Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Überwachungsmission AMIS der Afrikanischen
Union ({0}) in der Region Darfur/Sudan auf
Grundlage der Resolutionen 1556 ({1}) und
1564 ({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen vom 30. Juli 2004 und 18. September
- Drucksache 16/3652 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Eine Aussprache ist dafür heute nicht vorgesehen.
Wir kommen daher gleich zur Überweisung.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/3652 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Stellungnahme der Bundesregierung zum ersten Nationalen Bildungsbericht
„Bildung in Deutschland“.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung,
Frau Dr. Annette Schavan. - Bitte.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Nationale
Bildungsbericht ist in gemeinsamer Verantwortung von
Kultusministerkonferenz und Bundesregierung in diesem Jahr zum ersten Mal erschienen. Er wird künftig alle
zwei Jahre erscheinen. Diese Abfolge bietet uns die
Möglichkeit, nicht nur die jeweils aktuellen Daten und
Fakten zu unserem Bildungssystem festzustellen, sondern auch die zwischen den einzelnen Berichten stattfindenden Entwicklungen zu erkennen. Der Bildungsbericht nimmt die gesamte Bildungsbiografie in den Blick,
ist getragen von der Leitidee „Bildung im Lebenslauf“.
Schwerpunkt des ersten Bildungsberichtes war die Bildung von Migranten und ihre Integration in unser Bildungssystem.
Da Ihnen der Bildungsbericht vorliegt, konzentriere
ich mich in meinem Bericht an Sie auf die Schlussfolgerungen, die Bundesregierung und KMK aus diesem ersten Bericht gemeinsam gezogen haben. Es gibt drei politikfelderübergreifende Schlussfolgerungen:
Erstens. Das erklärte Ziel lautet, in den 16 Ländern
die Ausgaben für Bildung zu steigern.
Zweitens soll die Bildungspolitik noch stärker mit anderen Politikfeldern, zum Beispiel mit der Familienpolitik, der Sozialpolitik und der Integrationspolitik, verbunden werden.
Drittens sollen die Grundlagen für bildungspolitische
Entscheidungen durch systematische Bildungsforschung
verbessert werden. Wir erarbeiten derzeit ein Bildungspanel, das eine wichtige empirische Grundlage für bildungspolitische Entscheidungen sein soll. Das Rahmenprogramm Bildungsforschung soll die systematische
Grundlage bilden.
Bei den Schlussfolgerungen bezüglich der Bildungspolitik wurde ein Schwerpunkt auf die bessere Integration der Migranten gelegt. Hier spielt die Sprache eine
zentrale Rolle. Die frühe Förderung ist ebenso wie die
Beratung Jugendlicher an der Nahtstelle von Bildung
und Beschäftigung von zentraler Bedeutung. Sie wissen,
Redetext
dass es auf diesen Gebieten mittlerweile eine Menge
Programme der Länder und des Bundes gibt. Das klare
Ziel muss lauten, Jugendlichen aus Migrantenfamilien
die gleichen Chancen auf Bildung zu geben wie allen anderen; denn Bildung ist der Schlüssel für Aufstieg und
Teilhabe.
Zweiter Schwerpunkt: Frühkindliche Bildung stärken.
Das bezieht sich sowohl auf die Stärkung des Bildungsauftrags der Kindertagesstätten als auch auf eine bessere
Verbindung von Kindertagesstätten und Grundschulen.
Wir brauchen fließende Übergänge, individuelle Förderung und - auch das steht hier im Mittelpunkt - Sprachförderung. Bewegungsförderung, früher Zugang zu Naturphänomenen und musisch-ästhetische Bildung sind
genauso bedeutsam.
Dritter Schwerpunkt: Die Koppelung von sozialer
Herkunft an den Bildungserfolg muss überwunden werden. Hierzu liegen erste Initiativen vor. Ich erinnere daran, dass mittlerweile rund 1 Million Schülerinnen und
Schüler Ganztagsschulen besuchen. Dort gibt es mehr
Möglichkeiten der individuellen Förderung. Die Verstärkung der individuellen Förderung ist erwiesenermaßen
der Schlüssel für die Entkoppelung. Dies beinhaltet besondere Förderprogramme einerseits für Benachteiligte,
andererseits für die besonders Begabten und nicht zuletzt
neue Akzente in der Lehrerbildung und die Einführung
von Bildungsstandards.
Schließlich zum wichtigen Stichwort Berufsausbildung. Ich darf Sie hier darüber informieren, dass heute
das Bundesinstitut für Berufsbildung die neuen Zahlen
vorgelegt hat, die eine Steigerung der Zahl der Ausbildungsplätze in diesem Jahr um 4,8 Prozent zeigen. Von
den Jugendlichen, die im September noch nicht vermittelt waren, wurden bis jetzt 21 000 vermittelt; 27 000
sind noch zu vermitteln. Wir fördern Berufsausbildung
für alle, weil wir wissen, dass die berufliche Bildung in
Deutschland in besonderer Weise zur Integration beiträgt.
Meine beiden letzten Punkte. Erstens. Heute Nachmittag wird der Hochschulpakt zwischen den Regierungschefs beraten. Damit reagieren wir auf das, was im Bildungsbericht steht. Die Zahl der Studienbewerber wird
zunehmen. Das muss als Chance genutzt werden.
Zweitens. Wir wissen, dass es eine große Diskrepanz
zwischen der Einschätzung der Bedeutung von Weiterbildung und der tatsächlichen Nachfrage gibt. Wir sind
davon überzeugt, dass die Weiterbildung an Bedeutung
zunehmen wird, um berufliche Qualifikation eher zu erhalten. Mein Haus ist dabei, auf der Grundlage des Gutachtens die Eckdaten für mögliches Bildungssparen zu
erarbeiten. Wir haben mit dem Blick auf lernende Regionen neue Akzente gesetzt. Wir brauchen ein realistisches
Bündnis zur Steigerung der Weiterbildungsbereitschaft
in Deutschland.
Das sind einige der Schwerpunkte der gemeinsamen
Schlussfolgerungen der Bundesregierung und der Kultusministerkonferenz.
Vielen Dank.
({0})
Herzlichen Dank, Frau Ministerin.
Ich bitte nun, zunächst Fragen zu dem Themenbereich
zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Die erste
Frage hat die Kollegin Hirsch.
Besten Dank. - Frau Ministerin, meine Frage geht in
folgende Richtung: Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass eine der zentralen Erkenntnisse aus dem Bildungsbericht die Notwendigkeit der Entkoppelung von
Bildungserfolg und sozialer Herkunft ist. Es soll sichergestellt sein, dass aus diesem Bericht politische Konsequenzen gezogen werden. Doch man fragt sich, ob Sie
nicht durch die gerade erfolgte Föderalismusreform die
dazu notwendigen Instrumente aus der Hand gegeben
haben. Ich verweise darauf, dass Sie gerade als ersten
Punkt das Ganztagsschulprogramm und ehemalige
BLK-Programme wie das Förderprogramm für Migrantinnen und Migranten erwähnt haben. Sie wissen genauso gut wie ich, dass solche Programme zukünftig
nicht mehr aufgelegt werden können. Meine Frage lautet: Wie sollen gerade vor diesem Hintergrund Bildungserfolg und soziale Herkunft entkoppelt und politische
Konsequenzen gezogen werden? Hiermit meine ich
nicht nur allgemeine Absichtserklärungen, man wolle
das jetzt aufbrechen und zu einer Verbesserung kommen.
Internationale Vergleichsstudien haben gezeigt, dass
der Schlüssel für bessere Integration der Schülerinnen
und Schüler aus Migrantenfamilien die deutsche Sprache
ist. Deshalb ist es ganz klar Aufgabe der 16 Länder,
Sorge dafür zu tragen, dass alle Kinder vor ihrem ersten
Schultag altersgerecht mit der deutschen Sprache umgehen. Entsprechende Schritte wurden unternommen, und
zwar nicht nur auf dem Papier. Die Aufgabe wurde
schon in vielen Teilen Deutschlands umgesetzt. Damit
wurden bereits viele Schlussfolgerungen aus der PISAStudie, die letztlich auch Grundlage für den Nationalen
Bildungsbericht war, gezogen.
Der zweite Punkt. Wir verabschieden uns nicht von unserer Verantwortung, sondern wir nehmen eine neue Aufgabenverteilung vor: Dabei geht es um die Unterstützung
des Bildungssystems durch Forschung und Entwicklungsarbeit, etwa im Rahmen didaktischer Weiterentwicklungen. Es gibt eine Reihe von Forschungsinstituten
- auch von außeruniversitären -, die sich mit Methoden
individualisierter Lernformen beschäftigen. Diese Aufgabe übernimmt der Bund.
Zum Auftrag der Länder gehört - dieses Thema ist eines der Herzstücke der Landespolitik -, den Schulen
hinreichende Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Auch
hier sind Fortentwicklungen festzustellen. Auf der einen
Seite ist zum Beispiel im Hinblick auf die Grundschulen
die Ermöglichung unterschiedlicher Lernzeiten zu erBundesministerin Dr. Annette Schavan
wähnen. Dies kann zur Folge haben, dass auch das fünfte
Schuljahr noch in der Grundschule absolviert werden
kann. Auf der anderen Seite müssen aber auch Möglichkeiten zur Verkürzung der Lernzeiten geschaffen und
mehr individuelle Hilfe angeboten werden. Dazu tragen
viele ganztätige Angebote der Schulen bei, und zwar
unabhängig von ihrem Bauprogramm; auch das hat geholfen. Wichtig ist, dass an den Schulen neben dem regulären Unterricht zusätzliche Hilfe bei der Hausaufgabenbetreuung und zur Verbesserung der Sprachfähigkeit
angeboten wird.
Der dritte entscheidende Aspekt betrifft die Nahtstelle
zwischen Schule und Beschäftigung. Wir müssen die Jugendlichen bei ihrer Suche nach einer Ausbildungsstelle
begleiten. Diesem Zweck dienen verschiedene Verbindungen zu Unternehmen und Patenschaften zwischen
Schulen und Unternehmen. Die Bundesregierung hat dafür gesorgt, dass 7 500 Ausbildungsplätze für Migranten
zur Verfügung gestellt wurden. Die 40 000 Angebote für
Einstiegsqualifikationen sind zum Teil sehr gut für diejenigen geeignet, die noch nicht über hinreichende Ausbildungsreife verfügen.
Wir haben das Stadium der Analyse und der allgemeinen Erklärungen längst verlassen. Wir tätigen Investitionen und statten unsere Programme gut aus. Es wird interessant sein, die folgenden nationalen Bildungsberichte
daraufhin zu untersuchen, durch welche Maßnahmen
welche Fortschritte erzielt werden konnten. Hierbei
denke ich vor allem an die gezielte Reduzierung des Anteils derer, die keinen Schulabschluss machen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Tauss.
Ganz herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Mit Ihrer
Erlaubnis möchte ich in dieser vorweihnachtlichen Zeit
meiner Freude Ausdruck verleihen, dass auf der Besuchertribüne so viele derer sitzen, über deren Situation
wir gerade reden. Herzlich willkommen!
Frau Ministerin, meine Frage schließt unmittelbar an
den Punkt an, von dem Sie gerade gesprochen haben
- dabei handelt es sich um einen Aspekt, der uns mit
größter Sorge erfüllt -: Diejenigen, die keinen Schulabschluss haben, haben auf dem Arbeitsmarkt und auf dem
Ausbildungsstellenmarkt in der Tat die schlechtesten
Chancen. Dieser Gruppe wird im Bildungsbericht große
Bedeutung beigemessen.
Meine Frage lautet: Inwieweit ist es möglich, insbesondere diesen Personenkreis zu einem Schwerpunkt der
Gespräche, die der Bund mit den Ländern führt, zu machen? Der Bund setzt schließlich in erheblichem Umfang Mittel ein und unternimmt große Anstrengungen,
um Jugendlichen ohne Schulabschluss durch Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit zu helfen. Vielleicht
wäre es sinnvoll, bereits früher mit der Förderung zu beginnen. Könnte das ein konzeptioneller Ansatz sein, um
der Lösung dieses Problems näher zu kommen? Ich
denke, die entsprechenden Stichworte werden im Bildungsbericht geliefert.
Das, was Sie gesagt haben, bildet in der Tat einen
Schwerpunkt. Dabei geht es unter anderem um die Konkretisierung der Vereinbarungen des Integrationsgipfels.
Im Rahmen des Integrationsgipfels haben wir uns zu einem großen Teil mit Bildung und Ausbildung sowie mit
der Verbindung zwischen Bildungspolitik, Sozialpolitik
und Familienpolitik beschäftigt. Bis zum nächsten Integrationsgipfel finden nun Gespräche zwischen Bund und
Ländern statt, um die Maßnahmen, die vom Bund und
von den Ländern bereits eingeleitet wurden, noch zielgenauer auszugestalten. Das ist sowohl ein Schwerpunkt
des Integrationsgipfels als auch ein Schwerpunkt der bildungspolitischen Gespräche, die der Bund mit den Ländern führt.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Hinz.
Auch ich möchte an diesen Punkt anknüpfen. Im
Nationalen Bildungsbericht wurde festgestellt, dass
40 Prozent aller Schulabgänger im so genannten Übergangssystem landen, also keine ordentliche Ausbildung
beginnen. Darunter befinden sich insbesondere Schulabbrecher, aber auch Schüler mit schwachen Leistungen
und sehr viele Migranten. Welche Initiative haben Sie
nach Erscheinen des Bildungsberichts ganz konkret ergriffen, um dieses Problem zu lösen?
Wir haben unmittelbar nach Erscheinen des Bildungsberichtes dreierlei getan: Erstens. Wir haben die Möglichkeiten für Einstiegsqualifikationen erhöht; das ist die
Initiative des Bundesarbeitsministeriums. Das heißt,
dass in diesem Jahr wirklich jedem Jugendlichen ein Angebot gemacht werden kann. Wenn Sie sich die Zahlen
von heute ansehen, dann stellen Sie fest, dass von den
50 000 Bewerbern, die Ende September noch unversorgt
waren, mittlerweile 21 000 vermittelt sind. Die Vermittlung geht bis Mitte Januar weiter, sodass wir hier tatsächlich eine gute Prognose haben. Übrigens ist die Situation besser als in vielen Jahren zuvor. Die
Einstiegsqualifikation ist ein neues Konzept. Es gibt
nicht, wie üblich, eine Übergangsphase, die nicht anrechenbar ist, sondern die Jugendlichen erhalten die Möglichkeit, sich die erworbenen Kompetenzen anrechnen
zu lassen, wenn sie später bei einem Unternehmen eine
duale Berufsausbildung beginnen.
Zweitens. Im Hinblick auf Migranten gibt es ein zusätzliches, von uns finanziertes Angebot, das 7 500 Ausbildungsplätze umfasst.
Drittens haben wir Bildungsbausteine entwickelt, die
zum Schuljahr 2007 in einigen Berufen eingeführt werden sollen. Denn wir haben in den letzten Jahren feststellen müssen, dass Jugendliche beschult werden, ohne zu
wissen, was für eine Perspektive mit dieser erneuten
Schulzeit verbunden ist. Ausbildungsbausteine - in Anlehnung an und aufbauend auf Erfahrungen mit Einstiegsqualifikationen und gestuften Ausbildungen - bedeuten, dass wiederum Ausbildung im Betrieb stattfindet
und auf dieser Grundlage weitere Bausteine erworben
werden. Sie wissen, dass im Moment eine heftige Debatte darüber stattfindet und viele sagen: Wir müssen
aufpassen, dass wir damit nicht das duale System insgesamt aufweichen. Deshalb will ich noch einmal betonen:
Natürlich wird es keine völlige Veränderung der dualen
Ausbildung geben; es ist mit Blick auf die Berufsbilder
wichtig, genügend Ausbildungsplätze zu haben. Aber
der Übergang zwischen Schule und Ausbildung muss
und wird so gestaltet werden, dass das, was angeboten
wird, auf weitere Bildung, Qualifikation und Abschluss
angerechnet wird. Damit würde übrigens umgesetzt werden, was bei der letzten Modernisierung des Berufsbildungsgesetzes vorgesehen war: die bessere Verbindung
von dualer Ausbildung und beruflicher Vollzeitschule.
Die nächste Frage stellt der Kollege Weinberg aus der
Unionsfraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, der
Bildungsbericht - das ist deutlich geworden - konzentriert sich auf die Fragen: Wird es uns gelingen, insbesondere Migrantinnen und Migranten bei der Bildung
besser zu platzieren? Welche Maßnahmen müssen wir
dafür ergreifen? Diese Fragen werden querschnittartig
durch alle Bildungsbereiche - frühkindliche Bildung,
vorschulische Bildung, schulische Bildung bis hin zur
Berufsbildung, Hochschule etc. - durchleuchtet. Wenn
man die Ergebnisse bündelt und sich überlegt, welche
Prozesse eingeleitet werden müssen, stellt man fest: Es
sind mehrere Kompetenzen betroffen. Zum einen sind
die Kompetenzen der Länder betroffen, zum anderen
Kompetenzen des Bundes. Nun gab es auch in diesem
Haus den einen oder anderen Kritiker, der gemeint hat,
dass eine solche nationale Bildungsaufgabe nicht zu lösen sei.
({0})
Vor diesem Hintergrund stelle ich die Frage: Welchen
Stellenwert hat der Bildungsbericht nach dieser Föderalismusreform und was wird getan, um Länder und Bund
auf einen gemeinsamen Weg zu bringen, um die Aufgaben zu bewältigen?
Der Nationale Bildungsbericht ist eines von drei
neuen Instrumenten der - ich sage einmal - modernen
Steuerung des Bildungssystems. Das zweite wird das
Bildungspanel sein, das dritte die Bildungsforschung,
nicht nur in einem abstrakt-theoretischen Sinne, sondern
auch im Sinne von angewandter Forschung, die sich auf
die Entwicklung von Lernkultur in den Schulen und im
gesamten Bildungssystem bezieht. Der Nationale Bildungsbericht ist eine Möglichkeit, den jeweiligen Status
quo zu erheben. Jeder Bericht wird einen Schwerpunkt
haben. Damit ist es erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland möglich, dass Bund und Länder gemeinsame Schlussfolgerungen ziehen, gemeinsame Ziele und Strategien benennen. Denken Sie allein
an die berufliche Bildung: Es kann keine Rede davon
sein, dass der Bund keine bildungspolitische Kompetenz
hat, von ihm gehen die wesentlichen Impulse zur Modernisierung der beruflichen Bildung aus. Die berufliche
Bildung wird in den nächsten Jahren forciert werden,
auch deshalb, weil sie von der Nähe zwischen Arbeitswelt und Lernwelten lebt. Veränderungen in den Arbeitswelten und in den einzelnen Branchen müssen sich auch
in Veränderungen der Lernwelten niederschlagen.
Der Bildungsbericht gibt den Status quo wieder. Zusammen mit den Nachfolgeberichten wird uns im Laufe
der Zeit die Entwicklung aufgezeigt. Wir können so gemeinsam Strategien entwickeln. Uns werden aber auch
Aufgaben zugewiesen, und zwar den Ländern, dem
Bund, aber auch den Sozialpartnern; denn in der beruflichen Bildung sind neben Bund und Ländern viele Partner beteiligt.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Enkelmann.
Frau Ministerin, bereits im Kinder- und Jugendbericht
der Bundesregierung wurde festgestellt, dass dem Bereich Nachhilfe eine zunehmende Bedeutung zukommt.
Wir beide wissen sicherlich, dass es insbesondere Kinder
aus benachteiligten Familien schwerer haben, Zugang zu
Nachhilfe zu bekommen. Damit sind ihre Chancen, in
der Schule mitzukommen, niedriger.
Auch in der Vorstudie zu Ihrem Bildungsbericht wird
festgestellt, dass es notwendig ist, die Zahlen hierzu einmal zu sortieren und festzustellen, welcher Bedarf an
Nachhilfe tatsächlich besteht und worin die Ursachen für
den zunehmenden Bedarf an Nachhilfe liegen. Das
taucht in Ihrem Bildungsbericht aber nicht auf. Meine
Fragen: Sind Sie bereit, dem Thema Nachhilfe in künftigen Bildungsberichten größere Bedeutung zuzumessen?
Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dem, was schon in
der Vorstudie steht?
Über die jeweiligen Schwerpunkte eines Bildungsberichtes entscheiden die KMK und die Bundesregierung.
Ich glaube, dass das Thema Nachhilfe eher ein Thema
für ein wissenschaftliches Gutachten, also für eine Erhebung, ist. Ich bin gerne bereit, so etwas in Auftrag zu geben. Es wird aber mehr nötig sein als das, was man mit
den Instrumenten eines Nationalen Bildungsberichtes
machen kann.
Man wird dabei feststellen - das wissen wir bereits
von den Schulen -, dass nicht primär benachteiligte Kinder Nachhilfeunterricht bekommen, und zwar schon allein aus finanziellen Gründen, sondern dass die Gruppe
derer, die Nachhilfe bekommt, eine andere ist. Nicht selten bekommen diese Schüler Nachhilfe nicht aufgrund
gefährdeter schulischer Leistungen, sondern schlicht und
einfach deswegen, um Notenverbesserungen zu erzielen.
Aber einen empirischen Befund über die Situation im
Bereich Nachhilfe zu erheben, halte ich für einen interessanten Punkt und will ihn gerne in unsere Überlegungen aufnehmen.
Wir nehmen Sie beim Wort.
Das können Sie in der Regel.
Kollege Schummer hat die nächste Frage.
Sie haben auf die erfreuliche Zahl hingewiesen, dass
4,8 Prozent mehr Ausbildungsverträge abgeschlossen
worden sind. Hier hat eine Trendwende stattgefunden.
Auf der anderen Seite gibt es aber immer noch Bewerber, die noch nicht mit einem Ausbildungsplatz versorgt
sind. Ist absehbar, dass sie bis Ende des Jahres versorgt
sein werden? Sie sind ja auch in Verhandlungen zum
Ausbildungspakt, der verlängert werden soll. Welche gemeinsamen Empfehlungen von Bund und Ländern werden den neuen Ausbildungspakt - er soll voraussichtlich
im März unterzeichnet werden - mit neuer Dynamik bereichern?
Hinzu kommt: Es gibt eine große Zahl von Altbewerbern. Meine Frage: In welchem zeitlichen Horizont kann
dieser so genannte Altbestand an Bewerbern Ihrer Meinung nach abgearbeitet werden?
Lösungen für Altbewerber werden nach dem Stand
heute nicht Teil des Ausbildungspaktes sein; denn dazu
wären mehr strukturelle Veränderungen in der beruflichen Bildung notwendig. Neben der Einstiegsqualifikation und auch der Mentalität der Beteiligten muss sehr
viel stärker der Blick auf die Unternehmen gerichtet
werden, auf die Notwendigkeit zu praktischer Erfahrung
und auf die Notwendigkeit auch zur Zertifizierung dessen, was an Qualifikation erworben wird.
Das zweite Problem bei Altbewerbern ist: Wenn Jugendliche, die noch nicht versorgt sind, zu einer Informations- oder Vermittlungsveranstaltung eingeladen werden, dann kommt - das erleben wir in unseren
Wahlkreisen immer wieder - nur ein Bruchteil derer, die
angeschrieben werden. Wir brauchen - die Bundesagentur für Arbeit hat das zugesagt - eine detailliertere Statistik darüber, wer sich hinter der Gruppe der Altbewerber
verbirgt, wie groß sie in Wirklichkeit ist, wie viele für
eine duale Ausbildung zur Verfügung stehen und aus
welchen Gründen sie noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. War das eine Frage der Ausbildungsreife,
ein Berufswunsch, für den es keinen Ausbildungsplatz
gab, oder kam der Bewerber aus einer strukturschwachen Region, in der Ausbildungsplätze generell nicht in
ausreichender Zahl zur Verfügung standen?
Ab nächstem Jahr soll uns also eine Statistik zur Verfügung stehen, durch die uns allen ein besserer Überblick über die Jugendlichen und deren Voraussetzungen
gegeben wird. Klar ist aber: Beim zweiten Teil des Ausbildungspaktes werden die Zahlen, die hinsichtlich der
Ausbildungsplätze und der Einstiegsqualifikationen vereinbart werden, an die tatsächliche demografische Entwicklung angepasst werden müssen, die in den nächsten
Jahren einen Zuwachs der Zahl der Bewerber erwarten
lässt.
Ich darf in diesem Zusammenhang noch hinzufügen:
Wenn Sie sich die Zahlen von heute anschauen, dann
wird deutlich, dass sich auch auf dem Ausbildungsmarkt
etwas tut, wenn sich auf dem Arbeitsmarkt etwas bewegt
und wirtschaftliche Dynamik entsteht. Ein Plus von
4,8 Prozent haben wir seit vielen Jahren nicht mehr gehabt.
21 000 Jugendliche wurden vermittelt und 27 000 Jugendliche befinden sich bis Mitte Januar noch in der Vermittlung. Von der Zahl der Plätze her und unter Berücksichtigung der Einstiegsqualifikationen müsste jedem
Jugendlichen in der Nachvermittlung ein Angebot gemacht werden können. Voraussetzung ist allerdings, dass
alle als noch nicht vermittelt gemeldeten Jugendlichen
auch tatsächlich erreicht werden.
