Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD und der FDP
Einsetzung einer gemeinsamen Kommission
zur Modernisierung der Bund/Länder-Finanz-
beziehungen
- Drucksache 16/3885 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bodo
Ramelow, Dr. Barbara Höll, Dr. Dagmar Enkelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LIN-
KEN
Beteiligung der Landtage bei der zweiten Stufe
der Föderalismusreform und Information des
Deutschen Bundestages
- Drucksache 16/3539 -
c) Wahl der vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieder der gemeinsamen Kommission zur Modernisierung der Bund/LänderFinanzbeziehungen
- Drucksache 16/3886 Zum Antrag auf Einsetzung der Kommission liegt je
ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke und der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor.
Über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Beteiligung der Landtage werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Peter Struck, dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Erlauben Sie mir zunächst eine persönliche Bemerkung zu meinem beruflichen Lebensweg: Nachdem
ich 1971 in Hamburg das zweite juristische Staatsexamen gemacht habe, war ich zunächst ein Jahr an der dortigen Universität beschäftigt. Danach war ich in der
Finanzbehörde in der Abteilung „Überregionale Finanzplanung“ tätig. Ich kehre heute also zu meinen Wurzeln
zurück und stelle fest: Abgesehen davon, dass ein Fraktionsvorsitzender kraft seines Amtes über alles Bescheid
wissen und gute Arbeit machen muss, kommt bei mir
noch die zusätzliche Erfahrung aus meiner beruflichen
Vergangenheit hinzu.
({0})
Wir haben uns eine Herkulesaufgabe vorgenommen.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir sie tatsächlich bewältigen werden. Das, was wir heute zu beschließen haben und was auch vom Bundesrat beschlossen wird, ist
wirklich ein Mammutwerk. Die Neuordnung der Bund/
Länder-Finanzbeziehungen beschäftigt uns, seitdem es
die Bundesrepublik Deutschland gibt. Die Koalitionsfraktionen lösen damit ihr Versprechen ein, sich dieses
Themas anzunehmen.
An die Kollegen von der FDP gerichtet sage ich: Ich
bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie unseren Antrag auf Einsetzung der gemeinsamen Kommission mittragen. Ich
hätte es begrüßt, Herr Kollege Kuhn, wenn auch die
Grünen unseren Antrag unterstützt hätten; das gilt natürlich auch für die Linke. Denn ich bin der Meinung, dass
es bei der Frage der Bund/Länder-Finanzbeziehungen
nicht um Parteipolitik gehen sollte.
({1})
Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der
Herr Kollege Oettinger, wird der Kommission für die
Seite der Länder vorsitzen, ich werde den Vorsitz für die
Redetext
Seite des Bundestages übernehmen. Für mich steht dabei
eines fest: Wenn wir bei der Bewältigung dieser sehr
schwierigen Aufgabe Erfolg haben wollen, dann müssen
wir bis spätestens 2009 Ergebnisse erzielen. Ich bin
überzeugt, dass der zeitliche Druck, den wir uns selbst
machen sollten, dazu beitragen kann, dass wir zu Ergebnissen kommen. Wir sollten dieses Vorhaben nicht auf
die nächste Legislaturperiode verschieben, sondern deutlich machen, dass wir es noch in dieser Wahlperiode umsetzen wollen.
({2})
Ich will heute nicht über Gebühr optimistisch sein,
aber ich glaube, dass wir das schaffen können. Bund und
Länder besetzen diese Kommission mit hochrangigen
Experten. Einige Ministerpräsidenten möchten sogar
selbst Mitglieder der Kommission werden, andere schicken ihre Finanzminister. Das Interesse an der Arbeit ist
groß. Nicht zuletzt deswegen haben wir entgegen den ursprünglichen Absprachen nicht nur den Bundesrat, sondern auch die Länderparlamente einbezogen. Wer aus
den Länderparlamenten Mitglied dieser Kommission
wird, überlassen wir den Landtagen; wir werden uns
nicht einmischen, nach welchen Kriterien die Besetzung
der vier Plätze erfolgen soll. Ich will hier aber deutlich
sagen: Natürlich muss die Präsenz der Kommunen in
dieser Kommission gesichert sein; denn es geht auch um
ihre Finanzsituation. Die Kommunen können sich darauf
verlassen, dass wir ihre Interessen ordentlich berücksichtigen werden.
({3})
Es müssen in Jahrzehnten gewachsene Strukturen der
Finanzbeziehungen aufgebrochen werden. Für die
Strukturunterschiede zwischen den Ländern müssen
wir einen effizienteren Ausgleich finden, ohne den Länderfinanzausgleich von vornherein infrage zu stellen.
Wir brauchen griffige Instrumentarien zur Bewältigung
von Haushaltskrisen. Wir brauchen Instrumente, um die
Verfassungsmäßigkeit der Haushalte zu gewährleisten.
Es kann doch nicht sein, dass sich der jetzige Zustand
verfestigt, dass etwa elf von 16 Länderhaushalten verfassungswidrig sind. Das muss beseitigt werden und wir
müssen Regelungen finden, die eine solche Situation
verhindern.
({4})
Wir brauchen auch klare Festlegungen, was ein Land
selbst leisten muss, bevor es sich auf eine Haushaltsnotlage beruft und den Bund um Hilfe bittet.
({5})
Im Zusammenhang mit seinem Urteil über die Klage des
Landes Berlin auf weitere finanzielle Hilfe des Bundes
hat das Bundesverfassungsgericht hier ausdrücklich Regelungsbedarf angemahnt. Wir wollen versuchen, dieser
Empfehlung des Bundesverfassungsgerichts zu folgen.
Wir brauchen so etwas wie einen Stabilitätspakt der Körperschaften - mit festgelegten Verschuldungsgrenzen zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen. Wir brauchen
zur finanziellen Entlastung eine ebenenübergreifende
Bündelung von Verwaltungsaufgaben. Wir brauchen
schließlich eine verstärkte Zusammenarbeit der Länder,
bis hin zu der Möglichkeit, dass sich Länder freiwillig
zusammenschließen. Sie wissen, dass ich darüber schon
in den Debatten im Zusammenhang mit der Föderalismusreform I gesprochen habe. Föderalismusreform II
heißt Neuordnung der Finanzbeziehungen; die gehen wir
jetzt an. Föderalismusreform III heißt Neugliederung der
Bundesländer. Daran müssen wir weiter arbeiten.
({6})
Das ist alles sehr schwierig und das ist Zukunftsmusik,
das weiß ich. Doch wir müssen mit der Arbeit jetzt beginnen. Wir wollen alle Möglichkeiten, die es dazu gibt,
nutzen.
Wir müssen uns frei machen - ich denke, wir hier im
Bundestag können das und der Bundesrat auch - von den
parteipolitischen Zwängen, denen wir alle in anderen
Fragen unterliegen. Es geht hier nicht um CDU oder
SPD, um FDP, Grüne oder PDS, sondern es geht darum,
dass die Länder und der Bund Finanzbeziehungen organisieren, die unser Land zukunftsfähiger machen als bisher. Fest steht auch, dass die neuen Länder bis zum Auslaufen des Solidarpakts II auf die Zusagen vertrauen
können müssen. Wir sollten den Solidarpakt II nicht infrage stellen.
({7})
Die Aufgabe, die wir uns vorgenommen haben, ist
also schwierig. Wenn ich die offene Themensammlung
anschaue, muss ich feststellen: Das reicht eigentlich für
zwei Legislaturperioden. Wenn mich der Bundestag wie
vereinbart zum Vorsitzenden dieser Kommission erhebt
und entsendet, will ich meine Pflicht tun und dazu beitragen, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen, auch
im Blick darauf, dass wir alle die Pflicht haben, unser
Land zukunftsfähiger zu machen.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Ernst Burgbacher von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute ist für uns ein guter Tag. Herr Kollege Struck, ich
bedanke mich im Namen der FDP ausdrücklich, dass
hier Versprechen gehalten wurden. Es war immer unser
Wunsch und unsere Forderung, die Reform der Finanzverfassung anzugehen. Deshalb ist es schön, dass wir
heute den Startschuss abgeben.
({0})
Wir müssen - auch dem stimme ich zu, Herr Kollege
Struck; das sage ich ausdrücklich - bis 2009 tatsächlich
etwas vorlegen. Wir haben nicht zwölf Jahre Zeit, wie
das auch schon angedeutet wurde, um eine solche Reform vorzunehmen. Das muss in dieser Legislaturperiode geschehen. Unsere Unterstützung werden Sie dafür
haben.
({1})
Bei aller Freude über die Fortsetzung der Reform bin
ich mir aber auch dessen bewusst, dass wir erst am Anfang eines langen und beschwerlichen Weges stehen.
Aber nach Laotse beginnt ja auch der längste Weg mit
einem ersten Schritt. Den tun wir heute.
Ich nenne für die Reform folgende Eckpunkte:
Die Föderalismusreform II muss dazu beitragen, dass
unser Land in der Welt wettbewerbsfähiger wird. Durch
sie müssen wir erreichen, dass vor allem den kommenden Generationen wieder Gestaltungschancen eröffnet
werden. Deshalb ist es zuallererst unabdingbar, dass
Schranken gegen Steuerlast und Staatsverschuldung in
das Grundgesetz aufgenommen werden. Ein Nettoneuverschuldungsverbot ist unser eigentliches Ziel. Hierzu
werden wir Vorschläge vorlegen.
({2})
Sich am Grundsatz der Subsidiarität und der bundesstaatlichen Solidarität orientierend - den Begriff der bundesstaatlichen Solidarität betone ich besonders -, müssen
die Steuerautonomie der Länder gestärkt und ihre Gestaltungsmöglichkeiten erweitert werden. Leistung muss
sich auch im föderalen System wieder lohnen. Deshalb
muss der Finanzausgleich reformiert werden. Er kann
nicht so bleiben, wie er heute ist. Auch das ist, wie ich
glaube, unstrittig.
Wir brauchen insgesamt einen Neustart des Föderalismus in Deutschland. Am Anfang muss für Chancengerechtigkeit gesorgt werden. Aber dann müssen die Länder auch eigenständig lebensfähig sein. Das müssen wir
anstreben. Mit dem derzeitigen System wird das Land die
anstehenden Aufgaben nicht mehr lösen können. Voraussetzung ist Wettbewerb im deutschen Föderalismus;
auch das sollten wir - ich schaue dabei zum Kollegen
Scholz - deutlich sagen. Dazu sollten wir uns bekennen,
Herr Kollege Scholz.
({3})
Wenn die Kommission bei der komplizierten Ausgangslage und den unterschiedlichen Interessen zu einem Erfolg kommen will, dann muss es ihr gelingen,
eine - wie es neudeutsch heißt - Win-win-Situation zu
schaffen. Ich bin fest davon überzeugt, dass das möglich
sein wird. Wenn wir ein Modell vorlegen, nach dem die
Mehrzahl der Länder verlieren würde, dann bekommen
wir dafür keine Mehrheit. Das macht auch keinen Sinn.
Wir müssen vielmehr ein Modell finden, bei dem alle die
Chance sehen, zu Gewinnern werden zu können. Wenn
wir die Reform richtig angehen, wenn wir vor allem den
Mut haben, nicht im Kleinklein stecken zu bleiben, sondern auch größere Reformschritte zu machen, dann können tatsächlich - davon bin ich überzeugt - alle Länder
etwas gewinnen. Das muss unser eigentliches Ziel sein.
({4})
Wir sollten zu Beginn der Föderalismusreform II aus
den Fehlern der Föderalismusreform I lernen. Für mich
gab es drei wesentliche Fehler:
Erstens. Die Ministerpräsidenten hatten sich bereits
im Mai 2004 auf einen Minikompromiss festgelegt und
sind von diesem nicht mehr abgerückt. Die Lehre für uns
muss sein, dass wir die offene Themensammlung tatsächlich als offen betrachten. Ich fordere insbesondere
die Länder auf, nicht wieder im Vorfeld Beschlüsse zu
fassen und so den Erfolg zu gefährden. Wir müssen offen an diese Aufgabe gehen.
({5})
Denkverbote darf es dieses Mal nicht geben.
({6})
Zweitens. Herr Kollege Struck, ich hoffe, dass wir
nicht wieder in die alten Mechanismen der Entscheidungsfindung verfallen. Es darf nach den Verhandlungen
in den einzelnen Projektgruppen am Schluss nicht so
sein, dass das Ergebnis im kleinen Kreise ausgemauschelt wird. Der Prozess muss tatsächlich offen sein.
Drittens. Es darf keine Tabus geben.
Wir müssen außerdem zu einem fairen Wettbewerbsund Gestaltungsföderalismus kommen. Das wird unsere
besondere Aufgabe sein.
Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Wir müssen natürlich an die Regionen mit besonderen Strukturproblemen
denken. Die neuen Bundesländer - nach 16 Jahren sind
sie eigentlich gar nicht mehr so neu - müssen sich darauf
verlassen können, dass der Solidarpakt Ost bleibt und
von uns nicht angegriffen wird.
Meine Damen und Herren, ich habe noch ein Zitat,
von dem ich glaube, dass es heute sehr schön passt. Ein
schwäbischer Abt mit dem Namen Öttinger hat wohl das
Zitat geprägt:
Herr, gib mir die Kraft, Dinge zu verändern, die ich
ändern kann. Gib mir die Geduld, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. Und gib mir die
Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Wir müssen den Mut dazu aufbringen, Dinge zu ändern.
Ich appelliere an den Ministerpräsidenten Oettinger,
der den Vorsitz für die Länderseite übernehmen wird,
auf die Worte seines Namensvetters zu hören und bei
den Ländern einen Veränderungswillen zu wecken. Ich
appelliere auch an uns alle in diesem Hause, mit der notwendigen Offenheit an das Werk zu gehen.
Für die FDP kann ich sagen, dass wir diesen Prozess
sehr konstruktiv unterstützen werden. In diesem Sinne:
Gehen wir es an! Ich persönlich freue mich auf eine gute
Zusammenarbeit im ganzen Hause.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Antje Tillmann von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Besucher! Wenn wir uns nicht in einem seriösen Parlament befinden würden, müsste ich jetzt rufen: Jetzt geht’s los!
Anders als bei der ersten Stufe der Föderalismusreform, die in der Öffentlichkeit bis kurz vor deren Ende
kaum zur Kenntnis genommen wurde, diskutiert die
Finanzfachwelt schon seit einiger Zeit die Einsetzung
der Kommission zur Modernisierung der Bund-LänderFinanzbeziehungen.
Schon die Föderalismuskommission I hat im
Finanzbereich kleine, aber sehr wichtige Weichen gestellt. Herr Burgbacher, ich sehe die Ergebnisse der ersten Kommission durchaus positiv.
({0})
So haben wir Finanzhilfen hinterfragt und befristet,
einige Gemeinschaftsaufgaben einschließlich der finanziellen Mittel der alleinigen Zuständigkeit der Länder
anvertraut sowie EU-Haftungsfragen nach dem Verursacherprinzip geordnet und in die gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern gelegt. Um ein Haar hätten
wir diese neuen Haftungsregeln beim Vertragsverletzungsverfahren wegen der Sparkasse Berlin schon
ausprobieren müssen. Darüber hinaus haben wir das
Finanzverwaltungsgesetz verändert, um eine bessere Zusammenarbeit der Länderfinanzbehörden zu erreichen.
Am deutlichsten wird die Tragweite der Regelungen
durch die erste Kommission aber beim Zusatz zu Art. 84
und Art. 85 Grundgesetz. Hiernach können Gemeinden
durch Bundesgesetz keine Aufgaben mehr direkt übertragen werden. In der Vergangenheit hatte die direkte
Aufgabenzuweisung des Bundes an die Kommunen in
erheblichem Maße zu der Finanzmisere der Kommunen
geführt. Den Kommunen wurden kostenträchtige Aufgaben übertragen, ohne dass der Gesetzgeber die Finanzierung sicherstellte.
Nun will ich die Tatsache, dass bei einem der ersten
Gesetze nach dem In-Kraft-Treten dieser Grundgesetzänderungen, dem Verbraucherinformationsgesetz,
diese neue Selbstbeschränkung im parlamentarischen
Verfahren nicht als einschlägig empfunden wurde, nicht
kommentieren. Dass dieses Gesetz zulasten der Kommunen aber nicht ohne einen finanziellen Ausgleich für die
Kommunen in Kraft treten wird, ist genau das, was wir
mit der Föderalismusreform I wollten. Das, was wir dort
den Kommunen versprochen haben, wird jetzt in der
Praxis umgesetzt.
({1})
Diese Beispiele verdeutlichen, dass schon beim ersten
Schritt der Föderalismusreform Weichen gestellt wurden, deren Tragweite erst nach und nach deutlich wird.
Nun gilt es, diese Schritte weiterzugehen und die
Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Ländern auf eine solide Grundlage zu stellen. Dieses Bemühen erhält heute einen formellen Rahmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
wenn wir dieses Bemühen nicht von Anfang an zunichte
machen wollen, dann dürfen wir Ihrem Antrag zur Aufgabenerweiterung der Kommission unmöglich zustimmen. Wie sollen wir denn bitte die schwierigen Probleme auf den Gebieten der Finanzbeziehungen, der
Wachstums-, Beschäftigungs- und Klimaschutzpolitik
sowie der gerechten Gestaltung der Wissensgesellschaft
auf einmal lösen? Ich glaube, wir haben mit den Finanzbeziehungen schon hinreichend genug zu tun. Deshalb
wollen wir den Aufgabenbereich nicht noch mehr erweitern.
({2})
Schon mit dem, was in dem gemeinsamen Antrag von
CDU/CSU, SPD und FDP vorliegt, haben wir eine Riesenaufgabe übernommen. Wir werden dabei von der
Skepsis begleitet, ob wir diese Aufgabe überhaupt erfüllen können. Ich sage ganz offen: Nein, wir werden bis
2008 voraussichtlich keine konkreten Vorschläge zu
Länderfusionen vorlegen. Wir werden uns aber damit
befassen, welche Hürden für eine eventuelle Fusion zu
überwinden sind und wie man diese Hürden senken
kann. Gegebenenfalls muss überprüft werden, ob das,
was das Grundgesetz für eine Fusion verlangt, zu schwer
zu erreichen ist. Wir, der Bund, werden die Frage beantworten müssen, ob wir fusionswilligen Ländern unsere
Hilfe anbieten, ob wir zum Beispiel Entschuldungshilfen
leisten können oder wollen.
Nein, ziemlich sicher werden wir bis 2008 auch nicht
einen neu ausgehandelten Länderfinanzausgleich einschließlich Solidarpakt II vorlegen. Wir werden aber,
wenn wir die Solidarität zwischen den Ländern und dem
Bund und innerhalb der Länder dauerhaft aufrechterhalten wollen, selbstverständlich klären müssen, welche
Voraussetzungen ein Land erfüllen muss, um die Solidarität der anderen Länder in Anspruch nehmen zu können.
({3})
Viel sinnvoller, als ein weiteres Verfassungsgerichtsurteil abzuwarten, ist es, ein Frühwarnsystem einzurichten und sich auf Eckpunkte hinsichtlich der Frage, wann
der Bündnisfall eintritt, festzulegen. Technische Voraussetzung hierfür ist, dass auf den verschiedenen Ebenen
vergleichbare Haushaltsdaten vorliegen. Erst dann könAntje Tillmann
nen wir prüfen, inwieweit sich ein Land, das Hilfe beansprucht, mehr Personal, mehr freiwillige Leistungen
oder vielleicht höhere Standards als andere Länder leistet. Zurzeit ist der Vergleich nur sehr eingeschränkt möglich. Wir werden dabei die Frage beantworten müssen,
ob das Verfahren der Kameralistik, nach dem wir heute
den Haushalt aufstellen, die Gefahren wirklich deutlich
sichtbar macht oder ob wir nicht den Anträgen Hamburgs und Hessens folgen sollten, den Bundeshaushalt
und die Länderhaushalte in Form der doppelten Buchführung aufzustellen.
({4})
Wir werden - Herr Burgbacher hat schon darauf hingewiesen - das Thema Neuverschuldung angehen müssen. Notlagen von Ländern entstehen nicht von heute auf
morgen; sie bahnen sich langsam an. In vielen Fällen
könnten sie bei rechtzeitigem Gegensteuern verhindert
werden. Art. 115 Grundgesetz und die entsprechenden
Vorschriften der Landesverfassungen wollten verhindern, dass mehr Schulden aufgenommen werden, als positives Vermögen vorliegt. Aber schon die wortgetreue
Auslegung des Artikels wird diesem Ziel nicht gerecht.
Hier wird überhaupt nicht berücksichtigt, dass sich Investitionen in der Praxis schneller abnutzen, als die zugrunde liegenden Kredite getilgt werden. Die Auslegung
der Ausnahmeregelung für den Fall der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts geht weit über das
wirtschaftlich Vernünftige hinaus.
Sie sehen: Es geht hierbei um verhältnismäßig spröde
Themen, die sich nicht in Mark und Pfennig ausrechnen
lassen. Am Ende der Beratungen zum Finanzausgleichsgesetz werden wir ein Ergebnis in Euro vorlegen
müssen. Im Finanzausgleichsgesetz ist zum Beispiel vereinbart, die Bundesergänzungszuweisungen zum Ausgleich der Belastungen aufgrund der Zusammenführung
von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für den Zeitraum
ab 2008 neu zu verhandeln. Dasselbe gilt für die Zuweisungen aufgrund hoher Kosten politischer Führung.
2013 steht die Überprüfung der Ausgleichszahlungen
wegen der Auflösung der Gemeinschaftsaufgaben auf
Grundlage des Entflechtungsgesetzes an; spätestens
2019 laufen die Solidarpaktmittel aus. Also nur Mut!
Die Föderalismusreformen III bis X können nahtlos folgen.
Weniger schmerzhaft, als begrenzt vorhandene Mittel
neu zu verteilen, ist es, zu überprüfen, ob im vorhandenen System alle Mittel vernünftig und effektiv eingesetzt
werden. Die Haupteinnahmequellen von Bund und Ländern - die Gemeinschaftssteuern wie Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer - werden im Rahmen der
Auftragsverwaltung von den Ländern eingezogen. Mit
dem Finanzverwaltungsgesetz haben wir erste Schritte
hin zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit unternommen. Liebe Kollegen von der Linken, der Bericht
des Bundesrechnungshofes, den Sie in Ihrem Änderungsantrag zitieren, ist zu einer Zeit entstanden, als
diese neuen Regelungen noch nicht in Kraft waren. Ich
denke, wir sollten der Finanzverwaltung Zeit geben,
diese Regelungen umzusetzen. Dann sollten wir überprüfen, ob wir nachbessern müssen.
({5})
Wir werden prüfen müssen, warum manch hohe
finanzielle Aufwendungen von Bund und Ländern bei
den Bürgerinnen und Bürgern nicht richtig ankommen.
Wir tun gut daran, mit der Arbeitsgruppe im Familienministerium, die die Einführung einer Familienkasse
prüft, zusammenzuarbeiten. Das ist ein Bereich, mit dem
auch wir uns befassen müssen. Die Frage ist: Warum
kommt von dem vielen Geld, das wir in manchen Bereichen ausgeben, so wenig bei den Bürgerinnen und Bürgern an?
Bei all diesen größeren und kleineren Schwächen des
Systems ist es müßig, zu überlegen, wie groß der Wurf
sein könnte, den wir in dieser Kommission erreichen.
Wir müssen diese Probleme angehen; denn jetzt ist
der Zeitpunkt für Veränderungen günstig. Die Prognosen sind gut. Die Neuverschuldung auf Bundes- und
Länderebene sinkt. Das Bruttoinlandsprodukt steigt und
die Sozialversicherungssysteme profitieren von den guten Aussichten. Wenn wir jetzt keine Lösung herbeiführen, dann werden wir das niemals tun.
({6})
Meine beiden Vorredner haben schon an der einen
oder anderen Stelle persönliche Bedenken vorgetragen.
Als ich gefragt wurde, ob ich für meine Fraktion die
Aufgabe in der Föderalismuskommission II übernehmen
wolle, fiel mir mein Lieblingsheld Beppo Straßenfeger
aus dem Roman „Momo“ ein. Beppo bekommt jeden
Tag ein Stück Straße zugewiesen, das er fegen muss. Es
ist ein langes, endlos erscheinendes Stück Straße, das einem schon Sorgen bereiten könnte, wenn man nur bis
zum Ende dieser Straße blickt. Nicht so Beppo: Beppo
schaut immer nur so weit, wie er den Fuß setzen kann:
Schritt, Besenstrich, Verschnaufen, Schritt, Besenstrich,
Verschnaufen - und noch ehe er sich versieht, ist die
ganze Straße gefegt.
Ich glaube, so wie Beppo beim Fegen dieser Straße
werden auch wir in der Föderalismuskommission II in
einzelnen Schritten vorgehen müssen. Wir werden konsequent schrittchenweise vorgehen müssen, damit keiner
der Beteiligten atemlos auf der Strecke zurückbleibt. Ich
kann das den Kolleginnen und Kollegen in den Ländern
und den Ministerpräsidenten zusagen. Dazu sind wir
auch nach unserer Verfassung verpflichtet. Denn wir
können in unserem Grundgesetz fast alles außer den
Grundrechten ändern, aber nicht die Neugliederung der
Länder bzw. die Regelungen, die diese Gliederung betreffen. Dazu gehört auch, die Finanzen so zu ordnen,
dass Bund und Länder finanziell lebensfähig sind. Das
gehen wir an und ich bin sicher, dass wir Ihnen im
nächsten Jahr eine Lösung vorlegen werden.
Danke.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Bodo Ramelow von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Werte Kolleginnen und Kollegen! Nachdem vom Abt
Öttinger die Rede war und Laotse zitiert worden ist,
möchte ich mit Konfuzius anfangen:
Es ist besser, eine Kerze anzuzünden, als über die
Dunkelheit zu klagen.
Ich denke, in der Föderalismusreform II gibt es viel
Dunkelheit zu beklagen. Es reicht mir nicht, Kollegin
Tillmann, wenn wir nur auf unsere Fußspitzen schauen.
Man sollte schon wissen, in welche Richtung der Straßenfeger die Straße auskehrt. Wenn man das Ziel nicht
vor Augen hat, dann kann man seine Hausaufgaben nicht
machen.
({0})
Kollege Struck, Sie haben die Frage aufgeworfen, warum wir den Einsetzungsantrag, den wir zwar für verbesserungswürdig, aber von der Richtung her für richtig
halten, nicht mitgetragen haben. Ich will Ihnen diese
Frage beantworten.
Am 31. März 2003 fand in der Hansestadt Lübeck der
Lübecker Konvent statt. Alle Landesparlamente waren
durch ihre Fraktionsvorsitzenden vertreten und auch der
Bundespräsident hat teilgenommen. Ich darf auf das Protokoll hinweisen. Darin ist festgehalten worden, dass der
Föderalismuskonvent der Auftakt der Initiativen ist, dass
auch die Landesparlamente an der Föderalismusreform
mitarbeiten müssen. Man kann diese Reform nicht ohne
sie und auch nicht gegen sie durchführen, Kollegin
Tillmann.
({1})
Sie haben zu Recht auf die Neuordnung der Länder hingewiesen, die im Grundgesetz als geschützter Bereich
geregelt ist.
In dem Protokoll heißt es aber auch - ich zitiere; es
lohnt sich, das nachzulesen -:
Es zeigt sich darin auch der einheitliche Wille, über
den jetzt festgelegten Maßstab der „Lübecker Erklärung“ hinaus einen weitergehenden Prozess zu
eröffnen, der sich in mindestens einem Folgekonvent niederschlagen wird.
Ich sage: niederschlagen muss; denn wenn wir nicht in
einen zweiten Konvent mit den Landtagen eintreten werden, dann wird es zu einer Verhandlungsrunde ohne die
Landesparlamente kommen. Darauf bezieht sich unsere
kritische Sichtweise. Deswegen haben wir einen Änderungsantrag vorgelegt.
({2})
- Ich habe ihn gelesen, Herr Kollege. Sie haben aber offenkundig die Lübecker Erklärung nicht gelesen.
Es wundert mich sehr, dass der Deutsche Bundestag
jetzt eine Kommission einsetzt, die all diese Themen behandelt, in der die Ministerpräsidenten der Bundesländer
vertreten sein werden, die damals noch als Fraktionsvorsitzende die Lübecker Erklärung mit unterschrieben haben. Vier Namen sind darin zu finden, die damals diese
Erklärung mit unterschrieben haben und sich jetzt auf
die Bundesratsseite stellen. Ich habe die Befürchtung,
dass man im Zweifelsfall eine abgeschottete Finanzverhandlungsrunde durchführt, an der die Landesparlamente nicht beteiligt sind. Das halte ich für ein strukturelles und inhaltliches Problem.
({3})
Kollege Struck, ich gebe Ihnen ausdrücklich Recht:
Es darf keine parteipolitische Kungelrunde werden. Es
darf nicht dazu führen, dass sich die Ayatollahs mancher
Bundesländer als Gegenregierung zur großen Koalition
präsentieren. Ich meine zum Beispiel Ihren Herrn Koch,
den ultraorthodoxen Konservativen, der seine machtpolitischen Spielchen auf Landesebene spielt, wenn es
gegen die große Koalition geht. Wenn ich mir den Vertreter des Freistaates Bayern anschaue, dann habe ich
den Eindruck, dass wir eine Gegenregierung in diesem
Land haben und dass die einzige Opposition nicht die
drei kleinen Fraktionen im Bundestag, sondern die
CDU/CSU-Ministerpräsidenten sind.
({4})
- Es scheint Sie tief zu treffen, dass diese Kakophonie
von Ihren Repräsentanten zu vertreten ist. Das ist aber
noch immer besser als der gestrige Ausdruck „Brüsseldorf“.
Die Finanzbeziehungen der Länder müssen im Verhältnis zum Bund neu geordnet werden. Deswegen begrüßen wir die Einsetzung der Kommission. Wir werden
in der Kommission mitarbeiten. Wir werden Ihnen aber
Gelegenheit geben, darüber abzustimmen, ob die Landesparlamente in eigener Verantwortung bestimmen
können, dass sie zumindest antrags- und redeberechtigt
sind. Das ist ein qualitativer Unterschied. Es dürfen nicht
nur vier Vertreter der Landesparlamente am Katzentisch
sitzen. Vielmehr sollen sie antragsberechtigt sein. - Frau
Tillmann, regen Sie sich doch nicht auf! Ich habe Ihren
Humor doch auch ertragen. Nun ertragen Sie, dass ich,
der ich einmal Fraktionsvorsitzender im Thüringer
Landtag war, einfordere, das umzusetzen, was wir im
Lübecker Konvent fraktionsübergreifend beschlossen
haben. Sie können im Bundestag nicht sagen: Was schert
mich mein Geschwätz von gestern? Diese Halbherzigkeit können wir nicht akzeptieren.
({5})
Es geht nicht nur um die Beziehungen der Länder untereinander, sondern auch um den Wettbewerbsföderalismus. Wir lehnen den Wettbewerbsföderalismus ab.
Das unterscheidet uns in der Tat von der FDP.
({6})
Wir wollen nicht, dass sich die Länder, die eine prosperierende Entwicklung haben, mit allen ihren MöglichkeiBodo Ramelow
ten besser aufstellen und dass anschließend - Stichwort
„gemeinsame Bildungslandschaft in Deutschland“ - die
einen im Armenhaus und die anderen auf der Sonnenseite der Bundesrepublik Deutschland leben. Ich empfehle einen Blick auf die vorgestrige Satire in Belgien.
Hier hat ein Fernsehprogramm das Verhältnis zwischen
Flamen und Wallonen in Form einer bissigen Satire dargestellt. Das Schlimme war, dass die Menschen in Belgien geglaubt haben, dass Belgien auseinander fällt.
Wenn die wirtschaftlich stärkeren Länder in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Rücken der wirtschaftlich
schwächeren Länder Geschäfte machen, dann haben wir
mit Zitronen gehandelt. Wir halten an dem Prinzip der
Ausgleichsverpflichtung fest. Alle Menschen in
Deutschland müssen gleichwertige Arbeits- und Lebensbedingungen haben und Chancengerechtigkeit erleben.
({7})
Die Gemeinschaftsaufgabe Ost ist zwar bis 2010 gesichert. Aber nach 2010 - nun verstehe ich langsam, was
die Agenda 2010 von Herrn Schröder bedeutet - werden
die Mittel degressiv abgeschmolzen. Wir brauchen daher
einen Sonderweg, wenn es um die Schulden der neuen
Bundesländer geht. Wenn wir die zu bewirtschaftenden
Schuldenberge nicht berücksichtigen, werden wir einen
Wettbewerbsföderalismus Ost-West haben. Dann haben
wir einen bitteren Weg vor uns.
Reden Sie also bitte auch über die Einnahmeseite und
nicht nur über die Verteilung! Wenn die Abgaben- und
Steuerquote in Deutschland nur den OECD-Durchschnitt
erreichte, hätten wir 130 Milliarden Euro mehr in der
Kasse und wir könnten uns starke, prosperierende Bundesländer erlauben. Dann könnten wir über einen neuen,
innovativen Haushaltsansatz nachdenken, bei dem die
Mittel für die Bildung als Investition und nicht als konsumtive Ausgaben gewertet werden. Lassen Sie uns in
diesem Sinne an die Arbeit in der Föderalismusreformkommission herangehen. Nicht dass der Bundespräsident hinterher wieder alles aus dem Verkehr zieht. Das
hielte ich für eine Katastrophe.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Fritz Kuhn vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da
wir grundsätzlich optimistisch sind, haben wir die Hoffnung, dass bei der Föderalismusreform II etwas Besseres
herauskommt als bei der Föderalismusreform I. Ich sage
das, weil wir bei den aktuellen Themen, die wir diskutieren, zum Beispiel bei der Bildungspolitik und beim Verbraucherinformationsgesetz, sehen, welche Schwierigkeiten die Föderalismusreform I den Deutschen, der
Bundesrepublik Deutschland und den Ländern eingebracht hat. Um es gleich vorweg zu sagen: Ich halte wenig davon, in diesem Rahmen jetzt die Mittel zu verteilen, weil wir so die Fehler der Föderalismusreform I
noch potenzieren.
({0})
Das wird ein wichtiger Punkt sein, über den wir reden
müssen.
Frau Kollegin Tillmann, wir haben Ihrem Antrag
nicht zugestimmt, weil wir finden, dass auch andere
Themen - nicht nur Wachstum und Beschäftigung - zu
den Zielsetzungen der Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern gehören müssen, zum
Beispiel eine gerechte Finanzierung der Wissensgesellschaft und unseres Bildungssystems.
({1})
Es kann doch nicht angehen, dass wir die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern nur in Bezug auf
Wachstum und Beschäftigung neu ordnen, aber in Bezug
auf Bildung und Gestaltung der Wissensgesellschaft
nicht. Sie haben übrigens in Ihrem Redebeitrag selber
ein Beispiel dafür gebracht, dass die Ziele zu eng sind,
als Sie sagten, es wäre interessant zu überlegen, ob man
nicht die verschiedenen Transferleistungen für Familien
in eine Kasse aufnehmen sollte. Das ist natürlich ein anderes Ziel als Wachstum und Beschäftigung.
({2})
Vielleicht verstehen Sie an Ihrem eigenen Beispiel, warum es richtig ist, die Ziele weiter zu fassen und Ihrem
Antrag nicht zuzustimmen.
({3})
Ich rate der Bundesregierung, wie es jeder Industriebetrieb macht, wenn es neue Rahmenbedingungen gibt,
zunächst einmal eine Schulung zu machen, was sie eigentlich mit der Föderalismusreform I beschlossen hat.
Es ist eine Zumutung und schafft Politikverdrossenheit,
wenn man mit großem Trara - Herr Stoiber sprach von
der „Mutter aller Reformen“ - eine Reform macht, aber
am Schluss selber nicht weiß, was man beschlossen hat,
und einen Bundespräsidenten in die Situation zwingt, in
der er sich offensichtlich in den letzten Wochen und Monaten befunden hat. Da hilft übrigens Bundespräsidentenkritik nichts. Wenn Sie Gesetze machen, die auf den
ersten Blick nicht gesetzeskonform sind, dann können
Sie nicht sagen, dass der Bundespräsident, wenn er entsprechend reagiert, schlecht ist und man ihn nicht wieder
wählt. Sie als Bundesregierung müssen sich in Zukunft
klarer machen, was Sie beschlossen haben und was zu
tun ist.
({4})
Ich habe die Hoffnung, Herr Struck, dass wir mit der
Föderalismusreform II etwas Neues bewegen können.
Ich will eines vorwegschicken: Wenn jetzt alle in den
Graben gehen und auf die Rechnung schauen, ob sie gewinnen oder verlieren, und wenn sie verlieren, Nein sagen, dann können wir das gleich lassen. - Ich weiß nicht,
ob das mit dem Begriff Win-win-Situation zu meistern
ist, Herr Kollege. Es kommt darauf an, dass auch die
neuen Länder, die im Länderfinanzausgleich gegenwärtig Nehmerländer sind, also etwas bekommen, einsehen,
dass sie von einer neuen Struktur vielleicht nicht kurzfristig - von einem Haushaltsjahr aufs nächste Haushaltsjahr -, aber insgesamt profitieren können, weil es
den Föderalismus stärkt, wenn man zum Beispiel über
Finanzautonomie und andere Schritte in der Finanzverfassung der Länder nachdenkt.
Ich appelliere an die nicht anwesenden Ministerpräsidenten, dass es keinen Sinn hat, zu sagen: Ich rechne das
aus und wenn es eine Veränderung ins Negative gibt,
dann lehnen wir es ab. - So würden Tabufelder abgesteckt und für Peter Struck wäre überschaubar, welche
Themen noch zu behandeln sind. Es bliebe nämlich nur
eine minimale Ebene übrig, über die man dann noch reden könnte.
({5})
Es müssen also alle deutlich machen, ob sie diese Reform wollen. Man kann nicht sagen, dass man über bestimmte Themen nicht redet. Das gilt übrigens auch für
den Bund; darauf werde ich gleich zu sprechen kommen.
Die Frage, die wir auch zu beantworten haben, ist, ob
wir in einem Mechanismus zwischen Bund, Ländern und
Gemeinden das Schuldenproblem der Bundesrepublik
Deutschland wenigstens mittelfristig in den Griff bekommen oder nicht. Wir haben auf allen drei Ebenen gegenwärtig Zinszahlungen in Höhe von 68 Milliarden
Euro zu leisten. Man braucht niemandem in diesem
Hause und in der Öffentlichkeit zu sagen, welchen Gestaltungsspielraum wir hätten, wenn wir nicht so hohe
Zinslasten hätten. Das heißt, politische Entscheidungen
der Vergangenheit haben dazu geführt, dass wir heute
70 Milliarden Euro weniger in Bildung, Zukunft, Umweltschutz usw. investieren können. Dies setzt eigentlich
die Verpflichtung in Gang, für die Zukunft einen anderen
Weg zu finden und nicht mehr so weiterzumachen.
({6})
Dann, Frau Kollegin Tillmann, müssen wir aber über
die Substanz reden. Ich finde, dass Art. 115 des Grundgesetzes nicht mehr taugt, um die Haushalte zu stabilisieren und die Verschuldung aufzuhalten. Ich finde auch,
dass das Wachstums- und Stabilitätsgesetz aus dem
Jahre 1967 mit dem Mechanismus - Sie haben das
zitiert -, dass man immer wieder eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts feststellt und es
überhaupt keine Verpflichtung gibt, in Jahren guter konjunktureller Entwicklung die Schulden zu tilgen bzw.
wenigstens die Nettoneuverschuldung signifikant zu
senken, nicht mehr funktioniert. Wenn wir heute in der
Finanz- und Haushaltspolitik feststellen, dass die Gesetzgebung bis hin zum Art. 115 des Grundgesetzes
- damit ist ja auch der Investitionsbegriff verbunden ungenügend ist und dies Bund, Länder und Gemeinden
systematisch in die Staatsverschuldung führt, dann muss
das Wachstums- und Stabilitätsgesetz aus dem Jahre
1967 verändert und ein vernünftiger Mechanismus etabliert werden, damit wir den Weg aus dem Schuldenstaat
finden können. Das erwarte ich von der großen Koalition.
({7})
Wir vom Bündnis 90/Die Grünen glauben, dass der
richtige Weg der ist - das betrifft nur die Richtung, weil
nicht alles übertragbar ist -, den die Schweizer mit der
so genannten Schuldenbremse eingeschlagen haben. Die
Idee ist einfach. Zuerst müssen die strukturellen Defizite
der Haushalte ausgeglichen werden. - Wieso sage ich
„einfach“? Das ist ein kompliziertes Unterfangen; aber
dies ist die Voraussetzung. - Dann muss ein Mechanismus in Gang gesetzt werden, der es erlaubt, dass in
schwierigen Konjunktursituationen etwas mehr für Investitionen ausgegeben werden kann, während in Zeiten
einer guten Konjunkturentwicklung zwingend stärker
konsolidiert werden muss, als es in der Vergangenheit
- ich füge hinzu: auch in der Gegenwart - in Deutschland der Fall war bzw. ist. Das heißt, vereinfacht ausgedrückt, Schuldenbremse.
Wie wir das gesetzlich realisieren, ist für mich der
zentrale Gegenstand der Kommission. Ich finde übrigens, Herr Finanzminister Steinbrück, dass der Bund so
etwas in seinem Bereich vorher selber machen sollte.
Das kann er und das hätte sehr positive Auswirkungen
auf die Kommissionsverhandlungen. Ich finde, dass Sie
mehr für die Konsolidierung machen müssen, als bisher
in der konjunkturstarken Zeit geschehen ist. Wer aufgrund von neuen Steuern und Privatisierungserlösen
mehr als 20 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen hat,
aber die Nettoneuverschuldung nur um 11 Milliarden
Euro reduziert, wie es in dem Haushalt, den wir beschlossen haben, geschehen ist, der kann nicht sagen,
dass er die Konsolidierung im Griff hat. Der hat ein bisschen mit Steuermehreinnahmen jongliert, aber nicht
wirklich die strukturellen Verhältnisse verändert.
({8})
Wir müssen natürlich auch über die Steuerverteilung
reden. Entscheidend ist die Frage, ob die Länder mehr
Steuerautonomie bekommen. Wir würden das befürworten. Entweder müsste eine Steuer von den Gemeinschaftsteuern den Ländern ganz übertragen werden oder
es müsste wenigstens dafür gesorgt werden - das ist die
mildere Variante -, dass die Länder bei einer Steuerart
zusätzliche Hebesätze festlegen können und somit einen
gewissen Gestaltungsspielraum bekommen.
Sie, Herr Ramelow, machen es sich leicht, wenn Sie
gegen Wettbewerbsföderalismus sind. Ich würde Ihnen
raten, darüber noch einmal in Ruhe nachzudenken. Ich
finde, es kommt darauf an, was man darunter versteht.
Dass die Länder in einem bestimmten Wettbewerb stehen müssen - in einem solidarischen Wettbewerb, bei
dem der Ausgleich systematisch und fair organisiert
ist -,
({9})
ist logisch; denn so, wie die Situation heute ist, kann es
passieren, dass weder die starken noch die schwachen
Länder weiterkommen. Deswegen muss die 12-ProzentRegel, nach der die ersten 12 Prozent der Mehreinnahmen nicht in den Länderfinanzausgleichsmechanismus
eingehen, verändert werden. Das ist zu wenig. Wir haben
heute die Struktur - wer die Debatten über den Länderfinanzausgleich kennt, der weiß das -, dass es sich weder
für ein starkes Land lohnt, Mehreinnahmen zu erzielen
- das merken Sie beim Steuervollzug -, noch für ein
schwaches Land. Auch da müssten Sie einmal darüber
nachdenken, wie Betriebsprüfungen im Steuerbereich
ausfallen und ob sie intensiviert werden können.
Ich sage klar: Es muss einen Wettbewerbsföderalismus geben; aber er muss systematisch solidarisch sein
und darf vor allem nicht nur immer wieder einmal einen
Ausgleich für die Schwachen schaffen, sondern muss sie
dauerhaft stärken. Das konnten wir bei den Zahlungen
an das Saarland und an Bremen bis zum Jahr 2004 sehr
deutlich feststellen.
({10})
Wir werden, Peter Struck, konstruktiv in der Kommission mitarbeiten. Ich finde, dass man die Länder und
die Landtage stärker hätte beteiligen müssen. Auch das
ist ein Grund, warum wir dem Antrag von SPD, CDU/
CSU und FDP nicht zustimmen. Wenn man wirklich
eine grundsätzliche Reform plant, ist es wichtig, dass die
Länder und die Länderparlamente stärker gehört werden und mitreden können, als Sie es vorgeschlagen haben.
In der Summe kann ich sagen: Machen wir uns an die
Arbeit! Es wird mühsam. Vergessen wir die starken
Sprüche vom Durchregieren; beziehen wir Bund und
Länder ein und setzen wir darauf, dass alle im Grundsatz
ein Interesse daran haben müssen, die Finanzverfassung
in Deutschland zu verändern! Dann kann man wahrscheinlich zu vernünftigen Vorschlägen kommen.
Danke.
({11})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Peer
Steinbrück.
({0})
Guten Morgen, sehr geehrter Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe kein Originalzitat von Laotse oder Konfuzius zu liefern.
({0})
- Wenn Sie mich auffordern, Herr Fricke, einen englischen Premier zu zitieren, würde das Zitat abgewandelt
lauten: Es gibt nur noch drei Menschen in Deutschland,
die den deutschen Föderalismus und insbesondere die
Finanzbeziehungen wirklich verstehen. Der eine ist tot,
der zweite ist verrückt geworden und der dritte ist ein namentlich unbekanntes Mitglied dieses Hohen Hauses,
das alles vergessen hat.
({1})
Das wirft in der Tat ein gewisses Licht auf das Haus.
Deshalb ist der heutige Freitag durchaus ein bedeutender
Tag bei der Umsetzung eines wichtigen Vorhabens aus
der Koalitionsvereinbarung, nämlich der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung.
Ich fürchte, das ist für die Bürgerinnen und Bürger,
die uns heute zuschauen oder zuhören, eine ziemlich trockene Materie. Alle reden über diesen sehr komplizierten, komplexen deutschen Föderalismus; aber wie er
wirklich funktioniert - dabei will ich von dem Spezifikum des Finanzausgleiches gar nicht reden - weiß niemand so genau. Aber ich will allen zurufen: Es ist eine
ziemlich wichtige Frage, weil die innenpolitische Handlungsfähigkeit und insbesondere die Europatauglichkeit
der Bundesrepublik Deutschland in der EU davon in einem erheblichen Ausmaß abhängig sind.
({2})
Ich fürchte, dass der deutsche Föderalismus, wie er sich
in den letzten Jahren entwickelt hat, eher handlungsunfähiger geworden ist und dass wir in Europa nicht so
stark aufgestellt sind, wie wir es eigentlich sein müssten,
um das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland angemessen zur Geltung zu bringen.
({3})
Ich bin der Meinung, dass der Effekt der ersten Stufe
der Föderalismusreform nicht ganz angemessen beurteilt
wird. Der Erfolg ist größer, als wir ihn selber dargestellt
haben; denn diese Stufe der Föderalismusreform leistet,
wie ich finde, einen bemerkenswerten Beitrag zur stärkeren Entflechtung der Verfassungsorgane Bundestag
und Bundesrat und damit zur Begegnung bestehender
Reibungsverluste, gerade mit Blick auf die zustimmungspflichtigen oder einspruchsberechtigten Gesetze,
die es früher gegeben hat. Dies ist mit der Föderalismusreform I gelungen.
Ich begrüße wie alle Redner hier außerordentlich,
dass der Bundestag und der Bundesrat heute eine gemeinsame Kommission zur Modernisierung der BundLänder-Finanzbeziehungen einsetzen werden. Es wird
Sie nicht wundern, dass ich es auch sehr begrüße, dass
vier Mitglieder der Bundesregierung zum ersten Mal ordentliches Mitglied einer solchen Kommission mit
Stimmrecht sind.
({4})
- Sehen Sie, ich habe damals noch nicht auf der Regierungsbank gesessen, sondern auf der Länderbank, und
war ein ordentliches Mitglied. Aber es hat mich schon
gewundert, dass die Bundesregierung in der ersten Föderalismuskommission reinen Gaststatus hatte, obwohl sie
doch auch ein Verfassungsorgan der Bundesrepublik
Deutschland ist.
Ich glaube allerdings, dass wir uns und denen, die
diese Beratungen verfolgen, nichts vormachen sollten.
Vor uns liegt eine Titanaufgabe. Das erste Halbjahr 2007,
in dem wir eine Doppelpräsidentschaft innehaben, wird
noch nicht einen solchen Sitzungsrhythmus hervorbringen, der uns in die Lage versetzt, sehr schnell Ergebnisse
vorweisen zu können. Ich finde es wichtig, dass sich nach
Konstituierung der Kommission im Januar beide Seiten,
die Länder wie auch der Bund, über den Themenkatalog
sehr schnell verständigen und abstimmen.
Die Interessenunterschiede laufen nicht an politischen Linien wie A-Länder/B-Länder entlang, sondern
entlang Linien wie Groß/Klein, Ost/West, Geberland/
Nehmerland. Das habe ich unmittelbar erfahren, als ich
Mitglied einer Landesregierung war. Allen ist daher bewusst, dass eine Reform der Bund/Länder-Finanzbeziehungen angesichts der enormen Interessenunterschiede
kein leichtes Unterfangen sein wird.
