Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch
und des Finanzausgleichsgesetzes
- Drucksache 16/3572 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen
daher gleich zur Überweisung.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/3572 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 16/3562, 16/3598 Zunächst rufe ich gemäß Nr. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringliche Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass in der US-EUCOM-Militärzentrale in Stuttgart-Vaihingen, also von
Deutschland aus, die Verschleppung so genannter illegaler
Kämpfer, „enemy combatants“, in das US-Gefangenenlager
Guantanamo auf Kuba mit organisiert worden sein soll, insbesondere die Verbringung der so genannten Algerian Six aus
Bosnien über den US-Stützpunkt Ramstein nach Guantanamo
im Januar 2002 ({1}),
und wie gedenkt die Bundesregierung - auch angesichts ihrer
Kritik an Guantanamo -, diese Vorwürfe aufzuklären sowie
eine Wiederholung und Fortführung solcher etwaiger Aktivitäten der US EUCOM auszuschließen, insbesondere durch
Änderungen der Truppenstationierungsverträge mit den USA?
Steht ein Vertreter der Bundesregierung für die Beantwortung bereit?
({2})
- Sie ist zwar reichhaltig vertreten; ist denn auch schon
jemand anwesend, der sich berufen fühlt, diese Frage zu
beantworten? ({3})
Zur Beantwortung der Frage steht der Parlamentarische
Staatssekretär Schmidt zur Verfügung.
({4})
Herr Kollege Ströbele, zu Ihrer dringlichen Frage folgende Antwort: Erstens. Der Bundesregierung sind die
von Ihnen angesprochenen Meldungen bekannt. Von einem Transport über Ramstein ist nach Kenntnis der Bundesregierung in diesem Zusammenhang allerdings nicht
berichtet worden. Ob die Pressemeldungen bezüglich
der Beteiligung des US-Hauptquartiers in Stuttgart US
EUCOM an Transporten von Gefangenen zutreffen,
kann die Bundesregierung nicht bestätigen. Auch zur
Authentizität der in den Pressemeldungen gezeigten Dokumente kann die Bundesregierung nicht Stellung nehmen.
Die Bundeswehr hat von der durch bosnische Behörden vorgenommenen Festnahme des später als Algerian
Six bezeichneten Personenkreises im Oktober 2001 erfahren. Von der am 18. Januar 2002 erfolgten Übergabe
des Personenkreises durch bosnische Behörden an amerikanische Dienststellen, die trotz der durch das Oberste
Gericht der bosnisch-kroatischen Föderation am 17. Januar 2002 angeordneten Freilassung aus Mangel an
Beweisen stattfand, hat die Bundeswehr unmittelbar erfahren, da es in diesem Zusammenhang zu einer Demonstration von etwa 300 Personen in Sarajewo gekommen war, die diese gewaltsam zu verhindern versuchten.
Redetext
Darüber hinaus wurde über diesen Vorgang einschließlich der vermuteten Verbringung nach Guantanomo in
den Medien ausführlich berichtet, so unter anderem in
der „Süddeutschen Zeitung“ vom 19. Januar 2002 und
von „rtr“ am 18. Januar 2002.
Zweitens. Die Aufklärung möglicherweise strafrechtlich relevanter Vorwürfe gegen US-Dienststellen in
Deutschland ist Aufgabe der deutschen Justiz.
Drittens. Eine Änderung der Abkommen in Bezug auf
die Stationierung von US-Truppen in Deutschland wird
von der Bundesregierung nicht in Erwägung gezogen.
Haben Sie Nachfragen, Kollege Ströbele?
Ja. - Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist die
Bundesregierung bereit, angesichts der auf der Hand liegenden Fakten, die Sie gerade geschildert haben, eine
Bewertung dieses Vorganges vorzunehmen? Die Bundesregierung hat in ihren bisherigen Stellungnahmen zu
den Renditionflügen der USA über Europa, über
Deutschland, immer behauptet, sie gehe davon aus, dass
US-Behörden sich strikt an deutsche Gesetze - dazu
zähle ich auch das Strafgesetzbuch - und das Völkerrecht halten.
Ist die Bundesregierung angesichts dessen nicht bereit, die Verbringung der Algerian Six - nachdem sie von
einem Gericht in Bosnien freigesprochen worden sind,
wurden sie von US-Soldaten gefangen genommen, nach
Guantanamo gebracht und werden dort seit fünf Jahren
ohne gerichtliches Verfahren festgehalten, möglicherweise auch gefoltert - zu bewerten, zu missbilligen und
daraus Konsequenzen für die Truppenstationierung in
Deutschland zu ziehen?
Herr Kollege Ströbele, die von Ihnen angesprochenen
Punkte, vor allem die Vorgänge in Bosnien, berühren die
Frage von Abkommen über Truppenstationierungen in
Deutschland nicht.
Ihre Frage, wie die Bundesregierung die Verbringung
nach Guantanamo im Jahr 2002 bewertet, möchte ich
mit dem Hinweis darauf beantworten, dass die Bundeskanzlerin bereits Anfang dieses Jahres in einem Interview, das im „Spiegel“ in der Ausgabe 2 des Jahres 2006
abgedruckt wurde, betont, dass eine Institution wie
Guantanamo auf Dauer so nicht existieren könne und
dürfe.
In einer gemeinsamen Gipfelerklärung der USA und
der Europäischen Union vom 21. Juni 2006 haben beide
Seiten unterstrichen, dass sie in Übereinstimmung mit
ihren gemeinsamen Werten sicherstellen werden, dass
Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vollständig mit den Verpflichtungen nach dem Völkerrecht
- einschließlich der Menschenrechte, des Flüchtlingsrechtes und des humanitären Völkerrechtes - in Einklang stehen. Unterschiedliche Meinungen gibt es aber
- das ist allgemein bekannt - zu bestimmten Einzelfragen der völkerrechtlichen Bewertung. Die Bundesregierung befindet sich dazu in einem kontinuierlichen Dialog
mit der US-Regierung, sowohl bilateral als auch im Rahmen der Europäischen Union.
Sie haben noch eine zweite Nachfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, zur Aufklärung der Frage, ob das in
Deutschland, nämlich in Stuttgart-Vaihingen, stationierte
US EUCOM, also das amerikanische Hauptquartier, in
die - ich sage einmal: illegale, möglicherweise strafbare Verbringung der Algerian Six von Bosnien nach Guantanamo verwickelt war, beizutragen? Ist die Bundesregierung bereit, zur Aufklärung dieser Fakten die Unterlagen
beizuziehen, die von den US-Behörden im Rahmen des
Freedom of Information Act freigegeben worden sind
und derzeit beispielsweise der ARD vorliegen? Kann die
Bundesregierung wenigstens die Ermittlungen vornehmen, die auch deutsche Journalisten, wie beispielsweise
die verdienstvollen Journalisten der ARD, vorgenommen haben?
Herr Kollege, die Arbeit aller Journalisten ist per se
verdienstvoll. Aufgrund Ihrer Fragestellung kann übrigens der Eindruck entstehen, dass Sie dafür Sorge tragen, dass Medien, bevor Sie im Deutschen Bundestag
Fragen stellen, mit den entsprechenden Informationen
versorgt werden. Ich überlasse es Ihrer Bewertung, wie
Sie das mit Ihrer parlamentarischen Initiative verknüpfen.
Es bleibt festzustellen: Ob diese Pressemeldungen bezüglich der Beteiligung des US-Hauptquartiers in Stuttgart an Transporten von Gefangenen zutreffen oder
nicht, kann die Bundesregierung nicht bestätigen. Auch
zur Authentizität der in den Presseberichten gezeigten
Dokumente kann und wird die Bundesregierung nicht
Stellung nehmen.
Ich will aber sagen, dass die Befragung der damals
bei US EUCOM eingesetzten deutschen Verbindungssoldaten ergeben hat, dass sie keine Kenntnis einer Beteiligung von US EUCOM hatten.
Der Kollege Koppelin hat noch eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich noch einmal konkret
nachfragen: Hat die vorherige Bundesregierung Kenntnisse von solchen Vorgängen gehabt, ist sie informiert
worden? Wenn ja: Was hat sie unternommen, um weitere
Aufklärung zu bekommen? Hat sie auch Schritte eingeleitet?
Herr Kollege Koppelin, die vorherige Bundesregierung hat von der Festnahme des Personenkreises, der so
genannten Algerian Six, in Bosnien im Oktober 2001
erfahren. Sie hat am 17./18. Januar 2002 von den Vorgängen in Bosnien Kenntnis erhalten. Inwieweit die
Bundesregierung zur damaligen Zeit über weitere Informationen verfügen konnte, ist mir nicht bekannt.
Kollege Maurer hat noch eine Frage. Aber zuvor
möchte ich ihm herzlich zu seinem heutigen Geburtstag
gratulieren.
({0})
Herr Staatssekretär, wird sich die Bundesregierung
bemühen, mehr über den diesbezüglichen Kenntnisstand
ihrer Vorgängerregierung zu erfahren? Wird sich die
Bundesregierung aktiv um Aufklärung der erhobenen
Vorwürfe bemühen? Wie wird sich die Bundesregierung
verhalten, falls sie zu der Feststellung kommen sollte,
dass rechtswidrige Handlungen stattgefunden haben?
Vorneweg darf ich mich den Wünschen des Hauses
anschließen, Herr Kollege, und Ihnen auch meinerseits
alles Gute zu Ihrem Geburtstag wünschen.
Die Bundesregierung befindet sich, wie ich bereits im
Hinblick auf das, was mit Ihren Fragen wohl insinuiert
ist - die Lage der Gefangenen in Guantanamo -, gesagt
habe, in einem bilateralen Dialog mit den USA. Darüber
hinaus findet ein Dialog zwischen der EU und den USA
statt. Die Bundesregierung wird die völkerrechtliche Bewertung bestimmter Einzelfragen im Zusammenhang
dieses Dialogs vornehmen.
Danke, Herr Staatssekretär. - Nachdem die dringliche
Frage aufgerufen und beantwortet worden ist, kommen
wir jetzt zu den Fragen auf Drucksache 16/3562.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung
der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär
Gerd Andres zur Verfügung.
Die Frage 1 des Abgeordneten Dirk Niebel aus der
FDP-Fraktion wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Cornelia Hirsch, Die
Linke, auf:
Ist aus der Antwort des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales auf meine schriftliche Frage 1 zur zukünftigen
Gestaltung der Ausbildungsstatistik der Bundesagentur für
Arbeit auf Bundestagsdrucksache 16/3386 zu schließen, dass
sie die neuen Möglichkeiten für mehr Transparenz und Realität in der Statistik durch Umstellung auf das Erfassungssystem VerBIS nicht nutzen will, da nicht bekannt sei, ob die Jugendlichen, die sich nach Vermittlungsvorschlägen nicht mehr
bei den Agenturen oder den Trägern der Grundsicherung für
Arbeitsuchende melden, noch weiterhin eine Ausbildungsstelle suchen oder was sie tatsächlich machen, obwohl Untersuchungen des Bundesinstituts für Berufsbildung ergeben haben, dass zwei Drittel der Jugendlichen, denen alternative
Vermittlungsvorschläge unterbreitet wurden, angeben, dass
sie sich in einer Notsituation sehen bzw. dass ihr alternativer
Verbleib nicht ihren Bildungswünschen entspricht, was bedeutet, dass eine Nutzung der Möglichkeiten des neuen Erfassungssystems VerBIS zu einer Ausbildungsstatistik führen
würde, die deutlich näher an der Realität wäre, und, wenn ja,
warum?
Frau Abgeordnete Hirsch, die Frage wird mit einem
klaren Nein beantwortet. Die Bundesagentur für Arbeit
strebt mit der Umstellung auf das EDV-System VerBIS
eine Verbesserung der Arbeitsgrundlage der Berater und
Vermittler an. Dies soll insbesondere den Ausbildung suchenden Jugendlichen zugute kommen. Bewerber, die
noch nicht vermittelt werden konnten, bleiben, wenn sie
ihren Ausbildungswunsch bis zum 30. September aufrechterhalten, für das neue Berufsberatungsjahr registriert. Von Ausbildungsvermittlung kann nur profitieren, wer diese in Anspruch nimmt. Doch es gibt aus
guten Gründen keinen Zwang. Vielmehr ist die Inanspruchnahme der Berufsberatung und Ausbildungsvermittlung der Bundesagentur für Arbeit freiwillig.
Ihre Nachfragen, bitte.
Besten Dank für die Antwort erst einmal. - Ich habe
eine Nachfrage: Könnten Sie versuchen, auf die konkrete Situation einzugehen? Die Bundesagentur für
Arbeit spricht offiziell von 50 000 fehlenden Ausbildungsplätzen, wogegen den Gewerkschaften zufolge eigentlich 150 000 Jugendliche noch auf der Suche nach
einem Ausbildungsplatz sind. Wenn man die Möglichkeiten des neuen Erfassungssystems VerBIS nutzen
würde, wie würde sich das in der zukünftigen Ausbildungsstatistik widerspiegeln?
Noch einmal, Frau Abgeordnete: In der Ausbildungsstatistik wird nur derjenige als Ausbildungsplatzbewerber geführt, der sich bei der BA nach dem 30. September
eines Jahres ausdrücklich als solcher zu erkennen gibt.
Das Problem ist, dass die jungen Leute im Laufe des Berufsberatungsjahres, das vom 1. Oktober eines Jahres bis
zum 30. September des nächsten Jahres dauert, mitteilen, dass sie einen Ausbildungsplatz suchen. Dann
finden unterschiedliche Aktivitäten statt. Nach dem
30. September eines Jahres wird festgehalten, wer noch
immer einen Ausbildungsplatz sucht. Viele der jungen
Menschen machen dann schon etwas anderes.
Sie haben in Ihrer Frage darauf hingewiesen, dass
viele der Jugendlichen zwar etwas anderes machen, aber
trotzdem gerne einen Ausbildungsplatz hätten. Das ist
ihnen unbenommen. Sie müssen sich nur bewerben und
das mitteilen. Dass dem so ist, kann schließlich niemand
ahnen. Daher werden keine weiteren Ausbildungsplätze
auf Vorrat gehalten.
Ein Teil der Jugendlichen absolviert eine schulische
Maßnahme, ein Teil von ihnen macht ein berufliches
Praktikum und ein Teil nimmt an Trainingsmaßnahmen
oder Ähnlichem teil. Die BA kann nicht davon ausgehen, dass jemand, der sich einmal um einen Ausbildungsplatz beworben hat, dies für ewige Zeit tun wird.
Deswegen ist Ihre Frage nach dem Verfahren sehr einfach zu beantworten: Wir halten im Rahmen von VerBIS
nicht fest, was jemand ursprünglich einmal gesucht hat,
sondern welchen aktuellen Vermittlungswunsch er hat.
Ihre zweite Nachfrage.
Danke schön. - Aus den bisher, unter anderem vom
Bundesinstitut für Berufsbildung, vorgelegten Studien
ist Ihnen bekannt, dass ein sehr großer Teil der Jugendlichen, die in sonstigen Maßnahmen landen - ich glaube,
mehr als 60 Prozent von ihnen -, wenn sie gefragt werden, nach wie vor sagen, dass sie noch immer einen Ausbildungsplatz suchen, dass sie aber nicht mehr den offiziellen Weg gehen, sich bei der Bundesagentur für
Arbeit zu melden.
Mir geht es nicht in erster Linie um die Frage, ob wir
in irgendeiner Form sicherstellen wollen, dass sich die
Jugendlichen bei der Bundesagentur für Arbeit melden.
Meine Frage zielt vielmehr darauf, wie wir es schaffen
können, eine realistische Ausbildungsbilanz vorzulegen.
Die Ausbildungsbilanz wäre doch viel realistischer
- dies könnte durch VerBIS gewährleistet werden -,
wenn wir die verbliebenen Bewerberinnen und Bewerber, von denen wir wissen, dass sie noch immer einen
Ausbildungsplatz suchen, auch wenn sie sich nicht offiziell bei der BA gemeldet haben, in der Statistik als Ausbildungsplatzsuchende führen würden. Meine Frage lautet: Warum sollen diese Möglichkeiten nicht genutzt
werden? So könnten wir schließlich unser Ziel, eine
realistischere Ausbildungsbilanz vorzulegen, erreichen.
Es gibt im Hinblick auf die Daten unterschiedliche
Einschätzungen, zum einen aufgrund unterschiedlicher
Beteiligter und zum anderen aufgrund unterschiedlicher
Verfahren.
Die erste Grundlage ist, dass junge Menschen, die der
BA zum Beispiel im Rahmen der Berufsberatung mitteilen, dass sie einen Ausbildungsplatz suchen, zunächst
einmal als Ausbildungsplatzsuchende registriert werden.
Angesichts der vorliegenden Zahlen des vergangenen
Frühjahrs wissen wir beispielsweise schon jetzt, wie
viele Bewerber sich für das nächste Ausbildungsjahr gemeldet haben. Dann können wir einen Vergleich mit den
Bewerberzahlen des vergangenen Berufsberatungsjahres ziehen.
