Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/22/2006

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich. Wir setzen die Haushaltsdebatte - Tagesordnungs- punkt I - fort: a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2007 ({0}) - Drucksachen 16/2300, 16/2302 - b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2006 bis 2010 - Drucksachen 16/2301, 16/2302, 16/3126 Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Carsten Schneider ({2}) Anja Hajduk Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.8 auf: Einzelplan 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt - Drucksachen 16/3104, 16/3123 Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Petra Merkel ({3}) Roland Claus Anna Lührmann Zu diesem Einzelplan liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor. Ich mache schon jetzt darauf aufmerksam, dass wir über den Einzelplan später namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache vier Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion. ({4})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute ist die Bundeskanzlerin auf den Tag genau ein Jahr im Amt. ({0}) - Die CDU war selten so anspruchslos wie heute. ({1}) Frau Merkel, die FDP hat Ihnen damals zu Ihrer Wahl gratuliert und viel Erfolg gewünscht. ({2}) Die Gratulation zum Ende des ersten Regierungsjahres fällt leider zurückhaltender aus. Wenn ich Ihrer Regierung heute noch einmal viel Erfolg wünsche, dann deshalb, weil die Bürger in Deutschland eine gute Politik verdient haben, von guter Politik bisher aber kaum etwas erkennbar ist. ({3}) Nach den Aussagen Ihres Regierungssprechers plant die Koalition keine Feierlichkeiten zum Ende des ersten Jahres Schwarz-Rot. Dafür gibt es auch keinen Grund. ({4}) Redetext Die Deutschen müssen sich von schwarz-roter Politik behandelt fühlen wie der Martini bei James Bond: geschüttelt, nicht gerührt. ({5}) - Sie, meine Damen und Herren von der Union, sind nicht in der Kulturszene. ({6}) Als Erfolg verkauft die Regierung an erster Stelle den wirtschaftlichen Aufschwung. Wir haben tatsächlich eine positive wirtschaftliche Entwicklung. Über den Aufschwung und die besseren Konjunkturzahlen freuen wir uns. Der Boom der Weltwirtschaft ist jetzt auf die deutsche Wirtschaft übergesprungen. Der Aufschwung gehört zum Konjunkturzyklus, dem regelmäßigen Auf und Ab des Wirtschaftsgeschehens. Aber der Aufschwung ist weitgehend kein Erfolg dieser Regierung. Frau Merkel, ich sage gleich zu Beginn meiner Rede, weil ich davon ausgehe, dass Sie unmittelbar auf meine Ausführungen antworten werden: ({7}) Diesen Erfolg dürfen sich die Unternehmen in Deutschland, der Mittelstand, die Arbeitnehmer auf die Fahnen schreiben. Sie haben unser Land wieder wettbewerbsfähig und fit für die Weltmärkte gemacht. ({8}) Auch moderate Lohnabschlüsse haben dazu beigetragen. Hier gilt es, den Tarifvertragsparteien Dank zu sagen, auch den Gewerkschaften. Hinzu kommen der Einmaleffekt der Weltmeisterschaft und die vorgezogenen Käufe aufgrund der Mehrwertsteuererhöhung. Die Weltmeisterschaft hat einen Viertelprozentpunkt Wachstum bewirkt. ({9}) Der Wachstumsbeitrag durch die Vorzieheffekte ist nur geliehen. Durch die vorgezogenen Käufe haben Sie in diesem Jahr tatsächlich einen Beitrag zum Wachstum geleistet. Die Menschen wissen, dass im nächsten Jahr die Steuern kräftig erhöht werden, und kaufen deshalb vieles schon in diesem Jahr. Das bewirkt für dieses Jahr einen einmaligen Wachstumseffekt, einen der wenigen, die von dieser Regierung geleistet wurden. ({10}) Die Bundesregierung ist weder Vater noch Mutter des Wirtschaftsaufschwungs. Er kommt vom Exportboom, Klinsmann-Effekt und Jahrhundertsommer. ({11}) Sie können ja mit der FIFA darüber verhandeln, ob wir vielleicht jedes Jahr eine Weltmeisterschaft in Deutschland durchführen können, um das Wirtschaftswachstum zu verstetigen. ({12}) Der Aufschwung verdeckt, was in der bisherigen Regierungszeit von Schwarz-Rot nicht gut gelaufen ist. ({13}) Alles andere als gerührt sind die Bürger zum Beispiel von Ihrer Neuauflage des rot-grünen Antidiskriminierungsgesetzes. Damit haben Sie ein Bürokratieaufbauprogramm auf den Weg gebracht. ({14}) Zum Gesetz haben Sie, Frau Merkel, im Mai gesagt: „Ich vertrete das aus vollem Herzen.“ Das ist bemerkenswert. Menschen zu schützen, die es schwerer haben, ist ehrenwert. Das wollen auch wir. Aber dieses Gesetz schadet denen, die es schwerer haben, weil sie erst gar nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Das ist die Folge Ihres Vorgehens. ({15}) Vor der Wahl hat die Union gesagt, man solle die EURichtlinie maximal eins zu eins umsetzen. Das haben Sie - wie so vieles - nach der Wahl vergessen. Ein bürokratisches Monstrum schützt niemanden. Es schreckt viele ab. Das Gesetz ist gerade einmal seit drei Monaten in Kraft und schon Arbeitsbeschaffungsprogramm für Findige und Anwälte. Auf die Gerichte rollt eine Klagewelle zu. Beim Bürokratieabbau haben Sie die kleinste Lösung gefunden. Sie haben den Normenkontrollrat geschaffen, aber das Ganze so geregelt, dass er nicht für alle Gesetze zuständig ist. Das, was Schwarz-Rot über das Parlament auf den Weg bringt, muss gar nicht durch den Normenkontrollrat. Zu Ihrem Konzept „Mehr Freiheit wagen“: Sie wollen den Haushalt nachhaltig sanieren, ({16}) das Steuersystem vereinfachen und die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfähig machen. Auf diesem Gebiet ist bisher so gut wie nichts geschehen. Herr Kampeter, schämen Sie sich! Sie sind viel zu schlau, um das nicht zu wissen. ({17}) Was haben Sie gemacht? Sie haben die größte Steuererhöhung aller Zeiten auf den Weg gebracht. Die Unternehmensteuerreform ist nicht der große Wurf. Dabei wird nichts vereinfacht. Wir befinden uns in einer tollen Situation: Sie machen die Gesetze so kompliziert, dass man jetzt sogar für eine Auskunft vom Finanzamt Geld zahlen muss. Das ist schon eine bemerkenswerte Entwicklung. Gestern hat der Finanzminister an seine SPD-Fraktion geradezu appelliert, die Unternehmensteuerreform über die Rampe bringen zu helfen. Die SPD hat ja beschlossen, dass es nicht zu nachhaltigen steuerlichen Entlastungen kommen soll. Aber was soll eine Steuerreform bringen, wenn sie die Unternehmen und die Bürgerinnen und Bürger nicht entlastet? Wir nehmen den Menschen zu viel weg. Das muss sich ändern. Bei diesem Freiheitsthema geht es im Kern um folgende Frage: In welchem Umfang können wir selbst über die Verwendung des Geldes entscheiden, das wir uns hart erarbeitet haben, und in welchem Umfang entscheiden andere an unserer Stelle, weil sie uns für zu doof halten, eigenverantwortlich mit unserem Geld umzugehen? ({18}) Zu den Themen Föderalismusreform und Reform der Finanzverfassung kann man nur sagen: Das Kernproblem wurde nicht gelöst. Allerdings freue ich mich über die Liberalisierung des Ladenschlusses. Dafür haben wir lange kämpfen müssen. Nur in Bayern klappt es nicht. Herr Stoiber, der Schutzpatron aller Leichtmatrosen, hat die Zeit verschlafen. Als im Bayerischen Landtag über dieses Thema abgestimmt wurde, hat „Wackel-Ede“ die Flucht angetreten, sodass es bei der Abstimmung zu einem Patt kam. Daher findet in Bayern keine Liberalisierung des Ladenschlusses statt. Dort dauert ja alles ein bisschen länger. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wovon träumen Sie nachts? Aber bald sind in Bayern Landtagswahlen. Dann wird die Freiheit auch dort mehr Raum bekommen. ({19}) Gesundheitsreform: vermurkst. Pflegeversicherung: Fehlanzeige. Auch der Sachverständigenrat hat Ihnen, nachdem er seine wissenschaftliche Arbeit abgeschlossen hatte, ins Stammbuch geschrieben, dass Sie Ihre Chancen vertan haben. Die Bilanz des ersten Jahres Schwarz-Rot lautet: Sie haben Ihre Chancen, angesichts der günstigen Entwicklung der Weltwirtschaft Wachstumspolitik für Deutschland zu betreiben, nicht genutzt. Sie müssen sich leider sagen lassen: Das ist fatal. Alles in allem muss man feststellen: Das erste Regierungsjahr Ihrer Koalition ist weitgehend ein verlorenes Jahr. Frau Kanzlerin, befreien Sie Ihre Regierung vom Mehltau der unteren Mittelmäßigkeit! No Excellence, Lady Chancellor. ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor genau zwölf Monaten hat die Bundesregierung ihre Arbeit für Deutschland aufgenommen. ({0}) In diesen zwölf Monaten sind wichtige Weichenstellungen erfolgt: von der Rente mit 67 bis zum Elterngeld, von der Erarbeitung der Eckpunkte der Unternehmensbesteuerung bis zur Einsetzung des Normenkontrollrats und von der Föderalismusreform bis zum Islamgipfel. Wir haben eine historische Entscheidung zum Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten getroffen. Im Sommer dieses Jahres haben wir in Deutschland eine wunderbare Fußballweltmeisterschaft erlebt, durch die sich das Bild, das die Menschen außerhalb Deutschlands von Deutschland haben, zum Positiven gewandelt hat. ({1}) Zwölf Monate sind für die Politik, den Regierungsbetrieb und die Medien eine lange Zeit. Um ein Land auf die Zukunft vorzubereiten, sind zwölf Monate aber eine sehr kurze Zeit. Deshalb gilt der Wählerauftrag von vor einem Jahr unverändert: Es geht für unser Land darum, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Es geht darum, bessere Bildung zu ermöglichen. Es geht darum, dass wir unsere Zukunftschancen nicht verbrauchen; wir müssen lernen, weniger Schulden und bald gar keine Schulden mehr zu machen. Es geht darum, das Fundament unseres Wohlstands, die soziale Marktwirtschaft, so zu erneuern, dass wir unseren Wohlstand angesichts der Herausforderungen der Globalisierung halten und weiterentwickeln können. An diesem Wählerauftrag haben wir uns von Anfang an orientiert. Wir haben eine nüchterne Analyse vorgenommen und uns entschieden, entlang des Dreiklangs von Sanieren, Reformieren und Investieren zu arbeiten. Dieser Dreiklang hat sich als richtig erwiesen. ({2}) Wir wussten, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land etwas zumuten müssen. Es ist verständlich, dass manche unserer Maßnahmen nicht auf sofortige Zustimmung stoßen. Aber wir sind uns einig, dass man, wenn man verantwortungsvolle Politik macht, einen Weg gehen muss, der Schwierigkeiten überwindet, statt einen, der ihnen ausweicht. Entscheidend ist, wie wir die Frage beantworten können: Steht Deutschland heute besser da als vor einem Jahr - Ja oder Nein? Die Fakten besagen Folgendes: Die Wirtschaft wächst so stark wie seit dem Jahr 2000 nicht mehr. Nach einem halben Jahrzehnt ständig steigender Arbeitslosigkeit haben wir in diesem Jahr eine halbe Million Menschen weniger, die auf die Suche nach einem Arbeitsplatz gehen muss. Seit sechs Jahren werden erstmals wieder sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen, mehr als 250 000. Weil Wirtschaft und Arbeitsmarkt sich erholen, steigen die Steuereinnahmen. Wir haben deshalb beschlossen und beschließen können, die Neuverschuldung weiter zu senken, auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Ich finde, das sind gute Daten und darüber