Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle herzlich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fraktionen ha-
ben vereinbart, heute um 16 Uhr, im Anschluss an die
Fragestunde, eine Debatte zu Berichten über angebliche
Gefangenentransporte sowie die Verbringung deutscher
und anderer Staatsangehöriger durch US-Stellen und das
Verhalten von Bundesdienststellen in diesem Zusam-
menhang durchzuführen. Für diese Beratung sind an-
derthalb Stunden vorgesehen. Sind Sie mit dieser Erwei-
terung der Tagesordnung einverstanden? - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich weise schon jetzt auf die Implikationen dieser
Vereinbarung für die Durchführung der Fragestunde hin.
Darauf kommen wir nachher zurück.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 c
auf:
a) Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der
Überwachungsmission AMIS der Afrikanischen Union ({0}) in Darfur/Sudan auf
Grundlage der Resolutionen 1556 ({1}) und
1564 ({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen vom 30. Juli 2004 und 18. September
- Drucksache 16/100 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch
- Drucksachen 16/162, 16/220 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({4})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes ({5})
- Drucksache 16/219 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({6})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Hier handelt es sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Zum Gesetzentwurf auf Drucksache 16/162 zum
Tagesordnungspunkt 22 b liegt zwischenzeitlich die Gegenäußerung der Bundesregierung auf Drucksache 16/220
vor, die wie der Gesetzentwurf überwiesen werden soll.
Die Vorlage zu Tagesordnungspunkt 22 c auf Drucksache
16/219 soll zusätzlich an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung überwiesen werden. Sind Sie auch damit einverstanden? - Das scheint so.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 1 a
bis 1 c, Wahlen zu Gremien. Es geht um die Einsetzung
von drei Gremien sowie um die Wahlen der Mitglieder
dieser Gremien. Die Wahlen führen wir mit Stimmkarten
und Wahlausweisen in getrennten Wahlgängen durch.
Dabei handelt es sich um die Wahlen der Mitglieder zu
folgenden Gremien: Parlamentarisches Kontrollgremium, Gremium gemäß § 4 a des Bundeswertpapierverwaltungsgesetzes, das Vertrauensgremium gemäß § 10 a
Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung.
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich bitte Sie um Ihre Aufmerksamkeit für einige notwendige Hinweise zu den Wahlen: Die Stimmkarten in
den Farben Blau, Gelb und Weiß werden unmittelbar vor
der jeweils durchzuführenden Wahl im Saal verteilt bzw.
sie sind offenkundig zu einem großen Teil bereits verteilt. Sie benötigen außerdem Ihre Wahlausweise in den
Farben Blau, Gelb und Weiß, die Sie bitte, soweit noch
nicht geschehen, in bewährter Weise Ihrem Stimmkartenfach in der Lobby entnehmen. Bitte achten Sie darauf,
dass die Wahlausweise tatsächlich Ihren Namen tragen.
Bevor Sie die entsprechende Stimmkarte in eine der
Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte Ihren dazugehörenden Wahlausweis einem der Schriftführer an den
Wahlurnen. Der Nachweis der Teilnahme an der Wahl
kann nur durch Abgabe des Wahlausweises erbracht
werden. Die Schriftführerinnen und Schriftführer bitte
ich, darauf zu achten, dass der Wahlausweis vor der
Stimmabgabe tatsächlich übergeben wird.
Die Wahlen finden offen statt. Sie können die Stimmkarten also an Ihrem Platz ankreuzen.
Das Verfahren ist damit hoffentlich klar geworden.
Wir kommen zunächst zu Tagesordnungspunkt 1 a:
- Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Einsetzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß § § 4 und 5 Abs. 4 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes
({7})
- Drucksache 16/169 - Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen
Kontrollgremiums gemäß § § 4 und 5 Abs. 4
des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des
Bundes ({8})
- Drucksachen 16/170, 16/171, 16/172, 16/173,
16/174 Wir kommen sofort zur Abstimmung über den gemeinsamen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der
SPD, der FDP, der Linken und des Bündnisses 90/Die
Grünen auf Drucksache 16/169. Wer stimmt für diesen
Antrag? - Möchte jemand dagegen stimmen? - Möchte
sich jemand der Stimme enthalten? - Das ist nicht der
Fall. Dann ist der Antrag einstimmig angenommen. Damit ist das Parlamentarische Kontrollgremium eingesetzt
und die Zahl seiner Mitglieder auf neun festgelegt.
Bevor wir jetzt zur Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums kommen, bitte ich Sie
noch für einen weiteren Hinweis um Ihre Aufmerksamkeit: Nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des
Bundes ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der
Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, das heißt,
wer mindestens 308 Stimmen erhält.
Die blauen Stimmkarten wurden im Saal verteilt.
Sollten Sie noch keine Stimmkarte haben, besteht jetzt
noch die Möglichkeit, eine solche von den Plenarassistenten zu erhalten. Auf der blauen Stimmkarte können
Sie neun Namensvorschläge ankreuzen. Ungültig sind
wie immer - ({9})
- Da es bei solchen Wahlgängen erstaunlicherweise immer wieder ungültige Stimmen gibt, sind die scheinbar
selbstverständlichen Hinweise zur Gültigkeit von Stimmzetteln oder Stimmkarten nicht gänzlich unbeachtlich.
({10})
Deswegen gebe ich Ihnen den sensationellen Hinweis,
dass auch in diesem Fall solche Stimmkarten ungültig
sind, die andere Namen oder Zusätze enthalten.
({11})
Damit erledigt sich fast der zusätzliche Hinweis, dass
derjenige, der sich der Stimme enthalten will, am besten
keine Eintragung macht; denn dann hätte er sich der
Stimme enthalten, ohne die Stimmkarte ungültig zu machen.
Diese Wahl findet, wie auch die beiden folgenden
Wahlen, offen statt. Sie können Ihre Stimmkarten also an
Ihrem Platz ankreuzen, bevor Sie die blaue Stimmkarte
in eine der Wahlurnen werfen. Denken Sie daran, Ihren
Wahlausweis abzugeben, da nur er Ihre Teilnahme an der
Wahl belegt.
Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Wahlurnen besetzt? - Das scheint der Fall zu sein. Dann eröffne
ich die Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Ich habe den Eindruck, dass alle anwesenden Mitglieder des Deutschen
Bundestages von ihrem Wahlrecht haben Gebrauch machen können. Ich schließe damit die Wahl und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Wahl geben wir später bekannt.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 1 b:
- Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Einsetzung des Gremiums gemäß § 4 a des
Bundeswertpapierverwaltungsgesetzes
- Drucksache 16/175 - Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß
§ 4 a des Bundeswertpapierverwaltungsgesetzes
- Drucksachen 16/176, 16/177, 16/178, 16/179,
16/180 Präsident Dr. Norbert Lammert
Wir stimmen sofort über den gemeinsamen Antrag aller Fraktionen auf Drucksache 16/175 ab. Wer stimmt
für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich
jemand der Stimme? - Dann ist auch dieser Antrag einstimmig angenommen. Damit ist das Gremium gemäß
§ 4 a des Bundeswertpapierverwaltungsgesetzes mit der
Bezeichnung „Gremium zu Fragen der Kreditfinanzierung des Bundes“ eingesetzt und die Mitgliederzahl wiederum auf neun festgelegt.
Für diesen Wahlgang gelten die gleichen Regelungen,
die ich vorhin vorgetragen habe. Auch in diesem Fall ist
also nur gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der
Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, das heißt,
wer mindestens 308 Stimmen erhält.
Die gelben Stimmkarten sind im Saal verteilt. Sollten
Sie noch keine Stimmkarte haben, besteht die Möglichkeit, eine solche Karte von den Plenarassistenten zu erhalten. Auf der gelben Stimmkarte können Sie neun Namensvorschläge ankreuzen. Ich gebe noch einmal den
Hinweis, dass Zusätze oder andere Namen die Stimmkarte ungültig machen. Wer sich der Stimme enthalten
will, macht bitte keine Eintragung auf der Stimmkarte.
Übergeben Sie bitte auch bei dieser Wahl Ihre Stimmausweise den Schriftführerinnen und Schriftführern an
den Wahlurnen.
Offenkundig sind alle Wahlurnen besetzt. Dann eröffne ich hiermit den zweiten Wahlgang, die Wahl der
Mitglieder des Gremiums gemäß § 4 a Bundeswertpapierverwaltungsgesetz.
Darf ich fragen, ob es Mitglieder des Hauses gibt, die
ihre Stimmkarte noch nicht abgegeben haben? Ich hoffe,
es hat sich in der Zwischenzeit herumgesprochen, dass
das Präsidium zwar niemanden daran hindern kann,
parallel zum Plenum private oder auch Ausschusstreffen
durchzuführen, dass wir aber niemandem helfen können,
der erst nach Schluss des Wahlgangs mit seiner Stimmkarte kommt.
Ich sehe niemanden, der noch eine Stimmkarte in der
Hand hält, und schließe damit auch diesen Wahlgang.
Auch hier lassen wir die Stimmen auszählen und geben
das Ergebnis später bekannt.
Nachdem wir inzwischen neue Wahlurnen haben,
können wir den nächsten Wahlgang einleiten.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 c auf:
- Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Einsetzung des Vertrauensgremiums gemäß
§ 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung
- Drucksache 16/181 - Wahl der Mitglieder des Vertrauensgremiums
gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung
- Drucksachen 16/182, 16/183, 16/184, 16/185,
16/186 Wir stimmen zunächst über den gemeinsamen Antrag
aller Fraktionen auf Drucksache 16/181 ab. Wer stimmt
für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich der Stimme? - Dann ist unter Berücksichtigung all
derjenigen, die sich an der Abstimmung beteiligt haben,
auch dieses Gremium einstimmig eingesetzt und die
Mitgliederzahl auf neun festgelegt.
Das Verfahren ist das gleiche wie bisher. Auch hier ist
gewählt, wer mindestens 308 Stimmen auf sich vereint.
Ungültig sind Stimmkarten, die andere Namen oder Zusätze enthalten. Werfen Sie bitte die weiße Stimmkarte
in eine der Wahlurnen und geben Sie gleichzeitig Ihren
weißen Wahlausweis bei den Schriftführern ab.
Sind wieder alle Wahlurnen von Schriftführerinnen
und Schriftführern besetzt? - Das scheint der Fall zu
sein. Dann eröffne ich die dritte Wahl, die zum Vertrauensgremium. Der Wahlgang ist eröffnet.
Gibt es noch jemanden im Saal, der seine Stimmkarte
nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall. Dann
schließe ich auch diesen Wahlgang.
Ich nutze aber noch einmal die Gelegenheit, darauf
hinzuweisen, dass Sie nicht nur dem Präsidium die Arbeit erleichtern, sondern auch sich selbst manche unnötigen Frustrationen ersparen, wenn Sie eher in zeitlicher
Nähe zum Beginn solcher Abstimmungen als kurz nach
deren Beendigung mit Ihren Wahlausweisen erscheinen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Ich bitte darum, dass die Kolleginnen und Kollegen,
die wegen anderweitiger Verpflichtungen nicht an der
Befragung der Bundesregierung teilnehmen können oder
wollen, den Plenarsaal zu verlassen, damit sie mit der
notwendigen Konzentration auf die Sache erfolgen kann.
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur
Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten.
Das Wort für den einleitenden Kurzbericht hat der
Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium
der Justiz, Alfred Hartenbach.
Herr Präsident! Ich bedanke mich sehr herzlich, dass
Sie mir das Wort erteilen, und hoffe, dass meine Stimme
durchdringend genug ist, um allgemeines Interesse zu
erwecken.
Sie gestatten, dass ich - ergänzend zu dem Entwurf
eines Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe
und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten - noch etwas zu einem weiteren Thema sage, das heute von unserer Seite im Kabinett vorgetragen und beschlossen
wurde, nämlich zur Einführung eines elektronischen
Handels-, Genossenschafts- und Unternehmensregisters.
Ich beginne mit dem Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei
Straftaten. Dieses Gesetz war überfällig. Zwar sahen
bereits bisher die einschlägigen Vorschriften des Strafgesetzbuches und der Strafprozessordnung die Möglichkeit
der Geltendmachung von Ansprüchen auf aus Straftaten
erlangtes Vermögen durch die Geschädigten vor. Der
Staat konnte dann das Vermögen aber nicht abschöpfen,
wenn sich kein Geschädigter fand. Aber es hat sich herausgestellt, dass es hier noch Regelungslücken gab, die
in Folgendem bestanden: Die Frist zur Geltendmachung
von Ansprüchen Geschädigter lag nach der Verurteilung
des Täters bei drei Monaten. Teilweise wussten die Geschädigten nichts von ihren Ansprüchen. Teilweise genügte dieser Zeitraum nicht - das war oft der Fall -, um
einen Anspruch geltend zu machen. Darüber hinaus war
es in der großen Zahl der Strafverfahren nur eine theoretische Möglichkeit, dass ein Anspruch bestand, sodass
für den Staat eine Verfallserklärung nicht mehr möglich
war. Das führte dann zu dem wenig erfreulichen Ergebnis, dass einem Straftäter der aus einer Straftat erlangte
Vermögensvorteil wieder gewährt werden musste. Es
gab also einerseits eine Gerechtigkeitslücke und andererseits eine Lücke zuungunsten der Geschädigten.
Das neue Gesetz gibt mehr Spielraum. Die Frist zur
Geltendmachung von Ansprüchen auf beschlagnahmtes
Vermögen wird auf drei Jahre ausgedehnt, sodass die
Geschädigten ausreichend Zeit haben, ihre Ansprüche
geltend zu machen und durchzusetzen. Des Weiteren
kann nun der Staat immer dann, wenn ein Schadenersatzanspruch nicht geltend gemacht wird, ein aus rechtswidrigen Taten erlangtes Vermögen nach Ablauf von
drei Jahren zugunsten der Staatskasse bzw. der Landesjustizkassen einziehen. Zum einen glauben wir, dass dies
ein weiterer Baustein im Werk zur Stärkung der Rechte
von Opfern von Straftaten ist. Die 1982 mit dem ersten
Opferentschädigungsgesetz begonnene Stärkung der Opferrechte findet damit eine weitere, vorläufige Ergänzung. Zum anderen glauben wir, dass dies gegenüber der
rechtstreuen Bevölkerung durchaus akzeptabel und richtig ist.
Wir haben in Umsetzung einer EU-Richtlinie einen
Beschluss zur Einführung eines elektronischen Handels-, Genossenschafts- und Unternehmensregisters
gefasst. Das heißt, künftig, und zwar ab dem 1. Januar
2007 - so fordert es die EU-Richtlinie -, werden Anmeldungen und Ergänzungen, aber auch Eintragungen in das
Handelsregister grundsätzlich nur noch auf elektronischem Wege erfolgen. Das Gleiche gilt für das Genossenschaftsregister. Um nun interessierten Anlegern und
Geschäftsleuten, aber auch Privatleuten die Möglichkeit
zu geben, eine umfassende Auskunft über alle in
Deutschland ansässigen Kapitalgesellschaften und Personengesellschaft zu erhalten, werden wir außerdem ein
elektronisches Unternehmensregister einführen, welches zum gleichen Zeitpunkt in Kraft tritt. Man muss
also nicht mehr mühsam suchen, wo es eine Firma gibt,
wie diese heißt und was sie macht. Man kann vielmehr
durch einen einzigen Abruf bei dem elektronischen Unternehmensregister feststellen, dass es eine bestimmte
Firma in Deutschland gibt, wo sie registriert ist und welche Gesellschaftsverhältnisse herrschen.
Das Handelsregister und das Genossenschaftsregister
werden nach wie vor bei den Amtsgerichten geführt. Dabei bleibt es den Ländern überlassen, ob sie das hier konzentrieren, was teilweise heute schon gemacht wird. Das
Unternehmensregister wird bei einem beliehenen Unternehmen geführt werden. Die elektronische Führung des
Handelsregisters hat mehrere Vorteile:
Erstens. Wir sind überzeugt, dass Eintragungen und
Ergänzungen sehr zügig durchgeführt werden können.
Wir gehen davon aus, dass die Eintragungen ins Handelsregister innerhalb von fünf Tagen - das ist unsere
Marge - erfolgen können. Das ist vor allem für Unternehmensgründungen und für Unternehmensänderungen
wichtig.
Zweitens. Es wird eine erhebliche Kosteneinsparung
insbesondere für die kleinen und mittelständischen Unternehmen geben. Bisher müssen alle Eintragungen im
Bundesanzeiger und in mindestens einer örtlichen Tageszeitung veröffentlicht werden. Je nach Region kann
das um die 200 Euro, aber auch bis zu 600 Euro kosten.
Herr Kollege.
Ein Satz noch. - Dadurch, dass wir das alles elektronisch machen wollen, haben wir uns nicht unbedingt das
Wohlwollen der deutschen Zeitungsunternehmer zugezogen. Deswegen kommen wir den Ländern entgegen
und gestatten den Ländern, dass sie durch Ausnahmeverordnungen für einzelne Regionen ihres Landes anordnen
können, dass bis Ende 2009 die Veröffentlichungen bindend auch noch in einer Tageszeitung in Papierform erfolgen müssen.
Danke, dass Sie mir die eine Minute noch gegönnt haben.
So sind wir. Wir bedanken uns für den Bericht.
Gibt es Fragen zu dem vorgetragenen Sachverhalt? Bitte schön, Herr Kollege Montag.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
ich habe eine Frage an Sie zu dem Gesetzentwurf zur
Vermögensabschöpfung in Strafsachen. Sie haben in Ihren einführenden Worten wörtlich von den „theoretischen“ Fällen gesprochen, in denen Straftätern nach ihrer rechtskräftigen Verurteilung ihre aus ihren Straftaten
erzielten Gewinne nicht weggenommen werden könnten. Das wollten Sie jetzt ändern. Nachdem das geltende
Recht selbstverständlich schon jetzt die Möglichkeit der
Abschöpfung von Verbrechensgewinnen vorsieht und
Sie von „theoretischen“ Fällen gesprochen haben, bitte
ich Sie, dass Sie noch einmal darüber aufklären, welche
konkreten Fälle Sie meinen, die jetzt noch durch das
Raster fallen und daher eine Gesetzesänderung erfordern.
Herr Kollege Montag, § 73 Abs. 1 Satz 2 Strafgesetzbuch sieht vor, dass ein Verfall und eine Einziehung
nicht möglich sind, wenn es Schadenersatzansprüche
Dritter gibt. Diese Schadenersatzansprüche Dritter gibt
es in nahezu allen Fällen, in allen Betrugsfällen, in allen
Raubfällen und in allen Fällen von Vermögensdelikten.
Es gibt sie nicht - deswegen ist das Gesetz damals eingeführt worden - bei den Gewinnen aus Straftaten, die
unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Da gibt es eigentlich keinen Geschädigten und da war es sehr einfach. Heute ist es so, dass immer dann, wenn ein solcher
Schadenersatzanspruch besteht, der Staat das zu Unrecht
erworbene Vermögen, also den Gewinn aus der Straftat,
nicht für verfallen erklären kann. Das steht in der Vorschrift, die ich eben genannt habe.
Es gibt aber Fälle, in denen ein Geschädigter aufgrund der kurzen Frist seinen Anspruch nicht geltend gemacht hat. Noch eklatanter sind die Fälle - dafür gibt es
im Moment ein ganz aktuelles Beispiel -, in denen der
Schaden für die Opfer - ich darf das einmal so sagen relativ gering, der Gewinn für den Täter aber sehr groß
ist. Da kann es sein, dass überhaupt keine Ansprüche
geltend gemacht werden, obwohl diese vorhanden sind.
Ganz aktuell sind die Fälle mit dem vergammelten
Fleisch. Dabei spiegeln die Täter den Menschen durch
Umetikettierungen vor, dass das Fleisch, das verdorben
ist und eigentlich nicht mehr verkauft werden dürfte, genießbar ist. Durch den Verkauf dieses Fleisches werden
sehr hohe Gewinne erzielt. Der einzelne Geschädigte hat
aber gar kein Interesse daran, ein Verfahren auf Rückzahlung des Kaufpreises, der sich häufig nur auf
1,50 Euro beläuft, anzustrengen. Das heißt, nach der bisherigen Gesetzeslage müsste der beschlagnahmte Gewinn aus der Straftat dem Täter zurückgegeben werden.
Ein weiteres Beispiel sind die betrügerischen Machenschaften mit den 0190er-Nummern. Dabei wird ein
Anruf in eine Warteschleife gelegt. Damit verdient der
Täter sehr gut, während sich der Einzelne zwar über die
Kosten ärgert, aber keine Schadenersatzansprüche geltend macht. Nach einer Sicherstellung muss das Geld
eventuell an den Täter zurückgegeben werden.
Außerdem gibt es Fälle, wo die Geschädigten gar
nicht wussten, dass durch Straftaten - also unrechtmäßig - erworbenes Vermögen gesichert worden war - sie
wussten noch nicht einmal, dass ein Ermittlungsverfahren anhängig war. Drei Monate nach Verurteilung des
Täters musste dieses Vermögen herausgegeben werden.
Die Dreijahresfrist ermöglicht es - gesetzlich vorgeschrieben ist die Mitteilung im elektronischen Bundesanzeiger, dass Vermögen beschlagnahmt worden ist -,
die Geschädigten über die Medien darauf hinzuweisen,
dass sie einen Anspruch geltend machen können. Die
Auszahlung kann natürlich erst erfolgen - es gibt bekanntermaßen einen Arrest -, wenn der Geschädigte sich
einen zivilrechtlichen Titel beschafft hat.
Wenn diese drei Jahre abgelaufen sind - diesen Fall
habe ich eben geschildert -, kann der Staat unrechtmäßig
erworbenes Vermögen überall dort, wo keine oder nur
geringe Ansprüche geltend gemacht worden sind, aber
noch ein Teil dieses Vermögens vorhanden ist, im Wege
des Auffangrechtserwerbs zugunsten der Staatskasse
vereinnahmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Ramelow.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen eben das elektronische Handelsregister an und verwiesen darauf, dass den
Ländern durch Ermächtigung gestattet werden soll, noch
bis 2009 die Veröffentlichung der Eintragungen in einer
Tageszeitung zuzulassen. Wenn die Bundesregierung
überzeugt ist, dass das elektronische Handelsregister der
richtige Weg ist - ich glaube, es ist der richtige Weg;
vergleichbar ist es bei Insolvenzanzeigen und ähnlichen
Dingen; auch dort muss man endlich den Weg des Fortschritts gehen, wie er in der Wirtschaftswelt üblich ist -,
wieso gestattet man den Ländern dann, eine solche Regelung für die mittelständischen Betriebe zu erlassen?
Wie erklärt man den Wettbewerbsnachteil der Firmen,
die ihren Sitz in einem solchen Gebiet haben, gegenüber
den Firmen mit Sitz in Gebieten, wo der von Ihnen gerade erläuterte Weg per Bundesgesetz möglich gemacht
worden ist?
Herr Kollege Ramelow, wir sind natürlich überzeugt,
dass es der bessere Weg ist, wenn alle Anmeldungen und
auch die Veröffentlichungen über das elektronische Handelsregister vorgenommen werden; denn das geht
schneller und ist kostengünstiger.
Nun wissen wir aber, dass es in dieser Republik noch
Unternehmungen gibt - die Gegenvorschläge, die teilweise in den Ländern gemacht worden sind, haben darin
ihre Ursache -, die an die elektronischen Netze immer
noch nicht angeschlossen sind, sodass wir nicht sicherstellen können, dass alle gleichermaßen informiert sind.
Dies ist der Grund dafür, dass man den Bundesländern,
in denen dies anscheinend noch nicht der Fall ist, die Gelegenheit einräumt, für das gesamte Land oder aber für
einzelne Gebiete anzuordnen, dass für eine Übergangsfrist von längstens drei Jahren noch zusätzlich eine Veröffentlichung in einer Tageszeitung - wohlgemerkt:
nicht mehr im Bundesanzeiger; die Veröffentlichung
dort fällt weg - zu erfolgen hat.
Zu Ihrer zweiten Frage. Dabei muss man abwägen.
Ich habe gesagt: In manchen Regionen kostet die Veröffentlichung etwa 200 Euro. Das wird sich vermindern.
Wenn die Kosten für die Veröffentlichung im Bundesanzeiger wegfallen, sind es vielleicht noch 100 Euro. Ich
komme aus einem ländlichen Gebiet und weiß, dass dort
eine Handelsregisterveröffentlichung in der Tageszeitung etwa 100 Euro kostet.
Jetzt zurück zu Ihrer Frage zum Wettbewerbsnachteil.
Man muss eben abwägen, ob die Information für alle
ausreichend ist. Wenn das nicht der Fall ist, dann muss
man, denke ich, in Kauf nehmen, dass in einzelnen Regionen ein - finanziell sicherlich überschaubarer - Wettbewerbsnachteil - ich möchte das in Anführungsstriche
setzen - besteht. Für eine bestimmte Übergangszeit ist
der Informationsvorteil wichtiger als 100 oder 150 Euro
Nachteil, die der Einzelne womöglich hat.
Zusatzfrage, Herr Kollege Grosse-Brömer.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, auch meine Fragen
beziehen sich auf das elektronische Handelsregister. Erstens. Ist es geplant, bei der Einführung zumindest bundesweit, gegebenenfalls sogar europaweit ein einheitliches Portal zu gestalten? Nur dann würde eine Richtlinie
wahrscheinlich Sinn machen.
Die zweite Frage. Halten Sie, auf die Bundesrepublik
Deutschland bezogen, die Führung eines solchen elektronischen Handelsregisters zwangsläufig für eine hoheitliche Aufgabe oder könnten Sie sich vorstellen - das
ist eine Diskussion, die wir ansatzweise schon einmal
geführt haben -, dass beispielsweise die Industrie- und
Handelskammern, die ohnehin in vielfältiger Hinsicht
mit Unternehmensgründungen, Fortbildungen usw. befasst sind, in der Lage sein könnten, diese Aufgabe zu
übernehmen, und dadurch vielleicht auch zur Entbürokratisierung, die wir ja immer vollmundig fordern, beitragen könnten?
