wächst. Gegen die geplante
Privatisierung der Landesentwicklungsgesellschaft in
Nordrhein-Westfalen wehrt sich die Volksinitiative „Sichere Wohnungen und Arbeitsplätze“. Herne, Velbert,
Dortmund, Onkel Toms Hütte in Berlin-Zehlendorf,
Freiburg, über 300 000 betroffene Mieterinnen und Mieter alleine im Ruhrgebiet - überall Bürgerbegehren und
Klagewellen gegen die Privatisierung kommunaler Wohnungen. Das Ergebnis aus Freiburg: 70,5 Prozent der
Wähler waren gegen die vom grünen Bürgermeister geplanten Wohnungsverkäufe.
({1})
Der Deutsche Mieterbund erklärt - Zitat -:
Wer öffentliche Wohnungsbestände verkaufen will,
stellt sich gegen die Interessen der Mehrheit der
Bürger.
Er spricht im Anschluss von Wohnungsmonopoly.
({2})
In dieser Situation legt die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf zur Zulassung von REITs auch in Deutschland vor. Das spricht nicht gerade dafür, dass Sie die
Sorgen der Menschen außerhalb dieses Hauses wirklich
ernst nehmen. Die Fraktion Die Linke lehnt die Einführung von REITs in Deutschland ab,
({3})
unter anderem - viel kann man in vier Minuten nicht sagen - aus folgenden Gründen:
({4})
Die Bundesregierung behauptet, REITs seien nötig - das
ist auch hier gesagt worden -, weil hohe Eigenbestände
an Immobilien in den deutschen Unternehmen gehoben
werden müssen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Ich sehe hierzu angesichts der Dauerposition als
Exportweltmeister jedoch überhaupt keine Veranlassung. Sie verschärfen damit nur das internationale Steuerdumping.
Die Bundesregierung behauptet, die Immobilienwirtschaft sei ohne REITs nicht konkurrenzfähig. Ich halte
diese Behauptung für frei erfunden. Woher kommt denn
der Run ausländischer Investoren auf deutsche Immobilien?
Heute immer wieder gesagt und auch in den Printmedien ständig zu lesen: Wohnimmobilien sind außen vor.
Hier hat die SPD-Linke zwar in der Tat wichtige Arbeit
gegen die vom BMF ursprünglich vorgegebene Linie geleistet; aber trotz allem sind ihre Forderungen nur partiell durchgesetzt. Faktisch bleiben Wohnimmobilien
nämlich drinnen: Wie eben gesagt worden ist, sind laut
Gesetzentwurf REITs für Mischimmobilien bis zu einem
Wohnanteil von 50 Prozent und für Neubauten generell
zulässig. Damit kommen weite Bereiche des Wohnungsmarktes unter Renditedruck.
({5})
306 Euro Miete bei 640 Euro Rente, und nun drohen
Mieterhöhungen von 80 Euro, zum Beispiel in Dortmund-Wickede ({6})
das ist die Realität in unserem Lande.
({7})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, ich glaube nicht, dass Ihre Auflagen zur
Schonung des Wohnungsmarktes fortbestehen. Sie werden verpuffen, oder sie werden, wie von der CDU/CSU
hier eben angedeutet, im Beratungsprozess sogar noch
aufgeweicht. Das heißt für uns: Verramschen von Sozialkapital. So lautete auch die Kritik in einem Fernsehbeitrag. Sie tragen mit diesem Gesetz dazu bei.
Für meine Fraktion ist und bleibt klar: Wir stehen erst
am Anfang einer Unterwerfung der Wirtschaft und der
öffentlichen Hand unter die Gier der Finanz- und Immobilienmärkte. Meine Fraktion unterstützt den Widerstand
dagegen mit allen Kräften, auch und gerade im Mietwohnungsmarkt. Wir lehnen Ihren Gesetzentwurf ab.
Wir legen Alternativansätze vor, und deswegen haben
wir den Gegenantrag eingebracht.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Gerhard Schick für
die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Troost, Sie haben über die verschiedenen
Verkäufe gesprochen. In Ihrer Aufzählung hat eine Stadt
gefehlt: Dresden.
({0})
Aber ich will auf die Wohnimmobilien gar nicht so sehr
eingehen; denn im Gesamtkontext ist diese Frage nicht
zentral. Es ist auch nicht die Position der SPD, durch
eine Herausnahme der Wohnimmobilien seien alle Probleme gelöst. Die Gesamtproblematik der Wohnungsverkäufe in Deutschland, die wir heute diskutieren, bestand
schon längst vor der Einführung von REITs.
({1})
Das Herausnehmen von Wohnimmobilien aus REITs
macht dieses Problem überhaupt nicht kleiner. Wir müssen andere Lösungen finden.
({2})
Ich kann für meine Fraktion sagen, dass wir zustimmen: REITs ist als Kapitalmarktprodukt sinnvoll; es hat
eine Reihe von Vorteilen. Richtig ist auch, dass wir internationale Entwicklungen aufgreifen und das Interesse
des Finanzstandorts Deutschland fördern. Die Frage ist
bloß: Zu welchem Preis tut man das, und wie tut man
das? Dazu kann ich nur sagen: Dem vorliegenden Gesetzentwurf können wir nicht zustimmen.
Man kann fördern; doch man darf Förderung nicht
zum Selbstzweck machen. Ich habe in den Beiträgen viel
über die positiven Effekte, die das haben kann, gehört.
Sie haben sich mit den Gegenargumenten aber überhaupt
nicht auseinandergesetzt. Es wäre zum Beispiel interessant gewesen, einmal zu hören, was Sie eigentlich zu den
Einwänden, die Ihre Parteikollegen in den Ländern machen, sagen. Diese Kollegen sagen ziemlich deutlich,
dass mit der Exit-Tax massive Probleme verbunden sind.
Diese Probleme bestehen danach nicht nur darin, dass
man in den Wertansatz noch mehr hereinnehmen müsste,
wie Sie angedeutet haben - Herr Dautzenberg, so habe
ich zumindest Sie verstanden ({3})
- ja, es wollen mehr rein -; ein Problem besteht vielmehr
darin, ob man überhaupt eine Abgrenzung vornehmen
kann, ob aus dieser Sondernorm nicht eine neue Kette
von Sondernormen im Steuerrecht wird, die nachher
nicht mehr kontrollierbar ist, und ob aus der Exit-Tax
womöglich ein neuer Beihilfefall im europäischen Recht
wird.
Dazu passt der Subventionsbericht, den wir diese Woche im Finanzausschuss behandelt haben, sehr gut: Wir
sind dabei, eine neue Sondernorm zu schaffen. In Ihrer
Begründung für die Einführung von REITs müssten Sie
nicht nur über die Vorzüge des Finanzmarktprodukts,
sondern auch über die Konsequenzen für das Steuerrecht deutliche Worte verlieren. Wir werden im Ausschuss und bei den Anhörungen noch einmal sehr kritisch nachfragen.
({4})
Die Einführung von REITs kann nicht rechtfertigen,
dass zum Beispiel durch ein Sale-and-lease-back-Verfahren neue Lücken im deutschen Steuerrecht entstehen
und wir uns, um diese Verfahren zu unterbinden, neue
komplexe Regelungen ausdenken müssen, die das Steuerrecht verkomplizieren. Im Zusammenhang mit der in
§ 13 des Gesetzentwurfes vorgesehenen steuerfreien
Rücklage ist überdies eine Frage des Beihilferechts zu
klären: Ist die Steuerbefreiung gerechtfertigt? Sie sind
mit keinem Wort darauf eingegangen, dass dies neue Gestaltungspotenziale in sich birgt.
Ich habe auch nicht gehört, dass die Fragen, die Kollege Pronold beim letzten Mal, als wir hier über REITs
diskutiert haben, gestellt hat, beantwortet worden sind.
Sie sagen, eine verlässliche Besteuerung sei gesichert.
Für mich ist das bisher allerdings nur eine Aussage, die
in Bezug auf die konkreten Einzelfälle noch nicht fundiert unterlegt worden ist. Deswegen freue ich mich,
nachher mehr dazu zu hören, was die Antworten auf die
Fragen sind, die Sie selbst in der letzten Diskussionsrunde gestellt haben, zum Beispiel: Wie ist das bei ausländischen Anteilseignern? Erst wenn diese Fragen geklärt sind, können wir ein Produkt wie REITs
unterstützen.
Danke schön.
({5})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Florian Pronold, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Bundesregierung und die sie tragenden
Fraktionen haben nun den Weg für REITs freigemacht.
Das ist das Ergebnis langer politischer Debatten. Es ist
richtig, dass sie geführt wurden.
({0})
Schauen Sie nach Frankreich, wo REITs zu schnell eingeführt wurden: Man stellte dann fest, dass viele REITAnteile von spanischen Investoren gehalten wurden, für
die die REIT-Dividenden aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommen, das übersehen wurde, quasi steuerfrei
waren. Es ist sehr wichtig, dass wir die Fragen, die mit
der Sicherstellung der Anlegerbesteuerung zusammenhängen, verlässlich beantworten können, bevor wir uns
in den Gesetzgebungsprozess begeben. Hierbei haben
wir im Vergleich zum Beginn der Debatte erhebliche
Fortschritte gemacht.
Sie sehen an den Anmerkungen des Bundesrates und
den dort enthaltenen Prüfbitten, dass es nach wie vor
Fragen zum Sale-and-lease-back-Verfahren, zu den europarechtlichen Auswirkungen und zur Exit-Tax, zur
Beihilfeproblematik, gibt, die wir ganz normal im parlamentarischen Verfahren klären.
({1})
- Ja, wir werden sie klären. Der Klärungsprozess beginnt
gerade: Es finden Anhörungen statt; danach - vor der
zweiten und dritten Lesung - werden wir die Antworten
geben.
({2})
Wir wollen sicherstellen, dass der Anleger besteuert
wird; so haben wir es im Koalitionsvertrag vereinbart.
Die Debatte hat dazu geführt, dass wir schon wesentlich
weiter als vorher sind. Ich bin froh, dass wir das nicht
wie in Frankreich, also nicht im Hoppla-hopp-Verfahren
gemacht haben.