Die zweite Grundlage ist, dass die Industrie- und
Handelskammern und die Handwerkskammern ganz
konkrete Zahlen liefern, wie viele Jugendliche nach einem bestimmten Stichtag in den Ausbildungsverzeichnissen bzw. Ausbildungsrollen eingetragen sind.
Unsere dritte Quelle sind - darauf haben auch Sie Bezug genommen - Befragungsaktionen des BIBB.
Wenn man all das berücksichtigt, erhält man, je nachdem, welchen Zeitraum man betrachtet, sehr unterschiedliche Bilder. Die Industrie- und Handelskammern
zum Beispiel vertreten die Meinung, die BA erfasse viel
zu wenig. Das ist natürlich richtig. Wer sich direkt beworben und einen Ausbildungsplatz bekommen hat,
meldet sich bei der BA nicht oder nicht mehr. Schon allein deshalb ist die Zahl derjenigen, die einen Ausbildungsplatz suchen, höher als in der Statistik ausgewiesen.
Ihre Frage war: Wie hängt das Ganze mit VerBIS zusammen? VerBIS wurde zur Verbesserung der Vermittlung und Beratung entwickelt; darauf ist es angelegt und
dazu soll es genutzt werden. Das bedeutet aber nicht
- das wiederhole ich -, dass ein Jugendlicher, der sich
im Berufsberatungsjahr um einen Ausbildungsplatz bewirbt, für ewige Zeit in VerBIS als Ausbildungsplatzsuchender registriert ist. Denn wenn die BA - entweder
im Rahmen von Nachvermittlungsaktionen oder im Rahmen eigener Aktivitäten - nicht erfährt, dass er nach wie
vor einen Ausbildungsplatz sucht und weiterhin registriert bleiben möchte, wird er aus der Statistik herausgenommen. Das ist ein ganz normales Verfahren.
Der Kollege Maurer hat noch eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, treffen die Behauptungen zu, wonach aufgrund der Umstellung auf das neue Erfassungssystem bis Frühjahr 2007 keine Monatsbilanzen zur
Ausbildungsplatzsituation veröffentlicht werden, und,
falls ja, worauf ist das zurückzuführen und führt das
nicht zu einer Beeinträchtigung der Möglichkeiten der
Bundesregierung hinsichtlich der Bewertung der Ausbildungsplatzsituation?
Es gibt einen Umstellungsprozess. Die Frage, ob die
Behauptungen zutreffen, kann ich gegenwärtig nicht beantworten.
({0})
- Ich kann sie Ihnen gerne schriftlich beantworten. Meinen Sie diese eine Frage oder meinen Sie alle drei Fragen, die Sie gestellt haben? Wegen Ihres heutigen Geburtstages haben Sie einen gut. Ich beantworte auch Ihre
drei Fragen.
({1})
- Gut.
Der Abgeordnete Maurer bittet also um die schriftliche Beantwortung aller drei Fragen. - Herzlichen Dank,
Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Alfred
Hartenbach zur Verfügung.
Ich rufe die Fragen 3 und 4 des Abgeordneten
Dr. Anton Hofreiter auf. Da dieser nicht anwesend ist,
verfahren wir mit diesen Fragen wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Damit bedanke ich mich für Ihre
Bereitschaft, die Fragen zu beantworten, Herr Staatssekretär.
Ich bedanke mich für Ihre Freundlichkeit.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Die Fragen 5 und 6 der
Kollegin Brigitte Pothmer werden schriftlich beantwortet. Damit verlassen wir auch diesen Geschäftsbereich
wieder, Herr Staatssekretär Schmidt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen
steht die Parlamentarische Staatssekretärin Marion
Caspers-Merk bereit.
Ich rufe Frage 7 des Kollegen Omid Nouripour auf:
Wie bewertet die Bundesregierung das fünfjährige Modellprojekt zur kontrollierten Abgabe von Heroin an Opiatabhängige in den Städten Hamburg, Hannover, Frankfurt,
Köln, Karlsruhe und München bei Berücksichtigung der Ergebnisse der Studie der Universität Hamburg vom Januar
2006?
Herr Kollege Nouripour, aus Sicht der Bundesregierung wurde das Modellprojekt erfolgreich durchgeführt.
Es hat sich gezeigt, dass die im Studiendesign aufgeführte Zielgruppe der Schwerstopiatabhängigen erreichbar und eine Diamorphinbehandlung wirksam durchführbar ist. Das zentrale Ergebnis des bundesdeutschen
Modellprojekts hinsichtlich beider Hauptzielkriterien ist
eine statistisch signifikante Überlegenheit der Diamorphin- gegenüber der Methadonbehandlung. Das erste
Zielkriterium war die Verbesserung des Gesundheitszustandes, das zweite Kriterium war der Rückgang des illegalen Drogenkonsums.
In der Gruppe der mit Diamorphin Behandelten zeigte
sich bei 80 Prozent der Probanden eine gesundheitliche
Verbesserung, in der Vergleichsgruppe der mit Methadon
Behandelten nur bei 74 Prozent. Ein Rückgang des illegalen Drogenkonsums trat in der Diamorphingruppe bei
69,1 Prozent der Probanden, in der Methadongruppe nur
bei 55,2 Prozent auf.
Auch wenn nur als Erfolg betrachtet wird, wenn die
Gesundheit der Patienten deutlich verbessert wurde und
sie zugleich ihren illegalen Heroinkonsum reduzierten,
ist die Diamorphinbehandlung der Methadontherapie
überlegen. Da die Unterschiede statistisch signifikant
sind, ist der wissenschaftliche Nachweis für eine größere
Wirksamkeit der Diamorphinbehandlung gegenüber der
Methadonsubstitution für diese spezifische Patientengruppe erbracht.
Die Diamorphinbehandlung ist bei den Patienten, die
vor der Teilnahme an der Studie nicht ausreichend von
der Methadonsubstitution profitierten, und bei den
Schwerstopiatabhängigen, die vom Drogenhilfesystem
zuvor überhaupt nicht erreicht wurden, gleichermaßen
wirksam.
Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, herzlichen Dank für Ihre Antwort, die auch mit den Ausführungen der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Frau Bätzing, und mit den
Erfahrungen, von denen man aus den Kommunen hört
und liest - beispielsweise von Frau Rottmann, Gesundheitsdezernentin in Frankfurt am Main -, übereinstimmt.
Daraus ergibt sich aber doch folgende Frage: Heißt
das, dass es seitens der Bundesregierung jetzt konkrete
weitere Schritte geben wird, um diese Modellprojekte
nicht auslaufen zu lassen, sondern zu verlängern?
Herr Kollege Nouripour, am 21. November 2006 ist
in einem Spitzengespräch der Koalitionsfraktionen entschieden worden, dass die Diamorphinbehandlung nicht
in die Regelversorgung aufzunehmen ist, weil zwischen
den beiden die Bundesregierung tragenden Fraktionen
keine Einigung zustande kam.
Nach den Regeln der großen Koalition kann ein Gesetzgebungsverfahren nur dann begonnen werden, wenn
beide Fraktionen mit dem Verfahren einverstanden sind.
Nach derzeitigem Stand wird die Arzneimittelstudie
- um eine solche handelt es sich nämlich - am
31. Dezember dieses Jahres beendet. Daher könnte nur
dann ohne Änderung der gesetzlichen Grundlage weitergemacht werden, wenn das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, kurz: BfArM, entsprechende Anträge aus den Städten im öffentlichen
Interesse positiv bescheidet. Die Anträge aus den Städten müssten im Einzelfall begründet werden. Eine Begründung im Sinne des öffentlichen Interesses wäre,
dass dann die Probanden, die man jetzt im Hilfesystem
integriert hat, weiterbehandelt werden können. Deswegen gehen wir davon aus, dass das BfArM eine solche
Erlaubniserteilung im öffentlichen Interesse nur begrenzt für einen bestimmten Übergangszeitraum aussprechen kann.
Ihre zweite Nachfrage.
Vor dem Hintergrund, dass der Erfolg dieses Projektes anscheinend weniger Gewicht hat als das, was Sie die
Regeln der großen Koalition genannt haben, frage ich
Sie, wie aus der Sicht der Bundesregierung die sachgerechte Behandlung von langjährig abhängigen Schwerkranken, die bisher noch nicht an dem Projekt teilnehmen und noch hinzukommen werden, gerade dort
fortzusetzen ist, wo es kein solches Projekt gibt.
Die Neuaufnahme oder Ausdehnung dieser Behandlungsart wäre nur dann möglich, wenn es gelingt, das
Betäubungsmittelgesetz entsprechend zu ändern. Das ist
die Voraussetzung dafür. Die an dem Modellprojekt beteiligten Städte sind über die Situation informiert worden. Auch die Lenkungsgruppe der beteiligten Länder,
Kommunen und des Bundesgesundheitsministeriums,
die immer wieder einberufen wird, wurde über die derzeitige Situation informiert. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass die betroffenen Länder immer noch die
Möglichkeit haben, über eine Bundesratsinitiative tätig
zu werden.
Danke, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Die Frage 8 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch und die
Fragen 9 und 10 des Kollegen Kai Gehring werden
schriftlich beantwortet.
Zur Beantwortung der übrigen Fragen in diesem Geschäftsbereich steht der Parlamentarische Staatsekretär
Thomas Rachel zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl
auf:
Welchen plausiblen Grund gibt es dafür, dass das Atommüllendlager Asse II nicht dem Bundesamt für Strahlenschutz, BfS, und damit dem Atomrecht unterstellt ist, obwohl
dort atomare Abfälle endgelagert werden?
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Kollegin, Ihre
Frage bezieht sich auf das Bergwerk Asse II. Das
GSF - Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit
ist für dieses Bergwerk zuständig. Denn es hat im
Jahr 1965 das ehemalige Salzbergwerk Asse im Auftrag
des Bundes erworben.
Von 1967 bis 1978 hat das GSF - Forschungszentrum
radioaktive Abfälle im Forschungsbergwerk eingelagert,
um hier sichere Endlagertechniken zu entwickeln. Die
Genehmigungen für diese Einlagerungen waren gestützt
auf die erste Strahlenschutzverordnung und das Atomgesetz in der Fassung vom 23. Dezember 1959. Die damaligen Genehmigungen erlaubten auch die Endlagerung
radioaktiver Abfälle im Forschungsbergwerk.
Mit der vierten Novelle des Atomgesetzes im
Jahr 1976 hat der Gesetzgeber konkrete Regelungen zur
Endlagerung radioaktiver Abfälle eingeführt. Die Einlagerung der radioaktiven Abfälle in das Forschungsbergwerk Asse wurde vor In-Kraft-Setzung der Novelle eingestellt. Aufgrund rechtlicher Prüfungen und auch
externer Gutachten ist die Bundesregierung - übrigens
unter Beteiligung des Landes Niedersachsen - Mitte der
90er-Jahre zu der Auffassung gelangt, dass die Schachtanlage Asse kein Endlager im Sinne des Atomgesetzes
ist.
Ihre erste Nachfrage.
Ich habe zunächst nur eine Verständnisfrage. Habe ich
Sie richtig verstanden, dass die Schachtanlage Asse kein
Endlager im Sinne des Atomgesetzes ist?
Die Schachtanlage Asse ist kein Endlager im Sinne
des Atomgesetzes.
Gut. - Jetzt habe ich eine Nachfrage. Derzeit wird der
immer noch ausstehende Langzeitsicherheitsnachweis
erstellt. Angesichts der Tatsache, dass es sich bei Asse II
zwar um kein Endlager im Sinne des Atomgesetzes, aber
letztlich um ein De-facto-Endlager für atomaren Abfall
handelt - denn dieser Abfall wird darin verbleiben; es
geht um 125 000 Fässer mit schwach und mittel radioaktivem Abfall -, frage ich Sie: Wird der Langzeitsicherheitsnachweis atomrechtlich geprüft? Ich vermute selbst,
dass das nicht der Fall ist.
Aber sind wir uns nicht einig darüber, dass auch nuklearspezifische Risiken geprüft und beim Langzeitsicherheitsnachweis berücksichtigt werden müssen? Daher lautet meine eigentliche Frage: Wie und durch wen
wird dieses nuklearspezifische Sicherheitsrisiko geprüft?
Eigentlich haben Sie sich die Antwort schon selber
gegeben. Deswegen weise ich nur darauf hin, dass diese
Fragen im Rahmen der rechtlich vorgegebenen Wege
überprüft werden.
Sie haben die Chance, eine zweite Nachfrage zu stellen.
Diese Logik hat sich mir nicht erschlossen, vielleicht
aber meinem Kollegen. Ich lasse ihn fragen.
Er ist noch nicht dran. Die Kollegin Höhn wäre dran,
wenn Sie auf Ihre zweite Nachfrage verzichten.
Nein. Ich verzichte nicht. Muss ich meine zwei Nachfragen hintereinander stellen?
So ist es.
Dann stelle ich eine andere, wichtige Nachfrage. Ich
wüsste gerne, inwieweit sich mit dem Bergrecht, das die
bergbautypischen Gefahren regelt, die hier existierenden
nuklearspezifischen Risiken - ich denke, wir sind uns einig, dass es solche gibt - abdecken lassen, die normalerweise das Atomrecht regelt.
Alle aufgeworfenen Fragen werden im Rahmen des
Bergrechts geprüft und sind in diesem Sinne zu beantworten.
Dann hat die Kollegin Höhn das Wort zu einer Nachfrage.
Die im Bergrecht verankerten Beteiligungsrechte der
Bevölkerung sind insbesondere im Vergleich zu den
Möglichkeiten, die man in einem Planfeststellungsverfahren nach dem Atomrecht hätte, erheblich eingeschränkt. Nun versucht die Behörde, der Bevölkerung
über freiwillige Maßnahmen die entsprechenden Rechte
einzuräumen. Sind Sie wirklich der Meinung, dass sich
mit dem Bergrecht, das meines Wissens aus den 30erJahren des letzten Jahrhunderts stammt, eine ausreichende Information der Bevölkerung bei einem so brisanten Thema sicherstellen lässt?
Frau Kollegin Höhn, die Maßnahmen werden selbstverständlich nach den bestehenden rechtlichen Regelungen vollzogen. In diesem Falle ist nicht das Atomgesetz
einschlägig. Alle Maßnahmen und Tätigkeiten im Bereich Asse II sind vielmehr unter Aufsicht der Bergbehörde durchzuführen. Auch die geplante Schließung des
Bergwerks wird unter Aufsicht der Bergbehörde und im
Rahmen des Bergrechts durchzuführen sein.
Der Kollege Hans-Josef Fell hat eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, das Eindringen einer Salzlösung
in die Asse - das wurde erst 1988 bekannt - wurde
atomrechtlich und strahlenschutzrechtlich nie bewertet.
Die alten Genehmigungen für die Einlagerung von atomaren Abfällen stammen aus dem Zeitraum von 1969
bis 1997, als davon ausgegangen wurde, dass die Asse
trocken bleibt. Wie begründen Sie, dass eine atomrechtliche und strahlenschutzrechtliche Bewertung dieser
Laugenzuflüsse nie stattgefunden hat und offensichtlich
aus Ihrer Sicht - weil Sie nur das Bergrecht betonen überflüssig ist?
Die zahlreichen Unterstellungen in Ihrer Frage mache
ich mir nicht zu Eigen. Ich weise darauf hin, dass die
Bundesregierung korrekt nach Recht und Gesetz zu verfahren hat. Durch den Übergang des Bergwerks Asse in
die Zuständigkeit des GSF - Forschungszentrums für
Umwelt und Gesundheit, welches das Bergwerk im Auftrag des Bundes erworben hat, ist klar, dass hier bergrechtliche Regelungen zu berücksichtigen sind. Alle aufgeworfenen Fragen werden in diesem Sinne überprüft.
Ich rufe die Frage 12 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl
auf:
Was spricht gegen eine Rückholung des bereits in Asse II
eingelagerten Atommülls?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, es sind vor allem technische Gründe
und sicherheitsrelevante Aspekte, die eine Rückholung
der eingelagerten atomaren Abfälle falsch erscheinen
lassen. Nach vorliegenden Gutachten ist das Grubengebäude des Forschungsbergwerks bis etwa 2014 für die
Durchführung von Untertagearbeiten ausreichend stabil
ausgelegt.
Als Voraussetzung für weitere Tätigkeiten unter Tage
wäre daher zuerst die Frage zu beantworten, wie das
Grubengebäude mechanisch für eine geschätzte Rückholzeit von etwa 25 Jahren stabilisiert werden könnte.
Ob eine solche Stabilisierung überhaupt technisch möglich ist, ist unklar. Darüber hinaus sind Fragen zu klären,
die die Bergung des Abfalls und den Strahlenschutz der
betroffenen Personen betreffen, aber auch Fragen der Ertüchtigungsmaßnahmen im Bergwerk, die gegebenenfalls erforderlich sind. Schließlich ist die Frage zu klären, wo im Falle des Falles der radioaktive Abfall
behandelt oder gelagert werden könnte.