Die nächste Frage stellt der Kollege Ernst Dieter
Rossmann.
Frau Ministerin, in der Presseerklärung des BMBF
zur heutigen Kabinettsberatung steht der abschließende
Satz - ich darf zitieren -:
Das BMBF wird darauf hinwirken, dass Bund und
Länder ab 2007 im Rahmen von Empfehlungen
weitere gemeinsame Ziele zur Modernisierung der
Bildung vereinbaren und durch koordinierte bildungspolitische Maßnahmen umsetzen.
Ich frage mich: Bedeutet das, dass es in Zukunft keinen indikatorengestützten Bildungsbericht mehr geben
wird, sondern nur noch eine Zusammenfassung in einem
Kapitel mit der Überschrift „Perspektiven“ oder auch einen Anhang dazu mit der Überschrift „Empfehlungen“?
({0})
Inwieweit wollen und können Sie diesen Bericht in der
Zusammenarbeit von Bund und Ländern zunehmend
auch zum Gegenstand von zugespitzten Empfehlungen
machen und welche Resonanz finden Sie dazu bei den
Ländern? Durch diese Erklärung des BMBF von heute
wird ja immerhin angedeutet, dass Sie ab 2007 selbst
gerne die Abgabe gemeinsamer Empfehlungen von
Bund und Ländern wollen.
Wenn ich mich richtig erinnere, bezieht sich die Pressemitteilung auf das Thema Berufliche Bildung.
({0})
- „Nationaler Bildungsbericht“.
Ich halte es für wichtig, dass alle Empfehlungen, die
wir abgeben, gemeinsame Empfehlungen von Bund und
Ländern sind, weil es nicht darum geht, nur etwas zu Papier zu bringen, sondern weil damit auch Strategien der
Handelnden verbunden sind.
({1})
Deshalb wird die eine oder andere Seite immer auch
Themen ins Gespräch bringen - etwa Fragen der Bildungsforschung -, die unser eigenes Handeln betreffen.
Sobald aber ein gemeinsames Handeln oder das Handeln
der anderen gefragt ist, müssen die Empfehlung und die
Strategie gemeinsam vereinbart werden, damit es wirklich zu diesem Handeln kommt.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Pieper.
Frau Ministerin, meine Frage passt ganz gut zu der
von Herrn Dr. Rossmann.
Sie selbst haben immer betont - auch bei der Debatte
zur Föderalismusreform -, wie wichtig Ihnen unabhängig
von der Kompetenz der Länder in den Fragen der Bildung
eine gesamtgesellschaftliche Strategie, also eine nationale Bildungsstrategie, ist. Dies wurde in dem Bildungsbericht mit „Bildung im Lebenslauf“ auch klar beschrieben. Im Grunde genommen wurde dort das gesamte
Bildungskonzept, angefangen von der frühkindlichen
Bildung bis hin zur Weiterbildung und Erwachsenenbildung, aufgezeigt.
Wenn das aber so ist und man nicht bei der Analyse
stehen bleibt, dann muss es ein Gremium aus Bund und
Ländern geben, welches die entsprechenden Handlungsempfehlungen herausgibt, die jeweiligen Schlussfolgerungen zieht und diese in einem nationalen Konzept umsetzt. Welches Gremium hat nach Ihrer Auffassung diese
Schlussfolgerung zu ziehen und wie sieht nach Ihrer
Auffassung die notwendige parlamentarische Begleitung
auf Bundesebene für eine nationale Bildungsstrategie
aus?
Ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass in dem
Bildungsbericht bewusst Themen behandelt werden, die
auch von Erziehungswissenschaftlern und Neurowissenschaftlern als immanent wichtig bezeichnet werden und
eine Schlüsselfunktion - das betrifft zum Beispiel den
Bereich der frühkindlichen Bildung - für Chancengerechtigkeit und für die individuelle Begabtenförderung
haben. Diese Themen sollten nicht nur ein einziges Bundesland beschäftigen; das Gremium fordert vielmehr
eine nationale Exzellenzinitiative für frühkindliche Bildung.
Welches ist aus Ihrer Sicht das zuständige Gremium,
um entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen und
Handlungsempfehlungen zu geben, und wie soll aus Ihrer Sicht die notwendige parlamentarische Begleitung
insbesondere auf Bundesebene erfolgen?
Hinter Ihrer Frage steckt - wenn ich mich richtig erinnere - auch Ihre Überzeugung, dass ein nationaler Bildungsrat geschaffen werden sollte. Deshalb rede ich
nicht drum herum: Ich glaube nicht, dass wir ein zusätzliches Gremium brauchen. Wir brauchen vielmehr einen
wirklich kontinuierlichen Dialog der Handelnden zum
Beispiel mit der Wissenschaft und - was es in Deutschland über Jahrzehnte nicht gegeben hat - ein empirisches
Fundament. Man kann alles Mögliche behaupten, aber
jeder von uns, der selbst jahrelang Bildungspolitik gestaltet oder begleitet hat, weiß, dass es ein empirisches
Fundament in Deutschland bisher nicht gegeben hat.
Deshalb halte ich es für richtig, in zwei Schritten vorzugehen.
Zum einen geht es darum, für Deutschland insgesamt,
also auf nationaler Ebene, eine regelmäßige Bildungsberichterstattung und Bildungspanels einzuführen. Dann
kann man nach zehn Jahren feststellen, wie die Entwicklung in Deutschland verlaufen ist, und vergleichen, wie
sich zum Beispiel die Quote der Schulabgänger ohne
Abschluss in diesem Zeitraum verändert hat. Dann kann
man auch die Effizienz von Strategien überprüfen, die in
den Ländern bzw. in anderen Zuständigkeitsbereichen in
Gang gesetzt worden sind.
Zum anderen müssen sich auf der Ebene der politischen Verantwortung die Kultusministerkonferenz und
die Bundesregierung in den gemeinsamen Gremien auf
der Staatssekretärsebene und dann im Plenum auf die gemeinsam zu ziehenden Schlussfolgerungen einigen. Ich
weise noch einmal darauf hin, dass in Deutschland bereits entsprechende Schlussfolgerungen gezogen worden
sind. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den
Deutschen Bildungsrat, dessen Veröffentlichungen mancher noch im Regal stehen hat. Damit war aber keine
Verpflichtung zum politischen Handeln verbunden.
Ich ziehe den Weg vor, der auch politische Verbindlichkeit bedeutet.
Selbstverständlich gilt für den Deutschen Bundestag
wie für jedes Landesparlament, dass er sich mit dem Nationalen Bildungsbericht eingehend beschäftigen und die
Schlussfolgerungen auf Regierungsebene mit eigenen
Impulsen ergänzen kann. Deshalb beteiligt sich die Bundesregierung an dem Nationalen Bildungsbericht.
Die nächste Frage stellt der Kollege Kai Gehring.
Ich habe eine Frage zum Hochschulkapitel des Bildungsberichtes. Welche Anstrengungen unternimmt die
Bundesregierung - auch in Zusammenarbeit mit den
Ländern -, um die Quote junger Menschen zu erhöhen,
die von der Schule zur Hochschule bzw. vom beruflichen in den akademischen Bereich wechseln, und um
vor allem die Zahl der Studienanfänger zu erhöhen? Wir
haben gerade gehört, dass die Zahl derer wegen der stark
zunehmenden Zugangshürden in den Bundesländern
aufgrund der schon jetzt fehlenden Studienplätze, der
Zunahme von lokalen NCs und aufgrund von Studiengebühren rückläufig ist. Wie wollen Sie das in Ihrem Koalitionsvertrag festgehaltene Ziel, die Zahl der Studenten
auf 40 Prozent eines Jahrgangs zu erhöhen, umsetzen?
Dazu werden mehrere Schritte notwendig sein. Der
wichtigste Schritt ist der Hochschulpakt, der heute
Nachmittag verabschiedet wird. In diesem Pakt erklären
Bund und Länder, dass sie für den Zeitraum bis 2020 gemeinsam Verantwortung dafür übernehmen, dass in diesen 14 Jahren die notwendigen zusätzlichen Kapazitäten
zur Verfügung gestellt werden. Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem Kapazitätserhalt in den neuen Ländern
und dem Kapazitätsausbau in den alten Ländern. Konkretisiert wird der Hochschulpakt bis 2010. Dann wird
es einen zweiten und vermutlich einen dritten geben. Ich
gehe jedenfalls davon aus, dass die Konkretisierung der
Investitionen und der Zahl der Studienplätze in einem
fünfjährigen Zeitraum erfolgen wird.
Wenn ich das einmal sagen darf: Das, was dort zustande kommt, ist eine der größten gemeinsamen Aktionen von Bund und Ländern zur Schaffung von Kapazitäten in den deutschen Universitäten. Klar ist aber auch,
dass damit noch nicht alle Fragen betreffend die Infrastruktur, also die Notwendigkeit, zu bauen, geklärt sind.
Das heißt, die Kosten der Bundesländer werden faktisch
über den Kosten für die Schaffung zusätzlicher Studienanfängerplätze liegen.
Sie wissen, dass es in Deutschland eine große Diskrepanz zwischen der Zahl derjenigen, die ein Studium beginnen, und der Zahl derjenigen gibt, die ein Studium
beenden. Deshalb sind Qualitätssicherungsprozesse insbesondere in der Umstellung auf Bachelor und Master
wichtig. Ein sehr entscheidender Schritt wird sein, diejenigen, die ein Studium beginnen, zum Studienziel zu
führen. Wenn uns das gelingt, sind wir dem 40-ProzentZiel deutlich näher. Aber das Herzstück ist die Kapazitätserweiterung.
Noch ein Wort zu Durchlässigkeit und beruflicher
Bildung: Die Landesgesetze sind sehr unterschiedlich.
Als vorbildlich gilt, glaube ich, das seit 1976 in Niedersachsen geltende Gesetz. Wir werden mit den Bundesländern darüber sprechen - das ist das nächste Thema -,
wie diejenigen, die aus dem Bereich der beruflichen Bildung kommen und sich für ein Studium interessieren,
leichter an Informationen kommen und bessere Möglichkeiten erhalten können. Das heißt, die Hochschulen, die
zum Teil Auswahlverfahren haben, müssen hier stärker
einsteigen; dafür werben wir. Ich gehe davon aus, dass
darüber großer Konsens zwischen den Bundesländern
herrscht. Da es lange Zeit umstritten war, gab es in einigen Bundesländern große Zurückhaltung.
Bevor ich dem Kollegen Axel Fischer das Wort für
eine Frage gebe, mache ich darauf aufmerksam, dass das
Interesse an dem Thema der heutigen Kabinettssitzung
außerordentlich groß ist; das ist sicherlich dem Thema
angemessen. Ich möchte daher so viele Fragen wie möglich zulassen, obwohl die vorgesehene Zeit gleich abläuft. Ich bitte aber gerade die Fragesteller darum, die
Fragen so kurz zu fassen, dass alle die Möglichkeit haben, eine Frage zu stellen.
Kollege Fischer.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, ich
habe eine Frage zum Nationalen Bildungsbericht. Mich
interessiert, inwieweit die positiven Erfahrungen, die
man mit Privatschulen einschließlich der kirchlichen
Schulen, die es im privaten Bereich gibt, gemacht hat,
Eingang in den Bericht gefunden haben, welche
Schlüsse man daraus ziehen kann und vor allem welche
Schlüsse Sie aus dem Bericht im Hinblick auf die Begabtenförderung ziehen.
Die Begabtenförderung ist Teil der notwendigen Individualisierung von Lernkonzepten. Unterschiedliche
Lernzeiten sowie mehr Möglichkeiten in den Grundschulen, jahrgangsübergreifend zu arbeiten und Begabtenzüge einzurichten, sind immer dort ein Thema, wo
Lernkonzepte untersucht werden. Ich denke, dass es
heute sehr viel mehr Verständnis für die Notwendigkeit
der Begabtenförderung gibt als vor zehn Jahren. Dieses
Thema wurde in Deutschland zwar spät entdeckt. Aber
es gibt nun erste interessante Institutionen und Schritte
in der Entwicklung dieser Schulen.
In der Tat gehören Schulen in freier Trägerschaft in
Deutschland zu den Pionieren, was individuelle Lernkonzepte und die Begabtenförderung angeht. Es gibt
hierzu meines Wissens kein eigenes Kapitel in dem Bericht. Aber vor dem Hintergrund der gesamten Entwicklung des Bildungssystems in den letzten Jahrzehnten ist
unbestritten, dass Schulen in freier Trägerschaft mit ihren pädagogischen Konzepten viele Impulse für das öffentliche Bildungssystem gesetzt haben.
Die nächste Frage stellt der Kollege Uwe Barth von
der FDP-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin,
wenn man sich die Themen anschaut, die im Nationalen
Bildungsbericht abgehandelt werden, dann stellt man
fest, dass eine ganze Reihe von Themen - das lässt sich
im Bildungsbereich nicht vermeiden - die Länderkompetenzen betrifft. Das findet sicherlich nicht jeder gut.
Aber das ist nun einmal so. Das ist geltendes Recht, an
das man sich zu halten hat. Trotzdem ist es wichtig - das
ist schon in verschiedenen Fragen angeklungen -, darüber zu reden. Daher die erste Frage: Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, welche Erwartungen
- jenseits von Geld - es möglicherweise aufseiten der
Länder an die Arbeit der Bundesregierung im Bildungsbereich gibt? Die zweite Frage bezieht sich konkret auf
das Geld. Sie selbst sprachen vorhin den Hochschulpakt
an. Heute früh hieß es, er solle heute unterschrieben werden. Sie sagten vorhin, er werde beraten. Wie ist Ihre
Einschätzung über den Fortgang der Dinge?
Meine Einschätzung ist: Er wird beraten und unterschrieben. Er ist gut vorbereitet und es gibt keinen Anlass, ihn nicht zu unterschreiben, zumal alle Beteiligten
wissen, dass er für jedes Bundesland und die Universitäten wichtig ist. Insofern bin ich heute sehr guter Laune;
Sie können auch ganz beruhigt sein.
Wenn ich das sagen darf: Ich glaube, es ist wichtig,
dass in diesem Hochschulpakt erstmals auch die Länder
untereinander einen vernünftigen Weg gefunden haben,
wie wir verhindern, dass in den neuen Bundesländern
reihenweise abgebaut wird. Das ist auch strukturpolitisch wichtig für die neuen Länder; denn wir haben bei
der Debatte zuletzt festgestellt, dass das Thema „Wissenschaft, Forschung und Innovation“ für die Weiterentwicklung in den neuen Bundesländern von zentraler Bedeutung ist. Das ist in Wirklichkeit der Schlüssel.
Die Erwartungen der Länder an die Bundesregierung
beziehen sich auf die drei großen Bereiche, die ich eben
genannt habe. Länder, die bei PISA erfolgreich sind, haben nicht mehr Gremien und übrigens auch nicht vorrangig zentrale Strukturen. Sie haben sich früher auf ein
empirisches Fundament für ihre Arbeit eingelassen. Sie
haben sich früher darauf eingelassen, Entwicklungsprozesse über einen längeren Zeitraum zu beobachten, und
sie haben sich früher auf stärker individualisierte Lernkonzepte eingelassen. Das gilt vor allen Dingen für die
skandinavischen Länder. Für die drei Bereiche, die ich
eben genannt habe, können wir Grundlagen schaffen,
gleichsam den Instrumentenkasten zur Verfügung stellen, der die konkrete Schulentwicklung vor Ort und übrigens auch die pädagogischen Institute der Länder in ihrer Entwicklungsarbeit befördert.
Ich selbst werde in diesem Zusammenhang mit den
Hochschulen ins Gespräch kommen, weil wir eine Reihe
von Fachbereichen haben, die die Kompetenzen auch für
die Unterstützung von Schule und die Entwicklung der
Lernkultur, also der Didaktik, haben, die sich aber nach
meiner Überzeugung nicht ausreichend mit Schule beschäftigen. Wir brauchen also eine bessere Partnerschaft
zwischen Wissenschaft und dem, was an Entwicklungsarbeit im tertiären Bereich für die konkrete Schulentwicklung zu leisten ist.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Sager.
Der Nationale Bildungsbericht bezieht erfreulicherweise die frühkindliche Förderung mit ein, kommt aber
zu dem Ergebnis, dass Kinder aus bildungsfernen
Schichten weniger Anteil an der frühkindlichen Förderung haben als Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern,
vor allen Dingen im Krippenbereich und bei den Ganztagseinrichtungen. In vielen Bundesländern werden Familien mit höheren Armutsrisiken bei der Betreuung der
unter Dreijährigen und den Ganztagsplätzen mit der Begründung exkludiert, dass nicht beide Elternteile berufstätig seien. Welche Möglichkeiten sehen Sie auf der
Basis dieser empirischen Erkenntnisse, auf eine Veränderung dieser Verhältnisse Einfluss zu nehmen?
In Bundesländern, die den Rechtsanspruch auf einen
Kindergartenplatz zu 100 Prozent eingelöst haben, kann
es eine solche Praxis nicht geben. Das kann nur Länder
betreffen, die nicht genügend Plätze zur Verfügung stellen.
Im Übrigen haben wir in nahezu allen 16 Ländern seit
etwa zwei Jahren die Entwicklung, dass die Zahl der
Kinder zurückgeht. Meine Beobachtung ist, dass in diesem Zusammenhang die qualitativen Angebote in den
Kindergärten besser werden. Vieles, was in der Vergangenheit den Bildungsauftrag des Kindergartens geschwächt hat, hat sich verbessert. So werden Kinder früher aufgenommen, es gibt längere Öffnungszeiten und
Ferienzeiten wurden abgeschafft. Hier gibt es keine unmittelbare Einwirkung, aber Sie wissen, dass es eine intensive Diskussion zwischen Familienpolitik und Bildungspolitik gibt, die mehr Veränderungen bewirkt als
eine ausschließlich bildungspolitische Diskussion.
Letzter Satz: Es gibt mittlerweile einen Konsens darüber, dass das letzte Kindergartenjahr nach Möglichkeit
beitragsfrei sein soll, um die Zugangsschwelle zu verringern.
Das Wort hat der Kollege Willi Brase von der SPDFraktion.
Frau Ministerin, im Bericht ist unter dem Kapitel „Berufliche Bildung“ das Verhältnis zwischen Erstausbildung im Betrieb, Übergangssystem und schulischen Ausbildungsstrukturen ausgewiesen. Sie werden in der
„Osnabrücker Zeitung“ zitiert, dass Sie 250 000 jungen
Leuten, die nicht ausbildungsfähig oder nicht ausbildungsreif sind, ein Angebot machen wollen. In diesem Zusammenhang wurden als Beispiel Ausbildungsbausteine in
die Diskussion eingebracht. Mich würde interessieren, wie
Sie die Entwicklung von Ausbildungsbausteinen im Verhältnis zur schulischen Vollzeitberufsausbildung nach
§ 43 Abs. 2 BBiG sehen. Was tun die Länder, um endlich
das auf den Weg zu bringen, was wir gemeinsam hier im
Bundestag und im Bundesrat beschlossen haben? Mich
würde auch interessieren, wie Sie die Stufenausbildung,
die wir mit der Reform des Berufsbildungsgesetzes ein
Stück weit gestärkt haben, in diesem Zusammenhang beurteilen. Ich glaube nicht, dass wir 250 000 junge Leute in
Deutschland haben, die einen Ausbildungsplatz suchen
und die man einfach als „nicht ausbildungsreif“ abstempeln könnte.
Diese Meinung teile ich. Die Zahl 250 000 ist eine
von allen Beteiligten geschätzte Zahl. Ich habe eben gesagt, dass wir eine genaue Statistik brauchen, um festzustellen, wie viele von diesen 250 000 überhaupt noch zur
Verfügung stehen. Es ist auch klar, dass das nicht
250 000 nicht ausbildungsreife Jugendliche sind. Die
Gründe, warum sie keine Lehrstelle haben und möglicherweise noch zur Verfügung stehen, sind bislang nicht
klar. Das muss geklärt werden. Dann kann man zielgenauer sagen, inwieweit für diese Gruppe noch zusätzliche Plätze in einen neuen Ausbildungspakt aufgenommen werden müssen.
Die Ausbildungsbausteine beziehen sich ausschließlich - und zwar aus der Erfahrung mit der gestuften Ausbildung - auf diejenigen, die noch nicht ausbildungsreif
sind - das ist eine kleinere Gruppe - und auf diejenigen,
die hinsichtlich ihres Berufswunschs noch unsicher sind.
Der Unterschied zu früher besteht darin, dass diese Zeit
als eine Zeit im Unternehmen, also als eine Praxiszeit
anerkannt wird, zum Beispiel im Hinblick auf einen späteren Einstieg in die duale Ausbildung.
Es ist nicht so, dass die Länder nicht umgesetzt hätten, was im Berufsbildungsgesetz steht; die Veränderung
des Berufsbildungsgesetzes ist bekanntlich mit den Ländern - und übrigens überparteilich - zustande gekommen. Da gibt es auf politischer Ebene weder zwischen
A- und B-Ländern noch zwischen Bund und Ländern
Differenzen. Die Schwierigkeiten liegen vielmehr bei
den Sozialpartnern; sie liegen oft auch auf der Seite der
Branchen, die befürchten, dass bei zu viel Anerkennung
beruflicher Vollzeitschule die Praxis vernachlässigt wird.
Ich teile diese Meinung nicht; denn ich glaube, dass die
berufliche Vollzeitschule anerkannt werden muss - auch
im Hinblick auf die Motivation der Jugendlichen - und
dass selbstverständlich für eine Zulassung zur Kammerprüfung eine entsprechende Praxiszeit ermöglicht werden muss.
Gestufte Ausbildungen gibt es in Deutschland mittlerweile in rund 75 Berufen; da gibt es also längst ein breites Spektrum. Meine Überzeugung ist allerdings: Gestufte Ausbildung sollte es nur dann geben, wenn erstens
die Branche sagt, dass es dafür Bedarf gibt, und wenn
zweitens klar ist, dass die gestufte Ausbildung mit Blick
auf eine reguläre Ausbildung hin durchlässig sein muss;
sie darf keine Sackgasse sein. Dazu werden derzeit gemeinsame Kriterien zwischen dem Wirtschaftsministerium und meinem Hause erarbeitet.
Langer Rede kurzer Sinn: Im Übergangssystem muss
eine stärkere Umsteuerung zu den Unternehmen, zu den
Praxiszeiten hin stattfinden. Damit soll verhindert werden, dass der Eindruck entsteht, dass die öffentliche
Hand letztlich immer mehr das übernimmt, was im Bereich der dualen Ausbildung nicht geschieht. Die Bereitschaft der Länder dazu ist groß. Es gibt Länder, die uns
bereits signalisiert haben, dass sie bereit sind, ihr Übergangssystem in diese Richtung zu verändern.
Ich danke Ihnen, Frau Ministerin. - Wir sind weit
über die vorgesehene Zeit; aber ich denke, das war dem
Anlass angemessen. Ich verweise die Kollegin Hirsch
und die Kollegen Brase, Tauss, Rossmann und Gehring
auf weitere Debatten. Das Thema bleibt uns erhalten.
Damit beende ich die Befragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 16/3790, 16/3782, 16/3773 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 10
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache 16/3790 auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Alfred
Hartenbach zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die dringliche Frage 1 des Abgeordneten Wolfgang Wieland auf:
Treffen Medienberichte zu, nach denen ein Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof einen Antrag auf eine so genannte Onlinedurchsuchung mit der Begründung abgelehnt
hat, für eine solche Maßnahme fehle es an einer Rechtsgrundlage in der Strafprozessordnung, und gibt es deshalb für den
Einsatz der im Bundeshaushalt für diesen Zweck vorgesehenen Haushaltsmittel keine Rechtsgrundlage ({0})?
Herr Kollege Wieland, kann ich beide Fragen - eigentlich sind es ja vier - hintereinander beantworten
oder möchten Sie eine Einzelbeantwortung?
Sie können sie hintereinander beantworten.
Dann rufe ich auch die dringliche Frage 2 des Kollegen Wieland auf:
Wann wurde nach Kenntnis der Bundesregierung am Bundesgerichtshof oder an sonstigen Gerichten jeweils über Onlinedurchsuchungen entschieden - bitte Daten auflisten - und
wann gab es zum ersten Mal Zweifel, ob diese Maßnahme
rechtlich gestattet ist?
Ich danke Ihnen. - Zur Frage 1 a: Es trifft zu, dass ein
Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschluss
vom 25. November 2006 den Antrag des Generalbundesanwalts auf Durchsuchung eines vom Beschuldigten benutzten Personalcomputers im Wege einer Onlinedurchsuchung abgelehnt hat, weil er hierfür keine tragfähige
Rechtsgrundlage in der Strafprozessordnung sah.
Zur Frage 1 b: Das Bundeskriminalamt hat nach § 2
Abs. 6 Nr. 3 des Bundeskriminalamtgesetzes als Zentralstelle zur Unterstützung der Polizeien des Bundes und
der Länder polizeiliche Methoden und Arbeitsweisen der
Kriminalitätsbekämpfung zu erforschen und zu entwickeln. Dies setzt voraus, dass das Bundeskriminalamt
auch neue technische Verfahren im Hinblick auf ihre
Eignung als Ermittlungsinstrumente der Strafverfolgung
prüft und bewertet, unabhängig davon, ob die Durchführung entsprechender Maßnahmen unmittelbar bevorsteht. Hierfür benötigt das Bundeskriminalamt entsprechende Haushaltsmittel.