Man muss einen gewissen Spagat machen: Einerseits
stellt sich insbesondere mit Blick auf die Zweidrittelmehrheiten der großen Koalition in Bundestag und Bundesrat die Frage, wann, wenn nicht jetzt, das Fenster
weit genug geöffnet ist, um eine grundlegende Reform
durchzuführen. Wenn dieses Fenster wieder geschlossen
sein sollte, wird es natürlich umso schwieriger sein, an
der Stelle anzuknüpfen, an der man vorher gescheitert
ist, selbst unter den relativ günstigen Bedingungen einer
großen Koalition. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich unterstreichen, Herr Kuhn, dass ich die Meinung
von Herrn Struck teile, dass es keine parteipolitische
Veranstaltung ist. Sie darf es nicht sein und sie wird es
angesichts der Interessendivergenzen auch nicht sein.
Andererseits wissen wir, dass man sich an diesem
Thema die Zähne ausbeißen kann. Ich selber habe über
zwei bis drei Jahre - Volker Kröning kann sich daran erinnern - allein an der Neuorganisation des Finanzausgleichs mitgearbeitet. Ich weiß nicht, wer richtigerweise
darauf hingewiesen hat - ich glaube, es war Frau
Tillmann oder Herr Burgbacher -, wie wichtig es wäre,
den Finanzausgleich ebenfalls horizontal und vertikal
mit einzubeziehen. Vielleicht erinnern Sie sich daran:
Das hat uns das letzte Mal drei Jahre gekostet. Aus der
Sicht vieler ist dabei eine Minilösung herausgekommen.
Aus der Sicht vieler anderer wiederum war das, was dabei herausgekommen ist, schon zu viel Wettbewerbsföderalismus.
({5})
Das ist die Schwierigkeit, in der wir uns befinden.
Mein Ansatz als Bundesfinanzminister ist deshalb zunächst sehr pragmatisch. Ich würde mich erst einmal auf
die Frage konzentrieren, wie wir Haushaltsrisiken und
Haushaltskrisen im Bundesstaat vermeiden können. Das
oberste Reformziel in meinen Augen ist also in der Tat
die Begrenzung der Staatsverschuldung und die Vermeidung von Haushaltskrisen. Dass das eine wichtige
Rolle spielt, kann man am Bundeshaushalt der vergangenen Jahre ablesen, in denen wir die Regelgrenze gemäß
Art. 115 des Grundgesetzes nicht eingehalten haben.
({6})
Das kann man an den Hinweisen erkennen, die Sie richtigerweise mit Blick auf die Zahl der Länder gegeben haben, die schon bei der Aufstellung ihrer Haushalte die
Ausnahmeregelungen ihrer Landesverfassungen in Anspruch nehmen müssen. Das kann man auch daran sehen, dass wir vier Mal in Folge die Einhaltung der 3-Prozent-Defizitgrenze von Maastricht nicht geschafft haben.
Im Jahr 2006 haben wir sie erstmals wieder erfolgreich
eingehalten.
Wie problematisch die Situation ist, hat nicht zuletzt
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Fall von
Berlin ausgewiesen. Die Verfahren in Bezug auf das
Saarland und Bremen sind immer noch anhängig. Ich
glaube, dass die Vermeidung von Haushaltsnotlagen
und das Nachdenken über die Frage, wie wir stärkere
disziplinierende Klammern zur Haushaltssanierung verankern können, die Hauptaufgaben sind. Das hat uns übrigens das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil als
Aufgabe im Rahmen der Beratungen der zweiten Föderalismuskommission mitgegeben.
({7})
Ich will den Debatten nicht vorgreifen und daher im
Augenblick nicht sagen, wie die präventiven Verschuldungsregelungen aussehen könnten. Ich habe gelegentlich darauf hingewiesen, man könnte daran denken,
analog den Stabilitäts- und Wachstumspakt und den
Maastrichtvertrag anzuwenden. Man kann versuchen,
die Verschuldensregeln einfachgesetzlich anders zu fassen. Man kann - das ist mein dritter Hinweis - die jetzige Möglichkeit, von den Verschuldensregelungen mit
Hinweis auf die Abwehr eines gesamtwirtschaftlichen
Ungleichgewichts abzuweichen, sehr viel stärker einschränken, indem man Regeln verankert, unter welchen
Bedingungen ein solches Vorgehen überhaupt möglich
ist. Das gilt dann auch für die Länder.
Ich stimme Herrn Kuhn zu: Es wäre des Schweißes
der Edlen wert, sich anzuschauen, was in anderen Ländern passiert. Das Schweizer Beispiel ist hochinteressant; das unterstreiche ich ausdrücklich. Ich habe den
Eindruck, dass dieses Beispiel auf allen Seiten des Parlamentes - auch aufseiten der FDP - die Neugier wecken
könnte, einmal nachzuschauen, ob es in anderen Ländern
Best Practices gibt, die man aufgreifen könnte.
Wenn wir uns mit stärkeren und präventiven Verschuldungsregelungen beschäftigen, landen wir automatisch bei der Frage - sie wurde richtigerweise schon
gestellt -, ob die Länder, um solchen Verschuldensregelungen auch folgen zu können, nicht eine größere
Steuerautonomie brauchen. Diese Frage wird uns in
diesem Zusammenhang beschäftigen. Ich glaube nicht,
dass die großen Gemeinschaftssteuern aufzuteilen sind.
Ein Ländervertreter hat mir einmal in einem Zustand
geistiger Verwirrung angeboten, die Länder sollten die
Einnahmen aus der Mehrwertsteuer bekommen - vielleicht wollte er mich auch nur schlicht und einfach auf
den Arm nehmen - und der Bund im Gegenzug die Einnahmen aus der Einkommensteuer. Das wäre ein ganz
merkwürdiger Deal, weil die Dynamik des Mehrwertsteueraufkommens viel höher ist als die der Einkommensteuer.
({8})
Es wird letztlich darum gehen, dass die Gemeinschaftssteuern erhalten bleiben. Aber wir reden möglicherweise
über Zuschlagsrechte, und zwar nicht nur bei den GeBundesminister Peer Steinbrück
meinschaftssteuern. Das ist in diesem Zusammenhang
ein wichtiges Thema.
({9})
Ein weiteres wichtiges Thema, das aus meiner Sicht
in den Debatten, die im Vorfeld des heutigen Tages geführt worden sind, etwas unterbelichtet war, sind die Erfahrungen, die der Bund mit Geldern macht, die er zwar
nicht für die Daseinsvorsorge, aber für bestimmte Leistungen auf kommunaler Ebene bereitstellt, ohne dass er
nach der jetzigen Finanzverfassung der Bundesrepublik
Deutschland in direkten Finanzbeziehungen mit der
kommunalen Ebene steht. Als Bundesfinanzminister
sage ich Ihnen freimütig: Ich möchte nicht, dass die
Kommunen je zum Bestandteil des Bundes werden.
({10})
Dann haben wir sie täglich vor der Tür stehen; das wissen
wir alle. Sie sind vielmehr nach wie vor Bestandteil der
Länder. Ich mache aber die Erfahrung, dass es, wenn der
Bund bereit ist, behilflich zu sein, auf dem Weg hin zu
den Kommunen gewisse klebrige Hände geben kann und dies massiv.
({11})
Das Thema der Regionalisierungsmittel für die Förderung des Schienenpersonennahverkehrs - ich will dieses Thema nicht sehr strapazieren - ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Es ist zu fragen: Inwieweit
führen die Bundesmittel, die auf der Basis des Regionalisierungsgesetzes gewährt werden, dazu, dass die Länder eigene Mittel für Verkehrsinvestitionen einsparen?
Ein viel problematischeres Thema haben wir gerade
erörtert: Das sind die Kosten der Unterkunft.
({12})
War die Einigung im Vermittlungsausschuss zu den Kosten der Unterkunft eigentlich nicht damit verbunden,
dass die Kommunen 1,5 Milliarden Euro für die Betreuung der unter dreijährigen Kinder ausgeben sollten? Wie
sieht das in den Ländern aus?
({13})
Ein weiteres Beispiel, um deutlich zu machen, über
wie viel Geld wir reden, ist die, wie ich finde, seinerzeit
richtige Maßnahme des Bundes - ich war nicht beteiligt;
deshalb Kompliment an diejenigen, die es beschlossen
haben -, für den Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen ein 4-Milliarden-Programm aufzulegen. Was
kommt da eigentlich auf welchem Wege bei denjenigen
an, die wir damit erreichen wollen, nämlich bei den Kindern und Eltern, die von der Bereitstellung der entsprechenden institutionellen und personellen Infrastruktur einen Nutzen haben sollen? Dieses Thema wird, wie ich
glaube, eine erhebliche Rolle spielen.
Letzter Punkt in diesem Zusammenhang. Ich bin auch
an einer Effizienzverbesserung in der Steuerverwaltung
interessiert.
({14})
Denken Sie allein an das Thema der Steuerhinterziehungsbekämpfung; ich beziehe mich da jetzt einmal
nur auf die Mehrwertsteuer. Sie alle kennen das System
der Karussellgeschäfte, das auf der europäischen Ebene
aufgrund unseres Drängens, ein anderes Erhebungssystem einzuführen - es hat den sehr komplizierten Begriff
„Reverse-Charge-Modell“ -, eine Rolle spielt. Nun ist
Deutschland ohnehin aufgrund seiner wirtschaftsgeografischen Lage das prädestinierte Opfer krimineller Energie. Wir laden dazu insbesondere deswegen ein, weil wir
auch noch föderal strukturiert sind. Wir sollten aus meiner Sicht auch dort einen Einstieg schaffen, indem wir,
zumindest auf diese für den Betrug sehr anfällige Steuerart bezogen, zum Beispiel eine einheitliche Bundessteuerverwaltung einführen. Das gehört aus meiner Sicht
zwingend zu dieser Debatte.
({15})
Fazit: Wir haben uns ein sehr großes Rad vorgenommen. Aber ich finde, dass wir dieser Herausforderung
mit Unterstützung aller Kräfte im Deutschen Bundestag
und, wie ich hoffe, in einem konstruktiven Verhältnis mit
den Ländern entsprechen. Ich glaube, dass die Erwartungen nicht gering sind, selbst wenn die Materie nicht für
jeden Bürger und jede Bürgerin leicht verständlich ist.
Das ist sie letztendlich auch für uns selber nicht.
({16})
- Ja, man muss da Überzeugungskraft haben. - Aber für
die zukünftige Handlungsfähigkeit und Europatauglichkeit des föderalen Gebildes, das viele Vorteile hat und
das wir nicht aufgeben, sondern stärken wollen, wird die
Arbeit dieser zweiten Föderalismusreform eine erhebliche Bedeutung haben. Die Vertreter der Bundesregierung werden ihre Möglichkeiten einbringen, damit es zu
einem guten Ergebnis kommt.
Herzlichen Dank.
({17})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing
von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
der Debatte heute Morgen sind schon viele Persönlichkeiten zitiert worden, nur die Bundeskanzlerin nicht.
Weil wir Ihnen eine offene, konstruktive Zusammenarbeit bei diesem Vorhaben zugesichert haben, will ich
das jetzt nachholen. Die Bundeskanzlerin hat im Anschluss an die erste Föderalismusreform gesagt: Viele
Bürger wussten nicht mehr, wer in unserem Land für
was zuständig ist. - Ich will anfügen, dass das auch nach
der ersten Reform nicht klar ist. Vor allen Dingen ist
nach der ersten Reform nicht klar, wer für was bezahlt.
Genau das müssen wir jetzt klarstellen. Das wollen wir
gemeinsam angehen.
Die Reform der Finanzbeziehungen - Herr Minister
Steinbrück, Sie haben das zu Recht betont - ist eine Herkulesaufgabe. An ihr wird sich zeigen, wie reformfähig
unser Land ist. Diesmal geht es nicht um die Reformbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, sondern um die
Reformbereitschaft und Reformfähigkeit der politischen
Klasse. Dieser Verantwortung müssen wir uns ständig
bewusst sein. Wir haben den Menschen in den letzten
Jahren viel Reformwillen und Reformbereitschaft abverlangt. Jetzt wird sich zeigen, wie reformwillig und reformbereit die Politik ist. Ein Scheitern der Föderalismuskommission II würde das Vertrauen der Deutschen
in die Problemlösungsfähigkeit unseres Landes weiter
schwächen. Das können und wollen wir uns nicht leisten. Deswegen wird die FDP dieses Vorhaben konstruktiv und offen begleiten.
Wir wollen den Menschen zeigen, dass Politik fähig
ist, die Probleme unseres Landes zu lösen. Ich hoffe,
dass wir mit unserem Mut und unserem Willen zur Veränderung auch der Bevölkerung Mut machen: Mut zu
Reformen, Mut zu Veränderungen und Mut zur Gestaltung der Zukunft unseres Landes.
Die Messlatte liegt hoch, sogar sehr hoch. Wie sagt
man so schön: Beim Geld hört der Spaß auf! Wir werden
nur Erfolg haben, wenn wir alle bereit sind, an der einen
oder anderen Stelle Abstriche zu machen und aufeinander zuzugehen. An dieser Stelle appelliere ich ganz besonders an die Union. Sie hat eine besondere Verantwortung. Sie stellt nämlich nicht nur die Bundeskanzlerin,
sondern auch die Mehrzahl der Ministerpräsidenten.
Eine Finanzreform ohne Ergebnis wäre auch ein politischer Offenbarungseid der Union. Die Bundeskanzlerin
ist als Vorsitzende der CDU besonders gefordert.
({0})
Macht ist kein Selbstzweck. Macht ist auch Verantwortung. Man kann sie nicht nur für sich selbst beanspruchen; sie muss vielmehr verantwortungsbewusst für
die Allgemeinheit genutzt und im Sinne der Bürgerinnen
und Bürger eingesetzt werden. Die Menschen erwarten
von den politisch Verantwortlichen viel. Sie werden genau beobachten, wie sich die Ministerpräsidenten verhalten und ob sie bereit sind, sich ihrer Verantwortung zu
stellen. Auch die Ministerpräsidenten sind dem Gemeinwohl des gesamten Landes verpflichtet.
Die Union hat hierbei großen Einfluss und die Menschen sind sehr gespannt, wie sie diesen einsetzen wird.
In diesem Zusammenhang ist es nicht sehr hilfreich,
wenn einzelne Bundesländer unter der Hand signalisieren, dass sie kein großes Interesse an einer grundlegenden Neuordnung der Finanzbeziehungen haben. Auch
das muss an dieser Stelle gesagt werden.
({1})
So sollte man nicht in eine solche Kommission hineingehen; das muss an dieser Stelle gesagt werden. Wir sind
es unserem Land schuldig, offener an das Werk heranzugehen. Kleinstaatliches Denken, fehlender Mut und fehlende Reformbereitschaft untergraben das Vertrauen der
Menschen in die Politik und befördern letztlich Politikverdrossenheit. Dessen müssen sich alle bewusst sein.
Die Diskussion über die Reform der Finanzbeziehungen muss nach vorne gerichtet sein. Deswegen sind
Vorwürfe, wie sie der bayerische Ministerpräsident in
der vergangenen Woche gegenüber Berlin erhoben hat,
wenig hilfreich. Berlin weiß selbst, auch ohne Belehrung
durch Herrn Stoiber, dass es dringend sparen muss.
({2})
Die Bundeskanzlerin hat es gesagt: Die Arbeit wird
nicht einfach. Es gilt, ein dickes Brett zu bohren. Die
Union kann aber dafür sorgen, dass das Bohren dieses
dicken Brettes leichter geht.
Das Arbeitsprogramm liegt vor. Ob Verschuldensgrenzen, nationaler Stabilitätspakt oder Entbürokratisierung: Die Agenda ist ehrgeizig. Die FDP begrüßt außerordentlich, dass Herr Minister de Maizière - leider kann
er an der heutigen Debatte nicht teilnehmen - ausdrücklich erklärt hat, dass es bei der Themenfestsetzung keine
Tabus geben darf.
Herr Kollege Kuhn, die Begründung, die Sie dafür
geliefert haben, dass die Grünen den Antrag nicht unterstützen können, war alles andere als überzeugend.
({3})
Sie versuchen krampfhaft, sich zu Beginn der Debatte
über die Einsetzung der Kommission von den anderen
abzusetzen. Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist.
Wenn man Ihre Ausführungen hört, gewinnt man den
Eindruck, dass Sie Ihre eigenen Ziele nicht sehr couragiert verfolgen.
Herr Minister Steinbrück, ich begrüße es außerordentlich, dass Sie hier und heute eine Bundessteuerverwaltung gefordert haben. Wir werden dieses Vorhaben im
Rahmen der Kommission unterstützen. Sie haben es
sachlich begründet und können sicher sein, dass die FDP
in diesem Punkt an Ihrer Seite ist.
Wir sind bereit, konstruktiv an der Suche nach Lösungen mitzuarbeiten. Wir sind bereit, uns unserer politischen Verantwortung für das Land, für das Wohl der
Bürgerinnen und Bürger zu stellen. Die Föderalismusreform muss ein Erfolg werden. Ein Scheitern würde das
Vertrauen der Menschen in Deutschland in die demokratischen Institutionen schwächen. Wir sind in diesem
Sinne gemeinsam aufgerufen, die Kommission zu einem
Erfolg zu führen, nicht nur Bundestag und Bundesregierung, sondern auch die Ministerpräsidenten und alle, die
sich an der Föderalismuskommission beteiligen. Stellen
wir uns gemeinsam unserer großen Verantwortung.
({4})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. Wolfgang
Schäuble.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte die Gelegenheit dieser Debatte nutzen, um zunächst einmal ein wenig für das föderale Prinzip zu werben.
({0})
Denn angesichts der öffentlichen Debatten dieser Tage
- Schutz von Nichtrauchern - habe ich die Sorge, dass
wir die Prinzipien europäischer Verfassungstradition
nicht mehr richtig begreifen oder aus dem Blick verlieren. Die Tatsache, dass ein großes Problem einer Lösung
bedarf, beantwortet noch nicht die Frage, wer legitimiert
ist, ein solches Problem zu lösen. Dazu muss es eine verfassungsrechtlich begründete Kompetenz geben und eine
demokratische Legitimation.
Es ist wahr, dass die öffentliche Meinung dazu neigt
- das ist ganz allgemein so -, zu sagen: Ein großes Problem muss eigentlich auf einer hohen Ebene geregelt
werden. Aber konsequent zu Ende gedacht, hieße das,
dass der Nichtraucherschutz letztlich durch die UNO geregelt wird.
({1})
Spätestens dann werden wir auf ein zweites Problem
stoßen: In der globalisierten Welt mit ihren großen Veränderungen und schnellen strukturellen Umbrüchen
wächst ungeheuer viel Verunsicherung. Eine der Voraussetzungen für die Zukunftsfähigkeit und die Stabilität
unserer demokratischen verfassungsmäßig gebundenen
freiheitlichen Ordnung ist, dass die Bürger sich in dieser
Ordnung zu Hause fühlen, dass sie Orientierung finden.
Das ist eine der großen Fragen; sie ist nicht leicht zu beantworten. Alle Umfragen belegen, dass die Zustimmung zu den demokratischen Institutionen nicht wächst;
uns beschäftigt die abnehmende Wahlbeteiligung usw.
Das ist nicht nur in Deutschland so.
Ich glaube, dass es bei der Suche nach Antworten darauf vielleicht nicht falsch ist, sich an die Vorteile föderaler Ordnungen zu erinnern: Nähe der Entscheidung
zu den Menschen, dezentrale Entscheidungsfindung,
Machtbegrenzung und Machtverteilung sowie mehr
Chancen für die Partizipation der Menschen. Deswegen
bin ich ein überzeugter Anhänger der föderalen Ordnung
unseres Grundgesetzes und halte sie nicht für einen
Standortnachteil.
({2})
Das zu vertreten, ist manchmal schmerzlich - ich habe
gerade die Debatte dieser Woche erwähnt -, aber trotzdem halte ich es für richtig.
In diesem Sinne ist die Debatte über Wettbewerbsföderalismus nicht falsch: Lasst uns doch ausprobieren,
wer die besseren Ergebnisse erzielt.
({3})
Dann werden die, die schlechtere Ergebnisse haben, von
denen, die bessere Ergebnisse haben, lernen.
Mir hat einmal der frühere Bremer Bürgermeister
Henning Scherf - ich glaube, ich darf das sinngemäß zitieren; es ist lange genug her - in einem Gespräch gesagt: Wir haben von den „Bremer Verhältnissen“ in der
Hochschule - das war seinerzeit ein Begriff in der bildungspolitischen Debatte, der nicht eben als Qualitätsmerkmal aufgefasst wurde - genug und versuchen jetzt,
von anderen zu lernen. - Jetzt ist Bremen ein Wissenschaftsstandort - immerhin war man mit im Rennen um
die Benennung von Eliteuniversitäten - und niemand redet mehr von „Bremer Verhältnissen“. Das heißt: Der
Prozess des Benchmarking kann gerade für die Schwächeren durchaus gute Ergebnisse bringen. Deswegen
sollten wir ihn nicht kleinreden, sondern sagen: Es ist
richtig, notwendig und nützlich.
({4})
Ich will ausdrücklich auf das Bezug nehmen, was der
Kollege Steinbrück gerade gesagt hat: Die Föderalismusreform I wird in der öffentlichen Wahrnehmung unterschätzt. Sie bedeutet eine Stärkung unserer föderalen
Ordnung. Das ist aber nicht das Ende der Bemühungen;
das geht schrittweise. Es ist ein mühsamer, schwieriger
Prozess. Aber die Föderalismusreform ist, wie gesagt,
eine Stärkung der föderalen Ordnung. Wir sollten sie
richtig wahrnehmen. Wir sollten sie nutzen und auf diesem Weg vorangehen.
Ein anderer Punkt ist ebenfalls klar. Wir leben in einer
Zeit, in der die Haushaltsspielräume eng sind und der Widerstand gegen Veränderungen - nicht nur in den
politischen Parteien, egal ob sie nun in der Opposition
oder an der Regierung sind, sondern generell in unserer
Bevölkerung - groß ist. Die Forderung nach Reformen
wird zwar häufig erhoben, aber gegen jeden konkreten
Vorschlag einer Veränderung - egal von wem er kommt gibt es zunächst einmal ziemlich viele Widerstände.
Auch das ist wahr. Das hat auch etwas damit zu tun, dass
wir insgesamt in 60 Jahren, in einer glücklichen Phase
der deutschen Geschichte, viel erreicht haben und Ängste
gegenüber der Zukunft zunehmen. Deswegen ist der Widerstand gegen konkrete Veränderungen immer relativ
groß. Man muss also schrittweise vorangehen. Die Handlungsspielräume sind begrenzt.
Deswegen kann ich es auch verstehen, dass wir bei
der Neuordnung der Finanzbeziehungen nur dann wirklich etwas erreichen werden, wenn wir Synergieeffekte
erschließen. Natürlich wird jedes Land am Ende sagen:
Wenn für uns unter dem Strich wenig herauskommt,
kann ich es nicht verantworten. - Herr Steinbrück ist ja
einmal Ministerpräsident gewesen; ich darf sagen:
Glücklicherweise ist er es nicht mehr.
({5})
Wie Sie das „glücklicherweise“ interpretieren, ist jetzt
Ihre Sache. Aber klar ist: Niemand könnte so etwas verantworten. Auch die Bundesregierung kann nicht sagen:
Das ist kein Problem; das zahlt dann der Bund. - Also
müssen wir schon schauen, dass wir durch Synergieeffekte zu einer besseren Zusammenarbeit kommen.
Da gibt es eine Menge Bereiche, an die man in diesem
Zusammenhang denken könnte. Wir könnten beispielsweise nach dem Prinzip verfahren, dass ein Land für alle
anderen Länder Verwaltungsmodelle entwickelt. Es gibt
beim Zusammenwirken der Verwaltungen, der Bundesverwaltung, der Länderverwaltung, der Auftragsverwaltung, große Potenziale. Durch eine bessere Organisation
und Zusammenarbeit können wir uns Synergieeffekte erschließen, sodass wir am Ende die Handlungsfähigkeit
unseres föderal organisierten Gemeinwesens stärken und
gleichzeitig die Prinzipien von Machtteilung, Gewaltenteilung, Bürgernähe und Transparenz befördern. Denken
wir beispielsweise an die Nutzung moderner Kommunikationstechnologien für Verwaltungsabläufe: Da kann
der Bund Dienstleister für alle sein, aber man kann genauso - das hat man in der Steuerverwaltung teilweise
gemacht - verabreden, dass ein Land oder eine Oberfinanzdirektion vorangeht und die anderen es übernehmen. Wir müssen nicht gleichzeitig alles machen.
Ich verstehe die Rolle des Bundesinnenministeriums
in dieser Kommission ein Stück weit so, dass wir Vorschläge machen werden, mit denen wir durch Modelle
effizienterer Zusammenarbeit in der Verwaltung Synergiepotenziale erschließen wollen. Wenn wir uns gemeinsam darauf verständigen können, dass der Föderalismus
das richtige Organisationsprinzip für unsere freiheitliche
Demokratie ist und dass wir seine Leistungsfähigkeit
stärken wollen, dann haben wir eine Chance, unser Land
zu modernisieren und zugleich das Vertrauen und die
Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu seiner demokratischen Verfasstheit nachhaltig zu
stärken. Das ist das Wichtigste.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Katrin Kunert von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Gäste! Sehr geehrter Herr Steinbrück, die
Kommunen stehen ständig vor der Tür. Oftmals ist die
Tür zu. Deshalb will ich vorab sagen: Die Linke ist ohne
Wenn und Aber für starke Kommunen in diesem Land.
({0})
Die Föderalismuskommission II soll die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern modernisieren und
die Eigenverantwortung der Gebietskörperschaften und
ihre aufgabengerechte Finanzausstattung stärken. Auch
die Kommunen sind Gebietskörperschaften. Daher müssen die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und
Kommunen neu geordnet werden. Außerdem treten die
Kommunen im System der Finanzverfassung unmittelbar in Erscheinung. Neben dem Bund und den Ländern
fließen gemäß Art. 106 des Grundgesetzes auch den
Kommunen Steuereinnahmen zu. Wir fordern eine unmittelbare und umfassende Beteiligung der Kommunen. Die kommunalen Spitzenverbände müssen mit
Rede- und Antragsrecht ausgestattet werden.
({1})
Es muss bei dieser Reform um eine grundsätzliche
Neuordnung der Finanzen gehen und nicht um Kosmetik. Wir wollen den Anteil der Kommunen an den Einnahmen aus den Gemeinschaftsteuern wirksam erhöhen.
Derzeit beträgt dieser Anteil in Deutschland 13,2 Prozent. In Skandinavien hingegen liegt er zwischen 40 und
60 Prozent. Wir sagen: Die Verteilung der Finanzen
muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Es muss
auch Aufgabe der Kommission sein, eine nachhaltige
Gemeindefinanzreform auf den Weg zu bringen. Wenn
es aber bei der vorgeschlagenen Besetzung der Kommission bleibt, wird niemand die Interessen der Kommunen in diesen existenziellen Fragen vertreten.
({2})
Weder Bund noch Länder können dies tun. Die Interessenlagen sind viel zu unterschiedlich. Den Ländern wird
es in erster Linie um ihre Finanzausstattung gehen und
nicht darum, wie die Kommunen aufgestellt sind.
({3})
Das sind die „klebrigen Hände“, die Sie, Herr
Steinbrück, vorhin erwähnt haben.
({4})
In der Vergangenheit haben Bund und Länder über die
Kommunen hinweg Entscheidungen getroffen. Die
Folge sind zum Beispiel Mehrbelastungen bei den Kosten der Unterkunft. Es ist überhaupt nicht akzeptabel,
dass der Anteil, den die Kommunen an den Verwaltungskosten der Argen zu tragen haben, demnächst erhöht
werden soll. Dieser Kurs zulasten der Kommunen darf
nicht fortgesetzt werden. Die Bundespolitik muss sich
daran messen lassen, wie gut oder schlecht sie bis in die
unteren Ebenen wirkt und wie sie bei den Bürgerinnen
und Bürgern ankommt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie: Welche zwingenden Gründe gibt es, diese Kommission nicht
mindestens so zu besetzen wie die erste Kommission zur
Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung? DaKatrin Kunert
mals gab es für viele hier im Haus anscheinend gute
Gründe - ich darf zitieren -:
Schließlich haben wir die Interessen unserer Kommunen zu achten, ohne deren aktive Mitwirkung
am demokratischen Prozess unsere Demokratie von
unten her ausgetrocknet würde. Deswegen dürfen
wir sie auch finanziell nicht austrocknen.
So hat sich damals der Kollege Thierse geäußert. Dem
können wir nur zustimmen.
({5})
Die vorgesehene Beteiligung der Landtage und
kommunalen Spitzenverbände halten wir für angemessen.
Diese Position stammt von Herrn Böhmer, dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt.
Jetzt aber geht es um Geld. Die Kommunen sollen
zwar weiterhin möglichst viele Leistungen erbringen
und möglichst viel in eigener Sache entscheiden, aber
die Ressourcen und das Geld dazu sollen ihnen entzogen
werden. Die Formulierung, die Sie in Ihrem Antrag im
Hinblick auf die Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände gefunden haben - dort heißt es, dass sie „in geeigneter Weise“ einbezogen werden sollen -, ist uns
nicht verbindlich genug.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, fast jeder zweite
von Ihnen war oder ist in einer kommunalen Vertretung
tätig. Ich bitte Sie, unserem Antrag im Interesse der
Kommunen zuzustimmen.
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Volker Kröning von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich glaube, der heutige Auftakt zur zweiten
Stufe der Bundesstaatsreform im Deutschen Bundestag
kann sich hören und sehen lassen. Mit Interesse werde
ich die Debatte nachlesen, die zu diesem Thema parallel
im Bundesrat geführt wird. Peer Steinbrück hat in erfrischender Weise die Themen und Beispiele aufgelistet,
um die es bei den uns bevorstehenden Beratungen gehen
wird. Ich schließe nicht aus - ich fürchte es sogar fast -,
dass die nächste Zeit noch weitere Beispiele liefern wird.
Verehrter Herr Fraktionsvorsitzender Dr. Struck, gegenwärtig gibt es zum Beispiel zwischen Bund und Ländern und übrigens auch zwischen Staat und Wirtschaft
eine Auseinandersetzung über die Absicherung der FuEStrategie. Das ist eine praktische Frage, Herr Kollege
Kuhn, um die es auch bei der Verwirklichung der Wissensgesellschaft geht. Wir werden es also ständig mit
neuen Lehrbeispielen zu tun haben.
Das föderale Credo von Herrn Bundesminister
Schäuble, der meines Wissens noch nicht in der Landespolitik tätig war, übernehmen mein Fraktionsvorsitzender und ich sicherlich gerne. Ganz bescheiden gesagt,
Herr Minister, erwarten wir im Bundesrat eine Achse
Baden-Württemberg-Bremen.
Es scheint einen gemeinsamen Nenner einer breiten
Mehrheit in diesem Haus zu geben, was das erste Thema
auf der Agenda sein wird, sowie dass wir keine geschlossene Themenliste wollen. Obenan soll es um die
Prävention von Haushaltsnotlagen gehen. Ich rechne
allerdings fest damit, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit den Anträgen des Saarlandes und Bremens
erst beschäftigen wird, wenn es absehen kann, was der
Bundesgesetzgeber auch zur Bewältigung von Haushaltsnotlagen bzw. -beinahenotlagen tun wird.
Es sind bereits entsprechende Modelle genannt worden. Ich will uns Mut machen mit dem Beispiel der
Schuldenbremse, die im Jahre 2001, als wir mit dem
Solidarpakt II beschäftigt waren, von der Schweizer Bevölkerung mit 85-prozentiger Mehrheit gebilligt worden
ist. Und sie funktioniert. Der gewachsene Föderalstaat
Schweiz ist zwar klein, mit ihm kann sich die Bundesrepublik Deutschland aber am ehesten vergleichen.
({0})
Was ist das Interesse der Länder und was ist das Interesse des Bundes? Die Länder - das muss deutlich gesagt werden - sind Teil des bundesstaatlichen Finanzsystems, unabhängig von ihrer Zahl. Es ist schon zu Beginn
der Föderalismusreform I bekräftigt worden, dass
Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes - die so genannte
Ewigkeitsgarantie - die Gliederung der Bundesrepublik
in Länder festschreibt. Aber die Länder haben ein Problem - besonders in ihrem Verhältnis zum Bund, aber
auch in ihrem Verhältnis zu ihren Gemeinden -: Sie haben in ihren Budgets den höchsten Anteil der Fixkosten,
aber zugleich die schlechtesten Finanzierungsmöglichkeiten, erst recht wenn eine Schuldenbremse geschaffen
werden wird.
Es ist so viel von der Asymmetrie im Föderalismus
die Rede. Die Asymmetrie besteht vor allen Dingen zwischen den Ländern, aber auch innerhalb ein und desselben Landes sowie in den jeweiligen Länderhaushalten.
Während die Föderalismusreform I die Ausgabenautonomie der Länder gestärkt hat, wovon sie in der nächsten
Zeit sicher Gebrauch machen werden - Berlin hat damit
begonnen -, ist ihre Einnahmenautonomie bis auf die
Kreditaufnahme gleich null; doch gerade die soll ja begrenzt werden. Also bleibt die Frage von mehr Steuerautonomie, die wir bereits bei der Föderalismusreform I
andiskutiert haben, unausweichlich. Die Länder haben
dieses Thema noch nicht in ihre Themensammlung aufgenommen; doch sie werden dieser Frage nicht ausweichen können.
Es gibt auch klare Interessen des Bundes. Neben seinen Eigeninteressen hat der Bund auch gesamtstaatliche
Interessen. Denn als Einzelkörperschaft ist er leichter
handlungsfähig als die Ländergesamtheit, und im
Außenverhältnis wird er zur Verantwortung gezogen,
nicht die 16 Länder. Dazu will ich als Haushälter, der
sich für das Steuergeld verantwortlich fühlt, sagen: Der
Bund trägt 61 Prozent der gesamtstaatlichen Schulden;
aber er bekommt nur 42,1 Prozent des gesamten Steueraufkommens. Und der Gesamtschuldenstand - wir reden
nicht nur von der Neuverschuldung - von Bund und
Ländern, Gemeinden und Sozialkassen ist nach wie vor
zu hoch, von einem Schuldenabbau ist unser Gesamtstaat noch weit entfernt! Darum muss gehandelt werden;
das ist der eigentliche Grund, warum wir diese Stufe II
einleiten.
({1})
Eine Seitenbemerkung zur Neugliederung der Länder, einem seit einiger Zeit nicht mehr nur außerhalb,
sondern auch innerhalb des Hauses besonders beliebten
Thema, kann ich mir nicht verkneifen: Man kann eine
Neugliederung nach Art. 29 des Grundgesetzes vornehmen. Die Schwelle ist im Sinne von mehr Verantwortung
der Länder gesenkt worden; mit der Wiedervereinigung
ist aus einer Mussvorschrift eine Kannvorschrift gemacht worden. Debatten über die Fusion von Ländern
sind scheinbar tabuisiert. Dennoch werden manche geführt, zum Beispiel die über ein Land Berlin-Brandenburg. Ich finde, jedes Land sollte im Hinblick auf seine
Leistungsfähigkeit - das ist das Kriterium des Art. 29
Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes - auf den Prüfstand gestellt werden. Dazu sollte jedes Land bereit sein. Jedes
Land sollte sich allerdings auch fragen und in die Debatte einbringen, ob und unter welchen Voraussetzungen
föderaler Fairness es sich zutraut, auf einen grünen
Zweig zu kommen, das heißt, den allfälligen Strukturwandel zu bewältigen und mit den anderen Gliedern der
Gemeinschaft gleichzuziehen.
Herr Bundesminister Schäuble, Sie haben als Beispiel
das Land Bremen genannt. Hier hat sich gezeigt, dass
dies nicht ohne Hilfe möglich ist. Dieser Hilfe muss man
dann aber auch gerecht werden. Das ist ein mehrfaches
Wechselverhältnis. Deshalb gefällt mir die Formel von
Herrn Kollegen Kuhn vom fairen Wettbewerb sehr gut.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf aus der
heutigen Debatte, in der nicht alles vorweggenommen
werden konnte, zusammenfassen: Wir vonseiten des
Bundes werden parallel zu den Ländern einen eigenen
Standpunkt entwickeln. Ich begrüße es, dass die Bundesregierung auf die Bank des Bundestages aufgenommen
wurde. Das entwertet die Kommission, die beide gesetzgebenden Körperschaften umfasst, überhaupt nicht.
({3})
Im Gegenteil - ich erlaube mir eine etwas skeptische
Anmerkung -: Ich hätte es schön gefunden, wenn auch
die Länderregierungen und die Ministerpräsidenten bereit gewesen wären, die Landtage auf ihre Bank mitaufzunehmen.
({4})
Das wäre am heutigen Tage ein sehr guter parlamentarischer und föderaler Doppelauftakt gewesen.
Wir werden als Bund darauf aufpassen müssen, dass
wir den Gemeinden nicht zu sehr entgegentreten. Wir
haben den Gemeinden in den letzten Jahren schon sehr
viel Gutes getan. Die große Gemeindefinanzreform haben wir hinter und nicht vor uns.
({5})
Die Länder werden sich daran gewöhnen müssen, dass
sie die erste Adresse der Gemeinden sind.
Die Zeitspanne des 2001 neu geregelten und 2019
auslaufenden Finanzausgleichs und die eigentümliche
Norm des Art. 143 c Abs. 3 Satz 3 des Grundgesetzes,
die wir jüngst geschaffen haben - ich zitiere wörtlich:
„Die Vereinbarungen aus dem Solidarpakt II bleiben unberührt“ -, geben uns allen Planungssicherheit. Diesen
Satz richte ich vor allem an die Bundesratsvertreter in
der Kommission. Angesichts dieser Planungssicherheit
sollten wir uns vor einer offenen Diskussion nicht ängstigen.
Vielen Dank.
({6})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Hans-Peter
Friedrich von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich denke, die Debatte hat deutlich gemacht, dass es
richtig war, für die Föderalismusreform II eine sehr breit
gefasste und offene Themenliste vorzusehen. Ja, wir drehen damit ein sehr großes Rad; das haben wir uns vorgenommen, Herr Minister Steinbrück. Wir haben keinen
Grund zu Pessimismus.
Ich erinnere mich an die Einsetzung der Föderalismuskommission I. Damals waren viele, ja sogar die
meisten skeptisch. Und tatsächlich: Kurze Zeit später
- das war in der Vorweihnachtszeit vor zwei Jahren - ist
sie gescheitert. Aber die Ergebnisse, die in dieser Föderalismuskommission I erarbeitet wurden, waren Grundlage für weitere Beratungen, erst zwischen Stoiber und
Müntefering, später auch in den Koalitionsverhandlungen. Wichtig war, dass man einen langen Atem bewahrt
hat. Lieber Kollege Struck, ich wünsche Ihnen und
Herrn Ministerpräsidenten Oettinger, dass auch Sie in
dieser Föderalismuskommission II langen Atem haben,
den wir für einen Erfolg brauchen.
Dr. Hans-Peter Friedrich ({0})
Wir werden - ich denke, das hat diese Debatte deutlich gemacht - drei Kategorien von Themen angehen
müssen:
Der erste Themenbereich umfasst Themen, die besser
heute als morgen oder gar übermorgen gelöst werden
müssen. Ich meine damit vor allem die Aufgabe, den
Weg in den Schuldenstaat zu stoppen. Das muss noch
in dieser Wahlperiode mit klaren Regelungen gelingen.
({1})
Zweitens. Es gibt Themen, bei denen wir zwischen
Bund und Ländern bzw. zwischen den Ländern untereinander erst noch ein gemeinsames Verständnis entwickeln müssen. Dazu zählen die Bündelung von Verwaltungsaufgaben, Verwaltungsvereinfachung - Minister
Schäuble hat das schon angedeutet -, Erschließung von
Synergieeffekten und kritische Überprüfung von Staatsaufgaben. Das ist die zweite Kategorie, für die wir der
Diskussion innerhalb dieser Kommission eine Struktur
geben müssen.
Zur dritten Kategorie zählen die Themen, die auf die
politische Tagesordnung hier in Berlin und in Deutschland gehören. Wir wissen aber, dass wir die Probleme
nicht auf einen Schlag lösen können. Ein Stichwort ist
hier genannt worden, nämlich die Länderneugliederung.
Wir werden mit dieser Föderalismuskommission II einen politischen Prozess bzw. zumindest eine weiterführende Diskussion anstoßen. Ich denke, dass wir Georg
Paul Hefty, der in der „FAZ“ heute vor Illusionen warnt,
beruhigen können. Wir werden uns nicht überheben,
sondern ganz realistisch an die Dinge herangehen.
({2})
Das Ziel, die Finanzbeziehungen neu zu regeln, umfasst mehr als Grundgesetzänderungen. Grundgesetzänderungen werden aber nötig sein. Eine ist heute
schon genannt worden. Mit dem Art. 115 des Grundgesetzes wurde nicht das erreicht, was man sich erhofft
hatte: Die Verschuldung konnte nicht in breitem Maße
gestoppt werden. An dieser Stelle brauchen wir also eine
Verfassungsänderung. Dies gilt übrigens auch für andere
Bereiche. Zum Beispiel müssen beim Verteilen von Geld
mehr Pflichten gelten.
Wir werden aber auch eine zweite Kategorie der Gesetzgebung beachten müssen, nämlich einfachgesetzliche Regelungen unterhalb des Grundgesetzes. Auch
sie müssen Gegenstand der Diskussionen zwischen dem
Bund und den Ländern sowie innerhalb der Länder sein.
Ich denke zum Beispiel, dass mit Art. 109 des Grundgesetzes schon heute viele Möglichkeiten gegeben sind,
durch Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates
mehr Disziplin in der Haushaltsführung einzuführen.
Wir werden also sicher darüber diskutieren müssen, auch
auf der Ebene unterhalb der Verfassung Regelungen zu
treffen.
Die wichtigste Aufgabe ist, den Marsch in den Schuldenstaat zu stoppen. Roman Herzog, der frühere Bundespräsident, wird im „Tagesspiegel“ zitiert. Dort steht:
Der öffentliche Schuldenstand von insgesamt
1 500 Milliarden Euro sei das Ergebnis der „organisierten Verantwortungslosigkeit unserer derzeitigen Finanzverfassung“.
Unser Auftrag für diese Kommission ist, diese organisierte Verantwortungslosigkeit zu beenden.
({3})
Kollege Ernst Burgbacher, wir werden darüber streiten, ob wir ein generelles oder ein relatives Verschuldungsverbot einführen und ob wir Ausnahmen zulassen - wie auch immer. Das Ziel sollte uns allerdings
immer vor Augen bleiben: Wir wollen, dass die Neuverschuldung der Gebietskörperschaften - Bund, Länder
und Gemeinden - künftig nur noch eine Ausnahme und
nicht wie heute die Regel ist. Das muss uns gelingen.
Wer Schulden macht, ohne beantworten zu können, wie
er sie zurückzahlt, handelt verantwortungslos, unsolide
und unmoralisch - auch gegenüber den künftigen Generationen.
({4})
Die Bürger eines Landes müssen wissen, dass ihnen
die Regierung, die Schulden macht, letzten Endes die
Konsequenzen daraus - sie bestehen beispielsweise darin, einen handlungsunfähigen Staat zu hinterlassen aufbürdet. Letzen Endes zahlen die Bürger die Rechnung, die ihnen diejenigen, die Schulden machen, präsentieren.
Wir brauchen deswegen Mechanismen, um Haushaltsrisiken vorzubeugen, sie zu erkennen und sie zu bewältigen. Das Bundesverfassungsgericht hat uns in seinem Berlinurteil eine klare Anweisung - sozusagen
einen Handlungsauftrag, wenn ich es einmal so sagen
darf - dafür gegeben, indem es gesagt hat:
Das Bundesstaatsprinzip macht solche Bestrebungen
- nämlich solche Mechanismen zu entwickeln angesichts der gegenwärtig defizitären Rechtslage
erforderlich.
Es ist unsere Aufgabe, dieses Defizit durch diese Föderalismuskommission zu beseitigen.
Ich bedanke mich beim Verfassungsgericht für die
Steilvorlage, die wir mit dem Berlinurteil für die Arbeit
in der Kommission erhalten haben. Mit den Urteilen zur
Erforderlichkeitsklausel haben wir übrigens auch
schon bei der letzten Kommission Flankenschutz von
dem anderen Verfassungsorgan erhalten, für den wir uns
herzlich bedanken sollten.
Wir brauchen noch in dieser Wahlperiode einen nationalen Stabilitätspakt, der nicht nur so heißt, sondern seinen Namen auch verdient. Wir brauchen klare Maßstäbe
für die Neuverschuldung. Wir brauchen ein Frühwarnsystem für Haushaltskrisen, die den Ländern drohen.
Das ist auch eine Frage des demokratischen Prinzips, der
demokratischen Verantwortung: Möglichst zeitnah muss
Dr. Hans-Peter Friedrich ({5})
jede Regierung - nicht erst die übernächste Regierung für die Schulden, die sie den Bürgern aufbürdet, zur Verantwortung gezogen werden.
({6})
Georg Milbradt, der Ministerpräsident von Sachsen,
hat vorgestern in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ gesagt:
Wir können es uns nicht mehr leisten, dass auf der
einen Seite alle Länder auf ihre Finanzautonomie
pochen und gleichzeitig die Solidargemeinschaft
für hochverschuldete Länder einstehen muss.
Ich stimme diesem Zitat zu. Mit anderen Worten: Wer
sich beim Schuldenmachen auf Haushaltsautonomie
beruft, kann sich beim Zurückzahlen von Schulden nicht
auf Solidarität berufen.
({7})
Das Bundesverfassungsgericht hat uns mit seiner Berlinentscheidung und dem klaren Hinweis, dass jedes Land
für politische Entscheidungen und ihre Folgen selber
verantwortlich ist, in dieser Frage Flankenschutz gegeben.
Wir brauchen Sanktionsmechanismen. Ich habe jetzt
in der Diskussion gemerkt, dass wir durchaus unterschiedliche Ansatzpunkte haben. Man muss entscheiden,
was man will: mehr Rechte, von außen einzugreifen,
oder eine stärkere Entflechtung im Hinblick auf die Solidarität. Wir werden darüber streiten, was der richtige
Weg ist. Der Wissenschaftliche Beirat beim BMF hat
Vorschläge gemacht, wie man Haushaltskrisen bewältigen und ihnen rechtzeitig vorbeugen kann. Ich nenne
hier das Stichwort Stabilitätsrat. Das ist ein Thema,
dem wir uns sehr zügig widmen sollten.
Man muss sich allerdings im Klaren darüber sein,
dass aufgrund der Staatlichkeit der Länder Eingriffen
von außen Grenzen gesetzt sind. Ich bedanke mich herzlich bei Bundesinnenminister Schäuble, der auf die
große Bedeutung der föderalistischen Tradition unserer Verfassung hingewiesen hat. Wir haben die Staatlichkeit der Länder zu achten und müssen Rücksicht nehmen
auf das, was unsere Verfassungstradition ausmacht.
Ich möchte das Thema Länderneugliederung nicht
vertiefen. Nur so viel: Das ist keine heilige Kuh; das
muss auf die Tagesordnung.
Lassen Sie mich zuletzt etwas zu den Kommunen sagen. Die Kommunen sind über Art. 28 des Grundgesetzes, aber auch als Adressaten von Finanzzuweisungen
geschützt. Ich kann für meine Fraktion versichern, dass
wir die Kommunen, immer wenn ihre Rechte betroffen
sind, in die Diskussion, in die Verhandlungen einbeziehen werden. Wir, die Bundestagsabgeordneten der
Koalitionsfraktionen, können und wollen die Interessen
unserer Kommunen in der Föderalismuskommission
nachhaltig vertreten.
Ich danke Ihnen.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Ich bitte um Aufmerksamkeit, damit wir die folgen-
den Abstimmungen ordentlich durchführen können. -
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP mit
dem Titel „Einsetzung einer gemeinsamen Kommission
zur Modernisierung der Bund/Länder-Finanzbeziehun-
gen“. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die
wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/3888? - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei
Zustimmung der Fraktion Die Linke und der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3887? -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungs-
antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der FDP-Fraktion bei Zustimmung der Fraktion Die
Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
abgelehnt.
Jetzt kommen wir zum eigentlichen Antrag mit dem
Titel „Einsetzung einer gemeinsamen Kommission zur
Modernisierung der Bund/Länder-Finanzbeziehungen“
auf Drucksache 16/3885. Wer stimmt für diesen Antrag? -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-
Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und
Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
angenommen.
Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 16/3539 mit dem Titel „Beteiligung der
Landtage bei der zweiten Stufe der Föderalismusreform
und Information des Deutschen Bundestages“. Die Frak-
tion Die Linke hat namentliche Abstimmung verlangt.
Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass wir nach
der namentlichen Abstimmung noch die Mitglieder der
soeben eingesetzten Kommission mittels einfacher Ab-
stimmung wählen werden.
Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rer, die Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze eingenom-
men? - Dann eröffne ich die Abstimmung.
