Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/17/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle sehr herzlich zur ersten Sitzung des Bundestages in diesem Jahr. Ich wünsche Ihnen allen ein gesundes, ({0}) ein friedvolles, ein glückliches und natürlich auch ein erfolgreiches Jahr 2007. ({1}) Vor allem wünsche ich uns viel Kraft und Gesundheit, damit wir unsere Aufgaben und unsere Verantwortung so wahrnehmen können, wie es die Bevölkerung von uns erwartet. ({2}) - Herzlichen Dank. Bezeichnenderweise beschäftigen wir uns gleich in unserer ersten Sitzung mit der Gesundheitsreform. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung ({3}) - Drucksachen 16/3950, 16/4020 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({4}) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt. ({5})

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich den guten Wünschen der Präsidentin anschließen. Ich freue mich auf weiterhin anregende, manchmal heftige, hoffentlich aber immer konstruktive Debatten, die wir führen müssen, wenn wir für die Menschen in unserem Lande eine gute Gesundheitsversorgung organisieren wollen. ({0}) - Ich habe ausnahmsweise einmal Herrn Spieth angesehen. ({1}) Meine Damen und Herren, durch die Gesundheitsreform werden wir die Versorgung der Patienten verbessern und den notwendigen Wettbewerb in unserem Gesundheitssystem stärken. Die Reform kommt. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein guter Gesetzentwurf. Zum Wesen der parlamentarischen Demokratie gehört der Kompromiss. Wir, die Koalitionsfraktionen, haben einen guten Kompromiss erzielt. In den letzten Wochen haben wir über viele Änderungsanträge und Ergänzungsvorschläge debattiert. Die Anregungen der Länder haben wir ebenso aufgegriffen wie sachliche Vorschläge und Forderungen, die sich aus den Anhörungen ergaben. An der Grundausrichtung der Reform - mehr Wettbewerb für eine bessere Versorgung - halten wir fest. Redetext Einige Änderungen möchte ich besonders hervorheben. Künftig wird für alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland eine Pflicht zur Versicherung bestehen. Für diejenigen, die gesetzlich krankenversichert sind, besteht bereits eine Versicherungspflicht; hier werden die letzten Lücken geschlossen. In Zukunft wird allerdings auch für privat Krankenversicherte eine Pflicht zur Versicherung eingeführt. ({2}) Dann werden erstmals alle Menschen in Deutschland gegen das Risiko Krankheit umfassend abgesichert sein. Ich betone: Bei der Lösung dieses Problems geht es nicht nur um diejenigen, die bisher unversichert sind - das ist leider eine wachsende Zahl von Menschen -, sondern auch um zukünftige Generationen. Auch sie müssen wissen: Die Behandlung von Krankheiten ist heutzutage nicht selten sehr aufwendig und teilweise sehr teuer. Niemand - auch kein etwas besser Verdienender - kann die Behandlung einer schweren, zum Beispiel chronischen Erkrankung aus eigener Tasche zahlen. Deshalb hat der Staat die Aufgabe, die Menschen gegen dieses Risiko umfassend abzusichern. Konkret ist vorgesehen, dass sich all diejenigen, die weder gesetzlich noch privat versichert sind noch über einen anderen Anspruch auf Leistungen im Krankheitsfall verfügen, ab 2009 in einem Tarif der privaten Krankenversicherung versichern müssen, der mindestens ambulante und stationäre Leistungen umfasst. Dabei besteht im vorgesehenen Basistarif der privaten Krankenversicherung ein Kontrahierungszwang. Dieser Basistarif wird so ausgestaltet, dass er bezahlbar bleibt. ({3}) Das Problem der wachsenden Zahl Nichtversicherter gehen wir früher an als geplant. Ehemals gesetzlich Versicherte müssen sich ab dem 1. April dieses Jahres gesetzlich versichern. Ehemals privat Versicherte können sich ab dem 1. Juli dieses Jahres ohne Risikozuschläge, ohne Risikoprüfung, ohne Leistungsausschlüsse im heutigen Standardtarif der privaten Krankenversicherung versichern; er wird also für alle bisher Unversicherten, die der privaten Krankenversicherung zuzuordnen sind, geöffnet. Ab 2009 werden diese Versicherten in den Basistarif wechseln können, der dann den bisherigen Standardtarif ablöst. Auch die privat Krankenversicherten dürfen finanziell nicht überfordert werden. In einem System, das Unternehmen weitgehende Gestaltungsfreiheiten für die einzelnen Tarife gibt, dürfen die Prämien für ältere Versicherte, die angeblich durch Altersrückstellungen gedeckt sind, nicht ins Unermessliche steigen, vor allen Dingen aber keine Sozialhilfebedürftigkeit auslösen. Diesen Versicherten steht künftig der Weg in den Basistarif offen, bei dem die Bezahlbarkeit ebenso garantiert wird wie die Behandlungspflicht. Wenn jetzt vonseiten der privaten Krankenversicherungen bzw. deren Interessenvertretern der Gang nach Karlsruhe angedroht wird, dann sage ich: Dem sehe ich gelassen entgegen. Denn die Verantwortung des Staates, die medizinische Versorgung der gesamten Bevölkerung sicherzustellen, muss nach unserer Verfassung Vorrang haben vor Lobbyinteressen und hat dies auch. ({4}) Aber auch was die gesetzliche Krankenversicherung angeht, haben wir sinnvolle Veränderungen vereinbart, zum Beispiel, dass wir keine Rehaleistungen erster und zweiter Klasse wollen. Deshalb machen wir alle Rehabilitationsleistungen künftig zu Regelleistungen. Damit reagieren wir auf die Drohung der Krankenversicherungen, in diesem Bereich Einschnitte vorzunehmen. Nebenbei gesagt: Ich halte es schon für merkwürdig, wenn eine Branche androht, die Qualität der Leistungen einzuschränken, und gleichzeitig verkündet, dass alles teurer wird. ({5}) Geeinigt haben wir uns auch darauf, was die Regelungen bezüglich der Verbände angeht, bei der Reform zu bleiben. Ebenso bleiben wir dabei, dass wir die Insolvenzfähigkeit auch der landesunmittelbaren Kassen einführen wollen. Wir haben sorgfältig beraten, wie wir sicherstellen können, dass die Rechte der Beschäftigten bei Veränderungen gewahrt bleiben. Die Beschäftigten müssen sich also keine Sorgen machen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Montag?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Ja. ({0})

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke für die Witze. ({0}) Danke, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, Sie haben gerade gesagt, dass Sie einer verfassungsrechtlichen Überprüfung des Gesetzentwurfs mit Gelassenheit entgegensehen. Ich möchte Sie davon in Kenntnis setzen, dass der Rechtsausschuss heute Vormittag sehr lange und intensiv über die verfassungsrechtlichen Implikationen dieses Gesetzentwurfs diskutiert hat. Dabei sind aus allen Fraktionen erhebliche Bedenken geäußert worden, auch aus den Reihen der Koalition, sowohl aus den Reihen der SPD als auch aus den Reihen der CDU/CSU, und zwar nicht nur vom Kollegen Merz, sondern auch von vielen anderen. Sie können diese Argumente noch nicht kennen, weil der Rechtsausschuss gerade erst getagt hat. Aber meine Frage an Sie lautet: Sind Sie persönlich und ist Ihr Haus bereit, diese Diskussion im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zum Anlass zu nehmen, die verfassungsrechtlichen SchwierigJerzy Montag keiten dieses Gesetzentwurfs noch einmal zu überprüfen? ({1})

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Montag, ich bin darüber informiert, dass Sie heute Morgen mit der Bundesjustizministerin und dem zuständigen Staatssekretär des Innenministeriums sehr intensiv über diese verfassungsrechtlichen Fragen diskutiert haben. Das, was im Gesetzentwurf steht, haben wir durch unsere Verfassungsressorts sehr intensiv prüfen lassen. Die private Krankenversicherung sagt, es sei verfassungsrechtlich nicht zulässig, dass sie Menschen auch ohne Prüfung des Gesundheitsrisikos mit einem Basistarif versichern muss. Ich sage Ihnen und bin mir dabei sehr sicher - darum ging es auch bei meinem Redebeitrag in dieser Diskussion eben -: Ich hielte es für ein falsches Verständnis unserer Verfassung, wenn der Schutzauftrag des Staates, aufgrund dessen er dafür zu sorgen hat, dass jeder Einzelne in diesem Lande das Recht auf die notwendige und für ihn bezahlbare Gesundheitsversorgung hat, nicht höher als einseitige Geschäftsinteressen der privaten Krankenversicherungen anzusehen wäre. ({0}) Zu dieser Frage habe ich viele Urteile gelesen. Die Entscheidungen der Gerichte waren immer sehr eindeutig, weil der Schutzauftrag des Staates höher als die vielen Einzelinteressen anzusetzen ist, die im Gesundheitswesen stärker als in anderen Bereichen unseres Gemeinwesens ausgeprägt sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich abschließend noch etwas zu den Bedenken und Interessen sagen, die die Länder und Regionen artikuliert haben. Es ist klar: Spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Risikostrukturausgleich ist die gesetzliche Krankenversicherung eine Solidargemeinschaft, wie das bereits seit 1989 auch in § 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch formuliert ist. Deswegen ist Solidarität nicht teilbar. ({1}) Bei der Neuordnung und Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung mittels des Gesundheitsfonds ab 2009, der zu mehr Gerechtigkeit und Solidarität führt, werden wir auch darauf achten, dass keines der Länder eine überproportionale Belastung für seine Versicherten tragen muss. Wir wollen den Fonds; denn durch ihn wird das Geld der Versicherten unabhängig vom Einkommen gebündelt. Eine Krankenkasse hat nämlich überhaupt keinen Einfluss darauf, ob sie in Regionen tätig ist, in denen viele Menschen mit einem niedrigen Einkommen leben, und ob ihr viele kranke Versicherte angehören. Deshalb werden wir das Geld über den Fonds zusammenführen, die Einkommen zu 100 Prozent ausgleichen und mit der Einführung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs dafür sorgen, dass an die Krankenkassen, bei denen viele kranke Menschen versichert sind, mehr Geld fließt als an die Krankenkassen, bei denen mehr gesunde Menschen versichert sind. Gleichzeitig geben wir den Kassen mehr Möglichkeiten an die Hand, die Versorgung über Rabatt-, Mengen- und Preisverhandlungen sowie mit Qualitätsvereinbarungen und neuen Tarifen besser und wirtschaftlicher zu organisieren. Die Belange der neuen Länder sind in diesem Gesetz besonders stark berücksichtigt. Sie sind eindeutig die Gewinner eines vollständigen Finanzkraftausgleichs, und aufgrund der Bevölkerungsstruktur profitieren sie auch von dem neuen morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Bunge?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Frau Bunge.

Dr. Martina Bunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003743, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, Sie haben eben die Umverteilungswirkungen des Fonds und bestimmte Vorteile für die neuen Bundesländer dargestellt, zu denen es zugegebenermaßen kommen kann. Sie sagen, das Grundkonstrukt des Fonds werde nicht zu Mehrbelastungen für die Versicherten führen. Sie selbst haben aber diesen Fonds so angelegt, dass im Jahr 2010 nur noch 95 Prozent der Ausgaben daraus gedeckt werden sollen. Wie kann das Geld, das im Fonds gebündelt wird und dann nur 95 Prozent der Ausgaben decken soll, zur Entlastung oder wenigstens zur Beibehaltung des Status quo von Versicherten dienen? Schließlich haben die Krankenkassen auch andere Einnahmeausfälle zu verzeichnen, beispielsweise dadurch, dass Sondertarife vereinbart werden. Die Ausgaben bestehen zudem fort; auch die Krankenkassen haben Mehrbelastungen zu tragen.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Bunge, ich glaube, Sie sind einem Irrtum aufgesessen. Denn wenn der Fonds 2009 startet, werden die Ausgaben zu 100 Prozent daraus gedeckt. Nirgends ist schriftlich festgehalten, dass ab 1. Januar 2010 nur noch 95 Prozent der Ausgaben gedeckt werden. Das ist auch gegenwärtig nicht der Fall. Denn diese 5 Prozent würden, bezogen auf die heutigen Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung, rund 7,5 Milliarden Euro ausmachen. Wir setzen auf mehrere Instrumente. Erstens beginnen wir ab dem kommenden Jahr mit der aufwachsenden und gesicherten Steuerfinanzierung des Gesundheitssystems, ({0}) und zwar bis zu einer Gesamtsumme von 14 Milliarden Euro. Das entspricht etwa 10 Prozent der heutigen Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung. Zweitens hoffen wir, dass die Entwicklung anhält, mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu schaffen, die sich am Arbeitsmarkt abzeichnet. Es sind immerhin 400 000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden; dabei konnten - was besonders wichtig ist rund 200 000 Langzeitarbeitslose in Beschäftigung überführt werden. Wir hoffen, dass dieser Trend anhält und bis 2009 weitere Einnahmezuwächse zu verzeichnen sind. Wir setzen drittens hinsichtlich der in den nächsten zwei Jahren zu leistenden schwierigen Aufgabe, den Schuldenabbau tatsächlich abzuschließen, darauf, dass die einzelnen Kassen eine bessere Finanzbasis haben, wenn sie 2009 in den Fonds starten. Viertens sind die Maßnahmen zur Effizienzsteigerung und mehr Wirtschaftlichkeit und die gesamten Veränderungen, die wir in der Organisation der Krankenkassen auf den Weg bringen, zu nennen, die zu weiteren Einsparungen führen mit dem Ziel, dass jeder Euro zielgenau für die Versorgung kranker Menschen ausgegeben wird. Überall da, wo heute noch Ausgaben getätigt werden, die nicht notwendig sind, wollen wir dies einschränken. Ich kann Befürchtungen zum Zusatzbeitrag nicht teilen. Langfristig gibt es in Bezug auf dessen Höhe schon dadurch eine Sicherung, dass die Ausgabendeckung durch den Fonds nie unter 95 Prozent sinken darf. Gegebenenfalls müssten mehr Steuermittel zur Verfügung gestellt werden oder die Beiträge von Arbeitgebern und Versicherten gleichermaßen angehoben werden, damit der Fonds das Gesundheitswesen wieder zu 100 Prozent finanzieren kann. Lassen Sie mich noch kurz auf die Frage eingehen, wie mit der Reform auch für die Ärztinnen und Ärzte eine bessere Planbarkeit erreicht wird. Wir haben auch die Maßnahmen zur Honorarreform so weit entbürokratisiert, dass wir 2009 tatsächlich mit ihrer Umsetzung beginnen können. Vor allem in den neuen Ländern wird nach der Reform der ärztlichen Vergütung mehr Geld zur Verfügung stehen. Wir werden die Schritte, die wir bis 2009 durchführen wollen, um der bestehenden oder drohenden Unterversorgung durch höhere Arzthonorare zu begegnen, so organisieren, dass schon in den nächsten zwei Jahren mehr Geld dafür zur Verfügung steht, um zu wirklichen Veränderungen zu kommen. ({1}) Wir werden die parlamentarische Beratung der zahlreichen Änderungsanträge fortsetzen und abschließen. Wir werden dieses Gesetz auf den Weg bringen. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Gesetz am 1. April in Kraft treten wird. Was alle in der Diskussion zum Nachdenken anregen sollte, sind die Interviews, die mittlerweile von den Vorsitzenden der großen Krankenkassen gegeben werden. Jenseits der Proteste weisen sie darauf hin, welche neuen Chancen, besseren Versorgungsmodelle und Möglichkeiten für die Krankenkassen ab 1. April bestehen. Die Krankenkassen können eine gute Versorgung organisieren und sollten den Ehrgeiz haben, in den nächsten zwei Jahren die Voraussetzungen zu schaffen, gut vorbereitet in die neue Finanzierung einzusteigen. Ich glaube, hier sollten wir unterstützen und Druck machen. Für die kranken Menschen ist dies das Beste. Vielen Dank. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Heinz Lanfermann für die FDP-Fraktion. ({0})

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frau Ministerin hat versucht, das Thema der Verfassungswidrigkeit ein bisschen an die Seite zu schieben. Ich will aber gern darauf eingehen, nicht nur weil im Rechtsausschuss heute Morgen darüber gesprochen wurde, sondern auch weil wir die bemerkenswerte Äußerung von Kollegen Bosbach und anderen gehört haben, dass hier doch erhebliche Bedenken bestehen. Tatsächlich laufen eher diejenigen, die sich hinter die Stellungnahme von BMJ und BMI stellen, Gefahr, ihren juristischen Ruf zu beschädigen; denn diese Stellungnahme zeigt ganz deutlich, dass gewisse Prüfungen, die unbedingt notwendig gewesen wären, nicht stattgefunden haben. ({0}) Schon auf Seite 2 dieser Stellungnahme wird zum Basistarif ausgeführt, er sei angemessen und den Unternehmen zumutbar. Zur Begründung: Ihnen verblieben voraussichtlich angemessene Verdienstmöglichkeiten. Allerdings lägen belastbare Zahlen, die deutlich machten, wie sich der Kontrahierungszwang letztlich exakt auswirken werde, nicht vor. „Voraussichtlich“ und „Zahlen liegen nicht vor“: Das ist das Eingeständnis, das die Beamten aus den beteiligten Häusern schon am 13. Dezember 2006 im Gesundheitsausschuss machen mussten. Auf meine mehrfachen und eindringlichen Fragen, von welchen Daten und Zahlen sie denn bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ausgegangen sind - darum geht es bei der Belastung der Bestandsversicherten, der Altkunden, die zur Quersubventionierung des Basistarifs höhere Beiträge zahlen werden -, wurde keine Antwort gegeben bzw. konnte keine gegeben werden. Die Vertreterin des Justizministeriums hat ausdrücklich betont, dass sie, also das Haus, nur den verfassungsrechtlichen Rahmen darstellen könne; sie arbeiteten nicht mit Zahlen; das machten die Fachministerien. ({1}) Die Fachministerien machen es offensichtlich nicht; denn als das Fachministerium im Gesundheitsausschuss danach gefragt wurde, wie viele Altversicherte, freiwillig gesetzlich Versicherte und Neukunden voraussichtlich in den Basistarif wechseln, bekam man keine Antwort. Vielmehr bekommt man nur Plattitüden zu hören, insbesondere von Frau Caspers-Merk. ({2}) Sie sagte, Prognosen seien immer ungewiss und man müsse die Entwicklung abwarten. Am tollsten wird es dann, wenn man nachfragt, wie es sich finanziell auswirkt. Dann heißt es nur: Das wissen wir nicht. - Aber das muss die private Krankenversicherung, die PKV, wissen. Sie muss ausrechnen können, welche Folgen dieses Gesetz hat. Das erinnert mich an die Wildwestfilme. Dort wird nicht gleich geschossen, sondern dem Opfer zuerst der Spaten in die Hand gedrückt. Das ist der Unterschied. ({3}) Diese Stellungnahme der Ministerien geht - nehmen insbesondere Sie von der Union bitte Folgendes zur Kenntnis; das habe ich irgendwo in den Untiefen von Kopien gefunden - von bestimmten, vom Fachressort übermittelten Sachverhalten und Annahmen aus, bei deren Eintreten der Gesetzentwurf als verfassungskonform bewertet werden kann. Dieser Satz fehlt leider in dem Schreiben der beiden Staatssekretäre. Aber er hätte sich auch dort sehr schön gemacht. Das Gesundheitsministerium hat nichts geliefert. Die Verfassungsressorts haben im luftleeren Raum geprüft. Es fällt mir schwer, angesichts dessen das Wort „geprüft“ in den Mund zu nehmen. Denn eines ist klar: Sowohl der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit als auch der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der Versicherten sind dann verfassungswidrig, wenn die Beiträge so stark steigen, dass die Steigerung nicht mehr zumutbar ist. Die Zumutbarkeit kann man aber nur messen, wenn man einen Prozentsatz angibt, ab dem es unzumutbar wird. Irgendwo muss eine Grenze sein. Wenn ich aber keine Zahl habe, dann kann ich auch keine Grenze feststellen. Das ist die Art, wie hier Gesetze gemacht werden. Wenn sich dann Verfassungsressorts dazu hergeben, den Stempel „verfassungsgemäß“ aufzudrücken, dann braucht man sich über Reaktionen aus allen Fraktionen, in denen es noch genügend Abgeordnete gibt, die nicht einfach die Augen nach dem Motto „Einfach mal durch, und dann sehen wir“ verschließen, nicht zu wundern. Solange es solche Abgeordnete gibt, haben wir noch die Hoffnung, dass auf die Verfassung geachtet wird. Wenn Sie, Frau Schmidt, das nicht tun, dann geht es Ihnen und den Abgeordneten so, wie es damals den betreffenden Abgeordneten beim Europäischen Haftbefehl gegangen ist, als sich die Richter in Karlsruhe nur noch gewundert haben, was sich Abgeordnete alles von der Regierung vorlegen lassen, ohne die einfachsten Dinge nachzuprüfen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Jens Spahn für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Einbringung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, der nach der Behandlung im Bundesrat zu uns kommt, gibt uns Gelegenheit, in dieser Woche noch einmal die Debatte zu führen, bevor wir dann in der nächsten Sitzungswoche abschließend über die Gesundheitsreform beraten werden. Ich möchte drei Punkte ansprechen: Zum Ersten stehen wir, so glaube ich, vor dem Abschluss eines parlamentarischen Verfahrens, das allen Ansprüchen, die an ein solches zu stellen sind, gerecht wird. ({0}) Wir haben tagelange Anhörungen durchgeführt, um - zu Recht - die Möglichkeit zu geben, konstruktive Kritik auch von Sachverständigen und Verbänden in das Verfahren einzuspeisen. ({1}) Wir haben viele Sondersitzungen des Gesundheitsausschusses, die gerade auch von den Koalitionsparteien angeboten wurden, einberufen, um die Anträge einzubringen und alle Fragen ausführlich zu beraten. Wir haben - das ist das Entscheidende - Änderungsanträge im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens eingebracht - wir werden das auch bis zum Ende desselben machen -; denn wir laufen nicht einfach so durch die Welt, sondern wir stellen uns konstruktiver Kritik, und zwar von allen Seiten, komme sie aus dem Bundesrat oder von den Verbänden. ({2}) Ob gemietete Demonstranten vor dem Reichstag zu konstruktiver Kritik beitragen, weiß ich nicht. ({3}) Konstruktive Kritik haben wir aufgegriffen und eingearbeitet. Dasselbe gilt auch für die Kritik in der öffentlichen Diskussion. Wir ringen alle gemeinsam um die beste Lösung. Wir schweben aber nicht im luftleeren Raum, sondern müssen auf die parlamentarischen Mehrheiten achten. Zum Zweiten bleiben natürlich die Ziele, die wir uns für dieses Gesetzgebungsverfahren gesetzt haben. Sie werden auch angegangen. Zunächst die Frage des Wettbewerbs im Gesundheitswesen und der Veränderung von Strukturen. Wir werden erstmals - das ist eigentlich eine jahrzehntelange Forderung gewesen - das Monopol der kassenärztlichen Vereinigungen brechen und Wettbewerbsstrukturen einführen. Dabei haben wir zum Bei7492 spiel bei der wohnortnahen Versorgung die berechtigte und konstruktive Kritik aufgenommen. Wir kommen weiterhin zu mehr Wettbewerb bei Hilfsmitteln und im Bereich des Arzneimittelmarkts. Dort haben wir heute kartellähnliche Zustände. So zahlt man zum Beispiel für den Schlauch für einen Rollstuhl, der im Fahrradladen nur einige Euro kostet, Mondpreise, weil Kartelle dafür sorgen, dass die Preise hoch sind. Wir kommen auch zu mehr Wettbewerb in der privaten Krankenversicherung, etwa bei der Portabilität der Altersrückstellungen. Herr Kollege Lanfermann, wir nehmen natürlich verfassungsrechtliche Bedenken sehr ernst und diskutieren sie. Ich kann Ihnen aber auch sagen, dass ich noch nicht viele Gesetzgebungsverfahren hier im Deutschen Bundestag erlebt habe - das ging hin bis zur Viehnutzungsverordnung -, bei denen nicht verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet wurden und zu denen nicht zehn Verfassungsrechtler zwölf verschiedene Meinungen geäußert haben. ({4}) Deswegen ist bei einem solchen Gesetzgebungsverfahren für uns die Beurteilung der Verfassungsressorts, des Bundesinnenministeriums und des Bundesjustizministeriums, maßgebend. Es ist auch nicht so, Herr Kollege Lanfermann, als ob es keine Präzedenzfälle gäbe. Wir haben schon heute in der privaten Krankenversicherung einen Standardtarif, der natürlich ein Stück weit in die Vertragsfreiheit eingreift. Wir haben schon heute Regelungen in der privaten Pflegeversicherung, die auch in die Vertragsfreiheit eingreifen. ({5}) Zur Wahrheit gehört auch: Wir setzen mit dieser Form des Basistarifs am Ende in weiten Teilen - es gibt nur wenige Abweichungen - einen Vorschlag um, den der Verband der privaten Krankenversicherungen selbst vor zwei oder drei Jahren gemacht hat. ({6}) Wir stellen uns an diesem Punkt jeder Debatte. Wir begrüßen natürlich auch, dass sich der Rechtsausschuss mit diesen Fragen beschäftigt. Sie müssen uns aber zugestehen, dass wir am Ende einer Debatte im Zweifel zu anderen Ergebnissen kommen als Sie, Herr Lanfermann. ({7}) Zudem wird es mehr Wettbewerb aufseiten der Krankenkassen geben. Auch da wünsche ich mir manchmal, dass die Partei, die sonst immer von Wettbewerb redet und ihn in den Mittelpunkt stellt, das einmal konstruktiv-kritisch oder positiv anmerkt. ({8}) Wir werden in Zukunft eine Tarifvielfalt haben, was Selbstbehalttarife angeht, was Kostenerstattungstarife angeht und was Tarife angeht, die die Erstattung von Kosten für homöopathische Leistungen - das wird im Zweifel auch die Grünen freuen - regeln. Natürlich wird es unübersichtlicher als heute, wo in vielen Bereichen einheitliche Leistungen angeboten werden. Der Versicherte wird mehr Wahlmöglichkeiten haben. Auch der Fonds ist ein Signal für mehr Wettbewerb. Stellen Sie bei einer Versammlung in Ihrem Wahlkreis einmal die Frage, wer von denjenigen, die vor Ihnen sitzen, weiß, wie hoch sein Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung ist: 13,9 Prozent, 14,2 Prozent, 14,5 Prozent oder etwas anderes? ({9}) Ich sage voraus, dass nicht besonders viele ihre Hand heben werden. Diejenigen, die ihre Hand heben, müssen Sie einmal fragen, wie viel Euro diesem Beitragssatz entsprechen und wie der Unterschied zum Beitragssatz in anderen Kassen ist. Die Anzahl derjenigen Menschen, die wissen, wie viel sie zahlen, wird relativ überschaubar sein. Der Zusatzbeitrag - 5 Euro bei der einen Kasse, bei einer anderen Kasse 8 oder 10 Euro, und wieder eine andere Kasse gewährt vielleicht sogar eine Entlastung um 5 oder 10 Euro - hat eine klare Signalwirkung; denn die Preise für die Leistungen der Krankenkassen werden ganz unterschiedlich sein. Das wird anders als bisher für entsprechende Wechselbewegungen sorgen. ({10}) Außerdem geht es um die Frage der Nachhaltigkeit. Dazu sage ich - auch als Vertreter der jüngeren Generation -: Da hätte ich mir natürlich mehr gewünscht. ({11}) Ich hätte mir gewünscht, dass wir auch zur Kapitalrücklage kommen. Zur Wahrheit gehört aber auch, Herr Kollege Lanfermann, dass man, wenn man den ersten Schritt in Richtung Nachhaltigkeit tun möchte, beachtet: Bevor man Kapitalrücklagen aufbaut, muss man Verschuldung abbauen. ({12}) - Ob es erlaubt war oder nicht, Herr Kollege Bahr, ist eigentlich egal; die Schulden sind da. Diese Schulden sind auch dort gemacht worden, wo die FDP mit an der Regierung ist. Wir haben für Transparenz im Verschuldungsgeschehen der Krankenkassen gesorgt. Wir werden auch dafür sorgen, dass es endlich einen einheitlichen Verschuldungsbegriff gibt. Bisher gibt es nicht einmal eine klare Definition dessen, was Verschuldung einer Krankenkasse ist. Wir werden die über 10 Milliarden Euro an nicht zurückgestellten Pensionsverpflichtungen - es ist egal, warum dieses Geld nicht zurückgestellt wurde, Herr Kollege Spieth; es wurde nicht zurückgestellt - für sogenannte DO-Angestellte bei den Krankenkassen heben. Daher wird dieser Gesetzentwurf zwar nicht vollumfänglich, aber doch in wichtigen Schritten dem Prinzip der Nachhaltigkeit - dem Abbau von Verschuldung, die mit diesem System verbunden ist - gerecht. Ich finde, auch das muss an dieser Stelle einmal anerkannt werden. ({13}) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, insofern wünsche ich mir von den Oppositionsfraktionen, die von ganz unterschiedlichen Standpunkten ausgehen, manchmal weniger grobkeiliges Draufhauen in Überschriften. Manchmal wäre etwas mehr konstruktive Kritik - sie ist immer angebracht - sinnvoll, durch die die guten Ansätze in diesem Reformprojekt gewürdigt werden. Wir sind uns bewusst, dass wir natürlich nicht alle Probleme des Systems lösen. Zur Wahrheit gehört auch - an der einen oder anderen Stelle wünsche ich mir manchmal eine ehrlichere Debatte -, dass wir viele Probleme, was verkrustete Strukturen, was die Herausforderung, die von mehr Wettbewerb ausgeht, und was die Verschuldungssituation der Krankenkassen betrifft, angehen. Daher verdient dieser Gesetzentwurf in der nächsten Sitzungswoche unser aller Unterstützung. ({14})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich nun der Kollegin Dr. Bunge.

