Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich begrüße Sie alle sehr herzlich zur ersten Sitzung
des Bundestages in diesem Jahr. Ich wünsche Ihnen allen
ein gesundes,
({0})
ein friedvolles, ein glückliches und natürlich auch ein erfolgreiches Jahr 2007.
({1})
Vor allem wünsche ich uns viel Kraft und Gesundheit,
damit wir unsere Aufgaben und unsere Verantwortung so
wahrnehmen können, wie es die Bevölkerung von uns
erwartet.
({2})
- Herzlichen Dank.
Bezeichnenderweise beschäftigen wir uns gleich in
unserer ersten Sitzung mit der Gesundheitsreform.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen
Krankenversicherung ({3})
- Drucksachen 16/3950, 16/4020 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({4})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt.
({5})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte mich den guten Wünschen der Präsidentin
anschließen. Ich freue mich auf weiterhin anregende,
manchmal heftige, hoffentlich aber immer konstruktive
Debatten, die wir führen müssen, wenn wir für die Menschen in unserem Lande eine gute Gesundheitsversorgung organisieren wollen.
({0})
- Ich habe ausnahmsweise einmal Herrn Spieth angesehen.
({1})
Meine Damen und Herren, durch die Gesundheitsreform werden wir die Versorgung der Patienten verbessern und den notwendigen Wettbewerb in unserem Gesundheitssystem stärken. Die Reform kommt. Der
vorliegende Gesetzentwurf ist ein guter Gesetzentwurf.
Zum Wesen der parlamentarischen Demokratie gehört
der Kompromiss. Wir, die Koalitionsfraktionen, haben
einen guten Kompromiss erzielt. In den letzten Wochen
haben wir über viele Änderungsanträge und Ergänzungsvorschläge debattiert. Die Anregungen der Länder haben
wir ebenso aufgegriffen wie sachliche Vorschläge und
Forderungen, die sich aus den Anhörungen ergaben. An
der Grundausrichtung der Reform - mehr Wettbewerb
für eine bessere Versorgung - halten wir fest.
Redetext
Einige Änderungen möchte ich besonders hervorheben.
Künftig wird für alle Bürgerinnen und Bürger in
Deutschland eine Pflicht zur Versicherung bestehen. Für
diejenigen, die gesetzlich krankenversichert sind, besteht
bereits eine Versicherungspflicht; hier werden die letzten Lücken geschlossen. In Zukunft wird allerdings auch
für privat Krankenversicherte eine Pflicht zur Versicherung eingeführt.
({2})
Dann werden erstmals alle Menschen in Deutschland
gegen das Risiko Krankheit umfassend abgesichert sein.
Ich betone: Bei der Lösung dieses Problems geht es nicht
nur um diejenigen, die bisher unversichert sind - das ist
leider eine wachsende Zahl von Menschen -, sondern
auch um zukünftige Generationen. Auch sie müssen wissen: Die Behandlung von Krankheiten ist heutzutage
nicht selten sehr aufwendig und teilweise sehr teuer.
Niemand - auch kein etwas besser Verdienender - kann
die Behandlung einer schweren, zum Beispiel chronischen Erkrankung aus eigener Tasche zahlen. Deshalb
hat der Staat die Aufgabe, die Menschen gegen dieses
Risiko umfassend abzusichern. Konkret ist vorgesehen,
dass sich all diejenigen, die weder gesetzlich noch privat
versichert sind noch über einen anderen Anspruch auf
Leistungen im Krankheitsfall verfügen, ab 2009 in einem Tarif der privaten Krankenversicherung versichern müssen, der mindestens ambulante und stationäre
Leistungen umfasst. Dabei besteht im vorgesehenen Basistarif der privaten Krankenversicherung ein Kontrahierungszwang. Dieser Basistarif wird so ausgestaltet, dass
er bezahlbar bleibt.
({3})
Das Problem der wachsenden Zahl Nichtversicherter gehen wir früher an als geplant. Ehemals gesetzlich Versicherte müssen sich ab dem 1. April dieses Jahres gesetzlich versichern. Ehemals privat Versicherte können sich
ab dem 1. Juli dieses Jahres ohne Risikozuschläge, ohne
Risikoprüfung, ohne Leistungsausschlüsse im heutigen
Standardtarif der privaten Krankenversicherung versichern; er wird also für alle bisher Unversicherten, die
der privaten Krankenversicherung zuzuordnen sind, geöffnet. Ab 2009 werden diese Versicherten in den Basistarif wechseln können, der dann den bisherigen Standardtarif ablöst.
Auch die privat Krankenversicherten dürfen finanziell nicht überfordert werden. In einem System, das Unternehmen weitgehende Gestaltungsfreiheiten für die
einzelnen Tarife gibt, dürfen die Prämien für ältere Versicherte, die angeblich durch Altersrückstellungen gedeckt sind, nicht ins Unermessliche steigen, vor allen
Dingen aber keine Sozialhilfebedürftigkeit auslösen.
Diesen Versicherten steht künftig der Weg in den Basistarif offen, bei dem die Bezahlbarkeit ebenso garantiert
wird wie die Behandlungspflicht.
Wenn jetzt vonseiten der privaten Krankenversicherungen bzw. deren Interessenvertretern der Gang nach
Karlsruhe angedroht wird, dann sage ich: Dem sehe ich
gelassen entgegen. Denn die Verantwortung des Staates,
die medizinische Versorgung der gesamten Bevölkerung
sicherzustellen, muss nach unserer Verfassung Vorrang
haben vor Lobbyinteressen und hat dies auch.
({4})
Aber auch was die gesetzliche Krankenversicherung
angeht, haben wir sinnvolle Veränderungen vereinbart,
zum Beispiel, dass wir keine Rehaleistungen erster und
zweiter Klasse wollen. Deshalb machen wir alle Rehabilitationsleistungen künftig zu Regelleistungen. Damit reagieren wir auf die Drohung der Krankenversicherungen, in diesem Bereich Einschnitte vorzunehmen.
Nebenbei gesagt: Ich halte es schon für merkwürdig,
wenn eine Branche androht, die Qualität der Leistungen
einzuschränken, und gleichzeitig verkündet, dass alles
teurer wird.
({5})
Geeinigt haben wir uns auch darauf, was die Regelungen bezüglich der Verbände angeht, bei der Reform zu
bleiben. Ebenso bleiben wir dabei, dass wir die Insolvenzfähigkeit auch der landesunmittelbaren Kassen einführen wollen. Wir haben sorgfältig beraten, wie wir sicherstellen können, dass die Rechte der Beschäftigten
bei Veränderungen gewahrt bleiben. Die Beschäftigten
müssen sich also keine Sorgen machen.
Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Montag?
Ja.
({0})
Danke für die Witze.
({0})
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, Sie haben
gerade gesagt, dass Sie einer verfassungsrechtlichen
Überprüfung des Gesetzentwurfs mit Gelassenheit entgegensehen. Ich möchte Sie davon in Kenntnis setzen,
dass der Rechtsausschuss heute Vormittag sehr lange
und intensiv über die verfassungsrechtlichen Implikationen dieses Gesetzentwurfs diskutiert hat. Dabei sind aus
allen Fraktionen erhebliche Bedenken geäußert worden,
auch aus den Reihen der Koalition, sowohl aus den Reihen der SPD als auch aus den Reihen der CDU/CSU,
und zwar nicht nur vom Kollegen Merz, sondern auch
von vielen anderen. Sie können diese Argumente noch
nicht kennen, weil der Rechtsausschuss gerade erst getagt hat. Aber meine Frage an Sie lautet: Sind Sie persönlich und ist Ihr Haus bereit, diese Diskussion im
Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zum Anlass zu nehmen, die verfassungsrechtlichen SchwierigJerzy Montag
keiten dieses Gesetzentwurfs noch einmal zu überprüfen?
({1})
Herr Kollege Montag, ich bin darüber informiert, dass
Sie heute Morgen mit der Bundesjustizministerin und
dem zuständigen Staatssekretär des Innenministeriums
sehr intensiv über diese verfassungsrechtlichen Fragen
diskutiert haben.
Das, was im Gesetzentwurf steht, haben wir durch unsere Verfassungsressorts sehr intensiv prüfen lassen. Die
private Krankenversicherung sagt, es sei verfassungsrechtlich nicht zulässig, dass sie Menschen auch ohne
Prüfung des Gesundheitsrisikos mit einem Basistarif
versichern muss. Ich sage Ihnen und bin mir dabei sehr
sicher - darum ging es auch bei meinem Redebeitrag in
dieser Diskussion eben -: Ich hielte es für ein falsches
Verständnis unserer Verfassung, wenn der Schutzauftrag
des Staates, aufgrund dessen er dafür zu sorgen hat, dass
jeder Einzelne in diesem Lande das Recht auf die notwendige und für ihn bezahlbare Gesundheitsversorgung
hat, nicht höher als einseitige Geschäftsinteressen der
privaten Krankenversicherungen anzusehen wäre.
({0})
Zu dieser Frage habe ich viele Urteile gelesen. Die Entscheidungen der Gerichte waren immer sehr eindeutig,
weil der Schutzauftrag des Staates höher als die vielen
Einzelinteressen anzusetzen ist, die im Gesundheitswesen stärker als in anderen Bereichen unseres Gemeinwesens ausgeprägt sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich abschließend noch etwas zu den Bedenken und Interessen
sagen, die die Länder und Regionen artikuliert haben. Es
ist klar: Spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Risikostrukturausgleich ist die
gesetzliche Krankenversicherung eine Solidargemeinschaft, wie das bereits seit 1989 auch in § 1 des Fünften
Buches Sozialgesetzbuch formuliert ist. Deswegen ist
Solidarität nicht teilbar.
({1})
Bei der Neuordnung und Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung mittels des Gesundheitsfonds ab 2009, der zu mehr Gerechtigkeit und Solidarität führt, werden wir auch darauf achten, dass keines der
Länder eine überproportionale Belastung für seine Versicherten tragen muss. Wir wollen den Fonds; denn
durch ihn wird das Geld der Versicherten unabhängig
vom Einkommen gebündelt. Eine Krankenkasse hat
nämlich überhaupt keinen Einfluss darauf, ob sie in Regionen tätig ist, in denen viele Menschen mit einem
niedrigen Einkommen leben, und ob ihr viele kranke
Versicherte angehören. Deshalb werden wir das Geld
über den Fonds zusammenführen, die Einkommen zu
100 Prozent ausgleichen und mit der Einführung des
morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs dafür
sorgen, dass an die Krankenkassen, bei denen viele
kranke Menschen versichert sind, mehr Geld fließt als an
die Krankenkassen, bei denen mehr gesunde Menschen
versichert sind. Gleichzeitig geben wir den Kassen mehr
Möglichkeiten an die Hand, die Versorgung über Rabatt-,
Mengen- und Preisverhandlungen sowie mit Qualitätsvereinbarungen und neuen Tarifen besser und wirtschaftlicher zu organisieren.
Die Belange der neuen Länder sind in diesem Gesetz
besonders stark berücksichtigt. Sie sind eindeutig die
Gewinner eines vollständigen Finanzkraftausgleichs,
und aufgrund der Bevölkerungsstruktur profitieren sie
auch von dem neuen morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich.
Frau Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage
der Kollegin Bunge?
Frau Bunge.
Frau Ministerin, Sie haben eben die Umverteilungswirkungen des Fonds und bestimmte Vorteile für die
neuen Bundesländer dargestellt, zu denen es zugegebenermaßen kommen kann. Sie sagen, das Grundkonstrukt
des Fonds werde nicht zu Mehrbelastungen für die Versicherten führen. Sie selbst haben aber diesen Fonds so
angelegt, dass im Jahr 2010 nur noch 95 Prozent der
Ausgaben daraus gedeckt werden sollen. Wie kann das
Geld, das im Fonds gebündelt wird und dann nur
95 Prozent der Ausgaben decken soll, zur Entlastung
oder wenigstens zur Beibehaltung des Status quo von
Versicherten dienen? Schließlich haben die Krankenkassen auch andere Einnahmeausfälle zu verzeichnen, beispielsweise dadurch, dass Sondertarife vereinbart werden. Die Ausgaben bestehen zudem fort; auch die
Krankenkassen haben Mehrbelastungen zu tragen.
Frau Kollegin Bunge, ich glaube, Sie sind einem Irrtum aufgesessen. Denn wenn der Fonds 2009 startet,
werden die Ausgaben zu 100 Prozent daraus gedeckt.
Nirgends ist schriftlich festgehalten, dass ab 1. Januar
2010 nur noch 95 Prozent der Ausgaben gedeckt werden. Das ist auch gegenwärtig nicht der Fall. Denn diese
5 Prozent würden, bezogen auf die heutigen Ausgaben
der gesetzlichen Krankenversicherung, rund 7,5 Milliarden Euro ausmachen.
Wir setzen auf mehrere Instrumente. Erstens beginnen
wir ab dem kommenden Jahr mit der aufwachsenden und
gesicherten Steuerfinanzierung des Gesundheitssystems,
({0})
und zwar bis zu einer Gesamtsumme von 14 Milliarden
Euro. Das entspricht etwa 10 Prozent der heutigen Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung.
Zweitens hoffen wir, dass die Entwicklung anhält, mehr
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu schaffen,
die sich am Arbeitsmarkt abzeichnet. Es sind immerhin
400 000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze
entstanden; dabei konnten - was besonders wichtig ist rund 200 000 Langzeitarbeitslose in Beschäftigung überführt werden. Wir hoffen, dass dieser Trend anhält und bis
2009 weitere Einnahmezuwächse zu verzeichnen sind.
Wir setzen drittens hinsichtlich der in den nächsten
zwei Jahren zu leistenden schwierigen Aufgabe, den
Schuldenabbau tatsächlich abzuschließen, darauf, dass
die einzelnen Kassen eine bessere Finanzbasis haben,
wenn sie 2009 in den Fonds starten.
Viertens sind die Maßnahmen zur Effizienzsteigerung
und mehr Wirtschaftlichkeit und die gesamten Veränderungen, die wir in der Organisation der Krankenkassen
auf den Weg bringen, zu nennen, die zu weiteren Einsparungen führen mit dem Ziel, dass jeder Euro zielgenau
für die Versorgung kranker Menschen ausgegeben wird.
Überall da, wo heute noch Ausgaben getätigt werden,
die nicht notwendig sind, wollen wir dies einschränken.
Ich kann Befürchtungen zum Zusatzbeitrag nicht teilen. Langfristig gibt es in Bezug auf dessen Höhe schon
dadurch eine Sicherung, dass die Ausgabendeckung
durch den Fonds nie unter 95 Prozent sinken darf. Gegebenenfalls müssten mehr Steuermittel zur Verfügung gestellt werden oder die Beiträge von Arbeitgebern und
Versicherten gleichermaßen angehoben werden, damit
der Fonds das Gesundheitswesen wieder zu 100 Prozent
finanzieren kann.
Lassen Sie mich noch kurz auf die Frage eingehen,
wie mit der Reform auch für die Ärztinnen und Ärzte
eine bessere Planbarkeit erreicht wird. Wir haben auch
die Maßnahmen zur Honorarreform so weit entbürokratisiert, dass wir 2009 tatsächlich mit ihrer Umsetzung
beginnen können. Vor allem in den neuen Ländern wird
nach der Reform der ärztlichen Vergütung mehr Geld zur
Verfügung stehen. Wir werden die Schritte, die wir bis
2009 durchführen wollen, um der bestehenden oder drohenden Unterversorgung durch höhere Arzthonorare zu
begegnen, so organisieren, dass schon in den nächsten
zwei Jahren mehr Geld dafür zur Verfügung steht, um zu
wirklichen Veränderungen zu kommen.
({1})
Wir werden die parlamentarische Beratung der zahlreichen Änderungsanträge fortsetzen und abschließen.
Wir werden dieses Gesetz auf den Weg bringen. Ich bin
fest davon überzeugt, dass das Gesetz am 1. April in
Kraft treten wird. Was alle in der Diskussion zum Nachdenken anregen sollte, sind die Interviews, die mittlerweile von den Vorsitzenden der großen Krankenkassen
gegeben werden. Jenseits der Proteste weisen sie darauf
hin, welche neuen Chancen, besseren Versorgungsmodelle und Möglichkeiten für die Krankenkassen ab
1. April bestehen.
Die Krankenkassen können eine gute Versorgung organisieren und sollten den Ehrgeiz haben, in den nächsten zwei Jahren die Voraussetzungen zu schaffen, gut
vorbereitet in die neue Finanzierung einzusteigen. Ich
glaube, hier sollten wir unterstützen und Druck machen.
Für die kranken Menschen ist dies das Beste.
Vielen Dank.
({2})
Nächster Redner ist nun der Kollege Heinz
Lanfermann für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Frau Ministerin hat versucht, das Thema der
Verfassungswidrigkeit ein bisschen an die Seite zu
schieben. Ich will aber gern darauf eingehen, nicht nur
weil im Rechtsausschuss heute Morgen darüber gesprochen wurde, sondern auch weil wir die bemerkenswerte
Äußerung von Kollegen Bosbach und anderen gehört haben, dass hier doch erhebliche Bedenken bestehen. Tatsächlich laufen eher diejenigen, die sich hinter die Stellungnahme von BMJ und BMI stellen, Gefahr, ihren
juristischen Ruf zu beschädigen; denn diese Stellungnahme zeigt ganz deutlich, dass gewisse Prüfungen, die
unbedingt notwendig gewesen wären, nicht stattgefunden haben.
({0})
Schon auf Seite 2 dieser Stellungnahme wird zum
Basistarif ausgeführt, er sei angemessen und den Unternehmen zumutbar. Zur Begründung: Ihnen verblieben
voraussichtlich angemessene Verdienstmöglichkeiten.
Allerdings lägen belastbare Zahlen, die deutlich machten, wie sich der Kontrahierungszwang letztlich exakt
auswirken werde, nicht vor. „Voraussichtlich“ und „Zahlen liegen nicht vor“: Das ist das Eingeständnis, das die
Beamten aus den beteiligten Häusern schon am
13. Dezember 2006 im Gesundheitsausschuss machen
mussten. Auf meine mehrfachen und eindringlichen Fragen, von welchen Daten und Zahlen sie denn bei der
Prüfung der Verhältnismäßigkeit ausgegangen sind - darum geht es bei der Belastung der Bestandsversicherten,
der Altkunden, die zur Quersubventionierung des Basistarifs höhere Beiträge zahlen werden -, wurde keine
Antwort gegeben bzw. konnte keine gegeben werden.
Die Vertreterin des Justizministeriums hat ausdrücklich betont, dass sie, also das Haus, nur den verfassungsrechtlichen Rahmen darstellen könne; sie arbeiteten
nicht mit Zahlen; das machten die Fachministerien.
({1})
Die Fachministerien machen es offensichtlich nicht;
denn als das Fachministerium im Gesundheitsausschuss
danach gefragt wurde, wie viele Altversicherte, freiwillig gesetzlich Versicherte und Neukunden voraussichtlich in den Basistarif wechseln, bekam man keine Antwort. Vielmehr bekommt man nur Plattitüden zu hören,
insbesondere von Frau Caspers-Merk.
({2})
Sie sagte, Prognosen seien immer ungewiss und man
müsse die Entwicklung abwarten. Am tollsten wird es
dann, wenn man nachfragt, wie es sich finanziell auswirkt. Dann heißt es nur: Das wissen wir nicht. - Aber
das muss die private Krankenversicherung, die PKV,
wissen. Sie muss ausrechnen können, welche Folgen
dieses Gesetz hat. Das erinnert mich an die Wildwestfilme. Dort wird nicht gleich geschossen, sondern dem
Opfer zuerst der Spaten in die Hand gedrückt. Das ist der
Unterschied.
({3})
Diese Stellungnahme der Ministerien geht - nehmen
insbesondere Sie von der Union bitte Folgendes zur
Kenntnis; das habe ich irgendwo in den Untiefen von
Kopien gefunden - von bestimmten, vom Fachressort
übermittelten Sachverhalten und Annahmen aus, bei deren Eintreten der Gesetzentwurf als verfassungskonform
bewertet werden kann. Dieser Satz fehlt leider in dem
Schreiben der beiden Staatssekretäre. Aber er hätte sich
auch dort sehr schön gemacht.
Das Gesundheitsministerium hat nichts geliefert. Die
Verfassungsressorts haben im luftleeren Raum geprüft.
Es fällt mir schwer, angesichts dessen das Wort „geprüft“ in den Mund zu nehmen. Denn eines ist klar: Sowohl der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit als
auch der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit
der Versicherten sind dann verfassungswidrig, wenn die
Beiträge so stark steigen, dass die Steigerung nicht mehr
zumutbar ist. Die Zumutbarkeit kann man aber nur messen, wenn man einen Prozentsatz angibt, ab dem es unzumutbar wird. Irgendwo muss eine Grenze sein. Wenn
ich aber keine Zahl habe, dann kann ich auch keine
Grenze feststellen. Das ist die Art, wie hier Gesetze gemacht werden. Wenn sich dann Verfassungsressorts dazu
hergeben, den Stempel „verfassungsgemäß“ aufzudrücken, dann braucht man sich über Reaktionen aus allen
Fraktionen, in denen es noch genügend Abgeordnete
gibt, die nicht einfach die Augen nach dem Motto „Einfach mal durch, und dann sehen wir“ verschließen, nicht
zu wundern. Solange es solche Abgeordnete gibt, haben
wir noch die Hoffnung, dass auf die Verfassung geachtet
wird. Wenn Sie, Frau Schmidt, das nicht tun, dann geht
es Ihnen und den Abgeordneten so, wie es damals den
betreffenden Abgeordneten beim Europäischen Haftbefehl gegangen ist, als sich die Richter in Karlsruhe nur
noch gewundert haben, was sich Abgeordnete alles von
der Regierung vorlegen lassen, ohne die einfachsten
Dinge nachzuprüfen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat nun der Kollege Jens Spahn für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die heutige Einbringung des Gesetzentwurfs der
Bundesregierung, der nach der Behandlung im Bundesrat zu uns kommt, gibt uns Gelegenheit, in dieser Woche
noch einmal die Debatte zu führen, bevor wir dann in der
nächsten Sitzungswoche abschließend über die Gesundheitsreform beraten werden. Ich möchte drei Punkte ansprechen:
Zum Ersten stehen wir, so glaube ich, vor dem Abschluss eines parlamentarischen Verfahrens, das allen
Ansprüchen, die an ein solches zu stellen sind, gerecht
wird.
({0})
Wir haben tagelange Anhörungen durchgeführt, um - zu
Recht - die Möglichkeit zu geben, konstruktive Kritik
auch von Sachverständigen und Verbänden in das Verfahren einzuspeisen.
({1})
Wir haben viele Sondersitzungen des Gesundheitsausschusses, die gerade auch von den Koalitionsparteien angeboten wurden, einberufen, um die Anträge einzubringen und alle Fragen ausführlich zu beraten. Wir haben
- das ist das Entscheidende - Änderungsanträge im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens eingebracht - wir
werden das auch bis zum Ende desselben machen -;
denn wir laufen nicht einfach so durch die Welt, sondern
wir stellen uns konstruktiver Kritik, und zwar von allen
Seiten, komme sie aus dem Bundesrat oder von den Verbänden.
({2})
Ob gemietete Demonstranten vor dem Reichstag zu konstruktiver Kritik beitragen, weiß ich nicht.
({3})
Konstruktive Kritik haben wir aufgegriffen und eingearbeitet. Dasselbe gilt auch für die Kritik in der öffentlichen Diskussion. Wir ringen alle gemeinsam um die
beste Lösung. Wir schweben aber nicht im luftleeren
Raum, sondern müssen auf die parlamentarischen Mehrheiten achten.
Zum Zweiten bleiben natürlich die Ziele, die wir uns
für dieses Gesetzgebungsverfahren gesetzt haben. Sie
werden auch angegangen. Zunächst die Frage des Wettbewerbs im Gesundheitswesen und der Veränderung
von Strukturen. Wir werden erstmals - das ist eigentlich
eine jahrzehntelange Forderung gewesen - das Monopol
der kassenärztlichen Vereinigungen brechen und Wettbewerbsstrukturen einführen. Dabei haben wir zum Bei7492
spiel bei der wohnortnahen Versorgung die berechtigte
und konstruktive Kritik aufgenommen. Wir kommen
weiterhin zu mehr Wettbewerb bei Hilfsmitteln und im
Bereich des Arzneimittelmarkts. Dort haben wir heute
kartellähnliche Zustände. So zahlt man zum Beispiel für
den Schlauch für einen Rollstuhl, der im Fahrradladen
nur einige Euro kostet, Mondpreise, weil Kartelle dafür
sorgen, dass die Preise hoch sind.
Wir kommen auch zu mehr Wettbewerb in der privaten Krankenversicherung, etwa bei der Portabilität der
Altersrückstellungen. Herr Kollege Lanfermann, wir
nehmen natürlich verfassungsrechtliche Bedenken sehr
ernst und diskutieren sie. Ich kann Ihnen aber auch sagen, dass ich noch nicht viele Gesetzgebungsverfahren
hier im Deutschen Bundestag erlebt habe - das ging hin
bis zur Viehnutzungsverordnung -, bei denen nicht verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet wurden und zu
denen nicht zehn Verfassungsrechtler zwölf verschiedene Meinungen geäußert haben.
({4})
Deswegen ist bei einem solchen Gesetzgebungsverfahren für uns die Beurteilung der Verfassungsressorts,
des Bundesinnenministeriums und des Bundesjustizministeriums, maßgebend. Es ist auch nicht so, Herr
Kollege Lanfermann, als ob es keine Präzedenzfälle
gäbe. Wir haben schon heute in der privaten Krankenversicherung einen Standardtarif, der natürlich ein Stück
weit in die Vertragsfreiheit eingreift. Wir haben schon
heute Regelungen in der privaten Pflegeversicherung,
die auch in die Vertragsfreiheit eingreifen.
({5})
Zur Wahrheit gehört auch: Wir setzen mit dieser Form
des Basistarifs am Ende in weiten Teilen - es gibt nur
wenige Abweichungen - einen Vorschlag um, den der
Verband der privaten Krankenversicherungen selbst vor
zwei oder drei Jahren gemacht hat.
({6})
Wir stellen uns an diesem Punkt jeder Debatte. Wir begrüßen natürlich auch, dass sich der Rechtsausschuss mit
diesen Fragen beschäftigt. Sie müssen uns aber zugestehen, dass wir am Ende einer Debatte im Zweifel zu anderen Ergebnissen kommen als Sie, Herr Lanfermann.
({7})
Zudem wird es mehr Wettbewerb aufseiten der
Krankenkassen geben. Auch da wünsche ich mir manchmal, dass die Partei, die sonst immer von Wettbewerb redet und ihn in den Mittelpunkt stellt, das einmal konstruktiv-kritisch oder positiv anmerkt.
({8})
Wir werden in Zukunft eine Tarifvielfalt haben, was
Selbstbehalttarife angeht, was Kostenerstattungstarife
angeht und was Tarife angeht, die die Erstattung von
Kosten für homöopathische Leistungen - das wird im
Zweifel auch die Grünen freuen - regeln. Natürlich wird
es unübersichtlicher als heute, wo in vielen Bereichen
einheitliche Leistungen angeboten werden. Der Versicherte wird mehr Wahlmöglichkeiten haben.
Auch der Fonds ist ein Signal für mehr Wettbewerb.
Stellen Sie bei einer Versammlung in Ihrem Wahlkreis
einmal die Frage, wer von denjenigen, die vor Ihnen sitzen, weiß, wie hoch sein Beitragssatz in der gesetzlichen
Krankenversicherung ist: 13,9 Prozent, 14,2 Prozent,
14,5 Prozent oder etwas anderes?
({9})
Ich sage voraus, dass nicht besonders viele ihre Hand heben werden. Diejenigen, die ihre Hand heben, müssen
Sie einmal fragen, wie viel Euro diesem Beitragssatz
entsprechen und wie der Unterschied zum Beitragssatz
in anderen Kassen ist. Die Anzahl derjenigen Menschen,
die wissen, wie viel sie zahlen, wird relativ überschaubar
sein.
Der Zusatzbeitrag - 5 Euro bei der einen Kasse, bei
einer anderen Kasse 8 oder 10 Euro, und wieder eine andere Kasse gewährt vielleicht sogar eine Entlastung um
5 oder 10 Euro - hat eine klare Signalwirkung; denn die
Preise für die Leistungen der Krankenkassen werden
ganz unterschiedlich sein. Das wird anders als bisher für
entsprechende Wechselbewegungen sorgen.
({10})
Außerdem geht es um die Frage der Nachhaltigkeit.
Dazu sage ich - auch als Vertreter der jüngeren Generation -: Da hätte ich mir natürlich mehr gewünscht.
({11})
Ich hätte mir gewünscht, dass wir auch zur Kapitalrücklage kommen. Zur Wahrheit gehört aber auch, Herr Kollege Lanfermann, dass man, wenn man den ersten Schritt
in Richtung Nachhaltigkeit tun möchte, beachtet: Bevor
man Kapitalrücklagen aufbaut, muss man Verschuldung
abbauen.
({12})
- Ob es erlaubt war oder nicht, Herr Kollege Bahr, ist eigentlich egal; die Schulden sind da. Diese Schulden sind
auch dort gemacht worden, wo die FDP mit an der Regierung ist.
Wir haben für Transparenz im Verschuldungsgeschehen der Krankenkassen gesorgt. Wir werden auch dafür
sorgen, dass es endlich einen einheitlichen Verschuldungsbegriff gibt. Bisher gibt es nicht einmal eine klare
Definition dessen, was Verschuldung einer Krankenkasse ist. Wir werden die über 10 Milliarden Euro an
nicht zurückgestellten Pensionsverpflichtungen - es ist
egal, warum dieses Geld nicht zurückgestellt wurde,
Herr Kollege Spieth; es wurde nicht zurückgestellt - für
sogenannte DO-Angestellte bei den Krankenkassen heben. Daher wird dieser Gesetzentwurf zwar nicht vollumfänglich, aber doch in wichtigen Schritten dem Prinzip der Nachhaltigkeit - dem Abbau von Verschuldung,
die mit diesem System verbunden ist - gerecht. Ich
finde, auch das muss an dieser Stelle einmal anerkannt
werden.
({13})
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, insofern
wünsche ich mir von den Oppositionsfraktionen, die von
ganz unterschiedlichen Standpunkten ausgehen, manchmal weniger grobkeiliges Draufhauen in Überschriften.
Manchmal wäre etwas mehr konstruktive Kritik - sie ist
immer angebracht - sinnvoll, durch die die guten Ansätze in diesem Reformprojekt gewürdigt werden.
Wir sind uns bewusst, dass wir natürlich nicht alle
Probleme des Systems lösen. Zur Wahrheit gehört auch
- an der einen oder anderen Stelle wünsche ich mir
manchmal eine ehrlichere Debatte -, dass wir viele Probleme, was verkrustete Strukturen, was die Herausforderung, die von mehr Wettbewerb ausgeht, und was die
Verschuldungssituation der Krankenkassen betrifft, angehen. Daher verdient dieser Gesetzentwurf in der
nächsten Sitzungswoche unser aller Unterstützung.
({14})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich nun
der Kollegin Dr. Bunge.
Frau Präsidentin! Herr Spahn, Sie haben an mehreren
Stellen dargelegt, dass die Koalition auf die Anhörungen, die Kritiken, die Hinweise und die Vorschläge reagiert hat, dass Änderungsanträge gestellt worden sind
und dass die Koalition nicht blind ist. Das ist für mich
als Ausschussvorsitzende - wir haben 26 Stunden zusammengesessen - ein schönes Ergebnis. Auch Sie können zuhören und Konsequenzen ziehen.
Der Charakter eines Großteils der Änderungsanträge
macht mir aber Sorgen. Es sind sehr viele wünschenswerte Leistungsverbesserungen vorgesehen; die Kosten
sind aber unkalkulierbar. Kollege Lanfermann hat so
eben dargelegt, dass im Ausschuss keine Aussagen dazu
gemacht werden konnten, wie die finanziellen Konsequenzen aussehen. Es sind Änderungen vorgesehen
- zum Beispiel bei der Palliativmedizin und bei den
Mutter-Kind-Kuren -, die nicht hinreichend untersetzt
sind.
Zudem sehen Sie in Ihren Änderungsanträgen ungedeckte Wechsel vor. Es sind Zuschläge vorgesehen, um
die Versorgung in unterversorgten Gebieten zu verbessern; es werden aber keine Regelungen im Hinblick auf
Abschläge für überversorgte getroffen. Hier wird die
Beitragssatzstabilität aufgehoben. Welche Konsequenzen hat das?
Es entstehen neuerlich Verschiebebahnhöfe. Es ist
sehr gut, dass diejenigen, die in Werkstätten für Behinderte beschäftigt sind, nicht mit Zusatzbeiträgen belastet
werden; die Belastungen werden aber auf die Werkstätten und damit auf Dritte verschoben.
Ich denke, so kann man nicht mit guten Vorschlägen
und ihren finanziellen Konsequenzen umgehen. Sie handeln nach meiner Meinung politisch nicht verantwortlich.
({0})
Herr Kollege Spahn, bitte sehr.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin
Bunge, ich bin dankbar, dass Sie mir Gelegenheit geben,
noch einmal darauf hinzuweisen, dass wir mit dieser Reform auch zusätzliche Leistungen für die Versicherten
ermöglichen. Anders als bei vergangenen Reformen
werden die Versicherten bei dieser Reform nicht durch
Ausgliederungen oder durch die Einführung einer Praxisgebühr zusätzlich belastet. Wir werden empfohlene
Impfungen zu Pflichtleistungen machen. Damit stärken
wir den präventiven Charakter des Gesundheitswesens.
Natürlich ist das Ziel, dadurch mittel- und langfristig
Kosten zu sparen. Die Kosten werden sinken, wenn die
Impfrate in Deutschland höher als heute sein wird.
Das Gleiche gilt für Rehamaßnahmen: Der Sinn von
Rehamaßnahmen, gerade auch von geriatrischer Reha
- wir wollen sie mit Blick auf die Pflegeversicherung
stärken -, ist, die Alltagsfähigkeit und die Gesundheit
der betroffenen Menschen zu stärken, damit sie auf
Dauer gesünder als ohne eine solche Rehamaßnahme
sind. Insofern werden kurzfristigen Ausgaben mittelund langfristige Einsparungen gegenüberstehen.
Ich habe es so verstanden, dass eigentlich alle im
Deutschen Bundestag zusätzliche Leistungen bei der
Sterbebegleitung und im Bereich der Hospize ermöglichen wollen. Es ist überhaupt keine Frage, dass das zu
zusätzlichen Ausgaben führt. Ich denke aber, gerade die
letzten Monate eines Menschen und ein Sterben in
Würde sollten uns diese Millionen Euros wert sein.
Nun zur Frage der ungedeckten Schecks. Wenn ich
mir von einer Fraktion hier im Deutschen Bundestag
nicht vorwerfen lasse, ungedeckte Schecks auszustellen,
dann ist das ja wohl Ihre Fraktion.
({0})
Ich muss nur an die Anträge denken, die Sie so munter
stellen: Wir sollen mehr Steuergeld ins System schieben;
Sie geben uns aber nicht einen Hinweis darauf, wo die
vielen Milliarden Euros, die Sie so gerne hätten, herkommen sollen.
({1})
Sie bringen munter Anträge ein, die sich mit der Frage
beschäftigen, wie wir mit den Einnahmen aus der Mehr7494
wertsteuer umgehen sollen. Im Zweifelsfall sollen möglichst alle Leistungen für alle in diesem Land umsonst
erbracht werden. Dabei erwähnen Sie mit keinem Satz
nachvollziehbare und umsetzbare Vorschläge - wir wissen, dass Sie immer nur Parolen und Überschriften parat
haben -, wie die Ausgaben gedeckt werden können.
({2})
Bei aller Kritik, die ich mir gefallen lasse: Von Ihrer
Fraktion lasse ich mir ungedeckte Schecks nicht vorwerfen.