({0})
Wir haben ein einheitliches Portal, Herr Kollege
Grosse-Brömer, und zwar ist dies das Unternehmensregister. Über das Unternehmensregister finden Sie das
einheitliche Portal für die elektronischen Handelsregister
und Genossenschaftsregister in den jeweiligen Ländern.
Das ist der richtige und auch vernünftige Weg, auf den
wir uns mit den Ländern geeinigt haben.
Wenn wir von Entbürokratisierung reden, müssen wir
uns darauf verständigen, was das überhaupt ist. Ich verstehe unter Entbürokratisierung in erster Linie eine Vereinfachung und in zweiter Linie eine Übertragung staatlicher Aufgaben auf Private. Wenn man eine Aufgabe
wie die Führung des Handelsregisters auf die Industrieund Handelskammern überträgt, überträgt man das wieder auf eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und
damit von einer staatlichen Regie in eine andere. Zudem
sind wir der Ansicht, dass gerade die Publizität des Handelsregisters, also die Glaubwürdigkeit und die Verlässlichkeit des Handelsregisters in Bezug auf das, was darin
steht, das Amtsgericht, das Handelsregistergericht als
die richtige Stelle ausweist.
Dazu kommt noch, dass später bei diesen Gerichten
gegebenenfalls auch Rechtsmittel gegen Eintragungen
verhandelt werden müssen. Es ist schon richtig und sinnvoll, wenn das in einer Einheit bleibt, also dort die Eintragung und auch die Überprüfung erfolgen. Ich halte
das nach wie vor für die bessere Lösung.
Zum anderen verfügen die meisten Bundesländer bereits jetzt über das elektronische Handelsregister - es
gibt, glaube ich, nur noch ein Bundesland oder zwei
Bundesländer, die diesen Weg noch nicht gegangen
sind -; dort muss nur noch die Vernetzung mit dem Unternehmensregister erfolgen und sie wird auch erfolgen.
Diese Bundesländer haben bereits hervorragende Erfahrungen damit gemacht, auch hinsichtlich der Beschleunigung der Verfahren. Mir ist bekannt, dass die Eintragung
in einem Gerichtsbezirk - ich weiß allerdings nicht
mehr, welches Gericht mir das mitgeteilt hat - mittlerweile innerhalb von fünf Tagen nach der Anmeldung erfolgt. Das ist ein hervorragendes Ergebnis, das von den
Industrie- und Handelskammern nicht getoppt werden
kann. Zudem müsste eine große Verschiebung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Amtsgerichte, die das
gelernt haben, an die Industrie- und Handelskammern
erfolgen. Ich weiß nicht, ob das im Sinne des Erfinders
wäre.
Außerdem können die Gerichte in diesem Fall - was
mit Blick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes,
dass Gebühren an den Gerichten nur kostendeckend sein
und nicht zu Gewinnen führen dürfen, eine Rolle spielt endlich einmal kostendeckend arbeiten. Das sollte man
nicht unbedingt zerschlagen.
Frau Kollegin Dyckmans.
Herr Staatssekretär, meine Frage bezieht sich auf den
Entwurf des Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten. Ich möchte erstens gerne wissen, ob die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf vor dem Hintergrund,
dass bei den Strafverfolgungsbehörden und den Gerichten ein erhöhter Vollzugsaufwand zu erwarten ist, mit
den Bundesländern abgestimmt hat. Als Zweites möchte
ich gerne wissen, wie die Bundesregierung zu Überlegungen steht, auf einen alleinigen Auffangrechtserwerb
des Staates zu verzichten und zusätzlich Opferschutzorganisationen an dem sichergestellten Vermögen zu beteiligen.
Zu Frage eins. Natürlich ist der Gesetzentwurf, wie es
sich gehört, mit den Ländern abgesprochen und vereinbart. Wir haben hier auch eine große Einigkeit mit den
Ländern erzielt, Frau Dyckmans. Der Vollzugsaufwand
wird sicherlich größer sein, als er heute ist. Aber die
Möglichkeit der Länderjustizkassen, sichergestelltes, aus
Straftaten erlangtes Vermögen einzuziehen, ist sehr viel
größer. Die Länder haben kein bisschen gezuckt, als wir
ihnen das angeboten haben. Dagegen gewehrt haben sich
die Strafverteidigervereinigungen, die BRAK und der
DAV. Ich denke, das mussten sie im Interesse derer, die
sie verteidigen, tun.
Zweitens. Es mag den Ländern obliegen, zu entscheiden, ob sie das sichergestellte und eingezogene Vermögen in diesem Falle an Opferorganisationen weitergeben.
Wir, die wir hier sitzen und dieses Geschäft schon etwas
länger machen, haben - nicht wahr, Herr Montag - mit
einem Gesetzentwurf, der noch nicht einmal bis in die
Endberatung gekommen ist, den verzweifelten Versuch
unternommen, 5 Prozent der Einnahmen durch Geldstrafen für Opferverbände abzuzweigen, und sind dabei an
dem einheitlichen Widerstand aller Bundesländer gescheitert. Vielleicht gelingt es uns ja in der großen Koalition mit Unterstützung der FDP, hier gemeinsam einen
Weg zu finden. Ich persönlich würde einen solchen Weg
durchaus mitgehen können.
Weitere Fragen zu diesem Themenbereich sind nicht
angemeldet. Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Herr Kollege Thiele.
Ich habe eine Frage an die Bundesregierung. Ursprünglich war auf der Tagesordnung der Kabinettssitzung der Gesetzentwurf zur steuerlichen Förderung
von Wachstum und Beschäftigung vorgesehen. In diesem Gesetzentwurf scheint vorgesehen zu sein, dass zur
besseren Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Beruf
erwerbsbedingte Betreuungskosten ab dem ersten Euro
bis zu einem Betrag von 1 000 Euro je Kind wie Betriebsausgaben oder Werbungskosten berücksichtigt
werden können. Das ist der positive Teil. Der negative
Teil ist, dass die bisherige Regelung, dass entsprechende
Gelder in der Größenordnung bis 1 548 Euro abgesetzt
werden können, gestrichen wird. Meine Frage: Wie entwickelt sich das weiter und wie kann ein Gesetzentwurf
Familien fördern, wenn er vorsieht, die derzeitige Förderung zu reduzieren?
Frau Staatsministerin Müller.
Herr Thiele, das Thema war nicht formal auf der Tagesordnung. Es handelte sich um eine Nachmeldung. In
dieser Angelegenheit gibt es noch Abstimmungsbedarf
zwischen den Häusern. Dieses Thema wird schnellstmöglich auf einer der nächsten Kabinettssitzungen aufgerufen werden.
Kurze Nachfrage. Ist es denn richtig, dass mit diesem
Entwurf eine Schlechterstellung beabsichtigt werden
soll?
Da es sich um einen nicht abgestimmten Entwurf handelt, bitte ich um Verständnis, dass ich dazu keine weitere Stellungnahme abgeben kann. Das Thema ist, wie
gesagt, im Kabinett formal noch nicht behandelt worden.
Gibt es jetzt noch weitere Fragen an die Bundesregierung?
({0})
- Das scheint im Allgemeinen ausgeprägter als im Konkreten zu sein. Damit beende ich die Befragung der Bundesregierung.
Ich schlage vor, dass wir die Sitzung kurz unterbrechen, nachdem wir das erste Wahlergebnis, das dank der
schnellen Auszählung durch die Schriftführerinnen und
Schriftführer jetzt vorliegt, bekannt gegeben haben.
Denn es sind noch nicht alle Fragesteller anwesend.
Einige haben möglicherweise mit einem etwas größeren
zeitlichen Verzug durch den vorhergehenden Tagesordnungspunkt gerechnet.
Ich gebe Ihnen also zunächst das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der
Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums bekannt. Abgegebene Stimmkarten 564, davon
gültig 564. Von den gültigen Stimmen entfielen auf
Dr. Norbert Röttgen 524 Stimmen, auf Bernd
Schmidbauer 505 Stimmen, auf Dr. Hans-Peter Uhl
497 Stimmen, auf Olaf Scholz 521 Stimmen, auf
Joachim Stünker 516 Stimmen, auf Fritz Rudolf Körper
521 Stimmen, auf Dr. Max Stadler 531 Stimmen, auf
Wolfgang Neskovic 415 Stimmen
({1})
und auf Hans-Christian Ströbele 435 Stimmen.1)
({2})
Diese neun Abgeordneten haben die nach § 4 Abs. 3
des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes erforderliche
Mehrheit von 308 Stimmen erreicht. Sie sind damit als
Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums gewählt.
Die Abstimmungsergebnisse der beiden übrigen Wahlen geben wir dann später bekannt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schlage vor,
dass wir nun die Sitzung für zehn Minuten unterbrechen.
Das gibt den Parlamentarischen Geschäftsführern die
Möglichkeit, sich zu vergewissern, wer von den eigenen
Kollegen eine Frage gestellt hat, aber noch nicht anwesend ist. Wir beginnen mit der Fragestunde um
14.15 Uhr.
({3})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, gebe ich
das Ergebnis der zweiten Wahl bekannt. Dabei handelt
es sich um die Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß
§ 4 a des Bundeswertpapierverwaltungsgesetzes. Abgege-
bene Stimmkarten 571, davon gültig 571, Enthaltungen 1.
1) Anlage 2
Präsident Dr. Norbert Lammert
Von den gültigen Stimmen entfielen auf Jochen-Konrad
Fromme 534 Stimmen, auf Bartholomäus Kalb ebenfalls
534 Stimmen, auf Steffen Kampeter 529 Stimmen, auf
Bernhard Brinkmann 538 Stimmen, auf Klaas Hübner
536 Stimmen, auf Carsten Schneider 540 Stimmen, auf
Otto Fricke 541 Stimmen, auf Dr. Gesine Lötzsch 512
Stimmen und auf Anja Hajduk 530 Stimmen. Diese neun
Abgeordneten haben die erforderliche Mehrheit von 308
Stimmen erreicht. Sie sind damit als Mitglieder des Gre-
miums gemäß § 4 a des Bundeswertpapierverwaltungs-
gesetzes gewählt.1)
Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksache 16/157 -
Die Geschäftsbereiche werden in der schriftlich vor-
liegenden Reihenfolge aufgerufen. Wir kommen zu-
nächst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Finanzen. Für die Beantwortung der Fragen steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Frau Dr. Hendricks
zur Verfügung. Die Frage 1 der Kollegin Dr. Uschi Eid
wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe Frage 2 der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann
auf:
Trifft es zu, dass zwischen den Jahren 1995 und 2004 ein
starker Rückgang der kommunalen Investitionsquote von 18,9
auf 13,2 Prozent, insbesondere bei den kommunalen Sachin-
vestitionen, und davon ausgehend „mittel- bis längerfristig
eine erhebliche Gefährdung für den Wirtschaftsstandort
Deutschland“ festzustellen ist - siehe KfW-Bankengruppe,
„Wirtschafts-Observer online“, „Öffentliche Infrastruktur und
kommunale Finanzen in Deutschland“, Nr. 5, November 2005 -,
und was will die Bundesregierung tun, um die kommunalen In-
vestitionen wieder auf das für die Entwicklung von Wirtschaft
und kommunaler Infrastruktur nötige Maß zu erhöhen?
Frau Kollegin Enkelmann, Ziel der Politik der Bun-
desregierung sind starke und handlungsfähige Kommu-
nen. Die Entwicklung der kommunalen Investitionen
war in den vergangenen Jahren nicht zufriedenstellend.
Es kam, wie in Ihrer Frage dargestellt, zu einem Rück-
gang der Sachinvestitionsausgaben von 18,9 Prozent im
Jahr 1995 auf 13,2 Prozent im Jahr 2004, bezogen auf
die kommunalen Haushalte. Eine Gefährdung für den
Wirtschaftsstandort Deutschland ergibt sich nicht, auch
nicht für die Zukunft.
Die Bundesregierung hat bereits in der 15. Legislatur-
periode durch die erfolgreiche Reform der Gewerbe-
steuer und die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und
Sozialhilfe nachhaltige Beiträge zur Stärkung der Kom-
munalfinanzen geleistet. So erhöhten sich im Jahr 2004
die Gewerbesteuereinnahmen gegenüber 2003 netto um
über 30 Prozent. Zusätzlich wird die kommunale Ebene
nach den jüngsten Entscheidungen auf der Ausgaben-
seite aufgrund der Zusammenlegung von Arbeitslosen-
und Sozialhilfe um mehr als die zugesagten 2,5 Milliar-
den Euro entlastet.
1) Anlage 3
Aufgrund der Maßnahmen des Bundes hat die kommunale Ebene Handlungsspielräume auch im investiven
Bereich zurückgewonnen. Der Koalitionsvertrag von
CDU, CSU und SPD sichert die strukturelle Handlungsfähigkeit der Kommunen. Die Neugestaltung der föderalen Rahmenbedingungen, Maßnahmen zur Stärkung des
wirtschaftlichen Wachstums und einer zielgerichteten
Konsolidierung der öffentlichen Haushalte verbessern
auch die finanzielle Situation der Kommunen. Die Koalitionsvereinbarung greift zahlreiche kommunale Anliegen auf, damit die Kommunalfinanzen auch zukünftig
auf einer soliden Basis stehen.
Dies wird von den kommunalen Spitzenverbänden
anerkannt. So verlautbarte zum Beispiel der Deutsche
Städte- und Gemeindebund:
Die Konsolidierung des Bundeshaushaltes und das
Bekenntnis, dass es keine Spielräume für weitere
Steuersenkungen bzw. zusätzliche staatliche Leistungen gibt, liegen auch im Interesse der Kommunen.
Weiter heißt es:
Deshalb wäre es falsch, … eine ablehnende Generalkritik an dem Koalitionsvertrag zu üben.
Auch in den Jahren 2005 und 2006 werden sich die
kommunalen Steuereinnahmen nach den Ergebnissen
der Steuerschätzung vom November 2005 deutlich besser entwickeln als die Steuereinnahmen von Bund und
Ländern. Die Gewerbesteuereinnahmen netto werden
sich nach der Steuerschätzung, ausgehend vom bisherigen Allzeithoch des Jahres 2004, um etwa 9,4 Prozent in
diesem Jahr erhöhen. Für 2006 wird eine weitere Steigerung in Höhe von 5,3 Prozent angenommen.
Ihre Zusatzfrage.
Ich habe zwei Zusatzfragen, Herr Präsident.
Meine erste Zusatzfrage, Frau Staatssekretärin. Ausgehend davon, dass in dem Bericht für die KfW-Bankengruppe, auf den ich mich beziehe, unter anderem die
Aussage enthalten ist - mit Ihrer gütigen Erlaubnis, Herr
Präsident, möchte ich gerne zitieren -, dass von diesem
starken Rückgang der kommunalen Sachinvestitionen
„mittel- bis längerfristig eine erhebliche Gefährdung für
den Wirtschaftstandort Deutschland“ ausgeht, frage ich
Sie, Frau Staatssekretärin: Halten Sie mit Blick auf die
Entwicklung der regionalen Wirtschaft eine Investitionsquote in den Kommunen von 13 Prozent tatsächlich für
gesund?
Nein, Frau Kollegin Enkelmann. In der Tat wäre es
mit Blick auf die Entwicklung der regionalen Wirtschaft
erstrebenswert, wenn die kommunale Investitionsquote
wieder ansteigen würde. Ich hatte Ihnen zu Beginn der
Beantwortung der Frage ja auch gesagt, dass diese Entwicklung nicht zufriedenstellend war.
Aber die Bundesregierung ist natürlich nur in der
Lage, die Einnahmesituation der Kommunen zu verbessern, was sie - das habe ich Ihnen gerade umfänglich
dargestellt - schon seit geraumer Zeit mit Erfolg tut und
natürlich erfolgreich fortsetzen wird. Damit wird den
Kommunen die Möglichkeit an die Hand gegeben, im
investiven Bereich den Nachholbedarf, der objektiv in
vielen Kommunen - wenn auch nicht in allen - entstanden ist, auszugleichen. Ich habe Ihnen bereits gesagt,
dass wir auf der Ausgabenseite eine Entlastung von über
2,5 Milliarden Euro herbeiführen, dass wir in 2004 die
höchsten Gewerbesteuereinnahmen überhaupt hatten,
dass diese in diesem Jahr um mehr als 9 Prozent steigen
werden und für das nächste Jahr eine weitere Steigerung
von über 5 Prozent angenommen wird. Insgesamt werden sich damit die Steuereinnahmen der Kommunen
deutlich positiver entwickeln als die des Bundes und der
Länder. Damit werden die Kommunen in die Lage versetzt, den in vielen Kommunen tatsächlich aufgelaufenen Nachholbedarf abzubauen.
Zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretär, ich komme jetzt auf die Einnahmesituation der Kommunen zu sprechen. Unabhängig
davon, dass die Gewerbesteuern tatsächlich partiell gestiegen sind, gibt es nach wie vor ein erhebliches Defizit
zwischen Einnahmen und Ausgaben der Kommunen,
das in diesem Jahr bei über 5 Milliarden Euro liegen
wird. Daher frage ich: Was will die Bundesregierung tatsächlich tun, um die Finanzausstattung der Kommunen
auf stabile Füße zu setzen? Was ist zum Beispiel mit der
Beteiligung der Kommunen an der Umsatzsteuer?
Frau Kollegin Enkelmann, die Kommunen sind schon
an der Umsatzsteuer beteiligt, und zwar mit einer Quote
von 2,2 Prozent am gesamten Umsatzsteueraufkommen.
Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, diesen kommunalen Anteil zu erhöhen. Denn dies würde selbstverständlich zulasten der anderen Anteilseigner - sprich:
des Bundes oder der Länder - gehen. Da die Steuereinnahmeentwicklung der Kommunen aber, wie ich Ihnen
gerade dargestellt habe, bei weitem positiver ist als die
des Bundes oder der Länder, gibt es für die Gebietskörperschaften, die tendenziell schlechter dastehen als die
Gesamtheit der Kommunen, keinerlei Veranlassung, einen weiteren Verzicht zugunsten der Kommunen zu
üben.
Weitere Fragen zu diesem Komplex liegen nicht vor.
Dann kommen wir nun zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz. Hier steht zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Müller zur Verfügung.
Ich rufe Frage 3 des Kollegen Hellmut Königshaus
auf:
Weshalb war die Umbenennung des Bundesministeriums
für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft in Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz notwendig, und welche Kosten sind damit verbunden?
Herr Kollege Königshaus, Umbenennungen von Bundesministerien werden im Rahmen von Aufgabenverlagerungen oder Aufgabenneubestimmungen nach politischen Zielsetzungen im Rahmen der Regierungsbildung
vorgenommen. Sie machen die fachlichen Zuständigkeiten und die politisch-strategischen Zielstellungen der
Bundesministerien für die Bürgerinnen und Bürger
transparent. Durch die Anordnung der Politikfelder in
unserem Haus in alphabetischer Reihenfolge wird nunmehr die gleichrangige Bedeutung aller Politikfelder
ausgedrückt. Im Rahmen der Umbenennung sind bisher
Kosten in Höhe von circa 7 500 Euro angefallen. Abrechnungen über weitere beauftragte Maßnahmen stehen
noch aus. Insgesamt können die Gesamtkosten voraussichtlich circa 15 000 Euro betragen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bedeutet das, dass die Bundesregierung nicht in der Lage gewesen wäre, die Gleichwertigkeit dieser Bereiche deutlich zu machen, ohne eine
solch kostspielige Umbenennung vorzunehmen?
Ich habe eine Begründung gegeben. Wir sehen die
Gleichwertigkeit dieser drei Bereiche nebeneinander.
Die Umbenennung ist sinnvoll und wurde - wir Schwaben sind besonders bekannt dafür - äußerst sparsam umgesetzt. Allein dadurch, dass wir auf das weitere Herausgeben einer Broschüre verzichten, wurden diese Kosten
bereits im laufenden Etat eingespart.
Zweite Zusatzfrage.
Dass Sie, Herr Staatssekretär, eine offenbar überflüssige Broschüre nicht länger herausgeben, begrüßen wir
als Opposition natürlich. Allerdings hätten wir es noch
mehr begrüßt, wenn Sie die überflüssigen Ausgaben für
die Umbenennung des Ministeriums ebenfalls vermieden hätten. Sehen Sie das nicht genauso?
Hier muss man weiter in die Vergangenheit zurückgehen. Die Umbenennung des Hauses hat die Vorgängerregierung zu verantworten. Wir haben diesen Beschluss
sinnvollerweise korrigiert.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Ulrich Kasparick zur Verfügung.
Zunächst zu Frage 4 des Kollegen Königshaus:
Sind der neuen Bundesregierung die Probleme im Zusammenhang mit dem Schall- und Erschütterungsschutz an der
Anhalter Bahn bekannt und ist sie im Gegensatz zur vorangegangenen Bundesregierung bereit - vergleiche zum Beispiel
die Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin beim
Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen,
Angelika Mertens, auf meine Frage 58 in der Fragestunde am
15. Dezember 2005, Plenarprotokoll 15/147, Seite 13753 D -,
den betroffenen Anwohnern den ihnen zustehenden Schutz
auch ohne Inanspruchnahme der Gerichte zu gewähren?
Herr Kollege Königshaus, Sie stellen zu Beginn dieser Legislaturperiode die Frage, ob der neuen Bundesregierung die Probleme im Zusammenhang mit dem
Schall- und Erschütterungsschutz an der Anhalter Bahn
bekannt sind. Ich darf Ihnen versichern: Wir stehen in
großer Kontinuität zur Vorgängerregierung und sind mit
diesen Problemen vertraut. Auch darf ich Ihnen versichern, dass die Antworten auf Ihre Anfragen zu diesem
Thema, die ja eine lange Geschichte haben, nach wie vor
gültig sind.
Ich darf Sie aufmerksam machen auf die Antworten
von Frau Kollegin Angelika Mertens vom 15. Juni 2005
und von Kollegin Iris Gleicke vom 19. Januar 2005.
Darüber hinaus haben Sie am 15. Dezember 2004 eine
Antwort von der Kollegin Angelika Mertens bekommen,
am 1. Dezember 2004 von der Kollegin Iris Gleicke sowie am 10. November 2004 vom Kollegen Achim
Großmann. Beim Aktenstudium habe ich, wenn es denn
erfolgreich war, die Erkenntnis gewonnen, dass die Antworten auf Ihre Fragen eine sehr große Kontinuität aufweisen. An diesem Sachstand hat sich nichts geändert.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bedeutet dies, dass die in der Koalitionsvereinbarung getroffene Aussage, wonach es in
diesem Bereich zu einer Trendwende kommen soll und
die Lärmminderungsprogramme insbesondere an bestehenden Schienenwegen weiterentwickelt werden sollen,
nicht in die Tat umgesetzt wird? Denn Sie wollen ja in
Kontinuität zur bisherigen, der Koalitionsvereinbarung
zufolge offenkundig unzureichenden Situation verharren.
Kollege Königshaus, Sie können davon ausgehen,
dass wir alles daransetzen, die Koalitionsvereinbarung
auch umzusetzen.
Zweite Zusatzfrage.
Ich möchte zunächst einmal darum bitten, dass meine
Frage beantwortet wird: Kann ich mich darauf verlassen,
dass die Koalitionsvereinbarung umgesetzt wird? Denn
Sie, Herr Kollege, haben gerade erklärt, dass sie in diesem Bereich offenkundig nicht umgesetzt werden soll,
da man in der bisherigen Situation verharren will. Werden die Lärmminderungsprogramme nun weiterentwickelt oder nicht? Das ist die Frage, die zu beantworten
ich Sie bitte.
Meine Antwort auf Ihre Frage lautet: Sie können davon ausgehen, dass diese Regierung die Koalitionsvereinbarung umsetzen wird.
Bei großzügiger Interpretation haben Sie jetzt noch
eine weitere Zusatzfrage.
Ich bedanke mich für Ihre Großzügigkeit, Herr Präsi-
dent. - Ich nehme zur Kenntnis, was die Bundesregie-
rung offenkundig von ihrer eigenen Koalitionsaussage
hält.
Nun könnten Sie aber noch etwas zu der doch eher
dynamischen Betrachtungsweise der früheren Staatsse-
kretärin Mertens sagen, die mit Blick auf das Verwal-
tungsverfahrensgesetz eine Feststellung getroffen hat,
auf die meine Frage - wenn Sie sie genau gelesen hätten,
hätten Sie das bemerkt - eigentlich abzielt: Müssen die
betroffenen Bürger zunächst ein Gerichtsverfahren in
Gang setzen - die Staatssekretärin selbst ging offenbar
davon aus, dass sie es auch gewinnen würden - oder ist
die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Koali-
tionsvereinbarung geneigt, im Interesse der Bürger da-
rauf zu verzichten und sofort von sich aus tätig zu wer-
den?
Herr Königshaus, wir beide sind mit dem Sachver-
halt, um den es hier geht, vertraut. Sie versuchen, eine
Einzelfallentscheidung auf die Ebene des Deutschen
Bundestages zu stellen. Deswegen sage ich Ihnen noch
einmal in aller Deutlichkeit: Die Antworten der Bundes-
regierung auf Ihre Anfragen haben von ihrer Gültigkeit
nichts verloren.