Die Bedenken, die übrigens am Anfang nur ganz wenige hatten, wurden im Bundesrat von allen, unabhängig
von der politischen Couleur - auch von der FDP -, geteilt. Es ist gut, dass offene Fragen, die am Anfang nur
wenige gesehen haben, nun von vielen gesehen werden.
Das führt im Endeffekt dazu, dass ein besseres Gesetz
beschlossen wird. Das ist unsere Absicht.
({3})
Es ist ein wichtiger Schritt für die SPD-Fraktion, dass
nun auch die Bundesregierung befürwortet, Wohnimmobilien bei der Schaffung von REITs außen vor zu lassen. Es stimmt nicht - die Linksfraktion versucht, den
Eindruck zu erwecken -, dass de facto auch sie betroffen
sind. Uns ging es darum, Bestandswohnimmobilien herauszunehmen, weil wir die Sorgen der Menschen sehen;
Freiburg ist angesprochen worden. Es geht nicht nur um
Fragen der Mieterinnen und Mieter, die ein großes Interesse daran haben, dass ihre Wohnungen nicht an der
Börse gehandelt werden, sondern auch um die Frage der
Stadtentwicklung. Wir können doch nicht immer Politikfelder separat bearbeiten, ohne Zusammenhänge zu beachten.
({4})
Wollen Sie mir allen Ernstes erzählen, dass eine börsennotierte Immobiliengesellschaft die Frage einer sozialen
Stadtentwicklung genauso im Auge hat wie eine ehemals
gemeinnützige und immer noch im Mehrheitsbesitz einer Kommune befindliche Wohnungsbaugesellschaft?
({5})
Das glaubt doch niemand!
Städtetagspräsident Christian Ude hat sehr deutlich
gemacht, wie wichtig es ist, dass die Kommunen dieses
Handlungsinstrument noch haben. Ich habe mich darüber gefreut, dass ich von meinem Koalitionspartner, zumindest von den Kommunalpolitikern, viel Zuspruch in
der Frage bekommen habe, wie es denn mit dem Wohnbestand weitergehen soll. Fragen Sie die Augsburger
CSU-Kolleginnen und -Kollegen! Es hat mich sehr gefreut, dass auch die sagen: Jawohl, wir brauchen hier die
kommunale Handlungsfähigkeit, um Stadtentwicklung
gerade in den Großstädten betreiben zu können.
Deshalb haben wir die Bestandswohnimmobilien ausgenommen. Uns geht es nicht darum, neu entstehende
große Gebäude am Potsdamer Platz mit teuren Wohnungen oben und Verkaufsflächen unten in den Schutz einzubeziehen.
Herr Kollege, ich darf Ihren Redefluss unterbrechen.
Es gibt die Bitte der Kollegin Andreae, eine Zwischenfrage stellen zu dürfen. Gestatten Sie?
Gern.
Bitte sehr.
Herr Kollege Pronold, Sie haben gesagt, dass Sie
durch die Veränderung des Gesetzentwurfs gegenüber
dem Referentenentwurf - so wird das ja auch begründet einen klaren Mieterschutz ermöglichen. Sie argumentieren, die Wohnungsbestände der Kommunen oder auch
der öffentlichen Hand allgemein würden nicht an einen
REIT verkauft werden können. Wie wollen Sie eigentlich verhindern, dass solche Wohnungen dann an Private-Equity-Fonds oder ausländische REITs verkauft
werden?
({0})
Das ist eine Frage, die wir schon lange beantwortet
haben. Aber schon die Fragestellung ist falsch.
({0})
Die Fragestellung ist tatsächlich falsch. Sie brauchen nur
nachzulesen. Dazu ist genug geschrieben worden. Private-Equity-Fonds und ausländische REITs können
schon heute deutsche Wohnimmobilien kaufen. Das ist
überhaupt nicht zu bestreiten. Der Unterschied ist der:
Jetzt haben wir als Nationalstaat das Recht der Besteuerung der Erträge aus diesen Immobilien. Wenn ein REIT
geschaffen wird, in den Wohnimmobilien eingebracht
werden, besteht dieses Recht der Besteuerung auf der
Ebene der Gesellschaft nicht mehr. Dann tritt die Problematik der Gleichbehandlung auf, sodass wir den ausländischen REIT europarechtlich womöglich steuerfrei stellen müssen und eine Durchleitung erfolgt.
Wir haben in der Debatte niemals behauptet, das sei
eine Lösung für die ernst zu nehmende Frage der renditegetriebenen Finanzinvestitionen auf dem Wohnimmobilienmarkt. Wir haben immer gesagt: Wir wollen
eine Katalysatorfunktion verhindern, weil uns die Frage
der sozialpolitischen Gestaltung im Hinblick auf den
kommunalen Wohnungsbestand wichtig ist. Deshalb
wollen wir hier nicht übereilt solche Investitionen zulassen.
({1})
Aus dem gesellschaftlichen Bereich sind Mietervereine, Gewerkschaften und große Teile der Kommunalpolitik mit uns hier Seit´ an Seit´ marschiert, um ein vernünftiges Ergebnis zu erzielen.
Ich habe die Debatte von Anfang an verfolgt. Am Anfang hat man uns vonseiten derer, die die REITs wollen,
gesagt: Das mit den Wohnimmobilien ist überhaupt nicht
interessant. Die nehmen wir nur als Beiwerk, um das
Ganze in sich ein bisschen sicherer zu machen, um nicht
nur Gewerbeimmobilien, sondern auch ein paar
Wohnimmobilien zu haben. Dieser geringe Bestand an
Wohnimmobilien interessiert uns eigentlich gar nicht.
({2})
Später haben wir gesagt: Okay, dann nehmen wir die halt
raus. - Daraufhin wiederum hat man uns erklärt: Jetzt
machen REITs überhaupt keinen Sinn mehr, weil man
die Wohnimmobilien nicht drin hat. - Man sollte sich
schon klar darüber sein, was man will.
Die SPD und die Bundesregierung haben in dieser
Frage eine klare Position: Wir wollen nicht, dass es hier
zu einem zusätzlichen Renditedruck auf die kommunalen Wohnungsbestände kommt. Wir wollen, dass ein vernünftiger REIT als Finanzmarktinstrument auf den Weg
gebracht wird, die Besteuerung beim Anleger so sicher
wie möglich ist und die Interessen der Mieterinnen und
Mieter sowie der Kommunen berücksichtigt werden. Da
sind wir auf einem guten Weg. Den Rest klären wir in
der Debatte.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/4026, 16/4036 und 16/4046 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das
ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 sowie
Zusatzpunkt 6 auf:
12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin
Zeil, Gudrun Kopp, Christian Ahrendt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Keine Verlängerung des Briefmonopols Wettbewerb auf dem deutschen und europäischen Postmarkt ermöglichen
- Drucksache 16/3623 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Lötzer, Sabine Zimmermann, Dr. Barbara Höll,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Vollständige Öffnung der Postmärkte stoppen
- Universaldienstverpflichtung absichern
- Drucksache 16/4044 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
FDP sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre dazu keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Martin Zeil für die FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen:
Die Exklusivlizenz der Deutschen Post AG stellt
das wichtigste Wettbewerbshindernis auf den Postmärkten dar.
... das im Postgesetz genannte Ziel der Erstellung
von chancengleichem und funktionsfähigem Wettbewerb ({0}) nach wie vor verfehlt ... Die vollständige Abschaffung der Exklusivlizenz hat ...
oberste Priorität ...
({1})
Zu diesem Ergebnis kommt die Monopolkommission in
ihrem vierten Sondergutachten zur Funktionsfähigkeit
des Wettbewerbs auf den Märkten für Postdienstleistungen.
Angesichts der Diskussion auf europäischer Ebene ist
es höchste Zeit, dass dieses Haus in dieser wichtigen
Frage ganz klar Position bezieht. Wichtig ist, vorneweg
eines klarzumachen: Es darf hier nicht um ein bestimmtes Unternehmen gehen. Als Mitglieder dieses Hauses
haben wir die Verantwortung, das beste Angebot bei einer flächendeckenden Grundversorgung zu besten
Preisen zu garantieren.
Nach unserem Grundgesetz muss der Bund auch die
Versorgung im ländlichen Raum gewährleisten. Die
Bundesnetzagentur ist als Kontrollinstanz vorgesehen.
Wenn eine Versorgungslücke entsteht, kann sie die
Dienstleistungen in Zukunft entsprechend den Vorgaben
des Postgesetzes ausschreiben und den Auftrag an den
günstigsten Bieter vergeben. Laut Postgesetz - das ist, so
glaube ich, noch einmal klarzumachen - ist kein bestimmtes Unternehmen zur Erbringung der Universaldienstleistungen verpflichtet.
Mehr Wettbewerb wird eine hohe Dienstleistungsqualität in der Fläche garantieren. Das haben die benachbarten Märkte Paket- und Expressdienstleistungen, aber
auch der Telekommunikationsmarkt zur Genüge bewiesen. Für den Fall einer Versorgungslücke sieht das Postgesetz zur Finanzierung einen Ausgleichsfonds vor, an
dem sich alle Marktteilnehmer mit einem entsprechenden Umsatzvolumen beteiligen müssen. Gleichartige
Regelungen im Bereich der Telekommunikation sind nie
in Anspruch genommen worden, weil es weder Versorgungslücken gab noch entsprechende Kosten nachgewiesen wurden.
Auch durch die Mehrwertsteuerbefreiung der Post,
über die wir in diesem Hause zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal reden werden, wird der Wettbewerb
massiv verzerrt. Hier müssen wir zu klaren Lösungen
kommen.
({2})
Es zeigt sich, dass die Post trotz des Monopolschutzes
und der gegenwärtig marktbeherrschenden Stellung in
den letzten Jahren flächendeckend Filialen abgebaut und
die Anzahl der Briefkästen stark ausgedünnt hat. Die
Zahl der stationären Einrichtungen privater Postdienstleister ist dagegen sprunghaft gestiegen, und zwar vor allem dort, wo sich der bisherige Anbieter aus der Fläche
zurückgezogen hat. Im liberalisierten Paketmarkt ist die
Zahl der Paketshops inzwischen auf mehr als 16 500 angestiegen und liegt somit um fast 20 Prozent über der
Anzahl der Einrichtungen der Post AG.