können wir uns freuen. ({3}) Dies alles zeigt: Richtige Politik wirkt. Das gilt im Übrigen nicht nur für das letzte Jahr, sondern das gilt immer dann, wenn Schwierigkeiten überwunden und Reformen angepackt werden. Die Erfolge zeigen ein Zweites: Wenn man überzeugt ist, dass ein Weg unter den gegebenen Umständen der bestmögliche ist, muss man ihn auch durchhalten. Ich erinnere mich an manche Kassandrarufe von vor einem Jahr, was die politischen Maßnahmen, die wir in der Koalitionsvereinbarung formuliert haben, alles bewirken werden. Jetzt gerät mancher Rufer ins Stottern. Der Sachverständigenrat schreibt in seinem Herbstgutachten, insgesamt starte die deutsche Volkswirtschaft mit einer guten Ausgangslage sowie bemerkenswertem Schwung in das neue Jahr. Er schätzt das Wachstum für 2007 auf knapp unter 2 Prozent. Auch aus den Wirtschaftsverbänden heißt es, es seien keinerlei Anzeichen erkennbar, die eine fühlbare Abschwächung des Wachstums erwarten ließen, auch nicht durch die Mehrwertsteuererhöhung; so der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages Braun am 17. November. Ähnlich sieht es der Zentralverband des Deutschen Handwerks. Die Bundesregierung ist bei ihrer Prognose bewusst vorsichtiger als zum Beispiel der Sachverständigenrat. Aber es kann nun wirklich nicht bestritten werden, dass sich unser Land nach Jahren der Stagnation endlich wieder im Aufschwung befindet. Das ist eine gute Nachricht für die Bürgerinnen und Bürger. ({4}) Doch die Jahresbilanz weist auch darauf hin, dass es noch sehr viel zu tun gibt. Deshalb werden wir die Hände nicht in den Schoß legen. Der Sanierungskurs hat erst dann sein Ziel erreicht, wenn wir es schaffen, den Haushalt eines Tages wieder ausgeglichen zu gestalten. Viele Arbeitsplätze in Deutschland sind weiterhin von Verlagerung bedroht. BenQ ist leider nur ein Beispiel; für andere gilt Ähnliches. Die Arbeitsplätze in Deutschland müssen langfristig wieder sicherer werden. Und mit 4 Millionen Arbeitslosen können wir uns natürlich nicht zufrieden geben. Die Unternehmen müssen spüren, dass sich Neueinstellungen lohnen; sie müssen noch mehr Mut fassen. Ich möchte an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an den Mittelstand in Deutschland richten. Er ist der Jobmotor in diesem Jahr gewesen. Deshalb ist es wichtig, dass wir gerade den Mittelstand stärken. ({5}) Der Aufschwung darf nicht bloß eine kurze Erholungsphase werden, sondern er muss nachhaltig gemacht werden. Dass das eine gewaltige Aufgabe ist, die die Politik nicht alleine schafft, müssen wir immer wieder deutlich machen. Es ist deshalb wichtig, dass wir darüber sprechen, welche Werte, welche Maßstäbe, welche Leitbilder uns lenken und welche Prinzipien wir haben, nach denen wir arbeiten und bei deren Umsetzung wir die Menschen im Lande mitnehmen können. Ich habe vor einem Jahr in meiner Regierungserklärung diese Prinzipien genannt. Ich habe gesagt, es beginnt damit, dass die Politik nachhaltiger und verlässlicher wird. Ich habe gesagt, wir wollen die Leistung der Menschen besser anerkennen. Wir brauchen mehr Herz und Einsatz für die wirklich Schwachen in unserer Gesellschaft. Wir wollen ein starker Partner in der Welt werden, verlässlich in unseren Bündnissen und mit einer wertebezogenen Außen- und Europapolitik. Um all das zu erreichen, müssen wir vor allem eines: mehr Freiheit wagen. ({6}) Meine Damen und Herren, schauen wir uns die Dinge doch einmal ganz nüchtern an: mehr Freiheit für mehr Lebenschancen, mehr Freiheit, damit sich Leistung besser lohnt. Genau aus diesem Grunde haben wir die Sanierung des Bundeshaushalts in Angriff genommen. Zukünftige Generationen brauchen wieder mehr Spielraum. In diesem Zusammenhang haben wir natürlich auch Maßnahmen getroffen, die nicht ganz einfach waren. In diesem Hause wird darüber geredet, was man noch alles hätte sparen können. Die Vorschläge, die sowieso unseriös sind, lege ich einmal beiseite und ich weise darauf hin, dass wir bei den Bundesbeamten, die für den Staat arbeiten, 1 Milliarde Euro einsparen. Sie haben eine 41-Stunden-Woche und ihr Weihnachtsgeld wurde gekürzt. Wir schicken die Soldaten zu schwierigen Einsätzen ins Ausland und müssen sie gleichzeitig um Verständnis dafür bitten, dass das notwendig ist, weil auch das ein Beitrag für ihre Zukunft ist. Das ist nicht ganz einfach und man muss einfach auch einmal würdigen, dass die Menschen das mittragen. Dafür kann man keine Begeisterung erwarten. Sie tun ihren Dienst trotzdem und das ist viel. ({7}) In diesem Jahr halten wir den europäischen Stabilitätspakt wieder ein. Ich erinnere mich noch an unsere ersten Gespräche mit der Europäischen Kommission und daran, mit welch sorgenvollem Gesicht man auf Deutschland geschaut hat. Heute ist Deutschland wieder ein Land, das für die Europäische Kommission dafür steht, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt in diesem Jahr und auch in den nächsten Jahren eingehalten werden kann. Das ist ein Riesenerfolg. ({8}) Mit dem, was wir erreicht haben, geben wir uns nicht zufrieden. Wir haben den Sachverständigenrat gebeten zu untersuchen, welche noch wirksameren Schuldenbremsen es für Bund und Länder gibt, damit wir weitermachen und uns unter Druck setzen können, um die Ziele ausgeglichene Haushalte und weniger Verschuldung zu erreichen. Dies wird auch bei der zweiten Stufe der Föderalismusreform eine gewichtige Rolle spielen. Meine Damen und Herren, mehr Freiheit wagen heißt natürlich auch, den Menschen Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu geben; denn wir alle wissen: Arbeit schafft Selbstvertrauen und soziale Kontakte. Es geht also um Freiheit für ein selbstbestimmtes Leben. Wir werden die Lohnzusatzkosten senken. ({9}) - Wir werden die Lohnzusatzkosten senken. Selbst dann, wenn Sie die 0,9 Prozent, die der Arbeitnehmer beim Krankenkassenbeitrag bezahlt, mitrechnen, bedeutet das immer noch eine Reduzierung von 42 Prozent auf ungefähr 40,6 Prozent. Wer das nicht als Senkung erfassen kann, der ist in diesem Hause vielleicht falsch. Es geht runter. ({10}) Mit dem Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 4,2 Prozent haben wir den niedrigsten Stand seit 20 Jahren erreicht. Das ist auch ein Erfolg der Bundesagentur für Arbeit. Dass dieser Erfolg eingetreten ist, liegt aber wiederum auch an einer politischen Maßnahme, die von der vergangenen Regierung durchgesetzt und von der CDU/ CSU-Opposition unterstützt wurde. Nun können wir uns doch freuen, dass das besser läuft und dass die Menschen durch die Bundesagentur gleichzeitig auch noch bessere Ansprechpartner haben. ({11}) Wir haben gesagt, wir wollen zukunftsfähige Arbeitsplätze schaffen. Das kann die Politik nicht alleine. Mit unserem Investitionsprogramm im Umfang von 25 Milliarden Euro haben wir aber die Weichen in die richtige Richtung gestellt. Dass wir als Bund unseren Beitrag dazu leisten, dass in Zukunft 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden können, und dass wir die Gründerfonds geschaffen und die Exzellenzinitiative durchgesetzt haben, sind ganz wesentliche Beiträge. All dies deutet darauf hin, dass wir nicht wollen, dass die besten Köpfe aus diesem Lande abwandern, sondern dass sie hier eine Chance haben, weil wir hochwertige Arbeit in diesem Lande wollen und brauchen. ({12}) Mehr Freiheit heißt für mich auch, dass die Unternehmen Zukunft haben. Wir haben im Kabinett die Eckpunkte für eine Unternehmensteuerreform und die Erbschaftsteuerreform verabschiedet. Für den Mittelstand haben wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen geschnürt: Die Eigenkapitalbildung wird begünstigt und er wird durch weniger Bürokratie dauerhaft entlastet. ({13}) - Wir sorgen für weniger Bürokratie: Wir haben ein Mittelstandsentlastungsgesetz und das Infrastrukturbeschleunigungsgesetz beschlossen. Damit haben wir dem Mittelstand Anreize geliefert. Wir haben gleichzeitig die degressive Abschreibung verbessert und wir haben Steuererleichterungen geschaffen. Wer gestern Abend beim 65. Geburtstag des Präsidenten des Zentralverbands des Deutschen Handwerks war, der weiß, dass es bei den Menschen draußen ankommt, egal wie viel hier kritisiert wird. Darüber kann man sich freuen. ({14}) Wir werden im nächsten Jahr weitermachen und durch den Normenkontrollrat das Gesetzeswerk auf den Prüfstand stellen, was Kontroll- und Statistikpflichten anbelangt, und in einem Jahr um die gleiche Zeit über die Ergebnisse berichten können. Mehr Freiheit - das heißt auch starke Regionen in Deutschland. ({15}) Deshalb war die Föderalismusreform ein wichtiger Schritt. Diese Regierung hat jetzt zweimal die Kommunen in Deutschland durch die Überweisung von Kosten für die Unterkunft in einem Maße unterstützt, über das man aus Bundessicht auch sagen könnte, wenn es etwas weniger gewesen wäre, wäre es nicht schlimm, damit sie ihre Aufgaben - zum Beispiel Kinderbetreuung auch für unter Dreijährige - erfüllen können. ({16}) Dies ist ein Beitrag dazu, dass wir uns zum Subsidiaritätsprinzip bekennen, dass wir sagen: Die kleinen Einheiten sind wichtig da, wo nahe am Menschen entschieden wird. Das ist unser Bild von dieser Gesellschaft und deshalb geht es den Kommunen mit dieser Bundesregierung gut. ({17}) Sie müssen nur mal die Oberbürgermeister fragen. ({18}) Wenn sie zusammen sind, dann loben sie nie. Wenn Sie sie aber alleine treffen, dann machen sie einen sehr zufriedenen Eindruck. Das alles ist die Wahrheit. Wir haben auch etwas für diejenigen gemacht, die die freiheitliche Lebensentfaltung brauchen, nämlich für die Familien, in denen Werte vermittelt werden. Ich glaube, dass wir die Tatsache des Elterngeldes gar nicht hoch genug einschätzen können. Das ist ein Wechsel. Ob es ein Paradigmenwechsel oder ein qualitativer Wechsel ist, sei dahingestellt. Es ist ein Wechsel, weil wir die Entscheidung für Kinder in unserer Gesellschaft anerkennen. Ich halte dieses Elterngeld für einen wichtigen Schritt. ({19}) Ich habe im vergangenen Jahr gesagt: Wir müssen Leistung anerkennen und mehr Freiheit wagen, damit wir auch den Schwachen in unserer Gesellschaft besser helfen können. Deshalb haben wir natürlich in diesem Jahr eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, mit denen wir gerade denjenigen zu helfen versuchen, die in unse6514 rer Gesellschaft Schwierigkeiten haben. Das hat dazu geführt, dass wir Arbeitsmarktinstrumente überprüft haben - ganz im Sinne von Fordern und Fördern - und auch weiter über Anreize nachdenken, wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen; das ist unser Hauptziel. Deshalb reden wir auch über Kombilöhne und Hinzuverdienstmöglichkeiten und werden die notwendigen Entscheidungen am Beginn des nächsten Jahres fällen. Wir haben die Regelsätze zwischen Ost und West angeglichen - ein Beitrag, der für die neuen Bundesländer sehr wichtig war - und wir haben im Sinne von Fordern und Fördern gesagt: Derjenige, der dreimal ein Arbeitsangebot ablehnt, der hat auch das Anrecht verspielt, von anderen, die für ihre Löhne hart arbeiten, unterhalten zu