Die Frage 5 des Kollegen Alexander Ulrich wird
schriftlich beantwortet. Das gibt mir Anlass, darauf hin-
zuweisen, dass eine ganze Reihe von Fragen, die zur
heutigen Fragestunde eingereicht wurden, aufgrund un-
serer Richtlinien deshalb schriftlich beantwortet werden,
weil es zu unseren Vereinbarungen gehört, dass Fragen,
die einen Tagesordnungspunkt der laufenden Sitzungs-
woche betreffen, schriftlich beantwortet werden. Das ist
durch die vorhin einvernehmlich erfolgte Vereinbarung
der Aufsetzung des nächsten Debattenpunktes insoweit
ebenfalls einvernehmlich erfolgt.
Bevor ich den nächsten Geschäftsbereich aufrufe,
kann ich Ihnen das Ergebnis des dritten Wahlganges be-
kannt geben; hier handelt es sich um die Wahl der Mit-
glieder des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Abs. 2
der Bundeshaushaltsordnung. Abgegebene Stimmkarten
571; alle gültig. Von diesen Stimmen entfielen auf
Herbert Frankenhauser 535, auf Steffen Kampeter 526,
auf Dr. Michael Luther 536, auf Bettina Hagedorn 543,
auf Dr. Petra Merkel 541, auf Carsten Schneider eben-
falls 541, auf Jürgen Koppelin 532, auf Dr. Gesine
Lötzsch 522 und auf Alexander Bonde 528 Stimmen.1)
Damit sind diese neun Abgeordneten nach § 10 a Abs. 2
der Bundeshaushaltsordnung in Verbindung mit
§ 4 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kon-
trolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes mit
der erforderlichen Mehrheit von 308 Stimmen - oder
mehr, versteht sich - gewählt. Ich gratuliere allen in die
vorhin genannten Gremien Gewählten und kehre zurück
zur Fragestunde.
Aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes
gibt es keine mündlich zu beantwortenden Fragen mehr.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums für Arbeit und Soziales auf. Der Kollege Parlamen-
tarischer Staatssekretär Andres steht zur Beantwortung
zur Verfügung.
Der Kollege Kolb ist nicht da, hat aber beantragt, dass
seine Fragen 10 und 11 schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 12 der Kollegin Dr. Dagmar
Enkelmann auf:
Trifft es zu, dass bisher nicht einmal jedem zehnten Emp-
fänger von Arbeitslosengeld II, ALG II, Qualifizierungs- und
Beschäftigungsmaßnahmen angeboten wurden und dass die
Bearbeitungsfristen für Anträge regelmäßig über vier Wochen
liegen - siehe repräsentative Umfrage in „Finanztest“ 11/2005 -,
und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung
aus den in der Untersuchung aufgezeigten Mängeln beim
ALG II?
Frau Abgeordnete Enkelmann, es trifft nicht zu, dass
weniger als 10 Prozent der Empfänger von Arbeitslosen-
geld II eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme angeboten
1) Anlage 4
wurde. Von rund 4,93 Millionen Empfängern von
Arbeitslosengeld II kommen nur 2,79 Millionen für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen in Betracht. Die übrigen sind aus unterschiedlichen Gründen derzeit nicht
aktivierbar. Im November 2005 gab es 432 000 Teilnehmer an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.
Richtig ist, dass die Anträge auf Leistung der Grundsicherung für Arbeitssuchende in der Anlaufphase nicht
so schnell wie gewünscht abgearbeitet werden konnten.
Daten zur Dauer der Antragsbearbeitung werden noch
nicht erhoben, sodass verlässliche Aussagen nicht möglich sind. Die Stiftung Warentest hat in diesem Zusammenhang eingeräumt, dass ihre Erhebung, die bei 4 400
von bundesweit 4,88 Millionen Empfängern von ALG II
erfolgt ist, nicht repräsentativ ist.
Die Arbeitsgemeinschaften sollen zukünftig mehr
Verantwortung bekommen, im Gegenzug müssen sie
sich bereit erklären, an der Controlling-Berichterstattung
und einem Benchmarking teilzunehmen sowie bestimmte Mindeststandards zu erfüllen. Dazu gehört auch
die Überwachung und gegebenenfalls Korrektur der Bearbeitungszeiten. Zudem wird der Personalstock in den
Arbeitsgemeinschaften im Jahre 2006 nochmals um
2 500 Stellen angehoben.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, ich beziehe mich nicht nur auf die
Umfrage, die in der Zeitschrift „Finanztest“ im
November 2005 veröffentlicht worden ist, sondern auch
auf Gespräche mit der örtlichen Arbeitsagentur. Danach
ist bekannt, dass auch ein großer Teil von jugendlichen
ALG-II-Empfängern unter 25 Jahren bisher kein Angebot bekommen haben. Wie will die Bundesregierung die
entsprechenden Regelungen, dass jugendliche Leistungsbezieher unter 25 Jahren ein Angebot der Arbeitsagentur bekommen, tatsächlich durchsetzen?
Frau Kollegin, nach meinem Kenntnisstand haben jugendliche Leistungsbezieher unter 25 Jahren einen
Rechtsanspruch darauf, eine Maßnahme angeboten zu
bekommen.
({0})
- Ich bin Ihrer Meinung.
Wenn es einen Rechtsanspruch gibt, kann man ihn
auch durchsetzen. Das, was Sie hier so allgemein behaupten, dass es viele Jugendliche gäbe, die keine Angebote bekämen, kann ich zunächst nur so zur Kenntnis
nehmen. Ob das tatsächlich der Fall ist, weiß ich nicht.
({1})
- Ich bedanke mich für den Hinweis, Frau Kollegin.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie ernst nimmt die Bundesregierung den Hinweis aus der bereits zitierten Untersuchung,
dass viele Betroffene ihren Fallmanager bislang nicht
kennen?
Sehr ernst.
Wir kommen zur Frage der Kollegin Brigitte
Pothmer - ({0})
- Wo waren die angemeldet?
({1})
- Das nehme ich gerne und mit Respekt zur Kenntnis. Es
wäre aber schön, wenn kenntlich würde, dass Sie Fragen
haben. Ich kann nur diejenigen aufrufen, deren Meldung
ich auch gesehen habe.
Bitte schön.
Ich hatte mich vorhin gemeldet und bitte das zu entschuldigen. Auch ich bin hier neu.
Herr Staatssekretär Andres, stimmen Sie mir darin zu,
dass für die Durchführung von Hausdurchsuchungen bei
Menschen, die ALG II bekommen, konkrete Gründe im
Einzelfall gegeben sein müssen, und stimmen Sie mir
ebenfalls darin zu, dass es sich bei Hausdurchsuchungen
um hoheitliche Aufgaben handelt, die nicht an private
Unternehmen übertragen werden können? Ganz konkret:
Mir ist zur Kenntnis gebracht worden, dass private Unternehmen zusammen mit dem Zoll Hausdurchsuchungen bei Menschen durchführen, die ALG II bekommen.
Nein, ich stimme Ihnen nicht zu.
Bevor wir zu der Frage von Frau Zimmermann kommen, möchte ich noch Folgendes sagen, weil es offenkundig leichte Irritationen gegeben hat. Fragen in der
Fragestunde müssen natürlich nicht wie Wortmeldungen
vorne beim Präsidium angemeldet werden. Es reicht völlig, wenn man sich in einer für den amtierenden Präsidenten nachvollziehbaren Weise zu Wort gemeldet hat.
Wenn wir einmal etwas übersehen - auch das kann vorkommen -, wird das, wenn es vor Sitzungsende passiert,
in der Regel korrigiert. Ich denke aber, dass sich das alles einspielen wird.
Herr Präsident, darf ich vielleicht noch darauf hinweisen und Ihrem wohlgefälligen Ohr mitteilen, dass Zusatzfragen, die gestellt werden, etwas mit der ursprünglich gestellten Frage zu tun haben sollten und nicht mit
einem Thema, das einem gerade einfällt.
({0})
Herr Staatssekretär, ich empfehle Ihnen, da nicht in
eine Diskussion mit dem Präsidenten einzutreten,
({0})
weil ich sonst der Vollständigkeit halber darauf hinweisen müsste, dass auch die Antworten der Bundesregierung sich in der Nähe der Fragen bewegen sollten.
({1})
Bitte schön, Frau Kollegin Zimmermann.
Herr Präsident, wir alle üben noch und werden uns
bemühen.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, ich nehme Bezug
auf die Frage von Frau Enkelmann: Stimmen Sie zu,
dass es in den Arbeitsgemeinschaften nicht nur ein strukturelles Problem gibt, sondern dass darüber hinaus beim
Personal Qualifikationsprobleme erkennbar sind? Die
Arbeitsgemeinschaften setzen sich zum einen aus Personal der Agenturen und zum anderen aus Personal der
Kommunen zusammen, das teilweise aus artfremden Bereichen kommt. Die Bundesagentur hat für eine Qualifikation von Fallmanagern gesorgt, schließlich legt sie
großes Augenmerk auf eine gute Vermittlung. Ich frage
Sie: Wie wollen Sie hinsichtlich der Fallmanager das
Problem bei den kommunalen Beschäftigten lösen und
diese Qualifizierungslücke schließen?
Im ersten Teil stimme ich Ihnen zu.
Im zweiten Teil verweise ich darauf, dass sich die
Bundesagentur und die Arbeitsgemeinschaften kräftig
darum bemühen, Qualifizierungen für das beschäftigte
Personal anzubieten.
Es ist immer nur eine Zusatzfrage möglich, wenn man
die Frage nicht selber eingereicht hat.
Frau Kollegin Golze, bitte schön.
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär!
Auch ich nehme Bezug auf die Frage von Frau
Enkelmann. Selbst wenn die Umfrage von „Finanztest“
nicht repräsentativ ist, so ist es doch so, dass zahlreiche
Bescheide nach wie vor fehlerhaft sind. Wäre es vor diesem Hintergrund nicht sinnvoll, die aufschiebende Wirkung von Widersprüchen wieder einzuführen, um soziale Härten zu verhindern?
Nein.
Warum?
Entschuldigen Sie, Sie haben mich gefragt, ob es
sinnvoll ist. Das kann ich mit Ja oder Nein beantworten.
Ich bin der Meinung, dass die Frage damit ausreichend
beantwortet ist. Ich beziehe mich hierbei übrigens auf
das, was der Präsident vorhin gesagt hat. Wenn Sie mich
so fragen, bekommen Sie eine solche Antwort.
Da die zweite Zusatzfrage nicht mehr zulässig war,
hätte sie auch gar nicht beantwortet werden müssen.
({0})
Insofern erübrigt sich die Aufregung auf beiden Seiten.
Weitere Wortmeldungen für Zusatzfragen habe ich
nicht gesehen. Habe ich jemanden übersehen? - Das ist
offenkundig nicht der Fall.
Die Fragen 13 und 14 der Kollegin Pothmer und die
Fragen 15 und 16 des Kollegen Kurth sollen schriftlich
beantwortet werden.
({1})
- Dann gilt das, was ich gerade gesagt habe: So etwas
korrigieren wir gerne in Echtzeit. Wir hatten die entsprechende Bitte hier aber so protokolliert.
Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Pothmer auf:
Wann rechnet die Bundesregierung damit, dass die Agenturen für Arbeit die nach dem Entwurf zum SGB-II-Änderungsgesetz geänderte Regelleistung in den neuen Ländern in
der neuen Höhe von 345 Euro an die Anspruchsberechtigten
ausbezahlen können, und wie kompensiert die Bundesregierung die Differenz zwischen tatsächlich ausbezahlter Leistung
und neuer Regelleistung für die Anspruchsberechtigten, wenn
In-Kraft-Treten des Gesetzes und Auszahlung der Regelleistung in neuer Höhe zeitlich auseinander fallen?
Frau Abgeordnete, nach Angaben der Bundesagentur
für Arbeit wird die angeglichene Regelleistung in den
neuen Bundesländern ab dem Zeitraum zwischen dem
1. Mai und dem 1. Juli 2006 IT-technisch unterstützt
ausgezahlt werden können. Daher soll die Neuregelung
nach Auffassung der Bundesregierung zwar so schnell
wie möglich, aber voraussichtlich nicht vor dem 1. Mai
2006 und keinesfalls nach dem 1. Juli 2006 in Kraft treten. Auf diese Weise soll ein Auseinanderfallen von InKraft-Treten und Umsetzung vermieden werden.
Zusatzfrage.
Wenn Sie diese Entscheidung getroffen haben, wie
kann ich dann die Tatsache verstehen, dass das Kabinett
noch am 29. November ein In-Kraft-Treten zum
1. Januar 2006 beschlossen hat?
Ich muss Ihnen sagen, von einem solchen Beschluss
ist mir nichts bekannt.
Von einem solchen Beschluss ist Ihnen nichts bekannt?
Nein.
Ihnen ist also nicht bekannt, dass das Kabinett am
29. November 2005 ein In-Kraft-Treten zum 1. Januar
2006 beschlossen hat?
Nein.
Gut. - Dann schlage ich vor, dass wir beide bezüglich
dieser Frage noch einmal recherchieren und uns die Ergebnisse gegenseitig mitteilen werden.
Ja.
Die Fragestunde wird noch zum Ort gemeinsamer
spontaner Vereinbarungen. Das schließt unsere Geschäftsordnung nicht ausdrücklich aus. Insofern stehe
ich dem nicht im Wege.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich rufe Frage 14 auf:
Wie hoch beziffert die Bundesregierung den Schaden, der
dem Bund aus den Funktionsmängeln der von der Firma T-Systems gelieferten Software A2LL zur Bearbeitung der Leistungsansprüche im SGB II bisher entstanden ist, und wie wird
sichergestellt, dass die Bundesagentur für Arbeit möglichst
bald und ohne zusätzliche finanzielle Belastungen der Steuerund Beitragszahler eine funktionstüchtige Software für den
Bereich SGB II zur Verfügung hat?
Die Bundesagentur für Arbeit beziffert den im Zusammenhang mit der Software A2LL zur Umsetzung des
SGB II entstandenen Mehraufwand auf insgesamt circa
28 Millionen Euro. Daher wurden an T-Systems bisher
nur erste Beträge für Konzept, Lizenz, den Betrieb und
den Test der Software gezahlt. Im Übrigen werden die
Schadensersatzforderungen so weit wie möglich aufgerechnet.
Die Sicherstellung einer funktionstüchtigen Software
zur Umsetzung des SGB II hat oberste Priorität. Dies
wurde auch in einem Workshop zur A2LL mit Vertretern
der kommunalen Spitzenverbände, der Bundesagentur
für Arbeit und des Bundesministeriums für Wirtschaft
und Arbeit am 12. Oktober 2005 bekräftigt. Nach Angaben des Auftragnehmers, T-Systems, wird A2LL im
Jahre 2006 weitgehend fertig gestellt sein. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat die Bundesagentur für Arbeit aufgefordert, einen Bericht mit den weiteren Schritten zur Fertigstellung zu erstellen.
Zusatzfrage.
Rechnen Sie denn damit, dass dieses System überhaupt irgendwann einmal wunschgemäß funktionsfähig
sein wird?
Ja.
Zweite Zusatzfrage.
Ist die Information richtig, dass es gleichwohl Verhandlungen mit T-Systems darüber gibt, dieses System
grundsätzlich auszutauschen, und wenn diese Information also richtig ist, wie viel Mehrkosten werden damit
voraussichtlich verbunden sein?
Über den Austausch oder den Ersatz des Systems
wird gegenwärtig diskutiert. Entscheidungen darüber
sind überhaupt noch nicht getroffen worden, sodass ich
erstens nicht sagen kann, ob ausgetauscht wird; das ist
das erste Problem. Da das nicht entschieden ist, kann ich
zweitens auch überhaupt nichts über Kosten sagen; denn
das würde ja voraussetzen, dass man ersetzt.
Mehr Fragen habe ich leider nicht.
Mehr dürften Sie jetzt auch gar nicht stellen.
Ich rufe Frage 15 des Kollegen Kurth auf:
Welche Informationen liegen der Bundesregierung darüber vor, wie viele Umzugsaufforderungen durch die kommunalen Kostenträger aufgrund nicht angemessener Unterbringungskosten seit Ende Juni 2005 ausgesprochen wurden?
Kollege Kurth, im Rahmen der zweigeteilten Trägerschaft in der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind
die kommunalen Träger für die Leistungen für Unterkunft und Heizung zuständig. Die gesamten Leistungen
nach § 22 Zweites Buch Sozialgesetzbuch werden in originärer Trägerschaft von den kreisfreien Städten und
Kreisen erbracht. Im Rahmen dieser Trägerschaft unterliegen die kommunalen Träger keiner Weisung oder
Aufsichtsrechten des Bundes. Die Aufsicht über den
Vollzug von § 22 SGB II durch die kommunalen Träger
obliegt ausschließlich den Ländern. Der Bundesregierung liegen daher keine Daten zur Anzahl der seit Ende
Juni 2005 ausgesprochenen Aufforderung zur Senkung
der Unterkunftskosten vor.
Wenn Sie gestatten, möchte ich die Frage 16 gleich
mit beantworten, weil sie zu diesem Thema gehört.
Ich möchte gerne zu dieser Frage direkt meine Zusatzfragen stellen, Herr Andres.
Gut, kein Problem.
Hält es die Bundesregierung politisch für sinnvoll,
sich einen umfassenden Überblick über die Umzugsaufforderungen der Kommunen zu verschaffen und über das
Instrument der Rechtsverordnung, das der Bundesregierung in diesem Zusammenhang durchaus zur Verfügung
steht, steuernd einzugreifen, falls sich herausstellen
sollte, dass die Zahl der Umzugsaufforderungen einen
gewissen Umfang übersteigt?
Der Bund hat bisher davon abgesehen, von der Verordnungsermächtigung Gebrauch zu machen, weil wir
glauben, dass das komplizierte Geflecht zwischen Kommunen auf der einen Seite und Arbeitsagenturen auf der
anderen Seite nicht durch unmittelbare Steuerung oder
Eingriffe in kommunales Leistungsrecht zusätzlich belastet werden soll. Wenn wir zu dem Ergebnis kommen
sollten, dass es, so wie Sie es unterstellen, massenhaft zu
Umzugsaufforderungen gekommen ist, muss man die
Frage erneut diskutieren. Aber das sehen wir gegenwärtig nicht.
Ich unterstelle gar nicht, dass es massenhaft zu Umzugsaufforderungen gekommen ist.
Ich frage noch einmal abschließend: Die Bundesregierung beabsichtigt also nicht, zu diesem Punkt eine
zentrale Datenerhebung durchzuführen?
Noch einmal: Sie haben nach zwei unterschiedlichen
Dingen gefragt. Ihre erste Frage zielt darauf ab, ob wir
von der Verordnungsermächtigung Gebrauch machen.
Das ist etwas anderes.
Ihre zweite Frage nach der Datenerhebung, um sich
einen Überblick zu verschaffen, beinhaltet etwas, was im
Interesse der Bundesregierung liegt. Aber wir haben
nicht unmittelbar den Zugang oder die Möglichkeit, die
kommunalen Träger in diesem Zusammenhang zu Auskünften zu „zwingen“. Es finden eine ganze Reihe von
Gesprächen auch mit den kommunalen Spitzenverbänden statt, um einen umfassenden Überblick zu bekommen. Daran arbeiten wir selbstverständlich.
Dann rufen wir nun die Frage 16 auf:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über
Praktiken einzelner Kommunen vor, zur Reduzierung ihrer
Unterkunftskosten Umzugsaufforderungen ohne Übergangsregelung auszusprechen oder ALG-II-Empfängerinnen und
-Empfänger dazu zu veranlassen, überhöhte Wohnkosten aus
ihrem Regelsatz zu begleichen, und welche Maßnahmen sieht
die Bundesregierung gegen Kommunen vor, die in Angelegenheiten der Wohnkosten nicht nach den Vorschriften des
SGB II verfahren?
Der Bundesregierung ist nicht bekannt, dass die kommunalen Träger Aufforderungen zur Senkung der unangemessenen Unterkunftskosten ohne die Einräumung
eines angemessenen Übergangszeitraums aussprechen.
Es liegen auch keine Erkenntnisse darüber vor, ob die
zuständigen Leistungsträger die Betroffenen darauf verweisen, unangemessene Unterkunftskosten aus der Regelleistung zu bestreiten.
Die Bundesregierung weist darauf hin, dass der kommunale Träger sowohl bei der Prüfung der Angemessenheit der Unterkunftskosten als auch bei der Festsetzung
eines Zeitraums der Übernahme von unangemessenen
Unterkunftskosten das örtliche Mietniveau und die Gegebenheiten des örtlichen Wohnungsmarktes zu beachten hat. Die in § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II genannte
sechsmonatige Übergangsfrist stellt daher für den kommunalen Träger eine Regelhöchstfrist dar, die bei entsprechender Lage auf dem örtlichen Wohnungsmarkt
verkürzt werden kann.
Wie in der Antwort zu Frage 15 bereits ausgeführt,
unterliegen die kommunalen Träger bei der Gewährung
der Leistung für Unterkunft und Heizung keinen Weisungen und Aufsichtsrechten des Bundes.
Eine Zusatzfrage. Halten Sie es dann für rechtmäßig,
wenn eine Kommune eine festgestellte Überschreitung
der angemessenen Wohnkosten um den Betrag von - sagen wir einmal - 20 Euro mit der Regelleistung einfach
verrechnet und sich dies von den Hilfebedürftigen auch
noch abzeichnen lässt?
Das kann ich Ihnen so nicht beantworten. Ich müsste
im Einzelnen prüfen, ob das rechtmäßig ist oder nicht;
das war ja Ihre Frage. Bevor ich etwas Falsches sage,
möchte ich das gerne prüfen.
Zweite Frage?
Keine weiteren Zusatzfragen.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Staatsminister Gernot Erler zur Verfügung.
Die Fragen 17 bis 22 werden wegen der vorhin dargestellten Regelung schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Dr. Rainer Stinner
auf:
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung seit wann
darüber - vergleiche „Spiegel Online“ vom 9. Dezember
2005 -, dass im Militärcamp Bondsteel im Kosovo Personen
über längere Zeiträume ohne Anklage und Prozess festgehalten wurden?
Herr Kollege Dr. Stinner, von Beginn an war die militärische Sicherheitskräftepräsenz im Kosovo durch die
Resolution 1244 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ermächtigt, in Erfüllung ihres Auftrages auch Personen in Gewahrsam zu nehmen. Die entsprechenden
Haftrichtlinien wurden durch den KFOR-Kommandanten erlassen.
Nach der derzeit gültigen Richtlinie, der Detention
Directive vom 12. Juli 2004, dürfen Personen nur dann
verhaftet werden, wenn sie eine Gefahr für KFOR oder
für ein sicheres Umfeld im Kosovo darstellen und zivile
Stellen nicht in der Lage oder unwillig sind, die Verantwortung bei diesen Sicherheitsproblemen zu übernehmen. Diese Regelung trägt auch der Tatsache Rechnung,
dass UNMIK mittlerweile eine provisorische zivile
Strafjustiz im Kosovo eingeführt hat.
Die generelle Linie ist, Personen so schnell wie möglich wieder freizulassen. Die bereits erwähnte Detention
Directive vom 12. Juli letzten Jahres sieht bei Festnahmen grundsätzlich nur eine Haftzeit von 72 Stunden vor.
Nur der KFOR-Kommandant selbst kann eine darüber
hinausgehende Haftzeit von bis zu 30 Tagen anordnen
und diese, wenn ihm das notwendig erscheint, um jeweils weitere 30 Tage verlängern. Eine unbegrenzte Inhaftierung ist nicht vorzusehen. Vielleicht interessiert es
Sie auch, dass zurzeit - also mit Stand vom 13. Dezember dieses Jahres - im Rahmen der Nutzung des Camps
Bondsteel als Sitz einer KFOR-Hafteinrichtung keine
Personen inhaftiert sind.
Ihre Zusatzfragen.
Herr Staatsminister, wie beurteilen Sie die Aussage
des Europaratskommissars Alvaro Gil-Robles, dass es
im Camp Bondsteel wie in Guantánamo aussehe und
dass dort widerrechtlich Gefangene festgehalten würden? Ich komme auch noch einmal auf meine Frage zurück: Wusste die Bundesregierung von der Existenz des
Camps Bondsteel?
Ich habe eben ausgeführt, dass die Existenz des
Camps Bondsteel bekannt ist, weil es auch von KFOR,
zu der auch ein deutsches Kontingent gehört, als Hafteinrichtung genutzt wird. Ihre Zusatzfrage wird gleich
ausführlich beantwortet. Ich kann aber schon jetzt feststellen, dass wir den Bericht von Herrn Gil-Robles aus
dem Jahr 2002 kennen, dass er die Situation in diesem
Camp aber auch durchaus anders beurteilt. Vor kurzem
hat er noch einmal deutlich gemacht, dass seine damaligen Vorschläge umgesetzt worden sind.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Wie beurteilen Sie eine Meldung des Magazins „Report“, dass sich wiederholt auch deutsche Soldaten im
Camp Bondsteel aufgehalten haben, und was haben sie
- wenn dies zutrifft - dort gemacht? Haben sie an Verhören teilgenommen?
Es ist völlig klar, dass auch das deutsche KFOR-Kontingent in die Nutzung von Camp Bondsteel als Hafteinrichtung einbezogen ist. Das gehört mit zu den Aufgaben
des deutschen Kontingents der KFOR.
Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Dr. Rainer Stinner
auf:
Handelt es sich bei Bondsteel offiziell um ein militärisches
Gefängnis der KFOR, der Kosovo Force?
Herr Kollege Dr. Stinner, gemäß der Resolution des
UN-Sicherheitsrats 1244 Nr. 9 d hat KFOR unter anderem die Aufgabe, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten, bis UNMIK diese Verantwortung
vollständig übernehmen kann. Mit Beginn der militärischen Sicherheitspräsenz im Kosovo im Juni 1999
wurde in Camp Bondsteel eine Hafteinrichtung - eine
entsprechende Detention Facility - für die US-geführte
multinationale Brigade Ost eingerichtet. Seit Mitte 2001
wird diese Einrichtung auch als KFOR-Hafteinrichtung
genutzt.