Dr. Martina Bunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003743, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Herr Spahn, Sie haben an mehreren Stellen dargelegt, dass die Koalition auf die Anhörungen, die Kritiken, die Hinweise und die Vorschläge reagiert hat, dass Änderungsanträge gestellt worden sind und dass die Koalition nicht blind ist. Das ist für mich als Ausschussvorsitzende - wir haben 26 Stunden zusammengesessen - ein schönes Ergebnis. Auch Sie können zuhören und Konsequenzen ziehen. Der Charakter eines Großteils der Änderungsanträge macht mir aber Sorgen. Es sind sehr viele wünschenswerte Leistungsverbesserungen vorgesehen; die Kosten sind aber unkalkulierbar. Kollege Lanfermann hat so eben dargelegt, dass im Ausschuss keine Aussagen dazu gemacht werden konnten, wie die finanziellen Konsequenzen aussehen. Es sind Änderungen vorgesehen - zum Beispiel bei der Palliativmedizin und bei den Mutter-Kind-Kuren -, die nicht hinreichend untersetzt sind. Zudem sehen Sie in Ihren Änderungsanträgen ungedeckte Wechsel vor. Es sind Zuschläge vorgesehen, um die Versorgung in unterversorgten Gebieten zu verbessern; es werden aber keine Regelungen im Hinblick auf Abschläge für überversorgte getroffen. Hier wird die Beitragssatzstabilität aufgehoben. Welche Konsequenzen hat das? Es entstehen neuerlich Verschiebebahnhöfe. Es ist sehr gut, dass diejenigen, die in Werkstätten für Behinderte beschäftigt sind, nicht mit Zusatzbeiträgen belastet werden; die Belastungen werden aber auf die Werkstätten und damit auf Dritte verschoben. Ich denke, so kann man nicht mit guten Vorschlägen und ihren finanziellen Konsequenzen umgehen. Sie handeln nach meiner Meinung politisch nicht verantwortlich. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Spahn, bitte sehr.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Bunge, ich bin dankbar, dass Sie mir Gelegenheit geben, noch einmal darauf hinzuweisen, dass wir mit dieser Reform auch zusätzliche Leistungen für die Versicherten ermöglichen. Anders als bei vergangenen Reformen werden die Versicherten bei dieser Reform nicht durch Ausgliederungen oder durch die Einführung einer Praxisgebühr zusätzlich belastet. Wir werden empfohlene Impfungen zu Pflichtleistungen machen. Damit stärken wir den präventiven Charakter des Gesundheitswesens. Natürlich ist das Ziel, dadurch mittel- und langfristig Kosten zu sparen. Die Kosten werden sinken, wenn die Impfrate in Deutschland höher als heute sein wird. Das Gleiche gilt für Rehamaßnahmen: Der Sinn von Rehamaßnahmen, gerade auch von geriatrischer Reha - wir wollen sie mit Blick auf die Pflegeversicherung stärken -, ist, die Alltagsfähigkeit und die Gesundheit der betroffenen Menschen zu stärken, damit sie auf Dauer gesünder als ohne eine solche Rehamaßnahme sind. Insofern werden kurzfristigen Ausgaben mittelund langfristige Einsparungen gegenüberstehen. Ich habe es so verstanden, dass eigentlich alle im Deutschen Bundestag zusätzliche Leistungen bei der Sterbebegleitung und im Bereich der Hospize ermöglichen wollen. Es ist überhaupt keine Frage, dass das zu zusätzlichen Ausgaben führt. Ich denke aber, gerade die letzten Monate eines Menschen und ein Sterben in Würde sollten uns diese Millionen Euros wert sein. Nun zur Frage der ungedeckten Schecks. Wenn ich mir von einer Fraktion hier im Deutschen Bundestag nicht vorwerfen lasse, ungedeckte Schecks auszustellen, dann ist das ja wohl Ihre Fraktion. ({0}) Ich muss nur an die Anträge denken, die Sie so munter stellen: Wir sollen mehr Steuergeld ins System schieben; Sie geben uns aber nicht einen Hinweis darauf, wo die vielen Milliarden Euros, die Sie so gerne hätten, herkommen sollen. ({1}) Sie bringen munter Anträge ein, die sich mit der Frage beschäftigen, wie wir mit den Einnahmen aus der Mehr7494 wertsteuer umgehen sollen. Im Zweifelsfall sollen möglichst alle Leistungen für alle in diesem Land umsonst erbracht werden. Dabei erwähnen Sie mit keinem Satz nachvollziehbare und umsetzbare Vorschläge - wir wissen, dass Sie immer nur Parolen und Überschriften parat haben -, wie die Ausgaben gedeckt werden können. ({2}) Bei aller Kritik, die ich mir gefallen lasse: Von Ihrer Fraktion lasse ich mir ungedeckte Schecks nicht vorwerfen. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Frank Spieth für die Fraktion Die Linke. ({0})

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn von ungedeckten Schecks die Rede ist und gerade unserer Fraktion vorgehalten wird, nur mit Mondbegriffen zu arbeiten und keine konkreten Vorstellungen zu haben ({0}) - Herr Spahn, Sie klatschen zu früh -, ({1}) kann ich zwei Positionen dagegensetzen: Wir brauchen nur englische Verhältnisse ({2}) im Bereich der Börsenumsatzsteuer. Wir hätten jährlich 30 Milliarden Euro Mehreinnahmen, wenn hier die gleichen Kriterien gelten würden. ({3}) Würden wir die Vermögensteuer nur auf dem Niveau erheben, wie das in den USA der Fall ist, hätten wir 20 Milliarden Euro Mehreinnahmen. Wir könnten damit locker wesentliche Teile der sozialen Sicherungssysteme finanzieren. Das gehört zu unseren Vorschlägen, den Vorschlägen der Linken. ({4}) Das wollen Sie nur nicht wahrhaben. Ihnen ist die Ideologie wichtiger als die Bewertung vernünftiger und phantasievoller Vorschläge. ({5}) - An der Stelle könnte man in der Tat, Herr Kollege, über amerikanische Verhältnisse reden. Vom Mutterland des Kapitalismus kann man gelegentlich lernen. Vielleicht lernen auch frühere Sozialdemokraten noch etwas. ({6}) Zum eigentlichen Anliegen. Ich bin sehr erfreut darüber, dass wir heute im Bundestag und damit auch für die Öffentlichkeit eine Debatte zum Entwurf des GKVWSG, also dem Entwurf eines GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes, führen können. Das war nicht gewollt. Wir als Opposition mussten erst eine Aktuelle Stunde androhen, damit die Überweisung heute mit Debatte beschlossen wird und nicht einfach wie ein Schlafwagenexpress durchgewunken wird. ({7}) So viel als Beleg dafür, wie offen und wie konstruktiv hier miteinander diskutiert wird. Ich denke schon, dass die Menschen einen Anspruch darauf haben, zu erfahren, wie es mit ihrer Gesundheitssicherung in Zukunft in Deutschland weitergeht. Die Menschen wollen eine solidarische und soziale Krankenversicherung. Auch nach den Anhörungen, auch nach den Änderungsanträgen, auch nach dem Beschluss zur Pflichtversicherung ({8}) und nach einigen strukturellen Verbesserungen, die Sie vornehmen, werden die grundsätzlichen Probleme der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung im Gesetzentwurf nicht gelöst. Die grundsätzlichen Probleme der Finanzierung aus Arbeit, Rente und Arbeitslosenbeiträgen bleiben. Es bleibt bei der Beitragsbemessungsgrenze. Es bleibt bei der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung und deren Aufgaben aus dem Kreis derer, die geringe Einkommen haben. Die Gutverdienenden, die Privilegierten in der Gesellschaft bleiben außen vor. ({9}) Um die Privatversicherungen werden Naturschutzparks errichtet. Das ist doch die Realität. Alles andere, was gesagt wird, ist Augenwischerei. ({10}) Vier von fünf Bundesbürgern begreifen nicht, was die Bundesregierung mit diesem Gesetz eigentlich erreichen will. Die Hälfte ist der Auffassung, dass sich ihre Situation nach der Gesundheitsreform 2004 verschlechtert hat. 95 Prozent sind der Auffassung, dass die Gesundheitskosten in den nächsten Jahren steigen werden. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Forsa-Befragung. Dies kann angesichts der Erfahrungen, die die Menschen in den zurückliegenden Jahren gemacht haben, nicht verwundern. Es sei einmal erinnert an die Eintrittsgebühr von 10 Euro beim Arztbesuch, an das Krankenhaustagegeld von bis zu 240 Euro im Jahr, daran, dass die Patienten mit erheblichen Zuzahlungen bei Medikamenten - zwischen 5 und 10 Euro - zu rechnen haben und dass wir Anfang dieses Jahres die größte flächendeckende Beitragssatzerhöhung in der gesetzlichen Krankenversicherung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erleben. Das alles ist doch kein Beleg dafür, dass es in diesem Land gegenwärtig solidarisch und gerecht zugeht. ({11}) Wir erreichen im Gegenteil mit Ihrem Gesetzentwurf in jedem Fall eine weitere Zementierung der Zweiklassenmedizin in Deutschland. Das sagen viele Fachleute. Das sagen auch viele Betroffene. Ich habe vor kurzem mit einer Frau in Gera gesprochen, die seit langem arbeitslos ist, einen Hirntumor hatte und nach ihrer Akutbehandlung im Krankenhaus wochenlang suchen musste, bis sie einen neurologischen Facharzt gefunden hat, der sie überhaupt als Patientin aufgenommen hat. ({12}) Ich habe erlebt, dass dies bei Krebspatienten passiert. Genau diese Probleme ({13}) lösen Sie in den unterversorgten Gebieten nicht. ({14}) Sie führen Liberalisierungen ein, die die Probleme nur in den überversorgten Regionen mildern werden. Aber in den unterversorgten Gebieten wird mit Sicherheit nichts geändert werden. ({15}) Sie haben eben nicht die Grundprobleme angepackt, sondern sich als sozialdemokratische Bundestagsfraktion von der Einführung der Bürgerversicherung verabschiedet; ({16}) jetzt tun Sie so, als sei mit dem, was den Menschen mit diesem GKV-WSG offeriert wird, tatsächlich ein genialer Fortschritt gelungen. Nein, im Grunde genommen hat sich die CDU/CSU mit ihren Positionen durchgesetzt, und zwar eins zu eins. ({17}) Ich kann ja verstehen, dass Herr Müntefering nach der Bundestagswahl nicht mehr gern an die Versprechungen vor dieser Wahl erinnert wird. Sie hatten Ihren Wählerinnen und Wählern versprochen, eine Bürgerinnen- und Bürgerversicherung einzuführen; genau diese bekommen die Menschen jetzt nicht. Es bleibt bei der Belastung der Kranken, der Arbeitslosen, der Einkommensschwachen in dieser Gesellschaft. Die Privilegierten lassen Sie außen vor. Das wäre mit einer Bürgerversicherung anders. Es gibt Berechnungen - sie stammen übrigens von einem sozialdemokratischen Gesundheitsexperten ({18}) auf der Basis des Jahres 2002 - nein, nicht von Herrn Lauterbach; sie sind noch wesentlich solider - , ({19}) die davon ausgehen, dass man, wenn nicht nur die Arbeitseinkommen und Renten sowie die Arbeitslosenbeiträge zur Finanzierung herangezogen würden, sondern auch Kapital- und Vermögenseinkünfte, eine Bürgerversicherung zu einem Beitragssatz von 10 Prozent realisieren könnte, inklusive des medizinischen Fortschritts. Mit dem, was Sie uns in den letzten Monaten beschert haben - Erhöhung der Mehrwertsteuer, Senkung der Zuschüsse an die Krankenkassen für Mutterschaftsleistungen - , haben Sie dazu beigetragen, dass die Beiträge zur Krankenversicherung im Durchschnitt bereits bei über 15 Prozent liegen und wir uns mit der Reform in Richtung der Marke von 16 Prozent bewegen. Meine Damen und Herren, machen Sie Schluss mit diesem Unsinn! Dieses Gesetz nutzt nicht den Menschen in diesem Land; es nutzt, wenn überhaupt, nur der großen Koalition um ihrer selbst willen. Das sollten wir den Bürgern dieses Landes ersparen. ({20})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun erteile ich der Kollegin Birgitt Bender für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Sonntagabend hat es sich gelohnt, ins Fernsehen zu schauen: Dort war zu sehen, wie der oberste Vertreter des Verbandes der privaten Krankenversicherung bei zwei führenden Gesundheitspolitikern der Union einlief. Eine Stunde später, vor der abschließenden Verhandlungsrunde der Koalition, verließ er das Büro wieder. Nun ist es als solches nichts Ehrenrühriges, wenn man Kontakt zu Lobbyisten hat, aber in diesem Fall hat es angesichts dessen, was nach der Verhandlungsrunde herauskam, durchaus ein Geschmäckle: Die PKV hatte sich auf ganzer Linie durchgesetzt. Na, so etwas aber auch! Die Union ist hier umstandslos zur Schutzheiligen der PKV geworden. Vorher schon waren in dem, was als sogenannte Gesundheitsreform auf dem Tisch lag, äußerst geringe Anforderungen an die Solidarbereitschaft wie auch an die Innovationsfähigkeit der privaten Krankenversicherungen enthalten. Dies wurde jetzt noch einmal auf ein bisschen Basistarif zurechtgestutzt. Was denkt sich eigentlich die Union dabei, wenn sie das bisherige Geschäftsmodell der PKV in dieser Weise verteidigt? Ich gestehe Ihnen zu, dass es politisch grundsätzlich legitim ist, für gute Rahmenbedingungen bestimmter Wirtschaftsbereiche zu kämpfen; aber ich halte dies dann nicht mehr für akzeptabel, wenn das Ganze auf Kosten der Versicherten geht. Ihr Vorgehen führt dazu, dass es noch weniger Wettbewerb und keine Erweiterung der Solidarität geben wird. Das geht auf Kosten der Versicherten. Dafür trägt die Union in diesem Land die Verantwortung. ({0}) Ihre Ministerpräsidenten haben das Ganze noch einmal verschlimmert. Sobald es um die Interessen bestimmter Leistungserbringer im Gesundheitswesen ging, beispielsweise der Apotheker, war Verlass darauf, dass die CDU-Ministerpräsidenten die Anforderungen aus dem Gesetzentwurf erneut reduzieren. Manchmal wundert man sich wirklich, dass die FDP in dieser Regierung nicht vertreten ist. Aber damit es hier nicht zu gemütlich wird, meine Damen und Herren: Wir sehen es mitnichten so, dass sich die SPD für eine gute Reform großartig geschlagen hätte. Wir erleben hier viel Getöse - die Ministerin hat es vorhin wieder vorgeführt - um die Einführung einer Versicherungspflicht, die angeblich eine gesundheitspolitische Großtat sei. ({1}) Die Einführung einer Versicherungspflicht ist kein Wert an sich. Es kommt doch darauf an, was dahinter steht. Versicherungspflicht, so wie Sie sie jetzt verstehen, bedeutet doch eben nicht, dass alle Bürgerinnen und Bürger am Solidarausgleich beteiligt werden. Nein, es bleibt dabei: Die Besserverdienenden und die Gesunden werden eben nicht einbezogen - nicht mit ihren Einkommen, nicht mit ihrer Bereitschaft, sich am Solidarausgleich zwischen Gesunden und Kranken zu beteiligen. Das einzige, was wir bekommen werden, ist ein Rückkehrrecht in die PKV für diejenigen, die einmal aus der PKV herausgeworfen worden sind. ({2}) Das, meine Damen und Herren, ist überfällig. Das ist aber noch lange nicht der Weg zur Bürgerversicherung. ({3}) Wofür steht eigentlich die SPD? Es glaubt doch niemand, dass wirklich die ganze Fraktion aus glühenden Verfechtern der Bürgerversicherung besteht. Gewiss hört man, dass es in ihren Debatten laut wird. ({4}) Das ist auch ein Hinweis darauf, welche Kontroversen es gibt. Auf die SPD-Ministerpräsidenten ist im Übrigen auch Verlass, wenn es wieder einmal darum geht, die Anforderungen an Wettbewerb, an Apotheker et altera zu reduzieren. Das fällt nur deswegen weniger auf als bei der Union, weil es inzwischen nur noch wenige SPDMinisterpräsidenten gibt. Was bleibt von allem? Die Koalition versucht auf Biegen und Brechen, irgendeine Reform durchzuziehen, damit sie überhaupt etwas getan hat. Damit das funktioniert, reduziert man erst einmal den Ärgerpegel mit den Lobbyisten: Man verspricht den Apothekern, das sei alles nicht so gemeint gewesen; den Ärzten verspricht man: Aber klar gibt es mehr Geld für alle, nicht nur für diejenigen in den unterversorgten Gebieten, und die Anforderungen an die PKV werden noch mehr gestutzt. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ hat darüber in der letzten Woche geschrieben, indem sie an die Erzählung „Der alte Mann und das Meer“ von Ernest Hemingway erinnerte. Sie werden sich erinnern: ({5}) Da fährt ein Fischer hinaus aufs Meer, fängt einen großen Fisch, und bei dem Versuch, den Fisch mit dem Boot in den Hafen zu schleppen, bleiben am Ende, weil die Haie zubeißen, nur noch die Gräten übrig. Auch hier haben die Haie zugebissen: Von den großen Zielen der Koalition - da hieß es, die Gesundheitsreform werde nachhaltiger, gerechter und verlässlicher, man würde für mehr Wettbewerb sorgen usw. - ist immer weniger übrig geblieben, mit dem Unterschied allerdings, dass der Fisch, den Sie auf den Tisch gelegt hatten, von vornherein nicht genießbar war. ({6}) Nun will uns diese Regierung, diese Koalition aber zwingen, diese Gräten zu schlucken. Da kann ich nur wünschen, dass sie sich im politischen Sinne an den Gräten verschlucken möge. Danke schön. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Elke Ferner für die SPD-Fraktion.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Frau Bender hat eben gemeint, die Versicherungspflicht wäre nicht der große Wurf, wäre nicht das, was man unbedingt brauche. Ich glaube, Sie haben die Einigung, die wir jetzt erzielt haben, nicht richtig verstanden - vielleicht auch, weil Sie sie noch nicht schriftlich vor sich liegen haben. Es geht nicht darum, alle zu verpflichten, in ein System hineinzugehen. Es geht darum, dass jeder und jede in dieser Republik in Zukunft Versicherungsschutz hat und diesen auch zu bezahlbaren Konditionen erlangen kann. ({0}) Die Möglichkeit, einen Versicherungsschutz zu haben, nützt nichts, wenn man ihn nicht bezahlen kann; das ist der Status, den wir heute haben. Im Übrigen wird die gesetzliche Krankenversicherung genauso wie die private Krankenversicherung dazu verpflichtet, all diejenigen wieder aufzunehmen, die heute nicht versichert sind, aber zu dem jeweiligen System gehören. Sie wissen genauso gut wie ich, dass es heute auch eine erkleckliche Anzahl von vormals gesetzlich Versicherten gibt, die wegen Altersgrenzen oder anElke Ferner derer Restriktionen, obwohl sie ihr Leben lang in der Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung waren und bezahlt haben, heute nicht mehr in die gesetzliche Krankenversicherung hineinkommen. Das wird sich ab dem 1. April 2007 ändern. Alle, die in der gesetzlichen Krankenversicherung waren und zu diesem System gehören, heute aber nicht mehr versichert sind, haben einen Anspruch, aber auch eine Verpflichtung, sich wieder in der gesetzlichen Krankenversicherung zu versichern. ({1}) Weiterhin besteht ab dem 1. Januar 2009 für alle Bürgerinnen und Bürger eine Versicherungspflicht. Für ehemals Privatversicherte besteht schon ein halbes Jahr früher als im Gesetzentwurf vorgesehen, nämlich ab 1. Juli dieses Jahres, die Möglichkeit, sich im Standardtarif zu versichern, ohne dass das Risiko geprüft wird und Risikozuschläge erhoben werden, sodass sie ihn auch bezahlen können. Die Bezahlbarkeitsregelungen werden denen für den vorgesehenen Basistarif entsprechen. Die privaten Krankenversicherungsunternehmen müssen darüber hinaus dafür geradestehen, dass die Behandlungen der Versicherten sichergestellt werden. Heute haben wir ja leider die Situation, dass Menschen zwar monatlich treu und brav die Versicherungsprämie für den Standardtarif bezahlen, aber sich zumindest einige Gruppen von Ärztinnen und Ärzte weigern, die entsprechenden Patientinnen und Patienten zu behandeln. ({2}) Nun komme ich zu Herrn Lanfermann, der diesbezüglich verfassungsrechtliche Bedenken äußerte. Es gibt eine, wie ich finde, exzellente Expertise vom Innenministerium und vom Justizministerium des Bundes, in der wirklich auf alle Fragen eine Antwort gegeben wird. ({3}) - Ich freue mich ja, dass zu den Zeiten, Herr Westerwelle, als Sie mit in der Regierung waren, kein einziges Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht gelandet ist und kein einziges Gesetz vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden ist. ({4}) Ich erinnere mich insbesondere an Gesetze, die die Familienförderung betrafen. Zu Ihrer Regierungszeit galt das Motto: Same procedure as every year. Ich würde mich da ein Stück weit zurückhalten. Der Punkt ist doch, dass die privaten Krankenversicherer bereits selbst einmal einen Basistarif ins Gespräch gebracht haben. Die gesetzliche Krankenversicherung ist heute ja verpflichtet, alle aufzunehmen, auch die, die krank sind - es war bisher ein Privileg ausschließlich der privaten Krankenversicherung, nur die Gesunden und nicht die Kranken zu versichern - , und muss mit einem Beitragssatz, der im Durchschnitt deutlich niedriger liegt als die Prämie, die nachher für den Basistarif bezahlt werden muss, die Behandlung sicherstellen. Ich frage mich, wieso die private Krankenversicherung, die nach Ihrer Auffassung so gut ist und alles so blendend macht, plötzlich in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten soll, wenn auch für sie entsprechende Regelungen kommen? Das kann ich nicht nachvollziehen. Die diesbezüglichen Rechnungen der privaten Krankenversicherung, die ja auch mit der durchgeführten Briefaktion nicht unbedingt gerade an Seriosität zugelegt hat, erschließen sich mir nicht ({5}) Ich möchte auch noch einmal auf die Aussage von Frau Bender zurückkommen, wir seien vor den Lobbyisten eingeknickt. Ich will es am Arzneimittelbereich deutlich machen, dass das nicht der Fall ist. Im Gesetzentwurf steht, dass die Kassen einzelne Arzneimittel oder Wirkstoffe ausschreiben können und dann mit dem Hersteller Verträge abschließen können, der diese am günstigsten anbietet. Das bleibt so, wie es im Gesetzentwurf vorgesehen ist. Darüber hinaus hatten wir gesagt, es wäre gut, Höchstpreise statt Festpreise vorzuschreiben, damit auch Apotheken mit den Herstellern verhandeln können. Demgegenüber wurden in der Anhörung Bedenken geäußert; wie ich hörte, nicht nur von den Apothekern. Wir haben diese aufgegriffen und auf die Eröffnung der Verhandlungsmöglichkeiten für Apotheker und das Aufbringen einer einmaligen Ausfallbürgschaft in Höhe von 500 Millionen Euro verzichtet. Stattdessen wird der Rabatt, den die Apotheken den Krankenkassen gewähren, dauerhaft von 2 Euro auf 2,30 Euro erhöht. Das entlastet die Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung jedes Jahr um 150 Millionen Euro bzw. bedeutet jedes Jahr 150 Millionen Euro weniger an Ausgaben.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lötzsch?

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich hatte mich an der Stelle gemeldet, Frau Kollegin Ferner, als Sie sich zu Recht sehr kritisch mit den Aussagen der FDP zu den privaten Krankenkassen auseinandergesetzt haben. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Warum haben Sie der Regelung zugestimmt, dass bei einem Wechsel aus der privaten Krankenversicherung zur gesetzlichen Krankenversicherung künftig sämtliche Altersrückstellungen bei den Konzernen der privaten Krankenversicherungen verbleiben können, sodass der gesetzlichen Krankenversicherung Milliarden entgehen? Dass Sie dem zugestimmt haben, steht doch im Widerspruch erstens zur Programmatik Ihrer Partei - darüber wollen wir jetzt nicht diskutieren - und zweitens zu der Argumentation, der Sie sich gerade in Ihrer Rede bedient haben.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zum einen gibt es heute weder beim Wechsel innerhalb der privaten Krankenversicherungen noch bei dem - sehr eingeschränkt möglichen - Wechsel von der privaten zurück in die gesetzliche Krankenversicherung die Möglichkeit, gebildete Altersrückstellungen mitzunehmen. Wir stellen jetzt, zumindest in einem Teilbereich, die Portabilität sowohl für Bestandskunden als auch für Neukunden sicher. Nun kann man sagen, das sei nicht genug. Auch wir wären da gerne weitergegangen; das ist völlig klar. Aber es ist mehr als das, was wir zurzeit haben. ({0}) Nach unserer Auffassung sollten die Altersrückstellungen auch dann, wenn jemand - unter den bislang noch sehr eingeschränkten Möglichkeiten - von der privaten in die gesetzliche Krankenversicherung zurückwechselt, übertragen werden können. ({1}) - Das wäre richtig, aber dazu braucht man Mehrheiten. ({2}) Deshalb muss man das anders bewerten. Das wird Ihnen, Frau Lötzsch, in den Koalitionen in den Ländern, in denen Sie mitregieren, nicht anders gehen. Wenn man eine Position nicht hundertprozentig durchsetzen kann - und das kann man in Koalitionen naturgemäß nicht -, muss man sich die Frage stellen, ob man sich seinem eigentlichen Ziel nähert oder ob man davon abrückt. Dieses Vorgehen legen wir hier zugrunde und das werden Sie dort, wo Sie mitregieren, nicht anders machen. Das ist der Grund, warum wir, obwohl wir nicht alles erreicht haben, was wir gerne erreichen wollten, unter dem Strich doch sagen, dass wir unserem Ziel ein Stück näher kommen. ({3}) Zum anderen - um, Frau Bender, noch einmal auf die Arzneimittel zurückzukommen - ist es so, dass die Apotheken verpflichtet werden, die Arzneimittel mit den verschriebenen Wirkstoffen abzugeben, die für die jeweilige Kasse des Versicherten am günstigsten sind. Damit werden die 500 Millionen Euro, die jetzt einmalig verloren zu gehen scheinen, nicht nur kompensiert, sondern sogar überkompensiert. Im Übrigen werden die Kassen auch in Bezug auf Zytostatika eine Regelung über Verhandlungsmöglichkeiten erhalten, sodass an der Stelle kein Geld verloren gehen wird. Richtig ist aber, dass wir noch ein Problem mit den Ländern zu klären haben, ({4}) die wie immer sagen, dass an dieser oder jener Stelle nicht eingespart werden soll, aber den Einsparungen keine anderen Vorschläge entgegensetzen. Das wird mit den Ländern zu diskutieren sein, ebenso wie Detailregelungen bezüglich der Insolvenzordnung. Wir werden die Leistungen für die Versicherten ab dem 1. April dieses Jahres verbessern. Diese Gesundheitsreform ist die erste, bei der es - das ist vor allen Dingen der SPD zu verdanken - keine Leistungskürzungen gibt. Im Gegenteil, wir haben die Leistungen ausgeweitet: Wir haben die Impfungen und die Rehaleistungen mit aufgenommen, und zwar alle, damit es, wie Ulla Schmidt sagte, keine Reha erster und zweiter Klasse gibt. Leistungsausweitungen gibt es auch im Bereich der Palliativversorgung und der Hospize. Das ist insbesondere in einer Gesellschaft, die älter wird, sehr wichtig. Es ist insgesamt Konsens in diesem Haus, dass für diese Patientengruppen mehr getan werden muss, nicht nur aus demografischen Gründen, sondern um den Menschen ein Sterben in Würde zu ermöglichen und ihnen die notwendigen Hilfen zuteil werden zu lassen, die sie in ihrer Situation brauchen. Zum anderen ist es wirklich wichtig, dass beispielsweise mehr Vorsorgeanreize und mehr Wahlmöglichkeiten geschaffen werden, auch in Bezug auf besondere Versorgungsformen, Hausarzttarife, integrierte Versorgung. Vor allen Dingen wird der Schnittstellenproblematik, die zwischen den einzelnen Sektoren besteht und die uns allen in den Wahlkreisen begegnet, deutlich stärker begegnet. Ich glaube, unter dem Strich ist es eine vernünftige Reform, die in die richtige Richtung weist. Allerdings - da muss ich Ihnen, Herr Spieth, entschieden widersprechen - haben wir weder in dieser Koalition noch mit Blick auf die Zukunft unser Bürgerversicherungskonzept aufgegeben; wir werden es weiterverfolgen. ({5}) Ich muss jedoch feststellen, dass dieses Konzept in der Konstellation mit dem jetzigen Koalitionspartner und erst recht im Bundesrat nicht umzusetzen ist. Aber politisch bleibt eine Bürgerversicherung unser Ziel. Schönen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Konrad Schily. ({0})

Dr. Konrad Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003840, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir auf die letzten 30 Jahre schauen, können wir feststellen, dass von diesem Hohen Hause in den Jahren 1977 bis 2007 14 Gesetze zum GesundheitsDr. Konrad Schily wesen verabschiedet worden sind. Die Reihe beginnt 1977 mit dem Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz - lange Namen gab es schon damals - und wird in diesem Jahr mit dem euphemistisch genannten GKVWettbewerbsstärkungsgesetz sicherlich nicht enden. All die Gesetze, die dieses Hohe Haus verabschiedet hat, hatten damit zu tun, die Kosten im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen. Jedes Mal glaubte man, es würde gelingen. Wenn man sich nun einmal die zeitliche Häufung der gesetzgeberischen Handlungen anschaut, so können wir feststellen, dass von 1977 bis 1997, also in 20 Jahren, sechs Gesetze verabschiedet worden sind. Von 1998 bis 2007, also in neun Jahren, waren es sieben Gesetze. Wenn wir das zur Rede stehende GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz dazuzählen, werden es acht Gesetze sein. Das erinnert stark an die Zunahme der Zahl der Naturkatastrophen in den letzten zehn Jahren. Diese sind in der letzten Zeit gehäuft aufgetreten. Nur: Bei den Naturkatastrophen können wir nicht ganz so sicher sein, ob sie wirklich allein von den Menschen ausgelöst wurden. Bei den Gesetzen allerdings handelt es sich eindeutig um Menschenwerk. ({0}) Es ging dabei immer, wie gesagt, um Kostendämpfung. Aber es hat nie funktioniert. Jeder hier im Hohen Haus weiß, dass trotz Leistungseinschränkung und Kostendämpfung die Beitragssätze gestiegen sind und dass eine Senkung der Lohnnebenkosten nicht gelungen ist. Zurzeit haben wir - um den Börsenjargon anzuwenden ein Allzeithoch bei den Beitragssätzen der gesetzlichen Krankenversicherung. Wir müssen feststellen, dass das Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz, das 2006 verabschiedet wurde, bereits 2007 nachjustiert werden muss. Wir wissen jetzt schon, dass auch nach diesem Gesetz in immer rascherer Folge andere Gesetze werden folgen müssen. Der gesunde Menschenverstand müsste uns zu der Frage veranlassen, ob hier nicht ein systematischer Fehler vorliegt und die richtigen Instrumente gewählt worden sind. Würden wir jemanden beobachten, der mit einem 16er-Schlüssel eine 20er-Schraube anziehen will, würden wir ihn vielleicht bemitleiden und belächeln. Würden wir beobachten, dass er es immer wieder versucht, würden wir diesen Menschen vielleicht mitleidig fragen, warum er sich so vergeblich bemüht. Wenn wir von ihm die Antwort erhalten würden „Mein Lieber, das ist Chefsache! Das muss so gehen!“, dann würden wir unsere eigenen Schlüsse ziehen und uns traurig abwenden. ({1}) Auch im Fall des Gesundheitssystems ist der Fehler systemisch. Die unpassenden Werkzeuge sind die Zentralisierung und die eindeutige Ausrichtung des Systems auf den Staat, es ist der Fonds und die zentrale jährliche Festlegung der Beitragshöhe durch die Politik und die damit verbundene Anfälligkeit, es sind die bürokratischen Gebote bzw. die bürokratischen Verbote und selbstverständlich die damit wachsende Kontrollbürokratie. Es gilt, die Werkzeuge zu wechseln: nicht weltfremde gesetzliche Vorgaben und Zentralisierung, sondern Stärkung der freien Berufe im Gesundheitswesen und die Bemündigung der Leistungserbringer und der Patienten. Wo die Kompetenz vorhanden ist, muss die Verantwortung liegen. Dort gibt es die Fähigkeit zur Problembewältigung. ({2}) Das Leben ist eben vielfältig und vielfältig werden die Lösungen sein, die in der jeweiligen Situation gefunden werden müssen. Die FDP steht für die Solidarität auch im Gesundheitswesen. Aber sie weiß, dass solidarische Lösungen nicht unter Umgehung der Freiheit und nicht durch die Entmündigung der Betroffenen - seien es die Versicherungen, seien es die Leistungserbringer oder seien es die Patienten - zu erreichen sind. Aber nicht nur die Solidarität ist unter Umgehung der Freiheit nicht zu erreichen. Auch die wirtschaftliche Optimierung ist an die Freiheit der Handelnden gebunden. Das ist einer der Hauptsätze der freien sozialen Marktwirtschaft, der auch nicht dadurch aufgehoben werden kann, dass ich etwas zur Chefsache mache. Eine Stärkung der freien Berufe und die Bemündigung der Betroffenen würden uns zu besseren Ergebnissen auch im Wirtschaftlichen führen. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.

Dr. Konrad Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003840, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Schluss. Vielen Dank. Insofern heißt für mich „FDP“ nicht nur „Freie Demokratische Partei“, sondern das heißt für mich jetzt auch „für die Patienten“. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Willi Zylajew für die CDU/CSU-Fraktion.

Willi Zylajew (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hörte man auf Verbandsvertreter und auf die Lobbyistenszene, dann brauchten wir überhaupt keine Reform im Gesundheitswesen. Ähnlich klingt das, was die vereinigte Opposition uns hier heute Mittag und in den letzten Wochen, natürlich auch über die Medien, erklärt. ({0}) - Das werde ich Ihnen natürlich sagen. - Ich will noch einmal deutlich sagen: Der Kollege Lanfermann hat verfassungsrechtliche Bedenken, Frau Bunge sorgt sich nun - das ist schon angesprochen worden - um die Finanzen, Herr Spieth hat zu wenig Staatskapitalismus im System ausgemacht. Warum auch nicht? ({1}) Am Schluss fehlt Frau Bender noch der Wettbewerb. All dieses ist für mich wirklich nur schwer verständlich, weil Sie überhaupt keine Antwort auf die anstehenden Fragen geben. ({2}) Auf Beitragserhöhungen und auf eine Beitragsschraube, die sich dreht, ({3}) müssen wir doch irgendwie reagieren. Wir müssen doch den Mut haben, auf Versorgungsengpässe einzugehen. Wir haben jetzt schon Versorgungsengpässe, und es wird weitere Versorgungsengpässe geben. Mit dieser Reform schaffen wir hier zumindest Ansätze für eine Verbesserung. Wir stellen die Weichen richtig.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bender?

Willi Zylajew (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Zylajew, stimmen Sie mir zu, dass Ihre sogenannte Reform schon deswegen keine Antwort auf steigende Beiträge ist, weil Sie diese mit dem Entzug der Steuermittel aus der GKV und der Mehrwertsteuererhöhung, die auch auf die Krankenkassen durchschlägt, selbst verursacht haben?

Willi Zylajew (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich stimme Ihnen natürlich nicht zu, ({0}) weil wir eine Dynamik über Tarife oder Steuern immer haben werden. Man kann jetzt nicht ein einzelnes Segment herausnehmen und sagen, das sei die Ursache. Sie wissen doch, Frau Bender, dass sich die Beitragsbelastungsschraube mit großem Gewinde sehr schnell weiterdrehen würde, wenn wir nicht durch diese Reform gegensteuern.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Spieth?

Willi Zylajew (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe noch Zeit. Ja.

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Zylajew, Sie sagen, mit diesem Gesetz werde die finanzielle Situation verbessert. Sagen Sie mir bitte, an welcher Stelle Sie durch dieses Gesetz zu einer verbesserten Einnahmesituation der gesetzlichen Krankenversicherung beitragen. Es gibt keine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze, es gibt keine Ausweitung auf andere Einkommensarten. Wie wollen Sie die Quadratur des Kreises lösen, mit diesem Gesetz mehr Geld in die gesetzliche Krankenversicherung zu bringen? Das ist ja das Grundproblem.