Nun zur Frage 2 a: Der Bundesregierung sind bisher
vier gerichtliche Entscheidungen bekannt, die sich mit
der Thematik einer heimlichen Onlinedurchsuchung in
strafrechtlichen Ermittlungsverfahren befassen: erstens
ein Beschluss des Ermittlungsrichters am Amtsgericht in
Bonn vom 7. Februar 2006, zweitens ein Beschluss des
Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 21. Februar 2006, drittens ein Beschluss des Ermittlungsrichters am Amtsgericht in Bonn vom 8. November 2006
und viertens ein Beschluss des Ermittlungsrichters des
Bundesgerichtshofs vom 25. November 2006. Allein in
der letztgenannten Entscheidung wurde ein Antrag auf
Anordnung einer heimlichen Onlinedurchsuchung zurückgewiesen. Gegen diesen ablehnenden Beschluss hat
der Generalbundesanwalt Beschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt. Ein Termin für die Bekanntgabe der
Beschwerdeentscheidung steht noch aus.
Frage 2 b: Der Bundesregierung ist nicht bekannt, bei
wem oder welcher Stelle es zum ersten Mal Zweifel an
der rechtlichen Zulässigkeit einer heimlichen Onlinedurchsuchung gegeben hat. Die Thematik wird in der Literatur seit einiger Zeit diskutiert. Ich nenne hier den
Beitrag von Hofmann in der „Neuen Zeitschrift für
Strafrecht“, 2005, ab Seite 121, mit dem Titel „Die Online-Durchsuchung - staatliches ‚Hacken’ oder zulässige
Ermittlungsmaßnahme?“
In der Rechtsprechung sind durchgreifende Zweifel
an der Zulässigkeit einer solchen Maßnahme erstmals
mit dem zitierten Beschluss des Ermittlungsrichters des
Bundesgerichtshofs, also einem Richterspruch, vom
25. November 2006 dokumentiert worden.
Kollege Wieland, Sie haben zu Ihren beiden Fragen
jeweils zwei Nachfragemöglichkeiten.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, da Sie es vermieden haben, eine eigene rechtliche Einschätzung abzugeben, möchte ich nachfragen: Hat der Generalbundesanwalt Ihnen mitgeteilt, dass er - es war das erste Mal in
der bundesrepublikanischen Rechtsgeschichte - einen
solchen Antrag gestellt hat, und haben Sie daraufhin
oder zu einem späteren Zeitpunkt in Ihrem Haus eine
Prüfung vorgenommen? Es handelt sich immerhin um
ein neues Instrument, das sehr stark bis in den privaten
Bereich eines PC-Nutzers hineinwirkt. Die Fragen, die
sich in diesem Zusammenhang stellen, liegen also auf
der Hand.
Herr Kollege Wieland, natürlich teile ich Ihre Auffassung, dass es sich bei der so genannten heimlichen Onlineausspähung um einen sehr tief greifenden Eingriff
handelt. Das Bundesministerium der Justiz hat jedoch
keinerlei Veranlassung, an dem gesetzmäßigen Handeln
des Generalbundesanwalts und der zuständigen Bundesanwälte zu zweifeln. Es bestand auch kein Anlass, einen
entsprechenden Bericht anzufordern, da der Bundesgerichtshof - es handelt sich ja nur um einen einzigen Fall
- dem Antrag stattgegeben hat.
Ihre zweite Nachfrage.
Daraus muss ich schlussfolgern: Sie haben im Vertrauen auf den Generalbundesanwalt auf eine eigene
Nachprüfung verzichtet. Wie ist es dann zu erklären,
Herr Staatssekretär, dass Sie mir auf eine frühere schriftliche Anfrage mitgeteilt haben, das laufe alles gemäß
§ 102 StPO ab - darin geht es um die Durchsuchung der
Wohnung und anderer Räume -, und dass Sie den Eindruck erweckt haben, dass es sich - wie auch sonst bei
Durchsuchungen - um einen öffentlichen Vorgang handelt?
Wir wissen beide, dass in der Strafprozessordnung äußerster Wert darauf gelegt wird, dass Durchsuchungen
bekannt gemacht werden, dass Personen hinzugezogen
werden und dass es sich nicht um Nacht-und-Nebel-Aktionen handeln darf. In unserem Staat soll also eine
Durchsuchung so öffentlich wie möglich sein.
Herr Kollege Wieland, ich muss meine Antwort auf
Ihre länglich formulierte Frage untergliedern.
Ich glaube, es war das Bundesinnenministerium in
Person des beamteten Staatssekretärs Hanning, welches
Ihnen mit Datum vom 2. November 2006 geantwortet
hat. Ist das richtig?
Das ist richtig. Aber ich bin von der Bundesregierung
als Einheit ausgegangen.
Ich habe dies nur erwähnt, weil Sie sagten, ich hätte
Ihnen geantwortet. Es war, wie gesagt, die Bundesregierung, die Ihnen auf zwei schriftliche Fragen geantwortet
hat. Die Antworten liegen mir vor; ich kann sie gerne
verlesen.
Das Bundesministerium der Justiz hat selbstverständlich Prüfungen angestellt. Sie werden aber sicherlich
Verständnis dafür haben, dass ich hier und heute keine
eingehende Bewertung des Beschlusses des Ermittlungsrichters sowie des Antrages des Generalbundesanwalts
abgeben kann. Solange der mit der Angelegenheit befasste 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes nicht über
die Beschwerde des Generalbundesanwalts entschieden
hat, steht es mir nicht an, eine dezidierte Meinung des
Bundesministeriums der Justiz und damit der Bundesregierung öffentlich darzutun und damit den Anschein zu
erwecken, ich würde in ein schwebendes Verfahren eingreifen oder dieses möglicherweise beeinflussen wollen.
Kollege Wieland, Sie haben eine erste Nachfrage zur
Beantwortung Ihrer zweiten Frage.
Herr Staatssekretär, ist dann die Meldung im Berliner
„Tagesspiegel“ unrichtig, wonach bereits geprüft werde,
ob man eine neue Rechtsgrundlage schaffen müsse, und
dass es im Bundesministerium des Innern und im Bundesministerium der Justiz verschiedene Meinungen dazu
gebe?
Herr Kollege Wieland, Sie sollten aus gemeinsamen
Koalitionszeiten wissen, dass ich, wenn ich die Bundesregierung vertrete, sehr selten bzw. nie Zeitungsmeldungen kommentiere. Auch in diesem Fall weiß ich nicht,
ob die Quellen, über die der von mir sehr geschätzte
Journalist der von Ihnen zitierten Zeitung verfügt, auch
verlässlich waren. Gehen Sie bitte davon aus, Herr Kollege Wieland, dass die Bundesregierung, in diesem Falle
durch die beiden Ministerien des Innern und der Justiz
vertreten, nicht schläft.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.
Soll mich das beruhigen?
Das könnte Sie vielleicht beruhigen.
Dann sage ich einmal: Sie prüfen dies also. - Haben
Sie Kenntnis darüber, ob die Dienste bereits von der
Möglichkeit der Onlinedurchsuchungen Gebrauch machen? Wissen Sie, dass im Landtag von Nordrhein-Westfalen aufgrund einer dort geplanten Gesetzesänderung in
Bezug auf den Verfassungsschutz die Frage der Rechtmäßigkeit solcher Maßnahmen umgehend erörtert
wurde? Wird das in Ihre Überlegungen einfließen und
haben Sie Kenntnis davon, dass und ob im nachrichtendienstlichen Bereich bereits mit Trojanern oder Ähnlichem gearbeitet wird?
Das waren jetzt allerdings vier Nachfragen, Frau Präsidentin.
Sie entscheiden, worauf Sie antworten.
Da ich aber den Kollegen Wieland sehr schätze, versuche ich alle Fragen zu beantworten.
Mir ist durch Tickermeldungen bekannt, dass sich der
Innenminister von Nordrhein-Westfalen mit diesem
Thema befasst
({0})
und sich damit demnächst auch der Landtag befassen
wird. Es steht mir nicht zu, dies in irgendeiner Form zu
kommentieren.
Zu ihrer ersten Teilfrage: Ich habe keine derartigen
Erkenntnisse. Mir ist auch nicht mitgeteilt worden, in
welcher Form sich die „Dienste“, wie Sie sich auszudrücken pflegen, damit befassen.
Verzeihung, wie lautete Ihre andere Teilfrage noch
einmal?
Darf ich, Frau Präsidentin?
Ja, aber ganz kurz.
Ganz kurz und präzise: Wenn ein Bundesland es
schon für nötig hält, ein Gesetz zu ändern, damit die
Dienste in diesem Land solche Verfahren anwenden können, liegt es dann nicht sehr nahe, sich zu fragen, ob das
nicht im Rahmen der Strafverfolgung erst recht gesetzlich geregelt sein müsste?
Ich will dies gerne beantworten. Wir sollten weiterhin
sehr darauf achten, dass die Länder in eigener Verantwortung das regeln, was sie zu regeln haben, und dass
wir das in eigener Verantwortung regeln, was wir zu regeln haben. Wenn es etwas zu regeln gibt, Herr Kollege
Wieland, werden wir dies sicherlich auch tun.
Der Kollege Montag hat noch eine Nachfrage.
Danke, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Staatssekretär, lieber Kollege Hartenbach, wir sind auf dieses
Thema aufmerksam geworden, weil in den Nachtragshaushalt des Bundesinnenministeriums plötzlich ein
Geldbetrag für die Entwicklung einer Hackersoftware
eingestellt worden ist. Für die verfassungsrechtliche Bewertung des Gesamtvorgangs spielt es doch eine große
Rolle, ob der Bundesinnenminister Geld für einen elektronischen Schlüsseldienst oder Geld für ein elektronisches Einbruchswerkzeug haben will.
Ich möchte von Ihnen auch gar keine eingehende Prüfung - diese haben Sie für den jetzigen Zeitpunkt bereits
abgelehnt -, sondern eine einfache und schlichte, aber
der Verfassung gemäße Einschätzung des Bundesjustizministeriums: Eine völlig neue Maßnahme, die eigentlich
dem Eindringen in Ihre Wohnung gleichkommt - wenn
es Sie beträfe -, von der Sie aber nichts wissen, kann
doch keine Hausdurchsuchung nach § 102 StPO -
Kollege Montag, versuchen Sie einmal, Ihre Frage
mit einem Fragezeichen abzuschließen.
Das Fragezeichen kommt zum Schluss, Frau Präsidentin.
({0})
Mit diesem Eindringen in Ihre Wohnung würde zweitens Ihre Telekommunikation überwacht - soweit sie
über das Internet läuft - und drittens wäre Intimstes aus
Ihrer privaten Lebenssphäre, etwa Tagebuchaufzeichnungen, betroffen. Es handelt sich also um eine Mischung der Sachverhalte in den § § 100 a, 100 c und
102 StPO. Halten Sie das nicht für einen Eingriff in die
Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger, der eine gesetzliche Grundlage braucht?
Ich will darauf genauso ausführlich antworten, wie
Sie gefragt haben. Ihre Frage, die sich auf die Verfassung
bezog, beantworte ich zum Schluss.
Herr Kollege Montag, offensichtlich nehmen Sie - was
Ihr gutes Recht ist - Einzelentscheidungen, wie vor kurzem eine Entscheidung des Landgerichts Stuttgart zu der
Verwendung angeblich verfassungsfeindlicher Symbole,
immer wieder zum Anlass, ein angeblich verfassungswidriges Verhalten anzuprangern oder neue Gesetze anzumahnen. Uns liegt eine Entscheidung vor. Zu diesem
Thema ist die Meinung in der Literatur diffus, aber nicht
ablehnend. Es gibt darüber hinaus den Beschluss eines
Ermittlungsrichters am Bundesgerichtshof, der klipp und
klar sagt - ich darf zitieren, Frau Präsidentin, ohne dass
ich mich hier der Preisgabe von Dienstgeheimnissen
schuldig mache; der Beschluss ist ja bekannt -:
Die Durchsuchung des PC-Datenbestandes des Beschuldigten ohne sein Wissen ist durch die Befugnisnorm des § 102 StPO gedeckt.
Das sagt immerhin ein Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof. Dies war bis vor drei Wochen Stand bei den
Urteilen der Richter und bei der Rechtsprechung.
({0})
- Herr Wieland, Sie berufen sich jetzt auf eine abweichende Meinung eines Ermittlungsrichters am Bundesgerichtshof,
({1})
die bisher noch nicht rechtskräftig ist.
Natürlich gebe ich Ihnen Recht und sage: Jeder Eingriff in die Privatsphäre bedarf einer gesetzlichen
Grundlage. Wir hatten - ich will noch einmal auf den
Kollegen Wieland zurückkommen - bisher überhaupt
keine Veranlassung, von Dienst- oder Aufsichtsrechten
gegenüber dem Generalbundesanwalt Gebrauch zu machen, weil wir eine klare Regelung für die Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof hatten. Lassen Sie uns
doch abwarten, wie der Dritte Strafsenat, der sich sicherlich nicht allzu lange Zeit lassen wird, entscheidet. Wenn
der Dritte Strafsenat sagt, dass der erste Beschluss, den
ich gerade zitiert habe, korrekt ist und wir ihn weiterhin
zur Grundlage für die Verfahren bei den Ermittlungsrichtern am Bundesgerichtshof machen können, dann haben
wir kein Bedürfnis, diese Rechtsgrundlage zu ändern
- Sie vielleicht schon -, und könnten uns weiterhin auf
die einschlägige Norm in der Strafprozessordnung verlassen.
Sie können aber sicher sein, dass das Bundesministerium der Justiz in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium des Innern - weil ja dieser neue Beschluss
die Frage der präventiven Maßnahmen angesprochen,
sie aber offen gelassen hat - sofort reagieren wird. Genauso sicher können Sie sein, dass zumindest vonseiten
des Generalbundesanwalts ein solcher Antrag zunächst
nicht mehr gestellt werden wird.
Die Kollegin Silke Stokar von Neuforn hat noch eine
Nachfrage.
Sicherlich liegt der Bundesregierung - auch wenn er
noch nicht veröffentlicht worden ist - der neuere Beschluss des Bundesgerichtshofes vor. Ich will daraus
jetzt nicht zitieren. Meine Frage an Sie ist: Stimmen Sie
mit mir überein, dass es im Zusammenhang mit § 102
StPO - Durchsuchung - auch Schutzrechte für die Betroffenen gibt, dass aber alle Schutzrechte im Falle eines
heimlichen Eindringens in einen PC unwirksam werden?^Ich gehe nicht davon aus, dass der virtuelle Polizist
bei mir am PC klingelt, mir einen richterlichen Beschluss per E-Mail übersendet, mir hinterher ein Protokoll der Durchsuchung aushändigt oder gar - welches
mein Schutzrecht bei einer Wohnungsdurchsuchung
wäre - virtuelle Zeugen anwesend sind. Bei einem solchen Ablauf könnte ich eine Analogie zur Durchsuchung
noch nachvollziehen. Können Sie mir bitte erläutern,
welche Schutzrechte noch gegeben sind, wenn in den
Kernbereich meines Privatlebens auf dieser vermeintlichen Rechtsgrundlage heimlich eingegriffen wird?
Frau Kollegin, ich werde diese Frage gerne mit Ihnen
eingehend und öffentlich diskutieren, wenn die Entscheidung des dritten Strafsenats vorliegt. Ich glaube, Sie haben eben nicht zugehört. Ich habe gesagt: Ich werde
mich hier nicht hinstellen und irgendetwas kommentieren. Ich werde auch nichts präjudizieren. Damit müssen
Sie sich jetzt zufrieden geben. Egal, ob ich Ihnen jetzt
sagen würde „Sie haben Recht“ oder „Sie haben nicht
Recht“, könnte man das als Vorwegnahme der Entscheidung des 3. Strafsenats des BGH auslegen.
Ich glaube, ich habe deutlich gemacht, dass ich diesen
„Onlinehackerangriff“ -, ich setze dies mal in Anführungszeichen
({0})
- Herr Wieland, nun bleiben Sie doch gelassen -, auch,
wenn er gerichtlich genehmigt ist, als einen tief greifenden Eingriff ansehe, wie ich auch jede andere heimliche
Ermittlungsmaßnahme als einen tief greifenden Eingriff
ansehe: Dies gilt für die so genannte Wohnraumüberwachung, welches der härteste Eingriff ist, genauso wie für
die ganz normale Hausdurchsuchung, bei der der Betroffene anwesend sein kann, oder die Telefonüberwachung
und die Briefkontrolle. Für alles muss es eine gesetzliche
Grundlage geben.
({1})
Ich habe Ihnen eben den ersten Beschluss vom Februar
2006 zitiert. Darin ist die gesetzliche Grundlage normiert. Nun warten wir doch ab, was der 3. Strafsenat
sagt! Ich sage es noch einmal: Wie auch immer dies ausgeht, Sie werden uns auf dem Posten finden.
({2})
Eine weitere Frage können Sie nicht stellen, Frau
Stokar.
({0})
- Nein, nein. Frau Stokar hat bereits eine Zusatzfrage zu
der Frage des Kollegen Wieland gestellt.
({1})
Im Übrigen ist zunächst der Kollege Kauder mit einer
Zusatzfrage an der Reihe.
Bitte schön.
Herr Staatssekretär, können wir uns darauf verständigen - Herr Kollege Montag, ich meine damit auch Sie -,
dass die strafprozessualen Vorschriften der §§ 102 und
103 der Strafprozessordnung aus dem Jahre 1879 stammen? Damals gab es noch keinen PC. Können wir uns
weiter darauf verständigen, dass das Analogieverbot des
Art. 103 des Grundgesetzes für strafprozessuale Maßnahmen genau nicht gilt? Deswegen hat der Bundesgerichtshof in der zitierten Entscheidung vom 21. Februar
2006 - ich glaube, auch da können wir Einigkeit erzielen - die Vorschriften der § § 102 und 103 der Strafprozessordnung eben nicht unmittelbar, sondern nur analog
angewendet. Damit haben wir eine Gesetzesgrundlage.
Die Frage ist nur, ob sie trägt und wie die abweichende
Rechtsprechung entschieden wird. Können wir uns darauf einigen, Kollege Montag, dass wir abwarten, bis die
Entscheidung des Bundesgerichtshofs auf die Beschwerde
hin vorliegt? Dann wissen wir mehr.
Ich könnte natürlich alle Fragen einfach mit Ja beantworten. Selbstverständlich ist es so - und darauf beziehen sich die Kollegen Wieland, Montag und Stokar von
Neuforn -, dass der BGH in dem letzten Beschluss sagt:
Wir wollen die Vorschriften auch nicht analog anwenden. Was Sie sagen, ist genau richtig: Wir warten die Beschwerdeentscheidung des 3. Strafsenats des BGH ab.
Dann werden wir weitersehen.
({0})
Da ich ein großzügiger Mensch bin, habe ich vorhin
schon mindestens drei Fragen der Kollegin Stokar von
Neuforn zugelassen; dennoch ist es formal richtig, dass
sie zur zweiten Frage des Kollegen Wieland eine weitere
Nachfrage stellen darf. Ich bitte aber darum, dass Sie tatsächlich eine Frage stellen.
({0})
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen. - Ich akzeptiere es
natürlich nicht, dass die Bundesregierung zu einer bundesweit öffentlich diskutierten Rechtsfrage nicht Position bezieht. Mir liegt der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom November vor. Teilen Sie die Auffassung, dass
das heimliche Eindringen in einen privaten PC das gleiche Gewicht und die gleiche Schwere hat wie der große
Lauschangriff? Teilen Sie auch meine Auffassung, dass
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum großen
Lauschangriff in diesem Zusammenhang Gültigkeit hat
und daher zur Anwendung kommen müsste?
Verehrte Frau Kollegin, ich habe, so glaube ich, mehrfach deutlich gemacht, dass ich dies als heimliche Ermittlungsmaßnahme ansehe. Wir können bisher davon
ausgehen, dass sie durch die analoge Anwendung der
§§ 102 und 103 StPO gedeckt ist. Jede heimliche Ermittlungsmaßnahme, egal welcher Art, ist ein tief greifender
Eingriff in die persönlichen Rechte eines Betroffenen
und bedarf einer gesetzlichen Regelung.
Zu der zweiten Frage werde ich mich weiterhin nicht
äußern, weil ich dadurch möglicherweise ein Präjudiz
schaffen würde. Diese Frage ist nämlich Grundlage für
die Entscheidung des Senats.
Zur Geschäftsordnung hat der Kollege Volker Beck
das Wort.
Namens der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
beantrage ich zu diesem Themenkomplex nach § 106
unserer Geschäftsordnung in Verbindung mit Anlage 5,
Nrn. 1 b, und 2 a, eine Aktuelle Stunde zu diesem
Thema.
Wir meinen, dass das Thema „Lizenz zum Hacken“
hier geklärt werden muss. Die Fragestunde hat deutlich
gemacht, dass die Bundesregierung nicht verstanden hat,
dass das Grundrechtsschutzkonzept, das wir in der Offlinewelt haben, auf die Onlinewelt übertragen werden
muss. Die Bundesregierung wartet ab und stellt gleichzeitig Gelder bereit, um den Einbruch in Computer zu
ermöglichen. Das passt nicht zusammen. Darüber muss
im Hohen Hause ausgiebig diskutiert werden.
Zuallererst danke ich dem Herrn Staatssekretär für
seine Bemühungen bei der Beantwortung der Fragen.
({0})
Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat zu
den dringlichen Fragen des Abgeordneten Wolfgang
Wieland eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht
Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Das
heißt, die Aussprache findet im Anschluss an die Fragestunde statt.
Aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Verteidigung werden gemäß Nr. 15 der Richtlinien
für die Fragestunde die schriftlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Norman Paech auf Drucksache 16/3782
aufgerufen:
Ist das Kommando Spezialkräfte, KSK, der Bundeswehr
derzeit im Rahmen des Mandats für die Operation „Enduring
Freedom“ in Afghanistan im Einsatz?
Ist das Kommando Spezialkräfte, KSK, der Bundeswehr
derzeit im Rahmen des Mandats für die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe, ISAF, in Afghanistan im Einsatz?
Da die Fragen inzwischen schriftlich beantwortet
sind, kann der Fragesteller gemäß Nr. 15 Abs. 3 unserer
Richtlinien nur fragen, warum die Antwort nicht innerhalb der Wochenfrist gegeben wurde. Zur Beantwortung
dieser Frage erteile ich das Wort dem Parlamentarischen
Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung,
Christian Schmidt.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Paech,
die Frage nach der Fristüberschreitung bei der Beantwortung Ihrer schriftlichen Frage, die mit Datum vom
11. Dezember vom Kollegen Kossendey schriftlich beantwortet wurde, beantworte ich wie folgt: In der Begründung zum Antrag der Bundesregierung auf
Drucksache 16/3150 zur Verlängerung des Mandats für
Operation „Enduring Freedom“, OEF, hat die Bundesregierung zugesichert, den Deutschen Bundestag entsprechend der bisherigen Praxis regelmäßig über Einsätze auf der Grundlage dieses Mandats zu unterrichten.
Aufgrund der besonderen Sicherheitsbedürfnisse beim
Einsatz von Spezialkräften erfolgt die Unterrichtung
hierüber gemäß einem besonderen, mit den Fraktionsvorsitzenden abzustimmenden Verfahren. Vor dem Hintergrund der zwischenzeitlich eingeleiteten Abstimmung
wurde die Beantwortung der Fragen zunächst zurückgestellt.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, dass das
die Antwort auf beide Fragen ist?
Ja, ich habe sie gemeinsam beantwortet.
Dann haben Sie, Herr Kollege Paech, die Möglichkeit
zu insgesamt vier Nachfragen, falls dies nötig ist.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich werde versuchen,
der Geschäftsordnung besser zu entsprechen, als es dem
Verteidigungsministerium bisher gelungen ist.
Herr Staatssekretär, Ihnen dürfte bekannt sein, was
der Herr Verteidigungsminister am 24. Oktober dieses
Jahres beim Bundeswehrforum der „Welt am Sonntag“
in einem Interview gesagt hat. Er sagte zum KSK-Einsatz in Afghanistan:
Ich will deutlich sagen, dass in meiner Amtszeit
kein einziger KSK-Soldat im Einsatz war unter
OEF-Mandat.
Herr Minister Jung hat dies am 24. Oktober gesagt.
Daher frage ich mich: Warum war die Bundesregierung
nicht in der Lage, meine am 15. November dieses Jahres
gestellte ganz einfache und kurze Frage, nämlich ob das
KSK derzeit im Rahmen des Mandats Operation „Enduring Freedom“ in Afghanistan im Einsatz sei, innerhalb
der in der Geschäftsordnung vorgesehenen Wochenfrist
zu beantworten? Die öffentlich gemachte Äußerung
hätte eigentlich nur wiederholt werden müssen. Es hätte
also nur einen Tag gedauert, meine Frage zu beantworten. Aber es hat vier Wochen gedauert. Weswegen haben
Sie so lange dafür gebraucht? Das müssen Sie mir erklären!