Sind noch Mitglieder des Hauses anwesend, die ihre
Stimme nicht abgegeben haben? - Das scheint nicht der
Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung
wird Ihnen später bekannt gegeben. 1)
Ich gehe davon aus, dass wir mit der Wahl der Mitglieder der Kommission fortfahren können. Deswegen
bitte ich Sie, sich auf Ihre Plätze zu begeben, damit ich
bei der kommenden Abstimmung einen Überblick habe.
({0})
1) Seite 7413 A
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, wieder Platz
zu nehmen.
({1})
Wir kommen damit zur Wahl der vom Deutschen
Bundestag zu entsendenden Mitglieder der gemeinsa-
men Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-
Finanzbeziehungen. Hierzu liegen Wahlvorschläge der
Fraktionen auf Drucksache 16/3886 vor. Wer stimmt für
diese Wahlvorschläge? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenom-
men. Damit sind die vom Deutschen Bundestag zu ent-
sendenden Mitglieder der gemeinsamen Kommission
gewählt.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 e
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel
Höhn, Undine Kurth ({2}), Ulrike
Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Kennzeichnungspflicht auf verarbeitete Eier
ausweiten
- Drucksache 16/3703 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({4})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Eva BullingSchröter, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Arbeitsplätze durch artgerechte Legehennenhaltung in Deutschland sichern - Verbot
der Käfighaltung ab 2007 durchsetzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn,
Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Undine Kurth
({5}) und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN
Verbot der Käfighaltung für Legehennen ab
2007 beibehalten
- Drucksachen 16/1128, 16/839, 16/1463 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Jahr
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({6}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth
({7}), Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN
Tierschutzpolitik energisch fortführen und
weiterentwickeln
- Drucksachen 16/550, 16/1464 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Jahr
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({8}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael
Goldmann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP,
der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter,
Dr. Gesine Lötzsch, Heidrun Bluhm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN sowie der Abgeordneten Undine Kurth ({9}), Bärbel Höhn, Rainder Steenblock, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Verbot der Einfuhr von Wildvögeln
- Drucksachen 16/1502, 16/2849 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Hans-Heinrich Jordan
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Undine Kurth ({10})
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({11}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth
({12}), Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Einfuhrverbot für Katzen- und Hundefelle
- Drucksachen 16/841, 16/3079 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Jahr
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Undine Kurth ({13})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Bärbel Höhn vom Bündnis 90/Die Grünen.
({14})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute ist der letzte Debattentag vor Weihnachten. Da
sich das Jahr dem Ende nähert, ist es richtig, im Bereich
des Tierschutzes Bilanz zu ziehen. Was hat das Jahr
2006 für den Tierschutz gebracht? Der 1. Januar 2007
sollte der große Tag des Tierschutzes werden; denn
Renate Künast hatte erkämpft, dass an diesem Tag ein
Verbot der Batteriekäfighaltung in Kraft tritt. Kein
Huhn in Batteriekäfighaltung ab dem 1. Januar 2007!
({0})
Es wird leider nicht so kommen; denn Bundesminister
Seehofer hatte nichts Besseres zu tun, als gemeinsam mit
den Ländern das Verbot rückgängig zu machen. Er
zwingt die Legehenne für weitere Jahre in die
schlimmste Form der Käfighaltung. 2006 ist also kein
gutes Jahr für den Tierschutz in Deutschland.
({1})
Die Fortführung der Batteriekäfighaltung wurde übrigens schon 1999 vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft. Deshalb ist das rückgängig
gemachte Verbot ein Rückschlag. Bundesminister
Seehofer hält es offensichtlich noch nicht einmal für nötig, hier anwesend zu sein, obwohl er den Weiterbetrieb
unterschrieben hat.
({2})
- Es wäre gut, wenn Herr Seehofer zuhörte.
2002, vor fast genau fünf Jahren, haben alle Fraktionen in diesem Haus den Tierschutz in die Verfassung
aufgenommen. Ich habe mir die Protokolle der Debatten
vom Jahre 2000 und 2002 noch einmal durchgelesen und
fand die Rede von Herrn Röttgen interessant. Er hat sich
zum Schutz der Tiere bekannt und gesagt: Der Schutz
der Tiere ist ein essenzieller Bestandteil jeder humanen
Gesellschaft. Die Anerkennung der Würde der Tiere
zählt zu den zivilisatorisch-kulturellen Elementen. Für
die CDU/CSU sei das kein Lippenbekenntnis. Sie trete
vielmehr für eine konkrete, aktiv betriebene Tierschutzpolitik ein.
({3})
Gute Worte, gute Lippenbekenntnisse! Aber ich frage
mich, ob es konkreter, aktiv betriebener Tierschutz ist,
wenn Legehennen so wenig Platz haben, dass sie noch
nicht einmal nebeneinander schlafen oder gleichzeitig
fressen können. Das ist nicht artgerecht. Deshalb muss
mit der Batteriekäfighaltung in Deutschland Schluss
sein.
({4})
Batteriekäfighaltung ist agroindustriell. Das eigentliche Problem ist, dass es jetzt nicht nur für Hühner gilt,
sondern dass es zunehmend auch auf Schweine angewandt wird. In den neuen Bundesländern haben wir mittlerweile Schweinefabriken mit mehr als 20 000 Tieren in
einem Betrieb. Das ist zu viel. Das hat mit Tierschutz
nichts zu tun.
({5})
Riesige Mastanlagen mit bis zu 90 000 Tieren sind in
Planung. Die Schweine werden in Deutschland auf harten Betonböden mit Spalten gehalten, durch die ihre Exkremente fallen, und in diesem Gestank leben die
Schweine in Deutschland. Billige Schweine- und Putenschnitzel haben ihren Preis, gerade was den Tierschutz
angeht, und das müssen wir ändern.
({6})
Auf EU-Ebene steht im nächsten Jahr die Hähnchenmast an. Der Vorschlag, den die EU hierzu unterbreitet
hat, würde in Deutschland zu einer Verschlechterung
führen. Es würden dann immerhin 38 Kilogramm pro
Quadratmeter zugelassen, wobei ich es abartig finde,
dass man, wenn man von Tieren redet, von Kilogramm
pro Quadratmeter spricht. Tiere werden in Deutschland
nur noch nach Kilogramm bemessen und nicht mehr
nach Tierzahl.
({7})
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was die
Verbraucher tun können. Sie können mit dem Einkaufswagen entscheiden, aber sie müssen es auch können. Bezüglich der Eier gibt es mittlerweile eine Kennzeichnungspflicht. Wir sagen eindeutig: Kein Ei mit der „3“,
denn das sind Batteriekäfigeier. Die Verbraucherinnen
und Verbraucher halten sich auch daran, was ihr Frühstücksei angeht. Sie halten sich aber nicht beim Kauf
von verarbeiteten Produkten daran, denn dort gibt es
keine Kennzeichnungspflicht. Deshalb fordern wir eine
Kennzeichnungspflicht auch bei verarbeiteten Produkten. Diesen Antrag haben wir eingebracht.
({8})
Bezüglich des Informationsrechts für die Verbraucherinnen und Verbraucher gibt es auch das Verbraucherinformationsgesetz. Dies ist die zweite Pleite des Jahres
2006. Dieses Verbraucherinformationsgesetz ist inhaltlich schlecht, lückenhaft und lässt sehr viele Ausnahmen
zu. Dieses Gesetz ist aber nicht nur inhaltlich schlecht,
sondern auch juristisch falsch gemacht. Das sind keine
zusätzlichen Rechte für die Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Land. Nehmen Sie einfach den Gesetzentwurf der Grünen. Der ist gut und würde den Verbraucherinnen und Verbrauchern endlich etwas bringen.
Das ist Verbraucherschutz.
({9})
Herr Seehofer hat in seiner Rede vor dem Deutschen
Tierschutzbund eine Menge Redewendungen gebracht,
die mit Tieren zu tun haben. Ich kann Ihnen auch eine
Redewendung nennen. Herr Seehofer, bezüglich der
Batteriekäfighaltung hat man mit Ihnen den Bock zum
Gärtner gemacht. Das war keine gute Lösung für die
Tiere.
({10})
Ansonsten zeichnen Sie sich durch eine Vogel-StraußPolitik aus. Anstatt die Initiative Hessens zum jüngsten
Urteil zum Schächten aufzugreifen, in der Tierschutz
und freie Religionsausübung zusammengebracht werden, stecken Sie den Kopf in den Sand und nützen nicht
den Tieren in diesem Land.
Ich komme zum Schluss. Wir haben auf Initiative der
Grünen mit Mehrheit aller Fraktionen - dafür danke ich
Ihnen - das Verbot der Einfuhr von Robbenprodukten in
Deutschland beschlossen. Weihnachten ist ja die Zeit der
Geschenke, und zwar auch für Tiere. Uns liegen nicht
nur die Robben in Kanada und Norwegen am Herzen,
sondern wir sollten auch mehr für die mehr als
100 Millionen Nutztiere in Deutschland tun. Das wäre
ein Geschenk an die Tiere.
Vielen Dank.
({11})
Bevor wir in der Rednerliste fortfahren, gebe ich Ihnen
das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu dem
Antrag der Fraktion Die Linke „Beteiligung der Landtage
bei der zweiten Stufe der Föderalismusreform und Information des Deutschen Bundestages“ auf Drucksache 16/3539 bekannt: Abgegebene Stimmen 544, mit
Ja haben 47 gestimmt, mit Nein haben 451 gestimmt,
Stimmenthaltungen 46. Der Antrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 544
davon
ja: 47
nein: 451
enthalten: 46
Ja
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger-Neuling
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Petra Pau
Elke Reinke
Paul Schäfer ({0})
Volker Schneider
({1})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Sabine Zimmermann
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({2})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Carl-Eduard von Bismarck
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({3})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({4})
Dirk Fischer ({5})
Axel E. Fischer ({6})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
({7})
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({8})
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({9})
Volker Kauder
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({10})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Karl Lamers ({11})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({12})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({13})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({14})
Stefan Müller ({15})
Bernward Müller ({16})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({17})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({18})
Klaus Riegert
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({19})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({20})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Christian Schmidt ({21})
Andreas Schmidt ({22})
Ingo Schmitt ({23})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({24})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({25})
Gerald Weiß ({26})
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({27})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Wolfgang Zöller
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Ernst Bahr ({28})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Lothar Binding ({29})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({30})
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({31})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Nina Hauer
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({32})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({33})
Frank Hofmann ({34})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Johannes Jung ({35})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({36})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({37})
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({38})
Michael Müller ({39})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Steffen Reiche ({40})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({41})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({42})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({43})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Silvia Schmidt ({44})
Renate Schmidt ({45})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({46})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({47})
Swen Schulz ({48})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({49})
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({50})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({51})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({52})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({53})
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Michael Link ({54})
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({55})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({56})
Martin Zeil
Enthalten
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({57})
Volker Beck ({58})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Dr. Anton Hofreiter
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Undine Kurth ({59})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({60})
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({61})
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Die nächste Rednerin ist Kollegin Julia Klöckner, Was bei Ihren Anträgen immer wieder fehlt, ist der ReaCDU/CSU-Fraktion.
({62})
Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Unsere Freunde von der grünen Fraktion haben wieder einen putzigen Antrag gestellt. Wir haben
bald Weihnachten, können Wunschzettel schreiben und
auch an das Christkind glauben. Frau Höhn, wenn ich
Sie richtig verstanden habe, fordern Sie allen Ernstes,
die Lebensmittelkennzeichnungsverordnung so zu ändern, dass Angaben zur Haltungsform der Legehennen
bei allen Lebensmitteln und auch anderen Produkten, die
Ei als Zutat enthalten, verpflichtend vorgeschrieben werden.
({0})
Die Frage ist: Darf es sonst noch irgendetwas sein? Sie
bleiben Ihren ideologischen Vorstellungen treu. Bei Ihnen gibt es nur Schwarzweißmalerei. Hennenhaltungsbetriebe, die hochtechnisiert sind, sind schlecht und deshalb sollen die Eier dieser Betriebe stigmatisiert werden.
litätssinn und der Wunsch, praktikable Regelungen zu
treffen. Eines finde ich noch viel trauriger: Sie sprechen
von Weihnachtsgeschenken. Ihre Botschaft an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in dieser Branche arbeiten, heißt: Wir möchten Arbeitsplätze vernichten.
({1})
Es ist schon schlimm, dass es trotz des härter werdenden Wettbewerbs zahlreiche Ausnahmeregelungen für
Länder, die der EU kürzlich beigetreten sind, gibt. Ich
nenne Tschechien, Ungarn und Slowenien. Diese Ausnahmeregelungen belasten die deutsche Produktion. Die
Ausnahmeregelungen gelten bis zum Jahr 2009. Diese
Länder brauchen Tierschutzstandards, die unsere Betriebe in Deutschland einhalten müssen, nicht einzuhalten. Mittlerweile kommt jedes fünfte Ei, das derzeit in
Tschechien produziert wird, aus Betrieben, die die Mindeststandards des Tierschutzes nicht einhalten. Sie, Frau
Künast, haben als ehemalige Ministerin diesen Regelungen bei den Beitrittsverhandlungen zugestimmt. Für die
deutschen Unternehmen haben Sie aber eine viel strengere Regelung gefordert.
({2})
- Doppelzüngigkeit ist das.
({3})
Sie fordern eine willkürliche Kennzeichnung auf
Verpackungen. Die hätten Sie in Ihrer Regierungszeit
umsetzen können. In Ihrer Regierungszeit hätten Sie die
Mehrheit dafür sammeln können. Jetzt glauben Sie allen
Ernstes, dass wir dem Antrag heute zustimmen. Ihnen
fehlt der Realitätssinn. Selbst die EU hat 2003 Ihr Ansinnen, Frau Künast, abgelehnt.
({4})
Dieser Realitätssinn ist ein Grund, warum ich auf die EU
stolz sein kann.
({5})
Haben wir keine anderen Probleme in diesem Land,
als diese absurden Forderungen zu diskutieren? Konkret
heißt das nämlich, dass Sie auf jeder Nudelpackung, bei
jedem Kuchen, bei allen Keksen und bei allen Produkten, die Eier aus Legehennenhaltung enthalten, eine
Kennzeichnung durchsetzen möchten.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, ich stelle
mir jetzt eine Szene im Restaurant vor, wenn das panierte Schnitzel gebracht wird. Vielleicht haben Sie auch
noch Vorschläge, wie man den Teller optisch gestalten
könnte, damit man erkennt, welches Ei, das in der Panade ist, aus Freilandhaltung, welches aus Bodenhaltung
und welches aus Käfighaltung stammt.
({7})
Sie haben einen Wunschzettel, auf dem Sie gerne noch
diesbezüglich etwas aufschreiben können. Das hört sich
bei Ihnen alles prima an, aber wir müssen das zu Ende
denken. Das heißt nämlich, dass alle Produkte gekennzeichnet werden müssen, nicht nur Mayonnaise, Schokoküsse und Haarshampoo, sondern auch Katzenfutter.
Ich bezweifle, dass es die Katze interessiert, wie das
Huhn das Ei gelegt hat.
({8})
Bedenken Sie einmal den Bürokratieaufwand.
Abgesehen davon, dass das nicht praktikabel ist, machen Sie keine Vorschläge, wie wir mit importierten
Produkten umgehen sollen. Sie machen keine Vorschläge, wie wir die importierten Produkte überhaupt
kontrollieren und letztlich rückverfolgen sollen. Für
mich ist das eine klassische Inländerdiskriminierung,
weil die Vorschrift auf EU-Ebene nicht harmonisiert ist.
Sie machen es unseren Betrieben und damit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland unnötig schwer. Das ist die Wahrheit.
({9})
Bei einer weitgehenden Umstellung auf Eier aus Bodenhaltung, ob auf Freilandeier oder auf Bioeier, wäre
der mengenmäßige Bedarf der industriellen Verarbeiter
- die Zahlen sollten Sie sich anschauen - aus diesen Bereichen gar nicht zu decken. Die Deutschen konsumieren
jährlich 14 Milliarden Eier. Denken Sie doch einmal einen kleinen Schritt um die Ecke, wenn der Weg nicht gerade geht. Wenn eine Mauer kommt, rennen Sie als
Grüne immer dagegen.
({10})
Sie schaffen es einfach nicht, um die Kurve zu denken.
70 Prozent der 14 Milliarden Eier, die hier in
Deutschland konsumiert werden, kommen aus Legehennenhaltung; 12 Prozent kommen aus Freilandhaltung.
Wenn wir Ihre Forderung umsetzten, käme es zu immensen Engpässen bei der Produktion. Wir wissen alle, wo
die Eier dann herkommen.
({11})
- „Ja und?“, sagt Frau Höfken. Dann würde uns der Tierschutz außerhalb Deutschlands überhaupt nicht interessieren. Wir würden dann Eier aus Ländern beziehen, die
einen viel geringeren Tierschutzstandard als wir in
Deutschland haben, und das einschließlich Verbrauchertäuschung; denn der Verbraucher weiß dann noch weniger über die Herkunft der Eier als hier in Deutschland.
({12})
Sie als Grüne schieben gerne immer die Interessen
der Verbraucher vor, um Ihre eigenen ideologischen
Vorstellungen durchzusetzen.
({13})
Bei einer Umfrage der Verbraucherzentrale gaben
64 Prozent der Befragten an, mit den bisherigen Informationen auf den Verpackungen eigentlich zufrieden zu
sein. Außerdem gaben sie an, dass sie Wert darauf legen,
Informationen darüber zu erhalten, welche Inhaltsstoffe
enthalten sind, die für sie möglicherweise gesundheitsgefährdend sind; das ist zum Beispiel für Allergiker sehr
wichtig. Das halten auch wir für richtig.
Aber seien Sie doch so realitätsnah, einzusehen, dass
der Verbraucher, wenn wir noch mehr auf eine Verpackung schreiben, gar nicht mehr draufschaut und auch
nicht mehr weiß, wie er damit umgehen soll. Auf eine
solche Informationsflut zu verzichten, das ist richtig verstandener Verbraucherschutz; das ist besser als reiner
Aktionismus.
({14})
Warum sagen Sie nicht, was Sie wirklich wollen? Sie
wollen eine Haltungsform verbieten. Dazu haben Sie vor
Monaten einen Antrag gestellt, der nicht durchgekommen ist. Deshalb versuchen Sie jetzt, diesen Antrag mithilfe irgendwelcher anderen fadenscheinigen bürokratischen Regelungen doch noch durchzubringen. Für wie
blöd halten Sie uns eigentlich? Wir sind ein bisschen früher aufgestanden, als Sie glauben und als Sie es je schaffen werden.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Künast?
Ich würde gerne erst meine Rede beenden. Dann können Sie noch einmal nachfragen.
Nein, nach der Redezeit lasse ich keine Zwischenfrage mehr zu.
Umso besser.
({0})
Ich halte es auch für sehr wichtig, noch einmal darauf
hinzuweisen, dass Ihnen die Arbeitsplätze in Deutschland offensichtlich völlig egal sind. Sie verlieren kein
Wort darüber, wenn man Sie fragt, wie Sie damit umgehen. Dass Tierschutzstandards in anderen Ländern viel
niedriger sind,
({1})
interessiert Sie nicht. Auch wenn die Kennzeichnung im
Ausland nicht durchsetzbar ist, ist Ihnen das egal.
({2})
Wir als CDU/CSU-Fraktion setzen darauf, dass der
Verbraucher entscheiden soll und kann. Es ist richtig,
dass er auch jetzt im Supermarkt entscheiden kann. Wir
sind dafür, dass die wichtigsten Informationen gegeben
werden, zum Beispiel für die Allergiker über allergene
Stoffe, damit sie kein falsches Produkt greifen, oder Tabellen mit Nährwertkennzeichnung. Das machen viele
Betriebe freiwillig und darin liegt ein Wettbewerbsvorteil. Darauf setzen wir.
Noch eines, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Grünenfraktion.
({3})
Bei der Grünen Gentechnik fordern Sie keine Kennzeichnung. Da könnten wir doch eine Kennzeichnung
vornehmen! Aber weil klar ist, dass schon jetzt
80 Prozent aller Produkte gentechnisch verändert sind,
fürchten Sie, dass der Verbraucher sich daran gewöhnt
und Sie Ihr Schreckensszenario nicht mehr verbreiten
können.
Ich frage Sie noch einmal, Frau Kollegin: Gestatten
Sie jetzt eine Zwischenfrage der Kollegin Künast?
Es wird nicht dadurch besser, dass sie sich öfter meldet.
({0})
Die derzeitige Kennzeichnungsregelung führt meiner
Meinung nach in die Irre. Meine Fraktion und ich sind
dafür, zukünftig alle Produkte zu kennzeichnen, die gentechnisch verändert sind oder bestimmte Stoffe enthalten
können. Dann sieht der Verbraucher, dass bereits
80 Prozent gentechnisch verändert sind.
({1})
Es ist keiner daran gestorben.
Ich denke, das ist eine ganz klare Botschaft. Wir als
CDU/CSU-Fraktion werden uns im kommenden Jahr der
Ernährung widmen. Wir werden in unserer Fraktion einen Ernährungskongress veranstalten. Mit unserem Koalitionspartner werden wir einen Ernährungsantrag stellen. Die Bundesregierung hat zugesagt, einen nationalen
Ernährungsplan und einen Allergieplan mit auf den Weg
zu bringen. Sie sehen, bei uns ist das Thema in den richtigen Händen.
Frau Kollegin, jetzt müssen Sie zum Ende kommen.
Dann wünsche ich allen trotz Ihres Wunschzettels
wunderschöne Weihnachtstage.
({0})
Das Wort hat der Kollege Michael Goldmann, FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die FDP-Bundestagsfraktion und ich persönlich begrüßen es, dass wir uns heute zu einer angemessenen Tageszeit - diese Debatte wird übertragen - dem
Tierschutz in Deutschland zuwenden. Wir können heute
eine Leistungsbilanz vorlegen und darstellen, welche
gute Arbeit wir im Ausschuss geleistet haben.
Weil es vielleicht den einen oder anderen gibt, der
sich die Tagesordnung nicht so genau angeschaut hat,
will ich einmal aufzählen, worüber wir konkret reden
wollen. Wir reden über die Ausweitung der Kennzeichnungspflicht auf verarbeitete Eier, über Käfighaltung,
über das Verbot der Einfuhr von Wildvögeln und über
das Einfuhrverbot für Katzen- und Hundefelle. Ich
glaube, viele Menschen in Deutschland bewegen diese
Themen; sie sind in der vorweihnachtlichen Zeit davon
durchaus berührt. Deswegen finden wir es, wie gesagt,
prima, dass wir darüber reden können.
({0})
Wir als FDP begrüßen dies auch, weil wir insoweit in
einer guten Tradition stehen. Herr Hirsch hat damals dafür gekämpft, den Tierschutz in die Verfassung aufzunehmen. 2002 wurde dann der Tierschutz als Staatsziel
ins Grundgesetz aufgenommen. Das war ein Erfolg.
Vielleicht hat sich die Position, die den Grünen vorschwebte, nicht ganz durchgesetzt. Aber es ist besser,
Fakten zu schaffen als nur Zeichen zu setzen oder Aktionismus zu betreiben. Ich denke, in dieser Kontinuität
sollten wir die Dinge fortführen.
({1})
Wir müssen uns intensiv darüber unterhalten, wie wir
es mit der Kennzeichnungspflicht halten. Der Antrag
der Grünen geht meiner Meinung nach nicht substanziell
genug mit dem Sachverhalt um. Aber wir alle, die wir in
diesen Bereichen arbeiten, wissen, dass Rückverfolgbarkeit heute ein außerordentlich wichtiges Kriterium ist
({2})
und dass dadurch Verbraucherentscheidungen durchaus
beeinflusst werden. Ein mündiger Verbraucher muss
wissen, unter welchen Bedingungen ein Produkt hergestellt wurde und was darin enthalten ist. Ansonsten kann
er sich nicht qualifiziert verhalten. Wir sollten also über
diese Punkte reden.
Auch ich finde es ein bisschen eigenartig, dass
Frischeier gekennzeichnet werden müssen, dass aber
verarbeitete Eier keinerlei Kennzeichnung haben.
({3})
Ich finde es auch nicht besonders glücklich, dass, wie
wir alle wissen, aus Brasilien importiertes Fleisch mit
dem so genannten Frischemerkmal durch das Hinzufügen von Salz und auch aufgetautes Fleisch als Frischfleisch gehandelt werden können, obwohl Frischfleisch
nach Auffassung der Verbraucher in der Tat frisches
Fleisch sein sollte. Ich denke, wir müssen zum Wohle
der Ernährungswirtschaft in Deutschland und, liebe Julia
Klöckner, im Interesse der Arbeitsplätze in diesem Bereich darüber reden.
({4})
Denn wir werden den Wettbewerb um Arbeitsplätze nur
gewinnen, wenn wir in diesem Bereich Vorreiter sind.
({5})
In diesem Punkt hat Frau Künast mit ihrem Zwischenruf
schon Recht, dass man manchmal etwas vorauseilend
machen muss, um etwas zu erreichen.
({6})
Ich erinnere mich an Diskussionen im Ausschuss darüber, wie wir es eigentlich mit dem Einfuhrverbot für
Katzen- und Hundefelle und mit dem Verbot der Einfuhr von Wildvögeln halten. Aus dem Haus kam dann
die Bemerkung, dass man das nicht national regeln
könne, sondern dass es europaweit geregelt werden
müsse. Jetzt hat es eine europaweite Regelung gegeben.
Warum? Weil die Dänen vorher ein Verbot erlassen hatten. Die Harmonisierung musste also „durch die Hintertür“ eingeführt werden.
({7})
Weil die Dänen Vorreiter waren, ist es Gott sei Dank zu
einem Verbot für die meiner Meinung nach völlig unmögliche Einfuhr von Katzen- und Hundefellen gekommen. Ich kann das nur begrüßen.
({8})
Ich denke, auch bei dem Verbot der Einfuhr von Wildvögeln müssen wir genau diesen Weg gehen.
({9})
- Es geht hier nicht um „eins zu eins“. Bei einer Eins-zueins-Umsetzung geht es um Verordnungen, die von der
europäischen Ebene kommen. Hier geht es aber darum,
etwas auf den Weg zu bringen, was dann in allen europäischen Ländern hoffentlich umgesetzt wird.
({10})
- Herr Kelber, das ist überhaupt kein Widerspruch.
Wenn Sie die Ausschussarbeit verfolgen, dann wissen
Sie, dass sich die Vertreter der Opposition in diesen Fragen zum Erstaunen des einen oder anderen fachlich zusammenfinden.
({11})
Ich finde es richtig, dass man in der Ausschussarbeit den
fachlichen Aspekt in den Vordergrund stellt.
({12})
- Dass die Erkenntnis durchgreift, gilt hoffentlich auch
für Ihre eigene Fraktion.
({13})
Weil es uns Vergnügen macht, darüber zu reden, will
ich in Erinnerung rufen, was wir im Ausschuss alles geHans-Michael Goldmann
macht haben. Wir haben zum Beispiel über die Robbenproblematik gesprochen. Mir hat sehr imponiert, was Sie
von Ihrem Besuch in Kanada erzählt haben. Wir haben
gehandelt. Wir haben uns beispielsweise mit dem Import
von Wildvögeln und mit dem Halten von Tieren in Zirkussen beschäftigt. Dazu gab es eine hochinteressante
Anhörung. Wir haben uns mit dem Halten von Tieren in
Zoos beschäftigt. Ich glaube, dass jedem von Ihnen, der
zurzeit in ländliche Gegenden kommt, in denen ein Zirkus untergebracht ist, und sieht, wie Zirkustiere zum Teil
in ihren Winterquartieren gehalten werden, das Tierschutzherz schmerzt.
({14})
Ich finde es nicht schlimm, dass es einen schmerzt. Man
muss dann aber zu den Leuten gehen und mit ihnen reden. Man muss sich kommunalpolitisch und wir müssen
uns bundespolitisch dafür einsetzen, dass Verbesserungen erzielt werden.
({15})
Frau Höhn, ich finde es gut, wenn Sie eine Aktion in
der Form machen: der Wal und ich vor dem Brandenburger Tor. Das ist hübsch; das hat eine Botschaft. Aber bei
den Legehennen liegen Sie nun wirklich falsch. Für die
Haltung von Legehennen haben wir in Deutschland
eine Lösung gefunden, die ich für praktikabel halte.
({16})
Wenn Legehennen Eier legen, ist das eine Leistung.
({17})
Aber man muss vielleicht ein bisschen biologisch und
tierärztlich gebildet sein, was ich Gott sei Dank bin, um
zu wissen: Hühner legen nur Eier, wenn es ihnen gesundheitlich gut geht. Wenn die Eierlegeleistung in der
neuen Haltungsform, in der Volierenhaltung oder der
Kleingruppenhaltung, hoch ist, dann können Sie bis zu
einem gewissen Grad davon ausgehen, dass diese Haltungsform der Artgerechtigkeit bei diesen Tieren nicht
unmittelbar widerspricht.
Frau Höhn, bei solchen Dingen sollten wir nicht irgendetwas in die Gegend blubbern und Wind in Bezug
auf den Tierschutz machen, sondern konkret Problemlösungen angehen. Ich finde, dass die Lösung, die hierzu
gefunden worden ist - Sie wissen, dass das nicht immer
unsere Vorstellung war -, sachgerecht ist und durchaus
eine Zukunftschance haben sollte.
({18})
Sie sollten nicht einfach Blindbegriffe verwenden.
Die Zuhörer sind ja keine Experten. Die neue Haltungsform hat nichts mit Batteriekäfighaltung zu tun.
({19})
Das hat nichts mit agroindustrieller Wirtschaftsweise zu
tun. Frau Höhn, das ist schlicht Quatsch.
({20})
- Frau Höhn, das ist schlicht Quatsch.
Ich bin ja mit meinem Vater seit 1954 durch die Gegend gefahren
({21})
und habe landwirtschaftliche Betriebe besucht; auch
mein Vater war ja Tierarzt. Da hatten die Bauern acht bis
zehn Kühe. Ich sage Ihnen einmal ganz ehrlich ein bisschen flapsig: Da hätte ich weiß Gott keine Kuh sein wollen. Die standen mit dem Kopf vor der Wand; es tropfte.
Sie standen mit den Beinen hinten im Mist und hatten
„saumäßige“ Haltungsbedingungen.
({22})
Heute haben bei uns Milchbauern in leistungsfähigen
Betrieben, wo sie sich - weil sie, nebenbei gesagt, eine
gute Ertragssituation haben - um die Tiergesundheit
und den Status des Tieres in der Haltungsform kümmern
können, 120 bis 150 Milchkühe. All diese Kühe sind
nicht mehr angebunden. Diese Kühe können ihre Liegefläche wählen, wie sie wollen. Diese Kühe werden zu
dem Zeitpunkt gefüttert, zu dem die Tiere es wollen.
Diese Tiere haben heute einen Gesundheitsstatus, der
dem in früheren Zeiten haushoch überlegen ist.
({23})
Deswegen ist es schlicht falsch, zu sagen: Eintierhaltung ist gut und Vieltierhaltung ist schlecht. Es kommt
darauf an, wie die Vieltierhaltung ausgestaltet ist. Das
sollten Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen.
({24})
Herr Kollege, die Frau Kollegin Höhn würde furchtbar gerne eine Zwischenfrage stellen.
Das gönne ich ihr.
Herr Kollege Goldmann, ich habe eben von der Batteriekäfighaltung gesprochen. Ich habe diese Batteriekäfighaltung auf das bezogen, was über Jahrzehnte in
Deutschland üblich war und was zum 1. Januar nächsten
Jahres auslaufen sollte. Können Sie bestätigen, dass die
Möglichkeit der schlimmen alten Batteriekäfighaltung,
die wir von vielen Bildern kennen und die viele auch in
der Praxis gesehen haben - ich rede nicht von dem neuen
Käfig, der aus meiner Sicht aber auch schlimm genug
ist -, von der Bundesregierung und den Ländern um
zwei weitere Jahre verlängert worden ist?
({0})
Es ist richtig, was Sie sagen: Die Möglichkeit dieser
Haltungsform ist verlängert worden. Denn es macht meiner Meinung nach keinen Sinn, dass man diese Haltungsform ins Ausland exportiert und wir dann die Geflügelprodukte - Fleisch und Eier - aus einem Land
bekommen, wo die Haltungskriterien viel schlechter
sind als bei uns.
Ich will Ihnen etwas anderes sagen, Frau Höhn: Sie
tun sich selbst keinen Gefallen damit, wenn Sie in diesem Zusammenhang das Wort „Käfig“ wieder so benutzen, wie es für frühere Zeiten zutraf. Sie wissen ganz genau: Der alte Käfig ist verboten. Wir sind auf dem Weg,
Haltungsformen zu entwickeln, die den Tieren gerechter
werden. Es gibt Versuche dazu. Ich glaube, dass wir da
auf einem guten Weg sind.
({0})
- Frau Höhn, Sie tun sich damit keinen Gefallen.
Auch der Begriff „Schweinefabrik“ hat nichts mit der
Idee des Tierschutzes zu tun.
({1})
- Nein, Frau Höhn. - Das ist eine Diskriminierung gegenüber heute notwendigen Haltungsformen. Frau
Höhn, es ist schlicht falsch, anzunehmen, dass es dem
Tier Nr. 36 besser geht als dem Tier Nr. 8 720 in einem
Betrieb.
({2})
Es kommt darauf an, wie viel Platz das Tier hat, wie viel
Licht es bekommt und welchen Futterzugang es hat.
Wenn die Haltungsformen nicht tier- und artgerecht wären, könnten wir die züchterischen Erfolge überhaupt
nicht erzielen, hätten keine Marktteilhabe mehr und wären im Grunde genommen auf Importe aus Ländern angewiesen, in denen ich wirklich kein Tier sein wollte;
Gott sei Dank bin ich es nicht.
Wir müssen uns auf das Ziel fokussieren, guten Tierschutz in Deutschland zu verwirklichen. Dafür müssen
wir gemeinsam streiten.
Herr Kollege, ich glaube, die Zwischenfrage ist jetzt
beantwortet, und ich darf die Redezeit weiterlaufen lassen.
Liebe Frau Präsidentin, meine Redezeit ist ja auch
schon abgelaufen.
So ist es.
({0})
Das habe ich selbst registriert. Deswegen war ich für
Ihre Frage, Frau Höhn, durchaus dankbar.
({0})
Ich finde es gut, dass wir darüber reden. Lassen Sie
uns gemeinsam weitermachen, damit wir viel für die
Tiere erreichen. Wir sind auf einem guten Weg. Wir
müssen aber vernünftig sein. Es geht nicht um Aktionismus, sondern um das konkrete Tun, liebe Frau Höhn.
({1})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Mechthild Rawert,
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Tierschutz ist ein hohes
Gut. Der Schutz der Tiere ist zwischenzeitlich auch im
Grundgesetz festgeschrieben worden.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei den vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern bedanken, die sich in Tierschutzorganisationen engagieren, in kleinen und großen Verbänden, die nicht nur auf lokaler und regionaler
Ebene tätig sind. Ihnen gebührt unser Dank. Dieser Dank
soll hier und heute von mir - ich denke, im Namen des
Hauses - ausgesprochen werden.
({0})
Die Bundesregierung nimmt die Aufgabe des Tierschutzes sehr ernst und verfolgt das Ziel, ein hohes
Tierschutzniveau in Deutschland zu gewährleisten und
den Tierschutz weiterzuentwickeln. Das betrifft den Bereich der Rechtsprechung sowie die Berücksichtigung
des Tierschutzes bei der Abwägung mit anderen Rechtsgütern und schließt die finanzielle Unterstützung tiergerechter Haltungsformen, die Forschungsförderung und
ein intensives Engagement auf europäischer und internationaler Ebene ein. Die Bundesregierung setzt mit ihrem
Engagement in den Gremien Akzente. Sie beteiligt sich
an zahlreichen nationalen und internationalen Vorhaben
zur Verbesserung des Tierschutzes. Das gilt hier und
heute genauso wie in der Zukunft.
Die SPD ist und bleibt die Tierschutzpartei. Sie setzt
sich seit Jahren kontinuierlich für die Weiterentwicklung
des Tierschutzes inner- und außerhalb Deutschlands ein.
Wir gehen voran. Wir gehen vorwärts.
({1})
Wir stellen uns der Verpflichtung des ersten Paragrafen
unseres Tierschutzgesetzes:
Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund
Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.
In 2002 wurde - maßgeblich von meiner Fraktion vorangetrieben - der Tierschutz in Art. 20 a unseres
Grundgesetzes als Staatsziel verankert. Damit wurde
eine lange Diskussion über den Rang des Tierschutzes
im Verfassungsgefüge endlich beendet. Dieses Staatsziel
muss aufseiten der Politik bei der Gesetzgebung und
aufseiten der Verwaltungsbehörden und der Gerichte bei
der Auslegung und Anwendung des Tierschutzrechts immer Berücksichtigung finden.
Ich komme zur Verbindung zwischen Tierschutz und
Verbraucherschutz. Nach dem Auftreten von BSE und
zahlreichen Gammelfleischskandalen ist das gesamte
Feld rund um die Ernährung kritisch hinterfragt und neu
bewertet worden: von der Sicherheit und Qualität der
Lebensmittel über die Produktionsprozesse und deren
Auswirkungen auf Umwelt, Natur und Tierhaltung,
quasi „From the Farm to the Fork“, von der Farm zur
Gabel.
({2})
Tierschutz ist für uns integraler Bestandteil einer
Nachhaltigkeitsstrategie, die dem vorsorgenden Verbraucherschutz Vorrang einräumt, den schonenden
Umgang mit Natur und Umwelt beachtet, auf eine nachhaltig produzierende Landwirtschaft setzt und den ländlichen Raum mit seinen verschiedenen Funktionen als
Lebens-, Wirtschafts-, Natur- und Erholungsraum in den
Blick nimmt.
Verbraucherinnen und Verbraucher entscheiden durch
bewusste Kaufentscheidungen an der Ladentheke
- darüber wurde heute schon ein wenig dissonant diskutiert - darüber, wie unsere Tiere in der Landwirtschaft
gehalten und genutzt werden.
({3})
Jede und jeder hat somit die Möglichkeit, sich tagtäglich
in kleinem und in größerem Umfang für den Tierschutz
einzusetzen.
Dies setzt jedoch voraus, dass die Verbraucherinnen
und Verbraucher ausreichend über die Produkte informiert sind. Mit Recht fordern sie daher von uns eine detailliertere Informationspflicht bezüglich der Produkte
und der damit verbundenen Herstellungsprozesse, damit
die Kaufentscheidung adäquat getroffen werden kann.
Die Kennzeichnung in Deutschland ist jedoch nach
wie vor ein Buch mit sieben Siegeln. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen zwischen einer Vielzahl
von Bio- und Ökosiegeln unterscheiden und wissen oft
nicht, welche Qualitätsstandards sich dahinter verbergen. So sind Produkte, die nach der EU-Öko-Verordnung
gekennzeichnet sind, mit einem Biosiegel und einem
Code der Kontrollstelle versehen. Mittlerweile haben
viele Supermärkte eigene Handelsmarken - das Wettbewerbsrecht verbietet jetzt leider eine Aufzählung -, unter
denen sie Bioprodukte vertreiben. Einige Verbände des
ökologischen Landbaus haben eigene Siegel und legen
strengere Auflagen, als die EU-Öko-Verordnung vorgibt,
für ihre Produzenten fest.
Abhilfe für die Verbraucherinnen und Verbraucher
könnte ein einheitliches europäisches Tierschutzsiegel
schaffen. Dieses Tierschutzsiegel muss für die Verbraucherinnen und Verbraucher verständlich und ihnen leicht
vermittelbar sein. Selbstverständlich muss es gesetzliche
Standards für die Haltung aller Tierarten festlegen. So
gibt es zum Beispiel bis heute keine Regelungen für
Mastgeflügel, Rinder, Schafe, Ziegen oder Kaninchen.
({4})
Die grundlegenden Kriterien für ein solches Tierschutzsiegel sollten unter anderem Bewegungsfreiraum, Einstreu, Tageslicht, Beschäftigungsmaterial, Strukturierung und auch Außenklima sein.
Es hat sich - das wurde in den Reden deutlich durchaus schon Diskussionsbedarf innerhalb der Koalition aufgetan. Ich habe vorhin sehr intensiv die Rede von
Frau Klöckner verfolgt. Dieses Tierschutzsiegel könnte
ein weiteres Problem bei der Lebensmittelkennzeichnung lösen. Zurzeit können die Verbraucherinnen und
Verbraucher beim Einkauf nämlich nicht erkennen, unter
welchen Bedingungen die einzelnen Zutaten für Fertigprodukte verwendet werden und wie sie hergestellt worden sind. So können - bleiben wir heute beim Beispiel
der Eier - Konsumentinnen und Konsumenten von Hühnereiern zwar durch die Kennzeichnung erkennen, ob es
sich um ein Ei aus Freiland- oder Käfighaltung - demnächst Volierenhaltung - handelt. Diese Kennzeichnung
findet allerdings nicht bei Produkten statt, bei denen die
Eier Zutat sind, wie zum Beispiel Mayonnaise, Nudeln
oder Backwaren.
({5})
Das gilt selbstverständlich auch für alle anderen Fertigprodukte.
Im Zuge der EU-Ratspräsidentschaft, die jetzt beginnt, hat Deutschland die Gelegenheit, dieses Thema
auf europäischer Ebene aktiv voranzubringen. Ich bin
mir sicher, dass die Bundesregierung diese Pflicht sieht.
Ich fordere unseren Bundesminister ausdrücklich auf,
sich hierfür einzusetzen
({6})
und für die entsprechende Aufklärung der Verbraucherinnen und Verbraucher zu sorgen. Unsere Fraktion wird
hierbei selbstverständlich die größtmögliche Unterstützung geben.
Den teilweisen Widerstand gegen einen besseren
Tierschutz vonseiten einzelner Produzenten in der Landwirtschaft verstehe ich nicht. Gerade besserer Tierschutz
als Qualitätsmerkmal kann heimischen Lebensmitteln einen Marktvorteil bringen und sichtbar machen, dass
durch tierschutzgerechtes Wirtschaften Arbeitsplätze
erhalten und neue geschaffen werden. Dass das möglich
ist, zeigt - erneut komme ich auf die Hühnereier zurück die große Nachfrage nach Bio- und Freilandeiern, die
zurzeit nicht aus der heimischen Produktion gedeckt
werden kann.
({7})
An dieser Stelle möchte ich auf Folgendes hinweisen:
Ich selber komme von einem Bauernhof. Wir hatten
15 000 Hühner. Ich bin mit Eiereinsammeln und der entsprechenden Arbeit durchaus vertraut. In diesem Bereich
ist es möglich, viel zu tun. Jetzt hier davon zu reden,
dass in diesem Bereich keine neuen Arbeitsplätze geschaffen werden können, lehne ich ab, nicht nur aus der
eigenen familiären Biografie heraus, sondern auch aus
den Erfahrungen meiner Bekanntschaft, meiner Freunde
und Verwandten und auch sämtlicher Nachbarn und
Nachbarinnen.
Kommen wir zu den Bioeiern zurück. Sie kommen
zurzeit aus den Niederlanden. Ich bin der Meinung, dass
unsere deutschen Bauern und Unternehmen eine Chance
am deutschen und auch am europäischen Markt vertun.
Ich rechne aus diesem Grunde auch mit der Unterstützung des Lebensmittelhandels für meine Vorschläge und
erwarte, dass auch die Produzenten in Deutschland das
ständig wachsende Marktpotenzial für Bioprodukte endlich erkennen und nutzen.
({8})
Gerade jetzt sind dazu mehrere Umfragen durchgeführt worden. Sie belegen, dass hier von einer Ausweitung und nicht von einem Rückgang gesprochen werden
kann. Mit Blick auf die Arbeitsplätze und mit Blick auf
die Produktion wären wir hier auf dem vollkommen
richtigen Weg.
({9})
Aus verbraucherpolitischer Sicht ist mir noch ein anderes Thema wichtig, nämlich die Förderung neuer und
innovativer Techniken zur tierversuchsfreien Forschung. Verbraucherinnen und Verbraucher achten sehr
wohl darauf, ob Produkte mithilfe von Tierversuchen getestet worden sind oder nicht. Seit 2004 ist es bereits verboten, kosmetische Mittel einschließlich ihrer Bestandteile in Verkehr zu bringen, wenn diese im Tierversuch
überprüft wurden, obwohl alternative Methoden zur
Verfügung stehen. Ich bin sehr dankbar, dass das Forschungsministerium nach wie vor große Förderprogramme in Bezug auf Ersatzmethoden für den Tierversuch, aber auch in Bezug auf die Vergabe von
Forschungsmitteln zur wissenschaftlichen Erarbeitung
von Tierversuchsersatzmethoden finanziert. Wie das
funktioniert, konnten vor kurzem die Mitglieder des
Landwirtschaftsausschusses beim Bundesinstitut für Risikobewertung in Augenschein nehmen. Ich bin der festen Überzeugung, dass Verbraucherinnen und Verbraucher gern solche Produkte kaufen, bei denen sie
überzeugend nachgewiesen bekommen, dass sie nicht
unter Verwendung von Tierversuchen produziert worden
sind. Die SPD ist daher der Meinung, dass solche Forschungsvorhaben und Techniken zugleich wichtige Impulse für unseren Forschungs- und Wirtschaftsstandort
geben und dass wir somit in diesem Bereich weltweit
eine Vorreiterrolle übernehmen können.
Zu dem Antrag der Grünen möchte ich am Ende meiner Rede nur ein kurzes Wort sagen. Er ist leider ein
wenig alt, zehn Monate. Ein Teil der darin enthaltenen
Forderungen, zum Beispiel hinsichtlich der Nutztierhaltungsverordnung für Pelztiere, ist durch Verabschiedung
einer entsprechenden Vorlage im Bundesrat längst erfüllt
worden. Das steht schon im Gesetzblatt. Wir haben auch
dafür gesorgt, dass für kommerziell gehaltene Nerze,
Iltisse, Füchse, Marderhunde, Sumpfbiber und auch
Chinchillas künftig konkrete Haltungsbedingungen gelten.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme hiermit zum Schluss. - Ich freue mich als
Berichterstatterin für Grauwale, dass wir 2007 das Jahr
der Wale und Delphine haben.
({0})
Ich freue mich ebenfalls, dass in den nächsten Tagen insbesondere Ochs und Esel, Schafe und Kamele mit Sicherheit
Frau Kollegin, ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie auf Kosten Ihres Nachfolgers reden.
- eine gute Haltung haben werden. - Ich bin fertig.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva BullingSchröter, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wäre dieser Saal hier eine Legehennenbatterie, würden an Ihrer Stelle über 17 000 Hühner sitzen. Nutzen wir den Raum bis unter die Decke - das ist
die Realität in Hühnerbatterien -,
({0})
wären das fast 1 Million Hühner; 1 Million Hühner im
Plenarsaal des Deutschen Bundestages dank moderner
Käfigbatterien.
({1})
Hierzulande werden 43 Millionen Hühner gehalten,
davon mehr als 73 Prozent in Käfigen bei Gestank und
künstlichem Licht. Die Folge: zerstörtes Gefieder, kaputte Gelenke,
({2})
schwere Verhaltensstörungen. Die Tiere können nicht
sandbaden, weder Gefieder noch den Kopf schütteln.
Das Federkleid kann nicht geputzt, Kopf und Schnabel
können nicht gekratzt werden.
({3})
Praktisch alle natürlichen Triebe werden unterdrückt.
({4})
Früher hat ein Huhn 20 Eier pro Jahr gelegt - so viel
dazu, wie die Situation früher war, Herr Goldmann -,
heute sind es mehr als 300. Masthühner werden heute so
gezüchtet, dass sie täglich - ich betone: täglich - mehr
als 50 Gramm zunehmen müssen.
Normalerweise verbringt ein Huhn den Tag mit Futtersuche und Gefiederpflege. Beides ist bei konventioneller Käfighaltung nicht möglich. Langweiliges Futter
und bedrückende Enge führen zu Kannibalismus und
Krankheit.
({5})
Den Tieren hilft man nicht dadurch, dass man ihnen
die Schnabelspitzen amputiert oder das Licht in ihrem
Käfig auf ein Minimum abdimmt. Wir brauchen eine
tiergerechte Geflügelhaltung, sowohl für Mast- als auch
für Legehühner. Damit sind aber explizit nicht die ausgestalteten Käfige und Kleinvolieren für die so genannte
Gruppenhaltung gemeint. Was so putzig klingt, bedeutet:
Die Tiere können weiterhin nicht auf Sitzstangen schlafen, nicht im Sand baden und sich nicht ungestört pflegen, schütteln oder aufbäumen. Hier wird schöngeredet,
was die tierquälerische Käfighaltung in Wirklichkeit
ausmacht.
({6})
Zeigen Sie mir doch einmal ein Huhn, das auf der Fläche
eines Bierdeckels sein Sandbad nehmen kann!
({7})
Da als ein wichtiger Grund für die Käfighaltung die
Hygiene angeführt wird, sage ich Ihnen: Wir ignorieren
Hygieneprobleme nicht. Aber der Tierschutz darf nicht
den Kürzeren ziehen. Deshalb brauchen wir mehr Forschung auf dem Gebiet der alternativen Landwirtschaft.