({3})
Nun hat das Wort der Kollege Frank Spieth für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn
von ungedeckten Schecks die Rede ist und gerade unserer Fraktion vorgehalten wird, nur mit Mondbegriffen zu
arbeiten und keine konkreten Vorstellungen zu haben
({0})
- Herr Spahn, Sie klatschen zu früh -,
({1})
kann ich zwei Positionen dagegensetzen: Wir brauchen
nur englische Verhältnisse
({2})
im Bereich der Börsenumsatzsteuer. Wir hätten jährlich
30 Milliarden Euro Mehreinnahmen, wenn hier die gleichen Kriterien gelten würden.
({3})
Würden wir die Vermögensteuer nur auf dem Niveau erheben, wie das in den USA der Fall ist, hätten wir
20 Milliarden Euro Mehreinnahmen. Wir könnten damit
locker wesentliche Teile der sozialen Sicherungssysteme
finanzieren. Das gehört zu unseren Vorschlägen, den
Vorschlägen der Linken.
({4})
Das wollen Sie nur nicht wahrhaben. Ihnen ist die Ideologie wichtiger als die Bewertung vernünftiger und
phantasievoller Vorschläge.
({5})
- An der Stelle könnte man in der Tat, Herr Kollege,
über amerikanische Verhältnisse reden. Vom Mutterland
des Kapitalismus kann man gelegentlich lernen. Vielleicht lernen auch frühere Sozialdemokraten noch etwas.
({6})
Zum eigentlichen Anliegen. Ich bin sehr erfreut darüber, dass wir heute im Bundestag und damit auch für
die Öffentlichkeit eine Debatte zum Entwurf des GKVWSG, also dem Entwurf eines GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes, führen können. Das war nicht gewollt.
Wir als Opposition mussten erst eine Aktuelle Stunde
androhen, damit die Überweisung heute mit Debatte beschlossen wird und nicht einfach wie ein Schlafwagenexpress durchgewunken wird.
({7})
So viel als Beleg dafür, wie offen und wie konstruktiv
hier miteinander diskutiert wird.
Ich denke schon, dass die Menschen einen Anspruch
darauf haben, zu erfahren, wie es mit ihrer Gesundheitssicherung in Zukunft in Deutschland weitergeht. Die
Menschen wollen eine solidarische und soziale Krankenversicherung. Auch nach den Anhörungen, auch
nach den Änderungsanträgen, auch nach dem Beschluss
zur Pflichtversicherung
({8})
und nach einigen strukturellen Verbesserungen, die Sie
vornehmen, werden die grundsätzlichen Probleme der
Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung im
Gesetzentwurf nicht gelöst. Die grundsätzlichen Probleme der Finanzierung aus Arbeit, Rente und Arbeitslosenbeiträgen bleiben. Es bleibt bei der Beitragsbemessungsgrenze. Es bleibt bei der Finanzierung der
gesetzlichen Krankenversicherung und deren Aufgaben
aus dem Kreis derer, die geringe Einkommen haben. Die
Gutverdienenden, die Privilegierten in der Gesellschaft
bleiben außen vor.
({9})
Um die Privatversicherungen werden Naturschutzparks
errichtet. Das ist doch die Realität. Alles andere, was gesagt wird, ist Augenwischerei.
({10})
Vier von fünf Bundesbürgern begreifen nicht, was die
Bundesregierung mit diesem Gesetz eigentlich erreichen
will. Die Hälfte ist der Auffassung, dass sich ihre Situation nach der Gesundheitsreform 2004 verschlechtert
hat. 95 Prozent sind der Auffassung, dass die Gesundheitskosten in den nächsten Jahren steigen werden. Das
ist das Ergebnis einer aktuellen Forsa-Befragung.
Dies kann angesichts der Erfahrungen, die die Menschen in den zurückliegenden Jahren gemacht haben,
nicht verwundern. Es sei einmal erinnert an die Eintrittsgebühr von 10 Euro beim Arztbesuch, an das Krankenhaustagegeld von bis zu 240 Euro im Jahr, daran, dass
die Patienten mit erheblichen Zuzahlungen bei Medikamenten - zwischen 5 und 10 Euro - zu rechnen haben
und dass wir Anfang dieses Jahres die größte flächendeckende Beitragssatzerhöhung in der gesetzlichen Krankenversicherung in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland erleben. Das alles ist doch kein Beleg dafür,
dass es in diesem Land gegenwärtig solidarisch und gerecht zugeht.
({11})
Wir erreichen im Gegenteil mit Ihrem Gesetzentwurf
in jedem Fall eine weitere Zementierung der Zweiklassenmedizin in Deutschland. Das sagen viele Fachleute.
Das sagen auch viele Betroffene. Ich habe vor kurzem
mit einer Frau in Gera gesprochen, die seit langem arbeitslos ist, einen Hirntumor hatte und nach ihrer Akutbehandlung im Krankenhaus wochenlang suchen
musste, bis sie einen neurologischen Facharzt gefunden
hat, der sie überhaupt als Patientin aufgenommen hat.
({12})
Ich habe erlebt, dass dies bei Krebspatienten passiert.
Genau diese Probleme
({13})
lösen Sie in den unterversorgten Gebieten nicht.
({14})
Sie führen Liberalisierungen ein, die die Probleme nur in
den überversorgten Regionen mildern werden. Aber in
den unterversorgten Gebieten wird mit Sicherheit nichts
geändert werden.
({15})
Sie haben eben nicht die Grundprobleme angepackt,
sondern sich als sozialdemokratische Bundestagsfraktion von der Einführung der Bürgerversicherung verabschiedet;
({16})
jetzt tun Sie so, als sei mit dem, was den Menschen mit
diesem GKV-WSG offeriert wird, tatsächlich ein genialer Fortschritt gelungen. Nein, im Grunde genommen hat
sich die CDU/CSU mit ihren Positionen durchgesetzt,
und zwar eins zu eins.
({17})
Ich kann ja verstehen, dass Herr Müntefering nach der
Bundestagswahl nicht mehr gern an die Versprechungen
vor dieser Wahl erinnert wird. Sie hatten Ihren Wählerinnen und Wählern versprochen, eine Bürgerinnen- und
Bürgerversicherung einzuführen; genau diese bekommen die Menschen jetzt nicht. Es bleibt bei der Belastung der Kranken, der Arbeitslosen, der Einkommensschwachen in dieser Gesellschaft. Die Privilegierten
lassen Sie außen vor. Das wäre mit einer Bürgerversicherung anders.
Es gibt Berechnungen - sie stammen übrigens von einem sozialdemokratischen Gesundheitsexperten ({18})
auf der Basis des Jahres 2002 - nein, nicht von Herrn
Lauterbach; sie sind noch wesentlich solider - ,
({19})
die davon ausgehen, dass man, wenn nicht nur die Arbeitseinkommen und Renten sowie die Arbeitslosenbeiträge zur Finanzierung herangezogen würden, sondern
auch Kapital- und Vermögenseinkünfte, eine Bürgerversicherung zu einem Beitragssatz von 10 Prozent realisieren könnte, inklusive des medizinischen Fortschritts. Mit
dem, was Sie uns in den letzten Monaten beschert haben
- Erhöhung der Mehrwertsteuer, Senkung der Zuschüsse
an die Krankenkassen für Mutterschaftsleistungen - , haben Sie dazu beigetragen, dass die Beiträge zur Krankenversicherung im Durchschnitt bereits bei über
15 Prozent liegen und wir uns mit der Reform in Richtung der Marke von 16 Prozent bewegen.
Meine Damen und Herren, machen Sie Schluss mit
diesem Unsinn! Dieses Gesetz nutzt nicht den Menschen
in diesem Land; es nutzt, wenn überhaupt, nur der großen Koalition um ihrer selbst willen. Das sollten wir den
Bürgern dieses Landes ersparen.
({20})
Nun erteile ich der Kollegin Birgitt Bender für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am
Sonntagabend hat es sich gelohnt, ins Fernsehen zu
schauen: Dort war zu sehen, wie der oberste Vertreter
des Verbandes der privaten Krankenversicherung bei
zwei führenden Gesundheitspolitikern der Union einlief.
Eine Stunde später, vor der abschließenden Verhandlungsrunde der Koalition, verließ er das Büro wieder.
Nun ist es als solches nichts Ehrenrühriges, wenn man
Kontakt zu Lobbyisten hat, aber in diesem Fall hat es angesichts dessen, was nach der Verhandlungsrunde herauskam, durchaus ein Geschmäckle: Die PKV hatte
sich auf ganzer Linie durchgesetzt. Na, so etwas aber
auch!
Die Union ist hier umstandslos zur Schutzheiligen der
PKV geworden. Vorher schon waren in dem, was als sogenannte Gesundheitsreform auf dem Tisch lag, äußerst
geringe Anforderungen an die Solidarbereitschaft wie
auch an die Innovationsfähigkeit der privaten Krankenversicherungen enthalten. Dies wurde jetzt noch einmal
auf ein bisschen Basistarif zurechtgestutzt.
Was denkt sich eigentlich die Union dabei, wenn sie
das bisherige Geschäftsmodell der PKV in dieser Weise
verteidigt? Ich gestehe Ihnen zu, dass es politisch grundsätzlich legitim ist, für gute Rahmenbedingungen bestimmter Wirtschaftsbereiche zu kämpfen; aber ich halte
dies dann nicht mehr für akzeptabel, wenn das Ganze auf
Kosten der Versicherten geht. Ihr Vorgehen führt dazu,
dass es noch weniger Wettbewerb und keine Erweiterung der Solidarität geben wird. Das geht auf Kosten der
Versicherten. Dafür trägt die Union in diesem Land die
Verantwortung.
({0})
Ihre Ministerpräsidenten haben das Ganze noch einmal verschlimmert. Sobald es um die Interessen bestimmter Leistungserbringer im Gesundheitswesen ging,
beispielsweise der Apotheker, war Verlass darauf, dass
die CDU-Ministerpräsidenten die Anforderungen aus
dem Gesetzentwurf erneut reduzieren. Manchmal wundert man sich wirklich, dass die FDP in dieser Regierung
nicht vertreten ist.
Aber damit es hier nicht zu gemütlich wird, meine
Damen und Herren: Wir sehen es mitnichten so, dass
sich die SPD für eine gute Reform großartig geschlagen
hätte.
Wir erleben hier viel Getöse - die Ministerin hat es
vorhin wieder vorgeführt - um die Einführung einer
Versicherungspflicht, die angeblich eine gesundheitspolitische Großtat sei.
({1})
Die Einführung einer Versicherungspflicht ist kein Wert
an sich. Es kommt doch darauf an, was dahinter steht.
Versicherungspflicht, so wie Sie sie jetzt verstehen, bedeutet doch eben nicht, dass alle Bürgerinnen und Bürger am Solidarausgleich beteiligt werden. Nein, es bleibt
dabei: Die Besserverdienenden und die Gesunden werden eben nicht einbezogen - nicht mit ihren Einkommen, nicht mit ihrer Bereitschaft, sich am Solidarausgleich zwischen Gesunden und Kranken zu beteiligen.
Das einzige, was wir bekommen werden, ist ein Rückkehrrecht in die PKV für diejenigen, die einmal aus der
PKV herausgeworfen worden sind.
({2})
Das, meine Damen und Herren, ist überfällig. Das ist
aber noch lange nicht der Weg zur Bürgerversicherung.
({3})
Wofür steht eigentlich die SPD? Es glaubt doch niemand, dass wirklich die ganze Fraktion aus glühenden
Verfechtern der Bürgerversicherung besteht. Gewiss hört
man, dass es in ihren Debatten laut wird.
({4})
Das ist auch ein Hinweis darauf, welche Kontroversen es
gibt. Auf die SPD-Ministerpräsidenten ist im Übrigen
auch Verlass, wenn es wieder einmal darum geht, die
Anforderungen an Wettbewerb, an Apotheker et altera
zu reduzieren. Das fällt nur deswegen weniger auf als
bei der Union, weil es inzwischen nur noch wenige SPDMinisterpräsidenten gibt.
Was bleibt von allem? Die Koalition versucht auf Biegen und Brechen, irgendeine Reform durchzuziehen, damit sie überhaupt etwas getan hat. Damit das funktioniert, reduziert man erst einmal den Ärgerpegel mit den
Lobbyisten: Man verspricht den Apothekern, das sei alles nicht so gemeint gewesen; den Ärzten verspricht
man: Aber klar gibt es mehr Geld für alle, nicht nur für
diejenigen in den unterversorgten Gebieten, und die Anforderungen an die PKV werden noch mehr gestutzt.
Die Wochenzeitung „Die Zeit“ hat darüber in der letzten Woche geschrieben, indem sie an die Erzählung „Der
alte Mann und das Meer“ von Ernest Hemingway erinnerte. Sie werden sich erinnern:
({5})
Da fährt ein Fischer hinaus aufs Meer, fängt einen großen Fisch, und bei dem Versuch, den Fisch mit dem Boot
in den Hafen zu schleppen, bleiben am Ende, weil die
Haie zubeißen, nur noch die Gräten übrig. Auch hier haben die Haie zugebissen: Von den großen Zielen der Koalition - da hieß es, die Gesundheitsreform werde nachhaltiger, gerechter und verlässlicher, man würde für
mehr Wettbewerb sorgen usw. - ist immer weniger übrig
geblieben, mit dem Unterschied allerdings, dass der
Fisch, den Sie auf den Tisch gelegt hatten, von vornherein nicht genießbar war.
({6})
Nun will uns diese Regierung, diese Koalition aber
zwingen, diese Gräten zu schlucken. Da kann ich nur
wünschen, dass sie sich im politischen Sinne an den Gräten verschlucken möge.
Danke schön.
({7})
Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Elke Ferner für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Frau Bender hat eben gemeint, die Versicherungspflicht wäre nicht der große Wurf, wäre nicht das, was
man unbedingt brauche. Ich glaube, Sie haben die Einigung, die wir jetzt erzielt haben, nicht richtig verstanden
- vielleicht auch, weil Sie sie noch nicht schriftlich vor
sich liegen haben. Es geht nicht darum, alle zu verpflichten, in ein System hineinzugehen. Es geht darum, dass
jeder und jede in dieser Republik in Zukunft Versicherungsschutz hat und diesen auch zu bezahlbaren Konditionen erlangen kann.
({0})
Die Möglichkeit, einen Versicherungsschutz zu haben,
nützt nichts, wenn man ihn nicht bezahlen kann; das ist
der Status, den wir heute haben.
Im Übrigen wird die gesetzliche Krankenversicherung genauso wie die private Krankenversicherung dazu
verpflichtet, all diejenigen wieder aufzunehmen, die
heute nicht versichert sind, aber zu dem jeweiligen System gehören. Sie wissen genauso gut wie ich, dass es
heute auch eine erkleckliche Anzahl von vormals gesetzlich Versicherten gibt, die wegen Altersgrenzen oder anElke Ferner
derer Restriktionen, obwohl sie ihr Leben lang in der Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung
waren und bezahlt haben, heute nicht mehr in die gesetzliche Krankenversicherung hineinkommen. Das wird
sich ab dem 1. April 2007 ändern. Alle, die in der gesetzlichen Krankenversicherung waren und zu diesem
System gehören, heute aber nicht mehr versichert sind,
haben einen Anspruch, aber auch eine Verpflichtung,
sich wieder in der gesetzlichen Krankenversicherung zu
versichern.
({1})
Weiterhin besteht ab dem 1. Januar 2009 für alle Bürgerinnen und Bürger eine Versicherungspflicht.
Für ehemals Privatversicherte besteht schon ein halbes Jahr früher als im Gesetzentwurf vorgesehen, nämlich ab 1. Juli dieses Jahres, die Möglichkeit, sich im
Standardtarif zu versichern, ohne dass das Risiko geprüft
wird und Risikozuschläge erhoben werden, sodass sie
ihn auch bezahlen können. Die Bezahlbarkeitsregelungen werden denen für den vorgesehenen Basistarif entsprechen. Die privaten Krankenversicherungsunternehmen müssen darüber hinaus dafür geradestehen, dass die
Behandlungen der Versicherten sichergestellt werden.
Heute haben wir ja leider die Situation, dass Menschen
zwar monatlich treu und brav die Versicherungsprämie
für den Standardtarif bezahlen, aber sich zumindest einige Gruppen von Ärztinnen und Ärzte weigern, die entsprechenden Patientinnen und Patienten zu behandeln.
({2})
Nun komme ich zu Herrn Lanfermann, der diesbezüglich verfassungsrechtliche Bedenken äußerte. Es gibt
eine, wie ich finde, exzellente Expertise vom Innenministerium und vom Justizministerium des Bundes, in der
wirklich auf alle Fragen eine Antwort gegeben wird.
({3})
- Ich freue mich ja, dass zu den Zeiten, Herr
Westerwelle, als Sie mit in der Regierung waren, kein
einziges Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht gelandet ist und kein einziges Gesetz vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden ist.
({4})
Ich erinnere mich insbesondere an Gesetze, die die Familienförderung betrafen. Zu Ihrer Regierungszeit galt
das Motto: Same procedure as every year. Ich würde
mich da ein Stück weit zurückhalten.
Der Punkt ist doch, dass die privaten Krankenversicherer bereits selbst einmal einen Basistarif ins Gespräch gebracht haben. Die gesetzliche Krankenversicherung ist heute ja verpflichtet, alle aufzunehmen, auch
die, die krank sind - es war bisher ein Privileg ausschließlich der privaten Krankenversicherung, nur die
Gesunden und nicht die Kranken zu versichern - , und
muss mit einem Beitragssatz, der im Durchschnitt deutlich niedriger liegt als die Prämie, die nachher für den
Basistarif bezahlt werden muss, die Behandlung sicherstellen. Ich frage mich, wieso die private Krankenversicherung, die nach Ihrer Auffassung so gut ist und alles
so blendend macht, plötzlich in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten soll, wenn auch für sie entsprechende
Regelungen kommen? Das kann ich nicht nachvollziehen. Die diesbezüglichen Rechnungen der privaten
Krankenversicherung, die ja auch mit der durchgeführten Briefaktion nicht unbedingt gerade an Seriosität zugelegt hat, erschließen sich mir nicht
({5})
Ich möchte auch noch einmal auf die Aussage von
Frau Bender zurückkommen, wir seien vor den Lobbyisten eingeknickt. Ich will es am Arzneimittelbereich
deutlich machen, dass das nicht der Fall ist. Im Gesetzentwurf steht, dass die Kassen einzelne Arzneimittel
oder Wirkstoffe ausschreiben können und dann mit dem
Hersteller Verträge abschließen können, der diese am
günstigsten anbietet. Das bleibt so, wie es im Gesetzentwurf vorgesehen ist.
Darüber hinaus hatten wir gesagt, es wäre gut,
Höchstpreise statt Festpreise vorzuschreiben, damit auch
Apotheken mit den Herstellern verhandeln können.
Demgegenüber wurden in der Anhörung Bedenken geäußert; wie ich hörte, nicht nur von den Apothekern. Wir
haben diese aufgegriffen und auf die Eröffnung der Verhandlungsmöglichkeiten für Apotheker und das Aufbringen einer einmaligen Ausfallbürgschaft in Höhe von
500 Millionen Euro verzichtet. Stattdessen wird der Rabatt, den die Apotheken den Krankenkassen gewähren,
dauerhaft von 2 Euro auf 2,30 Euro erhöht. Das entlastet
die Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung jedes
Jahr um 150 Millionen Euro bzw. bedeutet jedes Jahr
150 Millionen Euro weniger an Ausgaben.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Lötzsch?
Gerne.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich hatte mich an der
Stelle gemeldet, Frau Kollegin Ferner, als Sie sich zu
Recht sehr kritisch mit den Aussagen der FDP zu den privaten Krankenkassen auseinandergesetzt haben. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Warum haben Sie der Regelung zugestimmt, dass bei einem Wechsel aus der
privaten Krankenversicherung zur gesetzlichen Krankenversicherung künftig sämtliche Altersrückstellungen
bei den Konzernen der privaten Krankenversicherungen
verbleiben können, sodass der gesetzlichen Krankenversicherung Milliarden entgehen? Dass Sie dem zugestimmt haben, steht doch im Widerspruch erstens zur
Programmatik Ihrer Partei - darüber wollen wir jetzt
nicht diskutieren - und zweitens zu der Argumentation,
der Sie sich gerade in Ihrer Rede bedient haben.
Zum einen gibt es heute weder beim Wechsel innerhalb der privaten Krankenversicherungen noch bei dem
- sehr eingeschränkt möglichen - Wechsel von der privaten zurück in die gesetzliche Krankenversicherung die
Möglichkeit, gebildete Altersrückstellungen mitzunehmen. Wir stellen jetzt, zumindest in einem Teilbereich,
die Portabilität sowohl für Bestandskunden als auch für
Neukunden sicher. Nun kann man sagen, das sei nicht
genug. Auch wir wären da gerne weitergegangen; das ist
völlig klar. Aber es ist mehr als das, was wir zurzeit haben.
({0})
Nach unserer Auffassung sollten die Altersrückstellungen auch dann, wenn jemand - unter den bislang
noch sehr eingeschränkten Möglichkeiten - von der privaten in die gesetzliche Krankenversicherung zurückwechselt, übertragen werden können.
({1})
- Das wäre richtig, aber dazu braucht man Mehrheiten.
({2})
Deshalb muss man das anders bewerten. Das wird Ihnen,
Frau Lötzsch, in den Koalitionen in den Ländern, in denen Sie mitregieren, nicht anders gehen. Wenn man eine
Position nicht hundertprozentig durchsetzen kann - und
das kann man in Koalitionen naturgemäß nicht -, muss
man sich die Frage stellen, ob man sich seinem eigentlichen Ziel nähert oder ob man davon abrückt. Dieses Vorgehen legen wir hier zugrunde und das werden Sie dort,
wo Sie mitregieren, nicht anders machen. Das ist der
Grund, warum wir, obwohl wir nicht alles erreicht haben, was wir gerne erreichen wollten, unter dem Strich
doch sagen, dass wir unserem Ziel ein Stück näher kommen.
({3})
Zum anderen - um, Frau Bender, noch einmal auf die
Arzneimittel zurückzukommen - ist es so, dass die
Apotheken verpflichtet werden, die Arzneimittel mit den
verschriebenen Wirkstoffen abzugeben, die für die jeweilige Kasse des Versicherten am günstigsten sind. Damit werden die 500 Millionen Euro, die jetzt einmalig
verloren zu gehen scheinen, nicht nur kompensiert, sondern sogar überkompensiert. Im Übrigen werden die
Kassen auch in Bezug auf Zytostatika eine Regelung
über Verhandlungsmöglichkeiten erhalten, sodass an der
Stelle kein Geld verloren gehen wird.
Richtig ist aber, dass wir noch ein Problem mit den
Ländern zu klären haben,
({4})
die wie immer sagen, dass an dieser oder jener Stelle
nicht eingespart werden soll, aber den Einsparungen
keine anderen Vorschläge entgegensetzen. Das wird mit
den Ländern zu diskutieren sein, ebenso wie Detailregelungen bezüglich der Insolvenzordnung.
Wir werden die Leistungen für die Versicherten ab
dem 1. April dieses Jahres verbessern. Diese Gesundheitsreform ist die erste, bei der es - das ist vor allen
Dingen der SPD zu verdanken - keine Leistungskürzungen gibt. Im Gegenteil, wir haben die Leistungen ausgeweitet: Wir haben die Impfungen und die Rehaleistungen mit aufgenommen, und zwar alle, damit es, wie Ulla
Schmidt sagte, keine Reha erster und zweiter Klasse
gibt. Leistungsausweitungen gibt es auch im Bereich der
Palliativversorgung und der Hospize. Das ist insbesondere in einer Gesellschaft, die älter wird, sehr wichtig.
Es ist insgesamt Konsens in diesem Haus, dass für diese
Patientengruppen mehr getan werden muss, nicht nur
aus demografischen Gründen, sondern um den Menschen ein Sterben in Würde zu ermöglichen und ihnen
die notwendigen Hilfen zuteil werden zu lassen, die sie
in ihrer Situation brauchen.
Zum anderen ist es wirklich wichtig, dass beispielsweise mehr Vorsorgeanreize und mehr Wahlmöglichkeiten geschaffen werden, auch in Bezug auf besondere
Versorgungsformen, Hausarzttarife, integrierte Versorgung. Vor allen Dingen wird der Schnittstellenproblematik, die zwischen den einzelnen Sektoren besteht und die
uns allen in den Wahlkreisen begegnet, deutlich stärker
begegnet.
Ich glaube, unter dem Strich ist es eine vernünftige
Reform, die in die richtige Richtung weist. Allerdings
- da muss ich Ihnen, Herr Spieth, entschieden widersprechen - haben wir weder in dieser Koalition noch mit
Blick auf die Zukunft unser Bürgerversicherungskonzept aufgegeben; wir werden es weiterverfolgen.
({5})
Ich muss jedoch feststellen, dass dieses Konzept in der
Konstellation mit dem jetzigen Koalitionspartner und
erst recht im Bundesrat nicht umzusetzen ist. Aber politisch bleibt eine Bürgerversicherung unser Ziel.
Schönen Dank.
({6})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Konrad Schily.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn wir auf die letzten 30 Jahre schauen, können wir feststellen, dass von diesem Hohen Hause in den
Jahren 1977 bis 2007 14 Gesetze zum GesundheitsDr. Konrad Schily
wesen verabschiedet worden sind. Die Reihe beginnt
1977 mit dem Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz - lange Namen gab es schon damals - und wird in
diesem Jahr mit dem euphemistisch genannten GKVWettbewerbsstärkungsgesetz sicherlich nicht enden. All
die Gesetze, die dieses Hohe Haus verabschiedet hat,
hatten damit zu tun, die Kosten im Gesundheitswesen in
den Griff zu bekommen. Jedes Mal glaubte man, es
würde gelingen.
Wenn man sich nun einmal die zeitliche Häufung der
gesetzgeberischen Handlungen anschaut, so können wir
feststellen, dass von 1977 bis 1997, also in 20 Jahren,
sechs Gesetze verabschiedet worden sind. Von 1998 bis
2007, also in neun Jahren, waren es sieben Gesetze.
Wenn wir das zur Rede stehende GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz dazuzählen, werden es acht Gesetze sein.
Das erinnert stark an die Zunahme der Zahl der Naturkatastrophen in den letzten zehn Jahren. Diese sind in
der letzten Zeit gehäuft aufgetreten. Nur: Bei den Naturkatastrophen können wir nicht ganz so sicher sein, ob sie
wirklich allein von den Menschen ausgelöst wurden. Bei
den Gesetzen allerdings handelt es sich eindeutig um
Menschenwerk.
({0})
Es ging dabei immer, wie gesagt, um Kostendämpfung. Aber es hat nie funktioniert. Jeder hier im Hohen
Haus weiß, dass trotz Leistungseinschränkung und Kostendämpfung die Beitragssätze gestiegen sind und dass
eine Senkung der Lohnnebenkosten nicht gelungen ist.
Zurzeit haben wir - um den Börsenjargon anzuwenden ein Allzeithoch bei den Beitragssätzen der gesetzlichen
Krankenversicherung. Wir müssen feststellen, dass das
Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz, das
2006 verabschiedet wurde, bereits 2007 nachjustiert
werden muss. Wir wissen jetzt schon, dass auch nach
diesem Gesetz in immer rascherer Folge andere Gesetze
werden folgen müssen.
Der gesunde Menschenverstand müsste uns zu der
Frage veranlassen, ob hier nicht ein systematischer Fehler vorliegt und die richtigen Instrumente gewählt worden sind. Würden wir jemanden beobachten, der mit einem 16er-Schlüssel eine 20er-Schraube anziehen will,
würden wir ihn vielleicht bemitleiden und belächeln.
Würden wir beobachten, dass er es immer wieder versucht, würden wir diesen Menschen vielleicht mitleidig
fragen, warum er sich so vergeblich bemüht. Wenn wir
von ihm die Antwort erhalten würden „Mein Lieber, das
ist Chefsache! Das muss so gehen!“, dann würden wir
unsere eigenen Schlüsse ziehen und uns traurig abwenden.
({1})
Auch im Fall des Gesundheitssystems ist der Fehler
systemisch. Die unpassenden Werkzeuge sind die Zentralisierung und die eindeutige Ausrichtung des Systems
auf den Staat, es ist der Fonds und die zentrale jährliche
Festlegung der Beitragshöhe durch die Politik und die
damit verbundene Anfälligkeit, es sind die bürokratischen Gebote bzw. die bürokratischen Verbote und
selbstverständlich die damit wachsende Kontrollbürokratie.
Es gilt, die Werkzeuge zu wechseln: nicht weltfremde
gesetzliche Vorgaben und Zentralisierung, sondern Stärkung der freien Berufe im Gesundheitswesen und die
Bemündigung der Leistungserbringer und der Patienten.
Wo die Kompetenz vorhanden ist, muss die Verantwortung liegen. Dort gibt es die Fähigkeit zur Problembewältigung.
({2})
Das Leben ist eben vielfältig und vielfältig werden
die Lösungen sein, die in der jeweiligen Situation gefunden werden müssen. Die FDP steht für die Solidarität
auch im Gesundheitswesen. Aber sie weiß, dass solidarische Lösungen nicht unter Umgehung der Freiheit und
nicht durch die Entmündigung der Betroffenen - seien es
die Versicherungen, seien es die Leistungserbringer oder
seien es die Patienten - zu erreichen sind. Aber nicht nur
die Solidarität ist unter Umgehung der Freiheit nicht zu
erreichen. Auch die wirtschaftliche Optimierung ist an
die Freiheit der Handelnden gebunden. Das ist einer der
Hauptsätze der freien sozialen Marktwirtschaft, der auch
nicht dadurch aufgehoben werden kann, dass ich etwas
zur Chefsache mache. Eine Stärkung der freien Berufe
und die Bemündigung der Betroffenen würden uns zu
besseren Ergebnissen auch im Wirtschaftlichen führen.
({3})
Herr Kollege, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.
Ich komme zum Schluss. Vielen Dank.
Insofern heißt für mich „FDP“ nicht nur „Freie Demokratische Partei“, sondern das heißt für mich jetzt
auch „für die Patienten“.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Willi Zylajew für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Hörte man auf Verbandsvertreter und auf die Lobbyistenszene, dann brauchten wir überhaupt keine Reform
im Gesundheitswesen. Ähnlich klingt das, was die vereinigte Opposition uns hier heute Mittag und in den letzten
Wochen, natürlich auch über die Medien, erklärt.
({0})
- Das werde ich Ihnen natürlich sagen. - Ich will noch
einmal deutlich sagen: Der Kollege Lanfermann hat verfassungsrechtliche Bedenken, Frau Bunge sorgt sich nun
- das ist schon angesprochen worden - um die Finanzen,
Herr Spieth hat zu wenig Staatskapitalismus im System
ausgemacht. Warum auch nicht?
({1})
Am Schluss fehlt Frau Bender noch der Wettbewerb.
All dieses ist für mich wirklich nur schwer verständlich, weil Sie überhaupt keine Antwort auf die anstehenden Fragen geben.
({2})
Auf Beitragserhöhungen und auf eine Beitragsschraube,
die sich dreht,
({3})
müssen wir doch irgendwie reagieren. Wir müssen doch
den Mut haben, auf Versorgungsengpässe einzugehen.
Wir haben jetzt schon Versorgungsengpässe, und es wird
weitere Versorgungsengpässe geben. Mit dieser Reform
schaffen wir hier zumindest Ansätze für eine Verbesserung. Wir stellen die Weichen richtig.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Bender?
Ja.
Herr Kollege Zylajew, stimmen Sie mir zu, dass Ihre
sogenannte Reform schon deswegen keine Antwort auf
steigende Beiträge ist, weil Sie diese mit dem Entzug
der Steuermittel aus der GKV und der Mehrwertsteuererhöhung, die auch auf die Krankenkassen durchschlägt,
selbst verursacht haben?
Ich stimme Ihnen natürlich nicht zu,
({0})
weil wir eine Dynamik über Tarife oder Steuern immer
haben werden. Man kann jetzt nicht ein einzelnes Segment herausnehmen und sagen, das sei die Ursache. Sie
wissen doch, Frau Bender, dass sich die Beitragsbelastungsschraube mit großem Gewinde sehr schnell weiterdrehen würde, wenn wir nicht durch diese Reform gegensteuern.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Spieth?
Ich habe noch Zeit. Ja.
Herr Zylajew, Sie sagen, mit diesem Gesetz werde die
finanzielle Situation verbessert. Sagen Sie mir bitte, an
welcher Stelle Sie durch dieses Gesetz zu einer verbesserten Einnahmesituation der gesetzlichen Krankenversicherung beitragen. Es gibt keine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze, es gibt keine Ausweitung auf
andere Einkommensarten. Wie wollen Sie die Quadratur
des Kreises lösen, mit diesem Gesetz mehr Geld in die
gesetzliche Krankenversicherung zu bringen? Das ist ja
das Grundproblem.
Ich habe nicht erklärt, dass wir mehr Geld hineinbringen, sondern dass wir eine Verbesserung bei den Leistungen erreichen, Herr Spieth.
({0})
Ihnen fällt immer nur ein, die Einnahmen zu erhöhen,
anstatt unwirtschaftliche Elemente auszugliedern, anstatt
eine Optimierung zu erreichen, anstatt dafür zu sorgen,
dass die Mittel dorthin fließen, wo sie notwendig sind,
und dass sie da, wo sie nicht notwendig sind, abgezogen
werden.
Wir sind der Auffassung, dass wir mit dieser Reform
eine gerechtere Finanzierung, insbesondere im Bereich
der niedergelassenen Ärzte, der Hausärzte, erreichen
können. Das wissen Sie; denn Sie haben in diesem Ausschuss mit diskutiert. Das ist eine aus unserer Sicht
wichtige Verbesserung.
({1})
Ich habe angesprochen - dieser Punkt ist uns wichtig -,
dass es in einigen Bereichen Unterversorgung gibt. Ich
sage sehr deutlich: Wir sind der Auffassung, dass all das,
was wir tun, im Endeffekt den Patienten zugutekommen
muss. Die Patienten müssen den entscheidenden Nutzen
haben - und weniger die Apparate der Versicherungen,
die Verbände, die KVen oder andere Umverteilungsinstitutionen.
Auf der einen Seite wollen alle - die Opposition, auch
Herr Spieth, hat das deutlich gemacht - einfach nur mehr
Geld in das System bringen. Die Gesundheitsbranche
insgesamt brüllt schlichtweg: Wir brauchen mehr Geld,
und dann ist die Welt in Ordnung.
({2})
Auf der anderen Seite sind wir uns darin einig, dass in
einigen Bereichen Veränderungen notwendig sind. Ich
wiederhole: Diese gehen wir an.
Jeder Anbieter im Gesundheitsbereich, die niedergelassenen Ärzte, die Apotheker, die Krankenhäuser, die
Krankenkassen, selbst der Rehabereich, die Heilmittelhersteller und -händler bis hin zu den Fahrdiensten, sagt:
Bitte geben Sie uns mehr Geld; dann kommen wir besser
zurecht. Dabei wissen wir alle, dass Beitragserhöhungen
gesamtwirtschaftlichen Schaden verursachen. Wir wissen, dass der Faktor Arbeit durch weitere Beitragserhöhungen teurer wird und eine Belastung erfährt, die dem
Volk insgesamt nicht guttun wird.
({3})
- Das sehen wir deutlich anders.
Ich will kurz die Verwerfungen des derzeitigen Systems - von keiner der Oppositionsparteien gab es übrigens einen Hinweis, wie wir diese verändern können ansprechen. Viele Ärzte haben das Punktetreten im
Hamsterrad regelrecht satt. Sie müssen sich heute letztendlich mehr um die Finanzierung ihrer Praxis- und Mitarbeiterkosten kümmern als um ihre Patienten. Sie fühlen
sich zwischen den Mühlsteinen der Krankenkassen und
der KVen nur mäßig wohl. Wir geben ihnen mit den Vertragsmöglichkeiten, die wir nun in das Gesetz einbauen,
die Chance, direkte Verträge zu schließen. Wir geben ihnen die Freiheit - das ist ein wichtiger Bereich -, Verträge mit Patienten und Patientengruppen abzuschließen
und mit diesen intensiver zu arbeiten. Wir halten dies für
eine wichtige Verbesserung; das ist der richtige Weg.