Herr Kollege, ich erkläre das gerne, muss aber vorweg den Hinweis auf die Nichtbeachtung der Geschäftsordnung zurückweisen. Denn wir haben es nun begründet und wir hatten Ihnen derweil Zwischenbescheide mit
der Bitte um Verständnis geschickt. Ich stehe hier nun
gemäß der Geschäftsordnung Anlage 4 Nr. 15, um Ihnen
Antwort zu geben. Das habe ich, wie ich meine, bereits
umfassend getan.
Sie haben Ihre Frage seinerzeit auf die derzeitige Situation bezogen. Dazu nur so viel - ohne jetzt auf die
Frage selbst einzugehen -: Über die derzeitige Situation
ist im Hinblick auf den hohen Sicherheits- und Gefährdungsgrad der Soldaten grundsätzlich nur nach einem
entsprechenden Verfahren Auskunft zu erteilen. Dieses
Verfahren ist gerade in den letzten Wochen mit den Fraktionsvorsitzenden noch einmal besprochen und - soweit
notwendig - gemäß den Wünschen und Vorstellungen
der Fraktionsvorsitzenden ausgestaltet worden, sodass
die entsprechende Unterrichtung stattfinden kann. Die
Bundesregierung behält sich vor, dies in Abstimmung
mit den Vertretern des Parlaments sorgfältig abzuarbeiten. Deswegen werden solche Fragen gemäß diesen Kriterien beantwortet. Das war hier der Fall.
Sie haben die Möglichkeit, noch einmal zum Thema
der Fristen zu fragen.
Sie verweisen mich in Ihrer Antwort auf ein so genanntes vorgesehenes Verfahren. Ich habe im Parlamentsbeteiligungsgesetz und auch im Grundgesetz nachgesehen und konnte dort nichts zu einem solchen
Verfahren finden. Wieso brauchen Sie für solch eine
Antwort so lange?
({0})
Herr Kollege Paech, das Thema bleibt dasselbe. Ich
habe Ihnen die Antwort schon zweimal gegeben.
({0})
Ich gebe sie Ihnen auch gerne ein drittes und viertes Mal.
Das verlängert allerdings die Beantwortung und wir sind
doch für effizientes Arbeiten.
({1})
Haben Sie noch eine weitere Frage zur Frist?
Ja, ich habe noch zwei Nachfragen.
In meiner ersten Frage ging es um den KSK-Einsatz
unter OEF-Mandat in Afghanistan. In meiner zweiten
Frage ging es um den KSK-Einsatz unter ISAF-Mandat,
also um etwas anderes.
Ist Ihnen bekannt, dass der Sprecher des Bundesverteidigungsministers Dr. Raabe auf einer Regierungspressekonferenz am 10. November auf die Frage eines Journalisten, im Rahmen welcher Mission das KSK denn
nun eigentlich in Afghanistan agiere, gesagt hat - ich zitiere ihn -: „Im Rahmen von ISAF“? Meine Frage lautet
wiederum: Wieso hat es so lange - vier Wochen - gedauert, bis Sie mir antworten, dass Sie auf diese Frage keine
Antwort geben? Eine Bestätigung bzw. Wiederholung
dieser Antwort hätte doch eigentlich ausgereicht.
Herr Kollege, die Bundesregierung und das Bundesministerium der Verteidigung bleiben bei der geübten
Praxis, sich im Hinblick auf diese Fragen an die vereinbarten Verfahren zu halten, die sich einerseits aus dem
Verständnis des Informationsrechts des Parlaments und
andererseits aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und dem Parlamentsbeteiligungsgesetz ergeben. Deswegen verweise ich auf die Antworten, die
ich auf Ihre vorherigen Fragen bereits gegeben habe.
({0})
Sie haben die Möglichkeit, eine vierte Nachfrage zur
Fristüberschreitung zu stellen.
Ja, und dann werde ich Sie erlösen. - Ich weiß, dass
im Bundesverteidigungsministerium gewisse Probleme
aufgetaucht sind, weil der Bundesverteidigungsminister
offensichtlich ein Tabu gebrochen hat, indem er, anders
als bisher, über den Einsatz von KSK-Kräften gesprochen hat. Das ist sein Problem, nicht unseres. Ich frage
Sie: Könnte es sein, dass Sie vielleicht deshalb so lange
für Ihre Antwort gebraucht haben, weil Sie darüber
nachgedacht haben, Ihre Informationspolitik insgesamt
zu öffnen und uns einfache Abgeordnete in Zukunft besser als bisher zu informieren?
Herr Kollege, es bleibt bei dem, was ich bereits eingangs gesagt habe. Diese Aussage unterstreiche ich. Allerdings ist mir daran gelegen - das geht eigentlich über
die Grenze Ihrer Frage hinaus -, Sie darauf hinzuweisen,
dass die Praxis, über Einsätze, auch über solche des
Kommandos Spezialkräfte, zu unterrichten, bereits in
der Vergangenheit gepflegt worden ist. Herr Kollege, das
sage ich Ihnen als jemand, der zum damaligen Zeitpunkt
ein Informationsbedürfnis gegenüber der vorherigen
Bundesregierung angemeldet hat. Dieses Informationsbedürfnis ist auch damals befriedigt worden. Ich bin
froh, dass wir uns jetzt auf Wege verständigt haben,
durch die das noch mehr präzisiert wird.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Jetzt rufe ich die Fragen auf Drucksache 16/3773 in
der üblichen Reihenfolge auf.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Andreas
Storm zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Cornelia Hirsch auf:
Welche Schritte hat die Bundesregierung bisher zur Optimierung der Bildungsberatung unternommen, die im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vereinbart wurde, und
wie sehen ihre weiteren Planungen in dieser Frage aus?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Frage der Abgeordneten Hirsch nach der Optimierung der Bildungsberatung beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung
unterstützt insbesondere die Zielsetzung, durch eine Vernetzung der am Beratungsgeschehen Beteiligten zu einer
Weiterentwicklung der Beratung in Bildung, Beruf und
Beschäftigung beizutragen. So wurde am 27. September 2006 das „Nationale Forum Beratung für Bildung,
Beruf und Beschäftigung“ gegründet. Dieses Forum hat
sich zum Ziel gesetzt, die Beratungsangebote für die
Bürger transparenter und besser zugänglich zu machen
und die Qualität der Beratungsangebote zu steigern sowie eine fachgerechte Ausbildung von Beratungsfachkräften und die Forschung in diesen Bereichen zu fördern.
Das BMBF hat in diesem Zusammenhang ein Projekt
zur Bestandsaufnahme der Bildungs-, Berufs- und Beschäftigungsberatungsangebote sowie zur Entwicklung
grundlegender Standards hierfür vergeben. Es soll einen
Überblick über die vielfältigen Akteure und Beratungsangebote in Deutschland geben und es soll ein Beratungsatlas, der dies zusammenfasst, erstellt werden. Zu
einer verbesserten Beratung tragen auch die Agenturen
für Arbeit bei. Die Bundesagentur für Arbeit hat ein „Informationssystem Bildung und Beruf“ eingerichtet, das
aktuelle und detaillierte Berufs- und Bildungsinformationen zur Verfügung stellt.
Ihre erste Nachfrage, Kollegin Hirsch.
Meine erste Nachfrage wäre: Welchen Anteil hatte die
Bundesregierung konkret an der Gründung des von Ihnen erwähnten Forums, wie hat sie sich da eingebracht?
Könnten Sie in diesem Zusammenhang aus Ihrer Sicht
mit beantworten, in welchem Verhältnis dieses Forum
zukünftig zu den Angeboten der Bundesagentur für Arbeit stehen soll?
Von der Bundesregierung ging die Initiative für dieses
Forum mit aus. Wie ich bereits angedeutet habe, haben
wir ein Problem im Hinblick auf die Transparenz und die
Vielfältigkeit der Angebote im Bildungsbereich. Es geht
darum, dass wir das Angebot für die möglichen Nutzer
übersichtlicher und transparenter gestalten können. Das
ist unter anderem der Grund, weswegen wir mit Nachdruck an der Erstellung eines Beratungsatlasses arbeiten.
Es gibt drei Schwerpunkte. Der eine - Sie haben ihn
angesprochen - ist die Verbesserung der Beratungsangebote der Bundesagentur für Arbeit. Es hat bei der Bundesagentur für Arbeit selbst eine Veränderung gegeben:
Im Zusammenhang mit der Umstrukturierung der Agenturen für Arbeit auf das neue Kundenzentrum sollen die
örtlichen Vermittlungs- und Beratungsfachkräfte in Zukunft wesentlich mehr Zeit für Beratungsgespräche haben. Das hat unter anderem zur Folge, dass die Bundesagentur für Arbeit im Rahmen ihres Informationssystems
„Bildung und Beruf“ mit BBZ online - „Beruf, Bildung,
Zukunft“ -, mit BERUFENET und mit KURSNET aktuelle und detaillierte Berufs- und Bildungsinformationen
zur Verfügung stellt. Ich nenne hier beispielhaft
KURSNET, wo ein Überblick und sehr detaillierte Informationen über rund 600 000 Bildungsangebote von rund
20 000 Bildungsanbietern bereitgestellt werden.
Unsere eigenen Aktivitäten gehen sehr stark in den
Bereich Weiterbildung - Stichwort „Lernende Regionen“ - und natürlich auch in die Verbesserung der Transparenz der Beratungsangebote für die Studienwahl.
Ihre zweite Nachfrage.
Sie haben die Umstrukturierung der BA angesprochen. Welche Folgen hat diese Umstrukturierung aus Ihrer Sicht für die Zielstellungen, die man mit der Bildungsberatung verknüpft? Konkreter gefragt: Geht es
der Bundesregierung bei der Bildungsberatung vorrangig darum, die Leute wieder in den Arbeitsmarkt einzupassen? Oder geht es ihr vorrangig darum, die Leute zu
einer höchstmöglichen Qualifikation zu bringen? Ich
würde Sie auch bitten, mir in diesem Zusammenhang zu
beantworten, ob es weitere Grundsätze gibt, die die Bundesregierung als wichtig erachtet für die Bildungs- und
Berufsberatung, beispielsweise eine öffentliche Verantwortung, kostenfreier Zugang oder Ähnliches?
Es geht im Zusammenhang mit der Optimierung der
Beratungsangebote der Bundesagentur für Arbeit sowohl
um eine qualitative Verbesserung als auch um eine zielgerichtete Hinführung zu solchen WeiterbildungsangeParl. Staatssekretär Andreas Storm
boten, die dann unmittelbar in Beschäftigung, in einen
neuen Arbeitsplatz einmünden können.
Die grundsätzlichen Fragestellungen, von denen sich
das Bundesbildungsministerium bei der Optimierung der
Beratungsangebote leiten lässt, lauten generell für diese
Arbeitsgebiete: zunächst eine Professionalisierung der
Bildungsberatung, eine Stärkung der Qualitätsentwicklung, eine Konzentration oder Verstärkung der Bildungsberatungsangebote für kleine und mittelständische
Unternehmen sowie Hilfestellung bei der Geschäftsentwicklung für Bildungsberatung. Das ist die Agenda der
Themen, mit denen wir uns im Zusammenhang mit den
„Lernenden Regionen“ bei Weiterbildungsangeboten an
bundesweit sehr vielen Stellen beschäftigen.
Wir kommen zur Frage 2 der Abgeordneten Hirsch:
Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass es bei der im
Rahmen der ersten Säule des Hochschulpaktes vereinbarten
Aufnahme von mindestens 90 000 zusätzlichen Studienanfängerinnen und -anfängern nicht zu Qualitätseinbußen an den
Hochschulen und zur Einrichtung von „Dumpingstudienplätzen“ kommt, da in der bisher vorliegenden Vereinbarung mit
den Ländern keine verpflichtende Finanzierung aus den Länderhaushalten zusätzlich zu den vom Bund bereitgestellten
Mitteln vorgesehen ist ({0})?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich beantworte die
zweite Frage der Kollegin Hirsch zum Hochschulpakt
wie folgt: Die Einigung zwischen den Wissenschaftsministern von Bund und Ländern über die Eckpunkte der
Ausgestaltung des Hochschulpaktes enthält im Hinblick
auf die erste Säule - die Kapazitätsfrage - eine Verpflichtung der Länder, bis zum Jahr 2010 90 000 zusätzliche Studienanfänger aufzunehmen und hierfür die Gesamtfinanzierung sicherzustellen. Ziel der ersten Säule
des Hochschulpaktes ist es, einer steigenden Zahl von
Studienberechtigten ein qualitativ hochwertiges Hochschulstudium zu ermöglichen. Die Bundesregierung hat
keinerlei Anlass, anzunehmen, dass die Länder ihren
Beitrag zur Erreichung dieses Zieles nicht leisten würden.
Die Bundesmittel sind unmittelbar an die tatsächlich
aufgenommenen zusätzlichen Studienanfänger gekoppelt
und werden spitz abgerechnet. Damit ist eine strenge und
enge Erfolgskontrolle gewährleistet.
Ihre erste Nachfrage.
Wir haben heute Morgen im Bildungsausschuss über
dieses Thema diskutiert. Zu diesem Zeitpunkt wussten
wir noch nicht, dass es eine Einigung geben würde - sie
ist inzwischen erfolgt - und die Länder einstimmig das
so genannte Konzept des Bundesministeriums billigen
würden.
Über den Ticker läuft zurzeit eine Meldung hierzu.
Vielleicht könnten Sie etwas richtig stellen, damit das
morgen nicht falsch in den Zeitungen steht. Es heißt
dort, dass sich Bund und Länder verpflichtet hätten, von
2007 bis 2010 jeweils 565 Millionen Euro im Rahmen
des Hochschulpaktes zur Verfügung zu stellen. Nach Ihrer Antwort auf meine erste Frage ist das definitiv falsch.
Man hat sich doch lediglich darauf verständigt, 90 000
zusätzliche Studienanfängerinnen und -anfänger aufzunehmen. Wie gut die Studienplätze für sie dann finanziell ausgestattet sind, ist mehr oder weniger Sache der
einzelnen Bundesländer. Diese müssen nur sicherstellen,
dass die zusätzlichen Studierenden auch kommen können, mit all den bekannten Problemen. So hat die Technische Universität Ilmenau natürlich wesentlich schlechtere Voraussetzungen als die Universität in Hamburg.
Frau Abgeordnete Hirsch, die Beratungen zum Abschluss des Hochschulpaktes finden heute Nachmittag
nahezu zeitgleich mit den Verhandlungen der Ministerpräsidenten bei der Bundeskanzlerin statt. Nach meinem
Kenntnisstand gibt es noch kein Ergebnis. Es zeichnet
sich aber ab, dass es eine gemeinsame Vereinbarung geben wird, die die Schaffung von Kapazitäten für 90 000
zusätzliche Studienanfänger vorsieht. Der Beitrag des
Bundes hierfür beträgt 565 Millionen Euro, die an die
Länder dann ausgezahlt werden, wenn sie die Anforderungen erfüllen und diese zusätzlichen Studienplätze
schaffen bzw. - das gilt für die neuen Länder und die
Stadtstaaten - die Studienplatzkapazitäten auf der Basis
des Jahres 2005 erhalten.
Ihre zweite Nachfrage.
Meine zweite Nachfrage lautet: Inwieweit soll im
Rahmen der Vereinbarung verbindlich und nicht nur
durch eine allgemeine Absichtserklärung festgeschrieben werden, was uns die Bundesregierung immer zugesichert hat, nämlich dass Frauenförderprogramme, die es
bisher gibt, durch die Länder auch fortgeführt werden?
Damit verbindet sich die Frage, inwieweit die Bundesregierung ihr Ziel durchsetzen konnte, dass zukünftig der
Zugang für Menschen mit einem Berufsabschluss an die
Hochschulen sichergestellt ist. Im Bildungsausschuss
wurde uns versichert, das würde die Bundesregierung in
den Verhandlungen gegenüber den Ländern selbstverständlich geltend machen. Die Frage ist, inwieweit das
passiert ist und was faktisch dabei herausgekommen ist.
Frau Abgeordnete Hirsch, die Ausgestaltung des
Hochschulpaktes erfolgt in zwei Stufen. Wir werden,
wenn die Verhandlungen heute Nachmittag erfolgreich
verlaufen - ich habe zur Stunde keinen Zweifel, dass das
gelingen wird -, eine Vereinbarung schließen, die das
Ziel vorgibt, insgesamt 90 000 zusätzliche Plätze für
Studienanfänger bis zum Jahr 2010 zu schaffen bzw. in
den neuen Bundesländern und in den Stadtstaaten Bremen und Hamburg - eine entsprechende Regelung ist für
das Land Berlin vorgesehen - die Kapazität auf der Basis des Jahres 2005 zu erhalten. Die Erfüllung des Paktes
ist die Grundlage bei der Abrechnung und bei der Entscheidung über die Vergabe der Mittel.
Darüber hinaus werden bis zum 31. März des kommenden Jahres detaillierte Programme durch die Länder
erstellt, wie sie diese Kapazitätsziele erreichen wollen.
Dabei spielen auch Fragen wie zum Beispiel der verstärkte Ausbau von Studienplätzen an Fachhochschulen,
die Erhöhung des Frauenanteils bei den Professuren und
natürlich auch die Einführung neuer Instrumente zur
Stärkung der Kapazitäten in der Lehre eine Rolle. Über
diese bis zum 31. März vorzulegenden Konzepte soll
dann, sozusagen als Ergebnis der zweiten Stufe, bei der
nächsten Konferenz der Regierungschefs im Juni 2007
befunden werden.
Danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Es antwortet der Staatsminister Gernot
Erler.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Volker Beck
auf:
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über mögliche
Täter und Hintergründe der aktuellen Auftragsmorde und Giftanschläge gegen russische Politiker und Kritiker des Kreml
- zum Beispiel die russische Journalistin Anna Politkowskaja,
den ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter Alexander
Litwinenko, die Erkrankung des früheren Ministerpräsidenten
Jegor Gaidar etc. - und hält sie eine internationale Untersuchung dieser Fälle für angezeigt?
Herr Kollege Beck, der Bundesregierung liegen keine
Erkenntnisse vor, die über Pressemeldungen hinausgehen. In den Fällen von Anna Politkowskaja und
Alexander Litwinenko hat die russische Generalstaatsanwaltschaft Ermittlungen eingeleitet. Darüber hinaus
ermitteln im Falle Litwinenkos auch die britischen Behörden. Eine internationale Untersuchung hält die Bundesregierung für nicht angezeigt.
Ihre erste Nachfrage.
Vertraut die Bundesregierung trotz des Zustands der
Justiz in Russland auf eine objektive Aufklärung des
Falles von Frau Politkowskaja? Ich frage dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass man heute Meldungen
darüber erhalten hat, dass Räume des Bürgerrechtlers
Kasparow und seiner Bürgerrechtsorganisation gestern
mit fadenscheinigem Vorwand von der Polizei durchsucht wurden. Alle Bürger, die sich dort aufhielten, wurden kontrolliert und ihre Pässe wurden kopiert, ohne
dass bislang bekannt geworden ist, in welchem strafrechtlichen Zusammenhang das stehen soll.
Meinen Sie, dass hier wirklich mit einer objektiven
Aufklärung gerechnet werden kann, oder teilt die Bundesregierung nicht eher die Ansicht, dass es in Russland
das Problem der fehlenden Unabhängigkeit der Justiz
gibt und dass die Justiz ihre Entscheidungen - damit
meine ich sowohl die Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft als auch die Urteilsfindung durch die Gerichte - letztendlich nach politischer Maßgabe trifft?
Herr Kollege Beck, die Bundesregierung beobachtet
sehr genau, wie die russische Regierung mit Oppositionellen und oppositionellen Gruppen umgeht. Wenn es
dabei Dinge zu beanstanden gibt, dann tragen wir das in
unseren bilateralen Gesprächen vor und machen das zum
Gegenstand des ständig stattfindenden Dialogs.
Beim Besuch des russischen Präsidenten am 10. Oktober 2006 in Deutschland - in Dresden - hat die Bundeskanzlerin am Rande des Petersburger Dialogs zum
Beispiel sehr deutlich die Erwartung geäußert, dass es
im Falle Anna Politkowskajas zu einem Ermittlungsergebnis kommt. Entsprechende Zusagen für eine aktive
Untersuchung sind gegeben worden.
Wichtig für uns ist auch, wie die unmittelbar Betroffenen die Dinge sehen. Sie wissen, dass Frau Politkowskaja
bei der Oppositionszeitung „Nowaja Gazeta“ gearbeitet
hat, die eigene Ermittlungen durchführt. Ich kann Ihnen
zum Beispiel berichten, dass unser Beauftragter für die
deutsch-russische zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit, der Kollege Schockenhoff, die Redaktion dieser Zeitung am 5. Dezember 2006 besucht und festgestellt hat,
dass man dort eng mit den russischen Ermittlungsbehörden zusammenarbeitet und dass die Kolleginnen und Kollegen von Frau Politkowskaja keine Veranlassung zum
Misstrauen gegenüber den russischen Ermittlungsbehörden sehen.
Ich sage nur: Diese Hinweise können für Sie als Antwort vielleicht hilfreich sein.
Ich war letzte Woche selbst in Moskau und habe mit
Bürgerrechtlern von Memorial und anderen Organisationen, mit dem Menschenrechtsbeauftragten der Russischen Föderation sowie der Vorsitzenden des Rates für
Menschenrechte beim Präsidenten der Russischen Föderation gesprochen. Von einem Bürgerrechtler habe ich
dort Folgendes gehört: Kennen Sie das beste Gericht in
Russland? - Es ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Die Bürgerrechtler haben inzwischen jedes Zutrauen in die russische Justiz verloren.
Wie setzen Sie diese Erkenntnisse und diese Hinweise
der Oppositionellen, die sich im Wesentlichen außerhalb
der Duma befinden, in aktive Politik um? Ich glaube,
dass es nicht ausreicht, diese Fragen nur anzusprechen,
sondern in einem Fall wie dem von Frau Politkowskaja,
bei dem der Verdacht nahe liegt, dass entweder Spuren
in den Kreml führen oder dass zumindest Leute aus dem
Volker Beck ({0})
Umfeld des Kremls durch eine Destabilisierung Einfluss
auf Putin nehmen wollen, kommt man nur durch eine internationale und objektivierte Untersuchung weiter;
denn die Vermutung liegt nahe, dass die russischen
Strafverfolgungsbehörden zumindest kein Interesse an
der vollständigen Aufklärung haben könnten.
Selbstverständlich können meine Hinweise darauf,
wie das in dem konkreten Fall Politkowskaja aussieht,
den Sie zum Gegenstand Ihrer Frage gemacht haben,
nicht zu Rückschlüssen in allen anderen Fällen führen.
Auch ich kenne die Kritik von russischen Bürgerrechtlern an dem Justizsystem und an dem Strafverfolgungssystem in Russland. Diese Kritik ist zum Teil sehr intensiv. Aber sie bringt uns nicht zu der Schlussfolgerung,
dass es irgendeinen Handlungsbedarf in dem Sinne gibt,
dass man - was man auch erst einmal auf die Erfolgsaussichten überprüfen müsste - diesen Fall internationalisieren sollte.
Wir kommen nun zur Frage 4 des Kollegen Volker
Beck:
Wie schätzt die Bundesregierung die Auswirkungen dieser
Fälle und anderer, möglicherweise politisch motivierter Gewalttaten auf die Politik des russischen Präsidenten und seiner
Regierung ein?
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Kollege Beck, die erwähnten Fälle sind sehr unterschiedlich. Wir hoffen in allen Fällen, dass die Täter
und Drahtzieher schnell ermittelt und ihrer gerechten
Strafe zugeführt werden. Die Bundesregierung ist der
Auffassung, dass eine zügige Aufklärung im Interesse
Russlands ist.
Die Frage lautete eigentlich, wie Sie die Auswirkungen auf die weitere russische Politik einschätzen. Vor
diesem Hintergrund frage ich Sie, wie die Bundesregierung die These bewertet, dass das Verdienst des russischen Präsidenten Putin vor allem darin bestehe, die
Staatlichkeit Russlands wieder gestärkt zu haben, und
dass vor diesem Hintergrund die demokratischen Defizite nicht kritisiert werden müssten. Diese These, die
diese Woche von den Agenturen verbreitet wurde, wurde
vom ehemaligen Bundeskanzler Schröder geäußert. Ich
finde sie völlig untragbar; denn auch lupenreine Diktatoren - wie Lukaschenko in Weißrussland oder Karimow
in Usbekistan - können für sich geltend machen, dass sie
die Staatlichkeit aufrechterhalten.