Ihre Zusatzfragen.
Herr Staatsminister, wie beurteilen Sie die Aussage
des bekannten Juraprofessors Nolte, der auch Mitglied
der zuständigen Kommission des Europarates ist, es
gebe im KFOR-Gefängnis Bondsteel keine unabhängige
richterliche Überprüfung von Inhaftierungen?
Die Regelungen sind anders, als Herr Nolte es dargestellt hat. Es gibt umfangreiche Rechte der dort Inhaftierten auf Widerspruch und auf Einholung eines Rechtsbeistands. Das gehört zu ihren verbrieften Rechten.
Herr Staatsminister, kann ich Ihren Antworten entnehmen, dass die Bundesregierung das Verfahren bzw.
die Situation in Bondsteel für völlig in Ordnung hält und
auch in Zukunft genauso verfahren würde?
Die Bundesregierung stellt erst einmal fest, dass irgendein Zusammenhang zwischen dieser Einrichtung in
Camp Bondsteel und den Berichten über illegale Hafteinrichtungen nicht besteht. Die Bundesregierung ist
außerdem sehr zufrieden darüber, dass Herr Gil-Robles
bestätigt hat, dass es einen solchen Zusammenhang nicht
gibt. Die Bundesregierung ist aber selbstverständlich
sehr bemüht, Hinweisen auf irgendwelche Unregelmäßigkeiten bei der Arbeit von KFOR nachzugehen; denn
wir wissen, dass die Art und Weise, wie hier mit Inhaftierten umgegangen wird, für die Atmosphäre und damit
auch für die Erfüllung der Aufgaben der internationalen
Gemeinschaft im Kosovo außerordentlich wichtig ist.
Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Paul Schäfer auf:
Welche Maßnahmen unternahm die Bundesregierung im
Hinblick auf die Zustände im US-KFOR-Militärcamp
Bondsteel im Kosovo - Serbien und Montenegro -, die der
Menschenrechtsbeauftragte des Europarates, Alvaro GilRobles, im Jahr 2002 in seinem offiziellen Bericht an den Europarat als menschenrechtsverletzend charakterisierte?
Herr Kollege Schäfer, in seinem Bericht an die Parlamentarische Versammlung und das Ministerkomitee des
Europarats zur Menschenrechtssituation im Kosovo und
zu dem Schicksal von dort heimatvertriebenen Menschen vom 16. Oktober 2002 - dieser Bericht ist schon
angesprochen worden - erklärte der Menschenrechtskommissar Alvaro Gil-Robles, dass die Behandlung
festgehaltener Personen in KFOR-Gewahrsam internationalen Menschenrechtsstandards genügen müsse. In
diesem Zusammenhang bezeichnete er die von ihm persönlich besuchten Hafteinrichtungen in Cap Bondsteel
ausdrücklich als „ziemlich zufriedenstellend“, auf Englisch „quite satisfactory“. Sein Bericht an den Europarat
wurde als Aufforderung an die Vereinten Nationen verstanden, im Kosovo insgesamt dringend rechtsstaatliche
Standards einzuführen bzw. zu gewährleisten. Dies
wurde von der Bundesregierung durchgehend unterstützt
sowie von UNMIK und den provisorischen Institutionen
der Selbstregierung in die Tat umgesetzt. Gil-Robles hat
eine wesentliche Verbesserung in einem Spiegel-OnlineInterview vom 5. Dezember dieses Jahres zugestanden.
Wörtlich hat er dort ausgeführt:
Man muss hier demokratische, rechtsstaatliche
Standards einführen. Und das ist inzwischen ja auch
passiert.
Bitte schön, Herr Schäfer.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister,
ich habe ebenfalls zur Kenntnis genommen, dass
Gil-Robles angemerkt hat, dass nun die Zustände dort
eher zufriedenstellend seien. Aber er hat Klage geführt,
dass darüber im September 2002 im Plenum des Europarates nicht diskutiert worden ist. Ich frage deshalb: Hat
sich die Bundesregierung bemüht, dass im Plenum des
Europarates über den Robles-Bericht diskutiert wird,
und, wenn nein, warum nicht?
Herr Kollege Schäfer, mir ist nicht bekannt, ob es solche Bemühungen der Bundesregierung gegeben hat.
Aber offensichtlich hat es - das haben Sie selber eben
zugestanden - eine Verbesserung der dortigen Situation
gegeben. Insofern ist das Notwendige veranlasst worden.
Zweite Zusatzfrage.
Aber offensichtlich erst nach gehörigem Zeitverzug.
Da die Bundesrepublik Truppensteller bei KFOR war,
ist die Frage zu stellen: Wurden die von Gil-Robles monierten Zustände im Rahmen der NATO zum Thema gemacht, und, wenn ja, wann?
Mir ist nicht bekannt, ob der Bericht von 2002 auch
Thema bei irgendwelchen NATO-Institutionen gewesen
ist. Aber ich weise noch einmal darauf hin, dass dieser
Bericht offensichtlich eine Wirkung hatte. Sonst wäre
eine Verbesserung der Situation, die Gil-Robles selber
bestätigt, nicht möglich gewesen.
Ich rufe die Frage 26 des Kollegen Paul Schäfer auf:
Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, ob die in
dem Robles-Bericht erwähnten „Nordafrikaner“ in der serbischen Provinz Kosovo - Mudschahedin - oder außerhalb des
Landes gefangen genommen wurden, um anschließend in die
Bundesrepublik Jugoslawien - Kosovo - transportiert zu werden?
Herr Kollege Schäfer, in dem in Rede stehenden Bericht von Herrn Gil-Robles an den Europarat vom
16. Oktober 2002, aus dem hier schon mehrfach zitiert
worden ist, werden die von Ihnen angesprochenen Nordafrikaner an keiner Stelle erwähnt.
Ihre Zusatzfragen, Herr Schäfer.
Herr Staatsminister, heißt das, Ihnen liegen keinerlei
Hinweise darauf vor, wo und in welchem Zusammenhang die vom Europaratsbeauftragten Gil-Robles erwähnten Gefangenen aufgegriffen wurden?
Herr Kollege Schäfer, ich bin bereit, Ihnen behilflich
zu sein. Ich hatte schon festgestellt, dass in dem Bericht
vom Oktober 2002 ein Hinweis auf Nordafrikaner nicht
enthalten ist. Aber tatsächlich hat Gil-Robles in einem
Spiegel-Online-Interview am 5. Dezember dieses Jahres
solche Gefangenen erwähnt.
Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse zu
solchen Gefangenen vor. Ich weise aber auch darauf hin,
dass Gil-Robles in einem Interview mit der Tageszeitung
„Le Monde“ am 25. November ausdrücklich erklärt hat,
was ich eben schon erwähnt habe, dass keine Querverbindungen zwischen dieser Black-Sites-Diskussion und
der Situation in Bondsteel zu ziehen sind.
({0})
Er hat in einem Interview mit „Spiegel online“, was die
Nordafrikaner betrifft, ausdrücklich erklärt, dass es
keine Geheimnisse in dieser Einrichtung von KFOR in
Bondsteel gibt.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
({0})
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Dann rufe ich die Frage 27 des Kollegen Dr. Hakki
Keskin auf. Die Frage wird aufgrund von Nr. 2 Abs. 2
der Richtlinien schriftlich beantwortet. Dann rufe ich die
Frage 28 des Abgeordneten Jerzy Montag auf. Die Frage
wird ebenfalls aufgrund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien
schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 29 und 30 des
Kollegen Dr. Diether Dehm. Die Frage 31 des Kollegen
Josef Philip Winkler wird nach denselben Kriterien
ebenfalls schriftlich beantwortet, ebenso wie die
Frage 32 der Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk und die
Frage 33 des Kollegen Jerzy Montag.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des
Auswärtigen Amtes. Herr Staatsminister, ich bedanke
mich sehr herzlich für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Die Frage 34 der Kollegin Monika
Knoche wird aufgrund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien
schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 35 und 36 des
Kollegen Jan Korte. Das gilt auch für die Frage 37 des
Abgeordneten Josef Philip Winkler. Die Fragen 38 und
39 der Kollegin Petra Pau werden ebenfalls so beantwortet, ebenso die Fragen 40 und 41 der Kollegin HüseyinKenan Aydin. Die Frage 42 des Kollegen Wolfgang
Wieland und die Fragen 43 und 44 der Kollegin Ulla
Jelpke werden ebenfalls aufgrund von Nr. 2 Abs. 2 der
Richtlinien schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz auf. Die Frage 45 der Kollegin Monika
Knoche, die Frage 46 des Kollegen Michael Leutert, die
Fragen 47 und 48 der Kollegin Heike Hänsel und die
Frage 49 der Kollegin Silke Stokar von Neuforn werden
ebenfalls nach denselben Kriterien schriftlich beantwortet. Das gilt auch für die Fragen 50 und 51 des Kollegen
Volker Beck ({1}) und die Frage 52 der Kollegin
Irmingard Schewe-Gerigk.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung der Fragen
steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Christian
Schmidt bereit.
Die Fragen 53 und 54 des Kollegen Jürgen Koppelin
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 55 des Kollegen Dr. Norman Paech
auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen,
um sicherzustellen, dass Personen, die im Rahmen des Mandats für die deutsche Beteiligung an der Operation Enduring
Freedom, OEF, das den Auftrag einschließt, „Führungs- und
Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht
zu stellen sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten“ - Bundestagsdrucksache
14/7296 -, unter direkter oder indirekter Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte festgesetzt wurden oder werden,
nicht von der CIA oder anderen US-Regierungsstellen gefoltert oder in Staaten gebracht wurden oder werden, wo die Folter praktiziert wird?
Lieber Kollege Paech, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Die bei der Operation Enduring Freedom eingesetzten deutschen Kräfte leisten ihre Beiträge zur Auftragserfüllung auf der rechtlichen Grundlage des Art. 51
der Charta der Vereinten Nationen - Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung -, des Art. 5 des
NATO-Vertrags - Beistandspflicht im Rahmen eines erklärten Bündnisfalls - sowie der Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen 1368 ({0}) und
1373 ({1}).
Die Resolution 1373 ({2}) legt für alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen die Verpflichtung fest, „die
erforderlichen Maßnahmen ({3}) ergreifen …, um die Begehung terroristischer Handlungen zu verhüten“, und
„sicher({4})stellen …, dass alle Personen, die an der Finanzierung, Planung, Vorbereitung oder Begehung terroristischer Handlungen oder an deren Umsetzung mitwirken, vor Gericht gestellt werden …“. Die Bundeswehr
beachtet selbstverständlich die völkerrechtlichen Verpflichtungen einschließlich des humanitären Völkerrechts und der menschenrechtlichen Mindeststandards
sowie die Wertentscheidungen des Grundgesetzes. Das
gilt auch für den Einsatz der Spezialkräfte im Rahmen
der Operation Enduring Freedom in Afghanistan.
Zur Schaffung von Handlungssicherheit im Zusammenhang mit dem Festhalten oder Festsetzen von Personen wurde eine Handlungsanweisung erlassen. Sie sah
keine Überstellung an die US-Seite vor. Hierüber würde
das Parlament in den entsprechenden Gremien zeitnah
unterrichtet.
Ihre erste Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege.
Mir sind die rechtlichen Grundlagen durchaus bekannt.
Wenn es so ist, dass die Bundeswehr Gefangene den
USA nicht überstellt hat, damit sie irgendwohin gebracht
werden, so ist dennoch bekannt geworden, dass ein
Türke, der in Bremen geboren ist, Murat Kurnaz, in
Guantanamo illegal festgehalten wurde und dass er von
zumindest einem deutschen Beamten vernommen
wurde. Hat die Bundesregierung den Zugang zu Guantanamo durch einen deutschen Beamten benutzt, um auf
die menschenrechtsunwürdige Behandlung hinzuweisen
und zu versuchen, ihn aus diesem Gefängnis wieder herauszuholen?
Herr Kollege, der von Ihnen geschilderte Sachverhalt
ist mir nicht bekannt. Deswegen kann ich auf Ihre Frage
keine Antwort geben. Die Bundesregierung wird aber
immer auf die Einhaltung der völkerrechtlichen und
menschenrechtlichen Standards, zu denen wir uns verpflichtet haben, hinwirken.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Ich darf Sie dann darauf hinweisen, dass dies bereits
in der vergangenen Woche in der „Zeit“ umfangreich
dargelegt worden ist und dass darauf heute auch von der
dpa Bezug genommen wird.
Der Rechtsanwalt dieses Gefangenen, Bernhard
Docke aus Bremen, hat das Auswärtige Amt und die
Bundesregierung wiederholt aufgefordert, ihm bei der
Verteidigung und dem Zugang zu dem Gefangenen behilflich zu sein. Die Bundesregierung hat immer gesagt,
sie habe dazu gar keine Möglichkeit. Ist Ihnen das bekannt?
Frau Präsidentin, wenn ich den Rahmen dieser Frage
richtig interpretiere, dann komme ich zu dem Ergebnis,
dass das eine Angelegenheit ist, die die Nachrichtendienste mit betrifft. Diese Frage ist daher im Parlamentarischen Kontrollgremium zu verhandeln und zu beantworten. Ich würde anregen, diese Frage in das
entsprechende Gremium zu verlagern.
({0})
Ja, Sie dürfen keine dritte Zusatzfrage stellen. Aber
Ihr Kollege Schäfer hat nun das Wort zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, die Bundeswehr habe die Anweisung, keine Überstellungen an
US-Streitkräfte vorzunehmen. Gilt das auch für die
Überstellung von Gefangenen an die afghanische Regierung?
Diese Handlungsanweisung betrifft Überstellungen
an die US-Streitkräfte. Über weiter gehende Anweisungen sind die entsprechenden Gremien des Deutschen
Bundestages in Vertraulichkeit unterrichtet worden. Das ist meine Antwort auf diese Frage.
Dann rufe ich die Frage 56 des Kollegen Dr. Norman
Paech auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen,
um sicherzustellen, dass Bundeswehrangehörige, die nach
Angaben des US-Zentralkommandos, CENTCOM, zur Koordination der OEF im CENTCOM-Hauptquartier in Tampa,
Florida, vertreten sind, nicht direkt oder indirekt an der Planung völkerrechtswidriger Maßnahmen wie der Entführung,
Verschleppung oder Verbringung von Gefangenen in Staaten
mit Folterpraxis beteiligt sind?
Herr Kollege Paech, auf Ihre Frage antworte ich wie
folgt: Die Angehörigen des deutschen Verbindungskommandos sind nicht in den Stab von CENTCOM integriert
und daher nicht an US-Planungen beteiligt. Sie vertreten
innerhalb der Koalition der an der Operation Enduring
Freedom beteiligten Nationen die nationalen Interessen
Deutschlands, so wie sie im Bundestagsmandat, das wir
in diesem Hause zuletzt am 8. November 2005 verlängert haben, beschrieben sind. Das umreißt auch ihre Zuständigkeit und ihre Aufgabe.
Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Seitens der USA, aber auch seitens anderer - das haben wir heute im Auswärtigen Ausschuss gehört - gibt
es Pläne, die Operation Enduring Freedom und ISAF,
also den Einsatz in Afghanistan, zu verbinden. Was halten Sie von der Vermischung zweier sehr unterschiedlicher Aktivitäten?
Können Sie dafür garantieren, dass die Aufgabe der
ISAF, nämlich die Stabilisierung des Landes - in diesem
Rahmen sind die deutschen Truppen eingesetzt -, nicht
mit dem Kampf gegen den Terror verbunden wird?
Herr Kollege Paech, diese Zusatzfrage, die weit über
die von Ihnen gestellte Frage hinausgreift, stellt in der
Perspektive zur Diskussion, inwieweit man zwei im gleichen Land stattfindende Operationen militärischer Art
mit unterschiedlichen Zielsetzungen in einen synergetischen Einklang bringen kann. Es gibt hierzu verschiedene Vorschläge. Zuletzt haben sich die NATO-Verteidigungsminister bei ihrem informellen Treffen mit dieser
Frage beschäftigt. Sie haben hierüber aber keine Entscheidung getroffen. Es gibt graduell unterschiedliche
Positionen, die sich aber alle in dem Willen treffen, eine
möglichst hohe Synergie im Hinblick auf die Sicherheit
der eingesetzten Kräfte und im Hinblick auf die Erreichung der Ziele jeder Operation in ihrem Bereich zu bewirken.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Der Staatsminister und auch der Dienst habende General haben heute im Auswärtigen Ausschuss gesagt,
dass derzeit keine KSK-Kräfte in Afghanistan eingesetzt
werden. Meine Frage: Sind Planungen im Gange, in der
nächsten Zukunft wieder KSK-Kräfte in Afghanistan
einzusetzen?
Herr Kollege, wir haben für solche Fragen ein Gremium, das im Parlamentsbeteiligungsgesetz verankert
ist. Dort ist eine klassifizierte Unterrichtung der Obleute
des Verteidigungs- und des Auswärtigen Ausschusses
geregelt, die im Hinblick auf den hohen Grad des Sicherheitsbedürfnisses für die eingesetzten Soldaten auch
strikt eingehalten werden muss. Ich darf Sie auf diese Informationsstränge verweisen.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums der Verteidigung.
({0})
- Ihre Wortmeldung habe ich leider übersehen oder sie
kam zu spät. Herr Kollege, noch eine weitere Zusatzfrage.
Gehen wir einmal davon aus, dass die Wortmeldung
zu spät kam, Frau Präsidentin.
Herr Staatssekretär, könnten Sie uns erläutern, wie
der von Ihnen benutzte Begriff „Synergieeffekte“ zu verstehen ist? Handelt es sich um Synergieeffekte in der
Planung gemeinsamer Operationen, in der Ausrüstung,
in der Versorgung? In welchem Sinne benutzen Sie den
Begriff „Synergieeffekte“?
Herr Kollege Gehrcke, wir hatten lange die Möglichkeit, uns im Auswärtigen Ausschuss über solche Fragen
auszutauschen; wenn ich mich recht entsinne, haben wir
in dieser Zeit auch bereits darüber diskutiert. „Synergie“
ist zu verstehen nicht im pekuniären Sinne, sondern im
Sinne der Sicherheit der eingesetzten Soldaten. Wir müssen der Verantwortung gegenüber den Soldaten, die wir
in solche Einsätze schicken, im Rahmen unserer Fürsorgepflicht auch dadurch Rechnung tragen, dass wir - leider nie auszuschließende und immer wieder stattfindende - Angriffe auf diese Kräfte in höchstmöglichem
Maße verhindern. Dazu gehört auch die gegenseitige Information über das, was man tut und wo man etwas tut.
Darüber hinaus gibt es verschiedene Varianten der Zusammenarbeit, die sich dann am Einzelfall auszurichten
haben. „Synergie“ ist in diesem Fall positiv und mit „Sicherheit“ zu übersetzen.
Jetzt gibt es wirklich keine Wortmeldung zu Zusatzfragen mehr. Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums der Verteidigung. Herr
Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwortung der
Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die Fragen 57 bis 64 der Kolleginnen Bärbel
Höhn, Birgitt Bender, Sylvia Kotting-Uhl und des Kollegen Gerhard Schick werden aufgrund von Nr. 2 Abs. 2
der Richtlinien schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende der heutigen Fragestunde.
Die vereinbarte Debatte wird nach einer interfraktionellen Verabredung auf 16 Uhr angesetzt.
Ich unterbreche deshalb die Sitzung des Deutschen
Bundestages bis 16 Uhr.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:
Vereinbarte Debatte
Berichte über angebliche Gefangenentransporte sowie die Verbringung deutscher und
anderer Staatsangehöriger durch US-Stellen
und das Verhalten von Bundesdienststellen in
diesem Zusammenhang
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr
Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwei Grundentscheidungen haben in den letzten Jahren aus meiner
Sicht unser Verhältnis zu den Vereinigten Staaten geprägt: Wir haben nach dem 11. September 2001 uneingeschränkte Solidarität und Unterstützung im Kampf gegen den Terrorismus zugesagt und die deutsche
Regierung - das war die zweite Entscheidung - hat sich
2003 nicht trotz, sondern wegen unseres gemeinsamen
Kampfes gegen den internationalen Terrorismus gegen
eine militärische Intervention im Irak ausgesprochen.
Wenn heute von manchem versucht wird, einen Widerspruch zwischen diesen beiden Entscheidungen zu
konstruieren oder die eine Entscheidung gegen die andere auszuspielen, dann muss ich dem mit Nachdruck
und Entschiedenheit widersprechen.
({0})
Beide Entscheidungen folgen nämlich demselben Prinzip von Verantwortung, einer Verantwortung für die Sicherheit der Menschen in unserem Land und für die
Sicherheit unserer Freunde und Partner. Beide Entscheidungen gründen in unserer Verantwortung für eine Weltordnung, die dem Völkerrecht verpflichtet bleibt. Und
weil es in den letzten Tagen vielfach zu lesen war: Diese
Entscheidungen reiften auch nicht in irgendwelchen anonymen Schattenreichen. Vielmehr waren und sind dies
Entscheidungen und Abwägungen, die belastbaren Rat,
Verantwortungsbereitschaft und persönlichen Mut
brauchten.
Nun werden Sie sagen, meine Damen und Herren, das
gelte immer in der Politik; das sei Alltag. Gleichwohl
sage ich Ihnen: Ja, es gibt sie, die weniger glitzernden
Seiten der Macht jenseits von Medienevents und Talkshows. Ich habe, ganz offen gesagt, solche Situationen in
den letzten sieben Jahren häufiger erlebt, als mir lieb
war, Situationen, in denen das Telefongespräch, die Geschäftsordnung und der runde Tisch als ritualisierte
Form der Konfliktlösung versagt haben.
Meine Amtszeit als Chef des Bundeskanzleramtes begann mit dem Fall Hofer im Iran, meine Amtszeit als
Außenminister bedauerlicherweise mit der Geiselnahme
im Irak. Dazwischen lagen Geiselnahmen in Algerien
und auf den Philippinen, ungewisse Sicherheitslagen
nach dem 11. September 2001, die Anthrax-Hysterie,
der vereitelte Anschlag auf den Straßburger
Weihnachtsmarkt und die folgenreiche Frage nach der
Existenz von Massenvernichtungsmitteln im Irak. Keine
dieser Situationen war durch noch so wortgewaltige Resolutionen zu lösen. Vielmehr waren verantwortliches
und entschiedenes Verhalten, Augenmaß und Vernunft
gefragt. Das Verhalten war immer gestützt auf Erfahrung
und Professionalität von Krisenstäben, des BKA und
- das sage ich ganz deutlich - auch der Dienste.
Wir haben bisher alles in allem Glück gehabt. Katastrophen sind uns erspart geblieben; Schaden für Menschen konnten wir abwenden. Was ebenso wichtig war,
meine Damen und Herren: Wo in solchen Situationen die
Politik gefordert war, waren Entscheidungen zwar nie
einfach, selten ohne Risiko und manchmal auch nur unter Ausschöpfung des rechtlich Möglichen zu treffen.
Aber wir sollten dem Herrgott dafür dankbar sein, dass
wir bei alldem nie in solche Grenzsituationen geraten
sind, wie sie frühere Krisenstäbe etwa 1977 - ich erinnere an die Stichworte Schleyer und Mogadischu durchlebt und durchlitten haben. Ich hatte jedenfalls
keine Entscheidung zu treffen, in der Leben gegen Leben stand oder der Schutz von Leben und Gesundheit
deutscher Staatsbürger uns in die äußersten Grenzbereiche unserer Rechtsordnung oder gar darüber hinaus geführt hätte.
Dies sage ich auch mit Blick auf all diejenigen verantwortungslosen Spekulationen und Verdächtigungen, die
rund um den so genannten Fall el-Masri gegen mich oder
andere Verantwortliche der früheren Bundesregierung
erhoben werden. In aller Deutlichkeit: Die Bundesregierung, der BND, das BKA und das BfV haben keine Beihilfe zur Verschleppung des deutschen Staatsbürgers
el-Masri geleistet. Ebenso deutlich sei wiederholt: Von
der Tatsache der Verschleppung haben der frühere Innenminister und der frühere Außenminister ebenso wie
ich erst nach der Freilassung des Betroffenen erfahren.
Wenn es schon notwendig ist, das zu versichern, dann
lassen Sie mich aber auch hinzufügen, dass mich manche Veröffentlichungen der letzten Tage - sehr vorsichtig gesagt - schon sehr befremdet haben. Es waren
Veröffentlichungen, die mehr oder weniger offen suggerieren: Wenn wir, die Deutschen, verdächtige Islamisten
schon nicht selbst foltern dürfen, dann geben wir den anderen die passenden Informationen mit dem Ziel, dass
diese den Mann abgreifen und die erwünschte Wahrheit
aus ihm herausprügeln. Ich frage Sie: Wie infam und wie
maßlos muss man eigentlich sein, um solche Vorwürfe
gegen diejenigen zu erheben, die dieses Land - ich
finde - auch in schwierigen Zeiten auf einem Kurs von
Zivilität und Rechtsstaatlichkeit gehalten haben?
({1})
Dieser Kurs heißt nicht und hieß nie weltabgewandte
Beschaulichkeit, abseits von allen Bedrohungen und
Heimsuchungen einer neuen Qualität des weltweiten
Terrorismus. Auch uns hat sich mit und nach dem
11. September die brutale Erkenntnis aufgedrängt, dass
blutige Attentate dieser Größenordnung nicht außerhalb
unseres Kulturkreises geplant und vorbereitet werden,
sondern dass die Täter, zumindest einige von ihnen, mitten unter uns leben.