Die Patienten werden davon profitieren, dass wir im
Bereich der Verbände und Krankenversicherungen wesentlich mehr Transparenz schaffen. Diese Transparenz
wird von den Gremienvertretern sicherlich ungern gesehen. Aber allein die Straffung und Konzentration von
Gremien bietet wirtschaftliche Reserven, die wir im Interesse der Patienten nutzen können.
In weiten Bereichen stecken wir heute in einem Teufelskreis. Aus diesem Teufelskreis steigen wir mit dieser
Reform aus. Wir wissen sehr wohl, dass wir noch eine
Reihe von Aufgaben zu erledigen haben, dass wir in den
nächsten Jahren nach dieser Reform an dem einen oder
anderen Ende sicherlich noch Veränderungsbedarf wegzuarbeiten haben. Aber jede dieser Veränderungen führt
im Endeffekt dazu, dass wir mit den Finanzmitteln, die
uns zur Verfügung stehen, eine deutlich bessere Versorgung der Patienten erreichen können. Wir geben damit
allen Frauen und Männern die Chance, am medizinischen Fortschritt insgesamt auf Dauer teilzuhaben.
Ich sage abschließend: Es ist falsch, zu behaupten, die
Beiträge würden durch die Reform steigen. Richtig ist
vielmehr, Herr Spieth: Ohne diese Reform würden die
Beiträge noch schneller steigen.
({4})
Wir brauchen hier einen Umstieg. Dieser Umstieg wird
Zeit in Anspruch nehmen. Diese Zeit sollten wir uns
nehmen. Wir bleiben bei der Einschätzung: Mit dieser
Reform tun wir Gutes für die Menschen im Lande.
({5})
Wir bitten Sie, noch einmal zu überlegen, wie Sie sich
in der Schlussberatung positionieren.
({6})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Max Straubinger für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Gesundheitsreformen sind die Reformen, die die Bürgerinnen und Bürger natürlich am meisten bewegen und
über die in vielen Bereichen sehr emotional diskutiert
wird. Diese Reform betrifft immerhin mehr als 80 Millionen Menschen in Deutschland.
Ich gebe meinem Kollegen Jens Spahn ausdrücklich
recht, der darauf hingewiesen hat, dass wir in den vergangenen Wochen und Monaten im vorparlamentarischen
Bereich sehr intensiv über die Inhalte dieses Gesetzentwurfes diskutiert haben. Im Rahmen des geordneten parlamentarischen Verfahrens haben wir sogar eine über
26 Stunden dauernde Anhörung zu diesem komplexen
Themenbereich durchgeführt.
Ich denke, es ist wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass die Regierungsfraktionen und die Bundesregierung das hochwertige Gesundheitssystem in Deutschland für die Menschen zukunftsfest machen wollen. Ich
bin überzeugt, dass es uns mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz gelingen wird, sicherzustellen, dass die
Menschen unabhängig von ihrem Alter, ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft oder ihren finanziellen Möglichkeiten auch in Zukunft mit Spitzen- bzw. Höchstleistungsmedizin versorgt werden. Wir wollen für alle
Bürgerinnen und Bürger eine so breite medizinische
Versorgung gewährleisten, wie sie sich viele Menschen
in Europa und auf der ganzen Welt wünschen würden.
({0})
Wir haben uns in diesem Zusammenhang mit den Fragen beschäftigt, wie unser Gesundheitssystem zukünftig
finanziert werden soll, ob ein Fondsmodell das richtige
Finanzierungsmittel ist, und ob die gesetzliche und die
private Krankenversicherung weiterhin nebeneinander
Bestand haben sollen. Sie, Herr Kollege Spieth, haben
darauf hingewiesen, dass wir unser Gesundheitssystem
durch die Einführung neuer Steuern finanzieren könnten
- als Beispiel nannten Sie die Börsenumsatzsteuer -, wie
man es auch in England getan hat.
({1})
Man darf aber nicht immer nur die eine Seite der Medaille betrachten. Ohne das englische Gesundheitssystem infrage stellen oder kritisieren zu wollen, muss ich
sagen: Ich bin überzeugt, dass das Gesundheitssystem
bzw. die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger mit
Gesundheitsleistungen in Deutschland weit besser ist als
in England. Auch das gehört zur Wahrheit.
({2})
Ich wage zu bezweifeln, dass es gut wäre, wenn wir im
Hinblick auf unser Gesundheitssystem und die medizinische Versorgung der Menschen englische Verhältnisse
hätten.
({3})
Darüber hinaus wurde gefordert, dass wir unserem
Gesundheitssystem noch mehr Steuermittel zukommen
lassen sollten. Durch einen solchen Schritt würde man
allerdings den Entwicklungen des medizinischen Fortschritts, den neuen Wettbewerbsmöglichkeiten und dem
Umstand, dass manche Angebote aufgrund des Wettbewerbs möglicherweise sogar billiger werden, in keiner
Weise gerecht. Man muss auch die Strukturen verändern.
Dieser Gedanke wurde im vorliegenden Gesetzentwurf
der Bundesregierung aufgegriffen. Ich glaube, dass wir
in vielerlei Hinsicht stolz auf diesen Gesetzentwurf sein
können.
({4})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von
Frau Dr. Enkelmann?
({0})
Ja.
Herr Kollege Straubinger, stimmen Sie mir zu, dass
man sich, wenn es um einen solch wichtigen Gesetzentwurf geht, zuallererst mit der Frage der Finanzierung beschäftigen muss? Haben Sie unserem Gesundheitssystem nicht vor allen Dingen durch Ihren Umgang mit den
Einnahmen aus der Tabaksteuer und durch die Mehrwertsteuererhöhung Geld entzogen? Sind Sie nicht auch
der Meinung, dass es nicht ausreicht, ausschließlich das
Prinzip Hoffnung walten zu lassen?
({0})
Frau Kollegin, die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen arbeiten nicht nach dem Prinzip
Hoffnung. Im Gegenteil,
({0})
wir stärken die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Das hatte zur Folge, dass wir im
Jahre 2006 auf mehr als 300 000 neu geschaffene sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse verweisen konnten. Dadurch, dass nun mehr Menschen als
bisher Krankenversicherungsbeiträge zahlen, fließen sowohl dem System der gesetzlichen als auch dem System
der privaten Krankenversicherungen mehr Mittel zu.
({1})
Zusätzlich haben wir dafür zu sorgen, dass die Finanzierung auf eine nachhaltige Grundlage gestellt wird. Wir
haben - ich sage das nicht, um irgendjemandem Vorwürfe zu machen - in der Vergangenheit die Augen verschlossen und geduldet, dass die gesetzlichen Krankenkassen Schulden in fast astronomischer Höhe gemacht
haben. Für die Zukunft ist es wichtig, den Bürgerinnen
und Bürgern zu verdeutlichen: Diese Bundesregierung
setzt auf nachhaltige Finanzierung. Das bedeutet, über einen längeren Zeitraum finanziell zu untermauern, dass
die gesetzliche Krankenversicherung ihren Schuldenberg
abbaut sowie die Leistungsversprechen gegenüber den
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einhält.
({2})
Dies macht diese Bundesregierung; ich glaube, das bringen wir in diesem Gesetzgebungsverfahren zum Ausdruck.
({3})
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Spieth?
Ja.
Bitte sehr.
Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir in diesem
Parlament die Gelegenheit haben, zu fragen, wenn Unklarheiten entstehen. Ich habe vorhin gesagt, dass wir für
die Einführung einer Börsenumsatzsteuer nach englischem Vorbild sind - unabhängig von der Frage der Finanzierung der Krankenversicherung - und dass wir für
die Wiedereinführung der Vermögensteuer sind. Wir
haben gesagt, dass dies 50 Milliarden Euro mobilisieren
würde.
({0})
Ihr Finanzminister sagt, dass ihm jede Fantasie fehlt, woher er die für die Steuerfinanzierung der gesetzlichen
Krankenversicherung zugesagten 14 Milliarden Euro nehmen soll, selbst wenn dieser Betrag schrittweise, über eiFrank Spieth
nen Zeitraum von zehn Jahren, aufgebaut werden sollte.
Deshalb die konkrete Frage: Wäre das nicht ein Ansatz,
die fehlenden Milliarden dort zu holen?
({1})
Auf keinen Fall, Herr Spieth.
({0})
Ich sage ja nicht, dass es keine vernünftige Grundlage
ist, etwas über Steuern zu finanzieren.
({1})
Wir haben - auch wenn es in einzelnen Bereichen sicherlich verbesserungswürdig ist - ein vernünftiges
Steuersystem. Aber für mehr Beschäftigung in Deutschland müssen wir zuvörderst unser Steuerrecht wettbewerbsfähig machen. Wir dürfen den Bürgerinnen und
Bürgern in Deutschland keine zusätzlichen Belastungen
aufbürden.
({2})
Der Union wird in diesem Gesetzgebungsverfahren
zum Vorwurf gemacht, sie habe sich am stärksten für den
Erhalt der privaten Krankenversicherung eingesetzt;
besonders wird das mit den Interessen der Versicherungsunternehmen in Verbindung gebracht. Verehrte Damen
und Herren, wir haben uns nicht für die Interessen und
Geschäftsmodelle der Versicherungsunternehmen eingesetzt, sondern wir haben uns für die 8 Millionen in diesem Geschäftsmodell Versicherten eingesetzt, damit sie
durch die Reform nicht mit übergebührlichen Beitragserhöhungen belastet werden.
({3})
Damit tragen wir dazu bei, dass auch ihre Krankheitsversorgung sichergestellt ist.
({4})
Das ist letztendlich das Ansinnen der Union - und nichts
anderes, wie es im politischen Wettbewerb manchmal
falsch dargestellt wird.
Ich glaube, dass die Union und die SPD im Verlauf
der Anhörungen in verschiedensten Bereichen durchaus
sinnvolle Änderungen aufgenommen haben, auch sehr
viele, die der Bundesrat eingebracht hat, bzw. Änderungsvorschläge noch aufgreifen werden. Ich möchte
ausdrücklich begrüßen, dass wir die Krankenhäuser
nicht so belasten werden, wie es ursprünglich angedacht
war, und dass wir die psychiatrischen Kliniken von den
Einsparungen ausnehmen werden. Die andere Seite der
Medaille ist dann natürlich, dass die Bürgerinnen und
Bürger das, was nicht eingespart wird, durch Beiträge zu
erbringen haben. Da ich aus einem Flächenwahlkreis
komme, füge ich hinzu: Für die Lebensqualität der Menschen ist es von großer Bedeutung, dass auch weiterhin
eine flächendeckende und ortsnahe Krankenhausversorgung gewährleistet ist.
({5})
Auch dies ist hier natürlich einzubeziehen. Aufgrund der
Veränderungen, die die Krankenhäuser sowieso zu tragen haben, ist das gemachte Angebot sicherlich vernünftig.
Noch ein Zweites. Ich begrüße es ausdrücklich, dass
die vorgesehenen Änderungen und Kürzungen beim
Rettungsdienst nicht vorgenommen werden.
({6})
Wer jemals auf einen Rettungswagen gewartet hat, weil
ein Angehöriger in einer Notsituation war, der weiß, wie
lang diese Minuten sein können. Ich höre, dass die die
Bundesregierung tragenden Fraktionen entsprechende
Änderungen herbeiführen wollen,
({7})
und ich glaube, dass das eine sehr sinnvolle Lösung ist.
In diesem Sinne zeigt sich sehr deutlich, dass wir ein
Gesetz verabschieden werden, das letztendlich im Sinne
der Patientinnen und Patienten ist.
Besten Dank für die Aufmerksamkeit.
({8})
Wir sind damit am Ende der Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/3950 und 16/4020 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der
Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
({0})
Ich bitte diejenigen, die der weiteren Debatte nicht mehr
folgen wollen oder können, den Saal zu verlassen. - Die
Bundesregierung hat als Thema der gestrigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Umweltbericht der Bundesregierung 2006.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel.
({1})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Aufmerksamkeit und darum, die Gespräche außerhalb des
Saales zu führen, damit wir dem Bericht des Bundesministers folgen können. - Herr Minister, bitte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf
Ihnen den Umweltbericht 2006 vorstellen. Sie wissen sicher, dass die Bundesregierung nach dem Umweltinformationsgesetz alle vier Jahre einen Umweltbericht vorzulegen hat. Dies ist eine gesetzliche Pflicht, um sowohl
über den Zustand der Umwelt als auch über die vergangenen und die geplanten Maßnahmen der Umweltpolitik
Rechenschaft abzulegen.
Dieser Umweltbericht, der sich über vier Jahre erstreckt, ist natürlich insofern interessant, als die Umweltpolitik der vergangenen Regierung einen großen Teil
umfasst, während die Umweltpolitik der neuen Bundesregierung - dabei geht es also um das letzte Jahr - Gegenstand eines nur relativ kurzen Teiles ist. Sie werden
jedoch feststellen, dass es in vielen Bereichen ein hohes
Maß an Kontinuität gibt. Das ist im Sinne einer engagierten Umweltpolitik sicherlich sinnvoll.
Wenn Sie sich im Bericht beispielsweise die Ausführungen zu der Abfallwirtschaftspolitik und den darin erzielten Erfolgen in den letzten Jahren anschauen, dann
werden Sie sehen, dass die jetzige Bundesregierung
Kontinuität hinsichtlich der Weiterbearbeitung der dort
notwendigen Anpassungsmaßnahmen walten lässt. Auch
auf der europäischen Ebene befinden wir uns beispielsweise mit der jetzigen Debatte über die Abfallrahmenrichtlinie in einer großen Kontinuität zu der vorherigen
Politik.
Das Gleiche gilt für die Erfolge im Bereich des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Ich glaube, es ist außerordentlich zufriedenstellend, dass die Entwicklung im Umweltbereich - vielleicht anders als in früheren Jahren - nicht
mehr Gegenstand großer Kontroversen der hier im Hause
vertretenen Parteien ist. Sicher befinden wir uns im Wettbewerb über die Frage, wie man den Ausbau erneuerbarer Energien am schnellsten erreicht, aber es gibt keine
Debatte mehr über die Frage, ob das notwendig ist oder
nicht. Ich finde, dass das eine gute Entwicklung ist.
Sie werden also eine ganze Reihe von Dingen finden,
die in der letzten Legislaturperiode begonnen wurden
und jetzt ihre Fortsetzung finden. Sie werden aber natürlich auch eine Reihe von Punkten finden, bei denen wir
noch einen deutlichen Handlungsbedarf haben. Auf einige dieser Punkte möchte ich gerne eingehen.
Lassen Sie mich aber auch sagen, dass die Bundesregierung, die von den Koalitionsfraktionen der CDU/
CSU und der SPD getragen wird, Wert darauf legt - ich
glaube, das ist verständlich -, festzuhalten, was sich in
den letzten zwölf bis 15 Monaten getan hat. Dazu will
ich einige Anmerkungen machen.
Wir haben die Mittel für Forschung und Entwicklung
im Bereich erneuerbare Energien fast verdoppelt. Sie betragen bereits jetzt weit mehr als 80 Millionen Euro und
sollen auf 100 Millionen Euro pro Haushaltsjahr erhöht
werden. Was die Anreize für regenerative Wärme angeht, haben wir die Mittel von 130 Millionen Euro mit
diesem Haushaltsjahr auf weit über 210 Millionen Euro
erhöht. Bei der energetischen Gebäudesanierung haben
wir den Anteil der Finanzmittel erhöht, mit denen wir jedem Bürger, jeder Bürgerin und jetzt auch den Kommunen helfen wollen, etwas gegen Energieverschwendung
zu tun, was positive Auswirkungen auf das Klima - weil
die CO2-Emissionen sinken -, auf das Portemonnaie und
vor allem auf die Konjunktur im Handwerk hat, wo wieder mehr eingestellt und ausgebildet wird. In diesem Bereich haben wir die Mittel mit der im Koalitionsvertrag
getroffenen Vereinbarung vervierfacht.
Wir haben das lange debattierte Projekt durchgesetzt,
125 000 Hektar wertvolle Naturfläche vor dem Verkauf
und der Nutzung zu schützen, indem wir sie in die „Stiftung Deutsches Naturerbe“ einbringen.
Wir haben die Rechtsstreitigkeiten um die europäische Natura-2000-Richtlinie im Bereich der FaunaFlora-Habitat-Richtlinie gemeinsam mit den Ländern
geklärt. Wir sind mit den Ländern darin einig. Das Klageverfahren von der Europäischen Union gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der mangelnden Umsetzung der Naturschutzrichtlinie im Bereich der FFHGebiete ist zurückgezogen worden.
Wir haben in der Europäischen Union mitgeholfen,
nach acht Jahren endlich 30 000 Altstoffe, die weit über
90 Prozent der Altchemikalien ausmachen, einem Registrierungs-, Bewertungs- und Zulassungsverfahren zu unterziehen. Wir haben gemeinsam mit den Kolleginnen
und Kollegen in der Europäischen Union die neuen Abgasstandards Euro 5 und Euro VI in der Europäischen
Union durchsetzen können. Die Kennzeichnungspflicht
ist eingeführt worden. Wir haben die Partikelfilterproblematik angehen können und gehen davon aus, dass sie
endlich positiv abgeschlossen werden kann.
Wir haben das Fluglärmschutzgesetz verabschiedet.
Hinsichtlich der Verpackungsverordnung haben wir
gemeinsam mit der Wirtschaft und den Ländern Eckpunkte durchgesetzt, um die „Trittbrettfahrerei“ zu beenden, dass manche Unternehmen die Verpackungen nicht
zurücknehmen und trotzdem nicht in das Duale System
einzahlen, ihre Wirtschaftlichkeit also zulasten anderer
optimieren.
Wir haben zudem ein Projekt in Gang gesetzt, das bereits für die letzte Regierung eine hohe Priorität hatte, und
zwar den Ausbau von Offshoreanlagen, also die Nutzung
der Windenergie etwa 50 Kilometer vor der deutschen
Nordseeküste. Mit der Durchsetzung des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes haben wir es geschafft, die
Netzanbindung dieser Anlagen an das Übertragungsnetz
an Land umlagefähig zu machen, und damit die größte
Hürde beseitigt, die bisher beim Ausbau der Offshorewindenergieparks existiert hat.
Wir haben im Übrigen auch - darauf will ich an dieser
Stelle hinweisen - mit den Unternehmensverbänden und
den einzelnen Unternehmen der Umwelttechnologie - an
erster Stelle ist der Bundesverband Erneuerbare Energie
zu nennen - verabredet, dass in den kommenden zwei
Jahren 5 000 zusätzliche Ausbildungsplätze in der Umwelttechnik zur Verfügung gestellt werden sollen. Ich
glaube, dass sich diese Bilanz der Regierungsarbeit in
diesem Bereich sehen lassen kann.
Wir haben die Beimischungspflicht bei den Biokraftstoffen weiterentwickelt, und trotz aller Auseinandersetzungen mit der Kommission über die Datengrundlage
beim Emissionshandel und den Nationalen Allokationsplan kann man mit Fug und Recht darauf hinweisen,
dass wir deutlich stärker bereit sind, in Deutschland
mehr für den Klimaschutz zu tun, als es noch in der vergangenen Legislaturperiode durchsetzbar war. Damals
hatten wir das Minderungsziel von 2 Millionen Tonnen
CO2 pro Jahr. Jetzt liegt selbst das Ziel, das die Bundesregierung gegenüber der Kommission vertritt, bei fast
50 Millionen Tonnen unter den Vorgaben der ersten
Handelsperiode. Insofern ist auch im Klimaschutz eine
deutliche Verbesserung zu verzeichnen.
Trotzdem gibt es Bereiche, die in den kommenden
Jahren noch erhebliche Anstrengungen erfordern werden. Ich will jetzt nicht auf das Thema Energie eingehen
- möglicherweise gibt es dazu noch Fragen -, sondern
zwei Punkte beleuchten, die sonst weniger im Mittelpunkt der Diskussion stehen.
Der erste Punkt ist die weltweite Ressourcenentwicklung über den Bereich Energieversorgung hinaus. Wir
sind heute 6,5 Milliarden Menschen auf der Erde. In einigen Jahren oder Jahrzehnten werden es 9 Milliarden
Menschen sein. Wenn unser Ressourcenverbrauch unverändert bleibt, dann brauchen wir dafür mindestens
zwei Planeten. Wir haben aber nur einen. Daraus ergeben sich schon heute dramatische Kennziffern, die klarmachen, dass wir auf der einen Seite effizienter mit den
Ressourcen umgehen müssen und auf der anderen Seite
verstärkt auf nachwachsende Rohstoffe setzen müssen.
Bei den Böden ist es so, dass 66 Prozent der weltweit
genutzten Anbauflächen für Nahrungsmittel inzwischen
geschädigt sind. 11 Prozent der Erdoberfläche sind inzwischen so zerstört, dass dort kein Anbau mehr möglich
ist. In Afrika haben sich seit 1950 die landwirtschaftlichen Flächen um immerhin 65 Prozent verschlechtert.
Nur 1 Prozent der Erdoberfläche ist mit Süßwassersystemen bedeckt. Über 70 Prozent der Süßwasserquellen sind belastet oder schon zerstört. Der jährliche
Verbrauch an Grundwasser übersteigt die natürliche Regenerationsrate bei weitem, und zwar um über 160 Milliarden Kubikmeter. Die Vereinten Nationen warnen davor, dass 60 bis 70 Prozent der Fischbestände voll genutzt bzw. übernutzt sind.
Oder betrachten Sie die Bodenschätze: Man muss
sich vorstellen, dass es heute 1,4 Milliarden Menschen
auf der Erde gibt, die in industrialisierten Gesellschaften
leben. In einigen Jahrzehnten werden es 4 Milliarden
Menschen sein. Das wird eine gigantische Steigerung
der Nachfrage nach Rohstoffen zur Folge haben. Wir
werden deshalb auf erneuerbare Rohstoffe setzen müssen.
Da meine fünf Minuten Redezeit schon überschritten
sind, will ich zum Ende kommen und abschließend nur
noch auf den rasanten Artenschwund hinweisen, den wir
nicht nur in unserem Land, sondern weltweit zu verzeichnen haben. Dieser Bereich bedarf einer weit größeren Aufmerksamkeit als bisher; darüber haben wir schon
einmal im Bundestag eine Debatte geführt.
Auf diesen und weiteren Feldern müssen wir uns in
Zukunft wesentlich stärker politisch und administrativ
betätigen, auch auf internationaler Ebene.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Ich bitte, zunächst die Fragen zu stellen, die unmittelbar den Themenbereich betreffen, über den gerade berichtet wurde.
Als Erste Frau Bulling-Schröter.
Herr Minister, danke für den Bericht. - Meine Frage
betrifft den Emissionshandel. Im Umweltbericht 2006
werden im Hinblick auf das Emissionsminderungsziel
Defizite im Energiebereich deutlich benannt, während
im Abfallbereich und in der Landwirtschaft schon größere Minderungserfolge erreicht sind. In diesem Bericht
steht unter der Überschrift „Emissionshandel“, man
wolle „stringente Emissionsziele“ festlegen. Die EU hat
die Vorgabe gemacht, von 2008 bis 2012 den deutschen
Jahresausstoß an CO2 auf 453 Millionen Tonnen zu verringern. Die Bundesregierung hat dagegen Einspruch erhoben. Meine Fragen an Sie lauten: Wann wird die Bundesregierung beim NAP II zu einer Einigung kommen?
Entsprechen Zeitungsberichte der Tatsache, dass Sie
eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof wegen
des Emissionsausstoßes anstreben?
Meine Antwort auf Ihre Fragen lautet: Erstens. Die
Bundesregierung geht davon aus, dass wir mit der Europäischen Kommission einig werden. Ich persönlich hoffe
jedenfalls, dass das bis Ende Januar der Fall sein wird.
Zweitens. Es gibt seitens der Bundesregierung keinen
Beschluss, eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof anzustreben.
Herr Heilmann, bitte sehr.
Herr Minister, auch ich danke Ihnen für den Bericht. Ich habe eine konkrete Nachfrage. Auf Seite 107 formulieren Sie als Ziel die Verringerung des Fluglärms, um
Anwohner vor Gesundheitsschäden zu schützen. Vor
knapp vier Wochen hat dieses Hohe Haus die Novellierung des Fluglärmschutzgesetzes beschlossen. Alle Kollegen von der rechten Seite waren der Meinung, dass das
Fluglärmschutzgesetz nicht dazu dient, den Fluglärm zu
verringern und aktiven Lärmschutz zu betreiben, sondern nur passiven Lärmschutz gewährt.
Deshalb jetzt meine Nachfrage: Können Sie den Widerspruch zwischen der Aussage im Umweltbericht,
man wolle Fluglärm verringern, und der Tatsache, dass
das Fluglärmschutzgesetz nur passiven Lärmschutz bietet - das heißt, kein einziger Flughafen wird durch dieses
Gesetz leiser -, aufklären? Oder wird die Bundesregierung in nächster Zeit, innerhalb der nächsten sechs Monate, eine Initiative starten, die ausdrücklich aktiven
Lärmschutz an Flughäfen vorsehen wird?
Herr Kollege, Sie akzeptieren sicher, dass ich als Mitglied der Bundesregierung keine Bewertung über das
Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag abgebe. Wer rechts bzw. links sitzt, das kommt immer auf
die Perspektive an; das ist meine einzige Positionierung
dazu.
Jedenfalls gibt es den von Ihnen dargestellten Widerspruch nicht. Das hier im Haus verabschiedete Fluglärmschutzgesetz enthält hinreichend verschärfte Anforderungen im Bereich des Luftverkehrs. Übrigens ist der
Gesetzestext wortgleich, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, mit dem Entwurf der alten Bundesregierung
gewesen; lediglich in den Ausschussberatungen hat es
dann Veränderungen gegeben. Die Meinung, es gebe
keine verschärften Grenzwerte, teile ich nicht; für den
Bereich der Siedlungsentwicklung in der Nähe von Flughäfen zum Beispiel gibt es diese sehr wohl.
Frau Kollegin Höhn.
Herr Minister, Sie haben sich eben intensiv für den
Schutz der Artenvielfalt ausgesprochen. Dabei wollen
wir Sie gern unterstützen. Es gibt einen besonders wichtigen Bereich, das Nationale Naturerbe, der, was die Artenvielfalt angeht, besonders kostbar ist. Die Bundesregierung hat entschieden, dass sie diese Flächen kostenlos
an die Länder und an Dritte übertragen will. Die Frage
an Sie lautet: Mit welchen naturschutzfachlichen Auflagen wollen Sie diese Übertragung an Dritte verbinden,
um diesen wertvollen Bestand zu bewahren?
Erstens haben wir den Verkauf zur wirtschaftlichen
Nutzung - wir sind ja bisher Eigentümer - nicht durchgeführt. Zweitens gehen wir davon aus, dass dies bei der
Übergabe vertraglich gesichert wird. Drittens soll das in
eine Stiftung münden, wobei bereits der Stiftungszweck
beschreiben wird, wie der Schutz und die Entwicklung
dieser Flächen auszusehen haben.
({0})
- Das hängt von der Vertragsgestaltung ab. Darüber hinaus kann es auch darum gehen - das hängt allerdings
von den jeweiligen Landesgesetzgebern ab -, die Flächen in eine bestimmte Naturschutzkategorie zu bekommen, wenn sie noch nicht darin sind. Dies ist aber, wenn
ich das rechtlich richtig einordne, nicht über die Bundesregierung möglich. Ein solches Verfahren müsste in den
jeweiligen Ländern betrieben werden. Ich bin absolut sicher, dass wir die vertraglichen Regelungen hinbekommen werden.
Frau Kollegin Höhn, wenn Sie mir diese Bemerkung
noch gestatten: Wenn Sie eine gute Idee haben, dann sagen Sie sie uns. Wir haben kein Interesse daran, diese
Flächen über einen langen Zeitraum von zehn oder
15 Jahren wieder zu verlieren. Wir sind für Anregungen
offen.
({1})
Die nächste Frage kommt vom Kollegen Fell.
Herr Minister, Sie haben von einem Wettbewerb bei
den Ideen für erneuerbare Energien gesprochen. Wenn
ich in die Kurzfassung dieses Umweltberichtes schaue,
dann finde ich sie dort nicht dargestellt. Unter den politischen Maßnahmen sind mit einer Ausnahme - 2006
wurde das EEG erneut zugunsten stromintensiver Betriebe novelliert - ausschließlich Maßnahmen aus der
Zeit der rot-grünen Bundesregierung dargestellt. Unter
dem Punkt Perspektiven, also was es Neues geben soll,
finde ich nur die drei Wörter „erneuerbare Energien ausbauen“. Insofern würde mich schon sehr interessieren,
welchen Beitrag die Bundesregierung zu dem Wettbewerb bei neuen Maßnahmen zum Ausbau erneuerbarer
Energien leistet. Wie sieht es mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz oder mit dem Wärmegesetz aus? Wird es
ein Biogaseinspeisungsgesetz geben? Viele Ideen sind in
der Diskussion - da haben Sie Recht -, aber im Umweltbericht finde ich nichts darüber.
Herr Kollege Fell, wenn Sie mir die bösartige Bemerkung erlauben: Ich möchte Sie bitten, auch die Langfassung zu lesen.
Ich will Ihnen aber gerne einige Hinweise geben, was
dort steht. Beginnen wir mit dem Thema Biokraftstoffe.
Die Tatsache, dass die Bundesregierung verabredet hat,
den Anteil der beizumischenden Biokraftstoffe zu erhöhen - die bis 2009 begrenzte Steuerfreiheit für Biokraftstoffe wird übrigens verlängert, die der BtL-Kraftstoffe
sogar bis 2015 -, ist Bestandteil einer Strategie zum
Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien.
Ich habe bereits auf den Teil „Windenergie“ hingewiesen. Sie haben recht: Offshorewindenergie war auch
unter Rot-Grün ein Ziel. Allerdings ist kein Instrument
gefunden worden, mit dem man dafür sorgen kann, dass
Investitionen in diesem Bereich - die Kosten sind relativ
hoch - interessant werden. Ich habe Ihnen ein Beispiel
dafür genannt, dass wir auf diesem Gebiet unserer Meinung nach einen ganz großen Schritt getan haben.
Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die Europäische
Union in ihrem Energieaktionsplan ihre Ziele beim Ausbau der Förderung erneuerbarer Energien zwischen 2010
und 2020 festlegt. Aus meiner Sicht sind diese Ziele in
einigen Bereichen zu niedrig angesetzt. Was zum Beispiel den Biokraftstoff angeht, sind jetzt 10 Prozent in
Rede. Wir sind der Meinung: 12,5 Prozent sind durchaus
erreichbar. Der Energieaktionsplan der Europäischen
Union enthält Post-2010-Ziele. Auch das schlägt sich im
Programm der Bundesregierung nieder.
Wie Sie wissen, werden wir in diesem Jahr eine Überprüfung, einen Review-Prozess, im Bereich des EEG haben. Darüber werden wir sicher auch hier im Haus diskutieren müssen. Was die Nutzung der erneuerbaren
Wärme angeht, will ich nur auf Folgendes hinweisen: Zu
Zeiten der alten Bundesregierung sind ungefähr 60 000
bis 80 000 entsprechende Anträge - ich weiß die Zahl
nicht mehr ganz genau - gefördert worden; nunmehr haben wir diese Anzahl verdoppelt. Wir haben in diesem
Haushalt die Mittel von 130 Millionen Euro auf
213 Millionen Euro erhöht. Man kann immer sagen: Das
reicht noch nicht. Aber es ist auf jeden Fall deutlich
mehr, als zu Zeiten der alten Bundesregierung - weshalb
auch immer - durchsetzbar gewesen ist.
Frau Kollegin Behm, bitte.
Herr Minister, Sie haben die Frage der erneuerbaren
Rohstoffe angesprochen. Da fällt mir als Agrarpolitikerin spontan das Thema Phosphor ein. Es gibt gewisse
Zielkonflikte: Auf der einen Seite wollen wir auf der
Fläche sehr viel anbauen, um so erneuerbare Energien,
sprich: Biomasse, zu fördern; auf der anderen Seite müssen wir aber auch die Ernährung sicherstellen. Wir brauchen Phosphor also in einer bestimmten Größenordnung.
Die fossilen Vorräte sind nahezu erschöpft. Wir können
Phosphor aus Kläranlagen rückgewinnen; die notwendige Technologie ist vorhanden. Aber sie wird nicht genutzt, weil sie im Moment noch zu teuer ist. Können Sie
sich vorstellen, dass Sie entweder mit ordnungspolitischen Maßnahmen, mit einem geeigneten Förderprogramm oder wie auch immer dafür sorgen, dass das Vorhaben „Phosphorrückgewinnung aus Kläranlagen“ so
schnell wie möglich in die Gänge kommt?
Frau Kollegin, wir haben in unserem Haus ein erstes
Konzept für eine Ressourcenstrategie erarbeiten lassen.
Das Thema Phosphor ist ein größerer Bestandteil dieses
Konzepts, weil uns die Problematik bekannt ist.
Ob wir uns vorstellen können, mit ordnungspolitischen Maßnahmen dafür zu sorgen, dass dieses Vorhaben so schnell wie möglich in die Gänge kommt: Bitte,
haben Sie Verständnis dafür, dass ich diese Frage hier
nicht spontan beantworten kann. Aber in der Tat wird es
darum gehen, dass die Bundesregierung Initiativen ergreifen muss, um dem absehbaren und dem bereits existierenden Mangel in diesem Bereich abzuhelfen.
Ich möchte bei der Behandlung dieses wichtigen Themas eine zweite Strategie benennen, die mit dem Einsatz
von Düngemitteln und anderem nichts zu tun hat. Es
geht eher um die Frage, ob wir eigentlich zu einem anderen Umgang mit erneuerbaren Energien, also mit nachwachsenden Rohstoffen, kommen müssen. Zurzeit machen wir Folgendes - das werden wir eine Weile
beibehalten müssen, weil es in diesem Stadium die einzige Möglichkeit ist -: Wir unterstützen diejenigen, die
versuchen, aus einer Pflanze ein bestimmtes Produkt zu
erzeugen. Wir subventionieren diejenigen über den
Strompreis, die durch die Verarbeitung einer Pflanze
Strom erzeugen; wir befreien diejenigen von Steuern, die
durch die Verarbeitung einer Pflanze Benzin oder Diesel
erzeugen; wir lassen denjenigen Technologieförderung
zukommen, die durch die Verarbeitung einer Pflanze
Zellulose oder Kleidungsstücke herstellen.
Sie haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass
wir neben dem Anbau nachwachsender Rohstoffe gelegentlich auch noch Nahrungsmittel anbauen wollen. Angesichts der begrenzten Anbaufläche kommt es zu Nutzungskonkurrenzen. Ganz abgesehen davon ist eine
Debatte über Zertifizierungssysteme dringend notwendig. Es macht wenig Sinn, die Zerstörung der Regenwälder durch den Sojaanbau in Zukunft durch eine Zerstörung der Regenwälder aufgrund der Gewinnung von
Palmöl zu ersetzen. Von diesem Problem einmal ganz
abgesehen, wird es darum gehen, dass wir aus jeder einzelnen Pflanze technologisch mehr herausholen müssen.
Dahinter steckt das Konzept von Bioraffinerien. Im
Grunde müssen wir akzeptieren, dass die Chemieindustrie traditionell eine Plattformindustrie ist. Wir müssen
aus der einzelnen Pflanze unterschiedliche Rohstoffe gewinnen, die wir unterschiedlichen Nutzungen zuführen
können. Eine entsprechende Strategie müssen wir beraten. Dabei geht es auch um die Frage: In welche Richtung lenken wir mit bestimmten Anreizsystemen, die wir
entwickelt haben, die technologische Entwicklung? Wir
stehen noch vor der Auseinandersetzung über diese
Frage. Wenn wir sie nicht angehen, wird es zu erheblichen Nutzungskonkurrenzen kommen.
({0})
Frau Kollegin Hirsch.
Ich habe noch eine Frage zum Naturschutzrecht. Im
Bericht wird angekündigt, dass im Zuge der Föderalismusreform Änderungen geplant sind. Wie soll das konkret aussehen? Geht es um eine vollständige Änderung,
oder geht es nur darum, die Regelungen zur Anlagegenehmigung zu ändern?