Willi Zylajew (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe nicht erklärt, dass wir mehr Geld hineinbringen, sondern dass wir eine Verbesserung bei den Leistungen erreichen, Herr Spieth. ({0}) Ihnen fällt immer nur ein, die Einnahmen zu erhöhen, anstatt unwirtschaftliche Elemente auszugliedern, anstatt eine Optimierung zu erreichen, anstatt dafür zu sorgen, dass die Mittel dorthin fließen, wo sie notwendig sind, und dass sie da, wo sie nicht notwendig sind, abgezogen werden. Wir sind der Auffassung, dass wir mit dieser Reform eine gerechtere Finanzierung, insbesondere im Bereich der niedergelassenen Ärzte, der Hausärzte, erreichen können. Das wissen Sie; denn Sie haben in diesem Ausschuss mit diskutiert. Das ist eine aus unserer Sicht wichtige Verbesserung. ({1}) Ich habe angesprochen - dieser Punkt ist uns wichtig -, dass es in einigen Bereichen Unterversorgung gibt. Ich sage sehr deutlich: Wir sind der Auffassung, dass all das, was wir tun, im Endeffekt den Patienten zugutekommen muss. Die Patienten müssen den entscheidenden Nutzen haben - und weniger die Apparate der Versicherungen, die Verbände, die KVen oder andere Umverteilungsinstitutionen. Auf der einen Seite wollen alle - die Opposition, auch Herr Spieth, hat das deutlich gemacht - einfach nur mehr Geld in das System bringen. Die Gesundheitsbranche insgesamt brüllt schlichtweg: Wir brauchen mehr Geld, und dann ist die Welt in Ordnung. ({2}) Auf der anderen Seite sind wir uns darin einig, dass in einigen Bereichen Veränderungen notwendig sind. Ich wiederhole: Diese gehen wir an. Jeder Anbieter im Gesundheitsbereich, die niedergelassenen Ärzte, die Apotheker, die Krankenhäuser, die Krankenkassen, selbst der Rehabereich, die Heilmittelhersteller und -händler bis hin zu den Fahrdiensten, sagt: Bitte geben Sie uns mehr Geld; dann kommen wir besser zurecht. Dabei wissen wir alle, dass Beitragserhöhungen gesamtwirtschaftlichen Schaden verursachen. Wir wissen, dass der Faktor Arbeit durch weitere Beitragserhöhungen teurer wird und eine Belastung erfährt, die dem Volk insgesamt nicht guttun wird. ({3}) - Das sehen wir deutlich anders. Ich will kurz die Verwerfungen des derzeitigen Systems - von keiner der Oppositionsparteien gab es übrigens einen Hinweis, wie wir diese verändern können ansprechen. Viele Ärzte haben das Punktetreten im Hamsterrad regelrecht satt. Sie müssen sich heute letztendlich mehr um die Finanzierung ihrer Praxis- und Mitarbeiterkosten kümmern als um ihre Patienten. Sie fühlen sich zwischen den Mühlsteinen der Krankenkassen und der KVen nur mäßig wohl. Wir geben ihnen mit den Vertragsmöglichkeiten, die wir nun in das Gesetz einbauen, die Chance, direkte Verträge zu schließen. Wir geben ihnen die Freiheit - das ist ein wichtiger Bereich -, Verträge mit Patienten und Patientengruppen abzuschließen und mit diesen intensiver zu arbeiten. Wir halten dies für eine wichtige Verbesserung; das ist der richtige Weg. Die Patienten werden davon profitieren, dass wir im Bereich der Verbände und Krankenversicherungen wesentlich mehr Transparenz schaffen. Diese Transparenz wird von den Gremienvertretern sicherlich ungern gesehen. Aber allein die Straffung und Konzentration von Gremien bietet wirtschaftliche Reserven, die wir im Interesse der Patienten nutzen können. In weiten Bereichen stecken wir heute in einem Teufelskreis. Aus diesem Teufelskreis steigen wir mit dieser Reform aus. Wir wissen sehr wohl, dass wir noch eine Reihe von Aufgaben zu erledigen haben, dass wir in den nächsten Jahren nach dieser Reform an dem einen oder anderen Ende sicherlich noch Veränderungsbedarf wegzuarbeiten haben. Aber jede dieser Veränderungen führt im Endeffekt dazu, dass wir mit den Finanzmitteln, die uns zur Verfügung stehen, eine deutlich bessere Versorgung der Patienten erreichen können. Wir geben damit allen Frauen und Männern die Chance, am medizinischen Fortschritt insgesamt auf Dauer teilzuhaben. Ich sage abschließend: Es ist falsch, zu behaupten, die Beiträge würden durch die Reform steigen. Richtig ist vielmehr, Herr Spieth: Ohne diese Reform würden die Beiträge noch schneller steigen. ({4}) Wir brauchen hier einen Umstieg. Dieser Umstieg wird Zeit in Anspruch nehmen. Diese Zeit sollten wir uns nehmen. Wir bleiben bei der Einschätzung: Mit dieser Reform tun wir Gutes für die Menschen im Lande. ({5}) Wir bitten Sie, noch einmal zu überlegen, wie Sie sich in der Schlussberatung positionieren. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Max Straubinger für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Gesundheitsreformen sind die Reformen, die die Bürgerinnen und Bürger natürlich am meisten bewegen und über die in vielen Bereichen sehr emotional diskutiert wird. Diese Reform betrifft immerhin mehr als 80 Millionen Menschen in Deutschland. Ich gebe meinem Kollegen Jens Spahn ausdrücklich recht, der darauf hingewiesen hat, dass wir in den vergangenen Wochen und Monaten im vorparlamentarischen Bereich sehr intensiv über die Inhalte dieses Gesetzentwurfes diskutiert haben. Im Rahmen des geordneten parlamentarischen Verfahrens haben wir sogar eine über 26 Stunden dauernde Anhörung zu diesem komplexen Themenbereich durchgeführt. Ich denke, es ist wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass die Regierungsfraktionen und die Bundesregierung das hochwertige Gesundheitssystem in Deutschland für die Menschen zukunftsfest machen wollen. Ich bin überzeugt, dass es uns mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz gelingen wird, sicherzustellen, dass die Menschen unabhängig von ihrem Alter, ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft oder ihren finanziellen Möglichkeiten auch in Zukunft mit Spitzen- bzw. Höchstleistungsmedizin versorgt werden. Wir wollen für alle Bürgerinnen und Bürger eine so breite medizinische Versorgung gewährleisten, wie sie sich viele Menschen in Europa und auf der ganzen Welt wünschen würden. ({0}) Wir haben uns in diesem Zusammenhang mit den Fragen beschäftigt, wie unser Gesundheitssystem zukünftig finanziert werden soll, ob ein Fondsmodell das richtige Finanzierungsmittel ist, und ob die gesetzliche und die private Krankenversicherung weiterhin nebeneinander Bestand haben sollen. Sie, Herr Kollege Spieth, haben darauf hingewiesen, dass wir unser Gesundheitssystem durch die Einführung neuer Steuern finanzieren könnten - als Beispiel nannten Sie die Börsenumsatzsteuer -, wie man es auch in England getan hat. ({1}) Man darf aber nicht immer nur die eine Seite der Medaille betrachten. Ohne das englische Gesundheitssystem infrage stellen oder kritisieren zu wollen, muss ich sagen: Ich bin überzeugt, dass das Gesundheitssystem bzw. die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger mit Gesundheitsleistungen in Deutschland weit besser ist als in England. Auch das gehört zur Wahrheit. ({2}) Ich wage zu bezweifeln, dass es gut wäre, wenn wir im Hinblick auf unser Gesundheitssystem und die medizinische Versorgung der Menschen englische Verhältnisse hätten. ({3}) Darüber hinaus wurde gefordert, dass wir unserem Gesundheitssystem noch mehr Steuermittel zukommen lassen sollten. Durch einen solchen Schritt würde man allerdings den Entwicklungen des medizinischen Fortschritts, den neuen Wettbewerbsmöglichkeiten und dem Umstand, dass manche Angebote aufgrund des Wettbewerbs möglicherweise sogar billiger werden, in keiner Weise gerecht. Man muss auch die Strukturen verändern. Dieser Gedanke wurde im vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung aufgegriffen. Ich glaube, dass wir in vielerlei Hinsicht stolz auf diesen Gesetzentwurf sein können. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Dr. Enkelmann? ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Straubinger, stimmen Sie mir zu, dass man sich, wenn es um einen solch wichtigen Gesetzentwurf geht, zuallererst mit der Frage der Finanzierung beschäftigen muss? Haben Sie unserem Gesundheitssystem nicht vor allen Dingen durch Ihren Umgang mit den Einnahmen aus der Tabaksteuer und durch die Mehrwertsteuererhöhung Geld entzogen? Sind Sie nicht auch der Meinung, dass es nicht ausreicht, ausschließlich das Prinzip Hoffnung walten zu lassen? ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen arbeiten nicht nach dem Prinzip Hoffnung. Im Gegenteil, ({0}) wir stärken die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Das hatte zur Folge, dass wir im Jahre 2006 auf mehr als 300 000 neu geschaffene sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse verweisen konnten. Dadurch, dass nun mehr Menschen als bisher Krankenversicherungsbeiträge zahlen, fließen sowohl dem System der gesetzlichen als auch dem System der privaten Krankenversicherungen mehr Mittel zu. ({1}) Zusätzlich haben wir dafür zu sorgen, dass die Finanzierung auf eine nachhaltige Grundlage gestellt wird. Wir haben - ich sage das nicht, um irgendjemandem Vorwürfe zu machen - in der Vergangenheit die Augen verschlossen und geduldet, dass die gesetzlichen Krankenkassen Schulden in fast astronomischer Höhe gemacht haben. Für die Zukunft ist es wichtig, den Bürgerinnen und Bürgern zu verdeutlichen: Diese Bundesregierung setzt auf nachhaltige Finanzierung. Das bedeutet, über einen längeren Zeitraum finanziell zu untermauern, dass die gesetzliche Krankenversicherung ihren Schuldenberg abbaut sowie die Leistungsversprechen gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einhält. ({2}) Dies macht diese Bundesregierung; ich glaube, das bringen wir in diesem Gesetzgebungsverfahren zum Ausdruck. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Spieth?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte sehr.

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir in diesem Parlament die Gelegenheit haben, zu fragen, wenn Unklarheiten entstehen. Ich habe vorhin gesagt, dass wir für die Einführung einer Börsenumsatzsteuer nach englischem Vorbild sind - unabhängig von der Frage der Finanzierung der Krankenversicherung - und dass wir für die Wiedereinführung der Vermögensteuer sind. Wir haben gesagt, dass dies 50 Milliarden Euro mobilisieren würde. ({0}) Ihr Finanzminister sagt, dass ihm jede Fantasie fehlt, woher er die für die Steuerfinanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung zugesagten 14 Milliarden Euro nehmen soll, selbst wenn dieser Betrag schrittweise, über eiFrank Spieth nen Zeitraum von zehn Jahren, aufgebaut werden sollte. Deshalb die konkrete Frage: Wäre das nicht ein Ansatz, die fehlenden Milliarden dort zu holen? ({1})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auf keinen Fall, Herr Spieth. ({0}) Ich sage ja nicht, dass es keine vernünftige Grundlage ist, etwas über Steuern zu finanzieren. ({1}) Wir haben - auch wenn es in einzelnen Bereichen sicherlich verbesserungswürdig ist - ein vernünftiges Steuersystem. Aber für mehr Beschäftigung in Deutschland müssen wir zuvörderst unser Steuerrecht wettbewerbsfähig machen. Wir dürfen den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland keine zusätzlichen Belastungen aufbürden. ({2}) Der Union wird in diesem Gesetzgebungsverfahren zum Vorwurf gemacht, sie habe sich am stärksten für den Erhalt der privaten Krankenversicherung eingesetzt; besonders wird das mit den Interessen der Versicherungsunternehmen in Verbindung gebracht. Verehrte Damen und Herren, wir haben uns nicht für die Interessen und Geschäftsmodelle der Versicherungsunternehmen eingesetzt, sondern wir haben uns für die 8 Millionen in diesem Geschäftsmodell Versicherten eingesetzt, damit sie durch die Reform nicht mit übergebührlichen Beitragserhöhungen belastet werden. ({3}) Damit tragen wir dazu bei, dass auch ihre Krankheitsversorgung sichergestellt ist. ({4}) Das ist letztendlich das Ansinnen der Union - und nichts anderes, wie es im politischen Wettbewerb manchmal falsch dargestellt wird. Ich glaube, dass die Union und die SPD im Verlauf der Anhörungen in verschiedensten Bereichen durchaus sinnvolle Änderungen aufgenommen haben, auch sehr viele, die der Bundesrat eingebracht hat, bzw. Änderungsvorschläge noch aufgreifen werden. Ich möchte ausdrücklich begrüßen, dass wir die Krankenhäuser nicht so belasten werden, wie es ursprünglich angedacht war, und dass wir die psychiatrischen Kliniken von den Einsparungen ausnehmen werden. Die andere Seite der Medaille ist dann natürlich, dass die Bürgerinnen und Bürger das, was nicht eingespart wird, durch Beiträge zu erbringen haben. Da ich aus einem Flächenwahlkreis komme, füge ich hinzu: Für die Lebensqualität der Menschen ist es von großer Bedeutung, dass auch weiterhin eine flächendeckende und ortsnahe Krankenhausversorgung gewährleistet ist. ({5}) Auch dies ist hier natürlich einzubeziehen. Aufgrund der Veränderungen, die die Krankenhäuser sowieso zu tragen haben, ist das gemachte Angebot sicherlich vernünftig. Noch ein Zweites. Ich begrüße es ausdrücklich, dass die vorgesehenen Änderungen und Kürzungen beim Rettungsdienst nicht vorgenommen werden. ({6}) Wer jemals auf einen Rettungswagen gewartet hat, weil ein Angehöriger in einer Notsituation war, der weiß, wie lang diese Minuten sein können. Ich höre, dass die die Bundesregierung tragenden Fraktionen entsprechende Änderungen herbeiführen wollen, ({7}) und ich glaube, dass das eine sehr sinnvolle Lösung ist. In diesem Sinne zeigt sich sehr deutlich, dass wir ein Gesetz verabschieden werden, das letztendlich im Sinne der Patientinnen und Patienten ist. Besten Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wir sind damit am Ende der Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/3950 und 16/4020 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 2 auf: Befragung der Bundesregierung ({0}) Ich bitte diejenigen, die der weiteren Debatte nicht mehr folgen wollen oder können, den Saal zu verlassen. - Die Bundesregierung hat als Thema der gestrigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Umweltbericht der Bundesregierung 2006. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel. ({1}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Aufmerksamkeit und darum, die Gespräche außerhalb des Saales zu führen, damit wir dem Bericht des Bundesministers folgen können. - Herr Minister, bitte.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf Ihnen den Umweltbericht 2006 vorstellen. Sie wissen sicher, dass die Bundesregierung nach dem Umweltinformationsgesetz alle vier Jahre einen Umweltbericht vorzulegen hat. Dies ist eine gesetzliche Pflicht, um sowohl über den Zustand der Umwelt als auch über die vergangenen und die geplanten Maßnahmen der Umweltpolitik Rechenschaft abzulegen. Dieser Umweltbericht, der sich über vier Jahre erstreckt, ist natürlich insofern interessant, als die Umweltpolitik der vergangenen Regierung einen großen Teil umfasst, während die Umweltpolitik der neuen Bundesregierung - dabei geht es also um das letzte Jahr - Gegenstand eines nur relativ kurzen Teiles ist. Sie werden jedoch feststellen, dass es in vielen Bereichen ein hohes Maß an Kontinuität gibt. Das ist im Sinne einer engagierten Umweltpolitik sicherlich sinnvoll. Wenn Sie sich im Bericht beispielsweise die Ausführungen zu der Abfallwirtschaftspolitik und den darin erzielten Erfolgen in den letzten Jahren anschauen, dann werden Sie sehen, dass die jetzige Bundesregierung Kontinuität hinsichtlich der Weiterbearbeitung der dort notwendigen Anpassungsmaßnahmen walten lässt. Auch auf der europäischen Ebene befinden wir uns beispielsweise mit der jetzigen Debatte über die Abfallrahmenrichtlinie in einer großen Kontinuität zu der vorherigen Politik. Das Gleiche gilt für die Erfolge im Bereich des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Ich glaube, es ist außerordentlich zufriedenstellend, dass die Entwicklung im Umweltbereich - vielleicht anders als in früheren Jahren - nicht mehr Gegenstand großer Kontroversen der hier im Hause vertretenen Parteien ist. Sicher befinden wir uns im Wettbewerb über die Frage, wie man den Ausbau erneuerbarer Energien am schnellsten erreicht, aber es gibt keine Debatte mehr über die Frage, ob das notwendig ist oder nicht. Ich finde, dass das eine gute Entwicklung ist. Sie werden also eine ganze Reihe von Dingen finden, die in der letzten Legislaturperiode begonnen wurden und jetzt ihre Fortsetzung finden. Sie werden aber natürlich auch eine Reihe von Punkten finden, bei denen wir noch einen deutlichen Handlungsbedarf haben. Auf einige dieser Punkte möchte ich gerne eingehen. Lassen Sie mich aber auch sagen, dass die Bundesregierung, die von den Koalitionsfraktionen der CDU/ CSU und der SPD getragen wird, Wert darauf legt - ich glaube, das ist verständlich -, festzuhalten, was sich in den letzten zwölf bis 15 Monaten getan hat. Dazu will ich einige Anmerkungen machen. Wir haben die Mittel für Forschung und Entwicklung im Bereich erneuerbare Energien fast verdoppelt. Sie betragen bereits jetzt weit mehr als 80 Millionen Euro und sollen auf 100 Millionen Euro pro Haushaltsjahr erhöht werden. Was die Anreize für regenerative Wärme angeht, haben wir die Mittel von 130 Millionen Euro mit diesem Haushaltsjahr auf weit über 210 Millionen Euro erhöht. Bei der energetischen Gebäudesanierung haben wir den Anteil der Finanzmittel erhöht, mit denen wir jedem Bürger, jeder Bürgerin und jetzt auch den Kommunen helfen wollen, etwas gegen Energieverschwendung zu tun, was positive Auswirkungen auf das Klima - weil die CO2-Emissionen sinken -, auf das Portemonnaie und vor allem auf die Konjunktur im Handwerk hat, wo wieder mehr eingestellt und ausgebildet wird. In diesem Bereich haben wir die Mittel mit der im Koalitionsvertrag getroffenen Vereinbarung vervierfacht. Wir haben das lange debattierte Projekt durchgesetzt, 125 000 Hektar wertvolle Naturfläche vor dem Verkauf und der Nutzung zu schützen, indem wir sie in die „Stiftung Deutsches Naturerbe“ einbringen. Wir haben die Rechtsstreitigkeiten um die europäische Natura-2000-Richtlinie im Bereich der FaunaFlora-Habitat-Richtlinie gemeinsam mit den Ländern geklärt. Wir sind mit den Ländern darin einig. Das Klageverfahren von der Europäischen Union gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der mangelnden Umsetzung der Naturschutzrichtlinie im Bereich der FFHGebiete ist zurückgezogen worden. Wir haben in der Europäischen Union mitgeholfen, nach acht Jahren endlich 30 000 Altstoffe, die weit über 90 Prozent der Altchemikalien ausmachen, einem Registrierungs-, Bewertungs- und Zulassungsverfahren zu unterziehen. Wir haben gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen in der Europäischen Union die neuen Abgasstandards Euro 5 und Euro VI in der Europäischen Union durchsetzen können. Die Kennzeichnungspflicht ist eingeführt worden. Wir haben die Partikelfilterproblematik angehen können und gehen davon aus, dass sie endlich positiv abgeschlossen werden kann. Wir haben das Fluglärmschutzgesetz verabschiedet. Hinsichtlich der Verpackungsverordnung haben wir gemeinsam mit der Wirtschaft und den Ländern Eckpunkte durchgesetzt, um die „Trittbrettfahrerei“ zu beenden, dass manche Unternehmen die Verpackungen nicht zurücknehmen und trotzdem nicht in das Duale System einzahlen, ihre Wirtschaftlichkeit also zulasten anderer optimieren. Wir haben zudem ein Projekt in Gang gesetzt, das bereits für die letzte Regierung eine hohe Priorität hatte, und zwar den Ausbau von Offshoreanlagen, also die Nutzung der Windenergie etwa 50 Kilometer vor der deutschen Nordseeküste. Mit der Durchsetzung des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes haben wir es geschafft, die Netzanbindung dieser Anlagen an das Übertragungsnetz an Land umlagefähig zu machen, und damit die größte Hürde beseitigt, die bisher beim Ausbau der Offshorewindenergieparks existiert hat. Wir haben im Übrigen auch - darauf will ich an dieser Stelle hinweisen - mit den Unternehmensverbänden und den einzelnen Unternehmen der Umwelttechnologie - an erster Stelle ist der Bundesverband Erneuerbare Energie zu nennen - verabredet, dass in den kommenden zwei Jahren 5 000 zusätzliche Ausbildungsplätze in der Umwelttechnik zur Verfügung gestellt werden sollen. Ich glaube, dass sich diese Bilanz der Regierungsarbeit in diesem Bereich sehen lassen kann. Wir haben die Beimischungspflicht bei den Biokraftstoffen weiterentwickelt, und trotz aller Auseinandersetzungen mit der Kommission über die Datengrundlage beim Emissionshandel und den Nationalen Allokationsplan kann man mit Fug und Recht darauf hinweisen, dass wir deutlich stärker bereit sind, in Deutschland mehr für den Klimaschutz zu tun, als es noch in der vergangenen Legislaturperiode durchsetzbar war. Damals hatten wir das Minderungsziel von 2 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Jetzt liegt selbst das Ziel, das die Bundesregierung gegenüber der Kommission vertritt, bei fast 50 Millionen Tonnen unter den Vorgaben der ersten Handelsperiode. Insofern ist auch im Klimaschutz eine deutliche Verbesserung zu verzeichnen. Trotzdem gibt es Bereiche, die in den kommenden Jahren noch erhebliche Anstrengungen erfordern werden. Ich will jetzt nicht auf das Thema Energie eingehen - möglicherweise gibt es dazu noch Fragen -, sondern zwei Punkte beleuchten, die sonst weniger im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Der erste Punkt ist die weltweite Ressourcenentwicklung über den Bereich Energieversorgung hinaus. Wir sind heute 6,5 Milliarden Menschen auf der Erde. In einigen Jahren oder Jahrzehnten werden es 9 Milliarden Menschen sein. Wenn unser Ressourcenverbrauch unverändert bleibt, dann brauchen wir dafür mindestens zwei Planeten. Wir haben aber nur einen. Daraus ergeben sich schon heute dramatische Kennziffern, die klarmachen, dass wir auf der einen Seite effizienter mit den Ressourcen umgehen müssen und auf der anderen Seite verstärkt auf nachwachsende Rohstoffe setzen müssen. Bei den Böden ist es so, dass 66 Prozent der weltweit genutzten Anbauflächen für Nahrungsmittel inzwischen geschädigt sind. 11 Prozent der Erdoberfläche sind inzwischen so zerstört, dass dort kein Anbau mehr möglich ist. In Afrika haben sich seit 1950 die landwirtschaftlichen Flächen um immerhin 65 Prozent verschlechtert. Nur 1 Prozent der Erdoberfläche ist mit Süßwassersystemen bedeckt. Über 70 Prozent der Süßwasserquellen sind belastet oder schon zerstört. Der jährliche Verbrauch an Grundwasser übersteigt die natürliche Regenerationsrate bei weitem, und zwar um über 160 Milliarden Kubikmeter. Die Vereinten Nationen warnen davor, dass 60 bis 70 Prozent der Fischbestände voll genutzt bzw. übernutzt sind. Oder betrachten Sie die Bodenschätze: Man muss sich vorstellen, dass es heute 1,4 Milliarden Menschen auf der Erde gibt, die in industrialisierten Gesellschaften leben. In einigen Jahrzehnten werden es 4 Milliarden Menschen sein. Das wird eine gigantische Steigerung der Nachfrage nach Rohstoffen zur Folge haben. Wir werden deshalb auf erneuerbare Rohstoffe setzen müssen. Da meine fünf Minuten Redezeit schon überschritten sind, will ich zum Ende kommen und abschließend nur noch auf den rasanten Artenschwund hinweisen, den wir nicht nur in unserem Land, sondern weltweit zu verzeichnen haben. Dieser Bereich bedarf einer weit größeren Aufmerksamkeit als bisher; darüber haben wir schon einmal im Bundestag eine Debatte geführt. Auf diesen und weiteren Feldern müssen wir uns in Zukunft wesentlich stärker politisch und administrativ betätigen, auch auf internationaler Ebene. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich bitte, zunächst die Fragen zu stellen, die unmittelbar den Themenbereich betreffen, über den gerade berichtet wurde. Als Erste Frau Bulling-Schröter.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, danke für den Bericht. - Meine Frage betrifft den Emissionshandel. Im Umweltbericht 2006 werden im Hinblick auf das Emissionsminderungsziel Defizite im Energiebereich deutlich benannt, während im Abfallbereich und in der Landwirtschaft schon größere Minderungserfolge erreicht sind. In diesem Bericht steht unter der Überschrift „Emissionshandel“, man wolle „stringente Emissionsziele“ festlegen. Die EU hat die Vorgabe gemacht, von 2008 bis 2012 den deutschen Jahresausstoß an CO2 auf 453 Millionen Tonnen zu verringern. Die Bundesregierung hat dagegen Einspruch erhoben. Meine Fragen an Sie lauten: Wann wird die Bundesregierung beim NAP II zu einer Einigung kommen? Entsprechen Zeitungsberichte der Tatsache, dass Sie eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof wegen des Emissionsausstoßes anstreben?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Meine Antwort auf Ihre Fragen lautet: Erstens. Die Bundesregierung geht davon aus, dass wir mit der Europäischen Kommission einig werden. Ich persönlich hoffe jedenfalls, dass das bis Ende Januar der Fall sein wird. Zweitens. Es gibt seitens der Bundesregierung keinen Beschluss, eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof anzustreben.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Heilmann, bitte sehr.