Herr Kollege Beck, ich weise gerne noch einmal darauf hin, dass es bei der Bundesregierung Sorgen über
die Entwicklung von Demokratie und Rechtstaatlichkeit
in Russland gibt und dass wir die Gelegenheit nutzen,
darauf hinzuweisen. Speziell die beiden Fälle Politkowskaja und Litwinenko, die Sie bereits angesprochen haben, sind ein großes Problem für das internationale Prestige Russlands, insbesondere dann, wenn sie nicht mit
allem Nachdruck aufgeklärt werden. Hierzu liegen deutliche Aussagen des russischen Präsidenten vor, der auch
bei seinem Besuch in Deutschland - zum Beispiel in dem
bekannten Interview in der „Süddeutschen Zeitung“ sehr klar gesagt hat, dass er durch diese Fälle einen
Schaden für Russland sieht und deswegen sehr an einer
Aufklärung interessiert ist.
Sie können noch eine zweite Nachfrage stellen.
Wie beurteilt die Bundesregierung die aktuelle Entwicklung hinsichtlich des NGO-Gesetzes und der Versammlungsfreiheit im Zusammenhang mit Kritik an der
Führung des Kremls in solchen Fällen. Bei meinen Gesprächen wurde deutlich, dass - anders als von der Bundesregierung in der Vergangenheit dargestellt - mit dem
NGO-Gesetz eine bürokratische Erdrosselung der zivilgesellschaftlichen Organisationen droht, da Forderungen
gestellt werden, denen allenfalls große, professionell geführte Organisationen gerecht werden können und durch
die alle anderen Organisationen faktisch von der Schließung bedroht sind. Selbst die deutschen Organisationen,
die mittlerweile ihre Registrierung erhalten haben, erfüllen die Voraussetzungen des Gesetzes nicht. Zunächst
einmal wird ein Auge zugedrückt, aber in den Akten gibt
es genügend Material, um diese Organisationen im Falle
von Missliebigkeit jederzeit aus bürokratischen Gründen
schließen zu können.
Die Frage wurde meines Erachtens schon gestellt.
Vielleicht kann der Staatsminister sie jetzt beantworten.
Herr Kollege Beck, wie Sie wissen, hat die Frage des
russischen NGO-Gesetzes eine ziemlich lange Vorgeschichte, bei der deutlich wird, dass sich sowohl die
Bundesrepublik als auch die EU intensiv engagiert haben, um erst einmal hinsichtlich der Formulierung des
Gesetzes ihren Einfluss geltend zu machen. Sie wissen,
dass auch der Europarat mit einem Gutachten eingeschaltet worden ist und dass Ende letzten Jahres in letzter Minute Änderungen an dem Gesetz erfolgt sind.
Wir waren uns aber immer darüber einig, dass es weniger um den Gesetzestext als um die Frage der späteren
Umsetzung des Gesetzes geht. Für die Umsetzung dieses
Gesetzes ist sogar eine spezielle Verwaltung geschaffen
worden. Wir stehen mit unseren Erfahrungen bei der
Umsetzung des Gesetzes noch am Anfang.
Wir haben - das haben Sie bereits angedeutet schlechte Erfahrungen mit den politischen Stiftungen in
Russland gemacht. Mehrere Vertreter der Stiftungen
mussten ausreisen, weil die Unterlagen für die Fortführung der Arbeit auf der Grundlage der erforderlichen
Anträge nicht rechtzeitig erstellt werden konnten. Das ist
kein gutes Omen für die Chancen von russischen NGOs.
Aber in meinen persönlichen Gesprächen mit Partnern und Freunden aus der russischen Menschenrechtsund NGO-Szene habe ich festgestellt, dass man vorläufig noch abwartet, weil die Einrichtung dieser Behörde
und damit auch die Umsetzung des Gesetzes erst jetzt in
Gang kommt und es zu früh für eine endgültige Bewertung ist. Auch dort sagt man: Es ist noch nichts entschieden und man weiß nicht, welche Schwierigkeiten zu
erwarten sind. - Aber ich kann Ihnen versichern, Herr
Kollege Beck, dass wir dieses Thema - das ist ein
Hauptthema des seit 2000 laufenden Petersburger Dialogs, bei dem es darum geht, Zivilgesellschaften miteinander in Verbindung zu bringen und die russische
Zivilgesellschaft zu unterstützen - sehr intensiv und kritisch im Auge behalten werden.
Danke, Herr Staatsminister. - Wir kommen damit
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur
Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Gerd Müller zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Dr. Geisen von der
FDP-Fraktion auf:
In welcher Höhe bestehen noch Forderungen des Bundes
in Zusammenhang mit landwirtschaftlichen Siedlungsmitteln
und bei welchen Bankinstituten findet deren Abwicklung
statt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Verehrte Abgeordnete! Herr
Dr. Geisen, die Frage ist zwar einfach, aber die Antwort
ist kompliziert. Die öffentlichen Darlehen des Bundes
aus dem Bereich der landwirtschaftlichen Siedlung werden im Wesentlichen als Zweckvermögen des Bundes
bei der Deutschen Postbank AG als Rechtsnachfolgerin
der Deutschen Siedlungs- und Landesrentenbank geführt. Bei diesem Zweckvermögen handelt es sich um
ein Sondervermögen mit eigener Rechnungslegung. Die
Verwaltung des Vermögens obliegt der Postbank.
Die Ausleihung des Zweckvermögens, das heißt die
Siedlungsdarlehen, betrug zum 31. Dezember 2005
- das ist der letzte Bilanzstichtag - circa 643 Millionen
Euro. Einschließlich liquider Mittel in Höhe von circa
75 Millionen Euro ergab sich eine Bilanzsumme von
718 Millionen Euro. Diesem Aktivvermögen standen
zum Bilanzstichtag bei der DSL-Bank aufgenommene
und noch zu tilgende Refinanzierungsdarlehen in Höhe
von circa 275 Millionen Euro gegenüber, sodass das
Nettovermögen oder das Eigenkapital des Bundes circa
443 Millionen Euro betrug. Bei diesem Betrag handelt es
sich um einen Nominalbetrag, bei dem nicht berücksichtigt ist, dass die Rückflüsse der Siedlungsdarlehen mit
einer langen Restlaufzeit bis 2040 anfallen. Um abzuschätzen, welchen Gegenwert diese Darlehen zum jetzigen Zeitpunkt darstellen, ist die Berechnung eines Barwertes erforderlich, der zum Beispiel durch eine
Vermögensveräußerung realisierbar ist. Aus heutiger
Sicht beträgt der Barwert circa 260 Millionen Euro, wovon ein Teilbetrag in Höhe von 30 Millionen Euro realisiert ist. Daher steht nun noch ein Barwert von circa
230 Millionen Euro zur Verfügung.
Für die Haushaltsjahre 2007 bis 2009 sind weitere
Teilveräußerungen vorgesehen, um die Finanzierung des
Bundeszuschusses an die LUV in Höhe von jährlich
200 Millionen Euro sicherzustellen. Dabei hängt die Beantwortung der Frage, wie dieser Zuschuss 2009 geleistet werden kann, entscheidend davon ab, wie viele Mittel
aus dem Zweckvermögen 2007 und 2008 verkauft werden müssen. Das ist meine Antwort auf Frage 5.
Darf ich die Frage 6 des Kollegen Dr. Geisen, die sich
auf den gleichen Themenbereich bezieht, im Anschluss
beantworten?
Wenn Sie wollen, können Sie die Fragen 5 und 6 sowie die Nachfragen im Zusammenhang beantworten.
Herr Dr. Geisen, sind Sie damit einverstanden? - Das
scheint der Fall zu sein. Dann rufe ich auch die Frage 6
des Kollegen Dr. Geisen auf:
In welcher Höhe können die bestehenden Altrenten in der
landwirtschaftlichen Unfallversicherung, LUV, durch die Abtretung von Forderungen finanziert werden bzw. ein Kapitalstock mit diesen Mitteln für ein kapitalgedecktes Unfallversicherungssystem aufgebaut werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Dr. Geisen, die Höhe der Bundesmittel der LUV
ist nicht gesetzlich festgeschrieben. Sie wird im Rahmen
der jährlichen Haushaltsberatungen des Bundes festgelegt. In den vergangenen Jahren unterlagen auch die
Bundesmittel der LUV den Haushaltskonsolidierungsbemühungen des Bundes. Im Jahr 2007 können sie nur unter erheblichen Anstrengungen auf dem diesjährigen Niveau von 200 Millionen Euro gehalten werden; darüber
haben wir bereits diskutiert. Zu diesem Zweck sieht der
Titel einen Ansatz in Höhe von 100 Millionen Euro und
einen Verstärkungsvermerk in gleicher Höhe vor. Dabei
soll die Verstärkung aus Einsparungen im gesamten
Einzelplan 10 und ergänzend aus Veräußerungserlösen
erfolgen. In meiner Antwort auf die vorangegangene
Frage habe ich dargelegt, dass dies bis maximal 2009
reicht. Daran wird deutlich, dass Reformen in der agrarsozialen Sicherung notwendig sind.
Sie wissen, dass wir zur Beantwortung der Frage, ob
die Finanzierung der Altlasten über eine Kapitaldeckung
erfolgen kann, ein Gutachten in Auftrag gegeben haben.
Dieses Gutachten liegt jetzt vor und wird derzeit von uns
ausgewertet.
Sie haben jetzt die Möglichkeit zu je zwei Nachfragen. Bitte.
Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Sieht die Bundesregierung trotz der knappen Mittel die Möglichkeit,
mit Finanzmitteln des freien Kapitalmarkts, Mitteln der
jetzt bestehenden landwirtschaftlichen Unfallversicherung oder auch mit anderen Finanzreserven das Umlageverfahren auf ein Kapitaldeckungsverfahren umzustellen? Diese Frage stelle ich auch unter dem Aspekt, dass
man das mittelfristig aufbauen kann und den gesamten
Kapitalstock nicht auf einmal zur Verfügung stellen
muss.
Zum Zweiten: Müsste nicht möglichst schnell mit einer Umstellung begonnen werden, damit mittelfristig der
Haushalt sowie die Betroffenen entlastet werden? Denn
Ihre Antwort zeigt, dass die Reserven sehr schnell abgebaut werden, weil die Zuschüsse im Haushalt gekürzt
werden und somit die Umstellung des Systems nach einigen Jahren immer schwieriger wird. Wäre es nicht
richtig, sofort mit der Umstellung zu beginnen?
Ich danke Ihnen.
Das waren die zwei Nachfragen zu der ersten Frage.
Herr Dr. Geisen, unser gemeinsames Ziel ist die langfristige Sicherung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung. Die Problematik der demografischen Entwicklung stellt sich bei den Sicherungssystemen der
Landwirtschaft in noch größerem Ausmaß, als das bei
den anderen gesetzlichen Sicherungssystemen der Fall
ist. Ich habe dargestellt, dass wir auf der jetzigen Basis
bis 2009 die Finanzierung der 200 Millionen Euro sicherstellen könnten. Das Ziel des Gutachtens war es, die
Frage zu beantworten, ob ein Systemwechsel möglich
wäre, das heißt ob die Ablösung der Altlasten durch eine
Kapitalisierung der Rentenlasten möglich wäre. Da Sie
ein geschätzter und fachkundiger Kollege sind, habe ich
mir über die vorliegende Antwort hinaus gestern das
Gutachten sehr genau angeschaut. Ich kann Ihnen ganz
aktuell dazu etwas mitteilen, woraus wir gemeinsam die
notwendigen politischen Schlüsse ziehen können.
Das Gutachten kommt bei der Berechnung des Aufwands für eine Kapitalisierung der Rentenlasten der
LUV zu folgenden Ergebnissen: Für eine einmalige Ausfinanzierung des Altrentenbestandes der LUV bis 2005
ist bei einem Realzins von 3 Prozent ein Kapitalstock
von 7,76 Milliarden Euro erforderlich. Für die einmalige
Ausfinanzierung der künftigen neuen Dauerrenten
bis 2038 ist bei einem Realzins von 3 Prozent und einer
Rentendynamisierung von 1 Prozent in der mittleren Zugangsvariante ein Kapitalstock von 4,4 Milliarden Euro
erforderlich. Der Aufwand bei einer jährlichen Ausfinanzierung nur der künftigen neuen Dauerrenten beträgt
im ersten Jahr in der mittleren Variante 156 Millionen
Euro.
Das sind ganz aktuelle Zahlen, die wir in den nächsten Tagen und Wochen mit Ihnen diskutieren werden.
Sie zeigen auf, dass der Abbau der Altlasten über eine
Kapitalisierung auf der Basis dieser Berechnungen
schwierig, ja kaum finanzierbar erscheint. Das sind die
neuesten Zahlen. Bundesminister Seehofer wird im Januar mit den Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss
die daraus zu ziehenden Konsequenzen diskutieren.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich habe noch
eine oder zwei Fragen.
({0})
Ich habe nur die Zusammenfassung gelesen, weil ich das
Gutachten erst heute Morgen bekommen konnte. Es
steht dort expressis verbis, dass, wenn die Umstellung
käme, ab dem Jahre 2024 eine Entlastung des Haushalts
und der Beitragszahler möglich wäre. Geben Sie dem
Kapitaldeckungsverfahren dennoch eine Chance? Muss
man bei der Finanzierung nicht eher die Finanzierungskosten betrachten als die Einbringung in den Kapitalstock? Dann hätten Sie eigentlich nur Kosten von 3, 4
oder 5 Prozent. Wie sehen Sie das?
Die Ihnen jetzt genannten ganz aktuellen Zahlen zeigen auf, dass der ursprünglich geplante Weg, also die
Ablösung der Altrenten über eine Kapitalisierung, kaum
möglich erscheint; denn aus der Sicht des Bundes müsste
sich auf lange Sicht eine Win-win-Situation ergeben.
Eine solche lässt sich für den ursprünglich geplanten
Weg allerdings schwer darstellen. Wir denken deshalb,
Ihnen im Januar Konsequenzen vorlegen zu können, die
die Kapitalisierung nicht ganz beiseite stellen, aber in
eine andere Richtung lenken.
Sie haben keine Zusatzfrage mehr? - Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der
Verteidigung werden die Fragen 7 und 8 der Kollegin
Krista Sager schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Für die Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Karin Roth zur Verfügung.
Ich rufe Frage 9 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch auf:
Trifft es zu, dass die Kosten für den Abriss des Palastes
der Republik noch weiter steigen, und, wenn ja, wer trägt die
Verantwortung für diese Kostenexplosion?
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Lötzsch, da die während der Rückbauarbeiten am Palast der Republik entdeckten Restasbestfundstellen weder funktional noch
bautechnisch zu erklären sind und auf eine völlig unübliche Verwendung des Asbestes hinweisen, waren sie nicht
vorhersehbar. Es ist daher leider nicht auszuschließen,
dass im Verlauf des weiteren Abrisses durch neue Fundstellen an bisher unzugänglichen Stellen ein erheblicher
zusätzlicher Aufwand bei der notwendigen Asbestentsorgung entsteht. Die daraus resultierenden Kosten kennen
wir bisher noch nicht. Das heißt, wir gehen davon aus,
dass weitere Kosten entstehen werden.
Die Asbestfunde und der damit verbundene finanzielle Aufwand sind letztlich auf die seinerzeitige Bauausführung zurückzuführen, bei der die Bauvorschriften
für die Verwendung von Asbest nicht beachtet wurden.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Lötzsch?
Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin, für die Asbestsanierung ist - das haben Sie selber schon angesprochen - eine Menge Geld ausgegeben worden. Damit
man sich das einmal vorstellen kann: Von 1998 bis 2003
waren es 80 Millionen Euro und in diesem Jahr wurden
noch einmal 6,4 Millionen Euro bewilligt.
Nun haben Sie bereits selber gesagt, dass augenscheinlich noch nicht absehbar ist, wie viel Geld noch
benötigt wird. Im „Spiegel“ dieser Woche wird ein Betrag von 15 Millionen Euro genannt. Da sich die Bundesregierung in der Regel nicht zu Pressemeldungen äußert, gehe ich davon aus, dass auch Sie das nicht tun
werden. Aber haben Sie eine Schätzgröße und können
Sie sagen, ob es sich ungefähr um diese 15 Millionen
Euro handeln könnte oder ob noch weitere Mittel für die
Asbestsanierung nötig sind?
Die Antwort auf die Frage, in welcher Höhe Kosten
entstehen, hängt davon ab, ob wir noch weitere Asbestfundstellen entdecken, die nach den Bauvorschriften eigentlich gar nicht existieren dürften. Insofern gibt es hier
keine Prognose. Sie können sicher sein, dass wir den
ganzen Asbest beseitigen werden. Es geht hier um Gesundheitsschutz, es geht hier um Umweltschutz. Es ist
richtig, was Sie sagen: Es ist viel Geld investiert worden.
Dies war aber auch deshalb nötig, weil zur Bauzeit nicht
ordnungsgemäß gearbeitet wurde.
Frau Staatssekretärin, Sie haben hier angesprochen,
dass nicht ordnungsgemäß gearbeitet wurde. Wenn ich
richtig informiert bin, ist das sehr milde ausgedrückt. Ich
denke, auch der Bundesregierung dürfte bekannt sein,
dass das Landeskriminalamt Berlin bereits wegen Betruges und anderer Delikte im Zusammenhang mit der Asbestsanierung ermittelt. Darum frage ich Sie, Frau
Staatssekretärin, ob die Bundesregierung nicht meine
Auffassung teilt, dass weitere Asbestsanierungsaufträge
nicht erteilt werden dürfen, bevor nicht geklärt ist, wer
sich - ich sage es einmal etwas flapsig - an dieser Asbestsanierung gesundstößt. Die Bundesregierung, die
Bundesrepublik Deutschland und der öffentliche Haushalt sind es nicht.
Frau Kollegin, bei Ihnen liegt ein Missverständnis
vor. Die Bauvorschriften sind damals nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden, nicht die Bausanierungsmaßnahmen.
({0})
Wir kommen zur Frage 10 der Kollegin Cornelia
Behm:
Inwieweit ist eine Verlängerung der Gültigkeit des Planfeststellungsbeschlusses für den Ausbau der Kleinmachnower
Schleuse - Brandenburg - vor dem Hintergrund der Anbindung Berlins an das geplante europäische Wasserstraßennetz
über das Jahr 2007 hinaus vorgesehen und wie bewertet die
Bundesregierung die Gültigkeit des Planfeststellungsbeschlusses vor dem Hintergrund der für 2007 angekündigten
Bauarbeiten?
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Behm, aus Sicherheitsgründen muss im Jahr 2007 im Vorhafenbereich der
Schleuse Kleinmachnow eine beschädigte Uferwand ersetzt werden. Um für den mittelfristig vorgesehenen Ersatz der Schleuse Kleinmachnow zusätzlichen Aufwand
zu vermeiden, erfolgt die unaufschiebbare Ersatzmaßnahme entsprechend der Planfeststellung; das macht ja
Sinn. Mit Beginn der Durchführung des Plans entfällt
ein Außer-Kraft-Treten des Planfeststellungsbeschlusses. Für eine zukunftsorientierte Anbindung Berlins und
Brandenburgs über den Hafen Königs Wusterhausen an
die europäischen Wasserstraßennetze spielt die Schleuse
Kleinmachnow eine wichtige Rolle.
Frau Kollegin, bitte sehr.
Ich habe zwei Nachfragen. Sie beziehen sich darauf,
dass Anfang des Monats Dezember eine ganze Reihe
Pressemitteilungen, die einander widersprachen und die
sich vielleicht nicht immer auf gut unterrichtete Quellen
gestützt haben, zu lesen waren. Auf der einen Seite war
zu lesen, dass der Ausbau der Schleuse und des Kanals
für Europaschiffe nicht mehr vorgesehen ist. Auf der anderen Seite war zu lesen, dass - was Sie eben auch mit
Ihrer Antwort bestätigt haben - im Frühjahr 2007 der
Ausbau der Schleuse, quasi orientiert am Planfeststellungsbeschluss, auf 190 Meter beginnt. Es ist aber auch
davon die Rede, und zwar in demselben Zeitungsbericht,
dass möglicherweise nicht ein Ausbau der Nordkammer
der Schleuse erfolgt, sondern erst ihr Zustand geprüft
werden muss, um entscheiden zu können, ob an dieser
Stelle nicht ein Neubau zu errichten ist.
Wegen dieser vielen einander widersprechenden Meldungen frage ich Sie: Ist von dem Planfeststellungsbeschluss, wie wir ihn jetzt haben, sowohl der Ausbau der
alten Schleuse als auch ein Neubau gedeckt bzw. ist es
zwangsweise erforderlich, die Schleuse, wie im Planfeststellungsbeschluss vorgesehen, auf 190 Meter auszubauen, oder könnte sie auch auf eine kürzere Länge
ausgebaut werden, und wenn nicht, welche planungsrechtlichen Voraussetzungen würde ein Ausbau der
Schleuse auf eine kürzere Länge erfordern?
Kollegin Behm, es ist sicher nicht ganz einfach, vor
Ort die verschiedenen Interpretationen zu erklären; das
verstehe ich gut. Aber es geht darum, dass der Ausbau
der Schleuse auf 190 Meter planfestgestellt ist, und dabei bleibt es auch. - Das ist das Erste.
Zweitens habe ich Ihnen gerade erklärt, dass es bei
den Arbeiten 2007 um eine beschädigte Uferwand geht;
es geht also nicht um den Ausbau der Schleuse. Aber
entscheidend ist, dass - das ist vielleicht das Wichtige
für Sie - das Planfeststellungsverfahren abgeschlossen
ist und der Planfeststellungsbeschluss weiterhin besteht;
der Ausbau erfolgt aber im Moment nicht.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Meine Frage ist nicht beantwortet worden. Ich habe
gefragt, ob der Planfeststellungsbeschluss sowohl einen
Ausbau der Schleuse wie vorgesehen als möglicherweise
auch einen Neubau deckt, wenn nämlich die Schleuse in
einem so schlechten Zustand ist, dass sie nicht mehr ausgebaut werden kann. Außerdem habe ich gefragt, ob von
dem Beschluss auch gedeckt wäre, die Schleuse auf eine
kürzere Länge auszubauen.
Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.
Erstens ist in dem Planfeststellungsbeschluss ein Ausbau der Schleuse auf 190 Meter vorgesehen. Zweitens
beabsichtigen wir nicht, eine kürzere Schleuse zu bauen,
als im Planfeststellungsbeschluss vorgesehen ist, weil
wir möchten, dass vor dem Hintergrund der Anbindung
an das europäische Wasserstraßennetz gerade die
Schleuse Kleinmachnow so ausgebaut wird, dass, wie es
absehbar ist, große europäische Schiffe in die Schleuse
einfahren können.
Wir sind also nicht diejenigen, die meinen, dass wir
eine Länge von unter 190 Meter brauchen. Es bleibt bei
dem Planfeststellungsbeschluss, der eine Länge von
190 Meter vorsieht. Wir haben kein Interesse an einer
Verkürzung.
Frau Staatssekretärin, ich danke Ihnen für die Beantwortung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Für die Beantwortung
der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär
Franz Thönnes zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Dr. Ilja Seifert auf:
Wie viele Rentnerinnen und Rentner haben nach Auffassung der Bundesregierung aus ihrer Sicht sachgerechte und
vom Gesetzgeber gewollte Abschläge auf ihre Erwerbsminderungsrente erhalten ({0})?
Herr Kollege Seifert, am 31. Dezember 2005 waren
nach der Statistik „Rentenbestand der Deutschen Rentenversicherung Bund“ rund 567 000 Renten von insgesamt 1 650 000 Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit mit Abschlägen belegt.
Ihre Nachfrage bitte.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie so verstehen, dass Sie
diese Abschläge in jedem Fall als sachgerecht empfinden, obwohl das Bundessozialgericht zumindest in einem Fall festgestellt hat, dass dem nicht so sei?
Wir halten das für sachgerecht. In einem Fall hat ein
Senat des Bundessozialgerichtes eine andere Auffassung
geäußert. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die
im Zuge der Reform der Erwerbsminderungsrenten im
Jahre 2001 in den Gesetzentwurf aufgenommene Begründung. Sie lautet wie folgt:
… wird die Höhe der Erwerbsminderungsrenten an
die Höhe der vorzeitig in Anspruch genommenen
Altersrenten in der Weise angeglichen, dass diese
Renten mit einem Abschlag von höchstens
10,8 Prozent versehen werden. Die Auswirkungen
einer solchen Regelung werden dadurch abgemildert, dass die Zeit zwischen dem vollendeten
55. und 60. Lebensjahr statt wie im geltenden Recht
zu einem Drittel künftig voll als Zurechnungszeit
angerechnet wird. Der Versicherte wird damit so
gestellt, als ob er entsprechend der Bewertung seiner Zurechnungszeit bis zum 60. Lebensjahr weiter
gearbeitet hätte. Bei Inanspruchnahme einer Altersrente zu diesem Zeitpunkt müsste er einen Abschlag
von 18 Prozent hinnehmen. Bei Inanspruchnahme
einer Rente wegen Erwerbsminderung ergibt sich
jedoch bei einem Eckrentner eine gegenüber dem
geltenden Recht nur um 3,3 Prozent ({0}) bzw.
um maximal 10,8 Prozent ({1}) niedrigere Rente.