Im letzten Jahr gab es eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, in der gefordert wurde, kleinere
Änderungen vorzunehmen. Wann soll das angegangen
werden? Wie sehen hier die aktuellen Planungen aus?
Zur letzten Frage: Wir haben mit der Kommission
verabredet, dass sie keine weiteren Schritte in Richtung
eines Vertragsverletzungsverfahrens unternimmt. Klar
ist, dass wir die geforderten Änderungen am Bundesnaturschutzgesetz nicht vornehmen können, solange wir
keine Klarheit darüber haben, welche Konsequenzen wir
aus der Verfassungsreform ziehen müssen. Das hat die
Kommission akzeptiert. Wir müssen nun die Debatte
über die Konsequenzen der Föderalismusreform abwarten, um Änderungen am Bundesnaturschutzgesetz vornehmen zu können.
Die Frage, wie sich das Bundesnaturschutzrecht vor
dem Hintergrund der Föderalismusreform entwickelt, ist
in diesem Hause hochstrittig debattiert worden. Die
Rechtslage stellt sich nun so dar, dass wir, der Bund, die
Grundsätze des Naturschutzes weiterhin festlegen. Jetzt
wird es natürlich eine Diskussion um die Frage geben,
was zu den Grundsätzen des Naturschutzes gehört. Ich
gebe ein Beispiel: Ich halte es für einen Grundsatz des
Naturschutzrechtes, dass Eingriffe in den Naturhaushalt
ausgeglichen werden müssen. Mir kann jedes Bundesland erklären, es glaube nicht, dass das so sei; ich bin
aber der festen Überzeugung, dass es ein Grundsatz ist,
dass man nicht einfach so erheblich in Natur und Landschaft eingreifen kann, sondern sinnvollerweise für einen Ausgleich sorgen muss. Zunächst muss es aber zu
einer Abwägung kommen, ob der Eingriff überhaupt
notwendig ist.
Ich bitte um Verständnis dafür, dass wir unserem Zeitplan folgen: Bis Mitte des Jahres wird ein Referentenentwurf vorliegen. Ich nehme stark an, dass Sie den Entwurf parallel erhalten werden; so wurde bei allen
vorangegangenen Regierungen verfahren. Wir werden
uns dann wahrscheinlich schon vor der Beratung im
Deutschen Bundestag öffentlich über die Details unterhalten.
Nur eine prinzipielle Bemerkung: Den Glauben, dass
alles Gute von oben kommt, dass ein guter Naturschutz
nur möglich ist, wenn alles bundesweit in Berlin geregelt
wird, teile ich schon aus biografischen Gründen nicht.
Das erste Umweltministerium gab es übrigens in einem
Land, 16 Jahre, bevor es das im Bund gab. Die Entstehung von Nationalparks in Westdeutschland war Länderangelegenheit; in Ostdeutschland wurden sie per Volkskammerentscheid am 12. September 1990 geschaffen.
Naturschutz wird seit vielen Jahren in den Ländern betrieben, und zwar engagiert und in eigener Kompetenz.
Ich teile nicht die Auffassung, dass Naturschutzfragen
ausschließlich beim Bund gut geregelt werden können.
Ich glaube, dass es auch in den Ländern engagierten Naturschutz gibt und auch in Zukunft geben wird. Ich bin
auch der Überzeugung, dass es Sinn macht, in den
16 Länderdemokratien, die es in Deutschland gibt, um
den Naturschutz zu streiten, ihn zu einem politischen
Thema zu machen und ihn nicht nur auf Bundesebene zu
betreiben. Das ist meine persönliche Haltung.
Es wird darum gehen, mit der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes und im Rahmen des Umweltgesetzbuches die Grundsätze des Naturschutzes so zu definieren,
dass Ideen zur Einschränkung des Naturschutzes aus den
Ländern - ich sprach vorhin davon - nicht Realität werden können.
Frau Kollegin Kotting-Uhl.
Danke schön. - Herr Minister, herzlichen Dank für
die Vorlage des Berichtes. Um Ihren Hinweis an den
Kollegen Fell aufzugreifen, möchte ich sagen: Da wir
den Bericht im Gegensatz zu Ihnen erst seit gestern haben, konnten wir alle die 146 Seiten noch nicht gründlich durchlesen. Nach dem, was ich - selektiv - gelesen
habe, muss ich sagen: Es steht manches Schöne drin, bei
dem wir Sie auch gern unterstützen, manchmal aber
auch gern treiben würden.
({0})
Die Langfassung bestätigt den Eindruck, den ich schon
bei der Kurzfassung gewonnen hatte, nämlich dass die
Analysen meist deutlich schärfer und gründlicher ausfallen als die Maßnahmen.
Ich habe eine konkrete Frage zur Ressourcenpolitik,
zu der, wie wir alle wissen, in vorderster Linie auch die
Abfallpolitik gehört. Warum wird im Umweltbericht der
Bundesregierung das Ziel einer vollständigen Verwertung von Siedlungsabfällen bis 2020 nicht bei den weiteren Ausbauzielen in der Abfall- und Kreislaufwirtschaft
benannt, obwohl eine vom Umweltbundesamt zu dieser
Zielvorgabe in Auftrag gegebene Studie 2005 zu dem
Ergebnis gekommen ist, dass eine vollständige Verwertung von Siedlungsabfällen bereits mit dem heutigen
Stand der Technik erreichbar wäre, und eine Broschüre
des BMU zur Abfallwirtschaft vom Juli 2006 diese Zielvorstellung noch weitgehend enthält? Heißt das, dass die
Bundesregierung jetzt von dieser Zielvorgabe abrückt?
Nein.
Klare Antwort: „2020“ bleibt.
Sie haben mich gefragt, ob wir bei der Zielvorgabe
bleiben. Darauf antworte ich: Ja. Wir werden dafür aber
gemeinsam eine Menge tun müssen. Von allein wird das
nicht geschehen. Ich halte das aber für realisierbar.
Warum steht es nicht darin?
Keine Ahnung. Ich weiß es nicht. - Damit wir das
jetzt nicht zu formell betreiben, sage ich: Auch ich kenne
den Bericht in der Langfassung erst seit zwei Tagen.
({0})
Die nächste Frage stellt der Kollege Kauch aus der
FDP-Fraktion.
Herr Minister, zwei Fragen zur Ratspräsidentschaft.
Erstens. Die Europäische Kommission hat einen Entwurf vorgelegt, nach dem die Europäische Union eine
Reduktion der CO2-Emissionen um 20 Prozent unkonditioniert und um 30 Prozent für den Fall vorsieht, dass andere mitmachen. Ich glaube, alle Fraktionen dieses Hauses haben sich für das 30-Prozent-Ziel ausgesprochen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang gern wissen, wie
die Bundesregierung als Ratspräsidentschaft hier agieren
will. Falls es beim 20-Prozent-Ziel bleibt: Wird die Bundesregierung bzw. werden die sie tragenden Fraktionen
bei ihrem 40-Prozent-Ziel zur Reduktion im nationalen
Bereich bleiben?
Die zweite Frage betrifft den Emissionshandel im
Luftverkehr. Hierzu gibt es einen Vorschlag des Umweltkommissars und eine Entschließung des Europäischen Parlaments, die sich darin unterscheiden, ob man
ein eigenes System aufbaut - so das Europäische Parlament - oder den Luftverkehr in das bestehende System
einbezieht. Hierzu möchte ich gern die Verhandlungslinie der Präsidentschaft wissen.
Ich beginne mit der Beantwortung der zweiten Frage.
Ich bitte um Verständnis dafür, dass die Präsidentschaft
bei Beginn der Verhandlungen ein bisschen zurückhaltend sein sollte, wenn es darum geht, öffentlich zu erklären, was sie am Ende erreichen will. Aber ich kann Ihnen
die Position des Umweltministeriums dazu darstellen.
Nach unserer Überzeugung muss man den Luftverkehr, der nach Europa geht oder aus Europa in andere
Staaten geht, in das System einbeziehen, weil es sonst zu
ganz erheblichen Wettbewerbsverzerrungen innerhalb
Europas kommt. Ob uns das am Ende gelingt, wird von
vielen Verhandlungen abhängen. In diese Verhandlungen
müssen, finde ich, auch die Optimierungsstrategien im
Luftverkehr zur Verringerung des Kraftstoffverbrauchs
einfließen, bevor wir überhaupt mit dem Emissionshandel beginnen, zum Beispiel auch dadurch, dass wir die
Flugsicherungssituation ein Stück weit vereinheitlichen.
Wenn Sie mit den entsprechenden Gesellschaften reden,
werden Sie feststellen, wie viele Umwege, aus welchen
Gründen auch immer, geflogen werden - mit gigantischem Spritverbrauch, der völlig überflüssig ist. Das ist
ein ziemlich umfassendes Thema.
Die Ratspräsidentschaft hat es entgegen mancher öffentlicher Wahrnehmung kaum in der Hand, eigene Vorstellungen durchzusetzen, sondern hat das wesentliche
Ziel, überhaupt zu Verständigungen zu kommen. Wenn
wir allen anderen erst einmal erklären, wie schlau wir
sind, ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie uns zeigen wollen, dass wir uns mit unserer Schlauheit nicht
durchsetzen, relativ hoch. Mit der uns eigenen Zurückhaltung wollen wir damit also ein bisschen vorsichtig
umgehen. Aber Sie merken, in welche Richtung das
geht.
Die erste Frage war: Wie verhält es sich mit dem
30-Prozent-Ziel? - Die Bundesregierung strebt eine Reduktion um 30 Prozent bis 2020 an und will natürlich alles dafür tun, dass wir eine internationale Vereinbarung
darüber erreichen. Sie wissen, dass der Deutsche Bundestag kurz vor der Konferenz in Nairobi beschlossen
hat, dass Deutschland eine Minderung um 30 Prozent für
Europa für richtig hält und in diesem Fall bereit ist, national eine Reduktion um 40 Prozent zu erreichen. Der
Bundestag hat sich in seinem Beschluss auf die von ihm
eingesetzte Enquete-Kommission „Klimaschutz“ bezogen.
Für diese Zielsetzung muss man übrigens keinen besonderen Mut haben. Vielmehr ist klar, dass es in Europa
ein Burden-Sharing geben wird, wenn es 30 Prozent erreichen will: Es wird, wie heute auch, Staaten geben, die
weniger zu diesem Ziel beitragen, während andere mehr
dazu beitragen. Heute lautet das Ziel der Europäischen
Union acht Prozent, und Deutschland muss 21 Prozent
bringen, damit das Acht-Prozent-Ziel der Europäischen
Union erreicht wird. Das ist die Beschlusslage des Deutschen Bundestages, die ich als Mitglied der Bundesregierung nicht zu kommentieren habe.
Hinsichtlich der 20 Prozent muss man darauf achten,
dass keine falsche Interpretation wahrgenommen wird.
Die Europäische Union hat erklärt, selbst dann eine Reduzierung um 20 Prozent anzustreben, wenn alle anderen internationalen Verhandlungen scheitern. Warum?
Weil dies das dringend notwendige Signal an die europäischen Investoren auf dem Energiemarkt ist, dass sie
nicht glauben dürfen, dass es in Europa keinen oder nur
wenig Klimaschutz gibt.
Das Signal heißt: Selbst für den unwahrscheinlichen
Fall, dass es nach 2012 kein internationales Abkommen
im Anschluss an das von Kioto gibt, wird es in Europa
nicht bei dem Ziel acht Prozent bleiben; vielmehr wird
diese Marke auf mindestens 20 Prozent gesteigert werden. Warum sagt man das? Natürlich, damit die Investoren in Europa nicht davon ausgehen, sie könnten, durch
welche Maßnahmen auch immer, entweder den Klimaschutz konterkarieren oder müssten sich in ihren wirtschaftlichen Berechnungen nicht darauf einstellen. Deswegen halte ich dieses Signal, dass selbst im
schlimmsten Fall des Scheiterns der Kioto-Anschlussverhandlungen, was wir alle nicht wollen, unilateral in
Europa mehr und nicht weniger Klimaschutz realisiert
werden wird, für wichtig. Das empfand ich als unterstützenswerten Ansatz. Aber die Bundesregierung hat
ebenso wie die Kommission das Ziel, 30 Prozent im in7510
ternationalen Bereich zu erreichen, weil wir anderenfalls
das Ziel von 60 bis 80 Prozent Reduktion bis 2050 nicht
erreichen werden.
Die nächste Frage stellt der Kollege Heilmann aus der
Fraktion Die Linke.
Herr Minister, zu Seite 100 Ihres Berichtes, Punkt
3.2.3, Stärkung der Häfen und der Schifffahrt, habe ich
eine konkrete Nachfrage. Derzeit werden der Jade-Weser-Port realisiert und der Ausbau des Hamburger Hafens betrieben. In diesem Zusammenhang gab es schon
einmal Bestrebungen seitens der Bundesregierung; daher
frage ich Sie: Wann wird ein Seehafenkonzept der Bundesregierung vorgelegt, das konzeptionell darlegt, welche Häfen wo und wie entstehen bzw. ausgebaut werden
sollen? Denn es macht wenig Sinn, wenn wir erst alle
Häfen ausbauen und im Nachhinein ein Konzept aufgrund der Ausbauten erstellen.
Ich zitiere von der gleichen Seite:
Zur Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seehäfen hat die Bundesregierung beschlossen, ihre Bemühungen um eine
leistungsfähige und anforderungsgerechte Infrastruktur der Seehafenstandorte zu verstärken sowie
ihre Strategie für die see- und landseitige Anbindung der Häfen fortzuentwickeln und auf der
Grundlage der „Gemeinsamen Seehafenplattform“
mit den Ländern abzustimmen ... Dabei ist es das
Ziel der Bundesregierung, die notwendigen seewärtigen und landseitigen Anbindungen der deutschen
Seehäfen gezielt und koordiniert auszubauen.
Aus dem Zitat erkennen Sie, dass diese Konzeption in
der Bundesregierung in Arbeit ist. In Bezug auf Ihre
konkrete Nachfrage nach den Zeitplänen bitte ich Sie um
Verständnis, dass wir diese Informationen nachliefern
müssten, weil ich dazu die beiden dafür originär zuständigen Minister, die Kollegen Tiefensee und Glos, fragen
müsste.
Zu der Frage nach Hamburg und Wilhelmshaven
kann ich mich allerdings etwas detaillierter äußern; das
hat etwas damit zu tun, dass ich mich in einer früheren
Funktion sehr für die Entwicklung eines Tiefwasserhafens eingesetzt habe. Zwischen diesen beiden Häfen besteht in diesem Punkt relativ wenig Konkurrenz, denn
geht man von der Containerschiffsgeneration, für die der
Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven gebaut wird, und von
den Vertragskonstruktionen zwischen Niedersachsen
und Bremen - früher auch mit Hamburg; Hamburg ist
dann später ausgestiegen - aus, so stellt man fest, dass
der Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven als Ergänzungshafen für diejenigen Containerschiffe gedacht war, die
die lange Revierfahrt von 80 Kilometern nach Hamburg
aufgrund ihres großen Tiefgangs und ihrer Größe nicht
bewältigen können. Das ist sozusagen die Idee des Tiefwasserhafens Wilhelmshaven.
Natürlich gibt es vonseiten der Freien und Hansestadt
Hamburg die Idee, nicht den Hafen auszubauen, sondern
die Elbe weiter zu vertiefen, um damit die Möglichkeit
zu schaffen, dass auch Schiffe mit einem größeren Tiefgang nach Hamburg fahren. Ob das bei der Containergeneration, über die ich eben geredet habe, überhaupt möglich ist, weiß ich nicht - dazu bin ich nicht mehr genug
in der Thematik drin. Außerdem gibt es darüber natürlich eine erhebliche Diskussion, beispielsweise was die
Frage der Deichsicherheit betrifft. Schon zu meiner Zeit
gab es Abbruchkanten an der Elbe. Es stellt sich die
Frage, inwieweit eine weitere Elbvertiefung technisch
überhaupt möglich ist. Die Auseinandersetzung hierzu
hat etwas mit Umweltschutz, aber sehr stark auch mit
Deichsicherheit zu tun.
Jedenfalls gibt es in der ursprünglichen Hafenkonzeption keinen Wettbewerb zwischen Hamburg und Wilhelmshaven. Vielmehr ergänzen sich beide Häfen in diesem Seehafenkonzept. Denn der eigentliche Wettbewerb
findet zwischen der deutschen Nordseeküste und den sogenannten ARA-Häfen - Amsterdam, Rotterdam, Antwerpen - statt. Wenn Sie sich dagegen wenden, Wilhelmshaven auszubauen, dann ist die Folge nicht, dass
der Hamburger Hafen besser ausgelastet wird. Vielmehr
müssen Sie dann damit rechnen, dass ein Teil der Containerschiffe in den ARA-Häfen anlandet, die Wertschöpfung dort erfolgt, die Arbeitsplätze dort entstehen
und übrigens auch die landseitigen Infrastrukturverbindungen dort entstehen. Das ist der Grund, warum man
einmal zu einer Konzeption gekommen ist, in der sich
Tiefwasserhafen Wilhelmshaven und Hamburger Hafen
ergänzen.
Nichtsdestotrotz bleiben aus meiner Sicht eine Menge
offener Fragen hinsichtlich der ökologischen Verträglichkeit einer weiteren Elbvertiefung und der Gefährdung der Deichsicherheit.
Bevor ich dem nächsten Kollegen das Wort für eine
Frage gebe, mache ich darauf aufmerksam, dass wir in
der erfreulichen Situation sind, dass wir sehr wissbegierige Abgeordnete haben und einen Minister, der ausgesprochen detailliert Bescheid weiß und antwortet. Sollten alle Abgeordneten, die jetzt noch eine Frage haben,
auch noch zu Wort kommen wollen, bitte ich um kurze,
präzise Fragen und, Herr Minister, soweit es geht, auch
um kurze, präzise Antworten. Manchmal reicht vielleicht ein Verweis darauf, wo sich die Kollegen noch
tiefgründiger sachkundig machen können. Dann schaffen wir vielleicht noch alle, die sich gemeldet haben.
Das Wort hat der Kollege Schmitt aus der SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin, ich werde den Anforderungen, die
Sie beschrieben haben, gerne nachkommen.
Heinz Schmitt ({0})
Ich möchte dem Herrn Minister für die Vorstellung
des Berichtes danken und konkret nach den Anforderungen fragen, die sich für die europäische Ebene ergeben.
Sie haben eben den Bereich des Klimaschutzes angerissen; Sie werden die deutsche EU-Präsidentschaft sicherlich dazu nutzen, sich um diesen Bereich zu kümmern.
Es gibt aber noch andere Bereiche, in denen wir Vorreiter sein könnten und die sich auch aus der Beschreibung
im vorliegenden Bericht ergeben. Wieweit werden wir
hinsichtlich der globalen Ebene die Chancen nutzen und
die Anforderungen aufnehmen, Umweltpolitik zu beeinflussen und zu initiieren?
Wenn ich jetzt der Aufforderung der Präsidentin
nachkommen soll, dann würde ich einfach nur darauf
hinweisen, dass in dem Bericht natürlich die Stichworte
dafür genannt sind. Da geht es einerseits um das Thema
Luftreinhaltung, das insbesondere ein europäisches
Thema ist, bei dem es für uns einen Konflikt zwischen
Europäischem Parlament und Europäischem Rat zu lösen gilt. Es geht weiterhin um das Thema Biodiversität,
also Artenvielfalt. Sie wissen, dass wir im Jahre 2008 die
Biodiversitätskonferenz in Bonn haben werden. Die Voraussetzung dafür ist, dass wir die Strategie zur nationalen biologischen Vielfalt hier einbringen - sonst wirken
wir da nicht besonders glaubwürdig. Wir haben natürlich
die Absicht, die EU-Ratspräsidentschaft und auch die
G-8-Präsidentschaft dazu zu nutzen, das vorzubereiten.
Die Frau Bundeskanzlerin hat in ihr G-8-Präsidentschaftsprogramm ausdrücklich das Thema „Schutz der
Regenwälder“ aufgenommen. Wald ist eines der zentralen Themen für die CBD im kommenden Jahr in Bonn.
Sie finden dort ansonsten natürlich eine Vielzahl von
Themen. - Angesichts der Ermahnung der Präsidentin
traue ich mich jetzt nicht, diese weiter auszuführen. Vielleicht können wir hier aber einmal eine kräftige Umweltdebatte führen.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Bulling-Schröter für die
Fraktion Die Linke.
Noch einmal zurück zum Klima. In dem Umweltbericht ist zu lesen, dass die verkehrsbedingten CO2-Emissionen von 1990 bis 2003 um zwei Prozent zugenommen haben. Jetzt wird behauptet bzw. geht man davon
aus, dass die europäische Autoindustrie bis 2008 die
Selbstverpflichtung von 140 Gramm pro Kilometer erreichen wird. Ich meine, dass dies absolut verfehlt wird;
auch alle Sachverständigen sagen das. Ich denke auch,
Selbstverpflichtungen sind immer ganz schwierig.
Meine Frage an Sie: Wie gedenken Sie, dafür zu sorgen, dass vor allem die deutsche Autoindustrie hier jetzt
einmal tätig wird?
Ich möchte einen Punkt richtigstellen - ich habe eben
noch einmal nachgefragt -: Im Bericht steht als genaue
Formulierung, dass die europäische Automobilindustrie
sich nach eigenen Angaben noch im Zielkorridor befindet. Das stimmt auch. Wir wissen aber alle - die Automobilindustrie bestreitet das auch nicht -, dass es eher
unwahrscheinlich ist, dass die Automobilindustrie das
Ziel ihrer Selbstverpflichtung, den CO2-Ausstoß auf
140 Gramm pro Kilometer bis zum Jahre 2008 zu senken, erreicht. Darüber hinaus hat die europäische Automobilindustrie erklärt, ohne eine genaue Jahreszahl zu
nennen, dass als nächster Schritt 120 Gramm pro Kilometer angestrebt werden.
Aus meiner Sicht - das wird bereits im Februar in einer ersten politischen Orientierungsdebatte im Europäischen Umweltrat eine Rolle spielen - müssen wir zur
Kenntnis nehmen, dass das Ziel der Selbstverpflichtung
nicht erreicht wird, dass die Erklärungen der Automobilindustrie dafür nicht völlig falsch sind, aber uns aus Klimaschutzgesichtspunkten nicht zufriedenstellen können. Deshalb müssen wir in diesem Bereich
Rechtsetzungsmaßnahmen vornehmen. Sie kennen
meine Position. Diesbezüglich wird es aber mit Sicherheit einen erheblichen Debattenbedarf im Rat geben.
Unser Ziel ist es, in der Junisitzung des Europäischen
Umweltrates alle 27 Mitglieder auf einen gemeinsamen
Standpunkt zu verpflichten.
Die Koalitionsfraktionen haben ja erklärt, dass sie
keine Möglichkeit sehen, zur Erreichung des 140-GrammZiels den Einsatz von Biokraftstoffen anzurechnen, zur
Erreichung des 120-Gramm-Ziels sich dies aber vorstellen können. Ich glaube, um das 120-Gramm-Ziel und
irgendwann einmal das 100-Gramm-Ziel zu erreichen
- die Debatte wird sich ja ähnlich wie bei den Schadstoffnormen Euro 4 und Euro 5 entwickeln -, müssen
drei Faktoren beachtet werden:
Erstens müssen wir uns die Motorentechnik anschauen. Das ist übrigens auch gut für die Verbraucher;
denn wenn man weniger Sprit verbraucht, spart man
Geld.
Zweitens müssen wir die weitere Entwicklung von
Biokraftstoffen im Auge behalten.
Drittens muss Einfluss auf das Fahrverhalten der
Fahrzeuge und Kraftfahrzeugführer genommen werden.
({0})
- Ich weiß nicht, ob es sich hier um ein Missverständnis
handelt. In meinem ersten Punkt ging es ja um die Motorentechnik und ihre Entwicklung.
Alle drei genannten Bereiche müssen wir, wie ich
glaube, in den Blick nehmen, wenn wir die engagierten
Zielsetzungen erreichen wollen, und wir müssen sie erreichen, sonst erreichen wir die Klimaschutzziele auf
keinen Fall.
Die nächste Frage stellt der Kollege Fell aus der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Minister, herzlichen Dank für den Hinweis auf
die Langfassung des Umweltberichtes.
Ich habe extra gesagt, ich meine es nicht böse.
Ich habe das auch nicht als bösartig aufgefasst. Ich
persönlich wäre nur nie auf die Idee gekommen, dass
man in der Kurzfassung tolle Ideen der Bundesregierung, die in der Langfassung enthalten sind, verschweigt. Deshalb war ich etwas irritiert.
Eins zu eins.
Gestatten Sie mir, dass ich noch einmal nachfrage,
weil ich in der Kurzfassung erneut einen ganz zentralen
Punkt vermisse. Sie haben von den Biokraftstoffen gesprochen und dabei die Vorgaben zur Beimischung erwähnt, die wir unterstützen. Im Reinkraftstoffmarkt hat
die Bundesregierung ja eine Besteuerung von Biokraftstoffen beschlossen, die schon jetzt verheerende Wirkungen in diesem großen Marktsegment zeitigt: Biodieselproduzenten schließen ihre Produktionsstätten in
Deutschland und wandern ins Ausland ab, die Abnahmemengen sinken, reine Pflanzenöle haben größte Probleme, sich am Markt zu behaupten, usw. Gibt es denn
wenigstens in der Langfassung einen Rettungsvorschlag
der Bundesregierung für die Produzenten von reinen Biokraftstoffen? Die bisherige Beschlusslage ist für diese ja
schlichtweg verheerend.
Ich teile Ihre Auffassung nicht. Der Entwicklungsvorschlag steht schon in der Kurzfassung.
Erstens ist es so, dass die Bundesregierung und der
Deutsche Bundestag keine Besteuerung beschlossen haben, sondern auf der Basis der Debatte mit der Europäischen Kommission die Überförderung von Biokraftstoffen haben einstellen müssen. Es gab ja eine interessante
Entwicklung, nämlich eine neue Form der Ölpreisbindung. Beim Gas kennen wir diese ja. Aber wieso parallel
zu steigenden Preisen bei fossilen Energieträgern wie Öl
und Benzin auch die Biokraftstoffe teurer wurden, hat
uns keiner so richtig erklären können. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass hier Mitnahmeeffekte eine Rolle
gespielt haben. Die Kommission hat zu Recht darauf
hingewiesen, dass dies gegen europäisches Wettbewerbsrecht verstößt, sodass wir mit der Einführung der
Besteuerung lediglich diese Überförderung abschöpften.
Zweitens. Eine Gefährdung auf diesem Markt kann
ich, zumindest zum heutigen Tag, nicht erkennen; denn
wir haben gleichzeitig große Schritte bezüglich einer
Anhebung der beizumischenden biologisch basierten
Kraftstoffe geplant. Das heißt, der Markt wächst in dem
Bereich, und zwar ganz enorm. Von daher - wir haben ja
auch verabredet, dass wir uns diesen Markt immer wieder anschauen - sehe ich die von Ihnen beschriebenen
Gefahren nicht. Ich wehre mich ein bisschen dagegen,
wenn dem Finanzminister und der Bundesregierung unterstellt wird, wir hätten hier sozusagen die volle Besteuerung eingeführt. Sie wissen, dass das nicht der Fall ist.
Wir waren gezwungen - sonst wären wir vor dem EuGH
gelandet -, die Überförderung bei Biokraftstoffen abzubauen. Genau das tut die Bundesregierung.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Behm.
Herr Minister, dass infolge des Klimawandels extreme Witterungsereignisse wie verstärkte Dürren und
Hochwässer auf uns zukommen, weiß inzwischen jeder,
ebenso, dass der Landschaftswasserhaushalt auch aus
diesem Grunde unserer besonderen Fürsorge bedarf. Ich
frage Sie deshalb: Teilen Sie meine Auffassung, dass
aufgrund dieser Tatsache die Planung des Ausbaus der
Bundeswasserstraßen, also die Vertiefung und Verbreiterung der Flüsse, unbedingt zu den möglichen Folgen des
Klimawandels in Bezug gesetzt werden muss und dass
diese bei den Planungen berücksichtigt werden müssen?
Ja.
Eine kurze und präzise Antwort. - Die nächste Frage
stellt der Kollege Hans-Kurt Hill aus der Fraktion Die
Linke.
Vielen Dank. - Herr Minister, meine Kollegin hat
schon darüber gesprochen. Die „Saarbrücker Zeitung“
titelt heute sehr schön: „Sigmar Gabriel zieht gegen die
Spritschlucker zu Felde“. Auch ich komme aus einem
Autoland. Nicht viele wissen, dass das Saarland ein Autoland ist; aber dort ist ein sehr großes Autowerk.
Es ist doch schön, wenn man beim Deutschen Bundestag auch einmal einen Erkenntniszuwachs hat. Das
war mir auch nicht klar.
Dieses Autowerk baut ein wunderschönes Auto, das
mit Bioethanol betrieben wird, allerdings für den schwedischen Markt; aber man kann es auch hier in Deutschland beziehen. Ich möchte für dieses Auto werben, damit
auf den Straßen weniger CO2 ausgestoßen wird. - Aber
damit ist der Werbeblock für das Saarland auch schon zu
Ende.
Die EU-Kommission hat sich in ihrem letzte Woche
vorgestellten Maßnahmenpaket zur Energie- und Klimapolitik dafür ausgesprochen, eine Trennung von Netzbetreibern und Energieversorgern herbeizuführen. Dies ist
unserer Meinung nach nicht nur im Blick auf die Energiepreise erforderlich, sondern stellt auch eine entscheidende Bedingung für die notwendige Umgestaltung des
Energiesektors hin zu den erneuerbaren Energien dar. Im
Umweltbericht der Bundesregierung, soweit ich ihn gelesen habe, wird diese Problematik meines Erachtens mit
keinem Wort erwähnt. Gibt es dafür einen Grund, oder
hat man das einfach vergessen?
Das haben wir nicht vergessen, sondern wir haben
versucht, uns auf einen Bereich zu konzentrieren, bei
dem die Menschen durch ihren Alltagssachverstand unmittelbar darauf kommen, dass dieser Bereich etwas mit
Umwelt zu tun hat. Für das Thema des Wettbewerbs auf
dem deutschen und dem europäischen Strommarkt interessieren sich vermutlich erst einmal der Verbraucherschutz und die Wirtschaftspolitik. Trotzdem besteht natürlich die Notwendigkeit, dazu eine Position zu finden.
Die Bundesregierung befindet sich in der Abstimmung
dieser Position. Den Presseberichterstattungen der letzten Tage ist zu entnehmen, dass wir da durchaus differierende Meinungen haben.
Vielleicht zur Erläuterung: Die Kommission bietet
zwei Wege an, nämlich das echte Ownership-Unbundling und das sogenannte Independent Operator System.
Nun wird man schnell Fälle finden, in denen nicht so
ganz sicher ist, dass das Independent Operator System
funktioniert. Ich zähle Deutschland nicht dazu; denn im
Unterschied zu anderen europäischen Mitgliedstaaten
haben wir nachweislich - das sagt auch die Kommission eine starke Regulierungsbehörde, die die Voraussetzung
dafür ist, dass das Independent Operator System die gleichen Wettbewerbserfolge erzielt wie Ownership-Unbundling. Aber da gibt es durchaus differierende Meinungen. Darüber werden wir sicherlich in den nächsten
Tagen und Wochen auch hier zu beraten haben.
Die letzte Frage zu diesem Tagesordnungspunkt stellt
die Kollegin Kotting-Uhl.
Vielen Dank.({0})
- Aber immer, Herr Minister. Sie sind doch immer souverän, bei jeder Antwort.
Ich habe eine Frage, die normalerweise nicht im Zentrum unserer Debatten steht. In meinen Augen macht sie
aber den Misserfolg, was die industrielle Selbstverpflichtung angeht, deutlich. Der Blaue Engel wird im
Bericht als Erfolg gefeiert. Auf Seite 66 dieses Berichts
werden unter der Aufzählung der Produkte, die dieses
Umweltzeichen tragen dürfen, auch Handys genannt. Ich
gehe einmal davon aus, dass der Bundesregierung bekannt ist, dass kein einziges Handy auf dem Markt dieses Umweltzeichen trägt - obwohl ein Drittel dies
könnte -, weil die Hersteller den Blauen Engel boykottieren.
Meine Frage lautet: Gibt es eine Strategie der Bundesregierung - wenn ja, wie sieht sie aus? -, um im Interesse der Handybenutzer zu einer Kennzeichnung zu
kommen?
Ich muss ehrlich antworten, dass ich da überfragt bin.
Sie haben mich an einer Stelle erwischt, wo ich nicht so
souverän bin. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob wir eine
rechtliche Möglichkeit haben, entsprechend Einfluss zu
nehmen.
Tatsache ist aber, dass Sie recht haben. Am Bundesamt für Strahlenschutz läuft sogar ein Untersuchungsprogramm, mit dem es jedem Einzelnen problemlos
möglich ist, festzustellen, ob er sein Handy gefahrlos
nutzen kann oder ob es bestimmte Werte überschreitet.
Sie haben vorhin gesagt, Sie wollen mich gelegentlich
treiben. Nun treiben Sie mich. Ich werde versuchen, das
zu klären.
Ich beende die Befragung und danke dem Minister.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksache 16/4022 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
zur Verfügung.
Die Fragen eins und zwei der Kollegin Dr. Gesine
Lötzsch werden schriftlich beantwortet. Ich danke der
Staatssekretärin, dass sie sich für die Beantwortung zur
Verfügung gestellt hat.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Cornelia Behm auf:
Inwiefern hält die Bundesregierung die vorgesehenen
Sanktionen für Landwirte, die Pflanzenschutzmittel anwenden, die in Deutschland nicht zugelassen sind, für ausreichend, und gibt es aufgrund der jüngsten Berichte über den
Verkauf nichtzugelassener Pflanzenschutzmittel Überlegungen zu Änderungen?
Die Anwendung eines nichtzugelassenen Pflanzenschutzmittels ist nach der derzeitigen Rechtslage eine
Ordnungswidrigkeit und kann mit einem Bußgeld von
bis zu 50 000 Euro geahndet werden. Ich habe mich erkundigt: Im vergangenen Jahr wurden Strafen in ähnlicher Höhe, nämlich von bis zu 40 000 Euro, verhängt.
Ein Verstoß gegen das Verbot der Anwendung nichtzugelassener Pflanzenschutzmittel kann darüber hinaus
im Rahmen der sogenannten Cross-Compliance-Kontrollen zu einer zusätzlichen Kürzung der Direktzahlungen führen. Die Bundesregierung hält die Sanktionsmöglichkeiten daher für ausreichend.
Sie haben die Möglichkeit zur Nachfrage.
Ich würde gerne wissen: Wie groß ist die Zahl der
aufgedeckten Fälle im Verhältnis zu den Kontrollen?
Ich kann Ihnen generell sagen, dass im vergangenen
Jahr 2 000 Kontrollen durchgeführt wurden. In
0,5 Prozent der Fälle konnten Verstöße festgestellt werden.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.
Gibt es Hinweise darauf, ob die in ihrer Höhe nicht
ganz unerheblichen Strafen eine abschreckende Wirkung
gezeigt haben?
Ich gehe davon aus, dass solche Strafen Wirkung zeigen.
Die Kollegin Höhn hat noch eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden,
dass im letzten Jahr 2 000 Kontrollen durchgeführt worden sind? Das würde bei 0,5 Prozent Verstößen bedeuten, dass zehn Verstöße aufgedeckt worden sind. Ist
diese absolute Zahl richtig? Es wäre gut, wenn Sie in
diesem Zusammenhang sagen würden, wie viele Bauern
es in Deutschland gibt, damit wir die Zahl von 2 000
Kontrollen besser einordnen können.
Wenn 0,5 Prozent von 2 000 10 sind, dann trifft es so
zu, wie Sie es formuliert haben.
Können Sie noch sagen, wie viel Bauern wir in
Deutschland haben?