werden und Transferzahlungen zu bekommen. Aber diejenigen - das ist mir wichtig -, die keine Möglichkeit haben, Arbeit aufzunehmen, haben es verdient, dass sie weiter entsprechende Fördermaßnahmen bekommen. Wir müssen zwischen denen unterscheiden, die Dinge zu Unrecht in Anspruch nehmen, und denen, die keine Chance haben. Diejenigen, die keine Chance haben, müssen weniger werden in unserer Gesellschaft. Das ist wichtig. ({20}) Wir haben in der Bildungsfrage - weil der Bund hier Kompetenzen hat - ({21}) - Frau Künast, ich erinnere an die Diskussion über Art. 91 b. Wir diskutieren gerade über den Hochschulpakt, falls Ihnen das entgangen sein sollte. Das ist ein Beitrag des Bundes zu Bildungsfragen. ({22}) Wir haben einen Pakt für Ausbildung mit der Wirtschaft geschlossen, damit wir uns um Berufsausbildung kümmern können. ({23}) Wir haben die Kinderbetreuungsfragen bei den Kosten der Unterkunft mit behandelt. Wir kümmern uns im Rahmen dessen, was in der Kompetenz des Bundes liegt, ganz bewusst um diejenigen, die mehr Bildung brauchen. ({24}) Auch die Berufsausbildung ist Bildung. An dieser Stelle tun wir eine ganze Menge. ({25}) Ich sage aber auch in allem Ernst: Wir stehen immer wieder vor extrem schwierigen Situationen. Der Amoklauf in Emsdetten, der „Fall Kevin“ und der „Fall Stephanie“ haben uns alle zutiefst bekümmert. Wir alle hier im Hause wissen, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Aber es gibt einen Schutzauftrag und ein Wächteramt der staatlichen Gemeinschaft. Deshalb sollten wir die Frage, wie wir solche Fälle verhindern, nicht zu einer parteipolitischen Frage machen, sondern uns wirklich redlich mühen, Eltern in ihrer Erziehungskraft zu stärken, den jeweiligen Jugendeinrichtungen die Möglichkeit zu geben, ein Maximum an Hilfe zu leisten, und eine Gesellschaft aufzubauen, in der Zivilcourage herrscht und man nicht sagt: Sobald die Wohnungstür zugeht, geht mich das nichts mehr an. - All das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Daran werden wir noch lange zu arbeiten haben. ({26}) Wir müssen durch unsere Politik deutlich machen: Es gibt null Toleranz gegenüber Intoleranz. Ich sage das im Hinblick auf den Linksextremismus und insbesondere im Hinblick auf die gravierend angestiegene Zahl rechtsextremistischer Straftaten. An dieser Stelle müssen wir sehr deutlich machen, dass die demokratischen Kräfte in diesem Lande vereint dagegen stehen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Extremisten das Bild unseres Landes bestimmen. Hier gehen wir entschieden vor. Das haben wir deutlich gemacht, indem wir Mittel für entsprechende Maßnahmen in den Haushalt eingestellt haben. ({27}) Natürlich müssen wir die Kriminalitätsbekämpfung und insbesondere die Terrorismusbekämpfung ständig weiterentwickeln. In diesem Jahr sind dazu wichtige Schritte ermöglicht worden. Ich erinnere nur an die Antiterrordatei, die aus meiner Sicht ein ganz wesentlicher Punkt ist. Wir haben uns außerdem - das ist aus meiner Sicht ein Meilenstein in der Arbeit der Regierung - dem Thema Integration zugewandt. Wir sind ein Land mit einer scharfen demografischen Veränderung. Wir sind ein Land, in dem wir seit Jahrzehnten zulassen, dass diejenigen, die seit Generationen bei uns leben, nicht die gleichen Chancen haben. Es ist an der Zeit, dass wir den jungen Menschen, die aus Elternhäusern mit Migrationshintergrund kommen, die gleichen Möglichkeiten eröffnen. Das beginnt damit, dass man der deutschen Sprache mächtig ist. Ansonsten haben Kinder in diesem Lande keine Chance. Ich bin froh, dass die Diskussion darüber nicht mehr auf parteipolitischer Ebene geführt wird. Wir wollen miteinander erreichen, dass auch die jungen Menschen mit Migrationshintergrund in diesem Lande eine Chance haben und sich gut entwickeln. Wenn wir sehen, wie viele keinen Schul- oder Berufsabschluss haben, dann darf uns das nicht ruhen lassen. Deshalb ist der Integrationsgipfel eine solch wichtige Maßnahme. ({28}) Jeder kann einmal in eine Situation kommen, in der er auf unsere sozialen Sicherungssysteme angewiesen ist. Deshalb haben wir die Rente auf eine zukunftsfähige Grundlage gestellt und das Programm „50 plus“ zur Verbesserung der Chancen älterer Menschen auf dem Arbeitsmarkt aufgelegt. Der Bundesarbeitsminister hat dies sehr bewusst getan; denn wir wissen, dass wir das Renteneintrittsalter erhöhen müssen, um jungen Menschen eine Chance zu geben, und gleichzeitig die über 50-Jährigen außerordentlich schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Aber das darf so nicht bleiben. Damit darf sich die Politik nicht abfinden. Deshalb ist die Maßnahme „50 plus“ genau richtig, um älteren Menschen wieder eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu geben. ({29}) Wir haben eine Gesundheitsreform auf den Weg gebracht. ({30}) - Das habe ich mir schon gedacht. Wissen Sie, Gesundheitsreformen waren in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland selten von einem großen Lobgesang begleitet. Im Übrigen werden Gesundheitsreformen - das gilt für diese ganz besonders - meist von denen kommentiert, die Leistungen erbringen, und nur selten von den Versicherten selbst. Ich sage Ihnen ganz ausdrücklich: Diese Gesundheitsreform ist eine Reform für die Versicherten und nicht für diejenigen, die die Leistungen erbringen. Deshalb setzen wir uns auch in erster Linie mit den Versicherten auseinander. ({31}) Wenn man einen Einblick bekommen will, an welchen Stellen in dieser Republik eine Veränderungsunwilligkeit besteht und an welchen Stellen man an Besitzständen hängt - auch wenn ich nicht alle über einen Kamm scheren will -, muss man Gespräche mit den Fachleuten aus dem Gesundheitsbereich führen. Wir wollen, dass es in Deutschland nicht eine Zweiklassenmedizin gibt, sondern ein Gesundheitssystem für alle Menschen. ({32}) Es geht um die Versicherten bei dieser Reform. Deshalb musste die Gesundheitsreform verwirklicht werden. ({33}) Wir werden im nächsten Jahr die Reform der Pflegeversicherung in Angriff nehmen; denn wir wissen, dass die Pflegeversicherung genauso reformbedürftig ist wie das Gesundheitswesen. Wir haben aber immer gesagt: Eines folgt auf das andere. Wir haben in diesem Jahr eine Vielzahl von nationalen Projekten in Angriff genommen. Jeder, der sich anschaut, was auf den Weg gebracht wurde, wird sehen, dass wir dieses Land entschlossen verändern und reformieren und die Bedingungen für die Zukunft nachhaltig verbessern. Allerdings erleben wir täglich, dass es an vielen Stellen nicht mehr ausreicht, im nationalen Rahmen Entscheidungen zum Wohl unseres Landes zu treffen, sondern dass wir dafür Partner brauchen. Deshalb habe ich schon im vorigen Jahr in meiner Regierungserklärung gesagt, dass wir wieder ein starker Partner in Europa und in der Welt werden wollen und können. Deutsche Außen- und Europapolitik gründet sich auf Werte. Sie ist Interessenpolitik. Eine Politik in deutschem Interesse setzt auf Bündnisse und Kooperationen mit unseren Partnern. Wir haben in diesem Jahr für innenpolitische Vorhaben eine Koalitionsvereinbarung getroffen, die ein Programm vorgibt, das man abarbeiten kann. In der Außenpolitik aber sind wir von Ereignissen überrascht worden, die wir nicht voraussehen konnten. An dieser Stelle möchte ich ein ganz herzliches Dankeschön sagen. Bei all den Maßnahmen, die getroffen werden mussten, obwohl sie nicht in der Koalitionsvereinbarung standen, und bei all den Ereignissen, die uns vor vollkommen neue Herausforderungen gestellt haben, hat es eine vertrauensvolle und intensive Zusammenarbeit innerhalb der Bundesregierung und mit dem Parlament gegeben. Dafür ein ganz herzliches Dankeschön. ({34}) Abzusehen war, dass Europa eine finanzielle Vorausschau braucht. Das haben wir in der Europäischen Union geschafft. Dadurch ist die Europäische Union ein Stück handlungsfähiger geworden. Es war abzusehen, dass wir uns mit dem Nuklearprogramm des Iran befassen müssen. Wir können heute noch nicht sagen, dass dieses Problem gelöst ist. Der Bundesaußenminister und andere müssen weiter daran arbeiten. Es gab darüber hinaus die unerwartete Geiselnahme von zwei sächsischen jungen Männern und wir waren außerordentlich erleichtert, als wir feststellen konnten, dass sie wieder frei waren und nach Hause konnten. Und schließlich haben wir uns für zwei Einsätze entschieden, im Kongo und im Libanon, die nicht vorauszusehen waren. Ich möchte an dieser Stelle zu dem schrecklichen Mord an Herrn Gemayel im Libanon sagen - ich glaube, für Sie alle -: Wir verurteilen diesen Mord. Wir wollen, dass es einen selbstständigen Libanon gibt. Gewalt muss mit aller Kraft unterbunden werden. Dieses war ein feiger Mord, den die Weltgemeinschaft insgesamt verurteilen muss. ({35}) Lassen Sie mich stellvertretend für die internationalen Herausforderungen ein Thema nennen, das in den letzten Tagen sehr intensiv diskutiert worden ist - angesichts der Vorbereitung auf den NATO-Gipfel in Riga ist dies nicht unverständlich -, nämlich die Situation in Afghanistan. Wir haben als Bundesregierung ein sehr realistisches Konzept für Afghanistan aufgestellt. Die Bundesregierung hat sich auch in den vergangenen Jahren der Entwicklung Afghanistans in hohem Maße verpflichtet gefühlt. Ich erinnere an den Petersbergprozess, an die Wahlen in Afghanistan und an vieles andere mehr. Nach unserem - ebenfalls sehr realistischen - Bericht über die Lage in Afghanistan mussten wir feststellen, dass wir mehr Zeit für die Entwicklung Afghanistans brauchen, als wir es uns gedacht und gewünscht hätten. Ich sage aber auch: Wir wollen und wir müssen diese Mission in Afghanistan mit unseren Verbündeten zusammen zum Erfolg führen. Wir brauchen mehr Zeit, aber es gibt überhaupt keinen Grund, an dieser Stelle zu verzagen. Die Frage ist nur: Was brauchen wir? - Wichtig ist, dass wir einen Ansatz haben, der Sicherheit und Wieder6516 aufbau klug und durchdacht miteinander verbindet. Es kann keine rein militärische Lösung geben, aber ohne ein militärisch gesichertes Umfeld kann es auch keinen Aufbau in Afghanistan geben. ({36}) Deshalb ist Afghanistan eine politische Aufgabe und das werde ich auf dem NATO-Gipfel auch deutlich machen: Hier kann man keine separaten Diskussionen führen. Es ist eine politische Aufgabe, eine militärische Aufgabe, eine Aufgabe der inneren Sicherheit und eine Aufgabe für unsere Entwicklungspolitik. Die Bundesregierung hat sehr früh in einem ganz neuen Ansatz die Gemeinsamkeit der betroffenen Ressorts gesehen. Es gibt eine ganz regelmäßige Zusammenarbeit zwischen dem Entwicklungshilfeministerium, dem Innenministerium, dem Verteidigungsministerium und dem Außenministerium. Dieser Ansatz muss weiterentwickelt und zu einem Standardansatz bei all unseren Aktivitäten werden. Sie können heute nicht mehr zwischen den einzelnen Ressorts unterscheiden. Ich bin sehr froh, dass wir das am Beispiel Afghanistan auch praktizieren. ({37}) Wir werben für diesen Ansatz - wie ich glaube, erfolgreich. Der auf der Londoner Konferenz zu Afghanistan beschlossene