Im Übrigen verweise ich auf die ausführliche Antwort
der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, der Sie selber angehören, zum Thema „Zustand und Planung am Forschungsendlager Asse II“ vom 17. Oktober dieses
Jahres, Bundestagsdrucksache 16/2963.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, herzlichen Dank, auch für den
Hinweis auf die Kleine Anfrage, die mir sehr präsent ist,
da sie von mir stammt. Meine Fragen jetzt gehen über
diese Fragen und die Antworten auf die Kleine Anfrage
hinaus.
Ich darf aus einem Brief des BMBF vom 12. Juli
2005 an die Bürgerinitiative „aufpASSEn e. V.“ zitieren:
Die GSF hat eine Rückholzeit von insgesamt
40 Jahren bei Kosten von über 2 Milliarden Euro
abgeschätzt.
Das BMBF hat trotzdem geprüft, ob zur Rückholung der
radioaktiven Abfälle aus der Schachtanlage Asse eine
fachliche Ausarbeitung in Auftrag gegeben werden
könne. Aus dieser haben Sie zitiert. Die Ausarbeitung
der Firma Fichtner Consulting liegt nun vor. Sie liegt
auch mir vor. Diese Ausarbeitung spricht von einer
Rückholzeit von maximal 20 Jahren und Kosten von
2,4 Milliarden Euro, wovon 1,4 Milliarden Euro auf die
Endlagerung entfallen. Die Kosten der Rückholung betragen somit gerade einmal 1 Milliarde Euro. Sowohl
Dauer als auch Kosten der Rückholung betragen also genau die Hälfte der Einschätzung durch das GSF.
Ich frage Sie: Wie entstehen solche fatalen Fehleinschätzungen? Wäre es angesichts der Unterschiede in
der Einschätzung der GSF und des Gutachtens nicht angebracht, weitere Gutachten einzuholen, um zu einer tatsächlich belastbaren Einschätzung zu kommen, bevor
man die Bevölkerung vor Ort mit der Aussage konfrontiert, dass eine Rückholung nicht machbar ist?
Frau Kollegin, der Sinn des eingeholten Gutachtens
besteht gerade darin, die Fragestellung genauer aufzuarbeiten. Dies hat das Gutachten erreicht. Es trägt insofern
zu einer qualifizierten Meinungsbildung bei und die
Frage ist aus Sicht der Gutachter der Fichtner Consulting
klar beantwortet, nämlich dass von einer Rückholung
der radioaktiven Abfälle abzusehen sei.
Sie können noch eine Nachfrage stellen.
Das mache ich gerne. Danke, Frau Präsidentin. - Herr
Staatssekretär, bei der Vorstellung des Gutachtens am
letzten Donnerstag in Wolfenbüttel zog der Gutachter
der Consulting die Bilanz, dass es machbar sei, aber
große Risiken berge. Ich frage Sie: Nach welchen Indikatoren werden diese Risiken mit den Risiken des Verbleibens des Atommülls in der Asse abgewogen?
Die Gutachter kommen selber - da Ihnen das Gutachten vorliegt, haben Sie das nachlesen können - unter Beachtung verschiedenster Gesichtspunkte zu dem Ergebnis, dass sie eindeutig davon abraten, die radioaktiven
Abfälle zurückzuholen. Dabei werden sowohl Kostengesichtspunkte als auch Sicherheitsgesichtspunkte angesprochen. Diese von den Gutachtern angeführten
Gesichtspunkte müssen in der abschließenden Meinungsbildung unbedingt berücksichtigt werden.
Es gibt noch eine Nachfrage des Kollegen Fell.
Herr Staatssekretär, bei der Analyse des Gutachtens
ist uns aufgefallen, dass die Gutachter den Vergleich
eben nicht angestellt haben. Deswegen frage ich Sie:
Gibt es einen Vergleich, bei welchem Konzept - GSFSchließungskonzept oder Rückholung - die betroffene
Bevölkerung langfristig weniger Risiken ausgesetzt ist?
Alle Überlegungen, sowohl die der GSF als auch die
der Gutachter, sind nach meinem Kenntnisstand davon
ausgegangen, dass Priorität der Schutz der Bevölkerung
im Umfeld des Bergwerks hat. Dabei sind natürlich Fragen der technischen Machbarkeit und der geologischen
Veränderungen mit berücksichtigt worden. Aus meiner
Sicht ist der Stellungnahme der Gutachter, die sich mit
diesem Projekt ausführlich befasst haben, nichts hinzuzufügen. Die Gutachter raten von einer Rückholung der
radioaktiven Abfälle dringend ab.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter
Altmaier bereit.
Die Fragen 13 und 14 des Kollegen Volker Beck
({0}) werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 15 der Kollegin Cornelia Hirsch
auf:
Was versteht die Bundesregierung unter generationengerechtem Handeln und wie positioniert sie sich zu der Forderung, den Grundsatz der Generationengerechtigkeit im Grundgesetz zu verankern?
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Hirsch, im Koalitionsvertrag wird der Begriff der Generationengerechtigkeit als zentrale Herausforderung, insbesondere für die
Finanz- und Haushaltspolitik, angeführt. Daran können
Sie erkennen, welchen Stellenwert die Bundesregierung
dieser Problematik beimisst. Wir wollen den nachfolgenden Generationen tragfähige Staatsfinanzen übergeben.
Damit wollen wir erreichen, dass die Chancen zukünftiger Generationen auf Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse mindestens so groß sind wie die der heutigen Generation. Das entspricht im Übrigen der Definition des
Begriffs der Nachhaltigkeit durch die Brundtland-Kommission aus dem Jahre 1987, der unserem Handeln zugrunde liegt. Das gilt auch für andere Politikbereiche,
insbesondere für den Umweltschutz oder für die Reform
der sozialen Sicherungssysteme. Vor dem Hintergrund
der demografischen Entwicklung kommt es auch darauf
an, sich auf die veränderten Rahmenbedingungen rechtzeitig einzustellen.
Was die Forderungen nach einer Verankerung des
Grundsatzes der Generationengerechtigkeit im Grundgesetz angeht, darf ich daran erinnern, dass es hierzu einen
fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf junger Abgeordneter gibt, der die Einführung eines entsprechenden
Staatsziels in einem neuen Art. 20 b Grundgesetz und
eine Änderung in Art. 109 Abs. 2 Grundgesetz vorsieht.
Ich bitte allerdings um Verständnis dafür, dass ich den
Erörterungen dieses Gesetzentwurfs im Plenum und in
den zuständigen Ausschüssen nicht vorgreifen möchte.
Die Bundesregierung wird sich gegebenenfalls im Rahmen der dort stattfindenden Beratungen äußern.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Danke schön. - Es ist richtig, dass Sie auf den vorliegenden Gesetzentwurf Bezug nehmen. An diesem Gesetzentwurf sind alle Fraktionen bis auf die Fraktion Die
Linke beteiligt. Ich kann auch verstehen, dass Sie darauf
nicht näher eingehen, um den parlamentarischen Beratungen nicht vorzugreifen. Für die Bewertung ist es
wichtig, zu wissen, was daraus folgen würde, wenn dieser Grundsatz in unserer Verfassung künftig verankert
würde.
In der Begründung des Gesetzentwurfs wird darauf
verwiesen, dass der Gesetzgeber durch die Verankerung
dieses Grundsatzes in Art. 20 b Grundgesetz zukünftig
sowohl die Pflicht als auch mehr Möglichkeiten hätte,
die so genannte Generationengerechtigkeit gesetzlich zu
verankern. Können Sie mir konkrete Beispiele dafür
nennen, was das für die Regierungspolitik im Einzelnen
heißen könnte? Würden sich daraus, insbesondere in der
Haushalts- und Finanzpolitik, Änderungen ergeben?
Welche Regierungsprojekte könnten durchgeführt werden, wenn es zu einer Zustimmung kommt?
Frau Kollegin, ich darf darauf hinweisen, dass die Regierungspolitik sich bereits geändert hat und dass wir
insbesondere im Rahmen der Aufstellung des Haushaltes
für das Jahr 2007 einen Beitrag zum Prinzip der Generationengerechtigkeit geleistet haben, indem wir die Neuverschuldung auf den niedrigsten Stand seit der deutschen Wiedervereinigung begrenzen.
Im Übrigen bitte ich ganz herzlich noch einmal um
Verständnis dafür, dass wir uns zu all den technischen
und inhaltlichen Fragen, die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verbunden sind, in den zuständigen Ausschüssen und in der anstehenden Plenarberatung äußern
werden.
Ihre zweite Nachfrage.
Dieser Gesetzentwurf wurde von der Stiftung für die
Rechte künftiger Generationen maßgeblich angestoßen.
Kennt die Bundesregierung diese Stiftung schon von
vorherigen Gesetzesinitiativen oder von anderen parlamentarischen Initiativen? Arbeitet diese Stiftung in irgendeiner Form auch mit öffentlichen Fördermitteln?
Wie muss diese Stiftung aus Sicht der Bundesregierung
insgesamt eingeordnet werden?
Diese Stiftung ist der Bundesregierung bekannt.
Ich schlage vor, dass wir die Frage, ob Fördergelder
gezahlt werden, schriftlich beantworten. Mir ist die Antwort im Augenblick nicht geläufig. Damit, glaube ich,
ist auch diese Nachfrage beantwortet.
Die Fragen 16 und 17 des Kollegen Albert Rupprecht
({0}) werden schriftlich beantwortet.
Danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
zur Verfügung.
Die Fragen 18 und 19 der Kollegin Christine Scheel
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Omid Nouripour
auf:
Wie unterstützt die Bundesregierung die Bestrebungen der
Deutschen Börse zum Ausbau des internationalen Finanzstandortes Frankfurt am Main nach dem Abbrechen der Verhandlungen zur Partnerschaft mit der Betreibergesellschaft
Euronext?
Herr Kollege Nouripour, die Bundesregierung bedauert, dass eine Konsolidierung der wichtigsten kontinentaleuropäischen Börsenplätze nicht zu erreichen war. Die
Entscheidung der Deutschen Börse AG, einen Zusammenschluss mit Euronext nicht weiterzuverfolgen, wenn
ein solcher für die Aktionäre der Deutschen Börse AG
nicht mehr attraktiv ist, ist aber nachvollziehbar. Die
Bundesregierung hat stets betont, dass die Entscheidung
über Börsenfusionen in erster Linie bei den betroffenen
privaten Unternehmen und ihren Aktionären liegt. Die
Börsen sollten aber die Interessen des jeweiligen europäischen Finanzstandorts und der dort Beschäftigten in
angemessener Weise berücksichtigen.
Auch nach dem Abbruch der Verhandlungen gehen
wir davon aus, dass die Deutsche Börse AG ein wichtiges Element nicht nur des Finanzplatzes Deutschland,
sondern auch des Finanzplatzes Europa bleibt. Wir sind
bestrebt, die weitere Entwicklung des Finanzplatzes
Deutschland durch ein wettbewerbsfähiges Kapitalmarktrecht voranzutreiben. Hierzu dient auch die Festlegung im Koalitionsvertrag, die nationale Umsetzung von
entsprechenden EU-Richtlinien eins zu eins durchzuführen, dabei aber nationale Spielräume im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzmarkts Deutschland zu nutzen.
Ihre Nachfrage, bitte.
Vor dem Hintergrund der heutigen Ankündigung des
Chefs von Euronext, Jean-François Théodore, dass Euronext jetzt nicht nur mit der NYSE, sondern auch mit
der Tokioer Börse kooperieren möchte, würde mich sehr
interessieren, Frau Staatssekretärin, wie Sie die jetzt ausgerufene Stand-alone-Strategie der Deutschen Börse bewerten.
Es geht nicht um eine Stand-alone-Strategie der Deutschen Börse, sondern es geht um die Frage, ob andere europäische Börsenplätze bzw. ihre Aktionäre bereit sind,
mit der Deutschen Börse eine engere Zusammenarbeit, in
welcher Weise und Struktur auch immer, aufzunehmen.
Dies scheint nicht der Fall zu sein. Die Bundesregierung
bedauert die Entscheidungen, die dort getroffen worden
sind, hat diese aber nicht zu verantworten. Offenbar hat
aufseiten der Aktionäre von Euronext kein Interesse bestanden, eine Zusammenarbeit mit der Deutschen Börse
in die Wege zu leiten.
Ich sage noch einmal: Wir hätten das begrüßt. Wir bekräftigen unsere Auffassung, dass eine europäische Lösung im Interesse des europäischen Binnenmarkts sowie
der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Europa vorzuziehen gewesen wäre. Aber in Wirtschaftskreisen fallen manchmal Entscheidungen, die nicht unbedingt rationalen Erwägungen folgen.
Ihre zweite Nachfrage.
Ich habe etwas nicht ganz verstanden. Sie haben gesagt, es gehe um Kooperationen, die gescheitert seien,
aber es gehe nicht um Stand-alone-Strategien, wobei ich
diesen Begriff nicht negativ gemeint habe. Meine Frage
vor diesem Hintergrund ist: Beabsichtigt die Bundesregierung, konkrete Pläne der Deutschen Börse - nicht im
Hinblick auf eine Fusion, sondern im Hinblick auf eine
Kooperation mit Finanzstandorten wie Moskau, Mailand
oder Standorten in Ostasien - zu unterstützen?
Sollte die Deutsche Börse von der Bundesregierung
eine öffentliche Unterstützung bei Bestrebungen der Art,
die Sie angedeutet haben, erwarten, so würden wir uns
dem selbstverständlich nicht entziehen.
Danke, Frau Staatssekretärin.
Die Frage 21 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, die
Frage 22 des Kollegen Winfried Hermann und die
Frage 23 der Kollegin Höhn werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Jörn Wunderlich
auf:
Welche Gründe haben das Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend, BMFSFJ, in Absprache mit
dem Bundeskanzleramt veranlasst, den „Ersten Bericht über
die Situation der Heime und die Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner“ entgegen § 22 des Heimgesetzes nicht
dem Parlament zuzuleiten und auf eine Aussprache zu verzichten?
Ich beantworte die Frage 24 wie folgt: Die öffentlichrechtlichen Vorschriften des Heimrechts, zu denen auch
die Berichtspflicht in § 22 des Heimgesetzes gehört, sind
mit In-Kraft-Treten der Föderalismusreform in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder übergegangen. Bundestag und Bundesrat sind damit für diese
Materie nicht mehr die zuständigen gesetzgebenden
Körperschaften.
Um die im Heimbericht enthaltenen wertvollen Informationen trotz der geänderten Rechtslage zugänglich zu
machen, wurde der mit den Bundes- und Landesressorts
abgestimmte Bericht Mitte Oktober als Onlinepublikation auf der Homepage des BMFSFJ eingestellt. Hierüber wurden die Mitglieder der Bundestagsausschüsse
für Gesundheit sowie für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend, dem Sie ja auch angehören, die beteiligten Bundesressorts, die Minister und Ministerinnen der für das
Heimrecht zuständigen Ressorts der Länder, die Präsidenten und Präsidentinnen der Landtage sowie die Vertreterinnen und Vertreter der Verbände durch Anschreiben informiert. Darüber hinaus wurde den Mitgliedern
des FSFJ-Ausschusses des Bundestages auch ein Druckexemplar zur Verfügung gestellt.
Gemäß § 62 Abs. 1 Satz 3 der Geschäftsordnung des
Bundestages steht es einem Ausschuss frei, mit Mehrheit
jedes Thema aus seinem Geschäftsbereich auf die Tagesordnung des Ausschusses zu setzen und darüber zu beraten.
Ihre erste Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Kues, für diese Antwort. - Mich
würde interessieren, seit wann der Heimbericht vorgelegen hat und ob Ihnen bekannt ist, dass es noch keine
Landesheimgesetze gibt und sich somit bis dato noch
nichts an der Zuständigkeit des Bundes geändert hat, sodass Ihre Schilderung insoweit nicht zutrifft.
Die Zuständigkeit hat sich geändert. Die Gesetze zur
Föderalismusreform sind vom Bundestag und vom Bundesrat verabschiedet worden.
Der Heimbericht enthält sehr umfangreiches Zahlenmaterial für das Jahr 2003. Diese Angaben waren aber
erst Mitte des Jahres 2005 verfügbar; dann mussten sie
eingehend analysiert und ausgewertet werden. Insofern
hat es längere Zeit gedauert, bis der Heimbericht vorgelegt werden konnte. Im Heimgesetz war die Vorlage für
das Jahr 2004 vorgesehen gewesen. Es hat aus den angegebenen Gründen länger gedauert. Nachdem die Daten
2005 vorlagen, hat sich eine sehr zeitaufwendige Abstimmung mit den Verbänden, den Leistungsanbietern,
den Vertretern von Betroffenen, den zuständigen Behörden der Länder, den fachlich betroffenen Ressorts des
Bundes und auch den Beauftragten der Bundesregierung
als notwendig erwiesen.
Sie haben die Möglichkeit, eine zweite Nachfrage zu
stellen.
