Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/13/2006

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Überwachungsmission AMIS der Afrikanischen Union ({0}) in der Region Darfur/Sudan auf Grundlage der Resolutionen 1556 ({1}) und 1564 ({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 30. Juli 2004 und 18. September - Drucksache 16/3652 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({3}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Eine Aussprache ist dafür heute nicht vorgesehen. Wir kommen daher gleich zur Überweisung. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/3652 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Stellungnahme der Bundesregierung zum ersten Nationalen Bildungsbericht „Bildung in Deutschland“. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Frau Dr. Annette Schavan. - Bitte.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Nationale Bildungsbericht ist in gemeinsamer Verantwortung von Kultusministerkonferenz und Bundesregierung in diesem Jahr zum ersten Mal erschienen. Er wird künftig alle zwei Jahre erscheinen. Diese Abfolge bietet uns die Möglichkeit, nicht nur die jeweils aktuellen Daten und Fakten zu unserem Bildungssystem festzustellen, sondern auch die zwischen den einzelnen Berichten stattfindenden Entwicklungen zu erkennen. Der Bildungsbericht nimmt die gesamte Bildungsbiografie in den Blick, ist getragen von der Leitidee „Bildung im Lebenslauf“. Schwerpunkt des ersten Bildungsberichtes war die Bildung von Migranten und ihre Integration in unser Bildungssystem. Da Ihnen der Bildungsbericht vorliegt, konzentriere ich mich in meinem Bericht an Sie auf die Schlussfolgerungen, die Bundesregierung und KMK aus diesem ersten Bericht gemeinsam gezogen haben. Es gibt drei politikfelderübergreifende Schlussfolgerungen: Erstens. Das erklärte Ziel lautet, in den 16 Ländern die Ausgaben für Bildung zu steigern. Zweitens soll die Bildungspolitik noch stärker mit anderen Politikfeldern, zum Beispiel mit der Familienpolitik, der Sozialpolitik und der Integrationspolitik, verbunden werden. Drittens sollen die Grundlagen für bildungspolitische Entscheidungen durch systematische Bildungsforschung verbessert werden. Wir erarbeiten derzeit ein Bildungspanel, das eine wichtige empirische Grundlage für bildungspolitische Entscheidungen sein soll. Das Rahmenprogramm Bildungsforschung soll die systematische Grundlage bilden. Bei den Schlussfolgerungen bezüglich der Bildungspolitik wurde ein Schwerpunkt auf die bessere Integration der Migranten gelegt. Hier spielt die Sprache eine zentrale Rolle. Die frühe Förderung ist ebenso wie die Beratung Jugendlicher an der Nahtstelle von Bildung und Beschäftigung von zentraler Bedeutung. Sie wissen, Redetext dass es auf diesen Gebieten mittlerweile eine Menge Programme der Länder und des Bundes gibt. Das klare Ziel muss lauten, Jugendlichen aus Migrantenfamilien die gleichen Chancen auf Bildung zu geben wie allen anderen; denn Bildung ist der Schlüssel für Aufstieg und Teilhabe. Zweiter Schwerpunkt: Frühkindliche Bildung stärken. Das bezieht sich sowohl auf die Stärkung des Bildungsauftrags der Kindertagesstätten als auch auf eine bessere Verbindung von Kindertagesstätten und Grundschulen. Wir brauchen fließende Übergänge, individuelle Förderung und - auch das steht hier im Mittelpunkt - Sprachförderung. Bewegungsförderung, früher Zugang zu Naturphänomenen und musisch-ästhetische Bildung sind genauso bedeutsam. Dritter Schwerpunkt: Die Koppelung von sozialer Herkunft an den Bildungserfolg muss überwunden werden. Hierzu liegen erste Initiativen vor. Ich erinnere daran, dass mittlerweile rund 1 Million Schülerinnen und Schüler Ganztagsschulen besuchen. Dort gibt es mehr Möglichkeiten der individuellen Förderung. Die Verstärkung der individuellen Förderung ist erwiesenermaßen der Schlüssel für die Entkoppelung. Dies beinhaltet besondere Förderprogramme einerseits für Benachteiligte, andererseits für die besonders Begabten und nicht zuletzt neue Akzente in der Lehrerbildung und die Einführung von Bildungsstandards. Schließlich zum wichtigen Stichwort Berufsausbildung. Ich darf Sie hier darüber informieren, dass heute das Bundesinstitut für Berufsbildung die neuen Zahlen vorgelegt hat, die eine Steigerung der Zahl der Ausbildungsplätze in diesem Jahr um 4,8 Prozent zeigen. Von den Jugendlichen, die im September noch nicht vermittelt waren, wurden bis jetzt 21 000 vermittelt; 27 000 sind noch zu vermitteln. Wir fördern Berufsausbildung für alle, weil wir wissen, dass die berufliche Bildung in Deutschland in besonderer Weise zur Integration beiträgt. Meine beiden letzten Punkte. Erstens. Heute Nachmittag wird der Hochschulpakt zwischen den Regierungschefs beraten. Damit reagieren wir auf das, was im Bildungsbericht steht. Die Zahl der Studienbewerber wird zunehmen. Das muss als Chance genutzt werden. Zweitens. Wir wissen, dass es eine große Diskrepanz zwischen der Einschätzung der Bedeutung von Weiterbildung und der tatsächlichen Nachfrage gibt. Wir sind davon überzeugt, dass die Weiterbildung an Bedeutung zunehmen wird, um berufliche Qualifikation eher zu erhalten. Mein Haus ist dabei, auf der Grundlage des Gutachtens die Eckdaten für mögliches Bildungssparen zu erarbeiten. Wir haben mit dem Blick auf lernende Regionen neue Akzente gesetzt. Wir brauchen ein realistisches Bündnis zur Steigerung der Weiterbildungsbereitschaft in Deutschland. Das sind einige der Schwerpunkte der gemeinsamen Schlussfolgerungen der Bundesregierung und der Kultusministerkonferenz. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank, Frau Ministerin. Ich bitte nun, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Die erste Frage hat die Kollegin Hirsch.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Besten Dank. - Frau Ministerin, meine Frage geht in folgende Richtung: Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass eine der zentralen Erkenntnisse aus dem Bildungsbericht die Notwendigkeit der Entkoppelung von Bildungserfolg und sozialer Herkunft ist. Es soll sichergestellt sein, dass aus diesem Bericht politische Konsequenzen gezogen werden. Doch man fragt sich, ob Sie nicht durch die gerade erfolgte Föderalismusreform die dazu notwendigen Instrumente aus der Hand gegeben haben. Ich verweise darauf, dass Sie gerade als ersten Punkt das Ganztagsschulprogramm und ehemalige BLK-Programme wie das Förderprogramm für Migrantinnen und Migranten erwähnt haben. Sie wissen genauso gut wie ich, dass solche Programme zukünftig nicht mehr aufgelegt werden können. Meine Frage lautet: Wie sollen gerade vor diesem Hintergrund Bildungserfolg und soziale Herkunft entkoppelt und politische Konsequenzen gezogen werden? Hiermit meine ich nicht nur allgemeine Absichtserklärungen, man wolle das jetzt aufbrechen und zu einer Verbesserung kommen.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Internationale Vergleichsstudien haben gezeigt, dass der Schlüssel für bessere Integration der Schülerinnen und Schüler aus Migrantenfamilien die deutsche Sprache ist. Deshalb ist es ganz klar Aufgabe der 16 Länder, Sorge dafür zu tragen, dass alle Kinder vor ihrem ersten Schultag altersgerecht mit der deutschen Sprache umgehen. Entsprechende Schritte wurden unternommen, und zwar nicht nur auf dem Papier. Die Aufgabe wurde schon in vielen Teilen Deutschlands umgesetzt. Damit wurden bereits viele Schlussfolgerungen aus der PISAStudie, die letztlich auch Grundlage für den Nationalen Bildungsbericht war, gezogen. Der zweite Punkt. Wir verabschieden uns nicht von unserer Verantwortung, sondern wir nehmen eine neue Aufgabenverteilung vor: Dabei geht es um die Unterstützung des Bildungssystems durch Forschung und Entwicklungsarbeit, etwa im Rahmen didaktischer Weiterentwicklungen. Es gibt eine Reihe von Forschungsinstituten - auch von außeruniversitären -, die sich mit Methoden individualisierter Lernformen beschäftigen. Diese Aufgabe übernimmt der Bund. Zum Auftrag der Länder gehört - dieses Thema ist eines der Herzstücke der Landespolitik -, den Schulen hinreichende Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Auch hier sind Fortentwicklungen festzustellen. Auf der einen Seite ist zum Beispiel im Hinblick auf die Grundschulen die Ermöglichung unterschiedlicher Lernzeiten zu erBundesministerin Dr. Annette Schavan wähnen. Dies kann zur Folge haben, dass auch das fünfte Schuljahr noch in der Grundschule absolviert werden kann. Auf der anderen Seite müssen aber auch Möglichkeiten zur Verkürzung der Lernzeiten geschaffen und mehr individuelle Hilfe angeboten werden. Dazu tragen viele ganztätige Angebote der Schulen bei, und zwar unabhängig von ihrem Bauprogramm; auch das hat geholfen. Wichtig ist, dass an den Schulen neben dem regulären Unterricht zusätzliche Hilfe bei der Hausaufgabenbetreuung und zur Verbesserung der Sprachfähigkeit angeboten wird. Der dritte entscheidende Aspekt betrifft die Nahtstelle zwischen Schule und Beschäftigung. Wir müssen die Jugendlichen bei ihrer Suche nach einer Ausbildungsstelle begleiten. Diesem Zweck dienen verschiedene Verbindungen zu Unternehmen und Patenschaften zwischen Schulen und Unternehmen. Die Bundesregierung hat dafür gesorgt, dass 7 500 Ausbildungsplätze für Migranten zur Verfügung gestellt wurden. Die 40 000 Angebote für Einstiegsqualifikationen sind zum Teil sehr gut für diejenigen geeignet, die noch nicht über hinreichende Ausbildungsreife verfügen. Wir haben das Stadium der Analyse und der allgemeinen Erklärungen längst verlassen. Wir tätigen Investitionen und statten unsere Programme gut aus. Es wird interessant sein, die folgenden nationalen Bildungsberichte daraufhin zu untersuchen, durch welche Maßnahmen welche Fortschritte erzielt werden konnten. Hierbei denke ich vor allem an die gezielte Reduzierung des Anteils derer, die keinen Schulabschluss machen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Tauss.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ganz herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Mit Ihrer Erlaubnis möchte ich in dieser vorweihnachtlichen Zeit meiner Freude Ausdruck verleihen, dass auf der Besuchertribüne so viele derer sitzen, über deren Situation wir gerade reden. Herzlich willkommen! Frau Ministerin, meine Frage schließt unmittelbar an den Punkt an, von dem Sie gerade gesprochen haben - dabei handelt es sich um einen Aspekt, der uns mit größter Sorge erfüllt -: Diejenigen, die keinen Schulabschluss haben, haben auf dem Arbeitsmarkt und auf dem Ausbildungsstellenmarkt in der Tat die schlechtesten Chancen. Dieser Gruppe wird im Bildungsbericht große Bedeutung beigemessen. Meine Frage lautet: Inwieweit ist es möglich, insbesondere diesen Personenkreis zu einem Schwerpunkt der Gespräche, die der Bund mit den Ländern führt, zu machen? Der Bund setzt schließlich in erheblichem Umfang Mittel ein und unternimmt große Anstrengungen, um Jugendlichen ohne Schulabschluss durch Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit zu helfen. Vielleicht wäre es sinnvoll, bereits früher mit der Förderung zu beginnen. Könnte das ein konzeptioneller Ansatz sein, um der Lösung dieses Problems näher zu kommen? Ich denke, die entsprechenden Stichworte werden im Bildungsbericht geliefert.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Das, was Sie gesagt haben, bildet in der Tat einen Schwerpunkt. Dabei geht es unter anderem um die Konkretisierung der Vereinbarungen des Integrationsgipfels. Im Rahmen des Integrationsgipfels haben wir uns zu einem großen Teil mit Bildung und Ausbildung sowie mit der Verbindung zwischen Bildungspolitik, Sozialpolitik und Familienpolitik beschäftigt. Bis zum nächsten Integrationsgipfel finden nun Gespräche zwischen Bund und Ländern statt, um die Maßnahmen, die vom Bund und von den Ländern bereits eingeleitet wurden, noch zielgenauer auszugestalten. Das ist sowohl ein Schwerpunkt des Integrationsgipfels als auch ein Schwerpunkt der bildungspolitischen Gespräche, die der Bund mit den Ländern führt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Hinz.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Auch ich möchte an diesen Punkt anknüpfen. Im Nationalen Bildungsbericht wurde festgestellt, dass 40 Prozent aller Schulabgänger im so genannten Übergangssystem landen, also keine ordentliche Ausbildung beginnen. Darunter befinden sich insbesondere Schulabbrecher, aber auch Schüler mit schwachen Leistungen und sehr viele Migranten. Welche Initiative haben Sie nach Erscheinen des Bildungsberichts ganz konkret ergriffen, um dieses Problem zu lösen?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Wir haben unmittelbar nach Erscheinen des Bildungsberichtes dreierlei getan: Erstens. Wir haben die Möglichkeiten für Einstiegsqualifikationen erhöht; das ist die Initiative des Bundesarbeitsministeriums. Das heißt, dass in diesem Jahr wirklich jedem Jugendlichen ein Angebot gemacht werden kann. Wenn Sie sich die Zahlen von heute ansehen, dann stellen Sie fest, dass von den 50 000 Bewerbern, die Ende September noch unversorgt waren, mittlerweile 21 000 vermittelt sind. Die Vermittlung geht bis Mitte Januar weiter, sodass wir hier tatsächlich eine gute Prognose haben. Übrigens ist die Situation besser als in vielen Jahren zuvor. Die Einstiegsqualifikation ist ein neues Konzept. Es gibt nicht, wie üblich, eine Übergangsphase, die nicht anrechenbar ist, sondern die Jugendlichen erhalten die Möglichkeit, sich die erworbenen Kompetenzen anrechnen zu lassen, wenn sie später bei einem Unternehmen eine duale Berufsausbildung beginnen. Zweitens. Im Hinblick auf Migranten gibt es ein zusätzliches, von uns finanziertes Angebot, das 7 500 Ausbildungsplätze umfasst. Drittens haben wir Bildungsbausteine entwickelt, die zum Schuljahr 2007 in einigen Berufen eingeführt werden sollen. Denn wir haben in den letzten Jahren feststellen müssen, dass Jugendliche beschult werden, ohne zu wissen, was für eine Perspektive mit dieser erneuten Schulzeit verbunden ist. Ausbildungsbausteine - in Anlehnung an und aufbauend auf Erfahrungen mit Einstiegsqualifikationen und gestuften Ausbildungen - bedeuten, dass wiederum Ausbildung im Betrieb stattfindet und auf dieser Grundlage weitere Bausteine erworben werden. Sie wissen, dass im Moment eine heftige Debatte darüber stattfindet und viele sagen: Wir müssen aufpassen, dass wir damit nicht das duale System insgesamt aufweichen. Deshalb will ich noch einmal betonen: Natürlich wird es keine völlige Veränderung der dualen Ausbildung geben; es ist mit Blick auf die Berufsbilder wichtig, genügend Ausbildungsplätze zu haben. Aber der Übergang zwischen Schule und Ausbildung muss und wird so gestaltet werden, dass das, was angeboten wird, auf weitere Bildung, Qualifikation und Abschluss angerechnet wird. Damit würde übrigens umgesetzt werden, was bei der letzten Modernisierung des Berufsbildungsgesetzes vorgesehen war: die bessere Verbindung von dualer Ausbildung und beruflicher Vollzeitschule.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Weinberg aus der Unionsfraktion.

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, der Bildungsbericht - das ist deutlich geworden - konzentriert sich auf die Fragen: Wird es uns gelingen, insbesondere Migrantinnen und Migranten bei der Bildung besser zu platzieren? Welche Maßnahmen müssen wir dafür ergreifen? Diese Fragen werden querschnittartig durch alle Bildungsbereiche - frühkindliche Bildung, vorschulische Bildung, schulische Bildung bis hin zur Berufsbildung, Hochschule etc. - durchleuchtet. Wenn man die Ergebnisse bündelt und sich überlegt, welche Prozesse eingeleitet werden müssen, stellt man fest: Es sind mehrere Kompetenzen betroffen. Zum einen sind die Kompetenzen der Länder betroffen, zum anderen Kompetenzen des Bundes. Nun gab es auch in diesem Haus den einen oder anderen Kritiker, der gemeint hat, dass eine solche nationale Bildungsaufgabe nicht zu lösen sei. ({0}) Vor diesem Hintergrund stelle ich die Frage: Welchen Stellenwert hat der Bildungsbericht nach dieser Föderalismusreform und was wird getan, um Länder und Bund auf einen gemeinsamen Weg zu bringen, um die Aufgaben zu bewältigen?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Der Nationale Bildungsbericht ist eines von drei neuen Instrumenten der - ich sage einmal - modernen Steuerung des Bildungssystems. Das zweite wird das Bildungspanel sein, das dritte die Bildungsforschung, nicht nur in einem abstrakt-theoretischen Sinne, sondern auch im Sinne von angewandter Forschung, die sich auf die Entwicklung von Lernkultur in den Schulen und im gesamten Bildungssystem bezieht. Der Nationale Bildungsbericht ist eine Möglichkeit, den jeweiligen Status quo zu erheben. Jeder Bericht wird einen Schwerpunkt haben. Damit ist es erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland möglich, dass Bund und Länder gemeinsame Schlussfolgerungen ziehen, gemeinsame Ziele und Strategien benennen. Denken Sie allein an die berufliche Bildung: Es kann keine Rede davon sein, dass der Bund keine bildungspolitische Kompetenz hat, von ihm gehen die wesentlichen Impulse zur Modernisierung der beruflichen Bildung aus. Die berufliche Bildung wird in den nächsten Jahren forciert werden, auch deshalb, weil sie von der Nähe zwischen Arbeitswelt und Lernwelten lebt. Veränderungen in den Arbeitswelten und in den einzelnen Branchen müssen sich auch in Veränderungen der Lernwelten niederschlagen. Der Bildungsbericht gibt den Status quo wieder. Zusammen mit den Nachfolgeberichten wird uns im Laufe der Zeit die Entwicklung aufgezeigt. Wir können so gemeinsam Strategien entwickeln. Uns werden aber auch Aufgaben zugewiesen, und zwar den Ländern, dem Bund, aber auch den Sozialpartnern; denn in der beruflichen Bildung sind neben Bund und Ländern viele Partner beteiligt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, bereits im Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung wurde festgestellt, dass dem Bereich Nachhilfe eine zunehmende Bedeutung zukommt. Wir beide wissen sicherlich, dass es insbesondere Kinder aus benachteiligten Familien schwerer haben, Zugang zu Nachhilfe zu bekommen. Damit sind ihre Chancen, in der Schule mitzukommen, niedriger. Auch in der Vorstudie zu Ihrem Bildungsbericht wird festgestellt, dass es notwendig ist, die Zahlen hierzu einmal zu sortieren und festzustellen, welcher Bedarf an Nachhilfe tatsächlich besteht und worin die Ursachen für den zunehmenden Bedarf an Nachhilfe liegen. Das taucht in Ihrem Bildungsbericht aber nicht auf. Meine Fragen: Sind Sie bereit, dem Thema Nachhilfe in künftigen Bildungsberichten größere Bedeutung zuzumessen? Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dem, was schon in der Vorstudie steht?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Über die jeweiligen Schwerpunkte eines Bildungsberichtes entscheiden die KMK und die Bundesregierung. Ich glaube, dass das Thema Nachhilfe eher ein Thema für ein wissenschaftliches Gutachten, also für eine Erhebung, ist. Ich bin gerne bereit, so etwas in Auftrag zu geben. Es wird aber mehr nötig sein als das, was man mit den Instrumenten eines Nationalen Bildungsberichtes machen kann. Man wird dabei feststellen - das wissen wir bereits von den Schulen -, dass nicht primär benachteiligte Kinder Nachhilfeunterricht bekommen, und zwar schon allein aus finanziellen Gründen, sondern dass die Gruppe derer, die Nachhilfe bekommt, eine andere ist. Nicht selten bekommen diese Schüler Nachhilfe nicht aufgrund gefährdeter schulischer Leistungen, sondern schlicht und einfach deswegen, um Notenverbesserungen zu erzielen. Aber einen empirischen Befund über die Situation im Bereich Nachhilfe zu erheben, halte ich für einen interessanten Punkt und will ihn gerne in unsere Überlegungen aufnehmen.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir nehmen Sie beim Wort.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Das können Sie in der Regel.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Schummer hat die nächste Frage.