Ich will damit sagen: Durch die Besserstellung bei der
Zurechnungszeit zwischen dem 55. und 60. Lebensjahr
ist ein Abschlag unter Bezugnahme auf das Referenzalter 63 Jahre in Höhe von 10,8 Prozent durchaus gerechtfertigt. Der Wille des Gesetzgebers zum damaligen Zeitpunkt ist damit deutlich zum Ausdruck gekommen.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ja, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, wenn ich
mich recht erinnere - Sie waren bei den Gesprächen genauso wie ich dabei -, spielte diese Frage in der Debatte
um die Rentenanpassung seinerzeit keine Rolle. Denn
alle gingen davon aus, dass die Erwerbsminderungsrentner besser gestellt werden als die anderen Rentner. Sie
haben es ja gerade vorgelesen. Die Besserstellung stellt
sich aber jetzt nur in der Form dar - daran ändert auch
Ihre verklausulierte Aussage nichts -, dass die Abschläge für die Erwerbsminderungsrentner geringer ausfallen.
Nun hat aber ein Senat des Bundessozialgerichts festgestellt - das muss man respektieren -, dass diese Abschläge zumindest in einem Fall nicht gerechtfertigt waren. Fast immer ist es so: Wenn ein höchstrichterlicher
Beschluss zu einem Einzelfall gefasst wird, wird festgestellt, dass er allgemeinverbindlich ist. Sie aber stellen
sich auf einen anderen Standpunkt. Das ist ein Widerspruch, der viele Menschen verunsichert und der viele
Menschen vielleicht um ihr Geld bringt.
Herr Kollege Seifert, man muss von dem Willen des
Gesetzgebers ausgehen. Das Gericht hat darauf keinen
Bezug genommen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung.
Deswegen gibt es keine Notwendigkeit, gleich wieder
eine Gesetzesänderung herbeizuführen oder sich anders
zu verhalten. Es kann durchaus sein, dass andere Gerichte in weiteren Fällen anders entscheiden.
Nun rufe ich die Frage 12 des Kollegen Dr. Seifert
auf:
Bei wie vielen Einzelfällen könnten nach Auffassung der
Bundesregierung die Sozialgerichte zu ähnlichen Urteilen
kommen wie der 4. Senat des Bundessozialgerichtes mit seinem Urteil zum Revisionsverfahren ({0})?
Herr Kollege Dr. Seifert, das kann man nicht beziffern; denn es hängt vom Verhalten der Empfänger von
Erwerbsminderungsrenten ab, also davon, ob sie klagen.
Wenn Sie von daher die Frage nach der Bezifferung der
Einzelfälle stellen, kann ich Ihnen diese nicht beantworten.
Ihre Nachfrage, bitte.
Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, heißt das:
Wer nicht klagt, kann nicht Recht bekommen. Also muss
jeder, der eine Erwerbsminderungsrente hat, klagen in
der Hoffnung, einer von den mehr als 500 000 Einzelfällen zu sein, die nachträglich etwas gezahlt bekommen.
Wenn jemand der Auffassung ist, dass sein Rentenbescheid falsch ist und er nicht richtig behandelt worden
ist, dann muss er in einem Rechtsstaat den Klageweg beschreiten. In diesem Fall müsste also dagegen geklagt
werden. Dann ist vor dem Hintergrund des Einzelfalls zu
entscheiden.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ja, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, sind Sie
für den Fall, dass es sich um mehr als 500 000 Einzelfälle handelt, nicht mit mir der Ansicht, dass es vielleicht
doch ganz sinnvoll wäre, wenn es eine gesetzliche Regelung gäbe, die diese mehr als 500 000 Einzelfälle generell klären würde, und dass die Rentenversicherung den
Auftrag bekommen sollte, qua Amt zu handeln und den
Menschen zu ihrem Recht und zu ihrem Geld zu verhelfen?
Herr Kollege Dr. Seifert, das Bundeskabinett hat am
29. November 2006 den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersrente an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzgrundlagen der
gesetzlichen Rentenversicherung beschlossen. In der Begründung wird im Rahmen der Regelung über die Abschläge die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck gebracht, die Abschläge bei den Erwerbsminderungsrenten
auch dann wirken zu lassen, wenn die Rente in jungen
Jahren in Anspruch genommen wird. Die Bundesregierung geht an dieser Stelle davon aus, dass der Wille des
Gesetzgebers auch bei der Urteilsfindung berücksichtigt
wird.
Nun rufe ich die Frage 13 der Kollegin Dr. Dagmar
Enkelmann auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Forderung des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post AG, Klaus Zumwinkel, nach einem branchenorientierten Mindestlohn von
7,50 Euro ({0}) und
was will die Bundesregierung tun, um die vom Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post AG, an der die Kreditanstalt für
Wiederaufbau im Auftrag des Bundes noch 35 Prozent der
Aktienanteile hält, beklagten Wettbewerbsverzerrungen mithilfe eines branchenorientierten Mindestlohns abzubauen?
Frau Kollegin Dr. Enkelmann, über die Neuordnung
des Niedriglohnbereichs wird zurzeit innerhalb der Bundesregierung - das ist Ihnen bekannt - intensiv diskutiert. Grundlage dafür ist der Koalitionsvertrag. Dabei
werden alle in diesem Zusammenhang in Betracht kommenden Fragen in der extra eingerichteten Arbeitsgruppe „Arbeitsmarktpolitik“ sorgfältig geprüft. In
diesem Zusammenhang wird auch der Frage nach der
Einführung eines Mindestlohns und seiner eventuellen
Konzeption nachgegangen.
Haben Sie dazu eine Zusatzfrage, Frau
Dr. Enkelmann?
Ja. - Sie hatten gerade über die Neuordnung des
Niedriglohns gesprochen. Wie Sie sicher wissen, liegen
die Einkommen bei Unternehmen, die mit der Post konkurrieren, deutlich unter den Einkommen bei der Post.
Es gibt aber auch dort zum Beispiel bei den Zustellern
Einkommen, die dazu führen, dass die Zusteller über die
Arbeitsagentur zusätzliche Sozialleistungen empfangen,
weil sie von dem, was sie für ihre Beschäftigung bekommen, nicht leben können. Insofern stellt sich erneut die
Frage nicht nur nach branchenspezifischen Mindestlöhnen, sondern auch nach einem gesetzlich fixierten Mindestlohn. Wie positioniert sich die Bundesregierung
dazu?
Frau Dr. Enkelmann, es ist ja keine schöne Situation,
mit der wir es zu tun haben, dass nämlich fast
900 000 Menschen eine Aufstockung ergänzend zum
Arbeitslosengeld II erhalten. Dabei handelt es sich zum
Teil um Selbstständige, aber auch um Menschen mit zu
niedrigem Einkommen.
Mit folgendem Sachverhalt wollen wir uns jetzt in der
Arbeitsgruppe sehr sorgfältig befassen: Es gibt Tarifverträge, die Einkommen in einer Größenordnung von
knapp 3,50 Euro pro Stunde vorsehen. Das gibt Anlass,
darüber nachzudenken, in welcher Art und Weise Arbeits- und Lebensbedingungen in Tarifverträgen gestaltet werden können und welche Gestaltungsfähigkeit in
dieser Beziehung den Tarifvertragsparteien zukommt.
Wir glauben, dass wir angesichts der unterschiedlichen Bedingungen in Deutschland - es ist von Branche
zu Branche und auch regional unterschiedlich; die Lebensverhältnisse sind anders - gut beraten sind, alles
gemeinsam zu bewerten. Zurzeit gibt es ja eine Mindestlohnregelung im Bauhandwerk; für das Gebäudereinigerhandwerk wird es diskutiert. Wir sollten uns also die
einzelnen Branchen anschauen und danach eine Entscheidung treffen. Die Regelungen für das Bauhandwerk
bzw. das Gebäudereinigerhandwerk werden ja im Entsendegesetz getroffen. Es bedarf dabei einer sorgfältigen
Abwägung; das haben auch die Anhörungen deutlich gemacht.
Ich kann nur sagen: Wir brauchen etwas Zeit. Ende
des ersten Quartals, denke ich, wird sich aus diesem Diskussionsprozess ein Vorschlag ergeben.
Haben Sie eine weitere Frage?
Ja. - Könnte aus Sicht der Bundesregierung ein gesetzlich fixierter Mindestlohn ein Weg sein, um die hohe
Zahl von Menschen, die in der Bundesrepublik in Armut
leben, zu verringern?
Bei einer ganztägigen Tätigkeit sollte sich ein Einkommen ergeben, das es den Menschen ermöglicht, eine
würdige Existenz zu führen. Dazu gibt es unterschiedliche Gestaltungsfelder, auch solche, die in den Rahmen
der Tarifautonomie fallen. Das wird in einzelvertraglichen Verhandlungen geregelt; das wird in tarifvertraglichen Verhandlungen geregelt. Ferner sind Leistungen aus
den Transfersystemen zu nennen. Wir konzentrieren uns
darauf, angesichts der unterschiedlichen Wirkungsweisen
dieser Mechanismen - es gibt ja die Transferleistungen;
es gibt eine Regelung, wie wir sie im Entsendegesetz haben, wo wir auf der Basis der von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Löhne die Mindestlöhne qua Verordnung festlegen - eine gute Abwägung zwischen den
Forderungen nach einem gesetzlichen Mindestlohn und
denen nach einem branchenorientierten Mindestlohn
hinzubekommen.
Ich kann nur wiederholen: Die Abwägung ist schwierig; man muss mehrere Punkte im Auge behalten, etwa
die Sicherheit bestehender Arbeitsplätze. Dieser Diskussionsprozess dauert an. Ich denke, wir sind gut beraten,
ihn sorgfältig zu führen und nichts zu übereilen. Es wird
zum Ende des ersten Quartals ein Vorschlag vorliegen.
Zu einer weiteren Frage erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Lötzsch.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
leider ist ja in der Öffentlichkeit viel zu wenig bekannt,
dass von den Mitgliedstaaten der EU 18 einen gesetzlich
fixierten Mindestlohn haben. Aber Ihnen ist es natürlich
bekannt und den meisten Kolleginnen und Kollegen
auch. Darum frage ich Sie, ob Sie in dieser Arbeitsgruppe auch die Erfahrungen dieser EU-Mitgliedstaaten
auswerten und, wenn ja, an welchen Mitgliedsländern
Sie sich besonders orientieren?
Es gibt dabei eine große Bandbreite - wer genau hinschaut, Frau Kollegin Lötzsch, wird das feststellen -: In
Luxemburg beträgt der Mindestlohn ungefähr 1 400 Euro;
in Lettland liegt er zwischen 140 und 150 Euro. Wir sehen also die Bandbreite, die in den verschiedenen Ländern des vereinten Europas möglich ist. Das ist ein weiteres Argument dafür, an dieses Problem mit großer
Sensibilität heranzugehen. Man kann nicht einfach sagen, dass man zu der einen oder der anderen Lösung tendiert. Es ist, glaube ich, ein Erfolg der Bundesregierung
und des Deutschen Bundestages - das war aufgrund der
guten Kooperation mit dem Europäischen Parlament
möglich -, dass die Dienstleistungsrichtlinie, die vor
kurzem verabschiedet worden ist, unsere Bedenken berücksichtigt und unsere Interessen dort Eingang gefunden haben. Damit wird die Freiheit geschaffen, Dienstleistungen grenzüberschreitend anzubieten. Davon
haben sowohl deutsche als auch ausländische Handwerker Vorteile. Ich glaube, dass das auch Arbeitsplätze sichern wird.
Es gibt aber keine Regelung, die vorsieht, die Betriebe sowie die Arbeitnehmer gegen Dumping- und
Minilöhne abzusichern. Deswegen ist es gut und vernünftig, dass wir in der Arbeitsgruppe darüber beraten,
welche Lösungsmöglichkeiten es sowohl für die Betriebe als auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
gibt, damit das nicht passiert. Das tun wir.
Ich kann Ihnen nur die gleiche Antwort geben, die ich
zuvor auch Ihrer Kollegin Dr. Enkelmann gegeben habe:
Es ist ein laufender Prozess. Bis Ende März wird ein
Vorschlag unterbreitet werden. Mehr kann man dazu
jetzt nicht sagen.
({0})
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen und rufe den Geschäftsbereich des
Bundesministeriums der Justiz auf. Zur Beantwortung
der Fragen steht Herr Staatssekretär Alfred Hartenbach
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter auf:
Wie sind vor dem Hintergrund, dass im Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag „Qualitätsoffensive im öffentlichen Personenverkehr - Verbraucherschutz
und Kundenrechte stärken“ die Lücken im Verbraucherschutz
klar und deutlich herausgearbeitet und Lösungsvorschläge unterbreitet worden sind, Medienberichte zu verstehen, dass derzeit die auch im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD
enthaltenen Pläne für verbesserte Kundenrechte im Bahnverkehr und im allgemeinen öffentlichen Personenverkehr auf
Eis liegen, und welche Umstände sind nach Auffassung der
Bundesregierung für das offensichtliche Stocken des Verfahrens zur Verbesserung der Kundenrechte maßgebend?
Herr Kollege Hofreiter, die Medienberichte sind nicht
zutreffend. Das Bundesministerium der Justiz hat zu
dem Thema „Fahrgastrechte im öffentlichen Personenverkehr“ eine Bund/Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt,
die ihre Arbeiten abgeschlossen hat und in allernächster
Zeit einen Abschlussbericht vorlegen wird. Auf der
Grundlage dieses Berichts wird das Bundesministerium
der Justiz einen Gesetzesvorschlag zur Verbesserung der
Kundenrechte bei Verspätungen und Ausfällen von öffentlichen Verkehrsmitteln vorlegen.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Dr. Hofreiter?
Ja. - Wie schaut es mit dem Zeithorizont aus?
Der Abschlussbericht wird demnächst, möglicherweise noch in diesem Monat, den Teilnehmern der
Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Abstimmung vorgelegt
und sodann den Justizministerinnen und Justizministern
zugeleitet. Auf der Grundlage des Berichts soll anschließend der Gesetzentwurf erstellt werden. Parallel hierzu
werden unter deutscher Ratspräsidentschaft im ersten
Halbjahr 2007 die Verhandlungen über eine EU-Verordnung über Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr fortgeführt, deren
Ergebnisse bei einem nationalen Gesetzgebungsverfahren zu berücksichtigen sind. Ziel ist es, unter deutscher
Präsidentschaft eine Einigung mit dem Europäischen
Parlament herbeizuführen.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ja. - Die Verhandlungen über das dritte Eisenbahnpaket sind mir bekannt. Deshalb die konkrete Nachfrage:
Können wir im ersten oder zweiten Halbjahr 2007 mit
einem Gesetzentwurf rechnen?
Herr Kollege Hofreiter, da das nicht allein von uns,
sondern auch von anderen abhängt - Sie wissen, wie ein
nationales Gesetzgebungsverfahren abläuft; wir werden
unseren Entwurf dem Bundesrat vorlegen und auch andere Verbände beteiligen müssen -, kann ich Ihnen auf
Ihre Frage nicht konkret antworten. Ich kann Ihnen allerdings sagen, dass wir bemüht sind, möglichst beides
parallel zu einem guten Ende zu bringen.
Nun rufe ich die Frage 15 des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter auf:
Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass in ein
und denselben Zügen, die sowohl dem nationalen wie auch
dem internationalen Personenverkehr dienen, hinsichtlich der
Kundenrechte nicht unterschiedliche Rechtsansprüche aufgrund divergierender Rechtsetzungsakte auf europäischer und
deutscher Ebene geltend gemacht werden können, und welche
Position vertritt die Bundesregierung im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des
Rates über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr?
Herr Kollege Hofreiter, auf Ihre Frage antwortet die
Bundesregierung wie folgt: Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen soll sich ein Gesetzentwurf über die
Haftung für Verspätungen und Ausfälle von öffentlichen
Verkehrsmitteln für den nationalen Personenverkehr inhaltlich an dem Vorschlag einer EU-Verordnung über
Rechte und Pflichten im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr orientieren. Der Rat hat am 24. Juli 2006
einen gemeinsamen Standpunkt zu diesem EU-Verordnungsvorschlag beschlossen. Die Bundesregierung hat
dem gemeinsamen Standpunkt des Rates zugestimmt
und setzt sich für eine zügige Verabschiedung des Verordnungsvorschlags auf der Grundlage des gemeinsamen Standpunktes ein.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege?
Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie sich um ein
nationales Gesetz bemühen, das dem EU-Recht angepasst ist, sodass es nicht dazu kommt - um bei einem
konkreten Beispiel zu bleiben -, dass jemand, der von
Berlin nach Karlsruhe fährt, andere Rechte hat als jemand, der von Berlin nach Frankreich fährt?
Wir können als Beispiel einen Intercity Express nehmen, der fahrplanmäßig von Berlin nach Basel fährt. Das
von Ihnen erwähnte Karlsruhe liegt auf der Strecke.
({0})
Es ist unser Bemühen, dass es nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung der Passagiere kommt.
({1})
- Ich bedanke mich für diese Frage, Herr Hofreiter.
({2})
Ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Die Frage 16 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch sowie
die Fragen 17 und 18 der Kollegin Grietje Bettin werden
schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu den Antworten der Bundesregierung auf
die Dringlichen Fragen Nr. 1 und 2 auf Drucksache 16/3790
Das entspricht Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle
Stunde.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Wolfgang Wieland für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Das Ganze begann etwas kryptisch. Im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages beantragte
der Bundesinnenminister erhebliche Mittel für das BKA,
und zwar für - wie es hieß - Onlinedurchsuchungen.
Entfernte PCs sollten auf verfahrensrelevante Inhalte untersucht werden, ohne dass jemand am Ort der PCs anwesend ist. Das wurde mehr oder weniger am Innenausschuss vorbei verhandelt.
Was macht der Parlamentarier, wenn er etwas nicht
weiß, aber wissen möchte? Er stellt eine Anfrage. Es
folgte die schriftliche Anfrage: Was ist da eigentlich geplant? Die Antwort lautete: Geplant ist eine Art Forschungsprojekt des BKA. Das wurde vorhin auch in der
Fragestunde gesagt. Nun heißt es nicht nur „Jugend
forscht“, sondern auch „BKA forscht“. Es will immer
auf dem neuesten Stand der Technik sein, egal ob sie irgendwann einmal angewandt wird oder nicht, so der
Staatssekretär.
Im Innenausschuss fiel kein Wort darüber, dass man
das schon macht. Die Beantwortung der Frage enthielt
immerhin einen Hinweis: Man hat das schon einmal gemacht, als Durchsuchung nach § 102 StPO, die vom Ermittlungsrichter am BGH angeordnet wurde, so die Antwort Ihres Kollegen Hanning vom Bundesministerium
des Innern. Wir waren zu diesem Zeitpunkt immer noch
relativ arglos. Ich habe noch einmal schriftlich gefragt,
ob die Durchsuchung den Betroffenen mitgeteilt wurde.
Die Antwort steht noch aus.
({0})
- Herr Wiefelspütz, inzwischen wissen wir aber, dass es
hier um etwas ganz anderes geht: Das war die Premiere
des Staates als Hacker.
({1})
Wir werden in Zukunft nicht mehr nur vom großen
Lauschangriff, sondern auch vom staatlichen Hacken reden, auch wenn Sie wieder, wie beim großen Lauschangriff, semantische Bemühungen aufbringen. Damals haben Sie versucht, den großen Lauschangriff hinter
Begriffen wie akustische Wohnraumüberwachung verschwinden zu lassen.
({2})
Dieser Eingriff erfolgte heimlich. Das Bundesministerium der Justiz ist heute noch nicht in der Lage, klare
Aussagen zu machen, sondern lässt nur Bedenken durchscheinen.
({3})
- Für den Staatssekretär mag das eine bedeutsame Äußerung gewesen sein. Lieber Kollege Benneter, wenn erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik diese Maßnahme von staatlichen Organen ergriffen wird, erwarte
ich, dass das BMJ vorher informiert sowie nach seiner
Meinung gefragt wird
({4})
und dass es eine Meinung hat, die es äußern kann. Das
fehlt bis heute.
({5})
Dann sagt Kollege Kauder: Nun regt euch doch nicht
auf, die Strafprozessordnung ist von 1877 und da gab es
noch keine Hacker. So weit hat er Recht.
({6})
- Der Herr Staatssekretär hat es - die Amtssprache ist
Deutsch - eingedeutscht.
({7})
Sie dürfen die englische Aussprache des Begriffs Hacker
verwenden, aber ich bleibe bei der deutschen. Hacker
gab es 1877 wirklich noch nicht.
({8})
Es gab jedoch strenge Formvorschriften für Durchsuchungen. Nichts ist so öffentlich in unserer Rechtsordnung wie die Durchsuchung.
({9})
Nachbarn oder Hausgenossen sind hinzuzuziehen; so
lautet es in der StPO.
({10})
Der Wohnungsinhaber oder der Inhaber der Sache ist sofort zu benachrichtigen. Die Polizeibeamten dürfen Unterlagen nicht einmal einsehen. Sie haben sie in einen
versiegelten Umschlag zu legen und den Staatsanwälten
zu übergeben. Das heißt, nichts ist zu Recht von der
Form her so streng geregelt wie eine Durchsuchung.
Sie gehen nun hin und pusten das alles weg. Sie sagen: In Analogie machen wir das alles jetzt heimlich. Sie
schaffen damit alle Verfahrenssicherungen ab und wollen uns erklären, dass dies immer noch eine zulässige
Analogie sei. Das kann doch nicht wahr sein.
({11})
Dies ist eine dreifach verfassungswidrige Packung. Es
gibt eine Telekommunikationsüberwachung, ohne dass
die gesetzlichen Grundlagen dafür vorliegen. Es gibt
eine Durchsuchung, ohne dass die gesetzlichen Grundlagen dafür vorliegen. Es kann sogar noch als Drittes,
wenn eine so genannte Webcam
({12})
- das ist eine Kamera, die den Raum aufnimmt - und ein
Mikrofon aktiviert werden, ein großer Lauschangriff
sein. Das ist eine dreifach verfassungswidrige Packung,
die uns als Normalzustand verkauft wird. Das kann ja
wohl nicht wahr sein.
({13})
Es geht um den Schutz im Bereich der privaten Lebensgestaltung. Es geht um die Unverletzlichkeit der
Wohnung. Es geht auch um den Schutz dessen, was man
ansonsten immer deutlich unter staatlichen Schutz stellt,
zum Beispiel ein Tagebuch, also Privates.
Herr Kollege, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.
({0})
Abschließend: Wir sind von dieser Regierung einiges
Chaos gewohnt. Aber es ist doch etwas anderes, wenn
unsere Strafverfolgungsorgane nun so handeln wie der
Chaos Computer Club. Das wollen wir nicht. Es gibt
schärfsten Protest von unserer Seite.
({0})
Das Wort hat nun die Kollegin Daniela Raab für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich freue mich wirklich sehr für die Fraktion der Grünen,
dass Sie nach monatelangem Suchen nun endlich wieder
ein Thema gefunden haben, und zwar eines Ihrer Lieblingsthemen: Abhör- und Überwachungsmaßnahmen.
({0})
Jetzt sind Sie mit einer Verve auf die Überwachungspalme gestiegen und ich hoffe, dass Sie nicht herunterDaniela Raab
fallen, sondern sie ordnungsgemäß wieder verlassen
können.
Worum geht es eigentlich? Es geht um Onlineuntersuchungen - vornehmlich durch das Bundeskriminalamt auf Computern von Verdächtigen. Sprich: Der Rechner
einer Zielperson wird mittels eines verdeckt installierten
Programms auf verfahrensrelevante Daten durchsucht.
So weit, so gut.
({1})
Nun hat es bislang noch keine - der Herr Staatssekretär
hat es vorhin, wie ich finde, glasklar ausgeführt - derartigen Untersuchungen durch das Bundeskriminalamt gegeben. Aha!
Es gibt einen Beschluss eines BGH-Ermittlungsrichters vom Februar dieses Jahres, nach dem solche Maßnahmen zulässig sind. In der Zwischenzeit gab es noch
zwei Beschlüsse des Amtsgerichts Bonn. Jetzt gibt es einen gegenteiligen Beschluss des BGH, gegen den die
Generalbundesanwaltschaft Beschwerde eingelegt hat.
Über diese Beschwerde ist bis heute nicht entschieden.
({2})
Aha! Dann haben sich die Grünen auf ihrer Überwachungspalme überlegt:
({3})
Es wäre doch prima, sozusagen im vorauseilenden Gehorsam über dieses Thema im Plenum zu debattieren.
({4})
Wen interessiert schon Gewaltenteilung?
({5})
Halten wir einmal fest, was Fakt ist: Die Entwicklung
dieser so genannten Onlineuntersuchungen
({6})
- Herr Ströbele, beruhigen Sie sich und hören Sie mir
zu; dann können Sie noch etwas lernen ({7})
befindet sich noch in den Kinderschuhen. Die technischen Voraussetzungen dafür sind noch lange nicht gegeben. Auch wenn Sie hier Chaos verbreiten wollen,
({8})
muss ich Ihnen sagen: Es ist beileibe keine generelle und
wahllose Nutzung dieser Maßnahmen geplant, sondern
es handelt sich um technisch und personell höchst aufwendige Einzelfallentscheidungen.