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, auch ich danke Ihnen für den Bericht. Ich habe eine konkrete Nachfrage. Auf Seite 107 formulieren Sie als Ziel die Verringerung des Fluglärms, um Anwohner vor Gesundheitsschäden zu schützen. Vor knapp vier Wochen hat dieses Hohe Haus die Novellierung des Fluglärmschutzgesetzes beschlossen. Alle Kollegen von der rechten Seite waren der Meinung, dass das Fluglärmschutzgesetz nicht dazu dient, den Fluglärm zu verringern und aktiven Lärmschutz zu betreiben, sondern nur passiven Lärmschutz gewährt. Deshalb jetzt meine Nachfrage: Können Sie den Widerspruch zwischen der Aussage im Umweltbericht, man wolle Fluglärm verringern, und der Tatsache, dass das Fluglärmschutzgesetz nur passiven Lärmschutz bietet - das heißt, kein einziger Flughafen wird durch dieses Gesetz leiser -, aufklären? Oder wird die Bundesregierung in nächster Zeit, innerhalb der nächsten sechs Monate, eine Initiative starten, die ausdrücklich aktiven Lärmschutz an Flughäfen vorsehen wird?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Herr Kollege, Sie akzeptieren sicher, dass ich als Mitglied der Bundesregierung keine Bewertung über das Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag abgebe. Wer rechts bzw. links sitzt, das kommt immer auf die Perspektive an; das ist meine einzige Positionierung dazu. Jedenfalls gibt es den von Ihnen dargestellten Widerspruch nicht. Das hier im Haus verabschiedete Fluglärmschutzgesetz enthält hinreichend verschärfte Anforderungen im Bereich des Luftverkehrs. Übrigens ist der Gesetzestext wortgleich, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, mit dem Entwurf der alten Bundesregierung gewesen; lediglich in den Ausschussberatungen hat es dann Veränderungen gegeben. Die Meinung, es gebe keine verschärften Grenzwerte, teile ich nicht; für den Bereich der Siedlungsentwicklung in der Nähe von Flughäfen zum Beispiel gibt es diese sehr wohl.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, Sie haben sich eben intensiv für den Schutz der Artenvielfalt ausgesprochen. Dabei wollen wir Sie gern unterstützen. Es gibt einen besonders wichtigen Bereich, das Nationale Naturerbe, der, was die Artenvielfalt angeht, besonders kostbar ist. Die Bundesregierung hat entschieden, dass sie diese Flächen kostenlos an die Länder und an Dritte übertragen will. Die Frage an Sie lautet: Mit welchen naturschutzfachlichen Auflagen wollen Sie diese Übertragung an Dritte verbinden, um diesen wertvollen Bestand zu bewahren?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Erstens haben wir den Verkauf zur wirtschaftlichen Nutzung - wir sind ja bisher Eigentümer - nicht durchgeführt. Zweitens gehen wir davon aus, dass dies bei der Übergabe vertraglich gesichert wird. Drittens soll das in eine Stiftung münden, wobei bereits der Stiftungszweck beschreiben wird, wie der Schutz und die Entwicklung dieser Flächen auszusehen haben. ({0}) - Das hängt von der Vertragsgestaltung ab. Darüber hinaus kann es auch darum gehen - das hängt allerdings von den jeweiligen Landesgesetzgebern ab -, die Flächen in eine bestimmte Naturschutzkategorie zu bekommen, wenn sie noch nicht darin sind. Dies ist aber, wenn ich das rechtlich richtig einordne, nicht über die Bundesregierung möglich. Ein solches Verfahren müsste in den jeweiligen Ländern betrieben werden. Ich bin absolut sicher, dass wir die vertraglichen Regelungen hinbekommen werden. Frau Kollegin Höhn, wenn Sie mir diese Bemerkung noch gestatten: Wenn Sie eine gute Idee haben, dann sagen Sie sie uns. Wir haben kein Interesse daran, diese Flächen über einen langen Zeitraum von zehn oder 15 Jahren wieder zu verlieren. Wir sind für Anregungen offen. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die nächste Frage kommt vom Kollegen Fell.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, Sie haben von einem Wettbewerb bei den Ideen für erneuerbare Energien gesprochen. Wenn ich in die Kurzfassung dieses Umweltberichtes schaue, dann finde ich sie dort nicht dargestellt. Unter den politischen Maßnahmen sind mit einer Ausnahme - 2006 wurde das EEG erneut zugunsten stromintensiver Betriebe novelliert - ausschließlich Maßnahmen aus der Zeit der rot-grünen Bundesregierung dargestellt. Unter dem Punkt Perspektiven, also was es Neues geben soll, finde ich nur die drei Wörter „erneuerbare Energien ausbauen“. Insofern würde mich schon sehr interessieren, welchen Beitrag die Bundesregierung zu dem Wettbewerb bei neuen Maßnahmen zum Ausbau erneuerbarer Energien leistet. Wie sieht es mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz oder mit dem Wärmegesetz aus? Wird es ein Biogaseinspeisungsgesetz geben? Viele Ideen sind in der Diskussion - da haben Sie Recht -, aber im Umweltbericht finde ich nichts darüber.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Herr Kollege Fell, wenn Sie mir die bösartige Bemerkung erlauben: Ich möchte Sie bitten, auch die Langfassung zu lesen. Ich will Ihnen aber gerne einige Hinweise geben, was dort steht. Beginnen wir mit dem Thema Biokraftstoffe. Die Tatsache, dass die Bundesregierung verabredet hat, den Anteil der beizumischenden Biokraftstoffe zu erhöhen - die bis 2009 begrenzte Steuerfreiheit für Biokraftstoffe wird übrigens verlängert, die der BtL-Kraftstoffe sogar bis 2015 -, ist Bestandteil einer Strategie zum Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien. Ich habe bereits auf den Teil „Windenergie“ hingewiesen. Sie haben recht: Offshorewindenergie war auch unter Rot-Grün ein Ziel. Allerdings ist kein Instrument gefunden worden, mit dem man dafür sorgen kann, dass Investitionen in diesem Bereich - die Kosten sind relativ hoch - interessant werden. Ich habe Ihnen ein Beispiel dafür genannt, dass wir auf diesem Gebiet unserer Meinung nach einen ganz großen Schritt getan haben. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die Europäische Union in ihrem Energieaktionsplan ihre Ziele beim Ausbau der Förderung erneuerbarer Energien zwischen 2010 und 2020 festlegt. Aus meiner Sicht sind diese Ziele in einigen Bereichen zu niedrig angesetzt. Was zum Beispiel den Biokraftstoff angeht, sind jetzt 10 Prozent in Rede. Wir sind der Meinung: 12,5 Prozent sind durchaus erreichbar. Der Energieaktionsplan der Europäischen Union enthält Post-2010-Ziele. Auch das schlägt sich im Programm der Bundesregierung nieder. Wie Sie wissen, werden wir in diesem Jahr eine Überprüfung, einen Review-Prozess, im Bereich des EEG haben. Darüber werden wir sicher auch hier im Haus diskutieren müssen. Was die Nutzung der erneuerbaren Wärme angeht, will ich nur auf Folgendes hinweisen: Zu Zeiten der alten Bundesregierung sind ungefähr 60 000 bis 80 000 entsprechende Anträge - ich weiß die Zahl nicht mehr ganz genau - gefördert worden; nunmehr haben wir diese Anzahl verdoppelt. Wir haben in diesem Haushalt die Mittel von 130 Millionen Euro auf 213 Millionen Euro erhöht. Man kann immer sagen: Das reicht noch nicht. Aber es ist auf jeden Fall deutlich mehr, als zu Zeiten der alten Bundesregierung - weshalb auch immer - durchsetzbar gewesen ist.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin Behm, bitte.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, Sie haben die Frage der erneuerbaren Rohstoffe angesprochen. Da fällt mir als Agrarpolitikerin spontan das Thema Phosphor ein. Es gibt gewisse Zielkonflikte: Auf der einen Seite wollen wir auf der Fläche sehr viel anbauen, um so erneuerbare Energien, sprich: Biomasse, zu fördern; auf der anderen Seite müssen wir aber auch die Ernährung sicherstellen. Wir brauchen Phosphor also in einer bestimmten Größenordnung. Die fossilen Vorräte sind nahezu erschöpft. Wir können Phosphor aus Kläranlagen rückgewinnen; die notwendige Technologie ist vorhanden. Aber sie wird nicht genutzt, weil sie im Moment noch zu teuer ist. Können Sie sich vorstellen, dass Sie entweder mit ordnungspolitischen Maßnahmen, mit einem geeigneten Förderprogramm oder wie auch immer dafür sorgen, dass das Vorhaben „Phosphorrückgewinnung aus Kläranlagen“ so schnell wie möglich in die Gänge kommt?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Frau Kollegin, wir haben in unserem Haus ein erstes Konzept für eine Ressourcenstrategie erarbeiten lassen. Das Thema Phosphor ist ein größerer Bestandteil dieses Konzepts, weil uns die Problematik bekannt ist. Ob wir uns vorstellen können, mit ordnungspolitischen Maßnahmen dafür zu sorgen, dass dieses Vorhaben so schnell wie möglich in die Gänge kommt: Bitte, haben Sie Verständnis dafür, dass ich diese Frage hier nicht spontan beantworten kann. Aber in der Tat wird es darum gehen, dass die Bundesregierung Initiativen ergreifen muss, um dem absehbaren und dem bereits existierenden Mangel in diesem Bereich abzuhelfen. Ich möchte bei der Behandlung dieses wichtigen Themas eine zweite Strategie benennen, die mit dem Einsatz von Düngemitteln und anderem nichts zu tun hat. Es geht eher um die Frage, ob wir eigentlich zu einem anderen Umgang mit erneuerbaren Energien, also mit nachwachsenden Rohstoffen, kommen müssen. Zurzeit machen wir Folgendes - das werden wir eine Weile beibehalten müssen, weil es in diesem Stadium die einzige Möglichkeit ist -: Wir unterstützen diejenigen, die versuchen, aus einer Pflanze ein bestimmtes Produkt zu erzeugen. Wir subventionieren diejenigen über den Strompreis, die durch die Verarbeitung einer Pflanze Strom erzeugen; wir befreien diejenigen von Steuern, die durch die Verarbeitung einer Pflanze Benzin oder Diesel erzeugen; wir lassen denjenigen Technologieförderung zukommen, die durch die Verarbeitung einer Pflanze Zellulose oder Kleidungsstücke herstellen. Sie haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass wir neben dem Anbau nachwachsender Rohstoffe gelegentlich auch noch Nahrungsmittel anbauen wollen. Angesichts der begrenzten Anbaufläche kommt es zu Nutzungskonkurrenzen. Ganz abgesehen davon ist eine Debatte über Zertifizierungssysteme dringend notwendig. Es macht wenig Sinn, die Zerstörung der Regenwälder durch den Sojaanbau in Zukunft durch eine Zerstörung der Regenwälder aufgrund der Gewinnung von Palmöl zu ersetzen. Von diesem Problem einmal ganz abgesehen, wird es darum gehen, dass wir aus jeder einzelnen Pflanze technologisch mehr herausholen müssen. Dahinter steckt das Konzept von Bioraffinerien. Im Grunde müssen wir akzeptieren, dass die Chemieindustrie traditionell eine Plattformindustrie ist. Wir müssen aus der einzelnen Pflanze unterschiedliche Rohstoffe gewinnen, die wir unterschiedlichen Nutzungen zuführen können. Eine entsprechende Strategie müssen wir beraten. Dabei geht es auch um die Frage: In welche Richtung lenken wir mit bestimmten Anreizsystemen, die wir entwickelt haben, die technologische Entwicklung? Wir stehen noch vor der Auseinandersetzung über diese Frage. Wenn wir sie nicht angehen, wird es zu erheblichen Nutzungskonkurrenzen kommen. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin Hirsch.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe noch eine Frage zum Naturschutzrecht. Im Bericht wird angekündigt, dass im Zuge der Föderalismusreform Änderungen geplant sind. Wie soll das konkret aussehen? Geht es um eine vollständige Änderung, oder geht es nur darum, die Regelungen zur Anlagegenehmigung zu ändern? Im letzten Jahr gab es eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, in der gefordert wurde, kleinere Änderungen vorzunehmen. Wann soll das angegangen werden? Wie sehen hier die aktuellen Planungen aus?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Zur letzten Frage: Wir haben mit der Kommission verabredet, dass sie keine weiteren Schritte in Richtung eines Vertragsverletzungsverfahrens unternimmt. Klar ist, dass wir die geforderten Änderungen am Bundesnaturschutzgesetz nicht vornehmen können, solange wir keine Klarheit darüber haben, welche Konsequenzen wir aus der Verfassungsreform ziehen müssen. Das hat die Kommission akzeptiert. Wir müssen nun die Debatte über die Konsequenzen der Föderalismusreform abwarten, um Änderungen am Bundesnaturschutzgesetz vornehmen zu können. Die Frage, wie sich das Bundesnaturschutzrecht vor dem Hintergrund der Föderalismusreform entwickelt, ist in diesem Hause hochstrittig debattiert worden. Die Rechtslage stellt sich nun so dar, dass wir, der Bund, die Grundsätze des Naturschutzes weiterhin festlegen. Jetzt wird es natürlich eine Diskussion um die Frage geben, was zu den Grundsätzen des Naturschutzes gehört. Ich gebe ein Beispiel: Ich halte es für einen Grundsatz des Naturschutzrechtes, dass Eingriffe in den Naturhaushalt ausgeglichen werden müssen. Mir kann jedes Bundesland erklären, es glaube nicht, dass das so sei; ich bin aber der festen Überzeugung, dass es ein Grundsatz ist, dass man nicht einfach so erheblich in Natur und Landschaft eingreifen kann, sondern sinnvollerweise für einen Ausgleich sorgen muss. Zunächst muss es aber zu einer Abwägung kommen, ob der Eingriff überhaupt notwendig ist. Ich bitte um Verständnis dafür, dass wir unserem Zeitplan folgen: Bis Mitte des Jahres wird ein Referentenentwurf vorliegen. Ich nehme stark an, dass Sie den Entwurf parallel erhalten werden; so wurde bei allen vorangegangenen Regierungen verfahren. Wir werden uns dann wahrscheinlich schon vor der Beratung im Deutschen Bundestag öffentlich über die Details unterhalten. Nur eine prinzipielle Bemerkung: Den Glauben, dass alles Gute von oben kommt, dass ein guter Naturschutz nur möglich ist, wenn alles bundesweit in Berlin geregelt wird, teile ich schon aus biografischen Gründen nicht. Das erste Umweltministerium gab es übrigens in einem Land, 16 Jahre, bevor es das im Bund gab. Die Entstehung von Nationalparks in Westdeutschland war Länderangelegenheit; in Ostdeutschland wurden sie per Volkskammerentscheid am 12. September 1990 geschaffen. Naturschutz wird seit vielen Jahren in den Ländern betrieben, und zwar engagiert und in eigener Kompetenz. Ich teile nicht die Auffassung, dass Naturschutzfragen ausschließlich beim Bund gut geregelt werden können. Ich glaube, dass es auch in den Ländern engagierten Naturschutz gibt und auch in Zukunft geben wird. Ich bin auch der Überzeugung, dass es Sinn macht, in den 16 Länderdemokratien, die es in Deutschland gibt, um den Naturschutz zu streiten, ihn zu einem politischen Thema zu machen und ihn nicht nur auf Bundesebene zu betreiben. Das ist meine persönliche Haltung. Es wird darum gehen, mit der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes und im Rahmen des Umweltgesetzbuches die Grundsätze des Naturschutzes so zu definieren, dass Ideen zur Einschränkung des Naturschutzes aus den Ländern - ich sprach vorhin davon - nicht Realität werden können.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin Kotting-Uhl.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. - Herr Minister, herzlichen Dank für die Vorlage des Berichtes. Um Ihren Hinweis an den Kollegen Fell aufzugreifen, möchte ich sagen: Da wir den Bericht im Gegensatz zu Ihnen erst seit gestern haben, konnten wir alle die 146 Seiten noch nicht gründlich durchlesen. Nach dem, was ich - selektiv - gelesen habe, muss ich sagen: Es steht manches Schöne drin, bei dem wir Sie auch gern unterstützen, manchmal aber auch gern treiben würden. ({0}) Die Langfassung bestätigt den Eindruck, den ich schon bei der Kurzfassung gewonnen hatte, nämlich dass die Analysen meist deutlich schärfer und gründlicher ausfallen als die Maßnahmen. Ich habe eine konkrete Frage zur Ressourcenpolitik, zu der, wie wir alle wissen, in vorderster Linie auch die Abfallpolitik gehört. Warum wird im Umweltbericht der Bundesregierung das Ziel einer vollständigen Verwertung von Siedlungsabfällen bis 2020 nicht bei den weiteren Ausbauzielen in der Abfall- und Kreislaufwirtschaft benannt, obwohl eine vom Umweltbundesamt zu dieser Zielvorgabe in Auftrag gegebene Studie 2005 zu dem Ergebnis gekommen ist, dass eine vollständige Verwertung von Siedlungsabfällen bereits mit dem heutigen Stand der Technik erreichbar wäre, und eine Broschüre des BMU zur Abfallwirtschaft vom Juli 2006 diese Zielvorstellung noch weitgehend enthält? Heißt das, dass die Bundesregierung jetzt von dieser Zielvorgabe abrückt?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Nein.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Klare Antwort: „2020“ bleibt.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Sie haben mich gefragt, ob wir bei der Zielvorgabe bleiben. Darauf antworte ich: Ja. Wir werden dafür aber gemeinsam eine Menge tun müssen. Von allein wird das nicht geschehen. Ich halte das aber für realisierbar.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Warum steht es nicht darin?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Keine Ahnung. Ich weiß es nicht. - Damit wir das jetzt nicht zu formell betreiben, sage ich: Auch ich kenne den Bericht in der Langfassung erst seit zwei Tagen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Kauch aus der FDP-Fraktion.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, zwei Fragen zur Ratspräsidentschaft. Erstens. Die Europäische Kommission hat einen Entwurf vorgelegt, nach dem die Europäische Union eine Reduktion der CO2-Emissionen um 20 Prozent unkonditioniert und um 30 Prozent für den Fall vorsieht, dass andere mitmachen. Ich glaube, alle Fraktionen dieses Hauses haben sich für das 30-Prozent-Ziel ausgesprochen. Ich möchte in diesem Zusammenhang gern wissen, wie die Bundesregierung als Ratspräsidentschaft hier agieren will. Falls es beim 20-Prozent-Ziel bleibt: Wird die Bundesregierung bzw. werden die sie tragenden Fraktionen bei ihrem 40-Prozent-Ziel zur Reduktion im nationalen Bereich bleiben? Die zweite Frage betrifft den Emissionshandel im Luftverkehr. Hierzu gibt es einen Vorschlag des Umweltkommissars und eine Entschließung des Europäischen Parlaments, die sich darin unterscheiden, ob man ein eigenes System aufbaut - so das Europäische Parlament - oder den Luftverkehr in das bestehende System einbezieht. Hierzu möchte ich gern die Verhandlungslinie der Präsidentschaft wissen.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Ich beginne mit der Beantwortung der zweiten Frage. Ich bitte um Verständnis dafür, dass die Präsidentschaft bei Beginn der Verhandlungen ein bisschen zurückhaltend sein sollte, wenn es darum geht, öffentlich zu erklären, was sie am Ende erreichen will. Aber ich kann Ihnen die Position des Umweltministeriums dazu darstellen. Nach unserer Überzeugung muss man den Luftverkehr, der nach Europa geht oder aus Europa in andere Staaten geht, in das System einbeziehen, weil es sonst zu ganz erheblichen Wettbewerbsverzerrungen innerhalb Europas kommt. Ob uns das am Ende gelingt, wird von vielen Verhandlungen abhängen. In diese Verhandlungen müssen, finde ich, auch die Optimierungsstrategien im Luftverkehr zur Verringerung des Kraftstoffverbrauchs einfließen, bevor wir überhaupt mit dem Emissionshandel beginnen, zum Beispiel auch dadurch, dass wir die Flugsicherungssituation ein Stück weit vereinheitlichen. Wenn Sie mit den entsprechenden Gesellschaften reden, werden Sie feststellen, wie viele Umwege, aus welchen Gründen auch immer, geflogen werden - mit gigantischem Spritverbrauch, der völlig überflüssig ist. Das ist ein ziemlich umfassendes Thema. Die Ratspräsidentschaft hat es entgegen mancher öffentlicher Wahrnehmung kaum in der Hand, eigene Vorstellungen durchzusetzen, sondern hat das wesentliche Ziel, überhaupt zu Verständigungen zu kommen. Wenn wir allen anderen erst einmal erklären, wie schlau wir sind, ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie uns zeigen wollen, dass wir uns mit unserer Schlauheit nicht durchsetzen, relativ hoch. Mit der uns eigenen Zurückhaltung wollen wir damit also ein bisschen vorsichtig umgehen. Aber Sie merken, in welche Richtung das geht. Die erste Frage war: Wie verhält es sich mit dem 30-Prozent-Ziel? - Die Bundesregierung strebt eine Reduktion um 30 Prozent bis 2020 an und will natürlich alles dafür tun, dass wir eine internationale Vereinbarung darüber erreichen. Sie wissen, dass der Deutsche Bundestag kurz vor der Konferenz in Nairobi beschlossen hat, dass Deutschland eine Minderung um 30 Prozent für Europa für richtig hält und in diesem Fall bereit ist, national eine Reduktion um 40 Prozent zu erreichen. Der Bundestag hat sich in seinem Beschluss auf die von ihm eingesetzte Enquete-Kommission „Klimaschutz“ bezogen. Für diese Zielsetzung muss man übrigens keinen besonderen Mut haben. Vielmehr ist klar, dass es in Europa ein Burden-Sharing geben wird, wenn es 30 Prozent erreichen will: Es wird, wie heute auch, Staaten geben, die weniger zu diesem Ziel beitragen, während andere mehr dazu beitragen. Heute lautet das Ziel der Europäischen Union acht Prozent, und Deutschland muss 21 Prozent bringen, damit das Acht-Prozent-Ziel der Europäischen Union erreicht wird. Das ist die Beschlusslage des Deutschen Bundestages, die ich als Mitglied der Bundesregierung nicht zu kommentieren habe. Hinsichtlich der 20 Prozent muss man darauf achten, dass keine falsche Interpretation wahrgenommen wird. Die Europäische Union hat erklärt, selbst dann eine Reduzierung um 20 Prozent anzustreben, wenn alle anderen internationalen Verhandlungen scheitern. Warum? Weil dies das dringend notwendige Signal an die europäischen Investoren auf dem Energiemarkt ist, dass sie nicht glauben dürfen, dass es in Europa keinen oder nur wenig Klimaschutz gibt. Das Signal heißt: Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass es nach 2012 kein internationales Abkommen im Anschluss an das von Kioto gibt, wird es in Europa nicht bei dem Ziel acht Prozent bleiben; vielmehr wird diese Marke auf mindestens 20 Prozent gesteigert werden. Warum sagt man das? Natürlich, damit die Investoren in Europa nicht davon ausgehen, sie könnten, durch welche Maßnahmen auch immer, entweder den Klimaschutz konterkarieren oder müssten sich in ihren wirtschaftlichen Berechnungen nicht darauf einstellen. Deswegen halte ich dieses Signal, dass selbst im schlimmsten Fall des Scheiterns der Kioto-Anschlussverhandlungen, was wir alle nicht wollen, unilateral in Europa mehr und nicht weniger Klimaschutz realisiert werden wird, für wichtig. Das empfand ich als unterstützenswerten Ansatz. Aber die Bundesregierung hat ebenso wie die Kommission das Ziel, 30 Prozent im in7510 ternationalen Bereich zu erreichen, weil wir anderenfalls das Ziel von 60 bis 80 Prozent Reduktion bis 2050 nicht erreichen werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Heilmann aus der Fraktion Die Linke.

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, zu Seite 100 Ihres Berichtes, Punkt 3.2.3, Stärkung der Häfen und der Schifffahrt, habe ich eine konkrete Nachfrage. Derzeit werden der Jade-Weser-Port realisiert und der Ausbau des Hamburger Hafens betrieben. In diesem Zusammenhang gab es schon einmal Bestrebungen seitens der Bundesregierung; daher frage ich Sie: Wann wird ein Seehafenkonzept der Bundesregierung vorgelegt, das konzeptionell darlegt, welche Häfen wo und wie entstehen bzw. ausgebaut werden sollen? Denn es macht wenig Sinn, wenn wir erst alle Häfen ausbauen und im Nachhinein ein Konzept aufgrund der Ausbauten erstellen.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Ich zitiere von der gleichen Seite: Zur Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seehäfen hat die Bundesregierung beschlossen, ihre Bemühungen um eine leistungsfähige und anforderungsgerechte Infrastruktur der Seehafenstandorte zu verstärken sowie ihre Strategie für die see- und landseitige Anbindung der Häfen fortzuentwickeln und auf der Grundlage der „Gemeinsamen Seehafenplattform“ mit den Ländern abzustimmen ... Dabei ist es das Ziel der Bundesregierung, die notwendigen seewärtigen und landseitigen Anbindungen der deutschen Seehäfen gezielt und koordiniert auszubauen. Aus dem Zitat erkennen Sie, dass diese Konzeption in der Bundesregierung in Arbeit ist. In Bezug auf Ihre konkrete Nachfrage nach den Zeitplänen bitte ich Sie um Verständnis, dass wir diese Informationen nachliefern müssten, weil ich dazu die beiden dafür originär zuständigen Minister, die Kollegen Tiefensee und Glos, fragen müsste. Zu der Frage nach Hamburg und Wilhelmshaven kann ich mich allerdings etwas detaillierter äußern; das hat etwas damit zu tun, dass ich mich in einer früheren Funktion sehr für die Entwicklung eines Tiefwasserhafens eingesetzt habe. Zwischen diesen beiden Häfen besteht in diesem Punkt relativ wenig Konkurrenz, denn geht man von der Containerschiffsgeneration, für die der Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven gebaut wird, und von den Vertragskonstruktionen zwischen Niedersachsen und Bremen - früher auch mit Hamburg; Hamburg ist dann später ausgestiegen - aus, so stellt man fest, dass der Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven als Ergänzungshafen für diejenigen Containerschiffe gedacht war, die die lange Revierfahrt von 80 Kilometern nach Hamburg aufgrund ihres großen Tiefgangs und ihrer Größe nicht bewältigen können. Das ist sozusagen die Idee des Tiefwasserhafens Wilhelmshaven. Natürlich gibt es vonseiten der Freien und Hansestadt Hamburg die Idee, nicht den Hafen auszubauen, sondern die Elbe weiter zu vertiefen, um damit die Möglichkeit zu schaffen, dass auch Schiffe mit einem größeren Tiefgang nach Hamburg fahren. Ob das bei der Containergeneration, über die ich eben geredet habe, überhaupt möglich ist, weiß ich nicht - dazu bin ich nicht mehr genug in der Thematik drin. Außerdem gibt es darüber natürlich eine erhebliche Diskussion, beispielsweise was die Frage der Deichsicherheit betrifft. Schon zu meiner Zeit gab es Abbruchkanten an der Elbe. Es stellt sich die Frage, inwieweit eine weitere Elbvertiefung technisch überhaupt möglich ist. Die Auseinandersetzung hierzu hat etwas mit Umweltschutz, aber sehr stark auch mit Deichsicherheit zu tun. Jedenfalls gibt es in der ursprünglichen Hafenkonzeption keinen Wettbewerb zwischen Hamburg und Wilhelmshaven. Vielmehr ergänzen sich beide Häfen in diesem Seehafenkonzept. Denn der eigentliche Wettbewerb findet zwischen der deutschen Nordseeküste und den sogenannten ARA-Häfen - Amsterdam, Rotterdam, Antwerpen - statt. Wenn Sie sich dagegen wenden, Wilhelmshaven auszubauen, dann ist die Folge nicht, dass der Hamburger Hafen besser ausgelastet wird. Vielmehr müssen Sie dann damit rechnen, dass ein Teil der Containerschiffe in den ARA-Häfen anlandet, die Wertschöpfung dort erfolgt, die Arbeitsplätze dort entstehen und übrigens auch die landseitigen Infrastrukturverbindungen dort entstehen. Das ist der Grund, warum man einmal zu einer Konzeption gekommen ist, in der sich Tiefwasserhafen Wilhelmshaven und Hamburger Hafen ergänzen. Nichtsdestotrotz bleiben aus meiner Sicht eine Menge offener Fragen hinsichtlich der ökologischen Verträglichkeit einer weiteren Elbvertiefung und der Gefährdung der Deichsicherheit.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor ich dem nächsten Kollegen das Wort für eine Frage gebe, mache ich darauf aufmerksam, dass wir in der erfreulichen Situation sind, dass wir sehr wissbegierige Abgeordnete haben und einen Minister, der ausgesprochen detailliert Bescheid weiß und antwortet. Sollten alle Abgeordneten, die jetzt noch eine Frage haben, auch noch zu Wort kommen wollen, bitte ich um kurze, präzise Fragen und, Herr Minister, soweit es geht, auch um kurze, präzise Antworten. Manchmal reicht vielleicht ein Verweis darauf, wo sich die Kollegen noch tiefgründiger sachkundig machen können. Dann schaffen wir vielleicht noch alle, die sich gemeldet haben. Das Wort hat der Kollege Schmitt aus der SPD-Fraktion.

Heinz Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002783, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich werde den Anforderungen, die Sie beschrieben haben, gerne nachkommen. Heinz Schmitt ({0}) Ich möchte dem Herrn Minister für die Vorstellung des Berichtes danken und konkret nach den Anforderungen fragen, die sich für die europäische Ebene ergeben. Sie haben eben den Bereich des Klimaschutzes angerissen; Sie werden die deutsche EU-Präsidentschaft sicherlich dazu nutzen, sich um diesen Bereich zu kümmern. Es gibt aber noch andere Bereiche, in denen wir Vorreiter sein könnten und die sich auch aus der Beschreibung im vorliegenden Bericht ergeben. Wieweit werden wir hinsichtlich der globalen Ebene die Chancen nutzen und die Anforderungen aufnehmen, Umweltpolitik zu beeinflussen und zu initiieren?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Wenn ich jetzt der Aufforderung der Präsidentin nachkommen soll, dann würde ich einfach nur darauf hinweisen, dass in dem Bericht natürlich die Stichworte dafür genannt sind. Da geht es einerseits um das Thema Luftreinhaltung, das insbesondere ein europäisches Thema ist, bei dem es für uns einen Konflikt zwischen Europäischem Parlament und Europäischem Rat zu lösen gilt. Es geht weiterhin um das Thema Biodiversität, also Artenvielfalt. Sie wissen, dass wir im Jahre 2008 die Biodiversitätskonferenz in Bonn haben werden. Die Voraussetzung dafür ist, dass wir die Strategie zur nationalen biologischen Vielfalt hier einbringen - sonst wirken wir da nicht besonders glaubwürdig. Wir haben natürlich die Absicht, die EU-Ratspräsidentschaft und auch die G-8-Präsidentschaft dazu zu nutzen, das vorzubereiten. Die Frau Bundeskanzlerin hat in ihr G-8-Präsidentschaftsprogramm ausdrücklich das Thema „Schutz der Regenwälder“ aufgenommen. Wald ist eines der zentralen Themen für die CBD im kommenden Jahr in Bonn. Sie finden dort ansonsten natürlich eine Vielzahl von Themen. - Angesichts der Ermahnung der Präsidentin traue ich mich jetzt nicht, diese weiter auszuführen. Vielleicht können wir hier aber einmal eine kräftige Umweltdebatte führen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Noch einmal zurück zum Klima. In dem Umweltbericht ist zu lesen, dass die verkehrsbedingten CO2-Emissionen von 1990 bis 2003 um zwei Prozent zugenommen haben. Jetzt wird behauptet bzw. geht man davon aus, dass die europäische Autoindustrie bis 2008 die Selbstverpflichtung von 140 Gramm pro Kilometer erreichen wird. Ich meine, dass dies absolut verfehlt wird; auch alle Sachverständigen sagen das. Ich denke auch, Selbstverpflichtungen sind immer ganz schwierig. Meine Frage an Sie: Wie gedenken Sie, dafür zu sorgen, dass vor allem die deutsche Autoindustrie hier jetzt einmal tätig wird?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Ich möchte einen Punkt richtigstellen - ich habe eben noch einmal nachgefragt -: Im Bericht steht als genaue Formulierung, dass die europäische Automobilindustrie sich nach eigenen Angaben noch im Zielkorridor befindet. Das stimmt auch. Wir wissen aber alle - die Automobilindustrie bestreitet das auch nicht -, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass die Automobilindustrie das Ziel ihrer Selbstverpflichtung, den CO2-Ausstoß auf 140 Gramm pro Kilometer bis zum Jahre 2008 zu senken, erreicht. Darüber hinaus hat die europäische Automobilindustrie erklärt, ohne eine genaue Jahreszahl zu nennen, dass als nächster Schritt 120 Gramm pro Kilometer angestrebt werden. Aus meiner Sicht - das wird bereits im Februar in einer ersten politischen Orientierungsdebatte im Europäischen Umweltrat eine Rolle spielen - müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass das Ziel der Selbstverpflichtung nicht erreicht wird, dass die Erklärungen der Automobilindustrie dafür nicht völlig falsch sind, aber uns aus Klimaschutzgesichtspunkten nicht zufriedenstellen können. Deshalb müssen wir in diesem Bereich Rechtsetzungsmaßnahmen vornehmen. Sie kennen meine Position. Diesbezüglich wird es aber mit Sicherheit einen erheblichen Debattenbedarf im Rat geben. Unser Ziel ist es, in der Junisitzung des Europäischen Umweltrates alle 27 Mitglieder auf einen gemeinsamen Standpunkt zu verpflichten. Die Koalitionsfraktionen haben ja erklärt, dass sie keine Möglichkeit sehen, zur Erreichung des 140-GrammZiels den Einsatz von Biokraftstoffen anzurechnen, zur Erreichung des 120-Gramm-Ziels sich dies aber vorstellen können. Ich glaube, um das 120-Gramm-Ziel und irgendwann einmal das 100-Gramm-Ziel zu erreichen - die Debatte wird sich ja ähnlich wie bei den Schadstoffnormen Euro 4 und Euro 5 entwickeln -, müssen drei Faktoren beachtet werden: Erstens müssen wir uns die Motorentechnik anschauen. Das ist übrigens auch gut für die Verbraucher; denn wenn man weniger Sprit verbraucht, spart man Geld. Zweitens müssen wir die weitere Entwicklung von Biokraftstoffen im Auge behalten. Drittens muss Einfluss auf das Fahrverhalten der Fahrzeuge und Kraftfahrzeugführer genommen werden. ({0}) - Ich weiß nicht, ob es sich hier um ein Missverständnis handelt. In meinem ersten Punkt ging es ja um die Motorentechnik und ihre Entwicklung. Alle drei genannten Bereiche müssen wir, wie ich glaube, in den Blick nehmen, wenn wir die engagierten Zielsetzungen erreichen wollen, und wir müssen sie erreichen, sonst erreichen wir die Klimaschutzziele auf keinen Fall.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Fell aus der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, herzlichen Dank für den Hinweis auf die Langfassung des Umweltberichtes.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Ich habe extra gesagt, ich meine es nicht böse.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe das auch nicht als bösartig aufgefasst. Ich persönlich wäre nur nie auf die Idee gekommen, dass man in der Kurzfassung tolle Ideen der Bundesregierung, die in der Langfassung enthalten sind, verschweigt. Deshalb war ich etwas irritiert.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Eins zu eins.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gestatten Sie mir, dass ich noch einmal nachfrage, weil ich in der Kurzfassung erneut einen ganz zentralen Punkt vermisse. Sie haben von den Biokraftstoffen gesprochen und dabei die Vorgaben zur Beimischung erwähnt, die wir unterstützen. Im Reinkraftstoffmarkt hat die Bundesregierung ja eine Besteuerung von Biokraftstoffen beschlossen, die schon jetzt verheerende Wirkungen in diesem großen Marktsegment zeitigt: Biodieselproduzenten schließen ihre Produktionsstätten in Deutschland und wandern ins Ausland ab, die Abnahmemengen sinken, reine Pflanzenöle haben größte Probleme, sich am Markt zu behaupten, usw. Gibt es denn wenigstens in der Langfassung einen Rettungsvorschlag der Bundesregierung für die Produzenten von reinen Biokraftstoffen? Die bisherige Beschlusslage ist für diese ja schlichtweg verheerend.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Ich teile Ihre Auffassung nicht. Der Entwicklungsvorschlag steht schon in der Kurzfassung. Erstens ist es so, dass die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag keine Besteuerung beschlossen haben, sondern auf der Basis der Debatte mit der Europäischen Kommission die Überförderung von Biokraftstoffen haben einstellen müssen. Es gab ja eine interessante Entwicklung, nämlich eine neue Form der Ölpreisbindung. Beim Gas kennen wir diese ja. Aber wieso parallel zu steigenden Preisen bei fossilen Energieträgern wie Öl und Benzin auch die Biokraftstoffe teurer wurden, hat uns keiner so richtig erklären können. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass hier Mitnahmeeffekte eine Rolle gespielt haben. Die Kommission hat zu Recht darauf hingewiesen, dass dies gegen europäisches Wettbewerbsrecht verstößt, sodass wir mit der Einführung der Besteuerung lediglich diese Überförderung abschöpften. Zweitens. Eine Gefährdung auf diesem Markt kann ich, zumindest zum heutigen Tag, nicht erkennen; denn wir haben gleichzeitig große Schritte bezüglich einer Anhebung der beizumischenden biologisch basierten Kraftstoffe geplant. Das heißt, der Markt wächst in dem Bereich, und zwar ganz enorm. Von daher - wir haben ja auch verabredet, dass wir uns diesen Markt immer wieder anschauen - sehe ich die von Ihnen beschriebenen Gefahren nicht. Ich wehre mich ein bisschen dagegen, wenn dem Finanzminister und der Bundesregierung unterstellt wird, wir hätten hier sozusagen die volle Besteuerung eingeführt. Sie wissen, dass das nicht der Fall ist. Wir waren gezwungen - sonst wären wir vor dem EuGH gelandet -, die Überförderung bei Biokraftstoffen abzubauen. Genau das tut die Bundesregierung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Behm.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, dass infolge des Klimawandels extreme Witterungsereignisse wie verstärkte Dürren und Hochwässer auf uns zukommen, weiß inzwischen jeder, ebenso, dass der Landschaftswasserhaushalt auch aus diesem Grunde unserer besonderen Fürsorge bedarf. Ich frage Sie deshalb: Teilen Sie meine Auffassung, dass aufgrund dieser Tatsache die Planung des Ausbaus der Bundeswasserstraßen, also die Vertiefung und Verbreiterung der Flüsse, unbedingt zu den möglichen Folgen des Klimawandels in Bezug gesetzt werden muss und dass diese bei den Planungen berücksichtigt werden müssen?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Ja.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine kurze und präzise Antwort. - Die nächste Frage stellt der Kollege Hans-Kurt Hill aus der Fraktion Die Linke.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Herr Minister, meine Kollegin hat schon darüber gesprochen. Die „Saarbrücker Zeitung“ titelt heute sehr schön: „Sigmar Gabriel zieht gegen die Spritschlucker zu Felde“. Auch ich komme aus einem Autoland. Nicht viele wissen, dass das Saarland ein Autoland ist; aber dort ist ein sehr großes Autowerk.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Es ist doch schön, wenn man beim Deutschen Bundestag auch einmal einen Erkenntniszuwachs hat. Das war mir auch nicht klar.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dieses Autowerk baut ein wunderschönes Auto, das mit Bioethanol betrieben wird, allerdings für den schwedischen Markt; aber man kann es auch hier in Deutschland beziehen. Ich möchte für dieses Auto werben, damit auf den Straßen weniger CO2 ausgestoßen wird. - Aber damit ist der Werbeblock für das Saarland auch schon zu Ende. Die EU-Kommission hat sich in ihrem letzte Woche vorgestellten Maßnahmenpaket zur Energie- und Klimapolitik dafür ausgesprochen, eine Trennung von Netzbetreibern und Energieversorgern herbeizuführen. Dies ist unserer Meinung nach nicht nur im Blick auf die Energiepreise erforderlich, sondern stellt auch eine entscheidende Bedingung für die notwendige Umgestaltung des Energiesektors hin zu den erneuerbaren Energien dar. Im Umweltbericht der Bundesregierung, soweit ich ihn gelesen habe, wird diese Problematik meines Erachtens mit keinem Wort erwähnt. Gibt es dafür einen Grund, oder hat man das einfach vergessen?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Das haben wir nicht vergessen, sondern wir haben versucht, uns auf einen Bereich zu konzentrieren, bei dem die Menschen durch ihren Alltagssachverstand unmittelbar darauf kommen, dass dieser Bereich etwas mit Umwelt zu tun hat. Für das Thema des Wettbewerbs auf dem deutschen und dem europäischen Strommarkt interessieren sich vermutlich erst einmal der Verbraucherschutz und die Wirtschaftspolitik. Trotzdem besteht natürlich die Notwendigkeit, dazu eine Position zu finden. Die Bundesregierung befindet sich in der Abstimmung dieser Position. Den Presseberichterstattungen der letzten Tage ist zu entnehmen, dass wir da durchaus differierende Meinungen haben. Vielleicht zur Erläuterung: Die Kommission bietet zwei Wege an, nämlich das echte Ownership-Unbundling und das sogenannte Independent Operator System. Nun wird man schnell Fälle finden, in denen nicht so ganz sicher ist, dass das Independent Operator System funktioniert. Ich zähle Deutschland nicht dazu; denn im Unterschied zu anderen europäischen Mitgliedstaaten haben wir nachweislich - das sagt auch die Kommission eine starke Regulierungsbehörde, die die Voraussetzung dafür ist, dass das Independent Operator System die gleichen Wettbewerbserfolge erzielt wie Ownership-Unbundling. Aber da gibt es durchaus differierende Meinungen. Darüber werden wir sicherlich in den nächsten Tagen und Wochen auch hier zu beraten haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die letzte Frage zu diesem Tagesordnungspunkt stellt die Kollegin Kotting-Uhl.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank.({0}) - Aber immer, Herr Minister. Sie sind doch immer souverän, bei jeder Antwort. Ich habe eine Frage, die normalerweise nicht im Zentrum unserer Debatten steht. In meinen Augen macht sie aber den Misserfolg, was die industrielle Selbstverpflichtung angeht, deutlich. Der Blaue Engel wird im Bericht als Erfolg gefeiert. Auf Seite 66 dieses Berichts werden unter der Aufzählung der Produkte, die dieses Umweltzeichen tragen dürfen, auch Handys genannt. Ich gehe einmal davon aus, dass der Bundesregierung bekannt ist, dass kein einziges Handy auf dem Markt dieses Umweltzeichen trägt - obwohl ein Drittel dies könnte -, weil die Hersteller den Blauen Engel boykottieren. Meine Frage lautet: Gibt es eine Strategie der Bundesregierung - wenn ja, wie sieht sie aus? -, um im Interesse der Handybenutzer zu einer Kennzeichnung zu kommen?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Ich muss ehrlich antworten, dass ich da überfragt bin. Sie haben mich an einer Stelle erwischt, wo ich nicht so souverän bin. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob wir eine rechtliche Möglichkeit haben, entsprechend Einfluss zu nehmen. Tatsache ist aber, dass Sie recht haben. Am Bundesamt für Strahlenschutz läuft sogar ein Untersuchungsprogramm, mit dem es jedem Einzelnen problemlos möglich ist, festzustellen, ob er sein Handy gefahrlos nutzen kann oder ob es bestimmte Werte überschreitet. Sie haben vorhin gesagt, Sie wollen mich gelegentlich treiben. Nun treiben Sie mich. Ich werde versuchen, das zu klären.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich beende die Befragung und danke dem Minister. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde - Drucksache 16/4022 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur Verfügung. Die Fragen eins und zwei der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch werden schriftlich beantwortet. Ich danke der Staatssekretärin, dass sie sich für die Beantwortung zur Verfügung gestellt hat. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller zur Verfügung. Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Cornelia Behm auf: Inwiefern hält die Bundesregierung die vorgesehenen Sanktionen für Landwirte, die Pflanzenschutzmittel anwenden, die in Deutschland nicht zugelassen sind, für ausreichend, und gibt es aufgrund der jüngsten Berichte über den Verkauf nichtzugelassener Pflanzenschutzmittel Überlegungen zu Änderungen?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Die Anwendung eines nichtzugelassenen Pflanzenschutzmittels ist nach der derzeitigen Rechtslage eine Ordnungswidrigkeit und kann mit einem Bußgeld von bis zu 50 000 Euro geahndet werden. Ich habe mich erkundigt: Im vergangenen Jahr wurden Strafen in ähnlicher Höhe, nämlich von bis zu 40 000 Euro, verhängt. Ein Verstoß gegen das Verbot der Anwendung nichtzugelassener Pflanzenschutzmittel kann darüber hinaus im Rahmen der sogenannten Cross-Compliance-Kontrollen zu einer zusätzlichen Kürzung der Direktzahlungen führen. Die Bundesregierung hält die Sanktionsmöglichkeiten daher für ausreichend.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zur Nachfrage.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich würde gerne wissen: Wie groß ist die Zahl der aufgedeckten Fälle im Verhältnis zu den Kontrollen?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Ich kann Ihnen generell sagen, dass im vergangenen Jahr 2 000 Kontrollen durchgeführt wurden. In 0,5 Prozent der Fälle konnten Verstöße festgestellt werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gibt es Hinweise darauf, ob die in ihrer Höhe nicht ganz unerheblichen Strafen eine abschreckende Wirkung gezeigt haben?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Ich gehe davon aus, dass solche Strafen Wirkung zeigen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Höhn hat noch eine Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, dass im letzten Jahr 2 000 Kontrollen durchgeführt worden sind? Das würde bei 0,5 Prozent Verstößen bedeuten, dass zehn Verstöße aufgedeckt worden sind. Ist diese absolute Zahl richtig? Es wäre gut, wenn Sie in diesem Zusammenhang sagen würden, wie viele Bauern es in Deutschland gibt, damit wir die Zahl von 2 000 Kontrollen besser einordnen können.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Wenn 0,5 Prozent von 2 000 10 sind, dann trifft es so zu, wie Sie es formuliert haben.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Können Sie noch sagen, wie viel Bauern wir in Deutschland haben?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Wir haben einige Hunderttausend. Es gibt aber darüber hinaus auch viele Private, die Pflanzenschutzmittel anwenden - ich nehme an, auch Sie gehören dazu -: im Garten, im Umfeld, zur Unkrautbekämpfung. Es geht also weit darüber hinaus.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. - Damit sind wir am Ende Ihres Geschäftsbereichs. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf. Die Frage 4 der Kollegin Cornelia Behm wird schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Fragen 5 und 6 des Kollegen Dr. Karl Addicks werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Hier hätte der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier zur Beantwortung zur Verfügung gestanden, aber auch die Fragen 7 und 8 des Kollegen Josef Philip Winkler werden schriftlich beantwortet. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Dagmar Wöhrl bereit. Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Hans-Kurt Hill auf: Welchen Einfluss auf den Emissionshandel und auf die Versorgungssicherheit Deutschlands mit bezahlbarer Energie hat die aktuelle Planung von Kraftwerken mit fossilen Brennstoffen bzw. Ersatzbrennstoffen, EBS, und hält die Bundesregierung eine Beurteilung dieser Frage auf der Grundlage der Liste der geplanten Großkraftwerke, die zum dritten Energiegipfel im April 2006 von ihr veröffentlicht wurde, für ausreichend, obwohl die aktuellen Planungen der Energieversorgungsunternehmen mittlerweile deutlich von denen in der oben genannten Liste abweichen? Frau Staatssekretärin.