Wir haben einige Hunderttausend. Es gibt aber darüber hinaus auch viele Private, die Pflanzenschutzmittel
anwenden - ich nehme an, auch Sie gehören dazu -: im
Garten, im Umfeld, zur Unkrautbekämpfung. Es geht
also weit darüber hinaus.
Danke, Herr Staatssekretär. - Damit sind wir am Ende
Ihres Geschäftsbereichs.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf. Die
Frage 4 der Kollegin Cornelia Behm wird schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung. Die Fragen 5 und 6 des Kollegen
Dr. Karl Addicks werden ebenfalls schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Hier hätte der Parlamentarische
Staatssekretär Peter Altmaier zur Beantwortung zur Verfügung gestanden, aber auch die Fragen 7 und 8 des Kollegen Josef Philip Winkler werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin
Dagmar Wöhrl bereit.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Hans-Kurt Hill auf:
Welchen Einfluss auf den Emissionshandel und auf die
Versorgungssicherheit Deutschlands mit bezahlbarer Energie
hat die aktuelle Planung von Kraftwerken mit fossilen Brennstoffen bzw. Ersatzbrennstoffen, EBS, und hält die Bundesregierung eine Beurteilung dieser Frage auf der Grundlage der
Liste der geplanten Großkraftwerke, die zum dritten Energiegipfel im April 2006 von ihr veröffentlicht wurde, für ausreichend, obwohl die aktuellen Planungen der Energieversorgungsunternehmen mittlerweile deutlich von denen in der
oben genannten Liste abweichen?
Frau Staatssekretärin.
Herzlichen Dank. - Die Frage hat zwei Aspekte. Einmal geht es um den Emissionshandel und um seine Umsetzung in Deutschland. Hier haben wir die Zielsetzung,
den CO2-Ausstoß zu senken und Anreize zur EffizienzerParl. Staatssekretärin Dagmar Wöhrl
höhung auch im Rahmen des Kraftwerksneubaus zu
schaffen. Wir haben mit unserem NAP I eine sehr günstige und langfristige Allokationsregel auf den Weg gebracht, eben auch für hocheffiziente Neubauten. Damit
realisieren wir auch hier die Ziele, Investitions- und Planungssicherheit zu geben sowie Anreize für rasche Investitionen in diesem Bereich zu bieten.
Die Kommission hat jetzt gegen die langfristige Befreiung von Minderungspflichten im NAP II entschieden, also gegen die Frist von 14 Jahren, die wir gerne gehabt hätten. Aber wir werden hier das Ziel in der zweiten
Periode im Rahmen eines Systems effizienzorienterter
CO2-Standards realisieren. Ein Maximum an Investitions- und Planungssicherheit streben wir auch im Rahmen eines Benchmarkings an.
Dann kommen wir zum zweiten Aspekt, zur Versorgungssicherheit. Nach dem Energiewirtschaftsgesetz ist
es Aufgabe der Energieversorgungsunternehmen, für
eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche Versorgung mit Elektrizität zu sorgen. Sie haben auf dem Energiegipfel Zusagen auch für Investitionen im Kraftwerksund Netzbereich gemacht, und daran müssen sie sich
letztlich messen lassen.
Auch wenn die Energieversorgungsunternehmen anlässlich der aktuellen Entwicklung beim Emissionshandel ihre Investitionen überdenken, wie sie angekündigt
haben, gehen wir davon aus, dass sie ihre Zusagen zum
Kraftwerksneubau bis zum Jahre 2012 einhalten werden.
Das ist wichtig, um den angestrebten breiten Energiemix
bei uns zu erreichen, und es ist auch Voraussetzung für
die Erhaltung der Versorgungssicherheit zu bezahlbaren
Preisen.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für Ihre Antwort sie stellt mich natürlich nicht zufrieden. Ich habe bereits
in mehreren Anfragen direkt an das Wirtschaftsministerium gebeten, mir mitzuteilen, wie nun die Planung des Kraftwerksbaus aussieht. Sie beziehen sich
konsequenterweise auf den Energiegipfel, auf dem die
entsprechenden Energieversorgungsunternehmen eine
Planung offengelegt haben. Aber wie Sie selber aus Zeitungsberichten ersehen können, ist diese Planung mittlerweile obsolet und es gibt neue Planzahlen. Daher
stelle ich die ganz einfache Frage: Stehen Ihnen diese
Planzahlen zur Verfügung?
Wir gehen von den Zahlen aus, die uns auf dem Energiegipfel im Rahmen der Zusagen von Energieversorgungsunternehmen vorgelegt worden sind. Hinsichtlich
neuerer fixierter Planungen liegt uns nichts vor.
Sie haben noch eine zweite Nachfrage.
Es tut mir leid, Frau Staatssekretärin. Aber diese Antwort kann mich nicht zufrieden stellen; das können Sie
sich vorstellen. Ich sage es noch einmal: Selbst in entsprechenden Fachzeitschriften und in Publikationen der
Energieversorger, also in der Öffentlichkeit, wird über
neue Planungen gesprochen und berichtet. Hat Ihr Ministerium denn nicht das Ziel, von neuen Daten auszugehen,
und wäre es nicht Ihre Pflicht, einen Datenaustausch mit
den Energieversorgungsunternehmen durchzuführen?
Dies ist eine andere Frage als die vorherige Frage, die
Sie gestellt haben. Sie haben mich gefragt, ob vonseiten
der Energieversorgungsunternehmen Zusagen bestehen.
Ich habe gesagt: Die Zusagen, die wir haben, haben wir
auf dem Energiegipfel bekommen.
Dass angesichts veralteter und modernisierungsbedürftiger Kraftwerke die Notwendigkeit besteht, den Bau
von mit besseren Technologien ausgestatteten Kraftwerken auf den Weg zu bringen - dies betrifft in Deutschland
einen Bereich von 40 000 Megawatt Leistung -, wissen
wir natürlich. Deswegen hoffen wir, dass es vonseiten
der Energieversorgungsunternehmen kurzfristig und sehr
schnell angegangen wird, die teilweise modernisierungsbedürftigen und nach unserer Meinung vor allem in Bezug auf CO2-Emissionen nicht mehr auf dem neuesten
technologischen Stand befindlichen Kraftwerke zu ersetzen.
Danke, Frau Staatssekretärin. - Ich rufe die Frage 10,
ebenfalls vom Kollegen Hans-Kurt Hill gestellt, auf:
Wie informiert sich die Bundesregierung über die aktuellen Entwicklungen und geplanten Kraftwerke im Stromerzeugungssektor, und ist sie gewillt, das Parlament über die aktuellen Entwicklungen zu informieren?
Herr Kollege Hill, Sie haben nach den Informationsquellen in Bezug auf aktuelle Entwicklungen und Investitionen im Kraftwerksbereich gefragt. Dies schließt an
Ihre Frage an, woher wir Informationen haben. Informationen haben wir wie Sie aus Veröffentlichungen in
Fach- und Tageszeitungen, von den Unternehmen selbst
oder auch von Branchenverbänden. Darüber hinaus haben wir Daten aufgrund der Anmeldungen der Energieversorgungsunternehmen im Rahmen des Emissionshandels, im Rahmen des NAP I und NAP II. Diese haben
sich verpflichtet, sich anzumelden, sofern, wie jetzt auch
im NAP II vorgesehen, in der laufenden Zuteilungsperiode
eine Zuteilung für eine neue oder Ersatzanlage erfolgen
soll.
Herr Hill, Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Es tut mir leid.
Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Dafür sind
wir da.
Aber ich hätte gern meine Frage beantwortet. Die
Frage lautete, ob Sie über die aktuellen Entwicklungen
in Bezug auf geplante Kraftwerke im Stromerzeugungssektor informiert sind und ob Sie gewillt sind, uns diese
Informationen mitzuteilen.
Ihre Frage lautete: Wie informiert sich die Bundesregierung? Eine Antwort darauf habe ich Ihnen gegeben.
Die Bundesregierung informiert sich aus Veröffentlichungen der Unternehmen, in Gesprächen mit den Unternehmen selbst und im Rahmen der Anmeldungen, die
Energieversorgungsunternehmen im Rahmen des Emissionshandels vornehmen müssen. Diese sind ja notwendig; denn sonst kann keine Zuteilung erfolgen. Wenn
Zahlen vorliegen, steht nichts dagegen, dem Parlament
diese Zahlen zur Verfügung zu stellen.
Ich nehme an, Sie haben eine zweite Nachfrage?
Ja. - Ich habe einfach die Bitte: Stellen Sie doch dem
Parlament diese Zahlen zur Verfügung. Dann bräuchte
ich diese Frage nicht zu wiederholen. Machen Sie das?
Wenn Sie die Frage gestellt hätten, wie die Zahlen
lauten, hätte ich Ihnen gesagt, dass wir Ihnen diese zukünftig gern zur Verfügung stellen. Sie haben diese
Frage jetzt indirekt gestellt, und wir werden Ihnen die
Zahlen zuleiten.
Danke. - Dann kommen wir zur Frage 11 der Kollegin Bärbel Höhn:
Inwiefern will die Bundesregierung den Ölverbrauch
Deutschlands in den nächsten Jahren angesichts der Unterbrechungen von Öllieferungen aus Russland verringern, und ist
in diesem Zusammenhang die Besteuerung von Biokraftstoffen weiterhin sinnvoll?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Liebe Frau Kollegin Höhn, Sie haben nach der Verringerung des Ölverbrauchs gefragt. Die Bundesregierung
verfolgt schon seit einigen Jahren eine Gesamtstrategie,
die Deutschland vor allem von importierten fossilen
Energieträgern unabhängiger macht. Die Senkung des
Ölverbrauchs wird unter den Gesichtspunkten der Versorgungssicherheit, des Klimaschutzes und der Wirtschaftlichkeit betrachtet. Hierzu werden ordnungsrechtliche und förderpolitische Maßnahmen durchgeführt
sowie verstärkte Verbraucherinformationen im Hinblick
auf den Gebäudebereich gegeben. Dies haben wir schon
in der Vergangenheit gemacht und werden es auch in Zukunft tun. Denn so kann der Verbrauch von Heizöl beträchtlich reduziert werden.
Wir haben auf dem Energiegipfel Anfang Oktober
2006 einen Aktionsplan für mehr Energieeffizienz vorgelegt, in dem wesentliche Handlungsfelder aufgeführt
worden sind. Es wurden geeignete Maßnahmen vorgeschlagen. Hierzu gehören die laufende Novellierung der
Energieeinsparverordnung und die Fortsetzung des CO2Gebäudesanierungsprogramms der KfW. Aktuell wurde
von der Bundesregierung und der Mineralölwirtschaft
eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, die den verstärkten Einsatz heizölsparender Brennwerttechnik und
schwefelarmen Heizöls zum Ziel hat.
Außerdem hat der Deutsche Bundestag im Hinblick
auf den Straßenverkehr mit dem am 1. Januar 2007 in
Kraft getretenen Biokraftstoffquotengesetz ein ambitioniertes Vorhaben für den Einsatz von Biokraftstoffen beschlossen. Darin wurde die Verpflichtung formuliert, bis
zum Jahre 2015 eine Biokraftstoffquote von 8 Prozent
zu erreichen.
Darüber hinaus wird der Reinkraftstoffmarkt durch
bis Ende des Jahres 2011 gewährte Steuererleichterungen für unvermischte Biokraftstoffe, die nicht der Erfüllung der Quote dienen, gestützt. Die zweite Generation
der Biokraftstoffe erfährt sowohl hinsichtlich der Anrechenbarkeit auf die Quote als auch hinsichtlich der energiesteuerrechtlichen Behandlung eine besondere Förderung. Die Bundesregierung strebt an, bis zum Jahr 2020
einen Anteil von 12,5 Prozent zu erreichen. Im Rahmen
dieses Gesamtkonzepts ist der Einstieg in die Besteuerung der Biokraftstoffe nicht nur ökonomisch und ökologisch sinnvoll, sondern auch haushaltspolitisch erforderlich und EU-rechtlich geboten.
Weitere spezifische Senkungen des Verbrauchs von
Fahrzeugen werden zusätzlich zur Minderung des Einsatzes von Erdölprodukten beitragen. Langfristig wird
der Ölverbrauch auch durch die im Frühjahr 2006 formulierte Strategie der Bundesregierung zur Förderung
der Wasserstofftechnologie deutlich eingeschränkt.
Ihre erste Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, der Biokraftstoffverband BBK
beklagt, dass es insbesondere durch den Beschluss der
Bundesregierung und der Mehrheit des Bundestages, die
reinen Biokraftstoffe zu besteuern, auf diesem Sektor im
August letzten Jahres zu einem massiven Einbruch um
25 Prozent gekommen ist. Dieser Biokraftstoffverband
macht darauf aufmerksam, dass die Biokraftstoffe schon
im Jahre 2007 einen Anteil am gesamten KraftstoffsekBärbel Höhn
tor in Höhe von 11 bis 12 Prozent hätten haben können
und dass durch die Beschlüsse der Bundesregierung genau dieses ehrgeizige Ziel nun nicht mehr zu erreichen
ist. Sie wollen die Ziele, die der BBK eigentlich schon
für dieses Jahr angepeilt hat, erst im Jahre 2020 erreichen, also sehr viel später. Die Bundeskanzlerin hat vor
kurzem im „Deutschlandfunk“ gesagt, dass bei Biokraftstoffen noch Spielraum besteht. Bedeutet das, dass Sie
den verheerenden Beschluss der Besteuerung der reinen
Biokraftstoffe, der in diesem Jahr umgesetzt werden soll,
überdenken werden?
Das soll diese Aussage nicht bedeuten. Wir wissen
genau, dass damals aus haushaltstechnischen Gründen
kein anderer Beschluss möglich war. Die Bedenken und
Aussagen des Biokraftstoffverbandes, die Sie angeführt
haben, muss man natürlich ernst nehmen; das ist klar.
Daher werden wir nach einer gewissen Zeit eine Evaluierung vornehmen, deren Ergebnisse eine Rolle spielen
werden.
Ihre zweite Nachfrage.
Der von mir erwähnte Biokraftstoffverband hat darauf
aufmerksam gemacht, dass es schon jetzt Überlegungen
gibt, bestehende Anlagen abzubauen und sie in Österreich wieder aufzubauen, weil dort die Bedingungen
besser sind, und die Planung neuer Anlagen nicht weiter
zu verfolgen. Wir haben also nicht mehr viel Zeit und
dürfen nicht zögern. Momentan wird die Infrastruktur
nicht ausgebaut. Es besteht sogar die Gefahr, dass die
vorhandene Infrastruktur abgebaut wird. Im Übrigen
weise ich darauf hin, dass auch Abgeordnete der Großen
Koalition dem damaligen Besteuerungsbeschluss im
Bundestag nicht zugestimmt haben, dass es dagegen also
massiven Widerstand gab.
Sind Sie wie ich der Meinung, dass wir, wenn wir unsere Abhängigkeit vom Öl und in diesem Zusammenhang insbesondere unsere Abhängigkeit von Russland
verringern wollen, dringend unsere Biokraftstoffquote
erhöhen müssen und dass die gegenwärtigen Beschlüsse
der Bundesregierung nicht optimal sind, um dieses Ziel
zu erreichen?
Ich stimme mit Ihnen nicht darin überein, dass die Beschlüsse der Bundesregierung in dieser Hinsicht nicht
optimal sind. Dass man Beschlüsse später verbessern
kann, steht außer Frage. Wir wissen, dass wir den Energiemix fortentwickeln müssen, und werden das in unseren beiden Gesetzgebungsverfahren zu tun wissen. Ich
glaube, wir alle stehen dahinter, den Anteil der erneuerbaren Energien - auch an der Stromerzeugung - bis zum
Jahr 2020 auf 20 Prozent auszubauen. Wir werden hier
entsprechende Gesetze entwerfen.
Danke. - Wir kommen damit zur Frage 12 - diese
Frage hat ebenfalls die Kollegin Bärbel Höhn gestellt -:
Welche der von der EU-Kommission vorgeschlagenen
Entflechtungsvarianten für den Strommarkt favorisiert die
Bundesregierung für Deutschland: die eigentumsrechtliche
Entflechtung oder die Einrichtung eines unabhängigen Systemoperators?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Deutschland gehört zu den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die die geltenden Binnenmarktvorschriften zur rechtlichen Entflechtung des Netzbetriebes
vollständig umgesetzt haben; leider sind dies gerade einmal sieben Mitgliedstaaten. Die Bundesregierung ist offen für die anstehende Diskussion über die Vorschläge
der Europäischen Kommission für eine Verschärfung der
Entflechtungsbestimmungen. Für uns ist wichtig, dass
wir hier mehr Wettbewerb und einen diskriminierungsfreien Netzzugang bekommen. Hinsichtlich einer vollständigen Eigentumsentflechtung des Netzes - das ist
bekannt - haben wir rechtliche Bedenken: Es ist zu überprüfen, inwiefern so etwas verfassungsrechtlich zulässig
ist. Auch die wirtschaftlichen Folgen werden zu diskutieren sein.
Wir präferieren im Moment das Modell einer unabhängigen Netzsteuerung. Denn wir wissen, dass eine rein
nationale Perspektive zukünftig nicht mehr ausreichen
wird. Wir brauchen Strukturen, die die Entwicklung
grenzüberschreitender Transportnetzgesellschaften fördern, vielleicht zuerst auf regionaler, dann auf europäischer Ebene. Wichtig ist - auch da wir die EU-Ratspräsidentschaft innehaben -, zunächst einmal in die
Erörterungen mit den anderen Mitgliedstaaten einzutreten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, erst einmal zu überprüfen, wie das geltende System umgesetzt
worden ist bzw. wo noch Mängel hinsichtlich der Umsetzung bestehen und wie wir es schaffen, die Unabhängigkeit der Netzsteuerung zu verstärken. Doch zunächst
muss - ich wiederhole es, weil es so wichtig ist - die geltende Rechtslage von allen Mitgliedstaaten umgesetzt
werden.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, Ihr Minister, der Wirtschaftsminister, sieht das offensichtlich viel problematischer und
sieht mehr Eile geboten. Denn das Fehlen von Wettbewerb auf dem Energiemarkt führt ja dazu, dass wir zu
hohe Preise haben, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit
eines großen Teils der Wirtschaft gefährdet ist und wodurch auch die Bevölkerung massiv belastet ist. So plädiert Ihr Minister erheblich stärker und deutlicher als Sie
für eine Entflechtung von Netz und Produktion. Im Gegensatz dazu hat sich der Fraktionsvorsitzende der CDU/
CSU, Volker Kauder, letzte Woche in der „Passauer
Neuen Presse“ gegen eine eigentumsrechtliche Entflech7518
tung von Stromnetzen und Stromerzeugung ausgesprochen, mit den Worten: Die Netze gehören den Betreibern. Das wäre Enteignung und rechtlich problematisch.
Welche Position ist jetzt die Position der Bundesregierung? Die des Wirtschaftsministers? Oder favorisiert
die Bundesregierung mittlerweile die Position des Fraktionsvorsitzenden Kauder?
Wir kennen die Vorschläge, die die Kommission gemacht hat, und wir wissen, dass die Kommission zu einer eigentumsrechtlichen Entflechtung tendiert. Wir
müssen darüber im Rahmen unserer EU-Ratspräsidentschaft offen diskutieren; ich glaube, es darf in diesem
Zusammenhang keine Denkverbote geben. Denn es sind
wichtige Dinge, um die es hier geht. Ich kann mir - wie
der Minister - ohne Weiteres ein stufenweises Vorgehen
vorstellen: Erst einmal müssen bestehende Gesetzesvorgaben umgesetzt werden, auch von den anderen Mitgliedstaaten; das haben bis jetzt, wie gesagt, einschließlich Deutschland nur sieben getan. Ein zweiter Schritt
könnte die Einrichtung eines unabhängigen Systembetreibers sein. Wenn auch das nicht ausreicht, muss man
über weitere Schritte nachdenken. Aber wie gesagt: Wir
brauchen zunächst eine offene Diskussion. Ich glaube
nicht, dass es gut wäre, wenn wir, die wir die EU-Ratspräsidentschaft innehaben, mit einer vorgefertigten Meinung in die Verhandlungen gingen.
Bevor Sie Ihre zweite Nachfrage stellen, wiederhole
ich meinen Hinweis von vorhin noch deutlicher: Im
landläufigen Sinne ist eine Frage ein Satz, welcher mit
einem Fragezeichen endet. Wenn es nötig ist, lassen wir
im Allgemeinen noch eine Erläuterung zu, weshalb die
Frage gestellt wird. Wir können auf diese Art und Weise
aber keine Debatten entweder vorwegnehmen oder nachholen. - Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Ich möchte mich bei meiner zweiten Nachfrage präzise auf diesen ersten Schritt konzentrieren. - Sie haben
gesagt, der erste Schritt, den der Wirtschaftsminister angedeutet habe - das hat der Umweltminister übrigens
auch gesagt -, sei, eine Trennung von Netz und Produktion unter dem Dach des Energiekonzerns zu erreichen.
Heute steht in der „Wirtschaftswoche“, dass die EUKommission Unternehmen kontrolliert und dabei festgestellt hat, dass diese Trennung unter einem Dach nicht
funktioniert und dass die Netzbetreiber diesen ersten
Schritt nicht sauber umsetzen, obwohl sie ihn schon umgesetzt haben müssten, sodass sie weiterhin von den
Vorteilen daraus profitieren, dass sie die Allmacht über
die Netze und die Produktion haben.
Sehen Sie nicht auch die Notwendigkeit, dringend
und schnell zu handeln und nicht erst einmal einen ersten
Schritt anzukündigen, den man ja schon gegangen ist?
Ist das, was der Minister jetzt als ersten Schritt angekündigt hat, nicht bereits geltendes Recht, und müsste er
nicht schon lange gegangen worden sein?
Frau Staatssekretärin, Sie dürfen sich jetzt eine Frage
aussuchen, die Sie beantworten.
Die Frau Kollegin Höhn hat eigentlich genau das in
ihrer Frage verpackt, was ich vorhin in meiner Antwort
bereits angesprochen habe, dass wir nämlich gesetzliche
Vorgaben haben und dass wir im ersten Schritt dafür sorgen müssen, dass diese gesetzlichen Vorgaben umgesetzt
werden.
({0})
Wir haben sie umgesetzt. Wenn es bei dieser Umsetzung
Defizite gibt, dann sind diese natürlich zu beheben.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit auf. Es antwortet die Parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk.
Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Dr. Martina Bunge
auf:
Wie viele der gesetzlichen Krankenversicherungen haben,
gegliedert nach Kassenarten, ihre Beitragssätze gesenkt, unverändert belassen bzw. angehoben, und wie stark ist der
durchschnittliche Beitragssatz gestiegen?
Frau Kollegin Bunge, Sie fragen nach der derzeitigen
Kenntnis über die Beitragssatzerhöhungen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Dazu ist zu sagen, dass wir
eine umfassende Übersicht über die Beitragssatzveränderungen sämtlicher landes- und bundesunmittelbarer
Krankenkassen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung zum 1. Januar 2007 noch nicht veröffentlichen
können, weil uns erst nach dem 1. Februar 2007 eine solche komplette Übersicht vorliegen wird. Ich bin gerne
bereit, Ihnen diese nach dem Februar schriftlich zukommen zu lassen. Ich kann Ihnen also nur den heutigen
Stand mitteilen.
Nach dem heutigen Stand - das ist uns durch das
Bundesversicherungsamt mitgeteilt worden - haben 90
der 138 Krankenkassen, die der Aufsicht des Bundesversicherungsamts unterstehen, eine Beitragssatzerhöhung
zum Anfang des Jahres 2007 beschlossen. Die exakte
Höhe des durchschnittlichen allgemeinen Beitragssatzes
ist erst Anfang Februar darstellbar, also dann, wenn die
Meldungen sämtlicher Krankenkassen über die Beitragssätze vorliegen. Das heißt, wir können jetzt nur eine Momentaufnahme abbilden.
Ihre erste Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, es gibt ja diverse Veröffentlichungen. Mir ist klar, dass Sie darauf nicht zurückgreifen können. Insbesondere durch eine gewisse Gesamtübersicht über die Beitragssatzsteigerungen der AOKen
wurde die Ministerin dazu veranlasst, zu sagen - sie
wurde so zitiert -, ihr sei das rätselhaft. Geht Ihnen das
auch so, oder wo sehen Sie die Ursachen?
Ich kann und will mich nicht dazu äußern, was Sie gehört haben. Lassen Sie uns doch einfach einmal die Fakten anschauen.
Sie wissen, dass das Bundesgesundheitsministerium
nur für die bundesunmittelbaren Kassen zuständig ist.
Regionale Kassen, also auch die AOKen, unterliegen der
Landesaufsicht. Wir können nicht überschauen, ob die
Landesaufsichten in jedem Fall ihr Prüfrecht ausüben
und ob dort jede Beitragssatzerhöhung notwendig ist.
Wenn uns von regionalen AOKen Beitragssatzerhöhungen von über 1 Prozent gemeldet werden, dann erstaunt
dies deshalb, weil die Durchschnittserhöhung der bundesunmittelbaren Kassen bei 0,5 Prozentpunkten liegt.
Es kann immer wieder sein, dass regionale Kassen eine
besondere Verschuldungssituation aufweisen, aber da
hierfür die Landesaufsicht zuständig ist, kann ich darüber nur spekulieren. Eine Übersicht über die tatsächlichen Beitragssatzerhöhungen liegt nach Ablauf des
Monats Februar vor. Ich bin bereit, Ihnen diese umfassende Übersicht zukommen zu lassen. Zurzeit gibt es nur
eine Momentaufnahme der bundesunmittelbaren Kassen, aber wir haben noch keine Gesamtübersicht über die
gesamten 251 gesetzlichen Krankenkassen der Bundesrepublik Deutschland.
Sie haben noch eine zweite Nachfrage. Bitte.
Ich beziehe mich noch einmal auf die Veröffentlichungen. Es sind sehr gravierende Beitragssatzerhöhungen vorgesehen. Wie ist Ihre Prognose: Werden die Beitragssätze einmalig erhöht oder wird sich das 2008 bzw.
nach Inkrafttreten der Reform 2009 fortsetzen?
Vielen Dank für das Vertrauen in meine prognostischen Fähigkeiten, Frau Kollegin Bunge. Es würde mich
überraschen, wenn ich über diese Fähigkeiten verfügen
würde, zumal die Kassen selbst erst im Herbst eines laufenden Jahres entscheiden, wie hoch der Beitragssatz im
kommenden Jahr sein wird. Dass ich in der Lage sein
soll, dies aus der Entfernung vorauszusagen, ehrt mich,
aber tatsächlich ist es für uns schwierig.
Wenden wir uns den drei Punkten zu, die wir beeinflussen können. Die derzeit vorgesehenen Beitragssatzerhöhungen sind zum Teil auf politische Rahmenbedingungen zurückzuführen. Die Mehrwertsteuererhöhung, aber
auch der im Vergleich zu früher geringere Bundeszuschuss verursachen eine Beitragssatzerhöhung in der
Größenordnung von 0,3 Prozentpunkten; sie erklären
aber keine Beitragssatzerhöhungen in einem größeren
Umfang. Diese gehen offenbar auf den tatsächlichen
Schuldenstand zurück, der bei den einzelnen Kassen unterschiedlich hoch ist. Das heißt, wir haben richtig daran
getan, im Zuge der Gesundheitsreform strikte Regelungen zu verabreden, um einen einheitlichen Verschuldungsbegriff und strenge Kontrollen einzuführen, und
die Kassen zu verpflichten, die Verschuldung innerhalb
von zwei Jahren abzubauen. Dies ist die entscheidende
Maßnahme, die greifen wird, damit es solche Beitragssprünge in Zukunft nicht mehr gibt.
Wir haben mit einer wichtigen Maßnahme dazu beigetragen, dass die Beitragssätze nicht mehr in einem
solchen Maße steigen. Wir wissen alle, dass die Beitragssatzerhöhungen auch ein Reflex auf Ausgabensteigerungen sind. Der medizinische Fortschritt und eine älter werdende Gesellschaft haben dazu beigetragen, dass
die Ausgaben für Gesundheitsleistungen in Deutschland
gestiegen sind. Hier ist keine Prognose möglich. Wir sehen vielmehr, dass es in den Leistungsbereichen Unterschiede gibt. Wir reagieren auf die vorhandenen Entwicklungen. Wie Sie wissen, haben wir mit dem Gesetz
zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung auf den Kostenanstieg im Arzneimittelbereich reagiert. Es ist gut, dass jetzt die Wirksamkeit
dieses Gesetzes erkennbar wird. Denn wir haben derzeit
einen deutlich geringeren Anstieg bei den Arzneimittelkosten zu verzeichnen. Insofern liegt es auch bei uns als
Gesetzgeber, wie wir auf die Ausgabendynamik reagieren.
Wir sind noch immer bei Frage 13. Der Kollege
Spieth hat eine Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die Mehrwertsteuererhöhung und die Absenkung des Bundeszuschusses einen Anteil an der Beitragssatzsteigerung bei den gesetzlichen Krankenkassen
von mindestens 0,3 Prozentpunkten ausmachen. Können
Sie auch angeben, wie hoch der Anteil aus der gesetzlich
beschlossenen Absenkung der Krankenversicherungsbeiträge für Arbeitslose und durch die Änderungen der
Arbeitszeitregelung im Gesundheitswesen ist?
Dies können wir nicht abschätzen. Denn es gibt eine
Fülle von sehr unterschiedlichen Regelungen zur Arbeitszeit. Es gibt Kliniken, die mit einem modernen Arbeitszeitmanagement ohne Mehrkosten auskommen. In
anderen Kliniken sieht es ganz anders aus.
Der Bund hat zur Abfederung der Herausforderungen
beschlossen, zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen.
Uns liegt aber kein umfassendes Bild dieser Entwicklung vor. Deswegen können wir zu den Kosten keine
Aussage machen.
Danke. - Damit kommen wir zur Frage 14 der Kollegin Dr. Martina Bunge:
Für wie viele Versicherte ist der Beitragssatz um mehr als
0,5 Prozent gestiegen, obwohl die Bundesregierung im Sommer 2006 einen Anstieg der Beitragssätze für das Jahr 2007
von lediglich 0,5 Prozent angekündigt hatte?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Die Zahl der von Beitragssatzanhebungen von mehr
als 0,5 Beitragssatzpunkten betroffenen Mitglieder lässt
sich - wie bereits in der Antwort auf Frage 13 von mir
dargestellt - ebenfalls erst auf der Basis der uns im
Laufe des Februars vorliegenden Statistik für den Monat
Januar ermitteln. Bei einem zu erwartenden durchschnittlichen Beitragssatzanstieg von 0,5 bis 0,6 Beitragssatzpunkten bewegt sich die Gesamtsteigerung im
Rahmen der Erwartungen. Überproportionale Beitragssatzanhebungen von mehr als 1 Beitragssatzpunkt waren
bislang entweder bei regionalen Krankenkassen oder bei
sehr kleinen Krankenkassen zu verzeichnen, die der
Gruppe der Betriebskrankenkassen zuzuordnen sind.
Bitte Ihre erste Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, wird es dann, wenn die Zahlen
vorliegen, möglich sein, Aussagen über die Zahl der betroffenen Versicherten, aufgeschlüsselt nach Region und
sozialer Struktur, zu treffen?
Über die regionale Verteilung kann man sicherlich etwas sagen, weil es sowohl regional als auch bundesweit
tätige Krankenkassen gibt. Zur sozialen Verteilung liegen uns keine Zahlen vor. Ich denke, wir sollten über das
Bild, das wir im Februar bekommen, im Fachausschuss
diskutieren; dazu besteht sicherlich ausreichend Gelegenheit. Lassen Sie uns über die Zahlen reden, wenn sie
vorliegen.
Frau Dr. Bunge, Sie haben keine zweite Nachfrage? - Dann hat der Kollege Spieth das Wort zu einer
Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, halten Sie die Auskunftsfähigkeit Ihres Hauses - dies frage ich nicht rhetorisch - angesichts der dramatischen Beitragssatzanhebungen, die
nach meiner Berechnung - Sie können aber auch „Spiegel online“ oder andere Quellen heranziehen - mittlerweile 147 Krankenkassen mit circa 75 Millionen gesetzlich Krankenversicherte vorgenommen haben, auf der
Herr Kollege Spieth, ich finde es interessant, dass Sie
mich etwas fragen, was Sie selbst schon wissen. Wenn
Sie es wissen, brauchen Sie eigentlich nicht zu fragen.
Sie verweisen darauf, was in der Presse verlautbart wird.
Aber Sie erwarten von uns, der Bundesregierung, sicherlich, dass wir gesicherte und belastbare Zahlen nennen.
Nochmals: Sie wissen besser als ich - weil Sie einmal
für eine regionale Krankenkasse Verantwortung hatten -,
dass dem Bund zum heutigen Datum nur die bundesunmittelbaren Zahlen vorliegen und dass wir erst, wenn wir
alle Zahlen von den Bundesländern erhalten haben, eine
Gesamtschau haben.
Es gibt eine weitere Nachfrage der Kollegin
Enkelmann.
Frau Staatssekretärin, könnte es sein, dass Ihnen,
nachdem die Bundesregierung noch im vergangenen
Jahr versprochen hatte, es werde keine Beitragserhöhungen geben, die Frage danach unangenehm ist und dass
Sie deswegen nicht antworten wollen?
Frau Kollegin Enkelmann, mir ist diese Frage nicht
unangenehm. Ich bin jederzeit und überall auskunftsfähig und auskunftswillig. Sie selber wissen, dass schon
vor der großen Diskussion über die Gesundheitsreform
von vielen Seiten darauf aufmerksam gemacht wurde,
dass es zu Beitragssatzerhöhungen kommen wird, und
zwar allein aufgrund der Tatsache, dass der Steuerzuschuss zurückgeht und die Mehrwertsteuer angehoben
wird. Zudem gebe ich im Fachausschuss - das ist eine
ständige Übung; das können Sie nicht wissen, weil Sie
nicht Mitglied des Fachausschusses sind - jedes Vierteljahr Auskunft über die Situation, wie sie sich aktuell darstellt.
Wir haben beispielsweise umfassende Informationen
über den Schuldenstand der Krankenkassen angefordert.
Wir brauchen eine bundesweit vergleichbare Verschuldungsdefinition; das ist uns ein ernstes Anliegen. Es darf
nicht sein, dass Bund und Länder unterschiedliche Verschuldungsmesslatten anlegen und dass deswegen das
wahre Bild der Verschuldungssituation unklar bleibt.
Genau dem wollen wir mit unserer Gesundheitsreform
abhelfen.
Danke, Frau Staatssekretärin.
Die Fragen 15 und 16 des Kollegen Frank Spieth werden nach I Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet. Das heißt, wir beschäftigen uns an anderer Stelle mit dem Gegenstand dieser
Fragen.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums für Gesundheit.
Vizepräsidentin Petra Pau
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller zur Verfügung.
Die Fragen 17 und 18 des Kollegen Dr. Reinhard
Loske wurden von Ihnen schon schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Hans-Josef Fell
auf:
Plant die Bundesregierung, ein Wärmegesetz für erneuerbare Energien auf den Weg zu bringen und, wenn ja, zu welchem Zeitpunkt?
Es ist sicherlich zwischen uns und auch hier im Haus
unbestritten, dass wir im Bereich der Wärme zu verstärkten Anstrengungen auch auf der Basis erneuerbarer
Energien kommen müssen, allein schon um einerseits
das Klimaschutzziel zu erreichen und andererseits den
Zielvorstellungen der Europäischen Kommission gerecht zu werden.
Ihnen ist klar, dass die am Montag letzter Woche präsentierten Vorstellungen bedeuten, dass in allen Mitgliedstaaten die Anstrengungen zur Nutzung von erneuerbaren Energien in allen drei Feldern - im Strombereich,
im Wärmebereich und im Verkehrssektor - massiv verstärkt werden müssen. Die Bundesregierung zielt allerdings nicht nur auf ein Wärmegesetz zur Förderung dieses Bereiches. Sie wissen, dass insbesondere das
Marktanreizprogramm in der Zwischenzeit ein bewährtes Instrument geworden ist, mit dem sowohl der Ausbau
der erneuerbaren Energien im Wärmemarkt als auch die
Entwicklung von innovativen Techniken in diesem Bereich gefördert werden. Seit 2000 wurden durch die Förderung Investitionen mit einem Volumen von
6,5 Milliarden Euro ausgelöst. Diese Förderung soll jetzt
bedarfsgerechter gestaltet werden. Für das Haushaltsjahr
2007 wurde daher insbesondere wegen des Antragsbooms gegenüber dem Mittelansatz das Finanzvolumen
für das MAP um 39 Millionen Euro auf nunmehr 213 Millionen Euro deutlich angehoben.