Es war unsere Aufgabe - ich meine, sogar mehr als
das, unsere Pflicht und Verantwortung -, Wiederholungen auszuschließen und alle Anstrengungen zu unternehmen, um auch unsere deutschen Staatsbürger davor zu
schützen, selbst zum Opfer solcher Attentate zu werden.
Ebenso deutlich sei gesagt: Ohne vertiefte Kenntnisse
über die islamistische Szene wäre diese Arbeit nicht zu
leisten gewesen.
Ich selbst habe - und ich stehe dazu - in unserer damals täglich, später wöchentlich tagenden Sicherheitslage forciert, dass wir nach dem 11. September die
Struktur dieser Szene in Deutschland systematisch untersuchen. In diesem Projekt, von dem ich rede, arbeiteten
die Sicherheitsbehörden des Bundes mit dem Ziel zusammen, ein Bild von den Hotspots der deutschen Islamistenszene zu gewinnen, die zentralen Figuren zu
identifizieren, die Wanderungen zwischen den Zentren
zu beobachten und die Unterstützernetzwerke ausfindig
zu machen. Dieses Projekt liefert aus meiner Sicht bis
heute die unverzichtbare Grundlage für die Arbeit der
Sicherheitsbehörden; es wird deshalb fortgeschrieben
und aktualisiert. Es liefert vor allem die Basiserkenntnis,
dass wir von einer hohen Mobilität der Beobachteten
- national wie international - ausgehen müssen.
Dennoch meinen einige, dass wir Erkenntnisse der
hier zitierten Art hätten für uns behalten müssen. Andere
sagen, dass aus der Perspektive und mit dem Wissen von
heute zumindest die Amerikaner keinen Anteil an unseren Erkenntnissen hätten haben dürfen und dass bereits
der Austausch von Informationen täterschaftliche Beihilfe zu unrechtmäßigem Tun sei. Ich teile diese Sichtweise ausdrücklich nicht. Ich frage eher umgekehrt, ob
es angesichts der Tätergruppen von New York, Washington, Madrid, Riad, Djerba, Bali oder London eigentlich
verantwortbar gewesen wäre, vorhandenes Wissen mit
den Partnern nicht auszutauschen. Wäre eine Verweigerung eigener Kenntnisse verantwortbar gewesen um den
Preis, dass uns auch die anderen nicht in den Austausch
über Bewegungen in der internationalen Terrorszene
einbeziehen? Entscheidend aus meiner Sicht ist: Wie
würden wir diese Diskussion wohl nach einem Anschlag
in Deutschland führen, bei dem sich herausstellen
würde, dass wir uns der internationalen Zusammenarbeit
bei der Bekämpfung des Terrorismus im Vorfeld verweigert haben?
({2})
Wer mich und andere - gleichgültig ob aus der Vorgängerregierung oder der aktuellen Regierung - wegen des
Informationsaustausches mit Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien, aber auch mit den USA kritisiert,
muss sich diese Fragen stellen und sie beantworten.
Klar ist - das sei ebenso deutlich gesagt -: Der Austausch von Informationen bedeutet niemals eine auch
wie immer geartete Billigung oder gar Rechtfertigung
der Verschleppung deutscher Staatsbürger.
({3})
Im Gegenteil, die Bundesregierung hat immer deutlich
gemacht, dass eine Zusammenarbeit auf der Basis geltenden Rechts erfolgt und erfolgen muss.
Das gilt auch und in besonderer Weise für den Fall
el-Masri. Ob überhaupt und, wenn ja, in welchem Umfange Informationen und Erkenntnisse aus Deutschland
von fremden Behörden benutzt worden sind, ist unklar.
Aber ich sage: Wir haben nach allen zumutbaren Nachforschungen, die wir angestellt haben, keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass Mitteilungen zur Person
el-Masris durch Sicherheitsbehörden des Bundes weitergegeben worden sind.
Bundeskanzleramt und Auswärtiges Amt wurden
erstmals durch den Brief des Rechtsanwaltes von Herrn
el-Masri vom 8. Juni 2004 informiert. In diesem Schreiben betont der Anwalt - einen Auszug daraus möchte ich
zitieren -:
Bevor die Medien eingeschaltet werden, sollte der
Vortrag meines Mandanten geprüft und dessen Erkenntnisse und Wahrnehmungen so gesichert werden, dass sie verwertet werden können.
Genau das hat die Bundesregierung getan. Sie hat zur
Prüfung der Angaben von Herrn el-Masri und zur Sicherung gerichtsfester Erkenntnisse sofort und ohne Zögern
die Ermittlungsbehörden eingeschaltet und diese in ihrer
Arbeit unterstützt, ohne - auch das sei gesagt - ihre Arbeit ersetzen zu können. Denn Ermittlungen zu führen ist
Aufgabe von Polizei und Staatsanwaltschaft.
Die Bundesregierung hat aber unverzüglich, nachdem
dieses Schreiben einging, über die Verbindungsbeamten
in den Ministerien die Nachrichtendienste, die Polizeidienststellen auf Bundes- und Landesebene sowie die diplomatischen Vertretungen um ihren Beitrag zur Aufklärung des Geschehens gebeten. Der Sachverhalt wurde
des Weiteren wegen der infrage stehenden Vorwürfe unverzüglich zum Gegenstand der Besprechung in der so
genannten nachrichtendienstlichen Lage bei uns im
Kanzleramt.
Dank dieses Vorgehens hat das Bundeskriminalamt
bereits am 10. Juni, also zwei Tage danach - nur damit
Sie wissen, wie schnell das ging -, die örtlich zuständige
Polizeidienststelle unterrichtet. Der Generalbundesanwalt wurde am 14. Juni informiert und es wurde umgehend ein Ermittlungsverfahren eröffnet, in dem Herr
el-Masri bereits am 17. und 18. Juni als Zeuge ausgesagt
hat. Seit Juli 2004 hat die Staatsanwaltschaft München
dieses Verfahren übernommen und geleitet. Mitarbeiter
von mir im Bundeskanzleramt haben am 30. Juni 2004
zunächst mündlich direkten Kontakt mit dem Anwalt
aufgenommen, um ihm einen ersten schriftlichen Bescheid anzukündigen.
Die Bundesregierung hat die Ermittlungsführer, das
heißt die Staatsanwaltschaft und die Polizei, bei der weiteren Aufklärung des Sachverhaltes und besonders bei
der Beschaffung von gerichtsfesten, belastbaren Informationen, wie ich finde, in vielfältiger Weise unterstützt.
Das gilt auf der einen Seite für die Feststellung der
Reiseroute von Herrn el-Masri, die aufgeklärt wurde,
und das bezieht sich vor allen Dingen auch auf die Frage
der Identität des so genannten Sam, dessen Name jetzt
häufig in Zeitungsberichten auftauchte, wobei wir nicht
feststellen können, dass er in irgendeinem Zusammenhang mit deutschen Sicherheitsbehörden steht.
An diesen Nachfragen beteiligt waren die Dienste,
das Bundeskriminalamt sowie die diplomatischen Vertretungen der Bundesrepublik. Wir haben die Aufklärung in allen den Sachverhalt berührenden Ländern betrieben: in Albanien, in Afghanistan, auch in den
Vereinigten Staaten und natürlich in Mazedonien.
Um Ihnen etwas holzschnittartig einen Überblick
über die Bemühungen auf Bundesebene zu geben: Es
gab in den ersten vier Monaten weit über 30 einzelne
Bemühungen von einem halben Dutzend Bundesbehörden, um den ermittelnden Landesbehörden bei deren
Aufgabe soweit wie möglich zu helfen. Diese Bemühungen - das sei hinzugefügt - haben in der Zwischenzeit
nicht nachgelassen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Allein das Bundeskriminalamt hat von September 2004 bis
Januar 2005 rund ein halbes Dutzend Mal bei den zuständigen Stellen in den USA nachgefragt, auf Antwort
gedrängt und gemahnt. Das Thema war mehrfach Gegenstand in der ND-Lage und nach der Berichterstattung
in den USA im Januar auch mehrfach Gegenstand im
zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremium.
Die Bundesregierung hat Rechtshilfeersuchen gegenüber
Mazedonien, Albanien und den USA gestellt, hat schriftlich und mündlich bei den Behörden der betroffenen
Länder nachgefragt und sich auch diplomatisch bemüht.
- Ich schildere dies in Auszügen, weil es ein Ausweis
dessen ist, was ein Rechtsstaat leisten kann und - seien
Sie dessen versichert - aus meiner Sicht auch leisten
soll, wenn Anhaltspunkte vorliegen, dass einer seiner
Bürger einer Straftat zum Opfer gefallen ist.
Es ist nicht an mir, einen Zwischenstand der Ermittlungen zu geben; das ist Sache der Ermittlungsbehörden.
Was ich Ihnen aber mitteilen kann, ist ein Zwischenstand
der Bemühungen der Bundesregierung und der Bemühungen auf diplomatischer, nachrichtendienstlicher und
bundespolizeilicher Ebene. Der Ermittlungsstand ist,
dass alle von den infrage stehenden Vorgängen betroffenen Länder und Dienste wussten, dass wir, Deutschland,
Aufklärung über die Vorgänge wollten und wollen und
dass wir die Schilderungen von el-Masri ernst genommen haben.
Der ehemalige Bundesinnenminister Schily hat die
amerikanische Seite mehrfach aufgefordert, den deutBundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
schen Ermittlungsbehörden gegenüber klar Auskunft zu
geben. Auf die Nachfragen der Bundesregierung hin
wurde ihr erstmals im November 2005 signalisiert, der
Vorgang sei in den Händen der zuständigen Behörden.
Das ist nur die Einleitung zu dem nächsten Satz in Bezug auf die jüngste Entwicklung. Neu ist nämlich, dass,
nachdem Herrn el-Masri noch in der vorvergangenen
Woche die Einreise in die USA verweigert worden ist,
Frau Rice letzte Woche zugesichert hat, dass ihm die
Einreise ermöglicht wird und dass er mit seinem Anwalt
vom amerikanischen Boden aus Rechtsschutzmöglichkeiten suchen kann.
({4})
Das Thema „CIA-Flüge und vermeintliche Geheimgefängnisse“ hat in den letzten Wochen - das kann
ich Ihnen aufgrund meiner Erfahrung auf der NATOAußenministerratstagung sagen - überall in Europa und,
wie Sie lesen können, selbstverständlich auch in den
Vereinigten Staaten zu heftigen Kontroversen geführt.
Wir haben es heute Morgen auch im Auswärtigen Ausschuss erlebt: Es sind in der Tat noch viele Fragen offen.
Sie kennen die Bemühung des Europarates, an der wir
uns aktiv beteiligen, weil wir das Aufklärungsinteresse
teilen. Bei meinen Gesprächen, die ich mit der amerikanischen Außenministerin und dem NSC geführt habe,
haben diese Themen breiten Raum eingenommen. Ich
habe nach dieser Reihe von Gesprächen den Eindruck
gewonnen, dass auch die amerikanische Regierung zunehmend erkennt, dass sie die Besorgnisse ihrer europäischen Partner nicht auf die leichte Schulter nehmen darf.
Nun bin ich der Letzte, der nicht Verständnis dafür
hätte, dass nicht jede Operation der Sicherheitsbehörden
öffentlich behandelt und bewertet werden kann. Umso
wichtiger ist es aber, dass die gemeinsame Vertrauensbasis erhalten bleibt. Mit anderen Worten: Wir müssen uns
fest darauf verlassen können, dass unsere amerikanischen Partner bilaterale Verträge ebenso achten wie die
Regeln des Völkerrechts und die Menschenrechte.
({5})
Ich begrüße es deshalb ausdrücklich, dass die amerikanische Außenministerin dies jüngst noch einmal bekräftigt hat. Erst recht begrüße ich die Klarstellung, dass
die Anti-Folter-Konvention uneingeschränkt für alle
Gefangenen gilt. Dennoch sehe ich natürlich - auch das
ist heute Morgen im Ausschuss behandelt worden nicht ohne Sorge, dass aus der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus in Europa und in den USA
durchaus unterschiedliche Schlussfolgerungen für die
gesetzliche Basis gezogen werden. Die jüngste inneramerikanische Debatte über die Auslegung des Folterverbots ist dafür ein Beispiel.
Ich hoffe sehr, dass am Ende dieser Debatte eine Entscheidung stehen wird, die Europa und die Vereinigten
Staaten in dieser fundamentalen Frage unserer Rechtsordnung nicht auseinander driften lässt. Ich hoffe ebenfalls sehr, dass die normative Gemeinsamkeit rechtsstaatlicher Prinzipien Europa und die Vereinigten
Staaten weiter verbindet.
({6})
Wir wissen: Eines der wichtigsten Ziele der Terroristen ist es, die Rechtsstaatlichkeit und die Zivilität der offenen Gesellschaft zu zerstören. Dies darf ihnen nicht
gelingen!
({7})
Die Achtung von Recht und Gesetz ist der Kitt, der
unsere Gesellschaften zusammenhält, und sie ist die
Grundlage für unsere Überlegenheit über alle Feinde der
Freiheit. Das gilt ausdrücklich auch für den Bereich der
Sicherheitsbehörden. Diese Achtung von Recht und Gesetz war der Maßstab meines Handelns in den letzten
Jahren.
Meine Damen und Herren, man kann bei der einen
oder anderen Abwägungsfrage zu anderen Wertungen
kommen, als ich es getan habe. Das mag sein. Ich stehe
jedoch zu den Entscheidungen, die ich in meinem Verantwortungsbereich als Chef des Bundeskanzleramtes
und auch als Beauftragter für die Nachrichtendienste zu
treffen hatte. Ich stehe zu den Entscheidungen, getroffen
aus der Achtung von Recht und Gesetz und für die Sicherheit der Menschen in unserem Land.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wenn man die Darstellung von Minister
Steinmeier zu den vielfältigen Aktivitäten - sie wurden
im Detail geschildert - gehört hat, die ergriffen wurden,
nachdem sich der Anwalt von Herrn el-Masri an die
Bundesregierung gewandt hatte, stellt man sich umso
mehr die Frage, warum die Bundesregierung uns so
lange Zeit darauf vertrösten wollte, dass derlei ausschließlich in einem geheim tagenden Gremium des
Deutschen Bundestags zu erörtern sei. Das ist schlichtweg unverständlich.
({0})
Diese Debatte ist aber in Wahrheit keine Auseinandersetzung zwischen Opposition und Regierung im herkömmlichen Sinne; diese Debatte ist ein gemeinsames
Bemühen des gesamten Parlaments um den Rechtsstaat.
Denn das ist der Kern der Themen, die uns bewegen:
Wie bewältigen wir die Abwehr terroristischer Bedrohungen, ohne den bewährten Rechtsstaat des Grundgesetzes preiszugeben? Um diese Frage geht es.
({1})
Wenn wir das Thema so angehen, dann verfolgen wir
dasselbe Ziel wie diejenigen in der amerikanischen
Gesellschaft und im Kongress, die ebenfalls anstreben,
ausschließlich mit rechtsstaatlichen Methoden in der
Terrorismusabwehr zu arbeiten. Dies zeigt die begrüßenswerte Initiative von Senator McCain.
({2})
Diese Bestrebungen in den USA sind deshalb für uns
so wichtig, weil wir selbstverständlich die weitere Zusammenarbeit mit den amerikanischen Behörden gerade auch in diesem Bereich brauchen, weil wir sie wollen und weil wir den Informationsaustausch zwischen
den Geheimdiensten zur Abwehr terroristischer Gefahren benötigen.
({3})
Aber wir sagen auch klipp und klar, was dabei nicht
geht: Verschleppung und Folter sind als Methoden der
Gefahrenabwehr absolut nicht hinnehmbar.
({4})
Deshalb, Herr Minister Steinmeier, war es mir zu wenig, als ich neulich die Äußerung von Ihnen gelesen
habe, die Bundesregierung habe bei den ganzen Vorgängen gegen keinerlei Vorschrift verstoßen. Das reicht
manchmal nicht aus; manchmal muss man im privaten
Leben, aber auch in der Politik mehr tun, als nur nicht
gegen Vorschriften zu verstoßen.
({5})
Ob die alte Bundesregierung in diesem Sinne im konkreten Fall el-Masri genug getan hat, können wir auch
nach der heutigen Information nicht abschließend bewerten. Die Darlegungen in den Ausschüssen waren von
Zeitnot geprägt; dort konnten nicht alle Fragen angesprochen werden. Sie haben jetzt im Plenum Ausführungen gemacht, die aber in einem gewissen Widerspruch
zu den Klagen stehen, die man aus der Münchener
Staatsanwaltschaft hört, wo es noch gestern hieß, dass
man von den Bundesbehörden immer nur höre, sie wüssten auch nichts.
Es gibt noch viele offene Detailfragen. Wenn man genau hinhört, erkennt man, dass immer vom Verhalten der
Bundesbehörden die Rede ist, die keine Informationen
nach außen gegeben hätten. Was war denn mit den Landesbehörden? Neu-Ulm liegt bekanntlich in einem Bundesland,
({6})
einem sehr schönen noch dazu. Da muss man nachfragen. Wieso stellt die angesehene „Washington Post“ den
Zeitablauf anders dar, als es der ehemalige Minister
Schily getan hat? Manches ist einem nach wie vor rätselhaft. Wieso soll es fünf Monate gedauert haben, bis eine
angebliche Personenverwechslung aufgedeckt und aufgeklärt worden ist? Gab es in diesen fünf Monaten Rückfragen bei den deutschen Behörden, wer denn el-Masri
sei? Warum wurde jemand, der monatelang verschwunden ist, von niemandem als vermisst gemeldet?
({7})
Das sind ganz einfache Fragen, die man stellen muss.
({8})
Das sind Detailfragen, die uns aber nicht vom Kern
des Problems ablenken. Denn vom damaligen Bundesinnenminister Schily selber wird berichtet, dass er im
Februar 2005 erfolglos bei amerikanischen Behörden interveniert habe; erfolglos in dem Sinne, dass er keine
Zusicherung erhalten hat, dass sich eine solche Verschleppung nicht wiederholen wird.
({9})
Da stellt sich natürlich die Frage: Wie ist denn eine solche Reise eines Bundesministers zu einem so brisanten
Thema in der alten Bundesregierung vorbereitet worden? Was war die Linie des Auswärtigen Amtes und des
damaligen Bundesaußenministers, der in der heutigen
Debatte leider nicht anwesend ist? Wie ist über die erfolglose Mission berichtet worden und welche Folgerungen hat man daraus gezogen, was man zu tun hat, damit
sich solche Rechtsverletzungen nicht wiederholen?
({10})
Wir müssen uns noch einmal klar machen: Es ging
hier um massive Rechtsverstöße. Jeder, der verhaftet
wird, hat gewisse Rechte. Er darf einen Anwalt wählen.
Er darf Kontakt zu seiner Familie aufnehmen, wenigstens brieflich. Wenn er im Ausland inhaftiert wird, kann
er konsularischen Schutz durch die Bundesregierung
beanspruchen. Im konkreten Fall el-Masri war es so,
dass ein deutscher Staatsangehöriger über Monate rechtlos gestellt worden ist.
Jetzt komme ich zu meinem Ausgangsgedanken zurück. Es reicht eben nicht, nicht gegen Rechtsvorschriften zu verstoßen.
({11})
Man muss eine öffentliche Debatte beginnen, die einem
solchen Vorgang ganz klar widerspricht.
({12})
Denn jede stillschweigende Hinnahme von Verschleppung und Folter würde dazu beitragen, dass unser
Grundkonsens in Gefahr geriete, den wir alle in diesem
Parlament haben, nämlich dass wir uns bei der Bekämpfung terroristischer Gefahren strikt an das Grundgesetz
und an die Grundrechte halten.
({13})
Ich sage Ihnen Folgendes: Bei unseren Auseinandersetzungen um Schily I und Schily II, die wir hier im Plenum ausgetragen haben, ging es um Abwägungsfragen.
Aber wir als FDP haben immer entschieden widersprochen, wenn beim Thema Folter in öffentlicher Debatte
plötzlich keine Prinzipienfestigkeit mehr zu spüren war;
übrigens gibt es Staatsrechtler, die Folter wieder für zulässig halten. Wir haben - auch im Parlament - entschieden widersprochen,
({14})
wenn Vorschläge wie die Einführung einer verfassungswidrigen Sicherungshaft gemacht wurden. Wir haben
ganz klar widersprochen, wenn die These vom Feindstrafrecht aufgetischt wurde, nach der man in einer solchen Situation die normalen Rechtsregeln außer Kraft
setzen müsse, um der jeweiligen Gefahr zu begegnen.
Das Entscheidende ist: Wir müssen die Debatten über
Einzelfälle wie Guantanamo und die dortigen Vernehmungen sowie über den Fall el-Masri dazu nutzen, den
Grundkonsens zu bekräftigen, dass in einem Rechtsstaat
wie der Bundesrepublik Deutschland, auch wenn es um
die Abwehr von Gefahren geht, in jedem Fall die Grundrechte eingehalten werden.
({15})
Darin sind wir uns einig.
({16})
Daran dürfen wir keinen Zweifel aufkommen lassen, ({17})
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
- indem wir zum Beispiel bei Vorgängen, die nicht erträglich sind, schweigen. Das Entscheidende an dieser
Debatte ist also, dass wir diesen Grundkonsens bekräftigen.
({0})
Für die Beantwortung der Einzelfragen brauchen wir
noch weitere Informationen. Daher tagen die Ausschüsse auf unseren Wunsch und auf den Wunsch anderer morgen weiter. Wir als FDP behalten uns alle parlamentarischen Schritte vor, die notwendig sind, um diese
Fragen zu klären.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Eduard Lintner, CDU/CSUFraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Kollege Dr. Stadler, wir sind uns einig,
wenn Sie sagen, dass Regierung und Parlament diesen
Vorgang in einer gemeinsamen Anstrengung aufklären
müssen. Deshalb finde ich es sehr sachgerecht und begrüßenswert, dass sich alle Fraktionen dieses Hohen
Hauses darauf verständigt haben, sich mit diesem sensiblen und brisanten Thema im Rahmen einer vereinbarten Debatte, nicht aber in einer hektischen Aktuellen
Stunde zu befassen.
Wir sind uns auch darin einig, dass dadurch am ehesten die von uns angestrebte und unterstützte notwendige,
angemessene und umfassende Aufklärung gewährleistet
werden kann. Dadurch haben wir die Möglichkeit geschaffen, der erschreckten Öffentlichkeit das beruhigende Signal zu geben, dass Regierung und Parlament
den Vorgang im Griff haben. Das ist für diejenigen, die
sich für diesen Fall interessieren, wichtig.
Wir werden uns also gemeinsam um die bestmögliche
Aufklärung kümmern. Das tun wir in aller Öffentlichkeit, wenn es zum Beispiel um den Schutz unserer Bürger geht. Über die vertraulichen Aspekte, die mit diesem
Fall verbunden sind - der Außenminister hat darauf hingewiesen -, werden wir im nicht öffentlichen Kontrollgremium des Parlaments unterrichtet, in dem die Wahrung geheimdienstlicher Verschwiegenheit aufgrund
unserer eigenen Sicherheitsinteressen oder der Sicherheitsinteressen unserer Partnerländer unverzichtbar ist.
Dafür müssen wir uns - auch hier gebe ich Ihnen
Recht - die notwendige Zeit nehmen. Deshalb werden
sich auch die Fachausschüsse noch lange Zeit mit dieser
Angelegenheit zu befassen haben.
Ich glaube, dass gerade die detaillierten und sehr
sachgerechten Ausführungen des neuen Außenministers
ein guter Auftakt und ein sehr beruhigendes Beispiel dafür sind, wie man mit einem solchen Vorgang richtig umgeht und wie solche Sachverhalte künftig in aller Ruhe,
in aller Offenheit und in ihrem gesamten Umfang aufgeklärt werden sollten.
Die Aufklärung des Falls el-Masri „liegt in der Hand
der Regierung“ - so wurde Reinhard Bütikofer von den
Grünen in den letzten Tagen in einer Zeitung zitiert. Natürlich ist das nicht falsch. Aber wenn man die stattliche
Liste von Fragen, die die Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen zur Beantwortung eingereicht haben, sieht,
dann könnte man fast den Eindruck gewinnen, dass dieses Geschehen an den Grünen völlig vorübergegangen
ist.
({0})
Sie tun so, als hätte es nie eine maßgebliche Beteiligung
an der Regierung und damit eine Verantwortung grüner
Spitzenpolitiker just zu der Zeit, als sich all das ereignet
hat, gegeben.
Etwas verwundert liest man in den beiden Kleinen
Anfragen der Grünen zu diesem Thema Fragen wie zum
Beispiel:
Inwieweit ist der Bundesregierung ferner bekannt
bzw. kann sie Medienberichte bestätigen, dass …
K. el-M. laut einem dem Auswärtigen Amt schon
seit Juni 2004 vorliegenden Bericht
({1})
an Bord einer CIA-Maschine misshandelt worden
ist …?
Weiter heißt es:
Was hat die Bundesregierung
- man könnte auch hinzufügen: der Bundesaußenminister seither unternommen, um … diese Sachverhalte
aufzuklären …?
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Grünen-Fraktion, für den Fall, dass Sie es verdrängt haben: Der
Außenminister hieß damals Joschka Fischer. Er war zudem Vizekanzler und Ihr höchster Mann hier in Berlin.
Warum fragen Sie ihn also der Einfachheit halber nicht
selbst?
({2})
Teilen Sie uns dann mit, was er gesagt hat! Wir wissen es
nämlich auch nicht und es wäre interessant, das einmal
zu hören.
Natürlich verlangen auch wir eine umfassende und
plausible Aufklärung des Falles el-Masri und wollen
Vergleichbares für die Zukunft ausgeschlossen wissen.