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Herzlichen Dank. - Die Frage hat zwei Aspekte. Einmal geht es um den Emissionshandel und um seine Umsetzung in Deutschland. Hier haben wir die Zielsetzung, den CO2-Ausstoß zu senken und Anreize zur EffizienzerParl. Staatssekretärin Dagmar Wöhrl höhung auch im Rahmen des Kraftwerksneubaus zu schaffen. Wir haben mit unserem NAP I eine sehr günstige und langfristige Allokationsregel auf den Weg gebracht, eben auch für hocheffiziente Neubauten. Damit realisieren wir auch hier die Ziele, Investitions- und Planungssicherheit zu geben sowie Anreize für rasche Investitionen in diesem Bereich zu bieten. Die Kommission hat jetzt gegen die langfristige Befreiung von Minderungspflichten im NAP II entschieden, also gegen die Frist von 14 Jahren, die wir gerne gehabt hätten. Aber wir werden hier das Ziel in der zweiten Periode im Rahmen eines Systems effizienzorienterter CO2-Standards realisieren. Ein Maximum an Investitions- und Planungssicherheit streben wir auch im Rahmen eines Benchmarkings an. Dann kommen wir zum zweiten Aspekt, zur Versorgungssicherheit. Nach dem Energiewirtschaftsgesetz ist es Aufgabe der Energieversorgungsunternehmen, für eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche Versorgung mit Elektrizität zu sorgen. Sie haben auf dem Energiegipfel Zusagen auch für Investitionen im Kraftwerksund Netzbereich gemacht, und daran müssen sie sich letztlich messen lassen. Auch wenn die Energieversorgungsunternehmen anlässlich der aktuellen Entwicklung beim Emissionshandel ihre Investitionen überdenken, wie sie angekündigt haben, gehen wir davon aus, dass sie ihre Zusagen zum Kraftwerksneubau bis zum Jahre 2012 einhalten werden. Das ist wichtig, um den angestrebten breiten Energiemix bei uns zu erreichen, und es ist auch Voraussetzung für die Erhaltung der Versorgungssicherheit zu bezahlbaren Preisen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für Ihre Antwort sie stellt mich natürlich nicht zufrieden. Ich habe bereits in mehreren Anfragen direkt an das Wirtschaftsministerium gebeten, mir mitzuteilen, wie nun die Planung des Kraftwerksbaus aussieht. Sie beziehen sich konsequenterweise auf den Energiegipfel, auf dem die entsprechenden Energieversorgungsunternehmen eine Planung offengelegt haben. Aber wie Sie selber aus Zeitungsberichten ersehen können, ist diese Planung mittlerweile obsolet und es gibt neue Planzahlen. Daher stelle ich die ganz einfache Frage: Stehen Ihnen diese Planzahlen zur Verfügung?

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Wir gehen von den Zahlen aus, die uns auf dem Energiegipfel im Rahmen der Zusagen von Energieversorgungsunternehmen vorgelegt worden sind. Hinsichtlich neuerer fixierter Planungen liegt uns nichts vor.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben noch eine zweite Nachfrage.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es tut mir leid, Frau Staatssekretärin. Aber diese Antwort kann mich nicht zufrieden stellen; das können Sie sich vorstellen. Ich sage es noch einmal: Selbst in entsprechenden Fachzeitschriften und in Publikationen der Energieversorger, also in der Öffentlichkeit, wird über neue Planungen gesprochen und berichtet. Hat Ihr Ministerium denn nicht das Ziel, von neuen Daten auszugehen, und wäre es nicht Ihre Pflicht, einen Datenaustausch mit den Energieversorgungsunternehmen durchzuführen?

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Dies ist eine andere Frage als die vorherige Frage, die Sie gestellt haben. Sie haben mich gefragt, ob vonseiten der Energieversorgungsunternehmen Zusagen bestehen. Ich habe gesagt: Die Zusagen, die wir haben, haben wir auf dem Energiegipfel bekommen. Dass angesichts veralteter und modernisierungsbedürftiger Kraftwerke die Notwendigkeit besteht, den Bau von mit besseren Technologien ausgestatteten Kraftwerken auf den Weg zu bringen - dies betrifft in Deutschland einen Bereich von 40 000 Megawatt Leistung -, wissen wir natürlich. Deswegen hoffen wir, dass es vonseiten der Energieversorgungsunternehmen kurzfristig und sehr schnell angegangen wird, die teilweise modernisierungsbedürftigen und nach unserer Meinung vor allem in Bezug auf CO2-Emissionen nicht mehr auf dem neuesten technologischen Stand befindlichen Kraftwerke zu ersetzen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Frau Staatssekretärin. - Ich rufe die Frage 10, ebenfalls vom Kollegen Hans-Kurt Hill gestellt, auf: Wie informiert sich die Bundesregierung über die aktuellen Entwicklungen und geplanten Kraftwerke im Stromerzeugungssektor, und ist sie gewillt, das Parlament über die aktuellen Entwicklungen zu informieren?

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Herr Kollege Hill, Sie haben nach den Informationsquellen in Bezug auf aktuelle Entwicklungen und Investitionen im Kraftwerksbereich gefragt. Dies schließt an Ihre Frage an, woher wir Informationen haben. Informationen haben wir wie Sie aus Veröffentlichungen in Fach- und Tageszeitungen, von den Unternehmen selbst oder auch von Branchenverbänden. Darüber hinaus haben wir Daten aufgrund der Anmeldungen der Energieversorgungsunternehmen im Rahmen des Emissionshandels, im Rahmen des NAP I und NAP II. Diese haben sich verpflichtet, sich anzumelden, sofern, wie jetzt auch im NAP II vorgesehen, in der laufenden Zuteilungsperiode eine Zuteilung für eine neue oder Ersatzanlage erfolgen soll.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Hill, Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es tut mir leid.

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Dafür sind wir da.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Aber ich hätte gern meine Frage beantwortet. Die Frage lautete, ob Sie über die aktuellen Entwicklungen in Bezug auf geplante Kraftwerke im Stromerzeugungssektor informiert sind und ob Sie gewillt sind, uns diese Informationen mitzuteilen.

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Ihre Frage lautete: Wie informiert sich die Bundesregierung? Eine Antwort darauf habe ich Ihnen gegeben. Die Bundesregierung informiert sich aus Veröffentlichungen der Unternehmen, in Gesprächen mit den Unternehmen selbst und im Rahmen der Anmeldungen, die Energieversorgungsunternehmen im Rahmen des Emissionshandels vornehmen müssen. Diese sind ja notwendig; denn sonst kann keine Zuteilung erfolgen. Wenn Zahlen vorliegen, steht nichts dagegen, dem Parlament diese Zahlen zur Verfügung zu stellen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich nehme an, Sie haben eine zweite Nachfrage?

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. - Ich habe einfach die Bitte: Stellen Sie doch dem Parlament diese Zahlen zur Verfügung. Dann bräuchte ich diese Frage nicht zu wiederholen. Machen Sie das?

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Wenn Sie die Frage gestellt hätten, wie die Zahlen lauten, hätte ich Ihnen gesagt, dass wir Ihnen diese zukünftig gern zur Verfügung stellen. Sie haben diese Frage jetzt indirekt gestellt, und wir werden Ihnen die Zahlen zuleiten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke. - Dann kommen wir zur Frage 11 der Kollegin Bärbel Höhn: Inwiefern will die Bundesregierung den Ölverbrauch Deutschlands in den nächsten Jahren angesichts der Unterbrechungen von Öllieferungen aus Russland verringern, und ist in diesem Zusammenhang die Besteuerung von Biokraftstoffen weiterhin sinnvoll? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Liebe Frau Kollegin Höhn, Sie haben nach der Verringerung des Ölverbrauchs gefragt. Die Bundesregierung verfolgt schon seit einigen Jahren eine Gesamtstrategie, die Deutschland vor allem von importierten fossilen Energieträgern unabhängiger macht. Die Senkung des Ölverbrauchs wird unter den Gesichtspunkten der Versorgungssicherheit, des Klimaschutzes und der Wirtschaftlichkeit betrachtet. Hierzu werden ordnungsrechtliche und förderpolitische Maßnahmen durchgeführt sowie verstärkte Verbraucherinformationen im Hinblick auf den Gebäudebereich gegeben. Dies haben wir schon in der Vergangenheit gemacht und werden es auch in Zukunft tun. Denn so kann der Verbrauch von Heizöl beträchtlich reduziert werden. Wir haben auf dem Energiegipfel Anfang Oktober 2006 einen Aktionsplan für mehr Energieeffizienz vorgelegt, in dem wesentliche Handlungsfelder aufgeführt worden sind. Es wurden geeignete Maßnahmen vorgeschlagen. Hierzu gehören die laufende Novellierung der Energieeinsparverordnung und die Fortsetzung des CO2Gebäudesanierungsprogramms der KfW. Aktuell wurde von der Bundesregierung und der Mineralölwirtschaft eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, die den verstärkten Einsatz heizölsparender Brennwerttechnik und schwefelarmen Heizöls zum Ziel hat. Außerdem hat der Deutsche Bundestag im Hinblick auf den Straßenverkehr mit dem am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Biokraftstoffquotengesetz ein ambitioniertes Vorhaben für den Einsatz von Biokraftstoffen beschlossen. Darin wurde die Verpflichtung formuliert, bis zum Jahre 2015 eine Biokraftstoffquote von 8 Prozent zu erreichen. Darüber hinaus wird der Reinkraftstoffmarkt durch bis Ende des Jahres 2011 gewährte Steuererleichterungen für unvermischte Biokraftstoffe, die nicht der Erfüllung der Quote dienen, gestützt. Die zweite Generation der Biokraftstoffe erfährt sowohl hinsichtlich der Anrechenbarkeit auf die Quote als auch hinsichtlich der energiesteuerrechtlichen Behandlung eine besondere Förderung. Die Bundesregierung strebt an, bis zum Jahr 2020 einen Anteil von 12,5 Prozent zu erreichen. Im Rahmen dieses Gesamtkonzepts ist der Einstieg in die Besteuerung der Biokraftstoffe nicht nur ökonomisch und ökologisch sinnvoll, sondern auch haushaltspolitisch erforderlich und EU-rechtlich geboten. Weitere spezifische Senkungen des Verbrauchs von Fahrzeugen werden zusätzlich zur Minderung des Einsatzes von Erdölprodukten beitragen. Langfristig wird der Ölverbrauch auch durch die im Frühjahr 2006 formulierte Strategie der Bundesregierung zur Förderung der Wasserstofftechnologie deutlich eingeschränkt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, der Biokraftstoffverband BBK beklagt, dass es insbesondere durch den Beschluss der Bundesregierung und der Mehrheit des Bundestages, die reinen Biokraftstoffe zu besteuern, auf diesem Sektor im August letzten Jahres zu einem massiven Einbruch um 25 Prozent gekommen ist. Dieser Biokraftstoffverband macht darauf aufmerksam, dass die Biokraftstoffe schon im Jahre 2007 einen Anteil am gesamten KraftstoffsekBärbel Höhn tor in Höhe von 11 bis 12 Prozent hätten haben können und dass durch die Beschlüsse der Bundesregierung genau dieses ehrgeizige Ziel nun nicht mehr zu erreichen ist. Sie wollen die Ziele, die der BBK eigentlich schon für dieses Jahr angepeilt hat, erst im Jahre 2020 erreichen, also sehr viel später. Die Bundeskanzlerin hat vor kurzem im „Deutschlandfunk“ gesagt, dass bei Biokraftstoffen noch Spielraum besteht. Bedeutet das, dass Sie den verheerenden Beschluss der Besteuerung der reinen Biokraftstoffe, der in diesem Jahr umgesetzt werden soll, überdenken werden?

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Das soll diese Aussage nicht bedeuten. Wir wissen genau, dass damals aus haushaltstechnischen Gründen kein anderer Beschluss möglich war. Die Bedenken und Aussagen des Biokraftstoffverbandes, die Sie angeführt haben, muss man natürlich ernst nehmen; das ist klar. Daher werden wir nach einer gewissen Zeit eine Evaluierung vornehmen, deren Ergebnisse eine Rolle spielen werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der von mir erwähnte Biokraftstoffverband hat darauf aufmerksam gemacht, dass es schon jetzt Überlegungen gibt, bestehende Anlagen abzubauen und sie in Österreich wieder aufzubauen, weil dort die Bedingungen besser sind, und die Planung neuer Anlagen nicht weiter zu verfolgen. Wir haben also nicht mehr viel Zeit und dürfen nicht zögern. Momentan wird die Infrastruktur nicht ausgebaut. Es besteht sogar die Gefahr, dass die vorhandene Infrastruktur abgebaut wird. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass auch Abgeordnete der Großen Koalition dem damaligen Besteuerungsbeschluss im Bundestag nicht zugestimmt haben, dass es dagegen also massiven Widerstand gab. Sind Sie wie ich der Meinung, dass wir, wenn wir unsere Abhängigkeit vom Öl und in diesem Zusammenhang insbesondere unsere Abhängigkeit von Russland verringern wollen, dringend unsere Biokraftstoffquote erhöhen müssen und dass die gegenwärtigen Beschlüsse der Bundesregierung nicht optimal sind, um dieses Ziel zu erreichen?

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Ich stimme mit Ihnen nicht darin überein, dass die Beschlüsse der Bundesregierung in dieser Hinsicht nicht optimal sind. Dass man Beschlüsse später verbessern kann, steht außer Frage. Wir wissen, dass wir den Energiemix fortentwickeln müssen, und werden das in unseren beiden Gesetzgebungsverfahren zu tun wissen. Ich glaube, wir alle stehen dahinter, den Anteil der erneuerbaren Energien - auch an der Stromerzeugung - bis zum Jahr 2020 auf 20 Prozent auszubauen. Wir werden hier entsprechende Gesetze entwerfen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke. - Wir kommen damit zur Frage 12 - diese Frage hat ebenfalls die Kollegin Bärbel Höhn gestellt -: Welche der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Entflechtungsvarianten für den Strommarkt favorisiert die Bundesregierung für Deutschland: die eigentumsrechtliche Entflechtung oder die Einrichtung eines unabhängigen Systemoperators? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Deutschland gehört zu den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die die geltenden Binnenmarktvorschriften zur rechtlichen Entflechtung des Netzbetriebes vollständig umgesetzt haben; leider sind dies gerade einmal sieben Mitgliedstaaten. Die Bundesregierung ist offen für die anstehende Diskussion über die Vorschläge der Europäischen Kommission für eine Verschärfung der Entflechtungsbestimmungen. Für uns ist wichtig, dass wir hier mehr Wettbewerb und einen diskriminierungsfreien Netzzugang bekommen. Hinsichtlich einer vollständigen Eigentumsentflechtung des Netzes - das ist bekannt - haben wir rechtliche Bedenken: Es ist zu überprüfen, inwiefern so etwas verfassungsrechtlich zulässig ist. Auch die wirtschaftlichen Folgen werden zu diskutieren sein. Wir präferieren im Moment das Modell einer unabhängigen Netzsteuerung. Denn wir wissen, dass eine rein nationale Perspektive zukünftig nicht mehr ausreichen wird. Wir brauchen Strukturen, die die Entwicklung grenzüberschreitender Transportnetzgesellschaften fördern, vielleicht zuerst auf regionaler, dann auf europäischer Ebene. Wichtig ist - auch da wir die EU-Ratspräsidentschaft innehaben -, zunächst einmal in die Erörterungen mit den anderen Mitgliedstaaten einzutreten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, erst einmal zu überprüfen, wie das geltende System umgesetzt worden ist bzw. wo noch Mängel hinsichtlich der Umsetzung bestehen und wie wir es schaffen, die Unabhängigkeit der Netzsteuerung zu verstärken. Doch zunächst muss - ich wiederhole es, weil es so wichtig ist - die geltende Rechtslage von allen Mitgliedstaaten umgesetzt werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, Ihr Minister, der Wirtschaftsminister, sieht das offensichtlich viel problematischer und sieht mehr Eile geboten. Denn das Fehlen von Wettbewerb auf dem Energiemarkt führt ja dazu, dass wir zu hohe Preise haben, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit eines großen Teils der Wirtschaft gefährdet ist und wodurch auch die Bevölkerung massiv belastet ist. So plädiert Ihr Minister erheblich stärker und deutlicher als Sie für eine Entflechtung von Netz und Produktion. Im Gegensatz dazu hat sich der Fraktionsvorsitzende der CDU/ CSU, Volker Kauder, letzte Woche in der „Passauer Neuen Presse“ gegen eine eigentumsrechtliche Entflech7518 tung von Stromnetzen und Stromerzeugung ausgesprochen, mit den Worten: Die Netze gehören den Betreibern. Das wäre Enteignung und rechtlich problematisch. Welche Position ist jetzt die Position der Bundesregierung? Die des Wirtschaftsministers? Oder favorisiert die Bundesregierung mittlerweile die Position des Fraktionsvorsitzenden Kauder?

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Wir kennen die Vorschläge, die die Kommission gemacht hat, und wir wissen, dass die Kommission zu einer eigentumsrechtlichen Entflechtung tendiert. Wir müssen darüber im Rahmen unserer EU-Ratspräsidentschaft offen diskutieren; ich glaube, es darf in diesem Zusammenhang keine Denkverbote geben. Denn es sind wichtige Dinge, um die es hier geht. Ich kann mir - wie der Minister - ohne Weiteres ein stufenweises Vorgehen vorstellen: Erst einmal müssen bestehende Gesetzesvorgaben umgesetzt werden, auch von den anderen Mitgliedstaaten; das haben bis jetzt, wie gesagt, einschließlich Deutschland nur sieben getan. Ein zweiter Schritt könnte die Einrichtung eines unabhängigen Systembetreibers sein. Wenn auch das nicht ausreicht, muss man über weitere Schritte nachdenken. Aber wie gesagt: Wir brauchen zunächst eine offene Diskussion. Ich glaube nicht, dass es gut wäre, wenn wir, die wir die EU-Ratspräsidentschaft innehaben, mit einer vorgefertigten Meinung in die Verhandlungen gingen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor Sie Ihre zweite Nachfrage stellen, wiederhole ich meinen Hinweis von vorhin noch deutlicher: Im landläufigen Sinne ist eine Frage ein Satz, welcher mit einem Fragezeichen endet. Wenn es nötig ist, lassen wir im Allgemeinen noch eine Erläuterung zu, weshalb die Frage gestellt wird. Wir können auf diese Art und Weise aber keine Debatten entweder vorwegnehmen oder nachholen. - Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte mich bei meiner zweiten Nachfrage präzise auf diesen ersten Schritt konzentrieren. - Sie haben gesagt, der erste Schritt, den der Wirtschaftsminister angedeutet habe - das hat der Umweltminister übrigens auch gesagt -, sei, eine Trennung von Netz und Produktion unter dem Dach des Energiekonzerns zu erreichen. Heute steht in der „Wirtschaftswoche“, dass die EUKommission Unternehmen kontrolliert und dabei festgestellt hat, dass diese Trennung unter einem Dach nicht funktioniert und dass die Netzbetreiber diesen ersten Schritt nicht sauber umsetzen, obwohl sie ihn schon umgesetzt haben müssten, sodass sie weiterhin von den Vorteilen daraus profitieren, dass sie die Allmacht über die Netze und die Produktion haben. Sehen Sie nicht auch die Notwendigkeit, dringend und schnell zu handeln und nicht erst einmal einen ersten Schritt anzukündigen, den man ja schon gegangen ist? Ist das, was der Minister jetzt als ersten Schritt angekündigt hat, nicht bereits geltendes Recht, und müsste er nicht schon lange gegangen worden sein?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Staatssekretärin, Sie dürfen sich jetzt eine Frage aussuchen, die Sie beantworten.

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Frau Kollegin Höhn hat eigentlich genau das in ihrer Frage verpackt, was ich vorhin in meiner Antwort bereits angesprochen habe, dass wir nämlich gesetzliche Vorgaben haben und dass wir im ersten Schritt dafür sorgen müssen, dass diese gesetzlichen Vorgaben umgesetzt werden. ({0}) Wir haben sie umgesetzt. Wenn es bei dieser Umsetzung Defizite gibt, dann sind diese natürlich zu beheben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit auf. Es antwortet die Parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk. Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Dr. Martina Bunge auf: Wie viele der gesetzlichen Krankenversicherungen haben, gegliedert nach Kassenarten, ihre Beitragssätze gesenkt, unverändert belassen bzw. angehoben, und wie stark ist der durchschnittliche Beitragssatz gestiegen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin Bunge, Sie fragen nach der derzeitigen Kenntnis über die Beitragssatzerhöhungen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Dazu ist zu sagen, dass wir eine umfassende Übersicht über die Beitragssatzveränderungen sämtlicher landes- und bundesunmittelbarer Krankenkassen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung zum 1. Januar 2007 noch nicht veröffentlichen können, weil uns erst nach dem 1. Februar 2007 eine solche komplette Übersicht vorliegen wird. Ich bin gerne bereit, Ihnen diese nach dem Februar schriftlich zukommen zu lassen. Ich kann Ihnen also nur den heutigen Stand mitteilen. Nach dem heutigen Stand - das ist uns durch das Bundesversicherungsamt mitgeteilt worden - haben 90 der 138 Krankenkassen, die der Aufsicht des Bundesversicherungsamts unterstehen, eine Beitragssatzerhöhung zum Anfang des Jahres 2007 beschlossen. Die exakte Höhe des durchschnittlichen allgemeinen Beitragssatzes ist erst Anfang Februar darstellbar, also dann, wenn die Meldungen sämtlicher Krankenkassen über die Beitragssätze vorliegen. Das heißt, wir können jetzt nur eine Momentaufnahme abbilden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Zusatzfrage.

Dr. Martina Bunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003743, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, es gibt ja diverse Veröffentlichungen. Mir ist klar, dass Sie darauf nicht zurückgreifen können. Insbesondere durch eine gewisse Gesamtübersicht über die Beitragssatzsteigerungen der AOKen wurde die Ministerin dazu veranlasst, zu sagen - sie wurde so zitiert -, ihr sei das rätselhaft. Geht Ihnen das auch so, oder wo sehen Sie die Ursachen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Ich kann und will mich nicht dazu äußern, was Sie gehört haben. Lassen Sie uns doch einfach einmal die Fakten anschauen. Sie wissen, dass das Bundesgesundheitsministerium nur für die bundesunmittelbaren Kassen zuständig ist. Regionale Kassen, also auch die AOKen, unterliegen der Landesaufsicht. Wir können nicht überschauen, ob die Landesaufsichten in jedem Fall ihr Prüfrecht ausüben und ob dort jede Beitragssatzerhöhung notwendig ist. Wenn uns von regionalen AOKen Beitragssatzerhöhungen von über 1 Prozent gemeldet werden, dann erstaunt dies deshalb, weil die Durchschnittserhöhung der bundesunmittelbaren Kassen bei 0,5 Prozentpunkten liegt. Es kann immer wieder sein, dass regionale Kassen eine besondere Verschuldungssituation aufweisen, aber da hierfür die Landesaufsicht zuständig ist, kann ich darüber nur spekulieren. Eine Übersicht über die tatsächlichen Beitragssatzerhöhungen liegt nach Ablauf des Monats Februar vor. Ich bin bereit, Ihnen diese umfassende Übersicht zukommen zu lassen. Zurzeit gibt es nur eine Momentaufnahme der bundesunmittelbaren Kassen, aber wir haben noch keine Gesamtübersicht über die gesamten 251 gesetzlichen Krankenkassen der Bundesrepublik Deutschland.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben noch eine zweite Nachfrage. Bitte.

Dr. Martina Bunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003743, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich beziehe mich noch einmal auf die Veröffentlichungen. Es sind sehr gravierende Beitragssatzerhöhungen vorgesehen. Wie ist Ihre Prognose: Werden die Beitragssätze einmalig erhöht oder wird sich das 2008 bzw. nach Inkrafttreten der Reform 2009 fortsetzen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Vielen Dank für das Vertrauen in meine prognostischen Fähigkeiten, Frau Kollegin Bunge. Es würde mich überraschen, wenn ich über diese Fähigkeiten verfügen würde, zumal die Kassen selbst erst im Herbst eines laufenden Jahres entscheiden, wie hoch der Beitragssatz im kommenden Jahr sein wird. Dass ich in der Lage sein soll, dies aus der Entfernung vorauszusagen, ehrt mich, aber tatsächlich ist es für uns schwierig. Wenden wir uns den drei Punkten zu, die wir beeinflussen können. Die derzeit vorgesehenen Beitragssatzerhöhungen sind zum Teil auf politische Rahmenbedingungen zurückzuführen. Die Mehrwertsteuererhöhung, aber auch der im Vergleich zu früher geringere Bundeszuschuss verursachen eine Beitragssatzerhöhung in der Größenordnung von 0,3 Prozentpunkten; sie erklären aber keine Beitragssatzerhöhungen in einem größeren Umfang. Diese gehen offenbar auf den tatsächlichen Schuldenstand zurück, der bei den einzelnen Kassen unterschiedlich hoch ist. Das heißt, wir haben richtig daran getan, im Zuge der Gesundheitsreform strikte Regelungen zu verabreden, um einen einheitlichen Verschuldungsbegriff und strenge Kontrollen einzuführen, und die Kassen zu verpflichten, die Verschuldung innerhalb von zwei Jahren abzubauen. Dies ist die entscheidende Maßnahme, die greifen wird, damit es solche Beitragssprünge in Zukunft nicht mehr gibt. Wir haben mit einer wichtigen Maßnahme dazu beigetragen, dass die Beitragssätze nicht mehr in einem solchen Maße steigen. Wir wissen alle, dass die Beitragssatzerhöhungen auch ein Reflex auf Ausgabensteigerungen sind. Der medizinische Fortschritt und eine älter werdende Gesellschaft haben dazu beigetragen, dass die Ausgaben für Gesundheitsleistungen in Deutschland gestiegen sind. Hier ist keine Prognose möglich. Wir sehen vielmehr, dass es in den Leistungsbereichen Unterschiede gibt. Wir reagieren auf die vorhandenen Entwicklungen. Wie Sie wissen, haben wir mit dem Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung auf den Kostenanstieg im Arzneimittelbereich reagiert. Es ist gut, dass jetzt die Wirksamkeit dieses Gesetzes erkennbar wird. Denn wir haben derzeit einen deutlich geringeren Anstieg bei den Arzneimittelkosten zu verzeichnen. Insofern liegt es auch bei uns als Gesetzgeber, wie wir auf die Ausgabendynamik reagieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind noch immer bei Frage 13. Der Kollege Spieth hat eine Nachfrage.

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die Mehrwertsteuererhöhung und die Absenkung des Bundeszuschusses einen Anteil an der Beitragssatzsteigerung bei den gesetzlichen Krankenkassen von mindestens 0,3 Prozentpunkten ausmachen. Können Sie auch angeben, wie hoch der Anteil aus der gesetzlich beschlossenen Absenkung der Krankenversicherungsbeiträge für Arbeitslose und durch die Änderungen der Arbeitszeitregelung im Gesundheitswesen ist?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Dies können wir nicht abschätzen. Denn es gibt eine Fülle von sehr unterschiedlichen Regelungen zur Arbeitszeit. Es gibt Kliniken, die mit einem modernen Arbeitszeitmanagement ohne Mehrkosten auskommen. In anderen Kliniken sieht es ganz anders aus. Der Bund hat zur Abfederung der Herausforderungen beschlossen, zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen. Uns liegt aber kein umfassendes Bild dieser Entwicklung vor. Deswegen können wir zu den Kosten keine Aussage machen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke. - Damit kommen wir zur Frage 14 der Kollegin Dr. Martina Bunge: Für wie viele Versicherte ist der Beitragssatz um mehr als 0,5 Prozent gestiegen, obwohl die Bundesregierung im Sommer 2006 einen Anstieg der Beitragssätze für das Jahr 2007 von lediglich 0,5 Prozent angekündigt hatte? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Die Zahl der von Beitragssatzanhebungen von mehr als 0,5 Beitragssatzpunkten betroffenen Mitglieder lässt sich - wie bereits in der Antwort auf Frage 13 von mir dargestellt - ebenfalls erst auf der Basis der uns im Laufe des Februars vorliegenden Statistik für den Monat Januar ermitteln. Bei einem zu erwartenden durchschnittlichen Beitragssatzanstieg von 0,5 bis 0,6 Beitragssatzpunkten bewegt sich die Gesamtsteigerung im Rahmen der Erwartungen. Überproportionale Beitragssatzanhebungen von mehr als 1 Beitragssatzpunkt waren bislang entweder bei regionalen Krankenkassen oder bei sehr kleinen Krankenkassen zu verzeichnen, die der Gruppe der Betriebskrankenkassen zuzuordnen sind.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte Ihre erste Nachfrage.

Dr. Martina Bunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003743, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, wird es dann, wenn die Zahlen vorliegen, möglich sein, Aussagen über die Zahl der betroffenen Versicherten, aufgeschlüsselt nach Region und sozialer Struktur, zu treffen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Über die regionale Verteilung kann man sicherlich etwas sagen, weil es sowohl regional als auch bundesweit tätige Krankenkassen gibt. Zur sozialen Verteilung liegen uns keine Zahlen vor. Ich denke, wir sollten über das Bild, das wir im Februar bekommen, im Fachausschuss diskutieren; dazu besteht sicherlich ausreichend Gelegenheit. Lassen Sie uns über die Zahlen reden, wenn sie vorliegen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Dr. Bunge, Sie haben keine zweite Nachfrage? - Dann hat der Kollege Spieth das Wort zu einer Nachfrage.