so genannte „Afghan Compact“ von London folgt ebendiesem Ansatz, dass einzelne Nationen für einzelne Aufgaben zuständig sind, Deutschland zum Beispiel für den Aufbau der Polizei in Afghanistan. Diese Aufgabe als Leitnation nehmen wir sehr ernst. Wir haben bislang dort 17 000 Polizisten ausgebildet und sind militärisch mit circa 2 900 Soldatinnen und Soldaten über Jahre hinweg einer der größten Truppensteller. Meine Damen und Herren, wir wissen, dass wir unsere Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit noch besser aufeinander abstimmen müssen, auch zwischen den einzelnen Partnern. Wir müssen die Nachbarn des Landes noch stärker in die Verantwortung nehmen. Wir müssen gemeinsam mit den Partnern und Verbündeten natürlich das Nötige tun, um die Sicherheitslage zu verbessern. Es ist richtig: Afghanistan ist der Lackmustest für die Handlungsfähigkeit der NATO. In Riga wird es deshalb darum gehen, das Zusammenwirken ziviler und militärischer Elemente und die Zusammenarbeit zwischen der NATO, den Vereinten Nationen und der EU sowie mit den Nichtregierungsorganisationen zu verbessern. Meine Damen und Herren, die Bundeswehr erfüllt im Rahmen der ISAF-Mission im Norden des Landes eine wichtige und gefährliche Aufgabe. Wir wollen den Erfolg dieser Mission im Norden auf gar keinen Fall infrage stellen. Deshalb sehe ich niemanden, der ernsthaft die relative Stabilität, die wir im Norden erreicht haben, aufs Spiel setzen möchte. ({38}) Immerhin leben in diesem Gebiet circa 40 Prozent der afghanischen Bevölkerung. Die Bundeswehr wird dort auch weiterhin im Rahmen ihres Mandats Verantwortung tragen. Ich sehe aber kein über dieses Mandat hinausgehendes militärisches Engagement. Auch das will ich hier ganz deutlich sagen. ({39}) Deshalb gilt für mich für den NATO-Gipfel in Riga: Das Thema Afghanistan ist zu wichtig, als dass wir es zu einer militärischen Nord-Süd-Debatte verkümmern lassen dürfen. In Afghanistan wollen wir als NATO und als Weltgemeinschaft erfolgreich sein. Wir in Deutschland wissen, dass man dafür kämpfen muss, auch militärisch. Aber, meine Damen und Herren, man muss auch kämpfen um die Herzen der Menschen in Afghanistan. Beides gehört für mich zusammen und so werden wir diese Mission verstehen. ({40}) Lassen Sie mich an dieser Stelle auch ein ganz herzliches Dankeschön an unsere Soldatinnen und Soldaten und an ihre Familien sagen. Sie tun unter schwierigsten Bedingungen ihren Dienst, nicht nur in Afghanistan. Sie haben unsere Unterstützung verdient! ({41}) Wir haben beim Thema Sicherheit in diesem Jahr sehr viel über die militärische Sicherung ziviler Prozesse gesprochen. Sicherheit wird in der Zukunft aber auch - das hat dieses Jahr genauso gezeigt - mit Energiepolitik und Energiesicherheit zu tun haben. Die Europäische Union hat darüber eingehend diskutiert. Energiepolitik ist inzwischen zum Teil Energieaußenpolitik: Die Partner fragen, ob man sich aufeinander verlassen kann. Zwei große Herausforderungen werden uns in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen: Das eine ist die Frage, wie nicht nur wir, sondern die Welt mit bezahlbarer Energie ausreichend versorgt werden können. Angesichts des Bevölkerungswachstums - die Weltbevölkerung wird in den nächsten Jahrzehnten auf 9 Milliarden Menschen anwachsen -, angesichts der extrem hohen Wachstumsraten vieler Länder, wie China und Indien, angesichts der Tatsache, dass wir den Menschen auf anderen Kontinenten nicht ernsthaft sagen können, dass wir ihre Entwicklung hin zum Wohlstand nicht wollen, wird uns dieses Thema beschäftigen. Die zweite große Herausforderung - sie hängt mit der Energieversorgung unmittelbar zusammen - ist die Veränderung unseres Klimas. Ich glaube, viele haben die Dimension dieser Herausforderung noch nicht in vollem Umfang verstanden. Die Erwärmung heute liegt bei etwa 0,6 Grad. Wir wissen, dass eine Erwärmung über 2 Grad hinaus nicht stattfinden darf. Viele Prozesse sind allerdings schon unumkehrbar und auch in Deutschland ist die Klimaveränderung spürbar. Nun können Sie sagen: Ob die Eiche in der Uckermark eine Zukunft hat, ist nicht so wichtig. - In Portugal und Spanien aber stellt sich das Ganze schon anders dar, man schaue sich die Wüstenbildung an, und in Afrika wird eine weitere Versteppung Grund für Bürgerkriege und Migration sein. Europa und auch Deutschland werden hier eine ganz besondere Verantwortung haben. Wir sind uns in der Bundesregierung einig, dass wir Deutschlands langfristige Energieversorgung unter die Lupe nehmen müssen: Wir müssen hier planen und Szenarien erstellen. Wir müssen vor allen Dingen zeigen - ansonsten werden wir auf der Welt keine Chance haben -, dass es uns gelingt, wirtschaftliches Wachstum von den Emissionen von Treibhausgasen zu entkoppeln. Ein Stück weit haben wir das schon geschafft; aber wir müssen noch mehr tun. Unser Programm zur energetischen Gebäudesanierung ist nicht nur ein Programm zur Belebung der Bauwirtschaft, sondern auch ein Programm zur Sicherung der Zukunft. Ein Hochtechnologiestandort wie Deutschland sollte sich mit dem Thema Energieeffizienz ganz stark identifizieren, um eines Tages sagen zu können: Hier haben wir einen Beitrag für andere geleistet und gleichzeitig einen Exportschlager geschaffen. ({42}) Wir haben in der Europäischen Kommission dafür gesorgt - dafür bin ich dem Bundesumweltminister dankbar -, dass es Fonds zur Investitionsförderung für effiziente und erneuerbare Energietechnologien gibt. Durch diesen Fonds können auch in Entwicklungsländern Beiträge geleistet werden. Ich glaube, dass uns die Entwicklung von CO2-freien, erneuerbaren, aber auch anderen Energien in den nächsten Jahren sehr beschäftigen sollte. Heute kommen 19 Prozent aller Umwelttechnologien aus Deutschland. Es können ruhig noch mehr werden. An dieser Stelle können wir zulegen. Ich halte dies für einen wichtigen Punkt. Meine Damen und Herren, in meiner Regierungserklärung vor einem Jahr habe ich gesagt: „Verlässlichkeit soll das Markenzeichen dieser Regierung sein.“ Verlässliche Politik ist sicherlich sehr schwierig, weil wir viele Entwicklungen nicht voraussehen können; aber wir müssen uns schon an dem messen lassen, was wir uns vorgenommen haben. Verlässlichkeit bedeutet für mich, dass man nicht alles einfach auf eigene Faust macht, sondern dass man die Menschen für diese Politik gewinnt. Da haben wir noch ein Stück Arbeit vor uns; das will ich ganz klar sagen. Aber ich möchte auch denen danken, die in diesem Jahr unsere Verbündeten waren. Wir haben einen Energiedialog begonnen, in den sich viele Teilnehmer engagiert einbringen. Wir haben eine Allianz für Familien gegründet, bei der die gesellschaftlichen Verbände intensiv mitmachen. Wir haben eine Initiative „Erfahrung ist Zukunft“ zur Behandlung von Fragen des demografischen Wandels auf den Weg gebracht. Daran beteiligen sich die Wirtschaft und die Wohlfahrtsverbände intensiv. Ich habe dafür Dank zu sagen, dass die Arbeit dieser Bundesregierung aus den gesellschaftlichen Bereichen unterstützt wird; denn wir können das, was zu tun ist, allein nicht schaffen. Ich weiß, dass manche immer noch nach dem einen großen, befreienden Sprung suchen, obwohl sie wissen, dass Deutschlands Kraft erst noch wachsen muss. Ich glaube, es ist vielmehr so, dass die Freiheit von unten wachsen muss. Roman Herzog hat es einmal folgendermaßen beschrieben - ich zitiere -: … den großen Wurf, den unser Volk so gern hat, ({43}) in dieser Frage nicht … Notwendig sind Dutzende, vielleicht sogar Hunderte kleiner Schritte, die sich im Laufe der Zeit und bei entsprechender Zielstrebigkeit summieren und auszahlen werden … Die Schritte werden aber von Jahr zu Jahr größer werden, und dasselbe wird von den Gestaltungsräumen gelten, die unser politisches System dadurch gewinnt, gerade auch im finanziellen Bereich. Ich glaube, Roman Herzog hat Recht. Der Aufschwung in diesem Jahr gibt uns Anlass zum Selbstvertrauen, auf unserem Weg weiterzugehen. Herzlichen Dank. ({44})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gregor Gysi, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, ich bringe Sie nicht in Verlegenheit, indem auch ich Ihnen jetzt Blumen schenke. Es würde Ihnen sicherlich schwer fallen, sich dazu zu verhalten. Ich finde es ungerecht, dass Sie am Anfang Ihrer Rede nur erwähnt haben, dass Sie ein Jahr im Amt sind; unser Herr Bundestagspräsident ist ja auch ein Jahr im Amt. Wenn schon, dann muss auch ihm gratuliert werden. ({0}) - Ich habe das eigentlich in der Hoffnung gesagt, einmal Beifall von der Union zu bekommen; aber das ist mir nicht vergönnt. ({1}) Zum einjährigen Jubiläum Ihrer Kanzlerschaft, Frau Merkel, möchte ich zwei würdigende Bemerkungen am Anfang machen: Erstens. Da Sie sich nicht jeden Tag erklären, müssen Sie sich im Unterschied zu Ihren Vorgängern auch nicht so oft korrigieren. Das finde ich ganz geschickt. Zweitens. Es gibt eine kleine Gruppe von leicht arroganten CDU-Ministerpräsidenten, die Ihnen das Amt nicht gönnen. Ich finde, diese haben Sie ganz gut im Griff. Das muss man auch einmal sagen. ({2}) Frau Bundeskanzlerin, Sie sind aber auch eine Frau und stammen aus Ostdeutschland. Sie haben das bisher wenig gezeigt und diesbezüglich wenig getan. Es ist ganz typisch, dass in Ihrer Rede nicht ein Wort zur Gleichstellung der Geschlechter gefallen ist und Sie auch gar nichts zur Situation in Ostdeutschland gesagt haben. ({3}) - Ja, da haben Sie völlig Recht. Wenn irgendjemand etwas für Gleichstellung in der Gesellschaft getan hat, dann waren es vielleicht die Grünen, die SPD und die Linken, aber ganz bestimmt nicht die Union. Da brauchen wir bloß einen Blick in die Geschichte zu werfen. ({4}) Fangen wir mit der Außenpolitik an: Sie, Frau Bundeskanzlerin, sind aus mir unerklärlichen Gründen irgendwie mit Präsident Bush befreundet. Wir können aber feststellen, dass dieser gerade eine Quittung für seine Kriegspolitik bekommen hat. Zwar etwas spät, aber bei den Wahlen zum Senat und zum Repräsentantenhaus hat die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung nun Nein zu seiner Kriegspolitik gesagt. ({5}) Sie haben ja am Schluss Ihrer Rede zu Recht auch über Umweltfragen gesprochen. Die USA stürzen uns in eine Klimakatastrophe. Ich möchte gerne wissen, ob Sie ihm das auch so offen sagen bzw. ob die Europäische Union ihm gegenübertritt und sagt, dass es so einfach nicht weitergeht. Die größte Industrienation kann diesbezüglich nicht machen, was sie will, weil sie auf diese Weise die ganze Menschheit in eine Katastrophe stürzt. ({6}) Zurück zur Kriegspolitik: Der Irakkrieg ist doch in jeder Hinsicht gescheitert. Es ging um die Sicherung von Erdölvorkommen und um die Bekämpfung des Terrorismus. Wie kann man denn mit der Höchstform des Terrorismus, nämlich mittels Krieg, Terrorismus bekämpfen? Man erreicht so doch nur neue Bereitschaft zu Terrorismus. Das beweist der Irak täglich. ({7}) Selbst der Premierminister Großbritanniens, Tony Blair, fängt ja jetzt an, selbstkritische Töne von sich zu geben leider viel zu spät. Es gab aber auch kluge Politiker auf der Welt, die immer gegen den Irakkrieg waren und immer schon gesagt haben, mittels Krieg lassen sich die Probleme und Konflikte nicht lösen, sondern sie verschärfen sich nur. Der Irak ist das beste Beispiel dafür. Sie haben auch Afghanistan angesprochen und über die relative Ruhe im Norden berichtet. Was nutzt es denn, wenn in einem Teil eines Landes relative Ruhe herrscht, sich aber im anderen Teil alles verschärft? Zugleich habe ich gehört, dass Sie gesagt haben, Sie wollen die Bundeswehr nicht in den Süden schicken. Wir werden Sie beim Wort nehmen, denn es wäre ein großer Fehler, wenn wir Soldaten auch noch dorthin schickten. Lassen Sie mich noch ein anderes Thema erwähnen, das in letzter Zeit in Deutschland eine Rolle spielt. 