Schauen wir auf das Unternehmen selbst. Es wirbt vor
allen Dingen mit der Internationalisierung, damit, dass
man auf fünf Kontinenten präsent ist. Schon heute beschäftigt dieses Unternehmen im Ausland mehr Mitarbeiter als in Deutschland. Weltweite Aktivitäten werden
angepriesen. Warum soll sich also ein solches Unternehmen, das nach eigenen Angaben weltweit gut aufgestellt
ist, vor der Konkurrenz fürchten? Hier sollen aus unserer
Sicht Ängste geschürt werden, um eine Monopolverlängerung zu erreichen.
({3})
Auch die Androhung des Abbaus von Arbeitsplätzen
ist nur vorgeschoben. Denn tatsächlich hat die Post
schon während des geltenden Briefmonopols im Zuge
der Rationalisierungsmaßnahmen mehr als 33 500
Arbeitsplätze abgebaut. Umso bemerkenswerter ist es
- daran sieht man, was Wettbewerb bewirken kann -,
dass die anderen Anbieter 42 000 neue Arbeitsplätze geschaffen haben.
Nun noch ein Blick nach Europa: In Ihrem Entschließungsantrag zur Postrichtlinie haben Sie festgestellt,
Deutschland gehöre zu den Mitgliedstaaten mit der
höchsten Marktöffnung. Ich glaube, dass das einer echten Betrachtung nicht standhält.
({4})
Zusammen mit Großbritannien und den nordischen Ländern, die bereits ihren Markt geöffnet haben, und den
Niederlanden, die dies für 2008 ankündigen, wären bei
einer deutschen Liberalisierung 60 Prozent des europäischen Marktes geöffnet. Deswegen unterstützten wir die
Bundesregierung bei diesen Bestrebungen. Nur sind Sie
aus unserer Sicht bislang zu halbherzig und ohne klare
Linie, gerade was den Fall der Exklusivlizenz über den
31. Dezember 2007 hinaus angeht.
({5})
Nach unserer Ansicht soll in Zukunft nicht mehr ein
einzelner Postdienstleister sämtliche Universaldienstleistungen erbringen, sondern alle Marktteilnehmer sollen unter diskriminierungsfreien Wettbewerbsbedingungen ihre Chance bekommen. Von dem dadurch
entstehenden Wettbewerb werden vor allen Dingen die
Verbraucher und Geschäftskunden durch preisgünstige
und kundenorientierte Dienstleistungen profitieren. Dies
wäre ein wichtiges Signal für mehr Beschäftigung und
Wettbewerb.
({6})
Das Wort hat nun der Kollege Alexander Dobrindt für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Zeil, ich kann Ihnen in vielen Punkten
zustimmen. Aber wenn Sie pauschal sagen, wichtige
Universaldienstleistungen sollten von allen möglichen
Anbietern erbracht werden dürfen, so trifft dies nicht den
Kern. Der Punkt ist, dass diese Universaldienstleistungen in Zukunft überhaupt in der Fläche erbracht werden
und dass jeder Kunde Zugang zu ihnen hat. Das ist für
uns wichtiger als die Tatsache, dass nicht nur einer, sondern viele anbieten.
({0})
„Wettbewerb auf dem deutschen und europäischen
Postmarkt ermöglichen“ - das klingt relativ simpel, in
Wirklichkeit steht aber mit der vollständigen Öffnung
der Postmärkte eines der größten Projekte bei der Schaffung eines echten Binnenmarktes für Dienstleistungen
in Europa kurz vor seiner Verwirklichung. Der Postsektor der EU macht circa 90 Milliarden Euro aus. Das ist
ein gigantischer Markt. Die Europäische Kommission
erwartet von einer zunehmenden Liberalisierung eine
Stärkung des Wettbewerbs und von dieser Stärkung des
Wettbewerbs sinkende Preise, neue Produkte, einen besseren Service und mehr Kundenorientierung.
Für uns ist in diesem Zusammenhang die entscheidende Frage: Wird die Versorgung mit Postdienstleistungen für die Menschen in unserem Land besser oder
schlechter? Darum geht es uns, und daran müssen wir
unser Handeln letztlich messen. Natürlich kann man sagen: Markt macht alles besser. Dieser Auffassung stehe
ich durchaus nahe, aber dann muss es sich auch um einen echten Markt handeln.
({1})
Aber wenn es kein echter Markt ist, dann wird es in aller
Regel nicht besser. Wir erleben das in anderen Bereichen; beim Strommarkt sehen wir das zurzeit. Wenn es
kein echter Markt ist, wird es für die Menschen nicht
besser.
({2})
Also müssen wir sicherstellen, dass dieser Markt im
Sinne der Kunden funktioniert. Schon in der letzten
Wahlperiode haben wir - wenn auch in einer anderen
Konstellation - darüber diskutiert, wie sich die Situation
der Postdienstleistungen für die Menschen verändert,
und ich kann mich gut daran erinnern, wie emotional
einzelne Kollegen dargestellt haben, welche Probleme
ein Abbau der Briefkästen und die Schließung von Postämtern mit sich bringt.
({3})
- Einschließlich der FDP, natürlich. Das ist aber auch
nicht schlimm.
Auf der anderen Seite müssen wir aber sehen, wie gut
wir heute mit dem Versuch der Deutschen Post AG zurechtkommen, Post Points aufzubauen, und wie erfolgreich diese Stellen heute sind - zugegebenermaßen mit
einem heruntergefahrenen Angebot. Wenn ich bei mir zu
Hause schaue, muss ich sagen: Das funktioniert - ein
kleiner Zeitungsladen mitten in einer kleinen Gemeinde,
dabei ein kleines Café, ein kleiner Shop,
({4})
mit vielen Kunden. Das ist sehr erfolgreich und deckt zu
95 Prozent das ab, was die Menschen brauchen, nämlich
einfache Postdienstleistungen: Briefmarken kaufen,
Briefe verschicken, einfache Pakete aufgeben. Deswegen möchte ich an dieser Stelle ganz klar sagen: Wir befürworten, was die Post an dieser Stelle macht. Ich hoffe,
dass auch die Deutsche Post zu dem Ergebnis kommt,
dass das Versuchsprojekt Post Point erfolgreich ist, und
dass sie diesen Versuch über ganz Deutschland erfolgreich ausrollt.
Die Europäische Union hat am 26. Oktober eine
Richtlinie verabschiedet, die die Vollendung des Binnenmarktes zum 1. Januar 2009 zum Inhalt hat. Die geplante
Abschaffung aller reservierten Bereiche ist etwas, das
wir ausdrücklich befürworten. Das heißt für uns in
Deutschland: Der Monopolbereich der Briefe bis
50 Gramm wird und soll spätestens zu diesem Zeitpunkt
fallen. Über die Beibehaltung der Vorgaben zum Postuniversaldienst habe ich gerade gesprochen. Ich erinnere
hier an die Diskussionen, die wir in der letzten Wahlperiode über Briefkästen und Poststellen hatten.
Natürlich gibt es in dieser Richtlinie eine Festlegung
darüber, mit welchen alternativen Maßnahmen der Universaldienst zukünftig - wenn er von den Unternehmen
nicht mehr kostendeckend erbracht werden kann, weil in
der Fläche zu wenig Aufkommen ist - finanziert werden
soll. Wie stellt man sich das vor?
({5})
Wenn das Aufkommen für Postdienstleistungen auf dem
Land - zum Beispiel im Flächenland Bayern, aus dem
ich komme - zu gering ist, weil zu wenige Menschen
Briefmarken kaufen oder Pakete verschicken, dann wird
sich unter Umständen ein Postanbieter aus dieser Fläche
zurückziehen. Weil das im freien Markt möglich ist,
muss der Staat, muss die Regulierungsbehörde eingreifen können und sagen: Wir suchen per Ausschreibung
einen neuen Anbieter für diese Region; wenn wir diesen
Anbieter gefunden haben, werden wir - zum Beispiel
über das Modell eines Fonds, in den alle Anbieter einzahlen müssen - diese Dienstleistung vor Ort subventionieren, damit sie möglich gemacht wird.
Ich halte das theoretisch für möglich. Das kann funktionieren, aber nicht unbedingt allein über den Preiswettbewerb. Gerade in der Fläche, wo es wenige Anbieter
und wenige Interessenten gibt, wird nicht unbedingt der
billigste Anbieter der sein, der es ordentlich machen
kann. Ich erinnere daran, dass wir bei der Gesundheitsreform ein ähnliches Problem mit der ärztlichen Versorgung in der Fläche hatten. Wir haben versucht, dies
- auch auf finanzielle Art und Weise - auszugleichen.
Wir müssen uns also überlegen, ob es in Zukunft möglich sein muss, denjenigen, der in der Fläche das „Programm Post“ anbieten soll, in einem Schönheitswettbewerb auszusuchen. Die Anbieter würden dann also einen
Vorschlag vorlegen, wie sie ihr Angebot gestalten wollen, und nachdem ein Anbieter ausgewählt worden ist,
würde man darüber sprechen, was man bereit ist zu zahlen - nicht umgekehrt.
Im Richtlinienvorschlag der Europäischen Union ist
noch eine ganze Reihe von Punkten enthalten, die wir
unterstreichen können. Die vollständige Öffnung wird
eine größere Attraktivität für neue Produkte und zukünftige Investitionen bringen, das können wir unterschreiben. Wir glauben auch stark daran, dass zukünftig neue
Beschäftigungsmöglichkeiten entstehen werden. In der
Tat ist bei den alternativen Wettbewerbern der Anteil
von Mitarbeitern am Umsatz an Postdienstleistungen in
Deutschland höher als heute bei der Post AG. Von daher
können wir schon davon ausgehen, dass auch dieser
Wettbewerb zukünftig mehr Beschäftigungsmöglichkeiten schafft. Wir begrüßen ausdrücklich noch einmal die
Öffnung der Postmärkte zum 1. Januar 2009.