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, halten Sie die Auskunftsfähigkeit Ihres Hauses - dies frage ich nicht rhetorisch - angesichts der dramatischen Beitragssatzanhebungen, die nach meiner Berechnung - Sie können aber auch „Spiegel online“ oder andere Quellen heranziehen - mittlerweile 147 Krankenkassen mit circa 75 Millionen gesetzlich Krankenversicherte vorgenommen haben, auf der

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Spieth, ich finde es interessant, dass Sie mich etwas fragen, was Sie selbst schon wissen. Wenn Sie es wissen, brauchen Sie eigentlich nicht zu fragen. Sie verweisen darauf, was in der Presse verlautbart wird. Aber Sie erwarten von uns, der Bundesregierung, sicherlich, dass wir gesicherte und belastbare Zahlen nennen. Nochmals: Sie wissen besser als ich - weil Sie einmal für eine regionale Krankenkasse Verantwortung hatten -, dass dem Bund zum heutigen Datum nur die bundesunmittelbaren Zahlen vorliegen und dass wir erst, wenn wir alle Zahlen von den Bundesländern erhalten haben, eine Gesamtschau haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Es gibt eine weitere Nachfrage der Kollegin Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, könnte es sein, dass Ihnen, nachdem die Bundesregierung noch im vergangenen Jahr versprochen hatte, es werde keine Beitragserhöhungen geben, die Frage danach unangenehm ist und dass Sie deswegen nicht antworten wollen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin Enkelmann, mir ist diese Frage nicht unangenehm. Ich bin jederzeit und überall auskunftsfähig und auskunftswillig. Sie selber wissen, dass schon vor der großen Diskussion über die Gesundheitsreform von vielen Seiten darauf aufmerksam gemacht wurde, dass es zu Beitragssatzerhöhungen kommen wird, und zwar allein aufgrund der Tatsache, dass der Steuerzuschuss zurückgeht und die Mehrwertsteuer angehoben wird. Zudem gebe ich im Fachausschuss - das ist eine ständige Übung; das können Sie nicht wissen, weil Sie nicht Mitglied des Fachausschusses sind - jedes Vierteljahr Auskunft über die Situation, wie sie sich aktuell darstellt. Wir haben beispielsweise umfassende Informationen über den Schuldenstand der Krankenkassen angefordert. Wir brauchen eine bundesweit vergleichbare Verschuldungsdefinition; das ist uns ein ernstes Anliegen. Es darf nicht sein, dass Bund und Länder unterschiedliche Verschuldungsmesslatten anlegen und dass deswegen das wahre Bild der Verschuldungssituation unklar bleibt. Genau dem wollen wir mit unserer Gesundheitsreform abhelfen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Frau Staatssekretärin. Die Fragen 15 und 16 des Kollegen Frank Spieth werden nach I Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet. Das heißt, wir beschäftigen uns an anderer Stelle mit dem Gegenstand dieser Fragen. Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Gesundheit. Vizepräsidentin Petra Pau Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller zur Verfügung. Die Fragen 17 und 18 des Kollegen Dr. Reinhard Loske wurden von Ihnen schon schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Hans-Josef Fell auf: Plant die Bundesregierung, ein Wärmegesetz für erneuerbare Energien auf den Weg zu bringen und, wenn ja, zu welchem Zeitpunkt?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Es ist sicherlich zwischen uns und auch hier im Haus unbestritten, dass wir im Bereich der Wärme zu verstärkten Anstrengungen auch auf der Basis erneuerbarer Energien kommen müssen, allein schon um einerseits das Klimaschutzziel zu erreichen und andererseits den Zielvorstellungen der Europäischen Kommission gerecht zu werden. Ihnen ist klar, dass die am Montag letzter Woche präsentierten Vorstellungen bedeuten, dass in allen Mitgliedstaaten die Anstrengungen zur Nutzung von erneuerbaren Energien in allen drei Feldern - im Strombereich, im Wärmebereich und im Verkehrssektor - massiv verstärkt werden müssen. Die Bundesregierung zielt allerdings nicht nur auf ein Wärmegesetz zur Förderung dieses Bereiches. Sie wissen, dass insbesondere das Marktanreizprogramm in der Zwischenzeit ein bewährtes Instrument geworden ist, mit dem sowohl der Ausbau der erneuerbaren Energien im Wärmemarkt als auch die Entwicklung von innovativen Techniken in diesem Bereich gefördert werden. Seit 2000 wurden durch die Förderung Investitionen mit einem Volumen von 6,5 Milliarden Euro ausgelöst. Diese Förderung soll jetzt bedarfsgerechter gestaltet werden. Für das Haushaltsjahr 2007 wurde daher insbesondere wegen des Antragsbooms gegenüber dem Mittelansatz das Finanzvolumen für das MAP um 39 Millionen Euro auf nunmehr 213 Millionen Euro deutlich angehoben. Der andere Bereich, in dem wir tätig geworden sind, ist ein Wärmegesetz. Sie wissen, dass wir in unserem Hause ein Konsultationspapier erstellt haben, das in einer öffentlichen Debatte zur Diskussion gestellt worden ist. Das geschah in einer Anhörung von unter anderem Vertretern der Energie- und Industrieverbände sowie von Wohnungsbaugesellschaften. Es hat erheblichen Widerspruch von unterschiedlichen Gruppen gegeben. Wir sind deshalb in einer Überarbeitungsphase. Wir wollen auf jeden Fall ein Wärmegesetz vorlegen. Dabei sind unterschiedliche Wege in der Diskussion. Sie wissen, dass man das nach den Vorgaben des EEG in der Form eines Bonusmodells, eines Quotenmodells oder eines Einsatzpflichtenmodells machen kann. Wir stimmen im Augenblick einen Gesetzentwurf im Hause ab. Dieser Vorschlag wird dann in den nächsten Wochen mit den anderen Ministerien und den Fraktionen abgestimmt werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die ausführliche Antwort. - Mich würde im Detail noch interessieren, ob es schon eine Position des Ministers gibt, in welche Richtung das Wärmegesetz gehen soll.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Unsere Position ist insofern klar, als wir schon davon ausgehen müssen, dass ein Wärmegesetz bis zum Jahr 2020 eine Größenordnung von mindestens 12 Prozent umfassen muss, um die bestehenden Potenziale im Wärmebereich zu erschließen. Insofern muss es ein ehrgeiziges Gesetz sein. Allerdings haben wir noch keine endgültige Entscheidung über die Einzelheiten der Instrumente getroffen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine zweite Nachfrage? - Sie verzichten. Die Kollegin Höhn hat noch eine Nachfrage, bevor wir zur Frage 20 kommen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, es gibt mehrere Stimmen aus der CDU/CSU, die dieses Wärmegesetz nicht wollen. Was wollen Sie eigentlich tun, um die CDU/CSU zu überzeugen?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ich glaube, dass es vor dem Hintergrund der europäischen Vorgabe und vor dem Hintergrund der Klimadaten keine Alternative dazu gibt. Das wird jeder begreifen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Hans-Josef Fell auf: Hält die Bundesregierung bei den erneuerbaren Energien sektorale Zielvorgaben der EU für sinnvoll?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Es ist völlig richtig, dass die Dringlichkeit einer europäischen Energiepolitik immer deutlicher geworden ist. Allerdings ist das noch keine Antwort auf die meines Erachtens genauso wichtige Frage, welche Energiepolitik in Europa gemacht werden soll. Sie wissen, dass es innerhalb von Europa unterschiedliche Ansätze gibt. Wir auf jeden Fall wollen bei einer europäischen Energiepolitik vor allem diese beiden Schwerpunkte ins Zentrum rücken: Effizienzstrategien und erneuerbare Energien. Das muss das Markenzeichen werden. Insofern unterstützen wir im Grundsatz den Fahrplan zur Förderung erneuerbarer Energien. Dieser Fahrplan wurde von der EU-Kommission am 10. Januar vorgestellt. Dieser Fahrplan sieht vor, dass der Anteil erneuer7522 barer Energien insgesamt, also auf allen drei Sektoren, bis zum Jahre 2020 auf 20 Prozent des Primärenergieverbrauchs ausgebaut werden muss. Er enthält die konkrete Vorgabe, in Bezug auf den Verkehrssektor mindestens 10 Prozent - der Minister hat vorhin gesagt, dass wir 12,5 Prozent erreichen wollen - zu erreichen. Nach den bisherigen Entwicklungen geht der Trend dahin, dass wir im Strombereich zwischen 25 und 27 Prozent erreichen. Ein Anteil des Verkehrssektors von etwa 12 Prozent bedeutet, dass die Anstrengungen im Wärmeund möglicherweise auch im Strombereich deutlich verstärkt werden müssen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Meine Frage zielte vor allem darauf, ob die Bundesregierung die EU auffordern wird, die sektoralen Ziele - im Entwurf der EU-Kommission sind sie bisher nicht beschrieben - zu benennen. Im Rahmen der Ratspräsidentschaft Deutschlands ist es möglich, darauf hinzuwirken. Ich möchte gerne wissen, ob das geschieht.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Wie gesagt, es gibt zwei Ziele: Das eine ist das allgemeine Ziel - 20 Prozent -, und das zweite ist das sektorale Ziel, nämlich dass der Anteil des Verkehrssektors bei mindestens 10 Prozent liegt. Diese ehrgeizige Zielsetzung unterstützen wir im Grundsatz. Aber man muss schon akzeptieren, dass es in den einzelnen Mitgliedstaaten möglicherweise anteilsmäßige Unterschiede zwischen Wärme, Strom und Verkehrssektor gibt. Insofern halte ich eine solche Grundphilosophie für richtig. Wir müssen schon darüber diskutieren, wie die Ziele in den einzelnen Mitgliedstaaten möglicherweise mit unterschiedlichen Maßnahmen verfolgt werden. Ich wiederhole: Im Grundsatz unterstützen wir die Zielsetzung - das soll der Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft werden -, dass das Markenzeichen der europäischen Politik erneuerbare Energien und Effizienz werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sektorale Ziele: Man kann auch eine andere Aufteilung in Sektoren vornehmen, nämlich nach Sparten erneuerbarer Energien, zum Beispiel Windbereich, Solarwärmebereich, Solarstrombereich, Meeresenergien. Hält es die Bundesregierung für sinnvoll, endlich auch auf der EU-Ebene hinsichtlich dieser Sektoren ambitionierte Ziele zu verfolgen? Bisher geht es immer nur um die Summe der erneuerbaren Energien und nicht um eine spezifische, direkte Unterstützung der einzelnen Sparten.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ich will mit Ihnen jetzt gar nicht darüber diskutieren, ob so etwas sinnvoll ist. Nach unseren Erfahrungen vertreten die einzelnen Mitgliedstaaten der EU höchst unterschiedliche Konzepte. Das hat viel damit zu tun, welche historischen Ausgangsbedingungen vorhanden sind, wie die Nachfragestruktur ist und welche geografischen Möglichkeiten bestehen. Deshalb stellt sich schon die Frage, ob eine so weit gehende Detaillierung richtig ist. Ich bin nicht so sicher, dass es so ist, wie Sie es in Ihrer Frage andeuten. Meines Erachtens ist es wichtig, dass wir ehrgeizige Zielvorstellungen haben. Ich finde, es sollte so viel Offenheit bestehen, dass die Länder diese Ziele je nach Möglichkeit auf unterschiedlichen Pfaden verfolgen. Ich halte das übrigens auch unter Wettbewerbsgesichtspunkten für sehr sinnvoll.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm bereit. Ich rufe die Frage 21 der Kollegin Krista Sager auf: Welche Maßnahmen zur Halbierung der Schulabbrecherquote sollen in der von Bundesministerin Dr. Annette Schavan angekündigten Bund-Länder-Offensive für den Bildungsaufstieg vereinbart werden, und was soll der Beitrag des Bundes dabei sein?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Sehr geehrte Frau Abgeordnete Sager, jährlich verlassen mehr als 200 000 Jugendliche die Schule ohne ausreichende Ausbildungsreife, darunter 80 000 ohne Schulabschluss. Jugendliche mit Migrationshintergrund sind dabei in besonderem Maße betroffen. Angesichts ständig steigender Qualifikationsanforderungen, aber auch im Hinblick auf die demografische Entwicklung kann Deutschland es sich nicht mehr länger leisten, die Potenziale dieser jungen Menschen ungenutzt zu lassen. Die Bundesregierung strebt daher im Einklang mit den Zielsetzungen der EU gemeinsam mit den Ländern die Halbierung der Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss sowie konzertierte Maßnahmen zur Stärkung der Ausbildungsreife an. Nach bereits angelaufenen Vorgesprächen mit den Ländern ist beabsichtigt, gemeinsame Strategien zu erarbeiten und diese Zielsetzungen koordiniert im jeweiligen Zuständigkeitsbereich umzusetzen. Der Bund kann in seinem Zuständigkeitsbereich hierzu insbesondere durch Maßnahmen in den Bereichen der frühkindlichen Bildung, der außerschulischen Bildung, der Ausbildungsvorbereitung, der außerschulischen Berufsbildung sowie der Bildungsforschung beitragen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte Sie fragen, welche Maßnahmen im Bereich der frühkindlichen Förderung der Bund konkret umsetzen wird. Welche Mittel wird er dafür zur Verfügung stellen?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Der Bund kann insbesondere durch Forschungsvorhaben auch den Ländern Impulse geben. Für den Bereich der frühkindlichen Bildung ist die Einrichtung eines Forschungsschwerpunktes „Bildung in der frühen Kindheit“ vorgesehen. Dabei geht es um die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Eltern und Erzieherinnen und Erziehern sowie Lehrerinnen und Lehrern an den Grundschulen, um gemeinsame qualifizierende Maßnahmen, um die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen und um Unterstützung bei der Entwicklung und Begleitung von Bildungshäusern für Kinder von drei bis zehn Jahren. Im Bereich der frühkindlichen Bildung geht es insbesondere auch um die Ausbildung individueller Lernstrategien, um individuelle Sprachförderung und um das Heranführen an Naturwissenschaften. Dadurch sollen die Bildungschancen aller Kinder verbessert und Benachteiligte frühzeitig unterstützt werden. Hierzu kann der Bund insbesondere im Bereich der Forschung Pilotprojekte unterstützen.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ministerin Schavan hat gesagt: Mein Ziel ist es, die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss zu halbieren. Herr Staatssekretär, halten Sie es angesichts des formulierten Zieles nicht für einen etwas geringen Beitrag des Bundes, wenn er sich nur an der Forschung beteiligt?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete, die Stärkung der frühkindlichen Bildung ist nur ein Element bei der Schaffung der strukturellen Voraussetzungen dafür, dass es in wenigen Jahren deutlich weniger Schulabgänger ohne Abschluss geben wird. Es gibt eine ganze Reihe weiterer Instrumente. Ich darf an dieser Stelle nur drei davon nennen. Erstens: das Investitionsprogramm „Zukunft, Bildung und Betreuung“. Es umfasst die Bereitstellung der Infrastruktur für Ganztagsschulen. Zweitens: die Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. In dieser Gruppe junger Menschen treten teilweise Probleme auf. Insbesondere durch eine bessere Sprachförderung soll die Basis für einen besseren schulischen Erfolg geschaffen werden. Drittens: Programme zur Ausbildungsförderung und Nachqualifizierung. Durch die verstärkte Einbindung der Ausbildungsberater der Kammern und der Unternehmen und durch eine verstärkte Zusammenführung der Akteure, etwa der Schulen, der Kammern, der Arbeitsagenturen, der kommunalen Einrichtungen und der Bildungsträger, soll die Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass am Ende der Schulzeit ein besserer Erfolg steht und die Schule mit Abschluss verlassen werden kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Hinz hat noch eine Nachfrage.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, nach meinem Verständnis von Bildungsbiografien ist eine Nachqualifizierung nicht geeignet, um die Schulabbrecherquote zu verringern, weil die Schule bereits abgebrochen worden ist, wenn man eine solche Maßnahme in Anspruch nimmt. Das Ganztagsschulprogramm und die Migrantenförderung sind vor der Föderalismusreform ins Leben gerufen worden. Deshalb möchte ich Sie jetzt fragen: Welche organisatorischen, strukturellen und finanziellen Maßnahmen will die Bundesregierung tatsächlich jetzt, ab 2007, ergreifen, um gemeinsam mit den Ländern das Ziel zu erreichen, den Anteil der Schulabbrecher zu verringern?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete, ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die Vorgespräche mit den Ländern begonnen haben und dass dieses Thema einer der zentralen Gegenstände bei der nächsten Tagung der Ministerinnen und Minister Ende Februar sein wird. Es geht um die Erarbeitung einer gemeinsamen Strategie, bei der die Länder und der Bund in den Bereichen, in denen sie jeweils zuständig sind, ihren Beitrag dazu leisten, dass die gemeinsam formulierten Ziele erreicht werden. Diese Ziele müssen bei der Tagung im Februar aber erst noch formuliert werden. Es gibt bereits jetzt ein Einverständnis darüber, dass wir nicht nur die Halbierung der Zahl der Schulabbrecher, sondern darüber hinaus auch eine Verbesserung der Ausbildungsreife erreichen wollen. In diesem Zusammenhang ist das von mir genannte Thema der Nachqualifizierung zu sehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Nachfrage hat die Kollegin Hirsch.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Sie haben sich hier positiv auf BLK-Programme bezogen und dargestellt, dass beispielsweise das Förderprogramm für Migrantinnen und Migranten durchaus einen Beitrag dazu leisten könnte, die Zahl der Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher zu senken. Stimmen Sie mir darin zu, dass es durchaus wünschenswert wäre, solche Programme fortsetzen zu können, aber dass Sie sich diese Möglichkeit mit der Föderalismusreform haben aus der Hand nehmen lassen, und planen Sie, da in irgendeiner Form doch wieder zu Änderungen zu kommen?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, im Zusammenhang mit der Föderalismusreform sind den Ländern für diese Thematik zweckgebundene Mittel bereitgestellt worden. Es zeichnet sich bereits jetzt ab, dass insbesondere die Migrantenförderung von den Ländern auch in den kommenden Jahren mit dem gemeinsam verfolgten Ziel fortgeführt werden wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Vorerst herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Zur Beantwortung der Frage 22 steht der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel zur Verfügung. Ich rufe die Frage 22 der Kollegin Hinz auf: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem am 10. Januar 2007 im Kabinett verabschiedeten „Zweiten Erfahrungsbericht der Bundesregierung über die Durchführung des Stammzellgesetzes“ im Hinblick auf die vor allem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geforderte Änderung des Stammzellgesetzes?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Sehr geehrte Frau Kollegin Hinz, der zweite Stammzellbericht der Bundesregierung, der sich auf den Zeitraum bis zum Jahr 2005 bezieht, enthält die Schlussfolgerung, dass sich das Stammzellgesetz bis dorthin bewährt hat. Die mit dem Stammzellgesetz eröffneten Möglichkeiten für die Grundlagenforschung wurden nämlich wahrgenommen. Die Bundesregierung hat der DFG zugesagt, die Stellungnahme der DFG gemeinsam mit dem Parlament eingehend zu prüfen und auszuwerten. Ob die in Deutschland verwendbaren Stammzelllinien mit Blick auf die auch in der DFG-Stellungnahme angeführte internationale Entwicklung des Forschungsgebiets künftig noch für Forschungszwecke ausreichend nutzbar sind, darüber wird die Bundesregierung und, so denke ich, wird auch das Parlament unter Einbeziehung aller Argumente, insbesondere auch ethischer und rechtlicher Implikationen, breit diskutieren müssen. Aus Sicht der Bundesregierung muss diese Debatte primär im Parlament geführt werden; denn schließlich wurde der Entwurf des Stammzellgesetzes 2002 aus der Mitte des Parlaments in den Bundestag eingebracht. Es wird deshalb Aufgabe des Bundestages sein, zu entscheiden, ob er einen Vorschlag zur Änderung des Stammzellgesetzes einbringen will. Ich denke, auch die Wissenschaft sollte in diesen Diskussionsprozess einbezogen werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie haben schon auf etwas hingewiesen, das im zweiten Stammzellbericht der Bundesregierung steht. Wörtlich heißt es darin: „Die gesetzlichen Regelungen über die Einfuhr und Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen zu Forschungszwecken, das Genehmigungsverfahren und die Einbeziehung einer zentralen Ethikkommission für Stammzellforschung haben sich bewährt.“ In derselben Woche, in der der Kabinettsbeschluss zu diesem Bericht gefasst wurde, hat Bundesministerin Schavan mitgeteilt und öffentlich bekräftigt, dass sie eine Lockerung desselben Stammzellgesetzes, das sich laut Bericht der Bundesregierung bewährt hat, für möglich hält. Sie hat aber auch gesagt - wörtlich -: „Ich bin ebenso wie die katholischen Bischöfe davon überzeugt, dass wir wegmüssen von der Forschung an embryonalen Stammzellen.“ Ich möchte von Ihnen gern wissen, wie die Haltung der Ministeriumsspitze zu der Frage einer Lockerung des Stammzellgesetzes in dieser Woche ist.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Die Position der Bundesregierung habe ich gerade beschrieben. Sie besteht in der klaren Absicht, sich entsprechend ihrer gegenüber der DFG gemachten Zusage an der Diskussion zu beteiligen und insofern die Möglichkeiten zu erörtern, wie wir auf jeden Fall die ethische Substanz des Stammzellgesetzes wahren, aber gleichzeitig sicherstellen wollen, dass auch künftig die Forschung im Bereich der embryonalen Stammzellforschung durch Import ausländischer Stammzelllinien unter strengen Voraussetzungen möglich bleibt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn eine Diskussion über das Thema erfolgen soll, wie die Stammzellforschung perspektivisch in Deutschland fortgesetzt werden soll, dann ist aus unserer Sicht eine Bewertungs- und Publikationspflicht hinsichtlich internationaler Projekte embryonaler Stammzellforschung notwendig, bei der nicht nur die Erfolge, sondern auch die Misserfolge der Stammzellforschung, vor allem der embryonalen Stammzellforschung, aufgeführt werden müssen. Können Sie sich diese Position zu eigen machen und vor allem in der EU für eine solche Berichtspflicht eintreten?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es ein genau geregeltes Verfahren, das unter anderem beinhaltet, dass die zentrale Stammzellkommission ebenfalls in regelmäßigen Abständen einen Bericht vorlegt; in Kürze ist ein neuer Bericht zu erwarten. In der Europäischen Union werden die entsprechenden Daten anhand ihres eigenen Verfahrens übermittelt. Daraus ist auch zu erkennen, welche die humanen embryonalen Stammzellen betreffenden Forschungsprojekte in der Europäischen Union durchgeführt werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Sager hat noch eine Nachfrage. Bitte.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, die Spielregeln für die Stammzellforschung sind im 7. Forschungsrahmenprogramm der EU die gleichen geblieben wie im 6. Forschungsrahmenprogramm. Teilen Sie meine Einschätzung, dass die Behauptung, nach der Verabschiedung des 7. Forschungsrahmenprogramms werde von der europäischen Ebene Druck entstehen, in Deutschland etwas am Stammzellgesetz zu ändern, falsch ist, oder wie ist Ihre Auffassung dazu?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Bewertungen einzelner Abgeordneter möchte ich nicht kommentieren. Richtig ist auf jeden Fall, dass die EU-Kommission als Ergebnis der Diskussion im Sommer 2006 für das 7. Forschungsrahmenprogramm eine im Gegensatz zum 6. Forschungsrahmenprogramm verbindliche, die Kommission selbst bindende Erklärung niedergelegt hat, die auch Teil der Beschlüsse und des EU-Bulletins geworden ist, sodass im 7. Forschungsrahmenprogramm eine insgesamt eher noch restriktivere Regelung als im 6. Forschungsrahmenprogramm getroffen wurde.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. Die übrigen Fragen zu diesem Geschäftsbereich beantwortet nun wieder der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm. Ich rufe die Frage 23 der Kollegin Hirsch auf: Was schlägt die Bundesregierung zur Lösung des im Evaluierungsbericht zur Auslandsförderung nach dem BAföG aufgeführten Problems vor, dass die Anzahl der Studierenden, die zeitweise im Ausland studiert haben, umso höher ist, je höher ihre soziale Herkunft ist, und stehen diese Vorschläge im Einklang mit den Vorhaben in der angekündigten BAföGNovelle? Bitte, Herr Staatssekretär.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, Sie haben nach der Auslandsförderung gemäß BAföG sowie einer beabsichtigten Novellierung gefragt. Durch die Auslandsförderung nach dem BAföG wird gerade Studierenden aus sozial schwächeren Familien ein studienbezogener Auslandsaufenthalt ermöglicht. In den vergangenen Jahren konnte die Zahl der Geförderten im Ausland erfreulicherweise erheblich gesteigert werden; mit fast 20 000 Studierenden mit BAföG im Ausland waren es im Jahr 2005 nahezu doppelt so viele wie im Jahr der BAföG-Reform 2001. Mit der für dieses Jahr geplanten BAföG-Novelle beabsichtigt die Bundesregierung, einige wesentliche Vorschläge aus der Evaluierung der Auslandsförderung umzusetzen, um die Attraktivität der Auslandsförderung nach dem BAföG weiter zu steigern. Dies beinhaltet eine Abschaffung der sogenannten Orientierungsphase, sodass Studierende künftig BAföG-Förderung für ein Vollstudium im EU-Ausland erhalten können. Zudem sollen die Durchführung von Auslandspraktika außerhalb der EU wesentlich erleichtert und auch für Berufsfachschüler inhaltlich sinnvolle Auslandsausbildungen über die reine Vermittlung von Sprachkenntnissen hinaus ermöglicht werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

In meiner Frage, die ich eingereicht hatte, habe ich primär danach gefragt, was die Bundesregierung zu tun gedenkt, um die sozial ungleiche Beteiligung an Auslandsaufenthalten zu ändern. Ich denke, dass das maßgebliche Problem nicht nur in formellen Fragestellungen liegt - also ob es eine Orientierungsphase gibt oder Ähnliches -, sondern dass sich für die Studierenden auch und gerade die Frage stellt, wie denn so ein Auslandsstudium zu finanzieren ist. Da würde ich doch gerne nachfragen, was denn die Vorhaben in dieser Novelle sind, also wie ganz konkret zukünftig Auslandszuschläge im Rahmen des BAföG erstattet werden und wie zukünftig mit Studiengebühren umgegangen wird, die an ausländischen Hochschulen anfallen. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass eine Beteiligung von BAföG-Empfängerinnen und BAföG-Empfängern an Auslandsaufenthalten tatsächlich weiterhin möglich sein wird?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, die deutliche Ausweitung der Auslandserfahrung der Studierenden gehört in der Tat zu einer wesentlichen Zielsetzung der deutschen Hochschulpolitik. Allerdings stellt sich die Frage, mit welchen Instrumenten man beim BAföG darauf reagieren soll. Die Instrumente, die wir hier einzuführen beabsichtigen, haben zum Ziel, Auslandsaufenthalte mit BAföG-Bezug generell zu erleichtern. Deswegen fällt zum Beispiel die Orientierungsphase weg. Es gibt andere Bereiche, in denen eine Gleichbehandlung durchaus Sinn macht. Es wird ein Leitmotiv für die BAföGNovelle sein, eine Gleichbehandlung zwischen der Förderung im Ausland und der im Inland herbeizuführen. In diesem Sinne ist die Überführung der Auslandszuschläge, die bisher als Zuschuss gewährt werden sollten, in die Normalförderung vorzusehen. Es ist auch eine Überführung der Erstattung von Studiengebühren, die im Ausland anfallen, von der Zuschussförderung in die Bankdarlehensförderung vorgesehen. Auch das wäre ein Beispiel dafür, wie wir in Zukunft eine Gleichbehandlung mit der Förderung im Inland erreichen können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu einer weiteren Nachfrage.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte noch allgemein eine Frage zur geplanten BAföG-Novelle bzw. insgesamt dem Umgang der Bundesregierung mit dem BAföG stellen. Es gab gestern die Kabinettsentscheidung, dass keine Anpassung der Bedarfssätze und Freibeträge erfolgen soll. Meine Frage ist, wie es zu dieser Entscheidung kam. Morgens wurde noch gesagt, das würde gar nicht auf der Tagesordnung stehen. Plötzlich kam dann doch die Nachricht. Was für Diskussionen fanden darüber statt, und wie ist diese Entscheidung letztlich getroffen worden?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, es war nach der normalen Zeitplanung der Bundesregierung beabsichtigt, dass der regelmäßig zu erstattende BAföG-Bericht im Kabinett am gestrigen Tag vorgelegt werden sollte, so wie das auch stattgefunden hat. Ich selbst hatte im Ausschuss angekündigt, dass dies zeitnah zum Jahreswechsel geschieht. Vor dem Hintergrund der Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Lage, aber auch der finanzpolitischen Situation des Bundeshaushaltes und der öffentlichen Haushalte insgesamt sehen wir derzeit keinen Spielraum für eine allgemeine Anhebung der Bedarfssätze und der anderen Anpassungssätze beim BAföG. Wir sehen aber durchaus in einigen strukturellen Bereichen einen Handlungsbedarf, insbesondere was die Stärkung der Studierenden betrifft, die BAföG beziehen und Kinder erziehen. Dies wird ein wesentlicher Gegenstand der geplanten BAföG-Novelle sein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 24 der Kollegin Hirsch auf: Welche Probleme ergeben sich aus Sicht der Bundesregierung mit der Gründung von gewinnorientiert arbeitenden Hochschulen, wie beispielsweise die Private Hanseuniversität Rostock?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, die staatliche Anerkennung privater Hochschulen und die damit verbundene Qualitätsbewertung fällt in die Zuständigkeit der Wissenschafts- bzw. Kultusministerien der Länder. Die Bundesregierung sieht keine grundsätzlichen Bedenken gegen gewinnorientierte Hochschulkonzepte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine Nachfrage ist, ob es tatsächlich der Fall ist, dass der Bund keinerlei Änderungsmöglichkeiten oder Einflussmöglichkeiten in diesen Fragen hat oder ob es Punkte gibt - beispielsweise die Qualitätssicherung oder die Zulassungs- und Abschlussregelungen -, über die doch in irgendeiner Form Einfluss auf das genommen werden kann, was in den Ländern passiert.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Das ist natürlich im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten machbar. Ich verstehe aber Ihre Frage nicht so ganz, weil erst einmal ein konkreter Handlungsbedarf gegeben sein müsste, der natürlich von vornherein im Fall der von Ihnen konkret angesprochenen Hochschule nicht erkennbar ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Frage.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte versuchen, das in meiner zweiten Frage noch einmal kurz zu konkretisieren. Wir halten gewinnorientiert arbeitende Schulen oder Hochschulen schon für ein Problem, weil wir meinen, dass solche Institutionen im Widerspruch zum Grundrecht auf Bildung stehen. Die Frage wäre also, ob die Bundesregierung diese Bedenken teilt oder sie von vornherein von sich weist. Wenn diese Bedenken in der Bundesregierung in keinster Weise bestehen, dann ist es natürlich logisch - da gebe ich Ihnen recht -, da auch keinen Handlungsbedarf zu sehen.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Die Bundesregierung teilt diese Bedenken in dieser Form nicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Zur Beantwortung steht der Staatsminister Gernot Erler zur Verfügung. Ich rufe die Frage 25 der Kollegin Bellmann auf: Gibt es nach dem Beschluss des Europäischen Parlaments zur Einrichtung des Europäischen Institutes für Gleichstellungsfragen in Vilnius nach Kenntnis der Bundesregierung Pläne für weitere neue EU-Agenturen, und hält die Bundesregierung die Einrichtung weiterer EU-Agenturen für notwendig?

Not found (Gast)

Ist die Kollegin da? ({0}) - Entschuldigung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gelegentlich fragen auch Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition. Das ist ihr gutes Recht.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Bellmann, in den Gremien der Europäischen Union wird derzeit die Gründung einer Grundrechteagentur und eines europäischen Technologieinstitutes beraten. Bezüglich der Gründung einer EUGrundrechteagentur wurde im Rat für Justiz und Inneres am 4. und 5. Dezember 2006 eine politische Einigung erzielt. Die formelle Beschlussfassung steht noch aus. Ferner hat der Europäische Rat am 14. und 15. Dezember 2006 hervorgehoben, dass im Jahr 2007 ein Beschluss zur Schaffung eines europäischen Technologieinstitutes gefasst werden soll. Die Bundesregierung hat in den Beratungen immer deutlich gemacht, dass es sich dabei primär um ein Netzwerk bestehender Forschungs- und Innovationsgemeinschaften handeln müsse. Außerdem befindet sich derzeit die Aufsichtsbehörde für Galileo im Aufbau. Grundsätzlich verfolgt die Bundesregierung eine restriktive Haltung, was die Einrichtung neuer Agenturen betrifft. Allerdings ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, inwieweit Effizienz und Spezialisierung die Übertragung bestimmter Aufgaben an Agenturen erforderlich machen. Agenturen sind Einrichtungen, die sehr spezifische fachliche, wissenschaftliche oder administrative Aufgaben erfüllen und somit der effizienten Umsetzung von EU-Politiken in fachspezifischen Bereichen dienen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor ich der Kollegin Bellmann das Wort zu den Nachfragen erteile, ein geschäftsleitender Hinweis an die Fraktionen: Wir haben nach dieser Frage hier im Plenum noch zwei Fragen zu behandeln. Ich beabsichtige, danach sofort die Aktuelle Stunde aufzurufen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, das bei ihren Zeitplanungen zu beachten. Ihre erste Nachfrage, bitte, Frau Bellmann.

Veronika Bellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister Erler, wir hatten heute Morgen im Europaausschuss eine ziemlich kontroverse Diskussion über das Thema Agenturen, speziell über die Grundrechteagentur und die Doppelstruktur bei Mandat und Aufgabe bezüglich Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte und Europarat. Gleiches trifft meiner Ansicht nach auch auf die Gleichstellungsagentur zu. Teilt die Bundesregierung die von verschiedener Seite geäußerte Skepsis, dass zum Erreichen des Zieles Gleichstellung und der damit verbundenen Aufgabenstellung, Informationen und Daten zur Gleichstellung zu analysieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, tatsächlich ein neues Institut auf EU-Ebene nötig ist? Wäre nicht eine Aufgabenerledigung durch oben genannte Institutionen statt durch eine Gleichstellungsagentur effizienter?

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Frau Kollegin, wie ich eben schon gesagt habe, verfolgt die Bundesregierung, was die Schaffung neuer Agenturen angeht, in der Tat eine restriktive Politik. Wir bestehen darauf, dass in all den Fällen, wo es um die Errichtung neuer Agenturen geht, sehr genau geprüft wird, dass keine Doppelstrukturen entstehen und Aufgaben nicht parallel wahrgenommen werden, damit eine schlanke Struktur entsteht. Wir haben derzeit 22 verschiedene EU-Agenturen. Dazu kämen noch die, die ich eben genannt habe. Das wären dann also 25. Wir glauben, dass bezüglich der Gründung neuer Agenturen Zurückhaltung angebracht ist. Wir haben uns aber, wie ich berichtet habe, bei diesen drei Agenturen, die ich genannt habe, doch mit dem starken Willen der anderen europäischen Partner auseinandersetzen müssen, die Gründung dieser Agenturen auf den Weg zu bringen. Wir konzentrieren uns darauf, das nach den Kriterien zu machen, die ich eben genannt habe.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben eine zweite Nachfrage. Bitte.

Veronika Bellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zweite Nachfrage zur Gleichstellungsagentur: Es wird von einem Kostenvolumen von 52 Millionen Euro für die Jahre 2007 bis 2013 gesprochen. Welcher Personalaufwand steht dem gegenüber, und ist bei den im Aufbau befindlichen Agenturen eventuell schon eine zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie REACH in Helsinki geplant?

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Ich kann im Augenblick zu den Details der Umsetzung dieses Beschlusses hier keine Angaben machen, auf jeden Fall nicht zu der Frage der personellen Besetzung. Das müssten wir nachliefern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Beck hat die Möglichkeit zu einer Nachfrage.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, weil Sie die Grundrechteagentur angesprochen haben und es da einen Konflikt mit der Mehrheit des Europaausschusses gibt, frage ich Sie, ob Sie nicht durch die Grundrechteagentur die Chance sehen, zu überprüfen, ob sich die Beitrittsländer, insbesondere die neuen, auch nach dem Beitritt an den rechtsstaatlichen Standard, den der europäische Acquis communautaire beinhaltet, halten. Würden Sie zustimmen, dass es neben der Grundrechteagentur eigentlich keinen EU-rechtlichen Mechanismus gibt, um die Einhaltung der rechtsstaatlichen Anforderungen an eine EUMitgliedschaft zu implantieren?

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Herr Kollege Beck, das war in der Tat der Grund, weshalb wir uns den Argumenten für die Bildung dieser Grundrechteagentur dann doch nicht verschließen konnten. Es geht darum, das Gemeinschaftsrecht so durchzuführen, dass bei allen bisherigen Mitgliedstaaten und natürlich auch bei den neuen Mitgliedstaaten die uneingeschränkte Achtung der Grundrechte abgesichert wird. Sie wissen, dass diese Agentur auf der bisherigen Arbeit der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Wien beruht. Wir glauben, dass dieser Bereich ein ganz wesentliches Tätigkeitsfeld der jetzt zu bildenden Agentur sein soll. Wir sehen auch einen Bedarf dafür, der durch die breite Arbeit des Europarats, der ansonsten für die allgemeine Durchsetzung von Menschenrechten in Europa zuständig ist, nicht gedeckt wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke. - Die Fragen 26 und 27 der Kollegin Dağdelen werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 28 des Kollegen Beck ({0}) auf: Welche Initiative hat die Bundesregierung im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft ergriffen oder will sie noch ergreifen, um die Auflösung des US-Lagers in Guantanamo Bay auf Kuba zu befördern bzw. durchzusetzen, und welche Elemente enthält sie gegebenenfalls?

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Herr Kollege Beck, die Bundeskanzlerin hat bereits am 9. Januar 2006 öffentlich erklärt, dass eine Institution wie Guantanamo so nicht auf Dauer existieren dürfe und dass Mittel und Wege für einen anderen Umgang mit den Gefangenen gefunden werden müssten. Diesen Standpunkt hat sie auch bei ihrem Antrittsbesuch am 12. und 13. Januar 2006 gegenüber Präsident Bush vertreten. Auch die EU vertritt diesen Standpunkt und hat dies wiederholt gegenüber den Vereinigten Staaten deutlich gemacht. Das Thema wurde unter anderem prominent auf dem letzten EU/USA-Gipfel in Wien am 21. Juni 2006 angesprochen. Die Bundesregierung wird diese Linie weiterhin auch in ihrer Eigenschaft als EU-Ratsvorsitzende in politischen Gesprächen mit den Vereinigten Staaten vertreten. Bundesregierung und EU führen darüber hinaus mit den USA einen Dialog über Rechtsfragen, die sich im Kampf gegen den Terrorismus stellen. Ziel dieses Dialogs ist es unter anderem, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie der internationale Terrorismus unter Wahrung des Völkerrechts effektiv bekämpft werden kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. Bitte.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie beurteilen Sie gerade im Zusammenhang mit diesem Dialog die Aussage des Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung zu der Frage einer Initiative der EU-Ratspräsidentschaft gegen Guantanamo, welche lautet: Ich wehre mich beim Thema Guantanamo dagegen, ständig zu sagen, die Amerikaner blickten überhaupt nicht durch und verstünden nicht, worum es geht. Hinter ihrem Handeln steckt die Angst vor terroristischen Anschlägen. Auf der Seite der Europäer gibt es manchmal eine zu naive Einschätzung der realen Bedrohungslage. Das empfand ich als sehr merkwürdige Äußerung des Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung. Deshalb wollte ich wissen, mit welcher Position Sie in die Gespräche gehen und ob Sie die Position, die hier vorgetragen wird, teilen oder zurückweisen.