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben auf die erfreuliche Zahl hingewiesen, dass 4,8 Prozent mehr Ausbildungsverträge abgeschlossen worden sind. Hier hat eine Trendwende stattgefunden. Auf der anderen Seite gibt es aber immer noch Bewerber, die noch nicht mit einem Ausbildungsplatz versorgt sind. Ist absehbar, dass sie bis Ende des Jahres versorgt sein werden? Sie sind ja auch in Verhandlungen zum Ausbildungspakt, der verlängert werden soll. Welche gemeinsamen Empfehlungen von Bund und Ländern werden den neuen Ausbildungspakt - er soll voraussichtlich im März unterzeichnet werden - mit neuer Dynamik bereichern? Hinzu kommt: Es gibt eine große Zahl von Altbewerbern. Meine Frage: In welchem zeitlichen Horizont kann dieser so genannte Altbestand an Bewerbern Ihrer Meinung nach abgearbeitet werden?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Lösungen für Altbewerber werden nach dem Stand heute nicht Teil des Ausbildungspaktes sein; denn dazu wären mehr strukturelle Veränderungen in der beruflichen Bildung notwendig. Neben der Einstiegsqualifikation und auch der Mentalität der Beteiligten muss sehr viel stärker der Blick auf die Unternehmen gerichtet werden, auf die Notwendigkeit zu praktischer Erfahrung und auf die Notwendigkeit auch zur Zertifizierung dessen, was an Qualifikation erworben wird. Das zweite Problem bei Altbewerbern ist: Wenn Jugendliche, die noch nicht versorgt sind, zu einer Informations- oder Vermittlungsveranstaltung eingeladen werden, dann kommt - das erleben wir in unseren Wahlkreisen immer wieder - nur ein Bruchteil derer, die angeschrieben werden. Wir brauchen - die Bundesagentur für Arbeit hat das zugesagt - eine detailliertere Statistik darüber, wer sich hinter der Gruppe der Altbewerber verbirgt, wie groß sie in Wirklichkeit ist, wie viele für eine duale Ausbildung zur Verfügung stehen und aus welchen Gründen sie noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. War das eine Frage der Ausbildungsreife, ein Berufswunsch, für den es keinen Ausbildungsplatz gab, oder kam der Bewerber aus einer strukturschwachen Region, in der Ausbildungsplätze generell nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung standen? Ab nächstem Jahr soll uns also eine Statistik zur Verfügung stehen, durch die uns allen ein besserer Überblick über die Jugendlichen und deren Voraussetzungen gegeben wird. Klar ist aber: Beim zweiten Teil des Ausbildungspaktes werden die Zahlen, die hinsichtlich der Ausbildungsplätze und der Einstiegsqualifikationen vereinbart werden, an die tatsächliche demografische Entwicklung angepasst werden müssen, die in den nächsten Jahren einen Zuwachs der Zahl der Bewerber erwarten lässt. Ich darf in diesem Zusammenhang noch hinzufügen: Wenn Sie sich die Zahlen von heute anschauen, dann wird deutlich, dass sich auch auf dem Ausbildungsmarkt etwas tut, wenn sich auf dem Arbeitsmarkt etwas bewegt und wirtschaftliche Dynamik entsteht. Ein Plus von 4,8 Prozent haben wir seit vielen Jahren nicht mehr gehabt. 21 000 Jugendliche wurden vermittelt und 27 000 Jugendliche befinden sich bis Mitte Januar noch in der Vermittlung. Von der Zahl der Plätze her und unter Berücksichtigung der Einstiegsqualifikationen müsste jedem Jugendlichen in der Nachvermittlung ein Angebot gemacht werden können. Voraussetzung ist allerdings, dass alle als noch nicht vermittelt gemeldeten Jugendlichen auch tatsächlich erreicht werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Ernst Dieter Rossmann.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, in der Presseerklärung des BMBF zur heutigen Kabinettsberatung steht der abschließende Satz - ich darf zitieren -: Das BMBF wird darauf hinwirken, dass Bund und Länder ab 2007 im Rahmen von Empfehlungen weitere gemeinsame Ziele zur Modernisierung der Bildung vereinbaren und durch koordinierte bildungspolitische Maßnahmen umsetzen. Ich frage mich: Bedeutet das, dass es in Zukunft keinen indikatorengestützten Bildungsbericht mehr geben wird, sondern nur noch eine Zusammenfassung in einem Kapitel mit der Überschrift „Perspektiven“ oder auch einen Anhang dazu mit der Überschrift „Empfehlungen“? ({0}) Inwieweit wollen und können Sie diesen Bericht in der Zusammenarbeit von Bund und Ländern zunehmend auch zum Gegenstand von zugespitzten Empfehlungen machen und welche Resonanz finden Sie dazu bei den Ländern? Durch diese Erklärung des BMBF von heute wird ja immerhin angedeutet, dass Sie ab 2007 selbst gerne die Abgabe gemeinsamer Empfehlungen von Bund und Ländern wollen.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Wenn ich mich richtig erinnere, bezieht sich die Pressemitteilung auf das Thema Berufliche Bildung. ({0}) - „Nationaler Bildungsbericht“. Ich halte es für wichtig, dass alle Empfehlungen, die wir abgeben, gemeinsame Empfehlungen von Bund und Ländern sind, weil es nicht darum geht, nur etwas zu Papier zu bringen, sondern weil damit auch Strategien der Handelnden verbunden sind. ({1}) Deshalb wird die eine oder andere Seite immer auch Themen ins Gespräch bringen - etwa Fragen der Bildungsforschung -, die unser eigenes Handeln betreffen. Sobald aber ein gemeinsames Handeln oder das Handeln der anderen gefragt ist, müssen die Empfehlung und die Strategie gemeinsam vereinbart werden, damit es wirklich zu diesem Handeln kommt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Pieper.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, meine Frage passt ganz gut zu der von Herrn Dr. Rossmann. Sie selbst haben immer betont - auch bei der Debatte zur Föderalismusreform -, wie wichtig Ihnen unabhängig von der Kompetenz der Länder in den Fragen der Bildung eine gesamtgesellschaftliche Strategie, also eine nationale Bildungsstrategie, ist. Dies wurde in dem Bildungsbericht mit „Bildung im Lebenslauf“ auch klar beschrieben. Im Grunde genommen wurde dort das gesamte Bildungskonzept, angefangen von der frühkindlichen Bildung bis hin zur Weiterbildung und Erwachsenenbildung, aufgezeigt. Wenn das aber so ist und man nicht bei der Analyse stehen bleibt, dann muss es ein Gremium aus Bund und Ländern geben, welches die entsprechenden Handlungsempfehlungen herausgibt, die jeweiligen Schlussfolgerungen zieht und diese in einem nationalen Konzept umsetzt. Welches Gremium hat nach Ihrer Auffassung diese Schlussfolgerung zu ziehen und wie sieht nach Ihrer Auffassung die notwendige parlamentarische Begleitung auf Bundesebene für eine nationale Bildungsstrategie aus? Ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass in dem Bildungsbericht bewusst Themen behandelt werden, die auch von Erziehungswissenschaftlern und Neurowissenschaftlern als immanent wichtig bezeichnet werden und eine Schlüsselfunktion - das betrifft zum Beispiel den Bereich der frühkindlichen Bildung - für Chancengerechtigkeit und für die individuelle Begabtenförderung haben. Diese Themen sollten nicht nur ein einziges Bundesland beschäftigen; das Gremium fordert vielmehr eine nationale Exzellenzinitiative für frühkindliche Bildung. Welches ist aus Ihrer Sicht das zuständige Gremium, um entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen und Handlungsempfehlungen zu geben, und wie soll aus Ihrer Sicht die notwendige parlamentarische Begleitung insbesondere auf Bundesebene erfolgen?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Hinter Ihrer Frage steckt - wenn ich mich richtig erinnere - auch Ihre Überzeugung, dass ein nationaler Bildungsrat geschaffen werden sollte. Deshalb rede ich nicht drum herum: Ich glaube nicht, dass wir ein zusätzliches Gremium brauchen. Wir brauchen vielmehr einen wirklich kontinuierlichen Dialog der Handelnden zum Beispiel mit der Wissenschaft und - was es in Deutschland über Jahrzehnte nicht gegeben hat - ein empirisches Fundament. Man kann alles Mögliche behaupten, aber jeder von uns, der selbst jahrelang Bildungspolitik gestaltet oder begleitet hat, weiß, dass es ein empirisches Fundament in Deutschland bisher nicht gegeben hat. Deshalb halte ich es für richtig, in zwei Schritten vorzugehen. Zum einen geht es darum, für Deutschland insgesamt, also auf nationaler Ebene, eine regelmäßige Bildungsberichterstattung und Bildungspanels einzuführen. Dann kann man nach zehn Jahren feststellen, wie die Entwicklung in Deutschland verlaufen ist, und vergleichen, wie sich zum Beispiel die Quote der Schulabgänger ohne Abschluss in diesem Zeitraum verändert hat. Dann kann man auch die Effizienz von Strategien überprüfen, die in den Ländern bzw. in anderen Zuständigkeitsbereichen in Gang gesetzt worden sind. Zum anderen müssen sich auf der Ebene der politischen Verantwortung die Kultusministerkonferenz und die Bundesregierung in den gemeinsamen Gremien auf der Staatssekretärsebene und dann im Plenum auf die gemeinsam zu ziehenden Schlussfolgerungen einigen. Ich weise noch einmal darauf hin, dass in Deutschland bereits entsprechende Schlussfolgerungen gezogen worden sind. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Deutschen Bildungsrat, dessen Veröffentlichungen mancher noch im Regal stehen hat. Damit war aber keine Verpflichtung zum politischen Handeln verbunden. Ich ziehe den Weg vor, der auch politische Verbindlichkeit bedeutet. Selbstverständlich gilt für den Deutschen Bundestag wie für jedes Landesparlament, dass er sich mit dem Nationalen Bildungsbericht eingehend beschäftigen und die Schlussfolgerungen auf Regierungsebene mit eigenen Impulsen ergänzen kann. Deshalb beteiligt sich die Bundesregierung an dem Nationalen Bildungsbericht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Kai Gehring.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine Frage zum Hochschulkapitel des Bildungsberichtes. Welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung - auch in Zusammenarbeit mit den Ländern -, um die Quote junger Menschen zu erhöhen, die von der Schule zur Hochschule bzw. vom beruflichen in den akademischen Bereich wechseln, und um vor allem die Zahl der Studienanfänger zu erhöhen? Wir haben gerade gehört, dass die Zahl derer wegen der stark zunehmenden Zugangshürden in den Bundesländern aufgrund der schon jetzt fehlenden Studienplätze, der Zunahme von lokalen NCs und aufgrund von Studiengebühren rückläufig ist. Wie wollen Sie das in Ihrem Koalitionsvertrag festgehaltene Ziel, die Zahl der Studenten auf 40 Prozent eines Jahrgangs zu erhöhen, umsetzen?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Dazu werden mehrere Schritte notwendig sein. Der wichtigste Schritt ist der Hochschulpakt, der heute Nachmittag verabschiedet wird. In diesem Pakt erklären Bund und Länder, dass sie für den Zeitraum bis 2020 gemeinsam Verantwortung dafür übernehmen, dass in diesen 14 Jahren die notwendigen zusätzlichen Kapazitäten zur Verfügung gestellt werden. Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem Kapazitätserhalt in den neuen Ländern und dem Kapazitätsausbau in den alten Ländern. Konkretisiert wird der Hochschulpakt bis 2010. Dann wird es einen zweiten und vermutlich einen dritten geben. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass die Konkretisierung der Investitionen und der Zahl der Studienplätze in einem fünfjährigen Zeitraum erfolgen wird. Wenn ich das einmal sagen darf: Das, was dort zustande kommt, ist eine der größten gemeinsamen Aktionen von Bund und Ländern zur Schaffung von Kapazitäten in den deutschen Universitäten. Klar ist aber auch, dass damit noch nicht alle Fragen betreffend die Infrastruktur, also die Notwendigkeit, zu bauen, geklärt sind. Das heißt, die Kosten der Bundesländer werden faktisch über den Kosten für die Schaffung zusätzlicher Studienanfängerplätze liegen. Sie wissen, dass es in Deutschland eine große Diskrepanz zwischen der Zahl derjenigen, die ein Studium beginnen, und der Zahl derjenigen gibt, die ein Studium beenden. Deshalb sind Qualitätssicherungsprozesse insbesondere in der Umstellung auf Bachelor und Master wichtig. Ein sehr entscheidender Schritt wird sein, diejenigen, die ein Studium beginnen, zum Studienziel zu führen. Wenn uns das gelingt, sind wir dem 40-ProzentZiel deutlich näher. Aber das Herzstück ist die Kapazitätserweiterung. Noch ein Wort zu Durchlässigkeit und beruflicher Bildung: Die Landesgesetze sind sehr unterschiedlich. Als vorbildlich gilt, glaube ich, das seit 1976 in Niedersachsen geltende Gesetz. Wir werden mit den Bundesländern darüber sprechen - das ist das nächste Thema -, wie diejenigen, die aus dem Bereich der beruflichen Bildung kommen und sich für ein Studium interessieren, leichter an Informationen kommen und bessere Möglichkeiten erhalten können. Das heißt, die Hochschulen, die zum Teil Auswahlverfahren haben, müssen hier stärker einsteigen; dafür werben wir. Ich gehe davon aus, dass darüber großer Konsens zwischen den Bundesländern herrscht. Da es lange Zeit umstritten war, gab es in einigen Bundesländern große Zurückhaltung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor ich dem Kollegen Axel Fischer das Wort für eine Frage gebe, mache ich darauf aufmerksam, dass das Interesse an dem Thema der heutigen Kabinettssitzung außerordentlich groß ist; das ist sicherlich dem Thema angemessen. Ich möchte daher so viele Fragen wie möglich zulassen, obwohl die vorgesehene Zeit gleich abläuft. Ich bitte aber gerade die Fragesteller darum, die Fragen so kurz zu fassen, dass alle die Möglichkeit haben, eine Frage zu stellen. Kollege Fischer.

Axel E. Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, ich habe eine Frage zum Nationalen Bildungsbericht. Mich interessiert, inwieweit die positiven Erfahrungen, die man mit Privatschulen einschließlich der kirchlichen Schulen, die es im privaten Bereich gibt, gemacht hat, Eingang in den Bericht gefunden haben, welche Schlüsse man daraus ziehen kann und vor allem welche Schlüsse Sie aus dem Bericht im Hinblick auf die Begabtenförderung ziehen.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Die Begabtenförderung ist Teil der notwendigen Individualisierung von Lernkonzepten. Unterschiedliche Lernzeiten sowie mehr Möglichkeiten in den Grundschulen, jahrgangsübergreifend zu arbeiten und Begabtenzüge einzurichten, sind immer dort ein Thema, wo Lernkonzepte untersucht werden. Ich denke, dass es heute sehr viel mehr Verständnis für die Notwendigkeit der Begabtenförderung gibt als vor zehn Jahren. Dieses Thema wurde in Deutschland zwar spät entdeckt. Aber es gibt nun erste interessante Institutionen und Schritte in der Entwicklung dieser Schulen. In der Tat gehören Schulen in freier Trägerschaft in Deutschland zu den Pionieren, was individuelle Lernkonzepte und die Begabtenförderung angeht. Es gibt hierzu meines Wissens kein eigenes Kapitel in dem Bericht. Aber vor dem Hintergrund der gesamten Entwicklung des Bildungssystems in den letzten Jahrzehnten ist unbestritten, dass Schulen in freier Trägerschaft mit ihren pädagogischen Konzepten viele Impulse für das öffentliche Bildungssystem gesetzt haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Uwe Barth von der FDP-Fraktion.

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, wenn man sich die Themen anschaut, die im Nationalen Bildungsbericht abgehandelt werden, dann stellt man fest, dass eine ganze Reihe von Themen - das lässt sich im Bildungsbereich nicht vermeiden - die Länderkompetenzen betrifft. Das findet sicherlich nicht jeder gut. Aber das ist nun einmal so. Das ist geltendes Recht, an das man sich zu halten hat. Trotzdem ist es wichtig - das ist schon in verschiedenen Fragen angeklungen -, darüber zu reden. Daher die erste Frage: Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, welche Erwartungen - jenseits von Geld - es möglicherweise aufseiten der Länder an die Arbeit der Bundesregierung im Bildungsbereich gibt? Die zweite Frage bezieht sich konkret auf das Geld. Sie selbst sprachen vorhin den Hochschulpakt an. Heute früh hieß es, er solle heute unterschrieben werden. Sie sagten vorhin, er werde beraten. Wie ist Ihre Einschätzung über den Fortgang der Dinge?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Meine Einschätzung ist: Er wird beraten und unterschrieben. Er ist gut vorbereitet und es gibt keinen Anlass, ihn nicht zu unterschreiben, zumal alle Beteiligten wissen, dass er für jedes Bundesland und die Universitäten wichtig ist. Insofern bin ich heute sehr guter Laune; Sie können auch ganz beruhigt sein. Wenn ich das sagen darf: Ich glaube, es ist wichtig, dass in diesem Hochschulpakt erstmals auch die Länder untereinander einen vernünftigen Weg gefunden haben, wie wir verhindern, dass in den neuen Bundesländern reihenweise abgebaut wird. Das ist auch strukturpolitisch wichtig für die neuen Länder; denn wir haben bei der Debatte zuletzt festgestellt, dass das Thema „Wissenschaft, Forschung und Innovation“ für die Weiterentwicklung in den neuen Bundesländern von zentraler Bedeutung ist. Das ist in Wirklichkeit der Schlüssel. Die Erwartungen der Länder an die Bundesregierung beziehen sich auf die drei großen Bereiche, die ich eben genannt habe. Länder, die bei PISA erfolgreich sind, haben nicht mehr Gremien und übrigens auch nicht vorrangig zentrale Strukturen. Sie haben sich früher auf ein empirisches Fundament für ihre Arbeit eingelassen. Sie haben sich früher darauf eingelassen, Entwicklungsprozesse über einen längeren Zeitraum zu beobachten, und sie haben sich früher auf stärker individualisierte Lernkonzepte eingelassen. Das gilt vor allen Dingen für die skandinavischen Länder. Für die drei Bereiche, die ich eben genannt habe, können wir Grundlagen schaffen, gleichsam den Instrumentenkasten zur Verfügung stellen, der die konkrete Schulentwicklung vor Ort und übrigens auch die pädagogischen Institute der Länder in ihrer Entwicklungsarbeit befördert. Ich selbst werde in diesem Zusammenhang mit den Hochschulen ins Gespräch kommen, weil wir eine Reihe von Fachbereichen haben, die die Kompetenzen auch für die Unterstützung von Schule und die Entwicklung der Lernkultur, also der Didaktik, haben, die sich aber nach meiner Überzeugung nicht ausreichend mit Schule beschäftigen. Wir brauchen also eine bessere Partnerschaft zwischen Wissenschaft und dem, was an Entwicklungsarbeit im tertiären Bereich für die konkrete Schulentwicklung zu leisten ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Sager.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Nationale Bildungsbericht bezieht erfreulicherweise die frühkindliche Förderung mit ein, kommt aber zu dem Ergebnis, dass Kinder aus bildungsfernen Schichten weniger Anteil an der frühkindlichen Förderung haben als Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern, vor allen Dingen im Krippenbereich und bei den Ganztagseinrichtungen. In vielen Bundesländern werden Familien mit höheren Armutsrisiken bei der Betreuung der unter Dreijährigen und den Ganztagsplätzen mit der Begründung exkludiert, dass nicht beide Elternteile berufstätig seien. Welche Möglichkeiten sehen Sie auf der Basis dieser empirischen Erkenntnisse, auf eine Veränderung dieser Verhältnisse Einfluss zu nehmen?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

In Bundesländern, die den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zu 100 Prozent eingelöst haben, kann es eine solche Praxis nicht geben. Das kann nur Länder betreffen, die nicht genügend Plätze zur Verfügung stellen. Im Übrigen haben wir in nahezu allen 16 Ländern seit etwa zwei Jahren die Entwicklung, dass die Zahl der Kinder zurückgeht. Meine Beobachtung ist, dass in diesem Zusammenhang die qualitativen Angebote in den Kindergärten besser werden. Vieles, was in der Vergangenheit den Bildungsauftrag des Kindergartens geschwächt hat, hat sich verbessert. So werden Kinder früher aufgenommen, es gibt längere Öffnungszeiten und Ferienzeiten wurden abgeschafft. Hier gibt es keine unmittelbare Einwirkung, aber Sie wissen, dass es eine intensive Diskussion zwischen Familienpolitik und Bildungspolitik gibt, die mehr Veränderungen bewirkt als eine ausschließlich bildungspolitische Diskussion. Letzter Satz: Es gibt mittlerweile einen Konsens darüber, dass das letzte Kindergartenjahr nach Möglichkeit beitragsfrei sein soll, um die Zugangsschwelle zu verringern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Willi Brase von der SPDFraktion.

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, im Bericht ist unter dem Kapitel „Berufliche Bildung“ das Verhältnis zwischen Erstausbildung im Betrieb, Übergangssystem und schulischen Ausbildungsstrukturen ausgewiesen. Sie werden in der „Osnabrücker Zeitung“ zitiert, dass Sie 250 000 jungen Leuten, die nicht ausbildungsfähig oder nicht ausbildungsreif sind, ein Angebot machen wollen. In diesem Zusammenhang wurden als Beispiel Ausbildungsbausteine in die Diskussion eingebracht. Mich würde interessieren, wie Sie die Entwicklung von Ausbildungsbausteinen im Verhältnis zur schulischen Vollzeitberufsausbildung nach § 43 Abs. 2 BBiG sehen. Was tun die Länder, um endlich das auf den Weg zu bringen, was wir gemeinsam hier im Bundestag und im Bundesrat beschlossen haben? Mich würde auch interessieren, wie Sie die Stufenausbildung, die wir mit der Reform des Berufsbildungsgesetzes ein Stück weit gestärkt haben, in diesem Zusammenhang beurteilen. Ich glaube nicht, dass wir 250 000 junge Leute in Deutschland haben, die einen Ausbildungsplatz suchen und die man einfach als „nicht ausbildungsreif“ abstempeln könnte.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Diese Meinung teile ich. Die Zahl 250 000 ist eine von allen Beteiligten geschätzte Zahl. Ich habe eben gesagt, dass wir eine genaue Statistik brauchen, um festzustellen, wie viele von diesen 250 000 überhaupt noch zur Verfügung stehen. Es ist auch klar, dass das nicht 250 000 nicht ausbildungsreife Jugendliche sind. Die Gründe, warum sie keine Lehrstelle haben und möglicherweise noch zur Verfügung stehen, sind bislang nicht klar. Das muss geklärt werden. Dann kann man zielgenauer sagen, inwieweit für diese Gruppe noch zusätzliche Plätze in einen neuen Ausbildungspakt aufgenommen werden müssen. Die Ausbildungsbausteine beziehen sich ausschließlich - und zwar aus der Erfahrung mit der gestuften Ausbildung - auf diejenigen, die noch nicht ausbildungsreif sind - das ist eine kleinere Gruppe - und auf diejenigen, die hinsichtlich ihres Berufswunschs noch unsicher sind. Der Unterschied zu früher besteht darin, dass diese Zeit als eine Zeit im Unternehmen, also als eine Praxiszeit anerkannt wird, zum Beispiel im Hinblick auf einen späteren Einstieg in die duale Ausbildung. Es ist nicht so, dass die Länder nicht umgesetzt hätten, was im Berufsbildungsgesetz steht; die Veränderung des Berufsbildungsgesetzes ist bekanntlich mit den Ländern - und übrigens überparteilich - zustande gekommen. Da gibt es auf politischer Ebene weder zwischen A- und B-Ländern noch zwischen Bund und Ländern Differenzen. Die Schwierigkeiten liegen vielmehr bei den Sozialpartnern; sie liegen oft auch auf der Seite der Branchen, die befürchten, dass bei zu viel Anerkennung beruflicher Vollzeitschule die Praxis vernachlässigt wird. Ich teile diese Meinung nicht; denn ich glaube, dass die berufliche Vollzeitschule anerkannt werden muss - auch im Hinblick auf die Motivation der Jugendlichen - und dass selbstverständlich für eine Zulassung zur Kammerprüfung eine entsprechende Praxiszeit ermöglicht werden muss. Gestufte Ausbildungen gibt es in Deutschland mittlerweile in rund 75 Berufen; da gibt es also längst ein breites Spektrum. Meine Überzeugung ist allerdings: Gestufte Ausbildung sollte es nur dann geben, wenn erstens die Branche sagt, dass es dafür Bedarf gibt, und wenn zweitens klar ist, dass die gestufte Ausbildung mit Blick auf eine reguläre Ausbildung hin durchlässig sein muss; sie darf keine Sackgasse sein. Dazu werden derzeit gemeinsame Kriterien zwischen dem Wirtschaftsministerium und meinem Hause erarbeitet. Langer Rede kurzer Sinn: Im Übergangssystem muss eine stärkere Umsteuerung zu den Unternehmen, zu den Praxiszeiten hin stattfinden. Damit soll verhindert werden, dass der Eindruck entsteht, dass die öffentliche Hand letztlich immer mehr das übernimmt, was im Bereich der dualen Ausbildung nicht geschieht. Die Bereitschaft der Länder dazu ist groß. Es gibt Länder, die uns bereits signalisiert haben, dass sie bereit sind, ihr Übergangssystem in diese Richtung zu verändern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich danke Ihnen, Frau Ministerin. - Wir sind weit über die vorgesehene Zeit; aber ich denke, das war dem Anlass angemessen. Ich verweise die Kollegin Hirsch und die Kollegen Brase, Tauss, Rossmann und Gehring auf weitere Debatten. Das Thema bleibt uns erhalten. Damit beende ich die Befragung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde - Drucksachen 16/3790, 16/3782, 16/3773 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache 16/3790 auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach zur Verfügung. Ich rufe zunächst die dringliche Frage 1 des Abgeordneten Wolfgang Wieland auf: Treffen Medienberichte zu, nach denen ein Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof einen Antrag auf eine so genannte Onlinedurchsuchung mit der Begründung abgelehnt hat, für eine solche Maßnahme fehle es an einer Rechtsgrundlage in der Strafprozessordnung, und gibt es deshalb für den Einsatz der im Bundeshaushalt für diesen Zweck vorgesehenen Haushaltsmittel keine Rechtsgrundlage ({0})?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Wieland, kann ich beide Fragen - eigentlich sind es ja vier - hintereinander beantworten oder möchten Sie eine Einzelbeantwortung?