Allerdings müssen wir auch fragen, was diese Öffnung der Postmärkte in Europa insgesamt zu bedeuten hat. Wir haben momentan kein einheitliches Bild und
leider ist die Befürchtung groß, dass wir dieses einheitliche Bild auch nicht herstellen können. Es gibt verschiedene Länder, die ihre Märkte inzwischen geöffnet und
den Wettbewerb in ihrem Land vollständig zugelassen
haben. Es gibt in Europa eine Reihe von Ländern, die
auf dem gleichen Stand wie wir sind, nämlich kurz davor, zum 1. Januar 2008 eine vollständige Liberalisierung einzuführen. Es gibt aber auch Länder, die deutlich
gemacht haben, dass sie mit einer kompletten Liberalisierung zum 1. Januar 2009 oder im Jahr 2009 nicht zurechtkommen und diese Liberalisierung auch nicht einführen wollen.
An dieser Stelle müssen wir sagen: Es ist uns ein
Anliegen - deshalb fordern wir an dieser Stelle die Bundesregierung auch auf, dafür zu sorgen -, dass, wenn
Liberalisierung in Europa im Bereich der Postdienstleistungen stattfindet, sie möglichst in allen Ländern und
Märkten stattfindet und nicht nur in einem Teil davon,
Herr Zeil, nicht nur in 60 Prozent, wie Sie es ausgeführt
haben. Wir wollen die Liberalisierung vielmehr in
100 Prozent der Länder. Sie muss nicht überall zum gleichen Zeitpunkt, zum 1. Januar 2008, einsetzen. Aber es
muss sichergestellt werden, dass zumindest ein bis zwei
Jahre später alle auf dem gleichen Stand sind, also alle
Wettbewerber und alle Kunden in Europa die gleichen
Chancen haben.
Ich glaube, nur dann ist dieser Vorschlag für uns zustimmungsfähig. In diesem Sinne wünschen wir der
Bundesregierung viel Erfolg mit ihrer Position und mit
unserer Position, in den nächsten Monaten Verhandlungsergebnisse zu erreichen, die es möglich machen,
dass auch die Länder, die sich momentan noch wehren,
mit dabei sind und der Liberalisierung des Postmarktes
in Europa zustimmen.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Ulla Lötzer,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die
EU-Kommission hat neben der FDP eine Richtlinie vorgelegt, die die völlige Marktöffnung der Postdienste
bis 2009 vorsieht. Dazu gehört, dass 90 Prozent der
Briefsendungen nicht mehr für die nationalen Postdienste reserviert werden sollen.
Wirtschaftsminister Glos will dieses Projekt mit Ihrer
Unterstützung auch gegen den Widerstand vieler Mitgliedstaaten - wie Frankreich - im Rahmen der Ratspräsidentschaft vorantreiben. 12 Mitgliedstaaten haben bei
der letzten Ratssitzung daran massiv Kritik geübt, vom
Widerstand der Gewerkschaften ganz zu schweigen.
Die flächendeckende Versorgung mit Postdienstleistungen zu angemessenen Preisen ist im Grundgesetz verankert. Schon jetzt ist Deutschland in der Privatisierung
und Öffnung der Postdienste für den Wettbewerb führend. Der Anspruch des Grundgesetzes soll durch das
Postgesetz, die Universaldienstleistungsrichtlinie sowie
die Selbstverpflichtung der Post AG erfüllt werden. Die
Zahl der Briefkästen, Erreichbarkeit von Filialen, Anforderungen an die Leerung und Zustellung sowie angemessene Beschäftigungsbedingungen sind dort festgeschrieben.
Kollege Zeil, schon unter diesen Bedingungen sind
die Folgen dieser Öffnung - eben nicht die Voraussetzungen, sondern die Folgen dieser Öffnung - verheerend. EU-weit weist Deutschland die viertgrößte Rate
beim Abbau von Filialen auf; die Brieflaufzeiten haben
sich verschlechtert; bei der Post AG haben über 30 000
Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verloren. Stattdessen
blühten Subunternehmen und Post-Shops mit zum Teil
sittenwidrigen Arbeitsbedingungen - wie unter anderem
in Bayern mit 4 Euro die Stunde - auf. Ungefähr 13 000
Arbeitsplätze wurden im Saldo im Briefbereich vernichtet.
Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktion,
auf welcher Grundlage behaupten Sie dann, Liberalisierung sei ein Jobmotor? Mit Ihren Vorhaben wären weitere Verschlechterungen auf der Tagesordnung. Herr
Zumwinkel hat für diesen Fall bereits den Abbau weiterer 32 000 Stellen angekündigt.
Kollege Barthel, auch Sie wissen, die Gewährleistung
der Versorgung auf der Grundlage der Universaldienstleistungsrichtlinie selbst wird gefährdet. Sie wird bisher
durch die Gewinne aus der Exklusivlizenz finanziert.
Kollege Zeil, das ist nicht das größte Wettbewerbshindernis, sondern der Garant für die Erfüllung der verfassungsgemäßen Ansprüche an eine flächendeckende Versorgung mit Postdienstleistungen.
({0})
Die Kommission schlägt unter anderem vor, der Staat
könne neben dem Fonds Beihilfen leisten. Die Kosten
soll dann der Steuerzahler tragen. Derzeit werden die
Gewinne der Post noch mit herangezogen. Diese Sozialisierung der Kosten und Privatisierung der Gewinne aufseiten der Aktionäre der Post AG lehnen wir allerdings
entschieden ab.
({1})
Tatsächlich würden dadurch die Universaldienstverpflichtung selbst und damit auch die Postkunden und
die Beschäftigten auf der Strecke bleiben. Noch längere
Schlangen vor den Postschaltern, Filialsterben, das Abhängen von Briefkästen und weitere Dumpingbedingungen für die Beschäftigten in ganz Europa wären die Folgen.
Statt europaweiter Liberalisierung brauchen wir auch
in diesem Bereich einen gesetzlichen Mindestlohn, damit auch die Briefträgerinnen und Briefträger der Subunternehmen von ihrer Arbeit leben können. Wir brauchen
schärfere Kontrollen der Beschäftigungsbedingungen
durch die Bundesnetzagentur, damit die Ansprüche, die
im Postgesetz formuliert sind, auch eingehalten werden.
Die flächendeckende Versorgung mit qualitativ hochwertigen Postdienstleistungen auf europäischer und nationaler Ebene muss weiterhin durch die Gewinne aus
dem Briefmonopol finanziert werden.
Die Regierung verlässt durch ihr Vorhaben den Boden
der Verfassung. Kehren Sie auf den Boden der Verfassung zurück! Sie sollten unseren Antrag unterstützen.
Damit hätten Sie einen entscheidenden Schritt in diese
Richtung getan.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Klaus Barthel, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
So sicher wie das Amen in der Kirche ist, können wir im
Deutschen Bundestag damit rechnen, in sehr kurzen Abständen mit Anträgen der FDP nach dem Motto „Weg
mit den Monopolen!“ beglückt zu werden.
({0})
Man muss zugeben, dass Ihre Botschaft immer gleich
lautet: Sie wollen den vollen und freien Wettbewerb, und
zwar sofort - übrigens ganz im Unterschied zur Situation
bei Apotheken, Fachärzten und Privatkrankenkassen.
({1})
Halten wir fest: Schon jetzt stehen zwei Drittel der
Postmärkte in Deutschland voll im Wettbewerb. Erst Anfang vergangenen Jahres sind weitere 7 Prozent des
Marktvolumens zusätzlich in den Wettbewerb gegangen.
Wir sind uns darüber einig: Ende dieses Jahres soll der
komplette Rest des Marktes in den Wettbewerb gehen.
So steht es auch im Gesetz.
Allerdings - hier fangen die Unterschiede an - sieht
die FDP damit alle Probleme als gelöst an. Aber die Erfahrungen, die die Menschen mit solchen Liberalisierungsprozessen in aller Welt gemacht haben, sind
durchaus differenziert und teilweise sogar gegenteilig.
Gerade auf dem Postsektor liegen Licht und Schatten,
was die Liberalisierung betrifft, sehr nah beieinander. Einerseits sind die Erfolge unübersehbar. Die Post hat einen enormen Modernisierungsschub hinter sich.
Aber schauen wir uns in Stadt und Land um: Postfilialen werden outgesourcet; gerade läuft wieder eine solche Umwandlungswelle. Es wechseln die Orte und die
Betreiber der Agenturen. Die meisten Agenturen gibt es
sowieso nur noch deswegen, weil gesetzliche Regelungen das erzwingen, aber nicht deswegen, weil der Markt
es erfordert. Arbeitsplätze werden abgebaut. Die Zusteller schaffen ihre Arbeit zum Teil nicht mehr. Betriebliche Konflikte, wie sie in den letzten Tagen zum Thema
Arbeitszeit stattgefunden haben, spitzen sich zu.
Außerhalb der Post AG machen die Wettbewerber
Negativschlagzeilen mit Billigjobs bis hin zu zugegebenermaßen legaler Kinderarbeit. Da werden Arbeitnehmerrechte unterlaufen und Betriebsratswahlen verhindert, da gibt es Stundenlöhne zwischen 3 und 5,60 Euro,
und da herrschen tariflose Zustände.
({2})
Rund zwei Drittel der von Ihnen gerade gefeierten
42 000 Arbeitsplätze bei den Wettbewerbern sind Miniund Midijobs. Nur 20 Prozent dieser Jobs sind Vollzeitstellen. Herr Zeil, selbst viele dieser Vollbeschäftigten
müssen zusätzlich ergänzende Leistungen in Form von
Arbeitslosengeld II in Anspruch nehmen, um überleben
zu können. Wir hören sogar von sogenannten Aufstockern, davon, dass die öffentlichen Kassen systematisch
geplündert werden, um Billigjobs für Zusteller zu organisieren. Der Postsektor - das müssen wir hier einmal
ganz nüchtern feststellen - ist im Moment dabei, die
größte Niedriglohnbranche in Deutschland zu werden.
Weil alles das mit fairem Wettbewerb nichts zu tun hat,
geraten die noch vorhandenen annehmbaren Arbeitsplätze immer mehr unter Druck.