Wie Sie schon richtig erwähnten, sollte der erste
Heimbericht dem Parlament im Jahre 2004 zugeleitet
werden. Nach Ihrer Aussage lag er 2005 vor. Woran lag
es denn, dass er bis zum heutigen Tag dem Parlament
nicht förmlich zugeleitet wurde?
Ich hielte es für politisch sehr fragwürdig, wenn,
nachdem die Gesetzgebungskompetenz auf die Länder
übergegangen ist, der Eindruck erweckt würde, als läge
hierfür die Gesetzgebungskompetenz nach wie vor beim
Bund. Ich habe Ihnen aber schon erläutert, dass die Mitglieder des Ausschusses, dem auch Sie selbst angehören,
detailliert informiert worden sind und dass darüber hinaus Informationen auch anderweitig zur Verfügung gestellt worden sind.
Es wäre nun Sache der Länder, daraus politische Konsequenzen zu ziehen. Der Bund arbeitet in der entsprechenden Arbeitsgruppe natürlich mit; bislang hat es ja
auch schon Absprachen und Abstimmungen gegeben.
Ich habe auch schon gesagt, dass ich keinen Zweifel
habe, dass die Länder mit den darin enthaltenen interessanten Informationen sorgfältig umgehen und sie bewerten werden und dann auch Schlussfolgerungen ziehen.
Es wäre nicht angemessen, auch nicht gegenüber der
Öffentlichkeit, wenn der Bund, ohne irgendwelche Gestaltungsmöglichkeiten zu haben, den Eindruck erwecken würde, als sei er dafür verantwortlich. Von daher
halte ich unser Vorgehen für sachlich richtig: Wir haben
die Information zur Verfügung gestellt und die Mitglieder des zuständigen Ausschusses informiert. Der Ausschuss kann ja im Übrigen über alle Aspekte des Berichtes, wenn er möchte, diskutieren. Dafür müssen diese
Aspekte nur auf die Tagesordnung gesetzt werden.
Danke schön.
Damit rufe ich die Frage 25 des Kollegen Jörn
Wunderlich auf:
Worin liegt die Ursache dafür, dass das BMFSFJ zum wiederholten Male Studien, Sachberichte und Fachanalysen - zum
Beispiel die Studie über die Möglichkeiten einer Umsetzung
von Gender-Budgeting auf Bundesebene - unter Ausschluss
der gesetzgebenden Körperschaften des Bundes berät und diskutiert?
Die Behauptungen, die der Frage 25 zugrunde liegen,
sind nach meiner Auffassung falsch. Ich kann dazu auch
nichts Weiteres sagen, solange sie nicht präzisiert werden.
Konkret wird die Gender-Budgeting-Studie erwähnt.
Dazu kann ich Stellung nehmen. Hierbei handelt es sich
um eine Machbarkeitsstudie zur probeweisen Einführung
von Gender-Budgeting auf Bundesebene. Diese hatte das
BMFSFJ im April 2005, und zwar nach Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens, in Auftrag gegeben. Die
Konzeption dieser Studie erfolgte auf Basis eines Abstimmungsprozesses innerhalb der Bundesregierung. Sie
sollte Vorschläge zu möglichen Ansatzpunkten zu Gender-Budgeting im Bundeshaushalt machen und für eine
sinnvolle Erprobung von Gender-Budgeting auf Bundesebene entwickeln.
Die Studie liegt dem BMFSFJ vor und wird in den
Diskussions- und Entscheidungsprozess innerhalb der
Bundesregierung einfließen; ich habe darüber heute
Morgen auch im Ausschuss berichtet und wir haben relativ ausführlich darüber diskutiert. Auf ihrer Basis sollen
weitere konzeptionelle Überlegungen auf Bundesebene
stattfinden. Wir bringen dieses Thema auch in den europäischen Diskussionsprozess mit ein. Daraus werden
sich wiederum Konsequenzen ergeben, weil wir von anderen Ländern lernen wollen.
Über Sinn und Zweck einer Veröffentlichung muss
dann im Einzelnen entschieden werden, wie ich bereits
heute Morgen erläutert habe. Es gibt jedenfalls keinen
gesetzlichen Auftrag, auch keinen Parlamentsbeschluss,
der die Bundesregierung verpflichten würde, das sofort
zu tun. Aber ich sage ausdrücklich, dass wir an einer offenen Diskussion interessiert sind. Im Mai werden in
Bad Pyrmont die europäischen Gleichstellungsminister
zusammenkommen. Auch dort werden solche Fragen
wie Gender-Budgeting erörtert.
Sie haben die Möglichkeit zu zwei Nachfragen.
Meine Frage fußt zum einen auf der Antwort auf eine
Kleine Anfrage vom 28. September 2006, in der es
heißt:
Die Studie wurde vom Bundesministerium … in
Auftrag gegeben, um Möglichkeiten … Sie liegt
dem Bundesministerium vor und wird gegenwärtig
geprüft. Es ist geplant, ihre Ergebnisse und weitere
Konsequenzen im Ressortkreis zu diskutieren. Dabei wird auch die Frage ihrer Veröffentlichung entschieden werden.
Durch Zufall ist mir dann zum anderen eine Einladung zu einer öffentlichen Veranstaltung der FriedrichEbert-Stiftung in die Hände gekommen, in der es heißt:
Eine erste Studie über die Möglichkeiten einer Umsetzung von Gender Budgeting auf der Bundesebene liegt nun vor.
Ohne Einschaltung des Parlaments! Der Ausschuss war
über diese Veranstaltung nicht informiert; das heißt,
sämtliche Fachpolitiker waren darüber nicht informiert.
In dem Zusammenhang möchte ich - weil Sie von
Unterstellung sprechen - nur an die Evaluierung des
Prostitutionsgesetzes erinnern, die dem Ausschuss erst
vorgelegt wurde, nachdem seitens des Ministeriums eine
Versicherung abgegeben wurde, um eine Kampfabstimmung im Ausschuss, wo aller Voraussicht nach die SPD
gegen die CDU/CSU gestimmt hätte, zu verhindern.
Beim Prostitutionsgesetz war es so - das wissen auch
Sie genau, Herr Wunderlich, weil Sie bei den Erörterungen immer dabei waren, auch im Ausschuss -, dass die
Bundesregierung verpflichtet war, einen Bericht vorzulegen. Ein solcher Bericht muss im Kabinett diskutiert
werden. Dann müssen die unterschiedlichen Ressorts
einbezogen werden. Dieses Thema fällt ausdrücklich
nicht allein in die Zuständigkeit des Familienministeriums, sondern auch das Innenministerium und das Justizministerium sind betroffen. Es hat dann eine - ich
nenne das jetzt einmal so - erste Expertise gegeben, die
vorgelegen hat. Ich habe seinerzeit gesagt, dass der Bericht nicht vorliegt. Es ist eine Frage der Zweckmäßigkeit, ob man Teilaspekte veröffentlicht. Wir haben uns
im Endeffekt doch dazu entschlossen.
Wenn Sie sich aber näher damit beschäftigen, werden
Sie merken, dass solche Expertisen auch im Hinblick auf
das Ziel, das man hat, nämlich einen Bericht zu erstatten,
aufgearbeitet werden müssen. Beim Prostitutionsgesetz
zum Beispiel war es aus unserer Sicht so, dass die damit
verbundenen Zielsetzungen mit der ersten Expertise
nicht hinreichend erfasst worden sind. Deswegen haben
wir einen weiteren Auftrag als Ergänzung erteilt, damit
wir einen wirklich sachgerechten Bericht vorlegen können. Das erklärt auch, dass es zu bestimmten Verzögerungen gekommen ist. Das wissen Sie aber alles, weil
wir im Ausschuss darüber diskutiert haben.
Wenn jetzt eine private Stiftung eine Veranstaltung
zum Gender-Budgeting macht und sich dabei Informationen zu Eigen durchführt, die öffentlich auf dem Markt
sind, ist dafür nicht die Bundesregierung verantwortlich.
Die Stiftung kann jederzeit so handeln. Ich glaube dennoch, dass es sachgerecht ist, wenn ein Ministerium
Sachverhalte erst dann veröffentlicht, wenn sie aufbereitet und auch politisch bewertet sind. Das Ministerium
muss da etwas anders vorgehen als eine private Stiftung.
Wir haben die Informationen bislang jedenfalls aus den
besagten Gründen und aus Gründen der Sorgfalt, der wir
uns verpflichtet fühlen, nicht veröffentlicht. Aber wir haben das ausdrücklich vor.
Sie haben die Möglichkeit, eine zweite Nachfrage zu
stellen.
Sie stimmen mir aber zu, dass es bei der Evaluierung
des Prostitutionsgesetzes um einen Auftrag des Parlaments an die Bundesregierung ging, das Ergebnis dieses
Auftrags dem Parlament allerdings vorenthalten wurde,
weil das Ergebnis der Regierung offensichtlich nicht
hinreichend erschien - ohne das Parlament darüber zu
informieren?
Nein, das ist falsch. Ich habe eben gesagt: Wir sind
verpflichtet, beim Prostitutionsgesetz einen Bericht vorzulegen. Das wird aber ein Bericht der Bundesregierung
sein. Eine einzelne Expertise - ich nenne sie einmal so;
über den Begriff kann man streiten - ist noch kein Bericht der Bundesregierung. Ein Bericht der Bundesregierung wird im Kreise der Fachressorts abgestimmt und
wird mit einer Bewertung versehen. Ich finde, das Parlament hat einen Anspruch darauf, dass die Bundesregierung erklärt, wie damit umgegangen wird. Das muss geleistet werden. Das heißt keineswegs, dass zu einzelnen
Aspekten keine Vorarbeiten geleistet worden sind. Das
habe ich im Ausschuss aber schon im Einzelnen erläutert.
Die Frage 26 der Kollegin Bettin wird schriftlich beantwortet.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Es antwortet der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller.
Die Frage 27 des Kollegen Winfried Hermann wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 28 des Kollegen Hans-Josef Fell
auf:
Stimmt die Meldung der Tageszeitung „Passauer Neue
Presse“ vom 23. November 2006, dass der Bundesminister für
Vizepräsidentin Petra Pau
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel,
ein schrittweises Auswahlverfahren für die Bestimmung eines
deutschen Atommüllendlagers anstrebt, und, wenn nein, welchen Zeitplan strebt die Bundesregierung bei der Endlagersuche an?
Sehr verehrter Herr Kollege Fell, Sie beziehen sich in
Ihrer Frage auf eine Meldung der „Passauer Neuen
Presse“ vom 23. November. Wie Sie wissen, haben wir
dieses Thema im Bundestag mehrfach im Rahmen von
Anfragen behandelt. Ich verweise unter anderem auf die
Drucksache 16/2690.
Die Antwort lautet wie folgt: Im Koalitionsvertrag
bekennen sich die beiden Regierungsfraktionen, CDU/
CSU und SPD, gemeinsam zur nationalen Verantwortung für eine sichere Endlagerung radioaktiver Abfälle.
Sie wollen, dass die Erarbeitung einer Lösung zügig und
ergebnisorientiert angegangen wird. Die Koalitionsfraktionen haben dabei ihre Absicht bekundet, noch in dieser
Legislaturperiode zu einer Lösung zu kommen.
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit hat dazu ein Konzept entwickelt. Dieses Konzept muss allerdings innerhalb der Bundesregierung noch abgestimmt werden.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, herzlichen Dank für die Antwort.
- Inzwischen ist ja bekannt geworden, dass der Bundesumweltminister anstrebt, mit den Betreibern direkt
einen Vertag über die Endlagersuche zu schließen, und
nur zwei oder drei Standorte in die engere Auswahl nehmen will. Heißt das im Klartext, dass sich die Bundesregierung mit diesem Vorstoß von der ursprünglichen Linie verabschiedet hat?
Das Thema ist so wichtig, dass wir einen möglichst
breiten Konsens hinbekommen wollen und dass es bei
der Abstimmung innerhalb der Bundesregierung bleibt.
Dass das Ministerium ein großes Interesse hat, zügig zu
einer Regelung zu kommen, die § 96 des Atomgesetzes
entspricht - es muss sich um eine Lösung handeln, die
die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge garantiert -, dürfte sich daraus ergeben.
Ihre zweite Nachfrage.
Da nun ein Vertrag mit den Betreibern angestrebt
wird - Sie haben es indirekt bestätigt - und die Zielvorstellungen der Betreiber, die keine Endlagersuche wollen, sondern den Standort Gorleben als Endlager einfach
festschreiben wollen, bekannt sind, taucht für uns die
Frage auf: Wird es in diesen Vertragsverhandlungen zu
einer Aufgabe der Position der Bundesregierung kommen?
Nein.
Damit rufe ich die Frage 29 des Kollegen Hans-Josef
Fell auf:
Wenn ja, bis wann sollen die Kriterien dafür festgelegt
werden und wer soll die Suche finanzieren?
Diesbezüglich gilt das, was ich schon gesagt habe.
Ich nehme an, der Kollege Fell hat eine Nachfrage.
Danke, Frau Präsidentin. - Die Kriterien wurden im
Wesentlichen vom Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagersuche festgelegt. Wird es nun in den Verhandlungen
mit den Betreibern eine Aufgabe dieser Kriterien geben
oder wird es weiterhin ein Festhalten der Bundesregierung an den Kriterien des AK End geben?
Ich bleibe dabei, dass nach § 96 des Atomgesetzes die
Verpflichtung besteht, den Planfeststellungsbeschluss
für ein Endlager nur dann zu erteilen, wenn optimal Vorsorge nach Stand von Technik und Wissenschaft gegeben ist.
Sie haben die Chance eines zweiten Versuchs.
Herr Staatssekretär, ich möchte noch ein wenig nachhaken, was diesen Vertrag betrifft; denn das ist ein neuer
Vorschlag. Bedeutet das Anstreben eines Vertrages zwischen Bundesregierung und Betreibern die Aufgabe der
bisherigen Position, die Endlagersuche über ein Gesetz
zu regeln, und einen Ersatz durch einen solchen Vertrag?
Ich sehe nicht, dass eine derartig gewichtige Entscheidung ohne eine gesetzliche Grundlage machbar ist.
Es gibt eine Nachfrage der Kollegin Kotting-Uhl.
Herr Staatssekretär, ich möchte im Hinblick auf Ihre
Antwort auf die erste Nachfrage des Kollegen Fell fragen, wie es möglich sein soll, den bestmöglichen Ort für
ein Endlager zu finden, ohne dass eine wirklich ergebnisoffene Suche in solchen Schritten vorgenommen wird,
wie sie damals der AK End vorgeschlagen hat, und wenn
man nur zwei, drei Orte untersucht? Wie soll so der bestmögliche Standort in Deutschland gefunden werden?
Ich sehe die Situation nach wie vor so, dass das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit alles tun wird, um im Interesse des Schutzes
der Menschen und der Natur den bestmöglichen Standort
zu finden. Wir sind aus meiner Sicht an die Pflicht eines
nationalen Depots gebunden. Alles andere ist eine Frage
des Prozesses. Natürlich werden die Kriterien des Arbeitskreises Endlager eine zentrale Rolle spielen. Was
sonst?
Damit kommen wir zur Frage 30 der Kollegin Bärbel
Höhn:
Teilt die Bundesregierung die am 14. November 2006 in
der „Financial Times Deutschland“ veröffentlichte Einschätzung von Vertretern des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie GmbH und der Deutschen Umwelthilfe e. V.,
dass der Nationale Allokationsplan ein Schlupfloch der Art
enthält, dass der Widerruf der Entscheidung über die Zuteilung der Emissionszertifikate nur bei vollständiger Betriebseinstellung möglich ist und die Unternehmen deshalb durch
den Weiterbetrieb von Kraftwerken mit geringer Auslastung
Zertifkate ansammeln können, und was plant die Bundesregierung zu tun, um dieses Schlupfloch im Interesse eines effektiven Klimaschutzes zu schließen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Liebe Kollegin Höhn, Ihre Frage zielt auf die EU-weit
praktizierte Methode der Zuteilung von Emissionszertifikaten für bestehende Anlagen ab, bei denen die Anzahl
der Emissionsberechtigungen auf der Basis der früheren
Emissionen einer Anlage berechnet und keine Anpassung an aktuelle Emissions- oder Produktionsniveaus
vorgenommen wurde. Das ist eine so genannte Ex-postKorrektur.
Meine Antwort umfasst zwei Punkte. Der erste ist:
Grundsätzlich stellt die Verlagerung der Produktion in
alten, ineffizienten Anlagen hin zu modernen, sehr viel
effizienteren Anlagen eine wichtige Option zur Vermeidung von CO2-Emissionen dar; da sind wir sicherlich
einer Meinung. Im Ergebnis führen Produktionsverlagerungen zweifellos zu einer Reduktion der Kohlendioxidemissionen. Insofern hat diese Regelung im Grundsatz
nichts mit Schlupflöchern zu tun.