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie können sie hintereinander beantworten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann rufe ich auch die dringliche Frage 2 des Kollegen Wieland auf: Wann wurde nach Kenntnis der Bundesregierung am Bundesgerichtshof oder an sonstigen Gerichten jeweils über Onlinedurchsuchungen entschieden - bitte Daten auflisten - und wann gab es zum ersten Mal Zweifel, ob diese Maßnahme rechtlich gestattet ist?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Ich danke Ihnen. - Zur Frage 1 a: Es trifft zu, dass ein Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 25. November 2006 den Antrag des Generalbundesanwalts auf Durchsuchung eines vom Beschuldigten benutzten Personalcomputers im Wege einer Onlinedurchsuchung abgelehnt hat, weil er hierfür keine tragfähige Rechtsgrundlage in der Strafprozessordnung sah. Zur Frage 1 b: Das Bundeskriminalamt hat nach § 2 Abs. 6 Nr. 3 des Bundeskriminalamtgesetzes als Zentralstelle zur Unterstützung der Polizeien des Bundes und der Länder polizeiliche Methoden und Arbeitsweisen der Kriminalitätsbekämpfung zu erforschen und zu entwickeln. Dies setzt voraus, dass das Bundeskriminalamt auch neue technische Verfahren im Hinblick auf ihre Eignung als Ermittlungsinstrumente der Strafverfolgung prüft und bewertet, unabhängig davon, ob die Durchführung entsprechender Maßnahmen unmittelbar bevorsteht. Hierfür benötigt das Bundeskriminalamt entsprechende Haushaltsmittel. Nun zur Frage 2 a: Der Bundesregierung sind bisher vier gerichtliche Entscheidungen bekannt, die sich mit der Thematik einer heimlichen Onlinedurchsuchung in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren befassen: erstens ein Beschluss des Ermittlungsrichters am Amtsgericht in Bonn vom 7. Februar 2006, zweitens ein Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 21. Februar 2006, drittens ein Beschluss des Ermittlungsrichters am Amtsgericht in Bonn vom 8. November 2006 und viertens ein Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 25. November 2006. Allein in der letztgenannten Entscheidung wurde ein Antrag auf Anordnung einer heimlichen Onlinedurchsuchung zurückgewiesen. Gegen diesen ablehnenden Beschluss hat der Generalbundesanwalt Beschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt. Ein Termin für die Bekanntgabe der Beschwerdeentscheidung steht noch aus. Frage 2 b: Der Bundesregierung ist nicht bekannt, bei wem oder welcher Stelle es zum ersten Mal Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit einer heimlichen Onlinedurchsuchung gegeben hat. Die Thematik wird in der Literatur seit einiger Zeit diskutiert. Ich nenne hier den Beitrag von Hofmann in der „Neuen Zeitschrift für Strafrecht“, 2005, ab Seite 121, mit dem Titel „Die Online-Durchsuchung - staatliches ‚Hacken’ oder zulässige Ermittlungsmaßnahme?“ In der Rechtsprechung sind durchgreifende Zweifel an der Zulässigkeit einer solchen Maßnahme erstmals mit dem zitierten Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs, also einem Richterspruch, vom 25. November 2006 dokumentiert worden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Wieland, Sie haben zu Ihren beiden Fragen jeweils zwei Nachfragemöglichkeiten.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, da Sie es vermieden haben, eine eigene rechtliche Einschätzung abzugeben, möchte ich nachfragen: Hat der Generalbundesanwalt Ihnen mitgeteilt, dass er - es war das erste Mal in der bundesrepublikanischen Rechtsgeschichte - einen solchen Antrag gestellt hat, und haben Sie daraufhin oder zu einem späteren Zeitpunkt in Ihrem Haus eine Prüfung vorgenommen? Es handelt sich immerhin um ein neues Instrument, das sehr stark bis in den privaten Bereich eines PC-Nutzers hineinwirkt. Die Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, liegen also auf der Hand.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Wieland, natürlich teile ich Ihre Auffassung, dass es sich bei der so genannten heimlichen Onlineausspähung um einen sehr tief greifenden Eingriff handelt. Das Bundesministerium der Justiz hat jedoch keinerlei Veranlassung, an dem gesetzmäßigen Handeln des Generalbundesanwalts und der zuständigen Bundesanwälte zu zweifeln. Es bestand auch kein Anlass, einen entsprechenden Bericht anzufordern, da der Bundesgerichtshof - es handelt sich ja nur um einen einzigen Fall - dem Antrag stattgegeben hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Daraus muss ich schlussfolgern: Sie haben im Vertrauen auf den Generalbundesanwalt auf eine eigene Nachprüfung verzichtet. Wie ist es dann zu erklären, Herr Staatssekretär, dass Sie mir auf eine frühere schriftliche Anfrage mitgeteilt haben, das laufe alles gemäß § 102 StPO ab - darin geht es um die Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume -, und dass Sie den Eindruck erweckt haben, dass es sich - wie auch sonst bei Durchsuchungen - um einen öffentlichen Vorgang handelt? Wir wissen beide, dass in der Strafprozessordnung äußerster Wert darauf gelegt wird, dass Durchsuchungen bekannt gemacht werden, dass Personen hinzugezogen werden und dass es sich nicht um Nacht-und-Nebel-Aktionen handeln darf. In unserem Staat soll also eine Durchsuchung so öffentlich wie möglich sein.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Wieland, ich muss meine Antwort auf Ihre länglich formulierte Frage untergliedern. Ich glaube, es war das Bundesinnenministerium in Person des beamteten Staatssekretärs Hanning, welches Ihnen mit Datum vom 2. November 2006 geantwortet hat. Ist das richtig?

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist richtig. Aber ich bin von der Bundesregierung als Einheit ausgegangen.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Ich habe dies nur erwähnt, weil Sie sagten, ich hätte Ihnen geantwortet. Es war, wie gesagt, die Bundesregierung, die Ihnen auf zwei schriftliche Fragen geantwortet hat. Die Antworten liegen mir vor; ich kann sie gerne verlesen. Das Bundesministerium der Justiz hat selbstverständlich Prüfungen angestellt. Sie werden aber sicherlich Verständnis dafür haben, dass ich hier und heute keine eingehende Bewertung des Beschlusses des Ermittlungsrichters sowie des Antrages des Generalbundesanwalts abgeben kann. Solange der mit der Angelegenheit befasste 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes nicht über die Beschwerde des Generalbundesanwalts entschieden hat, steht es mir nicht an, eine dezidierte Meinung des Bundesministeriums der Justiz und damit der Bundesregierung öffentlich darzutun und damit den Anschein zu erwecken, ich würde in ein schwebendes Verfahren eingreifen oder dieses möglicherweise beeinflussen wollen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Wieland, Sie haben eine erste Nachfrage zur Beantwortung Ihrer zweiten Frage.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ist dann die Meldung im Berliner „Tagesspiegel“ unrichtig, wonach bereits geprüft werde, ob man eine neue Rechtsgrundlage schaffen müsse, und dass es im Bundesministerium des Innern und im Bundesministerium der Justiz verschiedene Meinungen dazu gebe?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Wieland, Sie sollten aus gemeinsamen Koalitionszeiten wissen, dass ich, wenn ich die Bundesregierung vertrete, sehr selten bzw. nie Zeitungsmeldungen kommentiere. Auch in diesem Fall weiß ich nicht, ob die Quellen, über die der von mir sehr geschätzte Journalist der von Ihnen zitierten Zeitung verfügt, auch verlässlich waren. Gehen Sie bitte davon aus, Herr Kollege Wieland, dass die Bundesregierung, in diesem Falle durch die beiden Ministerien des Innern und der Justiz vertreten, nicht schläft.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Soll mich das beruhigen?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Das könnte Sie vielleicht beruhigen.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann sage ich einmal: Sie prüfen dies also. - Haben Sie Kenntnis darüber, ob die Dienste bereits von der Möglichkeit der Onlinedurchsuchungen Gebrauch machen? Wissen Sie, dass im Landtag von Nordrhein-Westfalen aufgrund einer dort geplanten Gesetzesänderung in Bezug auf den Verfassungsschutz die Frage der Rechtmäßigkeit solcher Maßnahmen umgehend erörtert wurde? Wird das in Ihre Überlegungen einfließen und haben Sie Kenntnis davon, dass und ob im nachrichtendienstlichen Bereich bereits mit Trojanern oder Ähnlichem gearbeitet wird?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Das waren jetzt allerdings vier Nachfragen, Frau Präsidentin.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie entscheiden, worauf Sie antworten.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Da ich aber den Kollegen Wieland sehr schätze, versuche ich alle Fragen zu beantworten. Mir ist durch Tickermeldungen bekannt, dass sich der Innenminister von Nordrhein-Westfalen mit diesem Thema befasst ({0}) und sich damit demnächst auch der Landtag befassen wird. Es steht mir nicht zu, dies in irgendeiner Form zu kommentieren. Zu ihrer ersten Teilfrage: Ich habe keine derartigen Erkenntnisse. Mir ist auch nicht mitgeteilt worden, in welcher Form sich die „Dienste“, wie Sie sich auszudrücken pflegen, damit befassen. Verzeihung, wie lautete Ihre andere Teilfrage noch einmal?

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Darf ich, Frau Präsidentin?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ja, aber ganz kurz.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ganz kurz und präzise: Wenn ein Bundesland es schon für nötig hält, ein Gesetz zu ändern, damit die Dienste in diesem Land solche Verfahren anwenden können, liegt es dann nicht sehr nahe, sich zu fragen, ob das nicht im Rahmen der Strafverfolgung erst recht gesetzlich geregelt sein müsste?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Ich will dies gerne beantworten. Wir sollten weiterhin sehr darauf achten, dass die Länder in eigener Verantwortung das regeln, was sie zu regeln haben, und dass wir das in eigener Verantwortung regeln, was wir zu regeln haben. Wenn es etwas zu regeln gibt, Herr Kollege Wieland, werden wir dies sicherlich auch tun.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Montag hat noch eine Nachfrage.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Staatssekretär, lieber Kollege Hartenbach, wir sind auf dieses Thema aufmerksam geworden, weil in den Nachtragshaushalt des Bundesinnenministeriums plötzlich ein Geldbetrag für die Entwicklung einer Hackersoftware eingestellt worden ist. Für die verfassungsrechtliche Bewertung des Gesamtvorgangs spielt es doch eine große Rolle, ob der Bundesinnenminister Geld für einen elektronischen Schlüsseldienst oder Geld für ein elektronisches Einbruchswerkzeug haben will. Ich möchte von Ihnen auch gar keine eingehende Prüfung - diese haben Sie für den jetzigen Zeitpunkt bereits abgelehnt -, sondern eine einfache und schlichte, aber der Verfassung gemäße Einschätzung des Bundesjustizministeriums: Eine völlig neue Maßnahme, die eigentlich dem Eindringen in Ihre Wohnung gleichkommt - wenn es Sie beträfe -, von der Sie aber nichts wissen, kann doch keine Hausdurchsuchung nach § 102 StPO -

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Montag, versuchen Sie einmal, Ihre Frage mit einem Fragezeichen abzuschließen.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das Fragezeichen kommt zum Schluss, Frau Präsidentin. ({0}) Mit diesem Eindringen in Ihre Wohnung würde zweitens Ihre Telekommunikation überwacht - soweit sie über das Internet läuft - und drittens wäre Intimstes aus Ihrer privaten Lebenssphäre, etwa Tagebuchaufzeichnungen, betroffen. Es handelt sich also um eine Mischung der Sachverhalte in den § § 100 a, 100 c und 102 StPO. Halten Sie das nicht für einen Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger, der eine gesetzliche Grundlage braucht?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Ich will darauf genauso ausführlich antworten, wie Sie gefragt haben. Ihre Frage, die sich auf die Verfassung bezog, beantworte ich zum Schluss. Herr Kollege Montag, offensichtlich nehmen Sie - was Ihr gutes Recht ist - Einzelentscheidungen, wie vor kurzem eine Entscheidung des Landgerichts Stuttgart zu der Verwendung angeblich verfassungsfeindlicher Symbole, immer wieder zum Anlass, ein angeblich verfassungswidriges Verhalten anzuprangern oder neue Gesetze anzumahnen. Uns liegt eine Entscheidung vor. Zu diesem Thema ist die Meinung in der Literatur diffus, aber nicht ablehnend. Es gibt darüber hinaus den Beschluss eines Ermittlungsrichters am Bundesgerichtshof, der klipp und klar sagt - ich darf zitieren, Frau Präsidentin, ohne dass ich mich hier der Preisgabe von Dienstgeheimnissen schuldig mache; der Beschluss ist ja bekannt -: Die Durchsuchung des PC-Datenbestandes des Beschuldigten ohne sein Wissen ist durch die Befugnisnorm des § 102 StPO gedeckt. Das sagt immerhin ein Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof. Dies war bis vor drei Wochen Stand bei den Urteilen der Richter und bei der Rechtsprechung. ({0}) - Herr Wieland, Sie berufen sich jetzt auf eine abweichende Meinung eines Ermittlungsrichters am Bundesgerichtshof, ({1}) die bisher noch nicht rechtskräftig ist. Natürlich gebe ich Ihnen Recht und sage: Jeder Eingriff in die Privatsphäre bedarf einer gesetzlichen Grundlage. Wir hatten - ich will noch einmal auf den Kollegen Wieland zurückkommen - bisher überhaupt keine Veranlassung, von Dienst- oder Aufsichtsrechten gegenüber dem Generalbundesanwalt Gebrauch zu machen, weil wir eine klare Regelung für die Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof hatten. Lassen Sie uns doch abwarten, wie der Dritte Strafsenat, der sich sicherlich nicht allzu lange Zeit lassen wird, entscheidet. Wenn der Dritte Strafsenat sagt, dass der erste Beschluss, den ich gerade zitiert habe, korrekt ist und wir ihn weiterhin zur Grundlage für die Verfahren bei den Ermittlungsrichtern am Bundesgerichtshof machen können, dann haben wir kein Bedürfnis, diese Rechtsgrundlage zu ändern - Sie vielleicht schon -, und könnten uns weiterhin auf die einschlägige Norm in der Strafprozessordnung verlassen. Sie können aber sicher sein, dass das Bundesministerium der Justiz in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium des Innern - weil ja dieser neue Beschluss die Frage der präventiven Maßnahmen angesprochen, sie aber offen gelassen hat - sofort reagieren wird. Genauso sicher können Sie sein, dass zumindest vonseiten des Generalbundesanwalts ein solcher Antrag zunächst nicht mehr gestellt werden wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Silke Stokar von Neuforn hat noch eine Nachfrage.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sicherlich liegt der Bundesregierung - auch wenn er noch nicht veröffentlicht worden ist - der neuere Beschluss des Bundesgerichtshofes vor. Ich will daraus jetzt nicht zitieren. Meine Frage an Sie ist: Stimmen Sie mit mir überein, dass es im Zusammenhang mit § 102 StPO - Durchsuchung - auch Schutzrechte für die Betroffenen gibt, dass aber alle Schutzrechte im Falle eines heimlichen Eindringens in einen PC unwirksam werden?^Ich gehe nicht davon aus, dass der virtuelle Polizist bei mir am PC klingelt, mir einen richterlichen Beschluss per E-Mail übersendet, mir hinterher ein Protokoll der Durchsuchung aushändigt oder gar - welches mein Schutzrecht bei einer Wohnungsdurchsuchung wäre - virtuelle Zeugen anwesend sind. Bei einem solchen Ablauf könnte ich eine Analogie zur Durchsuchung noch nachvollziehen. Können Sie mir bitte erläutern, welche Schutzrechte noch gegeben sind, wenn in den Kernbereich meines Privatlebens auf dieser vermeintlichen Rechtsgrundlage heimlich eingegriffen wird?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Frau Kollegin, ich werde diese Frage gerne mit Ihnen eingehend und öffentlich diskutieren, wenn die Entscheidung des dritten Strafsenats vorliegt. Ich glaube, Sie haben eben nicht zugehört. Ich habe gesagt: Ich werde mich hier nicht hinstellen und irgendetwas kommentieren. Ich werde auch nichts präjudizieren. Damit müssen Sie sich jetzt zufrieden geben. Egal, ob ich Ihnen jetzt sagen würde „Sie haben Recht“ oder „Sie haben nicht Recht“, könnte man das als Vorwegnahme der Entscheidung des 3. Strafsenats des BGH auslegen. Ich glaube, ich habe deutlich gemacht, dass ich diesen „Onlinehackerangriff“ -, ich setze dies mal in Anführungszeichen ({0}) - Herr Wieland, nun bleiben Sie doch gelassen -, auch, wenn er gerichtlich genehmigt ist, als einen tief greifenden Eingriff ansehe, wie ich auch jede andere heimliche Ermittlungsmaßnahme als einen tief greifenden Eingriff ansehe: Dies gilt für die so genannte Wohnraumüberwachung, welches der härteste Eingriff ist, genauso wie für die ganz normale Hausdurchsuchung, bei der der Betroffene anwesend sein kann, oder die Telefonüberwachung und die Briefkontrolle. Für alles muss es eine gesetzliche Grundlage geben. ({1}) Ich habe Ihnen eben den ersten Beschluss vom Februar 2006 zitiert. Darin ist die gesetzliche Grundlage normiert. Nun warten wir doch ab, was der 3. Strafsenat sagt! Ich sage es noch einmal: Wie auch immer dies ausgeht, Sie werden uns auf dem Posten finden. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Frage können Sie nicht stellen, Frau Stokar. ({0}) - Nein, nein. Frau Stokar hat bereits eine Zusatzfrage zu der Frage des Kollegen Wieland gestellt. ({1}) Im Übrigen ist zunächst der Kollege Kauder mit einer Zusatzfrage an der Reihe. Bitte schön.

Siegfried Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003563, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können wir uns darauf verständigen - Herr Kollege Montag, ich meine damit auch Sie -, dass die strafprozessualen Vorschriften der §§ 102 und 103 der Strafprozessordnung aus dem Jahre 1879 stammen? Damals gab es noch keinen PC. Können wir uns weiter darauf verständigen, dass das Analogieverbot des Art. 103 des Grundgesetzes für strafprozessuale Maßnahmen genau nicht gilt? Deswegen hat der Bundesgerichtshof in der zitierten Entscheidung vom 21. Februar 2006 - ich glaube, auch da können wir Einigkeit erzielen - die Vorschriften der § § 102 und 103 der Strafprozessordnung eben nicht unmittelbar, sondern nur analog angewendet. Damit haben wir eine Gesetzesgrundlage. Die Frage ist nur, ob sie trägt und wie die abweichende Rechtsprechung entschieden wird. Können wir uns darauf einigen, Kollege Montag, dass wir abwarten, bis die Entscheidung des Bundesgerichtshofs auf die Beschwerde hin vorliegt? Dann wissen wir mehr.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Ich könnte natürlich alle Fragen einfach mit Ja beantworten. Selbstverständlich ist es so - und darauf beziehen sich die Kollegen Wieland, Montag und Stokar von Neuforn -, dass der BGH in dem letzten Beschluss sagt: Wir wollen die Vorschriften auch nicht analog anwenden. Was Sie sagen, ist genau richtig: Wir warten die Beschwerdeentscheidung des 3. Strafsenats des BGH ab. Dann werden wir weitersehen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Da ich ein großzügiger Mensch bin, habe ich vorhin schon mindestens drei Fragen der Kollegin Stokar von Neuforn zugelassen; dennoch ist es formal richtig, dass sie zur zweiten Frage des Kollegen Wieland eine weitere Nachfrage stellen darf. Ich bitte aber darum, dass Sie tatsächlich eine Frage stellen. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin, ich danke Ihnen. - Ich akzeptiere es natürlich nicht, dass die Bundesregierung zu einer bundesweit öffentlich diskutierten Rechtsfrage nicht Position bezieht. Mir liegt der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom November vor. Teilen Sie die Auffassung, dass das heimliche Eindringen in einen privaten PC das gleiche Gewicht und die gleiche Schwere hat wie der große Lauschangriff? Teilen Sie auch meine Auffassung, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff in diesem Zusammenhang Gültigkeit hat und daher zur Anwendung kommen müsste?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Verehrte Frau Kollegin, ich habe, so glaube ich, mehrfach deutlich gemacht, dass ich dies als heimliche Ermittlungsmaßnahme ansehe. Wir können bisher davon ausgehen, dass sie durch die analoge Anwendung der §§ 102 und 103 StPO gedeckt ist. Jede heimliche Ermittlungsmaßnahme, egal welcher Art, ist ein tief greifender Eingriff in die persönlichen Rechte eines Betroffenen und bedarf einer gesetzlichen Regelung. Zu der zweiten Frage werde ich mich weiterhin nicht äußern, weil ich dadurch möglicherweise ein Präjudiz schaffen würde. Diese Frage ist nämlich Grundlage für die Entscheidung des Senats.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zur Geschäftsordnung hat der Kollege Volker Beck das Wort.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Namens der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen beantrage ich zu diesem Themenkomplex nach § 106 unserer Geschäftsordnung in Verbindung mit Anlage 5, Nrn. 1 b, und 2 a, eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema. Wir meinen, dass das Thema „Lizenz zum Hacken“ hier geklärt werden muss. Die Fragestunde hat deutlich gemacht, dass die Bundesregierung nicht verstanden hat, dass das Grundrechtsschutzkonzept, das wir in der Offlinewelt haben, auf die Onlinewelt übertragen werden muss. Die Bundesregierung wartet ab und stellt gleichzeitig Gelder bereit, um den Einbruch in Computer zu ermöglichen. Das passt nicht zusammen. Darüber muss im Hohen Hause ausgiebig diskutiert werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zuallererst danke ich dem Herrn Staatssekretär für seine Bemühungen bei der Beantwortung der Fragen. ({0}) Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat zu den dringlichen Fragen des Abgeordneten Wolfgang Wieland eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Das heißt, die Aussprache findet im Anschluss an die Fragestunde statt. Aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung werden gemäß Nr. 15 der Richtlinien für die Fragestunde die schriftlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Norman Paech auf Drucksache 16/3782 aufgerufen: Ist das Kommando Spezialkräfte, KSK, der Bundeswehr derzeit im Rahmen des Mandats für die Operation „Enduring Freedom“ in Afghanistan im Einsatz? Ist das Kommando Spezialkräfte, KSK, der Bundeswehr derzeit im Rahmen des Mandats für die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe, ISAF, in Afghanistan im Einsatz? Da die Fragen inzwischen schriftlich beantwortet sind, kann der Fragesteller gemäß Nr. 15 Abs. 3 unserer Richtlinien nur fragen, warum die Antwort nicht innerhalb der Wochenfrist gegeben wurde. Zur Beantwortung dieser Frage erteile ich das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, Christian Schmidt.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Paech, die Frage nach der Fristüberschreitung bei der Beantwortung Ihrer schriftlichen Frage, die mit Datum vom 11. Dezember vom Kollegen Kossendey schriftlich beantwortet wurde, beantworte ich wie folgt: In der Begründung zum Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 16/3150 zur Verlängerung des Mandats für Operation „Enduring Freedom“, OEF, hat die Bundesregierung zugesichert, den Deutschen Bundestag entsprechend der bisherigen Praxis regelmäßig über Einsätze auf der Grundlage dieses Mandats zu unterrichten. Aufgrund der besonderen Sicherheitsbedürfnisse beim Einsatz von Spezialkräften erfolgt die Unterrichtung hierüber gemäß einem besonderen, mit den Fraktionsvorsitzenden abzustimmenden Verfahren. Vor dem Hintergrund der zwischenzeitlich eingeleiteten Abstimmung wurde die Beantwortung der Fragen zunächst zurückgestellt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, dass das die Antwort auf beide Fragen ist?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Ja, ich habe sie gemeinsam beantwortet.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann haben Sie, Herr Kollege Paech, die Möglichkeit zu insgesamt vier Nachfragen, falls dies nötig ist.

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich werde versuchen, der Geschäftsordnung besser zu entsprechen, als es dem Verteidigungsministerium bisher gelungen ist. Herr Staatssekretär, Ihnen dürfte bekannt sein, was der Herr Verteidigungsminister am 24. Oktober dieses Jahres beim Bundeswehrforum der „Welt am Sonntag“ in einem Interview gesagt hat. Er sagte zum KSK-Einsatz in Afghanistan: Ich will deutlich sagen, dass in meiner Amtszeit kein einziger KSK-Soldat im Einsatz war unter OEF-Mandat. Herr Minister Jung hat dies am 24. Oktober gesagt. Daher frage ich mich: Warum war die Bundesregierung nicht in der Lage, meine am 15. November dieses Jahres gestellte ganz einfache und kurze Frage, nämlich ob das KSK derzeit im Rahmen des Mandats Operation „Enduring Freedom“ in Afghanistan im Einsatz sei, innerhalb der in der Geschäftsordnung vorgesehenen Wochenfrist zu beantworten? Die öffentlich gemachte Äußerung hätte eigentlich nur wiederholt werden müssen. Es hätte also nur einen Tag gedauert, meine Frage zu beantworten. Aber es hat vier Wochen gedauert. Weswegen haben Sie so lange dafür gebraucht? Das müssen Sie mir erklären!