Wenn dann die FDP in ihrem Antrag den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post AG dafür angreift, dass
er gesetzlich geregelte Mindestlöhne fordert, haben wir
einmal mehr Blau auf Gelb, was die FDP unter Wettbewerb versteht.
({3})
In diesem Antrag, den alle einmal lesen sollten, steht mit
empörtem Unterton, dass Herr Zumwinkel für gesetzliche Mindestlöhne plädiere, um - wörtliches Zitat - „sein
Unternehmen vor der Konkurrenz privater Anbieter zu
schützen“. Die FDP kann sich also offensichtlich nicht
vorstellen, dass bei gleichen, fairen Löhnen Wettbewerb
im Postsektor entstehen kann. Wettbewerb kann es aus
der Sicht der FDP anscheinend nur durch Lohndumping
und Sozialdumping geben. Das kann es doch wohl nicht
sein, liebe Kolleginnen und Kollegen!
({4})
Im Verständnis von Wettbewerb unterscheiden wir
uns fundamental. Wohlstandsgewinne und zusätzliche
Arbeitsplätze wird es, so denken wir, nur bei gesicherten
Arbeitsbedingungen geben. Sonst haben wir einen reinen Verdrängungswettbewerb, kannibalisieren sich ArKlaus Barthel
beitsplätze im Unternehmen A und Arbeitsplätze im
Unternehmen B und machen sich gegenseitig kaputt.
Vielleicht sollten auch Sie in der FDP sich einmal die
gesetzlichen Grundlagen anschauen. Frau Lötzer hat es
schon erwähnt: 1997 - da waren Sie noch nicht hier,
Herr Zeil - haben Sie ein Postgesetz mitbeschlossen, in
dem von sozialen Belangen die Rede ist, in dem steht,
dass Kriterium für die Lizenzvergabe ist, dass die wesentlichen Arbeitsbedingungen in der Branche eingehalten werden. Wir Sozialdemokraten sagen: Wenn die völlige Marktfreigabe kommt, müssen diese Instrumente
- von massiven und gründlichen Kontrollen durch die
Regulierungsbehörde, die Bundesnetzagentur, über tarifliche und gesetzliche Branchenregelungen bis zu einem
eventuellen gesetzlichen Mindestlohn - erst recht geprüft und eingesetzt werden, um die Spirale nach unten
endlich zu stoppen. Das ist eine notwendige Begleitmaßnahme, wenn eine völlige Marktöffnung am Jahresende
kommt.
Das andere ist die Aufrechterhaltung und Modernisierung bzw. Präzisierung des Universaldienstes; dazu hat
Kollege Dobrindt schon einiges gesagt. Die Bürgerinnen
und Bürger betrachten das, was wir in der jetzigen
PUDLV als Universaldienst definiert haben - ebenso
wie die Deutsche Post AG in ihrer Selbstverpflichtung -,
als absolute Untergrenze, als Grenze des Zumutbaren.
Wir wollen und dürfen daran keine Abstriche machen,
egal ob es um Filialen geht oder um Briefkästen, um die
Zustellungsqualität oder um den Umfang der Leistungen.
({5})
Wir werden uns noch den Kopf darüber zerbrechen müssen, wie wir das finanzieren; denn wir glauben nicht daran, dass das einfach so, im Selbstlauf, passieren wird.
Wichtig ist aber auch, dass wir faire Wettbewerbsbedingungen haben, im Inland wie im Ausland. So, wie es
keine Wettbewerbsverzerrungen durch Lohn- und Sozialdumping geben darf, darf es auch keine unterschiedlichen Regelungen in Europa geben. Wir haben immer
gesagt, wir brauchen die Harmonisierung der bisher nationalen Postmärkte zu einem europäischen Postbinnenmarkt; so lautet die Lissabonstrategie. Wie wir heute
schon gehört haben, liegt Deutschland mit einigen kleinen Staaten am Rande Europas, in denen sich kein ernsthafter Wettbewerb abspielen wird - was in Skandinavien
auch schwierig ist, ebenso in Großbritannien -, bei der
Marktöffnung an der Spitze. Doch es darf nicht sein,
dass in einigen Ländern der Markt geöffnet ist und Wettbewerber aus ganz Europa dort agieren dürfen, während
in anderen Ländern Wettbewerber auf ihren Heimatmärkten keine Konkurrenz zu fürchten brauchen. Deswegen müssen wir einen Blick auf das werfen, was die
EU-Kommission in ihrem Bericht und in ihrer Prospektivstudie dazu schreibt - es lohnt sich, einen Blick dorthinein zu werfen -: Vorgesehen sind ein einheitliches
Datum, wann die Monopole auslaufen, und Spielräume
bei der Gestaltung des „Universaldienstes“ sowie bei der
Finanzierung. So weit, so gut. Aber damit ist es nicht getan, wir können uns nicht einfach zurücklehnen. Schauen
wir uns diese Kommissionsdokumente an: Da gibt es
den Bericht der Kommission, der eigentlich die Grundlage für die neue Richtlinie bilden sollte.
Herr Kollege!
Dieser Bericht zeichnet sich dadurch aus, dass sein
wesentlicher Begleittext nur in englischer Sprache vorliegt; damit geht es schon los.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Kopp?
Aber sicher.
Danke schön, Herr Kollege Barthel. - Habe ich Sie
eben richtig verstanden, dass Sie unter Wettbewerb und
Europäischem Binnenmarkt verstehen, dass es europaweit einen Mindestlohn für diejenigen geben soll, die
Postdienstleistungen erbringen, und glauben Sie tatsächlich, dass das realisiert werden wird und dass dies das
Anliegen der EU ist?
Davon habe ich nicht gesprochen. Die Regelung der
Arbeitsbedingungen liegt in der nationalen Zuständigkeit. Wir wollen nur sicherstellen, dass uns durch einen
fairen Wettbewerb erlaubt wird, solche Mindestregelungen in Deutschland festzulegen, und dass sie nicht durch
ungleiche Wettbewerbschancen auf dem europäischen
Markt ausgehöhlt werden. Bei diesem Punkt in dem
Bericht der EU-Kommission, in dem sie sehr oberflächlich darüber hinweggeht, bin ich gerade.
In ihm werden nämlich nur sehr formale und globale
Angaben über diese Wettbewerbssituation gemacht. Auf
ganzen vier von 55 Seiten wird die Situation der Menschen - ob es Postkunden oder Beschäftigte der Post
sind - in diesem gemeinsamen Markt beschrieben. Über
ihre Situation wird hinweggegangen. Es fehlt die Analyse des Marktes und der Marktzutrittsbedingungen, die
Grundlagen für einen fairen Wettbewerb sind. Daneben
fehlen auch Angaben über die flächendeckende postalische Infrastruktur und über die tatsächlichen Verhältnisse auf den Postarbeitsmärkten. In diesem Bericht
zählt der 400-Euro-Job zum Beispiel genauso viel wie
ein anständig bezahlter Vollzeitarbeitsplatz. Es fehlen
auch jegliche Angaben über die Zufriedenheit der Kunden, über die Qualität der Leistungen und über Preisrelationen.
Herr Kollege, ich gehe davon aus, dass die Frage beantwortet ist und dass die Kollegin Kopp sich setzen und
ich die Redezeit weiterlaufen lassen kann.
Dann müssen wir das leider so tun, Frau Kopp.
Es gibt aber einen wichtigen Zusammenhang zwischen den Arbeitsbedingungen und einem fairen Wettbewerb in Europa. Ein Brief ist ein Brief, egal ob er einen
Tag oder drei Tage unterwegs ist. 1 Euro ist 1 Euro, unabhängig davon, wie die Einkommenssituation in den jeweiligen Ländern aussieht. Das ist also kein Bericht,
sondern ein oberflächlicher und beschönigender Überblick.
Daneben gibt es noch die Prospektivstudie, die besonders interessant ist, weil sie sich auf ein Gutachten
stützt, das die Kommission in Auftrag gegeben hat. In
diesem Gutachten stehen zum Beispiel ausdrücklich die
Probleme, die es mit der Aufrechterhaltung des Universaldienstes und seiner Finanzierung gibt. Das wird dort
problematisiert. Von dieser Problematisierung finden wir
in dem zusammenfassenden Dokument der EU-Kommission keine Zeile wieder. Darin wird stattdessen davon ausgegangen, dass sich das alles von selbst regelt.
Das heißt, sie haben den Bericht - diese Prospektivstudie -, den sie selber in Auftrag gegeben haben, offensichtlich überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder
wollen das nicht tun.
Vor dem Hintergrund dessen, was uns die Kommission vorlegt, darf man sich manchmal nicht mehr wundern, dass die Menschen Probleme mit dem europäischen Projekt haben. Deswegen werden wir in der
Koalition gemeinsam daran arbeiten - damit komme ich
zum Schluss -, dass der europäische Liberalisierungsprozess fair gestaltet wird, dass der flächendeckende
Universaldienst mindestens auf dem jetzigen Niveau gehalten wird und dass der Postsektor eine Branche wird,
in der gute Arbeitsbedingungen die Grundlage für gute
Leistungen sind. Wir werden es bei diesem konkreten
Beispiel nicht zulassen, dass das europäische Sozialmodell und die Priorität für Arbeitsplätze in Sonntagsreden
beschworen werden, während in den konkreten Einzelbereichen, in denen wir das umsetzen wollen, davon
nicht mehr die Rede ist, sondern dass man dort in der
keimfreien und abstrakten Welt der Marktmodelle
schwebt.
Herr Kollege, Sie wollten zum Schluss kommen.
Deswegen hat die SPD-Bundestagsfraktion in der
letzten Woche, als wir in Brüssel waren, beschlossen,
dass wir all die Projekte, die in Europa laufen, einer Sozialverträglichkeitsprüfung unterziehen. Diese Sozialverträglichkeitsprüfung haben die neue Postdienstrichtlinie und erst recht der Antrag der FDP noch nicht
bestanden.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte sehr um
Verständnis: Wir haben gerade erfahren, dass der öffentliche Personennahverkehr in Berlin um 20 Uhr eingestellt wird. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen etwas
um Disziplin und darum, ihre Redezeit einzuhalten, damit unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - es geht
nicht um uns - die Chance haben, noch nach Hause zu
kommen.