Allerdings ist es richtig - das ist der zweite Teil meiner Antwort -, dass nicht ausgeschlossen werden kann,
dass es einen „Scheinbetrieb“ von Anlagen gibt, bei dem
Anlagen nur noch deshalb eine Betriebsgenehmigung
haben, damit weiterhin Emissionsberechtigungen für sie
zugeteilt werden. Das ist zweifellos ein Problem; das sehen auch wir. Es kommt im Ergebnis quasi einer Stilllegungsprämie gleich, wenn die Produktion dieser Anlage nicht von einer anderen, also von einer alten oder
neuen Anlage des Betreibers, übernommen wurde.
Wir haben deshalb im Zuteilungsgesetz 2007 eine Regelung vorgeschlagen, nach der im Falle eines Produktionsrückgangs die Zuteilungsmenge für eine Anlage
durch Ex-post-Korrekturen reduziert werden kann.
Diese Regelung sowie auch andere Ex-post-Korrekturen
sind allerdings von der EU-Kommission als unvereinbar
mit der Emissionshandelsrichtlinie bezeichnet und deshalb abgelehnt worden. Seitdem wurde der Vollzug ausgesetzt. Jedoch hat die Bundesregierung gegen diese
Kommissionsentscheidung Klage vor dem Europäischen
Gericht in erster Instanz erhoben. Die Entscheidung des
Gerichtes wird in den nächsten Monaten erwartet.
Abhängig von dem Ausgang des Gerichtsverfahrens
wird die Bundesregierung prüfen, ob auch im Hinblick
auf die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 Ex-post-Korrekturen vorgesehen werden sollten. Um zumindest die
sich jetzt abzeichnenden möglichen Stilllegungsprämien
zu vermeiden, hat die Bundesregierung im Nationalen
Allokationsplan II - das ist das Kap. 6.4, dritter Absatz vorgesehen, dass Anlagen auch dann keine Zuteilung für
die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 erhalten, wenn die
Anlage im Durchschnitt der Jahre 2005 und 2006, also
für zwei Jahre gerechnet, produktionsbedingt weniger
als 20 Prozent der durchschnittlichen CO2-Menge der
Jahre 2000 bis 2004, also über fünf Jahre berechnet,
emittiert hat.
Zudem hat die Bundesregierung im Nationalen Allokationsplan II in Kap. 6.4 auch angekündigt, dass bei der
Zuteilung für die nachfolgende Handelsperiode, also
2013 bis 2017, die Mitnahme von Stilllegungsprämien
ausgeschlossen wird. Wir denken in diesem Zusammenhang über verschiedene Wege nach, beispielsweise über
die Stilllegung einzelner Teilanlagen oder Kraftwerksblöcke.
Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.
Sie haben zu Recht angesprochen, dass bezüglich der
Ex-post-Korrektur eine Klage auf EU-Ebene anhängig
ist und dass man die Entscheidung darüber abwarten
muss. Habe ich Sie jetzt richtig verstanden, dass, wenn
die Entscheidung für die Bundesregierung positiv ausgeht und die Ex-post-Korrektur auf EU-Ebene gebilligt
wird, die Bundesregierung dann auch im NAP II eine
solche Ex-post-Korrektur vornehmen und die Regelung
des NAP I - vielleicht in abgeänderter Form - übernehmen wird?
Im Grundsatz hat das Parlament und auch die Bundesregierung schon beim ersten Nationalen Allokationsplan Ex-post-Regelungen für sinnvoll angesehen. An
dieser Haltung hat sich nichts geändert.
Zweite Nachfrage.
Die Emissionszertifikate für Neuanlagen sind immer
noch sehr knapp bemessen. Nun sind auf dem Energiegipfel viele neue Anlagen versprochen worden. Geht die
Bundesregierung davon aus, dass die knapp bemessenen
Emissionszertifikate für die neuen Anlagen ausreichen
oder kann der Fall eintreten - wenn sie nicht ausreichen -,
dass die Bundesregierung sogar vorher verschenkte Zertifikate am Ende teuer zurückkaufen muss, um die neuen
Anlagen zu bedienen? Oder gehen Sie davon aus, dass
die Energiekonzerne die Versprechungen, die sie gemacht haben, sowieso nicht einhalten und es gar nicht zu
einer solchen Zahl von neuen Anlagen kommt?
Man hat so seine Erfahrungen; aber im Augenblick
würde ich erst einmal davon ausgehen, dass die Prognosen stimmen.
Was heißt das jetzt?
Das heißt, wir gehen davon aus, dass unsere Daten
und unsere Berechnungen richtig sind. Ich widerspreche
allerdings insofern nicht: Wir haben oft Ankündigungen
nicht umgesetzt gesehen. Dann muss man darüber neu
beraten.
Der Kollege Fell hat noch eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Bundesminister Gabriel hat letzte
Woche angekündigt, dass die Bundesregierung die Obergrenze für den erlaubten CO2-Ausstoß auf 465 Millionen
Tonnen beschränken will. Die EU-Kommission hat
heute aber den Nationalen Allokationsplan gerügt und
Deutschland verpflichtet, den CO2-Ausstoß noch deutlicher abzusenken, und zwar auf 453 Millionen Tonnen.
Wird die Bundesregierung diese Vorgabe der EU-Kommission einhalten?
Die Position der Bundesregierung ist, dass der neue
Vorschlag von der Richtlinie nicht gedeckt ist. Wir haben hier also eine andere Auffassung - übrigens nicht
nur wir, sondern, wenn ich das richtig sehe, auch die
Vorgängerregierung. Darüber wird aber noch weiter zu
debattieren sein.
Danke, Herr Staatssekretär. - Damit sind wir am Ende
der Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD
Stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer am
Erfolg und Kapital von Unternehmen
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! In der Tat: Ich darf auch die Bundesregierung
begrüßen, vertreten durch den Staatssekretär Schauerte wenn auch, aus seiner Sicht betrachtet, auf den Zuschauerrängen, nämlich im Plenum.
({0})
Die Debatte um das Thema „Stärkere Beteiligung der
Arbeitnehmer am Erfolg und Kapital von Unternehmen“
führen wir in Deutschland seit den 50er-Jahren, also bereits seit Jahrzehnten.
({1})
Schon Ludwig Erhard hatte ja die Vision einer Gesellschaft von Teilhabern. Einiges ist in dieser Beziehung
passiert. Ich nenne: Arbeitnehmersparzulage, Steuerfreiheit von entsprechenden Anlagen. Aber es ist in dieser
Angelegenheit noch kein Durchbruch erzielt worden.
Wenn wir uns einmal die einschlägigen Zahlen betrachten, müssen wir leider feststellen: Das Ergebnis ist sehr
nüchtern. In Frankreich sind beispielsweise 23 Prozent
der Mitarbeiter am Kapital beteiligt, in Großbritannien
über 30 Prozent, während es in Deutschland gerade einmal 10 Prozent sind.
({2})
Bei der Gewinnbeteiligung sieht es nicht viel besser aus.
In Frankreich sind 84 Prozent der Mitarbeiter am Gewinn beteiligt, in Großbritannien 30 Prozent, in Deutschland knapp 18 Prozent.
Auch die Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft
- das ist eine aktuelle Thematik, die uns zu denken geben sollte - schwindet zunehmend. Viele Menschen sehen sich nicht mehr als Teilnehmer oder Teilhaber an der
Gesellschaft bzw. der Wirtschaft; vielmehr sehen sie
sich, zum Objekt degradiert, als Verlierer. Auch hier nur
einige Zahlen für die Bundesrepublik. Diese Zahlen sind
nach West und Ost differenziert, weil es da nennenswerte Unterschiede gibt. Im Westen waren es 1998
73 Prozent, die die soziale Marktwirtschaft als anzustrebende Wirtschaftsform bezeichnet haben bzw. die gesagt
haben, sie habe sich bewährt, während es 2002 nur noch
65 Prozent und 2005 nur noch 52 Prozent waren. Im
Jahre 2006 haben wir wieder einen leichten Anstieg zu
verzeichnen. Die entsprechenden Zahlen für den Osten
lauten: 1998 waren es 64 Prozent, dann 55 Prozent, bis
der Wert im letzten Jahr unter 44 Prozent ging. In diesem
Jahr ist er leicht auf 48 Prozent angestiegen.
Wir haben ein sachliches Problem, das die nüchternen
Zahlen beschreiben, und ein psychologisches Problem.
Damit aus diesem psychologischen Problem nicht
schnell auch ein politisches Problem wird, wird die
große Koalition - sie bietet dafür eine einzigartige
Chance - in einer großen Anstrengung dieses Thema angehen.
Was sind die Chancen und was sind die Ziele dabei?
Wir in der CDU haben mit unserem gestrigen Beschluss
auf dem Bundesparteitag in Dresden einen richtungweisenden Prozess angestoßen. Ich will nur einige Vorteile
der Arbeitnehmerbeteiligung nennen: Das Vertrauen
zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die Partizipation, das Mitwirken, die Teilhabe werden gestärkt. Es
ist der Weg weg von einer Misstrauens- hin zu einer Vertrauenskultur. Die Motivation der Arbeitnehmer wird gestärkt.
Auch für die Betriebe, für die Arbeitgeber, hat dieses
Instrument Vorteile: Eine Untersuchung des IAB in
Nürnberg zeigt, dass die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, in denen Mitarbeiter am Gewinn oder am Kapital beteiligt sind, in Westdeutschland
um durchschnittlich 57 Prozent und in Ostdeutschland
um rund 40 Prozent höher ist. In meinem Wahlkreis
Waiblingen praktiziert die Firma Stihl dieses Modell seit
Jahren erfolgreich. Bei dieser Firma, die auf dem Weltmarkt deutlich zeigt, dass ein solches Unternehmen
überdurchschnittlich wettbewerbsfähig und produktiv
sein kann, können die Mitarbeiter Genussscheine erwerben: Die Firma bezahlt 900 Euro und die Mitarbeiter
können bis zu 1 350 Euro drauflegen. Auch die Carl
Zeiss AG in Oberkochen bietet ähnliche Instrumente an.
Dort gibt es diverse Formen der Beteiligung, zum Beispiel Belegschaftsaktien und Genussrechte.
In dem jetzt anstehenden Prozess, dem wir uns stellen, müssen wir mehrere grundlegende Kriterien benennen. Für uns ist wichtig, dass gerade auf betrieblicher
Ebene der Grundsatz der Freiwilligkeit gewährleistet
wird. Wir wollen weder gesetzlichen noch tariflichen
Zwang. Die Regelung muss einfach und unbürokratisch
sein, damit sie von den Mitarbeitern auch angenommen
wird. Wir müssen darüber nachdenken, wie diese Instrumente steuerlich behandelt werden - Stichwort: nachgelagerte Besteuerung -, und sie beispielsweise sinnvoll
mit der Altersvorsorge verknüpfen. Auch über solche
Anreize können wir diese Instrumente nach vorne bringen.
Gestern haben wir den Startschuss gegeben. Jetzt laden wir alle Fraktionen sowie alle auf Wirtschafts- und
Arbeitnehmerseite Beteiligten ein, sich an der breiten
gesellschaftlichen Debatte, die wir mit dieser Aktuellen
Stunde anstoßen wollen, zu beteiligen. Für die Zukunft
unseres Landes ist es wichtig, dass wir eine Gesellschaft
von Teilhabern werden. Die Menschen sollen nicht nur
aktiv an der politischen und gesellschaftlichen Fortentwicklung unseres Landes teilhaben, sondern auch an der
wirtschaftlichen.
Vielen Dank.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Brüderle für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Aktuelle
Stunden auf Antrag der Koalitionsfraktionen sind etwas
Seltenes,
({0})
erst recht, da sich Schwarz und Rot so selten einig sind.
Wenn sie jetzt Eintracht üben, wollen sie damit eines
signalisieren: Wir tun etwas für die Arbeitnehmer! Sie
wollen vernebeln und davon ablenken, dass die bisherige
Politik von Schwarz-Rot ein dreister Anschlag auf die
Vermögensbildung der Arbeitnehmer war:
({1})
Halbierung des Sparerfreibetrages - kein Beitrag zur
Vermögensbildung! Erhöhung der Versicherungsteuer kein Beitrag zur Vermögensbildung! Dreiste Erhöhung
der Mehrwertsteuer - sie mindert gerade bei den Arbeitnehmern das verfügbare Einkommen erheblich. Und
jetzt kommen Sie, ein bisschen scheinheilig, mit der vermögensbildenden Maßnahme Investivlohn.
Sie kommen mir vor wie der Junker, der dem Bauern
erst die Sau klaut und ihm dann drei Koteletts zurückgibt, wofür sich der Bauer auch noch artig bedanken soll.
Das scheint das Motto Ihrer Politik zu sein.
({2})
Im Grundsatz herrscht bei dem Thema Mitarbeiterbeteiligung weitgehend Eintracht. Das Thema wird seit
Jahrzehnten diskutiert und ist genauso lange Position der
FDP: Wir wollen ein Volk von Eigentümern, kein Volkseigentum. Die Probleme liegen im Detail: Was haben Sie
vor? Wollen Sie, das der Investivlohn zusätzlich, über
den vereinbarten Lohn hinaus, gezahlt wird? Vielen Mittelständlern wird das schwer fallen. Auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit wird davon in vielfacher Hinsicht tangiert sein. Wollen Sie Sparlohn statt Barlohn,
das heißt, einen Teil des Lohnes der Arbeitnehmer nicht
auszahlen, sondern in Unternehmensbeteiligungen anlegen? Darüber würden sich viele freuen. Die Gewerkschaften haben gleich angemeldet, dass es so etwas nicht
geben könne, dass der Investivlohn zusätzlich gezahlt
werden müsse.
({3})
Sie haben bisher keine Aussagen dazu gemacht, wie Sie
das machen wollen.
Es geht außerdem um die Entscheidung, ob der Arbeitnehmer freie Verfügung hat oder das Kapital im Unternehmen gebunden wird. Aus all den Gründen, die
Herr Dr. Pfeiffer angesprochen hat, würde ich Letzteres
begrüßen, weil es eine Bindung an das Unternehmen mit
sich bringt. Allerdings muss man auch die Gefahrenmomente sehen. Man kann ja nicht einfach sagen: Die Gewinne bekommt der Arbeitnehmer und bei Verlust sollen
dann andere zahlen; die SPD hat nebulös von Bürgschaften und Versicherungslösungen gesprochen. Es ist
schwierig, hier eine konkrete Lösung zu finden.
Klar ist: Das kann nur auf freiwilliger Basis geschehen. Es kann keinen Anspruch auf Investivlohn geben.
Es kann ein Angebot der Arbeitgeber sein. Der Arbeitnehmer muss frei wählen können, ob er das Angebot annimmt oder nicht, ob er lieber Barlohn möchte oder einen Lohn, der in der Unternehmensbeteiligung sparend
angelegt wird.
Das Thema Investivlohn wurde bereits vor langen
Jahren mit dem so genannten Leber-Plan angestoßen: Er
wollte eine Arbeitnehmerbeteiligung an Unternehmen
ermöglichen. Dazu müsste man Öffnungsklauseln in die
Flächentarifverträge aufnehmen, die dies ermöglichen.
Der Staat könnte das Seine tun, indem er für eine nachgelagerte Besteuerung sorgt - dafür sind auch wir -:
Steuern und Sozialbeiträge fallen erst dann an, wenn der
Arbeitnehmer über das Erworbene verfügen kann. Die
CDU/CSU dagegen will eine staatliche Zulage für Kapitalbeteiligung, also eine neue Subvention, einführen.
Wie sie das finanzieren will, sagt sie nicht. Eine Begründung dürfte auch nicht leicht fallen, hat sie doch gerade
erst den Sparerfreibetrag halbiert. Wenn sie den Leuten
erst Geld wegnimmt, um dann eine neue Subvention einzuführen, ist das nicht eben schlüssig.
Ich glaube, besser für die Vermögensbildung wären
etwa Bonuszahlungen am Jahresende, wenn ein Unternehmen Erfolg hat. Porsche zum Beispiel, denen es glänzend geht, zahlen jedem Mitarbeiter 3 500 Euro Sonderbonus am Jahresende. Davon hat der Einzelne sicher
mehr als von einer Unternehmensbeteiligung im eigentlichen Sinne. Es ist zwar schön, Anteile am eigenen Unternehmen zu haben, aber verbunden sind sie immer mit
allen Chancen und Risiken. Sobald Sie die Haftung beim
Staat abladen - das alles bleibt ja völlig unklar bei dem,
das vorgelegt wurde und über das bisher diskutiert wird -,
schaffen Sie eine ganz andere Form von Beteiligung als
ein Eigentum im eigentlichen Sinne des Wortes.
Ich hoffe, dass die Debatte wenigstens eines mit sich
bringt: dass mehr Fantasie in die Tarifpolitik kommt.
Schon längst könnte man nämlich ertragsabhängige
Komponenten einführen: Wenn in einem Unternehmen
oder einer Branche bestimmte Erfolgszahlen erreicht
werden und die Betriebe entsprechende Gewinne machen, dann gibt es einen Bonus, zum Beispiel in Form
von Belegschaftsaktien.