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege, ich erkläre das gerne, muss aber vorweg den Hinweis auf die Nichtbeachtung der Geschäftsordnung zurückweisen. Denn wir haben es nun begründet und wir hatten Ihnen derweil Zwischenbescheide mit der Bitte um Verständnis geschickt. Ich stehe hier nun gemäß der Geschäftsordnung Anlage 4 Nr. 15, um Ihnen Antwort zu geben. Das habe ich, wie ich meine, bereits umfassend getan. Sie haben Ihre Frage seinerzeit auf die derzeitige Situation bezogen. Dazu nur so viel - ohne jetzt auf die Frage selbst einzugehen -: Über die derzeitige Situation ist im Hinblick auf den hohen Sicherheits- und Gefährdungsgrad der Soldaten grundsätzlich nur nach einem entsprechenden Verfahren Auskunft zu erteilen. Dieses Verfahren ist gerade in den letzten Wochen mit den Fraktionsvorsitzenden noch einmal besprochen und - soweit notwendig - gemäß den Wünschen und Vorstellungen der Fraktionsvorsitzenden ausgestaltet worden, sodass die entsprechende Unterrichtung stattfinden kann. Die Bundesregierung behält sich vor, dies in Abstimmung mit den Vertretern des Parlaments sorgfältig abzuarbeiten. Deswegen werden solche Fragen gemäß diesen Kriterien beantwortet. Das war hier der Fall.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit, noch einmal zum Thema der Fristen zu fragen.

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie verweisen mich in Ihrer Antwort auf ein so genanntes vorgesehenes Verfahren. Ich habe im Parlamentsbeteiligungsgesetz und auch im Grundgesetz nachgesehen und konnte dort nichts zu einem solchen Verfahren finden. Wieso brauchen Sie für solch eine Antwort so lange? ({0})

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Paech, das Thema bleibt dasselbe. Ich habe Ihnen die Antwort schon zweimal gegeben. ({0}) Ich gebe sie Ihnen auch gerne ein drittes und viertes Mal. Das verlängert allerdings die Beantwortung und wir sind doch für effizientes Arbeiten. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie noch eine weitere Frage zur Frist?

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich habe noch zwei Nachfragen. In meiner ersten Frage ging es um den KSK-Einsatz unter OEF-Mandat in Afghanistan. In meiner zweiten Frage ging es um den KSK-Einsatz unter ISAF-Mandat, also um etwas anderes. Ist Ihnen bekannt, dass der Sprecher des Bundesverteidigungsministers Dr. Raabe auf einer Regierungspressekonferenz am 10. November auf die Frage eines Journalisten, im Rahmen welcher Mission das KSK denn nun eigentlich in Afghanistan agiere, gesagt hat - ich zitiere ihn -: „Im Rahmen von ISAF“? Meine Frage lautet wiederum: Wieso hat es so lange - vier Wochen - gedauert, bis Sie mir antworten, dass Sie auf diese Frage keine Antwort geben? Eine Bestätigung bzw. Wiederholung dieser Antwort hätte doch eigentlich ausgereicht.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege, die Bundesregierung und das Bundesministerium der Verteidigung bleiben bei der geübten Praxis, sich im Hinblick auf diese Fragen an die vereinbarten Verfahren zu halten, die sich einerseits aus dem Verständnis des Informationsrechts des Parlaments und andererseits aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und dem Parlamentsbeteiligungsgesetz ergeben. Deswegen verweise ich auf die Antworten, die ich auf Ihre vorherigen Fragen bereits gegeben habe. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit, eine vierte Nachfrage zur Fristüberschreitung zu stellen.

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, und dann werde ich Sie erlösen. - Ich weiß, dass im Bundesverteidigungsministerium gewisse Probleme aufgetaucht sind, weil der Bundesverteidigungsminister offensichtlich ein Tabu gebrochen hat, indem er, anders als bisher, über den Einsatz von KSK-Kräften gesprochen hat. Das ist sein Problem, nicht unseres. Ich frage Sie: Könnte es sein, dass Sie vielleicht deshalb so lange für Ihre Antwort gebraucht haben, weil Sie darüber nachgedacht haben, Ihre Informationspolitik insgesamt zu öffnen und uns einfache Abgeordnete in Zukunft besser als bisher zu informieren?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege, es bleibt bei dem, was ich bereits eingangs gesagt habe. Diese Aussage unterstreiche ich. Allerdings ist mir daran gelegen - das geht eigentlich über die Grenze Ihrer Frage hinaus -, Sie darauf hinzuweisen, dass die Praxis, über Einsätze, auch über solche des Kommandos Spezialkräfte, zu unterrichten, bereits in der Vergangenheit gepflegt worden ist. Herr Kollege, das sage ich Ihnen als jemand, der zum damaligen Zeitpunkt ein Informationsbedürfnis gegenüber der vorherigen Bundesregierung angemeldet hat. Dieses Informationsbedürfnis ist auch damals befriedigt worden. Ich bin froh, dass wir uns jetzt auf Wege verständigt haben, durch die das noch mehr präzisiert wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Jetzt rufe ich die Fragen auf Drucksache 16/3773 in der üblichen Reihenfolge auf. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Cornelia Hirsch auf: Welche Schritte hat die Bundesregierung bisher zur Optimierung der Bildungsberatung unternommen, die im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vereinbart wurde, und wie sehen ihre weiteren Planungen in dieser Frage aus?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Frage der Abgeordneten Hirsch nach der Optimierung der Bildungsberatung beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung unterstützt insbesondere die Zielsetzung, durch eine Vernetzung der am Beratungsgeschehen Beteiligten zu einer Weiterentwicklung der Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung beizutragen. So wurde am 27. September 2006 das „Nationale Forum Beratung für Bildung, Beruf und Beschäftigung“ gegründet. Dieses Forum hat sich zum Ziel gesetzt, die Beratungsangebote für die Bürger transparenter und besser zugänglich zu machen und die Qualität der Beratungsangebote zu steigern sowie eine fachgerechte Ausbildung von Beratungsfachkräften und die Forschung in diesen Bereichen zu fördern. Das BMBF hat in diesem Zusammenhang ein Projekt zur Bestandsaufnahme der Bildungs-, Berufs- und Beschäftigungsberatungsangebote sowie zur Entwicklung grundlegender Standards hierfür vergeben. Es soll einen Überblick über die vielfältigen Akteure und Beratungsangebote in Deutschland geben und es soll ein Beratungsatlas, der dies zusammenfasst, erstellt werden. Zu einer verbesserten Beratung tragen auch die Agenturen für Arbeit bei. Die Bundesagentur für Arbeit hat ein „Informationssystem Bildung und Beruf“ eingerichtet, das aktuelle und detaillierte Berufs- und Bildungsinformationen zur Verfügung stellt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, Kollegin Hirsch.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine erste Nachfrage wäre: Welchen Anteil hatte die Bundesregierung konkret an der Gründung des von Ihnen erwähnten Forums, wie hat sie sich da eingebracht? Könnten Sie in diesem Zusammenhang aus Ihrer Sicht mit beantworten, in welchem Verhältnis dieses Forum zukünftig zu den Angeboten der Bundesagentur für Arbeit stehen soll?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Von der Bundesregierung ging die Initiative für dieses Forum mit aus. Wie ich bereits angedeutet habe, haben wir ein Problem im Hinblick auf die Transparenz und die Vielfältigkeit der Angebote im Bildungsbereich. Es geht darum, dass wir das Angebot für die möglichen Nutzer übersichtlicher und transparenter gestalten können. Das ist unter anderem der Grund, weswegen wir mit Nachdruck an der Erstellung eines Beratungsatlasses arbeiten. Es gibt drei Schwerpunkte. Der eine - Sie haben ihn angesprochen - ist die Verbesserung der Beratungsangebote der Bundesagentur für Arbeit. Es hat bei der Bundesagentur für Arbeit selbst eine Veränderung gegeben: Im Zusammenhang mit der Umstrukturierung der Agenturen für Arbeit auf das neue Kundenzentrum sollen die örtlichen Vermittlungs- und Beratungsfachkräfte in Zukunft wesentlich mehr Zeit für Beratungsgespräche haben. Das hat unter anderem zur Folge, dass die Bundesagentur für Arbeit im Rahmen ihres Informationssystems „Bildung und Beruf“ mit BBZ online - „Beruf, Bildung, Zukunft“ -, mit BERUFENET und mit KURSNET aktuelle und detaillierte Berufs- und Bildungsinformationen zur Verfügung stellt. Ich nenne hier beispielhaft KURSNET, wo ein Überblick und sehr detaillierte Informationen über rund 600 000 Bildungsangebote von rund 20 000 Bildungsanbietern bereitgestellt werden. Unsere eigenen Aktivitäten gehen sehr stark in den Bereich Weiterbildung - Stichwort „Lernende Regionen“ - und natürlich auch in die Verbesserung der Transparenz der Beratungsangebote für die Studienwahl.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie haben die Umstrukturierung der BA angesprochen. Welche Folgen hat diese Umstrukturierung aus Ihrer Sicht für die Zielstellungen, die man mit der Bildungsberatung verknüpft? Konkreter gefragt: Geht es der Bundesregierung bei der Bildungsberatung vorrangig darum, die Leute wieder in den Arbeitsmarkt einzupassen? Oder geht es ihr vorrangig darum, die Leute zu einer höchstmöglichen Qualifikation zu bringen? Ich würde Sie auch bitten, mir in diesem Zusammenhang zu beantworten, ob es weitere Grundsätze gibt, die die Bundesregierung als wichtig erachtet für die Bildungs- und Berufsberatung, beispielsweise eine öffentliche Verantwortung, kostenfreier Zugang oder Ähnliches?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Es geht im Zusammenhang mit der Optimierung der Beratungsangebote der Bundesagentur für Arbeit sowohl um eine qualitative Verbesserung als auch um eine zielgerichtete Hinführung zu solchen WeiterbildungsangeParl. Staatssekretär Andreas Storm boten, die dann unmittelbar in Beschäftigung, in einen neuen Arbeitsplatz einmünden können. Die grundsätzlichen Fragestellungen, von denen sich das Bundesbildungsministerium bei der Optimierung der Beratungsangebote leiten lässt, lauten generell für diese Arbeitsgebiete: zunächst eine Professionalisierung der Bildungsberatung, eine Stärkung der Qualitätsentwicklung, eine Konzentration oder Verstärkung der Bildungsberatungsangebote für kleine und mittelständische Unternehmen sowie Hilfestellung bei der Geschäftsentwicklung für Bildungsberatung. Das ist die Agenda der Themen, mit denen wir uns im Zusammenhang mit den „Lernenden Regionen“ bei Weiterbildungsangeboten an bundesweit sehr vielen Stellen beschäftigen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen zur Frage 2 der Abgeordneten Hirsch: Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass es bei der im Rahmen der ersten Säule des Hochschulpaktes vereinbarten Aufnahme von mindestens 90 000 zusätzlichen Studienanfängerinnen und -anfängern nicht zu Qualitätseinbußen an den Hochschulen und zur Einrichtung von „Dumpingstudienplätzen“ kommt, da in der bisher vorliegenden Vereinbarung mit den Ländern keine verpflichtende Finanzierung aus den Länderhaushalten zusätzlich zu den vom Bund bereitgestellten Mitteln vorgesehen ist ({0})? Bitte, Herr Staatssekretär.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich beantworte die zweite Frage der Kollegin Hirsch zum Hochschulpakt wie folgt: Die Einigung zwischen den Wissenschaftsministern von Bund und Ländern über die Eckpunkte der Ausgestaltung des Hochschulpaktes enthält im Hinblick auf die erste Säule - die Kapazitätsfrage - eine Verpflichtung der Länder, bis zum Jahr 2010 90 000 zusätzliche Studienanfänger aufzunehmen und hierfür die Gesamtfinanzierung sicherzustellen. Ziel der ersten Säule des Hochschulpaktes ist es, einer steigenden Zahl von Studienberechtigten ein qualitativ hochwertiges Hochschulstudium zu ermöglichen. Die Bundesregierung hat keinerlei Anlass, anzunehmen, dass die Länder ihren Beitrag zur Erreichung dieses Zieles nicht leisten würden. Die Bundesmittel sind unmittelbar an die tatsächlich aufgenommenen zusätzlichen Studienanfänger gekoppelt und werden spitz abgerechnet. Damit ist eine strenge und enge Erfolgskontrolle gewährleistet.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir haben heute Morgen im Bildungsausschuss über dieses Thema diskutiert. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass es eine Einigung geben würde - sie ist inzwischen erfolgt - und die Länder einstimmig das so genannte Konzept des Bundesministeriums billigen würden. Über den Ticker läuft zurzeit eine Meldung hierzu. Vielleicht könnten Sie etwas richtig stellen, damit das morgen nicht falsch in den Zeitungen steht. Es heißt dort, dass sich Bund und Länder verpflichtet hätten, von 2007 bis 2010 jeweils 565 Millionen Euro im Rahmen des Hochschulpaktes zur Verfügung zu stellen. Nach Ihrer Antwort auf meine erste Frage ist das definitiv falsch. Man hat sich doch lediglich darauf verständigt, 90 000 zusätzliche Studienanfängerinnen und -anfänger aufzunehmen. Wie gut die Studienplätze für sie dann finanziell ausgestattet sind, ist mehr oder weniger Sache der einzelnen Bundesländer. Diese müssen nur sicherstellen, dass die zusätzlichen Studierenden auch kommen können, mit all den bekannten Problemen. So hat die Technische Universität Ilmenau natürlich wesentlich schlechtere Voraussetzungen als die Universität in Hamburg.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, die Beratungen zum Abschluss des Hochschulpaktes finden heute Nachmittag nahezu zeitgleich mit den Verhandlungen der Ministerpräsidenten bei der Bundeskanzlerin statt. Nach meinem Kenntnisstand gibt es noch kein Ergebnis. Es zeichnet sich aber ab, dass es eine gemeinsame Vereinbarung geben wird, die die Schaffung von Kapazitäten für 90 000 zusätzliche Studienanfänger vorsieht. Der Beitrag des Bundes hierfür beträgt 565 Millionen Euro, die an die Länder dann ausgezahlt werden, wenn sie die Anforderungen erfüllen und diese zusätzlichen Studienplätze schaffen bzw. - das gilt für die neuen Länder und die Stadtstaaten - die Studienplatzkapazitäten auf der Basis des Jahres 2005 erhalten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine zweite Nachfrage lautet: Inwieweit soll im Rahmen der Vereinbarung verbindlich und nicht nur durch eine allgemeine Absichtserklärung festgeschrieben werden, was uns die Bundesregierung immer zugesichert hat, nämlich dass Frauenförderprogramme, die es bisher gibt, durch die Länder auch fortgeführt werden? Damit verbindet sich die Frage, inwieweit die Bundesregierung ihr Ziel durchsetzen konnte, dass zukünftig der Zugang für Menschen mit einem Berufsabschluss an die Hochschulen sichergestellt ist. Im Bildungsausschuss wurde uns versichert, das würde die Bundesregierung in den Verhandlungen gegenüber den Ländern selbstverständlich geltend machen. Die Frage ist, inwieweit das passiert ist und was faktisch dabei herausgekommen ist.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, die Ausgestaltung des Hochschulpaktes erfolgt in zwei Stufen. Wir werden, wenn die Verhandlungen heute Nachmittag erfolgreich verlaufen - ich habe zur Stunde keinen Zweifel, dass das gelingen wird -, eine Vereinbarung schließen, die das Ziel vorgibt, insgesamt 90 000 zusätzliche Plätze für Studienanfänger bis zum Jahr 2010 zu schaffen bzw. in den neuen Bundesländern und in den Stadtstaaten Bremen und Hamburg - eine entsprechende Regelung ist für das Land Berlin vorgesehen - die Kapazität auf der Basis des Jahres 2005 zu erhalten. Die Erfüllung des Paktes ist die Grundlage bei der Abrechnung und bei der Entscheidung über die Vergabe der Mittel. Darüber hinaus werden bis zum 31. März des kommenden Jahres detaillierte Programme durch die Länder erstellt, wie sie diese Kapazitätsziele erreichen wollen. Dabei spielen auch Fragen wie zum Beispiel der verstärkte Ausbau von Studienplätzen an Fachhochschulen, die Erhöhung des Frauenanteils bei den Professuren und natürlich auch die Einführung neuer Instrumente zur Stärkung der Kapazitäten in der Lehre eine Rolle. Über diese bis zum 31. März vorzulegenden Konzepte soll dann, sozusagen als Ergebnis der zweiten Stufe, bei der nächsten Konferenz der Regierungschefs im Juni 2007 befunden werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Es antwortet der Staatsminister Gernot Erler. Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Volker Beck auf: Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über mögliche Täter und Hintergründe der aktuellen Auftragsmorde und Giftanschläge gegen russische Politiker und Kritiker des Kreml - zum Beispiel die russische Journalistin Anna Politkowskaja, den ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter Alexander Litwinenko, die Erkrankung des früheren Ministerpräsidenten Jegor Gaidar etc. - und hält sie eine internationale Untersuchung dieser Fälle für angezeigt?

Not found (Gast)

Herr Kollege Beck, der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, die über Pressemeldungen hinausgehen. In den Fällen von Anna Politkowskaja und Alexander Litwinenko hat die russische Generalstaatsanwaltschaft Ermittlungen eingeleitet. Darüber hinaus ermitteln im Falle Litwinenkos auch die britischen Behörden. Eine internationale Untersuchung hält die Bundesregierung für nicht angezeigt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vertraut die Bundesregierung trotz des Zustands der Justiz in Russland auf eine objektive Aufklärung des Falles von Frau Politkowskaja? Ich frage dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass man heute Meldungen darüber erhalten hat, dass Räume des Bürgerrechtlers Kasparow und seiner Bürgerrechtsorganisation gestern mit fadenscheinigem Vorwand von der Polizei durchsucht wurden. Alle Bürger, die sich dort aufhielten, wurden kontrolliert und ihre Pässe wurden kopiert, ohne dass bislang bekannt geworden ist, in welchem strafrechtlichen Zusammenhang das stehen soll. Meinen Sie, dass hier wirklich mit einer objektiven Aufklärung gerechnet werden kann, oder teilt die Bundesregierung nicht eher die Ansicht, dass es in Russland das Problem der fehlenden Unabhängigkeit der Justiz gibt und dass die Justiz ihre Entscheidungen - damit meine ich sowohl die Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft als auch die Urteilsfindung durch die Gerichte - letztendlich nach politischer Maßgabe trifft?

Not found (Gast)

Herr Kollege Beck, die Bundesregierung beobachtet sehr genau, wie die russische Regierung mit Oppositionellen und oppositionellen Gruppen umgeht. Wenn es dabei Dinge zu beanstanden gibt, dann tragen wir das in unseren bilateralen Gesprächen vor und machen das zum Gegenstand des ständig stattfindenden Dialogs. Beim Besuch des russischen Präsidenten am 10. Oktober 2006 in Deutschland - in Dresden - hat die Bundeskanzlerin am Rande des Petersburger Dialogs zum Beispiel sehr deutlich die Erwartung geäußert, dass es im Falle Anna Politkowskajas zu einem Ermittlungsergebnis kommt. Entsprechende Zusagen für eine aktive Untersuchung sind gegeben worden. Wichtig für uns ist auch, wie die unmittelbar Betroffenen die Dinge sehen. Sie wissen, dass Frau Politkowskaja bei der Oppositionszeitung „Nowaja Gazeta“ gearbeitet hat, die eigene Ermittlungen durchführt. Ich kann Ihnen zum Beispiel berichten, dass unser Beauftragter für die deutsch-russische zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit, der Kollege Schockenhoff, die Redaktion dieser Zeitung am 5. Dezember 2006 besucht und festgestellt hat, dass man dort eng mit den russischen Ermittlungsbehörden zusammenarbeitet und dass die Kolleginnen und Kollegen von Frau Politkowskaja keine Veranlassung zum Misstrauen gegenüber den russischen Ermittlungsbehörden sehen. Ich sage nur: Diese Hinweise können für Sie als Antwort vielleicht hilfreich sein.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich war letzte Woche selbst in Moskau und habe mit Bürgerrechtlern von Memorial und anderen Organisationen, mit dem Menschenrechtsbeauftragten der Russischen Föderation sowie der Vorsitzenden des Rates für Menschenrechte beim Präsidenten der Russischen Föderation gesprochen. Von einem Bürgerrechtler habe ich dort Folgendes gehört: Kennen Sie das beste Gericht in Russland? - Es ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Die Bürgerrechtler haben inzwischen jedes Zutrauen in die russische Justiz verloren. Wie setzen Sie diese Erkenntnisse und diese Hinweise der Oppositionellen, die sich im Wesentlichen außerhalb der Duma befinden, in aktive Politik um? Ich glaube, dass es nicht ausreicht, diese Fragen nur anzusprechen, sondern in einem Fall wie dem von Frau Politkowskaja, bei dem der Verdacht nahe liegt, dass entweder Spuren in den Kreml führen oder dass zumindest Leute aus dem Volker Beck ({0}) Umfeld des Kremls durch eine Destabilisierung Einfluss auf Putin nehmen wollen, kommt man nur durch eine internationale und objektivierte Untersuchung weiter; denn die Vermutung liegt nahe, dass die russischen Strafverfolgungsbehörden zumindest kein Interesse an der vollständigen Aufklärung haben könnten.

Not found (Gast)

Selbstverständlich können meine Hinweise darauf, wie das in dem konkreten Fall Politkowskaja aussieht, den Sie zum Gegenstand Ihrer Frage gemacht haben, nicht zu Rückschlüssen in allen anderen Fällen führen. Auch ich kenne die Kritik von russischen Bürgerrechtlern an dem Justizsystem und an dem Strafverfolgungssystem in Russland. Diese Kritik ist zum Teil sehr intensiv. Aber sie bringt uns nicht zu der Schlussfolgerung, dass es irgendeinen Handlungsbedarf in dem Sinne gibt, dass man - was man auch erst einmal auf die Erfolgsaussichten überprüfen müsste - diesen Fall internationalisieren sollte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen nun zur Frage 4 des Kollegen Volker Beck: Wie schätzt die Bundesregierung die Auswirkungen dieser Fälle und anderer, möglicherweise politisch motivierter Gewalttaten auf die Politik des russischen Präsidenten und seiner Regierung ein? Bitte, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege Beck, die erwähnten Fälle sind sehr unterschiedlich. Wir hoffen in allen Fällen, dass die Täter und Drahtzieher schnell ermittelt und ihrer gerechten Strafe zugeführt werden. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass eine zügige Aufklärung im Interesse Russlands ist.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Frage lautete eigentlich, wie Sie die Auswirkungen auf die weitere russische Politik einschätzen. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, wie die Bundesregierung die These bewertet, dass das Verdienst des russischen Präsidenten Putin vor allem darin bestehe, die Staatlichkeit Russlands wieder gestärkt zu haben, und dass vor diesem Hintergrund die demokratischen Defizite nicht kritisiert werden müssten. Diese These, die diese Woche von den Agenturen verbreitet wurde, wurde vom ehemaligen Bundeskanzler Schröder geäußert. Ich finde sie völlig untragbar; denn auch lupenreine Diktatoren - wie Lukaschenko in Weißrussland oder Karimow in Usbekistan - können für sich geltend machen, dass sie die Staatlichkeit aufrechterhalten.