Not found (Gast)

Ich möchte nicht wiederholen, welche Position die deutsche EU-Ratspräsidentschaft einnehmen wird. Das habe ich vorhin schon ausgeführt. Sie zitieren hier den Beauftragten für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt, Herrn Günter Nooke. Er hat wiederholt erklärt, dass gerade im Kampf gegen den Terrorismus die Menschenrechte nicht beeinträchtigt werden dürfen. In den Ausführungen zu Beginn seiner Amtszeit hat er festgestellt, dass das Lager in Guantanamo geschlossen werden muss. Diese Auffassung teilt auch die Bundesregierung. Wir haben das Plädoyer von Herrn Nooke so verstanden, dass er keine unterschiedliche Bewertung von Menschenrechtsverletzungen akzeptiert. Er spricht sich für einen Einsatz gegen Menschenrechtsverletzungen aus, unabhängig davon, wo sie auftreten. Ich finde, das ist unterstützenswert.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn dem so wäre, wäre ich damit einverstanden. Aber leider spricht er in diesem Zusammenhang davon, dass die Freiheit der Andershandelnden, also derjenigen, die die Freiheit abschaffen wollen, schwieriger zu gewähren sei. Mir scheint, dass mit dieser Aussage schlichtweg das Thema verfehlt wird. Denn entweder handelt es sich um Menschen, die terroristischer Handlungen verdächtigt werden - dann sind sie als Tatverdächtige strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen -, oder es handelt sich nicht um solche. Dann kann es sich nur noch um Kriegsgefangene handeln, die als solche zu behandeln sind. Wenn sie keiner der beiden Kategorien zuzuordnen sind, dann stellt sich nicht die Frage, wie die Freiheit der Andershandelnden zu beurteilen ist. Denn in diesem Fall sind es keine Andershandelnden, sondern unbescholtene ausländische Staatsbürger, die freizulassen sind. Stimmen Sie mir zu, dass meine Beschreibung der Rechtsverhältnisse etwas präziser ist als die in dem Interview des Menschenrechtsbeauftragten geäußerte Beschreibung?

Not found (Gast)

Herr Kollege Beck, ich habe mir vor dieser Fragestunde, wohl wissend, welche Zusatzfragen Sie stellen würden, das komplette Interview von Herrn Nooke angeschaut. Ich kann Sie insofern beruhigen, als er ausdrücklich genau das gesagt hat, was Sie gerade geäußert haben, nämlich dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder es handelt sich bei diesen Guantanamo-Häftlingen um Kriegsgefangene - in diesem Fall muss die Genfer Konvention angewandt werden -, oder es handelt sich um zivile Strafgefangene; dann ist das amerikanische Recht anzuwenden. Das steht ausdrücklich in dieStaatsminister Gernot Erler sem Interview. Insofern besteht zwischen Ihrer Position und der des Menschenrechtsbeauftragten kein wirklicher Unterschied.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 29 des Kollegen Volker Beck: Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung von Menschenrechtsorganisationen, dass die Mitgliedstaaten der EU die Bereitschaft erklären sollten, Gefangene, die nicht als Tatverdächtige vor amerikanische Gerichte gestellt werden, aufzunehmen ({0})?

Not found (Gast)

Herr Kollege Beck, die Aufnahme solcher Personen liegt in erster Linie in der Verantwortung der Länder, deren Staatsangehörigkeit diese besitzen. Diesem Prinzip folgend, haben bereits mehrere EU-Mitgliedstaaten ehemalige Insassen des Lagers in Guantanamo Bay aufgenommen. Die USA führen außerdem mit mehreren Ländern, aus denen Staatsangehörige in Guantanamo inhaftiert sind, Verhandlungen über Rückführungsabkommen oder haben solche bereits abgeschlossen. Soweit eine Aufnahme in den Heimatländern der Betroffenen nicht in Betracht kommt, liegt die humanitäre Verantwortung für die Lösung der letztlich durch die Inhaftierung der Personen entstandenen Situation bei den Vereinigten Staaten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zusatzfrage.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In dem Fall kann ich lobend auf das Interview des Menschenrechtsbeauftragten zurückkommen. Er schlägt vor, dass wir, also die Bundesrepublik Deutschland bzw. die Europäer, unsere Bereitschaft erklären sollen, Menschen, die nicht in ihre Heimatstaaten zurückverbracht werden können - ich nenne zum Beispiel die Uiguren, eine islamische Minderheit im Westen Chinas, die von den Chinesen verfolgt wird -, aufzunehmen, um eine Auflösung des Camps in Guantanamo stärker zu unterstützen. Übernimmt die Bundesregierung diese Haltung des Menschenrechtsbeauftragten, oder prüft die Bundesregierung, welche Schritte sie in diese Richtung gehen kann?

Not found (Gast)

Herr Kollege Beck, die Haltung der Bundesregierung ist, dass in solchen Fällen zunächst einmal die Vereinigten Staaten von Amerika dafür zuständig sind, nach einem anderen Aufenthaltsort Ausschau zu halten. Selbstverständlich sind wir in diesem Fall gehalten, Einzelfallentscheidungen nach humanitären Gesichtspunkten zu treffen. Schwierig wird es, wenn man ein pauschales Gesamtangebot macht. Das ist mit unserer Rechtsauffassung nicht in Einklang zu bringen. Aber wir sind selbstverständlich bereit, im Einzelfall humanitäre Aspekte zu prüfen und dann eine Einzelfallentscheidung zu treffen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine zweite Nachfrage.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das Ganze ist kein rechtliches Problem. Unser Zuwanderungsgesetz hat einen Paragrafen ausschließlich für solche politisch motivierten Aufnahmeentscheidungen, Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Im Einzelfall!

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- der der Bundesregierung auch ein solches Angebot ermöglicht. Meinen Sie nicht, dass unsere Forderung nach Auflösung des Lagers glaubhafter wäre, wenn wir bereit wären, hier einen Beitrag zu leisten, also unsere Bereitschaft erklärten, in mehreren Einzelfällen selbstverständlich den Amerikanern etwas von der Last abzunehmen, wenn sie im Gegenzug bereit wären, Guantanamo aufzulösen?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung ist durchaus bereit, einen Beitrag dazu zu leisten, wenn sie dazu aufgefordert wird und wenn es, auch unter Berücksichtigung anderer politischer Wirkungen einer solchen Maßnahme, Sinn macht, das zu tun. Aber das muss, wie Sie, Herr Kollege Beck, ja eben auch gesagt haben, dann einer Einzelfallprüfung unterliegen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank, Herr Staatsminister. Wir sind damit am Ende der Fragestunde und des Tagesordnungspunktes 3. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD Bewertung der anhaltend dynamischen Investitionstätigkeit deutscher Unternehmen und der kräftigen Belebung der Binnennachfrage bei andauernd hohen Wachstumsraten im Außenhandel Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos. ({0})

Michael Glos (Minister:in)

Politiker ID: 11000691

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich meine, das Jahr 2006 war für Deutschland ein hervorragendes Jahr. Wir sind wieder auf einen klaren, ro7530 busten Wachstumskurs zurückgekehrt. Das Wachstum hat mit 2,5 Prozent - so ist es statistisch genau erfasst alle Erwartungen übertroffen. Andere würden von 2,7 Prozent sprechen; so hoch war das tatsächliche Wachstum. Aber wir sind ganz vorsichtig und berücksichtigen die Tatsache, dass es 2006 weniger Feiertage gab. Wir rechnen es ganz genau aus, damit wir ja nicht zu positiv dastehen. Es sind exakt 2,7 bzw. 2,5 Prozent, wie immer Sie wollen. Ich vergleiche jetzt einmal die heutige Situation mit der zu Beginn des letzten Jahres. Damals war es noch verboten, Optimismus zu zeigen. Ich habe damals gesagt: Ich schätze das Wachstum etwas höher ein als die sogenannten Experten. Daraufhin ist offiziell eine niedrigere Zahl genannt worden, und dann hat man gleich behauptet, der neue Wirtschaftsminister habe von Wirtschaft keine Ahnung. Wenn es allerdings nach solchen Kriterien geht, müsste ich heute von denselben Experten auf Händen getragen werden. Aber darauf verzichte ich natürlich dankend. ({0}) Ich kann selber laufen, ich kann selber aufrecht gehen, und ich kann mich auch selber gegen alle Kritiker wehren. Außerdem sind einige derjenigen, die mir als Beamte zugearbeitet haben, heute nicht mehr in diesen Ämtern. Aber ich wollte hier die Zukunftserwartungen realistisch darstellen. Auch hier hat es jede Menge Untergangspropheten gegeben, die gesagt haben: Das ist ja alles wunderbar, was 2006 läuft, aber wartet auf 2007. Die Mehrwertsteuererhöhung wird alles wieder kaputtschlagen. Nun haben wir nicht aus Jux und Tollerei die Mehrwertsteuer erhöht, sondern weil wir konsolidieren wollen und müssen. Wir denken ja nicht nur von Quartal zu Quartal, sondern wir denken längerfristig an die Sanierung unseres Landes; denn das ist eine der Aufgaben, die sich diese Große Koalition gestellt hat. ({1}) Wir werden bald neue offizielle Zahlen bekannt geben. Ich darf es leider nicht vorwegnehmen, weil die Zahlen zwischen den Ressorts noch abgestimmt werden. Die Zahl, die wir in der übernächsten Woche vorstellen werden, wird aber höher sein als die bisherige Prognose von 1,4 Prozent für das laufende Jahr, weil sich in der Tat zeigt, dass der Aufschwung robust ist. Er ist nicht nur von der guten Auslandskonjunktur und von der guten Situation des Welthandels getragen. Das Wachstum wird übrigens auch gestützt durch die zurückgehenden Ölpreise. Das ist ein zusätzliches Glück, aber Glück hat auf die Dauer nur der Tüchtige. Warum soll der Tüchtige nicht auch Glück haben? ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchten diese Mehrwertsteuererhöhung. Sie wird sich aber entgegen den Erwartungen, die von der Opposition geäußert worden sind, nicht negativ auf das Wachstum auswirken. Herr Brüderle, ich kann Ihre Äußerungen gut verstehen; sie gehören auch dazu. Es wäre ganz schlimm, wenn die Opposition die Maßnahmen der Regierung nicht stark hinterfragen und in Frage stellen würde. Dann wäre sie wirklich ihr Geld nicht wert. Aber diese Befürchtungen - sie waren nicht aus der Luft gegriffen; sie hatten einen realen Hintergrund - haben sich Gott sei Dank nicht bewahrheitet. Es wird stabil weitergehen. Nun komme ich zu einem großen Unterschied. Das Wachstum ist bereits im letzten Jahr zu drei Vierteln aus einer anziehenden Inlandsnachfrage entstanden; das ist entscheidend. Diese Inlandsnachfrage wird in diesem Jahr nicht abreißen. Wir hatten zuletzt 600 000 Arbeitslose weniger als vor Jahresfrist. Das bewirkt nicht nur bei den direkten Finanzströmen etwas, sondern lässt natürlich auch bei immer mehr Menschen mehr Zuversicht aufkommen. ({3}) Wenn man keine Angst mehr um den Arbeitsplatz hat, wenn man keine Angst mehr hat, dass die Frau, der Mann, die Tochter oder der Sohn ihre Arbeit verlieren, dann ist man wieder zuversichtlicher und damit ausgabefreudiger, sodass ich davon ausgehe, dass der private Konsum zunimmt. Die Investitionen im Inland jedenfalls haben angezogen, und sie halten an. Es ist heute zum Beispiel eine Tatsache, dass die Nachfrage nach Bauleistungen auf reduzierte Kapazitäten stößt und es schon Engpässe gibt. Auch im Rahmen des energetischen Gebäudesanierungsprogramms zum Beispiel gab es Engpässe sowohl in der Ausführung als auch in der Belieferung mit entsprechenden Dämmstoffen. Was ist die Ursache für die bessere Wirtschaftslage? Da ist vor allen Dingen natürlich zu erwähnen, dass die Beschäftigten in den letzten Jahren durch stabilitätsgerechte Lohnabschlüsse dazu beigetragen haben. Dazu haben die Investitionen der Unternehmungen und die Tatsache beigetragen, dass die Unternehmungen ihre Hausaufgaben gemacht haben. Dazu hat aber natürlich auch die neue Bundesregierung durch ihr Wachstumsund Impulsprogramm und die Tatsache beigetragen, dass wir gesagt haben: Kauft langlebige Wirtschaftsgüter in 2006, wenn ihr vermeiden wollt, dass ihr von der Mehrwertsteuererhöhung betroffen seid. Auch das hat geholfen, das Ganze anzuschieben. Wir möchten, dass dies so weitergeht. ({4}) Dazu gehört, dass wir weiterhin Reformen durchführen. Wir müssen den Prozess des Aufschwungs nutzen, um die Reformen auszuführen. Nun hat es etwas lange gedauert - es war zäh -, bis man bei der Reform des Gesundheitswesens weitergekommen ist. Eine solche Reform ist nie populär. Jetzt kommt es darauf an, was bei der Umsetzung daraus gemacht wird. ({5}) Wir müssen bei der nächsten Reform, bei der Reform der Pflegeversicherung, darauf achten, dass sie nicht auf höhere Lohnzusatzkosten hinausläuft. Wir müssen versuchen - das beginnt bei der Gesundheitsreform -, die Lohnzusatzkosten bzw. die Kosten für diese Versicherungssysteme auf Dauer von den direkten Lohnkosten zu entflechten. Wir müssen vor allen Dingen auch darauf schauen, dass die Versprechungen in Sachen Unternehmensteuerreform, die wir gegeben haben und die natürlich Erwartungen geweckt haben, die zu Investitionen geführt haben, jetzt umgesetzt werden. Wir müssen sehen, dass auch die Erbschaftsteuerreform im Hinblick auf Betriebsvermögen umgesetzt wird. ({6}) Denn das alles trägt dazu bei, dass die entfachte Glut nicht abkühlt, sondern in Zukunft anhält. Dazu gehört zum Beispiel, dass wir den bürokratischen Dschungel lichten. Das ist eine Daueraufgabe; damit haben wir begonnen. Das nächste Mittelstandsentlastungsgesetz ist, nachdem das erste im Bundesgesetzblatt steht, auf dem Weg. Wir müssen auch darauf achten - darüber könnte ich noch sehr lange reden; aber nach mir sollen auch andere sprechen -, dass sich die Energiekosten, die uns sehr viele Sorgen machen ({7}) und die in manchen Bereichen stärker zu Buche schlagen als die Lohnkosten, im Zaum halten. Auch das ist eine der wichtigen Aufgaben unserer EU-Ratspräsidentschaft. Insofern lade ich alle dazu ein, zugunsten unseres Landes mitzuhelfen, dass der Reformweg weitergegangen und damit der Aufschwung weitergeführt wird. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion. ({0})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Glos, ich freue mich, dass Sie hier sind. Wahrscheinlich sind auch Sie froh, dass Sie hier sind. Wahrscheinlich sind Sie über jeden Tag froh, den Sie nicht in Bayern sein müssen. ({0}) Die Konjunktur zieht an; das ist erfreulich. Die Wirtschaftslage hat sich ohne Zweifel gebessert. Auch im Hinblick auf die dauerhaft Beschäftigten sind auf dem Arbeitsmarkt immerhin erste bescheidene Beschäftigungseffekte festzustellen. Aber eigentlich müssten alle Mitglieder der Bundesregierung schon einen Tennisarm haben, weil sie so viele Dankeskarten schreiben müssen: an die Unternehmen, die sich sehr erfolgreich restrukturiert haben; ({1}) an den deutschen Mittelstand, der sich engagiert hat; an die Mitarbeiter, die großartige Leistungen erbracht haben; ({2}) an die Gewerkschaften, die zurückhaltend agiert haben; an Klinsmann, der die Stimmung verändert hat; ({3}) an China, weil dieses Land so hohe Wachstumsraten hat; an Indien, weil dieses Land ähnlich hohe Wachstumsraten hat, und an Petrus, weil das schöne Wetter der Bauwirtschaft geholfen hat. ({4}) In Wirklichkeit haben Sie, die schwarz-rote Koalition, diese Aktuelle Stunde beantragt, um sich selbst zu beweihräuchern. Sie schmücken sich allerdings mit fremden Federn. Daher sage ich Ihnen: Aus einem nackten Suppenhuhn wird auch mit Verkleidung kein stolzer Pfau. ({5}) Dass wir diese erfreuliche Entwicklung zu verzeichnen haben, verdanken wir den Umständen, dass andere Länder ein höheres Tempo und ein stärkeres Wachstum vorgelegt und sich unsere Exporte entsprechend entwickelt haben. Erfreulicherweise, Herr Kollege Meyer, wurde davon auch unsere Binnenkonjunktur erfasst. Der Konsum ist allerdings immer noch etwas zu schwach. Das sogenannte Konjunkturprogramm der Bundesregierung, das Sie jetzt wahrscheinlich wieder zelebrieren werden, ({6}) hat dazu nur einen sehr geringen Beitrag geleistet. ({7}) Wie die Berechnungen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage gezeigt haben, wurde es überkompensiert: durch die Kürzung von Steuervergünstigungen und durch Ihre Arbeitsmarktpolitik. Eigentlich bescheinigt der Sachverständigenrat der Regierung also, dass ihre Maßnahmen eher restriktiv waren. ({8}) - Ich zitiere nur. - Auf die Vorzieheffekte durch die anstehende Mehrwertsteuererhöhung zu setzen, das ist ein Konjunkturprogramm, das ich nicht zur Wiederholung empfehle. ({9}) Wenn man schon ein Konjunkturprogramm auflegt, sollte man intelligenter vorgehen. Erfreulich ist, dass die Bruttoanlageinvestitionen nach fünf Jahren Flaute deutlich gestiegen sind. Diese Entwicklung muss verstetigt werden. Wir sollten genau analysieren, ob die verbesserten Abschreibungsbedingungen dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet haben. Ich vermute, dass das der Fall ist. Wenn dem so ist, dann sollte man sie beibehalten und diese Entwicklung dadurch verstetigen. Wir hoffen, dass das gegenwärtige Niveau der Bauinvestitionen gehalten werden kann. Die Entwicklung auf diesem Gebiet wurde sicherlich auch durch Einmaleffekte wie die Abschaffung der Eigenheimzulage und die Vorzieheffekte der Mehrwertsteuererhöhung beflügelt. Man kann sagen: Die Menschen und die Unternehmen sowie insbesondere der Mittelstand in Deutschland haben sich tüchtig ins Zeug gelegt. Die Bundesregierung hat das nicht getan. ({10}) Sie sollten die jetzige Situation nutzen, um die Rahmenbedingungen dauerhaft zu verbessern. Aber das tun Sie nicht. Es gibt keine betrieblichen Bündnisse für Arbeit und keine Modernisierung des Kündigungsschutzes. Stattdessen machen Sie ein wachstumsschädliches Antidiskriminierungsgesetz und ein verfassungsbedenkliches Verbraucherinformationsgesetz. Sie sollten lieber Ihr Haus in Ordnung bringen, eine vernünftige Gesundheitsreform zur Entlastung bei den Lohnnebenkosten und zur Verbesserung der Effizienz durchführen, ({11}) einen überzeugenden Ansatz im Hinblick auf die Reform der Pflegeversicherung erarbeiten, ein Steuerkonzept entwickeln, das zum Abbau nicht mehr durchschaubarer Regelungen beiträgt, ({12}) und einen wirklichen Bürokratieabbau einleiten. Aber Sie tun das Gegenteil. Gesetzentwürfe, die vom Plenum des Bundestags vorgeschlagen werden, müssen nicht vom Normenkontrollrat überprüft werden. Dem Wirtschaftsminister muss ich attestieren, dass er ordnungspolitisch in vielen Fragen den richtigen Kurs eingeschlagen hat. Das ist zum Beispiel in der Energiepolitik der Fall; ({13}) denn er macht sich ernsthaft Gedanken über eine mögliche Entflechtung. Hier haben Sie unsere Unterstützung. Herr Bundeswirtschaftsminister Glos, Sie haben auch in anderen Fragen mutige Entscheidungen angesprochen. Aber diese Entscheidungen müssen auch von der Regierung durchgesetzt werden. ({14}) Es nützt nichts, wenn wir zwar gemeinsam über diese Themen diskutieren, wenn aber nicht gehandelt wird. Die Novellierung des Gentechnikgesetzes steht noch immer aus. Sie ist von elementarer Bedeutung, um den Standort Deutschland attraktiver zu gestalten. Denn in dieser Branche können zukünftig viele Arbeitsplätze entstehen. ({15}) Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das Standort-Ranking der Bertelsmann Stiftung. Bei der Arbeitsmarktentwicklung bzw. beim Wirtschaftswachstum belegen wir unter den wichtigsten Industrienationen Platz 21. Das ist immer noch beschämend und das muss sich ändern. Sie haben eine übergroßen Mehrheit: im Bundestag 73 Prozent und im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit. Deshalb sage ich Ihnen: Wenn das Wetter schön ist, soll man das Dach reparieren. Man kann es auch bei Regen; aber das ist mühevoller und schwieriger. Deshalb mein dringender Appell an Sie, die überfälligen Reformen durchzuführen. Gemacht haben Sie bisher nichts. Die Timelags wirtschaftspolitischer Maßnahmen liegen bei 18 bis 36 Monaten; insofern können Sie zum Aufschwung nicht so viel beigetragen haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege Brüderle, kommen Sie bitte zum Schluss.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin beim letzten Satz, Frau Vizepräsidentin. - Der Aufschwung ist ein Schröder-Effekt, sagt die SPD. Der Aufschwung ist ein Merkel-Effekt, sagen die Dunklen. Ich sage, er ist ein Deutschlandeffekt: weil die Deutschen tüchtig sind, trotz einer lahmen Regierung. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Christian Lange das Wort.

Christian Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003168, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Brüderle, ein Wort des Dankes haben Sie vergessen: Dank an die FDP dafür, dass sie in der Opposition ist. Denn ich bin mir nicht sicher, ob wir sonst in der heutigen Aktuellen Stunde so wunderbare Zahlen präsentieren könnten. ({0}) Christian Lange ({1}) Ich will deshalb fragen: Wer ist schuld an diesem Aufschwung? In einem haben Sie recht: Jawohl, Industrie und Handwerk haben sich restrukturiert. Mit der Politik hat der Aufschwung aber auch etwas zu tun. Denn sonst wäre Ihr Schlussappell - wir müssten unsere Reformen fortsetzen - sinnlos. Genau das wollen wir tun; deshalb sprechen wir ja heute darüber. Das Wirtschaftswachstum lag 2006, wenn wir alle Arbeitstage mitrechnen, die ein Jahr gemeinhin hat, bei 2,7 Prozent; ansonsten sind es 2,5 Prozent. Ich will nur daran erinnern: Im Boomjahr 2000 hatten wir ein Wachstum von 3,2 Prozent. Von daher - da stimme ich ausdrücklich zu - können wir uns noch anstrengen, um ein Wachstum wie im Erfolgsjahr der rot-grünen Bundesregierung zu erreichen. Die neue Bundesregierung kann auf dem soliden Fundament aufbauen, das ihr RotGrün hinterlassen hat: Die Haushaltskonsolidierung ist unter Rot-Grün begonnen worden und wird jetzt von Peer Steinbrück fortgesetzt. 2006 konnte er mit einer Nettokreditaufnahme von 27,9 Milliarden Euro 10,3 Milliarden Euro unter dem Ansatz im Haushaltsplan bleiben. Das kann sich sehen lassen. Heute, am 17. Januar, ist allerdings noch nicht die Zeit, weitere Sparpakete zu fordern, wie man es in einigen Tickermeldungen lesen kann. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns erst einmal abwarten, wie sich die wirtschaftliche Lage entwickelt, ob die Prognosen eintreffen. Erst wenn wir wissen, wie sich die Mehrwertsteuererhöhung tatsächlich auswirkt, können wir über weitere Sparanstrengungen reden, aber keine Sekunde früher. ({2}) Ein weiterer Punkt. Ja, wir haben eine größere Inlandsnachfrage. Auch da können wir aufbauen auf dem, was uns die alte Bundesregierung hinterlassen hat, auf der größten Steuerreform in der Geschichte der Bundesrepublik, durch die die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler seit 1998 - das dürfen wir nicht vergessen - um 59,1 Milliarden Euro entlastet worden sind. Jetzt gibt es wieder mehr Aufträge, die Leute haben Zuversicht und investieren auch bei uns im Inland. Wir werden der Einkommensteuerreform von Rot-Grün eine Unternehmensteuerreform und eine Erbschaftsteuerreform folgen lassen. Denn die Unternehmen stehen im Wettbewerb miteinander, und auch wir als Bundesrepublik Deutschland stehen in einem Wettbewerb, nämlich in einem Standortwettbewerb. Deshalb werden wir den Körperschaftsteuersatz von 25 Prozent auf 15 Prozent senken und die Gewerbesteuermesszahlen von 5 auf 3,5, sodass der Steuersatz für Unternehmen in Deutschland in Zukunft nicht mehr 38,6 Prozent, sondern nur noch 29,8 Prozent betragen wird. Das haben wir uns in der Koalition vorgenommen, und das werden wir auch umsetzen. Dazu gehört auch die Reform der Erbschaftsteuer, die wir uns vorgenommen haben und die wir, gar keine Frage, durchführen werden. Diejenigen Unternehmen, die zehn Jahre erfolgreich tätig sind und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigen, sollen belohnt werden. Deshalb werden wir eine entsprechende Erbschaftsteuerreform - in Form des Abarbeitungsmodells - präsentieren. Der Aufschwung ist kein Strohfeuer. Deshalb ist es kein Wunder, dass er den Prognosen zufolge über 2007 hinaus anhalten wird. Für 2007 wird ein Wirtschaftswachstum zwischen 1,4 und 2,1 Prozent prognostiziert. Im Jahr 2008 wird es nach der OECD immerhin für bis zu 2,1 Prozent reichen. Also: Vorsicht ist die Mutter die Porzellankiste. Es sieht aber gut aus. Deshalb dürfen wir in der Tat nicht nachlassen. Für all das, was wir tun, müssen wir aber auch Verständnis bei den Menschen wecken; denn all die guten Maßnahmen, die wir uns vorgenommen haben, nützen uns nichts, wenn wir die Bürgerinnen und Bürger bei unseren Vorhaben nicht mitnehmen. Deshalb sage ich Ihnen, Herr Minister, dass ich entgegen Ihrer Aussage zu den konjunkturellen Risiken die weltwirtschaftliche Lage als eines der großen Risiken ansehe, so sehr wir uns alle auch über die Ölpreisentwicklung freuen. Schauen Sie sich den Irak-, den Iranund den Syrienkonflikt sowie das Verhalten der Vereinigten Staaten von Amerika an! Ich glaube, hier liegen einige der größten weltwirtschaftlichen Risiken, die wir im Augenblick zu gewärtigen haben. Da wir als Bundesrepublik Deutschland zum fünften Mal in Folge Exportweltmeister sind, sind diese weltwirtschaftlichen Umstände für unsere konjunkturelle Entwicklung - und auch für die Binnenkonjunktur - sehr wohl von großer Bedeutung. Schließlich will ich nicht verhehlen, dass wir mit unseren Maßnahmen, die wir in der Vergangenheit getroffen haben, auch in einem der Kernbereiche des Mittelstandes Erfolge haben, die sich heute positiv auswirken. Ich denke dabei ans Handwerk. Schauen Sie sich zum Beispiel die letzte Statistik des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks an. Sie bestätigt diesen Kurs. Nach dieser Statistik ist die Zahl der Betriebe seit 2004 um 40 712, das heißt um 4,8 Prozent, gestiegen. Meine Damen und Herren, wir setzen uns dafür ein, dass sich dieser Zuwachs an neuem Mut und an Selbstständigkeit fortsetzen wird. Das Handwerk ist ein positives Beispiel dafür. In diesem Sinne bin ich guten Mutes für 2007. Herzlichen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke spricht nun der Kollege Dr. Schui. ({0})