Übrigens: Bei Personengesellschaften - der vorherrschenden Rechtsform beim Mittelstand -, etwa bei einer
OHG, sind Miteigentümer von Gesetzes wegen zwingend haftend. Herr Dr. Pfeiffer, bei diesem Vorhaben
darf es nicht dazu kommen, dass der Mittelstand diskriminiert und schlecht behandelt wird. Es muss alles
durchdacht sein.
Der Grundgedanke ist richtig und wird von uns unterstützt. Wir wollen das anpacken - aber bitte nicht wie
Zieten aus dem Busch, um von Schwierigkeiten der großen Koalition abzulenken, von den massiven Steuererhöhungen und den Eingriffen in die Möglichkeiten unserer
Arbeitnehmer zur Vermögensbildung. Durch die Steuererhöhungen haben sie nicht mehr die Möglichkeiten wie
bisher, Kapitalbildung und Vermögensbildung zu betreiben. Im Grunde ist das, was Sie machen, scheinheilig.
Sie kommen jetzt mit einer Art Wunderwaffe vom Parteitag und wollen davon ablenken, dass Sie eine falsche
Politik machen.
({4})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Rainer Wend für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Lieber Kollege Brüderle, uns in der Koalition
hätte heute auch etwas gefehlt, wenn wir nicht ordentlich
von Ihnen beschimpft worden wären, wie Sie es gerade
getan haben.
({0})
Es hat für die Betriebstemperatur wieder gereicht. Aber
möglicherweise gibt es einige Fakten, die es notwendig
machen, über das Thema Gewinnbeteiligung zu reden.
Die Lohnquote, also der Anteil von Löhnen und Gehältern am Volkseinkommen, ist von 1999 bis 2001 um
etwa 5,5 Prozent gewachsen, die Gewinnquote, also der
Anteil von Unternehmens- und Vermögenseinkommen,
im selben Zeitraum um etwa 3,5 Prozent. Im Jahr 2005
betrug der Zuwachs der Lohnquote gegenüber 1999 immer noch etwa 5,5 Prozent - keine Veränderung -, die
Gewinnquote hingegen hat gegenüber 1999 um 30 Prozent zugenommen. Das heißt, wir haben hier ein Auseinanderklaffen, eine Schere tut sich auf zwischen den
Löhnen und Gehältern der Beschäftigten einerseits und
den Gewinnen der Unternehmen andererseits. Das ist
nicht nur schlecht; denn das hilft natürlich unserem Export, wettbewerbsfähig zu sein. Doch für die Binnenkonjunktur ist das fehlende Einkommen ein Problem. Was
noch wichtiger ist: Ich glaube, dass unsere soziale
Marktwirtschaft ganz erheblich an Legitimation verliert,
wenn es uns nicht gelingt, die Schere zwischen Löhnen
und Gehältern einerseits und Gewinnen andererseits ein
Stück weit zu schließen.
({1})
Dafür ist eine Gewinnbeteiligung hilfreich. Aber man
muss vorweg einiges klarstellen, auf das Herr Brüderle
zu Recht angespielt hat:
Erstens. Für uns Sozialdemokraten kann so etwas
kein Ersatz für Tarifverträge, kein Ersatz für die Tarifautonomie sein. Die kollektive Festlegung von Arbeitsbedingungen durch Flächentarifverträge bleibt für uns
die Grundlage; auf ihr kann aufgebaut werden, doch sie
kann durch eine Gewinnbeteiligung nicht ersetzt werden.
Zweitens. Es gibt Ideen, über so etwas wie einen Investivlohn werde die Mitbestimmung der Beschäftigten
überflüssig, weil sie quasi Miteigentümer der Unternehmen würden. Dazu sagen wir ganz deutlich: Für uns ist
eine Gewinnbeteiligung keine Alternative zur Mitbestimmung. Für uns sind die gesetzlichen Mitbestimmungsrechte genau wie die Tarifautonomie unantastbar.
({2})
Das als Voraussetzungen klargestellt, können wir sagen: Lasst uns das machen, wir sind uns weitgehend einig. Allerdings wird seit 30 Jahren immer wieder einmal
über so etwas diskutiert, und wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben: So richtig zustande gebracht haben wir
nichts. Vielleicht liegt das auch daran, dass viele Sachen
durcheinander gehen, dass es kompliziert ist: Was meinen wir eigentlich? Meinen wir eine Beteiligung an den
Gewinnen von Unternehmen? Oder meinen wir eine Beteiligung am Kapital von Unternehmen?
({3})
Wenn wir über Letzteres reden, über eine Beteiligung am
Kapital des Unternehmens, einen Investivlohn, stellen
sich eine Reihe von Fragen: Ist es in Ordnung, dass Arbeitnehmer im Falle einer Insolvenz das doppelte Risiko
tragen, nämlich Arbeitsplatz und Kapital zu verlieren?
Nun gibt es die Idee, eine Insolvenzsicherung vorzusehen. Doch ist es in Ordnung, wenn ein VW-Mitarbeiter
bei Aktien, die er von seinem Konzern bekommt, einen
Insolvenzschutz hat, aber wenn er sie woanders erwirbt,
keinen solchen hat? Und wie soll man bei Personengesellschaften eine Beteiligung am Kapital des Unternehmens oder am Unternehmen selbst organisieren? Das
wird schwierig. Es gibt also viele Fragezeichen beim Investivlohn.
Eine Beteiligung am Gewinn - über den Flächentarifvertrag, über die Tariflöhne hinaus - ist meines Erachtens eine realistischere Perspektive. Doch so etwas muss
freiwillig sein. Man kann auch über Förderung reden,
allerdings in Grenzen. Denn wir müssen uns über die finanziellen Folgewirkungen und über die ordnungspolitischen Folgewirkungen im Klaren sein: Wir können kein
Interesse daran haben, dass die Flucht aus sozialversicherungspflichtigen Löhnen intensiviert wird und wir
auf diese Art und Weise unsere sozialen Sicherungssysteme schwächen. Wann also Förderung? Zum Beispiel
wenn ein anderer gewünschter Zweck damit erreicht
wird, nämlich fürs Alter vorzusorgen. Wenn wir eine
Förderung an einen Zweck koppeln und die Gewinnbeteiligung daran knüpfen, kann ich mir vorstellen, über
nachgelagerte Besteuerung und Ähnliches Unterstützung
und Anreize seitens des Staates zu geben.
Das Thema ist wichtig. Die große Koalition kann es
anpacken wie kaum eine andere Konstellation - aber es
muss realistisch betrachtet und konkret ausgestaltet werden und man darf es nicht als Wunderinstrument verkaufen. Trotzdem: Prima, lassen Sie uns das gemeinsam auf
den Weg bringen.
({4})
Nächster Redner ist nun der Kollege Professor
Dr. Herbert Schui für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei
Licht besehen ist der Investivlohn nichts weiter als ein
Suggestivlohn. Suggestion bedeutet bekanntlich, dass
die rationalen Persönlichkeitsanteile außer Funktion gesetzt werden. Angesichts sinkender realer Masseneinkommen und sinkender realer Haushaltseinkommen soll
den Lohn- und Gehaltsempfängern suggeriert werden,
auch sie würden jetzt besser gestellt.
Nachdem die Unterschicht, traditionell bestimmt
durch die Höhe des Einkommens, par ordre de Mufti
wegdefiniert worden ist, findet die Koalition offenbar,
dass es nun Zeit wird, die arbeitenden Armen in den
Stand der Kapitalisten zu erheben.
({0})
Durch den Investivlohn werden sie zu Miteigentümern
des Unternehmens, in dem sie arbeiten. Sie werden
Volkskapitalisten - so der Begriff der 50er- und 60erJahre - im Rahmen der, so die CDU jetzt, sozialen Kapitalpartnerschaft.
Aber was genau hat es mit dem Investivlohn auf sich?
Erstens. Investivlohn erhöht das gegenwärtige Einkommen nicht. In der überschaubaren Frist ist das angesparte Vermögen zu gering, um entsprechende Erträge
abzuwerfen. Das führt dazu, dass weder die laufenden
Einkommen noch die Binnennachfrage steigen. Aus dieser Form der Lohnerhöhung folgt selbstverständlich
keine Verbesserung der konjunkturellen Lage.
({1})
Zweitens. Wahrscheinlich ist, dass die baren Löhne
unter Hinweis auf den existierenden Investivlohn weiter
gesenkt werden. Dadurch wird das Wachstum gedrosselt.
Drittens. Auf den Investivlohn sollen keine Sozialabgaben gezahlt werden. Das soll erst dann der Fall sein,
wenn der Betrag fällig wird. Das bedeutet aber, dass die
Finanzierung der sozialen Sicherheit in der gesamten
Ansparphase in der Größenordnung des Betrags, der
dem Umfang der entgangenen Sozialleistungen entspricht, gefährdet ist.
Viertens, Risiko und Beteiligung: Wenn ein Unternehmen Bankrott geht, dann ist nicht nur der Arbeitsplatz weg, sondern auch der angesparte Investivlohn.
Wie soll das geregelt werden, wenn man alle Eier in einen Korb legt? Oder schlägt die CDU-Arbeitsgruppe unter Leitung von Herrn Laumann eine Gewinnbeteiligung
mit entsprechender Absicherung vor?
Fünftens. Wenn es sich jemand mit hinreichendem
Einkommen leisten kann, zu sparen, dann wählt er die
Form der Geldanlage normalerweise frei. Der Verkauf
von Aktien beispielsweise ist jederzeit möglich und
sinnvoll, wenn man meint, dass die Kurse nachgeben,
oder wenn man einen Gewinn mitnehmen möchte. Beim
Investivlohn ist das, da das Gesparte gebunden ist, nicht
der Fall. Offensichtlich hat die Koalition hier überlegene
Einsichten: Sie zwingt die Lohnbezieher zum Sparen
- Investivlohn ist Zwangssparen - und weiß obendrein
auch noch besser als die Betroffenen, wie und wo das
Ersparte anzulegen ist.
({2})
- Ja, natürlich. Alles ist freiwillig, selbstverständlich.
({3})
Sie sagen also: Die Unternehmer werden sich freiwillig
darauf einigen, einen Investivlohn zu zahlen.
({4})
Ich frage Sie: Wenn sie das freiwillig tun, wieso müssen
Sie darüber überhaupt noch auf Ihrem Parteitag diskutieren?
({5})
Ganz grundsätzlich: Die Koalition lehnt die Einführung eines Mindestlohns strikt ab.
({6})
Mit der Einführung eines Investivlohns möchte sie aber
einen Teil des Lohnes gesetzlich regeln. Wenn die Regierung im Hinblick auf den Lohn Regeln gesetzlicher
Art vorgibt, warum sperrt sie sich dann gegen die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns?
({7})
Zumindest signalisieren Sie durch Ihre Überlegungen,
dass eine gesetzliche Regelung der Entlohnung für Sie
nicht völlig tabu ist.
({8})
- Doch. Ich habe mehr verstanden als Sie, vor allen Dingen von der Wirklichkeit.
({9})
Ich habe mich nämlich nicht der Käfighaltung hingegeben, sondern bin gelegentlich dort, wo ich gewählt
werde.
({10})
Wenn es um Kapitalgesellschaften geht, ist der Investivlohn in technischer Hinsicht leicht zu handhaben: Der
Lohnbezieher bekommt Aktien. Aber wie wollen Sie bei
Personengesellschaften vorgehen? Sollen alle Unternehmen verpflichtet sein, einen Investivlohn zu zahlen? Vor
allen Dingen frage ich Sie in Bezug auf die Mitsprache
der Miteigentümer - bei Aktiengesellschaften ließe sich
das institutionell organisieren -: Wie wollen Sie die Mitsprache der Miteigentümer in kleinen Unternehmungen
regeln, die nicht über die Institutionen verfügen, in denen eine solche Mitsprache stattfinden könnte?
Schließlich: Ministerpräsident Stoiber hat der „Bild“Zeitung offenbart, der Investivlohn sei genau die richtige
Antwort auf den Vorwurf, im Rahmen der Globalisierung würden die Managergehälter nach amerikanischem Vorbild erhöht und die Gehälter der Arbeitnehmer
nach dem Vorbild Chinas gesenkt. 100 Millionen für
Ackermann, eine Hand voll Aktien für die Belegschaft.
Diese Größenordnungen stören mich. Vor allem wird dadurch keine der brennenden Gegenwartsfragen angegangen. Zweck ist, die Verarmung der Bevölkerung durch
eine aufgesetzte Debatte zu überdecken - weiter nichts.
({11})
Auch bei dieser Debatte über den Volkskapitalismus und
den Investivlohn wird nichts herauskommen.
Vielen Dank.
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Alexander Dobrindt
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Herr Professor Schui, auch
für die Zuschauer auf den Rängen oben muss es wie Realsatire wirken, wenn Sie hier im Deutschen Bundestag
berichten. Vor allem aber bringen Sie offensichtlich wissentlich falsche Zitate: Der bayerische Ministerpräsident
({0})
hat ausdrücklich erwähnt, dass das Auseinandergehen
der Schere zwischen den Managergehältern, die sich
nach dem Vorbild Amerikas entwickeln, und den Gehältern der Arbeitnehmer, die sich nach dem Vorbild Chinas
entwickeln, kein Ziel sein darf, das mit der Globalisierung verfolgt wird. Genau das darf nicht sein und genau
dagegen richten wir unsere Politik auch aus.
({1})
Für eine Debatte hier in diesem Hause ist es aber ausgesprochen typisch: Anstatt die Chancen einer solchen
Idee zu entdecken und sie voranzubringen, indem man
erzählt, was alles an Gutem darin stecken kann, debattiert man vom ersten Moment an nur über das Risiko und
malt Horrorszenarien an die Wand.
({2})
Als Erstes sollten wir betonen: Das ist ein guter Ansatz,
in dem Chancen stecken. Es könnte durchaus sein, dass
daraus ein Projekt für diese große Koalition wird. Ich
höre immer häufiger die Behauptung - das eine oder andere Mal mag das vielleicht auch stimmen -, dass man
bei anderen Konstellationen hier im Deutschen Bundestag einiges besser machen könnte. Von mir aus! Herr
Brüderle, ich will Ihnen nicht immer widersprechen. Ich
glaube aber, dass genau bei diesem Punkt, für den wir einen großen und breiten Konsens in der Bevölkerung und
zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern
brauchen, die große Koalition in der Lage sein mag, hier
etwas Positives zu verwirklichen. Auch das muss man
einmal wirklich positiv darstellen.
({3})
Ich lese momentan ständig negative Dinge, nämlich
zum Beispiel, dass die IG Metall großen Zweifel am Investivlohn hat:
({4})
Es kann nicht sein, dass die Arbeitnehmer neben ihrem
Arbeitsplatzrisiko auch noch ein Kapitalrisiko tragen
müssen - so Gewerkschaftschef Peters.
({5})
Wer sagt denn überhaupt, dass das in diesem Konzept
steckt?
Ich sehe aber auch gute Dinge. Ich habe heute gelesen, dass der Bundesvorsitzende der Wirtschaftsjunioren
sagte: Wir unterstützen die Bemühungen, rechtliche
Grundlagen für eine stärkere Mitarbeiterbeteiligung zu
schaffen. Wir müssen dahin kommen, dass mehr Mitarbeiter und nicht nur Führungskräfte mit einem Teil ihres
Gehalts das unternehmerische Risiko mittragen und einen unmittelbaren Vorteil darin erkennen. - Ich glaube,
dass auch darin etwas Positives stecken kann.
Aus meiner Sicht sollten wir uns drei Kernpunkten
zuwenden:
Erstens stellt sich die Frage, ob es überhaupt sinnvoll
ist, dass die Arbeitnehmer im weitesten Sinne an Unternehmen beteiligt werden. Wenn man sich das Jahresgutachten des Sachverständigenrates anschaut, dann erkennt man, dass die Unternehmensgewinne in den
Jahren 1991 bis 2005 um 100 Prozent gestiegen sind - es
war also eine Verdoppelung -, während die Haushaltseinkommen im gleichen Zeitraum um 25 Prozent gesteigert wurden. Ich sehe hier die Chance, dass durch die
Mitarbeiterbeteiligung mehr Ausgewogenheit geschaffen wird. Also sollten wir das positiv annehmen.
({6})
Die Kollegen, die vor mir hier gesprochen haben, haben dargestellt, dass die Motivation in den Unternehmen
mit Mitarbeiterbeteiligung durchaus höher sein kann als
in anderen. Es gibt genügend Beispiele dafür. Inzwischen habe ich sogar von Aktienfonds gehört, die sich
nur in den Unternehmen engagieren, in denen es eine
hohe Mitarbeiterbeteiligung gibt, weil sie auf lange Sicht
gesehen deutlich erfolgreicher als andere sind. Auch das
ist eine positive Antwort auf die Frage, ob es überhaupt
sinnvoll ist, eine Mitarbeiterbeteiligung zu schaffen.