Der Innenminister von NRW - er gehört Ihrer Partei
an, Herr van Essen ({9})
hat in seiner Pressemitteilung vom 19. Oktober dieses
Jahres mitgeteilt:
„Wer die Überprüfung von Daten auf Rechnern potenzieller Terroristen für einen Einbruch in den
grundgesetzlich geschützten Wohnraum hält, hat
das Wesen des Internets nicht verstanden.“ …
({10})
Der Nutzer befinde sich weltweit online
- das Wort „weltweit“ ist in der Abkürzung www übrigens enthalten; so viel zum Thema Englischkenntnisse ({11})
und verlasse damit bewusst und zielgerichtet die
geschützte häusliche Sphäre. „Der Standort des
Computers ist dabei völlig unerheblich. Es findet
zudem keinerlei Überwachung der Vorgänge in der
Wohnung selbst statt,“ …
({12})
- So viel zum Gerücht in Bezug auf die Nutzung einer
Webcam. - So weit die Ausführungen Ihres Kollegen
aus NRW.
({13})
Fest steht außerdem, dass wir unsere Polizei in die
Lage versetzen müssen, im Hinblick auf die bestehenden
technischen Möglichkeiten, die immer weiter fortschreiten, mithalten zu können. Dabei geht es um den Grundrechtsschutz. Wir haben diese Diskussionen schon oft
geführt. Ich denke, ich muss nicht extra betonen, dass
wir uns in diesem Punkt sehr einig sind.
({14})
Dass der Grundrechtsschutz und natürlich auch die
Rechtmäßigkeit der Maßnahmen eine immens große
Rolle spielen müssen, ist völlig klar. Dass bei der Durchführung solcher Maßnahmen vonseiten der Justiz und
vonseiten der Polizei auch bisher ausgesprochen sensibel
umgegangen wurde und dass sie immer das letzte Mittel
waren, das nur dann zum Einsatz kam, wenn man bei
den Ermittlungen nicht mehr vorankam, ist nichts Neues,
ist hinlänglich bekannt und wird von uns befürwortet.
Für mich und für meine gesamte Fraktion kann ich feststellen: Wir haben vollstes Vertrauen
({15})
in unsere Polizei und im Übrigen auch in unsere Justiz.
({16})
Terrorbekämpfung - darum handelt es sich hier muss effektiv sein. Sie funktioniert nur dann, wenn wir
die Polizei in technischer Hinsicht auf Augenhöhe mit
den Terrorverdächtigen ermitteln lassen. Alles andere
wäre zwecklos. Deswegen müssen wir uns gut überlegen, wie wir reagieren. Jetzt sollten wir uns erst einmal
beruhigen.
({17})
Der eine oder andere sollte von seiner Überwachungspalme herabsteigen. Wir sollten die Entscheidung über
die Beschwerde, die nach wie vor beim BGH anhängig
und noch nicht terminiert ist, abwarten. Dann können
wir uns gerne wieder über dieses Thema unterhalten.
Vielen Dank.
({18})
Das Wort hat nun der Kollege Jörg van Essen für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich muss gestehen, dass ich ein bisschen Probleme damit
habe, zu diesem Thema zu reden, weil ich als Angehöriger der Justiz
({0})
sehr darauf achte, dass sich der Bundestag nicht in einen
schwebenden Rechtsstreit einmischt.
({1})
Um einen solchen schwebenden Rechtsstreit handelt es
sich allerdings, und zwar zwischen der Generalbundesanwältin und dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof.
({2})
- Herr Wiefelspütz, das brauchen Sie mich gar nicht zu
fragen.
({3})
Das Auftreten, das Sie gerade wieder präsentieren,
kenne ich aus unserem Wahlkreis: Immer dann, wenn
Sie besonders schlechte Argumente haben, sind Sie besonders laut.
({4})
Es ist schön, dass Sie dieses Verhalten auch im Bundestag vorführen. Aber es wird dadurch nicht besser. Es
wird auch nicht dadurch besser, wenn man Sie immer so
im Wahlkreis erlebt.
Da dieses Thema heute auf der Tagesordnung steht,
sollte dazu auch etwas gesagt werden, insbesondere deshalb, weil es zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen Überlegungen gibt, die in die gleiche Richtung gehen. Das
haben Sie, Frau Kollegin Raab, zu Recht gesagt. Aber es
besteht ein großer Unterschied zu dem, worüber wir
heute diskutieren.
({5})
- Genau so ist es. Dort wird für eine einwandfreie gesetzliche Grundlage gesorgt.
({6})
Darüber können wir, wie ich meine, sehr wohl diskutieren. Denn es ist die ureigene Aufgabe des Parlaments,
sich dann, wenn sich bestimmte Fragen stellen, Gedanken darüber zu machen, wie die gesetzliche Grundlage
aussehen sollte.
({7})
Dazu muss auch die heutige Debatte dienen.
Ich will die Position der FDP zu diesem Thema klar
und deutlich formulieren. Da ich selber in einer Staatsschutzabteilung in der Strafverfolgung tätig war, weiß
ich - das will ich ganz deutlich sagen -, dass es solche
Fallgestaltungen geben kann.
Aber dann ist es für mich vollkommen klar in einem
Rechtsstaat, dass wir dafür eine einwandfreie rechtliche
Grundlage brauchen,
({8})
und zwar eine einwandfreie rechtliche Grundlage, die
auch zu einer vernünftigen Abwägung der Interessen
führt, wo beispielsweise der Verdacht abgewägt wird gegen den Eingriff, der im Einzelfall erfolgt. Ich finde das,
was der Ermittlungsrichter in dem Streit, den ich am Anfang angesprochen habe, an Überlegungen angeführt hat,
sehr nachdenkenswert.
Frau Kollegin Raab, es ist nämlich nach meiner Auffassung bei der Durchsuchung eines Computers nicht der
Fall, dass man in bestehende Internetverbindungen einJörg van Essen
greift, sondern die Durchsuchung eines Computers soll
sich doch auch auf Dinge erstrecken, die man abgespeichert hat, die mit Internet und Kommunikation möglicherweise überhaupt nichts zu tun haben: eigene Notizen, sehr intime Dinge möglicherweise, die man sich auf
seinen Computer geladen hat, Fotos, die man selbst gemacht hat, und tausend andere Dinge. Deshalb ist doch
vollkommen klar, dass die Bestimmungen, die für die
Telekommunikation gelten, hier nicht greifen können.
Bei der Schwere des Eingriffs, der dort zu gewärtigen
ist, ist doch auch zu sehen, dass eine Analogie, die im
Strafrecht ohnehin nicht möglich ist, nicht herbeigeführt
werden kann.
({9})
- Das brauchen Sie mir nicht zu sagen! - In diesem Fall
halte ich eine Analogie nicht für zulässig; das ist doch
ganz selbstverständlich.
({10})
Deshalb ist die Botschaft dieser Diskussion aus meiner Sicht - das ist angesichts der Dinge, die wir gerade
in diesen Tagen diskutieren, auch meine herzliche Bitte
an die Koalition -, dass wir unsere Rechtsordnung ernst
nehmen und dass wir uns den Anforderungen stellen und
dass wir das machen, was der Bürger zu Recht von uns
erwartet: Gesetze, die die Prüfung - sei es durch den
Bundespräsidenten, sei es durch das Bundesverfassungsgericht - unbeanstandet durchlaufen. Ich denke, dass es
uns allen dient, wenn wir so vorgehen. Das ist jedenfalls
das, was wir als FDP wollen, und dazu bieten wir auch
Gespräche an. Aber, wie gesagt, wir kommen um eine
vernünftige gesetzliche Grundlage nicht herum.
Vielen Dank.
({11})
Für die Bundesregierung erteile ich nun das Wort dem
Parlamentarischen Staatssekretär Alfred Hartenbach.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Kollege Wieland! Ich danke den Kollegen
ausdrücklich dafür, dass sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben, bietet sie mir doch die Gelegenheit zu einigen Klarstellungen, die mir dringend geboten erscheinen, wenn ich an die Welle parlamentarischer Vorgänge
denke, die die Debatte über die so genannte Onlinedurchsuchung in den letzten Tagen ausgelöst hat.
Im Kern geht es um die Frage, ob - und gegebenenfalls: unter welchen Voraussetzungen - Ermittlungsbehörden via Internet auf private Computer zugreifen dürfen, um dort nach verfahrensrelevanten Inhalten zu
suchen. Die Frage, in welchen Fällen und mit welchen
Mitteln auch Ermittlungsbehörden die Möglichkeiten
des Internets sollen nutzen dürfen, ist nicht neu. Sie wird
unter verschiedenen Gesichtspunkten seit einiger Zeit in
der Fachliteratur diskutiert. Praktisch relevant geworden
ist die konkrete Fallgestaltung der so genannten Onlinedurchsuchung nach meinen Informationen im Zuständigkeitsbereich des Bundes erstmals durch einen Beschluss
des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof im Februar dieses Jahres, durch den der Zugriff auf einen privaten Rechner unter Verwendung eines speziellen Computerprogramms angeordnet wurde. Diese Maßnahme ist
seinerzeit wohl an technischen Problemen gescheitert,
sie wurde letztlich nicht durchgeführt. Also, Kollege
Wieland: Es ist nichts gemacht worden, wie Sie behauptet haben.
({0})
- Auch Hanning hat Ihnen nur geschrieben: „angeordnet“; lesen Sie einmal die Briefe, die Sie bekommen, genau durch!
({1})
In einem weiteren Beschluss aus dem letzten Monat
hat der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof
nunmehr - unter Abkehr von seiner früheren Rechtsauffassung - die Ansicht vertreten, dass eine Onlinedurchsuchung auf der Grundlage des geltenden Strafverfahrensrechts unzulässig sei. So ist das nun einmal.
Aus diesem Grund hat er die beantragte Anordnung
abgelehnt. Die Sache liegt jetzt dem zuständigen
3. Strafsenat zur Entscheidung vor. Bitte haben Sie daher
Verständnis dafür, dass ich mich hier mit einer rechtlichen Bewertung der beantragten Maßnahme zurückhalten werde, um gar nicht erst den Eindruck aufkommen
zu lassen, ich wollte Einfluss auf die Entscheidungsfindung des Senats ausüben. Wir alle werden dessen Entscheidung zunächst abwarten müssen.
({2})
Ganz allgemein möchte ich aber für das Bundesministerium der Justiz Folgendes deutlich machen: Eine
Onlinedurchsuchung stellt einen tief greifenden Eingriff
in die Grundrechte des Betroffenen dar
({3})
und kann, wenn überhaupt, nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen unter strengster Beachtung der Verhältnismäßigkeit in Betracht kommen. Sollte der Senat den Beschluss des Ermittlungsrichters bestätigen und die
Onlinedurchsuchung für unvereinbar mit dem geltenden
Strafverfahrensrecht erklären, wird innerhalb der Bundesregierung sehr gründlich zu diskutieren sein, ob - und
jetzt hören Sie bitte zu - überhaupt ein nennenswerter gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht.
({4})
Hier wird es insbesondere Aufgabe der Ermittlungsbehörden sein, tragfähig darzulegen, worin der unverzichtbare Mehrwert dieser Maßnahme gegenüber dem vorhandenen Ermittlungsinstrumentarium besteht.
Ich möchte Sie daher zum Schluss darum bitten, nicht
vorschnell - so machen es die Grünen in letzter Zeit
gerne - in eine hitzige Debatte über staatliches Hacking
einzutreten.
({5})
- Können Sie überhaupt einen Computer bedienen, Herr
Ströbele? ({6})
Wir sollten zunächst die Entscheidung des 3. Senats des
Bundesgerichtshofes abwarten und auf dieser Grundlage
sachlich darüber diskutieren, ob und wie wir eine effektive Strafverfolgung in Zeiten des Internets sicherstellen
wollen.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat nun der Kollege Jan Korte für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sind auch heute wieder hier zusammengekommen,
um über den Abbau von Grundrechten zu reden, so wie
wir das schon in den letzten Wochen getan haben. Es ist
die politische Dimension des Ganzen, dass Sie solche
Maßnahmen hier im Wochenrhythmus durchführen. Aktuell lautet das Motto: Erst ausspionieren und dann die
Rechtsgrundlage prüfen. Das ist mittlerweile gang und
gäbe.
({0})
Ich will Sie darauf aufmerksam machen, dass wir
beim Programm zur Stärkung der inneren Sicherheit, das
Sie hier auch mal eben in einem Hauruckverfahren
durchgepowert haben, bereits auf das Thema Onlinedurchsuchung aufmerksam gemacht und das kritisiert
haben.
Was aber soll die Grundlage für das staatliche Hacking sein? Die Regelungen zur Telekommunikationsüberwachung greifen wohl eher nicht, weil kein Kommunikationsvorgang überwacht wird; denn dieser ist bei
einer eingegangenen E-Mail logischerweise bereits abgeschlossen. Das PC-Screening ist eine verdeckte Maßnahme. Der Beschuldigte wird es selten oder gar nicht
bemerken. Das ist bei einer Hausdurchsuchung logischerweise anders, weil ein Zeuge anwesend ist.
({1})
Diese Regelung kann dementsprechend auch nicht greifen. Ich denke, dass das BMI jetzt versuchen wird, im
Schnelldurchlauf irgendeine Regelung zu finden, die im
Zweifel vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden
wird, wie das bei Ihren Vorhaben mittlerweile üblich ist.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Wenn
sich Schäubles Chaoscomputerpolizei in einen Computer einhackt, hat sie nicht nur Zugriff auf E-Mails, was
schon schlimm genug wäre, sondern - das ist hier heute
schon zu Recht angesprochen worden - natürlich auch
auf alle denkbaren privaten und intimsten Daten eines
Menschen.
({2})
Das ist völlig inakzeptabel.
({3})
Eben hat die Kollegin Raab besonders bizarr argumentiert. Sie hat in etwa gesagt, wer ins Internet gehe,
habe sein System, also das, was er im Internet macht,
selbst so weit geöffnet, dass die Behörden Zugriff nehmen könnten. Man würde sich eh schon bloßstellen.
({4})
- Der ist in dieser Frage offensichtlich besonders inkompetent. ({5})
Das haben Sie hier vorgestellt. Das ist eine tolle Logik.
Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen: Das wäre
so, als würde ich zum Lüften das Fenster aufmachen und
jeder dürfte reinklettern. Das ist Ihre Logik.
({6})
So funktioniert das nicht.
({7})
- Ja, das ist Ihre Logik. Ich finde sie ja auch absurd, aber
ich kann es nicht ändern, dass Sie so etwas erzählen.
Besser wäre es gewesen, die Rechtsgrundlage im Vorfeld zu überprüfen. Heute bringen Sie wieder dieselbe
Argumentation wie immer. In Zeiten des Internets und
des internationalen Terrorismus werden die Prävention
und die Grundrechte weiter geschwächt und nach hinten
gelagert, was völlig inakzeptabel ist. Ich möchte auch
noch einmal sagen: Das ist wiederum eine Maßnahme in
dem Gesamtkontext Antiterrordatei, Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz usw. usf.
Jede Woche gibt es hier eine neue Maßnahme, die von
den Bürgerinnen und Bürgern im Einzelfall vielleicht als
nicht besonders schlimm empfunden wird, in der
Summe gehen Sie mittlerweile aber an die Substanz einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Das tun
Sie hier heute schon wieder.
({8})
Deswegen ist es richtig, darüber zu diskutieren und das
abzulehnen.
({9})
Nun erteile ich dem Kollegen Siegfried Kauder für
die Fraktion der CDU/CSU das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Strafprozessordnung ist aus dem Jahre 1879.
({0})
Deswegen wird es immer wieder Sachverhalte geben,
die nach modernen Gesichtspunkten nicht problemlos
unter das Prozessrecht zu ordnen sind. Müssen wir die
Strafprozessordnung deshalb bei fortschreitender Technologisierung jedes Jahr neu erfinden oder sollten wir
nicht versuchen, diese Sachverhalte durch Analogieschlüsse unter ein bestehendes Prozessrecht zu subsumieren?
({1})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen, wo waren Sie eigentlich im
Jahre 1979?
({2})
Ich korrigiere: 1997 wurde die hier diskutierte Thematik
zum ersten Mal angesprochen. Dies ist in der BGH-Entscheidung nachzulesen, die in NJW 1997, Seiten 1934 ff.
abgedruckt ist. Es ging dort um das Abhören und Durchforsten einer Mailbox. Genau dort wurde zum ersten Mal
darüber debattiert, ob das eine Telekommunikationsüberwachung oder etwas anderes ist. Das war der Einstieg in
eine juristische Debatte. Hierzu hätte man auch die FDP
sehr schön einladen können. Es hat also wenig Sinn, den
schwarzen Peter jetzt an denjenigen zu schieben, der gerade an der Regierung ist. Wichtig ist, dass wir sachgerechte Lösungen finden.
({3})
Eines sollten wir auch beachten: Wir müssen zwischen präventiv-polizeilichen Maßnahmen und repressiven Maßnahmen gemäß der Strafprozessordnung unterscheiden. Ich empfehle jedem, den vorletzten Satz der
Entscheidung des Ermittlungsrichters am Bundesgerichtshof vom 25. November 2006 zu lesen. Dort wird
sehr schön ausgeführt: Präventiv-polizeiliche Maßnahmen sind von dieser Entscheidung nicht berührt.
({4})
Wir werden uns also erst einmal diesen polizeilichen
Bereich vornehmen und uns fragen müssen, ob diese
Onlinedurchsuchung gemäß der Gesetzeslage zulässig
ist oder nicht.
Dann kommen wir zum strafprozessualen Teil. Ich
empfehle jedem - es rentiert sich tatsächlich -, den Aufsatz des Oberstaatsanwalts beim Bundesgerichtshof
Hofmann in der NStZ 2005, Seite 121 ff. zu lesen. Er hat
die gesamte rechtliche Situation sehr detailliert analysiert
und ist zu einem überraschenden Ergebnis gekommen,
das heute noch niemand vorgetragen hat: Die Onlinedurchforstung eines PCs ist weder eine Hausdurchsuchung noch eine Telekommunikationsüberwachung.
({5})
Es ist ein Institut sui generis. Darüber müssen wir uns
einmal klar werden.
({6})
Durch keine der bestehenden strafprozessualen Vorschriften ist dieser Sachverhalt unmittelbar abgedeckt.
Jetzt müssen wir weiter prüfen, ob eine Analogie mit bestehenden prozessualen Vorschriften möglich ist oder
nicht. Wir alle wissen: Das Analogieverbot in Art. 103
Abs. 2 Grundgesetz wirkt bei strafprozessualen Vorschriften nicht. Dieses Verbot besteht also nicht. Wir
müssen jetzt genau überlegen, ob dieser Sachverhalt
durch bestehende strafprozessuale Vorschriften in analoger Anwendung abgedeckt wird oder nicht.
({7})
Der Gesetzgeber darf sich dabei sehr wohl nach den
Entscheidungen des Bundesgerichtshofes richten. Für uns
war nun einmal die Entscheidung vom 21. Februar 2006
maßgeblich, in der der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes gesagt hat: Dieser Sachverhalt wird durch die
Siegfried Kauder ({8})
analoge Anwendung von § 102 und § 103 Strafprozessordnung abgedeckt.
({9})
Das war die damalige Rechtslage.
Die Rechtslage hat sich durch den bereits zitierten
Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 25. November
2006 geändert. Ein Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes sah die Sachlage auf einmal anders. Wenn
sich aber zwei Entscheidungen gegenüberstehen, ist es
doch sinnvoll, erst einmal abzuwarten, wie der Bundesgerichtshof über die Beschwerde entscheidet.
({10})
Ich verhehle es aber nicht: Diese Entscheidung des
Bundesgerichtshofes könnte uns Anlass geben, festzustellen, dass uns die analoge Anwendung zu wenig ist
({11})
und dass wir über eine gesetzlich fundierte Grundlage
nachdenken müssen. Dazu sind Sie alle eingeladen. Wir
müssen dann auch prüfen, welche Rechtsmittelmöglichkeiten und Informationsmöglichkeiten bestehen.
({12})
Meines Erachtens lässt sich das Vorhaben durchaus
von den gesetzlichen Regelungen abdecken, weil nach
den Vorschriften der §§ 105 bis 107 der Strafprozessordnung der von der Durchsuchung Betroffene nur dann zu
informieren ist, wenn die Möglichkeit dazu besteht. Besteht die Möglichkeit aufgrund der technischen Gegebenheiten nicht, dann greifen diese Vorschriften also
nicht.
Fazit: Wir müssen abwarten, bis die Entscheidung des
Bundesgerichtshofes vorliegt,
({13})
und dann völlig unaufgeregt prüfen,
({14})
ob die Gesetzeslage ausreicht, und sie gegebenenfalls
korrigieren.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat nun die Kollegin Silke Stokar von
Neuforn für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich erinnere mich an Zeiten, als eine Justizministerin, vor der ich
noch heute Hochachtung habe, zurückgetreten ist, weil
sie keine gesetzliche Ermächtigung für den großen
Lauschangriff schaffen wollte. Heute diskutieren wir
- hauptsächlich unter den Juristen des Hauses - die Anwendung einer Maßnahme, die - das geht aus dem
jüngsten Beschluss des Bundesgerichtshofes hervor genauso schwer wiegt wie der große Lauschangriff.
Das BKA hat bereits versucht, diese Maßnahme anzuwenden, und zwar ohne gesetzliche Grundlage in einer
Grauzone nach dem Motto: Versuchen wir erst einmal,
die Onlinedurchsuchung von PCs durchzuführen; irgendein Jurist wird schon eine gesetzliche Grundlage dafür finden. Der Haushaltsausschuss und der Innenausschuss sollen dann die Bereitstellung von Mitteln für
entsprechende Investitionen beschließen. Sie aber als
Gesetzgeber im Bundestag schlagen dazu vor, erst einmal abzuwarten, ob die - zum Glück eingegangenen Beschwerden dagegen Erfolg haben und wie die Richter
entscheiden. Was ist das für ein Verständnis vom Parlament als Gesetzgeber?
({0})
Ich möchte Ihnen in einfachen Worten den Unterschied zwischen einer Wohnungsdurchsuchung und dem
heimlichen Eindringen in einen Computer erläutern. Die
Hackerbeamten des BKA werden sich nicht per E-Mail
bei mir anmelden, sozusagen an meiner PC-Tür klingeln.
Sie werden mir auch keinen richterlichen Durchsuchungsbeschluss per Internet vorlegen. Sie werden mir
nicht mitteilen, wogegen sich die Maßnahme richtet und
welche meiner vielen Daten im PC sie beschlagnahmen
wollen. Sie werden auch nicht zulassen, dass ich Zeugen
hinzuziehe, die die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahmung mit überprüfen, und hinterher werde ich kein Protokoll erhalten. Sie wollen ohne gesetzliche Grundlage
zulassen - es wird sich zeigen, ob wir tatsächlich eine
finden -, dass der Staat in meinen PC eindringt - an der
Stelle ist der Ausdruck Hacker genau richtig - und in
mein Onlinebanking Einblick nimmt.
Wofür haben wir denn hier diskutiert und entschieden, dass die Sicherheitsbehörden allerhöchstens auf die
Stammdaten der Banken Zugriff bekommen dürfen? Sie
können sonst mein Onlinebanking nachvollziehen und
erkennen, ob ich private Mails austausche. Das gilt nicht
nur für den Zeitpunkt des Austausches. Ich bin nicht in
der Lage, die Mails zu löschen. In meiner Wohnung
kann ich von Zeit zu Zeit etwas wegwerfen; das ist dann
auch weg. Auf einer Festplatte ist das anders. Selbst
wenn ich mit dem Befehl „Papierkorb leeren“ etwas lösche, ist es nicht wirklich weg. Die BKA-Hacker können
auf der Festplatte all das rekonstruieren, was ich mir gar
nicht mehr zu Eigen mache.
Sie haben mit dem Versuch des Vergleichs zwischen
einer Hausdurchsuchung und dem heimlichen Eindringen in einen PC gezeigt, dass Sie offensichtlich die virtuelle Welt der PCs nicht begreifen.
({1})
Der PC bzw. das Gehäuse des PCs ist mehr als meine eigenen vier Wände. Hier haben meine Seele und meine
Gedanken einen Platz. Hier findet mein komplettes Privatleben statt.
Meine Damen und Herren von der FDP, ich bedauere
es sehr, dass Sie nicht darüber nachdenken, ob Sie das
wollen. Ihr Innenminister Wolf in NRW schafft die gesetzliche Grundlage. Das heißt, Sie wollen es. Für die
Fraktion der Grünen kann ich nur sagen: Wir wollen es
nicht.
({2})
Für uns gilt das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum
großen Lauschangriff, das den Kernbereich des persönlichen Lebens schützt. Aber das wurde von Ihnen gar
nicht angesprochen. Sie missachten andauernd Bundesverfassungsgerichtsurteile, hier insbesondere das zum
großen Lauschangriff, weil Sie meinen, dass die Terrorismusbekämpfung - Sie benutzen dieses Wort auch in
anderen Fällen - rechtfertigt, dass der Staat über mich
alles wissen darf, dass nichts, aber auch gar nichts im
Verborgenen bleiben darf. Das ist die Mentalität, die ein
Überwachungsstaat zeigt.
({3})
Aber der Rechtsstaat setzt Grenzen. Eine der Grenzen
zeigt zum Beispiel das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff auf.