({8})
Das geht natürlich nicht, wenn Sie die nötigen Mittel in
diesem Bereich streichen, wie Sie es beim Institut für
ökologischen Landbau getan haben, das nun womöglich
vor dem Aus steht.
({9})
Wir dürfen die Menschen nicht für dumm verkaufen.
({10})
Worum es wirklich geht, ist doch leicht zu durchschauen: Die Käfighaltung soll nicht nur beibehalten,
sondern wieder eingeführt werden.
({11})
Längere Übergangsfristen für Käfigbatterien sollen her,
ganz im Sinne der EU-Richtlinie. Die Industrielobby
wird sich bei Ihnen bedanken.
({12})
Aber ich sage noch einmal: Käfigbatterien, egal ob mit
oder ohne Mobiliar, gehören abgeschafft.
Das hat der Bundestag vor fünf Jahren beschlossen.
Wir waren daran beteiligt. Kaputtgemacht wurde diese
Regelung auf Antrag einiger Bundesländer. Ab Januar
2007 sollte ein Käfigverbot gelten. Wir unterstützen das.
Dazu haben wir einen eigenen Antrag eingebracht.
({13})
Mit Einführung der neuen Käfigsysteme ist dieser Fortschritt allerdings hinfällig.
Ich möchte kurz auf die Vorgeschichte eingehen. Das
Bundesverfassungsgericht hat die Käfighaltung zu Recht
schon im Jahr 1999 als nicht tiergerecht eingestuft.
({14})
Deshalb wurde die Hennenhaltungsverordnung außer
Kraft gesetzt. Dazu haben wir damals im Rechtsausschuss auch eine Anhörung durchgeführt.
Mein nächster Punkt. Da es auch um Wirtschaftspolitik geht - manchen Parteien geht es vielleicht nicht so
sehr um den Tierschutz -,
({15})
komme ich nun auf den Import von Eiern zu sprechen.
Käfigeier werden nicht nur millionenfach importiert, sie
werden auch millionenfach bei uns produziert.
Nun zum Thema Arbeitsplätze. In Deutschland werden in 849 Betrieben fast 29 Millionen Hühner in Käfigen gehalten. Das sind drei Viertel des gesamten Hühnerbestands. Was bedeutet das für die Hühner und für die
Zahl der Arbeitsplätze? Zunächst zu den Hühnern. Ich
wiederhole es: Kannibalismus, Fettleber, schwere Fußverletzungen und Knochenschwäche.
({16})
Wir meinen, das ist nicht im Sinne des verfassungsmäßigen Staatsziels Tierschutz.
Für den Arbeitsmarkt bedeutet dies, dass über den
Daumen gepeilt ein Beschäftigter auf 40 000 Hühner in
einer Legebatterie kommt.
({17})
Rechnen Sie selbst aus, um wie wenige Arbeitsplätze es
also bei knapp 29 Millionen Käfighühnern geht. Hinzu
kommt: Es gibt keine regionale oder Kreislaufwirtschaft.
Das Futter wird importiert. Die Ställe werden aus dem
Ausland geliefert, weil sie dort billiger hergestellt werden können. Geschlachtet wird an einem anderen Ort.
Für die Vermarktung sind die großen Unternehmen zuständig.
({18})
Bei tiergerechter Haltung sieht das schon besser
aus: Bioerzeugung führt wirklich zur Schaffung von Arbeitsplätzen. 29 Millionen glückliche Hühner bedeuten
4 800 glückliche Arbeitskräfte in den Hühnerbetrieben,
eine Kreislaufwirtschaft in der Nahrungsmittelproduktion und eine Vermarktung unter Beachtung des Tierund Umweltschutzes.
Umfragen haben ergeben, dass 80 Prozent der Menschen das Ende der konventionellen Käfighaltung wollen.
({19})
Wir haben hierzu einen Antrag eingebracht, mit dem wir
noch einmal an Sie appellieren: Unterstützen Sie, was
die Mehrheit der Bevölkerung will! Wir fordern auch ein
Verbot der schöngeredeten Gruppenhaltung. Ohne Verbot, denke ich, machen Sie sich unglaubwürdig. Wir sind
für Innovation und für die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Artgerechte Legehennenhaltung sichert und schafft Arbeitsplätze.
({20})
Werden Eier aus Boden-, Freiland- und Biohaltung
angeboten, werden sie auch gekauft. Angebot und Nachfrage, ganz einfach. Wenn die Leute Eier aus Boden-,
Freiland- und Biohaltung wollen, dann müssen die Tiere
auch so gehalten werden. Wir haben es geschafft, dass
seit 2004 auf den Verpackungen von Schaleneiern die
Haltungsform und der Erzeugercode stehen müssen.
({21})
Doch auch wer Eiprodukte kauft, hat das Recht, zu
erfahren, woher die Eier kommen. Den Konsumentinnen
und Konsumenten wird vorenthalten, woher die Eier in
Keksen, Nudeln, Kuchen usw. kommen. Ich meine, es
wird Zeit, das zu ändern. In der Schweiz ist so eine Auszeichnung schon möglich. Was in der Schweiz möglich
ist, muss auch bei uns möglich sein.
({22})
Tierschutz mit dem Einkaufskorb ist nur möglich,
wenn sich der Verbraucher, wie es immer wieder versprochen und gelobt wird, informieren kann. Mehr als
50 Prozent der konsumierten Eier stecken in verarbeiteten Lebensmitteln - ein enormes Tierschutzpotenzial,
eine vertane Chance, wie wir meinen. Übrigens kommen
inzwischen besonders viele Eier aus alternativer Erzeugung aus dem Ausland. 2005 stieg der Anteil der importierten Bioeier bzw. der importierten Eier aus Bodenhaltung sehr stark. Allerdings betrifft dies nur die
Schaleneier. Aus diesem Grund unterstützen wir den Antrag der Grünen.
Weil wir gerade bei Geflügel sind: Auf der Arche
Noah sind auch Wildvögel. Wir fordern ein Verbot der
Einfuhr von Wildvögeln. Die EU ist der größte Absatzmarkt: 8,8 Millionen Vögel wurden während der letzten
zehn Jahre in die EU importiert. Das sind weit mehr als
zwei Drittel des Umfangs des weltweiten Wildvogelhandels. Bis vor kurzem wurden jährlich über 1,7 Millionen
Wildvögel in die EU importiert. Deutschland war ein
wichtiges Abnehmerland. So paradox es klingt: Es war
die Vogelgrippe, die hier zur Rettung beitrug. Weil
kranke Papageien in England daran starben, wurde die
Einfuhr letztes Jahr verboten. Bis zum Jahresende können so fast 4 Millionen Vögel gerettet werden. Denn mit
dem legalen Handel geht auch der illegale Handel zurück.
Unzählige Vögel fallen unter das Washingtoner Artenschutzabkommen. Allein, der Handel mit geschützten
Tieren ist vollkommen außer Kontrolle geraten: Für
Prachtfinken, Gimpel, Stare gibt es keinerlei Handelskontrollen. Da wird gefangen und verkauft, was Flügel
hat und womit man Geld machen kann. Nur
1 500 Vogelarten, die international gehandelt werden,
werden erfasst und unterliegen dem Washingtoner Artenschutzabkommen. Gehandelt werden nachweisbar
mehr als 2 600 Vogelarten.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Dort, wo die
Natur geplündert wird, bleibt das Geld nicht. In Deutschland gibt es leider keinerlei Kontrolle der bzw. Statistik
über die Wildvogelhaltung. Der Handel läuft hauptsächlich über Zooläden, Inserate und, fatalerweise, immer
mehr über Tierbörsen. Ungefähr eine Dreiviertelmillion
Ziervögel, geschützte und ungeschützte, sind in diesem
Jahr gehandelt worden. Ich meine, da muss dringend etwas getan werden.
Was bewirkt der Import von Vögeln in die EU? Allein
in Mittel- und Südamerika wird ein Drittel der dort gefangenen Papageien illegal gefangen. Übrigens sind die
Exportländer von Wildvögeln hauptsächlich Entwicklungsländer. Korruption und fehlende Infrastruktur machen eine Kontrolle von Zahl, Art und Versand der Wildvögel unmöglich. Aber wie wollen wir von Kontrolle
reden, wenn sie auch bei uns oft nicht funktioniert? Hier
muss wirklich etwas getan werden.
Jetzt ist meine Redezeit fast zu Ende.
({23})
- Ich sehe, Sie sind furchtbar traurig. - Ich hätte noch
das Thema Stopfleber und einige andere Dinge. ({24})
Aber da meine Redezeit dafür nicht mehr ausreicht - wir
können im nächsten Jahr darüber weiterdiskutieren -,
bleibt mir abschließend nur noch zu sagen: Lassen Sie
sich Keule und Leber in diesem Jahr schmecken, vielleicht sogar bei einem gemütlichen Picknick in der Kieler Bucht. Dort werden zurzeit TNT und Munition entsorgt. Die Wale leiden darunter. Ich denke, auch mit
diesem Thema sollten wir uns im nächsten Jahr sehr intensiv beschäftigen.
({25})
Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Jahr, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im
Deutschen Bundestag diskutieren wir heute am letzten
Sitzungstag eines politisch anstrengenden Jahres in großen Redeblöcken über verschiedene Anträge. Auch zum
Thema Tierschutz gibt es heute, wie man nur unschwer
erkennen kann, einen wirklich großen Redeblock. Ich
denke, das ist auch gut so.
Obwohl die heutigen Themen sehr breit gefächert zu
sein scheinen, zieht sich das Thema Tierschutz wie ein
roter Faden durch alle Anträge. Deshalb gestatten Sie
mir am Anfang, ein paar allgemein gültige Bemerkungen zur politischen Einordnung des Tierschutzes in unserer entwickelten Gesellschaft zu machen. Ich hoffe
- das gilt insbesondere für Sie, meine Damen und Herren von der Opposition -, dass ein paar meiner Schlussfolgerungen und Leitlinien auch Ihre Zustimmung finden werden.
Erstens. Tierschutz ist wichtig. Dieses Thema ist kein
Randthema mehr, sondern ist mittendrin in der Gesellschaft. Ich bedanke mich an dieser Stelle ausdrücklich
bei den Mitgliedern des Ausschusses für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz und bei der Bundesregierung für die engagierten Diskussionen zu dieser
Problematik. Sie wissen: Es gibt auch positive Beispiele;
ich erinnere nur an den so genannten Robbenantrag.
Zweitens. Tierschutz ist unteilbar. Tierschutz ist global. Mit regionalen und nationalen Aktivitäten muss man
sich stets global behaupten. Punktueller Tierschutz
bringt wenig. Tierschutz findet in der Fläche statt.
({0})
Durch punktuelle Einschränkungen, auch wenn sie gut
gemeint sind, verlagert sich das jeweilige Problem nur
an andere Orte, meist dorthin, wo wir überhaupt keinen
politischen Einfluss mehr haben.
({1})
In unserer gemeinsamen Welt ist der kleinste politische Handlungsmaßstab nun einmal die Europäische
Union. Als Beispiel möchte ich das Thema Legehennenhaltung nennen. Natürlich können wir in Deutschland die Legehennenhaltung in Ställen generell verbieten
und durch eine artgerechte Freilandhaltung ersetzen.
Wie die aussieht, habe ich schon als Student gelernt: Artgerechte Freilandhaltung von Hühnern bedeutet 100 bis
150 Quadratmeter pro Henne. Die Eier dieser Hennen
könnte keiner mehr kaufen, weil sie schlicht und ergreifend zu teuer wären. Wir hätten zwar die glücklichsten
Hühner der Welt, aber auch die wenigsten. Wir hätten
300 000 Arbeitsplätze vernichtet und hätten - was noch
viel schlimmer wäre - die nicht tierartgerechte Hühnerhaltung ins Ausland verlagert. Dort würde sie sich etablieren.
({2})
In diesem Sinne finde ich auch das Verhalten des Landes Rheinland-Pfalz, eine Normenkontrollklage gegen
die Legehennenverordnung einzureichen, sehr irritierend. Staatsmännisch formuliert könnte man sagen: Das
Verhalten des Landes ist wenig hilfreich und nicht zielführend. Bei aller Sympathie für die Eigenständigkeit
der Länder - ich selber war zwölf Jahre lang Mitglied eines Landesparlamentes - meine ich, sagen zu können:
Das Verhalten von Rheinland-Pfalz ist unsolidarisch,
({3})
vor allem gegenüber uns in der Regierungskoalition. Ich
sehe vor allem zur SPD: Wir haben lange diskutiert und
gerungen.
Ich möchte den Landwirten an dieser Stelle zusichern:
Wir stehen zu der beschlossenen Legehennenverordnung
ohne Wenn und Aber.
({4})
Ich fordere die Geflügelhalter auf, die gesetzlichen
Grundlagen auszuschöpfen und in die Zukunft zu investieren. Jeder hat das Recht, zu klagen, aber niemand hat
das Recht, Arbeitsplätze zu vernichten.
({5})
- Frau Höhn, ich nenne gleich einen Versöhnungsaspekt.
Drittens. Tierschutz ist nicht statisch. Tierschutz ist
immer auf dem Weg. Das ist ein Trost für diejenigen, denen der Tierschutz noch nicht ausreicht, soll aber auch
denjenigen Mut machen, die vorangehen wollen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Thema
Schächten zu sprechen kommen.
({6})
Als Tierschutzbeauftragter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich feststellen: Ich bin mit dem Urteil
des Bundesverwaltungsgerichtes hochgradig unzufrieden. Wir werden im Ausschuss noch darüber reden müssen. Ich denke, was das Schächten betrifft, sind wir auf
dem Weg und noch nicht am Ziel angekommen.
({7})
Auch Führen will gelernt sein. Wer zu langsam geht,
wird überholt. Das gilt in jedem Politikbereich, also auch
für die Tierschutzpolitik. Michail Gorbatschow hat es
1989 auf den Punkt gebracht: „Wer zu spät kommt, den
bestraft das Leben“. Sehr richtig.
({8})
- Das ist richtig. - Es gilt aber auch: Wer zu früh kommt,
den bestraft das Leben auch. Anders formuliert: Führen
heißt nicht, voranzurennen. Wer zu weit vorneweg geht,
wird nicht mehr gesehen. Wer nicht mehr gesehen wird,
wird nicht mehr ernst genommen. Noch schlimmer: Wer
sich zu weit von der Truppe entfernt, merkt gar nicht,
wenn die Truppe abbiegt oder stehen bleibt.
Viertens. Beim Tierschutz soll das Tier und nicht der
Mensch im Mittelpunkt stehen. Immer wieder laufen
wir in den Debatten über den Tierschutz Gefahr, den
Tierschutz zu vermenschlichen. Es gilt eben nicht der
Satz: Wenn es dem Menschen gut geht, geht es auch dem
Tier gut. Beim Tierschutz muss dieses Prinzip umgekehrt werden. Es gab einmal einen schönen Werbespruch, durch den das auf den Punkt gebracht wurde:
„Ist das Tier gesund, freut sich der Mensch.“ Wie kompliziert sich der Sachverhalt darstellt, haben wir in der
Anhörung zur Haltung von Wildtieren im Zirkus gemerkt. Über die Frage, was eigentlich tierartengerecht
ist, wurde von den Experten sehr sach- und fachkundig,
aber auch sehr kontrovers diskutiert.
Fünftens. Der Verbraucher hat in der sozialen
Marktwirtschaft einen entscheidenden Einfluss auf den
Tierschutz, weil er für die Nachfrage sorgt.
({9})
Die meisten Dinge, die uns tierschutzpolitisch überhaupt
nicht gefallen, haben oft einen wirtschaftlichen Hintergrund. Beispiele dafür sind das grausame Töten von
Hunden und Katzen für die Pelzgewinnung, das Erschlagen von Robbenbabys und die Einfuhr von Wildvögeln.
Das heißt aber im Umkehrschluss: Wenn es keinen Verbraucher für diese Produkte gäbe, entfiele auch die
Nachfrage und damit auch das Tierschutzdefizit.
({10})
Es könnte so einfach sein, wenn wir auf Goethe hören
würden: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ Wir
haben in der Schule immer hinzugefügt: wenn er es denn
öfter tut.
({11})
- Der Nachsatz war von mir. Ich gestehe, dass das nicht
mehr von Goethe war.
Das sind für mich die fünf Zielkoordinaten der Tierschutzpolitik. Das Problem dabei ist: Um auf die aktuellen
tierschutzpolitischen Herausforderungen angemessen reagieren zu können, müssen alle fünf Zielkoordinaten beachtet werden. Es genügt also nicht, das Problem nur
zwei- oder dreidimensional widerzuspiegeln, sondern es
müssen fünf Dimensionen erfasst werden. Das ist ja
schon fast höhere Mathematik.
Nun habe ich diese umfangreichen Vorbemerkungen
nicht gemacht, um die Tierschutzpolitik in den Höhen
- manche sagen auch: in den Tiefen - der komplizierten
theoretischen Mathematik zu etablieren. Meine Damen
und Herren von der Opposition, ich wollte Ihnen erklären, worin der Hauptmangel Ihrer Anträge besteht. Man
kann Ihnen aus tierschutzpolitischer Sicht nicht unterstellen, dass Sie bei Ihren Anträgen keinen rationalen
Anfangsverdacht hatten. Der Hauptmangel besteht aber
darin, dass die Problematik durch Ihre Anträge nur im
ein- oder zweidimensionalen Raum widergespiegelt
wird und sie damit für die Praxis völlig untauglich sind.
({12})
- Ich war bei der höheren Mathematik, Herr Kollege,
und ich muss mich nun langsam auf das Niveau des Tierschutzes zurückbewegen.
({13})
Nun zu den einzelnen Anträgen. Mit der Kennzeichnungspflicht für verarbeitete Eier hat sich meine Kollegin Klöckner umfangreich beschäftigt.
({14})
Als Tierschutzbeauftragter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erkenne ich das Recht des Verbrauchers auf eine
angemessene Kennzeichnung der Produkte an, andererseits muss auch ein Grundvertrauen dafür vorhanden
sein, dass alle Produkte, die man kauft, den gesetzlichen
Normen entsprechen. Mehr Information bedeutet nicht
automatisch auch bessere Information.
({15})
Ich will nicht, dass jeder Verbraucher für jedes Produkt ein Beipackbuch bekommt, das schwerer als das
Produkt selbst und dazu noch in den 25 Sprachen der EU
abgefasst ist. Sächsisch habe ich vernachlässigt. Wenn
man Sächsisch auch noch erfassen würde, wären das
26 Sprachen. Nicht einmal auf einem Straußenei wäre
dafür genügend Platz.
({16})
Zweitens zu den Anträgen hinsichtlich der Legehennenhaltung. Wenn ich bei den Dimensionen bleibe,
muss ich dazu sagen: Der Antrag der Grünen ist 2,5-dimensional und der Antrag der Linken ist eindimensional.
Deshalb lehnen wir sie schlicht und ergreifend ab.
({17})
Drittens zum Antrag „Tierschutzpolitik energisch
fortführen und weiterentwickeln“.
({18})
Wir sind der Auffassung, dass wir genau das tun. Wir
führen die Tierschutzpolitik im Rahmen der fünf Zielkoordinaten energisch und zielgerichtet fort. Der Antrag ist
überflüssig. Die Lösung aller wichtigen Probleme ist
entweder in aktueller Bearbeitung oder auf dem besten
Wege bzw. bereits gefunden. Ich verweise hier auf die
Beschlussempfehlung des zuständigen Ausschusses.
({19})
Viertens zum Antrag auf Verbot der Einfuhr von
Wildvögeln. Das Anliegen stößt bei mir auf ein gewisses Verständnis, aber der Vorschlag ist vor allem rechtlich unausgewogen. Auch hier muss man die globalisierte Welt berücksichtigen. Im Jahr 1997 wurden
aufgrund eines Vertragsverletzungsverfahrens der EUKommission gegen Deutschland nationale Einfuhrregelungen für nicht europäische Wildvögel gestrichen. Es
gilt aber: Tierquälereien, die beim Fang, bei der Haltung
und beim Transport auftreten, müssen konsequent bekämpft werden.
Fünftens zum Antrag auf Verbot der Einfuhr von
Hunde- und Katzenfellen. Das Anliegen ist verständlich. Handlungseinheit ist hier die Europäische Union.
Inzwischen ist es die erklärte Absicht der EU, ein Verbot
des Imports von Hunde- und Katzenfellen in die EU zu
beschließen. Lassen wir die Regierung arbeiten! Sie arbeitet gut. Ich habe volles Vertrauen, dass sie dieses Problem in der nächsten Zeit löst.
Gestatten Sie mir ein Schlusswort. Zum Jahresende
blicke ich auf ein Jahr als Tierschutzbeauftragter der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion zurück. Ich habe in meiner tierpolitischen Jungfernrede im Februar 2006 - damals noch unter Beifall von rechts und links; so steht es
im Protokoll - gesagt:
Die Größe einer Nation lässt sich daran messen,
wie sie ihre Tiere behandelt.
Dieses Zitat wird Gandhi zugeschrieben.
In der Advents- und Vorweihnachtszeit werden häufig
Geschenke verteilt. Tun wir das doch auch an dieser
Stelle! Ich erinnere an den interfraktionellen Antrag zu
den Robben.
Herr Kollege, auch ich hätte gerne ein Geschenk von
Ihnen.
({0})
Ich komme zum Schluss. - Wenn wir tierschutzpolitische Wünsche und Ansprüche mit der unmittelbaren Realität verbinden, gelingt es uns, gemeinsam sehr viel
Konkretes für das Tier zu erreichen.
Ich wünsche Ihnen allen eine friedliche und gesegnete
Advents- und Weihnachtszeit.
({0})
Ich danke der Präsidentin für ihre Toleranz.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Undine Kurth, Bündnis 90/
Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den
Rängen! Wir reden hier über Tierschutz. In unserer Gesellschaft gibt es ein sehr zwiespältiges Verhältnis zum
Tier: Auf der einen Seite ist es von innigster Liebe, auf
der anderen Seite von brutaler Ausbeutung gekennzeichnet.
Ich möchte nicht noch einmal auf das Thema Legehennenhaltung eingehen. Eines möchte ich Ihnen, Frau
Klöckner, aber doch sagen: Auch ein so genanntes Nutztier ist ein Mitgeschöpf.
({0})
Man wird dem Thema Tierschutz in keiner Weise gerecht, wenn man es lächerlich macht.
({1})
- Ich hatte den Eindruck, dass Sie es lächerlich machen.
Ich frage mich, ob Ihnen und uns allen in diesem Saal
bewusst ist, dass es beim Thema Tierschutz auch um
politische Zuverlässigkeit bzw. um Politikverdrossenheit geht.
({2})
Anders ausgedrückt: Wir müssen darüber reden, warum
heute leider so viele der politischen Klasse nicht mehr so
recht etwas Gutes zutrauen. Spätestens seit der Aufnahme des Staatszieles des ethischen Tierschutzes ins
Grundgesetz wissen wir, für wie viele Menschen der
Undine Kurth ({3})
Tierschutz ein ganz wichtiges, emotionales Thema ist.
Im Jahr 2002, vor der Bundestagswahl, haben Sie alle
das akzeptiert und haben für die Aufnahme ins Grundgesetz gestimmt.
({4})
Und was kommt nun? Wir müssen mit Fug und Recht
davon ausgehen, dass all diejenigen, denen wir mit dieser Entscheidung versprochen haben, etwas für den Tierschutz zu tun, nun von uns erwarten, dass in diesem Bereich etwas passiert.
({5})
Ein Gesetz hat, wenn wir nicht für seine Umsetzung sorgen, keinen Nutzen. Darüber hinaus - da werden Sie alle
sicherlich meiner Meinung sein - schadet es auch dem
Rechtsverständnis unserer Gesellschaft.
Man muss sagen: Das Markanteste, was im letzten
Jahr beim Thema Tierschutz in den Köpfen geblieben
ist, ist leider die Verlängerung der Käfighaltung durch
die Hintertür.
({6})
- Ich sage, das war das Markanteste. Ich möchte die Erfolge, zum Beispiel bei den Robbenfellen - Bärbel Höhn
hat davon gesprochen -, nicht in Abrede stellen.
Ich freue mich über jeden einzelnen Fortschritt; denn
jede einzelne Verbesserung für jedes einzelne Tier ist
wichtig. Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass
noch vieles dringend zu tun ist. Ihnen, Herr Minister,
und der Bundesregierung fehlt offensichtlich die Handlungsbereitschaft. Diese Anmerkung ist nicht nur im
Hinblick auf Minister Seehofer, der immer als Erster angesprochen wird, wichtig; das ist auch eine Frage für das
Justizministerium, für das Wirtschaftsministerium und
für das Innenministerium. Offensichtlich muss man noch
einmal darauf hinweisen, dass Tierschutz eine Querschnittsaufgabe ist.
({7})
Damit komme ich zu unseren Anträgen. Das erste
Beispiel ist das Verbot der Einfuhr von Wildvögeln.
Der Inhalt dieses Antrags ist schon mehrfach zur Sprache gekommen. Dabei geht es zunächst um das große
Problem der Tierquälerei. Denn die 1,76 Millionen importierten Vögel bedürfen eines Fangs von 3,5 Millionen
Tieren, weil die Hälfte der gefangenen Vögel schon im
Ursprungsland stirbt. Insofern ist das sowohl ein Tierschutzproblem als auch ein Artenschutzproblem. Auf die
Zusammenhänge mit der Vogelgrippe ist bereits hingewiesen worden.
({8})
- Wir sind uns einig. Das freut uns auch. Ich hätte es fast
vergessen, Herr Goldmann: Ich wollte mich bei Ihnen
für Ihre sehr sachliche und argumentative Rede bedanken. Das war nach der Rede Ihrer Vorgängerin wohltuend.
({9})
Trotzdem war die Koalition nicht in der Lage, diesen
Antrag zu befürworten. Wir sollten nicht mehr über das
Engagement der Bundesrepublik beim weltweiten Biodiversitätsschutz reden, wenn wir nicht einmal bei einer
so klaren Faktenlage imstande sind, zu handeln.
Das zweite Beispiel ist das Verbot der Einfuhr von
Katzen- und Hundefellen. Es wäre zu wünschen, dass
sich die SPD als Tierschutzpartei profiliert und dem Antrag zustimmt. Denn es gibt genug Belege dafür, wie
brutal die Bedingungen sind, unter denen die Tiere gehalten und getötet werden. Es gehören sehr gute Nerven
dazu, sich diese Bilder anzusehen.
Wir haben nichts weniger gewollt, als dass die Bundesrepublik dem Beispiel anderer Staaten folgt und ein Verbot der Einfuhr von Hunde- und Katzenfellen und -häuten
erlässt. Wir wollten eine Kennzeichnungspflicht für verarbeitete Pelze, damit die Verbraucher und Verbraucherinnen die Chance haben, sich gegen solche Produkte zu
entscheiden.
({10})
Im Mai dieses Jahres sind dem Parlamentarischen
Staatssekretär Dr. Müller 130 000 Unterschriften für dieses Anliegen übergeben worden. Es war aber wieder
Fehlanzeige. Sie verkriechen sich hinter der Aussage,
dass eine EU-weite Regelung notwendig sei. Aber nach
der EU kommt dann noch die WTO und irgendwann
sind wir im intergalaktischen Raum.
({11})
Wann sind wir bereit, hier in diesem Land zu handeln?
Es muss doch möglich sein, dass wir definieren, was in
diesem Land für uns verbindlich gelten soll bzw. welche
Normen und Regelungen wir uns hier geben wollen.
({12})
Nehmen Sie die Wählerinnen und Wähler ein einziges Mal so ernst wie die Vertreter der Landwirtschaft
und der Wirtschaftslobby! Das wäre sehr hilfreich.
({13})
Trauen Sie den Menschen in diesem Land Urteilsvermögen zu! Dann würde es Ihnen vielleicht auch leichter fallen, endlich das notwendige Verbandsklagerecht für
Tierschutzverbände einzuführen.
Es bleibt sehr viel zu tun. Der Handlungsbedarf reicht
vom Schächten bis zu Tierversuchen. Das wissen wir. Es
ist bereits angesprochen worden. Der Sachverstand der
Tierschutzverbände würde Ihnen sicherlich dabei helfen,
das Problem zu bewältigen. Dass sie sich bereits mit der
Frage befasst haben, was im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft auf europäischer Ebene zu tun ist, geht aus einem Memorandum hervor, das ich Ihnen, Herr Minister,
gerne stellvertretend für andere Stellungnahmen der
Undine Kurth ({14})
Tierschutzorganisationen übergeben möchte. Denn wir
haben einen großen Handlungsbedarf.
Danke schön.
({15})
Nächster Redner ist der Kollege Christoph Pries von
der SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich freue mich, dass ich als Umweltpolitiker in der heutigen tierschutzpolitischen Debatte zum
Thema Artenschutz - genauer gesagt: zum Wildvogelschutz - sprechen darf. Wir debattieren heute unter anderem über den Antrag der drei Oppositionsfraktionen, in
dem ein generelles Verbot des Imports von Wildvögeln
auf EU-Ebene gefordert wird.
Wir werden diesen Antrag ablehnen, obwohl ich der
Auffassung bin, dass die Meinungsunterschiede beim
Thema Wildvogelschutz insgesamt nur sehr gering sind.
({0})
Der beste Beleg für diese Behauptung ist, dass die FDP
und die Linke gemeinsam einen Antrag eingebracht haben. Das ist sonst eher die Ausnahme, Herr Goldmann.
Ein weiterer Beleg ist, dass die Grünen, die jetzt ein
EU-Verbot des Imports von Wildvögeln unterstützen,
erst nach dem Regierungswechsel 2005 ihre Meinung
zur Umsetzbarkeit eines solchen Vorhabens geändert haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
in der gesamten Zeit, als das Landwirtschafts- und das
Umweltministerium unter Ihrer Führung gestanden haben, ist von Ihnen keine Initiative für ein Verbot des Imports von Wildvögeln ausgegangen. Ich verstehe Sie.
Denn trotz aller Einigkeit im Grundsatz stellt sich die
Umsetzung eines EU-weiten Importverbotes als äußerst
schwierig dar.
Worin besteht Übereinstimmung? Welche Probleme
gibt es? Wir alle wollen nicht, dass sich gefährliche
Krankheiten wie die Vogelgrippe über Wildvögelimporte
nach Europa ausbreiten. Wir alle wollen nicht, dass
Wildvögel auf dem Transport vom Ursprungsland nach
Europa qualvoll zugrunde gehen. Wir alle wollen auch
nicht, dass zahlreiche Vogelarten durch die unkontrollierte Entnahme von Wildfängen in ihrem Bestand gefährdet werden.
Das Problem ist die konkrete Umsetzung. Ich möchte
drei Aspekte ansprechen.
Erstens. Die Forderung nach einem generellen Einfuhrverbot ist mit der Konvention über die biologische
Vielfalt nicht vereinbar. Die Grundsätze der Konvention
verwehren den Ursprungsländern den Verkauf von Wildtieren so lange nicht, wie dieser nachhaltig ist und sich
am Vorsorgeprinzip orientiert.
Zweitens. Ein nationales Besitz- und Vermarktungsverbot im Hinblick auf alle Wildvögel, wie es im vorliegenden Antrag gefordert wird, verstößt gegen geltendes
EU-Recht.
Drittens. Auf der Ebene der Europäischen Union gab
und gibt es keine Mehrheit für ein generelles Verbot der
Einfuhr von Wildvögeln.
Es gibt darüber hinaus einen aktuellen Anlass, warum
wir den Antrag ablehnen. Die Bundesregierung hat sich
auf EU-Ebene sowohl im Rat der Agrarminister als auch
im Rat der Umweltminister dafür eingesetzt, dass auf
wissenschaftlicher Grundlage geprüft wird, ob und wie
eine Verbesserung im Bereich des Wildvogelhandels erreicht werden kann. Im Auftrag der EU-Kommission hat
die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit
Ende Oktober dieses Jahres entsprechende Empfehlungen ausgesprochen. Diese Empfehlungen sind inzwischen in eine Entscheidungsvorlage der EU-Kommission zur Neuregelung der Bestimmungen für den Import
von Wildvögeln eingeflossen, die spätestens im Frühjahr
2007 verabschiedet werden soll. Bis dahin gilt das EUweite Importverbot. Die geplante Neuregelung wird zu
einer deutlichen Einschränkung der Wildvogelimporte in
die EU führen. Das ist ein wichtiger Beitrag zum Artenschutz in den Ursprungsländern sowie zur Tiergesundheit und zum Tierschutz.
Was sieht die Beschlussvorlage der Kommission zum
Wildvogelhandel vor?
Erstens. Der Handel mit Wildvögeln wird auf Zuchttiere beschränkt. Wildfänge dürfen in Zukunft nicht
mehr in die EU eingeführt werden. Gerade das Verbot
des Imports von Wildfängen ist meiner Ansicht nach ein
wesentlicher Fortschritt für den Artenschutz. Ich würde
mich freuen, wenn dieser Ansatz auch bei anderen Tierarten, insbesondere bei Fischen und Reptilien, weiterverfolgt würde.
({1})
Bedauerlich ist, dass die EU-Kommission dieses Verbot
allein auf seuchenrechtliche Grundlagen gestützt hat.
Als Umweltpolitiker hätte ich mir hier eine stärkere Betonung artenschutzrechtlicher und artenschutzpolitischer
Aspekte gewünscht.
Zweitens. Die nachgezüchteten Wildvögel dürfen nur
aus zugelassenen Zuchtstationen in sicheren Drittländern
importiert werden. Sichere Drittländer sind diejenigen
Staaten, aus denen auch Geflügel und Eier in die EU eingeführt werden dürfen. Aktuell sind dies Australien,
Neuseeland, Teile von Brasilien, Chile, die USA, Kanada, Israel, Kroatien und die Schweiz.
Drittens. Andere Länder können die Aufnahme in die
Liste der zugelassenen Exportländer beantragen. Diese
Länder müssen allerdings strenge Auflagen bezüglich
der Tiergesundheit, der Bauweise der Zuchtstationen,
der kontinuierlichen tierärztlichen Überwachung und der
Dokumentation erfüllen.
Viertens. Durch Fußringe oder die Implantierung von
Mikrochips sowie eine entsprechende Dokumentation
wird in Zukunft eine individuelle Identifizierung der
Zuchtvögel gewährleistet. So soll sichergestellt werden,
dass zwischen Wildfängen und Nachzuchten unterschieden werden kann.
Ich bin mir durchaus bewusst, dass sich die Naturund Tierschutzverbände eine weiter gehende Regelung
gewünscht hätten. Dennoch bin ich der Auffassung, dass
eine europaweite Lösung, die mit internationalem Recht
vereinbar ist, einen ersten, aber wichtigen Fortschritt
beim Artenschutz, im Bereich des Tierschutzes und bei
der Bekämpfung der Vogelgrippe darstellt.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ein frohes Fest. Herzlichen Dank.
({2})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Christel
Happach-Kasan, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Tiere sind Mitgeschöpfe. Sie sind keine Objekte. Wir
tragen Verantwortung insbesondere für die Tiere, die in
unserer Obhut sind. Aus diesem Grunde meine ich, dass
Tiere nicht auf den weihnachtlichen Gabentisch gehören.
Wir haben für sie Verantwortung und dürfen sie nicht
wie Sachen verschenken. Vielmehr müssen wir dafür
sorgen, dass es ihnen gut geht.
({0})
Auch aus diesem Grunde hatte sich die FDP - lange und
inzwischen erfolgreich - für die Aufnahme des Tierschutzes in die Verfassung eingesetzt.
Der Tierschutz ist unteilbar. Um jeden Quadratzentimeter mehr Platz für Hühner wurde hier gekämpft. Das
hat die bisherige Debatte hauptsächlich bestimmt. Aber
wie verhält es sich mit anderen Tieren? Zum Beispiel erlaubt die EU-Ökoverordnung die Anbindehaltung von
Kühen bis 2010. Ist das eine tiergerechte Haltung von
intelligenten Tieren wie beispielsweise Rindern? Wurde
nicht im Jahre 2003 die Anbindehaltung insbesondere
von Pferden verboten? Warum nicht auch bei Rindern?
Warum, Frau Kollegin Bulling-Schröter, machen Sie
nicht auch einmal Tierschutz vor Ihrer Haustür? Das
Ganze ist insbesondere in Bayern ein Problem.
({1})
Der bayerische Minister Miller kämpft dafür, dass die
Anbindehaltung von Kühen beibehalten wird. Wir, Herr
Minister Seehofer, fordern Sie auf, dies nicht zuzulassen; denn dies widerspricht dem Tierschutzgedanken.
({2})
Tierschutz ist unteilbar. Das heißt, artgerechte Tierhaltung ist sehr viel mehr, als nur über den Platzanspruch
von Tieren zu sprechen. Eine art- und rassengerechte
Ernährung ist Voraussetzung für das Wohlbefinden von
Tieren. Wir alle wissen, beide, Dackel und Bernhardiner,
sind Hunderassen. Gleichwohl wissen wir auch, die Futterportionen für den Dackel lassen den Bernhardiner verhungern. Das leuchtet unmittelbar ein. Sehr ähnlich ergeht es Tieren von Hochleistungsrassen, Hühnern oder
Kühen, wenn sie nach den Regelungen von Ökoverordnungen gefüttert werden. Für die Biomast - das müssen
wir anerkennen - sind deshalb nur langsam wachsende
Tierrassen geeignet und nur diese dürfen dort gehalten
werden.
({3})
- Wenn Sie eine Frage stellen wollen, Herr Kollege
Herzog, dann tun Sie das. - Schnell wachsende Tierrassen müssen entsprechend ihrem Nahrungsbedarf gefüttert werden. Alles andere ist Tierquälerei. Ansonsten haben wir Mortalitätsraten zwischen 30 und 50 Prozent,
was dem Tierschutz widerspricht.
({4})
Der Energiegehalt sowie der Gehalt an Aminosäuren
im Futter von Schweinen und Geflügel müssen bedarfsgerecht sein. Deshalb ist es nicht entscheidend, ob Methionin von gentechnisch veränderten Organismen
stammt, sondern es ist entscheidend, dass die Methioninversorgung ausreichend ist; denn Tierschutz hat Priorität
und nicht die Bekämpfung der Gentechnik.
({5})
Es ist völlig überzogen, wenn unter dem Deckmantel
des Umweltschutzes für bekannte und sichere chemische
Stoffe komplizierte Prüfverfahren mit aufwendigen
Tierversuchen gefordert werden, ohne dass ernsthafte
Risiken abgeklärt werden müssen. Tiere leiden, aber ein
Gewinn an Sicherheit wird nicht erzielt. Tierversuche
sind nur dann gerechtfertigt, wenn es um die biologischen Leistungen eines ganzen Organismus geht.
({6})
Impfen statt Töten ist ein Gebot des Tierschutzes. Im
Zuge der Bekämpfung der Vogelgrippe sind bis jetzt
200 Millionen Tiere getötet worden. In Südkorea waren
es in der vergangenen Woche 700 000 Tiere. Das erneute
Auftreten dieses Virus erinnert daran, dass wir noch
lange mit der Vogelgrippe zu rechnen haben und dass die
Entwicklung eines Markerimpfstoffes vordringlich ist,
damit wir vorbeugend impfen können.
({7})
In Kassel-Witzenhausen wurde vor wenigen Monaten
das Fachgebiet „Biologisch-dynamische Landwirtschaft“ ins Leben gerufen. Kaum ist die vormalige FDPWissenschaftsministerin Ruth Wagner nicht mehr im
Amt, wird dort biologisch-dynamischer Schabernack getrieben. „Erleuchtung durch die Gurke“ titelte der „Spiegel“ seinen Bericht über den Fachbereich.
({8})
Mehr Tierschutz erreichen wir nur
({9})
durch seriöse Agrarforschung, aber nicht durch Vergraben von Kuhhörnern zum Beispiel im Acker. Deswegen
fordere ich Sie auf, solchen Spuk zu beenden.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist die letzte
Debatte über den Tierschutz vor Weihnachten. Ich wünsche Ihnen frohe Festtage.
Vielen Dank.
({11})
Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Hans-Heinrich
Jordan, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bei einem
Gespräch fragte mich vorhin ein Kollege etwas blauäugig: Warum wird diese Diskussion heute und nicht zu
Ostern geführt?
({0})
Ich muss ehrlich sagen: Nach dem, was ich von Frau
Höhn gehört habe, hätte ich mir diese Debatte auch lieber zu Ostern gewünscht; denn dann hätte Frau Höhn
bereits gewusst, dass wir zum 1. Januar 2007 einige Veränderungen im Bereich der Batteriekäfighaltung vorgenommen haben und dass bereits einiges auf dem Weg ist.
({1})
Frau Höhn, es verbindet uns ja aber einiges mehr als das
von mir eben Dargestellte.
Die heute anstehenden Vorlagen sind ein Ergebnis einer langwierigen politischen Diskussion, die von ideologischen Vorurteilen, wissenschaftlichen Erkenntnissen
und vielen anderen Einsichten und Standpunkten geprägt
ist. Da kommen wir vielleicht zu dem, was uns eint,
nämlich das Geschöpf in der Schöpfung zu ehren. Das in
Art. 20 a des Grundgesetzes festgelegte Staatsziel ist
unsere gemeinsame Richtschnur, Frau Höhn. Unsere Gesellschaft steht in der Verantwortung, die Vielfalt in unserer Flora und Fauna zu schützen und zu erhalten.
({2})
Dabei geht es nicht zuletzt darum, dass der Tierschutz
seine Voraussetzungen in der Gesundheit und in dem
Wohlbefinden unserer Tiere finden muss.
Seit langem gilt das Wort: Gesundheit ist nichts, aber
ohne Gesundheit ist alles nichts.
({3})
Dies gilt nicht nur für den Menschen, sondern vor allem
auch für die von uns gehaltenen Tiere. Deshalb ist die im
Frühjahr beschlossene Rechtsnorm zur Legehennenhaltung in Kleingruppen ein wesentlicher Fortschritt im
Vergleich zur Käfighaltung. Unsere deutsche Norm liegt
bei weitem über dem Standard der EU-Mindestanforderungen.
Tierschutz im Rahmen der Nutztierhaltung ist ab Januar 2007 ein wesentlicher Maßstab für die Gewährung
von Beihilfen an landwirtschaftliche Betriebe. Sie ist
Gegenstand von Cross-Compliance-Kontrollen. Tiergesundheit ist die ausschlaggebende Größe für Leistungen
von Tierbeständen und fordert als Maßstab eine artgerechte und durch Wissenschaft begründete Haltung. Dies
darf und kann kein Tummelplatz von Ideologie und Verklärung sein.
Mit der ab Januar 2007 gültigen Rechtsnorm zur Legehennenhaltung hat der Gesetzgeber Voraussetzungen
geschaffen, dass durch die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit mehr als 40 000 Arbeitsplätze bestandssicherer
werden. Die Übergangsfrist von zwei Jahren, die die
Umrüstung bestehender Anlagen ermöglicht, bietet die
Chance, dem hohen Wettbewerbsdruck durch ausländische, günstiger gestellte Anbieter auf dem europäischen
Markt standzuhalten. Wir wollen nicht durch neue Forderungen Gefahren für Standorte heraufbeschwören. Es
kann nicht rechtens sein, nach planwirtschaftlichen
Maßstäben Betriebsformen, Betriebsgrößen oder gar Arbeitsplatzzahlen gesetzlich zu normieren. Wir haben
Vielfalt nicht nur in der Natur zu fördern, sondern auch
in der Volkswirtschaft und in der Gesellschaft. Derartige
Vorgaben sind nicht frei von Ideologie und ziehen unverantwortliche Bürokratie nach sich.
Aus den Erfahrungen des letzten Winters mit der Vogelgrippe wird deutlich, dass ein sehr unterschiedliches
Gefahrenpotenzial in den verschiedenen Haltungsformen steckt. Unbestritten ist derzeit, dass auch deutlich
negative Aspekte bei der Freiland- und Bodenhaltung
auftreten.
({4})
In Form von Kannibalismus und durch höheren Infektionsdruck werden sie von Wissenschaft und Praxis
nachgewiesen, zuletzt von der Hochschule für tierärztliche Wissenschaften in Hannover.
Der mühsam errungene Kompromiss bei der Kleinvoliere ist eine Alternative zur Tierhaltung in Großbeständen von bis zu 6 000 Stück in einer Gruppe bei der
Freiland- und Bodenhaltung.
({5})
Kleine Gruppen von bis zu 30 oder 60 Stück in Volieren
sind gesundheitlich wesentlich weniger belastet. Das bedeutet geringeren Einsatz von Pharmaka und eine höhere
Leistung.
Das viel gelobte System der Schweiz zeigt, dass dort
nur 50 Prozent des Eigenverbrauchs hochsubventioniert
produziert werden und der Rest aus sonstiger Haltung
aus dem Ausland kommt.
({6})
Schweden war eines der ersten Länder mit Käfighaltungsverbot und machte nun eine Kehrtwendung von
180 Grad auf die EU-Norm zu.
Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Die Kleingruppe ist aus tierphysiologischer und tierpsychischer
Sicht weniger stressbelastet.
Aus den genannten Gründen halte ich es für Wettbewerbsverzerrung und irreführend, Eier und Eiprodukte
aufgrund der Haltungsform qualitativ zu differenzieren.
({7})
Sie mögen schmunzeln: Ei ist Ei, ohne wissenschaftlich
begründbaren herkunftsbezogenen Unterschied
({8})
- das ist vielleicht aus Ihrer Sicht so - in der biologischen Zusammensetzung und ernährungsphysiologischen Qualität.
({9})
Wir stehen unzweideutig zum Verbraucherschutz. Das
beinhaltet auch den Schutz vor Manipulation und Irreführung.
({10})
Gesunde Tiere bringen gesunde Produkte und Tiere mit
Wohlbefinden bringen hohe Leistung; Sie wissen das,
Herr Goldmann.
({11})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Notwendigkeit des Kampfes gegen Bürokratie sind wir uns
alle einig. Ich kann mir praktisch nicht vorstellen, wie
bis zum letzten Produkt ein Nachweis der Haltungsform
machbar sein soll.
({12})
Dies geht nur mit einem Höchstmaß an Belastung für
den Erzeuger und für den Verbraucher. Deshalb kann
man der Vorlage der Grünen zur Kennzeichnung von Eiprodukten keinesfalls zustimmen.
({13})
Werte Kolleginnen und Kollegen, zum wiederholten
Mal hat die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen einen Gesetzesantrag zum Einfuhrverbot von Katzenund Hundefellen in den Deutschen Bundestag eingebracht. Es ist völlig unstrittig, dass in dieser Angelegenheit politischer Handlungsbedarf besteht. Die Europäische Kommission hat vor mehr als einem halben Jahr
angekündigt, bis zum Jahresende ein EU-Importverbot
von Katzen- und Hundefellen umzusetzen. Dies ist eindeutig ein weiter gehender Schritt, weil er die Chance
bietet, dass das Problem europaweit geregelt wird. Die
CDU/CSU-Fraktion unterstützt diese europäische Initiative.
Die Kommission hat am 20. November 2006 den Import- und Exportverkauf sowie das Verkaufsverbot von
Katzen- und Hundefellen für die EU als Verordnung auf
den Weg gebracht.
({14})
- Das ist doch positiv. - Dieses Vorgehen ist effizient
und richtig. Schon jetzt zeigen die Unterschiede - das ist
das, was uns unterscheidet, Herr Goldmann - in den einzelstaatlichen Verboten eine Störung des europäischen
Binnenmarktes. Mit einem einheitlichen EU-Verbot der
Vermarktung und des Handels mit Katzen- und Hundefellen werden wir eine eindeutige Rechtslage und gleiche Bedingungen in der Gemeinschaft schaffen sowie
unnötige Hindernisse im Binnenmarkt beseitigen.
({15})
Da wir einmal dabei sind, Herr Goldmann, noch ein
Wort an die Adresse der FDP, die den Antrag der Grünen
ja unterstützt. Sie pflegen das Bild, Weltmeister im
Bürokratieabbau zu sein. Wie oft wurde uns hier vorgeworfen, wir würden mit der Umsetzung von EURichtlinien die Bürokratie noch weiter aufblühen lassen.
({16})
Ein von Ihnen gefordertes bzw. unterstütztes nationales
Gesetz zum Einfuhrverbot von Katzen- und Hundefellen, welches in naher Zukunft ein Gesetz der EU nur
substituieren würde, bedeutet ein Vielfaches mehr an
Bürokratie.
({17})
Die CDU/CSU-Fraktion ist angesichts der breiten Übereinstimmung über alle Parteigrenzen hinweg sehr zuversichtlich, dass das Europäische Parlament und der Rat
dem entsprechenden Verordnungsentwurf zügig zustimmen werden.
Sehr geehrte Damen und Herren, auch unter Würdigung der Aspekte des Tierschutzes stimmen wir völlig
überein, dass die Einfuhr von Wildvögeln aus NichtEU-Staaten uns zum Handeln zwingt. Die Gefahren der
Einschleppung
Herr Kollege, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr!
- ja, ein paar Sekunden noch - von Wildtierkrankheiten stellen uns vor die Aufgabe, Maßnahmen einzuleiten.
Wir sind sehr gut beraten, wenn wir auch hier den EUVorgaben und -Richtlinien folgen und die Initiative und
das gemeinsame Vorgehen seitens der EU unterstützen.