Not found (Gast)

Herr Kollege Beck, ich weise gerne noch einmal darauf hin, dass es bei der Bundesregierung Sorgen über die Entwicklung von Demokratie und Rechtstaatlichkeit in Russland gibt und dass wir die Gelegenheit nutzen, darauf hinzuweisen. Speziell die beiden Fälle Politkowskaja und Litwinenko, die Sie bereits angesprochen haben, sind ein großes Problem für das internationale Prestige Russlands, insbesondere dann, wenn sie nicht mit allem Nachdruck aufgeklärt werden. Hierzu liegen deutliche Aussagen des russischen Präsidenten vor, der auch bei seinem Besuch in Deutschland - zum Beispiel in dem bekannten Interview in der „Süddeutschen Zeitung“ sehr klar gesagt hat, dass er durch diese Fälle einen Schaden für Russland sieht und deswegen sehr an einer Aufklärung interessiert ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie können noch eine zweite Nachfrage stellen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie beurteilt die Bundesregierung die aktuelle Entwicklung hinsichtlich des NGO-Gesetzes und der Versammlungsfreiheit im Zusammenhang mit Kritik an der Führung des Kremls in solchen Fällen. Bei meinen Gesprächen wurde deutlich, dass - anders als von der Bundesregierung in der Vergangenheit dargestellt - mit dem NGO-Gesetz eine bürokratische Erdrosselung der zivilgesellschaftlichen Organisationen droht, da Forderungen gestellt werden, denen allenfalls große, professionell geführte Organisationen gerecht werden können und durch die alle anderen Organisationen faktisch von der Schließung bedroht sind. Selbst die deutschen Organisationen, die mittlerweile ihre Registrierung erhalten haben, erfüllen die Voraussetzungen des Gesetzes nicht. Zunächst einmal wird ein Auge zugedrückt, aber in den Akten gibt es genügend Material, um diese Organisationen im Falle von Missliebigkeit jederzeit aus bürokratischen Gründen schließen zu können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Frage wurde meines Erachtens schon gestellt. Vielleicht kann der Staatsminister sie jetzt beantworten.

Not found (Gast)

Herr Kollege Beck, wie Sie wissen, hat die Frage des russischen NGO-Gesetzes eine ziemlich lange Vorgeschichte, bei der deutlich wird, dass sich sowohl die Bundesrepublik als auch die EU intensiv engagiert haben, um erst einmal hinsichtlich der Formulierung des Gesetzes ihren Einfluss geltend zu machen. Sie wissen, dass auch der Europarat mit einem Gutachten eingeschaltet worden ist und dass Ende letzten Jahres in letzter Minute Änderungen an dem Gesetz erfolgt sind. Wir waren uns aber immer darüber einig, dass es weniger um den Gesetzestext als um die Frage der späteren Umsetzung des Gesetzes geht. Für die Umsetzung dieses Gesetzes ist sogar eine spezielle Verwaltung geschaffen worden. Wir stehen mit unseren Erfahrungen bei der Umsetzung des Gesetzes noch am Anfang. Wir haben - das haben Sie bereits angedeutet schlechte Erfahrungen mit den politischen Stiftungen in Russland gemacht. Mehrere Vertreter der Stiftungen mussten ausreisen, weil die Unterlagen für die Fortführung der Arbeit auf der Grundlage der erforderlichen Anträge nicht rechtzeitig erstellt werden konnten. Das ist kein gutes Omen für die Chancen von russischen NGOs. Aber in meinen persönlichen Gesprächen mit Partnern und Freunden aus der russischen Menschenrechtsund NGO-Szene habe ich festgestellt, dass man vorläufig noch abwartet, weil die Einrichtung dieser Behörde und damit auch die Umsetzung des Gesetzes erst jetzt in Gang kommt und es zu früh für eine endgültige Bewertung ist. Auch dort sagt man: Es ist noch nichts entschieden und man weiß nicht, welche Schwierigkeiten zu erwarten sind. - Aber ich kann Ihnen versichern, Herr Kollege Beck, dass wir dieses Thema - das ist ein Hauptthema des seit 2000 laufenden Petersburger Dialogs, bei dem es darum geht, Zivilgesellschaften miteinander in Verbindung zu bringen und die russische Zivilgesellschaft zu unterstützen - sehr intensiv und kritisch im Auge behalten werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatsminister. - Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller zur Verfügung. Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Dr. Geisen von der FDP-Fraktion auf: In welcher Höhe bestehen noch Forderungen des Bundes in Zusammenhang mit landwirtschaftlichen Siedlungsmitteln und bei welchen Bankinstituten findet deren Abwicklung statt? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Frau Präsidentin! Verehrte Abgeordnete! Herr Dr. Geisen, die Frage ist zwar einfach, aber die Antwort ist kompliziert. Die öffentlichen Darlehen des Bundes aus dem Bereich der landwirtschaftlichen Siedlung werden im Wesentlichen als Zweckvermögen des Bundes bei der Deutschen Postbank AG als Rechtsnachfolgerin der Deutschen Siedlungs- und Landesrentenbank geführt. Bei diesem Zweckvermögen handelt es sich um ein Sondervermögen mit eigener Rechnungslegung. Die Verwaltung des Vermögens obliegt der Postbank. Die Ausleihung des Zweckvermögens, das heißt die Siedlungsdarlehen, betrug zum 31. Dezember 2005 - das ist der letzte Bilanzstichtag - circa 643 Millionen Euro. Einschließlich liquider Mittel in Höhe von circa 75 Millionen Euro ergab sich eine Bilanzsumme von 718 Millionen Euro. Diesem Aktivvermögen standen zum Bilanzstichtag bei der DSL-Bank aufgenommene und noch zu tilgende Refinanzierungsdarlehen in Höhe von circa 275 Millionen Euro gegenüber, sodass das Nettovermögen oder das Eigenkapital des Bundes circa 443 Millionen Euro betrug. Bei diesem Betrag handelt es sich um einen Nominalbetrag, bei dem nicht berücksichtigt ist, dass die Rückflüsse der Siedlungsdarlehen mit einer langen Restlaufzeit bis 2040 anfallen. Um abzuschätzen, welchen Gegenwert diese Darlehen zum jetzigen Zeitpunkt darstellen, ist die Berechnung eines Barwertes erforderlich, der zum Beispiel durch eine Vermögensveräußerung realisierbar ist. Aus heutiger Sicht beträgt der Barwert circa 260 Millionen Euro, wovon ein Teilbetrag in Höhe von 30 Millionen Euro realisiert ist. Daher steht nun noch ein Barwert von circa 230 Millionen Euro zur Verfügung. Für die Haushaltsjahre 2007 bis 2009 sind weitere Teilveräußerungen vorgesehen, um die Finanzierung des Bundeszuschusses an die LUV in Höhe von jährlich 200 Millionen Euro sicherzustellen. Dabei hängt die Beantwortung der Frage, wie dieser Zuschuss 2009 geleistet werden kann, entscheidend davon ab, wie viele Mittel aus dem Zweckvermögen 2007 und 2008 verkauft werden müssen. Das ist meine Antwort auf Frage 5. Darf ich die Frage 6 des Kollegen Dr. Geisen, die sich auf den gleichen Themenbereich bezieht, im Anschluss beantworten?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wenn Sie wollen, können Sie die Fragen 5 und 6 sowie die Nachfragen im Zusammenhang beantworten. Herr Dr. Geisen, sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann rufe ich auch die Frage 6 des Kollegen Dr. Geisen auf: In welcher Höhe können die bestehenden Altrenten in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung, LUV, durch die Abtretung von Forderungen finanziert werden bzw. ein Kapitalstock mit diesen Mitteln für ein kapitalgedecktes Unfallversicherungssystem aufgebaut werden? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Herr Dr. Geisen, die Höhe der Bundesmittel der LUV ist nicht gesetzlich festgeschrieben. Sie wird im Rahmen der jährlichen Haushaltsberatungen des Bundes festgelegt. In den vergangenen Jahren unterlagen auch die Bundesmittel der LUV den Haushaltskonsolidierungsbemühungen des Bundes. Im Jahr 2007 können sie nur unter erheblichen Anstrengungen auf dem diesjährigen Niveau von 200 Millionen Euro gehalten werden; darüber haben wir bereits diskutiert. Zu diesem Zweck sieht der Titel einen Ansatz in Höhe von 100 Millionen Euro und einen Verstärkungsvermerk in gleicher Höhe vor. Dabei soll die Verstärkung aus Einsparungen im gesamten Einzelplan 10 und ergänzend aus Veräußerungserlösen erfolgen. In meiner Antwort auf die vorangegangene Frage habe ich dargelegt, dass dies bis maximal 2009 reicht. Daran wird deutlich, dass Reformen in der agrarsozialen Sicherung notwendig sind. Sie wissen, dass wir zur Beantwortung der Frage, ob die Finanzierung der Altlasten über eine Kapitaldeckung erfolgen kann, ein Gutachten in Auftrag gegeben haben. Dieses Gutachten liegt jetzt vor und wird derzeit von uns ausgewertet.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben jetzt die Möglichkeit zu je zwei Nachfragen. Bitte.

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Sieht die Bundesregierung trotz der knappen Mittel die Möglichkeit, mit Finanzmitteln des freien Kapitalmarkts, Mitteln der jetzt bestehenden landwirtschaftlichen Unfallversicherung oder auch mit anderen Finanzreserven das Umlageverfahren auf ein Kapitaldeckungsverfahren umzustellen? Diese Frage stelle ich auch unter dem Aspekt, dass man das mittelfristig aufbauen kann und den gesamten Kapitalstock nicht auf einmal zur Verfügung stellen muss. Zum Zweiten: Müsste nicht möglichst schnell mit einer Umstellung begonnen werden, damit mittelfristig der Haushalt sowie die Betroffenen entlastet werden? Denn Ihre Antwort zeigt, dass die Reserven sehr schnell abgebaut werden, weil die Zuschüsse im Haushalt gekürzt werden und somit die Umstellung des Systems nach einigen Jahren immer schwieriger wird. Wäre es nicht richtig, sofort mit der Umstellung zu beginnen? Ich danke Ihnen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das waren die zwei Nachfragen zu der ersten Frage.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Herr Dr. Geisen, unser gemeinsames Ziel ist die langfristige Sicherung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung. Die Problematik der demografischen Entwicklung stellt sich bei den Sicherungssystemen der Landwirtschaft in noch größerem Ausmaß, als das bei den anderen gesetzlichen Sicherungssystemen der Fall ist. Ich habe dargestellt, dass wir auf der jetzigen Basis bis 2009 die Finanzierung der 200 Millionen Euro sicherstellen könnten. Das Ziel des Gutachtens war es, die Frage zu beantworten, ob ein Systemwechsel möglich wäre, das heißt ob die Ablösung der Altlasten durch eine Kapitalisierung der Rentenlasten möglich wäre. Da Sie ein geschätzter und fachkundiger Kollege sind, habe ich mir über die vorliegende Antwort hinaus gestern das Gutachten sehr genau angeschaut. Ich kann Ihnen ganz aktuell dazu etwas mitteilen, woraus wir gemeinsam die notwendigen politischen Schlüsse ziehen können. Das Gutachten kommt bei der Berechnung des Aufwands für eine Kapitalisierung der Rentenlasten der LUV zu folgenden Ergebnissen: Für eine einmalige Ausfinanzierung des Altrentenbestandes der LUV bis 2005 ist bei einem Realzins von 3 Prozent ein Kapitalstock von 7,76 Milliarden Euro erforderlich. Für die einmalige Ausfinanzierung der künftigen neuen Dauerrenten bis 2038 ist bei einem Realzins von 3 Prozent und einer Rentendynamisierung von 1 Prozent in der mittleren Zugangsvariante ein Kapitalstock von 4,4 Milliarden Euro erforderlich. Der Aufwand bei einer jährlichen Ausfinanzierung nur der künftigen neuen Dauerrenten beträgt im ersten Jahr in der mittleren Variante 156 Millionen Euro. Das sind ganz aktuelle Zahlen, die wir in den nächsten Tagen und Wochen mit Ihnen diskutieren werden. Sie zeigen auf, dass der Abbau der Altlasten über eine Kapitalisierung auf der Basis dieser Berechnungen schwierig, ja kaum finanzierbar erscheint. Das sind die neuesten Zahlen. Bundesminister Seehofer wird im Januar mit den Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss die daraus zu ziehenden Konsequenzen diskutieren.

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich habe noch eine oder zwei Fragen. ({0}) Ich habe nur die Zusammenfassung gelesen, weil ich das Gutachten erst heute Morgen bekommen konnte. Es steht dort expressis verbis, dass, wenn die Umstellung käme, ab dem Jahre 2024 eine Entlastung des Haushalts und der Beitragszahler möglich wäre. Geben Sie dem Kapitaldeckungsverfahren dennoch eine Chance? Muss man bei der Finanzierung nicht eher die Finanzierungskosten betrachten als die Einbringung in den Kapitalstock? Dann hätten Sie eigentlich nur Kosten von 3, 4 oder 5 Prozent. Wie sehen Sie das?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Die Ihnen jetzt genannten ganz aktuellen Zahlen zeigen auf, dass der ursprünglich geplante Weg, also die Ablösung der Altrenten über eine Kapitalisierung, kaum möglich erscheint; denn aus der Sicht des Bundes müsste sich auf lange Sicht eine Win-win-Situation ergeben. Eine solche lässt sich für den ursprünglich geplanten Weg allerdings schwer darstellen. Wir denken deshalb, Ihnen im Januar Konsequenzen vorlegen zu können, die die Kapitalisierung nicht ganz beiseite stellen, aber in eine andere Richtung lenken.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Sie haben keine Zusatzfrage mehr? - Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen. Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung werden die Fragen 7 und 8 der Kollegin Krista Sager schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Für die Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Karin Roth zur Verfügung. Ich rufe Frage 9 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch auf: Trifft es zu, dass die Kosten für den Abriss des Palastes der Republik noch weiter steigen, und, wenn ja, wer trägt die Verantwortung für diese Kostenexplosion?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Lötzsch, da die während der Rückbauarbeiten am Palast der Republik entdeckten Restasbestfundstellen weder funktional noch bautechnisch zu erklären sind und auf eine völlig unübliche Verwendung des Asbestes hinweisen, waren sie nicht vorhersehbar. Es ist daher leider nicht auszuschließen, dass im Verlauf des weiteren Abrisses durch neue Fundstellen an bisher unzugänglichen Stellen ein erheblicher zusätzlicher Aufwand bei der notwendigen Asbestentsorgung entsteht. Die daraus resultierenden Kosten kennen wir bisher noch nicht. Das heißt, wir gehen davon aus, dass weitere Kosten entstehen werden. Die Asbestfunde und der damit verbundene finanzielle Aufwand sind letztlich auf die seinerzeitige Bauausführung zurückzuführen, bei der die Bauvorschriften für die Verwendung von Asbest nicht beachtet wurden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Lötzsch?

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin, für die Asbestsanierung ist - das haben Sie selber schon angesprochen - eine Menge Geld ausgegeben worden. Damit man sich das einmal vorstellen kann: Von 1998 bis 2003 waren es 80 Millionen Euro und in diesem Jahr wurden noch einmal 6,4 Millionen Euro bewilligt. Nun haben Sie bereits selber gesagt, dass augenscheinlich noch nicht absehbar ist, wie viel Geld noch benötigt wird. Im „Spiegel“ dieser Woche wird ein Betrag von 15 Millionen Euro genannt. Da sich die Bundesregierung in der Regel nicht zu Pressemeldungen äußert, gehe ich davon aus, dass auch Sie das nicht tun werden. Aber haben Sie eine Schätzgröße und können Sie sagen, ob es sich ungefähr um diese 15 Millionen Euro handeln könnte oder ob noch weitere Mittel für die Asbestsanierung nötig sind?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Die Antwort auf die Frage, in welcher Höhe Kosten entstehen, hängt davon ab, ob wir noch weitere Asbestfundstellen entdecken, die nach den Bauvorschriften eigentlich gar nicht existieren dürften. Insofern gibt es hier keine Prognose. Sie können sicher sein, dass wir den ganzen Asbest beseitigen werden. Es geht hier um Gesundheitsschutz, es geht hier um Umweltschutz. Es ist richtig, was Sie sagen: Es ist viel Geld investiert worden. Dies war aber auch deshalb nötig, weil zur Bauzeit nicht ordnungsgemäß gearbeitet wurde.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, Sie haben hier angesprochen, dass nicht ordnungsgemäß gearbeitet wurde. Wenn ich richtig informiert bin, ist das sehr milde ausgedrückt. Ich denke, auch der Bundesregierung dürfte bekannt sein, dass das Landeskriminalamt Berlin bereits wegen Betruges und anderer Delikte im Zusammenhang mit der Asbestsanierung ermittelt. Darum frage ich Sie, Frau Staatssekretärin, ob die Bundesregierung nicht meine Auffassung teilt, dass weitere Asbestsanierungsaufträge nicht erteilt werden dürfen, bevor nicht geklärt ist, wer sich - ich sage es einmal etwas flapsig - an dieser Asbestsanierung gesundstößt. Die Bundesregierung, die Bundesrepublik Deutschland und der öffentliche Haushalt sind es nicht.

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Frau Kollegin, bei Ihnen liegt ein Missverständnis vor. Die Bauvorschriften sind damals nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden, nicht die Bausanierungsmaßnahmen. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wir kommen zur Frage 10 der Kollegin Cornelia Behm: Inwieweit ist eine Verlängerung der Gültigkeit des Planfeststellungsbeschlusses für den Ausbau der Kleinmachnower Schleuse - Brandenburg - vor dem Hintergrund der Anbindung Berlins an das geplante europäische Wasserstraßennetz über das Jahr 2007 hinaus vorgesehen und wie bewertet die Bundesregierung die Gültigkeit des Planfeststellungsbeschlusses vor dem Hintergrund der für 2007 angekündigten Bauarbeiten?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Behm, aus Sicherheitsgründen muss im Jahr 2007 im Vorhafenbereich der Schleuse Kleinmachnow eine beschädigte Uferwand ersetzt werden. Um für den mittelfristig vorgesehenen Ersatz der Schleuse Kleinmachnow zusätzlichen Aufwand zu vermeiden, erfolgt die unaufschiebbare Ersatzmaßnahme entsprechend der Planfeststellung; das macht ja Sinn. Mit Beginn der Durchführung des Plans entfällt ein Außer-Kraft-Treten des Planfeststellungsbeschlusses. Für eine zukunftsorientierte Anbindung Berlins und Brandenburgs über den Hafen Königs Wusterhausen an die europäischen Wasserstraßennetze spielt die Schleuse Kleinmachnow eine wichtige Rolle.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, bitte sehr.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe zwei Nachfragen. Sie beziehen sich darauf, dass Anfang des Monats Dezember eine ganze Reihe Pressemitteilungen, die einander widersprachen und die sich vielleicht nicht immer auf gut unterrichtete Quellen gestützt haben, zu lesen waren. Auf der einen Seite war zu lesen, dass der Ausbau der Schleuse und des Kanals für Europaschiffe nicht mehr vorgesehen ist. Auf der anderen Seite war zu lesen, dass - was Sie eben auch mit Ihrer Antwort bestätigt haben - im Frühjahr 2007 der Ausbau der Schleuse, quasi orientiert am Planfeststellungsbeschluss, auf 190 Meter beginnt. Es ist aber auch davon die Rede, und zwar in demselben Zeitungsbericht, dass möglicherweise nicht ein Ausbau der Nordkammer der Schleuse erfolgt, sondern erst ihr Zustand geprüft werden muss, um entscheiden zu können, ob an dieser Stelle nicht ein Neubau zu errichten ist. Wegen dieser vielen einander widersprechenden Meldungen frage ich Sie: Ist von dem Planfeststellungsbeschluss, wie wir ihn jetzt haben, sowohl der Ausbau der alten Schleuse als auch ein Neubau gedeckt bzw. ist es zwangsweise erforderlich, die Schleuse, wie im Planfeststellungsbeschluss vorgesehen, auf 190 Meter auszubauen, oder könnte sie auch auf eine kürzere Länge ausgebaut werden, und wenn nicht, welche planungsrechtlichen Voraussetzungen würde ein Ausbau der Schleuse auf eine kürzere Länge erfordern?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Kollegin Behm, es ist sicher nicht ganz einfach, vor Ort die verschiedenen Interpretationen zu erklären; das verstehe ich gut. Aber es geht darum, dass der Ausbau der Schleuse auf 190 Meter planfestgestellt ist, und dabei bleibt es auch. - Das ist das Erste. Zweitens habe ich Ihnen gerade erklärt, dass es bei den Arbeiten 2007 um eine beschädigte Uferwand geht; es geht also nicht um den Ausbau der Schleuse. Aber entscheidend ist, dass - das ist vielleicht das Wichtige für Sie - das Planfeststellungsverfahren abgeschlossen ist und der Planfeststellungsbeschluss weiterhin besteht; der Ausbau erfolgt aber im Moment nicht.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Frage ist nicht beantwortet worden. Ich habe gefragt, ob der Planfeststellungsbeschluss sowohl einen Ausbau der Schleuse wie vorgesehen als möglicherweise auch einen Neubau deckt, wenn nämlich die Schleuse in einem so schlechten Zustand ist, dass sie nicht mehr ausgebaut werden kann. Außerdem habe ich gefragt, ob von dem Beschluss auch gedeckt wäre, die Schleuse auf eine kürzere Länge auszubauen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Erstens ist in dem Planfeststellungsbeschluss ein Ausbau der Schleuse auf 190 Meter vorgesehen. Zweitens beabsichtigen wir nicht, eine kürzere Schleuse zu bauen, als im Planfeststellungsbeschluss vorgesehen ist, weil wir möchten, dass vor dem Hintergrund der Anbindung an das europäische Wasserstraßennetz gerade die Schleuse Kleinmachnow so ausgebaut wird, dass, wie es absehbar ist, große europäische Schiffe in die Schleuse einfahren können. Wir sind also nicht diejenigen, die meinen, dass wir eine Länge von unter 190 Meter brauchen. Es bleibt bei dem Planfeststellungsbeschluss, der eine Länge von 190 Meter vorsieht. Wir haben kein Interesse an einer Verkürzung.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Staatssekretärin, ich danke Ihnen für die Beantwortung. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Für die Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes zur Verfügung. Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Dr. Ilja Seifert auf: Wie viele Rentnerinnen und Rentner haben nach Auffassung der Bundesregierung aus ihrer Sicht sachgerechte und vom Gesetzgeber gewollte Abschläge auf ihre Erwerbsminderungsrente erhalten ({0})?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Kollege Seifert, am 31. Dezember 2005 waren nach der Statistik „Rentenbestand der Deutschen Rentenversicherung Bund“ rund 567 000 Renten von insgesamt 1 650 000 Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit mit Abschlägen belegt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ihre Nachfrage bitte.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, darf ich Sie so verstehen, dass Sie diese Abschläge in jedem Fall als sachgerecht empfinden, obwohl das Bundessozialgericht zumindest in einem Fall festgestellt hat, dass dem nicht so sei?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Wir halten das für sachgerecht. In einem Fall hat ein Senat des Bundessozialgerichtes eine andere Auffassung geäußert. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die im Zuge der Reform der Erwerbsminderungsrenten im Jahre 2001 in den Gesetzentwurf aufgenommene Begründung. Sie lautet wie folgt: … wird die Höhe der Erwerbsminderungsrenten an die Höhe der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten in der Weise angeglichen, dass diese Renten mit einem Abschlag von höchstens 10,8 Prozent versehen werden. Die Auswirkungen einer solchen Regelung werden dadurch abgemildert, dass die Zeit zwischen dem vollendeten 55. und 60. Lebensjahr statt wie im geltenden Recht zu einem Drittel künftig voll als Zurechnungszeit angerechnet wird. Der Versicherte wird damit so gestellt, als ob er entsprechend der Bewertung seiner Zurechnungszeit bis zum 60. Lebensjahr weiter gearbeitet hätte. Bei Inanspruchnahme einer Altersrente zu diesem Zeitpunkt müsste er einen Abschlag von 18 Prozent hinnehmen. Bei Inanspruchnahme einer Rente wegen Erwerbsminderung ergibt sich jedoch bei einem Eckrentner eine gegenüber dem geltenden Recht nur um 3,3 Prozent ({0}) bzw. um maximal 10,8 Prozent ({1}) niedrigere Rente. Ich will damit sagen: Durch die Besserstellung bei der Zurechnungszeit zwischen dem 55. und 60. Lebensjahr ist ein Abschlag unter Bezugnahme auf das Referenzalter 63 Jahre in Höhe von 10,8 Prozent durchaus gerechtfertigt. Der Wille des Gesetzgebers zum damaligen Zeitpunkt ist damit deutlich zum Ausdruck gekommen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, wenn ich mich recht erinnere - Sie waren bei den Gesprächen genauso wie ich dabei -, spielte diese Frage in der Debatte um die Rentenanpassung seinerzeit keine Rolle. Denn alle gingen davon aus, dass die Erwerbsminderungsrentner besser gestellt werden als die anderen Rentner. Sie haben es ja gerade vorgelesen. Die Besserstellung stellt sich aber jetzt nur in der Form dar - daran ändert auch Ihre verklausulierte Aussage nichts -, dass die Abschläge für die Erwerbsminderungsrentner geringer ausfallen. Nun hat aber ein Senat des Bundessozialgerichts festgestellt - das muss man respektieren -, dass diese Abschläge zumindest in einem Fall nicht gerechtfertigt waren. Fast immer ist es so: Wenn ein höchstrichterlicher Beschluss zu einem Einzelfall gefasst wird, wird festgestellt, dass er allgemeinverbindlich ist. Sie aber stellen sich auf einen anderen Standpunkt. Das ist ein Widerspruch, der viele Menschen verunsichert und der viele Menschen vielleicht um ihr Geld bringt.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Kollege Seifert, man muss von dem Willen des Gesetzgebers ausgehen. Das Gericht hat darauf keinen Bezug genommen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Deswegen gibt es keine Notwendigkeit, gleich wieder eine Gesetzesänderung herbeizuführen oder sich anders zu verhalten. Es kann durchaus sein, dass andere Gerichte in weiteren Fällen anders entscheiden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun rufe ich die Frage 12 des Kollegen Dr. Seifert auf: Bei wie vielen Einzelfällen könnten nach Auffassung der Bundesregierung die Sozialgerichte zu ähnlichen Urteilen kommen wie der 4. Senat des Bundessozialgerichtes mit seinem Urteil zum Revisionsverfahren ({0})?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Kollege Dr. Seifert, das kann man nicht beziffern; denn es hängt vom Verhalten der Empfänger von Erwerbsminderungsrenten ab, also davon, ob sie klagen. Wenn Sie von daher die Frage nach der Bezifferung der Einzelfälle stellen, kann ich Ihnen diese nicht beantworten.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ihre Nachfrage, bitte.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, heißt das: Wer nicht klagt, kann nicht Recht bekommen. Also muss jeder, der eine Erwerbsminderungsrente hat, klagen in der Hoffnung, einer von den mehr als 500 000 Einzelfällen zu sein, die nachträglich etwas gezahlt bekommen.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Wenn jemand der Auffassung ist, dass sein Rentenbescheid falsch ist und er nicht richtig behandelt worden ist, dann muss er in einem Rechtsstaat den Klageweg beschreiten. In diesem Fall müsste also dagegen geklagt werden. Dann ist vor dem Hintergrund des Einzelfalls zu entscheiden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Nachfrage?