Zweitens stellt sich die Frage, wie man das Risiko
verteilt. Dies wird hier zu Recht immer wieder angesprochen. Mitarbeiterbeteiligungen sollen freiwillig sein
- das haben wir gehört -, aber dann muss die Freiwilligkeit auch für beide Seiten gelten: sowohl für die Arbeitgeber als auch für die Arbeitnehmer.
({7})
Wenn wir darüber debattieren, ob wir einen Insolvenzschutz brauchen und wie dieser gegebenenfalls aussehen
könnte, sind zwei Gesichtspunkte zu beachten. Wenn wir
eine unternehmerische Beteiligung mit den typischen Risiken und Mitspracherechten haben, beispielsweise eine
stille Gesellschaft, dann brauchen wir nach meiner tiefen
Überzeugung keinen Insolvenzschutz. Das entspricht im
Prinzip unternehmerischem Handeln. Dann kann man
auch eine entsprechende Entscheidung treffen.
Wenn man sich anders entscheidet und eine Beteiligung schuldrechtlicher Art oder eine Art Lohnumwandlung einführt, dann müssen wir nach meiner Überzeugung zumindest für einen großen Teil des Geldes eine
insolvenzsichere Regelung vorsehen, damit die Mitarbeiter keinen Nachteil haben. Der Grundsatz ist also klar:
Mitarbeiterbeteiligungen müssen differenziert ausgestaltet werden, je nachdem, welche Beteiligung gewünscht
wird.
Drittens stellt sich die Frage, ob es in Deutschland
eine Kultur der Mitarbeiterbeteiligung gibt.
({8})
Das hat die bisherige Debatte gezeigt. Wir alle müssen
uns dafür engagieren, dass die Menschen in Deutschland
bereit sind, als Mitarbeiter Verantwortung in ihrem Unternehmen zu übernehmen, und dass auch die Arbeitgeber bereit sind, ihre unternehmerische Tätigkeit offen zu
legen und sich sozusagen in die Karten schauen zu lassen, weil sie eine zusätzliche Motivationsgrundlage
schaffen wollen und hinsichtlich der Globalisierung die
Chance erkennen, dass sich die Beschäftigten durch die
Mitarbeiterbeteiligung stärker mit ihrem Unternehmen
identifizieren.
Das ist unsere Mission und Aufgabe. Wir hoffen, dass
wir gemeinsam zu einer guten Lösung kommen.
Danke schön.
({9})
Nun hat die Kollegin Dr. Thea Dückert für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Mitarbeiterbeteiligung ist Teil einer offenen, modernen
Unternehmenskultur.“ Das ist ein Zitat. So lautet der
erste Satz in dem Antrag des Bündnisses 90/Die Grünen,
der morgen zur Debatte stehen wird. Während Sie sich
noch sozusagen im embryonalen Stadium der Debatte
streiten, haben wir bereits einen Antrag zur Stärkung der
Mitarbeiterbeteiligung hier eingebracht. Das macht vielleicht unsere Haltung dazu deutlich. Sie sind herzlich
eingeladen, sich morgen konstruktiv an dieser Debatte
und dann auch den Entscheidungen zu beteiligen, statt
sich auf wohlgesetzte Worte zu beschränken.
({0})
Dass Sie die aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt haben, macht, glaube ich, noch etwas anderes deutlich. Es belegt die Kommentierung der letzten Tage, in
der unter anderem darauf hingewiesen wurde, dass Sie
mit der Debatte über den Investivlohn sozusagen ein Kaninchen - ein älteres Kaninchen - aus dem Hut gezaubert haben, um die Rüttgers-Debatte zu überdecken, die
Sie auf Ihrem Parteitag geführt haben und die sich in ihrem zentralen Inhalt mit dem Angriff auf Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte auseinander setzt. Sie
wollen die Illusion einer Lösung verbreiten, die letzlich
doch nur auf den Abbau von Arbeitnehmerinnen- und
Arbeitnehmerrechten hinausläuft, auch wenn Sie überall
behaupten, dies sei nicht der Fall.
Das ist eine Stellvertreterdebatte. Herr Brüderle, dem
ich sonst nicht oft zustimme, hat zu Recht darauf hingewiesen. Sie haben eines getan: Sie haben den Sparerfreibetrag halbiert. Das ist ein guter Schritt in Ihre Richtung,
aber ein schlechter Schritt für die Menschen, die Vermögensbildung betreiben wollen. Denen arbeiten Sie entgegen.
({1})
Sie haben - darauf möchte ich aufmerksam machen die Aktuelle Stunde zu dem Thema „Stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer am Erfolg und Kapital von Unternehmen“ beantragt. Auch mit diesem Titel erwecken
Sie den Eindruck, als könnte man die Mitarbeiterbeteiligung diskutieren, indem wir nur über die Erfolgsbeteiligung und nicht über das Risiko sprechen. Sie erwecken
den Eindruck, als würde mit der Mitarbeiterbeteiligung
sozusagen Manna vom Himmel regnen. Ich will das verdeutlichen.
Herr Dobrindt und Herr Wend, Sie haben interessanterweise genauso wie Herr Stoiber darauf hingewiesen,
dass der Investivlohn eine richtige Antwort auf die Entwicklung sei, dass die Managergehälter nach oben und
die Arbeitnehmereinkommen nach unten gingen. Damit
erwecken Sie den Eindruck, als ob der Investivlohn eine
Antwort auf dieses Auseinandergaloppieren gäbe und
eine Art Umverteilung bewirkte. Das ist gefährlich. Sie
erwecken in dieser Debatte Illusionen. Der Begriff „Investivlohn“ bedeutet, dass Teile des Lohns investiert
werden. Man kann das gut finden. Ich glaube, zusammen
mit einer ordentlichen Insolvenzsicherung ist das nicht
nur diskussionswürdig, sondern auch gut machbar. Aber
man sollte schon darauf hinweisen, dass Arbeitnehmer,
die sich am Kapital ihres Unternehmens beteiligen, ein
doppeltes Risiko haben. Wenn das betreffende Unternehmen Pleite geht, verlieren sie nicht nur ihren Arbeitsplatz. Dann ist vielmehr auch ihre Kapitaleinlage perdu.
Aber das erwähnen Sie nicht, genauso wenig wie im Titel dieser Aktuellen Stunde. Sie streuen den Menschen
Sand in die Augen. Ich hoffe, dass sich die Menschen
von Ihnen nicht für dumm verkaufen lassen.
({2})
Ich möchte noch auf ein anderes großes Problem aufmerksam machen, über das traute Einigkeit zwischen
den Koalitionsfraktionen herrscht. Sie verkaufen den
Menschen ein gefährliches Objekt, wenn Sie sagen, eine
reformierte Mitarbeiterbeteiligung sei eine ordentliche,
sichere Altersvorsorge. Das ist wirklich gefährlich; denn
bei der Altersvorsorge geht es darum - darüber haben
wir im Zusammenhang mit der Riesterrente lang und
breit diskutiert -, eine Kapitalanlage zu befördern, die
eine breite Risikostreuung hat. Das heißt, das Kapital
darf nicht nur in einem Unternehmen angelegt werden.
Sonst taucht das Problem auf, dass die Altersvorsorge
perdu ist, wenn das betreffende Unternehmen Pleite
geht. Das darf aber nicht geschehen. Wir brauchen vielmehr eine kapitalgedeckte Altersvorsorge mit einer breiten Risikoabdeckung. Reden Sie also den Menschen
nicht ein, dass Ihr Modell eine sichere Altersvorsorge
bietet!
Wenn Sie eine sichere Altersvorsorge haben wollen,
haben Sie andere Möglichkeiten. Erhöhen Sie beispielsweise das Schonvermögen für diejenigen, die im Alter
arbeitslos werden,
({3})
oder unterstützen Sie unser Modell eines Altersvorsorgekontos, das sich durch breite Risikostreuung und Wahlmöglichkeit auszeichnet!
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. - Wir werden morgen über
unsere Vorschläge diskutieren. Ich lege Ihnen ans Herz:
Führen Sie eine ehrliche und offene Debatte über die
Chancen und Risiken der verschiedenen Modelle! Die
Mitarbeiterbeteiligung ist sicherlich ein gutes unternehmenskulturelles Projekt, insbesondere wenn es mehr
Mitbestimmung gibt. Aber gaukeln Sie den Menschen
nichts vor! Denn sonst erweisen Sie einem eigentlich guten Projekt einen Bärendienst.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat nun die Kollegin Doris Barnett für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Nach
einem längeren Prozess der Anpassung der deutschen
Wirtschaft an internationale Gegebenheiten, der mit erheblichen Einschnitten bei der Arbeitnehmerschaft einherging, hat die Wirtschaft endlich wieder Boden unter
den Füßen und sie brummt. Die Firmen erzielen hervorragende Gewinne. Die Auftragsbücher sind voll. Selbst
das Handwerk kommt den Aufträgen nicht mehr hinterher. Dass das so ist, hat die Wirtschaft auch dem Einsatz,
der Kreativität, dem Fleiß und dem Verzicht auf Lohn
der Arbeitnehmer zu verdanken. Somit ist es nun an der
Zeit, nicht nur darüber nachzudenken, wie die Belegschaften an dem von ihnen mit erarbeiteten Erfolg zu beteiligen sind, sondern konkret zu werden. SPD und
Union haben ein gutes Wochenende bzw. einen guten
Start in die Woche hinter sich. Wir werden uns auf den
Weg machen und Vorschläge gemeinsam erarbeiten.
Die Diskussionen zum Thema Mitarbeiterbeteiligung
sind wirklich nicht neu. Sie werden schon lange geführt.
Schon lange gibt es etliche Firmen mit Belegschaftsbeteiligungen. Von dem Global Player in meiner Heimatstadt kenne ich es gar nicht anders, als dass er Gratifikationen, die sich nach der Gewinnlage richten, auch in
Form von Belegschaftsaktien anbietet. Viele Mitarbeiter
machen davon Gebrauch, allerdings nur auf Zeit. Sie
verkaufen die Aktien dann wieder. Wenn sie die Aktien
von Anfang an behalten hätten, dann hätten die Mitarbeiter heute 38 Prozent der BASF-Aktien in ihrem Besitz statt nur 4 bis 5 Prozent.
Gute Einzelbeispiele zeigen, dass und wie es geht.
Wir wollen, dass die Mitarbeiterbeteiligung breiter aufgestellt wird und möglichst viele Beschäftigte mitmachen können; denn dass nur 9 Prozent aller deutschen
Firmen ihre Belegschaft am Gewinn und nur 2 Prozent
am Kapital beteiligen, ist uns zu wenig. Deshalb hat es
mich auch gefreut, dass die Arbeitgeberseite einer größeren Mitarbeiterbeteiligung aufgeschlossen gegenübersteht. Allerdings werden wir nur dann eine Steigerung
der Mitarbeiterbeteiligung erreichen, wenn sie zusätzlich
zum Einkommen erfolgt. Mit Lohnverzicht bzw. einer
Verrechnung mit dem Lohn - das wäre ein Eingriff in die
Tarifautonomie - erreichen wir das auf keinen Fall. Es
wäre auch keine Vermögensmehrung für den Arbeitnehmer, sondern lediglich eine Lohnverschiebung. Nach all
der Lohnzurückhaltung, die wir in den letzten Jahren
von den Menschen erwartet haben und die sie auch geleistet haben, damit der Motor wieder brummt, kann es
jetzt nicht darum gehen, weiter Lohnverzicht zu üben.
Wir brauchen vielmehr ordentliche Löhne, damit eine
zusätzliche Gewinnbeteiligung überhaupt investiert werden kann; denn wer einen niedrigen Lohn hat, wird trotz
der Anreize, die die CDU in ihren Papieren in Aussicht
stellt, nicht investieren können, weil er jeden Euro
braucht. Deshalb gilt: Wenn wir wollen, dass auch Geringverdiener Vermögen bilden können, brauchen wir
keine Dumpinglöhne mit Sahnehäubchen, sondern wir
brauchen Mindestlöhne.
Ob, wie und welche Anreize wir von staatlicher Seite
setzen sollten und können, damit analog zur Riesterrente
möglichst viele Beschäftigte davon profitieren und mitmachen, werden wir jetzt in unseren Arbeitsgruppen beraten. Dabei wird auch die Frage von Ausfallrisiken eine
nicht unbedeutende Rolle spielen. Die Tarifvertragsparteien sind dabei auch gefordert, die Initiative zu ergreifen und Vorschläge zu erarbeiten, um die Mitarbeiter zu
ermutigen, freiwillig Investitionen zu tätigen. Wir sollten dabei auch im Auge behalten, dass die Beteiligungen
für den Aufbau der eigenen Alterssicherung genutzt werden können. Allerdings darf die nicht in solchen Pensionsfonds enden, die möglicherweise mit der Firma
untergehen wie seinerzeit bei Enron. Wenn die Arbeitnehmer bereit sind, unternehmerisches Risiko durch Kapitaleinlagen zu übernehmen, dann ist es nur folgerichtig, dass damit auch Mitwirkungsrechte einhergehen.
Schließlich haben viele Belegschaften bewiesen, dass sie
durch Kreativität, Engagement und auch Entbehrungen
das wettgemacht haben, was ihr Management mit all seiner Entscheidungsmacht in den Sand gesetzt hat.
Lassen Sie uns jetzt daran gehen, die Vermögensbildung in ihren vielen Facetten für die Menschen in unserem Land Wirklichkeit werden zu lassen. Das wird Anstrengungen erfordern, weil die Materie - Sie sagten es
schon - extrem kompliziert ist, komplizierter, als viele
ahnen. Aber, so denke ich, es ist der Mühe wert.
({0})
Nun erteile ich dem Kollegen Peter Rauen für die
Fraktion der CDU/CSU das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir diskutieren hier über ein zutiefst marktwirtschaftliches Thema. Ludwig Erhard brachte sein Bekenntnis zur
sozialen Marktwirtschaft in folgende Formel: Ich will
das Risiko des Lebens selbst tragen, will für mein
Schicksal verantwortlich sein. Sorge du, Staat, dafür,
dass ich dazu in der Lage bin. - Mit den Beschlüssen des
CDU-Parteitags - ich erinnere auch an das, was die SPD
dazu gesagt hat - wollen wir diesen unternehmerischen
Geist in allen Schichten wieder beleben, die gesellschaftlichen Kräfte entfesseln, Eigeninteresse und Leistungsstolz wecken.
Mit dem Wort Investivlohn wird dabei etwas zu kurz
gegriffen, wenn wir Arbeitnehmer an Gewinn und Kapital beteiligen wollen. Eine daraus entstehende so genannte soziale Kapitalpartnerschaft hat viele Vorteile für
Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Als Unternehmer will
ich einmal die Vorteile benennen - ich habe mich mit
diesem Thema oft beschäftigt -: Am Erfolg eines Betriebes beteiligt zu sein, stärkt die Eigenverantwortung eines
jeden. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter am Erfolg und
am Kapital beteiligen, sind produktiver und damit auch
wettbewerbsfähiger. Partnerschaft in einem Unternehmen baut gegenseitiges Vertrauen auf, fördert die Motivation und die Bindung der Mitarbeiter an ihr Unternehmen. Die Beteiligung der Mitarbeiter stärkt darüber
hinaus die Eigenkapitalbasis und ist somit auch im Hinblick auf Basel II insbesondere für kleine und mittlere
Unternehmen sinnvoll.
Ebenso vermögen Gewinn- und Kapitalbeteiligungen
einen fairen Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am wirtschaftlichen Erfolg auch dann sicherzustellen, wenn sie um der Wettbewerbsfähigkeit und der
Beschäftigungssicherheit willen zu Zugeständnissen
beim Nominallohn bereit sind.
Schließlich sind Gewinne und Kapitaleinkommen in
den vergangenen Jahren deutlich stärker gestiegen als
die Arbeitseinkommen. Dieser Trend wird sich im Zuge
der Globalisierung wohl noch verstärken. Deswegen gilt
es, möglichst vielen Beschäftigten Kapitaleinkommen
als weitere Einkommensquelle zu erschließen.
Es wird sich dabei nie um einen Lohnersatz handeln;
daran denke ich in diesem Zusammenhang überhaupt
nicht. Das, was wir da tun, wird auch sehr vielschichtig
sein müssen, Herr Wend; sonst werden wir es nicht
schaffen. Für die 5 Millionen bei Kapitalgesellschaften
Beschäftigten lassen sich Regelungen mit Aktienanteilen
oder Optionsscheinen finden. Größer ist das Problem bei
21 Millionen im Mittelstand Beschäftigten. Dort muss
eine Lösung gefunden werden, damit eine breite Beteiligung wirklich möglich ist.
Denkbar ist eine Fremdkapitalbeteiligung. Sie wäre
durch ein Mitarbeiterdarlehen möglich: Die Mitarbeiter
geben dem Arbeitgeber aus ihren Gewinnanteilen ein
Darlehen, das sich entsprechend verzinst. Das Ganze
lässt sich insolvenzfest machen. Dabei gibt es aus meiner Sicht überhaupt kein Problem. Das wäre das einfachste Modell der Partizipation. Es bedeutet aber, dass
Unternehmen Fremdkapital erhalten. Damit dürften
viele, gerade mittelständische Unternehmen Schwierigkeiten haben.