200 000 deutsche Soldaten waren oder sind in Kriegseinsätzen. ({8}) - Wie Sie das nennen, Herr Struck, ist mir egal; aber es sind Kriegseinsätze. Wenn Sie einmal nach Afghanistan, in den Irak usw. schauen, sehen Sie, wo auf dieser Welt Kriege stattfinden. ({9}) Die Soldaten kommen mit Erlebnissen zurück, und zwar mit Erlebnissen, die sie in Deutschland nicht hätten und nicht haben. Welch eine Verrohung dort stattfindet, haben Sie an den Bildern gesehen, die Soldaten mit Leichenköpfen zeigen. Darauf, dass die Soldaten psychisch verändert nach Deutschland zurückkommen, sind wir überhaupt nicht vorbereitet. Wir haben noch nicht die Erfahrung wie die Sowjetunion mit den Afghanistansoldaten oder die USA mit den Vietnamsoldaten. Aber wir müssen uns darauf vorbereiten. 200 000 Soldaten in solchen Einsätzen verändern eine Gesellschaft und Sie wollen das nicht einmal zur Kenntnis nehmen, geschweige denn Mittel dafür zur Verfügung stellen, um dagegen etwas zu tun. ({10}) Sie haben über die Europäische Union gesprochen, Frau Bundeskanzlerin, und auch die Verfassung erwähnt. Ich hätte gerne einmal eine Auskunft von Ihnen: Was streben Sie in Bezug auf die europäische Verfassung an? Sie müssen doch das Nein aus Frankreich und den Niederlanden ernst nehmen. Wenn man das Votum ernst nimmt, kann man doch nicht nur darüber nachdenken, ob man das Ding anders nennt oder ob man einen Satz weglässt, sondern muss eine Verfassung für Europa schaffen, die die Mehrheit der Bevölkerung in den Ländern akzeptiert. Das wäre ein Gewinn. Nicht gegen die Bevölkerung, sondern mit der Bevölkerung muss eine Verfassung gestaltet werden. ({11}) Wir werden dafür konkrete Vorschläge unterbreiten. Dabei geht es um Freiheitsrechte, aber auch um Sozialrechte; denn die Menschen in Europa sind heute in großem Maße sozial verunsichert. Sie wollen kein Europa, das so organisiert ist, dass sich mit jedem Beitritt die soziale Frage neu stellt, und zwar in dem Sinne, dass alles nach unten geht. So erreicht man keine Begeisterung für Europa; wohl aber erreichen die Rechtsextremen eine Begeisterung für den früheren Nationalstaat. Das erleben wir doch auch in Deutschland. Wenn wir hier alle die europäische Integration wollen - das ist ja ein Vorteil dieses Parlaments, dass wir sie alle wollen -, dann müssen wir auch etwas dafür tun, dass die europäische Integration wesentlich mehr Akzeptanz in den Bevölkerungen findet. Dann können wir nicht über die Bevölkerungen hinweggehen, sondern müssen die Verfassung mit ihnen zusammen gestalten. ({12}) Bund, Länder und Kommunen haben Aufgaben, auch in Deutschland, und die Kassen sind ziemlich leer. Das hat Folgen. Wenn wir nicht nur das letzte Jahr, sondern mehrere zurückliegende Jahre betrachten, können wir feststellen, dass die Ausgaben für Bildung und Kultur, für Wissenschaft und Forschung sowie für Investitionen in Infrastruktur gesunken sind. ({13}) Das gilt auch für die Justiz. Das, was wir jetzt in Siegburg erlebt haben, ist natürlich ein Ausdruck dessen, dass es zu wenig qualifiziertes Personal gibt. Anders ist es doch nicht denkbar, dass dort jemand 20 Stunden gefoltert wird und niemand das merkt! Das sind Strukturschwächen, die wir uns nicht leisten können. Hinzu kommt, dass wir die Justiz jetzt den Ländern übergeben. Das heißt, die Länder entscheiden je nach Kassenlage, wie viel Geld sie für eine Justizvollzugsanstalt zur Verfügung stellen. ({14}) Mir wird schon jetzt ganz schlecht, wenn ich darüber nachdenke, wie das dann in den ärmeren Bundesländern aussehen wird. ({15}) Also brauchen wir hier eine andere Herangehensweise. Sie haben festgestellt, Frau Bundeskanzlerin, Deutschland stehe besser da. Dann müssen wir einmal definieren: Wer ist Deutschland? Fragen Sie doch einmal einen Langzeitarbeitslosen, ob er empfindet, dass er besser dasteht. Fragen Sie einmal einen Jugendlichen, der keinen Ausbildungsplatz bekommt, ob er findet, dass er besser dasteht. Verstehen Sie: Man muss das immer konkret untersuchen. Ich weiß, es geht Leuten besser: den Reichen und den Besserverdienenden; das ist wahr. ({16}) Aber den Arbeitslosen geht es nicht besser und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch nicht. ({17}) - Ich werde Ihnen gleich belegen, dass ich Recht habe. Sie haben dafür gesorgt, dass die Kassen im Bund, in den Ländern und in den Kommunen leer sind, indem Sie die Steuereinnahmen immer weiter gesenkt haben. Sie können doch eine Tatsache nicht bestreiten: Deutschland hat bei den Steuereinnahmen den vorletzten Platz in der Europäischen Union; nur die Slowakei hat noch geringere Steuereinnahmen als Deutschland. Es ist für ein wirtschaftlich starkes Land geradezu blamabel, was wir uns hier leisten. ({18}) Die durchschnittliche Quote der Steuern und Abgaben, also der berühmten so genannten Lohnnebenkosten, der Sozialabgaben der Unternehmen, beträgt EUweit 40 Prozent und in Deutschland 35 Prozent. Selbst dort sind wir unterdurchschnittlich. Auch das muss man sagen. ({19}) Nun können Steuern sehr verschieden sein. Wir reden zwar immer allgemein über Steuern. Aber es gibt beispielsweise einen Unterschied zwischen Unternehmensteuern und Mehrwertsteuer. Es ist spannend, sich einmal die Anteile der einzelnen Steuerarten anzuschauen. Die Einkommen- und Unternehmensteuern machen in Deutschland einen Anteil von 9,5 Prozent aus. ({20}) Das müssen die Bürgerinnen und Bürger wissen; alles andere bezahlen sie. Im EU-Durchschnitt liegt der Anteil bei 13,4 Prozent und in Dänemark bei 29,5 Prozent. Vor Schröder lag der Anteil in Deutschland übrigens bei 11,2 Prozent. Jetzt liegt er, wie gesagt, bei 9,5 Prozent. Das ist die Wahrheit. Professor Jarass hat errechnet, dass durch die Steuerreform von SPD und Grünen seit 2001 jährlich 21 Milliarden Euro weniger eingenommen werden. ({21}) Jetzt setzt die neue Regierung das Ganze verschärft fort. Ich sage deshalb „verschärft“, weil Sie ab dem Jahr 2007 durch die zusätzlichen Belastungen wie Erhöhung der Mehrwertsteuer, Reduzierung der Pendlerpauschale und Halbierung des Sparerfreibetrags sowie durch die anstehenden Erhöhungen der Renten- und Krankenversicherungsbeiträge die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Rentnerinnen und Rentner sowie die Arbeitslosen mit 30 Milliarden Euro jährlich belasten werden. Trotz steigender Steuereinnahmen und eines Überschusses der Bundesagentur für Arbeit bitten Sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner sowie Arbeitslose weiter zur Kasse und belasten sie im nächsten Jahr mit 30 Milliarden Euro. Das ist nicht hinnehmbar. Trotzdem machen Sie es. (({22}) Ich spreche also deswegen davon, dass Sie die Politik der vorherigen Regierung verschärft fortsetzen, weil es noch unsozialer wird, indem Sie Konzernen und den Reichen in unserer Gesellschaft noch mehr Geschenke machen. ({23}) Gleichzeitig planen Sie eine Unternehmensteuerreform - dass so etwas immer gleichzeitig geschieht, ist auffällig -, wonach Sie ab dem Jahr 2008 jährlich 30 Milliarden Euro brutto weniger einnehmen. Netto macht dies 10 Milliarden Euro aus. ({24}) Das haben Gewerkschaften und viele andere errechnet. Der Bundesfinanzminister spricht von 5 Milliarden Euro und andere, die es genauer gerechnet haben, sprechen, wie gesagt, von 10 Milliarden Euro. ({25}) Wir sollten jetzt keinen Streit um die genaue Zahl führen. 21 Milliarden Euro Steuererleichterungen gab es durch die Reformen von SPD und Grünen und jetzt kommen noch einmal 10 Milliarden Euro durch die Reformen der großen Koalition hinzu. Das macht zusammen etwas über 30 Milliarden Euro. Das heißt, die Konzerne - die Unternehmensteuerreform wird sich überwiegend zugunsten der Konzerne und viel weniger zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmen auswirken - bekommen, wenn man die Effekte der Steuerreformen der Regierung Schröder und Ihrer Regierung, Frau Merkel, zusammen nimmt, zusätzlich 30 Milliarden Euro. Aber die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Rentnerinnen und Rentner sowie die Arbeitslosen müssen letztlich auf diese 30 Milliarden Euro verzichten. Das ist eine direkte Umverteilung von unten nach oben, wie es sie so in der Geschichte kaum gegeben hat. ({26}) Die Mehreinnahmen werden viel zu wenig für Wissenschaft, Forschung, Bildung und Kultur genutzt. Ich muss es immer wieder sagen: Deutschland hat bekanntlich kaum Erdöl- und Goldvorkommen. Wir können hier keine Wirtschaftspolitik wie Bahrain machen. Wir müssen auf andere Dinge setzen. Die Stärke Deutschlands bestand immer darin, eine sehr gut ausgebildete Bevölkerung zu haben. Auch wenn Sie es nicht gerne hören wollen, sage ich Ihnen: Die DDR hat ihre Jugendlichen gut ausgebildet und die Bundesrepublik hat ihre Jugendlichen gut ausgebildet. Jetzt sind wir vereint und packen es nicht mehr. Wir sind unterdurchschnittlich geworden in Europa. Das ist einfach nicht hinnehmbar. ({27}) Die Bildung ist doch unserer eigentliche Stärke. Die Steuereinnahmen des Bundes steigen um 12 Milliarden Euro. Es gibt einen Überschuss bei der Bundesagentur für Arbeit. Wenn wir die Mehreinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen zusammen nehmen, haben wir sogar ein Plus von 33 Milliarden Euro. Erklären Sie doch einmal einem Pendler, warum er angesichts eines flexiblen Arbeitsmarkts weniger Pendlerpauschale bekommt, obwohl der Staat 12 Milliarden Euro mehr einnimmt. ({28}) Das ist einfach grob ungerecht. Gerade Sie von der Union plädieren jeden Tag für einen flexiblen Arbeitsmarkt, indem Sie sagen: Man muss sich damit abfinden, dass man beispielsweise in Hessen ausgebildet wird, in Nordrhein-Westfalen einen Job bekommt und fünf Jahre später nach Thüringen wechselt. Die Menschen müssen also immer größere Entfernungen in Kauf nehmen. Trotzdem kürzen Sie die Pendlerpauschale. Das ist die Realität. Sie sagen dann, die Leute sollten mehr Kinder kriegen. Aber gleichzeitig gibt es 16 verschiedene Bildungssysteme. Die Menschen wären also total verantwortungslos, wenn sie mit schulpflichtigen Kindern zweimal in ein anderes Bundesland ziehen würden. ({29}) Ihre Politik hat eben keine Logik. Auch konservative Politik muss doch zumindest eine Logik haben; aber diese ist nicht zu erkennen. Die Körperschaftsteuer möchte ich gesondert erwähnen. Sie ist eine typische Steuer für Kapitalgesellschaften und hat mit den Inhaberunternehmen gar nichts zu tun. Sie betrug in Deutschland unter Helmut Kohl - daran darf ich die Union erinnern - 45 Prozent. Dann hat Herr Schröder sie auf 25 Prozent gesenkt. Nun will die große Koalition sie auf 15 Prozent senken. Ich sage dazu nur eines - damit wir uns das hübsch merken -: In den USA beträgt die Körperschaftsteuer 35 Prozent, in Frankreich 33 Prozent und in Großbritannien 30 Prozent. ({30}) Also steht eines fest: Wir machen den anderen Ländern Konkurrenz und nicht die anderen Länder uns. Wir üben Druck aus, sodass die anderen Länder ihre Körperschaftsteuer senken müssen, damit es auch dort noch sozial ungerechter zugeht. Was Sie hier leisten, ist einfach nicht hinnehmbar. ({31}) Was machen die Konzerne? Sie halten Pressekonferenzen ab und verhöhnen die Politik. Vertreter der DeutDr. Gregor Gysi schen Bank, der Allianz usw. sagen: Wunderbar, wir bedanken uns. Wir haben im letzten Jahr den größten Gewinn in unserer Geschichte gemacht. Dafür entlassen wir 8 000 oder 10 000 Leute. Jetzt können wir es uns ja leisten, Abfindungen zu zahlen. Dann sind wir sie los. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Es gibt, wie wir in den vergangenen Jahren erlebt haben, nicht mehr Arbeitsplätze, sondern weniger. ({32}) Jetzt komme ich auf die Zahl der Arbeitslosen zu sprechen. Sie ist zurückgegangen. Das haben Sie erwähnt; das hätte ich an Ihrer Stelle auch getan; das ist normal. Aber ich weise auf zwei Dinge hin: Auf der einen Seite hat sich die Zahl der Langzeitarbeitslosen - das haben Sie nicht erwähnt - in derselben Zeit um 55 000 erhöht. Sie haben auch nicht erwähnt, dass die Zahl der 1-Euro-Jobber zugenommen hat. Diese zählen ja nicht als Arbeitslose in der Statistik; das muss man hinzufügen. Sie haben auch nicht erwähnt, dass es noch mehr geringfügig Beschäftigte gibt. Es sind inzwischen fast 5 Millionen. Das sind doch fast Arbeitslose. Wenn man das alles mitberücksichtigt, dann sieht man, dass die Arbeitslosenzahl ganz anders ausschaut. ({33}) Sie haben auch nicht erwähnt, wie hoch die Arbeitslosigkeit im Osten ist und welche Probleme wir hier haben. Auf der anderen Seite gibt es eine Zahl, die unwiderlegbar ist. Im Vergleich zu 2002 gibt es 1 Million Menschen weniger in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Das ist ein Abbau, an dem noch nichts korrigiert worden ist, weil es dafür keine Politik gibt. Noch eine Bemerkung zu den Arbeitslosen. Jetzt gibt es ja einen Vorschlag von Herrn Rüttgers. Es ist wirklich spannend, dass ein CDU-Ministerpräsident vorschlägt, dass ältere Arbeitslose länger Arbeitslosengeld I bekommen sollen. Spannend ist erst einmal der Vorschlag an sich. Dann schreit aber der SPD-Vorsitzende gleich: Kommt gar nicht infrage! Jetzt rufen auch die CDU und viele Ministerpräsidenten: Kommt gar nicht infrage! Das alles ist absurd. Ich hätte mir vorgestellt, dass alle sagen: Das ist eine völlig vernünftige Idee. Jetzt müssen wir uns nur über das Wie unterhalten. Was Herr Rüttgers vorschlägt, ist allerdings abenteuerlich. Zum einen sagt er, ein längeres Arbeitslosengeld solle man erst nach 40 Versicherungsjahren bekommen. Ich bitte Sie: 40 ununterbrochene Versicherungsjahre! Diese Hand voll Leute, auf die das zutreffen würde, kann er alleine bezahlen; das ist nicht das Problem. Ein Problem besteht bei denjenigen, die nach 30 oder 35 Jahren arbeitslos werden. - Aber das ist nur ein Problem. Zum anderen sagt er nämlich, den längeren Bezug sollten andere Arbeitslose bezahlen. Ich muss Ihnen sagen: Das ist völlig indiskutabel. ({34}) Bei dem derzeitigen Überschuss bei der Bundesagentur für Arbeit - zudem gibt es höhere Steuereinnahmen - muss man dieses Geld nutzen, um zu sagen: Wir zahlen länger Arbeitslosengeld I an Arbeitslose, die lange in die Versicherung eingezahlt haben. Aber dazu ist Rüttgers nicht bereit. Er kommt wirklich nur auf die Idee, zu sagen: Andere Arbeitslose sollen das bezahlen. Dieser Vorschlag hat überhaupt nichts mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Nur die Idee ist richtig, nämlich dass diejenigen, die länger eingezahlt haben, auch länger Arbeitslosengeld I beziehen müssen. Dafür streiten wir. Deshalb sagen wir noch einmal: Hartz IV muss weg; denn Hartz IV ist Armut per Gesetz. ({35}) Das werden Sie immer wieder hören. 60 Prozent der Betroffenen - das hat die Statistik jetzt erwiesen - geht es schlechter als vorher. 40 Prozent der Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger geht es gleich, im Einzelfall auch einmal besser; dagegen sagt keiner etwas. Aber gegen die Schlechterstellung der 60 Prozent sagen wir eine Menge. ({36}) Frau Bundeskanzlerin, wenn wir Arbeitslosigkeit bekämpfen wollen, dann müssen wir neue Debatten führen. Wir brauchen eine gerechtere Verteilung der Arbeit. Wir müssen wieder über Arbeitszeitverkürzung nachdenken. Wir brauchen einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Es gibt doch nicht zu wenig Arbeit; es gibt nur zu wenig bezahlte Arbeit. Wir sollten einmal darüber nachdenken, ob wir vielleicht die Hausfrauenoder Hausmännertätigkeit und die Betreuung von Kindern nicht anders in unser Bewusstsein aufnehmen, in der Form, dass das eine wirklich notwendige Tätigkeit ist. Wir müssen über vieles nachdenken, wenn wir die Arbeitslosigkeit überwinden wollen. In den Bereichen, in denen es keinen privaten Gewinn zu erwirtschaften gibt, müssen wir Arbeit schaffen. Das habe ich schon einmal gesagt. Wir dürfen dabei nicht den öffentlichen Dienst ausweiten, sondern wir müssen eine öffentlich geförderte Wirtschaft aufbauen. Als Beispiel nenne ich den Förderunterricht für besonders begabte Kinder oder für Kinder, denen es in der Schule besonders schwer fällt. Das sind Bereiche, die sich für private Anbieter nicht lohnen, hier entstehen Arbeitsplätze nicht von selbst. Hier muss die Politik aktiv werden und Arbeitsplätze schaffen. Ich möchte eine weitere Bemerkung zur Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft machen. Seit 2001 speist sich die Steigerung des Volkseinkommens zu 85 Prozent - Herr Westerwelle, merken Sie sich das bitte - aus der Steigerung der Unternehmens- und Vermögenseinkommen und nur zu 15 Prozent aus der Steigerung des Einkommens der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist eine Riesenungerechtigkeit; denn die Zahl der einen ist viel geringer als die Zahl der anderen. Die einen bekommen jedoch 85 Prozent, die anderen nur 15 Prozent. Zwischen 2004 und 2005 sind die Löhne und Gehälter erstmals um 6 Milliarden Euro gesunken. Einen solchen Rückgang hat es bis dahin noch nie gegeben. Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen sind im gleichen Zeitraum um 22 Milliarden Euro gestiegen. Ungerechter kann es überhaupt nicht zugehen! ({37}) Wenn Sie gegen diese Ungerechtigkeit nichts unternehmen, dann werden Sie niemals als sozial gelten, und zwar zu Recht. Nun haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, den Ansatz Ihrer Gesundheitsreform beschrieben. ({38}) - Auch die Gewerkschaften haben ein paar Fehler gemacht, aber die offizielle Politik Ihrer Regierung hieß immer: Lohnsenkung, Lohnsenkung, Lohnsenkung. Das sei die einzige Chance, um wirtschaftlich stärker zu werden. Sie sind für den jetzigen Zeitgeist verantwortlich. ({39}) Meine Redezeit ist begrenzt, deshalb kann ich nicht viel zu Ihrer Gesundheitsreform sagen. ({40}) - Ich wusste, dass ich es schaffen würde, einmal Beifall von der CDU/CSU zu erhalten, und bin dankbar. Ich habe das gern. Zur Gesundheitsreform sage ich Ihnen: Das ist ein Gemurkse, daraus wird nichts mehr. Es ist doch klar: Sie wollten die Kopfpauschale, die anderen eine Bürgerinnen- und Bürgerversicherung. Dazwischen ist kein Kompromiss möglich. Es wäre besser gewesen, Sie hätten es bleiben lassen, weil es gemeinsam nicht zu packen ist. ({41}) Sie sagen, Sie machen eine Reform für die Versicherten. Darüber kann man nur lachen, Frau Bundeskanzlerin. ({42}) Die Versicherten werden schon im nächsten Jahr höhere Beiträge bezahlen. Wenn erst einmal der komische Fonds gebildet ist, gibt es nur noch eine Richtung: Der Beitragsanteil der Unternehmen darf nicht erhöht werden, aber die Versicherungen dürfen sich weiterhin an die Versicherten halten und deren Beiträge erhöhen. Was soll denn dabei für die Versicherten herausspringen? Entweder müssen sie mehr bezahlen oder sie erhalten weniger Leistungen oder beides. ({43}) Außer der Pharmaindustrie gibt es niemanden, der Ihrer Gesundheitsreform zustimmt. Doch auch die Pharmaindustrie lobt Ihre Reform nicht, sondern schweigt nur dazu. Über diese Tatsache sollten Sie auch einmal nachdenken; denn wenn die Pharmaindustrie meckern würde, dann wäre, so meine ich, an Ihrer Reform etwas dran. ({44}) Wir haben in letzter Zeit in Deutschland sehr viel über die Armutsschicht, die Unterschicht genannt wird, diskutiert. Es stimmt, es gibt diese Schicht und sie wächst. Diese Schicht wählt zu einem kleinen Teil noch die SPD, zu einem bestimmten Teil meine Partei, aber zu einem größer werdenden Teil die NPD. Das muss uns ernsthaft Sorgen machen. Das heißt nämlich, diese Menschen fühlen sich ausgegrenzt. Sie haben keine Beziehungen mehr zu unserer Demokratie und glauben nicht daran, dass wir, und zwar wir alle, ihre Probleme lösen können. Viele dieser Menschen wählen natürlich gar nicht, auch das weiß ich. Dies ist für eine Gesellschaft ein sehr gefährlicher Vorgang. Frau Bundeskanzlerin, ich habe von Ihnen nichts dazu gehört, welche Maßnahmen Sie ergreifen wollen, um die so genannte Unterschicht, die Armutsschicht, Schritt für Schritt zu überwinden, damit es in Deutschland keine Armut mehr gibt. Die Überwindung der Armut müsste Ihr Ziel als Bundeskanzlerin sein. ({45}) Ich sage Ihnen voraus, was passieren wird: Der Unterschicht können Sie eines Tages nichts mehr nehmen, weil sie nichts mehr hat. An die Reichen und die Vermögenden trauen Sie sich nicht heran. Die Steuerreform wird wieder nur die Großaktionäre reicher machen. ({46}) Das ist alles, was dabei herauskommen wird. Vielleicht wollen Sie an die Reichen auch nicht heran. Sie werden sich also an die Mittelschicht halten, ({47}) Sie werden die Normalverdiener immer schlechter stellen. Wenn Sie aber die Mittelschicht einer Gesellschaft schrittweise zerstören ({48}) - das passiert -, gibt es zwischen oben und unten keine Kommunikation mehr. ({49}) Die Mittelschicht kann nach unten und nach oben kommunizieren. Sie hat Illusionen, wie sie selber nach oben kommt, und Angst davor, nach unten zu kommen. Das alles macht sie für bestimmte Fragen sehr sensibel. Ich sage Ihnen als Linker, dass es falsch ist, die Mittelschicht der Gesellschaft zu zerstören, weil das die Kommunikation innerhalb der Gesellschaft zerstört. ({50}) Lassen Sie mich noch etwas zum Osten sagen. ({51}) Wir haben keine Vereinigungspolitik. Wir hatten nur eine Einheitspolitik. Niemand hat etwas dafür getan, dass sich Strukturen im Westen etwa durch die Übernahme von 5 Prozent der Oststrukturen verändern. Das wurde immer arrogant abgetan. Es hätte jedoch etwa bei Kindertagesstätteneinrichtungen Sinn gemacht. Es hätte Sinn gemacht, an Schulen eine stellvertretende Direktorin oder einen stellvertretenden Direktor für außerunterrichtliche Tätigkeiten zu haben. Es hätte Sinn gehabt, sich vielleicht die Strukturen der Polikliniken anzusehen und darüber nachzudenken, ob man sie im Westen einführt. Ich sage Ihnen auch, warum: Damit die Frau und der Mann in Passau, die Frau und der Mann in Kiel mit der Einheit das Erlebnis verbunden hätten, dass sich ihre Lebensqualität durch die Übernahme von drei, vier oder fünf Strukturen aus dem Osten erhöht hat. Ein solches Erlebnis ist niemandem im Westen gegönnt worden. ({52}) Das macht deren Einstellung aus, was ich auch verstehen kann. Deshalb sage ich: Wir hatten eine Einheit, aber keine Vereinigung. Gerade von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, hätte ich erwartet, dass Sie diesbezüglich Zeichen setzen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, Sie denken an die verbleibende Redezeit in der eigenen Fraktion?