Der andere Bereich, in dem wir tätig geworden sind,
ist ein Wärmegesetz. Sie wissen, dass wir in unserem
Hause ein Konsultationspapier erstellt haben, das in einer öffentlichen Debatte zur Diskussion gestellt worden
ist. Das geschah in einer Anhörung von unter anderem
Vertretern der Energie- und Industrieverbände sowie von
Wohnungsbaugesellschaften. Es hat erheblichen Widerspruch von unterschiedlichen Gruppen gegeben. Wir
sind deshalb in einer Überarbeitungsphase. Wir wollen
auf jeden Fall ein Wärmegesetz vorlegen. Dabei sind unterschiedliche Wege in der Diskussion. Sie wissen, dass
man das nach den Vorgaben des EEG in der Form eines
Bonusmodells, eines Quotenmodells oder eines Einsatzpflichtenmodells machen kann. Wir stimmen im Augenblick einen Gesetzentwurf im Hause ab. Dieser Vorschlag wird dann in den nächsten Wochen mit den
anderen Ministerien und den Fraktionen abgestimmt
werden.
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die ausführliche
Antwort. - Mich würde im Detail noch interessieren, ob
es schon eine Position des Ministers gibt, in welche
Richtung das Wärmegesetz gehen soll.
Unsere Position ist insofern klar, als wir schon davon
ausgehen müssen, dass ein Wärmegesetz bis zum
Jahr 2020 eine Größenordnung von mindestens
12 Prozent umfassen muss, um die bestehenden Potenziale im Wärmebereich zu erschließen. Insofern muss es
ein ehrgeiziges Gesetz sein. Allerdings haben wir noch
keine endgültige Entscheidung über die Einzelheiten der
Instrumente getroffen.
Eine zweite Nachfrage? - Sie verzichten.
Die Kollegin Höhn hat noch eine Nachfrage, bevor
wir zur Frage 20 kommen.
Herr Staatssekretär, es gibt mehrere Stimmen aus der
CDU/CSU, die dieses Wärmegesetz nicht wollen. Was
wollen Sie eigentlich tun, um die CDU/CSU zu überzeugen?
Ich glaube, dass es vor dem Hintergrund der europäischen Vorgabe und vor dem Hintergrund der Klimadaten
keine Alternative dazu gibt. Das wird jeder begreifen.
Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Hans-Josef Fell
auf:
Hält die Bundesregierung bei den erneuerbaren Energien
sektorale Zielvorgaben der EU für sinnvoll?
Es ist völlig richtig, dass die Dringlichkeit einer europäischen Energiepolitik immer deutlicher geworden ist.
Allerdings ist das noch keine Antwort auf die meines Erachtens genauso wichtige Frage, welche Energiepolitik
in Europa gemacht werden soll. Sie wissen, dass es innerhalb von Europa unterschiedliche Ansätze gibt. Wir
auf jeden Fall wollen bei einer europäischen Energiepolitik vor allem diese beiden Schwerpunkte ins Zentrum rücken: Effizienzstrategien und erneuerbare Energien. Das muss das Markenzeichen werden.
Insofern unterstützen wir im Grundsatz den Fahrplan
zur Förderung erneuerbarer Energien. Dieser Fahrplan
wurde von der EU-Kommission am 10. Januar vorgestellt. Dieser Fahrplan sieht vor, dass der Anteil erneuer7522
barer Energien insgesamt, also auf allen drei Sektoren,
bis zum Jahre 2020 auf 20 Prozent des Primärenergieverbrauchs ausgebaut werden muss. Er enthält die konkrete Vorgabe, in Bezug auf den Verkehrssektor mindestens 10 Prozent - der Minister hat vorhin gesagt, dass
wir 12,5 Prozent erreichen wollen - zu erreichen. Nach
den bisherigen Entwicklungen geht der Trend dahin,
dass wir im Strombereich zwischen 25 und 27 Prozent
erreichen. Ein Anteil des Verkehrssektors von etwa
12 Prozent bedeutet, dass die Anstrengungen im Wärmeund möglicherweise auch im Strombereich deutlich verstärkt werden müssen.
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Meine Frage
zielte vor allem darauf, ob die Bundesregierung die EU
auffordern wird, die sektoralen Ziele - im Entwurf der
EU-Kommission sind sie bisher nicht beschrieben - zu
benennen. Im Rahmen der Ratspräsidentschaft Deutschlands ist es möglich, darauf hinzuwirken. Ich möchte
gerne wissen, ob das geschieht.
Wie gesagt, es gibt zwei Ziele: Das eine ist das allgemeine Ziel - 20 Prozent -, und das zweite ist das sektorale Ziel, nämlich dass der Anteil des Verkehrssektors
bei mindestens 10 Prozent liegt.
Diese ehrgeizige Zielsetzung unterstützen wir im
Grundsatz. Aber man muss schon akzeptieren, dass es in
den einzelnen Mitgliedstaaten möglicherweise anteilsmäßige Unterschiede zwischen Wärme, Strom und Verkehrssektor gibt. Insofern halte ich eine solche Grundphilosophie für richtig. Wir müssen schon darüber
diskutieren, wie die Ziele in den einzelnen Mitgliedstaaten möglicherweise mit unterschiedlichen Maßnahmen
verfolgt werden. Ich wiederhole: Im Grundsatz unterstützen wir die Zielsetzung - das soll der Schwerpunkt
der deutschen Ratspräsidentschaft werden -, dass das
Markenzeichen der europäischen Politik erneuerbare
Energien und Effizienz werden.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Sektorale Ziele: Man kann auch eine andere Aufteilung in Sektoren vornehmen, nämlich nach Sparten erneuerbarer Energien, zum Beispiel Windbereich, Solarwärmebereich, Solarstrombereich, Meeresenergien. Hält
es die Bundesregierung für sinnvoll, endlich auch auf
der EU-Ebene hinsichtlich dieser Sektoren ambitionierte
Ziele zu verfolgen? Bisher geht es immer nur um die
Summe der erneuerbaren Energien und nicht um eine
spezifische, direkte Unterstützung der einzelnen Sparten.
Ich will mit Ihnen jetzt gar nicht darüber diskutieren,
ob so etwas sinnvoll ist. Nach unseren Erfahrungen vertreten die einzelnen Mitgliedstaaten der EU höchst unterschiedliche Konzepte. Das hat viel damit zu tun, welche historischen Ausgangsbedingungen vorhanden sind,
wie die Nachfragestruktur ist und welche geografischen
Möglichkeiten bestehen. Deshalb stellt sich schon die
Frage, ob eine so weit gehende Detaillierung richtig ist.
Ich bin nicht so sicher, dass es so ist, wie Sie es in Ihrer
Frage andeuten. Meines Erachtens ist es wichtig, dass
wir ehrgeizige Zielvorstellungen haben. Ich finde, es
sollte so viel Offenheit bestehen, dass die Länder diese
Ziele je nach Möglichkeit auf unterschiedlichen Pfaden
verfolgen. Ich halte das übrigens auch unter Wettbewerbsgesichtspunkten für sehr sinnvoll.
Danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm bereit.
Ich rufe die Frage 21 der Kollegin Krista Sager auf:
Welche Maßnahmen zur Halbierung der Schulabbrecherquote sollen in der von Bundesministerin Dr. Annette
Schavan angekündigten Bund-Länder-Offensive für den Bildungsaufstieg vereinbart werden, und was soll der Beitrag des
Bundes dabei sein?
Sehr geehrte Frau Abgeordnete Sager, jährlich verlassen mehr als 200 000 Jugendliche die Schule ohne ausreichende Ausbildungsreife, darunter 80 000 ohne
Schulabschluss. Jugendliche mit Migrationshintergrund
sind dabei in besonderem Maße betroffen. Angesichts
ständig steigender Qualifikationsanforderungen, aber
auch im Hinblick auf die demografische Entwicklung
kann Deutschland es sich nicht mehr länger leisten, die
Potenziale dieser jungen Menschen ungenutzt zu lassen.
Die Bundesregierung strebt daher im Einklang mit den
Zielsetzungen der EU gemeinsam mit den Ländern die
Halbierung der Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss
sowie konzertierte Maßnahmen zur Stärkung der Ausbildungsreife an.
Nach bereits angelaufenen Vorgesprächen mit den
Ländern ist beabsichtigt, gemeinsame Strategien zu erarbeiten und diese Zielsetzungen koordiniert im jeweiligen
Zuständigkeitsbereich umzusetzen. Der Bund kann in
seinem Zuständigkeitsbereich hierzu insbesondere durch
Maßnahmen in den Bereichen der frühkindlichen Bildung, der außerschulischen Bildung, der Ausbildungsvorbereitung, der außerschulischen Berufsbildung sowie der Bildungsforschung beitragen.
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Ich möchte Sie fragen, welche Maßnahmen im Bereich der frühkindlichen Förderung der Bund konkret
umsetzen wird. Welche Mittel wird er dafür zur Verfügung stellen?
Der Bund kann insbesondere durch Forschungsvorhaben auch den Ländern Impulse geben. Für den Bereich
der frühkindlichen Bildung ist die Einrichtung eines Forschungsschwerpunktes „Bildung in der frühen Kindheit“
vorgesehen. Dabei geht es um die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Eltern und Erzieherinnen und
Erziehern sowie Lehrerinnen und Lehrern an den Grundschulen, um gemeinsame qualifizierende Maßnahmen,
um die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen und
um Unterstützung bei der Entwicklung und Begleitung
von Bildungshäusern für Kinder von drei bis zehn Jahren.
Im Bereich der frühkindlichen Bildung geht es insbesondere auch um die Ausbildung individueller Lernstrategien, um individuelle Sprachförderung und um das Heranführen an Naturwissenschaften. Dadurch sollen die
Bildungschancen aller Kinder verbessert und Benachteiligte frühzeitig unterstützt werden. Hierzu kann der
Bund insbesondere im Bereich der Forschung Pilotprojekte unterstützen.
Ministerin Schavan hat gesagt:
Mein Ziel ist es, die Zahl der Schulabgänger ohne
Abschluss zu halbieren.
Herr Staatssekretär, halten Sie es angesichts des formulierten Zieles nicht für einen etwas geringen Beitrag des
Bundes, wenn er sich nur an der Forschung beteiligt?
Frau Abgeordnete, die Stärkung der frühkindlichen
Bildung ist nur ein Element bei der Schaffung der strukturellen Voraussetzungen dafür, dass es in wenigen Jahren deutlich weniger Schulabgänger ohne Abschluss geben wird. Es gibt eine ganze Reihe weiterer Instrumente.
Ich darf an dieser Stelle nur drei davon nennen.
Erstens: das Investitionsprogramm „Zukunft, Bildung
und Betreuung“. Es umfasst die Bereitstellung der Infrastruktur für Ganztagsschulen.
Zweitens: die Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. In dieser Gruppe junger
Menschen treten teilweise Probleme auf. Insbesondere
durch eine bessere Sprachförderung soll die Basis für einen besseren schulischen Erfolg geschaffen werden.
Drittens: Programme zur Ausbildungsförderung und
Nachqualifizierung. Durch die verstärkte Einbindung
der Ausbildungsberater der Kammern und der Unternehmen und durch eine verstärkte Zusammenführung der
Akteure, etwa der Schulen, der Kammern, der Arbeitsagenturen, der kommunalen Einrichtungen und der Bildungsträger, soll die Voraussetzung dafür geschaffen
werden, dass am Ende der Schulzeit ein besserer Erfolg
steht und die Schule mit Abschluss verlassen werden
kann.
Die Kollegin Hinz hat noch eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, nach meinem Verständnis von
Bildungsbiografien ist eine Nachqualifizierung nicht geeignet, um die Schulabbrecherquote zu verringern, weil
die Schule bereits abgebrochen worden ist, wenn man
eine solche Maßnahme in Anspruch nimmt. Das Ganztagsschulprogramm und die Migrantenförderung sind
vor der Föderalismusreform ins Leben gerufen worden.
Deshalb möchte ich Sie jetzt fragen: Welche organisatorischen, strukturellen und finanziellen Maßnahmen will
die Bundesregierung tatsächlich jetzt, ab 2007, ergreifen,
um gemeinsam mit den Ländern das Ziel zu erreichen,
den Anteil der Schulabbrecher zu verringern?
Frau Abgeordnete, ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die Vorgespräche mit den Ländern begonnen
haben und dass dieses Thema einer der zentralen Gegenstände bei der nächsten Tagung der Ministerinnen und
Minister Ende Februar sein wird. Es geht um die Erarbeitung einer gemeinsamen Strategie, bei der die Länder
und der Bund in den Bereichen, in denen sie jeweils zuständig sind, ihren Beitrag dazu leisten, dass die gemeinsam formulierten Ziele erreicht werden. Diese Ziele
müssen bei der Tagung im Februar aber erst noch formuliert werden.
Es gibt bereits jetzt ein Einverständnis darüber, dass
wir nicht nur die Halbierung der Zahl der Schulabbrecher, sondern darüber hinaus auch eine Verbesserung der
Ausbildungsreife erreichen wollen. In diesem Zusammenhang ist das von mir genannte Thema der Nachqualifizierung zu sehen.
Eine weitere Nachfrage hat die Kollegin Hirsch.
Herr Staatssekretär, Sie haben sich hier positiv auf
BLK-Programme bezogen und dargestellt, dass beispielsweise das Förderprogramm für Migrantinnen und
Migranten durchaus einen Beitrag dazu leisten könnte,
die Zahl der Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher
zu senken. Stimmen Sie mir darin zu, dass es durchaus
wünschenswert wäre, solche Programme fortsetzen zu
können, aber dass Sie sich diese Möglichkeit mit der Föderalismusreform haben aus der Hand nehmen lassen,
und planen Sie, da in irgendeiner Form doch wieder zu
Änderungen zu kommen?
Frau Abgeordnete Hirsch, im Zusammenhang mit der
Föderalismusreform sind den Ländern für diese Thematik zweckgebundene Mittel bereitgestellt worden. Es
zeichnet sich bereits jetzt ab, dass insbesondere die Migrantenförderung von den Ländern auch in den kommenden Jahren mit dem gemeinsam verfolgten Ziel fortgeführt werden wird.
Vorerst herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Zur Beantwortung der Frage 22 steht der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 22 der Kollegin Hinz auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem
am 10. Januar 2007 im Kabinett verabschiedeten „Zweiten
Erfahrungsbericht der Bundesregierung über die Durchführung des Stammzellgesetzes“ im Hinblick auf die vor allem
von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geforderte Änderung des Stammzellgesetzes?
Sehr geehrte Frau Kollegin Hinz, der zweite Stammzellbericht der Bundesregierung, der sich auf den Zeitraum bis zum Jahr 2005 bezieht, enthält die Schlussfolgerung, dass sich das Stammzellgesetz bis dorthin
bewährt hat. Die mit dem Stammzellgesetz eröffneten
Möglichkeiten für die Grundlagenforschung wurden
nämlich wahrgenommen.
Die Bundesregierung hat der DFG zugesagt, die Stellungnahme der DFG gemeinsam mit dem Parlament eingehend zu prüfen und auszuwerten. Ob die in Deutschland verwendbaren Stammzelllinien mit Blick auf die
auch in der DFG-Stellungnahme angeführte internationale Entwicklung des Forschungsgebiets künftig noch
für Forschungszwecke ausreichend nutzbar sind, darüber
wird die Bundesregierung und, so denke ich, wird auch
das Parlament unter Einbeziehung aller Argumente, insbesondere auch ethischer und rechtlicher Implikationen,
breit diskutieren müssen.
Aus Sicht der Bundesregierung muss diese Debatte
primär im Parlament geführt werden; denn schließlich
wurde der Entwurf des Stammzellgesetzes 2002 aus der
Mitte des Parlaments in den Bundestag eingebracht. Es
wird deshalb Aufgabe des Bundestages sein, zu entscheiden, ob er einen Vorschlag zur Änderung des
Stammzellgesetzes einbringen will. Ich denke, auch die
Wissenschaft sollte in diesen Diskussionsprozess einbezogen werden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben schon auf etwas hingewiesen, das im zweiten Stammzellbericht der Bundesregierung steht. Wörtlich heißt es darin: „Die gesetzlichen
Regelungen über die Einfuhr und Verwendung von
humanen embryonalen Stammzellen zu Forschungszwecken, das Genehmigungsverfahren und die Einbeziehung einer zentralen Ethikkommission für Stammzellforschung haben sich bewährt.“
In derselben Woche, in der der Kabinettsbeschluss zu
diesem Bericht gefasst wurde, hat Bundesministerin
Schavan mitgeteilt und öffentlich bekräftigt, dass sie
eine Lockerung desselben Stammzellgesetzes, das sich
laut Bericht der Bundesregierung bewährt hat, für möglich hält. Sie hat aber auch gesagt - wörtlich -: „Ich bin
ebenso wie die katholischen Bischöfe davon überzeugt,
dass wir wegmüssen von der Forschung an embryonalen
Stammzellen.“
Ich möchte von Ihnen gern wissen, wie die Haltung
der Ministeriumsspitze zu der Frage einer Lockerung des
Stammzellgesetzes in dieser Woche ist.
Die Position der Bundesregierung habe ich gerade beschrieben. Sie besteht in der klaren Absicht, sich entsprechend ihrer gegenüber der DFG gemachten Zusage
an der Diskussion zu beteiligen und insofern die Möglichkeiten zu erörtern, wie wir auf jeden Fall die ethische
Substanz des Stammzellgesetzes wahren, aber gleichzeitig sicherstellen wollen, dass auch künftig die Forschung
im Bereich der embryonalen Stammzellforschung durch
Import ausländischer Stammzelllinien unter strengen
Voraussetzungen möglich bleibt.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Wenn eine Diskussion über das Thema erfolgen soll,
wie die Stammzellforschung perspektivisch in Deutschland fortgesetzt werden soll, dann ist aus unserer Sicht
eine Bewertungs- und Publikationspflicht hinsichtlich
internationaler Projekte embryonaler Stammzellforschung notwendig, bei der nicht nur die Erfolge, sondern
auch die Misserfolge der Stammzellforschung, vor allem
der embryonalen Stammzellforschung, aufgeführt werden müssen. Können Sie sich diese Position zu eigen
machen und vor allem in der EU für eine solche Berichtspflicht eintreten?
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es ein genau
geregeltes Verfahren, das unter anderem beinhaltet, dass
die zentrale Stammzellkommission ebenfalls in regelmäßigen Abständen einen Bericht vorlegt; in Kürze ist ein
neuer Bericht zu erwarten. In der Europäischen Union
werden die entsprechenden Daten anhand ihres eigenen
Verfahrens übermittelt. Daraus ist auch zu erkennen,
welche die humanen embryonalen Stammzellen betreffenden Forschungsprojekte in der Europäischen Union
durchgeführt werden.
Die Kollegin Sager hat noch eine Nachfrage. Bitte.
Herr Staatssekretär, die Spielregeln für die Stammzellforschung sind im 7. Forschungsrahmenprogramm
der EU die gleichen geblieben wie im 6. Forschungsrahmenprogramm. Teilen Sie meine Einschätzung, dass
die Behauptung, nach der Verabschiedung des 7. Forschungsrahmenprogramms werde von der europäischen
Ebene Druck entstehen, in Deutschland etwas am
Stammzellgesetz zu ändern, falsch ist, oder wie ist Ihre
Auffassung dazu?
Bewertungen einzelner Abgeordneter möchte ich
nicht kommentieren. Richtig ist auf jeden Fall, dass die
EU-Kommission als Ergebnis der Diskussion im Sommer 2006 für das 7. Forschungsrahmenprogramm eine
im Gegensatz zum 6. Forschungsrahmenprogramm verbindliche, die Kommission selbst bindende Erklärung
niedergelegt hat, die auch Teil der Beschlüsse und des
EU-Bulletins geworden ist, sodass im 7. Forschungsrahmenprogramm eine insgesamt eher noch restriktivere
Regelung als im 6. Forschungsrahmenprogramm getroffen wurde.
Danke, Herr Staatssekretär.
Die übrigen Fragen zu diesem Geschäftsbereich beantwortet nun wieder der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm.
Ich rufe die Frage 23 der Kollegin Hirsch auf:
Was schlägt die Bundesregierung zur Lösung des im Evaluierungsbericht zur Auslandsförderung nach dem BAföG
aufgeführten Problems vor, dass die Anzahl der Studierenden,
die zeitweise im Ausland studiert haben, umso höher ist, je
höher ihre soziale Herkunft ist, und stehen diese Vorschläge
im Einklang mit den Vorhaben in der angekündigten BAföGNovelle?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Abgeordnete Hirsch, Sie haben nach der Auslandsförderung gemäß BAföG sowie einer beabsichtigten Novellierung gefragt.
Durch die Auslandsförderung nach dem BAföG wird
gerade Studierenden aus sozial schwächeren Familien
ein studienbezogener Auslandsaufenthalt ermöglicht. In
den vergangenen Jahren konnte die Zahl der Geförderten
im Ausland erfreulicherweise erheblich gesteigert werden; mit fast 20 000 Studierenden mit BAföG im Ausland waren es im Jahr 2005 nahezu doppelt so viele wie
im Jahr der BAföG-Reform 2001.
Mit der für dieses Jahr geplanten BAföG-Novelle beabsichtigt die Bundesregierung, einige wesentliche Vorschläge aus der Evaluierung der Auslandsförderung umzusetzen, um die Attraktivität der Auslandsförderung
nach dem BAföG weiter zu steigern. Dies beinhaltet eine
Abschaffung der sogenannten Orientierungsphase, sodass Studierende künftig BAföG-Förderung für ein Vollstudium im EU-Ausland erhalten können. Zudem sollen
die Durchführung von Auslandspraktika außerhalb der
EU wesentlich erleichtert und auch für Berufsfachschüler inhaltlich sinnvolle Auslandsausbildungen über die
reine Vermittlung von Sprachkenntnissen hinaus ermöglicht werden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
In meiner Frage, die ich eingereicht hatte, habe ich
primär danach gefragt, was die Bundesregierung zu tun
gedenkt, um die sozial ungleiche Beteiligung an Auslandsaufenthalten zu ändern. Ich denke, dass das maßgebliche Problem nicht nur in formellen Fragestellungen
liegt - also ob es eine Orientierungsphase gibt oder Ähnliches -, sondern dass sich für die Studierenden auch und
gerade die Frage stellt, wie denn so ein Auslandsstudium
zu finanzieren ist. Da würde ich doch gerne nachfragen,
was denn die Vorhaben in dieser Novelle sind, also wie
ganz konkret zukünftig Auslandszuschläge im Rahmen
des BAföG erstattet werden und wie zukünftig mit Studiengebühren umgegangen wird, die an ausländischen
Hochschulen anfallen. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass eine Beteiligung von BAföG-Empfängerinnen und BAföG-Empfängern an Auslandsaufenthalten tatsächlich weiterhin möglich sein wird?
Frau Abgeordnete Hirsch, die deutliche Ausweitung
der Auslandserfahrung der Studierenden gehört in der
Tat zu einer wesentlichen Zielsetzung der deutschen
Hochschulpolitik. Allerdings stellt sich die Frage, mit
welchen Instrumenten man beim BAföG darauf reagieren soll. Die Instrumente, die wir hier einzuführen beabsichtigen, haben zum Ziel, Auslandsaufenthalte mit
BAföG-Bezug generell zu erleichtern. Deswegen fällt
zum Beispiel die Orientierungsphase weg. Es gibt andere Bereiche, in denen eine Gleichbehandlung durchaus
Sinn macht. Es wird ein Leitmotiv für die BAföGNovelle sein, eine Gleichbehandlung zwischen der Förderung im Ausland und der im Inland herbeizuführen. In
diesem Sinne ist die Überführung der Auslandszuschläge, die bisher als Zuschuss gewährt werden sollten,
in die Normalförderung vorzusehen. Es ist auch eine
Überführung der Erstattung von Studiengebühren, die
im Ausland anfallen, von der Zuschussförderung in die
Bankdarlehensförderung vorgesehen. Auch das wäre ein
Beispiel dafür, wie wir in Zukunft eine Gleichbehandlung mit der Förderung im Inland erreichen können.
Sie haben die Möglichkeit zu einer weiteren Nachfrage.
Ich möchte noch allgemein eine Frage zur geplanten
BAföG-Novelle bzw. insgesamt dem Umgang der Bundesregierung mit dem BAföG stellen. Es gab gestern die
Kabinettsentscheidung, dass keine Anpassung der Bedarfssätze und Freibeträge erfolgen soll. Meine Frage ist,
wie es zu dieser Entscheidung kam. Morgens wurde
noch gesagt, das würde gar nicht auf der Tagesordnung
stehen. Plötzlich kam dann doch die Nachricht. Was für
Diskussionen fanden darüber statt, und wie ist diese Entscheidung letztlich getroffen worden?
Frau Abgeordnete Hirsch, es war nach der normalen
Zeitplanung der Bundesregierung beabsichtigt, dass der
regelmäßig zu erstattende BAföG-Bericht im Kabinett
am gestrigen Tag vorgelegt werden sollte, so wie das
auch stattgefunden hat. Ich selbst hatte im Ausschuss angekündigt, dass dies zeitnah zum Jahreswechsel geschieht.
Vor dem Hintergrund der Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Lage, aber auch der finanzpolitischen
Situation des Bundeshaushaltes und der öffentlichen
Haushalte insgesamt sehen wir derzeit keinen Spielraum
für eine allgemeine Anhebung der Bedarfssätze und der
anderen Anpassungssätze beim BAföG. Wir sehen aber
durchaus in einigen strukturellen Bereichen einen Handlungsbedarf, insbesondere was die Stärkung der Studierenden betrifft, die BAföG beziehen und Kinder erziehen. Dies wird ein wesentlicher Gegenstand der
geplanten BAföG-Novelle sein.
Ich rufe die Frage 24 der Kollegin Hirsch auf:
Welche Probleme ergeben sich aus Sicht der Bundesregierung mit der Gründung von gewinnorientiert arbeitenden
Hochschulen, wie beispielsweise die Private Hanseuniversität
Rostock?
Frau Abgeordnete Hirsch, die staatliche Anerkennung
privater Hochschulen und die damit verbundene Qualitätsbewertung fällt in die Zuständigkeit der Wissenschafts- bzw. Kultusministerien der Länder. Die Bundesregierung sieht keine grundsätzlichen Bedenken gegen
gewinnorientierte Hochschulkonzepte.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Meine Nachfrage ist, ob es tatsächlich der Fall ist,
dass der Bund keinerlei Änderungsmöglichkeiten oder
Einflussmöglichkeiten in diesen Fragen hat oder ob es
Punkte gibt - beispielsweise die Qualitätssicherung oder
die Zulassungs- und Abschlussregelungen -, über die
doch in irgendeiner Form Einfluss auf das genommen
werden kann, was in den Ländern passiert.
Das ist natürlich im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten machbar. Ich verstehe aber Ihre Frage nicht so
ganz, weil erst einmal ein konkreter Handlungsbedarf
gegeben sein müsste, der natürlich von vornherein im
Fall der von Ihnen konkret angesprochenen Hochschule
nicht erkennbar ist.
Ihre zweite Frage.
Ich möchte versuchen, das in meiner zweiten Frage
noch einmal kurz zu konkretisieren. Wir halten gewinnorientiert arbeitende Schulen oder Hochschulen schon
für ein Problem, weil wir meinen, dass solche Institutionen im Widerspruch zum Grundrecht auf Bildung stehen. Die Frage wäre also, ob die Bundesregierung diese
Bedenken teilt oder sie von vornherein von sich weist.
Wenn diese Bedenken in der Bundesregierung in keinster Weise bestehen, dann ist es natürlich logisch - da
gebe ich Ihnen recht -, da auch keinen Handlungsbedarf
zu sehen.
Die Bundesregierung teilt diese Bedenken in dieser
Form nicht.
Danke, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Zur Beantwortung steht der Staatsminister
Gernot Erler zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 25 der Kollegin Bellmann auf:
Gibt es nach dem Beschluss des Europäischen Parlaments
zur Einrichtung des Europäischen Institutes für Gleichstellungsfragen in Vilnius nach Kenntnis der Bundesregierung
Pläne für weitere neue EU-Agenturen, und hält die Bundesregierung die Einrichtung weiterer EU-Agenturen für notwendig?
Ist die Kollegin da?
({0})
- Entschuldigung.
Gelegentlich fragen auch Kolleginnen und Kollegen
aus der Koalition. Das ist ihr gutes Recht.
Frau Kollegin Bellmann, in den Gremien der Europäischen Union wird derzeit die Gründung einer Grundrechteagentur und eines europäischen Technologieinstitutes beraten. Bezüglich der Gründung einer EUGrundrechteagentur wurde im Rat für Justiz und Inneres
am 4. und 5. Dezember 2006 eine politische Einigung
erzielt. Die formelle Beschlussfassung steht noch aus.
Ferner hat der Europäische Rat am 14. und
15. Dezember 2006 hervorgehoben, dass im Jahr 2007
ein Beschluss zur Schaffung eines europäischen Technologieinstitutes gefasst werden soll. Die Bundesregierung
hat in den Beratungen immer deutlich gemacht, dass es
sich dabei primär um ein Netzwerk bestehender Forschungs- und Innovationsgemeinschaften handeln müsse.
Außerdem befindet sich derzeit die Aufsichtsbehörde für
Galileo im Aufbau.
Grundsätzlich verfolgt die Bundesregierung eine restriktive Haltung, was die Einrichtung neuer Agenturen
betrifft. Allerdings ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, inwieweit Effizienz und Spezialisierung die Übertragung
bestimmter Aufgaben an Agenturen erforderlich machen. Agenturen sind Einrichtungen, die sehr spezifische
fachliche, wissenschaftliche oder administrative Aufgaben erfüllen und somit der effizienten Umsetzung von
EU-Politiken in fachspezifischen Bereichen dienen.
Bevor ich der Kollegin Bellmann das Wort zu den
Nachfragen erteile, ein geschäftsleitender Hinweis an
die Fraktionen: Wir haben nach dieser Frage hier im Plenum noch zwei Fragen zu behandeln. Ich beabsichtige,
danach sofort die Aktuelle Stunde aufzurufen. Ich bitte
die Kolleginnen und Kollegen, das bei ihren Zeitplanungen zu beachten.
Ihre erste Nachfrage, bitte, Frau Bellmann.
Herr Staatsminister Erler, wir hatten heute Morgen im
Europaausschuss eine ziemlich kontroverse Diskussion
über das Thema Agenturen, speziell über die Grundrechteagentur und die Doppelstruktur bei Mandat und Aufgabe bezüglich Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte und Europarat. Gleiches trifft meiner
Ansicht nach auch auf die Gleichstellungsagentur zu.
Teilt die Bundesregierung die von verschiedener Seite
geäußerte Skepsis, dass zum Erreichen des Zieles
Gleichstellung und der damit verbundenen Aufgabenstellung, Informationen und Daten zur Gleichstellung zu
analysieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, tatsächlich ein neues Institut auf EU-Ebene nötig
ist? Wäre nicht eine Aufgabenerledigung durch oben genannte Institutionen statt durch eine Gleichstellungsagentur effizienter?
Frau Kollegin, wie ich eben schon gesagt habe, verfolgt die Bundesregierung, was die Schaffung neuer
Agenturen angeht, in der Tat eine restriktive Politik. Wir
bestehen darauf, dass in all den Fällen, wo es um die Errichtung neuer Agenturen geht, sehr genau geprüft wird,
dass keine Doppelstrukturen entstehen und Aufgaben
nicht parallel wahrgenommen werden, damit eine
schlanke Struktur entsteht.
Wir haben derzeit 22 verschiedene EU-Agenturen.
Dazu kämen noch die, die ich eben genannt habe. Das
wären dann also 25. Wir glauben, dass bezüglich der
Gründung neuer Agenturen Zurückhaltung angebracht
ist. Wir haben uns aber, wie ich berichtet habe, bei diesen drei Agenturen, die ich genannt habe, doch mit dem
starken Willen der anderen europäischen Partner auseinandersetzen müssen, die Gründung dieser Agenturen
auf den Weg zu bringen. Wir konzentrieren uns darauf,
das nach den Kriterien zu machen, die ich eben genannt
habe.
Sie haben eine zweite Nachfrage. Bitte.
Zweite Nachfrage zur Gleichstellungsagentur: Es
wird von einem Kostenvolumen von 52 Millionen Euro
für die Jahre 2007 bis 2013 gesprochen. Welcher Personalaufwand steht dem gegenüber, und ist bei den im
Aufbau befindlichen Agenturen eventuell schon eine zur
Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie REACH in Helsinki geplant?
Ich kann im Augenblick zu den Details der Umsetzung dieses Beschlusses hier keine Angaben machen,
auf jeden Fall nicht zu der Frage der personellen Besetzung. Das müssten wir nachliefern.
Der Kollege Beck hat die Möglichkeit zu einer Nachfrage.
Herr Staatsminister, weil Sie die Grundrechteagentur
angesprochen haben und es da einen Konflikt mit der
Mehrheit des Europaausschusses gibt, frage ich Sie, ob
Sie nicht durch die Grundrechteagentur die Chance sehen, zu überprüfen, ob sich die Beitrittsländer, insbesondere die neuen, auch nach dem Beitritt an den rechtsstaatlichen Standard, den der europäische Acquis
communautaire beinhaltet, halten. Würden Sie zustimmen, dass es neben der Grundrechteagentur eigentlich
keinen EU-rechtlichen Mechanismus gibt, um die Einhaltung der rechtsstaatlichen Anforderungen an eine EUMitgliedschaft zu implantieren?
Herr Kollege Beck, das war in der Tat der Grund,
weshalb wir uns den Argumenten für die Bildung dieser
Grundrechteagentur dann doch nicht verschließen konnten. Es geht darum, das Gemeinschaftsrecht so durchzuführen, dass bei allen bisherigen Mitgliedstaaten und natürlich auch bei den neuen Mitgliedstaaten die
uneingeschränkte Achtung der Grundrechte abgesichert
wird. Sie wissen, dass diese Agentur auf der bisherigen
Arbeit der Europäischen Stelle zur Beobachtung von
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Wien beruht.
Wir glauben, dass dieser Bereich ein ganz wesentliches
Tätigkeitsfeld der jetzt zu bildenden Agentur sein soll.
Wir sehen auch einen Bedarf dafür, der durch die breite
Arbeit des Europarats, der ansonsten für die allgemeine
Durchsetzung von Menschenrechten in Europa zuständig ist, nicht gedeckt wird.
Danke. - Die Fragen 26 und 27 der Kollegin
Dağdelen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 28 des Kollegen Beck ({0}) auf:
Welche Initiative hat die Bundesregierung im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft ergriffen oder will sie noch ergreifen, um die Auflösung des US-Lagers in Guantanamo Bay auf
Kuba zu befördern bzw. durchzusetzen, und welche Elemente
enthält sie gegebenenfalls?
Herr Kollege Beck, die Bundeskanzlerin hat bereits
am 9. Januar 2006 öffentlich erklärt, dass eine Institution
wie Guantanamo so nicht auf Dauer existieren dürfe und
dass Mittel und Wege für einen anderen Umgang mit den
Gefangenen gefunden werden müssten. Diesen Standpunkt hat sie auch bei ihrem Antrittsbesuch am 12. und
13. Januar 2006 gegenüber Präsident Bush vertreten.
Auch die EU vertritt diesen Standpunkt und hat dies wiederholt gegenüber den Vereinigten Staaten deutlich gemacht. Das Thema wurde unter anderem prominent auf
dem letzten EU/USA-Gipfel in Wien am 21. Juni 2006
angesprochen. Die Bundesregierung wird diese Linie
weiterhin auch in ihrer Eigenschaft als EU-Ratsvorsitzende in politischen Gesprächen mit den Vereinigten
Staaten vertreten.