Dr. Herbert Schui (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003844, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Koalition hat eine Feierstunde auf die Tagesordnung gesetzt, die ohne große Beteiligung der Koalition abgehalten wird. Auf Wunsch der Koalition begehen wir heute den Tag des Wirtschaftswachstums. 2,5 Prozent sind zu feiern. Das ist das weitaus größte Wachstum seit vielen Jahren. Durch dieses Wirtschaftswachstum wurde aber offenbar eine noch größere Euphorie ausgelöst. Wir haben es mit einem Euphoriewachstum zu tun. Ich will das alles durch einige statistische Informationen dämpfen. Zunächst sollte ich darauf aufmerksam machen, dass eine kapitalistische Wirtschaft in Zyklen wächst. Es geht also grundsätzlich immer wieder einmal rauf und runter. ({0}) - Na ja, gut. - Den letzten kompletten Zyklus gab es von 1993 und 2003. Danach ging es wieder aufwärts, aber langsamer als sonst. Die Investitionsausgaben der Unternehmen schwanken innerhalb solcher Zyklen erheblich. In diesem letzten kompletten Zyklus von 1993 und 2003 gab es bei den Investitionen Wachstumsraten von minus 7,8 Prozent und minus 9,1 Prozent und auf der anderen Seite von plus 4,6 Prozent und plus 5,3 Prozent. Es würde mich wundern und restlos überraschen, wenn sich die normalerweise sehr schwankenden Wachstumsraten der Investitionen aufgrund des geistlichen Zuspruchs des Bundeswirtschaftsministers auf einmal verstetigen würden. Deshalb sollte die Regierung weniger Brimborium um diese Investitionsausgaben machen. Schauen wir einmal. Ein weiteres Problem: Ein knappes Drittel des Wachstums im vergangenen Jahr kam durch die deutschen Exporte zustande. Diese werden im kommenden Jahr ganz sicherlich weiter anwachsen, allerdings langsamer. Das ist auch normal, weil das Exportwachstum im Jahre 2006 von 12,4 Prozent der totale Ausreißer ist. Ähnliches gab es nur im Jahre 2000. Ansonsten lag das Exportwachstum sehr weit darunter, und es gibt keinen Grund, von einem stetigen Exportwachstum auszugehen. Das dritte Problem für das Wachstum ist die Sanierung des Bundeshaushaltes. Ich habe hier ja schon oft darauf hingewiesen, dass ich ein Freund der Sanierung des Bundeshaushaltes bin. Wir müssen weniger Schulden aufnehmen. Die Methode ist aber falsch. Man muss den Haushalt mit den Steuereinnahmen sanieren, die aufgrund von Einkommen erzielt werden, die ohnehin nur zu einem geringen Teil ausgegeben werden. Das heißt, dass die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen stärker besteuert werden müssen. Dann ist die Chance größer, den Haushalt zu sanieren, ohne dabei die Konjunktur abzuwürgen. Der bedeutendste Faktor sind aber die privaten Konsumausgaben, die nicht vom Fleck kommen. Das Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen ist im vergangenen Jahr nominal um 6,9 Prozent gestiegen, das Arbeitseinkommen um 1,3 Prozent. Das ist entschieden zu wenig. Die Ausgabenfreude derjenigen, die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen beziehen, ist offenbar - trotz der verlängerten Ladenschlusszeiten gering. Das vergleichsweise gute Jahr 2006 hat also einzig die ohnehin Wohlhabenden weiter begünstigt. Es hat ihnen zu mehr Wohlstand verholfen. Dass die Beschäftigung bei dieser Gelegenheit leicht angestiegen ist, ist eine Begleiterscheinung. Denn der vermehrte Wohlstand für die Wohlhabenden musste schließlich produziert werden. Dazu brauchte es ein paar Arbeitsstunden mehr. An der hohen Arbeitslosigkeit ändert das nichts. Wie kommen wir zu mehr Wachstum, bis uns in einigen Jahren wieder turnusgemäß der nächste Abschwung erwischt? Die Löhne müssen, weil sich der private Verbrauch unzureichend entwickelt, in diesem Jahr mindestens ebenso rasch steigen wie das Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen. Sie müssen also deutlich höher steigen, als es manche Tarifkommission mancher Gewerkschaften angibt. Steigen die Löhne, dann wächst der private Verbrauch. Der Mindestlohn muss diese Lohnentwicklung unterstützen. Wir müssen davon wegkommen, dass zum Beispiel in Hamburger Hotels die Reinigungskräfte mit 2,47 Euro bezahlt werden. Diese Menschen haben nichts zum Ausgeben. Sie sind außerstande, den privaten Verbrauch zu stützen. Außerdem sollte das Arbeitslosengeld II angehoben werden. Damit habe ich nur die wesentlichen Posten genannt. Das Lohn- und Sozialeinkommen muss also steigen. Wenn das nicht der Fall ist, dann werden wir im dritten oder vierten Quartal dieses Jahres auf eine Wachstumsmarke von etwa 1 Prozent zurückfallen. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Dr. Fuchs. ({0})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Brüderle, in Ihrer Auflistung hat mir der Dank an den Bundeswirtschaftsminister gefehlt. ({0}) Ich stelle mir vor: Wenn Sie heute Wirtschaftsminister wären, dann könnten Sie vor Kraft kaum noch laufen. Sie würden sich auf einer Sänfte durch Rheinland-Pfalz tragen lassen und alle Weinköniginnen auffordern, Sie erneut zu küssen. ({1}) Wir wollen festhalten, dass in diesem Fall die Wachstumszahlen, die der Bundeswirtschaftsminister eben verkündet hat, bei Ihnen zu Freudentänzen Anlass geben würden. Es ist auch richtig und gut, dass wir uns darüber freuen. Dass Sie versuchen, das schlechtzureden, habe ich nicht verstanden. Davon, dass der Bundeswirtschaftsminister erheblichen Anteil an diesen Wachstumszahlen hat, können Sie ausgehen. Ein Blick auf die Zahlen insgesamt zeigt, dass die Zahl der Arbeitslosen um 600 000 gesunken ist. Das ist die richtige Politik, Herr Schui. Noch besser ist - das ist für mich die wichtigere Zahl -, dass wir 360 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze mehr haben. Nur dann, wenn es uns gelingt, am ersten Arbeitsmarkt neue Arbeitsplätze zu schaffen, erreichen wir ein stetiges Wirtschaftswachstum. Denn dann können auch die von Ihnen genannten Menschen am Konsum teilhaben, Herr Schui. Mit Einkommen aus Hartz IV etc. wird das sicherlich nicht möglich sein. Ich bin erfreut darüber, dass die OECD endlich wieder einen Grund hat, uns in ihrem Jahresbericht zu loben. Seit Jahren haben wir nur Schelte bezogen. Dieses Jahr ist festgestellt worden, dass Deutschland das einzige Land ist, das Ehrgeiz bei der Defizitsenkung zeigt und dabei Erfolge erzielt hat. Wir sind zu Jahresbeginn noch von einer Nettoneuverschuldung in Höhe von 38 Milliarden Euro ausgegangen. Es sind aber ungefähr 20 Milliarden Euro. Wir haben das ehrgeizige Ziel, in 2007 19,7 Milliarden Euro zu unterschreiten. Das bedeutet, dass die Neuverschuldung erstmalig unter den Stand vor der Wiedervereinigung sinkt. Das ist der richtige Weg im Sinne der Generationengerechtigkeit. Dies sind wir den jungen Leuten in unserem Land schuldig. Wir dürfen die Finanzierung über eine Defiziterhöhung nicht unbegrenzt fortsetzen. Leider lobt uns die OECD nicht in jeder Beziehung. Wir sollten daher den Dreiklang, den die Bundeskanzlerin angesprochen hat, nämlich Sanieren, Reformieren und Investieren, im Auge behalten und fortsetzen. Natürlich müssen wir weiter reformieren. Ich weiß, dass der Bundeswirtschaftsminister hier Druck machen wird. Die OECD hat uns gesagt, dass wir auf dem Arbeitsmarkt noch erheblichen Deregulierungsbedarf haben. Es liegt eine Reihe von Vorschlägen auf dem Tisch. Über diese werden wir angesichts der nach wie vor viel zu hohen Arbeitslosigkeit weiter diskutieren müssen. Sie alle sind gefordert, gute Vorschläge zu machen. Auf dem Weg des Investierens sind wir einen guten Schritt vorangekommen. Ich nenne als Beispiele nur das Wachstumspaket, die Hightechstrategie und das Investitionsgeschehen in der Wirtschaft, aber auch die Programme, die wir über die KfW sowohl im Energieeinsparbereich als auch bei der Finanzierung von jungen Unternehmen neu aufgelegt haben. Genau das ist der richtige Weg. Hier sollten wir helfen. Wir brauchen mehr unternehmerische Kraft und Initiative. Dann entstehen zusätzliche Arbeitsplätze. Im Handwerk ist es besonders gut gelaufen. Es gibt viele Bereiche, in denen es inzwischen einen Mangel an bestimmten Produkten gibt. Versuchen Sie zurzeit einmal, in Deutschland Dämmmaterialien zu bekommen! Diese sind so gut wie ausverkauft. Ich habe gehört, dass wir mittlerweile Dachlatten aus Litauen importieren müssen, weil in Deutschland nicht mehr so schnell produziert werden kann, um den steigenden Bedarf an Dämmmaterialien und Dachlatten zu befriedigen. Das alles zeigt, dass sich hier etwas tut. Gerade in den kleinen Handwerksunternehmen sind Arbeitsplätze entstanden. Diese brauchen wir. Wir dürfen uns aber angesichts der guten Zahlen und der erheblich höheren Steuereinnahmen nicht zur Ruhe setzen. Vielmehr müssen wir die anstehenden Reformprogramme, von der Unternehmensteuerreform bis zur Pflegeversicherung, umsetzen. Wir müssen zudem ständig darauf achten - das ist für mich genauso wichtig -, ob wir nicht zusätzliche Deregulierungen auf dem Arbeitsmarkt vornehmen müssen; denn es ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass wir in Deutschland den reguliertesten Arbeitsmarkt in Europa haben. Laut OECDStudie belegen wir hier unter 28 Ländern den letzten Platz. Das kann uns nicht gefallen. Darüber müssen wir nachdenken. Ich fordere alle Kollegen auf, daran mitzuarbeiten, damit wir den Aufschwung verstetigen und in Deutschland Arbeitsplätze schaffen und damit es in diesem Land wieder vorangeht und weiterhin so viel Spaß macht wie bislang. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Margareta Wolf für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Margareta Wolf-Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002831, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Glos, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede gesagt, wir alle müssten Sie eigentlich auf Händen tragen. Das würden wir gerne tun. Aber ich frage mich, ob die Tatsache, dass gerade einmal elf Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion an dieser Debatte teilnehmen, dafür ausreicht, dass wir Sie in Form einer menschlichen Sänfte durch das Parlament tragen. Ich habe meine Bedenken. Im Ernst, Herr Kollege Glos, ich frage Sie, warum Sie uns zu dieser kleinen, sehr intimen Feierstunde am späten Nachmittag eingeladen und nicht stattdessen eine Regierungserklärung vor diesem Hohen Hause abgeben haben. ({0}) Sie hätten diesen freudigen Moment wirklich feiern und uns - dafür hatten Sie vermutlich nicht genügend Zeit Ihre Instrumente zur Verstetigung des Aufschwungs vorstellen können. Die Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland zeigt - das ist der einzige Punkt, in dem ich Ihnen ausnahmsweise einmal recht geben muss, Herr Schui -, dass Aufschwünge volatil sein können - ich erinnere nur an das Jahr 2000 -, dass sie aber durch entsprechende Instrumente verstetigt werden können. Wir alle wissen, dass der jetzige Aufschwung auf zwei Beinen steht. Das eine Bein ist der Export. Hier gibt es schon länger eine positive Entwicklung. Das zweite Bein ist - darüber freuen wir uns besonders - die gestiegene Binnennachfrage. Ich möchte diese Debatte dazu nutzen, Herr Minister, diese beiden Faktoren und die Risikopotenziale zu beleuchten, denen die Regierung Margareta Wolf ({1}) im nächsten Jahr begegnen muss. Dies zu tun, hat uns der Kollege Fuchs gerade aufgefordert. Erstens, Herr Minister. Eine ganz große Herausforderung für die Regierung besteht nach wie vor im Niedriglohnsektor. Wir alle wissen, dass man sich bei einem wirksamen Umbau des Niedriglohnsektors auf die Frage konzentrieren muss, wie einfache Arbeit wieder rentabler wird. Da ist es für uns unbefriedigend - im Übrigen unbefriedigend für die Binnennachfrage und die Verstetigung dieser Tendenz -, wenn Sie mit den Kollegen von der SPD seit nunmehr acht Monaten darüber diskutieren, ob ein Kombilohn oder ein Mindestlohn eingeführt werden soll. Diese Debatte ist sehr unbefriedigend. Wir haben Ihnen unser Progressivmodell vorgelegt. Wir würden gerne weiterhin die Debatte mit Ihnen darüber führen. Zweitens, Herr Minister. Die Lohnquote ist seit dem Jahr 2000 von 72 Prozent auf 62 Prozent gesunken. Es gab in den letzten sechs Jahren einen Nettolohnzuwachs von 0,3 Prozent. Gleichzeitig ist die Binnennachfrage im letzten Jahr um 0,6 Prozent gestiegen. Das ist sehr erfreulich. Aber angesichts dieser, wie ich finde, nicht sehr berückenden Zahlen weiß ich nicht, ob es so klug oder psychologisch richtig ist, ausgerechnet zu Anfang dieses Jahres, in dem die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte gestiegen ist und in dem wir - so Gott will oder auch nicht will - eine Gesundheitsreform mit einer Beitragssteigerung von 0,3 Prozentpunkten bekommen werden, die Tarifparteien zu Lohnzurückhaltung aufzufordern. Sie wissen, dass ich über ein solches Thema eigentlich ungern rede. Wir wissen alle, dass der Aufschwung ein Stück weit der Lohnzurückhaltung in den vergangenen Jahren geschuldet ist. Sie hat aber auch die reduzierte Binnennachfrage in den letzten Jahren bewirkt. Ich würde mir wünschen, dass man in einen ganz pragmatischen Diskurs mit den Gewerkschaften eintritt. ({2}) Drittens, Herr Minister. Wir haben im ersten Halbjahr die G-8-Präsidentschaft und wir haben die EU-Präsidentschaft inne. Ich weiß, dass Sie ein Minister sind, der sich sehr für die Außenwirtschaft interessiert. Was mich wirklich sorgt, ist die Welthandelsrunde und das, was wir im Moment in Asien beobachten. Gestern hat sich die weltgrößte Freihandelszone unter Einbeziehung von China und Indien gebildet. Und was machen wir? Die Bundeskanzlerin läuft vor der Präsidentschaft durch die Gegend und sagt: Wir wollen ein Freihandelsabkommen mit den USA. - Sie geht nach Washington, aber Bush reagiert gar nicht auf ihren Vorschlag. Heute lese ich zu meiner großen Freude, dass der Sherpa, der Ihr Staatssekretär ist, davor explizit warnt. Wir brauchen eine Linie, wenn wir die WTO beleben wollen. Wir brauchen die WTO und den Multilateralismus. Da müssen wir uns stark aufstellen; denn wir wissen genau, dass die Chinesen und die Inder Multilateralismus für ein Instrument halten, das lediglich den Fußlahmen hilft. ({3}) Eine letzte Bemerkung, Herr Minister. Wir lesen täglich von ehrgeizigen Vorhaben der RAG und der DB AG, was Börsengänge angeht. Sie haben nichts dazu gesagt, wie der größte Börsengang, nämlich der von der RAG, realisiert werden soll. Wir wissen, dass Sie sich vor der SPD ducken, die meint, sie brauche einen Sockelbergbau, um die nächsten Wahlen in NRW zu gewinnen. Ich fordere Sie auf: Unterstützen Sie das Vorhaben der RAG! Denn das ist industriepolitisch und für den Chemiestandort wichtig, und das ist eine der wichtigsten Entscheidungen, die im Jahr 2007 neben der Privatisierung der DB AG getroffen werden muss, die Sie, wie ich weiß, unterstützen. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Reinhard Schultz.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich halte es für durchaus angemessen, dass man nach einem guten Jahr innehält und Revue passieren lässt, was eigentlich geschehen ist; denn das hätte zu Beginn des vergangenen Jahres niemand geglaubt: ein stetiges, ordentliches, stabiles Wachstum, eine Wachstumsperspektive über den Tag hinaus für dieses und wahrscheinlich auch für das kommende Jahr, keine nennenswerte Wachstumsdelle im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuererhöhung, die vorher prognostiziert worden ist. Es gab deswegen keine Delle, weil sich alle Beteiligten - sowohl die Bevölkerung als auch alle anderen Akteure - sehr geschickt und psychologisch schlau auf die Mehrwertsteuererhöhung vorbereitet haben. Die Politik hat das sehr rechtzeitig getan, der Handel hat gleitend darauf reagiert und nicht abrupt zum ersten Januar. Im Gegenteil: Man kann sogar sagen, dass sich die Mehrwertsteuererhöhung in vielen Bereichen des Handels auf die Preise überhaupt nicht ausgewirkt hat, weil der Wettbewerb dies verhindert. Alle mir vorliegenden Untersuchungen hinsichtlich der Situation des Einzelhandels, zum Beispiel die von KMPG, besagen: Die Lage hat sich nicht nur in 2006 stabilisiert; vielmehr wird sie sich auch in dem jetzt begonnenen Jahr weiter deutlich stabilisieren. Ohne Frage: Wir blicken auf einige schwierige Jahre zurück. Strukturreformen waren notwendig. Allerdings hatten wir alle gemeinsam - auch die Union war mit verteilten Rollen bei vielen dieser Reformen letztendlich mit im Boot, genauso wie die Grünen - das Pech, dass sehr schwierige Reformen im Rahmen einer wirtschaftlich bescheidenen Situation, deren Eintreten keiner ahnen konnte, durchgeführt wurden. Die Appelle, auch die von Herrn Brüderle, den wirtschaftlichen Rückenwind, dieses Mehr an Wachstum - es macht es durchaus leichter, auf das eine oder andere zu verzichten, da neue Einkommen generiert werden -, für weitere Reformen zu nutzen, sind völlig richtig; das ist doch gar keine Frage. Das heißt nicht, dass man zu jeder Reformidee Ja sagt. Vom Grundsatz her ist Reformieren Reinhard Schultz ({0}) in Wachstumsphasen leichter als in einer Phase des wirtschaftlichen Gleit- oder sogar Sinkflugs. Man muss feststellen: Die alte Bundesregierung hat die Rahmenbedingungen geschaffen; sie wirken sich auf den Arbeitsmarkt positiv aus. Die jetzige Bundesregierung hat etwas gemacht, was auch wir für richtig halten und was sich ausgezahlt hat. Peer Steinbrück spricht immer von den zwei Tonlagen der Finanzpolitik: Auf der einen Seite soll man die öffentlichen Haushalte sanieren, konsolidieren und unnötige Ausgaben zurückfahren, und gleichzeitig soll man auch dafür sorgen, dass Wachstum auch mithilfe des Gesetzgebers und der öffentlichen Hand entsteht. Beides haben wir gemacht. Die psychologische Bremse bei denjenigen, von denen wir erwartet haben, dass sie investieren und konsumieren, um mehr Binnennachfrage zu generieren - diese Bremse war Ende 2005/Anfang 2006 noch vorhanden -, ist durch die Politik der Bundesregierung gelöst worden. Dazu haben bessere Abschreibungsbedingungen bei Investitionen, die Unterstützung der privaten Haushalte bei der Inanspruchnahme von Reparaturen und Dienstleistungen und selbstverständlich auch das Gebäudesanierungsprogramm - große Teile der damals noch auf dem Bauch liegenden Bauindustrie und des Baugewerbes leben davon heute - einen hilfreichen Beitrag geleistet. ({1}) Das Baugewerbe ist bei der Beurteilung der Konjunktur immer ein wichtiger Beobachtungsgegenstand. Der gesamte Baubereich verzeichnet zum ersten Mal wieder Zuwächse von 3,6 Prozent. So viel hat es seit 1994 nicht mehr gegeben. Diese Zuwächse hat es in erster Linie nicht beim Einfamilienhausbau - aufgrund des Altersaufbaus unserer Bevölkerung brauchen wir dort keine Zuwächse - gegeben, sondern beim Geschosswohnungsbau, bei der Sanierung des Bestandes und interessanterweise beim Industriebau. Das hat etwas mit den Investitionen zu tun. Auch die Bauindustrie lebt von Investitionen. Hilfreich war zu guter Letzt die Tatsache, dass auch der Bund und andere Ebenen der öffentlichen Hand selbst im Bereich der Infrastrukturinvestitionen nicht gerade kleinlich gewesen sind. Auch dort hat man die Zukunft beherzt in die Hand genommen und dadurch sowohl Wachstum als auch eine Menge Arbeitsplätze geschaffen. Ich bin Westfale, und, Herr Schui, ich neige nicht so sehr dazu, mich übermäßig euphorisieren zu lassen. Ich sage es einmal, wie es ein Westfale mit einem Höchstmaß an Euphorie sagen würde: So schlecht läuft’s nicht. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Eckhardt Rehberg. ({0})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Steigerung von Wirtschaftswachstum, Steigerung von Ausrüstungsinvestitionen und Bauinvestitionen, Steigerung der Inlandsnachfrage, das sagt dem Einzelnen, der Arbeit hat, aber insbesondere demjenigen, der Arbeit sucht, noch nicht sehr viel. Kollege Schultz, mir ist es ähnlich wie Ihnen im Januar 2005 gegangen: Ich hätte diese Entwicklung so nicht erwartet. Ich glaube, wenn man dies in einem Gespräch mit Unternehmern oder mit Arbeitnehmern so beschrieben hätte, dann wäre einem erwidert worden: Das ist nichts als Schönfärberei. Als ich mich auf die heutige Aktuelle Stunde vorbereitet habe, war ich von den Arbeitsmarktzahlen, insbesondere im Osten, beeindruckt. Es gibt in Deutschland keine geteilte Entwicklung. In den neuen Bundesländern ist die Zahl der Arbeitslosen um 150 000 zurückgegangen; darunter - das ist besonders erfreulich - waren 25 000 Menschen unter 25 Jahren. Weiter muss man sagen: Wir haben in den neuen Bundesländern einen Bestand von 133 000 offenen Stellen; davon mehr als die Hälfte aus dem ungeförderten Bereich. Um das Gesamtstellenangebot zu schätzen, muss man die Zahl der ungeförderten offenen Stellen mal drei nehmen; so ergibt sich ungefähr die Richtgröße. So kann man davon ausgehen, dass es in den neuen Bundesländern ein Gesamtangebot von 180 000 bis 200 000 ungeförderte Stellen gibt. Aus meiner Sicht ist es in diesem Jahr die wesentliche Herausforderung, diese Stellen zu besetzen. Im Schiffbau gibt es einen Fachkräftemangel. Die Sozialpartner müssen einen Pool schaffen, damit sie das Arbeitsaufkommen ausgleichen können; ich bin kein Fan von Zeit- und Leiharbeitsfirmen. Nebenbei gesagt: Im Augenblick ist es schwer, Schiffbauer oder Schweißer aus Polen anzuheuern; der Arbeitsmarkt ist ausgereizt. Schauen Sie ins verarbeitende Gewerbe! Herr Kollege Schui, wichtiger, als Horrorszenarien an die Wand zu malen und sich mit dem Auf und Ab zu befassen, ist es, sich Gedanken darüber zu machen, wie man diese offenen Stellen mit qualifizierten Fachkräften besetzt. Ich sage Ihnen eines voraus - so mutig bin ich heute -: Wir werden zu Beginn des Jahres 2008 eine ähnliche Situation wie heute haben. Die spannende Frage in den kommenden Monaten wird also sein: Wie besetzen wir die offenen Stellen, gerade auch in den neuen Bundesländern? ({0}) Andere Zahlen sind aus meiner Sicht genauso beeindruckend. Auch beim CO2-Gebäudesanierungsprogramm gibt es keine geteilte Entwicklung. Wenn man den Bevölkerungsanteil zugrunde legt, stellt man fest, dass die ERP- und KfW-Programme in den neuen Bundesländern deutlich überproportional in Anspruch genommen werden. Bei den ERP-Programmen gibt es insgesamt einen Zuwachs von 3,1 Milliarden Euro in 2005 auf 5,1 Milliarden Euro in 2006. Das ist ein Zuwachs um fast zwei Drittel. Wer sich ein bisschen mit den ERPProgrammen auskennt, der weiß, dass es hierbei um Gründerprogramme für kleine und mittelständische Unternehmen geht. Über diese Investitionsprogramme werden die Arbeitsplätze von morgen geschaffen. Nehmen Sie die Programme aus dem Bundeswirtschaftsministerium: Inno-Watt, NEMO, Pro Inno usw. Sie sind gegenüber dem letzten Jahr deutlich - um 25 Millionen Euro - aufgestockt worden. Mehr als 50 Prozent fließen in die neuen Bundesländer. Angesichts dieses Zahlenreigens bin ich fest davon überzeugt, dass dies keine Einmalentwicklung ist. Herr Brüderle, natürlich haben die Menschen in Deutschland den Hauptanteil an dieser Entwicklung; aber ohne vernünftige politische Rahmenbedingungen kommt es nicht zu solch einer positiven Entwicklung. Ich glaube, der Dreiklang, den wir in der großen Koalition gewählt haben - Sanieren, Reformieren und Investieren -, ist der richtige Ansatz. ({1}) Zum Schluss möchte ich Ihnen eine Meldung aus der „Ostsee-Zeitung“ von heute in Bezug auf MecklenburgVorpommern zeigen: Top 100: Jede dritte Firma stellt wieder mehr Leute ein Ich wünsche mir, dass ich, wenn ich hier im Januar 2008 wieder reden darf, davon berichten kann, dass nicht jede dritte, sondern jede zweite Firma neue Beschäftigte einstellt. Herzlichen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Andreas Steppuhn das Wort.

Andreas Steppuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003850, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht aufwärts in Deutschland, und das ist gut so. Es ist ein Anlass, uns auch einmal zu freuen. ({0}) Die konjunkturelle Situation in Deutschland hat sich spürbar und nachhaltig verbessert. Die Binnennachfrage hat sich deutlich erhöht; die Wachstumsraten belegen dies. Dies ist auch auf dem Arbeitsmarkt spürbar. Wir können eine insgesamt sinkende Arbeitslosigkeit bei einer gleichzeitig steigenden Anzahl von offenen Stellen verzeichnen. Wohlgemerkt: Dies ist ein Anstieg bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Im Jahresdurchschnitt gab es im Vergleich zum Vorjahr rund 400 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Arbeitslosen im Bundesdurchschnitt um 374 000, das heißt um 7,7 Prozent, zurückgegangen - ein deutlicher Erfolg. Die - nicht nur wegen der Fußball-WM - entstandene positive Grundstimmung und das Wachstum müssen weiter forciert werden. Beschäftigungspolitisch ist dies die Chance, wieder mehr junge Menschen in Arbeit und vor allem in Ausbildung zu bringen, was auch schon geschehen ist. Aber es bietet sich uns auch die Möglichkeit, die sogenannte Generation „50 plus“ und gerade qualifizierte ältere Arbeitnehmer wieder neu in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Besonders erfreulich ist - das ist schon angesprochen worden -, dass es auch in der heimischen Bauwirtschaft wieder aufwärtsgeht. Schon seit langem hatten wir nicht mehr eine so niedrige Winterarbeitslosigkeit im Baugewerbe. Dies hat nicht nur etwas mit dem milden Wetter zu tun. Wir haben nicht nur ein viel höheres Auftragsvolumen, sondern wir haben im vergangenen Jahr außerdem arbeitsmarktpolitisch die Einführung des Saisonkurzarbeitergeldes für die Beschäftigten am Bau beschlossen. Auch das hat dazu geführt, dass Winterarbeitslosigkeit nicht mehr in dem Maße wie in der Vergangenheit vorhanden ist. Wesentlich für die positive konjunkturelle Situation im Baugewerbe sind jedoch das von der Bundesregierung aufgelegte Investitionsprogramm im Rahmen der energetischen Gebäudesanierung sowie die Wirkung der verbesserten steuerlichen Absetzbarkeit von Handwerker- und Dienstleistungen. Zusammen ist dies ein Konjunkturprogramm, das insbesondere dem Handwerk mit seinen vielen kleinen, aber auch mittelständischen Unternehmen sowie den dort beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zugutekommt. Die Konjunkturlokomotive Bau steht wieder unter Dampf und das ist gut für die Konjunktur und die gesamte Wirtschaft. Positive Wachstumsraten hier, ausgelöst durch Investitionen im Inland, aber auch anhaltend hohe Wachstumsraten im Export und zugleich eine verbesserte Binnennachfrage müssen in diesem Jahr - das sage ich, auch wenn der Wirtschaftsminister das vielleicht nicht ganz so gern hört - Auswirkungen auf die Lohnpolitik der Tarifvertragsparteien haben. ({1}) Es gilt, die Binnennachfrage weiter zu stärken, auch durch eine erhöhte Kaufkraft, sodass der Weg dafür eigentlich frei sein dürfte. Ich will die Tarifvertragsparteien ausdrücklich dazu ermuntern, sich im Rahmen ihrer Lohnpolitik wieder auf höhere Löhne zu verständigen. Am Wachstum sollten auch diejenigen teilhaben, die mit dazu beigetragen haben, nämlich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Gewerkschaften haben daher die volle Unterstützung von uns Sozialdemokraten, wenn es darum geht, in diesem Jahr wieder einmal höhere Löhne durchzusetzen. In den Branchen, in denen es besonders gut geht, kann die Lohnerhöhung, der sogenannte Schluck aus der Pulle, durchaus größer ausfallen. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns diese gute konjunkturelle Entwicklung, flankiert von einer beschäftigungspolitisch wirksamen Investitionstätigkeit und einer vorwärtsgerichteten Arbeitsmarktpolitik, nutzen, um in Deutschland noch mehr Menschen wieder in Arbeit zu bringen! Die Rahmendaten stimmen. Die von Rot-Grün begonnene und von der Großen Koalition fortgesetzte Politik trägt erste Früchte. Es gibt noch viel zu tun. Packen wir es weiter gemeinsam an! ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat die Kollegin Lena Strothmann das Wort. ({0})

Lena Strothmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003699, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Stimmung verbessert“, „Geschäftsklima auf Zehnjahreshoch“, „Umsätze und Aufträge deutlich angezogen“, „Beschäftigtenabbau stark verlangsamt“, „Investitionen gestiegen“ - das sind nach zehn Jahren der Rezession und nach harten Einschnitten positive Meldungen aus dem Handwerk. ({0}) Seit 1995 hat das Handwerk über 1,8 Millionen Arbeitsplätze abbauen müssen, allein im Kammerbezirk Ostwestfalen-Lippe 50 000. Zum Vergleich: Das sind deutlich mehr, als im Steinkohlenbergbau in ganz Nordrhein-Westfalen beschäftigt sind. „Handwerk“ heißt fast immer: lebenslang in Deutschland. 95 Prozent aller Handwerksbetriebe sind ausschließlich im Inland tätig. Nur 5 Prozent sind exportorientiert. Natürlich bemühen sich die Kammern, diesen Anteil zu erhöhen, aber der Wirtschaftszweig Handwerk ist in starkem Maße von der Binnenkonjunktur abhängig. Aber auch im Handwerk - das ist die gute Nachricht - ist der Aufschwung endlich angekommen. Dies hat Auswirkungen auf 950 000 Betriebe, 4,8 Millionen Beschäftigte und 480 000 Auszubildende in Deutschland. Ein Drittel der kleinen und mittleren Betriebe in Deutschland sind Handwerksbetriebe; wenn es ihnen gut geht, dann geht es auch dem Land gut. Die Gründe für den Aufschwung sind klar: die allgemeine Stimmung - denn auch hier trifft die alte Weisheit zu, wonach 50 Prozent der Wirtschaft Psychologie sind -, Vorzieheffekte wegen der Mehrwertsteuererhöhung und unsere politischen Maßnahmen. Zwei dieser politischen Maßnahmen haben besondere Auswirkungen auf das Handwerk. Erstens gilt dies für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Die Nachfrage bei Eigentümern, Vermietern und Kommunen ist ungebrochen hoch. Die Baufirmen bekommen kaum noch Dämmmaterial, wie wir eben schon gehört haben. Auch das ist ein Indiz für die große Nachfrage. Drei Viertel des Wohnungsbestandes in unserem Land stammen aus der Zeit vor der ersten Wärmeschutzverordnung von 1978. Das bedeutet einen enormen Sanierungsbedarf. Das genannte Programm ist mehrfach erfolgreich: Es spart Energie und verbessert die Wohnqualität, es vermindert CO2-Emissionen und schützt die Umwelt, und es kurbelt die Baukonjunktur an und schafft Arbeitsplätze. Zur Erinnerung: 1 Milliarde Euro Investitionen schaffen oder sichern 25 000 Arbeitsplätze. ({1}) Die Konjunkturlokomotive innerhalb des Handwerks ist das Baugewerbe, das mehr als 40 Prozent des gesamten Handwerks ausmacht. Auch die zweite politische Maßnahme, die Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen bei der Einkommensteuer, setzt auf die Zugkraft der Bauwirtschaft. Wir hören, dass unsere Betriebe bereits für die Zeit bis weit ins Frühjahr hinein Aufträge akquirieren konnten und so dem befürchteten Dämpfer durch die Mehrwertsteuererhöhung entgehen werden. Beim Einstellen neuer Mitarbeiter agieren die Handwerksbetriebe noch verhalten. Allerdings ist die Zahl der Insolvenzen rückläufig, und die Investitionsquote steigt. Derzeit fließt ein großer Teil der Investitionen nur in Ersatz- und Reparaturinvestitionen; der Anteil der Neuinvestitionen muss noch höher werden. Erfreulich ist ebenso, dass die Auszubildendenquote steigt, weil gerade die Ausbildung junger Menschen an Aufträge und Perspektiven für die Zukunft gebunden ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der momentane wirtschaftliche Aufschwung ist noch kein Selbstläufer. Wir haben wichtige Impulse gesetzt, aber für einen andauernden Aufschwung sind weitere Maßnahmen notwendig. Als Stichworte nenne ich den Bürokratieabbau, die Unternehmensteuerreform und die weitere Senkung der Lohnzusatzkosten. Aber auch das Innovationsprogramm für KMU von Frau Schavan ist ein wichtiger Ansatz. Gerade im Handwerk sind die Themen Innovation und Bildung von Bedeutung. Abgesehen davon, dass Innovation ein häufig genutzter Begriff ist, sind Innovationen bei Produkten, Dienstleistungen und Managementmethoden für die Zukunft des Wirtschaftszweiges Handwerk bedeutend. Eine Prognos-Studie mit dem Titel „Zukunft Handwerk!“ hat dem Handwerk ausdrücklich Innovationsfähigkeit bestätigt. ({2}) Meine Damen und Herren, wir sind auf einem guten Weg. Man stelle sich vor, nur jeder zweite Handwerksbetrieb in Deutschland könnte einen weiteren Mitarbeiter einstellen: Wir hätten 500 000 Arbeitslose weniger. Machen wir also weiter so! Herzlichen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Duin das Wort.

Garrelt Duin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003751, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Aktuellen Stunde wurde schon von vielen gesagt, dass wir nach etwas mehr als einem Jahr Großer Koalition in der Tat Grund haben, jetzt, Mitte Januar, einmal einen positiven Blick zurück auf das Jahr 2006 zu werfen. Dafür, dass dies vonseiten der Opposition natürlich mit einem grauen Schleier versehen werden muss, dass man diesen Optimismus und die hier angesprochene gestiegene Euphorie in Deutschland nicht teilen kann, habe ich Verständnis. ({0}) Dann war es eben nicht die Politik, sondern Klinsmann, sagt Herr Brüderle; Petrus und alles Mögliche wird bemüht, nur mit der Großen Koalition und der Politik der Großen Koalition habe es angeblich nichts zu tun. Herr Schui redet von Euphoriewachstum, weil natürlich eine Partei wie die Linkspartei PDS nicht von Euphorie lebt, sondern von Depression ({1}) und es deswegen viel besser wäre, wenn es nicht so gut liefe in Deutschland. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir den Optimismus, den viele Menschen in diesen Wochen und Monaten zurückgewinnen, nutzen müssen. Wir müssen sagen: Wir sehen bei der Globalisierung nicht nur die Gefahren, sondern wir sehen auch die Chancen und wir stellen uns erfolgreich dem Wettbewerb. ({2}) - Wie bitte? Wenn Sie Zwischenrufe machen, dann machen Sie sie so, dass ich sie hören kann, dann kann ich auch darauf reagieren; ansonsten muss ich sie erst im Protokoll nachlesen. - Wir stellen uns diesen Märkten, aber eben nicht nur mit Blick auf die Kosten, sondern vor allen Dingen mit Blick auf die Qualität. Deutschland hat auf den Weltmärkten dann eine Chance, wenn wir auf Qualität setzen, wenn wir uns spezialisieren, wenn wir innovativ sind, und nicht dann, wenn wir glauben, wir könnten es durch immer niedrigere Kosten schaffen, in diesem Wettbewerb erfolgreich zu sein. Deswegen brauchen wir gerade in solchen Debatten, wie wir sie hier heute führen, eine andere, eine neue Qualität von Standortdebatte, die nicht einseitig auf vermeintliche Starrheiten des Arbeitsmarktes, auf Kosten und Steuern ausgerichtet ist, sondern die die Bedingungen für einen Qualitätswettbewerb in den Mittelpunkt stellt. ({3}) Wir haben hier immer wieder von den angeblichen Starrheiten des Arbeitsmarktes gehört. Ich bin aber überzeugt, dass wir, wenn wir immer nur über Kündigungsschutz und dessen Abschaffung reden, über die Mitbestimmung, die angeblich zu weit ginge und an die man auch die Axt anlegen müsse, genau das nicht erreichen, was die Menschen in diesem Land brauchen, nämlich das Gefühl von Sicherheit. Das Gegenteil erreichen wir, wenn wir ihnen ihre erkämpften Rechte wegnehmen wollen! ({4}) Lassen Sie uns deswegen wegkommen von einer Defensivstrategie, die mit Vorschlägen von tariffreien Zonen bis hin zu pauschalen Arbeitszeitverlängerungen garniert ist. Lassen Sie uns in eine offensive Strategie des Qualitätswettbewerbes einsteigen und Innovation als Schlüssel zur wirtschaftlichen Weiterentwicklung in Deutschland sehen. Natürlich ist Deutschland ein Hochlohnland; das soll es auch bleiben. Das sage ich nicht zuletzt mit Blick auf Herrn Schui und seine Bemerkungen hier heute. Er hat sogar höhere Löhne gefordert, als das die Gewerkschaften tun. Herr Schui, ich glaube, es ist richtig, wenn wir den Tarifvertragsparteien und den Gewerkschaften genügend Kompetenz zutrauen, diese Forderungen selber zu stellen, und uns nicht als Politik besserwisserisch einmischen. Gleichwohl will ich hier deutlich machen, dass man denen, die dort verhandeln, schon klar sagen kann: In einer wirtschaftlich so positiven Zeit wie der jetzt zu verzeichnenden ist es richtig, ordentliche Tarifabschlüsse zu machen. Aber überlassen Sie das den Tarifvertragsparteien, und lassen Sie uns nicht von außen schlaue Vorschläge machen. ({5}) - Man kann sie unterstützen auf diesem Weg. Klar ist jedenfalls, dass wir in Deutschland auf bessere Produkte und Dienstleistungen setzen müssen und nicht auf billigere Löhne, so wie das von manchen nach wie vor eingefordert wird. Dasselbe gilt natürlich auch in der Debatte um die Mindestlöhne. Wir werden - das ist in diesen Tagen auch durch die Medien gegangen - in einigen Bereichen, was das Entsendegesetz angeht, schon zu konkreten Maßnahmen kommen. Wir werden das in den nächsten Wochen und Monaten sicherlich noch weiter diskutieren müssen. Aber seien Sie sicher: Die Menschen in Deutschland haben zu Recht die Erwartung an die Große Koalition, dass wir beim Thema Mindestlöhne etwas zustande bringen. Wir werden das in den nächsten Wochen und Monaten umsetzen, damit, wie ich eben schon gesagt habe, neben den positiven wirtschaftlichen Zahlen auch ein Gefühl von Sicherheit in dieser Gesellschaft entsteht, das sich darin ausdrückt, dass nicht mehr Abstieg droht, sondern Aufstiegsmöglichkeiten geboten werden. Dafür wollen wir als Große Koalition arbeiten. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 18. Januar 2007, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch einen erfolgreichen und vielleicht auch erholsamen Abend.