Als Letztes wünsche ich Ihnen alles Gute für Weihnachten, ein gesundes neues Jahr und gute Zusammenarbeit im Jahr 2007.
Herzlichen Dank.
({0})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Dr. Wilhelm Priesmeier, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute wird
wieder deutlich: Tierschutz verbindet mehr, als er trennt.
Unserer ethischen Verantwortung sind wir uns alle bewusst. Das Ziel, das wir erreichen wollen, haben alle in
diesem Hause fest im Blick; nur der Weg dorthin ist strittig. Es ist aber gut, dass man sich in einem Parlament
über den Weg streitet; denn ein Streit bewirkt in der Regel einen vernünftigen Kompromiss.
Unter diesem Aspekt sehe ich auch die Regelungen
im Bereich der Hennenhaltung. Wir haben unendlich
lange gestritten. Eigentlich hätten wir schon viel früher
einen Kompromiss erreichen können. Natürlich gibt es
auch Stimmen, die von einem Rückschritt sprechen.
Aber ich glaube, mit unseren Regelungen liegt Deutschland immer noch erheblich über dem EU-Standard. Angesichts anderer Produktionsbedingungen - Stichwort
„Verbraucherschutz“ - ist die Herstellung von Eiprodukten bei uns weiterhin gesichert.
Dass die Versorgung deutscher Haushalte mit Eiern
von Hennen aus Bodenhaltung oder aus Freilandhaltung
gewährleistet ist, ist aufgrund der gegenwärtigen Entwicklung unstrittig. Angesichts der jetzigen Vorgaben
kann man davon ausgehen, dass für die etwa 30 Prozent
der Hennen, die jetzt noch in den alten Käfigsystemen
gehalten werden, das ab 1. Januar 2007 nicht mehr der
Fall sein wird, weil diese Systeme ab diesem Zeitpunkt
verboten sind. Wir werden uns relativ schnell dem Ziel
nähern, 50 Prozent der Hennen in Bodenhaltung zu haben.
Wenn wir uns die Entwicklung in diesem Bereich anschauen, dann erkennen wir, dass von 1990 bis 2005 der
Hennenbestand in Deutschland von 53 Millionen auf
36 Millionen gesunken ist. Das hat natürlich Gründe.
Der Selbstversorgungsgrad hat sich in allen Bereichen
der Produktion von fast 100 Prozent auf 70 Prozent verringert.
({0})
- Frau Höfken, Sie können gerne eine Zwischenfrage
stellen. Aber ich möchte Sie bitten, ansonsten nicht dazwischenzureden.
Wenn man nicht mehr in Deutschland produziert,
dann muss man sich über die veränderten Bedingungen
bei der Hygiene im Klaren sein. Wenn man sich im Rahmen des Baselineverfahrens zum Salmonellenmonitoring die Länder anschaut, in denen produziert wird, dann
muss man feststellen, dass in diesen Ländern zwischen
60 bis 80 Prozent aller Bestände hochgradig mit Salmonellen befallen sind.
({1})
- Bei uns ist das auch ein Problem. - Aus dem Grunde
gilt es, die Bedingungen der Tierhaltung in allen Haltungssystemen im Hinblick auf die Gesundheit der Tiere
zu harmonisieren und die entsprechende Forschung voranzutreiben.
Vom Bundesrat wurde ein Maßgabeschluss formuliert; er wird von der Koalition unterstützt. Man kann
hinterher zustimmen oder ablehnen. Dieser Beschluss
besagt, dass gerade die Forschung in diesem Bereich
verstärkt werden muss. Das konnten wir zur Zeit der rotgrünen Regierung nicht umsetzen.
Man kann jetzt einen Grundsatzstreit führen. Ich habe
dazu an gleicher Stelle schon eine Bemerkung gemacht.
Das Problem der einen Haltungsform ist die eingeschränkte Bewegungsfähigkeit durch die Drahtkäfige.
Das Problem der anderen Haltungsform heißt Koprophagie, das bedeutet, dass Hühner ihre Ausscheidungen
fressen. Damit gibt es in bestimmten Haltungsformen
auch ganz spezifische Risiken und Erkrankungen. Daher
ist je nach Haltungssystem der Einsatz bestimmter Medikamente notwendig. Im Bereich der Boden- und Freilandhaltung brauchen wir daneben ein extrem gutes Herdenmanagement.
Wenn man als einziges Kriterium für Tierschutz die
Mortalität heranzieht, dann muss man Folgendes beachten: In den jetzigen Haltungssystemen und unter kontrollierten Bedingungen liegt die Mortalität bei 2 Prozent, in den konventionellen Systemen zwischen 6 und
8 Prozent. Bei der Boden- und Freilandhaltung kann sie
im Regelfall zwischen 12 und 18 Prozent betragen.
({2})
- Betragen kann und es auch tut. Schauen Sie sich die
Verlustzahlen an! Sie sind abhängig von der Größe und
dem Management.
Wenn wir demnächst nur noch Hühner in Freilandhaltung in Größenordnungen von bis zu 5 000 Hennen produzieren wollen, soll das in Ordnung sein. Rechnen Sie
sich einmal die Zahl der Betriebe aus, die wir brauchen,
um unter optimalen Managementbedingungen zu produzieren. Das wäre wünschenswert, ist aber nicht real.
Das System der Freilandhaltung oder auch der Bodenhaltung bedingt natürlich einen erheblichen tierschutzrelevanten Eingriff an dem jeweiligen Huhn. Das
heißt, ich muss dem Huhn einen Tastsinn rauben. Dieser
ist im Oberschnabel und im Unterschnabel beheimatet.
Damit kann das Huhn Partikel in der Größenordnung
von 0,2 Millimeter sortieren. Das kann es, wenn ich seinen Schnabel gekürzt habe, nicht mehr. Dieses Schnabelkürzen ist in dem System, so wie es jetzt ausgestaltetet ist, nachweislich nicht notwendig. Das heißt, dass
unter diesen Voraussetzungen eine Abwägung vorzunehmen ist, was tierschutzgerechter ist und in welcher Haltung Tiere in ihrer Empfindung besonders beeinträchtigt
werden. Ob die Möglichkeit des Flatterns gegeben sein
muss oder nicht, darüber streitet sich die Wissenschaft
natürlich weiterhin.
Wer sich zum Beispiel die Umweltbelastungen verschiedener Produktionsformen anschaut, erkennt ganz
klar, dass es erhebliche Unterschiede gibt. Das hat natürlich mit Genehmigungsprozeduren und -verfahren und
auch damit zu tun, dass man nicht einfach von der Käfighaltung auf die Bodenhaltung umstellen kann. Wer das
versucht, hat aufgrund emissionsschutzrechtlicher Bestimmungen unter Umständen das große Problem, in einem angemessenen Zeitraum eine Genehmigung dafür
zu bekommen. Das ist unbestritten so. Dies ist und war
in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen so. Dies
gilt auch für andere Bundesländer.
Aus diesem Grunde sollte man eine sorgfältige Abwägung vornehmen. Ich glaube, dass das in Form des gegenwärtigen Kompromisses auch passiert ist.
Vergleichen wir einmal die Flächenvorgaben. Beim
alten System ist pro Henne quasi eine Fläche eines DINA4-Blattes vorgesehen. Dieses System ist ab 2007 nur
noch aufgrund einer Übergangsregelung und mit der definitiven Erklärung darüber zu betreiben, was ich als
Hühnerhalter bis 2008 tun will. Wenn ich dies nicht tue,
muss ich die Hühnerhaltung aufgeben. Das ist zwingend;
daran führt kein Weg vorbei. Im Hinblick auf die normale Bodenhaltung, bei der circa 800 Quadratzentimeter
pro Huhn und pro Quadratmeter neun Hennen festgelegt
worden sind, kann sich jeder Folgendes ausrechnen: Das
sind pro Huhn etwa 1 100 Quadratzentimeter. Wenn ich
dann im Rahmen von Bodenhaltungssystemen Etagensysteme habe, liege ich bei 18 Hennen pro Quadratmeter
pro Huhn bei einer Fläche von 555 Quadratzentimetern.
Vergleicht man das mit dem alten System, sieht man,
dass die Differenz nicht mehr allzu groß ist.
Herr Kollege, die vorhin von Ihnen erwähnte Kollegin Höfken würde jetzt gerne eine Zwischenfrage stellen.
Gerne. Ich freue mich schon.
({0})
Ich weiß, dass alle nach Hause wollen. - Nachdem
ich mir das alles angehört habe, möchte ich trotzdem
feststellen: Ich habe ein Plädoyer dafür gehört, dass
möglichst alles so bleibt, wie es einmal unter der Käfighaltung war. Ich will Ihnen folgende Frage stellen: Sind
Sie mit mir der Auffassung, dass erstens die bisherige
Politik in diesem Bereich dazu geführt hat, dass der gesamte Wirtschaftsbereich inzwischen nicht mehr in den
Händen der bäuerlichen Geflügelhaltung ist, sondern
ausschließlich in den Händen einer Industrie mit sehr
wenigen Arbeitsplätzen und höchster Konzentration im
gewerblichen und industriellen Bereich, dass zweitens
die Verlustzahlen, die Sie erwähnen, zwar durchaus
möglich sind, in gut geführten Betrieben aber nicht auftreten, und dass es drittens gut wäre, wenn Sie dafür sorgen würden, dass es in diesem Bereich intensive Ressortforschung gibt, um zum Beispiel in der Züchtung zu
erreichen, dass es im Sinne von umwelt- und tiergerechten Formen bessere Rassen gibt?
Ich denke aber auch an die Wettbewerbsfähigkeit.
Es könnte ein deutlicher Wettbewerbsvorteil für die heimische Wirtschaft sein, tiergerecht zu produzieren, statt
im Gegenzug - das tun Sie jetzt offensichtlich - ausgestaltete Käfige, die bei allen Berechnungen, die man anstellen kann, überhaupt nicht mit der Käfighaltung in
Drittländern wettbewerbsfähig sind, zur Norm zu machen. Damit verspielen Sie einerseits den Tierschutz und
die Chance, die sich daraus bietet, und schädigen andererseits den Wettbewerbsstandort.
Frau Kollegin, Ihrer ersten Feststellung stimme ich
zu. Nennen Sie mir ein Land, in dem in entsprechender
Größenordnung Eier produziert werden, wo das nicht so
ist und wo die Politik vor Ort eine entsprechende Entwicklung verhindert hat. Ich kenne keines. Das gilt sowohl für die USA als auch für unsere benachbarten Länder Holland und Belgien. Von idealen Strukturen
träumen kann man.
Unter bestimmten Bedingungen kann man sich eigene
Vermarktungssysteme schaffen, in denen man eine höhere Wertschöpfung erzielen kann. Dann kann man auch
mit kleineren Systemen zurechtkommen. Betriebe und
Unternehmen aus dem ökologischen Bereich können
Märkte schaffen, die vom Verbraucher honoriert werden.
Wenn das geschieht, ist das sehr lobenswert. Das muss
nachhaltig unterstützt werden.
Zur zweiten Frage. Sie haben gar nicht zugehört. Ich
habe gesagt, dass der Maßgabebeschluss die Vorgabe
enthält - wenn Sie ihn gelesen hätten, wüssten Sie das -,
bezüglich aller Systeme vermehrte Forschung zu betreiben. Diese Vorgabe wird ja auch zwingend umgesetzt.
Fragen Sie doch den Herrn Minister. Er hat große Anstrengungen unternommen, um die Forschung, insbesondere im Zusammenhang mit dem so genannten Tierschutz-TÜV, voranzutreiben. Wir werden schauen, wie
das weitergeht. Ich freue mich schon auf die Ergebnisse.
({0})
Ich hoffe, dass wir diese Ergebnisse nach Europa tragen
können; denn ich halte das für ein System, das sich europaweit gut etablieren ließe.
({1})
Zum dritten Punkt. Sie liegen mit Ihrer Vermutung
falsch. Ich glaube, dass es uns gelingen wird, die Systeme nicht als Gegensätze zu diskutieren. Wir müssen
die wissenschaftliche Erkenntnis berücksichtigen und
dürfen nicht emotional, aus dem Bauch heraus, diskutieren. Wir müssen Systeme auf der Basis von Indikatoren
- was ist tierschutzgerecht und was ist weniger tierschutzgerecht? - entwickeln. Wir müssen dafür sorgen,
dass in Zukunft nur noch tierschutzgerechte Systeme zugelassen werden. Das ist Konsens und entspricht der
Ausrichtung des Maßgabebeschlusses; denn ab 2010
wird es - das ist hervorragend - einen Tierschutz-TÜV
geben, ab 2012 wird es nur noch zugelassene Haltungssysteme geben und ab 2020 überhaupt kein System
mehr, das nicht zugelassen ist. Das ist ein Erfolg, mit
dem wir in der EU an der Spitze stehen. Das werden Sie,
Frau Kollegin, doch wohl nicht bezweifeln, oder?
({2})
Ich fahre mit meiner Rede fort, auch wenn der ICE
des Kollegen Goldmann um 13.13 Uhr abfährt. Das tut
mir Leid.
({3})
- Sie werden den Weihnachtsmann nicht verpassen, Herr
Kollege Goldmann, da bin ich mir ganz sicher.
Es gäbe sicherlich noch einiges zu bemerken, zum
Beispiel zu dem Normenkontrollverfahren, das von
Rheinland-Pfalz angestrebt wird. Das ist ein abstraktes
Verfahren. Es bezieht sich nicht auf die Verankerung des
Tierschutzes als Staatsziel im Grundgesetz; in ihm werden zunächst Verfahrensmängel gerügt und es bezieht
sich inhaltlich auf § 2 des Tierschutzgesetzes, der schon
Grundlage des Urteils zur Hennenhaltung war. Das ist zu
prüfen. Es ist jeder Landesregierung vorbehalten, ein
verfassungsrechtlich garantiertes Recht in Anspruch zu
nehmen. Aus Respekt vor unserem Grundgesetz übe ich
daran auch keine Kritik. Über den Zeitpunkt kann man
zwar streiten, das lasse ich jetzt aber einmal dahingestellt.
In Rheinland-Pfalz werden immerhin 613 000 Hühner
gehalten; sprich: 1,7 Prozent aller Hühner in Deutschland. 70 Prozent davon werden in Käfigen gehalten. Angesichts dessen ist sicherlich noch einiges zu tun.
Wichtig ist mir vor allen Dingen Folgendes. Ich
möchte Sie bitten, ein bisschen aufmerksam zu sein. Viele
von Ihnen werden im Zusammenhang mit dem Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts zum Schächten von hoch
motivierten Bürgerinnen und Bürgern E-Mails erhalten haben. Sie werden aber auch einige E-Mails erhalten haben
- sie stehen im Zusammenhang mit einer Kampagne -, die
ganz klar einen antisemitischen oder antiislamischen
Hintergrund haben. Davon sollten wir uns hier ganz klar
und deutlich distanzieren.
({4})
Dieses Urteil ist zunächst einmal zu akzeptieren. Auf
die Begründung und auf die Auswertung müssen wir warten. Aber es ist nicht zweckdienlich, dieses Urteil zu instrumentalisieren. Wenn es notwendig ist, werden wir die
gesetzlichen Möglichkeiten im Rahmen des Tierschutzgesetzes nutzen, um den Vorgang des Schächtens in einer
Art und Weise zu regeln, die den Verfassungsnormen
entspricht, aber natürlich auch den Normen, die wir üblicherweise an den Umgang mit Tieren stellen. Dieses
Spannungsfeld müssen wir mit einer entsprechenden Regelung lösen. Ich glaube, das wird uns gelingen.
Noch einmal eine kurze Bemerkung zu dem, über das
hier heute Morgen schon diskutiert wurde: Wildtiere in
Zirkussen. Die Anhörung dazu haben wir bereits durchgeführt. Die Schlussfolgerungen daraus müssen noch gezogen werden. Bei über 1 000 Verstößen zwischen 2000
und 2002 fordere ich, dass die Leitlinien zumindest in
eine Verordnung umgewandelt werden, dass das Zirkusregister uns entsprechend schnell zur Verfügung gestellt
wird und dass Zirkusse nur noch dann Wildtiere beherbergen dürfen, wenn sie eine dauerhafte Betreuung
durch Fachtierärzte und damit entsprechende Standards
nachweisen. Für andere Verfahren, zum Beispiel Ersatzvornahmen und Wegnahmen, müssen wir eine Regelung
mit den Ländern finden. Ich glaube, dann können wir
diesen Bereich etwas beruhigen.
({5})
Wie alle anderen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, danke auch ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
All den guten Wünschen, die von den anderen Kollegen,
die heute Morgen gesprochen haben, geäußert wurden,
schließe ich mich an, vor allen Dingen denen in Bezug
auf Weihnachten und Neujahr. Hinsichtlich der Geschenke, Frau Höhn, handhabe ich es wie folgt: Ich habe
meinem Hund, sozusagen als Geschenk für die Tiere,
schon vor einiger Zeit einen grünen Knochen geschenkt
und daran kaut er noch heute.
Danke schön.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/3703 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 22 b. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Drucksache
16/1463. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/1128 mit dem Titel
„Arbeitsplätze durch artgerechte Legehennenhaltung in
Deutschland sichern - Verbot der Käfighaltung ab 2007
durchsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
der SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der Grünen und Gegenstimmen der Linken angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/839
mit dem Titel „Verbot der Käfighaltung für Legehennen
ab 2007 beibehalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist ebenfalls mit den Stimmen
von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen von
Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 c. Beschlussempfehlung des
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Drucksache 16/1464 zu dem Antrag der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache
16/550 mit dem Titel „Tierschutzpolitik energisch fortführen und weiterentwickeln“. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung, in Kenntnis des Tierschutzberichtes 2005 auf Drucksache 15/5405, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD,
CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 d. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2849
die Ablehnung des Antrags der Fraktionen der FDP, Die
Linke und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1502 mit dem Titel „Verbot der Einfuhr von
Wildvögeln“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition
bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 e. In seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3079 empfiehlt der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz die Ablehnung des Antrags der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/841 mit
dem Titel „Einfuhrverbot für Katzen- und Hundefelle“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist ebenfalls mit den Stimmen der Koalition bei
Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der
Überwachungsmission AMIS der Afrikanischen Union ({1}) in der Region Darfur/Sudan
auf Grundlage der Resolutionen 1556 ({2})
und 1564 ({3}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 30. Juli 2004 und 18. September 2004
- Drucksachen 16/3652, 16/3845 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen ({4})
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller ({5})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({6})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/3846 Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Alexander Bonde
Ich weise darauf hin, dass wir über die Beschlussempfehlung später namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine dreiviertel Stunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Brunhilde Irber, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die humanitäre Katastrophe im sudanesischen
Darfur ist ein afrikanisches, aber auch ein weltpolitisches Armutszeugnis. Am vergangenen Dienstag hat
Kofi Annan in einer Dringlichkeitssitzung des UNMenschenrechtsrates in Genf noch einmal dazu aufgerufen, der Gewalt in Darfur endlich ein Ende zu setzen.
Wir alle wissen: Es ist eigentlich schon fünf nach zwölf.
Letzten Mittwoch hat der Menschenrechtsrat erstmals
seit seiner Gründung eine einstimmige Sudanresolution
verabschiedet, die der algerische Botschafter als Hoffnung für Afrika bezeichnet hat. Danach wird eine hochrangige UN-Delegation die Lage vor Ort unabhängig
untersuchen und auf der vierten Sitzung des Menschenrechtsrats im März 2007 Bericht erstatten. Wir haben
uns freilich mehr von den Beratungen des Rates erwartet. Trotzdem müssen wir festhalten: Wenigstens die
schon lange geforderte Kommission wird installiert.
Es bleibt die Frage, ob Khartoum der Überleitung von
AMIS in eine VN-Mission - so wie es der VN-Sicherheitsrat in seiner Resolution 1706 vorsieht - doch noch
zustimmen wird. Derzeit steht ja auch eine „Hybridtruppe“ aus UN und AU zur Diskussion. Immerhin ist
das ein Schritt in die richtige Richtung.
Wir müssen uns heute aber mit dem beschäftigen, was
derzeit politisch möglich und praktisch vor Ort umsetzbar ist: Das ist die Peacekeeping-Mission „AMIS“ der
Afrikanischen Union, deren Verstärkung dringend geboten ist. Seit dem Beschluss des Deutschen Bundestages
vom 3. Dezember 2004 beteiligt sich die Bundeswehr an
der AU-Mission. Es geht dabei um logistische Hilfe und
insbesondere um den Lufttransport der AU-Soldaten.
Unsere Soldaten leisten hervorragende Arbeit. Ihnen
gelten unser Respekt und unsere Anerkennung.
({0})
Diese jetzt zur Entscheidung anstehende Unterstützung der AU-Mission dürfte wohl kaum in der Kritik
stehen. Sie ist die konsequente Fortsetzung des Einsatzes
unter den gleichen völkerrechtlichen Bedingungen wie
bisher. Der Einsatz von bis zu 200 Soldaten wird für einen Zeitraum von sechs Monaten 800 000 Euro kosten.
Wenn dieser bescheidene Beitrag dazu führt, dass der
Auftrag der AU-Soldaten auch im Hinblick auf humanitäre Hilfsleistungen erfüllt werden kann, dann hat er sich
gelohnt. Dass wir uns insgesamt eine in Wirkung und
Ausrüstung verbesserte AU-Mission wünschen, steht dabei außer Frage. Ziel ist und bleibt es, den Friedensprozess im Sudan zu fördern.
Das Darfur Peace Agreement und die AU-Mission
sind wichtige Bestandteile dieses Prozesses. Deshalb
stimmt meine Fraktion dem vorliegenden Antrag zu. Die
AU-Mission braucht unsere Unterstützung.
Im Kongo war es uns möglich, trotz aller Risiken dabei zu helfen, den Start in eine hoffnungsvollere Zukunft
zu wagen. Wir hoffen, dass dies auch im Sudan gelingt.
Es bedarf allerdings enormer Kraftanstrengungen aller
Interessengruppen, um für die Konfliktherde in den unterschiedlichen Regionen tragfähige Lösungen zu erzielen.
In der letzten Woche hatte ich im Sudan die Gelegenheit, mit Vertretern aus Darfur und Khartoum zu sprechen. Alle meine Gesprächspartner drückten ihre Hoffnung aus, dass sich auch jene wieder am Dialog
beteiligen, die dem Darfur Peace Agreement bislang
nicht zugestimmt haben.
Deutschland genießt im Sudan einen guten Ruf. Es
wäre zu überlegen, ob die Bundesregierung im Rahmen
der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands eine entsprechende Initiative startet. Wir brauchen mehr diplomatische Initiativen, um den Friedensprozess im Sudan zu
fördern. Viele Zahnräder müssen ineinander greifen, damit sich im Sudan stabile Verhältnisse entwickeln können. Die AU-Mission ist eines davon. Deshalb sollte der
Antrag der Bundesregierung von einer großen Mehrheit
dieses Hauses getragen werden.
Vielen Dank.
({1})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Marina Schuster,
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gleich vorweg: Meine Fraktion wird dem vorliegenden
Antrag der Bundesregierung zustimmen.
({0})
Ich bin der Meinung, die Situation vor Ort verpflichtet
dazu. Frau Irber hat gerade ausgeführt, wie die Lage vor
Ort ist. Die AU-Mission soll das Waffenstillstandsabkommen überwachen. Aber es gibt keinen Waffenstillstand, geschweige denn eine Entwaffnung. Vielmehr
kommt es auf allen Seiten zu einer Bewaffnung. Die
Konfliktlage ist unüberschaubar und es gibt kein wirkungsvolles Darfur Peace Agreement.
Dass die AU nicht sehr stark sein kann, liegt sowohl
am Mandat selbst als auch an seiner mangelhaften Ausstattung. Heute schützt die AU die Region vor dem
freien Fall. Aber sie wird in zunehmendem Maße auch
selbst zum Ziel von Angriffen. Dabei handelt es sich
auch um Angriffe verzweifelter Menschen, die sich nicht
ausreichend beschützt fühlen. Ich frage: Was bedeutet
das eigentlich sowohl für die Menschen vor Ort als auch
für uns im Hinblick auf das African-Ownership-Konzept, das gleich bei seiner ersten großen Bewährungsprobe Gefahr läuft, diskreditiert zu werden?
Wie dringend der Handlungsbedarf nicht nur deswegen ist, zeigt auch ein Blick in die Region. Denn am
Horn von Afrika, in Somalia, droht zwischen der Übergangsregierung und den islamischen Gerichtshöfen ein
Stellvertreterkrieg von einem Ausmaß, das wir überhaupt noch nicht auf dem Schirm haben.
({1})
Ich war in der letzten Woche in Addis und kann Ihnen
berichten.
Im Westen des Sudans greift der Darfurkonflikt längst
auf den Tschad und auf die Zentralafrikanische Republik
über. Wir reden hier über nicht weniger als über die drohende Destabilisierung einer ganzen bedeutenden Region.
In den Gesprächen, die ich im Rahmen der African
Union in Addis geführt habe, wurde deutlich: Wir brauchen einen regionalen Ansatz, wenn wir dort dauerhaft
für Stabilität sorgen wollen. Das zweite klare Votum
war: Neben der dringenden Herstellung der Sicherheit
für die Menschen brauchen wir ein Darfur Peace Agreement, das von allen Parteien getragen und implementiert
wird.
({2})
Aber wie bringen wir die Verhandlungspartner wieder
an einen Tisch? Wie will die Bundesregierung hier im
Rahmen ihrer Doppelpräsidentschaft tätig werden?
Staatsminister Erler hat gestern im Auswärtigen Ausschuss einen kenntnisreichen Bericht zur Lage in Darfur
abgegeben. Aber im Kern lief dieser Bericht darauf hinaus, dass Deutschland weder direkt auf Khartoum noch
auf die Rebellengruppen entscheidenden direkten Einfluss ausüben kann. Aber was tut die Bundesregierung
dann?
Die kritische Frage, die Herr Erler nicht beantwortet
hat, ist: Wie nehmen wir China in die Verantwortung?
Denn China hat einen beachtlichen Einfluss auf Khartoum. Bei meinem Besuch im Außenministerium in
Khartoum sagte man mir: „China is our friend for decades.“ Das ist für uns nicht neu: China deckt 9 Prozent
seiner Ölimporte aus dem Sudan. China ist der größte Investor und versorgt die sudanesische Regierung mit Devisen, Personal, Krediten - und wohl auch direkt mit
Waffen. Ich erwarte daher, dass die Bundesregierung in
der Darfurfrage auf China direkt Einfluss nimmt.
({3})
Welchen Einfluss möchte Deutschland nehmen, wenn
es darum geht, Druck auf die Konfliktparteien auszuüben? Herr Jung, ich möchte wissen: Unterstützt die
Bundesregierung den Vorschlag, eine Flugverbotszone
einzurichten, um zu unterbinden, dass sudanesische
Antonows die eigenen Dörfer unter Feuer nehmen? Oder
sollte ich besser fragen, wer in der Bundesregierung diesen Vorschlag unterstützt.
({4})
Erleben wir in dieser Frage erneut, wie bereits in der
Vergangenheit, komplett verschiedene Meinungen? Im
„Morgenmagazin“ vom 28. November sagte der Verteidigungsminister, dass sich deutsche Truppen einer Verantwortung nicht entziehen werden.
({5})
Der Außenminister wurde in der „Frankfurter Rundschau“ am gleichen Tag wie folgt zitiert:
Die Entsendung europäischer Kampftruppen in den
Darfur sehe ich jedoch nicht: Dass nur sie das erreichen können, was afrikanische Truppen bislang
nicht geschafft haben, ist eine gefährliche und, wie
ich finde, auch arrogante Illusion.
({6})
Ich frage angesichts dieser Statements: Was ist Ihre
Strategie? Einigkeit herrscht bei Ihnen nicht. Leider
herrscht auch international keine Einigkeit. Wenn wir
heute mit Nachdruck ein entschlossenes Handeln der internationalen Gemeinschaft fordern, dann weil hier noch
nicht alles getan wurde, gerade politisch. Wir wissen natürlich, dass es unter den P5 im Sicherheitsrat in den entscheidenden Fragen auch keinen Interessenausgleich
gibt. Doch die unermessliche Katastrophe in Darfur verpflichtet uns alle an einem Strang zu ziehen, die wir uns
auf die Achtung der Menschenwürde und das friedliche
Zusammenleben der Völker verständigt haben.
Erlauben Sie mir am Ende zwei grundsätzliche Bemerkungen, die die langfristige Strategie betreffen. Ich
begrüße ausgesprochen, dass die Kanzlerin Afrika auf
die Agenda unserer G-8-Präsidentschaft gesetzt hat.
Doch wie passt das zur Ausstattung unserer Botschaften
in Afrika? Wie sollen unsere Botschaftsangehörigen die
Arbeit vor Ort leisten bei einer Personalausstattung, die
von den chinesischen Botschaften um ein Vielfaches
übertroffen wird?
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen von Klaeden?
Gerne.
Frau Kollegin Schuster, Sie haben gerade ausgeführt,
wie sich Mitglieder der Bundesregierung zu einem Einsatz in Darfur geäußert haben, und versucht, daraus einen Widerspruch abzuleiten. Da würde mich interessieren, wie die Haltung der FDP dazu ist.
Ich danke ganz herzlich für Ihre Frage, weil sie mir
eine gute Gelegenheit gibt, darauf einzugehen. Die Sache ist die: Wir entscheiden heute über die Verlängerung
des Mandats zur Unterstützung von AMIS. Wenn die
Bundesregierung einen Darfurantrag vorlegt, werden wir
über ihn in unserer Fraktion ausgiebig und ausführlich
beraten.
({0})
Doch eine solche Entscheidung steht jetzt nicht an.
({1})
Der Punkt ist einfach der: Wir wollen nicht nacheifern
mit einer Militärangebotspolitik. Wenn ein Antrag für
ein entsprechendes Mandat vorliegt, werden wir weitersehen. Im Moment geht es aber darum, das AMIS-Mandat um ein halbes Jahr zu verlängern. Ob wir uns das
wünschen oder nicht, dieser Antrag liegt heute vor.
({2})
Ich komme zur letzten grundsätzlichen Bemerkung.
Welche Pläne hat die Bundesregierung für die langfristige Zusammenarbeit mit der AU beim direkten Aufbau
der Strukturen in Addis? Ich meine, wir können im Bereich der Ausbildung und auch durch Know-how-Transfer beim Aufbau der Strukturen vor Ort wichtige Arbeit
leisten. Die langfristige, über AMIS hinausgehende Perspektive liegt mir besonders am Herzen. Denn eine strategische und konzertierte Afrikapolitik, die endlich AA,
BMZ, BMVg und auch das BMWi stringent umfasst,
fehlt bis heute - und diese sollte die Kanzlerin nicht
Herrn Jung überlassen.
({3})
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung,
Dr. Franz Josef Jung.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bitten Sie
heute um die Verlängerung des Einsatzes bewaffneter
deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Überwachungsmission AMIS der Afrikanischen Union in Darfur/Sudan.
Frau Kollegin Schuster, Sie haben gerade ausgeführt,
dass es zum Thema Afrika keine Strategie geben würde.
Ich will Sie nur daran erinnern, dass wir in diesem Jahr
vonseiten der Europäischen Union unter großer Beteiligung deutscher Streitkräfte einen, wie ich finde, sehr
wichtigen Beitrag zur Stabilisierung in Afrika geleistet
haben, indem wir die Durchführung demokratischer
Wahlen im Kongo unterstützt haben. Unsere Soldatinnen und Soldaten werden rechtzeitig zu Weihnachten
wieder nach Hause kommen.
({0})
Das Mandat vom 17. November 2004 betreffend Darfur/Sudan sieht Lufttransport einschließlich Bewachung
und Eigensicherung sowie Unterstützungskräfte mit einem Personalumfang von maximal 200 Soldaten vor.
Der Bundestag hatte am 25. Mai 2006 beschlossen, den
Einsatz bis zum 2. Dezember 2006 fortzusetzen. Das
Bundeskabinett hat, wie Sie wissen, zwischenzeitlich
entschieden, dass der Einsatz fortgesetzt werden soll.
Heute kommt es darauf an, dass der Deutsche Bundestag
dem zustimmt, um eine entsprechende Verlängerung zu
bewirken.
Teilweise ist nur wenig bekannt - ich habe zumindest
diesen Eindruck -, auf welche Art Unterstützung geleistet wird. Militärbeobachtung und Militärberatung
habe ich gerade schon angesprochen. Im Mai dieses Jahres haben wir die Rotation eines gambischen Kontingents durchgeführt und haben im Dezember zusammen
mit unseren französischen Freunden den Transport eines
senegalesischen und eines weiteren gambischen Kontingents gewährleistet. In diesem Prozess haben wir der
Afrikanischen Union Unterstützung geleistet.
Aber es ist wahr: Die Lage in Darfur hat sich nicht
stabilisiert, sie ist eher noch kritischer geworden. Man
denke nur an die Ausdehnung des Konflikts auf den
Tschad und die Zentralafrikanische Republik. Deshalb
ist es, wie ich glaube, richtig, dass auch vonseiten der
Vereinten Nationen alles daran gesetzt wird, eine Übereinstimmung zu erzielen. Zunächst war es Ziel, dass die
Mission AMIS in eine rein VN-geführte Friedensmission überführt wird. Dies ist am Widerstand des sudanesischen Präsidenten gescheitert. Es wurde dann am
16. November versucht, einen Kompromiss herbeizuführen, der eine gemeinsame Mission der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union unter dem Kommando der Vereinten Nationen vorsah. Aber auch dies ist
am Veto des sudanesischen Präsidenten gescheitert.
Freunde haben, wie Sie wissen, eine Frist bis zum
Ende des Jahres gesetzt. Ich denke, dass es wichtig ist,
dass die gemeinsamen Bemühungen der Vereinten Nationen fortgesetzt werden und dass effektive Hilfe geleistet werden kann. Der Prozess muss aber weiterhin ein
afrikanisches Gesicht behalten. Das ist wichtig bei der
Umsetzung, um zu einer Stabilisierung durch eine solche
Mission zu kommen.
Wie ich vor dem Deutschen Bundestag vorgetragen
habe, hatten wir in einigen Ländern der Vereinten Nationen teilweise nur eine Mandatsverlängerung von
14 Tagen, um entsprechenden Druck auszuüben. Um
keine Lücke entstehen zu lassen, hat der Friedens- und
Sicherheitsrat der Afrikanischen Union am 30. November entschieden, das Mandat für die Mission AMIS
bis zum 30. Juni 2007 zu verlängern. Ich denke, es ist
richtig, dass eine solche Verlängerung erfolgt; denn so
kann wenigstens in gewisser Weise vermieden werden,
dass ein Machtvakuum entsteht.
Die Verlängerung dieser Mission wird meiner Meinung nach einer weiteren Stabilisierung dienen. Aber ich
glaube, dass sie nicht ausreichen wird. Die Bemühungen
der Vereinten Nationen müssen auch weiterhin unterstützt werden, um zu einem effektiveren Mandat zu
kommen. Es ist aber auch notwendig - ich glaube, auch
darauf muss man hinweisen; Sie haben das angedeutet -,
den Willen der Konfliktparteien, ihren Beitrag zur Befriedung Darfurs zu leisten, zu fördern, damit es zu einer
Verbesserung der Situation kommt. In Darfur sind bereits 200 000 Menschen ums Leben gekommen, es gibt
Millionen von Flüchtlingen. Ich glaube, deshalb ist es
notwendig, hier eine zusätzliche Stabilisierung zu erreichen.
Aufgrund der von mir beschriebenen Lage ist es erforderlich, dass wir dieses Mandat jetzt verlängern. Derzeit gibt es nämlich keine Alternative dazu, dass wir die
Bemühungen der Vereinten Nationen in der von mir gerade angedeuteten Hinsicht unterstützen. Wir schöpfen
alle Möglichkeiten aus, um den Menschen in Not zu helfen und dazu beizutragen, dass es zu einer friedlichen
und stabileren Entwicklung in dieser Region kommt.
Ich denke, durch dieses Mandat, das wir heute verlängern wollen, erhält die Afrikanische Union die Unterstützung, die sie braucht, damit hier keine Lücke entsteht. Es bleiben aber auch weiterhin die Bemühungen
der Vereinten Nationen, sie dabei zu unterstützen, mehr
Effektivität zu erreichen.
Deshalb glaube ich, dass es wichtig und notwendig
ist, dass wir das Mandat heute verlängern. Ich bitte um
breite Zustimmung für diese Verlängerung und auch um
Unterstützung unserer Soldatinnen und Soldaten bei dieser Mission. Ich hoffe und wünsche, dass von den Vereinten Nationen eine weit darüber hinausgehende Lösung bewirkt werden kann. Heute geht es aber um die
Zustimmung für das Mandat hinsichtlich der Überwachungsmission AMIS. Ich bitte noch einmal um breite
Zustimmung des Deutschen Bundestages.
Besten Dank.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Norman Paech,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wie vor einem Jahr können
wir auch in diesem Jahr der Verlängerung des Einsatzes
deutscher Streitkräfte in Darfur nicht zustimmen.
({0})
Wir sind uns darüber einig, dass sich die Situation
nicht gebessert hat.
({1})
Wir sind uns auch darüber einig, dass die Lage der Menschen in Darfur unerträglich ist. Wir sind uns aber nicht
darüber einig, wie dieses Elend gestoppt werden kann
und was wir dazu beitragen können. Sie setzen wieder
einmal auf eine militärische Intervention.
({2})
- Warten Sie ab, Sie werden es bald erkennen. - Sie sehen keine Alternative zur militärischen Intervention. Wir
hingegen sehen eine Alternative in zivilen und diplomatischen Mitteln.
Dabei ist Zweierlei doch klar:
Erstens. Wir müssen uns immer wieder eingestehen,
dass wir keine Lösung für diesen nun schon so lange
dauernden und hoch komplizierten Konflikt anbieten
können.
Zweitens. Die afrikanischen Truppen der AMIS sind
nicht in der Lage, den Schutz der Bevölkerung militärisch zu garantieren. Trotz dieser Situation verfallen Sie
wieder auf das Militär, um zumindest sagen zu können:
Na, wir tun doch etwas.
Ginge es wirklich nur um den Einsatz von 200 Soldaten zur logistischen Unterstützung auf der Basis eines
richtigen Blauhelmeinsatzes nach Kap. VI der VNCharta, dann könnte man ja darüber reden. Sie verfolgen
aber ganz offensichtlich ein viel weiter reichendes Konzept, das Verteidigungsminister Jung neulich ausgeplaudert hat. Ich zweifle daran, dass es nur seiner Unfähigkeit anzulasten ist, wenn er von einem stärkeren Einsatz
der Bundeswehr redet, sobald die UNO ruft. Das kann
auch nicht die scharfe Kritik aus seinen eigenen Reihen
wieder zurückholen.
({3})
Mag sein, dass er sich verplappert hat, wie jüngst
auch Ehud Olmert, aber wir haben auch schon vergleichbare Töne aus dem Kabinett gehört. Sein Vorgänger, der
SPD-Fraktionsvorsitzende Struck, hat ihm vor einem
Monat sogar bestätigt und hinzugefügt, dass es dann
- ich zitiere ihn - ein „brisantes Mandat“ wäre, das
„auch mit Kampfeinsätzen der Soldaten verbunden sein
könnte“. Ich frage Sie: Ist das nun Dummheit oder Programm? Ich glaube, es ist beides; denn das würde einen
umfangreichen Krieg im großen Maßstab bedeuten.
({4})
Sie wissen doch ganz sicher: Die Regierung in Khartoum wird der Resolution 1706, die die UNO vom Süden des Sudan nach Darfur bringen soll, niemals zustimmen und China und Russland werden einer neuen
Resolution hinsichtlich eines direkten Eingriffs in Darfur
auch nicht zustimmen. Wozu also das Gerede?
Spätestens seit vorgestern wissen wir, dass die USA
schon eigene Pläne für ein militärisches Eingreifen im
Sudan - das zitiere ich aus der „Financial Times“ - „innerhalb der nächsten zwei bis drei Monate“ ausgearbeitet haben. Großbritannien hat den Plänen zugestimmt.
Sie sehen die Errichtung von Flugverbotszonen über
Darfur, eine Seeblockade des Ölhafens Port Sudan sowie
Luftangriffe auf Flughäfen und andere Einrichtungen
vor. Natürlich möchten die USA diese Pläne auf der
Grundlage eines UN-Mandats umsetzen. Sie haben aber
deutlich gesagt: Wenn das nicht möglich ist, machen wir
es auch alleine, in einer neuen „Koalition der Willigen“.
Das ist doch Irrsinn! Werden nun die Kriege gegen Jugoslawien und den Irak auf den afrikanischen Kontinent
übertragen? Können Sie sich dann einer solchen Koalition widersetzen? Frau Merkel ist doch nicht Herr
Schröder.
Schon jetzt verlängern Sie den Einsatz deutscher Soldaten auf der Basis einer Resolution nach Kap. VII der
UN-Charta. So schleichen Sie sich ganz langsam in ein
afrikanisches Abenteuer, das den Menschen im Sudan
- nach allen Erfahrungen der letzten Jahre, die wir in Afghanistan und im Irak gesammelt haben - bestimmt
nicht helfen wird.
({5})
Wir fordern von Ihnen nur eines: Verlassen Sie den
Weg eines militärischen Einsatzes!
({6})
Hören Sie auf den Rat des finnischen Botschafters beim
Menschenrechtsrat in Genf. Er sagte vorgestern:
Es ist besser, mit dem Sudan zusammenzuarbeiten,
um konkrete Resultate zu erzielen.
Bringen Sie die Konfliktparteien wieder an den Verhandlungstisch, damit sie einen Friedensvertrag unterzeichnen. Dies hat auch der Menschenrechtsrat gefordert. Unsere Stärke besteht in den diplomatischen
Fähigkeiten, in den wirtschaftlichen Möglichkeiten und
im humanitären Engagement. Wir plädieren für ein solches Engagement und nicht für den Rückfall in eine militärische Drohung.
Danke sehr.
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller,
Bündnis 90/Die Grünen.
Meine Damen und Herren! Herr Präsident! In den
nächsten Tagen wird Kofi Annan, der Generalsekretär
der Vereinten Nationen, seine Amtszeit beenden. Er ist
nun wirklich mit den Krisen dieser Welt vertraut. Er hat
in all seinen Reden der letzten Tage eine Krise besonders
hervorgehoben und eindringliche Appelle an die internationale Gemeinschaft gerichtet, endlich einzugreifen: in
Darfur. Annan appellierte an die Welt,
den Alptraum der Gewalt in Darfur endlich zu beenden und nicht wieder zu warten, bis der Völkermord einsetzt, sondern die
- auch das muss man sich vor Augen führen erst im letzten Jahr auf dem Millenniumsgipfel von
allen Staats- und Regierungschefs
- auch von der deutschen Regierung - eingegangene Responsibility to Protect, also die Verpflichtung, die Menschen vor Völkermord und ethnischen Säuberungen zu
schützen, endlich ernst zu nehmen und endlich in die Realität umzusetzen. Darum geht es in Darfur.
({0})
Liebe Kollegen von der PDS, Herr Dr. Paech, in der
derzeitigen Situation reicht AMIS nicht aus. Es handelt
sich hierbei im Kern um ein Mandat gemäß Kap. VI der
UN-Charta.
({1})
Die AU-Mission ist im Kern ein Beobachtermandat,
welches Sie gerade gefordert haben. Wissen Sie auch,
dass die AU inzwischen Angriffen durch die Bevölkerung vor Ort ausgesetzt ist? Wissen Sie, warum?
({2})
Weil die AU-Soldaten zwar auf der Grundlage des Mandates nachher protokollieren dürfen, dass ein Massaker
stattgefunden hat und dass die Menschen umgebracht
werden, aber nicht eingreifen dürfen. Das macht die
Leute wütend. Deswegen wollte die Afrikanische
Union selber nicht mehr dableiben. Sie konnte nur mühsam überzeugt werden, das Mandat überhaupt um ein
halbes Jahr zu verlängern.
({3})
Da fordern Sie hier ein Kapitel-VI-Mandat. Das ist wirklich an Zynismus nicht mehr zu überbieten!
({4})
Kofi Annan hat in seiner Rede zum Tag der Menschenrechte - die können Sie sich auch einmal anschauen - auch Folgendes gesagt:
Nach Bosnien und Ruanda haben wir alle gesagt:
nie wieder.
Wie kann da die Welt dem Horror in Darfur untätig zusehen?
Frau Kollegin Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Paech?
Ja, ich führe nur noch diesen Gedanken zu Ende. 60 Prozent der Menschen in Darfur können nicht mehr
versorgt werden. Bei dem robusten UNO-Mandat, das in
der Resolution 1706 schon längst beschlossen ist, geht es
zunächst einmal darum, die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen. Erst dann kann man wieder über Politik reden und dann muss man sich daran machen, den
Konflikt politisch zu lösen. Diesen Zusammenhang sollten nach Srebrenica und Ruanda endlich alle verstanden
haben.
({0})
Bitte schön, Herr Paech.
Frau Kollegin Müller, um es kurz zu machen: Würden
Sie zur Kenntnis nehmen oder gegebenenfalls nachlesen,
dass es sich bei den beiden Resolutionen 1556 und 1564,
auf denen der Antrag der Bundesregierung beruht, um
Beschlüsse nach Kap. VII der UN-Charta handelt? Das
ist dort ausdrücklich festgehalten.
Danke schön.
({0})
Ich kenne die Resolutionen sehr gut. Ich weiß auch,
was die Afrikanische Union beschlossen hat und dass die
Afrikaner international nur ermächtigt sind, dort zu beobachten, zu protokollieren, was vor sich geht, und den
Waffenstillstand zu überwachen. Das ist die Ursache für
die Wut der Bevölkerung, weil nur protokolliert, aber
nicht eingeschritten wird. Auf diesen Skandal hat Annan
hingewiesen. Das muss die internationale Gemeinschaft
ändern.
({0})
- Ich habe sie nicht nur gelesen, sondern mitgestaltet.
({1})
- Das ist so.
Vor dem Hintergrund, dass alle dem Vorhaben zugestimmt haben, will ich auf die Debatte eingehen, die
Kerstin Müller ({2})
leider in den letzten Wochen in der Koalition geführt
wurde. Herr Ramsauer zum Beispiel hat gesagt, gerade
weil die Lage so schrecklich sei, sollten keine deutschen
Soldaten nach Darfur geschickt werden. Herr Stoiber
wiederum hat festgestellt, die deutschen Interessen seien
hier nicht so stark berührt. Leider steht auch immer noch
die Äußerung der Bundeskanzlerin im Raum, dass wir
uns über die Unterstützung von AMIS hinaus nicht engagieren würden.
Unabhängig davon, ob deutsche Soldaten dorthin entsandt werden oder nicht, glaube ich, dass das ein völlig
kontraproduktives Signal an das Regime in Khartoum
ist.
({3})
Denn dadurch müssen die Vertreter dieses Regimes zu
der Auffassung kommen, dass sie von Europa nichts zu
erwarten haben.
Damit komme ich zu meinem Hauptanliegen. Wir
brauchen keine unseligen Debatten über die Beteiligung
deutscher Soldaten, nach der noch niemand gefragt hat,
und einer UNO-Truppe, die noch gar nicht in das Land
hinein kann. Wir müssen jetzt vielmehr alle Kräfte auf
diplomatische Initiativen konzentrieren. Herr Minister
Jung, Sie haben selber festgestellt, dass das robuste
Mandat notwendig ist. Ich fordere Sie auf, im Rahmen
der EU-Ratspräsidentschaft diplomatische Initiativen zu
ergreifen und auf die Schutzmächte Sudans, China und
Russland, einzuwirken und in jedem Gespräch mit China
anzusprechen, dass wir alles versuchen, um die Zustimmung der sudanesischen Regierung für ein robustes UNMandat zu bekommen.
({4})
Gestern wurde vorgeschlagen, eine Flugverbotszone
einzurichten, damit die sudanesische Regierung nicht
mehr die Antonows zur Unterstützung der Reitermilizen
einsetzt. Leider hat sich die Bundesregierung nicht dazu
geäußert.
Nach meinen Informationen haben die Außenminister
auf dem Ratstreffen gestern einen Beschluss zum weiteren Vorgehen in Darfur gefasst. Das sind aber leider auch
noch keine Taten; es sind nur Worte. Wir brauchen aber
endlich Taten im Sinne der Diplomatie. Was gestern auf
dem Ratstreffen passiert ist, darf bei der EU-Ratspräsidentschaft nicht wieder passieren. Wir müssen durch
entschlossenes Handeln der internationalen Gemeinschaft den Druck auf das Regime erhöhen.
Wenn es nicht gelingt - etwa wegen eines Vetos von
China und Russland -, im Sicherheitsrat gezielte personenbezogene Sanktionen zu beschließen, um die Zustimmung für die UNO-Truppe zu erwirken, dann muss
meiner Meinung nach die Europäische Union endlich
vorangehen und - das hat sie schon x-mal beschlossen gezielte personenbezogene Sanktionen gegen die Verantwortlichen des Völkermordes verhängen, um die Zustimmung zu erwirken.
({5})
Frau Kollegin Müller, Ihnen wird entgangen sein,
dass Sie die Redezeit überschritten haben.
Nein. Ich komme zum letzten Satz. Oder gibt es noch
eine Zwischenfrage?