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich denke nur an meine Fraktion, Herr Präsident, gelegentlich auch an etwas anderes. Lassen Sie mich noch den einen Satz sagen. Sie müssen einen Fahrplan aufstellen, Frau Bundeskanzlerin, und sagen: Ich will die Angleichung der Löhne. Ich will, dass man für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhält und nicht länger arbeitet für weniger Geld, dass man die gleiche Rente für die gleiche Lebensleistung erhält. ({0}) Sie müssen Ihre Politik umdrehen. Sie müssen für Frieden kämpfen, für Steuergerechtigkeit, das heißt, auch bei den Konzernen und Reichen abkassieren, und für deutlich mehr soziale Gerechtigkeit. Das hilft dann auch den kleinen und mittleren Unternehmen, weil Sie damit die Kaufkraft stärken. Danke schön. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun Dr. Peter Struck für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, ich habe Ihnen keine eigenen Blumen überreichen können, weil das der Kollege Kauder für mich gleich mit gemacht hat. ({0}) Die Blumen bezahlen wir gemeinsam. Sie werden aber bestätigen, dass ich Ihnen schon einen ausgegeben habe, und ich werde das gerne wiederholen. Auch von mir herzlichen Glückwunsch zu Ihrer einjährigen Amtszeit! Es ist das zweite Mal, dass ein Redner der PDS Soldaten, die im Auslandseinsatz sind, als Soldaten im Kriegseinsatz bezeichnet. ({1}) Ich weise diese unverschämte Behauptung mit Nachdruck zurück, Herr Gysi. Unsere Soldaten befinden sich nicht im Kriegseinsatz. ({2}) Unsere Soldaten befinden sich in einer friedenstiftenden und friedenserhaltenden Mission. Sie müssen endlich einmal dorthin fahren und sich das ansehen und nicht nur hier im Deutschen Bundestag solche dummen Sprüche klopfen, die die Soldaten beleidigen. ({3}) Ich will an dieser Stelle genauso wie die Bundeskanzlerin und der Verteidigungsminister Dank sagen für die Arbeit, die die Soldatinnen und Soldaten unter Gefahren für ihr Leben für unser Land und die Staatengemeinschaft tun. Meine Damen und Herren, Sie haben eine solche Bewertung wie die, die von der Linken kommt, überhaupt nicht verdient. Wir stehen an Ihrer Seite. ({4}) Da ich gerade bei der Außenpolitik bin: Das letzte Jahr war wirklich ein schwieriges Jahr für diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen. ({5}) Es hätte sich niemand vorstellen können, dass wir Soldaten in die Gegend von Israel und Palästina schicken. Dass es diese Mission sozusagen im Einvernehmen mit dem Staate Libanon und dem Staate Israel gibt, ist ein großer Erfolg. Das zeigt die Einsicht der Beteiligten, dass man etwas machen muss. Auch in Bezug auf die Kritik, die manche Kollegen der FDP im Vorfeld und Nachlauf an Herrn Jung geübt haben, möchte ich deutlich sagen: Dieses Mandat ist gut und der Verteidigungsminister hat sich gut und richtig verhalten. ({6}) - Ich spreche für die SPD-Fraktion, Herr Koppelin. Wir haben im Deutschen Bundestag ein Mandat für den Einsatz im Kongo beschlossen. Wir hoffen - ich gehe davon aus -, dass die Soldaten bald zurückkommen werden. Wir verlassen uns auf Solana, der eine Erklärung dazu abgegeben hat. Die Beschlüsse, die die Bundesregierung gefasst hat, sind eindeutig. Wir wollen hoffen, dass alle gesund und munter aus dem Kongo wiederkommen. Ihren Auftrag haben sie nach dem, was ich gesehen habe, gut erfüllt. ({7}) Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat die Operation Althea in Bosnien-Herzegowina verlängert. Dazu muss ich - die Verteidigungspolitiker wissen das einige Anmerkungen machen. Die Althea-Mission in Bosnien-Herzegowina - Herr Außenminister, wenn ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten dürfte - ist im Grunde keine militärische Mission mehr. Der Krieg ist seit elf Jahren vorbei. Es haben Wahlen stattgefunden. Nach den Kommunalwahlen gibt es mittlerweile funktionierende kommunale Gremien. Unsere Soldaten fahren Patrouille, zum Beispiel um Kinder zu beschützen, die von ihrem Wohnort, wo sie einer Minderheit angehören, in eine Schule fahren müssen, die in einem Gebiet liegt, wo ihre ethnische Gruppe die Mehrheit stellt. Deshalb bin ich sehr dafür, dass die Anregung von Verteidigungsminister Jung aufgegriffen wird, die Zahl der Soldaten langsam zurückzuführen. Die Anzahl von jetzt 850 Soldaten kann im Zusammenwirken mit den anderen europäischen Nationen zurückgeführt werden. Wir sind auf dem richtigen Weg. Ein Mandat muss auch einmal beendet werden können, wenn klar ist, dass die Voraussetzungen, unter denen das Mandat erteilt wurde, nicht mehr gegeben sind. ({8}) Zu Afghanistan. Die Kanzlerin hat dazu klare Worte gesprochen. Ich kann die Vorwürfe - von wem auch immer die Debatte begonnen worden ist -, wir würden im Norden eine ruhige Kugel schieben, während es im Süden gefährlich sei, überhaupt nicht nachvollziehen. ({9}) Wir haben - ich selbst war daran beteiligt - eine klare Aufgabenverteilung beschlossen, nach der Deutschland die Verantwortung für den Norden übernimmt. Wir haben auch ein klares Konzept für die Wahrnehmung dieser Verantwortung erstellt. Unser Wiederaufbauteamkonzept ist anders als das Konzept der Amerikaner, der Briten, der Kanadier oder von wem auch immer sonst. Unser Konzept - das sage ich ausdrücklich - ist das richtige. Wir helfen in allen Bereichen beim Wiederaufbau, und zwar auch zivil: mit NGOs, mit Entwicklungshelfern, im Rahmen der Polizeiausbildung. Wir unterstützen die Menschen, die im Norden Afghanistans leben, auf vielfältige Weise. Das ist das richtige Konzept. Das meiner Meinung nach falsche Konzept - es folgt anderen Überlegungen - lautet: Wir gehen nur mit Kampftruppen rein. Wir bombardieren nur. Wir verfolgen nur. ({10}) Damit kann man das Vertrauen der Menschen in Afghanistan nicht gewinnen. Dann darf man sich nicht wundern, wenn solche Situationen eintreten, wie wir sie im Süden zu beklagen haben. ({11}) Für mich ist klar, dass wir eine Verantwortung im Norden haben, die wir auch wahrnehmen werden. Wir wollen den Norden den Taliban und der al-Qaida nicht wieder preisgeben. Deshalb bleiben wir dort. Wir helfen im Süden, wenn wir darum gebeten werden; unsere Aufgabe ist aber der Norden und dabei bleibt es. Ich denke, das wird in Riga bestätigt werden. Dabei unterstütze ich die Bundesregierung voll. ({12}) Ich will mich der Innenpolitik zuwenden und zunächst einige grundsätzliche Bemerkungen zur Innenpolitik machen. Ich glaube, das war auch deshalb ein erfolgreiches Jahr für unser Land, weil die sich seit Jahrzehnten politisch bekämpfenden großen Volksparteien miteinander geredet, verhandelt und sich geeinigt haben. Sie haben gemeinsam wichtige Projekte für das Land beschlossen. Große Koalition heißt große Verantwortung. Große Verantwortung bedeutet eine große Chance für unser Land. Große Koalition heißt aber auch, dass man manchmal große Kompromisse schließen muss. ({13}) Wir sind von sehr weit voneinander entfernten Punkten aufeinander zugegangen. Die Debatte über den Weg, den wir miteinander gehen wollen, kann man nicht als Streit bezeichnen. Den Journalisten, die auf der Tribüne sitzen bzw. die vor dem Fernseher sitzen und gar nicht zur Arbeit im Plenum erscheinen - man muss ehrlich sagen: sie arbeiten vom Büro aus -, ({14}) ist Streit am liebsten. Ich nehme eine relativ einfache Frage als Beispiel. Wie macht man eine Gesundheitsreform? Jede Partei - wir reden von einer DreiparteienDr. Peter Struck koalition - hat ihre eigenen Vorstellungen gehabt. Die lagen ziemlich weit auseinander: Bürgerversicherung hier, Kopfpauschale dort. Wir haben versucht, die Reform hinzubekommen. Dass das nicht ohne Debatten geht, ist nachvollziehbar. Dass alle über den richtigen Weg streiten, ist auch nachvollziehbar. Aber die Kritik an dem Ergebnis der Gesundheitsreform kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Ich war bei einer Veranstaltung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft. Dort hat mir jemand, nachdem ich die Gesundheitsreform - zu Recht ordentlich gelobt habe, gesagt, das sei Sozialismus pur. Darauf habe ich geantwortet: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Angela Merkel und Edmund Stoiber Sozialismus pur mitmachen würden. ({15}) - Nein. - Auch die Union ist nicht für Sozialismus pur. Das ist absurd. Sie glauben doch nicht ernsthaft, die Gesundheitsreform sei Sozialismus pur. Das glaubt doch kein Mensch. Ich nehme Ihnen nicht ab, dass Sie das glauben. ({16}) Wenn man sich ansieht, wie die Kampagne gegen die Gesundheitsreform läuft, dann muss man sagen, dass diese Kampagne weit über das Normale hinausgeht. Wenn Musterschreiben ins Internet gestellt werden - jeweils für Beamte, für Angestellte und für Arbeiter - und wenn sich herausstellt, dass die Namen von Versicherten, die gar nicht wissen, dass solche Briefe an uns gerichtet werden, missbraucht werden, dann geht das zu weit. Das kann man nicht akzeptieren. ({17}) Natürlich bestehen in verschiedenen Fragen Unterschiede zwischen den Koalitionsfraktionen. Aber sie sind alle überwindbar, wenn das Vertrauensverhältnis der handelnden Personen untereinander stimmt. Die Koalitionsfraktionen können sicher sein: Volker Kauder und ich - auch wenn wir uns nicht immer der gleichen Meinung verpflichtet fühlen - arbeiten in einem absoluten Vertrauensverhältnis zusammen. ({18}) Ich danke Volker Kauder dafür, weil dieses schnell gefundene beiderseitige Vertrauen entscheidend und substanziell für viele schwierige Entscheidungen war, die wir in diesem Jahr treffen mussten. ({19}) - Wir trinken öfter einen zusammen, als Sie denken. ({20}) - Mit Ihnen trinke ich vielleicht auch noch einmal einen zusammen. - Er weiß, Herr Koppelin, was dann passiert. ({21}) Das gleiche Vertrauensverhältnis, das ich mit Volker Kauder habe, prägt auch die Zusammenarbeit zwischen Bundeskanzlerin Merkel und ihrem Vizekanzler Franz Müntefering. Diese enge Zusammenarbeit ist der Garantieschein für den Erfolg dieser Regierung. ({22}) Ich