({4})
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Mein letzter Satz: Sie sollten zugeben, dass das Bundeskriminalamt in alter Manier versucht hat - das erinnert mich an die 70er-Jahre; zum Glück ist es öffentlich
geworden -, eine neue Ermittlungsmethode auszuprobieren, die zwar in der Strafverfolgung vermutlich gar
keine Rolle spielt,
({0})
wohl aber im präventiven Bereich für die Nachrichtendienste. Sie wollen nicht nur den öffentlichen Raum
überwachen, sondern auch auf alle Daten der persönlichen Kommunikation zugreifen. Wir sagen: Es muss
Grenzen geben.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat nun der Kollege Klaus Uwe Benneter
für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollegin Stokar, richtig ist: Der Rechtsstaat setzt Grenzen.
Diese sind hier eingehalten. Aber davon sprechen Sie
nicht. Wenn man Sie hört, dann denkt man, dass das
BKA wild geworden ist
({0})
und irgendwelche PC-Durchsuchungen online durchgeführt hat. Tatsächlich lagen jeweils richterliche Beschlüsse zugrunde. Das ist das Entscheidende. Das ist
das, was den Rechtsstaat auszeichnet.
({1})
Die Richter sind bislang davon ausgegangen, dass
man die bestehenden Möglichkeiten nach der Strafprozessordnung hier entsprechend anwenden kann. Nun
gibt es zum ersten Mal einen Ermittlungsrichter beim
BGH, der das anders sieht. Es soll ja vorkommen, dass
Richter unterschiedlicher Meinung darüber sind, wie der
Rechtsstaat am besten funktioniert.
({2})
Herr Kollege Wieland, aber was ist denn daran aktuell? Das Problem kennen sicherlich alle, die den Aufsatz
des Oberstaatsanwalts Hofmann vom März 2005 zur
Kenntnis genommen haben. Das Problem ist altbekannt.
({3})
Tatsache ist, dass uns heute bekannt ist, dass es in diesem Jahr schon mehrfach gemacht wurde, und zwar mit
entsprechender richterlicher Anordnung. Das ist das Entscheidende, was den Rechtsstaat ausmacht.
({4})
Insofern ist es nicht in Ordnung, wenn Sie von BKAHackern sprechen.
({5})
Vielmehr hat das Justizministerium Recht, in seiner Zuständigkeit zu sagen: Wir warten die Beschwerdeentscheidung in Karlsruhe ab.
({6})
Das wird eine BGH-Entscheidung, eine höchstrichterliche Entscheidung sein.
({7})
Die wird uns sicher einen Fingerzeig geben, wie die
BGH-Richter das sehen.
Unabhängig davon - insofern ist es sicher richtig sind auch wir als Abgeordnete aufgefordert, selbst darüber nachzudenken, ob hier Handlungsbedarf besteht.
({8})
Ich sehe, Herr Kollege Montag, hier sehr wohl Handlungsbedarf.
({9})
Die Erörterungen des Oberstaatsanwalts Hofmann haben
mich jedenfalls nicht überzeugt;
({10})
denn er hat alles durchgeprüft, was bisher in der Strafprozessordnung dazu steht, und er ist zur Auffassung gelangt, dass die Bestimmungen nur entsprechend angewandt werden könnten. Ich halte es durchaus für
relevant, wenn hier darauf hingewiesen wird, dass das
ein sehr tiefer Eingriff in Persönlichkeitsrechte ist oder
jedenfalls sein kann.
({11})
Das ist von Kollegen Hartenbach zugestanden worden.
Man sollte überlegen, ob das Instrumentarium, das wir
dazu in der Strafprozessordnung haben, ausreicht.
({12})
Insofern bin ich durchaus dankbar, dass dieses Problem in der Fragestunde angesprochen wurde. Aber wir
brauchen doch dazu keine Aktuelle Stunde. Denken Sie
sich etwas aus, womit Sie den neuen Informationstechniken ein Netzwerk der Sicherheit entgegensetzen können!
Ihren Zwischenrufen - nicht Ihren Ausführungen habe ich entnommen, dass Sie generell etwas gegen
diese Maßnahme haben,
({13})
dass Sie es generell nicht für wünschenswert und zulässig halten, dass man auf diese Art und Weise zu Erkenntnissen kommt.
({14})
- Herr Kollege Wieland, genau da - das muss ich Ihnen
sagen - liegt der Unterschied zwischen uns. Ich denke,
wir müssen in der Lage sein, dem Netzwerk des Terrorismus und der schwersten Kriminalität ein Netzwerk
der Sicherheit und des rechtsstaatlichen Vorgehens entgegenzusetzen.
({15})
Natürlich muss der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gesichert sein.
({16})
Wir wissen, dass private Daten auf einem PC gespeichert
sein können und dass man online darauf zugreifen
könnte. Dann muss klar sein, dass bei einem Zugriff solche Daten und Erkenntnisse nicht berücksichtigt werden,
wie es in der Strafprozessordnung bei der akustischen
und optischen Wohnraumüberwachung im Hinblick auf
die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geregelt ist.
({17})
Das werden wir auch in diesem Bereich machen müssen.
Wir werden klarstellen müssen, dass der Kernbereich der
privaten Lebensgestaltung außen vor bleibt. Insofern
sind wir hier auf einem richtigen Weg.
({18})
Wir als Regierung brauchen von der Opposition nicht
darauf hingewiesen zu werden.
Danke schön.
({19})
Nun erteile ich dem Kollegen Helmut Brandt für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Jeder Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist schwerwiegend und bedarf
daher gründlicher Prüfung. Dabei ist erstens immer darauf zu achten, ob ein solcher Eingriff überhaupt notwendig ist und hinreichende Gründe dafür vorliegen.
({0})
Die zweite Frage ist, ob eine Rechtsgrundlage für einen
solchen Eingriff besteht.
({1})
- Herr Kollege Wieland, Sie folgen mir. - Es stellt sich
mithin erstens die Frage, ob die so genannte Onlinedurchsuchung bei bestimmten Fallkonstellationen für die
Ermittlungsbehörden notwendig ist, und, falls man das
bejaht - das haben wir gerade getan -, stellt sich zweitens die weitere Frage, aufgrund welcher Rechtsgrundlage der Eingriff geschieht.
Bei vorliegenden Verdachtsmomenten der Gründung
einer terroristischen Vereinigung beispielsweise im
Sinne des § 129 a StGB oder bei vergleichbaren anderen
Verdachtsfällen kann sich aus nachvollziehbaren - ich
meine, man muss sagen: offenkundigen - Gründen die
Notwendigkeit ergeben, die Ermittlungen verdeckt und
ohne Kenntnis des Verdächtigen zu führen. Erfolgversprechend können solche Ermittlungen in bestimmten
Fällen nur dann sein, wenn auch der Zugriff auf den
Computer eines Verdächtigen erfolgen kann.
Es ist allgemein bekannt, dass sich Terroristen in besonderer Weise moderner Technik bedienen und Absprachen zu schweren Verbrechen sowie die Vorbereitung
und die Anleitung zur Durchführung von Verbrechen
heute über die modernen Medien vermittelt und durchgeführt werden.
Die Ermittlungsbehörden müssen daher zur Erfüllung
ihrer Aufgaben im präventiven wie auch im repressiven
Bereich nicht nur die notwendigen technischen Möglichkeiten erhalten, sondern sich auch auf einer sicheren
rechtlichen Grundlage bewegen.
({2})
Ich bin bis heute davon ausgegangen, dass dies im ganzen Haus konsensfähig ist. Bei Ihnen, Herr Wieland,
habe ich inzwischen Zweifel.
Ich bejahe also die erste Frage.
Als nächstes stellt sich die Frage nach der Rechtsgrundlage bei Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Soweit mir bekannt, gibt es
zwei aktuelle Entscheidungen des Bundesgerichtshofes
- sie sind eben schon genannt worden -, allerdings
- auch das ist mehrfach gesagt worden - noch keine Senatsentscheidung. Eine solche ist aber zu erwarten. Auch
nach meiner Auffassung hätte es der Debatte gut getan,
wenn wir diese Entscheidung abgewartet hätten.
Herr Kollege Wieland, Sie können mir auch nicht erzählen, dass Sie arglos sind; ich habe den Eindruck, dass
Sie noch nie arglos waren.
({3})
Sie können mir auch nicht erzählen, dass die jetzt provozierte Debatte mehr darstellt als Aktionismus.
({4})
Mit der Entscheidung vom 21. Februar hat der Richter
am Bundesgerichtshof, gestützt auf die Vorschriften der
§§ 102 ff. StPO, die Onlinedurchsuchung angeordnet
und für rechtmäßig erklärt. Erlauben Sie mir, dass ich
aus dieser Entscheidung ein paar Passagen zitiere. Da
heißt es:
Der Anwendbarkeit des § 102 StPO steht - jedenfalls bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden nicht entgegen, dass die Ermittlungsmaßnahme
ohne Wissen des Betroffenen, also heimlich durchgeführt werden soll.
Weiter heißt es dann:
Es trifft insbesondere nicht zu, dass eine heimliche
Durchsuchung beim Verdächtigen ein unzulässiges,
durch die §§ 102 ff. StPO nicht gedecktes Ausforschen darstellt.
Wenige Zeilen später liest man:
Den das Ermittlungsverfahren regelnden Vorschriften der Strafprozessordnung lässt sich ein zwingender Grundsatz der Offenheit staatlichen Handelns
nicht entnehmen. Vielmehr sind prinzipiell auch
heimliche Ermittlungsmaßnahmen zulässig.
({5})
Ich meine, das müsste Gemeingut sein. Ich füge noch
hinzu, Herr Wieland: Um gerade in diesem Bereich erfolgreich ermitteln zu können, setzen die Ermittlungsmaßnahmen Heimlichkeit voraus.
Bei der jüngsten Entscheidung vom 25. November
wurde vom Ermittlungsrichter eine gegenteilige Auffassung dargestellt. Er hat die Auffassung vertreten, dass
die notwendige gesetzliche Grundlage fehle.
Diesen juristischen Streit werden wir heute nicht klären können. Ich sagte es bereits: Abzuwarten ist zunächst die Senatsentscheidung.
Wichtig ist aber für mich folgende Feststellung: Aufgrund der Eingriffsqualität hat in beiden, also in allen
bislang bekannt gewordenen Fällen, die Ermittlungsbehörde den Richtervorbehalt eingehalten und sich mithin
rechtmäßig verhalten. In diesem Zusammenhang von
„BKA-Hackern“ zu sprechen, halte ich für eine Zumutung. Das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen.
({6})
Dabei ist noch zu erwähnen - das ist auch schon gesagt worden -, dass es trotz des positiven Beschlusses
vom Februar dieses Jahres im ersten Fall gar keine Onlinedurchsuchung gegeben hat.
({7})
Herr Wieland, auch das wissen Sie und haben eben das
Gegenteil bekundet. Es hat keine Onlinedurchsuchung
gegeben.
({8})
Deshalb bedarf es auch keiner Offenbarung. Viel Aufregung um nichts.
Wir wollen - Herr Wieland, offensichtlich im Gegensatz zu Ihnen -, dass die Ermittlungsbehörden in der
Lage sind, die vom internationalen Terrorismus ausgehenden Gefahren effektiv zu bekämpfen. Bislang hatten
wir neben Erfolgen auch viel Glück, dass es noch keine
schwerwiegenden Anschläge in Deutschland gegeben
hat. Auf Glück wollen wir die Sicherheit in Deutschland
aber nicht bauen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.
Sollte es sich daher als notwendig erweisen
({0})
- das ist keineswegs populistisch -, für eine Onlinedurchsuchung eine weitere gesetzliche Grundlage zu
schaffen, so wird sich der Gesetzgeber, also wir, hiermit
beschäftigen müssen. Wir werden dann, soweit sich das
als notwendig erweist, auch tätig werden.
Ich danke Ihnen.
({1})
Nun hat das Wort der Kollege Dr. Dieter Wiefelspütz
für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zur Frage der Zulässigkeit der Onlinedurchsuchung gibt es unterschiedliche Auffassungen. Insoweit
ist es nicht angemessen, dieses Thema zu skandalisieren.
Ich habe auch Verständnis dafür, dass sich die Bundesregierung vor dem Hintergrund einer noch ausstehenden
Senatsentscheidung zurückhält. Aber wir alle miteinander sind frei gewählte Abgeordnete des deutschen Volkes; wir dürfen selber darüber nachdenken.
({0})
- Das gilt sogar für Sie, Herr Wieland.
Ich muss Ihnen freimütig sagen, dass mich die Entscheidung des Ermittlungsrichters am Bundesgerichtshof, Herrn Hebenstreit, sehr überzeugt hat. Der Mann
hat sich nach meiner Überzeugung um den Rechtsstaat
verdient gemacht.
({1})
Ich will überhaupt nicht in Abrede stellen, dass ich Onlinedurchsuchungen für unverzichtbar halte. Es gibt einen
Aufsatz, der schon mehrfach zitiert worden ist, aus dem
ich - mit Ihrer Erlaubnis - nur einen Satz vorlesen will:
Für die Onlinedurchsuchung besteht bei der Bekämpfung der Schwerkriminalität und des Terrorismus zur Aufrechterhaltung einer effektiven Strafverfolgung ein unabweisbares Bedürfnis.
Ja, das ist richtig. Aber - die Frage muss erlaubt
sein - haben wir eine ausreichend klare, präzise Eingriffsgrundlage? Das ist doch die entscheidende Frage.
Auch Sie vonseiten der Bündnisgrünen werden nicht in
Abrede stellen, dass wir Onlinedurchsuchungen in bestimmten Fällen benötigen, aber mit einer klaren, eindeutigen Rechtsgrundlage.
({2})
Das ist Rechtsstaat, nichts anderes.
Ich will Ihnen freimütig sagen - man kann ja an dieser Stelle anderer Auffassung sein, zum Beispiel, das alles reiche -: Die heimliche Onlinedurchsuchung ist - bei
allem Respekt, Herr Kauder - ein schwerwiegender
Grundrechtseingriff.
({3})
Dass der Rechtsstaat heimlich tätig wird, kann in bestimmten Fällen unausweichlich sein. Aber die Messlatten für Normenklarheit, für Rechtssicherheit, für Absicherungen im Hinblick auf Grundrechtsschutz müssen
an dieser Stelle besonders hoch sein.
({4})
Darüber kann es keinen Streit geben. Deswegen müssen
wir uns an dieser Stelle besonders viel Mühe geben.
Ich sage das jetzt ohne Hochmut und ohne Besserwisserei, Herr Kauder: Wenn ich auf diesem sensiblen Gelände jemanden von Analogien oder von sui generis reden höre, bekomme ich - ich sage es einmal etwas
flapsig - sofort Frostbeulen. Der Rechtsstaat erlaubt
nicht, dass wir da mit Analogien oder mit der Rechtsfigur sui generis arbeiten.
({5})
Wir Juristen kennen ja alle viele Argumentationsmuster. Ich sage das ohne Vorwurf. Es gibt unterschiedliche
Entscheidungen, unterschiedliche Literatur dazu. Für
Skandalisierung gibt es keinen Grund. Aber ich bin
schon der Auffassung, dass der Deutsche Bundestag als
Gesetzgeber den Auftrag hat, sich das sehr genau anzuschauen.
({6})
Meine Meinung muss nicht die allein maßgebliche
sein. Aber ich habe den Eindruck, dass wir das Phänomen Internet auch vor dem Hintergrund der Veränderung
unserer Verhaltensweisen, auch der intimen Bereiche
- was ist Menschenwürde, was ist Privatheit an dieser
Stelle? -, noch nicht wirklich ausgemessen haben. Ich
rate sehr dazu, die Diskussion auszuweiten. Wir reden
heute ja „nur“ über einen strafprozessualen Zugriff.
({7})
Was ist denn mit dem Verfassungsschutz? Was ist mit
Jugendschutz? Was ist mit Terrorismusbekämpfung im
Internet?
({8})
Wir wissen alle, dass das Internet auch eine Herausforderung ist. Es ist ein wunderbarer neuer Freiheitsraum, ein Raum freier Kommunikation über die Kontinente hinweg. Es ist etwas zutiefst Demokratisches und
gleichzeitig ein explodierender Wirtschaftsraum. Es ist
aber auch ein Raum schwerster und schlimmster Verbrechen.
({9})
Auch darauf muss man vorbereitet sein. Sind wir das eigentlich? Sind wir mit unserer Rechtsordnung an dieser
Stelle optimal aufgestellt? Haben wir wirklich abgebildet, was sich dort verändert hat?
Ich sage das ohne Vorwurf. Unsere Aufgabe ist, kritischer an diese neue Entwicklung heranzugehen
({10})
mit dem legitimen Anspruch, die Grundrechte zu schützen, wobei wir die legitimen Ansprüche der Strafverfolgung, auch zum Schutz unseres Staates, nicht naiverweise ausblenden dürfen; denn es ist auch Realität, dass
uns aus dem Internet schlimmste Verbrechen bedrohen,
die eine große Herausforderung für Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit bedeuten.
Vor diesem Hintergrund rate ich uns, nicht nur diesen
Punkt zu vertiefen, sondern in den kommenden Wochen
und Monaten auch eine anspruchsvolle Debatte über Internet, Grundrechte und Strafverfolgung zu führen.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Klaus Riegert
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Korte, ich habe mehrfach erlebt, dass Sie als Schutzpatron der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auftreten. Als Mitglied der
Nachfolgepartei der SED wäre ich an Ihrer Stelle mit
Vorwürfen an unseren Rechtsstaat aber sehr vorsichtig.
({0})
Extremisten von links wie von rechts und die organisierte Kriminalität nutzen das Internet immer stärker.
Denken Sie nur an Menschenhandel und Kinderpornografie. Das Internet bietet ebenso Terroristen ein mächtiges und kaum zerstörbares Forum zur Vorbereitung, zur
Organisation wie auch zur propagandistischen Verbreitung ihrer Terrorakte.
({1})
Es ist für Terroristen Kommunikationsplattform, Werbeträger, Fernuniversität, Traningscamp und Thinktank in
einem. Auch wenn es keine hundertprozentige Sicherheit gibt, bedeutet das natürlich nicht, dass man nicht in
der Vorsorge das Menschenmögliche tun muss, um so
viel wie möglich an Sicherheit zu gewährleisten.
Es ist ein wesentlicher Auftrag unseres Rechtsstaates,
insbesondere schwere Straftaten auch bei schwieriger
Beweislage aufzuklären. Bei der so genannten Onlinedurchsuchung geht es dabei nicht um die willkürliche
Aushöhlung von Bürgerrechten, um staatlich organisierten Hausfriedensbruch, wie heute gelegentlich zu hören
und zu lesen ist. Wir wollen den Bürgern doch nicht flächendeckend beim Surfen über die Schulter schauen. Es
geht darum, dass wir bei Hinweisen auf eine schwere
Straftat erkennen können, was jemand plant.
({2})
Es geht um eine Ermittlungsmaßnahme, die es den
Strafverfolgungsbehörden auf rechtsstaatlich einwandfreie Weise erlaubt, den Rechner einer Zielperson ohne
deren Wissen und ohne am Standort des Rechners anwesend zu sein auf verfahrensrelevante Daten wie E-Mails,
Passwörter und Textdateien zu durchsuchen. Über die
Frage der rechtlichen Zulässigkeit dieses schweren Eingriffs, der unterschiedlich beurteilt wird, haben sich
schon eine Reihe von Kollegen geäußert.
Mögliche Tatvorbereitungen müssen im Vorhinein erkannt und verhindert werden. Unsere Strafverfolgungsbehörden sind darauf angewiesen, in bestimmten Fällen
auf Informationen, die sich auf dem Rechner des Beschuldigten befinden, zugreifen zu können, ohne dass
dieser hiervon Kenntnis erlangt. Als früherer Polizeibeamter darf ich feststellen: Für die Durchführung einer
Onlinedurchsuchung besteht auch ein polizeipraktisches
Bedürfnis.
Ebenso muss das BKA organisatorisch und technisch
in die Lage versetzt werden, im Falle einer gerichtlichen
Anordnung einer solchen Maßnahme diese auch umsetzen zu können. Hierfür sind im Programm zur Stärkung
der inneren Sicherheit entsprechende Mittel vorgesehen.
Ich begrüße deshalb, dass das BMI beabsichtigt, die Forderung nach Schaffung entsprechender Rechtsgrundlagen im Rahmen der Ressortabstimmung vorzutragen.
Wir brauchen rechtsstaatlich unbedenkliche Ermächtigungsgrundlagen für die Onlinedurchsuchung.
Ob die geltenden Bestimmungen ausreichen, werden
wir nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes
über die Beschwerde des Generalbundesanwaltes wissen. Dann werden wir darauf gemeinsam reagieren.
({3})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Dr. Carl-Christian Dressel für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kryptisch - um das Wort des Kollegen Wieland aus dem ersten Redebeitrag zur Aktuellen Stunde zu verwenden ({0})
ist die Zielrichtung unserer heutigen Aktuellen Stunde.
({1})
Sie ist daher kryptisch, weil Sie zunächst an das Bundesministerium der Justiz sinngemäß folgende Frage gerichtet hatten: Treffen Presseberichte zu - das ist eine häufig
sehr berechtigte Frage;
({2})
sie ist auch von durchaus philosophischem Interesse -,
dass der Ermittlungsrichter beim BGH eine bestimmte
Entscheidung getroffen hat?
({3})
Aus dieser Frage entwickeln Sie eine Aktuelle Stunde
- ich würde sie durchaus mit der neuen Bezeichnung
„akademische Runde“ versehen -, in der wir uns abstrakt und, wie ich meine, teilweise zur Unzeit über die
Frage gewisser Ermächtigungsgrundlagen unterhalten.
({4})
Warum zur Unzeit? Es gibt ein aktuelles Ermittlungsverfahren, in dem eine Entscheidung durch einen Ermittlungsrichter - Kollege Wiefelspütz hat seinen Namen
schon genannt - getroffen wurde; nun liegt dem zuständigen 3. Strafsenat eine Beschwerde dagegen vor.
Ich darf mir die Frage erlauben, Kollege Wieland:
Wollen wir künftig ständig aufgrund eines Ermittlungsverfahrens und einer ergangenen Entscheidung eine Aktuelle Stunde auf die Tagesordnung setzen?
({5})
Damit habe ich deutliche Probleme, auch vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung. - Das ist ein neues Wort
für Sie, Herr Korte; das sollten Sie sich gleich einmal
aufschreiben.
({6})
Als Gesetzgeber muss es doch unsere Zielrichtung
sein, abzuwarten, bis letztinstanzlich das zuständige Gericht - in diesem Fall der Bundesgerichtshof - festgestellt hat, was nach seiner Ansicht Inhalt der einmal vom
Deutschen Bundestag bzw. vom Schöpfer der StPO verabschiedeten Regelung ist und was wir als Gesetzgeber
mit dieser Regelung machen wollen oder, wie Sie, Frau
Kollegin Stokar von Neuforn, richtig fragten, was gewollt wird. Nur: Die Frage, was wir wollen, stellt sich
dann, wenn wir die Beschwerdeentscheidung auf dem
Tisch haben, nicht jetzt.
({7})
Nach Ihrem Beitrag komme ich zu dem Ergebnis,
dass Sie erstens der Auffassung sind, es werde schon
jetzt eifrig in Daten gegrast und auf fremde Computer
Zugriff genommen.
({8})
Zweitens wissen Sie wohl nicht, dass auch der Zugriff
auf den Computer unter Richtervorbehalt steht und dass
niemand ungeschützt Objekt strafrechtlicher Ermittlungsmaßnahmen im Rahmen einer Onlinedurchsuchung
sein wird.
Daher ist es unsere Aufgabe, jetzt abzuwarten, was
uns der 3. Strafsenat in seiner Beschwerdeentscheidung
auf den Tisch legen wird, um danach gesetzgeberisch tätig werden zu können. Sollten wir der Meinung des
Herrn Hebenstreit aus dem jüngst ergangenen Beschluss
folgen
({9})
und sagen: „§ 102 StPO reicht nicht aus“, dann müssen
wir eine Ermächtigungsgrundlage schaffen, sofern wir
das wollen. Ich gehe davon aus: Wir wollen das.
({10})
Dies entspräche dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Sollte der Bundesgerichtshof allerdings der Ansicht
des Ermittlungsrichters aus der Entscheidung im Februar
folgen, so müssten wir uns überlegen, ob wir einen solchen weiten Inhalt und ein solches weites Verständnis
des § 102 StPO überhaupt wollen oder ob wir im Rahmen der Verhältnismäßigkeit nicht nur auf den Einzelfall
abstellen lassen wollen, sondern eventuell im Rahmen
einer Spezialvorschrift gesetzgeberisch einschränkend
tätig werden.
({11})
Dies ist unsere Aufgabe: abwarten
({12})
und erst dann handeln, statt den Textbaustein vom Abbau der Grundrechte, wie das von Ihnen, Herr Korte,
stets zu hören ist, aus der argumentativen Mottenkiste
herauszuholen.
({13})
Genauso werden wir es zusammen auch machen.
({14})
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 14. Dezember
2006, 9 Uhr, ein.
Ich schließe die Sitzung.