Aber im Gegensatz zu Ihnen, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Grünen-Fraktion, die Sie damals mit
an den Schalthebeln der Regierung waren, trifft uns eben
keine Verantwortung für diese Vorgänge. Deshalb rate
ich Ihnen, alle Polemik und Selbstgefälligkeit in diesem
Fall abzulegen und ehrlich bereit zu sein, daran mitzuarbeiten, das Geschehen rückhaltlos aufzuklären.
({3})
Dazu hätte einer von Ihnen sehr viel beitragen können,
wenn er heute da gewesen wäre, nämlich Ihr früherer
Außenminister Joschka Fischer.
({4})
Meine Damen und Herren, es ist wichtig - nicht nur
für uns, sondern auch für die ganze Welt -, dass es ein
paar allgemein anerkannte und befolgte Regeln für den
Umgang von Staaten mit Menschen gibt. Zwar haben
wir, wie wir alle wissen und bedauern, diesen Idealzustand noch längst nicht erreicht, aber zumindest diejenigen, die dieses hohe Ziel einfordern, müssen sich selbst
ohne Wenn und Aber daran halten; sonst ist der Kampf
dafür unglaubwürdig und wir können ihn gleich aufgeben. Dass so menschenverachtende und grausame Exzesse wie gnadenloser Terrorismus dazu führen, dass
Diskussionen entstehen, zum Beispiel darüber, ob das
Folterverbot allzeit gültig sein muss - worum es ja in
den USA zurzeit geht -, ist verständlich. Aber unsere
Aufgabe als Politiker demokratischer Staaten muss es
sein, abzuwägen und besonnen zu bleiben.
Doch nicht nur aus eigener - moralisch, religiös oder
rein humanistisch begründeter - Überzeugung müssen
wir dafür sein, dass Menschenrechte, elementare Prinzipien des Rechtsstaats und der Demokratie, immer
und überall gelten. Es gibt auch hochrangige, feierlich in
völkerrechtlich verbindlicher Form eingegangene Verpflichtungen, sich so zu verhalten.
({5})
Ich will nur drei davon nennen: die Menschenrechts- und
die Anti-Folter-Konvention der UNO, die Europäische
Menschenrechtskonvention und auch den Grundrechtekatalog in unserem Grundgesetz oder in Verfassungen
anderer Staaten.
Wenn man auf Dauer friedlich und gedeihlich auskommen will, dann muss sich jeder darauf verlassen
können, dass diese elementaren Grundregeln stets gelten, dass Verstöße dagegen nicht geduldet, sondern verfolgt und dass mögliche Fehler in Zukunft abgestellt
werden.
({6})
Das hat, soweit es nach amerikanischem Recht offenbar vertretbar ist, die amerikanische Außenministerin
Condoleezza Rice bei ihrem Besuch hier in Deutschland
ja auch zugesagt und deutlich gemacht. Ich finde, das
war ein guter und in diesem Zusammenhang sehr wichtiger Auftakterfolg der neuen Regierung bei der Bewältigung dieser nicht einfachen Probleme.
({7})
Mit unserer klaren und kalkulierbaren Position helfen
wir ihr und anderen in den USA dabei, diese Grundsätze
gegenüber der heimischen Öffentlichkeit in den USA zu
vertreten und schließlich auch durchzusetzen.
Damit hat diese Debatte bereits ein respektables Ergebnis gezeigt. Wenn wir im gleichen guten Stil weitermachen, werden wir überzeugen und in der Zukunft
Gutes für die Geltung und Durchsetzung der Menschenrechte in der ganzen Welt bewirken können.
Vielen Dank.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gregor Gysi,
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In seiner Rede hat Kollege Stadler, und zwar zu Recht,
die Rolle des Parlamentes und auch der Bundesregierung
in diesem Zusammenhang aufgeworfen, wozu es vieler
Erklärungen bedarf.
Unsere Zeit ist geprägt durch verschiedene, auch tragische Ereignisse. Kriege und Terrorismus, das alles hat
zugenommen. Ich weiß auch, dass eine gewisse Hilflosigkeit entstanden ist. Es gibt aber ein Mittel, um dagegen wirksam vorzugehen, und zwar die Einhaltung des
Völkerrechts.
({0})
Das Völkerrecht ist aber immer stärker verletzt worden.
Ich darf daran erinnern - das sage ich ohne jede Polemik -: Vor längerer Zeit stand ich in diesem Haus ziemlich alleine da, als ich darauf hinwies, dass der Jugoslawienkrieg völkerrechtswidrig ist, weil der Sicherheitsrat
nicht einbezogen worden ist.
({1})
Es gab für ihn zwar Argumente moralischer und anderer
Art, den Sicherheitsrat aber hat man nicht einbezogen.
Das war übrigens ein Grund für die USA, beim Irakkrieg
den Sicherheitsrat ebenso zu ignorieren; denn das war
schließlich auch schon vorher geschehen. Wenn man
Völkerrecht verletzt, muss man immer wissen, dass man
es damit zerstört, dass es in der alten Form nicht wiederkommt.
Das gilt erst recht für die Vorgänge, von denen wir
jetzt erfahren. Sie, Herr Außenminister Steinmeier, haben sich gegen Vorwürfe verteidigt, die ich gar nicht gehört habe. In diesem Hause hat doch niemand der Bundesregierung vorgeworfen, Gefangene irgendwohin zu
schicken, damit sie gefoltert werden.
Nein, es geht um etwas ganz anderes: Die USA haben
im Kampf gegen den Terrorismus bestimmte Normen
weltweit außer Kraft gesetzt.
({2})
Verstehen Sie, die Regierung der USA will diesbezüglich ihr eigenes Recht nicht. Die USA scheuen die USA;
das muss man sich einmal vorstellen. Sie bringen ihre
Gefangenen nicht in die USA, lassen weder ihre Gerichte noch ihre Rechtsanwälte zu. Dafür nehmen sie den
Teil Kubas, den sie innehaben und wo kein Recht
herrscht. In Guantanamo sitzen Menschen seit vier Jahren ohne alle Rechte ein. Die USA sagen, sie sind keine
Kriegsgefangenen, entsprechende Rechte haben sie
nicht; sie sind keine Untersuchungshäftlinge, entsprechende Rechte haben sie nicht. Diese Menschen sind seit
fast vier Jahren rechtlos. Das ist doch nicht hinnehmbar!
Wir müssen auch im Interesse der Rechtsstaatlichkeit,
im Interesse eines zivilisatorischen und kulturellen Fortschritts in Europa sagen: Nein, so etwas darf nicht gemacht werden, hier ziehen wir eine Grenze, auch und gerade bei einem Verbündeten.
({3})
Von den Vorgängen in diesem Teil Kubas wusste ich.
Jetzt kommen Informationen über Geheimgefängnisse
der USA in anderen Ländern, zum Beispiel in Osteuropa, zutage. Es wird Sie nicht wundern: Ich bin darüber wirklich entsetzt. Ich muss hören, dass es Gefangene in Syrien gibt. Ich bitte Sie, Syrien! Herr Bundesaußenminister, die USA erklären, das sei ein Schurkenstaat, dort gebe es Folter, sie drohen einen Militärschlag
an, sagen aber gleichzeitig, man könne dort Gefangene
gut vernehmen, deswegen schicke man sie dorthin. Das
ist doch indiskutabel! Dazu müssen wir klar Nein sagen.
So etwas darf man nicht machen. Gerade auch bei
Freunden muss man Nein sagen.
({4})
Es gibt einzelne Punkte, die der Aufklärung bedürfen.
Ich tue ja gar nicht so, als ob ich es weiß. Aber ich lese
in der „Washington Post“ von einem anderen Zeitpunkt,
zu dem Minister Schily informiert worden ist. Übrigens
ist Herr Schily auch nicht hier. Wenn Sie schon kritisieren, dass Herr Fischer nicht anwesend ist, hätten Sie erwähnen müssen, dass Herr Schily auch nicht hier ist.
Wenn schon, dann muss man das Bild vollständig zeichnen.
({5})
Ich lese, er habe vor der Freilassung davon erfahren.
Von ihm hören wir, er habe diese Information zwei Tage
danach bekommen. Die einfache Logik spricht natürlich
dafür, dass er es vorher erfahren hat; denn die US-Regierung war doch daran interessiert, ihn dafür zu gewinnen,
dass das möglichst nicht bekannt wird. Das macht natürlich nur dann Sinn, wenn man es ihm vorher gesagt hat.
Genau weiß ich es aber nicht, schließlich war ich nicht
dabei. Aber ich finde, diesbezüglich können wir Aufklärung verlangen.
Es gibt einen Punkt, über den wir uns verständigen
müssen. Herr Außenminister Steinmeier, Otto Schily hat
ja gesagt, er habe die Staatsanwaltschaft nicht informiert, weil er kein Gehilfe der Staatsanwaltschaft sei.
Das ist in einem von ihm autorisierten Interview nachzulesen. Ich bitte Sie! Er stützt sich dabei auch auf § 98 der
StPO und sagt: Das ist zum Wohle der Bundesrepublik.
Dürfen wir dann bitte einmal über das Wohl der Bundesrepublik diskutieren?
Dass die Entführung zum Wohl der Bundesrepublik
ist, wird niemand behaupten. Also stellt sich die Frage,
ob die Geheimhaltung dessen zum Wohle der Bundesrepublik ist. Ich bestreite das ganz energisch und sage:
Hier ist eine kulturelle Grenze überschritten worden, an
der wir klar und öffentlich Nein sagen müssen, wenn wir
das für die Zukunft ausschließen wollen. Verstehen Sie,
wenn wir der US-Regierung sagen, dass wir immer die
Klappe halten, wenn wir so etwas erfahren, dann tun wir
das Gegenteil von dem, was wir brauchen und was auch
international nötig ist.
({6})
Auch beim internationalen Recht gilt immer: Entweder es gilt für alle Staaten oder es gilt für keinen. Was
wir von den USA nicht verlangen, können wir auch von
Uganda nicht verlangen. Was hätte Herr Schily denn
gesagt, wenn der ugandische Botschafter ihm so etwas
mitgeteilt hätte? Sie glauben doch nicht im Ernst, dass er
gesagt hätte, darüber zu schweigen. Er hätte völlig anders reagiert. Ich hätte mir gewünscht, dass er auch gegenüber dem amerikanischen Botschafter so reagiert
hätte, wie er dort reagiert hätte, und dass er gesagt hätte:
Das kann ich nicht.
({7})
Hat er den Bundeskanzler nun informiert oder nicht?
Ich erfahre es nicht. Hat er den Bundesaußenminister informiert oder nicht? Das wäre doch ein Ding! Wenn der
Kanzler einen Innenminister gehabt hätte, der informiert
wurde, ihm als Kanzler aber nichts gesagt hätte, dann
müsste er sich jetzt beschweren. Hat er den Außenminister informiert oder hat er es nicht getan? Ich will wissen:
War das eine Sache der Regierung oder war das die Sache einer Einzelperson? Das wird man doch noch erfahren dürfen.
Das hat übrigens auch gar nichts mit Geheimnissen
der Geheimdienste zu tun. Es geht um die Aufklärung
schwerer Straftaten. Der Mann ist entführt worden. Es
gab keinen Haftbefehl. Die deutschen Behörden sind
nicht informiert worden. Was ist das denn für eine
Freundschaft zwischen den USA und Deutschland? Die
USA haben Verdachtsmomente gegen einen Mann. Warum können sie nicht unsere Behörden informieren und
sagen, das sind die Verdachtsmomente, vernehmt ihn,
wir hätten gerne Informationen? Nein, sie entführen ihn
nach Mazedonien. Fünf Monate später sollen sie dann
einen Satz dazu gesagt haben. Was ist das denn für eine
Freundschaft? Ich bin völlig weg. Ich kann das überhaupt nicht verstehen.
({8})
Ich finde, dagegen muss man sich wehren. Man muss
auch den amerikanischen Freunden sagen, dass das nicht
geht, und zwar unter anderem deshalb nicht - lassen Sie
mich das sagen -, weil die Überwindung des Ost-WestKonflikts mit einem großen moralischen Anspruch gelungen ist. Man hat gesagt: Weg mit Diktatur, her mit
Demokratie, her mit Rechtsstaatlichkeit!
Ich sage Ihnen: Wir alle haben die schlimmen Ereignisse vom 11. September 2001 in Erinnerung. Das war
eine Katastrophe. Man kann es gar nicht anders bezeichnen. Trotzdem und gerade deshalb sage ich: Wenn auch
wir die Rechtstaatlichkeit aufgeben und die USA plötzlich Gefangene in irgendwelche Länder bringen - ich
lese jetzt von Nordafrika -, welcher Staat entspricht dort
dann noch unseren demokratischen und rechtsstaatlichen
Vorstellungen? Man erfährt ja nichts Genaueres.
Herr Kollege Gysi, Sie reden im Augenblick auf Kosten Ihrer Kollegen.
Ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin. Wenn auch wir die Rechtstaatlichkeit aufgeben und
wenn auch wir sagen, keine Rechte für diese Leute, die
Rechtsstaatlichkeit und die Rechte der betroffenen Personen interessieren uns nicht - ({0})
- Wenn die USA-Regierung das sagt, dann dürfen wir
dazu nicht schweigen, sondern dann müssen wir im Interesse der Zivilisation, der europäischen Kultur und unserer eigenen Rechtstaatlichkeit dagegen auftreten. Darum
geht es.
({1})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über
was reden wir heute? Ich kann einigen Vorrednern nur
beipflichten: Es geht natürlich um das große Problem
des internationalen Terrorismus. Es geht um Vorfälle, die
hier schon bezeichnet worden sind, nämlich um den
11. September, um die Anschläge in London und Madrid
und um die Frage, wie wir mit der Art und Weise, wie
die Länder an dieser Stelle versuchen, Aufklärung zu betreiben, umgehen. Was heißt das für uns selbst?
Eines will ich ganz klar sagen: Wir wissen, dass wir
es hier mit einer Existenzbedrohung zu tun haben und
dass man auf dieser Ebene, auf der es um die Art und
Weise geht, wie zum Beispiel al-Qaida arbeitet - auch
grenzüberschreitend mit allen Finessen und Tricks -, auf
eines nicht verzichten kann, nämlich auf Geheimdienste.
Deutschland kann sich - unsere Aufgabe ist es, hier im
Land für Sicherheit zu sorgen - aus dem Informationsaustausch nicht ausklinken; denn wenn andere international agieren, dann brauchen wir den Informationsaustausch, um die Menschen bei uns und in anderen
Ländern zu schützen. Das ist der erste Punkt.
({0})
Eines ist ganz klar: Für uns gilt an dieser Stelle immer
die Selbstbindung an das Recht. Darüber kann nichts
stehen. Wer Terrorismus bekämpfen will, muss immer
klar sagen: Wir halten uns an das Recht, und zwar an das
nationale, das internationale und an das Völkerrecht.
Über diese Debatte geht gar nichts.
({1})
Unser wirkliches Problem ist, dass wir von einer
transatlantischen Wertegemeinschaft reden, aber an dieser Stelle feststellen, dass unsere Werte in Kernpunkten
nicht übereinstimmen. Das ist der Kern des Problems.
({2})
Ich sage ganz klar: Die Todesstrafe ist für uns in Europa nicht akzeptabel. Folter ist für uns in Europa nicht
akzeptabel. Menschen zu verschleppen oder fliegende
Gefängnisse zu unterhalten ist für uns nicht akzeptabel.
Darin unterscheiden wir uns von den USA. Genau darin
liegt das Problem, über das wir reden müssen, und zwar
gerade wegen unserer freundschaftlichen Beziehungen.
Das gehört dazu.
({3})
Ich erinnere an das, was in den letzten Wochen passiert ist. Frank Steinmeier hat hier gerade über Condoleezza Rice und das Gespräch der Bundeskanzlerin mit
Condoleezza Rice gesprochen, das meines Erachtens ein
Fehlstart war. Sie haben gesagt, Frau Rice habe einen
Fehler eingestanden. Frau Rice hat erklärt: Mitnichten
habe ich einen Fehler zugegeben. Da geht das Problem
schon los. Es reicht uns nicht, dass Frau Rice zusagt: Wir
halten uns an das internationale Recht. Aber sich an das
internationale Recht zu halten macht nur dann Sinn und
ist nur dann greifbar, wenn das Gefängnis in Guantanamo geschlossen wird. Das muss die Antwort auf ihre
Zusage sein.
({4})
Auch die USA müssen zusagen, keine Menschen
mehr von einem Land in ein anderes zu verschleppen,
weil ihnen das dortige Recht mehr Möglichkeiten gibt
und sie sie so der US-Gerichtsbarkeit entziehen, die ihnen sonst in die Quere kommen könnte. All das gehört
dazu, wenn wir von der Selbstbindung an das Recht
sprechen.
Genau an dieser Stelle werden wir die Diskussion mit
den USA weiter führen müssen, weil wir nur dann
glaubwürdig sind. Nur dann kann man sich legitim mit
dem Terrorismus auseinander setzen. Nur dann kann
man islamischen Ländern zu vermitteln versuchen, dass
ein demokratisches, rechtsstaatliches System, das die
Würde der Menschen akzeptiert, Sinn macht. Ansonsten
führen wir uns selbst ad absurdum und gießen am Ende
noch Öl ins Feuer des Terrorismus.
({5})
Trotz der guten Beziehungen, die wir zu den USA unterhalten, gibt es nie im Leben einen Grund, zum Thema
Guantanamo oder el-Masri schlicht und einfach - ich
sage es einmal salopp - die Schnauze zu halten.
Weil es hier um eine öffentliche Diskussion geht
- auch Herr Stadler hat es angesprochen -, will ich Folgendes sagen: Lieber Herr Stadler, diesen öffentlichen
Diskurs hätten Sie mit uns schon vor Jahren führen können. Wir haben angefangen, diese Debatte zu führen, als
wir uns mit dem Irakkrieg auseinander gesetzt haben.
Dabei haben wir darauf hingewiesen, dass es für diesen
Krieg keine Gründe gibt, dass die Argumente von
George Bush nicht stimmen und, wie wir heute lesen
konnten, auf angeblichen Fakten basieren, die durch Folter erpresst worden sind. Zu diesem Zeitpunkt hätten wir
gerne mit der FDP und auch der CDU/CSU eine Debatte
geführt.
({6})
An diesem Punkt hätten wir den öffentlichen Diskurs
anfangen müssen. Wir hätten uns gewünscht, dass Sie
uns in diesen rechtlichen Fragen zu einem frühen Zeitpunkt unterstützt hätten. Wenn man wie bei dem Fall elMasri etwas herausfinden will, kann man gerne darüber
streiten - das sage ich auch zur PDS -, ob nach dem
Brief des Anwalts - Herr Steinmeier hat hierzu einige
Klarstellungen getroffen; auch in den Ausschüssen hat
es dazu Informationen gegeben - die notwendigen
Schritte unternommen worden sind. Das habe ich heute
Morgen aus den Ausschüssen gehört. Natürlich kann
man darüber streiten - das gebe ich zu -, ob man die Debatten dazu öffentlich oder nicht öffentlich führt, wo
man mehr darüber erfährt und was strategisch klüger ist.
Darüber können wir diskutieren. Aber ich versichere Ihnen - so viel Zeit muss sein -: Die hiesigen Behörden
haben sich bemüht, herauszufinden, ob die Vorwürfe zutreffen, und sie haben auch versucht, die Staatsanwaltschaft zu unterstützen.
({7})
Wir haben in diesem Zusammenhang noch jede
Menge Fragen. Ich freue mich, dass dies auch für die
FDP gilt. Sie hätten aber schon im Januar dieses Jahres
intensiv über diese Fragen diskutieren können.
({8})
- Mit Verlaub: Damals haben manche in diesem Hause
bei jeder Kritik an den USA auf die transatlantische
Freundschaft hingewiesen; sie meinten, das Verhältnis
zu den USA müsse verbessert werden. Wegen der Auseinandersetzung mit Rot-Grün im Wahlkampf wollten Sie
sich dieser Debatte nicht stellen. Das ist Ihr Menschenrechtsverständnis in diesem Zusammenhang, lieber Herr
Westerwelle.
({9})
Andernfalls hätten Sie als Hansdampf in allen Gassen
diese Debatte im Januar längst aufgenommen.
({10})
Es geht also nicht um eine Show; vielmehr müssen
die USA deutlich aufgefordert werden, rechtswidrige
Praktiken zu unterlassen. Es muss uns auch darum gehen, den Ablauf aufzuklären.
({11})
Heute wurde im Ausschuss einiges an Fakten dargelegt. Wir wollen und werden die Aufklärung fortsetzen.
Wir wollen wissen, welche Kontakte und Auseinandersetzungen es bei den Sicherheitsbehörden und welche
konsularischen Bemühungen um deutsche Staatsbürger
es gab. Was den Auswärtigen Ausschuss angeht, haben
wir deutlich gemacht, dass heute nicht alle Fragen hinreichend beantwortet wurden. Insofern muss - nicht nur
im Parlamentarischen Kontrollgremium, sondern auch in
den anderen Ausschüssen, zumindest im Auswärtigen
Ausschuss - in dieser Angelegenheit weiter recherchiert
werden.
Ich glaube - das richte ich an alle, auch an die jetzige
Bundesregierung -, derzeit ist die Verwirrung in der Öffentlichkeit so groß, dass wir alle gut beraten sind, gemeinsam eine möglichst transparente, öffentliche Debatte zu führen, weil wir nicht zulassen können, dass die
Medien ein Durcheinander schaffen, in dem wir uns
nicht vernünftig äußern können. Es muss uns daran gelegen sein, dass in der Debatte Transparenz herrscht und
über die Wahrheit öffentlich diskutiert wird, wenn es um
die Frage geht: Wer hat was wann gemacht?
Lassen Sie mich noch eines anmerken, weil wir
schließlich dem Prinzip der „Checks and Balances“ gerecht werden müssen: Wir haben die Aufgabe, hier und
andernorts Sicherheit zu schaffen und Terrorismus zu
bekämpfen. Wir haben die Aufgabe, klar zu machen,
dass wir uns zu jedem Zeitpunkt an das Recht gebunden
fühlen. Das ist unsere Verpflichtung, und zwar aus guten
Gründen, und wir halten uns daran.
Fazit unserer Bemühungen sollte nicht nur die nationale Aufklärung über Flüge, fliegende Gefängnisse und
Folter sein. Wir sollten auch die internationale Ebene
nutzen. Das gilt auch für das bevorstehende Treffen der
Regierungschefs, Frau Merkel. Europa muss ein Zeichen
setzen, dass so etwas in keinem der 25 Mitgliedstaaten
der Europäischen Union passieren darf, weil unser europäisches Recht Folter verbietet. Wenn es dazu kommt,
engagieren wir uns für alle unsere Staatsbürger.
({12})
Das Wort hat der Kollege Walter Kolbow, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Ich denke, dass nach den
Auskünften in den heutigen Ausschusssitzungen und
insbesondere nach den Darlegungen des Herrn Außenministers eben im Plenum deutlich geworden ist, dass
sich die Bundesregierung sowohl im Fall el-Masri als
auch im Zusammenhang mit den CIA-Flügen nicht nur
rechtlich einwandfrei, sondern auch - das gilt insbesondere für Sie, Herr Außenminister, in Ihrer früheren
Funktion als Chef des Bundeskanzleramts - politisch
richtig verhalten hat.
({0})
Sie können sich auch an den Anwalt von Herrn elMasri wenden, der sich selbst öffentlich geäußert und
deutlich gemacht hat, dass sich die Bundesregierung wie
auch die beteiligten Dienststellen auf Bundesebene rasch
und intensiv um den Fall gekümmert haben. Es geht
nicht an, Herr Stadler und Herr Gysi, den handelnden
Akteuren der damaligen Bundesregierung zu unterstellen, sie hätten stillschweigend Folter oder Verschleppung hinnehmen wollen.
Ganz im Gegenteil: Die überzeugende Darlegung des
Außenministers, was getan worden ist, relativiert dies
nicht nur, sondern stellt das klar in Abrede.
({1})
Ich denke, es ist deutlich geworden, dass die Gewährleistung der Freiheit und der Unversehrtheit
unserer Bürgerinnen und Bürger ein Grundanliegen
nicht nur dieses Parlaments ist. Frau Kollegin Künast,
ich füge hinzu: Jawohl, es bestand bereits seit Januar
2005 die Chance, dies auch im Parlament zu beraten,
sich abzusprechen und sich dazu zu verhalten. Ich stelle
das nur für mich selbstkritisch fest. Ich meine aber, dass
hier alle angesprochen sind, ausgenommen - das räume
ich ein - Sie von der Fraktion Die Linke.
Vier wesentliche Punkte müssen herausgestellt werden: Erstens. Wir hatten und haben keinen Anlass, daran
zu zweifeln, dass sich diese Bundesregierung an Recht
und Gesetz gehalten hat.
Zweitens. Wir haben klare Auskunft bekommen, dass
keine deutsche Stelle in irgendeiner Form an der Entführung eines deutschen Staatsbürgers beteiligt war.
Drittens. Nach den bisherigen Informationen - wir
fahren ja morgen fort, um die Fragen, die Ihrer Meinung
nach offen geblieben sind, zu beantworten - schlussfolgere ich, dass die Forderung nach Einsetzung eines Untersuchungsausschusses nicht berechtigt ist.
({2})
Die Bundesregierung hat nichts zu verbergen und hat offen und ausführlich - lesen Sie intensiv nach, was der
Außenminister gesagt hat! - über die Fakten berichtet.
({3})
Viertens. Wir setzen darauf - ich hoffe, dass wir uns
zumindest darin einig sind -, dass sich Europa und die
USA in den Fragen betreffend das allgemeine Folterverbot und die universellen Menschenrechte wieder
annähern.