Bundesregierung und EU führen darüber hinaus mit
den USA einen Dialog über Rechtsfragen, die sich im
Kampf gegen den Terrorismus stellen. Ziel dieses Dialogs ist es unter anderem, Möglichkeiten aufzuzeigen,
wie der internationale Terrorismus unter Wahrung des
Völkerrechts effektiv bekämpft werden kann.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. Bitte.
Wie beurteilen Sie gerade im Zusammenhang mit diesem Dialog die Aussage des Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung zu der Frage einer Initiative der
EU-Ratspräsidentschaft gegen Guantanamo, welche lautet:
Ich wehre mich beim Thema Guantanamo dagegen,
ständig zu sagen, die Amerikaner blickten überhaupt nicht durch und verstünden nicht, worum es
geht. Hinter ihrem Handeln steckt die Angst vor
terroristischen Anschlägen. Auf der Seite der Europäer gibt es manchmal eine zu naive Einschätzung
der realen Bedrohungslage.
Das empfand ich als sehr merkwürdige Äußerung des
Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung. Deshalb wollte ich wissen, mit welcher Position Sie in die
Gespräche gehen und ob Sie die Position, die hier vorgetragen wird, teilen oder zurückweisen.
Ich möchte nicht wiederholen, welche Position die
deutsche EU-Ratspräsidentschaft einnehmen wird. Das
habe ich vorhin schon ausgeführt.
Sie zitieren hier den Beauftragten für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen
Amt, Herrn Günter Nooke. Er hat wiederholt erklärt,
dass gerade im Kampf gegen den Terrorismus die Menschenrechte nicht beeinträchtigt werden dürfen. In den
Ausführungen zu Beginn seiner Amtszeit hat er festgestellt, dass das Lager in Guantanamo geschlossen werden muss. Diese Auffassung teilt auch die Bundesregierung.
Wir haben das Plädoyer von Herrn Nooke so verstanden, dass er keine unterschiedliche Bewertung von Menschenrechtsverletzungen akzeptiert. Er spricht sich für
einen Einsatz gegen Menschenrechtsverletzungen aus,
unabhängig davon, wo sie auftreten. Ich finde, das ist
unterstützenswert.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.
Wenn dem so wäre, wäre ich damit einverstanden.
Aber leider spricht er in diesem Zusammenhang davon,
dass die Freiheit der Andershandelnden, also derjenigen,
die die Freiheit abschaffen wollen, schwieriger zu gewähren sei. Mir scheint, dass mit dieser Aussage
schlichtweg das Thema verfehlt wird. Denn entweder
handelt es sich um Menschen, die terroristischer Handlungen verdächtigt werden - dann sind sie als Tatverdächtige strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen -,
oder es handelt sich nicht um solche. Dann kann es sich
nur noch um Kriegsgefangene handeln, die als solche zu
behandeln sind.
Wenn sie keiner der beiden Kategorien zuzuordnen
sind, dann stellt sich nicht die Frage, wie die Freiheit der
Andershandelnden zu beurteilen ist. Denn in diesem Fall
sind es keine Andershandelnden, sondern unbescholtene
ausländische Staatsbürger, die freizulassen sind.
Stimmen Sie mir zu, dass meine Beschreibung der
Rechtsverhältnisse etwas präziser ist als die in dem Interview des Menschenrechtsbeauftragten geäußerte Beschreibung?
Herr Kollege Beck, ich habe mir vor dieser Fragestunde, wohl wissend, welche Zusatzfragen Sie stellen
würden, das komplette Interview von Herrn Nooke angeschaut. Ich kann Sie insofern beruhigen, als er ausdrücklich genau das gesagt hat, was Sie gerade geäußert
haben, nämlich dass es nur zwei Möglichkeiten gibt:
Entweder es handelt sich bei diesen Guantanamo-Häftlingen um Kriegsgefangene - in diesem Fall muss die
Genfer Konvention angewandt werden -, oder es handelt
sich um zivile Strafgefangene; dann ist das amerikanische Recht anzuwenden. Das steht ausdrücklich in dieStaatsminister Gernot Erler
sem Interview. Insofern besteht zwischen Ihrer Position
und der des Menschenrechtsbeauftragten kein wirklicher
Unterschied.
Wir kommen damit zur Frage 29 des Kollegen Volker
Beck:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung von
Menschenrechtsorganisationen, dass die Mitgliedstaaten der
EU die Bereitschaft erklären sollten, Gefangene, die nicht als
Tatverdächtige vor amerikanische Gerichte gestellt werden,
aufzunehmen ({0})?
Herr Kollege Beck, die Aufnahme solcher Personen
liegt in erster Linie in der Verantwortung der Länder, deren Staatsangehörigkeit diese besitzen. Diesem Prinzip
folgend, haben bereits mehrere EU-Mitgliedstaaten ehemalige Insassen des Lagers in Guantanamo Bay aufgenommen.
Die USA führen außerdem mit mehreren Ländern,
aus denen Staatsangehörige in Guantanamo inhaftiert
sind, Verhandlungen über Rückführungsabkommen oder
haben solche bereits abgeschlossen. Soweit eine Aufnahme in den Heimatländern der Betroffenen nicht in
Betracht kommt, liegt die humanitäre Verantwortung für
die Lösung der letztlich durch die Inhaftierung der Personen entstandenen Situation bei den Vereinigten Staaten.
Zusatzfrage.
In dem Fall kann ich lobend auf das Interview des
Menschenrechtsbeauftragten zurückkommen. Er schlägt
vor, dass wir, also die Bundesrepublik Deutschland bzw.
die Europäer, unsere Bereitschaft erklären sollen, Menschen, die nicht in ihre Heimatstaaten zurückverbracht
werden können - ich nenne zum Beispiel die Uiguren,
eine islamische Minderheit im Westen Chinas, die von
den Chinesen verfolgt wird -, aufzunehmen, um eine
Auflösung des Camps in Guantanamo stärker zu unterstützen. Übernimmt die Bundesregierung diese Haltung
des Menschenrechtsbeauftragten, oder prüft die Bundesregierung, welche Schritte sie in diese Richtung gehen
kann?
Herr Kollege Beck, die Haltung der Bundesregierung
ist, dass in solchen Fällen zunächst einmal die Vereinigten Staaten von Amerika dafür zuständig sind, nach
einem anderen Aufenthaltsort Ausschau zu halten.
Selbstverständlich sind wir in diesem Fall gehalten, Einzelfallentscheidungen nach humanitären Gesichtspunkten zu treffen.
Schwierig wird es, wenn man ein pauschales Gesamtangebot macht. Das ist mit unserer Rechtsauffassung nicht in Einklang zu bringen. Aber wir sind selbstverständlich bereit, im Einzelfall humanitäre Aspekte zu
prüfen und dann eine Einzelfallentscheidung zu treffen.
Eine zweite Nachfrage.
Das Ganze ist kein rechtliches Problem. Unser Zuwanderungsgesetz hat einen Paragrafen ausschließlich
für solche politisch motivierten Aufnahmeentscheidungen, Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Im Einzelfall!
- der der Bundesregierung auch ein solches Angebot
ermöglicht. Meinen Sie nicht, dass unsere Forderung
nach Auflösung des Lagers glaubhafter wäre, wenn wir
bereit wären, hier einen Beitrag zu leisten, also unsere
Bereitschaft erklärten, in mehreren Einzelfällen selbstverständlich den Amerikanern etwas von der Last abzunehmen, wenn sie im Gegenzug bereit wären, Guantanamo aufzulösen?
Die Bundesregierung ist durchaus bereit, einen Beitrag dazu zu leisten, wenn sie dazu aufgefordert wird
und wenn es, auch unter Berücksichtigung anderer politischer Wirkungen einer solchen Maßnahme, Sinn
macht, das zu tun. Aber das muss, wie Sie, Herr Kollege
Beck, ja eben auch gesagt haben, dann einer Einzelfallprüfung unterliegen.
Herzlichen Dank, Herr Staatsminister.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde und des
Tagesordnungspunktes 3.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD
Bewertung der anhaltend dynamischen Investitionstätigkeit deutscher Unternehmen und
der kräftigen Belebung der Binnennachfrage
bei andauernd hohen Wachstumsraten im Außenhandel
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich meine, das Jahr 2006 war für Deutschland ein
hervorragendes Jahr. Wir sind wieder auf einen klaren, ro7530
busten Wachstumskurs zurückgekehrt. Das Wachstum
hat mit 2,5 Prozent - so ist es statistisch genau erfasst alle Erwartungen übertroffen. Andere würden von
2,7 Prozent sprechen; so hoch war das tatsächliche
Wachstum. Aber wir sind ganz vorsichtig und berücksichtigen die Tatsache, dass es 2006 weniger Feiertage
gab. Wir rechnen es ganz genau aus, damit wir ja nicht zu
positiv dastehen. Es sind exakt 2,7 bzw. 2,5 Prozent, wie
immer Sie wollen.
Ich vergleiche jetzt einmal die heutige Situation mit
der zu Beginn des letzten Jahres. Damals war es noch
verboten, Optimismus zu zeigen. Ich habe damals gesagt: Ich schätze das Wachstum etwas höher ein als die
sogenannten Experten. Daraufhin ist offiziell eine niedrigere Zahl genannt worden, und dann hat man gleich behauptet, der neue Wirtschaftsminister habe von Wirtschaft keine Ahnung. Wenn es allerdings nach solchen
Kriterien geht, müsste ich heute von denselben Experten
auf Händen getragen werden. Aber darauf verzichte ich
natürlich dankend.
({0})
Ich kann selber laufen, ich kann selber aufrecht gehen,
und ich kann mich auch selber gegen alle Kritiker wehren. Außerdem sind einige derjenigen, die mir als Beamte zugearbeitet haben, heute nicht mehr in diesen Ämtern.
Aber ich wollte hier die Zukunftserwartungen realistisch darstellen. Auch hier hat es jede Menge Untergangspropheten gegeben, die gesagt haben: Das ist ja alles wunderbar, was 2006 läuft, aber wartet auf 2007. Die
Mehrwertsteuererhöhung wird alles wieder kaputtschlagen.
Nun haben wir nicht aus Jux und Tollerei die Mehrwertsteuer erhöht, sondern weil wir konsolidieren wollen und müssen. Wir denken ja nicht nur von Quartal zu
Quartal, sondern wir denken längerfristig an die Sanierung unseres Landes; denn das ist eine der Aufgaben, die
sich diese Große Koalition gestellt hat.
({1})
Wir werden bald neue offizielle Zahlen bekannt geben. Ich darf es leider nicht vorwegnehmen, weil die
Zahlen zwischen den Ressorts noch abgestimmt werden.
Die Zahl, die wir in der übernächsten Woche vorstellen
werden, wird aber höher sein als die bisherige Prognose
von 1,4 Prozent für das laufende Jahr, weil sich in der
Tat zeigt, dass der Aufschwung robust ist. Er ist nicht
nur von der guten Auslandskonjunktur und von der guten Situation des Welthandels getragen. Das Wachstum
wird übrigens auch gestützt durch die zurückgehenden
Ölpreise. Das ist ein zusätzliches Glück, aber Glück hat
auf die Dauer nur der Tüchtige. Warum soll der Tüchtige
nicht auch Glück haben?
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchten diese Mehrwertsteuererhöhung. Sie wird sich aber
entgegen den Erwartungen, die von der Opposition geäußert worden sind, nicht negativ auf das Wachstum auswirken. Herr Brüderle, ich kann Ihre Äußerungen gut
verstehen; sie gehören auch dazu. Es wäre ganz
schlimm, wenn die Opposition die Maßnahmen der Regierung nicht stark hinterfragen und in Frage stellen
würde. Dann wäre sie wirklich ihr Geld nicht wert. Aber
diese Befürchtungen - sie waren nicht aus der Luft gegriffen; sie hatten einen realen Hintergrund - haben sich
Gott sei Dank nicht bewahrheitet. Es wird stabil weitergehen.
Nun komme ich zu einem großen Unterschied. Das
Wachstum ist bereits im letzten Jahr zu drei Vierteln aus
einer anziehenden Inlandsnachfrage entstanden; das ist
entscheidend. Diese Inlandsnachfrage wird in diesem
Jahr nicht abreißen. Wir hatten zuletzt 600 000 Arbeitslose weniger als vor Jahresfrist. Das bewirkt nicht nur
bei den direkten Finanzströmen etwas, sondern lässt natürlich auch bei immer mehr Menschen mehr Zuversicht
aufkommen.
({3})
Wenn man keine Angst mehr um den Arbeitsplatz hat,
wenn man keine Angst mehr hat, dass die Frau, der
Mann, die Tochter oder der Sohn ihre Arbeit verlieren,
dann ist man wieder zuversichtlicher und damit ausgabefreudiger, sodass ich davon ausgehe, dass der private
Konsum zunimmt. Die Investitionen im Inland jedenfalls haben angezogen, und sie halten an. Es ist heute
zum Beispiel eine Tatsache, dass die Nachfrage nach
Bauleistungen auf reduzierte Kapazitäten stößt und es
schon Engpässe gibt. Auch im Rahmen des energetischen Gebäudesanierungsprogramms zum Beispiel gab
es Engpässe sowohl in der Ausführung als auch in der
Belieferung mit entsprechenden Dämmstoffen.
Was ist die Ursache für die bessere Wirtschaftslage?
Da ist vor allen Dingen natürlich zu erwähnen, dass die
Beschäftigten in den letzten Jahren durch stabilitätsgerechte Lohnabschlüsse dazu beigetragen haben. Dazu
haben die Investitionen der Unternehmungen und die
Tatsache beigetragen, dass die Unternehmungen ihre
Hausaufgaben gemacht haben. Dazu hat aber natürlich
auch die neue Bundesregierung durch ihr Wachstumsund Impulsprogramm und die Tatsache beigetragen, dass
wir gesagt haben: Kauft langlebige Wirtschaftsgüter in
2006, wenn ihr vermeiden wollt, dass ihr von der Mehrwertsteuererhöhung betroffen seid. Auch das hat geholfen, das Ganze anzuschieben. Wir möchten, dass dies so
weitergeht.
({4})
Dazu gehört, dass wir weiterhin Reformen durchführen. Wir müssen den Prozess des Aufschwungs nutzen,
um die Reformen auszuführen. Nun hat es etwas lange
gedauert - es war zäh -, bis man bei der Reform des Gesundheitswesens weitergekommen ist. Eine solche Reform ist nie populär. Jetzt kommt es darauf an, was bei
der Umsetzung daraus gemacht wird.
({5})
Wir müssen bei der nächsten Reform, bei der Reform
der Pflegeversicherung, darauf achten, dass sie nicht auf
höhere Lohnzusatzkosten hinausläuft. Wir müssen versuchen - das beginnt bei der Gesundheitsreform -, die
Lohnzusatzkosten bzw. die Kosten für diese Versicherungssysteme auf Dauer von den direkten Lohnkosten zu
entflechten.
Wir müssen vor allen Dingen auch darauf schauen,
dass die Versprechungen in Sachen Unternehmensteuerreform, die wir gegeben haben und die natürlich Erwartungen geweckt haben, die zu Investitionen geführt haben, jetzt umgesetzt werden. Wir müssen sehen, dass
auch die Erbschaftsteuerreform im Hinblick auf Betriebsvermögen umgesetzt wird.
({6})
Denn das alles trägt dazu bei, dass die entfachte Glut
nicht abkühlt, sondern in Zukunft anhält.
Dazu gehört zum Beispiel, dass wir den bürokratischen Dschungel lichten. Das ist eine Daueraufgabe;
damit haben wir begonnen. Das nächste Mittelstandsentlastungsgesetz ist, nachdem das erste im Bundesgesetzblatt steht, auf dem Weg. Wir müssen auch darauf
achten - darüber könnte ich noch sehr lange reden; aber
nach mir sollen auch andere sprechen -, dass sich die
Energiekosten, die uns sehr viele Sorgen machen
({7})
und die in manchen Bereichen stärker zu Buche schlagen
als die Lohnkosten, im Zaum halten. Auch das ist eine der
wichtigen Aufgaben unserer EU-Ratspräsidentschaft.
Insofern lade ich alle dazu ein, zugunsten unseres
Landes mitzuhelfen, dass der Reformweg weitergegangen und damit der Aufschwung weitergeführt wird.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat der Kollege Rainer Brüderle für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Minister Glos, ich freue mich, dass Sie hier sind. Wahrscheinlich sind auch Sie froh, dass Sie hier sind. Wahrscheinlich sind Sie über jeden Tag froh, den Sie nicht in
Bayern sein müssen.
({0})
Die Konjunktur zieht an; das ist erfreulich. Die Wirtschaftslage hat sich ohne Zweifel gebessert. Auch im
Hinblick auf die dauerhaft Beschäftigten sind auf dem
Arbeitsmarkt immerhin erste bescheidene Beschäftigungseffekte festzustellen.
Aber eigentlich müssten alle Mitglieder der Bundesregierung schon einen Tennisarm haben, weil sie so viele
Dankeskarten schreiben müssen: an die Unternehmen,
die sich sehr erfolgreich restrukturiert haben;
({1})
an den deutschen Mittelstand, der sich engagiert hat; an
die Mitarbeiter, die großartige Leistungen erbracht haben;
({2})
an die Gewerkschaften, die zurückhaltend agiert haben;
an Klinsmann, der die Stimmung verändert hat;
({3})
an China, weil dieses Land so hohe Wachstumsraten hat;
an Indien, weil dieses Land ähnlich hohe Wachstumsraten hat, und an Petrus, weil das schöne Wetter der Bauwirtschaft geholfen hat.
({4})
In Wirklichkeit haben Sie, die schwarz-rote Koalition,
diese Aktuelle Stunde beantragt, um sich selbst zu beweihräuchern. Sie schmücken sich allerdings mit fremden Federn. Daher sage ich Ihnen: Aus einem nackten
Suppenhuhn wird auch mit Verkleidung kein stolzer
Pfau.
({5})
Dass wir diese erfreuliche Entwicklung zu verzeichnen haben, verdanken wir den Umständen, dass andere
Länder ein höheres Tempo und ein stärkeres Wachstum
vorgelegt und sich unsere Exporte entsprechend entwickelt haben. Erfreulicherweise, Herr Kollege Meyer,
wurde davon auch unsere Binnenkonjunktur erfasst. Der
Konsum ist allerdings immer noch etwas zu schwach.
Das sogenannte Konjunkturprogramm der Bundesregierung, das Sie jetzt wahrscheinlich wieder zelebrieren
werden,
({6})
hat dazu nur einen sehr geringen Beitrag geleistet.
({7})
Wie die Berechnungen des Sachverständigenrates zur
Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage gezeigt
haben, wurde es überkompensiert: durch die Kürzung
von Steuervergünstigungen und durch Ihre Arbeitsmarktpolitik. Eigentlich bescheinigt der Sachverständigenrat der Regierung also, dass ihre Maßnahmen eher
restriktiv waren.
({8})
- Ich zitiere nur. - Auf die Vorzieheffekte durch die anstehende Mehrwertsteuererhöhung zu setzen, das ist ein
Konjunkturprogramm, das ich nicht zur Wiederholung
empfehle.
({9})
Wenn man schon ein Konjunkturprogramm auflegt,
sollte man intelligenter vorgehen.
Erfreulich ist, dass die Bruttoanlageinvestitionen nach
fünf Jahren Flaute deutlich gestiegen sind. Diese Entwicklung muss verstetigt werden. Wir sollten genau analysieren, ob die verbesserten Abschreibungsbedingungen dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet haben.
Ich vermute, dass das der Fall ist. Wenn dem so ist, dann
sollte man sie beibehalten und diese Entwicklung dadurch verstetigen.
Wir hoffen, dass das gegenwärtige Niveau der Bauinvestitionen gehalten werden kann. Die Entwicklung auf
diesem Gebiet wurde sicherlich auch durch Einmaleffekte wie die Abschaffung der Eigenheimzulage und
die Vorzieheffekte der Mehrwertsteuererhöhung beflügelt. Man kann sagen: Die Menschen und die Unternehmen sowie insbesondere der Mittelstand in Deutschland
haben sich tüchtig ins Zeug gelegt. Die Bundesregierung
hat das nicht getan.
({10})
Sie sollten die jetzige Situation nutzen, um die Rahmenbedingungen dauerhaft zu verbessern. Aber das tun
Sie nicht. Es gibt keine betrieblichen Bündnisse für Arbeit und keine Modernisierung des Kündigungsschutzes.
Stattdessen machen Sie ein wachstumsschädliches Antidiskriminierungsgesetz und ein verfassungsbedenkliches
Verbraucherinformationsgesetz. Sie sollten lieber Ihr
Haus in Ordnung bringen, eine vernünftige Gesundheitsreform zur Entlastung bei den Lohnnebenkosten und zur
Verbesserung der Effizienz durchführen,
({11})
einen überzeugenden Ansatz im Hinblick auf die Reform
der Pflegeversicherung erarbeiten, ein Steuerkonzept
entwickeln, das zum Abbau nicht mehr durchschaubarer
Regelungen beiträgt,
({12})
und einen wirklichen Bürokratieabbau einleiten. Aber
Sie tun das Gegenteil. Gesetzentwürfe, die vom Plenum
des Bundestags vorgeschlagen werden, müssen nicht
vom Normenkontrollrat überprüft werden.
Dem Wirtschaftsminister muss ich attestieren, dass er
ordnungspolitisch in vielen Fragen den richtigen Kurs
eingeschlagen hat. Das ist zum Beispiel in der Energiepolitik der Fall;
({13})
denn er macht sich ernsthaft Gedanken über eine mögliche Entflechtung. Hier haben Sie unsere Unterstützung.
Herr Bundeswirtschaftsminister Glos, Sie haben auch in
anderen Fragen mutige Entscheidungen angesprochen.
Aber diese Entscheidungen müssen auch von der Regierung durchgesetzt werden.
({14})
Es nützt nichts, wenn wir zwar gemeinsam über diese
Themen diskutieren, wenn aber nicht gehandelt wird.
Die Novellierung des Gentechnikgesetzes steht noch
immer aus. Sie ist von elementarer Bedeutung, um den
Standort Deutschland attraktiver zu gestalten. Denn in
dieser Branche können zukünftig viele Arbeitsplätze entstehen.
({15})
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das Standort-Ranking der Bertelsmann Stiftung. Bei der Arbeitsmarktentwicklung bzw. beim Wirtschaftswachstum belegen wir unter den wichtigsten Industrienationen
Platz 21. Das ist immer noch beschämend und das muss
sich ändern. Sie haben eine übergroßen Mehrheit: im
Bundestag 73 Prozent und im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit. Deshalb sage ich Ihnen: Wenn das Wetter
schön ist, soll man das Dach reparieren. Man kann es
auch bei Regen; aber das ist mühevoller und schwieriger.
Deshalb mein dringender Appell an Sie, die überfälligen
Reformen durchzuführen. Gemacht haben Sie bisher
nichts.
Die Timelags wirtschaftspolitischer Maßnahmen liegen bei 18 bis 36 Monaten; insofern können Sie zum
Aufschwung nicht so viel beigetragen haben.
Herr Kollege Brüderle, kommen Sie bitte zum
Schluss.
Ich bin beim letzten Satz, Frau Vizepräsidentin. - Der
Aufschwung ist ein Schröder-Effekt, sagt die SPD. Der
Aufschwung ist ein Merkel-Effekt, sagen die Dunklen.
Ich sage, er ist ein Deutschlandeffekt: weil die Deutschen tüchtig sind, trotz einer lahmen Regierung.
({0})
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Christian
Lange das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Brüderle, ein Wort des Dankes haben Sie vergessen: Dank an die FDP dafür, dass sie in
der Opposition ist. Denn ich bin mir nicht sicher, ob wir
sonst in der heutigen Aktuellen Stunde so wunderbare
Zahlen präsentieren könnten.
({0})
Christian Lange ({1})
Ich will deshalb fragen: Wer ist schuld an diesem Aufschwung? In einem haben Sie recht: Jawohl, Industrie
und Handwerk haben sich restrukturiert. Mit der Politik
hat der Aufschwung aber auch etwas zu tun. Denn sonst
wäre Ihr Schlussappell - wir müssten unsere Reformen
fortsetzen - sinnlos. Genau das wollen wir tun; deshalb
sprechen wir ja heute darüber.
Das Wirtschaftswachstum lag 2006, wenn wir alle
Arbeitstage mitrechnen, die ein Jahr gemeinhin hat, bei
2,7 Prozent; ansonsten sind es 2,5 Prozent. Ich will nur
daran erinnern: Im Boomjahr 2000 hatten wir ein
Wachstum von 3,2 Prozent. Von daher - da stimme ich
ausdrücklich zu - können wir uns noch anstrengen, um
ein Wachstum wie im Erfolgsjahr der rot-grünen Bundesregierung zu erreichen. Die neue Bundesregierung
kann auf dem soliden Fundament aufbauen, das ihr RotGrün hinterlassen hat: Die Haushaltskonsolidierung ist
unter Rot-Grün begonnen worden und wird jetzt von
Peer Steinbrück fortgesetzt. 2006 konnte er mit einer
Nettokreditaufnahme von 27,9 Milliarden Euro
10,3 Milliarden Euro unter dem Ansatz im Haushaltsplan bleiben. Das kann sich sehen lassen.
Heute, am 17. Januar, ist allerdings noch nicht die
Zeit, weitere Sparpakete zu fordern, wie man es in einigen Tickermeldungen lesen kann. Meine Damen und
Herren, lassen Sie uns erst einmal abwarten, wie sich die
wirtschaftliche Lage entwickelt, ob die Prognosen eintreffen. Erst wenn wir wissen, wie sich die Mehrwertsteuererhöhung tatsächlich auswirkt, können wir über
weitere Sparanstrengungen reden, aber keine Sekunde
früher.
({2})
Ein weiterer Punkt. Ja, wir haben eine größere Inlandsnachfrage. Auch da können wir aufbauen auf dem,
was uns die alte Bundesregierung hinterlassen hat, auf
der größten Steuerreform in der Geschichte der Bundesrepublik, durch die die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler seit 1998 - das dürfen wir nicht vergessen - um
59,1 Milliarden Euro entlastet worden sind. Jetzt gibt es
wieder mehr Aufträge, die Leute haben Zuversicht und
investieren auch bei uns im Inland. Wir werden der Einkommensteuerreform von Rot-Grün eine Unternehmensteuerreform und eine Erbschaftsteuerreform folgen lassen. Denn die Unternehmen stehen im Wettbewerb
miteinander, und auch wir als Bundesrepublik Deutschland stehen in einem Wettbewerb, nämlich in einem
Standortwettbewerb. Deshalb werden wir den Körperschaftsteuersatz von 25 Prozent auf 15 Prozent senken
und die Gewerbesteuermesszahlen von 5 auf 3,5, sodass
der Steuersatz für Unternehmen in Deutschland in Zukunft nicht mehr 38,6 Prozent, sondern nur noch
29,8 Prozent betragen wird. Das haben wir uns in der
Koalition vorgenommen, und das werden wir auch umsetzen. Dazu gehört auch die Reform der Erbschaftsteuer, die wir uns vorgenommen haben und die wir, gar
keine Frage, durchführen werden. Diejenigen Unternehmen, die zehn Jahre erfolgreich tätig sind und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigen, sollen belohnt werden. Deshalb werden wir eine
entsprechende Erbschaftsteuerreform - in Form des Abarbeitungsmodells - präsentieren.
Der Aufschwung ist kein Strohfeuer. Deshalb ist es
kein Wunder, dass er den Prognosen zufolge über 2007
hinaus anhalten wird. Für 2007 wird ein Wirtschaftswachstum zwischen 1,4 und 2,1 Prozent prognostiziert.
Im Jahr 2008 wird es nach der OECD immerhin für bis
zu 2,1 Prozent reichen. Also: Vorsicht ist die Mutter die
Porzellankiste. Es sieht aber gut aus. Deshalb dürfen wir
in der Tat nicht nachlassen. Für all das, was wir tun,
müssen wir aber auch Verständnis bei den Menschen wecken; denn all die guten Maßnahmen, die wir uns vorgenommen haben, nützen uns nichts, wenn wir die Bürgerinnen und Bürger bei unseren Vorhaben nicht
mitnehmen.
Deshalb sage ich Ihnen, Herr Minister, dass ich entgegen Ihrer Aussage zu den konjunkturellen Risiken die
weltwirtschaftliche Lage als eines der großen Risiken
ansehe, so sehr wir uns alle auch über die Ölpreisentwicklung freuen. Schauen Sie sich den Irak-, den Iranund den Syrienkonflikt sowie das Verhalten der Vereinigten Staaten von Amerika an! Ich glaube, hier liegen
einige der größten weltwirtschaftlichen Risiken, die wir
im Augenblick zu gewärtigen haben. Da wir als Bundesrepublik Deutschland zum fünften Mal in Folge Exportweltmeister sind, sind diese weltwirtschaftlichen Umstände für unsere konjunkturelle Entwicklung - und
auch für die Binnenkonjunktur - sehr wohl von großer
Bedeutung.
Schließlich will ich nicht verhehlen, dass wir mit unseren Maßnahmen, die wir in der Vergangenheit getroffen haben, auch in einem der Kernbereiche des Mittelstandes Erfolge haben, die sich heute positiv auswirken.
Ich denke dabei ans Handwerk. Schauen Sie sich zum
Beispiel die letzte Statistik des Zentralverbandes des
Deutschen Handwerks an. Sie bestätigt diesen Kurs.
Nach dieser Statistik ist die Zahl der Betriebe seit 2004
um 40 712, das heißt um 4,8 Prozent, gestiegen.
Meine Damen und Herren, wir setzen uns dafür ein,
dass sich dieser Zuwachs an neuem Mut und an Selbstständigkeit fortsetzen wird. Das Handwerk ist ein positives Beispiel dafür. In diesem Sinne bin ich guten Mutes
für 2007.
Herzlichen Dank.
({3})
Für die Fraktion Die Linke spricht nun der Kollege
Dr. Schui.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Koalition hat eine Feierstunde auf die Tagesordnung gesetzt, die ohne große Beteiligung der Koalition abgehalten wird. Auf Wunsch der Koalition begehen wir heute
den Tag des Wirtschaftswachstums. 2,5 Prozent sind zu
feiern. Das ist das weitaus größte Wachstum seit vielen
Jahren. Durch dieses Wirtschaftswachstum wurde aber
offenbar eine noch größere Euphorie ausgelöst. Wir haben es mit einem Euphoriewachstum zu tun. Ich will das
alles durch einige statistische Informationen dämpfen.
Zunächst sollte ich darauf aufmerksam machen, dass
eine kapitalistische Wirtschaft in Zyklen wächst. Es geht
also grundsätzlich immer wieder einmal rauf und runter.
({0})
- Na ja, gut. - Den letzten kompletten Zyklus gab es von
1993 und 2003. Danach ging es wieder aufwärts, aber
langsamer als sonst.
Die Investitionsausgaben der Unternehmen schwanken innerhalb solcher Zyklen erheblich. In diesem letzten kompletten Zyklus von 1993 und 2003 gab es bei
den Investitionen Wachstumsraten von minus
7,8 Prozent und minus 9,1 Prozent und auf der anderen
Seite von plus 4,6 Prozent und plus 5,3 Prozent. Es
würde mich wundern und restlos überraschen, wenn sich
die normalerweise sehr schwankenden Wachstumsraten
der Investitionen aufgrund des geistlichen Zuspruchs des
Bundeswirtschaftsministers auf einmal verstetigen würden. Deshalb sollte die Regierung weniger Brimborium
um diese Investitionsausgaben machen. Schauen wir
einmal.
Ein weiteres Problem: Ein knappes Drittel des Wachstums im vergangenen Jahr kam durch die deutschen Exporte zustande. Diese werden im kommenden Jahr ganz
sicherlich weiter anwachsen, allerdings langsamer. Das
ist auch normal, weil das Exportwachstum im
Jahre 2006 von 12,4 Prozent der totale Ausreißer ist.
Ähnliches gab es nur im Jahre 2000. Ansonsten lag das
Exportwachstum sehr weit darunter, und es gibt keinen
Grund, von einem stetigen Exportwachstum auszugehen.
Das dritte Problem für das Wachstum ist die Sanierung des Bundeshaushaltes. Ich habe hier ja schon oft
darauf hingewiesen, dass ich ein Freund der Sanierung
des Bundeshaushaltes bin. Wir müssen weniger Schulden aufnehmen. Die Methode ist aber falsch. Man muss
den Haushalt mit den Steuereinnahmen sanieren, die
aufgrund von Einkommen erzielt werden, die ohnehin
nur zu einem geringen Teil ausgegeben werden. Das
heißt, dass die Einkommen aus Unternehmertätigkeit
und Vermögen stärker besteuert werden müssen. Dann
ist die Chance größer, den Haushalt zu sanieren, ohne
dabei die Konjunktur abzuwürgen.
Der bedeutendste Faktor sind aber die privaten Konsumausgaben, die nicht vom Fleck kommen. Das Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen ist im
vergangenen Jahr nominal um 6,9 Prozent gestiegen, das
Arbeitseinkommen um 1,3 Prozent. Das ist entschieden
zu wenig. Die Ausgabenfreude derjenigen, die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen beziehen,
ist offenbar - trotz der verlängerten Ladenschlusszeiten gering.
Das vergleichsweise gute Jahr 2006 hat also einzig
die ohnehin Wohlhabenden weiter begünstigt. Es hat ihnen zu mehr Wohlstand verholfen. Dass die Beschäftigung bei dieser Gelegenheit leicht angestiegen ist, ist
eine Begleiterscheinung. Denn der vermehrte Wohlstand
für die Wohlhabenden musste schließlich produziert
werden. Dazu brauchte es ein paar Arbeitsstunden mehr.
An der hohen Arbeitslosigkeit ändert das nichts.
Wie kommen wir zu mehr Wachstum, bis uns in einigen Jahren wieder turnusgemäß der nächste Abschwung
erwischt? Die Löhne müssen, weil sich der private Verbrauch unzureichend entwickelt, in diesem Jahr mindestens ebenso rasch steigen wie das Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen. Sie müssen also
deutlich höher steigen, als es manche Tarifkommission
mancher Gewerkschaften angibt. Steigen die Löhne,
dann wächst der private Verbrauch.
Der Mindestlohn muss diese Lohnentwicklung unterstützen. Wir müssen davon wegkommen, dass zum Beispiel in Hamburger Hotels die Reinigungskräfte mit
2,47 Euro bezahlt werden. Diese Menschen haben nichts
zum Ausgeben. Sie sind außerstande, den privaten Verbrauch zu stützen. Außerdem sollte das Arbeitslosengeld II angehoben werden.
Damit habe ich nur die wesentlichen Posten genannt.
Das Lohn- und Sozialeinkommen muss also steigen.
Wenn das nicht der Fall ist, dann werden wir im dritten
oder vierten Quartal dieses Jahres auf eine Wachstumsmarke von etwa 1 Prozent zurückfallen.
Vielen Dank.
({1})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
Dr. Fuchs.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber
Kollege Brüderle, in Ihrer Auflistung hat mir der Dank
an den Bundeswirtschaftsminister gefehlt.
({0})
Ich stelle mir vor: Wenn Sie heute Wirtschaftsminister
wären, dann könnten Sie vor Kraft kaum noch laufen.
Sie würden sich auf einer Sänfte durch Rheinland-Pfalz
tragen lassen und alle Weinköniginnen auffordern, Sie
erneut zu küssen.
({1})
Wir wollen festhalten, dass in diesem Fall die Wachstumszahlen, die der Bundeswirtschaftsminister eben verkündet hat, bei Ihnen zu Freudentänzen Anlass geben
würden. Es ist auch richtig und gut, dass wir uns darüber
freuen. Dass Sie versuchen, das schlechtzureden, habe
ich nicht verstanden. Davon, dass der Bundeswirtschaftsminister erheblichen Anteil an diesen Wachstumszahlen hat, können Sie ausgehen.