Eine Mischform von Eigenkapital- und Fremdkapitalbeteiligung liegt bei Genussrechten bzw. bei Genussscheinen und der stillen Beteiligung vor.
Auch wenn die Mitarbeiterbeteiligung allgemein von
Vorteilen geprägt ist, müssen wir den möglichen Problemen Aufmerksamkeit schenken. Für die Unternehmer
- sie müssen mitgenommen werden - besteht oft die
Sorge, durch die Einbeziehung der Mitarbeiter einen
Verlust der Kontrolle über den Betrieb zu erleiden. Ich
denke hierbei nicht an die großen Kapitalgesellschaften,
sondern an Hunderttausende von mittelständischen Firmen. Wir müssen die richtigen Anreize schaffen und
durch Transparenz Schwellenängste abbauen.
Eines will ich ebenfalls klar sagen: Beispielsweise bei
einer Fremdkapitalbeteiligung - dabei werden dem Arbeitgeber Anteile aus Gewinnbeteiligungen als Darlehen
gegeben - muss das Darlehen zunächst einmal natürlich
steuerfrei sein. Es kann nur nachgelagert besteuert werden. Wenn der Staat dies tut - damit die Arbeitnehmer
Sicherheit haben -, dann muss der eingeschlagene Weg
über viele Jahre fortgesetzt werden; denn nur so können
die entsprechenden Mittel für die Altersvorsorge und andere Dinge eingesetzt werden.
Kurzum, Herr Wend, wir haben über diese Dinge
lange genug geredet. Es ist Zeit, das Ganze anzupacken.
Ich bin der Meinung, die Zeit ist reif dafür.
({0})
Was unsere heutigen Probleme angeht: Der Sozial- und
Umverteilungsstaat ist selbst ein Teil des Problems geworden. Wir müssen neue Wege gehen. Als Praktiker
und Unternehmer kann ich nur sagen: Lasst uns alle guten Geister bemühen! Lasst uns dazu alle Anstrengungen
unternehmen! Ich bin überzeugt: Wir behandeln hier ein
Thema, das für die zukünftige Beschäftigung und das
Wohl der Arbeitnehmer, aber auch der Firmen von allergrößter Bedeutung ist.
Schönen Dank.
({1})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ute Berg für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Diskussion um die Mitarbeiterbeteiligung am Unternehmenserfolg ist ein echter Klassiker in der politischen
Debatte und sie hat bis heute nichts an Aktualität eingebüßt. Bereits vor 150 Jahren haben Wissenschaftler in
einem Gutachten des Vereins für Socialpolitik festgestellt, dass die Beteiligung der Arbeiter am Unternehmensgewinn den sozialen Frieden erhalten und die Ertragslage der Betriebe verbessern kann.
Es ist also kein Wunder, dass diese bestechenden Vorzüge in der Folge viele Politiker beschäftigt haben.
Ludwig Erhard wurde schon mehrere Male genannt.
Gerhard Schröder hat sich im Bündnis für Arbeit für die
Mitarbeiterbeteiligung stark gemacht. Seit Kurt Beck im
Sommer die Beteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an den Gewinnen der Unternehmen wieder
zum Thema gemacht hat, ist die Debatte neu entbrannt.
Warum hat sich dieser Klassiker bei uns bisher nicht
stärker durchgesetzt? Es liegt vermutlich an der Vielzahl
der möglichen Modelle und an erheblichen Vorbehalten
und Widerständen, die aus verschiedenen Richtungen
kommen. So fürchten die Unternehmer bei den Kapitalbeteiligungsmodellen zum Beispiel, nicht mehr Herr im
eigenen Haus zu sein, wenn ihre Mitarbeiter praktisch zu
Miteigentümern werden. Die Gewerkschaften fürchten,
dass den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern neben
dem Arbeitsplatzrisiko auch noch das Unternehmensrisiko aufgebürdet werden soll.
Für uns ist klar: Wir wollen, dass Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer am Gewinn beteiligt werden können;
denn sowohl Unternehmen als auch Mitarbeiter haben
dabei einen klaren Vorteil. Wenn das Unternehmen
große Gewinne macht, bekommen auch die Beschäftigten ein großes Stück vom Kuchen ab. Geht es dem Unternehmen nicht so gut, braucht es weniger zusätzliche
Leistungen an die Mitarbeiter auszuzahlen. Ein solches
Modell ist gut für die Motivation und die Identifikation
der Mitarbeiter mit dem Unternehmen und es regt darüber hinaus dazu an, mehr Verantwortung zu übernehmen.
Für uns ist aber auch klar, was wir definitiv nicht wollen: eine Mitarbeiterbeteiligung, bei der die Arbeitnehmer erhebliche Lohneinbußen hinnehmen müssen, dafür
zwar Unternehmensanteile, aber keine Mitentscheidungsrechte bekommen und im Falle der Insolvenz dann
auch noch das volle Risiko tragen. Das können wir nicht
unterstützen.
({0})
Diese Risiken sehe ich zum Teil bei dem Modell Investivlohn, wie es derzeit zumindest von einigen diskutiert wird. Es gibt ja nicht das Modell; es gibt viele
Schattierungen. Im Übrigen findet das auch das Institut
der deutschen Wirtschaft. Michael Hüther sagte dazu:
Jedem Anleger wird normalerweise empfohlen, die Risiken zu streuen und nicht alle Eier in einen Korb zu werfen.
Ein Modell, das als Einstiegsmodell gut geeignet ist
- mich hat es jedenfalls überzeugt -, habe ich kennen gelernt, als ich kürzlich mit Wirtschaftspolitikern meiner
Fraktion die Firma 3M in Neuss besucht habe. Dort gilt
das Motto: Wenn 3M mehr verdient, verdienen auch die
Mitarbeiter mehr. Das läuft so: Das Weihnachtsgeld wird
an den finanziellen Erfolg des Unternehmens gekoppelt.
Je nach Entwicklung des Unternehmenserfolgs erhalten
die Mitarbeiter zwischen 60 und 150 Prozent des
13. Monatsgehalts. - Zur Akzeptanz dieses Modells hat
sicherlich beigetragen - das muss man dazusagen -, dass
die Entwicklung des Unternehmens bisher sehr positiv
verlaufen ist.
({1})
„13 Plus“ ist natürlich nur ein Beispiel von vielen denkbaren Beispielen. Ich finde, wie gesagt: Es ist als Einstiegsmodell sehr gut geeignet.
Insgesamt ist die Beteiligung der Mitarbeiter am Erfolg des Unternehmens in Deutschland bis heute nicht
sehr ausgeprägt; Herr Pfeiffer hat schon einige Zahlen
dazu genannt. Ich hoffe, dass künftig auch in Deutschland die Erfolgsbeteiligung der Mitarbeiter in den Betrieben stärker verankert wird. Voraussetzung dafür ist
aber, dass eine Win-Win-Situation geschaffen wird, die
Unternehmen und Mitarbeiter gleichermaßen motiviert.
In der SPD - in unserer Fraktion, aber auch im Parteivorstand - arbeiten wir derzeit mit Hochdruck an einem
tragfähigen Konzept, das dann auch wirklich den Praxistest bestehen kann; denn das Ergebnis der öffentlichen
Diskussion sollte auf keinen Fall sein: Schön, dass wir
wieder einmal darüber geredet haben.
Vielen Dank.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Gerald Weiß für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir brauchen mehr Mitarbeiterbeteiligung in
Deutschland, weil wir so schlecht sind auf diesem Gebiet. Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen für die
Kapital- und Erfolgsbeteiligung der Arbeitnehmerschaft,
weil wir so schlecht sind im internationalen Vergleich. Da war sie wieder, diese alte Bekannte in deutschen Diskussionen, diese kulturpessimistische elende Bedenkenträgerei.
({0})
Gerald Weiß ({1})
Es wird immer zuerst nach dem Haar in der Suppe gesucht. Lasst uns doch einmal anders herum anfangen,
mit Optimismus und Gestaltungswillen! Die Aussichten
sehen doch viel besser aus.
({2})
Die beiden Volksparteien - ich sage das wirklich mit
Dankbarkeit - nehmen hier das gleiche Ziel ins Visier.
Das ist etwas. Auch die FDP ist grundsätzlich dafür; das
hat mein ehemaliger Kommilitone eben bestätigt. Auch
die Grünen sind grundsätzlich dafür, wenn auch ein wenig von Kulturpessimismus geprägt.
({3})
Auch gesellschaftlich erkennt man einen immer größeren Konsens. Man denke nur daran, dass in den Gewerkschaften ein erhebliches Umdenken stattgefunden hat
und auch in den Arbeitgeberverbänden darüber wesentlich anders als früher gedacht wird. Insbesondere im
Mittelstand wird über dieses Thema aus Gründen, die
Peter Rauen eben ausgeführt hat, viel konstruktiver
nachgedacht. Nun müssen wir dafür bessere Rahmenbedingungen schaffen. Dazu, wie wir diese schaffen können, hat die CDU auf ihrem Parteitag einige Vorschläge
gemacht. Vielleicht reicht die Zeit noch, um auf einige
einzugehen.
Ich möchte aber zunächst von denen sprechen, die
diesen gesellschaftlichen Consensus nicht tragen. Selbstverständlich können die Linken mit dem Komplex Arbeitnehmer und Eigentum nichts anfangen.
({4})
Während Sie unsere Vorschläge hier als Volkskapitalismus diffamieren, träumen Sie vom alten Staatskapitalismus.
({5})
Es ist doch völlig selbstverständlich, dass Sie mit den
beiden größten Ordnungspolitikern des vergangenen
Jahrhunderts nichts im Sinne haben.
Der bereits mehrfach zitierte Ludwig Erhard sagte:
Eine Vermögenspolitik der Sozialen Marktwirtschaft beteiligt alle durch Vermögensbesitz an den
Unternehmen. Ihr Ziel ist eine Gesellschaft von
Teilhabern.
Das wollte Ludwig Erhard. Jetzt lasst uns dafür sorgen,
dass noch mehr davon, als bisher in Deutschland erreicht
wurde, umgesetzt wird!
({6})
Der große christlich-soziale Denker Oswald von NellBreuning gehört natürlich auch in dieser Debatte erwähnt. Er wusste, dass Eigentum eine der Quellen - Familie und Arbeit gehören auch dazu - der Autonomie,
also der Selbstständigkeit, der Würde und der Unabhängigkeit des Menschen ist. Er sagte, die Beteiligung der
Arbeitnehmer am Produktivkapital ist Garantin für die
Erhaltung unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung.
Er hatte damit Recht.
Herr Wend hat es eben, wenn ich ihn richtig verstanden habe, ähnlich ausgedrückt, als er sagte: Die soziale
Marktwirtschaft braucht dies als eine Legitimationsgrundlage.
({7})
Die derzeitige Entwicklung der Vermögensverteilung in
Deutschland gefährdet diese Legitimationsgrundlage.
Sie haben ja die Verteilungsstruktur deutlich gemacht:
Die Kapitaleinkünfte wachsen seit Jahrzehnten doppelt
so schnell wie die Arbeitseinkünfte und 4 Prozent der
Bevölkerung halten, ich glaube, 47 Prozent der Vermögenswerte. Die Gesellschaft darf sich nicht zu weit auseinander entwickeln.
({8})
Die Idee, alle am Eigentum zu beteiligen, kann hier verbindend wirken und dürfte somit auch konsensfähig
sein. In diesem Sinne müssen wir gemeinsam an einer
Umsetzung dieser Idee arbeiten.
Die hier schon geschilderten Probleme bis hin zur Risikostreuung können wir, wie ich glaube, alle lösen.
Wenn wir die Beteiligung der Mitarbeiter am Produktivkapital und am Gewinn mit der kapitalgedeckten Altersversorgung verbinden wollen - wie nahe liegt das! -,
dann müssen wir natürlich darauf bestehen, dass es sich
bei den Beteiligungsformen für die Altersvorsorge um
langfristige und sichere handelt.
({9})
Zugleich muss ein solches Modell auf Freiwilligkeit beruhen. Einerseits darf keine Arbeitnehmerin und kein
Arbeitnehmer und andererseits kein Arbeitgeber gezwungen werden, daran teilzunehmen. Es darf auch
nicht vorgeschrieben werden, worauf die Prioritäten gelegt werden sollen: auf mehr Sicherheit oder auf stärkere
Gewinnbeteiligung. Beides kann man auch miteinander
kombinieren. Dafür wollen wir jetzt bessere Rahmenbedingungen herstellen. Sie zu schildern, fehlt mir hier leider die Zeit. Gehen wir ans Werk; es ist ein großes Werk!
Vielen Dank.
({10})
Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Andrea Nahles für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Rauen, Unternehmergeist fördern wollen wir alle
gerne. Aber ein bisschen handfester muss das in den
nächsten Monaten noch ausgearbeitet werden.
Zur Frage der Mitarbeiterbeteiligung sagen wir von
der Sozialdemokratie ganz klar Ja. Dieses Thema ist
schon von Philip Rosenthal, den ich persönlich kennen
zu lernen noch die Ehre hatte, immer wieder eingebracht
worden - mit Recht; denn die Mitarbeiterbeteiligung beinhaltet durchaus Gutes, zum Beispiel die Möglichkeit,
dass einerseits aufseiten der Arbeitnehmer die Motivation, die Bereitschaft, sich ins Unternehmen einzubringen, steigt und andererseits die Arbeitgeber eine größere
Verbundenheit mit ihren Mitarbeitern suchen.
Dazu trägt auch die Mitbestimmung bei. Aber das
kann gestärkt werden, wenn wir ein neues Eigentumsmodell schaffen und dieses mit zusätzlicher Mitbestimmung koppeln. Das steckt für mich als Potenzial in dieser Frage. So weit ist das gar nicht schlecht.
Aber wenn ich mir den Vorschlag, den die Union jetzt
auf den Tisch legt, ansehe, scheint mir, dass die Mitbestimmung am Katzentisch landet. Es soll ein Beirat geschaffen werden, der dafür sorgt, dass die zusätzlichen
Stimmenanteile, die gebündelt werden müssen, in dem
entstehenden Fonds in ein neues Mitbestimmungsmodell
integriert werden. Vor allem aber soll das Ganze nicht
als Zuschlag gestaltet werden, sondern im Prinzip sollen
- das finde ich sehr problematisch - die Lohnsteigerungen teilweise einfach umgewandelt werden. Dabei
kommt dann Folgendes heraus: Die Lohnkosten der Unternehmen werden gesenkt; gleichzeitig werden die Unternehmen in die Lage versetzt, ihren Eigenkapitalanteil
zu erhöhen,
({0})
und das bei weniger Mitbestimmungsrechten.
Das ist eine Rechnung, die man der SPD nicht aufmachen kann. Das sage ich in aller Deutlichkeit.
({1})
Der zweite Punkt. Wir können in dieser modernen
Gesellschaft Mitarbeiterbeteiligungen schlicht und ergreifend nicht so gestalten, dass der Mitarbeiter an ein
Unternehmen gebunden ist; denn zunehmend müssen die
Menschen - das wollen wir ja auch und fördern es teilweise sogar - die Portabilität im Blick haben. Das gilt
übrigens auch für die Altersrückstellungen - über diese
Frage sind wir gerade mit der EU im Streit - und bei Insolvenzen. Wir müssen also, wenn wir solche Modelle
planen, Regelungen finden, um für die Menschen Insolvenzschutz und Portabilität herzustellen. Das gilt übrigens auch für Arbeitszeitkonten. Das ist die Richtung, in
der wir unseren Arbeitsmarkt und unseren Sozialstaat
gestalten müssen. An dieser Stelle sehe ich Ansätze, aber
noch keine fertigen Lösungen.
Ich will zum Dritten darauf hinweisen, dass wir eine
vielfältige Form von Beteiligungsmöglichkeiten haben.
17 Millionen Menschen in Deutschland haben mittlerweile eine betriebliche Altersvorsorge, 7 Millionen haben die Riesterrente. Betriebsbeteiligungen gibt es in
Deutschland vor allem in großen Unternehmen. Mit der
Sparquote, die 11,1 Prozent beträgt, liegen wir auf Platz
eins. Wenn wir uns anschauen, welche gesellschaftlichen
Gruppen, welche Arbeitnehmergruppen wir mit unseren
Instrumenten erreichen, dann stellen wir fest, dass es
zum Beispiel die Facharbeiter sind; es sind Leute, die einen festen Job haben. Mit Blick auf diese bin ich dafür.
Aber ein Investivlohn ersetzt eben keinen Mindestlohn
({2})
und ist keine Antwort auf die Frage, wie wir an dieser
Stelle die Menschen im nicht festen, prekären Arbeitsbereich und im Mindestlohnbereich mitnehmen und ihnen
Kapitalbildung, simples Sparguthaben oder andere Formen der eigenen Zukunftssicherung ermöglichen. Deswegen brauchen wir für diesen Bereich ergänzend Sicherungskonzepte.
Vielen Dank.
({3})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 30. November 2006,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.