Das, was Jeffrey Gedmin in der heutigen Ausgabe der
„Frankfurter Rundschau“ schreibt - er ruft nach einer
Anpassung des Rechtes, um ein „richtiges“ Vorgehen
gegen den internationalen Terrorismus zu ermöglichen -, fordert uns heraus. Wir wollen, ja müssen daWalter Kolbow
rüber eine Debatte mit unseren amerikanischen Freunden führen. Eine solche Debatte ist in Amerika bereits
im Gange. Die Initiativen von Senator McCain verdienen jedwede Unterstützung; denn er will - mit Chance
auf eine große Mehrheit - nicht nur Folter, sondern auch
die erniedrigende Behandlung von Gefangenen generell
ausschließen. Das ist auch unser parlamentarischer Auftrag. Wir sollten daher die Bundesregierung in ihrem
Anliegen unterstützen, dass in der Tat niemand Folter
oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung bzw. Strafe ausgesetzt werden darf.
({4})
Dies gehört zur Rechtskultur der Europäer, also auch
der Deutschen. Das ist nicht anpassbar. Deswegen beginnen wir, in diesem Parlament eine intensive Debatte in
Richtung der Verantwortlichen jenseits des Atlantiks zu
führen.
Im Hinblick auf den Fall el-Masri sollte in dieser
Debatte noch einmal unterstrichen werden, dass wir erwarten, dass sich unser amerikanischer Partner mit dem
Betroffenen ins Benehmen setzt und mit ihm das Notwendige verantwortlich abklärt. Die Erlaubnis für Herrn
el-Masri zur Einreise nach Amerika ist ein erster Schritt
in die richtige Richtung. Wir gehen davon aus, dass sich
die Bundesregierung im Sinne einer nachträglichen Fürsorge weiterhin intensiv um den Fall el-Masri kümmert
und in den anderen Fällen, über die wir heute zwar nicht
im Plenum, wohl aber in den Ausschüssen gesprochen
haben, ähnlich initiativ wird. Es wäre richtig, wenn unser amerikanischer Partner das genauso handhabte.
Da in der öffentlichen Debatte Zweifel an der Position
zum Irakkrieg geäußert worden sind und weil hier Vermengungen stattgefunden haben, die meines Erachtens
unzulässig sind, will ich für meine Fraktion sagen: Die
klare Position, die Deutschland zum Irakkrieg eingenommen hat, gilt weiter, ebenso wie unsere konstruktive
Haltung zum Wiederaufbau des Iraks, der für die Menschen in diesem Land und die Stabilisierung der Region
wichtig ist, und zwar unabhängig von unterschiedlichen
Einschätzungen in dieser Frage.
Der Außenminister hat richtigerweise ausgeführt,
dass das Aufklärungsinteresse der Bundesregierung auch
das Aufklärungsinteresse des Parlaments ist, was die
CIA-Flüge und die Unterstützung der Initiativen des
Europarates angeht. Ich denke auch, dass die Initiative
zu einer Untersuchung im Europäischen Parlament
durchaus begleitet werden kann.
Die grundsätzliche deutsche Position zur Terrorismusbekämpfung ist mit dieser Beschreibung und durch
das, was der Kollege Lintner gesagt hat, aber auch durch
das, was von anderen Rednern eingebracht worden ist,
klar: Terrorismus ist mit demokratischen Mitteln, einem
Höchstmaß an internationaler Zusammenarbeit und unter Bindung an unser Recht und an das Völkerrecht zu
bekämpfen. Parlamentarisches Engagement ist notwendig, um hierbei Rechtssicherheit zu erzielen.
Ich danke für das Zuhören.
({5})
Das Wort hat der Kollege Dr. Werner Hoyer, FDPFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, zunächst
kurz auf die beiden Vorredner einzugehen. Kollege
Kolbow, wenn Sie jetzt schon wissen, dass es kein weiteres Aufklärungsbedürfnis gibt, das einen Untersuchungsausschuss erforderlich macht, dann wissen Sie
mehr, als uns heute mitgeteilt worden ist. Das sollten Sie
uns dann auch sagen.
({0})
Ich halte diese Frage für völlig offen. Es besteht überhaupt keine Notwendigkeit, sie jetzt unter Druck zu entscheiden. Wir wollen Aufklärung. Wenn wir sie bekommen, dann ist es gut, und wenn wir sie nicht bekommen,
müssen wir uns alle Optionen offen halten.
({1})
Zweiter Punkt. Sie haben lautstark einen Vorwurf zurückgewiesen, den niemand erhoben hat. Niemand, zumindest was unsere Seite des Hauses angeht, hat der früheren oder der jetzigen Regierung vorgeworfen, sie
würde Gefangene irgendwohin schicken, damit sie dort
gefoltert und umso besser befragt werden können. Diesen Vorwurf hat kein Mensch erhoben. Ihre Argumentation erinnerte mich an das lustvolle Erschlagen eines
Pappkameraden. Mit der Realität hat das nichts zu tun.
({2}))
Frau Kollegin Künast, ich weiß eigentlich gar nicht,
wo Sie in den letzten Jahren Ihre Planstelle gehabt haben. Die meisten Fragen hätten Sie innerhalb der Bundesregierung und mit Ihren Kollegen von der Bundesregierung klären können.
({3})
Mir drängt sich der Verdacht auf, dass Frau Bundeskanzlerin Merkel und Herr Minister Steinmeier von der
Vorgängerregierung eine ganz schön problematische
Erblast übernommen haben, was das deutsch-amerikanische Verhältnis angeht. Die Problematik hatte auch
die letzte Bundesregierung erkannt und sie hat sich zum
Schluss bemüht, das Verhältnis wieder ins Lot zu bringen. Angesichts des Porzellans, das vorher zerdeppert
worden war, war die alte Bundesregierung offenbar nicht
mehr frei, das mit der notwendigen Klarheit und Konsequenz anzusprechen, was unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zwischen Freunden offen angesprochen
werden muss.
({4})
Es geht hier um die Erwartung des Bürgers und den
berechtigten Anspruch unserer Bürger, vom Staat geschützt zu werden, auch vor dem willkürlichen Zugriff
fremder Sicherheitsorgane und erst recht vor der Gefahr, möglicherweise gefoltert oder in einem unerträglichen Maße schlecht behandelt zu werden. Es geht auch
darum, was in einem ganz konkreten Fall geschehen ist
oder unterlassen worden ist und wer was wann wusste.
Zum anderen geht es in der heutigen Debatte - Herr
Steinmeier, da haben Sie völlig Recht - schon um die
Frage unserer Haltung zum Kampf gegen den weltweiten internationalen Terrorismus und die oftmals
schwierige Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit.
Die Amerikaner befinden sich seit dem 11. September 2001 im Kriegszustand. Wir als Europäer mögen
das manchmal nicht recht nachvollziehen können, aber
wir sollten uns schon klar machen, dass die Anschläge in
Madrid und London und mancher verhinderter Anschlag
- da haben Sie auch Recht, Herr Steinmeier - deutlich
machen, dass wir alle potenzielle Opfer des internationalen Terrorismus sind.
({5})
Deswegen darf es bei der Frage des Kampfes gegen den
Terrorismus auf europäischer und speziell auf deutscher
Seite auch keine Realitätsverweigerung und erst recht
keine Heuchelei geben. Meine persönliche Auffassung
ist übrigens, dass man an der Grenze dieses Vorwurfs
sein kann, wenn man sehr kritisch zu Guantánamo Bay
Stellung nimmt - wir haben das im Deutschen Bundestag, wenn ich mich recht erinnere, einstimmig interfraktionell getan -, dann aber die Möglichkeiten nutzt, weil
die Leute nun einmal so praktisch festgehalten werden,
dort aufgrund von Vorgaben Befragungen vorzunehmen,
die bei einer Polizeibehörde dann ja von der Staatsanwaltschaft oder der Regierung kommen müssen. Dieses
Thema bietet sich übrigens nicht zur Behandlung in einem geheimen Gremium an; vielmehr haben wir den
Anspruch, darüber im Innenausschuss oder in einem vergleichbaren Gremium offen informiert zu werden.
({6})
Verschiedene Kollegen - insbesondere Kollege
Stadler hat einen eindrucksvollen Beitrag geleistet - haben diejenigen Fragen gestellt, die im Kern unbeantwortet sind. Ich hoffe, dass wir noch mehr Informationen bekommen. Eines ist völlig klar: Die Debatte, die in den
Vereinigten Staaten über das Thema Folter stattfindet,
steht der Debatte in Deutschland und in Europa weder
intellektuell noch im Hinblick auf die notwendige Klarheit nach. Was da stattfindet, ist sehr eindrucksvoll.
({7})
Die Begründung Senator McCains für sein Amendment ist dieselbe, die auch unserer Argumentation zugrunde liegt:
Erstens. Unter Folter gewonnene Ermittlungsergebnisse sind kaum von Wert.
Zweitens. Wer selbst foltert, muss damit rechnen,
dass auch eigene Soldaten eines Tages in Gefangenschaft gefoltert werden.
Drittens - dieser Punkt ist der wichtigste, wie ich
finde -: Im Kampf der Ideen dürfen wir die eigenen
Überzeugungen nicht aufgeben; denn sonst hätten wir
diesen Kampf schon verloren.
({8})
Amerika ist in einen sicherlich schmerzhaften und
mühsamen Diskussionsprozess eingetreten. Als gute
Freunde und Partner sollten wir uns daran durchaus beteiligen. Aber wir dürfen nicht infrage stellen, dass wir
im Kampf gegen den internationalen Terrorismus zusammenstehen, dass wir auf die Arbeit und die Zusammenarbeit unserer Dienste angewiesen sind und dass wir
auf keinen Fall zulassen dürfen, dass ein Keil in die
westliche Wertegemeinschaft getrieben wird; denn
dann hätten die Terroristen eines ihrer wichtigsten Ziele
erreicht.
Danke.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nach Art. 20 unseres Grundgesetzes sind in der Bundesrepublik Deutschland die
Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, die
vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz
und Recht gebunden. Das gilt für alle Behörden. Damit
haben auch alle Bürger das Recht auf den Schutz durch
die deutschen Behörden. Lassen Sie mich deswegen
gleich zu Beginn festhalten: Sollte dieses Rechtsstaatsgebot in irgendeiner Form verletzt worden sein, muss
dies lückenlos aufgeklärt werden. Die zuständigen Gremien dieses Hohen Hauses - Ausschüsse und Plenum waren und sind damit heute befasst. Das ist gut so.
Wir müssen diesen Fall so behandeln, wie unsere
Spielregeln es vorschreiben. Das heißt, sämtliche zu prüfenden nachrichtendienstlichen Aktivitäten müssen
im zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremium behandelt werden. Alles andere kann in diesem Haus öffentlich besprochen werden.
Wenn wir so vorgehen - wir sind dabei, das Ganze in
aller Ausführlichkeit zu behandeln; morgen tagen sowohl der Auswärtige Ausschuss als auch der Innenausschuss noch einmal -, dann werden wir Licht ins Dunkel
bringen. Ich kann mir nicht vorstellen, was dann ein Untersuchungsausschuss mit dieser Causa zur Wahrheitsfindung noch mehr soll beitragen können.
({0})
Was speziell die Grünen anbelangt: Was man über
diese Sache von Exaußenminister Fischer bisher noch
nicht erfahren konnte, wird man auch in einem Untersuchungsausschuss nicht erfahren können.
({1})
Ich spreche hier aus leidvoller persönlicher Erfahrung.
({2})
Denn dieser Herr kann sich, wenn es sein muss,
15 Stunden lang ununterbrochen an nichts erinnern. So
viel zu diesem Herrn.
({3})
Nun zum Sachverhalt. Der Fall el-Masri ist von
Herrn Minister Steinmeier hier eigentlich schon in aller
Deutlichkeit dargestellt worden.
Er wurde glücklicherweise und richtigerweise vom
Verfassungsschutz fortlaufend beobachtet. Das Multikulturhaus in Neu-Ulm war ein Treffpunkt auch von radikalen Islamisten. Deswegen musste hier alles getan
werden, um diese Szene zu durchleuchten. Die Nähe von
el-Masri zu möglicherweise in terroristische Anschläge
verwickelten anderen Islamisten ist bekannt. Dies war
der Grund dafür, dass er unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stand.
Die Erklärung der deutschen Behörden, sie hätten ihn
nicht an die CIA übermittelt, ist deshalb zwar nicht
zwingend, aber zumindest schlüssig; denn er war eine
Randfigur, aber keine zentrale Figur der Beobachtung.
Einiges spricht sogar dafür, dass es sich um eine Verwechslung handelt. Letzteres kann aber nur im Parlamentarischen Kontrollgremium geklärt werden; denn
nur dort werden nachrichtendienstliche Aktivitäten weiter behandelt.
Seit Juni 2004 ermittelt die Staatsanwaltschaft München wegen Freiheitsberaubung gegen Unbekannt. Eine
Fülle von Maßnahmen wurde auf Bundes- und Landesebene von allen Behörden vorgenommen. Dies alles aufzuzeigen würde den Rahmen hier sprengen. Ich weiß übrigens nichts, Herr Kollege Stadler, von Beschwerden
der Staatsanwaltschaft in München über mangelnde Unterstützung durch Bundesbehörden
({4})
und habe ja jüngst noch einmal Kontakt aufgenommen.
Im Gegenteil: Die Maschinerie der Ministerien hat funktioniert. Selbst das Außenministerium hat in dem Fall
funktioniert;
({5})
ohne Zutun des Ministers möglicherweise, aber der Apparat hat funktioniert.
Was nicht funktioniert hat - das muss man zugeben -,
war die Unterrichtung des Parlaments. Weder im Auswärtigen Ausschuss noch im Innenausschuss, auch nicht
im Parlamentarischen Kontrollgremium - das sickert immer mehr durch - wurde von der Regierung über diesen
brisanten Fall zur richtigen Zeit in der richtigen Form
Bericht erstattet.
({6})
- Das ist ein Sachverhalt, dem wir nachgehen, zum ersten Mal heute Abend, wenn, wie ich höre, das neue Parlamentarische Kontrollgremium tagen wird.
Den Vorwurf, deutsche Behörden hätten sich an der
Verschleppung el-Masris gar aktiv beteiligt, halte ich für
abwegig; den würde ich nicht weiter erheben wollen.
Bei allem, was es bei der Behandlung el-Masris durch
die USA möglicherweise zu kritisieren gibt, dürfen wir
eines nicht aus dem Auge verlieren: Die Nachrichtendienste müssen weltweit zusammenarbeiten können.
Die Nachrichtendienste Deutschlands und Europas müssen mit denen der USA zusammenarbeiten. Bei allem,
was wir hier an Aufklärungsbemühungen an den Tag legen: Diese Kreise so zu stören, dass eine konstruktive,
fruchtbare Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus gestört wird, halte ich für unverantwortlich.
({7})
Wer diese Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden aus
parteitaktischen Gründen oder aus welchen Gründen
auch immer stört, der handelt unverantwortlich. Er schadet den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik
Deutschland.
Das Verhältnis der Bundesrepublik zu Amerika ist in
der jüngsten Zeit weiß Gott nicht gerade ungetrübt gewesen. Das heißt, es muss unser Interesse sein, dass das
deutsch-amerikanische Verhältnis nicht noch mehr
verschlechtert wird, sondern, im Gegenteil, sich verbessert. Deswegen war die Art und Weise des Umgangs mit
diesem Thema durch die Bundeskanzlerin beim Besuch
von Frau Condoleezza Rice die Sprache, die gesprochen
werden musste.
Selbstverständlich ist, dass unsere rechtsstaatlichen
Grundsätze, die wir nach dem Zweiten Weltkrieg - übrigens mit Unterstützung der USA - in Deutschland wieder zur Geltung bringen konnten, in der Bundesrepublik
gewahrt werden. Selbstverständlich muss auch die Wahl
der Mittel im Kampf gegen den Terrorismus demokratischen Prinzipien entsprechen. Selbstverständlich müssen diese auch unseren Verbündeten, wenn es denn sein
muss, vorgehalten werden.
Was ist nun zum Verhalten der Mitglieder der Bundesregierung zu sagen? Von Otto Schily in seiner damaligen
Funktion als Bundesinnenminister wissen wir, dass er
erstmals durch das Gespräch mit Daniel Coats am
31. Mai mit der Angelegenheit befasst wurde. Hierüber
hat er Vertraulichkeit zugesagt. Vom seinerzeitigen
Kanzleramtsminister Steinmeier wissen wir, dass alle
Bundesbehörden in der richtigen Art und Weise aktiv
wurden, nachdem der Brief des Rechtsanwalts am 8. Juni
dort eingegangen war.
Nach alledem ist eine vorwerfbare Untätigkeit der alten Bundesregierung nicht festzustellen.
({8})
Die etwas ungewöhnliche und apodiktische Äußerung
von Herrn Schily, er sei nicht der Ermittlungsgehilfe der
Staatsanwaltschaft, will ich nicht weiter kommentieren.
Sie entspricht wohl mehr seinem sattsam bekannten
Selbstverständnis als politischer Solitär, der sich in keine
Maschinerie einspannen lassen will. Vielleicht sprach
hier auch mehr der frühere RAF-Verteidiger als der spätere Verfassungsschutzminister Schily.
({9})
Wir wollen ihn nicht weiter quälen, zumal diese etwas
elitäre Attitüde strafrechtlich ohne jede Relevanz und
politisch von geringer Bedeutung ist.
Die noch offenen Fragen aus geheimhaltungsbedürftigen Erkenntnissen müssen selbstverständlich in dem
rechtlich hierfür vorgesehenen Parlamentarischen
Kontrollgremium erörtert werden. Das werden wir
heute Abend tun. Sollte sich dabei herausstellen, dass die
Rechte und Kontrollmöglichkeiten unzureichend sind,
müssen wir diese Fähigkeiten stärken. Ich habe den Eindruck, dass das Parlamentarische Kontrollgremium in
den letzten Monaten durch die rot-grüne Regierung nicht
in gehöriger Form unterrichtet wurde.
Zum Schluss möchte ich noch eine ganz andere Frage
ansprechen. Der Fall el-Masri - el-Masri wurde 1995
eingebürgert - wirft einige Fragen auf. Nicht, dass wir
der Einbürgerungsbehörde irgendwelche Vorwürfe zu
machen hätten; aber der Fall zeigt, wie richtig es ist, bei
einer Einbürgerung eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz zu stellen, ob gegen den Einzubürgernden
irgendwelche Erkenntnisse zum Beispiel über islamistische Aktivitäten vorliegen. Das wird in Bayern schon
seit 1975 praktiziert. Was war es für ein jahrelanger
Kampf, bis wir das nach den Terroranschlägen vom
11. September 2001 endlich bundesweit durchsetzen
konnten! Diese Regelanfrage muss sein, wenn wir einen
Menschen einbürgern und ihm einen deutschen Pass geben wollen.
Der Fall zeigt auch, dass es ganz wichtig ist, dass die
Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten, um solche Anfragen wahrheitsgetreu und richtig beantworten zu können. Aus diesem Grunde ist es ein unverzichtbares hohes
Gut in unserem Lande, dass die Sicherheitsorgane ihre
Arbeit machen und vom Parlament begleitet und kontrolliert werden. So können sie dazu beitragen, dass die
Sicherheit in unserem Lande aufrechterhalten werden
kann.
({10})
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Ströbele.
Danke, Frau Präsidentin. - Der Kollege Uhl und auch
andere Redner haben die Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums angesprochen, dem ich in den
letzten Jahren anzugehören die Ehre hatte. Dieses Parlamentarische Kontrollgremium ist ja etwas in die öffentliche Diskussion gekommen. Ich will zur Wahrung der Interessen - fast möchte ich sagen: der Ehre - dieses
Parlamentarischen Kontrollgremiums hier folgende
Frage in den Raum stellen, weil ich mir bewusst bin,
dass ich aus dem Parlamentarischen Kontrollgremium in
der Öffentlichkeit hier im Plenum leider nicht berichten
darf.
Ich will an die Frau Bundeskanzlerin und an den Minister Steinmeier die Frage richten:
({0})
Sind Sie mit mir der Auffassung, dass das Parlamentarische Kontrollgremium -
Herr Kollege Ströbele, Sie machen eine Kurzintervention zu dem Debattenbeitrag vom Kollegen Uhl und
haben jetzt nicht die Möglichkeit, eine Frage an die Bundeskanzlerin oder an den Außenminister zu stellen.
({0})
Gut. Dann dürfen die Bundeskanzlerin und der Minister zuhören. - Wenn es zutrifft, dass das Parlamentarische Kontrollgremium in der Sache el-Masri unvollständig und wahrheitswidrig informiert worden ist, muss das
Konsequenzen haben. Diese Konsequenzen mahne ich
bei der Bundeskanzlerin und dem früher zuständigen
Minister an.
({0})
Die Frage,
({1})
in welchem Punkt im Parlamentarischen Kontrollgremium - es gibt ja hier einige Kollegen, die dort auch anwesend waren - die Unwahrheit gesagt worden ist, werden wir im Anschluss an diese Sitzung heute Abend
klären.
({2})
Herr Kollege Uhl, Sie können antworten, wenn Sie
wollen. - Nein. Dann erteile ich der Kollegin Petra Pau,
Fraktion Die Linke, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist leider ein Gemeinplatz, wenn ich sage: Die USA
mit ihrem Krieg gegen den Terrorismus sind auch auf
dem Kriegspfad gegen Bürgerrechte, gegen Menschenrechte, gegen das Völkerrecht und gegen die Zivilisation.
({0})
Sie berufen sich dabei auf eine höhere Moral. Präsident
Bush folgt sogar einer göttlichen Eingebung. Ich halte
das für Gotteslästerung und für unmoralisch.
({1})
Nun geht es heute nicht um die USA, jedenfalls nicht
vordergründig. Es geht um die Fragen: War die deutsche
Regierung Mitwisser? Waren deutsche Dienste Nutznießer? Was haben eigentlich deutsche Minister getan? In
diesem Zusammenhang erinnere ich an ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs. Es hat festgestellt: Wer indirekt an einem völkerrechtswidrigen Krieg teilnimmt,
ist auch Teilhaber am Krieg und Teilhaber am Völkerrechtsbruch. Gemeint war der Krieg gegen den Irak und
gemeint war die Bundesrepublik.
Derselbe Maßstab gilt natürlich auch im aktuellen
CIA-Fall. Es gibt mehr als einen Anfangsverdacht. Der
Ermittler der EU hat erst gestern Abend bekräftigt, dass
er viele Anhaltspunkte bestätigt sieht. Mit anderen Worten: Die CIA hat in der EU illegale Lager unterhalten;
sie hat Menschen gekidnappt und über EU-Flughäfen
verschleppt, auch über deutsche. Da stellt sich natürlich
auch die Frage nach deutscher Mittäterschaft im Sinne
dieses aktuellen Gerichtsurteils.
({2})
Nun habe ich am Sonntagabend ganz erstaunt gehört,
wie der Kollege Wiefelspütz in einem Interview meinte:
Die offenen Fragen werden schnell aufgeklärt werden,
zumal die Bundesregierung - die alte wie die neue - daran ein großes Eigeninteresse habe. Kollege
Wiefelspütz, ich muss sagen, ich teile Ihren Optimismus
nicht. Ich darf Sie einmal daran erinnern: Die PDS im
Bundestag - genauer: meine Kollegin Gesine Lötzsch hat bereits im Juni gefragt, was die Bundesregierung
über CIA-Flüge wisse. Die Antwort war lapidar. Es gab
vielleicht ein Eigeninteresse innerhalb der Bundesregierung, aber mit Aufklärung hat das bis zum heutigen Tag
überhaupt nichts zu tun.
Über den Fall el-Masri wurde heute schon viel gesprochen. Er ist deutscher Staatsbürger; er wurde von der
CIA nach Afghanistan verschleppt und dort gefoltert.
Wir wissen inzwischen, dass der damalige Bundesinnenminister vom Botschafter der USA danach ins Bild gesetzt wurde und dass Otto Schily trotz dieser Ungeheuerlichkeit Stillschweigen gelobte. Die Kollegen von der
FDP wundern sich darüber. Ich muss zugeben, ich nicht
mehr. Erinnern wir uns einmal: Unmittelbar nach den
Terroranschlägen vom 11. September in den USA sprach
Otto Schily bereits von einem „grauen Krieg“, der nun
zu führen sei. Ich habe das damals schon als Aufkündigung der Verfassung verstanden. Genau darum geht es,
wenn die Linksfraktion nun Aufklärung verlangt.
({3})
Nehmen wir ein zweites Beispiel. Syrien wurde von
den USA zum Schurkenstaat erkoren, was die USA allerdings nicht daran hindert, die dort übliche Folterpraxis als Dienstleistung zu nutzen. Der deutsche Islamist
Mohammed Zammar, so schreibt zumindest der „Spiegel“, ist einer der vielen dort vergessenen und massakrierten Gefangenen. Aber ganz so vergessen war er offenbar nicht. Denn das BKA, der BND und der Verfassungsschutz schickten offensichtlich eine hochrangige
Abordnung in die syrische Folterkammer, um eigene Erkenntnisse über Zammar zu sammeln. Der damalige Präsident des BND ist übrigens nunmehr Staatssekretär im
Innenministerium. Ich finde, auch das ruft nach Aufklärung.
({4})
Vorausgegangen war - ich zitiere wieder aus dem
„Spiegel“ - ein Deal zwischen dem Kanzleramt und der
Regierung Syriens. Demnach stellte die Bundesrepublik
einen Prozess gegen einen angeklagten Syrer ein und Syrien versprach im Gegenzug, seine Geheimdienste in
Deutschland zu mäßigen.