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, sind Sie für den Fall, dass es sich um mehr als 500 000 Einzelfälle handelt, nicht mit mir der Ansicht, dass es vielleicht doch ganz sinnvoll wäre, wenn es eine gesetzliche Regelung gäbe, die diese mehr als 500 000 Einzelfälle generell klären würde, und dass die Rentenversicherung den Auftrag bekommen sollte, qua Amt zu handeln und den Menschen zu ihrem Recht und zu ihrem Geld zu verhelfen?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Kollege Dr. Seifert, das Bundeskabinett hat am 29. November 2006 den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersrente an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung beschlossen. In der Begründung wird im Rahmen der Regelung über die Abschläge die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck gebracht, die Abschläge bei den Erwerbsminderungsrenten auch dann wirken zu lassen, wenn die Rente in jungen Jahren in Anspruch genommen wird. Die Bundesregierung geht an dieser Stelle davon aus, dass der Wille des Gesetzgebers auch bei der Urteilsfindung berücksichtigt wird.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun rufe ich die Frage 13 der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann auf: Wie bewertet die Bundesregierung die Forderung des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post AG, Klaus Zumwinkel, nach einem branchenorientierten Mindestlohn von 7,50 Euro ({0}) und was will die Bundesregierung tun, um die vom Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post AG, an der die Kreditanstalt für Wiederaufbau im Auftrag des Bundes noch 35 Prozent der Aktienanteile hält, beklagten Wettbewerbsverzerrungen mithilfe eines branchenorientierten Mindestlohns abzubauen?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Frau Kollegin Dr. Enkelmann, über die Neuordnung des Niedriglohnbereichs wird zurzeit innerhalb der Bundesregierung - das ist Ihnen bekannt - intensiv diskutiert. Grundlage dafür ist der Koalitionsvertrag. Dabei werden alle in diesem Zusammenhang in Betracht kommenden Fragen in der extra eingerichteten Arbeitsgruppe „Arbeitsmarktpolitik“ sorgfältig geprüft. In diesem Zusammenhang wird auch der Frage nach der Einführung eines Mindestlohns und seiner eventuellen Konzeption nachgegangen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie dazu eine Zusatzfrage, Frau Dr. Enkelmann?

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. - Sie hatten gerade über die Neuordnung des Niedriglohns gesprochen. Wie Sie sicher wissen, liegen die Einkommen bei Unternehmen, die mit der Post konkurrieren, deutlich unter den Einkommen bei der Post. Es gibt aber auch dort zum Beispiel bei den Zustellern Einkommen, die dazu führen, dass die Zusteller über die Arbeitsagentur zusätzliche Sozialleistungen empfangen, weil sie von dem, was sie für ihre Beschäftigung bekommen, nicht leben können. Insofern stellt sich erneut die Frage nicht nur nach branchenspezifischen Mindestlöhnen, sondern auch nach einem gesetzlich fixierten Mindestlohn. Wie positioniert sich die Bundesregierung dazu?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Frau Dr. Enkelmann, es ist ja keine schöne Situation, mit der wir es zu tun haben, dass nämlich fast 900 000 Menschen eine Aufstockung ergänzend zum Arbeitslosengeld II erhalten. Dabei handelt es sich zum Teil um Selbstständige, aber auch um Menschen mit zu niedrigem Einkommen. Mit folgendem Sachverhalt wollen wir uns jetzt in der Arbeitsgruppe sehr sorgfältig befassen: Es gibt Tarifverträge, die Einkommen in einer Größenordnung von knapp 3,50 Euro pro Stunde vorsehen. Das gibt Anlass, darüber nachzudenken, in welcher Art und Weise Arbeits- und Lebensbedingungen in Tarifverträgen gestaltet werden können und welche Gestaltungsfähigkeit in dieser Beziehung den Tarifvertragsparteien zukommt. Wir glauben, dass wir angesichts der unterschiedlichen Bedingungen in Deutschland - es ist von Branche zu Branche und auch regional unterschiedlich; die Lebensverhältnisse sind anders - gut beraten sind, alles gemeinsam zu bewerten. Zurzeit gibt es ja eine Mindestlohnregelung im Bauhandwerk; für das Gebäudereinigerhandwerk wird es diskutiert. Wir sollten uns also die einzelnen Branchen anschauen und danach eine Entscheidung treffen. Die Regelungen für das Bauhandwerk bzw. das Gebäudereinigerhandwerk werden ja im Entsendegesetz getroffen. Es bedarf dabei einer sorgfältigen Abwägung; das haben auch die Anhörungen deutlich gemacht. Ich kann nur sagen: Wir brauchen etwas Zeit. Ende des ersten Quartals, denke ich, wird sich aus diesem Diskussionsprozess ein Vorschlag ergeben.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Frage?

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. - Könnte aus Sicht der Bundesregierung ein gesetzlich fixierter Mindestlohn ein Weg sein, um die hohe Zahl von Menschen, die in der Bundesrepublik in Armut leben, zu verringern?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Bei einer ganztägigen Tätigkeit sollte sich ein Einkommen ergeben, das es den Menschen ermöglicht, eine würdige Existenz zu führen. Dazu gibt es unterschiedliche Gestaltungsfelder, auch solche, die in den Rahmen der Tarifautonomie fallen. Das wird in einzelvertraglichen Verhandlungen geregelt; das wird in tarifvertraglichen Verhandlungen geregelt. Ferner sind Leistungen aus den Transfersystemen zu nennen. Wir konzentrieren uns darauf, angesichts der unterschiedlichen Wirkungsweisen dieser Mechanismen - es gibt ja die Transferleistungen; es gibt eine Regelung, wie wir sie im Entsendegesetz haben, wo wir auf der Basis der von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Löhne die Mindestlöhne qua Verordnung festlegen - eine gute Abwägung zwischen den Forderungen nach einem gesetzlichen Mindestlohn und denen nach einem branchenorientierten Mindestlohn hinzubekommen. Ich kann nur wiederholen: Die Abwägung ist schwierig; man muss mehrere Punkte im Auge behalten, etwa die Sicherheit bestehender Arbeitsplätze. Dieser Diskussionsprozess dauert an. Ich denke, wir sind gut beraten, ihn sorgfältig zu führen und nichts zu übereilen. Es wird zum Ende des ersten Quartals ein Vorschlag vorliegen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Zu einer weiteren Frage erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, leider ist ja in der Öffentlichkeit viel zu wenig bekannt, dass von den Mitgliedstaaten der EU 18 einen gesetzlich fixierten Mindestlohn haben. Aber Ihnen ist es natürlich bekannt und den meisten Kolleginnen und Kollegen auch. Darum frage ich Sie, ob Sie in dieser Arbeitsgruppe auch die Erfahrungen dieser EU-Mitgliedstaaten auswerten und, wenn ja, an welchen Mitgliedsländern Sie sich besonders orientieren?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Es gibt dabei eine große Bandbreite - wer genau hinschaut, Frau Kollegin Lötzsch, wird das feststellen -: In Luxemburg beträgt der Mindestlohn ungefähr 1 400 Euro; in Lettland liegt er zwischen 140 und 150 Euro. Wir sehen also die Bandbreite, die in den verschiedenen Ländern des vereinten Europas möglich ist. Das ist ein weiteres Argument dafür, an dieses Problem mit großer Sensibilität heranzugehen. Man kann nicht einfach sagen, dass man zu der einen oder der anderen Lösung tendiert. Es ist, glaube ich, ein Erfolg der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages - das war aufgrund der guten Kooperation mit dem Europäischen Parlament möglich -, dass die Dienstleistungsrichtlinie, die vor kurzem verabschiedet worden ist, unsere Bedenken berücksichtigt und unsere Interessen dort Eingang gefunden haben. Damit wird die Freiheit geschaffen, Dienstleistungen grenzüberschreitend anzubieten. Davon haben sowohl deutsche als auch ausländische Handwerker Vorteile. Ich glaube, dass das auch Arbeitsplätze sichern wird. Es gibt aber keine Regelung, die vorsieht, die Betriebe sowie die Arbeitnehmer gegen Dumping- und Minilöhne abzusichern. Deswegen ist es gut und vernünftig, dass wir in der Arbeitsgruppe darüber beraten, welche Lösungsmöglichkeiten es sowohl für die Betriebe als auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt, damit das nicht passiert. Das tun wir. Ich kann Ihnen nur die gleiche Antwort geben, die ich zuvor auch Ihrer Kollegin Dr. Enkelmann gegeben habe: Es ist ein laufender Prozess. Bis Ende März wird ein Vorschlag unterbreitet werden. Mehr kann man dazu jetzt nicht sagen. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen und rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Alfred Hartenbach zur Verfügung. Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter auf: Wie sind vor dem Hintergrund, dass im Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag „Qualitätsoffensive im öffentlichen Personenverkehr - Verbraucherschutz und Kundenrechte stärken“ die Lücken im Verbraucherschutz klar und deutlich herausgearbeitet und Lösungsvorschläge unterbreitet worden sind, Medienberichte zu verstehen, dass derzeit die auch im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD enthaltenen Pläne für verbesserte Kundenrechte im Bahnverkehr und im allgemeinen öffentlichen Personenverkehr auf Eis liegen, und welche Umstände sind nach Auffassung der Bundesregierung für das offensichtliche Stocken des Verfahrens zur Verbesserung der Kundenrechte maßgebend?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Hofreiter, die Medienberichte sind nicht zutreffend. Das Bundesministerium der Justiz hat zu dem Thema „Fahrgastrechte im öffentlichen Personenverkehr“ eine Bund/Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt, die ihre Arbeiten abgeschlossen hat und in allernächster Zeit einen Abschlussbericht vorlegen wird. Auf der Grundlage dieses Berichts wird das Bundesministerium der Justiz einen Gesetzesvorschlag zur Verbesserung der Kundenrechte bei Verspätungen und Ausfällen von öffentlichen Verkehrsmitteln vorlegen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Dr. Hofreiter?

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Wie schaut es mit dem Zeithorizont aus?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Der Abschlussbericht wird demnächst, möglicherweise noch in diesem Monat, den Teilnehmern der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Abstimmung vorgelegt und sodann den Justizministerinnen und Justizministern zugeleitet. Auf der Grundlage des Berichts soll anschließend der Gesetzentwurf erstellt werden. Parallel hierzu werden unter deutscher Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 die Verhandlungen über eine EU-Verordnung über Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr fortgeführt, deren Ergebnisse bei einem nationalen Gesetzgebungsverfahren zu berücksichtigen sind. Ziel ist es, unter deutscher Präsidentschaft eine Einigung mit dem Europäischen Parlament herbeizuführen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Die Verhandlungen über das dritte Eisenbahnpaket sind mir bekannt. Deshalb die konkrete Nachfrage: Können wir im ersten oder zweiten Halbjahr 2007 mit einem Gesetzentwurf rechnen?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Hofreiter, da das nicht allein von uns, sondern auch von anderen abhängt - Sie wissen, wie ein nationales Gesetzgebungsverfahren abläuft; wir werden unseren Entwurf dem Bundesrat vorlegen und auch andere Verbände beteiligen müssen -, kann ich Ihnen auf Ihre Frage nicht konkret antworten. Ich kann Ihnen allerdings sagen, dass wir bemüht sind, möglichst beides parallel zu einem guten Ende zu bringen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun rufe ich die Frage 15 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter auf: Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass in ein und denselben Zügen, die sowohl dem nationalen wie auch dem internationalen Personenverkehr dienen, hinsichtlich der Kundenrechte nicht unterschiedliche Rechtsansprüche aufgrund divergierender Rechtsetzungsakte auf europäischer und deutscher Ebene geltend gemacht werden können, und welche Position vertritt die Bundesregierung im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Hofreiter, auf Ihre Frage antwortet die Bundesregierung wie folgt: Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen soll sich ein Gesetzentwurf über die Haftung für Verspätungen und Ausfälle von öffentlichen Verkehrsmitteln für den nationalen Personenverkehr inhaltlich an dem Vorschlag einer EU-Verordnung über Rechte und Pflichten im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr orientieren. Der Rat hat am 24. Juli 2006 einen gemeinsamen Standpunkt zu diesem EU-Verordnungsvorschlag beschlossen. Die Bundesregierung hat dem gemeinsamen Standpunkt des Rates zugestimmt und setzt sich für eine zügige Verabschiedung des Verordnungsvorschlags auf der Grundlage des gemeinsamen Standpunktes ein.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege?

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie sich um ein nationales Gesetz bemühen, das dem EU-Recht angepasst ist, sodass es nicht dazu kommt - um bei einem konkreten Beispiel zu bleiben -, dass jemand, der von Berlin nach Karlsruhe fährt, andere Rechte hat als jemand, der von Berlin nach Frankreich fährt?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Wir können als Beispiel einen Intercity Express nehmen, der fahrplanmäßig von Berlin nach Basel fährt. Das von Ihnen erwähnte Karlsruhe liegt auf der Strecke. ({0}) Es ist unser Bemühen, dass es nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung der Passagiere kommt. ({1}) - Ich bedanke mich für diese Frage, Herr Hofreiter. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen. Die Frage 16 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch sowie die Fragen 17 und 18 der Kollegin Grietje Bettin werden schriftlich beantwortet. Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den Antworten der Bundesregierung auf die Dringlichen Fragen Nr. 1 und 2 auf Drucksache 16/3790 Das entspricht Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Wolfgang Wieland für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Ganze begann etwas kryptisch. Im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages beantragte der Bundesinnenminister erhebliche Mittel für das BKA, und zwar für - wie es hieß - Onlinedurchsuchungen. Entfernte PCs sollten auf verfahrensrelevante Inhalte untersucht werden, ohne dass jemand am Ort der PCs anwesend ist. Das wurde mehr oder weniger am Innenausschuss vorbei verhandelt. Was macht der Parlamentarier, wenn er etwas nicht weiß, aber wissen möchte? Er stellt eine Anfrage. Es folgte die schriftliche Anfrage: Was ist da eigentlich geplant? Die Antwort lautete: Geplant ist eine Art Forschungsprojekt des BKA. Das wurde vorhin auch in der Fragestunde gesagt. Nun heißt es nicht nur „Jugend forscht“, sondern auch „BKA forscht“. Es will immer auf dem neuesten Stand der Technik sein, egal ob sie irgendwann einmal angewandt wird oder nicht, so der Staatssekretär. Im Innenausschuss fiel kein Wort darüber, dass man das schon macht. Die Beantwortung der Frage enthielt immerhin einen Hinweis: Man hat das schon einmal gemacht, als Durchsuchung nach § 102 StPO, die vom Ermittlungsrichter am BGH angeordnet wurde, so die Antwort Ihres Kollegen Hanning vom Bundesministerium des Innern. Wir waren zu diesem Zeitpunkt immer noch relativ arglos. Ich habe noch einmal schriftlich gefragt, ob die Durchsuchung den Betroffenen mitgeteilt wurde. Die Antwort steht noch aus. ({0}) - Herr Wiefelspütz, inzwischen wissen wir aber, dass es hier um etwas ganz anderes geht: Das war die Premiere des Staates als Hacker. ({1}) Wir werden in Zukunft nicht mehr nur vom großen Lauschangriff, sondern auch vom staatlichen Hacken reden, auch wenn Sie wieder, wie beim großen Lauschangriff, semantische Bemühungen aufbringen. Damals haben Sie versucht, den großen Lauschangriff hinter Begriffen wie akustische Wohnraumüberwachung verschwinden zu lassen. ({2}) Dieser Eingriff erfolgte heimlich. Das Bundesministerium der Justiz ist heute noch nicht in der Lage, klare Aussagen zu machen, sondern lässt nur Bedenken durchscheinen. ({3}) - Für den Staatssekretär mag das eine bedeutsame Äußerung gewesen sein. Lieber Kollege Benneter, wenn erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik diese Maßnahme von staatlichen Organen ergriffen wird, erwarte ich, dass das BMJ vorher informiert sowie nach seiner Meinung gefragt wird ({4}) und dass es eine Meinung hat, die es äußern kann. Das fehlt bis heute. ({5}) Dann sagt Kollege Kauder: Nun regt euch doch nicht auf, die Strafprozessordnung ist von 1877 und da gab es noch keine Hacker. So weit hat er Recht. ({6}) - Der Herr Staatssekretär hat es - die Amtssprache ist Deutsch - eingedeutscht. ({7}) Sie dürfen die englische Aussprache des Begriffs Hacker verwenden, aber ich bleibe bei der deutschen. Hacker gab es 1877 wirklich noch nicht. ({8}) Es gab jedoch strenge Formvorschriften für Durchsuchungen. Nichts ist so öffentlich in unserer Rechtsordnung wie die Durchsuchung. ({9}) Nachbarn oder Hausgenossen sind hinzuzuziehen; so lautet es in der StPO. ({10}) Der Wohnungsinhaber oder der Inhaber der Sache ist sofort zu benachrichtigen. Die Polizeibeamten dürfen Unterlagen nicht einmal einsehen. Sie haben sie in einen versiegelten Umschlag zu legen und den Staatsanwälten zu übergeben. Das heißt, nichts ist zu Recht von der Form her so streng geregelt wie eine Durchsuchung. Sie gehen nun hin und pusten das alles weg. Sie sagen: In Analogie machen wir das alles jetzt heimlich. Sie schaffen damit alle Verfahrenssicherungen ab und wollen uns erklären, dass dies immer noch eine zulässige Analogie sei. Das kann doch nicht wahr sein. ({11}) Dies ist eine dreifach verfassungswidrige Packung. Es gibt eine Telekommunikationsüberwachung, ohne dass die gesetzlichen Grundlagen dafür vorliegen. Es gibt eine Durchsuchung, ohne dass die gesetzlichen Grundlagen dafür vorliegen. Es kann sogar noch als Drittes, wenn eine so genannte Webcam ({12}) - das ist eine Kamera, die den Raum aufnimmt - und ein Mikrofon aktiviert werden, ein großer Lauschangriff sein. Das ist eine dreifach verfassungswidrige Packung, die uns als Normalzustand verkauft wird. Das kann ja wohl nicht wahr sein. ({13}) Es geht um den Schutz im Bereich der privaten Lebensgestaltung. Es geht um die Unverletzlichkeit der Wohnung. Es geht auch um den Schutz dessen, was man ansonsten immer deutlich unter staatlichen Schutz stellt, zum Beispiel ein Tagebuch, also Privates.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern. ({0})

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Abschließend: Wir sind von dieser Regierung einiges Chaos gewohnt. Aber es ist doch etwas anderes, wenn unsere Strafverfolgungsorgane nun so handeln wie der Chaos Computer Club. Das wollen wir nicht. Es gibt schärfsten Protest von unserer Seite. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun die Kollegin Daniela Raab für die CDU/CSU-Fraktion.