Nein. Ich bin beinahe beruhigt, auch wenn Ihre Reaktion mir bestätigt, dass Ihnen in der Tat entgangen sein
muss, dass die Bewirtschaftung der Redezeit durch mich
wieder einmal viel großzügiger war als durch die Fraktion.
({0})
Herr Präsident, ich komme zum Ende. - Es geht zurzeit um politische Initiativen. Ich appelliere eindringlich
an Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung: Werden Sie politisch aktiv! Gerade wir Deutsche
mit unserer Geschichte dürfen nicht tatenlos zusehen,
wenn in Darfur ein Völkermord geschieht. Ich glaube,
dass wir Deutsche hier eine besondere Verantwortung
haben.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Rainer Arnold,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Die Nachrichten aus dem Sudan sind sicherlich für uns
alle mehr als beunruhigend. Der begonnene Friedensprozess droht zu scheitern. Die Risiken für die gesamte Region werden gerade in den letzten Tagen an den Grenzen
des Sudans deutlich sichtbar. Die Untersuchung der
Kommission, die dem Internationalen Strafgerichtshof
zuarbeitet, zeigt, dass 200 000 Menschen ermordet und
2,5 Millionen vertrieben wurden und dass Folter und sexuelle Misshandlungen zum Alltag in dieser Region
gehören. Die Situation ist unübersichtlich. Es gibt traditionelle Stammesfehden um die ökonomischen Grundlagen. Reitermilizen operieren mit Duldung der Zentralregierung. In dieser unübersichtlichen Situation versucht
nun die Afrikanische Union, mit ihrem Mandat AMIS
ein Stück weit für Stabilität zu sorgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS,
Kap. VII der UN-Resolution 1706 umfasst zwei Komponenten: Beobachtung und Schutz. Aber die Afrikaner
stoßen bei dieser Mission an die Grenzen sowohl ihrer
materiellen Möglichkeiten als auch ihrer operativen Fähigkeiten; darauf haben Sie schon hingewiesen. In einer
Situation, in der wir sehen, dass die Afrikaner es nicht
alleine leisten können, wollen Sie ihnen die relativ
kleine Unterstützung, die wir in erster Linie bei der Logistik und beim Lufttransport leisten, verwehren und ihnen so den Boden unter den Füßen wegziehen. Dies ist
zutiefst inhuman.
({0})
Wir alle wissen, dass eine Fortsetzung des Einsatzes
bewaffneter deutscher Streitkräfte für weitere sechs Monate nicht die beste Lösung ist. Aber das ist das Maximum, das im Augenblick erreicht werden kann. Mehr
wird man erst erreichen, wenn die Zentralregierung in
Khartoum den Frieden wirklich will und bereit ist, den
Frieden mit einer stabilen Truppe absichern zu lassen.
Das steht nicht im Gegensatz zu unseren humanitären
und diplomatischen Anstrengungen, wie Sie von der
PDS behaupten. Aber Sie müssen irgendwann einmal
kapieren, dass man gelegentlich mit freundlichen Worten
alleine leider an die Grenzen stößt und dass dann eine
militärische Schutztruppe notwendig und zutiefst human
ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wir
wissen nicht, wie sich das Ganze in den nächsten Monaten entwickeln wird. Vielleicht müssen wir darüber erneut nachdenken. Aber wir sollten vorsichtig sein und
keine schnellen Antworten geben. Mein Eindruck ist,
dass in allen Fraktionen, falls ein erneutes Nachdenken
erforderlich ist, zu Recht sehr schwierige und komplexe
Debatten geführt werden müssen. Die Antworten können dann gegeben werden, wenn die Debatten beendet
sind. Ich denke, das ist die korrekte Reihenfolge.
Wir sollten uns daran erinnern, dass die UN-Resolution 1706 drei Phasen vorsieht. Wir sind in der ersten
Phase, bei der es um die logistische Unterstützung der
Afrikanischen Union geht. Die zweite Phase sieht eine
personelle Erweiterung vor. Die dritte Phase sah ursprünglich ein VN-Mandat vor. Nun sagt die Zentralregierung, dass sie das nicht will. Vielleicht lässt sie sich
- es ist richtig, dass China ein bisschen helfen kann, damit sich im Sudan etwas bewegt - auf eine Mischform
ein, eine so genannte Hybridlösung, eine gemeinsame
Mission von VN und Afrikanischer Union.
Ich habe den Eindruck, die Beweggründe für eine solche Lösung im Sudan sind nicht korrekt. Das Ziel ist
aber möglicherweise auch unseres. Vielleicht ist es klüger, auf dem afrikanischen Kontinent durch eine sehr
gute Kooperation der Vereinten Nationen, durch eine
Kooperation der militärischen Fähigkeiten der westlichen Industriestaaten mit den afrikanischen Partnern dafür zu sorgen, dass auf einer längeren Zeitschiene die
Afrikanische Union als legitime regionale Ordnungsorganisation die Fähigkeiten erhält, dass sie sie entwickeln, dass sie lernen - wir sollten sie materiell darin unterstützen, selbst die Fähigkeiten zu entwickeln -, auf
ihrem Kontinent für Sicherheit und Stabilität zu sorgen.
Darum muss es uns gehen. Deshalb wäre ich nicht unglücklich, wenn eines Tages auch in Deutschland eine
ernsthafte Debatte über diese Hybridlösung geführt
würde.
({1})
Wir Deutsche bewegen uns im Einklang mit den Vereinten Nationen, mit der Afrikanischen Union, im Konzert mit der Europäischen Union. Es ist kein Sonderweg,
sondern wir sind im Einklang mit allen europäischen Organisationen. Wenn wir heute der Fortsetzung des Einsatzes zustimmen, dann sollten wir uns immer wieder
fragen, welche Legitimation wir für diesen Einsatz haben. Wer sich die Europastrategie zu Afrika anschaut
und nicht will, dass dieses kluge Papier reine Makulatur
wird, der muss die Bereitschaft und die Fähigkeit haben,
hier ein Stück weit mitzuhelfen. Die Beweggründe dafür
sind eindeutig. Wir haben zunächst ein eigenes Interesse
an Stabilität auf dem afrikanischen Kontinent, nämlich
unser Sicherheitsinteresse. Neben diesem Interesse haben wir aber im Sudan auch eine zutiefst humanitäre
Verpflichtung. Von diesen beiden Gründen lassen wir
uns bei der Entscheidung über eine Fortsetzung des Einsatzes leiten.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat nun der Kollege Eckart von Klaeden,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Das, was wir bisher von den beiden Oppositionsfraktionen der Grünen und der FDP in dieser Debatte gehört haben, ist in seiner Substanz engagiert vorgetragene Ratlosigkeit.
({0})
Die Ratlosigkeit ist eine Konsequenz aus der Situation, die wir im Sudan, in Darfur vorfinden. Aber es ist
intellektuell unredlich, dafür die Bundesregierung verantwortlich zu machen und dann nicht mehr auf der
Platte zu haben als den Vorschlag, man müsste einmal
Druck auf China oder Russland ausüben, um die Krise
zu überwinden.
({1})
Ich finde, hier müssen mehr Vorschläge kommen.
Wir befinden uns dort in einem Dilemma. Der Sicherheitsrat hat zwar nach der Resolution 1706 beschlossen,
die AMIS-Mission in eine VN-Mission zu überführen,
aber das Dilemma ist doch, dass die Zustimmung der
Regierung in Khartoum nicht vorliegt.
Jeder von uns weiß, dass diese Zustimmung zwar
rechtlich nicht mehr erforderlich ist, aber doch politisch
erforderlich ist, um eine erfolgreiche militärische Operation durchzuführen. Selbstverständlich unternehmen wir
in Richtung Khartoum alles, um eine Zustimmung
möglich zu machen. Aber die Bundesregierung dafür
verantwortlich zu machen, dass es nicht dazu kommt, ist
hanebüchen.
({2})
Zurzeit findet ein Gipfeltreffen von elf afrikanischen
Staaten, der Demokratischen Republik Kongo, der Republik Kongo-Brazzaville, Zentralafrikanische Republik, Ruanda, Burundi, Uganda, Angola, Sambia, Tansania, Kenia und Sudan, in Nairobi statt. Heute soll ein
„Pakt über Sicherheit, Stabilität und Entwicklung der
Region der Großen Seen“ unterzeichnet werden. Man
will, wie es so schön heißt, die „Dynamik der Konflikte
in den Aufbau des regionalen Friedens“ umwandeln.
Diese Konferenz kann einen elementaren Beitrag zur
Konfliktverhütung und -bewältigung, zur Friedensförderung nach dem Grundsatz der afrikanischen Eigenverantwortung leisten. Aber sie muss dieser Aufgabe auch
nachkommen; denn Hunger und Armut, wirtschaftliche
Ungleichheit und politische Ungerechtigkeit, fehlende
Rechtsstaatlichkeit, die Eskalation von Konflikten durch
gewaltsame Vertreibungen, Epidemien, Ressourcenknappheit und ökologische Gefährdungen vielfältiger
Art gehören ja seit langem für die afrikanische Bevölkerung zu den vordringlichsten Problemen.
Im Sudan konnte der über 20 Jahre andauernde Bürgerkrieg zwischen dem Norden und dem Süden, der
2 Millionen Menschen das Leben gekostet und 4 Millionen Menschen zu Binnenvertriebenen und Flüchtlingen
gemacht hat, zwar durch den Friedensvertrag von Nairobi im Januar 2005 beendet werden. Der Waffenstillstand wird aber immer wieder gebrochen. Seit 2003 tobt
ein grausamer und blutiger Konflikt in der westsudanesischen Provinz Darfur. Das Darfur Peace Agreement vom
Mai dieses Jahres wird von keiner der beteiligten Rebellengruppen und auch nicht von den Milizen eingehalten.
Nach Schätzung der Vereinten Nationen sind in Darfur
über 200 000 Menschen ums Leben gekommen und
2 Millionen wurden zu Vertriebenen und Flüchtlingen.
Es ist klar - das sollten wir hier auch deutlich machen -,
dass für diese beiden Konfliktherde die Regierung in
Khartoum mit ihrem Verhalten die Hauptverantwortung
trägt.
Ich begrüße, dass der Sudan auf dem Gipfeltreffen in
Nairobi beteiligt ist und nach den bisherigen Meldungen
den Pakt unterzeichnet hat. Es kommt aber darauf an,
dass die Verpflichtungen, die damit eingegangen werden, schließlich auch erfüllt werden. Bislang kann Präsident Bashir nicht nachgesagt werden, er halte viel von
Vertragstreue: Abkommen werden nicht eingehalten,
wie zum Beispiel das eben bereits angesprochene Darfur
Peace Agreement. Nach Angaben der VN-Hochkommissarin für Menschenrechte sind in den letzten sechs Wochen in Darfur weitere 80 000 Menschen vertrieben und
mehrere hundert Personen getötet worden. Die Regierung habe die Milizen nicht entwaffnet, sondern vielmehr aufgerüstet.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch daran erinnern, dass es die Arabische Liga war, die als erste auf die
Gewalt in Darfur hingewiesen hat. Sie muss deshalb in
die Suche nach einer Lösung des Konflikts mit eingebunden werden.
Es ist von mir schon angesprochen worden: Die Mission soll in eine VN-Mission überführt werden. Nach der
Resolution 1706 soll das sogar bis zum Ende dieses Jahres stattfinden, aber es fehlt an der politisch erforderlichen Zustimmung der Regierung in Darfur. Deswegen
ist es leider nicht möglich, diese VN-Mission so durchzuführen, wie wir das alle wünschen.
Ich will bei dieser Gelegenheit aber auch ein Wort zu
dem in dieser Debatte schon zitierten Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen sagen, der am letzten Mittwoch von der Regierung in Khartoum eine verstärkte
Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft
gefordert hat. Eine Verurteilung der Regierung in Khartoum durch den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen ist aber ausgeblieben. Diese fehlende Verurteilung
der Regierung in Khartoum halte ich für einen Skandal.
({3})
Die 47 Mitglieder des Menschenrechtsrates haben es
nicht verstanden, ein klares Zeichen gegen die Verletzung von humanitärem Recht und Menschenrechten sowie gegen Gewalt und Terror zu setzen. Die Erklärung
lässt eine klare Sprache vermissen. Ich kritisiere den
Menschenrechtsrat mit Blick auf diese Entscheidung insbesondere deswegen, weil er erst seit März dieses Jahres
in dieser Form besteht und in seinen bisherigen sechs
Sitzungen insgesamt acht Resolutionen gegen Israel verabschiedet hat. Wenn dem Westen von diesen Staaten
immer wieder vorgeworfen wird, dass er Doppelstandards anwende, dann müssen sich die Ländergruppen,
die im Menschenrechtsrat für diese Entscheidung verantwortlich sind, wirklich Doppelzüngigkeit vorwerfen lassen.
({4})
Ich wünsche mir - und bitte die Bundesregierung, die
Entwicklung sehr sorgfältig zu beobachten und alles in
ihrer Macht Stehende dafür zu unternehmen -, dass die
vom VN-Menschenrechtsrat nun eingesetzte Kommission schnellstmöglich zusammengesetzt wird und sie
dann ihre Untersuchung zur Menschenrechtslage in Darfur vor Ort ohne Behinderungen jeglicher Art durchführen kann. Als ein Mitglied der insgesamt 28-köpfigen
Gruppe der Freunde der Region der Großen Seen ist
Deutschland dazu verpflichtet.
All dies zeigt, dass wir unser Engagement für Frieden
und Stabilität in der Region im östlichen Afrika beibehalten müssen. Wir müssen uns vor allem dafür einsetzen, dass die humanitären Hilfsleistungen für die Not
leidende Bevölkerung ermöglicht werden; die Kollegin
Müller hat darüber heute schon gesprochen.
Es gibt aber noch einen weiteren gravierenden Grund.
Die internationale Staatengemeinschaft muss ihren Beitrag nicht nur zur Stabilisierung der Lage in Darfur leisten, sondern auch zur Stabilisierung der gesamten
Region. Das liegt auch in unserem Sicherheitsinteresse.
Aus diesem Grund ist es notwendig, unseren Beitrag zur
Unterstützung der Überwachungsmission AMIS der
Afrikanischen Union auch in den nächsten sechs Monaten fortzusetzen, so enttäuschend die Ergebnisse der
Mission bisher auch sein mögen und sosehr zu kritisieren ist, dass die Regierung in Khartoum der Übertragung
der Mission auf die Vereinten Nationen bisher nicht zugestimmt hat.
Meine Fraktion wird deswegen dem Antrag der Bundesregierung zustimmen.
({5})
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Jürgen
Trittin das Wort.
Lieber Herr Kollege von Klaeden, Sie wissen, dass
ich Sie als Außenpolitiker durchaus schätze. Aber ich
finde, Sie haben sich keinen Gefallen getan, als Sie, bevor Sie angefangen haben, Ihre Rede abzulesen, FDP
und Grüne der intellektuellen Unredlichkeit in dieser
Frage geziehen haben.
Worum geht es hier? Es geht nicht darum, wie Herr
Paech glaubt, dass dort ein großer Kampfeinsatz, eine
Friedenserzwingung stattfinden soll, sondern es geht eigentlich um etwas sehr Simples: Es geht darum, dass die
15 000 zivilen Helferinnen und Helfer, die dort zur Verfügung stehen, die bedrohten Menschen wieder erreichen können. Das ist der Kern. Das ist mit 7 000 Leuten
für ein Gebiet der Größe Frankreichs nicht zu gewährleisten. Deswegen hat die UN beschlossen, die Zahl der
Soldaten von 7 000 auf 17 000 aufzustocken. Nun geht
es darum, dafür die Zustimmung der sudanesischen Regierung zu bekommen.
Die Frage, die Frau Müller und Frau Schuster hier an
die Bundesregierung gestellt haben, war nicht intellektuell unredlich, sondern nahe liegend, und zwar deswegen, weil sie wissen wollten, was die Bundesregierung
tut, um diesen Zustand, den Sie Zustand der Ratlosigkeit
genannt haben, zu durchbrechen und Druck auf Khartoum auszuüben.
({0})
Es ist auch nicht so, dass keine Vorschläge genannt
worden wären. Wie ist die Haltung der Bundesregierung
zum Vorschlag einer Flugverbotszone dort? Wie soll
das umgesetzt werden? Warum hat der Rat der Außenminister gestern, obwohl man sich im Prinzip schon
lange darauf verständigt hat, nicht entschieden, individuelle Sanktionen gegen die Machthaber in Khartoum zu
ergreifen? Was muss eigentlich noch passieren?
({1})
Die werfen einen Bevollmächtigten, einen ehemaligen
Umweltminister der Europäischen Union, aus Khartoum
raus, aber wir wollen sie weiter reisen lassen. Das geht
mir nicht in den Kopf.
Das ist es, wozu Sie Stellung nehmen sollten. Ich
finde es intellektuell redlich, von der Bundesregierung
einzufordern, dass sie hier aktiv wird.
({2})
Zur Erwiderung Herr Kollege von Klaeden.
Herr Kollege Trittin, mein Hinweis auf die fehlende
intellektuelle Redlichkeit hat sich nicht auf die Schilderung der Situation bezogen. Wenn ich ausreichend Redezeit gehabt hätte, hätte ich das, was Sie eben noch einmal betont haben, darstellen können. Aber das, was Sie
vorgeschlagen haben und was auch die Kollegin
Schuster hier gesagt hat, läuft de facto auf das hinaus,
was ich gesagt habe, nämlich dass von der Bundesregierung erwartet wird, dass mehr Druck auf China oder
Russland ausgeübt wird. Ich habe doch die Kollegin
Schuster gefragt, wie Sie sich die Durchsetzung eines
Flugverbots vorstellt.
({0})
Darauf ist keine Antwort gekommen. Es hieß, wenn ein
solcher Antrag einmal vorliege, dann würde man darüber in der Fraktion beraten. Das ist doch nicht intellektuell redlich. Das ist der Versuch, die eigene Ratlosigkeit
der Bundesregierung in die Schuhe zu schieben. Das machen wir nicht mit.
({1})
Nun bitte ich um Aufmerksamkeit für die letzte Rednerin in dieser Debatte, die Kollegin Gabriele Groneberg
für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich muss ehrlich sagen, dass
ich verdammt ratlos bin. Das sage ich einmal ganz ungeschminkt. Wir müssen seit Jahren hilflos dem zusehen,
was in Darfur passiert. Aber auch die vorherige Bundesregierung konnte nicht anders mit diesem Problem umgehen, Herr Trittin.
({0})
Die Situation ist folgendermaßen: Die Bundesregierung und all die anderen, die in der Vergangenheit tätig
gewesen sind und die auch jetzt handeln - Frau Müller
ist intensiv daran beteiligt gewesen -, haben sich in den
vergangenen Jahren intensiv um eine Lösung bemüht.
Aber Deutschland allein kann nicht die Lösung bringen;
auch die anderen Staaten sind gefordert. Nur in Zusammenarbeit mit diesen ist eine Lösung möglich. Ich bin
davon überzeugt, dass die Bundesregierung das ihr
Mögliche tut. Wir können nur hoffen, dass die internationale Gemeinschaft sozusagen mehr in die Pötte kommt.
({1})
Seit zwei Jahren verlängern wir das Mandat für deutsche Soldaten, die zur Unterstützung der Überwachungsmission der Afrikanischen Union als Militärbeobachter
und im Transportbereich eingesetzt werden. Ich bin nicht
nur betroffen und frustriert, sondern ich fühle mich, wie
schon gesagt, mittlerweile hilflos, weil wir bei der Lösung dieses Konfliktes immer noch kein Stück weiter gekommen sind.
Im Gegenteil: Die aktuelle Situation in Darfur hat
sich zur größten Katastrophe der Gegenwart ausgeweitet. Seit Ausbruch des Konfliktes sind Hunderttausende
von Menschen - Herr von Klaeden, die Zahlen schwanken; man spricht teilweise von 200 000, aber es können
nach Schätzung einiger Organisationen durchaus
450 000 Menschen sein - getötet und Millionen von
Menschen in die Flucht getrieben worden. Noch schlimmer ist, dass die an diesen Raum angrenzenden Länder
mittlerweile in den Konflikt hineingezogen werden. Hier
entwickelt sich ein Flächenbrand.
Als Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung habe ich die Region
mehrfach besucht. Ich habe mir Flüchtlingslager ansehen können. Ich habe gesehen, unter welchen Bedingungen die Menschen dort leben; teilweise muss man von
Vegetieren sprechen. Die Hilfsorganisationen sind bemüht gewesen, die größte Not zu lindern. Für eine kurze
Zeit schien sich wenigstens die humanitäre Situation
zu verbessern. Nach Angaben der Vereinten Nationen
hatte sich aufgrund des massiven Hilfseinsatzes in den
beiden vergangenen Jahren die Versorgungslage deutlich
verbessert. Die Sterblichkeitsrate bei den Kindern und
bei den Erwachsenen war je nach Region um die Hälfte
bzw. um zwei Drittel zurückgegangen. Das Problem ist
aber, dass man effektive Hilfe nur leisten kann, wenn die
Sicherheit der Menschen und derjenigen, die für die
Hilfsorganisationen arbeiten, gewährleistet ist. Aber gerade das ist in dem letzten halben bis dreiviertel Jahr
nicht mehr der Fall. Diese Menschen sind nicht mehr sicher.
An dieser Stelle komme ich zu der Mission der AU.
Herr Paech, ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich Sie an
dieser Stelle nicht verstehe.
({2})
Es ist unverantwortlich, dass Sie hier sagen, wir würden
uns an einer militärischen Intervention beteiligen. Wenn
wir das getan hätten, dann hätten wir vielleicht eine Lösung des Problems erreicht. Die AU ist, was diese Mission angeht, vollkommen hilflos. Die Afrikaner wollen
anfangen, ihre Probleme selbst zu lösen; das ist löblich.
Aber sie sind zum ersten Mal im Rahmen einer solchen
Mission vor Ort. Meiner Ansicht nach ist die internationale Gemeinschaft nicht in der Lage gewesen, sie genügend zu unterstützen.
Dieser Mission hat es an allem gefehlt, angefangen
damit, dass 7 000 Soldaten für ein Gebiet der Größe
Frankreichs viel zu wenig sind. Da muss man natürlich
fragen, ob das reicht.
Eine weitere Frage ist, wie denn die Rahmenbedingungen für einen solchen Einsatz aussehen. Von Beginn
an waren die Grundvoraussetzungen für einen effektiven
Einsatz nicht gegeben. Erst fehlten die Hubschrauber,
dann fehlten die Geländefahrzeuge und die Transportfahrzeuge. Waren sie endlich vor Ort, dann fehlte der
Sprit für die Fahrzeuge. Die afrikanischen Soldaten waren also überhaupt nicht in der Lage, das Gebiet zu kontrollieren und die Menschen zu schützen.
Warum ist der Kraftstoff nicht an seinem Bestimmungsort angekommen? Weil die Transporte auf ihrem
Weg von der See durch den halben Sudan bis nach Darfur permanent überfallen wurden. Außerdem war gerade
in den letzten Monaten die Lebensmittelversorgung der
Soldaten nicht sichergestellt. Es gab also ganz viele
Schwierigkeiten. Diese versorgungstechnischen Probleme sind auch der Grund dafür, dass die AU ihre Mission nicht in der Form erfüllen konnte, wie sie es gerne
getan hätte.
Ich kreide der internationalen Gemeinschaft an, dass
sie nicht in der Lage gewesen ist, die Unterstützung für
die Soldaten sicherzustellen, zum Beispiel auch durch
Druck auf die sudanesische Regierung. Hinzu kommt,
dass der im Mai dieses Jahres für Darfur geschlossene
Friedensvertrag Makulatur ist, weil er nicht von allen
kämpfenden Gruppierungen getragen wird.
In Darfur eskaliert die Gewalt. Wir werden nicht zuschauen. Wir tun das, was wir tun können, auch wenn
wir damit nicht zufrieden sind. Aber zumindest das müssen wir tun. Insofern freue ich mich, dass wir in der folgenden Abstimmung sicherlich eine Mehrheit dafür finden werden.
Danke.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 16/3845 zum Antrag der Bundesregierung
zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher
Streitkräfte zur Unterstützung der Überwachungsmission AMIS in der Region Darfur/Sudan. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/3652 anzunehmen. Dazu ist namentliche Abstimmung verlangt.
Während die Schriftführerinnen und Schriftführer, soweit nicht bereits geschehen, jetzt die dazu vorgesehenen Plätze einnehmen, bitte ich Sie um eine halbe Minute Aufmerksamkeit. Da wir zum Ende der heutigen
Tagesordnung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr
ganz so zahlreich sein werden wie jetzt und die meisten
von Ihnen ganz unglücklich wären, wenn sie den HeimPräsident Dr. Norbert Lammert
weg in die Wahlkreise und die Weihnachtspause ohne
präsidiale Grüße zu den bevorstehenden Feiertagen antreten müssten,
({0})
nutze ich die Gelegenheit des in diesem Jahr zum letzen
Mal vollen Hauses, um Ihnen allen ganz persönlich ein
frohes, besinnliches Weihnachtsfest, alles Gute zum
neuen Jahr und dazwischen ein paar ruhige Tage und
dann Kraft und Zuversicht für ein neues Jahr zu wünschen, das vermutlich nicht weniger interessant, vermutlich nicht weniger kontrovers und hoffentlich mindestens so erfolgreich wird wie das, das wir jetzt schon fast
hinter uns haben.
({1})
Damit eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses im Plenarsaal anwe-
send, das seine Stimme nicht hat abgeben können? - Das
scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Ab-
stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir geben das
Ergebnis der Abstimmung während der Debatte zum
letzten Tagesordnungspunkt bekannt, sobald die Stimm-
karten ausgezählt sind.1)
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu einem Antrag auf Genehmigung zur
Durchführung eines Strafverfahrens zu erweitern und
diese sofort als Zusatzpunkt 12 ohne Aussprache aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe also den Zusatzpunkt 12 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({2}) zu einem Antrag
auf
Genehmigung zur Durchführung eines Straf-
verfahrens
- Drucksache 16/3896 -
Wir kommen sofort zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/3896, die Genehmigung zur Durchführung eines
Strafverfahrens zu erteilen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent-
hält sich der Stimme? - Dann ist diese Beschlussemp-
fehlung einstimmig angenommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz
Meyer ({3}), Erich G. Fritz, Veronika
Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
1) Ergebnis Seite 7450 C
Dr. Ditmar Staffelt, Ludwig Stiegler, Dr. Rainer
Wend, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Anstrengungen für einen erfolgreichen Ab-
schluss der Doha-Welthandelsrunde mit
höchster Priorität fortsetzen
- Drucksache 16/3810 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Hellmut Königshaus,
Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Doha-Runde wieder beleben - WTO-Generaldirektor als Schlichter einsetzen
- Drucksachen 16/2658, 16/3584 Berichterstattung:
Abgeordnete Ulla Lötzer
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Erich Fritz für die CDU/CSUFraktion.
({5})
Herr Präsident, ich bin von Ihren weihnachtlichen
Worten noch so gerührt, dass es mir schwer fällt, jetzt zu
einem so sachlichen Thema wie dem Stand der DohaWelthandelsrunde zu sprechen.
Herr Kollege, wenn das zur Verkürzung Ihrer Redezeit führt, wird das keine Bestürzung im Plenum auslösen.
Ich denke, es wird eher dazu führen, dass ich immer
wieder Pausen zum Nachdenken brauche, um mich auf
das Thema konzentrieren zu können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was die DohaWelthandelsrunde angeht, gibt es in diesen Tagen gute
und schlechte Zeichen. Am 1. und 2. Dezember haben
sich in Genf Parlamentarier fast aller Mitgliedstaaten getroffen und versucht, gegenüber ihren Regierungen zum
Ausdruck zu bringen, dass es durchgängig den Willen
gibt, die Verhandlungen wieder in Gang zu bringen und
zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen, und zwar
aus Sicht sowohl der Industrieländer als auch der Entwicklungsländer, sowohl der Schwellenländer als auch
der ärmsten Länder mit den kleinsten Volkswirtschaften.
Pascal Lamy hat dort keine sehr optimistische Prognose gegeben, indem er gesagt hat: Ein Scheitern ist
nicht unmöglich. - Dennoch hat er vernünftige Appelle
ausgesandt. In der aktuellen Ausgabe der „Wirtschaftswoche“ hat er wiederum sehr optimistische Signale
ausgesandt. Er sagte, es zeichne sich ab, dass das, was er
die ganze Zeit gefordert habe, nämlich dass alle Flexibilität zeigen, nun umgesetzt werde. Konkret sehen wir das
allerdings noch nicht. Lamy hat in Genf deutlich an die
EU und die USA appelliert, noch einmal etwas zu geben.
Bezüglich der USA setze ich an „noch einmal“ ein Fragezeichen; denn bisher haben sich die USA noch nicht
sehr bewegt. Er hat auch gesagt, dass Länder wie Indien
etwas geben müssen, und zwar mehr als Länder wie
Sierra Leone, weil sie dazu in der Lage sind.
Die Entwicklungsländer haben in der Debatte ganz
deutlich vernommen, dass es für sie einen großen Schaden bedeuten würde, wenn diese Runde in dem schmalen Zeitfenster, das es dafür gibt, nicht zu einem Abschluss kommen sollte, weil dann alle Zusagen für einen
zoll- und quotenfreien Zugang für die ärmsten Länder,
nicht nur für die Industrieländer, und schrittweise auch
für die großen Schwellenländer hinfällig wären. Der
Vorteil für die ärmsten Länder kann nur darin bestehen,
dass sie den Marktzugang für die Produkte bekommen,
die sie selbst anzubieten haben.
In dieser Runde soll alles nur gemeinsam beschlossen
werden. Dieses Prinzip darf nicht aufgegeben werden.
Deshalb dürfen nicht nur Entwicklungsaspekte verhandelt werden. Es muss auch die Frage gestellt werden:
Wie kommen wir zu einem Gesamtpaket, das für alle
Mitgliedstaaten eine Verbesserung mit sich bringt, das
zu mehr Wachstum auf der Welt führt, Entwicklungschancen bietet und durch das weitere freie Märkte
im Bereich der Industriegüter und der Dienstleistungen
geschaffen werden? Wir wissen, dass mittlerweile auch
sehr viele Schwellenländer gerade im Bereich der
Dienstleistungen Interessen haben und dort sehr gerne
Fortschritte sähen.
Worauf wird es in den nächsten Wochen ankommen?
Zunächst einmal ist zu begrüßen, dass alle Mitgliedstaaten - egal welcher Art und welcher wirtschaftlichen
Stärke - angekündigt haben, jetzt flexibel sein zu wollen
und selbst Angebote zu machen.
({0})
Es gibt also momentan nicht mehr den Zustand, dass alle
nur sagen: „Die USA müssen sich bewegen“ oder „Bevor wir selbst etwas tun, muss unser Interesse berücksichtigt werden“. Das ändert aber nichts daran, dass wir
als Ausgangslage nach wie vor eine sehr unglückliche
Konstellation zwischen Europa und den USA haben: Die
Europäische Union hat durch ihre eigene Reform der
Agrarpolitik und durch die Zugeständnisse in Hongkong - einschließlich des Auslaufens der Exportsubventionen - bereits Vorleistungen erbracht in einer Zeit, in
der die USA sich kein Jota bewegt haben. Allerdings
gibt es jetzt Signale aus den USA - das steht im Gegensatz zu dem, was wir in Genf von Herrn Allgeier gehört
haben, Herr Kollege Dobrindt -, dass man bereit ist, sich
hinsichtlich der Agrarsubventionen zu bewegen.
({1})
Wenn das so ist, dann ist das ein erstes gutes Zeichen. Es
bietet die Chance, dass wir weiter über eine breite
Agenda verhandeln können und dass wir - hoffentlich
bevor der Wahlkampf in Frankreich richtig beginnt und
die USA sich auf die Präsidentschaftswahlen einstellen zu einem Abschluss kommen.
Die Europäische Union hat in diesem Prozess eine
wichtige Aufgabe. Da die Bundesregierung aufgrund der
deutschen EU-Ratspräsidentschaft und der deutschen
Präsidentschaft der G 8 in der Lage ist, wesentliche Impulse zu setzen, dient diese Debatte dazu, noch einmal
klar zu machen, dass der Deutsche Bundestag die Bundesregierung ausdrücklich ermuntert, entsprechende
Schritte zu gehen und alle Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zu nutzen. Diese gibt es in den nächsten Wochen an vielen Stellen.
Es gibt Anfang des Jahres ein Treffen der Handelsminister der Europäischen Union, bei dem die Europäer zeigen müssen, dass sie zwei Dinge ernst nehmen.
Als Erstes müssen wir zeigen, dass Doha eine Entwicklungsrunde bleibt und dass an dem, was bereits in diesem Rahmen zugesagt worden ist, nicht mehr gerüttelt
wird. Das Zweite ist, dass wir deutliche Ansprüche auf
einen weiteren Marktzugang gerade auch für die
Schwellenländer erheben müssen, damit das Rosinenpicken nach dem Motto „Wir suchen uns nur das raus, was
unsere eigenen Unternehmen im Wettbewerb besser
stellt; aber wir wollen auf keinen Fall einen offenen
Markt für ausländische Investoren schaffen“ aufhört.
Es muss auch bei anderen Themen, bei denen die Europäer besonders glaubwürdig sind, zu Bewegungen
kommen. Hierbei geht es um die differenzierten Regeln
für die Entwicklungsländer, den Umgang mit Antidumping, die Form des Streitschlichtungsverfahrens und das
geistige Eigentum.
Das zweite Treffen, bei dem die Hauptspieler zusammenkommen und man den Geist dieser Runde beflügeln
kann, ist das Welthandelsforum in Davos. Bis es stattfinden wird, ist ja auch nicht mehr lange hin. Dort wird
ein großer Teil der Leute, auf die es ankommt, zusammen sein. Man kann die dann amtierende Präsidentin des
Europäischen Rats nur ermuntern, diese Gelegenheit zu
nutzen.
Das Zeitfenster für die Verhandlungen bleibt schmal.
Ich muss das hier nicht weiter ausführen; jeder kennt die
Rahmenbedingungen solcher multilateralen, auf Konsens angewiesenen Runden. Ein Scheitern dieser Runde
wird nicht nur viele Nachteile für Schwellenländer und
Entwicklungsländer mit sich bringen, sondern wird auch
den Wachstumsprozess in den Industrieländern schädigen. Die Kosten eines Scheiterns werden wesentlich höher sein als die für die Anpassungsbemühungen aufzuwendenden Kosten bzw. als alle Schwierigkeiten, die
sich aus einem erfolgreichen Abschluss ergeben.
Entwicklung braucht Handel, aber auch die Absicherung des europäischen Sozialsystems braucht Handel.
({2})
Auch die Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit und von Einsätzen, von denen wir gerade einen beErich G. Fritz
schlossen haben, braucht eine wirtschaftliche Grundlage. Wir alle kennen die Prognosen - selbst wenn wir
davon Abstriche machen -, die besagen, wie sehr sich
ein positiver Abschluss dieser Runde auf die Wohlfahrt
der Welt auswirkt. Deshalb kann das Motto nur lauten:
Mit ganzer Kraft für eine erfolgreiche Runde!
Wir als Parlamentarier müssen dazu beitragen, dass
die Regierungen in dieser Frage ermuntert werden. Wir
müssen ebenfalls dazu beitragen, dass auch die Bevölkerung erkennt, dass mit diesem Prozess immer Schwierigkeiten verbunden sind, dass immer Anpassungsleistungen erfolgen müssen, die manchmal schwer zu
verkraften sind, dass der Weg aber richtig ist und dass er
Chancen für alle auf dieser Welt beinhaltet - unabhängig
davon, wo sie leben.
Vielen Dank.
({3})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gudrun Kopp für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Ich glaube, niemand in diesem Hause kann wollen
und will, dass die Doha-Welthandelsrunde, scheitert.
Wir brauchen mehr Welthandel und nicht weniger nicht etwa aus dem Grunde, dass die Industrieländer
weiter profitieren können, sondern zum Wohle der
schwachen und schwächsten Länder auf der ganzen
Welt. Ich hoffe, dass wenigstens in Bezug auf diesen
Punkt hier Einigkeit besteht.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige
Zahlen nennen, die sehr eindrucksvoll und wichtig sind.
Die Weltbank beziffert die globalen Einkommenseffekte
einer vollständigen Liberalisierung der Doharunde bis
2015 auf etwa 461 Milliarden US-Dollar. Allein im
Jahre 2005 hat die Bundesrepublik Waren und Dienstleistungen im Wert von rund 786 Milliarden Euro exportiert. Jeder dritte Arbeitsplatz in Deutschland hängt vom
Welthandel ab. Wir Deutsche sind ja immer noch Exportweltmeister. Das ist positiv; das muss uns aber, geschätzter Kollege Fritz,
({0})
umso mehr dazu antreiben, die Regierung aufzufordern,
hier weiter aktiv zu werden und mehr Druck zu machen,
damit diese Doharunde erfolgreich abgeschlossen werden kann. Das muss eine Aufforderung an die Regierung
und darf nicht einfach nur eine Ermunterung an sie sein.
({1})
Wir wissen, dass es mit Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Deutschland notwendig ist, Signale zu setzen, dass sich die Bundesregierung bemüht,
diese Welthandelsrunde zu puschen. In diesem Zusammenhang sind die Signale, die kürzlich von Minister
Glos und auch von der Bundeskanzlerin Frau Merkel gekommen sind und die auf eine Freihandelszone zwischen
EU und USA oder auf mehr bilaterale Abkommen zielten, nicht hilfreich. Es gibt derzeit etwa 380 bilaterale
Abkommen weltweit, von denen etwa 300 in Kraft sind.
Wenn es bei der weiteren Liberalisierung des Welthandels kein Fortkommen gibt, müssen sich die EU und
Deutschland darum bemühen, dass es zumindest zu bilateralen Abkommen kommt; das ist erforderlich. Aber bilaterale Abkommen können und dürfen nur zweite Wahl
sein. Noch einmal: Ich finde, dass die Signale, die in der
letzten Zeit von Frau Merkel und von Herrn Glos gekommen sind, nicht hilfreich waren.
({2})
Es ist wichtig, dass die EU-Mitgliedstaaten damit aufhören, in erster Linie ihre eigenen Egoismen zu pflegen.
Im Rahmen der letzten WTO-Verhandlungsrunden, etwa
in Hongkong, haben wir erlebt, dass ein Land wie Frankreich ein großer Bremser war, da es darauf gedrängt hat,
das Auslaufen der Agrarsubventionen mit einer Jahreszahl zu versehen. An diesem Beispiel wird deutlich, dass
es immer wieder zu Verzögerungen kommt und dass es
auch innerhalb der EU Länder gibt, die größeres Gewicht und mehr Einfluss für sich reklamieren. In diesem
Zusammenhang bedauere ich, dass Deutschland, einer
der wichtigsten Mitgliedstaaten der EU, seine Stimme
nicht öfter erhebt, beispielsweise durch die verstärkte
Präsenz seiner Minister oder dadurch, dass man sich in
größerem Umfang in die Verhandlungen einbringt.
({3})
Das Zeitfenster, das uns zur Verfügung steht, ist in der
Tat sehr klein. Wir haben nicht mehr viel Zeit, um diese
Verhandlungsrunde überhaupt noch zu einem Abschluss
zu bringen. Weil das so ist und weil wir wissen, welche
Folgen ein Scheitern der Doha-Verhandlungsrunde hätte
- niemand von uns möchte, dass sie scheitert -, legen wir
Ihnen heute einen Antrag vor, der einen großen Schritt
nach vorne bedeutet.
Lassen Sie uns den WTO-Generalsekretär Lamy damit beauftragen, hier als Schlichter tätig zu werden, die
derzeit zu vernehmenden positiven Signale zu bündeln
und sie in die Erfolgsspur zu bringen. Dadurch könnten
wir deutlich machen, dass unsere Absicht, den multilateralen Handel zu stärken, ernst gemeint ist und dass wir
schnell zu einem effektiven Ergebnis kommen wollen.
Wer den multilateralen Handel stärken möchte, den bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag, darauf hinzuwirken, einen solchen WTO-Schlichter einzusetzen.
({4})
Das wäre übrigens für die FDP und für das gesamte Parlament ein sehr schönes Weihnachtsgeschenk, das allen
Menschen nutzen würde.
Herzlichen Dank und Ihnen allen ein schönes Weihnachtsfest!
({5})
Die weiteren Redner bitte ich, Ihre möglichen Wünsche an andere Fraktionen, was Weihnachtsgeschenke
betrifft, möglichst innerhalb ihrer Redezeit unterzubringen.
({0})
Bevor ich nun dem Kollegen Staffelt die Gelegenheit
zur Fortsetzung der Debatte gebe, möchte ich gerne auf
Tagesordnungspunkt 23 zurückkommen und Ihnen das
von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum
Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung
der Überwachungsmission AMIS in der Region Darfur/
Sudan bekannt geben: Abgegebene Stimmen 519. Mit Ja
haben gestimmt 466, mit Nein haben gestimmt 44, enthalten haben sich neun Kolleginnen und Kollegen. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 521
davon
ja: 466
nein: 44
enthalten: 11
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({1})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Carl-Eduard von Bismarck
Renate Blank
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({2})
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Ilse Falk
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
({6})
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({7})
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Volker Kauder
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({9})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({10})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({11})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({12})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({13})
Stefan Müller ({14})
Bernward Müller ({15})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({16})
Klaus Riegert
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({17})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({18})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Christian Schmidt ({19})
Andreas Schmidt ({20})
Ingo Schmitt ({21})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({22})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({23})
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Elisabeth WinkelmeierBecker
Wolfgang Zöller
SPD
Dr. Lale Akgün
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ernst Bahr ({24})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Lothar Binding ({25})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({26})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({27})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Nina Hauer
Hubertus Heil
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({28})
Frank Hofmann ({29})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Johannes Jung ({30})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({31})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({32})
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({33})
Michael Müller ({34})
Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Steffen Reiche ({35})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({36})
Ortwin Runde
Axel Schäfer ({37})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Silvia Schmidt ({38})
Renate Schmidt ({39})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({40})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({41})
Swen Schulz ({42})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({43})
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({44})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
FDP
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({45})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({46})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Ina Lenke
Michael Link ({47})
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({48})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({49})
Martin Zeil
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({50})
Volker Beck ({51})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Dr. Anton Hofreiter
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Undine Kurth ({52})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({53})
Präsident Dr. Norbert Lammert
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({54})
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Wolfgang Wieland
Nein
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
Willy Wimmer ({55})
SPD
Gregor Amann
Reinhold Hemker
Petra Hinz ({56})
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Heidrun Bluhm
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Diana Golze
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger-Neuling
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Wolfgang Nešković
Elke Reinke
Paul Schäfer ({57})
Volker Schneider
({58})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Sabine Zimmermann
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Enthalten
FDP
Joachim Günther ({59})
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Gregor Gysi
Dr. Barbara Höll
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Kersten Naumann
Dr. Petra Sitte
Wir setzen die Debatte fort. Nächster Redner ist der
Kollege Dr. Ditmar Staffelt für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass wir heute über die Doha-Welthandelsrunde bzw. über die Fortsetzung der WTO-Verhandlungen sprechen. Denn ich glaube, dass dies tatsächlich ein
Thema der G-8-Präsidentschaft Deutschlands sein muss
und sein wird. Ich erwarte zwar nicht, dass alle Probleme
dieser Welt im nächsten halben Jahr im Rahmen der G-8Präsidentschaft bzw. im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft unseres Landes gelöst werden können. Doch hier
könnte eine Reihe wichtiger Impulse gesetzt werden.
Ich sage das, weil wir eine verfahrene Situation haben:
Die EU hat - auch deshalb ist dieser Antrag wichtig - im
Verlauf des Jahres noch einmal ein Angebot unterbreitet.
Es ist jetzt aus unserer Sicht insbesondere an den Vereinigten Staaten von Amerika, gerade im Bereich der
Landwirtschaft den Forderungen des Restes der Welt ein
Stückchen entgegenzukommen.
({0})
Ich gebe all jenen Recht, die sagen: Wir dürfen nicht immer darauf warten, dass sich noch einer bewegt, und ansonsten das Scheitern hinnehmen. Ich konzediere sehr
wohl, dass auch Europa noch das eine oder andere leisten kann. Sie haben zu Recht darauf verwiesen, dass es
europäische Länder gibt, deren Landwirtschaft in einem
Maße von Subventionen profitiert, dass wir schon sagen
müssen: Hier muss den Entwicklungsländern in stärkerem Maße Gelegenheit gegeben werden, ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse nach Europa zu exportieren.
Nur, zuallererst brauchen wir Bewegung in den Vereinigten Staaten von Amerika. Nach den Aussagen von
Handelskommissar Mandelson gibt es einige positive
Ansätze seitens des Umfeldes des US-Präsidenten. Wie
sich der Kongress im Einzelnen verhalten wird, gilt als
fraglich. Hier müssen wir einen Teil unserer Bemühungen entfalten, die Amerikaner auf diesem Wege in Bewegung zu bringen.
({1})
Lassen Sie mich einen Punkt ansprechen, der in unserer Debatte immer wieder wichtig ist: Natürlich ist es
eine Entwicklungsrunde. Es ist aber auch eine Runde,
bei der Europa seine Interessen in der Welt vertritt. Ich
habe hier bei anderer Gelegenheit schon einmal gesagt:
Auch mit den Schwellenländern stehen wir heute in
heftigem Wettbewerb,
({2})
vor allem mit den Chinesen, den Indern und den Brasilianern, aber auch mit den Südafrikanern und den Mexikanern. Dass sich Europa hier in angemessener Weise positionieren muss, damit es im Welthandel keine Nachteile
erleiden muss, liegt wohl auf der Hand. Wir sind eines der
Hauptexport- und -handelsländer dieser Welt. Deshalb
liegt es besonders in unserem Interesse - das sage ich bewusst in Richtung des Wirtschaftsministeriums -, alles
Erdenkliche dafür zu tun, dass das multilaterale Welthandelssystem erhalten bleibt.
({3})
Wir müssen auch weiter daran arbeiten, dass endlich
wieder Vertrauen in die internationalen Institutionen einkehrt. Es geht hier nicht nur um die WTO, es geht auch
um den IWF und die Weltbank. Wenn wir unsere Philosophie ein Stück weit verändern - sie darf nicht mehr getragen sein von der Dominanz der Amerikaner, sondern
wir müssen von einer multipolaren Welt der Zukunft
ausgehen -, dann kann Deutschland einen wichtigen,
vermittelnden, aber in der Zielsetzung durchaus klaren
Standpunkt entwickeln, mit dem wir die Dinge voranbringen können. Darum bitte ich die Bundesregierung
ausdrücklich.
({4})
Es geht bei dem Werben auch um etwas, das mir immer mehr Kopfschmerzen bereitet: die Vorbildfunktion.
Man kommt auf internationale Kongresse und Tagungen, und die Entwicklungsländer fragen zu Recht: Was
macht eigentlich ihr Amerikaner, aber auch ihr Europäer? Ihr haltet euch nur sehr bedingt an die von euch
selbst gesetzten Standards. Doch von uns erwartet ihr,
dass wir diese Standards erfüllen. - Hier muss ein stärkeres Maß an Durchgängigkeit, an Klarheit dessen, was
wir anderen zumuten, und dessen, was wir uns selbst zumuten müssen, hergestellt werden. Diese Glaubwürdigkeit kann auch im Rahmen unserer G-8-Präsidentschaft
stärker in den Mittelpunkt gestellt werden.
Jene, die in dieser Debatte darauf verwiesen haben,
das ganze WTO-System sei eigentlich nichts weiter als
eine neokoloniale Erscheinung, sollten einmal über Folgendes nachdenken: Die Alternative zur Multilateralität
ist, dass eine Vielzahl bilateraler Abkommen geschlossen würden. Das würde am Ende insbesondere den ärmsten der armen Länder in der Welt schaden.
({5})
Wir wie andere vergleichbare Länder würden vielleicht
noch damit zurechtkommen, die armen Länder aber mit
Sicherheit nicht. In diesen Ländern würde sich der Prozess der Verarmung in einer Weise fortsetzen, die nicht
mehr verantwortbar wäre. Deshalb müssen wir in dieser
Frage beieinander stehen.
({6})
Ein weiterer Punkt. Wir müssen, allein schon aus ei-
genem Interesse, allergrößten Wert darauf legen, dass
die Kernarbeitsnormen der ILO und Umwelt- und So-
zialstandards in verstärktem Maße Eingang in die Volks-
wirtschaften dieser Welt finden. Es führt kein Weg daran
vorbei, auf dieses Thema hinzuweisen, selbst wenn es
nicht unmittelbar in die WTO-Verhandlungen einfließen
kann. Nur dann werden wir a) zur Wahrung der Men-
schenwürde beitragen, b) die Realisierung des Klima-
schutzes voranbringen und c) dafür Sorge tragen, dass
die Wettbewerbsfähigkeit in dieser Welt und damit unsere Wettbewerbsposition nicht dadurch weiter unterminiert werden, dass sich andere überhaupt nicht an Standards halten und tun, was sie wollen, noch dazu
ungestraft. Das darf nicht sein. Wir müssen uns alle zusammen dafür einsetzen, dass sich Europa und Deutschland dieser Aufgabe stellen und eine wichtige Klammerfunktion wahrnehmen.