Ich finde, dieser Fall hat noch mehr unappetitliche Facetten. Aber in jedem Fall führt er zu der nahe liegenden
Frage: Soll Außenminister Joseph Fischer von all dem
wirklich gar nichts gewusst haben und, wenn ja, warum
schweigt er, anstatt jetzt zur Aufklärung beizutragen?
({5})
Ein letzter Punkt. Beim jüngsten Staatsbesuch der
US-Außenministerin in Deutschland wurde spekuliert:
Was hat Frau Rice nun wirklich gesagt? Hat sie einen
Fehler der USA eingeräumt oder nicht? Ich halte das alles für diplomatisches Schattenboxen. Es geht darum,
dass Bürgerrechte und Menschenrechte universell und
unteilbar sind, dass jeder und jede einen Anspruch darauf hat und dass niemand aus Gutdünken, egal wo und
durch wen, verschleppt und gefoltert werden darf.
({6})
Deshalb finde ich es richtig, wenn sich die EU und
meinetwegen auch die UNO mit dieser Angelegenheit
befassen. Eines geht allerdings nicht: dass ausgerechnet
wir uns nicht tief greifend damit befassen.
({7})
Das Wort hat der Bundesinnenminister Dr. Wolfgang
Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Zunächst will ich eines klarstellen, Frau Kollegin Pau: Ich finde es nicht ganz in Ordnung - denn ich
habe heute im Innenausschuss, soweit die Zeit gereicht
hat, informiert -, dass Sie hier den Eindruck erwecken,
als hätte mein Amtsvorgänger, der Kollege Schily, gewusst, was Sie ihm hier unterstellt haben, nämlich dass
Herr el-Masri nach Afghanistan verbracht und dort gefoltert worden sei. Er hatte davon keinerlei Kenntnis. Ich
habe Ihnen das heute ausführlich vorgetragen. Sie sollten das dann ein paar Stunden später in der Öffentlichkeit nicht völlig anders darstellen.
({0})
- Die Geheimhaltung, Herr Kollege Wieland, kann nicht
dazu dienen, dass man in geheimer Sitzung richtig informiert und Sie dann öffentlich die Unwahrheit sagen. Das
geht nun wirklich nicht.
({1})
- Frau Kollegin Künast, Sie sind gleich an der Reihe.
Deswegen heben wir die Geheimhaltung in diesem
Fall auf.
Ich habe heute Morgen im Ausschuss um Geheimhaltung gebeten, weil der Kollege Schily mich gebeten hat,
die von ihm zugesagte Vertraulichkeit einzuhalten. Wir
haben über den Fall Zammar nicht sprechen können
- übrigens, Frau Pau, nicht völlig im Einvernehmen - ,
weil ich dazu gesagt habe: Was ich dazu darzulegen
habe, will ich nicht in dieser Sitzung sagen. Denn über
die Arbeit der Nachrichtendienste des Bundes kann ich
nicht im Innenausschuss, sondern nur im Parlamentarischen Kontrollgremium informieren. Im Innenausschuss habe ich um Geheimhaltung nur deswegen - und
aus keinem anderen Grund - gebeten, um die Vertraulichkeit, die Herr Schily zugesagt hatte, einhalten zu
können.
Weil das nun so ist, will ich gleich hinzufügen: Ich
habe Ihnen heute im Innenausschuss auch vorgetragen,
dass die Information des amerikanischen Botschafters an
Herrn Schily am Pfingstmontag des Jahres 2004 unter
anderem nicht das Wort „Afghanistan“ und nicht den
Zeitraum, in dem der Betreffende von der amerikanischen Seite festgehalten worden war, beinhaltet habe
und dass im Übrigen gesagt worden sei, man habe sich
bei dem Betreffenden entschuldigt, mit ihm Stillschweigen vereinbart und ihm einen Geldbetrag gezahlt.
Das passt im Übrigen gut zu dem Satz, den Herr Kollege Steinmeier vorhin vorgetragen hat. Er hat aus dem
Schreiben des Anwalts von Herrn el-Masri vom 8. Juni
zitiert. Diesen Auszug will ich noch einmal - denn das
Gedächtnis ist kurz - vorlesen - ich zitiere - :
Bevor die Medien eingeschaltet werden, sollte der
Vortrag meines Mandanten geprüft und dessen Erkenntnisse und Wahrnehmungen so gesichert werden, dass sie verwertet werden können.
Das klingt doch wesentlich anders. Sie aber tun hier
so, als habe der Herr Schily in Kenntnis von Folterungen, Verschleppungen und Ähnlichem nichts getan. Ich
finde, es ist gerade angesichts des Ernstes der Lage angemessen, dass wir damit vernünftig, wahrheitsgemäß
und verantwortlich umgehen.
({2})
Meine zweite Bemerkung ist - das sage ich mit dem
ganzen Ernst, den man haben muss, wenn man die Ehre
hat, Bundesminister des Innern zu sein -: Wir stehen angesichts des internationalen Terrorismus vor einer
großen Herausforderung; das wissen wir alle. Es gibt
zwar keine konkrete Gefahrenlage, aber eine abstrakt
hohe. Es kann auch uns betreffen. Der Weltsicherheitsrat
hat beschlossen - da hier gerade vom Völkerrecht die
Rede war -, dass nach Art. 51 der Charta der Vereinten
Nationen am 11. September 2001 ein Angriff auf die
Vereinigten Staaten von Amerika stattgefunden hat, mit
einer erheblichen Gefahr für den Weltfrieden.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Maurer?
Ich würde diesen Satz gerne zu Ende führen. Haben
Sie bitte ein klein wenig Geduld, Herr Kollege Maurer.
Kurz darauf hat die NATO zum ersten Mal in ihrer
Geschichte - bisher auch zum einzigen Mal - nach
Art. 5 des NATO-Vertrages den Beistandsfall beschlossen. Wir sollten dies bei unseren Beratungen nicht außer
Acht lassen. In genau dieser Lage befinden wir uns; es
geht um den Kampf gegen den Terrorismus.
Man kann nun unterschiedlicher Meinung darüber
sein, wie man das machen soll, ob die Amerikaner alles
richtig machen oder nicht. Bevor man sich aber mit anderen streitet, sollte man deren Argumentation zumindest einmal nachvollziehen. Außerdem hat Deutschland
mitgewirkt, und zwar - das hat der Herr Bundeskanzler
außer Diensten in diesem Hause vorgetragen - mit
Zustimmung der damaligen Oppositionsfraktionen; auch
ich habe gegen meine Gewohnheit heftig geklatscht. Bitte sehr.
Herr Minister, wir müssen kurz zurückgehen. Wenn
es so ist, dass sich der Kollege Schily Ihnen gegenüber
dahin gehend eingelassen hat, dass er von den Umständen der Entführung des Herrn el-Masri nichts gewusst
hat, wie erklären Sie sich dann die öffentliche Aussage
von Herrn Schily, dass er kein Erfüllungsgehilfe der
Staatsanwaltschaft sei?
Über die Eigenarten des Kollegen Schily können diejenigen, die mehr mit ihm zu tun haben, Auskunft geben.
Das eine hat mit dem anderen gar nichts zu tun.
({0})
Frau Kollegin Künast, ich habe bei jedem meiner Besuche als Mitglied einer Oppositionsfraktion seit dem
11. September 2001 in Washington immer wieder gesagt, dass ich nicht erkennen kann, dass Guantanamo
unserem Rechtsverständnis entspricht. Ich kann aber
nicht glauben, dass Sie als ehemaliges Mitglied der Bundesregierung erst jetzt davon erfahren haben wollen. Ich
vermute, dass die Menschen in Guantanamo nicht freiwillig, ob geschwommen oder mit Booten, dorthin gelangt sind. Sie sind irgendwie dorthin gebracht worden.
Sie sagen jetzt mit Emphase, Guantanamo müsse geschlossen werden. Ich hätte eigentlich erwartet, dass Sie
und der damalige Außenminister, der auch Ihrer Partei
angehört, dies schon früher gesagt hätten. Das habe ich
aber nicht gehört.
({1})
Ich kritisiere das ja gar nicht. Ich möchte nur nicht, Herr
Kollege Trittin, dass man uns jetzt das vorwirft, was Sie
nicht getan haben. Das macht keinen rechten Sinn. Nicht
mehr und nicht weniger! So gehen wir mit dieser Geschichte besser um.
Machen Sie die Arbeit unserer Nachrichtendienste
nicht unmöglich und schränken Sie die Fähigkeit unserer
Nachrichtendienste zum Austausch von Informationen
und zur Zusammenarbeit nicht vollends ein! Ich befürchte, wir würden dies sonst mit einer Verschärfung
der Gefahrenlage und einer Verringerung unserer Chancen, Gefahren abzuwehren, bezahlen. Diesen Preis
möchte ich nicht zahlen; wir alle dürfen ihn nicht zahlen.
({2})
Herr Minister, die Frau Kollegin Künast hätte gerne
eine Zwischenfrage gestellt.
Bitte.
Herr Schäuble, abgesehen davon, dass ich Sie persönlich deswegen gar nicht angesprochen habe Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern:
Aber ich Sie!
- genau, so ist es im Parlament - , möchte ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass
sich der ehemalige Außenminister Joschka Fischer sowohl in internen Gesprächen als auch öffentlich oft genug zum Thema Guantanamo geäußert hat, auch gegenüber Kollegen in den USA.
Wenn Sie das sagen, wird es auch so sein. Ich nehme
das dann zur Kenntnis. Ich habe nur gesagt, dass Guantanamo noch nicht geschlossen ist. Ich möchte keine Polemik, sondern, dass wir alle unserer Verantwortung bewusst sind.
Das bringt mich aber zum nächsten Punkt. Herr Kollege Hoyer hat gesagt, dass wir, wenn wir dagegen sind,
die Früchte nicht nutzen dürften. Dazu will ich in aller
Klarheit sagen: Wenn ich richtig informiert bin, ist in
Guantanamo eine Person befragt worden, auch von deutschen Sicherheitsbehörden, nicht aber von Mitarbeitern
des Bundeskriminalamts; darauf lege ich großen Wert.
({0})
- Wenn Sie wollen, können wir gleich darauf kommen.
Heute hat uns im Innenausschuss die Zeit gefehlt; wir
setzen die Sitzung aber morgen fort.
({1})
- Doch. Das habe ich mitgeteilt. - Das ist jedenfalls das
Ergebnis meiner sorgfältigen Nachfragen.
Ich glaube, wir sollten einen Unterschied machen
- ich will mich in Zukunft dafür einsetzen, dass dies
überall geschieht - zwischen der Zusammenarbeit von
Nachrichtendiensten, die wir brauchen und deren Informationen wir nutzen müssen, und den Tätigkeiten, bei
denen wir uns im Bereich der Strafprozessordnung bewegen. Deshalb gibt es Unterschiede. Wenn wir uns darauf verständigen können, haben wir einen wichtigen
Punkt erreicht.
Ich habe bei verschiedenen Gelegenheiten gesagt
- darüber sind wir uns, wenn ich es richtig sehe, alle in
diesem Haus einig -: Auch wenn es im Zweifel ganz
schwierige Entscheidungen gibt - es gab in Deutschland
einen Fall, bei dem wir diese Diskussion geführt haben -,
ist und bleibt meine persönliche Überzeugung, dass wir
unter gar keinen Umständen gegen das Folterverbot verstoßen dürfen.
({2})
Ich möchte die Argumente von Senator McCain in der
umgekehrten Reihenfolge nutzen. Ich finde, das Entscheidende ist: Wir verteidigen und schützen die Sicherheit der Menschen unseres Landes mit den Mitteln des
Rechtsstaats. Wenn wir die fundamentalen Prinzipien
unserer freiheitlichen Verfassungsordnung aufgäben,
würde es keinen rechten Sinn machen, sie zu verteidigen.
({3})
Wenn man erst einmal anfängt, die rote Linie zu überschreiten, sind die letzten Dinge schlimmer als die ersten.
({4})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele?
Bitte sehr. Ich wollte zwar gerade meinen letzten Satz
sagen, aber so dauert meine Rede eben ein wenig länger.
Herr Minister Schäuble, auch ich habe gerade zu Ihrem Satz, dass Folter auf gar keinen Fall geduldet oder
angewendet werden darf, geklatscht. Was sagen Sie aber
zu dem Fall Zammar, von dem in der Presse berichtet
wurde? Zammar soll gegen seinen Willen von Marokko
nach Syrien verschleppt worden sein, wo ihn deutsche
Beamte in einem Gefängnis - man kann davon ausgehen, dass er dort gefoltert worden ist - aufgesucht und
vernommen haben. Anschließend sind die Vernehmungs- oder Befragungsprotokolle nach Deutschland
gebracht worden und können hier möglicherweise Verwendung finden. Halten Sie den Vorwurf, dass man damit möglicherweise die Früchte der Folter erntet, ohne
sich die Hände schmutzig zu machen, für berechtigt?
Nach meinem Erkenntnisstand halte ich den Vorwurf,
um das Ende der Antwort vorwegzunehmen, nicht für
berechtigt. Es ist zutreffend - wir werden darüber wahrscheinlich auch im Parlamentarischen Kontrollgremium
und mit Sicherheit morgen im Innenausschuss reden,
und zwar nicht in geheimer Sitzung; das war der Grund,
warum wir heute entgegen anderen öffentlichen Äußerungen nach der Ausschusssitzung nicht dazu gekommen sind -, dass ihn Beamte des Bundeskriminalamtes
vernommen haben. Ich bin nicht ganz sicher, ob er als
Beschuldigter in einem gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren oder als Zeuge vernommen wurde. Auf
jeden Fall ist er aber vernommen worden.
Der Mann hatte übrigens, wenn ich es richtig weiß,
die deutsche und die syrische Staatsangehörigkeit, sodass er der konsularischen Betreuung in Syrien nicht zugänglich war.
({0})
Wenn ich mich an die Aktenlage richtig erinnere, so hat
er überhaupt nicht behauptet, dass er in Syrien gefoltert
worden sei. Die Frage, wie er nach Syrien gekommen
ist, war nicht Gegenstand der Befragung.
Es gab in diesem Fall eine unmittelbare Zusammenarbeit zwischen Syrien und der Bundesrepublik Deutschland. Ich sage ganz leise und vorsichtig: Meine Bemerkung, dass ich in der Zukunft noch strenger auf die
Trennung zwischen BKA und Nachrichtendiensten achten werde, hat ein wenig mit meinem Studium genau
dieses Falles zu tun. Ich glaube, dass wir im Bereich der
nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit inzwischen
besser sind. Das ist ausdrücklich keine Kritik. Mein
Kenntnisstand ist, dass sich die Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes korrekt verhalten haben.
Jetzt weiß ich nicht mehr, was mein letzter Satz werden sollte.
Herr Minister, bevor Sie Ihren letzten Satz sagen: Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen
Westerwelle?
Bitte sehr, diese gestatte ich sowieso. Vielleicht fällt
mir dann auch mein letzter Satz wieder ein.
So macht die Opposition Sinn, Herr Minister.
Die macht überhaupt Sinn. Wir brauchen eine starke
Opposition. Das ist mein Verständnis von Demokratie.
({0})
Heute herrscht so viel Einigkeit im Haus. - Herr
Minister Schäuble, mit Ernst noch einmal auf den Punkt
gebracht: Sie haben hier in Ihrer Rede einige sehr präzise
und für uns auch wichtige Informationen gegeben, jedenfalls für diejenigen, die heute in den Ausschüssen
nicht dabei gewesen sind. Sie selber waren im fraglichen
Zeitraum nicht Bundesminister des Innern. Sie sind es
jetzt seit wenigen Wochen.
Deswegen möchte ich Folgendes als Frage formulieren: Haben Sie schon Erkenntnisse oder sehen Sie sich in
der Lage, sich jetzt in dieser Debatte zu dem einzulassen,
was Herr Kollege Ströbele in seiner Kurzintervention
gerade gesagt hat? Er hat erklärt, dass das Parlamentarische Kontrollgremium nicht richtig, nämlich nicht wahrheitsgemäß, und auch nicht vollständig informiert
wurde. Da der Kollege Ströbele nach meinem Kenntnisstand in der letzten Legislaturperiode Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission, des jetzigen Parlamentarischen Kontrollgremiums, war, ist es natürlich
von erheblicher Bedeutung, wenn er hier erklärt, dass
diese parlamentarische Kontrolle durch Unwahrheiten
nicht möglich war. Haben Sie darüber Kenntnis? Er hat
ja sogar ausdrücklich die Bundeskanzlerin zu Konsequenzen aufgefordert. Können Sie sich schon dazu einlassen? Ansonsten ist es erforderlich, dass das in den
Ausschüssen entsprechend beantwortet wird.
Ich habe keinerlei Kenntnis von dem Vorwurf, weder
positive noch negative. Es ist auch nicht meine Sache,
davon Kenntnisse zu haben. Wir haben nachher eine Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Die
Bundesregierung wird diesem Vorwurf sicherlich nachgehen. Meine Antwort lautet: Ich habe - jedenfalls zum
jetzigen Zeitpunkt - keine Kenntnisse. Ich werde versuchen, mir welche zu verschaffen.
Meine Bitte ist, dass wir die Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums auch in Zukunft so gestalten,
dass die Leistungsfähigkeit unserer Dienste und auch die
Fähigkeit unserer Dienste zu Informationsaustausch und
Zusammenarbeit bei der Beschaffung von Informationen
nicht beschädigt werden. Das heißt im Übrigen, dass im
Parlamentarischen Kontrollgremium nur dann offen informiert werden kann, wenn die Vertraulichkeit gewahrt
wird.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine letzten
Sätze: Lassen Sie uns bitte die Verteidigung unseres
Rechtsstaats und unserer grundlegenden Prinzipien sehr
ernst nehmen. Lassen Sie uns gegenseitig nicht daran
zweifeln; lassen Sie uns nicht so tun, als wollte der eine
den anderen dabei übertreffen.
({0})
Aber lassen Sie uns auch ernst nehmen, dass wir miteinander die Voraussetzungen dafür schaffen und erhalten müssen, dass unsere für die Sicherheit verantwortlichen Dienste und Behörden in der Lage sind, dieses
Land und seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen.
Herzlichen Dank.
({1})
Ich rufe jetzt eine Kurzintervention der Kollegin Petra
Pau auf. Bitte schön.
Herr Bundesminister, Sie haben behauptet, ich hätte
gesagt, dass der ehemalige Bundesinnenminister Schily
vor Ablauf der Entführung und der Freilassung el-Masris
Kenntnis von diesen Vorgängen gehabt habe. Das ist
nicht richtig. Ich habe ausgeführt:
Wir wissen inzwischen, dass der damalige Bundesinnenminister vom Botschafter der USA danach ins
Bild gesetzt wurde und dass Otto Schily trotz dieser
Ungeheuerlichkeit Stillschweigen gelobte.
Mit „Ungeheuerlichkeit“ war die Entführung des Bundesbürgers el-Masri gemeint. Mit „Ungeheuerlichkeit“
war die fünfmonatige Dauer seines Aufenthaltes in Afghanistan mit allem, was damit zusammenhängt, gemeint. Allerdings gebe ich zu: Mit „Ungeheuerlichkeit“
war auch - aus meiner Sicht - das Versprechen der Verschwiegenheit gemeint. Denn ich persönlich halte es
nach wie vor für nicht hinnehmbar, dass der Verfassungsminister ewiges Schweigen gelobt, wenn er Kenntnis von Straftaten erlangt.
({0})
Eine zweite Richtigstellung: Es ist richtig, dass im
Ausschuss heute die Zeit fehlte, den Fall Zammar überhaupt zu würdigen. Diese Fragen bleiben bis morgen offen; hoffentlich nur bis morgen. Deshalb musste ich
mich auf die Informationen, die jedem hier im Haus zugänglich waren, stützen und habe auf dieser Grundlage
meine Rede gehalten.
Ohne über den Inhalt der vertraulichen Sitzung des
Innenausschusses reden zu müssen, kann ich feststellen,
dass allein zwischen dem Ablauf der Vorgänge, wie sie
im Innenausschuss dargestellt worden sind, und dem
hier vom Außenminister geschilderten Ablauf der Vorgänge mindestens drei Widersprüche bestehen, die wir
gemeinsam aufklären müssen. Das habe ich mit meiner
Feststellung gemeint, dass wir heute keine Klarheit, die
uns von der Forderung nach weiterer Aufklärung abhalten könnte, erlangt haben.
Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung. Ich hatte die
Möglichkeit, eine Stunde an der Debatte des Rechtsausschusses teilzunehmen. Dort gab es von Ihnen und vom
Außenminister erneut widersprüchliche Äußerungen.
({1})
Ich denke, jetzt sollte man all die unterschiedlichen Darstellungen einmal übereinander legen und versuchen, ein
Gesamtbild zu entwerfen.
({2})
Frau Kollegin Pau, sind Sie mit Ihrer Kurzintervention fertig?
Sie brauchen sich gar nicht so aufzuregen, Herr
Benneter. Es ging mir nur um die zeitlichen Abläufe und
um unterschiedliche Daten.
Herr Minister, Sie haben die Möglichkeit zu einer
Antwort.
Frau Kollegin Pau, zunächst einmal bestätige ich Ihnen: Sie haben in Ihrer Rede nicht ausdrücklich gesagt,
dass Herr Schily Kenntnis von der angeblichen oder tatsächlichen Verschleppung - wie auch immer Sie das nennen wollen - und davon gehabt habe, dass Herr el-Masri
gefoltert worden sei. Aber so, wie auch Sie selbst Ihre
Ausführungen zitiert haben, musste natürlich genau
dieser Eindruck entstehen; denn bevor Sie diese Aussage
machten, sprachen Sie genau diese beiden Punkte an.
Dann haben Sie gesagt, dass Herr Schily trotz dieser Ungeheuerlichkeit nichts unternommen habe. Dadurch haben Sie mich gezwungen, klarzustellen, dass Sie das
nicht so gesagt haben. Nicht mehr und nicht weniger
habe ich getan.
({0})
Das schien mir allerdings notwendig zu sein.
Ich will Sie auf noch etwas hinweisen, was Sie öffentlich in Ordnung bringen sollten: Sie müssen sagen, in
welchem Punkt die Darstellung des Herrn Bundesaußenministers, die er in der heutigen Debatte gegeben hat, im
Widerspruch zu dem steht, was ich im Innenausschuss
gesagt habe.
({1})
- Genau, in keinem Punkt; darauf lege ich schon großen
Wert. Wir haben uns schließlich auch ein wenig mit den
verschiedenen Ressorts abgestimmt.
Angesichts der Kompliziertheit dieses Vorgangs und
angesichts der beiden etwas gegenläufigen Gesichtspunkte, die beachtet werden müssen, ist meine Bitte an
Sie: Wenn wir ein gemeinsames Interesse daran haben,
dieses Thema seriös zu behandeln, dann seien Sie ein
bisschen zurückhaltender, bevor Sie den Eindruck erwecken, irgendjemand habe sich nicht an Recht und Gesetz bzw. an die Wahrheit gehalten!
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will
dem Bundesaußenminister ausdrücklich bescheinigen,
dass er hier dargelegt hat, welche Mühen er und sein
Amtsvorgänger sich gemacht haben, um das Schicksal
von Herrn el-Masri, nachdem sich sein Anwalt gemeldet
hatte, aufzuklären. Ich finde, es gehört zur Oppositionsarbeit dazu, das anzuerkennen.
({0})
Aber ich will auch auf Folgendes hinweisen - das
sage ich durchaus auch aus eigener Betroffenheit -: Wie
viel Arbeit hätten Sie sich, hätten sich die Geheimdienste und hätte sich das BKA sparen können, wenn
nicht eingetreten wäre, was ich selbst nicht für möglich
gehalten hätte: dass der Bundesinnenminister zumindest erfährt, wer es gewesen ist! Dann hätten die aufwendigen Ermittlungen, die Sie, der Bundesnachrichtendienst und das BKA haben durchführen lassen, mit
diesem Wissen stattfinden können.
Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Auch als Mitglied
dieser Regierung hätte ich mir nicht träumen lassen, dass
der Innenminister, der zum damaligen Zeitpunkt ja mein
Kollege war, den zuständigen Geheimdienstkoordinator
des Bundeskanzleramtes nicht an seinem Wissen teilhaben lässt. Das ist etwas, was mich, ehrlich gesagt, zutiefst erschüttert.
({1})
Meine zweite Bemerkung. Sie haben zum Ausdruck
gebracht, dass es unabhängig von der Frage der „unlawful combatants“ unstrittig sei, dass auch für solche Gefangenen die Grundrechte der entsprechenden Konventionen zu gelten hätten. Lassen Sie uns hier gemeinsame
Anstrengungen unternehmen! Eine der Erfahrungen aus
dieser Affäre ist doch, dass man als Regierung selbst von
Bündnispartnern ziemlich im Regen stehen gelassen
werden kann - um das einmal so einfach zu sagen. Nun
haben wir doch schon eine gemeinsame Basis: dass wir
keine „unkonventionellen“ Vernehmungsmethoden tolerieren können, dass Schläge ins Gesicht oder in den Magen nicht mit den Grundrechten, nicht mit dem Folterverbot vereinbar sind. Wenn die Grundrechte demnach
auch für diese Gefangenen gelten, dann ist doch die
Frage: Wie erreichen wir als Deutscher Bundestag, zusammen mit dieser Regierung, dass diejenigen, die in
diesen Lagern, zum Beispiel in Guantanamo, einsitzen,
nach rechtsstaatlichen Grundsätzen behandelt werden
und sie entweder vor Gericht gestellt werden, wo ihr
Richter sie der Gerechtigkeit zuführt, oder am Ende freigelassen werden? Ich finde, das ist unser aller Anstrengungen wert. Vielleicht hat diese Affäre die Chance eröffnet, gemeinsam zu einer solchen nach vorne
gerichteten Politik zu kommen.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 15. Dezember
2005, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.