Ein Blick auf die Zahlen insgesamt zeigt, dass die
Zahl der Arbeitslosen um 600 000 gesunken ist. Das ist
die richtige Politik, Herr Schui.
Noch besser ist - das ist für mich die wichtigere
Zahl -, dass wir 360 000 sozialversicherungspflichtige
Arbeitsplätze mehr haben. Nur dann, wenn es uns gelingt, am ersten Arbeitsmarkt neue Arbeitsplätze zu
schaffen, erreichen wir ein stetiges Wirtschaftswachstum. Denn dann können auch die von Ihnen genannten
Menschen am Konsum teilhaben, Herr Schui. Mit Einkommen aus Hartz IV etc. wird das sicherlich nicht
möglich sein.
Ich bin erfreut darüber, dass die OECD endlich wieder einen Grund hat, uns in ihrem Jahresbericht zu loben.
Seit Jahren haben wir nur Schelte bezogen. Dieses Jahr
ist festgestellt worden, dass Deutschland das einzige
Land ist, das Ehrgeiz bei der Defizitsenkung zeigt und
dabei Erfolge erzielt hat. Wir sind zu Jahresbeginn noch
von einer Nettoneuverschuldung in Höhe von 38 Milliarden Euro ausgegangen. Es sind aber ungefähr 20 Milliarden Euro.
Wir haben das ehrgeizige Ziel, in 2007 19,7 Milliarden Euro zu unterschreiten. Das bedeutet, dass die Neuverschuldung erstmalig unter den Stand vor der Wiedervereinigung sinkt. Das ist der richtige Weg im Sinne der
Generationengerechtigkeit. Dies sind wir den jungen
Leuten in unserem Land schuldig. Wir dürfen die Finanzierung über eine Defiziterhöhung nicht unbegrenzt fortsetzen.
Leider lobt uns die OECD nicht in jeder Beziehung.
Wir sollten daher den Dreiklang, den die Bundeskanzlerin angesprochen hat, nämlich Sanieren, Reformieren
und Investieren, im Auge behalten und fortsetzen. Natürlich müssen wir weiter reformieren. Ich weiß, dass der
Bundeswirtschaftsminister hier Druck machen wird. Die
OECD hat uns gesagt, dass wir auf dem Arbeitsmarkt
noch erheblichen Deregulierungsbedarf haben. Es liegt
eine Reihe von Vorschlägen auf dem Tisch. Über diese
werden wir angesichts der nach wie vor viel zu hohen
Arbeitslosigkeit weiter diskutieren müssen. Sie alle sind
gefordert, gute Vorschläge zu machen.
Auf dem Weg des Investierens sind wir einen guten
Schritt vorangekommen. Ich nenne als Beispiele nur das
Wachstumspaket, die Hightechstrategie und das Investitionsgeschehen in der Wirtschaft, aber auch die Programme, die wir über die KfW sowohl im Energieeinsparbereich als auch bei der Finanzierung von jungen
Unternehmen neu aufgelegt haben. Genau das ist der
richtige Weg. Hier sollten wir helfen. Wir brauchen mehr
unternehmerische Kraft und Initiative. Dann entstehen
zusätzliche Arbeitsplätze. Im Handwerk ist es besonders
gut gelaufen. Es gibt viele Bereiche, in denen es inzwischen einen Mangel an bestimmten Produkten gibt. Versuchen Sie zurzeit einmal, in Deutschland Dämmmaterialien zu bekommen! Diese sind so gut wie ausverkauft.
Ich habe gehört, dass wir mittlerweile Dachlatten aus
Litauen importieren müssen, weil in Deutschland nicht
mehr so schnell produziert werden kann, um den steigenden Bedarf an Dämmmaterialien und Dachlatten zu
befriedigen. Das alles zeigt, dass sich hier etwas tut. Gerade in den kleinen Handwerksunternehmen sind Arbeitsplätze entstanden. Diese brauchen wir.
Wir dürfen uns aber angesichts der guten Zahlen und
der erheblich höheren Steuereinnahmen nicht zur Ruhe
setzen. Vielmehr müssen wir die anstehenden Reformprogramme, von der Unternehmensteuerreform bis zur
Pflegeversicherung, umsetzen. Wir müssen zudem ständig darauf achten - das ist für mich genauso wichtig -,
ob wir nicht zusätzliche Deregulierungen auf dem Arbeitsmarkt vornehmen müssen; denn es ist nicht ganz
von der Hand zu weisen, dass wir in Deutschland den reguliertesten Arbeitsmarkt in Europa haben. Laut OECDStudie belegen wir hier unter 28 Ländern den letzten
Platz. Das kann uns nicht gefallen. Darüber müssen wir
nachdenken.
Ich fordere alle Kollegen auf, daran mitzuarbeiten,
damit wir den Aufschwung verstetigen und in Deutschland Arbeitsplätze schaffen und damit es in diesem Land
wieder vorangeht und weiterhin so viel Spaß macht wie
bislang.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Margareta Wolf für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Glos, Sie haben zu
Beginn Ihrer Rede gesagt, wir alle müssten Sie eigentlich auf Händen tragen. Das würden wir gerne tun. Aber
ich frage mich, ob die Tatsache, dass gerade einmal elf
Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion an dieser Debatte teilnehmen, dafür ausreicht, dass wir Sie in Form
einer menschlichen Sänfte durch das Parlament tragen.
Ich habe meine Bedenken. Im Ernst, Herr Kollege Glos,
ich frage Sie, warum Sie uns zu dieser kleinen, sehr intimen Feierstunde am späten Nachmittag eingeladen und
nicht stattdessen eine Regierungserklärung vor diesem
Hohen Hause abgeben haben.
({0})
Sie hätten diesen freudigen Moment wirklich feiern und
uns - dafür hatten Sie vermutlich nicht genügend Zeit Ihre Instrumente zur Verstetigung des Aufschwungs vorstellen können. Die Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland zeigt - das ist der einzige Punkt, in
dem ich Ihnen ausnahmsweise einmal recht geben muss,
Herr Schui -, dass Aufschwünge volatil sein können
- ich erinnere nur an das Jahr 2000 -, dass sie aber durch
entsprechende Instrumente verstetigt werden können.
Wir alle wissen, dass der jetzige Aufschwung auf
zwei Beinen steht. Das eine Bein ist der Export. Hier
gibt es schon länger eine positive Entwicklung. Das
zweite Bein ist - darüber freuen wir uns besonders - die
gestiegene Binnennachfrage. Ich möchte diese Debatte
dazu nutzen, Herr Minister, diese beiden Faktoren und
die Risikopotenziale zu beleuchten, denen die Regierung
Margareta Wolf ({1})
im nächsten Jahr begegnen muss. Dies zu tun, hat uns
der Kollege Fuchs gerade aufgefordert.
Erstens, Herr Minister. Eine ganz große Herausforderung für die Regierung besteht nach wie vor im Niedriglohnsektor. Wir alle wissen, dass man sich bei einem
wirksamen Umbau des Niedriglohnsektors auf die Frage
konzentrieren muss, wie einfache Arbeit wieder rentabler wird. Da ist es für uns unbefriedigend - im Übrigen unbefriedigend für die Binnennachfrage und die
Verstetigung dieser Tendenz -, wenn Sie mit den Kollegen von der SPD seit nunmehr acht Monaten darüber
diskutieren, ob ein Kombilohn oder ein Mindestlohn eingeführt werden soll. Diese Debatte ist sehr unbefriedigend. Wir haben Ihnen unser Progressivmodell vorgelegt. Wir würden gerne weiterhin die Debatte mit Ihnen
darüber führen.
Zweitens, Herr Minister. Die Lohnquote ist seit dem
Jahr 2000 von 72 Prozent auf 62 Prozent gesunken. Es
gab in den letzten sechs Jahren einen Nettolohnzuwachs
von 0,3 Prozent. Gleichzeitig ist die Binnennachfrage im
letzten Jahr um 0,6 Prozent gestiegen. Das ist sehr erfreulich. Aber angesichts dieser, wie ich finde, nicht sehr
berückenden Zahlen weiß ich nicht, ob es so klug oder
psychologisch richtig ist, ausgerechnet zu Anfang dieses
Jahres, in dem die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte
gestiegen ist und in dem wir - so Gott will oder auch
nicht will - eine Gesundheitsreform mit einer Beitragssteigerung von 0,3 Prozentpunkten bekommen werden,
die Tarifparteien zu Lohnzurückhaltung aufzufordern.
Sie wissen, dass ich über ein solches Thema eigentlich
ungern rede. Wir wissen alle, dass der Aufschwung ein
Stück weit der Lohnzurückhaltung in den vergangenen
Jahren geschuldet ist. Sie hat aber auch die reduzierte
Binnennachfrage in den letzten Jahren bewirkt. Ich
würde mir wünschen, dass man in einen ganz pragmatischen Diskurs mit den Gewerkschaften eintritt.
({2})
Drittens, Herr Minister. Wir haben im ersten Halbjahr
die G-8-Präsidentschaft und wir haben die EU-Präsidentschaft inne. Ich weiß, dass Sie ein Minister sind, der
sich sehr für die Außenwirtschaft interessiert. Was mich
wirklich sorgt, ist die Welthandelsrunde und das, was
wir im Moment in Asien beobachten. Gestern hat sich
die weltgrößte Freihandelszone unter Einbeziehung von
China und Indien gebildet. Und was machen wir? Die
Bundeskanzlerin läuft vor der Präsidentschaft durch die
Gegend und sagt: Wir wollen ein Freihandelsabkommen
mit den USA. - Sie geht nach Washington, aber Bush
reagiert gar nicht auf ihren Vorschlag. Heute lese ich zu
meiner großen Freude, dass der Sherpa, der Ihr Staatssekretär ist, davor explizit warnt. Wir brauchen eine Linie,
wenn wir die WTO beleben wollen. Wir brauchen die
WTO und den Multilateralismus. Da müssen wir uns
stark aufstellen; denn wir wissen genau, dass die Chinesen und die Inder Multilateralismus für ein Instrument
halten, das lediglich den Fußlahmen hilft.
({3})
Eine letzte Bemerkung, Herr Minister. Wir lesen täglich von ehrgeizigen Vorhaben der RAG und der DB AG,
was Börsengänge angeht. Sie haben nichts dazu gesagt,
wie der größte Börsengang, nämlich der von der RAG,
realisiert werden soll. Wir wissen, dass Sie sich vor der
SPD ducken, die meint, sie brauche einen Sockelbergbau, um die nächsten Wahlen in NRW zu gewinnen. Ich
fordere Sie auf: Unterstützen Sie das Vorhaben der
RAG! Denn das ist industriepolitisch und für den Chemiestandort wichtig, und das ist eine der wichtigsten
Entscheidungen, die im Jahr 2007 neben der Privatisierung der DB AG getroffen werden muss, die Sie, wie ich
weiß, unterstützen.
Herzlichen Dank.
({4})
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege
Reinhard Schultz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich halte es für durchaus angemessen, dass man nach
einem guten Jahr innehält und Revue passieren lässt,
was eigentlich geschehen ist; denn das hätte zu Beginn
des vergangenen Jahres niemand geglaubt: ein stetiges,
ordentliches, stabiles Wachstum, eine Wachstumsperspektive über den Tag hinaus für dieses und wahrscheinlich auch für das kommende Jahr, keine nennenswerte
Wachstumsdelle im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuererhöhung, die vorher prognostiziert worden ist. Es
gab deswegen keine Delle, weil sich alle Beteiligten
- sowohl die Bevölkerung als auch alle anderen Akteure - sehr geschickt und psychologisch schlau auf die
Mehrwertsteuererhöhung vorbereitet haben. Die Politik
hat das sehr rechtzeitig getan, der Handel hat gleitend
darauf reagiert und nicht abrupt zum ersten Januar. Im
Gegenteil: Man kann sogar sagen, dass sich die Mehrwertsteuererhöhung in vielen Bereichen des Handels auf
die Preise überhaupt nicht ausgewirkt hat, weil der Wettbewerb dies verhindert. Alle mir vorliegenden Untersuchungen hinsichtlich der Situation des Einzelhandels,
zum Beispiel die von KMPG, besagen: Die Lage hat sich
nicht nur in 2006 stabilisiert; vielmehr wird sie sich auch
in dem jetzt begonnenen Jahr weiter deutlich stabilisieren.
Ohne Frage: Wir blicken auf einige schwierige Jahre
zurück. Strukturreformen waren notwendig. Allerdings
hatten wir alle gemeinsam - auch die Union war mit verteilten Rollen bei vielen dieser Reformen letztendlich
mit im Boot, genauso wie die Grünen - das Pech, dass
sehr schwierige Reformen im Rahmen einer wirtschaftlich bescheidenen Situation, deren Eintreten keiner ahnen konnte, durchgeführt wurden.
Die Appelle, auch die von Herrn Brüderle, den wirtschaftlichen Rückenwind, dieses Mehr an Wachstum - es
macht es durchaus leichter, auf das eine oder andere zu
verzichten, da neue Einkommen generiert werden -, für
weitere Reformen zu nutzen, sind völlig richtig; das ist
doch gar keine Frage. Das heißt nicht, dass man zu jeder
Reformidee Ja sagt. Vom Grundsatz her ist Reformieren
Reinhard Schultz ({0})
in Wachstumsphasen leichter als in einer Phase des wirtschaftlichen Gleit- oder sogar Sinkflugs.
Man muss feststellen: Die alte Bundesregierung hat
die Rahmenbedingungen geschaffen; sie wirken sich auf
den Arbeitsmarkt positiv aus. Die jetzige Bundesregierung hat etwas gemacht, was auch wir für richtig halten
und was sich ausgezahlt hat. Peer Steinbrück spricht immer von den zwei Tonlagen der Finanzpolitik: Auf der
einen Seite soll man die öffentlichen Haushalte sanieren,
konsolidieren und unnötige Ausgaben zurückfahren, und
gleichzeitig soll man auch dafür sorgen, dass Wachstum
auch mithilfe des Gesetzgebers und der öffentlichen
Hand entsteht. Beides haben wir gemacht. Die psychologische Bremse bei denjenigen, von denen wir erwartet
haben, dass sie investieren und konsumieren, um mehr
Binnennachfrage zu generieren - diese Bremse war
Ende 2005/Anfang 2006 noch vorhanden -, ist durch die
Politik der Bundesregierung gelöst worden.
Dazu haben bessere Abschreibungsbedingungen bei
Investitionen, die Unterstützung der privaten Haushalte
bei der Inanspruchnahme von Reparaturen und Dienstleistungen und selbstverständlich auch das Gebäudesanierungsprogramm - große Teile der damals noch auf
dem Bauch liegenden Bauindustrie und des Baugewerbes leben davon heute - einen hilfreichen Beitrag geleistet.
({1})
Das Baugewerbe ist bei der Beurteilung der Konjunktur immer ein wichtiger Beobachtungsgegenstand. Der
gesamte Baubereich verzeichnet zum ersten Mal wieder
Zuwächse von 3,6 Prozent. So viel hat es seit 1994 nicht
mehr gegeben. Diese Zuwächse hat es in erster Linie
nicht beim Einfamilienhausbau - aufgrund des Altersaufbaus unserer Bevölkerung brauchen wir dort keine
Zuwächse - gegeben, sondern beim Geschosswohnungsbau, bei der Sanierung des Bestandes und interessanterweise beim Industriebau. Das hat etwas mit den Investitionen zu tun. Auch die Bauindustrie lebt von
Investitionen. Hilfreich war zu guter Letzt die Tatsache,
dass auch der Bund und andere Ebenen der öffentlichen
Hand selbst im Bereich der Infrastrukturinvestitionen
nicht gerade kleinlich gewesen sind. Auch dort hat man
die Zukunft beherzt in die Hand genommen und dadurch
sowohl Wachstum als auch eine Menge Arbeitsplätze
geschaffen.
Ich bin Westfale, und, Herr Schui, ich neige nicht so
sehr dazu, mich übermäßig euphorisieren zu lassen. Ich
sage es einmal, wie es ein Westfale mit einem Höchstmaß an Euphorie sagen würde: So schlecht läuft’s nicht.
Vielen Dank.
({2})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
Eckhardt Rehberg.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Steigerung von Wirtschaftswachstum, Steigerung von Ausrüstungsinvestitionen und Bauinvestitionen, Steigerung der
Inlandsnachfrage, das sagt dem Einzelnen, der Arbeit
hat, aber insbesondere demjenigen, der Arbeit sucht,
noch nicht sehr viel. Kollege Schultz, mir ist es ähnlich
wie Ihnen im Januar 2005 gegangen: Ich hätte diese Entwicklung so nicht erwartet. Ich glaube, wenn man dies in
einem Gespräch mit Unternehmern oder mit Arbeitnehmern so beschrieben hätte, dann wäre einem erwidert
worden: Das ist nichts als Schönfärberei.
Als ich mich auf die heutige Aktuelle Stunde vorbereitet habe, war ich von den Arbeitsmarktzahlen, insbesondere im Osten, beeindruckt. Es gibt in Deutschland
keine geteilte Entwicklung. In den neuen Bundesländern
ist die Zahl der Arbeitslosen um 150 000 zurückgegangen; darunter - das ist besonders erfreulich - waren
25 000 Menschen unter 25 Jahren.
Weiter muss man sagen: Wir haben in den neuen Bundesländern einen Bestand von 133 000 offenen Stellen;
davon mehr als die Hälfte aus dem ungeförderten Bereich. Um das Gesamtstellenangebot zu schätzen, muss
man die Zahl der ungeförderten offenen Stellen mal drei
nehmen; so ergibt sich ungefähr die Richtgröße. So kann
man davon ausgehen, dass es in den neuen Bundesländern ein Gesamtangebot von 180 000 bis 200 000 ungeförderte Stellen gibt. Aus meiner Sicht ist es in diesem
Jahr die wesentliche Herausforderung, diese Stellen zu
besetzen.
Im Schiffbau gibt es einen Fachkräftemangel. Die Sozialpartner müssen einen Pool schaffen, damit sie das
Arbeitsaufkommen ausgleichen können; ich bin kein
Fan von Zeit- und Leiharbeitsfirmen. Nebenbei gesagt:
Im Augenblick ist es schwer, Schiffbauer oder Schweißer aus Polen anzuheuern; der Arbeitsmarkt ist ausgereizt. Schauen Sie ins verarbeitende Gewerbe!
Herr Kollege Schui, wichtiger, als Horrorszenarien an
die Wand zu malen und sich mit dem Auf und Ab zu befassen, ist es, sich Gedanken darüber zu machen, wie
man diese offenen Stellen mit qualifizierten Fachkräften
besetzt. Ich sage Ihnen eines voraus - so mutig bin ich
heute -: Wir werden zu Beginn des Jahres 2008 eine
ähnliche Situation wie heute haben. Die spannende
Frage in den kommenden Monaten wird also sein: Wie
besetzen wir die offenen Stellen, gerade auch in den
neuen Bundesländern?
({0})
Andere Zahlen sind aus meiner Sicht genauso beeindruckend. Auch beim CO2-Gebäudesanierungsprogramm gibt es keine geteilte Entwicklung. Wenn man
den Bevölkerungsanteil zugrunde legt, stellt man fest,
dass die ERP- und KfW-Programme in den neuen Bundesländern deutlich überproportional in Anspruch genommen werden. Bei den ERP-Programmen gibt es insgesamt einen Zuwachs von 3,1 Milliarden Euro in 2005
auf 5,1 Milliarden Euro in 2006. Das ist ein Zuwachs um
fast zwei Drittel. Wer sich ein bisschen mit den ERPProgrammen auskennt, der weiß, dass es hierbei um
Gründerprogramme für kleine und mittelständische Unternehmen geht. Über diese Investitionsprogramme werden die Arbeitsplätze von morgen geschaffen.
Nehmen Sie die Programme aus dem Bundeswirtschaftsministerium: Inno-Watt, NEMO, Pro Inno usw.
Sie sind gegenüber dem letzten Jahr deutlich - um
25 Millionen Euro - aufgestockt worden. Mehr als
50 Prozent fließen in die neuen Bundesländer. Angesichts dieses Zahlenreigens bin ich fest davon überzeugt,
dass dies keine Einmalentwicklung ist.
Herr Brüderle, natürlich haben die Menschen in
Deutschland den Hauptanteil an dieser Entwicklung;
aber ohne vernünftige politische Rahmenbedingungen
kommt es nicht zu solch einer positiven Entwicklung.
Ich glaube, der Dreiklang, den wir in der großen Koalition gewählt haben - Sanieren, Reformieren und Investieren -, ist der richtige Ansatz.
({1})
Zum Schluss möchte ich Ihnen eine Meldung aus der
„Ostsee-Zeitung“ von heute in Bezug auf MecklenburgVorpommern zeigen:
Top 100: Jede dritte Firma stellt wieder mehr Leute
ein
Ich wünsche mir, dass ich, wenn ich hier im Januar 2008
wieder reden darf, davon berichten kann, dass nicht jede
dritte, sondern jede zweite Firma neue Beschäftigte einstellt.
Herzlichen Dank.
({2})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Andreas
Steppuhn das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Es geht aufwärts in Deutschland,
und das ist gut so. Es ist ein Anlass, uns auch einmal zu
freuen.
({0})
Die konjunkturelle Situation in Deutschland hat sich
spürbar und nachhaltig verbessert. Die Binnennachfrage
hat sich deutlich erhöht; die Wachstumsraten belegen
dies.
Dies ist auch auf dem Arbeitsmarkt spürbar. Wir können eine insgesamt sinkende Arbeitslosigkeit bei einer
gleichzeitig steigenden Anzahl von offenen Stellen verzeichnen. Wohlgemerkt: Dies ist ein Anstieg bei den
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Im Jahresdurchschnitt gab es im Vergleich zum Vorjahr rund
400 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr.
Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Arbeitslosen im
Bundesdurchschnitt um 374 000, das heißt um 7,7 Prozent, zurückgegangen - ein deutlicher Erfolg.
Die - nicht nur wegen der Fußball-WM - entstandene
positive Grundstimmung und das Wachstum müssen
weiter forciert werden. Beschäftigungspolitisch ist dies
die Chance, wieder mehr junge Menschen in Arbeit und
vor allem in Ausbildung zu bringen, was auch schon geschehen ist. Aber es bietet sich uns auch die Möglichkeit,
die sogenannte Generation „50 plus“ und gerade qualifizierte ältere Arbeitnehmer wieder neu in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Besonders erfreulich ist - das ist schon angesprochen
worden -, dass es auch in der heimischen Bauwirtschaft
wieder aufwärtsgeht. Schon seit langem hatten wir nicht
mehr eine so niedrige Winterarbeitslosigkeit im Baugewerbe. Dies hat nicht nur etwas mit dem milden Wetter
zu tun. Wir haben nicht nur ein viel höheres Auftragsvolumen, sondern wir haben im vergangenen Jahr außerdem arbeitsmarktpolitisch die Einführung des Saisonkurzarbeitergeldes für die Beschäftigten am Bau
beschlossen. Auch das hat dazu geführt, dass Winterarbeitslosigkeit nicht mehr in dem Maße wie in der Vergangenheit vorhanden ist.
Wesentlich für die positive konjunkturelle Situation
im Baugewerbe sind jedoch das von der Bundesregierung aufgelegte Investitionsprogramm im Rahmen der
energetischen Gebäudesanierung sowie die Wirkung der
verbesserten steuerlichen Absetzbarkeit von Handwerker- und Dienstleistungen. Zusammen ist dies ein Konjunkturprogramm, das insbesondere dem Handwerk mit
seinen vielen kleinen, aber auch mittelständischen Unternehmen sowie den dort beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zugutekommt. Die Konjunkturlokomotive Bau steht wieder unter Dampf und das ist
gut für die Konjunktur und die gesamte Wirtschaft.
Positive Wachstumsraten hier, ausgelöst durch Investitionen im Inland, aber auch anhaltend hohe Wachstumsraten im Export und zugleich eine verbesserte Binnennachfrage müssen in diesem Jahr - das sage ich, auch
wenn der Wirtschaftsminister das vielleicht nicht ganz
so gern hört - Auswirkungen auf die Lohnpolitik der Tarifvertragsparteien haben.
({1})
Es gilt, die Binnennachfrage weiter zu stärken, auch
durch eine erhöhte Kaufkraft, sodass der Weg dafür eigentlich frei sein dürfte. Ich will die Tarifvertragsparteien ausdrücklich dazu ermuntern, sich im Rahmen
ihrer Lohnpolitik wieder auf höhere Löhne zu verständigen. Am Wachstum sollten auch diejenigen teilhaben,
die mit dazu beigetragen haben, nämlich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Gewerkschaften haben
daher die volle Unterstützung von uns Sozialdemokraten, wenn es darum geht, in diesem Jahr wieder einmal
höhere Löhne durchzusetzen. In den Branchen, in denen
es besonders gut geht, kann die Lohnerhöhung, der sogenannte Schluck aus der Pulle, durchaus größer ausfallen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns diese gute
konjunkturelle Entwicklung, flankiert von einer beschäftigungspolitisch wirksamen Investitionstätigkeit und einer vorwärtsgerichteten Arbeitsmarktpolitik, nutzen, um
in Deutschland noch mehr Menschen wieder in Arbeit zu
bringen! Die Rahmendaten stimmen. Die von Rot-Grün
begonnene und von der Großen Koalition fortgesetzte
Politik trägt erste Früchte. Es gibt noch viel zu tun. Packen wir es weiter gemeinsam an!
({2})
Für die Unionsfraktion hat die Kollegin Lena Strothmann das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Stimmung verbessert“, „Geschäftsklima auf Zehnjahreshoch“, „Umsätze und Aufträge deutlich angezogen“,
„Beschäftigtenabbau stark verlangsamt“, „Investitionen
gestiegen“ - das sind nach zehn Jahren der Rezession
und nach harten Einschnitten positive Meldungen aus
dem Handwerk.
({0})
Seit 1995 hat das Handwerk über 1,8 Millionen Arbeitsplätze abbauen müssen, allein im Kammerbezirk
Ostwestfalen-Lippe 50 000. Zum Vergleich: Das sind
deutlich mehr, als im Steinkohlenbergbau in ganz Nordrhein-Westfalen beschäftigt sind.
„Handwerk“ heißt fast immer: lebenslang in Deutschland. 95 Prozent aller Handwerksbetriebe sind ausschließlich im Inland tätig. Nur 5 Prozent sind exportorientiert. Natürlich bemühen sich die Kammern, diesen
Anteil zu erhöhen, aber der Wirtschaftszweig Handwerk
ist in starkem Maße von der Binnenkonjunktur abhängig.
Aber auch im Handwerk - das ist die gute Nachricht - ist
der Aufschwung endlich angekommen. Dies hat Auswirkungen auf 950 000 Betriebe, 4,8 Millionen Beschäftigte und 480 000 Auszubildende in Deutschland. Ein
Drittel der kleinen und mittleren Betriebe in Deutschland
sind Handwerksbetriebe; wenn es ihnen gut geht, dann
geht es auch dem Land gut.
Die Gründe für den Aufschwung sind klar: die allgemeine Stimmung - denn auch hier trifft die alte Weisheit
zu, wonach 50 Prozent der Wirtschaft Psychologie sind -,
Vorzieheffekte wegen der Mehrwertsteuererhöhung und
unsere politischen Maßnahmen.
Zwei dieser politischen Maßnahmen haben besondere
Auswirkungen auf das Handwerk. Erstens gilt dies für
das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Die Nachfrage
bei Eigentümern, Vermietern und Kommunen ist ungebrochen hoch. Die Baufirmen bekommen kaum noch
Dämmmaterial, wie wir eben schon gehört haben. Auch
das ist ein Indiz für die große Nachfrage. Drei Viertel
des Wohnungsbestandes in unserem Land stammen aus
der Zeit vor der ersten Wärmeschutzverordnung von
1978. Das bedeutet einen enormen Sanierungsbedarf.
Das genannte Programm ist mehrfach erfolgreich: Es
spart Energie und verbessert die Wohnqualität, es vermindert CO2-Emissionen und schützt die Umwelt, und
es kurbelt die Baukonjunktur an und schafft Arbeitsplätze. Zur Erinnerung: 1 Milliarde Euro Investitionen
schaffen oder sichern 25 000 Arbeitsplätze.
({1})
Die Konjunkturlokomotive innerhalb des Handwerks
ist das Baugewerbe, das mehr als 40 Prozent des gesamten Handwerks ausmacht. Auch die zweite politische
Maßnahme, die Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen bei der Einkommensteuer, setzt auf die Zugkraft der
Bauwirtschaft. Wir hören, dass unsere Betriebe bereits
für die Zeit bis weit ins Frühjahr hinein Aufträge akquirieren konnten und so dem befürchteten Dämpfer durch
die Mehrwertsteuererhöhung entgehen werden.
Beim Einstellen neuer Mitarbeiter agieren die Handwerksbetriebe noch verhalten. Allerdings ist die Zahl der
Insolvenzen rückläufig, und die Investitionsquote steigt.
Derzeit fließt ein großer Teil der Investitionen nur in Ersatz- und Reparaturinvestitionen; der Anteil der Neuinvestitionen muss noch höher werden. Erfreulich ist
ebenso, dass die Auszubildendenquote steigt, weil gerade die Ausbildung junger Menschen an Aufträge und
Perspektiven für die Zukunft gebunden ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der momentane
wirtschaftliche Aufschwung ist noch kein Selbstläufer.
Wir haben wichtige Impulse gesetzt, aber für einen andauernden Aufschwung sind weitere Maßnahmen notwendig. Als Stichworte nenne ich den Bürokratieabbau,
die Unternehmensteuerreform und die weitere Senkung
der Lohnzusatzkosten. Aber auch das Innovationsprogramm für KMU von Frau Schavan ist ein wichtiger Ansatz. Gerade im Handwerk sind die Themen Innovation
und Bildung von Bedeutung. Abgesehen davon, dass
Innovation ein häufig genutzter Begriff ist, sind Innovationen bei Produkten, Dienstleistungen und Managementmethoden für die Zukunft des Wirtschaftszweiges
Handwerk bedeutend. Eine Prognos-Studie mit dem Titel „Zukunft Handwerk!“ hat dem Handwerk ausdrücklich Innovationsfähigkeit bestätigt.
({2})
Meine Damen und Herren, wir sind auf einem guten
Weg. Man stelle sich vor, nur jeder zweite Handwerksbetrieb in Deutschland könnte einen weiteren Mitarbeiter einstellen: Wir hätten 500 000 Arbeitslose weniger.
Machen wir also weiter so!
Herzlichen Dank.
({3})
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Duin das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In dieser Aktuellen Stunde wurde schon von vielen gesagt, dass wir nach etwas mehr als einem Jahr Großer
Koalition in der Tat Grund haben, jetzt, Mitte Januar,
einmal einen positiven Blick zurück auf das Jahr 2006 zu
werfen. Dafür, dass dies vonseiten der Opposition natürlich mit einem grauen Schleier versehen werden muss,
dass man diesen Optimismus und die hier angesprochene
gestiegene Euphorie in Deutschland nicht teilen kann,
habe ich Verständnis.
({0})
Dann war es eben nicht die Politik, sondern Klinsmann,
sagt Herr Brüderle; Petrus und alles Mögliche wird bemüht, nur mit der Großen Koalition und der Politik der
Großen Koalition habe es angeblich nichts zu tun. Herr
Schui redet von Euphoriewachstum, weil natürlich eine
Partei wie die Linkspartei PDS nicht von Euphorie lebt,
sondern von Depression
({1})
und es deswegen viel besser wäre, wenn es nicht so gut
liefe in Deutschland.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir den Optimismus, den viele Menschen in diesen Wochen und Monaten zurückgewinnen, nutzen müssen. Wir müssen sagen:
Wir sehen bei der Globalisierung nicht nur die Gefahren,
sondern wir sehen auch die Chancen und wir stellen uns
erfolgreich dem Wettbewerb.
({2})
- Wie bitte? Wenn Sie Zwischenrufe machen, dann machen Sie sie so, dass ich sie hören kann, dann kann ich
auch darauf reagieren; ansonsten muss ich sie erst im
Protokoll nachlesen. - Wir stellen uns diesen Märkten,
aber eben nicht nur mit Blick auf die Kosten, sondern
vor allen Dingen mit Blick auf die Qualität. Deutschland
hat auf den Weltmärkten dann eine Chance, wenn wir
auf Qualität setzen, wenn wir uns spezialisieren, wenn
wir innovativ sind, und nicht dann, wenn wir glauben,
wir könnten es durch immer niedrigere Kosten schaffen,
in diesem Wettbewerb erfolgreich zu sein. Deswegen
brauchen wir gerade in solchen Debatten, wie wir sie
hier heute führen, eine andere, eine neue Qualität von
Standortdebatte, die nicht einseitig auf vermeintliche
Starrheiten des Arbeitsmarktes, auf Kosten und Steuern
ausgerichtet ist, sondern die die Bedingungen für einen
Qualitätswettbewerb in den Mittelpunkt stellt.
({3})
Wir haben hier immer wieder von den angeblichen
Starrheiten des Arbeitsmarktes gehört. Ich bin aber überzeugt, dass wir, wenn wir immer nur über Kündigungsschutz und dessen Abschaffung reden, über die Mitbestimmung, die angeblich zu weit ginge und an die man
auch die Axt anlegen müsse, genau das nicht erreichen,
was die Menschen in diesem Land brauchen, nämlich
das Gefühl von Sicherheit. Das Gegenteil erreichen wir,
wenn wir ihnen ihre erkämpften Rechte wegnehmen
wollen!
({4})
Lassen Sie uns deswegen wegkommen von einer Defensivstrategie, die mit Vorschlägen von tariffreien Zonen
bis hin zu pauschalen Arbeitszeitverlängerungen garniert
ist. Lassen Sie uns in eine offensive Strategie des Qualitätswettbewerbes einsteigen und Innovation als Schlüssel
zur wirtschaftlichen Weiterentwicklung in Deutschland
sehen. Natürlich ist Deutschland ein Hochlohnland; das
soll es auch bleiben. Das sage ich nicht zuletzt mit Blick
auf Herrn Schui und seine Bemerkungen hier heute. Er
hat sogar höhere Löhne gefordert, als das die Gewerkschaften tun. Herr Schui, ich glaube, es ist richtig, wenn
wir den Tarifvertragsparteien und den Gewerkschaften
genügend Kompetenz zutrauen, diese Forderungen selber
zu stellen, und uns nicht als Politik besserwisserisch einmischen. Gleichwohl will ich hier deutlich machen, dass
man denen, die dort verhandeln, schon klar sagen kann: In
einer wirtschaftlich so positiven Zeit wie der jetzt zu verzeichnenden ist es richtig, ordentliche Tarifabschlüsse zu
machen. Aber überlassen Sie das den Tarifvertragsparteien, und lassen Sie uns nicht von außen schlaue Vorschläge machen.
({5})
- Man kann sie unterstützen auf diesem Weg.
Klar ist jedenfalls, dass wir in Deutschland auf bessere Produkte und Dienstleistungen setzen müssen und
nicht auf billigere Löhne, so wie das von manchen nach
wie vor eingefordert wird. Dasselbe gilt natürlich auch
in der Debatte um die Mindestlöhne. Wir werden - das
ist in diesen Tagen auch durch die Medien gegangen - in
einigen Bereichen, was das Entsendegesetz angeht,
schon zu konkreten Maßnahmen kommen. Wir werden
das in den nächsten Wochen und Monaten sicherlich
noch weiter diskutieren müssen. Aber seien Sie sicher:
Die Menschen in Deutschland haben zu Recht die Erwartung an die Große Koalition, dass wir beim Thema
Mindestlöhne etwas zustande bringen. Wir werden das
in den nächsten Wochen und Monaten umsetzen, damit,
wie ich eben schon gesagt habe, neben den positiven
wirtschaftlichen Zahlen auch ein Gefühl von Sicherheit
in dieser Gesellschaft entsteht, das sich darin ausdrückt,
dass nicht mehr Abstieg droht, sondern Aufstiegsmöglichkeiten geboten werden. Dafür wollen wir als Große
Koalition arbeiten.
Vielen Dank.
({6})
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 18. Januar 2007,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch
einen erfolgreichen und vielleicht auch erholsamen
Abend.