({7})
Abschließend noch ein Aspekt, der kürzlich bei der
WTO-Parlamentarierkonferenz eine gewisse Rolle gespielt hat: Wir müssen uns langfristig Gedanken darüber
machen, ob die Struktur der WTO wirklich als arbeitsfähig zu bezeichnen ist.
({8})
Es ist gut, wenn alle Einfluss haben und mitbestimmen
können. Aber eine Organisation oder Institution, die
sanktionieren kann und die handeln und steuern muss,
braucht letztlich ähnliche Strukturen wie beispielsweise
die Vereinten Nationen. Nur ein Delegationsverfahren
ermöglicht letztlich Arbeitsfähigkeit. Diesen Aspekt
sollten wir Deutsche im Rahmen der G 8 zur Sprache
bringen, zumal sich auch die EU dazu schon eingelassen
hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme
zum Schluss. Wir sollten mit großem Engagement die
Fortführung der Doha-Entwicklungsrunde betreiben.
Falls es nicht weitergehen sollte, sollten wir alles dafür
tun, um die Ergebnisse der Konferenz in Hongkong zu
sichern. Das wäre zugunsten der Entwicklungsländer,
aber auch zugunsten unserer Position. Ich denke, das ist
eine Menge Arbeit. Ich hoffe sehr, dass Herr Glos und
sein Wirtschaftsministerium die der Stellung Deutschlands zukommende Aufgabe wahrnimmt.
Schönen Dank.
({9})
Das Wort hat nun die Kollegin Ulla Lötzer, Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Kollege
Fritz, Kollege Staffelt, bei aller Beschwörung des guten
Willens zum Abschluss: Der Geist des Antrags spiegelt
die Gründe für das Scheitern der WTO-Verhandlungen
wider.
Rufen wir uns einmal den Ausgangspunkt in Erinnerung. Die verheerenden Folgen der Uruguayrunde - als
Konsequenz von Liberalisierung und Deregulierung waren nicht Wohlstandsentwicklung, sondern wachsende
Armut und wachsende Polarisierung. Deswegen war es
erforderlich, für die Zustimmung der Entwicklungsländer
zur Doharunde deren Interesse in den Mittelpunkt zu stellen und nichts anderes. Deshalb sollte es eine Entwicklungsrunde werden. Aber wo Entwicklung draufsteht,
muss auch Entwicklung drin sein ({0})
anstatt, wie Sie, die Interessen der Konzerne in Europa
und Deutschland in den Vordergrund zu stellen.
Weiterhin fordern Sie das Dreiecksgeschäft: Zugeständnisse an die Entwicklungsländer gibt es nur, wenn
die Schwellenländer ihre Märkte für die Industrie und
für Dienstleistungen öffnen. Ausnahmen zum Schutz der
Ernährungssicherheit und für Souveränität sollen nur für
die ärmeren Entwicklungsländer gelten. Auch die Men7454
schen in Brasilien und Indien wehren sich zu Recht gegen den Ausverkauf ihrer öffentlichen Daseinsvorsorge.
({1})
Kollege Fritz, Sie haben vor kurzem während der
Reise nach Indien doch auch wieder erfahren: Schutzmechanismen für die Landwirtschaft sind auch in Indien
dringend notwendig, weil sonst Millionen von Subsistenzbauern ihrer Lebensgrundlagen beraubt werden.
({2})
Sie weisen zu Recht auf die Verletzung der Kernarbeitsnormen in vielen Ländern - zum Beispiel in
China - hin. Wer veranlasst diese aber und wer zieht den
Nutzen daraus?
Am 8. Oktober 2006 hat das Magazin „Weltspiegel“
in einem Bericht über einen chinesischen Hersteller von
Duschvorhängen gezeigt, wie die Aufkäufer aus Europa
und den USA in China agieren. Sie erpressen die chinesischen Hersteller: Wenn du den Auftrag willst, musst du
billiger produzieren als bisher - auch unter Verletzung
der Kernarbeitsnormen. - Eingekauft wird in China für
1,96 Dollar und verkauft wird in Europa für 20 bis
30 Dollar. Wer die Bedeutung der ILO-Kernarbeitsnormen stärken will, der sollte zunächst einmal die europäischen Konzerne verbindlich darauf verpflichten, sie
auch in China einzuhalten.
({3})
Wer die soziale Situation verbessern will, der muss die
Konzerne hinsichtlich der Kernarbeitsnormen auch bei
den Investitionen in die Pflicht nehmen.
Mit der EU-Strategie „Ein wettbewerbsfähiges
Europa in einer globalen Welt“ forcieren Sie im Gegenteil die Freizügigkeit bei Investitionen europäischer
Konzerne in bilateralen Handelsabkommen. Damit nehmen Sie den Regierungen die Gestaltungsmacht in diesen Dingen, anstatt sie zu stärken. Auch für Europa behandeln Sie soziale und ökologische Auflagen in dieser
Strategie als Hindernis für die Wettbewerbsfähigkeit, die
es zu beseitigen gilt.
Wer erfolgreiche Verhandlungen und einen erfolgreichen Abschluss will, der muss im Rahmen der Ratspräsidentschaft und des G-8-Vorsitzes eine Neuorientierung
vornehmen: die Förderung sozialer und ökologischer
Nachhaltigkeit in Europa und in den Verhandlungen, die
Orientierung an einem fairen Welthandel mit den Entwicklungs- und Schwellenländern - das heißt, Ernährungssicherheit und Souveränität für alle; auch für die
Schwellenländer -, eine tatsächlich an deren Interessen
orientierte Verhandlung - das heißt, keine Ausweitung in
das GATS - und der Schutz vor dem Zugriff auf ihre
Märkte. Kollege Fritz, der Handel braucht auch die Absicherung des Sozialsystems. Das gilt also nicht nur umgekehrt.
Schöne Feiertage und auf gute Zusammenarbeit im
nächsten Jahr!
Danke.
({4})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Thilo Hoppe, Fraktion Bündnis 90/die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
11. September 2001 brachte einen großen Schock. Unmittelbar danach fand in Doha eine Konferenz statt. Unter dem Eindruck dieser schrecklichen Ereignisse gab es
das Versprechen, dass die Doharunde eine Entwicklungsrunde werden sollte. Es wurde schon gesagt: Die
Auswertung der Uruguayrunde hatte ergeben, dass es
den ärmsten Ländern danach noch schlechter als zuvor
ging. An die Doharunde wurde ein ganz anderer Anspruch gestellt: Mit ihr sollte wirklich zur Armutsbekämpfung und zur Wohlfahrtssteigerung in den Entwicklungsländern beigetragen werden.
Doch was ist daraus geworden? Wir erleben in den
Diskussionen sehr viel Entwicklungsrhetorik. Ich habe
das „off the record“ am Rande der WTO-Konferenz in
Hongkong erlebt, weil ich in demselben Hotel wie die
Mitglieder der EU-Kommission untergebracht war.
Abends an der Hotelbar hat ein sehr hoher Repräsentant
der EU-Kommission gesagt: Meine Herren, bei den Eröffnungsveranstaltungen müssen wir alle eine Träne ausdrücken, die Millenniumsziele zitieren und von der Armutsbekämpfung sprechen. Aber seien wir ehrlich:
Wenn wir nach Hause kommen, werden wir daran gemessen, was wir für unsere Exportindustrie herausgeholt
haben. - Das war jetzt kein Originalzitat - ich habe es
nicht mit einem Rekorder aufgenommen -, aber sinngemäß vorgetragen. Offenbar legen viele dort eine ziemlich zynische Haltung an den Tag.
Hier wurde in vielen Reden gesagt, die Europäische
Union habe sich bereits hervorragend bewegt; abgesehen
von den Franzosen seien es allein die Amerikaner, die
blockierten. Das sieht die große Mehrheit der Entwicklungsländer völlig anders. Auch da gibt es eine große
Kluft zwischen Selbsteinschätzung und Fremdwahrnehmung.
In den Reden, die zum Antrag gehalten wurden,
wurde viel Richtiges gesagt. Ich war angenehm überrascht, dass die Kernarbeitsnormen der ILO unterstützt werden. Es ist eine sehr wichtige und gute Forderung in diesem Antrag, diese Normen anzuwenden.
Außerdem wurde gefordert, ein Standing Forum zu
etablieren, damit sich die WTO stärker mit anderen multilateralen Organisationen, die für die ökologischen und
sozialen Dimensionen der Globalisierung verantwortlich
sind - die WTO ist stark; die anderen Organisationen
sind sehr schwach -, verzahnt. Richtig war auch, dass
gesagt wurde: Umweltschweinereien und ausbeuterische
Kinderarbeit sowie die Verletzung von Kernarbeitsnormen dürfen sich nicht als komparative Kostenvorteile
auswirken. Das sind ganz wichtige Punkte, die ich ausThilo Hoppe
drücklich unterstreichen möchte. Das Votum fast aller
Redner ist also zu unterstützen: Wir sind nicht an einem
Scheitern der WTO, sondern an ihrer Stärkung interessiert; wir brauchen multilaterale Regeln für alle.
Wir können hier eigentlich eine breite Übereinkunft
von fast allen feststellen. Liest man aber den Antrag, erkennt man, dass er in einigen Punkten eine ganz andere
Sprache spricht. Er beinhaltet Double-Bind: Einerseits
fordert er, der Doha-Entwicklungsrunde zum Erfolg zu
verhelfen; gleichzeitig sagt er aber auch: Wenn das nicht
klappt, müssen bilaterale und polylaterale Verhandlungen mit Kraft geführt werden.
({0})
Das ist keine Zukunftsvision; das geschieht schon, etwa
im Rahmen der EPA-Verhandlungen, der Verhandlungen
mit den AKP-Staaten sowie bei den Verhandlungen mit
asiatischen Staaten, mit China und Indien, die Peter
Mandelson begleitet hat. Damit wird aber nicht das Ergebnis von Hongkong gesichert.
Themen, die bei der WTO schon hinten heruntergefallen waren, kommen durch die Hintertür wieder auf die
Agenda; das wird im Antrag sogar ausdrücklich gefordert. Hiermit meine ich die Singapurthemen: Investitionsschutz, Wettbewerb, öffentliches Beschaffungswesen. Unter Rot-Grün haben wir vor der Cancúnkonferenz
einen Antrag verabschiedet, der eindeutig vorsah, die
Singapurthemen herauszunehmen, weil sie zu kompliziert sind, weil sie eine Einigung erschweren. Jetzt heißt
es im Antrag plötzlich zu bilateralen Abkommen, sie
… sollten allerdings mit dem Anspruch verbunden
werden, über den aktuellen Stand der WTO-Vereinbarungen hinauszugehen.
Diese Themen sollen also wieder aufgenommen werden.
({1})
Das ist eine Sabotage der WTO. Wir sehen das sehr kritisch. In diesem Bereich können wir Ihrem Antrag nicht
zustimmen.
Wir möchten eine Entwicklungsrunde, die diesen Namen verdient. Das Wort Entwicklungsrunde soll kein
Etikettenschwindel sein. Das macht weit größere Zugeständnisse auch der Europäischen Union bei der
Abschaffung der Agrarexportsubventionen - nicht
nur der direkten Agrarexportsubventionen, sondern aller
Subventionen im Agrarbereich, die sich handelsverzerrend und nachteilig für die Entwicklungsländer auswirken können - erforderlich.
Zum Schluss möchte ich einige Redner bremsen. Einige Rednerinnen und Redner haben zitiert, eine grenzenlose Liberalisierung aller Märkte würde große Wohlstandsgewinne für die ganze Welt bringen. Es gibt neue
Studien der Weltbank - ich habe die Zahlen leider nicht
vorliegen; ich kann sie Ihnen aber zur Verfügung
stellen -, die besagen, dass eine grenzenlose Liberalisierung beispielsweise für die Staaten Afrikas große Risiken in sich berge. Man hat die bisherigen Zahlen stark
relativiert. Das, was ich sage, hat weder Attac noch die
Kirchen, sondern die Weltbank selber formuliert. Es
heißt dort, gerade die ärmsten, aber auch die weniger armen Staaten Afrikas brauchten in einigen Bereichen
mehr Schutzmechanismen, mehr Außenschutz, um nicht
nur den Ernährungssektor, sondern auch die sonstige Industrie, die sich gerade entwickelt und noch sehr verletzlich ist, zu schützen.
Herr Kollege!
Ich werbe also für eine Entwicklungsrunde, die diesen
Namen wirklich verdient. Wir sollten der Entwicklungsrhetorik nicht auf den Leim gehen.
Danke schön.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem
Titel „Anstrengungen für einen erfolgreichen Abschluss
der Doha-Welthandelsrunde mit höchster Priorität
fortsetzen“. Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 16/3810? - Das sind die Antragsteller. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Das erste war die
Mehrheit. Dann ist der Antrag angenommen.
Zum Tagesordnungspunkt 24 b stimmen wir nun über
die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 16/3584 zum
Antrag der FDP-Fraktion mit dem Titel „Doha-Runde
wieder beleben - WTO-Generaldirektor als Schlichter
einsetzen“ ab. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 16/2658 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit
gegen die Stimmen der FDP angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Christel Happach-Kasan, Cornelia Pieper,
Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Eigentumsrechte und Forschungsfreiheit
schützen - Entschiedenes Vorgehen gegen Zerstörungen von Wertprüfungs- und Sortenversuchen sowie von Feldern mit gentechnisch
veränderten Pflanzen
- Drucksache 16/2835 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan für die FDP-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
23 Felder mit gentechnisch veränderten Pflanzen wurden in diesem Jahr zerstört. Forschungsinvestitionen
wurden entwertet, Wissensfortschritt verhindert und das
Engagement junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ins Leere geführt. Wir in der FDP empfinden
diese Situation als unerträglich.
({0})
Dabei wollen wir festhalten: Die Mehrzahl der Zerstörungen richtete sich nicht gegen den kommerziellen
Anbau von Bt-Mais, eine gentechnisch veränderte Maissorte, die gegen das Schadinsekt Maiszünsler resistent
ist. Die Mehrzahl der Zerstörungen richtete sich gegen
Sortenversuche und Wertprüfungen, gegen Versuche zur
biologischen Sicherheit und gegen Koexistenzversuche.
All diese Versuche finden auf Miniflächen statt. Damit
richteten sich diese Zerstörungen gezielt gegen den
Züchtungsfortschritt von landwirtschaftlich genutzten
Sorten und die Steigerung der Wertschöpfung in den
ländlichen Räumen. Die Schäden betrugen mehrere Millionen Euro. Ich meine, dass wir das nicht länger hinnehmen können.
({1})
Eine Regierung, die eine Hightechstrategie auf den
Weg gebracht hat und diese auch umsetzen will, wie ich
annehme, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD
und der CDU/CSU, und die im Koalitionsvertrag vereinbart hatte, dass Anbau und Forschung gentechnisch
veränderter Pflanzen zum Wohle der ländlichen Räume
gefördert werden sollen, ist angesichts dieses zerstörerischen Demonstrationstourismus gefordert, Gegenmaßnahmen zu entwickeln.
Mittelständische Zuchtunternehmen haben wegen
dieser Situation bereits vor mehreren Jahren Forschungsabteilungen ins Ausland verlagert.
Studenten, Diplomanden, Doktoranden und andere
Wissenschaftler können aufgrund ihrer guten Sprachkenntnisse ebenfalls ins Ausland gehen. Es ist für sie
kein Problem, ein Arbeitsplatzangebot im Ausland anzunehmen.
Aber was wird aus unserem Mittelstand, aus der Gastronomie und dem Handwerk, wenn diejenigen unser
Land verlassen, die relativ gut verdienen und es sich
leisten können, ein Haus zu bauen, die hier Urlaub machen und gerne in die Gastwirtschaft gehen?
({2})
Das wäre ein großer Verlust für unser Land und vor allem für die Menschen, die darauf angewiesen sind, dass
andere ihr Geld bei ihnen ausgeben.
({3})
Deswegen ist es nicht nur eine Frage des Züchtungsfortschritts, sondern auch des sozialen Miteinanders, ob
es sinnvoll ist, dass wir als ein Land, in dem relativ hohe
Gehälter gezahlt werden, diejenigen ins Ausland vertreiben, die diese hohen Einkommen beziehen. Es stellt sich
auch die Frage, ob es sinnvoll ist, diejenigen, die bei uns
studiert und sich ein umfassendes Wissen erarbeitet haben, ins Ausland gehen zu lassen, weil sie bei uns keine
Arbeit finden.
Der Wackelkurs von Minister Seehofer in der Frage
der Novellierung des Gentechnikgesetzes hat den Demonstrationstourismus noch gefördert. Er hat die Hoffnung geweckt, es gäbe Möglichkeiten, die Gentechnik
zu verhindern. Dabei wissen wir alle, dass gentechnisch
veränderte Pflanzen inzwischen weltweit auf über
90 Millionen Hektar angebaut werden.
({4})
- In mehr als vier Ländern, und es sind große Länder.
Die Produkte kommen zu uns. Es macht keinen Sinn,
sich gegen eine Züchtungsmethode zu wehren, über die
zum Beispiel der Senat der Bundesforschungsanstalten
sagt: Bt-Mais ist gesünder als herkömmlich gezüchteter
Mais. Warum soll dieser Züchtungsfortschritt bei uns
verhindert werden?
({5})
- Ich kenne auch das Gutachten, das in Bayern erarbeitet
wurde. Das Bt-Mais-Monitoring wurde in vier Jahren an
fünf Standorten durchgeführt. Das Gutachten ist hervorragend. Wenn Sie es ganz lesen, dann werden Sie feststellen, was uns alles entgeht.
({6})
- Das Bundesamt für Naturschutz hat in seinen Stellungnahmen in der Regel eine sehr abwegige Sicht der
Dinge. Es weiß noch nicht einmal, dass beispielsweise
Kartoffeln nicht auskreuzen.
({7})
- Das ist nicht höhnisch. Ich habe mich mit dem Gutachten des Bundesamtes für Naturschutz und den an mich
gerichteten Briefen auseinander gesetzt. Ich habe sie
mithilfe von Wissenschaftlern gegengecheckt und
musste feststellen, dass das Bundesamt für Naturschutz
in Forschungsfragen nicht auf der Höhe der Zeit ist. Ich
will Ihnen ganz ehrlich sagen: Das bedauere ich als engagierte Biologin.
({8})
- Ich fahre in meiner Rede fort. Aber Sie dürfen mir
selbstverständlich gerne eine Frage stellen, Herr Kollege.
Nein. Es gab bereits vorher eine andere Wortmeldung.
Diese müssen wir, wenn überhaupt, zuerst berücksichtigen.
Entschuldigung, das habe ich nicht gesehen.
Gestatten Sie denn eine Zwischenfrage? Sehen allein
reicht nicht.
Sehr gerne.
Bitte schön, Frau Kurth.
Frau Happach-Kasan, habe ich richtig verstanden,
dass Sie gesagt haben, dass das Bundesamt für Naturschutz in der Einschätzung wissenschaftlicher Sachverhalte nicht auf der Höhe der Zeit ist?
Ich habe mich insbesondere mit den Arbeiten des
Bundesamtes für Naturschutz zur Freisetzung von Kartoffeln auseinander gesetzt. Ich habe einen Brief von
Herrn Vogtmann zu diesem Thema bekommen. Ich habe
nach Kontrolle durch andere wissenschaftliche Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland feststellen müssen, dass bestimmte Dinge, die das Bundesamt für Naturschutz vertritt, nicht richtig sind. Ich möchte zudem
daran erinnern, dass das UBA und das BfN gemeinsam
Gutachten über die Wirksamkeit von Freisetzungsversuchen herausgegeben haben, die meine Position sehr
deutlich bestätigen. Das heißt, wenn das UBA beteiligt
wird, kann auch das BfN gut arbeiten.
({0})
Möchten Sie eine weitere Zwischenfrage aus den eigenen Reihen beantworten?
Gerne.
Bitte schön, Herr Königshaus.
Frau Kollegin, teilen Sie meine Auffassung, dass die
Bundesregierung offenbar die Zuständigkeit für die Gentechnologie im Bereich des Auswärtigen Amtes ansiedelt? Denn außer Herrn Erler ist niemand sonst von der
Bundesregierung bei diesem Tagesordnungspunkt vertreten.
({0})
Ich teile Ihre Auffassung, dass die Bundesregierung
offensichtlich die Verantwortung für die Grüne Gentechnik in das Auswärtige Amt verlagert hat. Ich glaube,
dass sie dort gut aufgehoben ist. Ich darf an meine Erfahrungen in Argentinien erinnern. Dort wurde uns gesagt:
Die Koexistenz ist die Sache derjenigen, die ohne Gentechnik anbauen wollen. Insofern vielen Dank für Ihre
Unterstützung.
({0})
Ich möchte in meiner Rede fortfahren. Bei der Novellierung des Gentechnikgesetzes verspielt Bundesminister Seehofer viele Chancen für den Wissenschaftsstandort Deutschland. Willentlich hat Minister Seehofer die
Novellierung des Gentechnikgesetzes so weit hinausgeschoben, dass es in der kommenden Anbausaison nicht
mehr zur Geltung kommt. Damit enttäuscht insbesondere die CDU/CSU, mit der ich noch vor einem Jahr völlig übereingestimmt habe, die Erwartungen der Wählerinnen und Wähler.
({1})
- Das glaube ich sehr wohl, Frau Kollegin Tackmann.
({2})
Es gibt in unserem Rechtsstaat keinen Freibrief für
rechtswidriges Handeln. Im Grundgesetz ist der Schutz
des Eigentums verankert. Die Zerstörung von Feldern ist
eine gesetzeswidrige Aktion. Den Aktivisten, die für die
Zerstörung von Feldern werben, ist dies bekannt. Laut
„taz“ sagte eine Aktivistin: „Wir wissen, dass es sich im
Prinzip um eine Sachbeschädigung handelt, und gehen
von einer Anklage aus.“ Die FDP bedauert, dass sich
trotz der eindeutigen Rechtslage nur wenige Verbände
sowie nur wenige Politikerinnen und Politiker von
- rechtswidrigen - Zerstörungsaktivitäten distanzieren. Ministerin Künast hat in ihrer Amtszeit auf die konkrete Anfrage des ZDF eine Distanzierung verweigert.
Greenpeace begrüßt laut einer Sprecherin eine Vielzahl
von Protesten. Ich wünsche mir, dass sich meine Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen in den
kommenden Debatten öffentlich von diesen Zerstörungen distanzieren; denn unser Rechtsstaat ist ein sehr hohes Gut, das wir einer tagespolitischen Auseinandersetzung nicht opfern sollten.
({3})
Wer Transparenz beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen will, muss den Zerstörungen aktiv entgegentreten. Es ist in meinen Augen extrem doppelzüngig,
die Ortsangabe für diese Felder einzufordern, aber wenn
sie zerstört werden, die Hände in Unschuld zu waschen.
Wir sollten uns einig sein -
Frau Kollegin, einig sollten wir uns auch über die Redezeit sein. Diese ist, wie Ihnen entgangen sein dürfte,
schon deutlich überschritten.
Ich möchte die Geduld der Kolleginnen und Kollegen
nicht zu lange strapazieren und komme deshalb zum
Schluss. Ich bin in Brandenburg bei einer der
23 Zerstörungsaktionen dabei gewesen.
({0})
- Als Beobachter und Schützer des Landwirts! - Erschreckend waren der extrem geringe Informationsstand
vieler Aktivisten - nicht aller - und die Tatsache, dass
die Veranstalter vor Fehlinformationen nicht zurückscheuten und dass diese Aktion durchgezogen wurde,
obwohl sie in der dortigen Bevölkerung keinerlei Unterstützung fand. Nur die „taz“ hat von dieser Aktion berichtet. Dieses Beispiel macht deutlich, dass die gewaltigen Proteste nicht von Ängsten motiviert sind, sondern
- immer am Wochenende organisiert - eine Form der
Freizeitgestaltung sind.
({1})
Diese sollte durch das Gentechnikgesetz keine weitere Unterstützung finden. Auch deswegen muss das
Gentechnikgesetz novelliert werden.
Diese Art der Freizeitgestaltung
({2})
muss auf den Widerstand der Gesellschaft, der Politikerinnen und Politiker und von ernsthaft im Naturschutz
engagierten Verbänden treffen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen schöne Weihnachten und ein gutes neues
Jahr.
({3})
Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Max Lehmer,
Elvira Drobinski-Weiß, Dr. Kirsten Tackmann und
Ulrike Höfken geben ihre Reden zu Protokoll.1)
1) Anlage 2
({0})
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/2835 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich stelle fest, dass das so ist. Damit ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Erster Bericht der Bundesregierung über die
Umsetzung des Aktionsplans zur zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung - Sicherheit und Stabilität
durch Krisenprävention gemeinsam stärken
- Drucksache 16/1809 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({1})
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Hierzu soll eine dreiviertelstündige Debatte stattfinden. Ich stelle dazu Einvernehmen fest. Dann ist das so
beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat
zunächst Staatsminister Gernot Erler.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am
12. Mai 2004 hat die rot-grüne Bundesregierung den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und
Friedenskonsolidierung“ vorgelegt. Er enthielt mehr als
160 Handlungsvorschläge, baute auf einer Reorientierung von Sicherheitspolitik seit dem Jahr 2000 auf und
reflektierte Erfahrungen mit verschiedenen Konflikten,
unter anderem auf dem Balkan und später auch in Afghanistan.
Zwei Jahre später, am 31. Mai 2006, hat das Bundeskabinett den ersten Bericht zur Umsetzung dieses Aktionsplans verabschiedet und vorgelegt. Auf 133 Seiten
wird hier bilanziert, was zwischen Mai 2004 und Mai
2006 erreicht werden konnte. Dieser Bericht stellt fest:
Der Aktionsplan hat das deutsche Engagement bei Krisenpräventionsmaßnahmen verstärkt und das auch international sichtbar gemacht. Der Aktionsplan hat insgesamt zu erhöhter Aufmerksamkeit auf diesen
Politikbereich geführt und dazu beigetragen, dass heute
Krisenprävention zunehmend Teil von Sicherheitspolitik
geworden ist. Diese Erkenntnis hatte sich auch in dem
kürzlich vom Deutschen Bundestag beratenen Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr 2006 niedergeschlagen. Ich
möchte daraus eine kurze Passage in Erinnerung rufen.
Dort heißt es wörtlich:
Sicherheit kann weder rein national noch allein
durch Streitkräfte gewährleistet werden. Erforderlich ist vielmehr ein umfassender Ansatz, der nur in
vernetzten sicherheitspolitischen Strukturen sowie
im Bewusstsein eines umfassenden gesamtstaatlichen und globalen Sicherheitsverständnisses zu entwickeln ist. Das Gesamtkonzept der Bundesregierung „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und
Friedenskonsolidierung“ ist ein Baustein hierzu.
Dieser Baustein wird immer wichtiger. Warum? Weil jeder sieht, dass ein alleiniges Setzen auf Fähigkeiten,
Konflikte, wenn sie ausbrechen, durch militärische Intervention unter Kontrolle zu bringen, große Risiken
birgt. Wir wissen aus dem Balkan und aus Afghanistan,
dass das Risiko besteht, dass jede solche Intervention zu
einer sehr aufwendigen Langzeitverantwortung führt
und dass dabei tendenziell eine Überforderung, ein so
genanntes Overstretching, der Weltgemeinschaft entsteht. Die Alternative ist in der Tat eine wirksamere, vorausschauende Friedenspolitik, eine bessere und frühzeitige Analyse, Early Warning, und eine bessere und
frühzeitige Antwort, Early Action, auf drohende Konflikte, also letztlich die Verhinderung von Krisen, bevor sie überhaupt richtig ausbrechen können.
({0})
Dieser Baustein ist aber auch wichtig, weil wir die Erfahrung machen, wie schwierig Friedenskonsolidierung,
also die langfristige Stabilisierung nach einer vorläufigen Konfliktlösung, ist. Wir verdanken dem scheidenden
UN-Generalsekretär Kofi Annan die Erkenntnis, dass
50 Prozent aller schon gelösten Konflikte nach fünf Jahren wieder virulent werden und wieder ausbrechen. Weil
das so ist, ist es kein Wunder, dass zivile, präventive und
friedenskonsolidierende Missionen immer wichtiger
werden. Es ist kein Zufall, dass von den 15 laufenden
Maßnahmen im Rahmen der ESVP heute 13 ziviler und
nur zwei militärischer Natur sind. In diese Richtung geht
es weiter.
Während unserer Ratspräsidentschaft in der EU werden wir wahrscheinlich die bisher umfangreichste
Rechtsstaatsmission in der bisherigen Geschichte der
ESVP auf den Weg bringen, nämlich die im Kosovo.
Dort werden etwa 950 Spezialisten plus 250 Polizisten
eingesetzt, die auf Crowd-and-Riot-Control spezialisiert
sind. Wir werden vielleicht darüber beraten müssen, was
das Ergebnis der Fact-Finding-Mission ist, die gerade in
Afghanistan war und die dort über eine Polizeimission
Fakten gesammelt hat. Wir werden uns sicher darüber
unterhalten, wie es im Kongo weitergehen soll, wo im
Augenblick zwei zivile Missionen in Sachen Sicherheitssektor und Polizei sind, um den schönen Erfolg im
Kongo, den die Weltgemeinschaft und speziell die EU
erreicht haben, mit der EUFOR abzusichern. Es gibt sogar schon erste Überlegungen über künftige ESVP-Aufgaben in Zentralasien. Das alles zeigt die Vitalität der
Nachfrage nach wirksamen Missionen im Bereich ziviler
Krisenprävention. Damit zeigt sich auch die Bedeutung
der Umsetzung des Aktionsplans, dessen Bericht wir
hier beraten.
Der Bericht der Bundesregierung zeigt allerdings
auch, dass noch viel zu tun ist. Dessen ist sich die Bundesregierung bewusst. Ich will hier fünf Punkte stichwortartig anführen: Erstens. Wir brauchen ein Missionspersonalgesetz, um den Rechtsstatus von Leuten, die
bei ziviler Krisenprävention eingesetzt werden, zu klären. Zweitens. Wir sind uns noch nicht klar, wie genau
das Ressourcenpooling, das wir auch brauchen, gestaltet werden soll. Drittens. Wir müssen klären, wie die
Beiträge der Privatwirtschaft zur Friedensförderung
systematisch unterstützt werden können. Viertens. Wir
müssen sehen, dass die internationalen, multilateralen
Strukturen gestärkt werden. Das gilt auch für unser Engagement bei der kürzlich erst gebildeten UN-Peacebuilding Commission. Allein die Bildung dieser Kommission zeigt, wie aktuell der deutsche Ansatz ist. Fünftens.
Schließlich brauchen wir eine bessere internationale Vernetzung der Akteure, das heißt Zusammenarbeit der
EU mit den europäischen NGOs, die sich mit ziviler
Krisenprävention beschäftigen. Das alles sind Erkenntnisse aus diesem Bericht, den wir heute hier beraten.
Abschließend möchte ich feststellen: Zivile Krisenprävention ist nicht mehr ein Randthema oder ein Thema
für Sonntagsreden. Das Thema ist bei uns und zunehmend weltweit in die Mitte verantwortungsbewusster Sicherheitspolitik gerückt. Dazu hat die deutsche Politik
seit 2000 und besonders mit der Arbeit an dem Aktionsplan seit 2004 nicht unwesentlich beigetragen. Es besteht eine belastbare, glaubwürdige Selbstverpflichtung
der Bundesregierung, sichtbar in diesem Aktionsplan,
sichtbar aber auch im Koalitionsvertrag, der ausdrücklich auf die Umsetzung dieses Aktionsplans hinweist.
Das Ganze findet im Rahmen der europäischen Sicherheitsstrategie statt. Wir können eigentlich jeden Vergleich aushalten, was die Umsetzung dieser europäischen Sicherheitsstrategie angeht.
Die Bundesregierung will die Arbeit an dem Großthema zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung fortsetzen. Sie bittet dabei um die
kritische Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen,
die sich für dieses Thema interessieren.
({1})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche
Ihnen alles Gute und mir selber gute Besserung.
({2})
Das Wort hat nun der Kollege Hellmut Königshaus,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, lieber Herr Staatsminister, das Thema ist aus der
Sicht der Bundesregierung doch ein Randthema; wenn
ich die Präsenz auf der Regierungsbank betrachte, sieht
das jedenfalls so aus.
({0})
Joschka Fischer hatte gestern, wie man weiß, keinen
besonders guten Auftritt. Aber heute möchte ich ihn
loben. Denn der von ihm verantwortete Aktionsplan zur
zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung war eine wichtige Initiative. Sie eröffnet
große Chancen, jedenfalls wenn sie richtig umgesetzt
wird.
Der Vorrang der Prävention und des Zivilen vor der
rein militärischen Reaktion ist natürlich ein vernünftiger
Ansatz, wenn die notwendigen Mittel bereitgestellt werden. Leider ist das nicht ganz selbstverständlich. Auch
wir hier im Hohen Hause haben immer wieder erlebt,
dass wir Militäreinsätze fast schon routinemäßig beschließen und beschließen müssen.
Der Aktionsplan unternimmt wenigstens den Versuch,
solchen Krisen vorzubeugen, mit zivilen Mitteln einzugreifen und insbesondere durch eine kohärente Politik
ressortübergreifend die Kräfte zu bündeln, bevor ein Militäreinsatz erforderlich wird.
({1})
Dadurch wird zugleich versucht - auch das ist gut -,
Ressortegoismen dem großen Ziel unterzuordnen. So
weit, so gut.
Leider verliert sich die Umsetzung des Aktionsplans
allerdings in Kleinigkeiten und Einzelheiten. Vielleicht
- das kann man sicherlich konzedieren - ist das der
Preis, den man zahlen muss, wenn man bestimmte Aufgaben zwar ressortübergreifend berät, aber in den einzelnen Häusern entscheiden lassen muss. Hier werden wieder Reibungsverluste sichtbar, die beispielsweise der
leidigen Trennung von AA und BMZ geschuldet sind.
Das will ich hier jetzt nicht vertiefen.
Aber eines muss man feststellen: In dem eigens gebildeten Ressortkreis geben die Mitarbeiter ihr Bestes. Das
gilt auch für die Mitglieder des beim AA angesiedelten
Beirats, zu denen übrigens viele Vertreter von NROs gehören, aber auch viele Mitarbeiter von internationalen
Unternehmen. Das ist nicht selbstverständlich. Ihnen gebührt der besondere Dank der FDP-Fraktion und, wie ich
annehme, des ganzen Hauses.
({2})
Ich nehme an, dass diesen Dank auch die Kolleginnen
und Kollegen von der Union und der Linken teilen,
({3})
obwohl sie dem Beirat bisher noch keinerlei Zeichen von
Teilnahme gezeigt haben. Das wird sich hoffentlich ändern. Die Kollegin Hänsel, die noch in letzter Minute ihren Beitrag hier angemeldet hat - normalerweise nennt
man das eine Spätberufene -, wird uns sicher erklären,
dass auch die Linken dieses Thema ernst nehmen.
Trotz der genannten Hemmnisse und Hindernisse ist
es also insgesamt ein lobenswertes Vorhaben. Aber was
hat sich an positiven Ansätzen konkret daraus entwickelt? Wir wissen es: leider nicht besonders viel. Der
Bericht selbst belegt dies. Es ist Kleinkram. Es fehlt einfach der politische Wille, den mit dem Aktionsplan verfolgten Zielen wirkliche Priorität zu geben. Hier muss
das punktuelle Lob, das ich eben für Rot-Grün und
Fischer ausgesprochen habe, in Kritik umschlagen. Wir
wissen alle, dass die Krisenprävention bei Joschka
Fischer in der praktischen Politik nicht an erster Stelle
stand. Das ist leider Gottes heute nicht wesentlich anders. Das Thema ist so wesentlich, dass es die Richtlinienkompetenz auf den Plan rufen muss. Es muss Chefbzw. Chefinnensache sein; denn sonst fehlt es - das ist
klar - an Geld, Aufmerksamkeit und auch Durchsetzungskraft.
({4})
Ich will in diesem Zusammenhang das Beispiel
Afghanistan in Erinnerung rufen. Wir wissen alle, dass
die Entwicklung dort dramatisch ist und dass der militärisch fast gewonnene Konflikt in das Gegenteil umzuschlagen droht, weil es beim Aufbau nicht vorangeht
und weil das Vertrauen der Menschen dort verloren geht.
Das wird von der Bundesregierung und insbesondere
vom BMZ allerdings nicht ernst genommen.
({5})
Während in aller Welt erzählt wird, wie wichtig für uns
Deutsche die zivile Aufbauhilfe sei, stattet die Bundesregierung sie nur mit einem ganz mickrigen Aufwuchs in
Höhe von 5 Millionen Euro aus. Die Ministerin lässt per
Pressemitteilung sinngemäß erklären, es werde schon
jetzt genug für Afghanistan getan, und rechtfertigt, in der
Haushaltsdebatte darauf angesprochen, das im Übrigen
auch noch. Das ist peinlich.
({6})
Wo ist denn die Ministerin oder ein Vertreter ihres
Ministeriums heute, da wir dieses Thema behandeln?
Die Ministerin fährt lieber um die Welt, um mit einem
Pulk von Journalisten und mit einem Jubelchor von Koalitionsabgeordneten in Indonesien eine Homestory mit
schönen Fotos zu produzieren. So sollte man an dieses
wichtige Thema nicht herangehen.
({7})
- Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass die Katastrophe
von Aceh schon zwei Jahre zurückliegt. Man hätte also
auch zu einem anderen Zeitpunkt dorthin fahren können.
({8})
Da ein Thema auf der Tagesordnung steht, das im Zentrum unserer Aufmerksamkeit liegen sollte, hätte die Ministerin heute hier und nicht dort sein müssen.
({9})
Hier zeigt sich, dass für die Ministerin die Öffentlichkeitsarbeit mit „Frau im Spiegel“ wichtiger ist als die
mit dem „Spiegel“.
({10})
Diese Geringschätzung der Krisenprävention in der
praktischen Arbeit ist das Problem, mit dem wir uns auseinander setzen sollten. Sie sollten genauso wie wir einmal danach fragen, wo eigentlich die ordnende Hand ist,
die tatsächlich Prioritäten setzt.
Rund ein halbes Prozent unserer gesamten EZ-Mittel
gehen zurzeit nach Afghanistan. Obwohl wir am Hindukusch, wie der jetzige SPD-Fraktionsvorsitzende und
ehemalige Verteidigungsminister - er ist sozusagen ein
Sachverständiger in dieser Frage - sagt,
Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege.
- ich habe es gesehen, Herr Präsident - unsere Freiheit verteidigen, passiert nichts Adäquates.
({0})
Der Plan ist also gut. Aber seine Verankerung in den
Köpfen ist leider miserabel und seine Umsetzung deshalb weitestgehend misslungen.
({1})
Da ich außerhalb meiner Redezeit keine Weihnachtswünsche mehr äußern darf, möchte ich wenigstens darum bitten, dass die Bundesregierung für das neue Jahr
gute Vorsätze fasst und sich vornimmt, diesen Aktionsplan wenigstens zu lesen. Wir wünschen uns, Frau Kollegin Zapf, dass er in konkrete Politik umgesetzt wird.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Holger Haibach für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei aller vorweihnachtlichen Friedfertigkeit, Herr Kollege Königshaus,
muss ich sagen: Was Sie eben von sich gegeben haben,
kann man nicht unkommentiert stehen lassen.
({0})
Ich glaube, die Entwicklung im Kongo und die Aufgaben, die Deutschland im Bereich der Friedenskonsolidierung und der Konfliktprävention in vielen anderen
Ländern übernommen hat - zum Beispiel werden
885 Millionen Euro für Entwicklungshilfe in Afghanistan ausgegeben - zeugen davon, dass in der Bundesregierung und in den sie tragenden Fraktionen sehr wohl
der Wille existiert, an dieser Stelle etwas zu tun.
({1})
Es ist daher richtig, wenn wir versuchen, vorurteilsfrei an die Sache heranzugehen und zu schauen, was in
den letzten beiden Jahren wirklich passiert ist.
({2})
Niemand bestreitet doch, dass dieser Bereich ausbaufähig ist. Jeder von uns würde gerne mehr Mittel zur
Verfügung stellen, damit mehr getan werden kann. Aber
schauen Sie einmal auf den Rest von Europa und auf die
anderen Kontinente. Viele Länder dieser Welt haben
das Instrument der zivilen Krisenprävention, der Konfliktlösung und der Friedenskonsolidierung gerade erst
entdeckt. In Deutschland sind wir immerhin schon so
weit, dass wir diesen Weg seit zwei Jahren gehen. Natürlich ist dies immer noch ein zartes Pflänzchen; aber es ist
immerhin eines vorhanden und wir brauchen nicht erst
noch den Samen zu streuen. Auch das sollten Sie bei aller notwendigen Kritik seitens der Opposition anerkennen.
({3})
Ich glaube, dass in dem heute vorliegenden Bericht sehr
deutlich gemacht wird, wo in Zukunft unsere Schwerpunkte liegen müssen.
Ich möchte auf das zu sprechen kommen, was der
Kollege Königshaus gesagt hat: Wir sind in letzter Zeit
sehr häufig dafür kritisiert worden, dass wir uns zu wenig an harten Militäreinsätzen beteiligen,
({4})
dass wir nicht an diesem internationalen Einsatz teilnehmen und nicht in jenes Land gehen. Wir leisten aber einen wichtigen Beitrag. Die Konsolidierung von Friedensprozessen und die Konfliktprävention sind vielleicht
nicht sehr spektakulär; denn sie liefern nicht solche Bilder, wie sie Kriegseinsätze liefern. Aber sie wirken zum
Schluss dauerhafter und nachhaltiger und verdienen deshalb unsere volle Unterstützung.
({5})
Natürlich ist es in diesem Zusammenhang schwierig,
einen ressortübergreifenden Ansatz zu wählen. Aber
es ist immerhin gelungen. Ich finde, dass man an vielen
Stellen sehr deutlich sehen kann, wo wir Möglichkeiten
und Chancen haben. Natürlich gibt es Länder, von denen
wir heute sagen: Da sind wir nicht so weit, wie wir gerne
wären. Das ist gar keine Frage.
Mir fällt in diesem Zusammenhang auch Afghanistan
ein. Afghanistan ist ein Land, das unsere volle Aufmerksamkeit verdient; über die Mittel, die dort hinfließen,
habe ich schon gesprochen. Es ist ein Land, für dessen
Stabilisierung wir alle Kräfte - in diesem Fall von der
klassischen Verteidigungs-, also Militärpolitik, über die
klassische Außenpolitik und die Menschenrechtspolitik
bis hin zur Entwicklungspolitik - bündeln müssen. Gerade an dieser Stelle sollten wir die Entwicklungspolitik
viel mehr als strategisches Element und strategisches
Moment begreifen; denn nur sie kann dabei helfen, soziale Verwerfungen zu beseitigen und nachhaltige Lösungen zu schaffen.
({6})
Ich denke dabei gerade an den Bereich, der sicherlich
mit am wichtigsten ist: die Verbreitung von Drogen.
Dies ist eine große Aufgabe; das ist gar keine Frage. Sie
lässt sich nicht nur mit militärischen Mitteln lösen. Wir
haben zum einen ein Mentalitätsproblem und zum anderen vor allen Dingen das Problem zu lösen, dass wir denjenigen, die Drogen anbauen, eine tatsächliche Alternative bieten müssen, damit sie damit aufhören, Drogen
anzubauen. Da sind unsere Kreativität und unsere Mittel
gefragt; denn wir können an dieser Stelle nur dann etwas
erreichen, wenn wir echte Alternativen haben. Zu sagen:
„Baut irgendein Getreide an“, das dann vielleicht nur ein
Zehntel oder ein Hundertstel des Gewinnes abwirft, den
der Drogenanbau bringt, wird keine Lösung sein. Auch
das sollten wir für die Zukunft sehen.
({7})
Ein Weiteres, wenn wir über Afghanistan reden. Wir
haben es mit einem Land zu tun, das eine Grenze zu Pakistan hat. Diese Grenze ist, wenn wir über die Verbreitung und den Transport von Drogen reden, ein großes
Problem für uns; das wissen wir alle. Es gibt noch keine
richtige Lösung dafür. Aber ich glaube, auch hierin liegt
durchaus ein Ansatz für entwicklungs- und menschenrechtspolitische Maßnahmen. Wir haben es nun einmal
mit einer Grenzregion zu tun, die sich nicht mit einer
europäischen Grenzregion oder einer auf dem amerikanischen Kontinent vergleichen lässt. Es leben dort Menschen, die sich nicht zwingend als Afghanen oder Pakistanis bezeichnen würden. Es sind vielleicht Paschtunen
oder Angehörige einer anderen Volksgruppe. Es gehört
für uns dazu, zu lernen, dass die Mentalitäten anders
sind. Wir müssen uns auf diese anderen Mentalitäten
einstellen und sie bei unseren Maßnahmen im Bereich
der Entwicklungspolitik berücksichtigen.
So könnte man viele andere Gebiete auf dieser Welt
beleuchten. Ich möchte daher - es hat in der Debatte vorhin eine Rolle gespielt - noch den Sudan ansprechen.
Da erleben wir eine verkehrte Welt. Die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen hätte vielleicht vor zehn Jahren nicht so gesprochen, wie sie es heute tut, wenn es um
die Frage geht: Brauchen wir mehr Militär an dieser
Stelle in der Welt? Dazu sage ich ganz deutlich: Natürlich hat das etwas mit militärischem Engagement zu tun.
Aber es ist doch unverantwortlich, Soldaten in eine Mission zu schicken, von der wir von vornherein wissen,
dass sie angesichts der gegenwärtigen Situation keine
Aussicht auf Erfolg hat. Dementsprechend brauchen wir
auch hier einen übergreifenden Ansatz und eine übergreifende Lösung. Ich glaube nicht, dass wir mit kurzfristigen Aussagen weiterkommen, mögen sie auch recht
interessant sein.
In einem Land, wo das bis vor einigen Monaten vielleicht nicht ohne weiteres denkbar gewesen wäre, können wir gewisse Entwicklungen feststellen: in den USA.
Der Baker-Report hat dort gerade die große Runde gemacht. Der Bericht behandelt zum einen die Frage des
zukünftigen militärischen Engagements. Daneben enthält er aber einen wichtigen Hinweis: Wir brauchen einen breiteren Politikansatz, der alle Politikfelder sowie
die handelnden Personen und Institutionen einbezieht.
Ich denke, dass Deutschland aufgrund seiner guten Expertise, die es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gewonnen hat, einen wichtigen Beitrag leisten kann.
Das gilt vielleicht nicht unbedingt für den persönlichen
Kontakt; wir sollten uns aber einbringen, denn wir haben
die entsprechende Expertise und können etwas erreichen. Ich glaube, dass wir einen solchen Beitrag leisten
können und auch leisten müssen. Die vernünftige Einbindung von Nichtregierungsorganisationen ist in diesem Zusammenhang ganz wichtig. Ich habe den Eindruck, dass auch insoweit bereits ein wichtiger Schritt
getan wurde.
Es wird immer wieder gefragt: Was macht die Bundesregierung, und was macht die Bundesregierung
nicht? Deutschland verfügt - das will ich an dieser Stelle
erwähnen, weil es immer wieder vergessen wird - mit
dem Zentrum für Internationale Friedenseinsätze
über ein ganz hervorragendes Instrument zur Ausbildung
von Menschen, die an Friedensmissionen beteiligt sind.
Das wissen Sie genauso gut wie ich. Das sollte man in
dieser Debatte einmal deutlich erwähnen.
({8})
Interessanterweise ist der Kollege Königshaus ja Mitglied des Aufsichtsrats. Deswegen finde ich es ausgesprochen spannend, dass er das an dieser Stelle leider gar
nicht gesagt hat.
In dem Bericht kann man nachlesen, wo sich
Deutschland überall engagiert. Ich zähle es einmal auf:
bei Missionen der Europäischen Union und der UN in
den Ländern Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Afghanistan, Sudan, Äthiopien, Eritrea, Georgien, Sierra Leone,
Liberia, Mazedonien, Aceh in Indonesien, Moldau/
Ukraine und am Grenzübergang Raffah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen. Dazu kommen 180 OSZEMissionen und 10 Missionen des Europarates. Ich glaube
nicht, dass man davon sprechen kann, dass sich Deutschland zu wenig engagiert.
({9})
Natürlich ist es wichtig - Herr Staatsminister Erler
hat das schon angesprochen -, dass wir die Kräfte in Zukunft bündeln; das muss die Aufgabe der kommenden
Jahre sein. Wir wissen, dass uns nicht die finanziellen
Ressourcen zur Verfügung stehen werden, die wir eigentlich bräuchten. Deshalb ist es notwendig, dass wir
uns besser verzahnen, dass wir uns hinsichtlich der Initiativen mit anderen Ländern zusammenschließen. Wir
müssen dieses Thema in der Europäischen Union und
der transatlantischen Partnerschaft in den Vordergrund
rücken.
Ich habe vor zwei Tagen ein Gespräch mit Mitarbeitern des britischen Außenministeriums geführt. Sie versuchen in diese Richtung etwas, was beispielhaft ist. Ich
denke, dass wir dort und auch jenseits des Atlantiks gute
Anknüpfungspunkte finden.
Wir haben es, so meine ich, mit einer durchaus erfolgreichen Angelegenheit zu tun. Ich kann die Bundesregierung nur ermuntern, auf diesem Weg weiterzufahren.