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Andreae.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn wir über die Liberalisierung und Privatisierung in diesem Bereich reden, sollten wir uns zwei
Punkte anschauen, zum einen die Frage, welche Chancen ein Wettbewerb in diesem Bereich hat, und zum anderen die Frage der Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Bündnis 90/Die Grünen begrüßen es durchaus, dass
die europäische Ebene für Wettbewerb bei netzgebundenen Infrastrukturen sorgt. Wir haben in der Vergangenheit schon im Strombereich, im Telekommunikationsbereich und teilweise auch im Postbereich gesehen,
dass es durch den Wettbewerb deutliche Fortschritte vor
allem für die Verbraucherinnen und Verbraucher gegeben hat.
Die geltende Postrichtlinie läuft 2008 aus. Dann wird
lediglich das europäische Wettbewerbsrecht gelten. Daher ist es gut, dass die Kommission einen Vorschlag vorgelegt hat, der als Entscheidungsgrundlage für die Vorbereitung des Postmarktes dient.
Es gibt nach wie vor eine Reihe von Mitgliedstaaten,
die bei der Post Monopolbereiche zur Finanzierung der
Universaldienste zulassen. Deutschland gehört dazu;
andere Staaten haben bereits privatisiert. Nach dem
Postgesetz wird in Deutschland der Postmarkt zum
Januar 2008 vollständig liberalisiert. Wir begrüßen, dass
die Bundesregierung an diesem Termin festhält und erklärt, dass das unabhängig davon geschieht, ob andere
Staaten Wettbewerb einführen.
Im Übrigen halten wir überhaupt nichts davon, wenn
in Deutschland einzelnen Unternehmen Wettbewerbsvorteile im Heimatmarkt gewährt werden, damit sie mit
den so erzielten Monopolrenditen globale Unternehmen
aufbauen können. Das ist heute der Fall.
({0})
Das nützt auch den Unternehmen nicht; denn die notwendigen Innovationen werden dadurch behindert. Insofern darf aus unserer Sicht dem Drängen der Deutschen
Post AG, das Monopol bei den Standardbriefen zu verlängern, nicht nachgegeben werden. Das Beispiel Telekommunikation hat gezeigt, wie Wettbewerb zu sinkenden Preisen und teilweise auch besserem Service führen
kann.
({1})
Es ist aber natürlich notwendig, dass man sich die
Arbeitsbedingungen anschaut. Man kann nicht einfach
davon ausgehen, dass im Falle des Wettbewerbs die
Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gleich bleiben oder gar besser werden. Insofern
ist es durchaus richtig und begrüßenswert, dass die
Richtlinie nicht zu sehr in die Gestaltung der Universaldienstverpflichtung der Mitgliedstaaten eingreift und
dass die Mitgliedstaaten durchaus Handlungsmöglichkeiten haben. Diese müssen sie aber auch nutzen.
Ebenso ist aus unserer Sicht erforderlich, dass die
durchaus vorhandenen Möglichkeiten des deutschen
Postgesetzes, Einfluss auf die Arbeitsbedingungen der
neuen Wettbewerber und auch auf die tarifliche Gestaltung zu nehmen - durch Vergabe von Lizenzen oder
auch durch Verweigerung oder Nichtverlängerung bzw.
sogar Zurücknahme von Lizenzen -, genutzt werden.
Dass das tatsächlich geschieht, halten wir für außerordentlich erforderlich.
In der gestrigen Sitzung des Wirtschaftsausschussses,
bei der ich nicht anwesend war, ging es um einen Entschließungsantrag. In diesem steht am Schluss ein Satz,
den ich für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
klar unterstützen möchte: Soziale Belange, insbesondere
hinsichtlich der Sicherung angemessener Arbeitsbedingungen, müssen eingehalten werden. - Dazu braucht es
aber aus unserer Sicht kein Monopol. Man kann durchaus die Vorteile des Wettbewerbs auf dem Markt für die
Verbraucherinnen und Verbraucher nutzen, sollte aber
die Möglichkeiten, die das Postgesetz bietet, nicht aus
den Augen verlieren, vor allem die eigenen Ansprüche
im Hinblick auf Arbeitsbedingungen und auch auf branchenabhängige Mindestlöhne, die hier durchaus angebracht wären; es sind ja Beispiele genannt worden. Aus
unserer Sicht ist es so nicht akzeptabel.
Mit dieser Position werden wir in die Debatte gehen
und hoffen, dass sich hier etwas bewegt.
Vielen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/3623 und 16/4044 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur
Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes
- Drucksache 16/4010 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Aufgrund meines starken Hustens
möchte ich meine Rede zu Protokoll geben und Sie bit-
ten, meine wegweisenden Gedanken morgen im Proto-
koll nachzulesen. Ich bitte dafür um Verständnis.1)
Danke.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Volker Wissing,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist überfällig, dass die Bundesregierung etwas gegen
die Belastung durch Rußpartikel unternimmt. Die FDP
begrüßt das ausdrücklich und unterstützt die Bundesregierung bei der Erreichung dieses Ziels. Bemerkenswert
ist allerdings wieder einmal der Weg, der hier beschritten
wird. Noch vor wenigen Wochen hieß es aus Kreisen der
Koalition, jetzt sei Schluss mit Steuererhöhungen, das
Maß des Zumutbaren sei erreicht. Was liegt uns aber
vor? Wieder eine Steuermehrbelastung.
Das ist aber nicht das einzige Problem des Gesetzentwurfes. Er widerspricht auch voll und ganz dem Ziel einer Vereinfachung unseres Steuerrechts.
({0})
Egal was CDU/CSU und SPD anpacken, zwei Eckpunkte stehen bei ihren Gesetzentwürfen immer schon
fest: Erstens. Die Bürgerinnen und Bürger werden zur
Kasse gebeten. Zweitens. Die Gesetze werden immer
komplizierter.
Die Bundesregierung rechnet bei diesem Gesetzentwurf bis 2010 mit Mehrbelastungen von 55 Millionen
Euro. Ursprünglich hieß es einmal, dass sich die Kosten
der Steuerbefreiung und die Einnahmen aus der Steuererhöhung die Waage halten sollten. „Die Waage halten“
heißt für mich aber plus/minus null und nicht
55 Millionen Euro mehr im Staatssäckel.
({1})
Die Politik von Schwarz-Rot ist nichts anderes als der
permanente Griff in die Taschen der Bürgerinnen und
Bürger. Ihre Finanzpolitik ist ein Synonym für höhere
Steuern geworden.
({2})
1) Anlage 2
- Und Sie wissen, Frau Kollegin Frechen, dass es genauso ist, wie ich es sage. Das können Sie in der Begründung zu dem Gesetzentwurf nachlesen.
({3})
Das Ziel dieses Gesetzes ist gut, der Weg ist aber
höchst fragwürdig. Der Förderwildwuchs im Kraftfahrzeugsteuergesetz ist inzwischen zu einem Problem geworden. Es ist hier ein echter Paragrafendschungel entstanden. Der Gesetzentwurf, den Sie uns vorlegen, führt
weiter ins Dickicht hinein. Das Kraftfahrzeugsteuergesetz - das sollte uns allen klar sein - soll vor allem die
Besteuerung von Kraftfahrzeugen regeln. Es ist nicht in
erster Linie ein Umweltgesetz.
Man kann über Steuern durchaus bestimmte politische Ziele verfolgen. Aber das darf nicht dazu führen,
dass die Steuergesetzgebung so verkompliziert wird,
dass am Ende kein Mensch mehr weiß, warum er wie
viel bezahlt.
({4})
Transparenz und Verständlichkeit der Steuergesetzgebung sind eine ganz wesentliche Voraussetzung für die
Akzeptanz unseres Steuerrechts. Es sind dieselben Kolleginnen und Kollegen, die hier einer Verkomplizierung
nach der anderen zustimmen und die dann verzweifelt
mit dem Kopf nicken, wenn man sie daran erinnert, dass
unser Steuerrecht von Monat zu Monat unverständlicher
wird. Ich frage Sie: Wann wollen Sie denn endlich mit
einer Vereinfachung anfangen? Was hat die Bundesregierung bisher zur Vereinfachung unseres Steuerrechts
und zum Bürokratieabbau beigetragen?
({5})
Sie legen uns ein Steuergesetz nach dem anderen vor,
verabschieden das Bürokratiemonster Antidiskriminierungsgesetz und planen den Einstieg in die Gesundheitsbürokratie. Aber die Bemühungen um den Bürokratieabbau bleiben vollständig auf der Strecke.
In diesem Hohen Haus fordern alle weniger Bürokratie. Aber immer wenn es konkret wird, entscheiden sich
CDU/CSU und SPD für kompliziertere Gesetze. Klare,
einfache und verständliche Steuergesetze sind kein
Selbstzweck. Sie schaffen Rechtssicherheit und fördern
das Vertrauen der Menschen in die Politik. Nicht für jedes komplizierte Problem gibt es eine einfache Lösung.
Aber man braucht auch nicht für jedes einfache Problem
eine komplizierte Lösung.
Die FDP unterstützt die Bemühungen der Bundesregierung, die Partikelbelastung zu reduzieren. Wir unterstützen aber nicht die Bemühungen der Bundesregierung, dem Staat, wie es auch bei diesem Gesetz der Fall
ist, Mehreinnahmen zu verschaffen und wieder einmal
das Steuerrecht zu verkomplizieren.
Wir haben heute die erste Beratung des Gesetzentwurfs. Frau Kollegin Frechen hat sich bereits wieder für
ein komplizierteres Steuerrecht entschieden. Wir meinen
aber, dass wir die von der Bundesregierung vorgeschlagene Lösung sorgfältig beraten müssen.
Wir müssen im Rahmen der Beratungen ausloten, ob
es Alternativen zu Ihren Vorschlägen gibt. Denn der
schnelle Weg von Schwarz-Rot in Form von Mehreinnahmen für die Staatskasse und eines komplizierten
Steuerrechts - dies ist eine schöne Düngung des Steuerdschungels - kann keine Antwort auf ein solches Problem sein. Wir werden uns konstruktiv an diesen Beratungen beteiligen.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Patricia Lips, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Herr Wissing, ich
werde mir im Laufe meiner Rede die Freiheit nehmen,
das eine oder andere Mal auf Ihre Ausführungen zurückzukommen.