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich wirklich sehr für die Fraktion der Grünen, dass Sie nach monatelangem Suchen nun endlich wieder ein Thema gefunden haben, und zwar eines Ihrer Lieblingsthemen: Abhör- und Überwachungsmaßnahmen. ({0}) Jetzt sind Sie mit einer Verve auf die Überwachungspalme gestiegen und ich hoffe, dass Sie nicht herunterDaniela Raab fallen, sondern sie ordnungsgemäß wieder verlassen können. Worum geht es eigentlich? Es geht um Onlineuntersuchungen - vornehmlich durch das Bundeskriminalamt auf Computern von Verdächtigen. Sprich: Der Rechner einer Zielperson wird mittels eines verdeckt installierten Programms auf verfahrensrelevante Daten durchsucht. So weit, so gut. ({1}) Nun hat es bislang noch keine - der Herr Staatssekretär hat es vorhin, wie ich finde, glasklar ausgeführt - derartigen Untersuchungen durch das Bundeskriminalamt gegeben. Aha! Es gibt einen Beschluss eines BGH-Ermittlungsrichters vom Februar dieses Jahres, nach dem solche Maßnahmen zulässig sind. In der Zwischenzeit gab es noch zwei Beschlüsse des Amtsgerichts Bonn. Jetzt gibt es einen gegenteiligen Beschluss des BGH, gegen den die Generalbundesanwaltschaft Beschwerde eingelegt hat. Über diese Beschwerde ist bis heute nicht entschieden. ({2}) Aha! Dann haben sich die Grünen auf ihrer Überwachungspalme überlegt: ({3}) Es wäre doch prima, sozusagen im vorauseilenden Gehorsam über dieses Thema im Plenum zu debattieren. ({4}) Wen interessiert schon Gewaltenteilung? ({5}) Halten wir einmal fest, was Fakt ist: Die Entwicklung dieser so genannten Onlineuntersuchungen ({6}) - Herr Ströbele, beruhigen Sie sich und hören Sie mir zu; dann können Sie noch etwas lernen ({7}) befindet sich noch in den Kinderschuhen. Die technischen Voraussetzungen dafür sind noch lange nicht gegeben. Auch wenn Sie hier Chaos verbreiten wollen, ({8}) muss ich Ihnen sagen: Es ist beileibe keine generelle und wahllose Nutzung dieser Maßnahmen geplant, sondern es handelt sich um technisch und personell höchst aufwendige Einzelfallentscheidungen. Der Innenminister von NRW - er gehört Ihrer Partei an, Herr van Essen ({9}) hat in seiner Pressemitteilung vom 19. Oktober dieses Jahres mitgeteilt: „Wer die Überprüfung von Daten auf Rechnern potenzieller Terroristen für einen Einbruch in den grundgesetzlich geschützten Wohnraum hält, hat das Wesen des Internets nicht verstanden.“ … ({10}) Der Nutzer befinde sich weltweit online - das Wort „weltweit“ ist in der Abkürzung www übrigens enthalten; so viel zum Thema Englischkenntnisse ({11}) und verlasse damit bewusst und zielgerichtet die geschützte häusliche Sphäre. „Der Standort des Computers ist dabei völlig unerheblich. Es findet zudem keinerlei Überwachung der Vorgänge in der Wohnung selbst statt,“ … ({12}) - So viel zum Gerücht in Bezug auf die Nutzung einer Webcam. - So weit die Ausführungen Ihres Kollegen aus NRW. ({13}) Fest steht außerdem, dass wir unsere Polizei in die Lage versetzen müssen, im Hinblick auf die bestehenden technischen Möglichkeiten, die immer weiter fortschreiten, mithalten zu können. Dabei geht es um den Grundrechtsschutz. Wir haben diese Diskussionen schon oft geführt. Ich denke, ich muss nicht extra betonen, dass wir uns in diesem Punkt sehr einig sind. ({14}) Dass der Grundrechtsschutz und natürlich auch die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen eine immens große Rolle spielen müssen, ist völlig klar. Dass bei der Durchführung solcher Maßnahmen vonseiten der Justiz und vonseiten der Polizei auch bisher ausgesprochen sensibel umgegangen wurde und dass sie immer das letzte Mittel waren, das nur dann zum Einsatz kam, wenn man bei den Ermittlungen nicht mehr vorankam, ist nichts Neues, ist hinlänglich bekannt und wird von uns befürwortet. Für mich und für meine gesamte Fraktion kann ich feststellen: Wir haben vollstes Vertrauen ({15}) in unsere Polizei und im Übrigen auch in unsere Justiz. ({16}) Terrorbekämpfung - darum handelt es sich hier muss effektiv sein. Sie funktioniert nur dann, wenn wir die Polizei in technischer Hinsicht auf Augenhöhe mit den Terrorverdächtigen ermitteln lassen. Alles andere wäre zwecklos. Deswegen müssen wir uns gut überlegen, wie wir reagieren. Jetzt sollten wir uns erst einmal beruhigen. ({17}) Der eine oder andere sollte von seiner Überwachungspalme herabsteigen. Wir sollten die Entscheidung über die Beschwerde, die nach wie vor beim BGH anhängig und noch nicht terminiert ist, abwarten. Dann können wir uns gerne wieder über dieses Thema unterhalten. Vielen Dank. ({18})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Jörg van Essen für die FDP-Fraktion.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss gestehen, dass ich ein bisschen Probleme damit habe, zu diesem Thema zu reden, weil ich als Angehöriger der Justiz ({0}) sehr darauf achte, dass sich der Bundestag nicht in einen schwebenden Rechtsstreit einmischt. ({1}) Um einen solchen schwebenden Rechtsstreit handelt es sich allerdings, und zwar zwischen der Generalbundesanwältin und dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof. ({2}) - Herr Wiefelspütz, das brauchen Sie mich gar nicht zu fragen. ({3}) Das Auftreten, das Sie gerade wieder präsentieren, kenne ich aus unserem Wahlkreis: Immer dann, wenn Sie besonders schlechte Argumente haben, sind Sie besonders laut. ({4}) Es ist schön, dass Sie dieses Verhalten auch im Bundestag vorführen. Aber es wird dadurch nicht besser. Es wird auch nicht dadurch besser, wenn man Sie immer so im Wahlkreis erlebt. Da dieses Thema heute auf der Tagesordnung steht, sollte dazu auch etwas gesagt werden, insbesondere deshalb, weil es zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen Überlegungen gibt, die in die gleiche Richtung gehen. Das haben Sie, Frau Kollegin Raab, zu Recht gesagt. Aber es besteht ein großer Unterschied zu dem, worüber wir heute diskutieren. ({5}) - Genau so ist es. Dort wird für eine einwandfreie gesetzliche Grundlage gesorgt. ({6}) Darüber können wir, wie ich meine, sehr wohl diskutieren. Denn es ist die ureigene Aufgabe des Parlaments, sich dann, wenn sich bestimmte Fragen stellen, Gedanken darüber zu machen, wie die gesetzliche Grundlage aussehen sollte. ({7}) Dazu muss auch die heutige Debatte dienen. Ich will die Position der FDP zu diesem Thema klar und deutlich formulieren. Da ich selber in einer Staatsschutzabteilung in der Strafverfolgung tätig war, weiß ich - das will ich ganz deutlich sagen -, dass es solche Fallgestaltungen geben kann. Aber dann ist es für mich vollkommen klar in einem Rechtsstaat, dass wir dafür eine einwandfreie rechtliche Grundlage brauchen, ({8}) und zwar eine einwandfreie rechtliche Grundlage, die auch zu einer vernünftigen Abwägung der Interessen führt, wo beispielsweise der Verdacht abgewägt wird gegen den Eingriff, der im Einzelfall erfolgt. Ich finde das, was der Ermittlungsrichter in dem Streit, den ich am Anfang angesprochen habe, an Überlegungen angeführt hat, sehr nachdenkenswert. Frau Kollegin Raab, es ist nämlich nach meiner Auffassung bei der Durchsuchung eines Computers nicht der Fall, dass man in bestehende Internetverbindungen einJörg van Essen greift, sondern die Durchsuchung eines Computers soll sich doch auch auf Dinge erstrecken, die man abgespeichert hat, die mit Internet und Kommunikation möglicherweise überhaupt nichts zu tun haben: eigene Notizen, sehr intime Dinge möglicherweise, die man sich auf seinen Computer geladen hat, Fotos, die man selbst gemacht hat, und tausend andere Dinge. Deshalb ist doch vollkommen klar, dass die Bestimmungen, die für die Telekommunikation gelten, hier nicht greifen können. Bei der Schwere des Eingriffs, der dort zu gewärtigen ist, ist doch auch zu sehen, dass eine Analogie, die im Strafrecht ohnehin nicht möglich ist, nicht herbeigeführt werden kann. ({9}) - Das brauchen Sie mir nicht zu sagen! - In diesem Fall halte ich eine Analogie nicht für zulässig; das ist doch ganz selbstverständlich. ({10}) Deshalb ist die Botschaft dieser Diskussion aus meiner Sicht - das ist angesichts der Dinge, die wir gerade in diesen Tagen diskutieren, auch meine herzliche Bitte an die Koalition -, dass wir unsere Rechtsordnung ernst nehmen und dass wir uns den Anforderungen stellen und dass wir das machen, was der Bürger zu Recht von uns erwartet: Gesetze, die die Prüfung - sei es durch den Bundespräsidenten, sei es durch das Bundesverfassungsgericht - unbeanstandet durchlaufen. Ich denke, dass es uns allen dient, wenn wir so vorgehen. Das ist jedenfalls das, was wir als FDP wollen, und dazu bieten wir auch Gespräche an. Aber, wie gesagt, wir kommen um eine vernünftige gesetzliche Grundlage nicht herum. Vielen Dank. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Bundesregierung erteile ich nun das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Alfred Hartenbach.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Kollege Wieland! Ich danke den Kollegen ausdrücklich dafür, dass sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben, bietet sie mir doch die Gelegenheit zu einigen Klarstellungen, die mir dringend geboten erscheinen, wenn ich an die Welle parlamentarischer Vorgänge denke, die die Debatte über die so genannte Onlinedurchsuchung in den letzten Tagen ausgelöst hat. Im Kern geht es um die Frage, ob - und gegebenenfalls: unter welchen Voraussetzungen - Ermittlungsbehörden via Internet auf private Computer zugreifen dürfen, um dort nach verfahrensrelevanten Inhalten zu suchen. Die Frage, in welchen Fällen und mit welchen Mitteln auch Ermittlungsbehörden die Möglichkeiten des Internets sollen nutzen dürfen, ist nicht neu. Sie wird unter verschiedenen Gesichtspunkten seit einiger Zeit in der Fachliteratur diskutiert. Praktisch relevant geworden ist die konkrete Fallgestaltung der so genannten Onlinedurchsuchung nach meinen Informationen im Zuständigkeitsbereich des Bundes erstmals durch einen Beschluss des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof im Februar dieses Jahres, durch den der Zugriff auf einen privaten Rechner unter Verwendung eines speziellen Computerprogramms angeordnet wurde. Diese Maßnahme ist seinerzeit wohl an technischen Problemen gescheitert, sie wurde letztlich nicht durchgeführt. Also, Kollege Wieland: Es ist nichts gemacht worden, wie Sie behauptet haben. ({0}) - Auch Hanning hat Ihnen nur geschrieben: „angeordnet“; lesen Sie einmal die Briefe, die Sie bekommen, genau durch! ({1}) In einem weiteren Beschluss aus dem letzten Monat hat der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof nunmehr - unter Abkehr von seiner früheren Rechtsauffassung - die Ansicht vertreten, dass eine Onlinedurchsuchung auf der Grundlage des geltenden Strafverfahrensrechts unzulässig sei. So ist das nun einmal. Aus diesem Grund hat er die beantragte Anordnung abgelehnt. Die Sache liegt jetzt dem zuständigen 3. Strafsenat zur Entscheidung vor. Bitte haben Sie daher Verständnis dafür, dass ich mich hier mit einer rechtlichen Bewertung der beantragten Maßnahme zurückhalten werde, um gar nicht erst den Eindruck aufkommen zu lassen, ich wollte Einfluss auf die Entscheidungsfindung des Senats ausüben. Wir alle werden dessen Entscheidung zunächst abwarten müssen. ({2}) Ganz allgemein möchte ich aber für das Bundesministerium der Justiz Folgendes deutlich machen: Eine Onlinedurchsuchung stellt einen tief greifenden Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen dar ({3}) und kann, wenn überhaupt, nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen unter strengster Beachtung der Verhältnismäßigkeit in Betracht kommen. Sollte der Senat den Beschluss des Ermittlungsrichters bestätigen und die Onlinedurchsuchung für unvereinbar mit dem geltenden Strafverfahrensrecht erklären, wird innerhalb der Bundesregierung sehr gründlich zu diskutieren sein, ob - und jetzt hören Sie bitte zu - überhaupt ein nennenswerter gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. ({4}) Hier wird es insbesondere Aufgabe der Ermittlungsbehörden sein, tragfähig darzulegen, worin der unverzichtbare Mehrwert dieser Maßnahme gegenüber dem vorhandenen Ermittlungsinstrumentarium besteht. Ich möchte Sie daher zum Schluss darum bitten, nicht vorschnell - so machen es die Grünen in letzter Zeit gerne - in eine hitzige Debatte über staatliches Hacking einzutreten. ({5}) - Können Sie überhaupt einen Computer bedienen, Herr Ströbele? ({6}) Wir sollten zunächst die Entscheidung des 3. Senats des Bundesgerichtshofes abwarten und auf dieser Grundlage sachlich darüber diskutieren, ob und wie wir eine effektive Strafverfolgung in Zeiten des Internets sicherstellen wollen. Vielen Dank. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Jan Korte für die Fraktion Die Linke. ({0})

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind auch heute wieder hier zusammengekommen, um über den Abbau von Grundrechten zu reden, so wie wir das schon in den letzten Wochen getan haben. Es ist die politische Dimension des Ganzen, dass Sie solche Maßnahmen hier im Wochenrhythmus durchführen. Aktuell lautet das Motto: Erst ausspionieren und dann die Rechtsgrundlage prüfen. Das ist mittlerweile gang und gäbe. ({0}) Ich will Sie darauf aufmerksam machen, dass wir beim Programm zur Stärkung der inneren Sicherheit, das Sie hier auch mal eben in einem Hauruckverfahren durchgepowert haben, bereits auf das Thema Onlinedurchsuchung aufmerksam gemacht und das kritisiert haben. Was aber soll die Grundlage für das staatliche Hacking sein? Die Regelungen zur Telekommunikationsüberwachung greifen wohl eher nicht, weil kein Kommunikationsvorgang überwacht wird; denn dieser ist bei einer eingegangenen E-Mail logischerweise bereits abgeschlossen. Das PC-Screening ist eine verdeckte Maßnahme. Der Beschuldigte wird es selten oder gar nicht bemerken. Das ist bei einer Hausdurchsuchung logischerweise anders, weil ein Zeuge anwesend ist. ({1}) Diese Regelung kann dementsprechend auch nicht greifen. Ich denke, dass das BMI jetzt versuchen wird, im Schnelldurchlauf irgendeine Regelung zu finden, die im Zweifel vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden wird, wie das bei Ihren Vorhaben mittlerweile üblich ist. Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Wenn sich Schäubles Chaoscomputerpolizei in einen Computer einhackt, hat sie nicht nur Zugriff auf E-Mails, was schon schlimm genug wäre, sondern - das ist hier heute schon zu Recht angesprochen worden - natürlich auch auf alle denkbaren privaten und intimsten Daten eines Menschen. ({2}) Das ist völlig inakzeptabel. ({3}) Eben hat die Kollegin Raab besonders bizarr argumentiert. Sie hat in etwa gesagt, wer ins Internet gehe, habe sein System, also das, was er im Internet macht, selbst so weit geöffnet, dass die Behörden Zugriff nehmen könnten. Man würde sich eh schon bloßstellen. ({4}) - Der ist in dieser Frage offensichtlich besonders inkompetent. ({5}) Das haben Sie hier vorgestellt. Das ist eine tolle Logik. Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen: Das wäre so, als würde ich zum Lüften das Fenster aufmachen und jeder dürfte reinklettern. Das ist Ihre Logik. ({6}) So funktioniert das nicht. ({7}) - Ja, das ist Ihre Logik. Ich finde sie ja auch absurd, aber ich kann es nicht ändern, dass Sie so etwas erzählen. Besser wäre es gewesen, die Rechtsgrundlage im Vorfeld zu überprüfen. Heute bringen Sie wieder dieselbe Argumentation wie immer. In Zeiten des Internets und des internationalen Terrorismus werden die Prävention und die Grundrechte weiter geschwächt und nach hinten gelagert, was völlig inakzeptabel ist. Ich möchte auch noch einmal sagen: Das ist wiederum eine Maßnahme in dem Gesamtkontext Antiterrordatei, Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz usw. usf. Jede Woche gibt es hier eine neue Maßnahme, die von den Bürgerinnen und Bürgern im Einzelfall vielleicht als nicht besonders schlimm empfunden wird, in der Summe gehen Sie mittlerweile aber an die Substanz einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Das tun Sie hier heute schon wieder. ({8}) Deswegen ist es richtig, darüber zu diskutieren und das abzulehnen. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun erteile ich dem Kollegen Siegfried Kauder für die Fraktion der CDU/CSU das Wort.

Siegfried Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003563, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Strafprozessordnung ist aus dem Jahre 1879. ({0}) Deswegen wird es immer wieder Sachverhalte geben, die nach modernen Gesichtspunkten nicht problemlos unter das Prozessrecht zu ordnen sind. Müssen wir die Strafprozessordnung deshalb bei fortschreitender Technologisierung jedes Jahr neu erfinden oder sollten wir nicht versuchen, diese Sachverhalte durch Analogieschlüsse unter ein bestehendes Prozessrecht zu subsumieren? ({1}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen, wo waren Sie eigentlich im Jahre 1979? ({2}) Ich korrigiere: 1997 wurde die hier diskutierte Thematik zum ersten Mal angesprochen. Dies ist in der BGH-Entscheidung nachzulesen, die in NJW 1997, Seiten 1934 ff. abgedruckt ist. Es ging dort um das Abhören und Durchforsten einer Mailbox. Genau dort wurde zum ersten Mal darüber debattiert, ob das eine Telekommunikationsüberwachung oder etwas anderes ist. Das war der Einstieg in eine juristische Debatte. Hierzu hätte man auch die FDP sehr schön einladen können. Es hat also wenig Sinn, den schwarzen Peter jetzt an denjenigen zu schieben, der gerade an der Regierung ist. Wichtig ist, dass wir sachgerechte Lösungen finden. ({3}) Eines sollten wir auch beachten: Wir müssen zwischen präventiv-polizeilichen Maßnahmen und repressiven Maßnahmen gemäß der Strafprozessordnung unterscheiden. Ich empfehle jedem, den vorletzten Satz der Entscheidung des Ermittlungsrichters am Bundesgerichtshof vom 25. November 2006 zu lesen. Dort wird sehr schön ausgeführt: Präventiv-polizeiliche Maßnahmen sind von dieser Entscheidung nicht berührt. ({4}) Wir werden uns also erst einmal diesen polizeilichen Bereich vornehmen und uns fragen müssen, ob diese Onlinedurchsuchung gemäß der Gesetzeslage zulässig ist oder nicht. Dann kommen wir zum strafprozessualen Teil. Ich empfehle jedem - es rentiert sich tatsächlich -, den Aufsatz des Oberstaatsanwalts beim Bundesgerichtshof Hofmann in der NStZ 2005, Seite 121 ff. zu lesen. Er hat die gesamte rechtliche Situation sehr detailliert analysiert und ist zu einem überraschenden Ergebnis gekommen, das heute noch niemand vorgetragen hat: Die Onlinedurchforstung eines PCs ist weder eine Hausdurchsuchung noch eine Telekommunikationsüberwachung. ({5}) Es ist ein Institut sui generis. Darüber müssen wir uns einmal klar werden. ({6}) Durch keine der bestehenden strafprozessualen Vorschriften ist dieser Sachverhalt unmittelbar abgedeckt. Jetzt müssen wir weiter prüfen, ob eine Analogie mit bestehenden prozessualen Vorschriften möglich ist oder nicht. Wir alle wissen: Das Analogieverbot in Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz wirkt bei strafprozessualen Vorschriften nicht. Dieses Verbot besteht also nicht. Wir müssen jetzt genau überlegen, ob dieser Sachverhalt durch bestehende strafprozessuale Vorschriften in analoger Anwendung abgedeckt wird oder nicht. ({7}) Der Gesetzgeber darf sich dabei sehr wohl nach den Entscheidungen des Bundesgerichtshofes richten. Für uns war nun einmal die Entscheidung vom 21. Februar 2006 maßgeblich, in der der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes gesagt hat: Dieser Sachverhalt wird durch die Siegfried Kauder ({8}) analoge Anwendung von § 102 und § 103 Strafprozessordnung abgedeckt. ({9}) Das war die damalige Rechtslage. Die Rechtslage hat sich durch den bereits zitierten Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 25. November 2006 geändert. Ein Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes sah die Sachlage auf einmal anders. Wenn sich aber zwei Entscheidungen gegenüberstehen, ist es doch sinnvoll, erst einmal abzuwarten, wie der Bundesgerichtshof über die Beschwerde entscheidet. ({10}) Ich verhehle es aber nicht: Diese Entscheidung des Bundesgerichtshofes könnte uns Anlass geben, festzustellen, dass uns die analoge Anwendung zu wenig ist ({11}) und dass wir über eine gesetzlich fundierte Grundlage nachdenken müssen. Dazu sind Sie alle eingeladen. Wir müssen dann auch prüfen, welche Rechtsmittelmöglichkeiten und Informationsmöglichkeiten bestehen. ({12}) Meines Erachtens lässt sich das Vorhaben durchaus von den gesetzlichen Regelungen abdecken, weil nach den Vorschriften der §§ 105 bis 107 der Strafprozessordnung der von der Durchsuchung Betroffene nur dann zu informieren ist, wenn die Möglichkeit dazu besteht. Besteht die Möglichkeit aufgrund der technischen Gegebenheiten nicht, dann greifen diese Vorschriften also nicht. Fazit: Wir müssen abwarten, bis die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vorliegt, ({13}) und dann völlig unaufgeregt prüfen, ({14}) ob die Gesetzeslage ausreicht, und sie gegebenenfalls korrigieren. Vielen Dank. ({15})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun die Kollegin Silke Stokar von Neuforn für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

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, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich erinnere mich an Zeiten, als eine Justizministerin, vor der ich noch heute Hochachtung habe, zurückgetreten ist, weil sie keine gesetzliche Ermächtigung für den großen Lauschangriff schaffen wollte. Heute diskutieren wir - hauptsächlich unter den Juristen des Hauses - die Anwendung einer Maßnahme, die - das geht aus dem jüngsten Beschluss des Bundesgerichtshofes hervor genauso schwer wiegt wie der große Lauschangriff. Das BKA hat bereits versucht, diese Maßnahme anzuwenden, und zwar ohne gesetzliche Grundlage in einer Grauzone nach dem Motto: Versuchen wir erst einmal, die Onlinedurchsuchung von PCs durchzuführen; irgendein Jurist wird schon eine gesetzliche Grundlage dafür finden. Der Haushaltsausschuss und der Innenausschuss sollen dann die Bereitstellung von Mitteln für entsprechende Investitionen beschließen. Sie aber als Gesetzgeber im Bundestag schlagen dazu vor, erst einmal abzuwarten, ob die - zum Glück eingegangenen Beschwerden dagegen Erfolg haben und wie die Richter entscheiden. Was ist das für ein Verständnis vom Parlament als Gesetzgeber? ({0}) Ich möchte Ihnen in einfachen Worten den Unterschied zwischen einer Wohnungsdurchsuchung und dem heimlichen Eindringen in einen Computer erläutern. Die Hackerbeamten des BKA werden sich nicht per E-Mail bei mir anmelden, sozusagen an meiner PC-Tür klingeln. Sie werden mir auch keinen richterlichen Durchsuchungsbeschluss per Internet vorlegen. Sie werden mir nicht mitteilen, wogegen sich die Maßnahme richtet und welche meiner vielen Daten im PC sie beschlagnahmen wollen. Sie werden auch nicht zulassen, dass ich Zeugen hinzuziehe, die die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahmung mit überprüfen, und hinterher werde ich kein Protokoll erhalten. Sie wollen ohne gesetzliche Grundlage zulassen - es wird sich zeigen, ob wir tatsächlich eine finden -, dass der Staat in meinen PC eindringt - an der Stelle ist der Ausdruck Hacker genau richtig - und in mein Onlinebanking Einblick nimmt. Wofür haben wir denn hier diskutiert und entschieden, dass die Sicherheitsbehörden allerhöchstens auf die Stammdaten der Banken Zugriff bekommen dürfen? Sie können sonst mein Onlinebanking nachvollziehen und erkennen, ob ich private Mails austausche. Das gilt nicht nur für den Zeitpunkt des Austausches. Ich bin nicht in der Lage, die Mails zu löschen. In meiner Wohnung kann ich von Zeit zu Zeit etwas wegwerfen; das ist dann auch weg. Auf einer Festplatte ist das anders. Selbst wenn ich mit dem Befehl „Papierkorb leeren“ etwas lösche, ist es nicht wirklich weg. Die BKA-Hacker können auf der Festplatte all das rekonstruieren, was ich mir gar nicht mehr zu Eigen mache. Sie haben mit dem Versuch des Vergleichs zwischen einer Hausdurchsuchung und dem heimlichen Eindringen in einen PC gezeigt, dass Sie offensichtlich die virtuelle Welt der PCs nicht begreifen. ({1}) Der PC bzw. das Gehäuse des PCs ist mehr als meine eigenen vier Wände. Hier haben meine Seele und meine Gedanken einen Platz. Hier findet mein komplettes Privatleben statt. Meine Damen und Herren von der FDP, ich bedauere es sehr, dass Sie nicht darüber nachdenken, ob Sie das wollen. Ihr Innenminister Wolf in NRW schafft die gesetzliche Grundlage. Das heißt, Sie wollen es. Für die Fraktion der Grünen kann ich nur sagen: Wir wollen es nicht. ({2}) Für uns gilt das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum großen Lauschangriff, das den Kernbereich des persönlichen Lebens schützt. Aber das wurde von Ihnen gar nicht angesprochen. Sie missachten andauernd Bundesverfassungsgerichtsurteile, hier insbesondere das zum großen Lauschangriff, weil Sie meinen, dass die Terrorismusbekämpfung - Sie benutzen dieses Wort auch in anderen Fällen - rechtfertigt, dass der Staat über mich alles wissen darf, dass nichts, aber auch gar nichts im Verborgenen bleiben darf. Das ist die Mentalität, die ein Überwachungsstaat zeigt. ({3}) Aber der Rechtsstaat setzt Grenzen. Eine der Grenzen zeigt zum Beispiel das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff auf. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Mein letzter Satz: Sie sollten zugeben, dass das Bundeskriminalamt in alter Manier versucht hat - das erinnert mich an die 70er-Jahre; zum Glück ist es öffentlich geworden -, eine neue Ermittlungsmethode auszuprobieren, die zwar in der Strafverfolgung vermutlich gar keine Rolle spielt, ({0}) wohl aber im präventiven Bereich für die Nachrichtendienste. Sie wollen nicht nur den öffentlichen Raum überwachen, sondern auch auf alle Daten der persönlichen Kommunikation zugreifen. Wir sagen: Es muss Grenzen geben. Danke schön. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Klaus Uwe Benneter für die SPD-Fraktion.