Ich wünsche uns allen frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr.
Ich danke Ihnen.
({10})
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Winfried
Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Staatsminister Erler, Herr Botschafter Däuble, bitte
bestellen Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
unseren ganz herzlichen Dank dafür, dass sie diesen Bericht zusammengestellt haben.
({0})
Dieser Bericht zeigt erneut, in welcher Breite und Intensität in diesem Bereich schon seit längerem vonseiten
der Bundesregierung gearbeitet wird.
({1})
Im Unterschied zum ursprünglichen Aktionsplan
kommt es in diesem ersten Überprüfungsbericht erstmals
zu Schwerpunktsetzungen, was sehr wichtig ist. Defizite
- den Ball werde ich gleich noch stärker aufnehmen werden zumindest angedeutet.
Zur Erinnerung: Der Aktionsplan „Krisenprävention,
Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ geht auf
zwei wesentliche Erfahrungen zurück, erstens auf die
Erfahrungen, die man im Rahmen des internationalen
Krisenengagements gesammelt hat. Es gab ein eklatantes Defizit bei den Fähigkeiten zur zivilen Krisenprävention und Friedenskonsolidierung. Daraus sind seit 1998
erhebliche Schlussfolgerungen gezogen worden. Das
ZIF ist nur ein Beispiel von vielen. Ein anderes Beispiel
ist der Zivile Friedensdienst.
Die zweite Erfahrung: Es kam darauf an, nicht nur
einzelne Maßnahmen und Instrumente, sondern auch
neue Fähigkeiten systematisch zu entwickeln. Dies ist
der Ansatz des Aktionsplans. Es kommt darauf an, die
ganze Politik der Bundesregierung an dieser Querschnittsaufgabe auszurichten.
Das Echo vor zwei Jahren auf den Aktionsplan war
deutlich gespalten. In der Fachwelt sah man ihn sehr positiv und war zustimmend, in der Öffentlichkeit lag die
Reaktion praktisch bei null. Das muss man so deutlich
sagen.
Es wurde schon darauf hingewiesen, dass der Ansatz
der zivilen Krisenprävention und Friedenskonsolidierung aktueller denn je ist. Wir erinnern uns an die zunehmende Ernüchterung in den letzten Wochen und Monaten, die alle angesichts der Auslandseinsätze packt. Wir
sehen immer deutlicher die Grenzen dieser Auslandseinsätze und merken, dass es von ganz entscheidender Bedeutung ist, dass die zivile Konfliktbearbeitung und
Friedenskonsolidierung mit einer ganz anderen Intensität
vorangetrieben werden.
Es reicht nicht aus, wenn wir als Parlament diesen Bericht jetzt nur wohlwollend zur Kenntnis nehmen. Das
kennen wir bereits aus dem militärischen Bereich, Herr
Staatssekretär Schmidt, wenn zu Recht ein „wohlwollendes Desinteresse“ an der Bundeswehr beklagt wird. Das
wollen wir nicht. Es kommt darauf an, dass die Bundesregierung mit diesem Bericht konstruktive Kritik und
vor allem Rückenstärkung bekommt.
Hier möchte ich zunächst einmal bestimmte Punkte
ansprechen, bei denen ich politischen Klärungsbedarf
sehe; es gibt noch andere, aber diese sind mir besonders
wichtig. Erstens dominiert im Überprüfungsbericht der
große Bereich der so genannten Konfliktnachsorge. Wir
müssen aufpassen, dass wir die Primärprävention, die
um einiges schwieriger ist, darüber nicht vernachlässigen.
({2})
Zweitens ist das zivil-militärische Verhältnis, die
zivil-militärische Zusammenarbeit zu klären. Sie wird
im Überprüfungsbericht sehr stark aus der Perspektive
des Militärischen geschildert. Hier ist es wichtig, auch
die Perspektive der anderen einzubeziehen. Da muss
deutlich nachgearbeitet werden.
Schließlich nenne ich das Nebeneinander der verschiedenen Grundlagendokumente der Bundesregierung
in diesem Bereich: Aktionsplan und Weißbuch. Staatsminister Erler, Sie haben das angesprochen. Ich habe
- im Gegensatz zu Ihrer offiziellen Einschätzung - den
Eindruck, dass beide Dokumente sehr unverbunden nebeneinander stehen. Im letzten Anlauf sind sozusagen
noch einzelne Andockstellen eingebaut worden, aber
insgesamt ist das noch kein Ausdruck integrierter
Außen- und Sicherheitspolitik, die wir uns inzwischen
auf die Fahnen geschrieben haben.
({3})
Wo gibt es Verstärkungsbedarf? Erstens braucht der
Ressortkreis mehr Steuerungskompetenz. Das ist von
ganz entscheidender Bedeutung.
({4})
Da kann, glaube ich, helfen, dass der Ressortkreis einen
Ressourcenpool mit „neuem“ Geld zugeordnet bekommt, wodurch ressortübergreifende Maßnahmen
gefördert werden.
Zweitens brauchen wir - das kennen wir im militärischen Bereich seit Jahren; das ist dort eine Selbstverständlichkeit - zivile Planziele. Mit wie vielen Friedensfachkräften muss die Bundesrepublik für eine effektive
Krisenbewältigung im Rahmen von Friedensmissionen
beitragen? Ich nenne das Stichwort Sicherheitssektorreform. Wir müssen uns - auch bezüglich der Polizei auf Zahlen einigen, die wir anstreben wollen. Wir müssen auch zu einer schnellen Verfügbarkeit dieser Kräfte
kommen. Das ist im Personalgesetz angesprochen. Da
müssen wir schnell zu Potte kommen.
Von ganz entscheidender Bedeutung ist - der Redner
der FDP hat es angesprochen -, dass wir eine deutliche
Aufstockung der entsprechenden Haushaltstitel brauchen.
({5})
Hier bekommen wir für wenig Geld viel Extrakt.
Als Letztes komme ich zum Schlüsselprojekt. Bisher
gibt es eine schlimme Unsichtbarkeit dieses Politikansatzes. Bei Google zum Beispiel gibt es zum Aktionsplan
- er ist inzwischen seit zwei Jahren auf dem Markt - ungefähr 28 700 Treffer, das Weißbuch - es ist seit zwei
Monaten auf dem Markt - erzielt dort über 125 000 Treffer. Dies ist ein riesiger Unterschied. Daran muss gearbeitet werden.
Herr Kollege!
Ja, ich komme zum Schluss.
Im Umsetzungsbericht ist von einer Kommunikationsstrategie die Rede. Sie muss jetzt schleunigst angegangen werden. Es kann nicht wie in der Vergangenheit
sein, dass über Jahre das Geld fehlt, um den Aktionsplan
zum Beispiel als Broschüre bekannt zu machen.
Zusammengefasst: Krisenprävention ist in jeder Hinsicht sehr kostensparend, aber es gibt sie nicht zum Billigtarif.
Ich danke Ihnen. Gute Feiertage!
({0})
Das Wort hat die Kollegin Uta Zapf, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Es ist hier schon eine Menge zu den Inhalten
und zu den Perspektiven gesagt worden. Ich würde ganz
gern - weil ich glaube, dass das notwendig ist - etwas
zur Geschichte und zur Entstehung dieser neuen Politik und dieser neuen Strukturen hier im Deutschen Bundestag beitragen. Ich gebe meinem Kollegen Nachtwei
Recht: Das alles ist ziemlich im Verborgenen geschehen.
Umso froher bin ich, dass es in reale Politik umgesetzt
worden ist. Denn es ist in der Tat mit Händen zu greifen,
dass es einen Paradigmenwechsel in der Sicherheitspolitik gegeben hat - und zwar nicht nur national, sondern auch auf den anderen Ebenen, bei der EU, der
OSZE und den UN.
Es ist traurig, dass zum Beispiel der Kollege Paech,
der jetzt leider nicht mehr anwesend ist, vorhin bei der
Debatte über „AMIS“ in völliger Unkenntnis dieser
neuen politischen Entwicklungen mit Blick auf die Mission, die wir eben verlängert haben, wieder nur von militärischer Intervention gesprochen und gesagt hat, man
müsse auf zivile und diplomatische Mittel zurückgreifen
und dann wäre alles in Ordnung. Das ist ein offensichtlich völlig blinder Fleck in der Wahrnehmung von manchen Leuten; ob das nun bewusst geschieht oder nicht,
weiß ich nicht. Es ist wirklich höchste Zeit, dass man genau auf das schaut, was wir seit den Balkankriegen, seit
Srebrenica, seit Ruanda und seit Darfur entwickelt haben, um es nicht so weit kommen zu lassen. Dass das
noch nicht in vollem Umfang Früchte trägt, das, denke
ich, weiß jeder hier in diesem Hause. Auch dass es nicht
ohne militärische Mittel und Unterstützung geht, diese
Erkenntnis haben wir allmählich gewonnen.
Ich will auch noch zu Ihrem Redebeitrag, Herr
Königshaus, etwas sagen. Ich bin von Ihrer Rede etwas
enttäuscht. Ich erlebe Sie in dem Beirat als einen sehr
auf diese Politikinhalte eingehenden Kollegen, der daran
sehr interessiert ist. Sie haben nun aber eine Kritik an der
Entwicklungsministerin geäußert, die ich für völlig unangemessen halte. Sie haben außerdem kritisiert, dass sie
heute nicht da ist. Wo ist denn Ihre Fraktionsspitze? Wo
sind denn, bitte, Herr Hoyer, Herr Gerhardt, Herr
Westerwelle? Aber auch wir bekleckern uns in dieser
Beziehung nicht gerade mit Ruhm. Wenn Sie sich umschauen, merken Sie: Wir sind schlicht und ergreifend
unterbesetzt.
({0})
Es ist auch ein schlechter Zeitpunkt für diese Debatte.
Ich wollte etwas zur Vorgeschichte dieses Politikfeldes sagen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat vor über
zehn Jahren angefangen, an diesem Thema zu arbeiten.
Wir haben eine Anhörung im Auswärtigen Ausschuss
am 25. Mai 1994 veranlasst; das ist tatsächlich schon so
lange her. Diese Anhörung haben wir in der Fraktion
ausgewertet und haben im Februar 1997 einen Antrag im
Deutschen Bundestag gestellt. Er ist natürlich nicht auf
Resonanz gestoßen; das ist klar. 1998 haben wir diese
Prinzipien in der Koalitionsvereinbarung von Rot-Grün
niedergeschrieben. Von diesem Zeitpunkt an ist von der
rot-grünen Regierung eine Entwicklung vorangetrieben
worden, die wir Parlamentarier stark unterstützt haben.
Im Juni 2000 hat Rot-Grün einen Antrag eingebracht,
der viele Elemente enthalten hat, die heute von der aktuUta Zapf
ellen Politik umgesetzt werden. Darin waren enthalten:
die Ausbildung für Menschen, die wir in Krisengebiete
entsenden; die Forderung nach Schaffung eines Zentrums für internationale Friedenseinsätze. Das alles
ist umgesetzt worden. Das ist eine gute Entwicklung.
Wenn wir beklagen, dass noch nicht alles verwirklicht
worden ist, möchte ich darauf hinweisen, dass vieles,
was auch eine Veränderung in den Strukturen bedeutet,
gewöhnungsbedürftig ist und dass es Zeit braucht, bis es
angenommen wird.
In der neuen Koalitionsvereinbarung von CDU, CSU
und SPD sind diese Prinzipien enthalten. Ich beklage
nicht, dass das im Weißbuch noch nicht in allen Kapiteln
der Fall ist. Vielmehr bin ich ganz froh, dass im ersten
Entwurf des Weißbuchs überhaupt davon die Rede ist,
im Rahmen der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik
verstärkt zivile Instrumente einzusetzen. Ich muss in diesem Zusammenhang an Boutros Boutros-Ghali denken,
der im Jahre 1992 die Agenda for Peace ins Leben gerufen hat. Wir haben mit diesem Bericht den ersten konkreten Schritt zur Umsetzung dieser Agenda gemacht.
Ich möchte noch einen zweiten Aspekt ansprechen.
Wir befassen uns mit diesem Thema nicht nur im kleinen
Kreis, sondern wir haben es auch auf die europäische
Ebene transportiert. Diese Vorschläge sind auf dem Europäischen Rat in Köln im Jahre 1999 unter deutscher
Präsidentschaft zum ersten Mal eingebracht worden. Damals waren sie durchaus neu. Andere Länder, allerdings
eher die Zwerge unter den europäischen Staaten, haben
uns unterstützt. Aufgrund der Erkenntnis, dass neue
Konflikte auch einen neuen Sicherheitsbegriff erfordern, haben sie diese Konzepte mitgetragen.
Dieser Sicherheitsbegriff umfasst viel mehr als nur
militärische Sicherheit. Wichtig ist, dass es fast keine
zwischenstaatlichen Kämpfe mehr gibt. Im Jahre 2002
waren 32 von 33 Konflikten innerstaatliche Konflikte.
Daran wird deutlich, dass wir andere Mittel brauchen.
Deshalb ist es richtig, dass wir den Ressortkreis eingesetzt haben. Die Beratung all dieser Themen findet nun
in einem Gremium statt. Wenn es dort hin und wieder
holpert, ist das kein Wunder. Da in diesem Gremium der
Finanzminister neben der Entwicklungsministerin und
der Innenminister neben dem Außenminister sitzt und
darüber hinaus auch der Verteidigungsminister anwesend ist, ist es schwierig, sich zu koordinieren. Aber wir
sind auf dem Weg, für eine kohärente Politik zu sorgen.
Da wir dieses Thema auf die europäische Ebene
transportiert haben und es dort verankert ist, verfügen
wir über die entsprechenden Strukturen. Ich bin froh,
dass im Konzept Deutschlands für die EU-Ratspräsidentschaft darauf hingewiesen wird, dass wir diese Prinzipien auch auf europäischer Ebene fördern wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich empfehle Ihnen,
den vorliegenden Bericht und den Aktionsplan an den
Weihnachtsfeiertagen zu lesen. Man kann viel daraus
lernen. Das sollten wir auch tun. Wir sollten zum Beispiel noch mehr Interesse für eine Politik entwickeln, die
dazu beiträgt, die zivile Krisenprävention zu etablieren,
und wir sollten uns dafür einsetzen, dass neue Strukturen
gefördert und alte evaluiert werden.
Frau Kollegin.
Das Stichwort „lessons learned“ ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig. Wir müssen, zum Beispiel in Bezug auf unser Engagement in Afghanistan, überprüfen
Das können Sie jetzt aber nicht mehr im Einzelnen erläutern.
({0})
- ich bin sofort fertig -, was wir falsch und was wir
richtig gemacht haben. Das ist eine sehr wichtige Aufgabe, die noch vor uns liegt.
Fröhliche Weihnachten, ein glückliches neues Jahr
und Frieden!
({0})
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Heike Hänsel, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Königshaus, ich war davon ausgegangen, dass alle
Abgeordneten, die zu diesem Tagesordnungspunkt sprechen wollten, ihre Reden zu Protokoll geben. Als ich erfahren habe, dass sich das geändert hat, habe ich mich,
weil dieses Thema sehr wichtig ist, nachnominieren lassen.
({0})
Eines muss ich Ihnen gleich zu Beginn sagen: Weder
durch die Präsenz im Beirat noch dadurch, dass man hier
eine Rede hält, leistet man einen nachhaltigen Beitrag
zur Friedenspolitik. Das glauben Sie hoffentlich nicht
im Ernst! Dafür sind größere Anstrengungen notwendig.
Ich zum Beispiel war als Anhängerin der Friedensbewegung jahrelang auf der Straße, habe viele Krisenregionen
besucht und mich für die Nutzung von Instrumenten der
zivilen Krisenprävention eingesetzt. Die Politik der Bundesregierung war nämlich eine andere. Wenn Sie glauben, dass Sie mit einer Rede die Welt verändern können,
dann muss ich Ihnen sagen: Das ist völlig unrealistisch.
Entscheidend ist, dass wir aktiv sind und Initiativen ergreifen.
({1})
Damit komme ich zum Knackpunkt des Konzeptes
der zivilen Krisenprävention. Dieser Aktionsplan wurde
von Friedensgruppen und von entwicklungspolitischen
Organisationen erst einmal begrüßt. Aber es gab schon
bei der Formulierung einige Kritik an der inhaltlichen
Ausrichtung. Mehrere Bereiche, die wir kritisieren, wurden genannt. Zentraler Kritikpunkt ist der Sicherheitsbegriff, der dem Aktionsplan zugrunde liegt und den Sie
auch erwähnt haben, Frau Zapf. Für uns ist ganz klar:
Solange wir in Deutschland von einem Sicherheitsbegriff ausgehen, zu dem eine militärische Absicherung
des Zugangs zu Ressourcen zählt, sind wir ein Teil des
Problems, nicht der Lösung.
({2})
Zivile Krisenprävention macht überhaupt nur Sinn als
Teil einer aktiven Friedenspolitik, die von der Bundesregierung formuliert werden muss. Sie kann eine militärische Politik nicht abfedern, sie kann kein Beiwerk sein.
Man kann nicht Jugoslawien bombardieren und dann
einfach ein paar zivile Friedenskräfte in die Region schicken; diese Arbeitsteilung funktioniert nicht. Deswegen
fordern wir einen Wechsel in der Grundausrichtung der
deutschen und europäischen Außenpolitik.
({3})
Wir erleben zunehmend eine Vermischung des Zivilen und des Militärischen. So etwas liegt auch diesem
Aktionsplan zugrunde: Es werden zunehmend zivil-militärische Instrumente formuliert. Für mich als Mitglied
des Ausschusses für Entwicklungspolitik ist es ein Widerspruch in sich, zu behaupten, militärische Instrumente könnten einen Beitrag zu ziviler Krisenprävention
leisten. Zivile Krisenprävention muss - das ist der Anspruch an uns - zivil formuliert werden. Wir müssen die
zivilen Instrumente entsprechend ausstatten, ja erst entwickeln. Ich glaube, in vielen Bereichen fehlt schlicht
die politische Fantasie, was es alles an zivilen Instrumenten geben kann. Mit welcher Intensität, mit welchen
finanziellen Ressourcen wird unsere Armee, wie auf europäischer Ebene formuliert, in eine Interventionsarmee umgebaut! Das steht in keinem Verhältnis zur Bedeutung ziviler Instrumente, geschweige denn zu ihrer
angemessenen finanziellen Unterstützung. Wir sagen:
Wir brauchen ganz andere Instrumente. Im Grunde müssen wir das Ministerium für Verteidigung in ein Ministerium für zivile Krisenprävention umbauen. Denn es geht
überhaupt nicht mehr um Landesverteidigung - wir betreiben eine Politik der militärischen Intervention.
({4})
Ein richtiger Schritt wäre es, zu sagen: weg von diesen
Militärhaushalten und weg von Rüstungsexporten! Der
beste Beitrag zu ziviler Krisenprävention sind internationale Abrüstung und ein Stopp aller Rüstungsexporte.
({5})
Ein weiterer wichtiger Punkt: Wir müssen uns auch
Gedanken über unseren Ressourcenverbrauch machen.
Es ist ein integraler Bestandteil ziviler Krisenprävention,
das Energiesystem umzustellen. Auch da sind die Ansätze der Bundesregierung viel zu zaghaft. Es gibt sogar
Stimmen, die in eine ganz andere Richtung gehen, und
das, obwohl ganz klar ist, dass die Umstellung des Weltenergiesystems ein entscheidender Beitrag zu ziviler
Krisenprävention ist. Das betrifft auch die Handelspolitik. Wir haben gerade über die Doharunde gesprochen.
Solange wir ein Handelssystem und ein Energiesystem
haben, die die Ursachen für Konflikte sind, die weltweit
entstehen, und die diese Dynamik auch noch verstärken,
ist die zivile Krisenprävention marginalisiert. Deswegen
setzen wir uns für einen grundsätzlichen Politikwechsel
ein.
Mein letzter Punkt - auch das kommt viel zu kurz, dabei ist es sehr wichtig - sind die Akteure und Akteurinnen. Es geht darum, Partizipation zu organisieren. Viel
mehr Menschen müssen in die Suche nach Lösungen für
eine zivile Krisenprävention einbezogen werden. Wir
haben solche Kapazitäten, wir haben umfassende Kompetenz in unserem Land, außerhalb dieses Parlaments,
nämlich bei den Friedensgruppen und auch vor Ort in
den Krisenregionen. Wir besuchen die Mitarbeiter Jahr
für Jahr vor Ort, in vielen Ländern. Es gibt viel zu wenig
Unterstützung für diese Friedenskräfte, die in diesen
Ländern unter schwierigen Bedingungen arbeiten. Das
betrifft zum Beispiel den Nahen Osten. Wir geben sehr
viel Geld aus für unsere UNIFIL-Beteiligung. Die israelischen Friedenskräfte, die libanesischen Friedenskräfte,
die palästinensischen Friedenskräfte haben keine vergleichbare Unterstützung. Wir müssen die Menschen in
diesen Regionen unterstützen. Das ist für mich ein ganz
konkreter Beitrag zu ziviler Krisenprävention.
Danke.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/1809 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Ursula Lötzer, Dr. Barbara Höll, Dr. Dieter
Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der LINKEN
Haltung der Bundesregierung zur Europäi-
schen Dienstleistungsrichtlinie
- Drucksachen 16/136, 16/2058 -
Der Parlamentarische Staatssekretär Peter Hintze so-
wie die Kolleginnen und Kollegen Doris Barnett, Kurt
Bodewig, Martin Zeil, Ulla Lötzer und Dr. Thea Dückert
geben ihre Reden zu Protokoll.1)
1) Anlage 3
Präsident Dr. Norbert Lammert
Dann kommen wir zu Tagesordnungspunkt 28 sowie
Zusatzpunkt 11:
28 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Müller ({0}), Marieluise Beck ({1}), Fritz
Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Fahrplan zur Wiederbelebung des Friedensprozesses im Nahen Osten nach der Resolution
1701 ({2}) des Sicherheitsrats der Vereinten
Nationen vom 11. August 2006
- Drucksache 16/3547 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Dr. Norman Paech, Monika
Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der LINKEN
Den Friedensprozess im Nahen Osten wieder
aufnehmen
- Drucksache 16/3802 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({4})
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Werner Hoyer, Dr. Rainer Stinner, Birgit
Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für eine Konferenz für Sicherheit und
Zusammenarbeit im Nahen Osten ({5})
- Drucksache 16/3816 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll diese
Debatte eine halbe Stunde dauern, wobei die Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen fünf Minuten Redezeit
erhalten soll.1)
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Jürgen Trittin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen
Sie mich mit einem Zitat beginnen:
Um einen dauerhaften und stabilen Frieden im Na-
hen Osten zu erlangen, reichen militärische und po-
lizeiliche Maßnahmen nicht aus. Seine Konflikte
lassen sich nur durch politische Verhandlungen lö-
sen. Die Region benötigt dringend neue Friedens-
impulse.
1) Anlage 4
Dieses Zitat stammt aus dem Antrag der Bundesregierung zur Beteiligung Deutschlands an den UNIFIL-Einheiten.
Mit unserem Antrag verfolgen wir das Ziel, dass genau diese Friedensimpulse wieder verstärkt werden.
Wir sollten uns dabei nicht überschätzen. Aber das, was
wir als Bundesrepublik Deutschland leisten können,
sollten wir auch tatsächlich leisten.
Schauen wir uns den Bericht der Baker-HamiltonKommission an. Die Empfehlungen dieser Kommission
beruhen auf zwei Säulen: Zum einen müsse die Sicherheitslage im Irak stabilisiert werden; zum anderen
müsse man sich um das Verhältnis des Iraks zu seinen
Nachbarn bemühen, also um die regionale Stabilität.
Meine Befürchtung ist zurzeit, dass man sich auf die
erste Säule beschränkt und es nur zu einem einfachen
Abzug kommt - das wird dann aber nicht funktionieren und dass die zweite Säule zu kurz kommt. Wir erwarten
gerade von der Bundesregierung energische Initiativen,
damit tatsächlich eine regionale Stabilisierung stattfinden kann. Das gilt beispielsweise auch und gerade für
das Verhältnis zu Syrien. Ich will ausdrücklich sagen:
Wir finden es richtig, dass Herr Steinmeier nach Syrien
gefahren ist.
Was passiert, wenn keine Stabilisierung stattfindet?
Mir bereitet die Ankündigung Saudi-Arabiens, den irakischen Sunniten gegen Angriffe der irakischen Schiiten
militärisch zu helfen, extrem große Sorge. Gleichzeitig
müssen wir aber auch die Chancen sehen, die sich in
schwierigen Situationen eröffnen. So unerträglich in diesen Tagen die Konferenz der Holocaustleugner in Teheran ist, so schwierig der Umgang mit dem iranischen
Atomprogramm ist, man muss sich fragen: Hat der Iran
wirklich ein Interesse an einem Zerfall des Iraks? Bedeutet eine Destabilisierung nicht auch für ihn als Vielvölkerstaat eine massive Bedrohung? Ist es deswegen nicht
richtig, wie die Baker-Hamilton-Kommission vorgeschlagen hat, über die Frage der Stabilisierung der Situation im Irak Verhandlungen ohne Vorbedingungen zu
führen?
Das ist nach den Äußerungen von Herrn Olmert über
die israelische Atombewaffnung nicht einfacher geworden; das will ich an dieser Stelle feststellen. Gleichzeitig
will ich aber auch darauf hinweisen, dass Israel in diesen Tagen durch die Ankündigung seines Ministerpräsidenten einen großen Schritt nach vorne gemacht hat, der
nämlich zugesagt hat, den Waffenstillstand durchzuhalten, obwohl es mehrfach Verletzungen vonseiten der Palästinenser gegeben hat. Das heißt aber auch, dass wir
überlegen müssen, was wir eigentlich zur Stabilisierung
der Situation der Palästinenser und beispielsweise zur
Herausbildung einer Regierung der nationalen Einheit
beitragen können.
Ist es eigentlich klug, mit der Umsetzung des vereinbarten Finanzmechanismus an dieser Stelle noch zu warten und zuzusehen, wie Herr Haniyeh mit Taschen voller
Dollars aus Teheran zurückkehrt, was nur der Hamas,
aber nicht hinsichtlich des Aufbaus ziviler Strukturen in
Palästina helfen würde?
Ich glaube, dass die Bundesregierung im Rahmen des
Nahostquartetts große Anstrengungen unternehmen
muss, um dafür zu sorgen, dass sich die USA in diesem
Prozess wieder engagieren. Ich denke, dass Deutschland
durch die Präsidentschaften eine gute Funktion einnehmen kann und eine gute Ausgangsbasis dafür hat, um ein
erneutes Engagement der USA in diesem Prozess zu erreichen und um im Rahmen dieses Prozesses etwas gegen das zu tun, was uns vielleicht am aktuellsten Sorgen
macht, nämlich die weitere Destabilisierung der Situation im Libanon.
Ich glaube, dass wir die gewählte Regierung des Libanon nur dann gegen die Ansprüche, die aus dem Libanon
heraus formuliert werden, stützen können, wenn es zu
sichtbaren Fortschritten beim Ausgleich mit Israel
kommt. Dazu gehört beispielsweise die Lösung des Problems der Schebafarmen ohne Präjudizierung, indem
man sie zum Beispiel einer Verwaltung durch die Vereinten Nationen unterstellt.
Eine - wenn nicht die zentrale - Herausforderung für
die Bundesrepublik Deutschland während der EU-Ratspräsidentschaft ist es, solche Ansätze nachdrücklich und
bei jeder Gelegenheit zu verfolgen. Ich wünsche mir dafür die Unterstützung des ganzen Hauses.
Ihnen allen schöne Feiertage und ein schönes neues
Jahr.
({0})
Eckart von Klaeden ist der nächste Redner für die
CDU/CSU Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Wir sprechen heute über die drei Anträge der drei Oppositionsfraktionen. Ich will gleich zu Anfang sagen, dass
sich der Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hinsichtlich der Sorgfalt und der Qualität wohltuend
von den beiden anderen unterscheidet.
({0})
Gleichzeitig ist aber auch festzustellen, dass die Linkspartei mit ihrem Antrag der altbekannten Tradition folgt,
vor allem den Westen und Israel für die Konflikte verantwortlich zu machen. Bezeichnend ist auch, dass die
Infragestellung des Existenzrechts Israels durch den Iran
in dem Antrag der Linkspartei keine Erwähnung findet.
({1})
In allen Anträgen wird von dem israelisch-palästinensischen Konflikt als dem Kernkonflikt in der Region
gesprochen. Ich halte diese Bezeichnung für falsch; denn
weder das iranische Verhalten in den Verhandlungen
über das Nuklearprogramm noch die Nichtanerkennung
des Libanon durch Syrien noch die Lage im Irak noch
das Bestreiten des Existenzrechts Israels durch den Iran
haben irgendetwas mit dem Konflikt zwischen Israel und
den Palästinensern zu tun. Das ändert nichts an der Tatsache, dass dieser Konflikt natürlich grundlegend ist und
dass durch Fortschritte bei der Lösung wesentliche Beiträge zur Befriedung der gesamten Region geleistet werden können. Ich halte aber die Analyse für falsch, diesen
Konflikt als den Kernkonflikt zu bezeichnen.
In allen drei Anträgen wird eine Reihe von Anregungen gemacht, die entweder schon lange Regierungshandeln darstellen oder Schwerpunkte für die nun bevorstehende deutsche Ratspräsidentschaft in der Europäischen
Union sind.
Durch die Besuche sowohl des ägyptischen Präsidenten Mubarak als auch des israelischen Ministerpräsidenten Olmert in Berlin in dieser Woche wird deutlich
gemacht, wie engagiert die Bundesregierung bei den Initiativen zur Lösung des Nahostkonflikts ist. Auch die
Ankündigung der Bundeskanzlerin, die kommende Präsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland zu einer
Wiederbelebung des Nahostquartetts und zur Vermittlung zwischen Israelis und Palästinensern zu nutzen, ist
ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Bundesregierung
mehr als die Vorgängerregierungen in dieser Angelegenheit engagiert ist.
Wir halten am vorrangigen Ziel einer Zweistaatenlösung zwischen Israel und den Palästinensern fest. Wir
sehen in der Rede von Ministerpräsident Olmert, die er
am Grab von Ben Gurion gehalten hat, eine ganze Reihe
von Hoffnungszeichen. Die palästinensische Seite hat
auf diese Rede mit dem Angebot von Endstatusverhandlungen reagiert.
Es ist wichtig, deutlich zu machen, dass es - jedenfalls aus meiner Sicht - erfolgreicher sein kann, eine
Strategie kleinerer vertrauensbildender Schritte zu verfolgen, als jetzt sofort mit der großen Frage eines möglichen Endstatus des palästinensischen Staates zu beginnen. Die Bundeskanzlerin hat betont, dass es zur Lösung
des Konflikts auch ungewöhnlicher Schritte bedarf. Wir
sehen auf der palästinensischen Seite insbesondere in
Präsident Abbas einen Bündnispartner, jemanden, der an
einer nachhaltigen Lösung des Konflikts interessiert ist.
Wir müssen alles tun, um ihn zu unterstützen und seine
Stellung bei den Palästinensern weiter zu stärken.
Es ist etwas Neues, dass wir, die Bundesrepublik
Deutschland, in der Region - bei der Unterstützung und
Absicherung eines Waffenstillstandes im Rahmen der
UNIFIL-II-Mission - militärisch engagiert sind. Darüber
hinaus sind wir aber auch unmittelbar in den palästinensischen Autonomiegebieten, im Libanon engagiert. Es
geht insbesondere darum, durch wirtschaftliche Prosperität die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass der
Weg zu Frieden und Demokratie der richtige Weg ist und
dass die Fortsetzung der Gewalt jeglichen Fortschritt
verhindert. Aus diesem Grund begrüßen wir auch, dass
auf dem heutigen EU-Gipfel beschlossen wurde, den
Mechanismus, nach dem die Europäische Union Finanzhilfen an bedürftige Palästinenser direkt, ohne Beteiligung der Hamas-Regierung, weiterleitet, weiterhin anzuwenden.
Unser Ziel ist es, die libanesische Regierung bei der
Stärkung ihrer staatlichen Identität zu unterstützen; denn
sie ist die demokratisch legitimierte Kraft in dem Land.
Eine Stärkung der Souveränität des Libanon bedeutet
einen Gewinn an Sicherheit für die gesamte Region. Unser Engagement im Rahmen der UNIFIL-II-Mission
dient ebenfalls dem Ziel, die Sicherheit in der gesamten
Region zu stärken.
In den Anträgen ist die Rede von einer Konferenz für
Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten bzw.
im Nahen und Mittleren Osten. Die Grünen möchten
eine solche Konferenz an eine Reihe von Bedingungen
knüpfen, die, wie ich finde, nachvollziehbar sind. Ich
denke, bevor es an die Umsetzung der Idee einer Konferenz geht, müssen ein paar Voraussetzungen, ein paar
Punkte geklärt sein. Wenn sie nicht geklärt würden,
könnte das dazu führen, dass diese an und für sich gute
Idee scheitert. Es ist eine allgemeine Lebenserfahrung,
dass eine gute Forderung zur falschen Zeit bedauerlicherweise eine falsche Forderung ist. Die Idee einer solchen Friedenskonferenz ist zu wertvoll, als dass man
sie dadurch beschädigen dürfte, dass die Voraussetzungen für ihre Umsetzung nicht geklärt sind.
Dazu gehört zunächst einmal die Frage, wer an dieser
Konferenz teilnehmen soll. Wollen wir den Iran zu dieser Konferenz einladen? Nicht einmal Syrien möchte
dem Iran ein Mitspracherecht einräumen. Wer soll die
palästinensische Seite vertreten: der Präsident oder die
Regierung? Wollen wir tatsächlich eine Hamas-geführte
Regierung zu einer solchen Konferenz einladen, obwohl
sie die selbstverständlichen Forderungen der internationalen Gemeinschaft noch nicht erfüllt hat? All das sind
Fragen, die zu klären sind, bevor es zu einer solchen
Konferenz kommen kann.
Diejenigen, die an dieser Konferenz teilnehmen, müssen bereit sein, müssen sich selbst verpflichtet haben, an
einer friedlichen Lösung der Konflikte mitzuwirken. So
richtig die allgemeine Forderung nach einer Einbeziehung Syriens und des Iran auch sein mag, verkommt sie
doch zu einer Floskel, wenn man die Länder nicht differenziert betrachtet, wenn man nicht individuelle Beiträge
fordert, damit es zu einer vernünftigen Lösung kommen
kann.
Der Iran könnte einen solchen Beitrag im Zusammenhang mit dem Nuklearprogramm leisten. Herr Kollege
Trittin, es mag sein, dass der Iran im wohlverstandenen
Sinne ein Interesse daran haben muss, dass der Irak
nicht zerfällt. Im Augenblick scheint mir aber das übergeordnete iranische Interesse zu sein, letztlich alles zu
unterstützen, was den Amerikanern schaden kann. Dabei
nimmt der Iran eine Verschlechterung der Lage im Irak
in Kauf.
Ein anderes Beispiel ist die Situation in Syrien. Es
fehlt nicht an diplomatischen Initiativen, Syrien gegenüber eine konstruktive Rolle zu spielen. Die syrische
Führung hat eine ganz Reihe von Möglichkeiten, zu zeigen, dass sie an einer friedlichen Lösung interessiert ist.
Insbesondere bietet sich in diesem Zusammenhang die
Resolution 1680 an, die Syrien verpflichtet, den Libanon
endlich anzuerkennen und diplomatische Beziehungen
mit Beirut aufzunehmen.
Die Chance, die der Besuch von Außenminister
Steinmeier in Damaskus geboten hat, ist von der syrischen Führung leider vergeben worden. Die Signale, die
aus Syrien kommen - dazu zählen ein „Spiegel“-Interview, das vor kurzem mit Assad geführt wurde, aber
auch der heutige Aufruf, dass Israel und die USA mit
Syrien in einen Dialog eintreten mögen -, werden unglaubwürdig, wenn es daran fehlt, bei solchen Besuchen
oder auf andere Weise zumindest kleine, aber doch substanzielle Schritte in die richtige Richtung zu unternehmen.
Nicht unerwähnt darf in diesem Zusammenhang auch
die unsägliche Konferenz der Holocaustleugner bleiben,
({2})
die in diesen Tagen in Teheran stattgefunden hat und die
leider alles andere als ein Zeichen dafür ist, dass man in
dieser Zeit mit einem positiven Signal vonseiten des Iran
und insbesondere von seinem Präsidenten rechnen kann.
({3})
All diese Beispiele lassen mich einer Initiative zu einer solchen Konferenz zum jetzigen Zeitpunkt zurückhaltend gegenüberstehen, weil ich die Sorge habe, dass
die an sich gute Idee durch unzureichende Vorbereitung
und fehlende Voraussetzungen beschädigt werden
könnte.
Auch von mir die besten Wünsche für ein gesegnetes
Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr.
({4})
Für die FDP-Fraktion hat nun das Wort der Kollege
Dr. Rainer Stinner.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten Jahren schon oft Nahostdebatten in diesem Hause geführt. Aber durch die Tatsache, dass wir seit drei Monaten selber in der Region
durch deutsche Soldaten vertreten sind, bekommt die
Diskussion meines Erachtens eine andere Qualität. Denn
jetzt sind wir selber Teil des Konfliktes. Wir haben uns
selber engagiert. Ich weiß, dass wir in diesem Hause eine
heiße Diskussion über den Einsatz geführt haben, aber
wir sind jetzt vor Ort. Aus der Tatsache, dass deutsche
Soldaten vor Ort sind, ergibt sich, glaube ich, nicht nur
das Recht, sondern auch die Pflicht, uns noch intensiver
in den politischen Prozess in dieser Region einzuschalten.
({0})
Die Frau Bundeskanzlerin hat in ihrer Erklärung zum
UNIFIL-Mandat wörtlich gesagt:
Die militärische Umsetzung der UN-Resolution 1701 kann … nur der Anfang eines langen Weges sein. Natürlich muss die Waffenruhe in einen
neuen Anlauf für einen umfassenden politischen
Friedensprozess übergeleitet werden.
Das ist völlig richtig. Der Meinung sind wir schon seit
langem. Aber in der Diskussion über einen solchen Prozess sind zwei Dimensionen zu beachten. Das sind erstens die Gestaltung dieses Prozesses und zweitens seine
Inhalte.
Schon hinsichtlich der Gestaltung gibt es offensichtlich eine Reihe von unterschiedlichen Meinungen, Herr
von Klaeden. Dass sich jetzt mehrere Fraktionen für eine
Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen
Osten aussprechen, zeigt, dass wir dasselbe anstreben
wie die Frau Bundeskanzlerin, nämlich einen integrierten und umfassenden politischen Ansatz.
Dieser Ansatz ist aber umstritten. Zumindest ein Land
in der Region glaubt nach wie vor, dass es besser ist, die
einzelnen Konfliktfelder sequenziell, das heißt nacheinander abzuarbeiten, und hält es nicht für sinnvoll, die
Konfliktlösung umfassend zu bearbeiten. Wir halten das
aber für sinnvoll und haben deshalb noch einmal einen
entsprechenden Antrag eingebracht. Wir haben schon
vor vier Jahren einen Antrag zu diesem Thema vorgelegt. Bisher haben Sie unsere Forderungen abgelehnt.
Ich beglückwünsche alle, die nunmehr auch die höheren
Weihen der Weisheit genossen haben und jetzt derselben
Meinung sind wie wir. Deshalb rechne ich damit, dass
Sie unserem Antrag heute entsprechend freudig zustimmen werden.
({1})
Herr von Klaeden, bei den von Ihnen genannten Voraussetzungen handelt es sich doch um Details. Wir können uns doch nicht schon jetzt mit den Teilnehmern und
der Tagesordnung beschäftigen. Im ersten Schritt geht es
darum, die Grundvoraussetzungen bzw. das Verständnis
dafür zu schaffen, dass der integrierte Ansatz richtig ist,
und einen entsprechenden Prozess einzuleiten.
Ein solcher umfassender Prozess bedeutet auch, dass
es sinnvoll ist, mit all denen zu reden, mit denen man reden muss, um etwas bewegen zu können. Deshalb sind
wir in der Tat derselben Meinung wie die Mehrheit dieses Hauses, dass der Besuch des Bundesaußenministers
in Syrien sinnvoll und richtig war.
Das ist alles andere als Appeasementpolitik. Es
kommt nicht darauf an, mit wem man redet, sondern darauf, was man dort sagt. Das, was man sagt, muss in der
Sache sehr klar sein. Ich bin der Überzeugung, dass der
Herr Außenminister es richtig gemacht hat.
Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit ist
sicherlich ein Vorbild für diese Region; denn dieser Prozess hat erstmals gezeigt, dass es sinnvoll ist, mit Menschen und Staaten in einen Diskussionsprozess einzutreten, obwohl man vorher weiß, dass die Meinungen völlig
unterschiedlich sind.
Herr Trittin, Sie haben die Hoffnung geäußert, dass
die Vereinigten Staaten in den nächsten Monaten aktiver
werden. Auch ich habe diese Hoffnung, allein mir fehlt
der Glaube. Die augenblicklichen Signale aus Washington sind nicht so eindeutig, dass wir darauf hoffen können, dass die USA ihrer wesentliche Rolle nachkommen.
Ich bedauere das sehr. Ich bin völlig Ihrer Meinung, dass
es angesichts der Rolle, die die deutsche Regierung im
nächsten halben Jahr spielen wird, die Aufgabe Deutschlands ist, darauf hinzuwirken, dass die USA wieder verstärkt ihrer Rolle nachkommen. Darüber sind wir uns
alle sicherlich einig.
Natürlich können und wollen wir die Inhalte eines
solchen umfassenden Friedensprozesses heute nicht endgültig festschreiben. Aber ich glaube, wir alle sind einer
Meinung, dass es gewisse Grundsätze und Grundbedingungen gibt. Dazu gehören sicherlich das Existenzrecht
und die Sicherheit des Staates Israel sowie ein lebensfähiger palästinensischer Staat als Ergebnis eines solchen
Prozesses. Des Weiteren müssen wir dafür sorgen, dass
der Libanon möglichst weitgehend selbstbestimmt handeln kann und nicht von fremden Mächten dominiert
wird und dass die legitimen Sicherheitsinteressen aller
Staaten in der Region in einem solchen umfassenden Sicherheitsprozess Berücksichtigung finden. Dass wir uns
darüber hinaus wünschen, dass nicht nur dieser Konflikt
gelöst wird, sondern dass dort auch eine Region der Stabilität und des Friedens entsteht, ist richtig. Aber das ist
noch ein langer Weg.
Herr von Klaeden, darüber, ob es der Kernkonflikt
oder ob es nur ein wesentlicher Konflikt ist, kann man
sicherlich semantisch streiten. Uns allen ist aber klar,
dass er nicht nur für die Region wesentlich ist.
({2})
- Ich bin nicht sicher, ob uns die semantische Diskussion
darüber, ob es der Konflikt oder ob es ein wesentlicher
Konflikt ist, weiterbringt. Das mögen Sie anders sehen.
Die Bundesregierung hat in den nächsten sechs Monaten eine nahezu einzigartige Möglichkeit, zu gestalten;
denn in diesem Zeitraum hat sie die EU-Ratspräsidentschaft und die G-8-Präsidentschaft inne. Ich glaube, dass
wir aufgrund unserer Beteiligung an dem militärischen
Engagement das Recht und die Pflicht haben, hier verstärkt einzuwirken. Die Bundesregierung ist aufgefordert, hier aktiv zu werden und Initiativen zu ergreifen.
Ich hoffe, dass sie das tut. Sie hat jedenfalls unsere Unterstützung, wenn es darum geht, eine nachhaltige Friedenslösung in dieser Region zu finden.
Vielen Dank.
({3})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt und
voraussichtlich letzter Redner in diesem Jahr ist der Kollege Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
wollte schon immer einmal das letzte Wort in diesem
Hause haben.
({0})
Ich muss Sie enttäuschen. Das wird Ihnen nicht ganz
gelingen.
({0})
Stimmt, das letzte Wort werden Sie haben. Aber auch
das vorletzte Wort ist ganz in Ordnung.
({0})
Die Bundeskanzlerin hatte eine neue Nahostinitiative
Deutschlands während der EU-Ratspräsidentschaft angekündigt. Ich finde, das ist zu begrüßen. Ich war gespannt, was sie inhaltlich vorschlägt. Dann kam der Vorschlag, das Nahostquartett wieder zu beleben. Das ist
richtig, aber nicht ausreichend. Bis heute hat die Bundesregierung keinen einzigen inhaltlichen Vorschlag gemacht, aus dem hervorgeht, wie eine neue Nahostinitiative aussehen soll. Die Politik der Bundesregierung ist
konturlos.
Nun kann man wie Herr von Klaeden die Oppositionsfraktionen ob ihrer Ideen kritisieren. Aber das setzt
voraus, dass man selber Ideen hat. Wenn man keine hat,
sollte man nicht kritisieren. Dann bleibt man im unverbindlichen Nebel.
({1})
Ich halte fest, dass in den letzten Monaten in diesem
Hause alle Vorschläge zum Nahostkonflikt entweder von
den Grünen, von der FDP oder von den Linken kamen.
({2})
Die CDU/CSU und die SPD haben es nicht fertig gebracht, einen einzigen schriftlichen Vorschlag auf den
Tisch zu legen. Man kann deswegen nichts kritisieren,
weil Sie einfach nichts haben und nichts vorlegen können. Damit werden Sie in der EU-Ratspräsidentschaft
und in der G 8 nicht durchkommen.
({3})
Ich finde es richtig, dass alle hier im Hause - es hätte
sehr viel früher passieren müssen - die Holocaustlügnerkonferenz im Iran nachhaltig verurteilen.
({4})
Ich hätte es für notwendig gehalten - es wäre gut gewesen, wenn Sie dazu etwas gesagt hätten -, dass die
Frau Bundeskanzlerin Herrn Olmert etwas zu seinem offiziellen Eingeständnis, dass Israel Atomwaffen hat
- gewusst haben wir es schon länger -, gesagt hätte.
Atomwaffen bringen Israel kein Stück mehr Sicherheit,
sondern sie gefährden die Sicherheit in dieser Region.
({5})
Dieses Eingeständnis - unkommentiert von der Bundeskanzlerin - könnte ein Signal für weitere Staaten in
der Region sein - nicht nur für den Iran -, sich Atomwaffen zulegen zu wollen. Eine solche Politik wird aus
meiner Sicht mit Sicherheit scheitern.
({6})
Zu der strategischen Zielsetzung, die hier beschrieben
werden müsste - da müssen Sie einmal Butter bei die
Fische geben -, muss gehören: Wir sollten einen massenvernichtungsfreien Nahen Osten anstreben, weil das
die einzige politisch tragfähige Konzeption ist.
({7})
Das steht ja auch in unseren Anträgen. Dabei ist es nicht
erheblich, ob Sie den Konflikt als Kernkonflikt bezeichnen. Klar ist doch, dass ohne Lösung des Konflikts zwischen Israel und Palästina auch die anderen Konflikte im
Nahen und Mittleren Osten nicht lösbar sind. Das ist der
Punkt, auf den es entscheidend ankommt.
({8})
Das bedingt - miteinander verbunden und nicht nebeneinander - die Existenz Israels in völkerrechtlich
verbindlichen und gesicherten Grenzen und ebenso die
Existenz eines eigenständigen palästinensischen Staates, und zwar lebensfähig und nicht in einem Flickenteppich. Wer das voneinander trennen will - wie es bei
Herrn Olmert immer noch anklingt -, der wird weder das
eine noch das andere erreichen. Der Weg dazu wird ein
Dialog sein. Man kann sich natürlich seinen Dialogpartner nicht aussuchen. Man muss mit Positionen in die Gespräche gehen und den Partnern sagen, was geht und was
nicht geht. Das muss man dem Iran, der Hisbollah, der
Hamas, aber auch Israel sagen. Aber ohne Dialog wird
es keinen Weg für den Frieden im Nahen Osten geben.
Das muss man deutlich aussprechen. Daran muss sich
die deutsche Politik orientieren.
({9})
Der Präsident mahnt; ich habe doch nicht das letzte
Wort.
Die große Weihnachtsbotschaft lautet: Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Ich finde, auf
Erden ist kein Frieden, und so, wie die Welt ist, kann sie
den Menschen auch nicht wohlgefallen.
Herzlichen Dank.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/3547 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf
Drucksache 16/3802 - Tagesordnungspunkt 28 b - soll
zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuss und zur Mitberatung an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung überwiesen werden. Die Vorlage auf Drucksache 16/3816
- Zusatzpunkt 11 - soll ausschließlich im Auswärtigen
Ausschuss beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Da ich bereits allen gute Wünsche für das bevorstehende Weihnachtsfest und das neue Jahr übermittelt
habe, wünsche ich denen, die es bis zum Schluss durchgehalten haben, exklusiv ein wunderschönes drittes Adventswochenende unter Aufrechterhaltung der guten
Wünsche für die Festtage, die sich daran anschließen.
Wenn diejenigen, die heute bis zum Schluss da waren, zu
den Ersten gehörten, die in der nächsten Sitzung des
Deutschen Bundestages wieder gebraucht werden, dann
wäre das eine besonders schöne Verbindung.
Jedenfalls berufe ich die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Mittwoch, den 17. Januar 2007,
13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
({0})