Das Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfes der Bundesregierung, die Rußpartikelminderung bei DieselPKWs, ist Bestandteil der Koalitionsvereinbarung und
reiht sich in zahlreiche weitere Diskussionen zu ähnlichen Themen an anderer Stelle - dies gilt sowohl für die
bundespolitische wie auch, zumeist flankiert, die europäische Ebene - ein. Zum Inhalt ist zu sagen - lassen Sie
mich das einfach formulieren; das hat bei Ihnen, Kollege
Wissing, etwas gefehlt -: Es sollen befristet steuerliche
Förderungen gewährt werden, wenn entsprechende
Fahrzeuge durch den Einbau eines Rußpartikelfilters
aus- bzw. nachgerüstet wurden und werden. Gleichzeitig
sollen jedoch diejenigen, welche auch künftig eine entsprechende Norm nicht einhalten, innerhalb einer befristeten Zeit einen Zuschlag zahlen.
Die vorgesehenen Maßnahmen beinhalten damit folgende Komponenten: erstens den Umweltaspekt, welcher dem Ganzen sicherlich als ein Signal und Ziel zugrunde liegt, zweitens den steuerlichen und gleichzeitig
finanziellen Aspekt, der unter den Stichworten „Lenkungswirkung“ auf der einen und „haushaltspolitische
Verantwortung“ auf der anderen Seite zum Ausdruck
kommt, und drittens den wirtschaftlichen Effekt, nämlich eine Beschleunigung der Techniken sowie die Entwicklung und Produktion von Nachrüstsystemen. Dies
ist ein Effekt, der zahlreiche Betriebe insbesondere im
mittelständischen Bereich in unserem Land unterstützen
soll.
({0})
Dies möchten wir an dieser Stelle unterstreichen. Hier
erkennen wir getätigte Investitionen und Vertrauensschutz in geplante gesetzgeberische Maßnahmen uneinPatricia Lips
geschränkt an. Ich hätte mich gefreut, wenn auch die
FDP, die sich den Stiefel der Wirtschaftspolitik gerne anzieht, ein paar Worte dazu verloren hätte.
({1})
Der Grundgedanke, also die umweltpolitische Komponente, ist nach unserer Auffassung eigentlich unstreitig; das hatten Sie bestätigt. Ein Anreiz zur Umrüstung
sowie die damit verbundene Förderung der Partikelfiltertechnik soll ganz gezielt einen weiteren Beitrag zum
Schutz des Menschen und der Umwelt leisten. Den Begriff „Feinstaub“ kannten bis vor wenigen Jahren nicht
viele. Heute ist er weiten Teilen der Bevölkerung in der
Tat ein Begriff. Eine Reduzierung von Partikelemissionen soll nun durch eine weitere Maßnahme unterstützt
werden.
Dabei erkennen wir natürlich an, dass viele Fahrzeughalter bereits in der Vergangenheit diesem Aspekt beim
Fahrzeugkauf sowie bei Nachrüstungen besondere Bedeutung beigemessen haben. Wünschenswerterweise
sollen es natürlich sehr viel mehr werden. Diesen Vorgang wollen wir beschleunigen.
Ich möchte bereits an dieser Stelle daran erinnern,
dass vonseiten des Europäischen Parlamentes aktuell
neue Abgasnormen auf den Weg gebracht werden, deren Einhaltung in wenigen Jahren verbindlich werden
soll. Diese Vorgaben werden aller Voraussicht nach darauf abzielen, dass der Einbau eines Partikelfilters erforderlich sein wird, um diese Vorgaben dann einzuhalten.
Den Mitgliedstaaten soll in der kommenden Zeit jedoch
die Möglichkeit gegeben werden, die Einführung umweltfreundlicher Fahrzeuge steuerlich zu fördern. An
diesem Punkt stehen wir heute. Herr Wissing, wir stehen
dafür, die für die betroffenen Halter in unserem Land bestehenden Chancen zu nutzen.
({2})
Dem Gesetzentwurf liegt - ich deutete es bereits an eine sogenannte kombinierte Bonus-Malus-Regelung
zugrunde. Was bedeutet dies?
Erstens. Die CDU/CSU möchte an dieser Stelle eben
gerade nicht einzig mit Verschärfungen und Verboten ein
gewünschtes und durchaus auch erforderliches Verhalten
erzwingen. Vielmehr soll die Verantwortung der Betroffenen für sich und andere durch finanzielle Anreize verstärkt werden, indem die volle Kostenbelastung einer
solchen Maßnahme nicht allein beim Halter zum Tragen
kommt. Herr Wissing, das bedeutet erst einmal Steuermindereinnahmen.
Zweitens ist es aber auch zielführend, durch einen
entsprechenden Steuerzuschlag auf weiterhin ungeminderten Schadstoffausstoß ein „Umrüstbewusstsein“ zu
verstärken. Anders ausgedrückt: Der Zuschlag soll eine
Lenkungsfunktion erfüllen und ebenfalls zur Nachrüstung oder zum Kauf von moderner, umweltschonender
Technik motivieren. Andernfalls muss bezahlt werden.
Drittens - das sage ich ausdrücklich in aller Offenheit
und in unserer Verantwortung für die Haushalte - soll
durch die Bonus-Malus-Regelung eine Gegenfinanzierung erfolgen, wenn auch nicht in voller Höhe. Denn
selbst wenn ein Beschluss auf Bundesebene erfolgt - wir
freuen uns über die Gelegenheit, heute in einem geordneten Verfahren darüber diskutieren zu können -, werden die finanziellen Auswirkungen in erster Linie die
Länderhaushalte betreffen.
Es soll nicht verschwiegen werden - das war auch
kurz vor der Weihnachtspause den Medien zu entnehmen -, dass im ursprünglichen Entwurf, der im November vorgelegt wurde, die Regelungen sehr kurzfristig
- sprich: binnen Jahresfrist - in Kraft gesetzt werden
sollten, um zu einer möglichst zeitnahen Deckung von
Mindereinnahmen zu kommen. Wir begrüßen es deshalb
ausdrücklich, dass es doch noch möglich wurde, in einem nachträglichen Kompromiss mit den Ländern eine
vertretbare Verschiebung des Malus - sprich: der steuerlichen Mehrbelastung der betroffenen Halter - im Hinblick auf die Chance, die steuerliche Förderung zu nutzen, zu erreichen. Uns war es wichtig, die rechtzeitige
Kenntnisnahme der steuerlichen Förderung in der Bevölkerung zu gewährleisten, um doch noch die realistische
Möglichkeit einer Umrüstung einzuräumen.
Der Gesetzentwurf hatte eine lange Vorlaufzeit in der
Ressortabstimmung bei Bund und Ländern. Es war für
uns dennoch von Bedeutung, dass trotz der Wichtigkeit
und Dringlichkeit der Thematik und neben den genannten Sachpunkten nun auch die Fraktionen des Deutschen
Bundestages eine angemessene zeitliche Beteiligung erfahren, wie es zurzeit geschieht.
Abweichend vom üblichen Verfahren haben wir jedoch bereits gestern im Finanzausschuss - also noch
vor der heutigen ersten Beratung im Plenum - über den
Gesetzentwurf diskutiert. Damit wird deutlich, dass auch
uns an einer zeitnahen Umsetzung gelegen ist.
({3})
Dies soll uns auch in den weiteren Beratungen begleiten.
Wir gehen davon aus, dass uns das gelingt, zumal die Intention des Gesetzes unstreitig sein dürfte.
Lassen Sie mich abschließend Frau Arndt-Brauer und
dem Rest der SPD-Fraktion, von der zum Schluss fast
alle gehustet haben, noch gute Besserung wünschen.
Vielen Dank.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben mit dem
Stenografischen Dienst vereinbart, dass für alle Kolleginnen und Kollegen, die keine schriftliche Fassung ihrer Rede haben, aber ihre Rede wegen der Wetterlage
dankenswerterweise zu Protokoll geben, morgen um
11 Uhr Abgabeschluss ist.
Nächster Redner ist der Kollege Lutz Heilmann,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten heute in erster Lesung einen Gesetzentwurf
zur steuerlichen Förderung von Dieselrußfiltern. Fünf
Jahre ging die Debatte zwischen Bund und Ländern hin
und her, oder besser gesagt: Fünf Jahre hat es die deutsche Autoindustrie verstanden, dieses Gesetz zu verhindern.
Mehrere Tausende Menschen in Deutschland sterben
jährlich an den Folgen der Feinstaubbelastung, beispielsweise an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die durch
Feinstaub hervorgerufen werden. Der Straßenverkehr ist
eine wesentliche Quelle für Feinstaub. Dieselruß enthält
die besonders schädlichen Klein- und Kleinstpartikel.
Manche behaupten, dass der Straßenverkehr nicht das
Hauptproblem sei. Ich meine aber, dass alle Möglichkeiten genutzt werden müssen, um die Gesundheit der Menschen zu schützen.
Mit dem Inkrafttreten der sogenannten Plakettenverordnung am 1. März dieses Jahres werden insbesondere
in Großstädten Umweltzonen eingerichtet. Fahrzeuge
mit schlechten Abgaswerten dürfen dann diese Zonen
nicht mehr befahren.
Im Grundsatz stimme ich dieser Regelung völlig zu.
Ziel von Umweltzonen ist es aber nicht, die Menschen
aus den Städten zu vertreiben, sondern die Emissionen
- insbesondere von Feinstaub - zu verringern. Deshalb
müssen wir den Menschen die Möglichkeit bieten, die
für die Umweltzonen geltenden Werte einzuhalten.
Welche Alternativen gibt es denn? Die erste und einfachste Alternative ist: Man geht um die Ecke zum
nächsten Autohändler und kauft sich ein neues Auto. Für
viele ist das dank der Politik und insbesondere der Steuerpolitik der Großen Koalition kaum noch realisierbar.