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollegin Stokar, richtig ist: Der Rechtsstaat setzt Grenzen. Diese sind hier eingehalten. Aber davon sprechen Sie nicht. Wenn man Sie hört, dann denkt man, dass das BKA wild geworden ist ({0}) und irgendwelche PC-Durchsuchungen online durchgeführt hat. Tatsächlich lagen jeweils richterliche Beschlüsse zugrunde. Das ist das Entscheidende. Das ist das, was den Rechtsstaat auszeichnet. ({1}) Die Richter sind bislang davon ausgegangen, dass man die bestehenden Möglichkeiten nach der Strafprozessordnung hier entsprechend anwenden kann. Nun gibt es zum ersten Mal einen Ermittlungsrichter beim BGH, der das anders sieht. Es soll ja vorkommen, dass Richter unterschiedlicher Meinung darüber sind, wie der Rechtsstaat am besten funktioniert. ({2}) Herr Kollege Wieland, aber was ist denn daran aktuell? Das Problem kennen sicherlich alle, die den Aufsatz des Oberstaatsanwalts Hofmann vom März 2005 zur Kenntnis genommen haben. Das Problem ist altbekannt. ({3}) Tatsache ist, dass uns heute bekannt ist, dass es in diesem Jahr schon mehrfach gemacht wurde, und zwar mit entsprechender richterlicher Anordnung. Das ist das Entscheidende, was den Rechtsstaat ausmacht. ({4}) Insofern ist es nicht in Ordnung, wenn Sie von BKAHackern sprechen. ({5}) Vielmehr hat das Justizministerium Recht, in seiner Zuständigkeit zu sagen: Wir warten die Beschwerdeentscheidung in Karlsruhe ab. ({6}) Das wird eine BGH-Entscheidung, eine höchstrichterliche Entscheidung sein. ({7}) Die wird uns sicher einen Fingerzeig geben, wie die BGH-Richter das sehen. Unabhängig davon - insofern ist es sicher richtig sind auch wir als Abgeordnete aufgefordert, selbst darüber nachzudenken, ob hier Handlungsbedarf besteht. ({8}) Ich sehe, Herr Kollege Montag, hier sehr wohl Handlungsbedarf. ({9}) Die Erörterungen des Oberstaatsanwalts Hofmann haben mich jedenfalls nicht überzeugt; ({10}) denn er hat alles durchgeprüft, was bisher in der Strafprozessordnung dazu steht, und er ist zur Auffassung gelangt, dass die Bestimmungen nur entsprechend angewandt werden könnten. Ich halte es durchaus für relevant, wenn hier darauf hingewiesen wird, dass das ein sehr tiefer Eingriff in Persönlichkeitsrechte ist oder jedenfalls sein kann. ({11}) Das ist von Kollegen Hartenbach zugestanden worden. Man sollte überlegen, ob das Instrumentarium, das wir dazu in der Strafprozessordnung haben, ausreicht. ({12}) Insofern bin ich durchaus dankbar, dass dieses Problem in der Fragestunde angesprochen wurde. Aber wir brauchen doch dazu keine Aktuelle Stunde. Denken Sie sich etwas aus, womit Sie den neuen Informationstechniken ein Netzwerk der Sicherheit entgegensetzen können! Ihren Zwischenrufen - nicht Ihren Ausführungen habe ich entnommen, dass Sie generell etwas gegen diese Maßnahme haben, ({13}) dass Sie es generell nicht für wünschenswert und zulässig halten, dass man auf diese Art und Weise zu Erkenntnissen kommt. ({14}) - Herr Kollege Wieland, genau da - das muss ich Ihnen sagen - liegt der Unterschied zwischen uns. Ich denke, wir müssen in der Lage sein, dem Netzwerk des Terrorismus und der schwersten Kriminalität ein Netzwerk der Sicherheit und des rechtsstaatlichen Vorgehens entgegenzusetzen. ({15}) Natürlich muss der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gesichert sein. ({16}) Wir wissen, dass private Daten auf einem PC gespeichert sein können und dass man online darauf zugreifen könnte. Dann muss klar sein, dass bei einem Zugriff solche Daten und Erkenntnisse nicht berücksichtigt werden, wie es in der Strafprozessordnung bei der akustischen und optischen Wohnraumüberwachung im Hinblick auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geregelt ist. ({17}) Das werden wir auch in diesem Bereich machen müssen. Wir werden klarstellen müssen, dass der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung außen vor bleibt. Insofern sind wir hier auf einem richtigen Weg. ({18}) Wir als Regierung brauchen von der Opposition nicht darauf hingewiesen zu werden. Danke schön. ({19})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun erteile ich dem Kollegen Helmut Brandt für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Jeder Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist schwerwiegend und bedarf daher gründlicher Prüfung. Dabei ist erstens immer darauf zu achten, ob ein solcher Eingriff überhaupt notwendig ist und hinreichende Gründe dafür vorliegen. ({0}) Die zweite Frage ist, ob eine Rechtsgrundlage für einen solchen Eingriff besteht. ({1}) - Herr Kollege Wieland, Sie folgen mir. - Es stellt sich mithin erstens die Frage, ob die so genannte Onlinedurchsuchung bei bestimmten Fallkonstellationen für die Ermittlungsbehörden notwendig ist, und, falls man das bejaht - das haben wir gerade getan -, stellt sich zweitens die weitere Frage, aufgrund welcher Rechtsgrundlage der Eingriff geschieht. Bei vorliegenden Verdachtsmomenten der Gründung einer terroristischen Vereinigung beispielsweise im Sinne des § 129 a StGB oder bei vergleichbaren anderen Verdachtsfällen kann sich aus nachvollziehbaren - ich meine, man muss sagen: offenkundigen - Gründen die Notwendigkeit ergeben, die Ermittlungen verdeckt und ohne Kenntnis des Verdächtigen zu führen. Erfolgversprechend können solche Ermittlungen in bestimmten Fällen nur dann sein, wenn auch der Zugriff auf den Computer eines Verdächtigen erfolgen kann. Es ist allgemein bekannt, dass sich Terroristen in besonderer Weise moderner Technik bedienen und Absprachen zu schweren Verbrechen sowie die Vorbereitung und die Anleitung zur Durchführung von Verbrechen heute über die modernen Medien vermittelt und durchgeführt werden. Die Ermittlungsbehörden müssen daher zur Erfüllung ihrer Aufgaben im präventiven wie auch im repressiven Bereich nicht nur die notwendigen technischen Möglichkeiten erhalten, sondern sich auch auf einer sicheren rechtlichen Grundlage bewegen. ({2}) Ich bin bis heute davon ausgegangen, dass dies im ganzen Haus konsensfähig ist. Bei Ihnen, Herr Wieland, habe ich inzwischen Zweifel. Ich bejahe also die erste Frage. Als nächstes stellt sich die Frage nach der Rechtsgrundlage bei Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Soweit mir bekannt, gibt es zwei aktuelle Entscheidungen des Bundesgerichtshofes - sie sind eben schon genannt worden -, allerdings - auch das ist mehrfach gesagt worden - noch keine Senatsentscheidung. Eine solche ist aber zu erwarten. Auch nach meiner Auffassung hätte es der Debatte gut getan, wenn wir diese Entscheidung abgewartet hätten. Herr Kollege Wieland, Sie können mir auch nicht erzählen, dass Sie arglos sind; ich habe den Eindruck, dass Sie noch nie arglos waren. ({3}) Sie können mir auch nicht erzählen, dass die jetzt provozierte Debatte mehr darstellt als Aktionismus. ({4}) Mit der Entscheidung vom 21. Februar hat der Richter am Bundesgerichtshof, gestützt auf die Vorschriften der §§ 102 ff. StPO, die Onlinedurchsuchung angeordnet und für rechtmäßig erklärt. Erlauben Sie mir, dass ich aus dieser Entscheidung ein paar Passagen zitiere. Da heißt es: Der Anwendbarkeit des § 102 StPO steht - jedenfalls bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden nicht entgegen, dass die Ermittlungsmaßnahme ohne Wissen des Betroffenen, also heimlich durchgeführt werden soll. Weiter heißt es dann: Es trifft insbesondere nicht zu, dass eine heimliche Durchsuchung beim Verdächtigen ein unzulässiges, durch die §§ 102 ff. StPO nicht gedecktes Ausforschen darstellt. Wenige Zeilen später liest man: Den das Ermittlungsverfahren regelnden Vorschriften der Strafprozessordnung lässt sich ein zwingender Grundsatz der Offenheit staatlichen Handelns nicht entnehmen. Vielmehr sind prinzipiell auch heimliche Ermittlungsmaßnahmen zulässig. ({5}) Ich meine, das müsste Gemeingut sein. Ich füge noch hinzu, Herr Wieland: Um gerade in diesem Bereich erfolgreich ermitteln zu können, setzen die Ermittlungsmaßnahmen Heimlichkeit voraus. Bei der jüngsten Entscheidung vom 25. November wurde vom Ermittlungsrichter eine gegenteilige Auffassung dargestellt. Er hat die Auffassung vertreten, dass die notwendige gesetzliche Grundlage fehle. Diesen juristischen Streit werden wir heute nicht klären können. Ich sagte es bereits: Abzuwarten ist zunächst die Senatsentscheidung. Wichtig ist aber für mich folgende Feststellung: Aufgrund der Eingriffsqualität hat in beiden, also in allen bislang bekannt gewordenen Fällen, die Ermittlungsbehörde den Richtervorbehalt eingehalten und sich mithin rechtmäßig verhalten. In diesem Zusammenhang von „BKA-Hackern“ zu sprechen, halte ich für eine Zumutung. Das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen. ({6}) Dabei ist noch zu erwähnen - das ist auch schon gesagt worden -, dass es trotz des positiven Beschlusses vom Februar dieses Jahres im ersten Fall gar keine Onlinedurchsuchung gegeben hat. ({7}) Herr Wieland, auch das wissen Sie und haben eben das Gegenteil bekundet. Es hat keine Onlinedurchsuchung gegeben. ({8}) Deshalb bedarf es auch keiner Offenbarung. Viel Aufregung um nichts. Wir wollen - Herr Wieland, offensichtlich im Gegensatz zu Ihnen -, dass die Ermittlungsbehörden in der Lage sind, die vom internationalen Terrorismus ausgehenden Gefahren effektiv zu bekämpfen. Bislang hatten wir neben Erfolgen auch viel Glück, dass es noch keine schwerwiegenden Anschläge in Deutschland gegeben hat. Auf Glück wollen wir die Sicherheit in Deutschland aber nicht bauen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Sollte es sich daher als notwendig erweisen ({0}) - das ist keineswegs populistisch -, für eine Onlinedurchsuchung eine weitere gesetzliche Grundlage zu schaffen, so wird sich der Gesetzgeber, also wir, hiermit beschäftigen müssen. Wir werden dann, soweit sich das als notwendig erweist, auch tätig werden. Ich danke Ihnen. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Dr. Dieter Wiefelspütz für die SPD-Fraktion.

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Frage der Zulässigkeit der Onlinedurchsuchung gibt es unterschiedliche Auffassungen. Insoweit ist es nicht angemessen, dieses Thema zu skandalisieren. Ich habe auch Verständnis dafür, dass sich die Bundesregierung vor dem Hintergrund einer noch ausstehenden Senatsentscheidung zurückhält. Aber wir alle miteinander sind frei gewählte Abgeordnete des deutschen Volkes; wir dürfen selber darüber nachdenken. ({0}) - Das gilt sogar für Sie, Herr Wieland. Ich muss Ihnen freimütig sagen, dass mich die Entscheidung des Ermittlungsrichters am Bundesgerichtshof, Herrn Hebenstreit, sehr überzeugt hat. Der Mann hat sich nach meiner Überzeugung um den Rechtsstaat verdient gemacht. ({1}) Ich will überhaupt nicht in Abrede stellen, dass ich Onlinedurchsuchungen für unverzichtbar halte. Es gibt einen Aufsatz, der schon mehrfach zitiert worden ist, aus dem ich - mit Ihrer Erlaubnis - nur einen Satz vorlesen will: Für die Onlinedurchsuchung besteht bei der Bekämpfung der Schwerkriminalität und des Terrorismus zur Aufrechterhaltung einer effektiven Strafverfolgung ein unabweisbares Bedürfnis. Ja, das ist richtig. Aber - die Frage muss erlaubt sein - haben wir eine ausreichend klare, präzise Eingriffsgrundlage? Das ist doch die entscheidende Frage. Auch Sie vonseiten der Bündnisgrünen werden nicht in Abrede stellen, dass wir Onlinedurchsuchungen in bestimmten Fällen benötigen, aber mit einer klaren, eindeutigen Rechtsgrundlage. ({2}) Das ist Rechtsstaat, nichts anderes. Ich will Ihnen freimütig sagen - man kann ja an dieser Stelle anderer Auffassung sein, zum Beispiel, das alles reiche -: Die heimliche Onlinedurchsuchung ist - bei allem Respekt, Herr Kauder - ein schwerwiegender Grundrechtseingriff. ({3}) Dass der Rechtsstaat heimlich tätig wird, kann in bestimmten Fällen unausweichlich sein. Aber die Messlatten für Normenklarheit, für Rechtssicherheit, für Absicherungen im Hinblick auf Grundrechtsschutz müssen an dieser Stelle besonders hoch sein. ({4}) Darüber kann es keinen Streit geben. Deswegen müssen wir uns an dieser Stelle besonders viel Mühe geben. Ich sage das jetzt ohne Hochmut und ohne Besserwisserei, Herr Kauder: Wenn ich auf diesem sensiblen Gelände jemanden von Analogien oder von sui generis reden höre, bekomme ich - ich sage es einmal etwas flapsig - sofort Frostbeulen. Der Rechtsstaat erlaubt nicht, dass wir da mit Analogien oder mit der Rechtsfigur sui generis arbeiten. ({5}) Wir Juristen kennen ja alle viele Argumentationsmuster. Ich sage das ohne Vorwurf. Es gibt unterschiedliche Entscheidungen, unterschiedliche Literatur dazu. Für Skandalisierung gibt es keinen Grund. Aber ich bin schon der Auffassung, dass der Deutsche Bundestag als Gesetzgeber den Auftrag hat, sich das sehr genau anzuschauen. ({6}) Meine Meinung muss nicht die allein maßgebliche sein. Aber ich habe den Eindruck, dass wir das Phänomen Internet auch vor dem Hintergrund der Veränderung unserer Verhaltensweisen, auch der intimen Bereiche - was ist Menschenwürde, was ist Privatheit an dieser Stelle? -, noch nicht wirklich ausgemessen haben. Ich rate sehr dazu, die Diskussion auszuweiten. Wir reden heute ja „nur“ über einen strafprozessualen Zugriff. ({7}) Was ist denn mit dem Verfassungsschutz? Was ist mit Jugendschutz? Was ist mit Terrorismusbekämpfung im Internet? ({8}) Wir wissen alle, dass das Internet auch eine Herausforderung ist. Es ist ein wunderbarer neuer Freiheitsraum, ein Raum freier Kommunikation über die Kontinente hinweg. Es ist etwas zutiefst Demokratisches und gleichzeitig ein explodierender Wirtschaftsraum. Es ist aber auch ein Raum schwerster und schlimmster Verbrechen. ({9}) Auch darauf muss man vorbereitet sein. Sind wir das eigentlich? Sind wir mit unserer Rechtsordnung an dieser Stelle optimal aufgestellt? Haben wir wirklich abgebildet, was sich dort verändert hat? Ich sage das ohne Vorwurf. Unsere Aufgabe ist, kritischer an diese neue Entwicklung heranzugehen ({10}) mit dem legitimen Anspruch, die Grundrechte zu schützen, wobei wir die legitimen Ansprüche der Strafverfolgung, auch zum Schutz unseres Staates, nicht naiverweise ausblenden dürfen; denn es ist auch Realität, dass uns aus dem Internet schlimmste Verbrechen bedrohen, die eine große Herausforderung für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bedeuten. Vor diesem Hintergrund rate ich uns, nicht nur diesen Punkt zu vertiefen, sondern in den kommenden Wochen und Monaten auch eine anspruchsvolle Debatte über Internet, Grundrechte und Strafverfolgung zu führen. Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Klaus Riegert für die CDU/CSU-Fraktion.

Klaus Riegert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001847, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Korte, ich habe mehrfach erlebt, dass Sie als Schutzpatron der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auftreten. Als Mitglied der Nachfolgepartei der SED wäre ich an Ihrer Stelle mit Vorwürfen an unseren Rechtsstaat aber sehr vorsichtig. ({0}) Extremisten von links wie von rechts und die organisierte Kriminalität nutzen das Internet immer stärker. Denken Sie nur an Menschenhandel und Kinderpornografie. Das Internet bietet ebenso Terroristen ein mächtiges und kaum zerstörbares Forum zur Vorbereitung, zur Organisation wie auch zur propagandistischen Verbreitung ihrer Terrorakte. ({1}) Es ist für Terroristen Kommunikationsplattform, Werbeträger, Fernuniversität, Traningscamp und Thinktank in einem. Auch wenn es keine hundertprozentige Sicherheit gibt, bedeutet das natürlich nicht, dass man nicht in der Vorsorge das Menschenmögliche tun muss, um so viel wie möglich an Sicherheit zu gewährleisten. Es ist ein wesentlicher Auftrag unseres Rechtsstaates, insbesondere schwere Straftaten auch bei schwieriger Beweislage aufzuklären. Bei der so genannten Onlinedurchsuchung geht es dabei nicht um die willkürliche Aushöhlung von Bürgerrechten, um staatlich organisierten Hausfriedensbruch, wie heute gelegentlich zu hören und zu lesen ist. Wir wollen den Bürgern doch nicht flächendeckend beim Surfen über die Schulter schauen. Es geht darum, dass wir bei Hinweisen auf eine schwere Straftat erkennen können, was jemand plant. ({2}) Es geht um eine Ermittlungsmaßnahme, die es den Strafverfolgungsbehörden auf rechtsstaatlich einwandfreie Weise erlaubt, den Rechner einer Zielperson ohne deren Wissen und ohne am Standort des Rechners anwesend zu sein auf verfahrensrelevante Daten wie E-Mails, Passwörter und Textdateien zu durchsuchen. Über die Frage der rechtlichen Zulässigkeit dieses schweren Eingriffs, der unterschiedlich beurteilt wird, haben sich schon eine Reihe von Kollegen geäußert. Mögliche Tatvorbereitungen müssen im Vorhinein erkannt und verhindert werden. Unsere Strafverfolgungsbehörden sind darauf angewiesen, in bestimmten Fällen auf Informationen, die sich auf dem Rechner des Beschuldigten befinden, zugreifen zu können, ohne dass dieser hiervon Kenntnis erlangt. Als früherer Polizeibeamter darf ich feststellen: Für die Durchführung einer Onlinedurchsuchung besteht auch ein polizeipraktisches Bedürfnis. Ebenso muss das BKA organisatorisch und technisch in die Lage versetzt werden, im Falle einer gerichtlichen Anordnung einer solchen Maßnahme diese auch umsetzen zu können. Hierfür sind im Programm zur Stärkung der inneren Sicherheit entsprechende Mittel vorgesehen. Ich begrüße deshalb, dass das BMI beabsichtigt, die Forderung nach Schaffung entsprechender Rechtsgrundlagen im Rahmen der Ressortabstimmung vorzutragen. Wir brauchen rechtsstaatlich unbedenkliche Ermächtigungsgrundlagen für die Onlinedurchsuchung. Ob die geltenden Bestimmungen ausreichen, werden wir nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes über die Beschwerde des Generalbundesanwaltes wissen. Dann werden wir darauf gemeinsam reagieren. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Dr. Carl-Christian Dressel für die SPD-Fraktion.

Dr. Carl Christian Dressel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003750, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kryptisch - um das Wort des Kollegen Wieland aus dem ersten Redebeitrag zur Aktuellen Stunde zu verwenden ({0}) ist die Zielrichtung unserer heutigen Aktuellen Stunde. ({1}) Sie ist daher kryptisch, weil Sie zunächst an das Bundesministerium der Justiz sinngemäß folgende Frage gerichtet hatten: Treffen Presseberichte zu - das ist eine häufig sehr berechtigte Frage; ({2}) sie ist auch von durchaus philosophischem Interesse -, dass der Ermittlungsrichter beim BGH eine bestimmte Entscheidung getroffen hat? ({3}) Aus dieser Frage entwickeln Sie eine Aktuelle Stunde - ich würde sie durchaus mit der neuen Bezeichnung „akademische Runde“ versehen -, in der wir uns abstrakt und, wie ich meine, teilweise zur Unzeit über die Frage gewisser Ermächtigungsgrundlagen unterhalten. ({4}) Warum zur Unzeit? Es gibt ein aktuelles Ermittlungsverfahren, in dem eine Entscheidung durch einen Ermittlungsrichter - Kollege Wiefelspütz hat seinen Namen schon genannt - getroffen wurde; nun liegt dem zuständigen 3. Strafsenat eine Beschwerde dagegen vor. Ich darf mir die Frage erlauben, Kollege Wieland: Wollen wir künftig ständig aufgrund eines Ermittlungsverfahrens und einer ergangenen Entscheidung eine Aktuelle Stunde auf die Tagesordnung setzen? ({5}) Damit habe ich deutliche Probleme, auch vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung. - Das ist ein neues Wort für Sie, Herr Korte; das sollten Sie sich gleich einmal aufschreiben. ({6}) Als Gesetzgeber muss es doch unsere Zielrichtung sein, abzuwarten, bis letztinstanzlich das zuständige Gericht - in diesem Fall der Bundesgerichtshof - festgestellt hat, was nach seiner Ansicht Inhalt der einmal vom Deutschen Bundestag bzw. vom Schöpfer der StPO verabschiedeten Regelung ist und was wir als Gesetzgeber mit dieser Regelung machen wollen oder, wie Sie, Frau Kollegin Stokar von Neuforn, richtig fragten, was gewollt wird. Nur: Die Frage, was wir wollen, stellt sich dann, wenn wir die Beschwerdeentscheidung auf dem Tisch haben, nicht jetzt. ({7}) Nach Ihrem Beitrag komme ich zu dem Ergebnis, dass Sie erstens der Auffassung sind, es werde schon jetzt eifrig in Daten gegrast und auf fremde Computer Zugriff genommen. ({8}) Zweitens wissen Sie wohl nicht, dass auch der Zugriff auf den Computer unter Richtervorbehalt steht und dass niemand ungeschützt Objekt strafrechtlicher Ermittlungsmaßnahmen im Rahmen einer Onlinedurchsuchung sein wird. Daher ist es unsere Aufgabe, jetzt abzuwarten, was uns der 3. Strafsenat in seiner Beschwerdeentscheidung auf den Tisch legen wird, um danach gesetzgeberisch tätig werden zu können. Sollten wir der Meinung des Herrn Hebenstreit aus dem jüngst ergangenen Beschluss folgen ({9}) und sagen: „§ 102 StPO reicht nicht aus“, dann müssen wir eine Ermächtigungsgrundlage schaffen, sofern wir das wollen. Ich gehe davon aus: Wir wollen das. ({10}) Dies entspräche dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sollte der Bundesgerichtshof allerdings der Ansicht des Ermittlungsrichters aus der Entscheidung im Februar folgen, so müssten wir uns überlegen, ob wir einen solchen weiten Inhalt und ein solches weites Verständnis des § 102 StPO überhaupt wollen oder ob wir im Rahmen der Verhältnismäßigkeit nicht nur auf den Einzelfall abstellen lassen wollen, sondern eventuell im Rahmen einer Spezialvorschrift gesetzgeberisch einschränkend tätig werden. ({11}) Dies ist unsere Aufgabe: abwarten ({12}) und erst dann handeln, statt den Textbaustein vom Abbau der Grundrechte, wie das von Ihnen, Herr Korte, stets zu hören ist, aus der argumentativen Mottenkiste herauszuholen. ({13}) Genauso werden wir es zusammen auch machen. ({14})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 14. Dezember 2006, 9 Uhr, ein. Ich schließe die Sitzung.