Deshalb ist die zweite Variante, die Autos entsprechend
umzurüsten, für mich nachhaltiger. Dies sollten wir steuerlich fördern. Die Förderung sollte so ausgestaltet sein,
dass die Umrüstung so schnell wie möglich erfolgt und
dass der Feinstaub so weit wie möglich reduziert wird.
Nun frage ich mich, ob der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf diesem gerecht wird. Ich muss sagen: Nein.
Warum? Vor diesem Gesetz sind alle Filter gleich. Wie
im realen Leben gibt es aber auch bei den Filtern eine
Zweiklassengesellschaft. Es gibt offene Filter, die zu einer Reduzierung des Feinstaubes bis zu 50 Prozent führen und ungefähr 600 Euro kosten. Es gibt geschlossene
Filter, die den Feinstaub bis zu 99 Prozent reduzieren
und circa 1 200 Euro kosten. Richtig wäre es, alle Filter
zu fördern, da für manche Autotypen geschlossene Filtersysteme nicht verfügbar sind. Eine geringere Reduzierung des Feinstaubes ist allemal besser als gar keine.
Aber das von Ihnen angewandte Gleichbehandlungsprinzip, nach dem alle Filtertypen mit 330 Euro gefördert
werden, ist keine sachgerechte Lösung. Wer mehr tun
will und sich ein geschlossenes Filtersystem anschafft,
wird dadurch nämlich bestraft und muss tiefer in die Tasche greifen. Wer es will, aber nicht kann, weil er das
Geld nicht zur Verfügung hat, wird erst recht gehindert.
Wollen Sie tatsächlich eine Umweltpolitik für Besserverdienende machen? Ich glaube, dass uns das nicht zusteht. Hohe Umweltstandards sollten für alle zugänglich
sein, egal ob Manager, Studentin und Student oder Rentnerin und Rentner. Auch Arbeitslose haben Anspruch
darauf; das möchte ich Ihnen deutlich sagen.
({0})
Die Linke fordert daher eine gestaffelte steuerliche
Förderung mit dem Ziel, die geschlossenen Systeme
deutlich mehr zu fördern. Das kann man aufgrund der
Filterkategorien machen, indem man geschlossene Filtersysteme doppelt so stark fördert wie offene, oder man
richtet die Förderung anhand eines Grenzwertes aus. Das
heißt, wer zum Beispiel den Feinstaubgrenzwert PM 4
einhält, bekommt 660 Euro. Wer PM 1 bis PM 3 einhält,
bekommt entsprechend weniger.
Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit.
Das sind meine letzten beiden Sätze, Frau Präsidentin. - Die Linke begrüßt, dass es endlich eine steuerliche
Förderung für die Nachrüstung mit Dieselrußfiltern gibt.
Aber es zeigt sich auch anhand dieses Gesetzes wieder,
dass große Koalitionen nicht unbedingt zu großen Gesetzen führen. Die fünf Jahre Diskussion haben gezeigt,
dass mit diesem Gesetz nur wenigen wehgetan, aber den
Betroffenen in den Städten auch nicht wirklich geholfen
wird.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat der Kollege Winfried Hermann, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine
Kolleginnen und Kollegen! Wir Grünen begrüßen, dass
es endlich ein Gesetz zur steuerlichen Förderung und
Einführung von Dieselrußfiltern gibt. Es kommt aber
reichlich spät, eigentlich schon zu spät. Wir haben trotz
der grundsätzlichen Zustimmung allerhand Kritik am
Gesetzesverfahren und an der Funktionsweise des Gesetzes. Es ist ein Beispiel für ausgesprochen schlechtes politisches Handeln. Es gab über Jahre hinweg ein Gewürge, bis eine Lösung zustande gebracht wurde. Ich
will an dieser Stelle ausdrücklich meiner Kollegin Astrid
Klug, die nun Staatssekretärin beim Bundesumweltminister ist, danken, mit der ich schon vor drei, vier Jahren
begonnen habe, ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen.
Ich weiß, wie schwierig es war und welche Widerstände es von allen Seiten gab. Es ist jedenfalls ein Märchen, dass es alleine die Automobilindustrie war. Es ist
sicherlich ein Beispiel für schlechten Lobbyismus der
Automobilindustrie. Es ist aber auch ein Beispiel für
eine querschießende Landespolitik und die schlechte
Abstimmung innerhalb der Fraktionen. Die FinanzpolitiWinfried Hermann
ker haben anders gehandelt als die Umweltpolitiker. Das
ist eigentlich nicht erträglich. Wir sollten es uns nie mehr
leisten, so viel Zeit zu benötigen, bis in einer solchen
wichtigen Frage ein Fördergesetz zustande gebracht ist.
Der Kollege von der FDP hat so getan, als gehe es nur
um eine steuerrechtliche Frage. Das, lieber Kollege,
finde ich nun angesichts der Feinstaubproblematik in
Ballungsräumen, worum es eigentlich geht, völlig daneben und völlig ignorant. So kann man in keiner Weise an
das Thema herangehen.
({0})
Ich will Ihnen einmal sagen, was Sie mit Ihrer Argumentation ignorieren. Die WHO hat in mehreren seriösen
Studien nachgewiesen, dass die Feinstaubbelastung
rechnerisch zu einer hohen Zahl von vorzeitigen Todesfällen führt. Europaweit haben wir bis zu 300 000 Tote
pro Jahr.
({1})
Die stehen zunächst einmal nur in der Statistik. Aber
wenn diese konkret wären, gäbe es schon dann, wenn es
sehr viel weniger wären, einen großen Aufschrei. Dann
würden auch Sie fordern, dass die Regierung endlich
handelt. Aber weil das zunächst einmal rechnerische und
statistische Größen sind, ist man zögerlich und bringt
nichts zuwege. Weil Sie grundsätzliche Bedenken hatten: In vergangenen Zeiten hat auch die FDP steuerlichen Förderungen zugestimmt. Es ist doch eine Selbstverständlichkeit, dass die Politik durch Anreize versucht,
dass die neueste Technologie für Kfz auf den Markt
kommt.
Jetzt komme ich zu dem, was wir an diesem Gesetz
kritisieren. Es ist schlecht, dass in diesem Gesetz zweitklassige Technik, die sogenannten offenen Filter, die
nur 30 Prozent der Schadstoffe reduzieren, mit dem gleichen Satz wie eine Vollfilterung in einem geschlossenen
System gefördert werden. Das ist, wie ich finde, ökologischer Unsinn. Da hätte man deutlich staffeln müssen.
({2})
Zweiter Kritikpunkt: Es ist auch nicht gut, dass die
Malusregelung so schwach ist, dass nicht wirklich ein
massiver Anreiz geschaffen wird. Sie haben kritisiert,
dass sogar schon diese Lösung zu Lasten des Steuerzahlers gehe. Aber der Steuerzahler kann dem doch durch
eine rechtzeitige Nachrüstung oder durch den Kauf eines
Neufahrzeugs, das sauber ist, entgehen.
({3})
Ich meine, die Lösung, die Sie mit der etwas höheren
Kfz-Steuer gefunden haben, ist so schwach, dass deswegen keiner nachrüstet. Deswegen ist die Regelung nicht
wirklich gut.
Ich komme zum Schluss. Ich weiß, Sie sind alle schon
aufgeregt. Dieses Gesetz hätte eigentlich einen massiven
Schub zur Feinstaubbekämpfung bringen müssen. Diesen massiven Schub kann es leider nicht auslösen. Es ist
eine schwache Lösung. Wir brauchen aber dringend Lösungen, weil Sie sehen, dass in allen Ballungsräumen
Jahr für Jahr inzwischen die Feinstaubgrenzwerte überschritten werden.
({4})
Die strengste und beste Regelung wäre, wenn endlich
alle Dieselfahrzeuge mit einem Filter ausgestattet würden. Das wäre eine wirkliche Hilfe. Dazu hätte es eines
schärferen Gesetzes und einer größeren Förderung und
nicht einer geringeren Förderung bedurft.
({5})
Kollege, das hätten Sie begreifen müssen.
Vielen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/4010 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu einem Antrag auf Genehmigung zur
Durchführung eines Strafverfahrens zu erweitern und
diese jetzt sofort als Zusatzpunkt 8 ohne Aussprache
aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 8 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung und Immunität
({0}) zu einem Antrag auf
Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens
- Drucksache 16/4095 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/4095, die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erteilen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Ulla Lötzer,
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Den Reichtum umverteilen - für eine sozial gerechte Reform der Erbschaftsbesteuerung
- Drucksache 16/3348 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Die Rednerinnen und Redner haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/3348 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur
Änderung des Bundesvertriebenengesetzes
- Drucksache 16/4017 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Die Rednerinnen und Redner haben ebenfalls ihre Re-
den zu Protokoll gegeben.2)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/4017 an den Innenausschuss
vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Der Tagesordnungspunkt 16 soll von der Tagesordnung abgesetzt werden. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und der Durchführungsrichtlinie
der Kommission ({2})
- Drucksachen 16/4028, 16/4037 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({3})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Die Rednerinnen und Redner haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben.3)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/4028 und 16/4037 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
1) Anlage 3
2) Anlage 4
3) Anlage 5
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Meierhofer, Michael Kauch, Angelika
Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Verbraucherfreundliche Kennzeichnung strahlungsarmer Mobilfunkgeräte
- Drucksache 16/3354 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Die Rednerinnen und Redner haben ebenfalls ihre Re-
den zu Protokoll gegeben.4)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/3354 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({5})
zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel,
Ulla Lötzer, Dr. Diether Dehm, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der LINKEN
Für solidarische und entwicklungspolitisch ko-
härente Wirtschaftspartnerschaftsabkommen
- Drucksachen 16/3193, 16/4056 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Hübinger
Dr. Sascha Raabe
Hellmut Königshaus
Ute Koczy
Die Rednerinnen und Redner haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben.5)
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung auf Drucksache 16/4056 zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Für solidarische und
entwicklungspolitisch kohärente Wirtschaftspartner-
schaftsabkommen“. Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag auf Drucksache 16/3193 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit
den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der FDP bei
Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen und gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
4) Anlage 6
5) Anlage 7
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 19. Januar 2007,
9 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen einen guten und hoffentlich sicheren Nachhauseweg.
Die Sitzung ist geschlossen.