weiß, dass es auf der Ebene der Fraktionsvorsitzenden in der Regierung - Volker Kauder, Peter Ramsauer und ich - ganz gut klappt. Ich weiß auch, dass es auf der Ebene der Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker manchmal schwierig ist. ({23}) Es wird besser. Das ist mein und auch Volker Kauders Eindruck. Zum Beispiel haben Wolfgang Schäuble, Franz Müntefering und die Koalitionssprecher Fritz Rudolf Körper und Wolfgang Bosbach in einer ganz schwierigen Frage, die uns jahrelang strittig beschäftigt hat, dem Bleiberecht für langjährig geduldete Ausländer, eine Einigung erreicht. Das ist ein großer Erfolg. Das hat damit zu tun, dass wir wissen, dass wir einander vertrauen können, wenn über bestimmte Fragen geredet wird. Ich gratuliere denjenigen, die darüber verhandelt haben. Ich glaube, sie sind hinsichtlich des Bleiberechts zu einem guten Ergebnis gekommen. ({24}) Wenn man die Frage stellt, was die Menschen von dieser großen Koalition erwarten, dann denke ich an verschiedene Dinge. Erstens erwarten sie, dass wir die Lebensrisiken, soweit wir das können, politisch absichern. Ein Lebensrisiko ist, arbeitslos zu werden. Ich glaube, dass uns das, was in diesem Bereich durch den Arbeitsminister bereits unternommen wurde, auf einen guten Weg gebracht hat. Ich nenne die Initiative „50 plus“ und die Sonderprogramme für jugendliche Arbeitslose. Dass wir mit der Zahl von knapp 4 Millionen Arbeitslosen nicht zufrieden sind, davon können Sie ausgehen. Aber ich lasse mir nicht ausreden, dass es ein Erfolg ist, dass wir 450 000 Arbeitslose weniger haben als im letzten Jahr. Warum sollte ich das verschweigen? Es gibt keinen Grund, nicht darüber zu reden. ({25}) Die Maßnahmen zur Unternehmensteuerreform werden nach meiner Einschätzung mit dazu beitragen - der Finanzminister hat hier völlig Recht -, dass wir dadurch einen weiteren Impuls für Wachstum mit Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt bekommen. Für mich als Sozialdemokrat ist wichtig, dass im Zusammenhang mit der Unternehmensteuerreform die Gewerbesteuer garantiert ist und sich die Gemeinden darauf verlassen können. Die Gewerbesteuer wird so bleiben wie bisher. Die Gemeinden sind uns dankbar dafür. Das muss man zu Recht unterstreichen. ({26}) Das zweite Lebensrisiko, das viele Menschen beschäftigt, ist das Thema Krankheit. Dabei geht es um unser Gesundheitssystem; dazu habe ich mich schon geäußert. Aber ich frage mich: Warum sagen wir eigentlich nicht, dass wir das beste Gesundheitssystem der Welt haben - dass das der Fall ist, kann man feststellen, wenn man es mit den Gesundheitssystemen anderer Länder vergleicht - und dass wir es zu erträglichen Bedingungen erhalten wollen? Diese erträglichen Bedingungen haben wir im Gesundheitskompromiss, auf den wir uns verständigt haben, festgelegt. Das war eine große Leistung. ({27}) Die Menschen können sich darauf verlassen, dass sie - egal wie arm oder reich und wie alt oder jung sie sind die gesundheitliche Versorgung bekommen, die sie brauchen. Diese Garantie können wir den vielen Menschen, die sich vor diesem Lebensrisiko fürchten, geben. Wir können mit dem, was wir erreicht haben, wirklich zufrieden sein. ({28}) Das dritte Thema, das viele Menschen beschäftig, ist die Frage: Was geschieht im Alter, wenn man das Arbeitsleben beendet hat? Das Stichwort lautet: Rente. Dass die Koalition im Zusammenhang mit der Verlängerung der Lebensarbeitszeit einen schwierigen Weg gehen musste, war ersichtlich; denn niemand arbeitet gern länger. Dass dieser Weg unumgänglich war, ist aber auch ersichtlich. Durch diese Maßnahme, die der Arbeitsminister vorgeschlagen hat, haben wir unser Rentensystem stabilisiert. Es wird auch in Zukunft, in den nächsten zehn, 20 und 30 Jahren, stabil bleiben. ({29}) Die Maßnahmen, die wir zur sozialen Abfederung der Rente mit 67 vereinbart und im Deutschen Bundestag verabschiedet haben, tragen zur Stabilisierung unserer sozialen Sicherungssysteme bei. Darum ging es uns. Nun möchte ich etwas zur Föderalismusreform sagen. Ich erinnere mich noch gut an die Debatten, die wir im Deutschen Bundestag über das so genannte Kooperationsverbot im Bildungsbereich geführt haben. Diese Diskussionen waren schwierig. Jeder weiß, dass ich zum Leidwesen mancher versucht habe, etwas anderes zu erreichen als das, was vereinbart wurde. Nachdem inzwischen ein Hochschulpakt ins Leben gerufen worden ist, für den 1 Milliarde Euro zur Verfügung gestellt wird und der immerhin 90 000 zusätzliche Studienplätze garantieren soll, ({30}) sage ich nun: Es war richtig, das Kooperationsverbot im Bildungsbereich wegzufegen. Denn das war die Voraussetzung dafür, dass der Hochschulpakt überhaupt erst möglich wurde. Wir sind stolz auf das, was wir auf diesem Gebiet erreicht haben. ({31}) - Herr Kollege Kauder, der Beifall der Unionsfraktion könnte, da es gerade um das Thema Bildung geht, ruhig etwas stärker ausfallen. ({32}) Ich nehme an, Frau Schavan ist uns für unser Vorgehen im Hinblick auf Art. 91 b des Grundgesetzes sehr dankbar. ({33}) - Dann sagen doch Sie gleich etwas zu diesem Thema. Jetzt komme ich auf den zweiten Teil der Föderalismusreform zu sprechen. Da Teil eins der Föderalismusreform sozusagen abgehakt ist, folgt bald Teil zwei. Heute Nachmittag werden wir im Kreis der Fraktionsvorsitzenden darüber reden, wie wir unser Vorgehen aufseiten des Bundestages organisieren. Der Kanzleramtschef und der Finanzminister haben die Aufgabe, die notwendige Arbeitsbeschreibung im Hinblick auf die Vorbereitung der Föderalismusreform II festzulegen und mit uns darüber zu diskutieren. Ich denke, wir sollten so vorgehen, dass diese Aufgabe noch im Laufe dieser Legislaturperiode erledigt werden kann. Darüber hinaus müssen wir über die Neuverteilung der Finanzen zwischen Bund und Ländern einerseits und zwischen den verschiedenen Ländern andererseits reden. Dabei müssen wir berücksichtigen, dass der Solidarpakt bis zum Jahre 2019 gilt. Die ostdeutschen Länder müssen sich darauf verlassen können, dass sich daran nichts ändert und keine Kürzungen vorgenommen werden. Das ist meine Position. Ich denke, der Föderalismusreform II wird auch eine Föderalismusreform III folgen müssen. Wenn wir es geschafft haben, die Finanzkraft der Bundesländer in angemessener Weise auszugleichen, dann können und müssen wir auch über die Neugliederung der Bundesländer diskutieren. ({34}) Nun möchte ich mich noch einigen anderen Themenbereichen zuwenden. Zunächst zur Familienpolitik. Wie Sie wissen, hat die SPD-Bundestagfraktion großen Anteil an der Einführung des Elterngeldes. Das war ursprünglich eine Forderung der SPD, Frau von der Leyen, die in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde. Gleiches gilt in Bezug auf die Neuregelung zur steuerlichen Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten. Für uns Sozialdemokraten bleibt es das erklärte Ziel unserer Familienpolitik, dass in Deutschland für jedes Kind ein kostenfreier Kindergartenplatz zur Verfügung steht. Das bleibt unser klares Ziel. ({35}) In Deutschland werden jedes Jahr - Steuern, Kindergeld, Freibeträge und dergleichen zusammengerechnet 160 Milliarden Euro für Familienförderung und Kinderförderung ausgegeben. Ich kann nicht einsehen, dass es nicht möglich sein soll, die 8 Milliarden Euro, die wir brauchen, um den Kindergartenbesuch gebührenfrei zu machen, aus diesen 160 Milliarden Euro herauszuschneiden. Ich hoffe, dass dafür Vorschläge kommen. ({36}) Wir in der SPD diskutieren das. Ich weiß, auch die Union denkt über diese Frage nach. Ich halte es für falsch, zu überlegen, dafür das Kindergeld zu kürzen. Aber darum geht es überhaupt nicht; es geht darum, wie wir die vorhandenen Finanzmittel, ohne zusätzliche schöpfen zu wollen, anders einsetzen, um Kindergartenplätze gebührenfrei anbieten zu können. Ich hoffe, dass wir eine gemeinsame Lösung dafür finden werden. Unser Ziel bleibt es auf jeden Fall, zu machen, was Kurt Beck in Rheinland-Pfalz begonnen hat. Das soll auch in anderen Bundesländern Standard werden. ({37}) Ein weiteres Thema ist die Frage des Rechtextremismus. Ich finde es eigenartig, dass wir jedes Mal, wenn gerade Wahlen stattgefunden haben und Rechtsextreme in Landtage eingezogen sind, darüber diskutieren, wie wir mit ihnen politisch umgehen, ob wir sie politisch bekämpfen müssen. Natürlich müssen wir sie politisch bekämpfen. Doch glauben Sie etwa, dass die Union, die SPD und die FDP in Mecklenburg-Vorpommern sie nicht politisch bekämpft haben? Das haben wir gemacht, bei jeder Veranstaltung. Trotzdem sind sie in den Landtag eingezogen. Also müssen wir uns durchaus überlegen, wie wir mit ihnen umgehen und wie wir die Ursachen bekämpfen. Das sehe ich alles ein. Aber ich will noch einmal klipp und klar sagen: Nach meiner Auffassung sind die Wahlergebnisse dieser Partei nur so zu erklären, dass das Nazis sind. Das sind keine Neonazis, das sind Nazis, und wir müssen gegen sie vorgehen. ({38}) Ich lasse mir die Frage der Prüfung eines NPD-Verbots nicht ausreden. ({39}) Ich weiß, welche rechtlichen Bedingungen es gibt: Ich habe mir die Entscheidung aus Karlsruhe durchgelesen. Ich bin selbst Jurist von Beruf und weiß, was man aus diesem Urteil alles interpretieren kann. Aber die Rechtsauffassung von Karlsruhe - dass wir keine V-Leute in diesen Organisationen haben dürfen, wenn das Verfahren weitergehen soll - ist absurd. Wie sollen wir Erkenntnisse über die Verfassungsfeindlichkeit gewinnen, wenn wir in diesen Gremien keine Leute haben dürfen, die sich von sich aus anbieten - die haben wir doch nicht eingekauft, die bieten sich an! -, uns zu informieren? ({40}) Nach meiner Einschätzung führt dieser Beschluss aus Karlsruhe letztlich dazu, dass man überhaupt kein Verfahren zum Verbot rechtsextremer Parteien betreiben kann. Dieses Ergebnis kann ich nicht akzeptieren. Wir müssen an dieser Stelle weiterarbeiten. ({41}) Ich finde es gut, dass die Innenministerkonferenz am vergangenen Freitag in Nürnberg beschlossen hat, das Finanzgebaren der NPD überprüfen zu lassen. ({42}) Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Schlägerbanden, die die NPD durch Deutschland geschickt hat, die Banden, die beim Aufhängen ihrer Plakate unsere heruntergerissen haben, das alles umsonst gemacht haben. Das glaube ich nicht. Mich interessiert, wer diese Nazipartei finanziert. Es muss einmal öffentlich diskutiert werden, wes Geistes Kind diejenigen sind, die so etwas unterstützen. ({43}) Nach einem Jahr großer Koalition ziehe ich für mich und für meine Fraktion das persönliche Fazit: Dieses Bündnis ist weitaus besser, als es von der öffentlichen Meinung dargestellt wird. Wenn Zeitungen jetzt Noten für Kabinettsmitglieder abgeben, ist das lächerlich. Dieses Bündnis ist besser als sein Ruf. Ich mache mir natürlich Sorgen, genau wie alle, die dieser Koalition angehören, wie die Meinungsumfragen aussehen. Allerdings muss man auch sagen: Noch eine Woche vor der letzten Bundestagswahl war die SPD den Meinungsumfragen zufolge so im Keller und die CDU so weit oben, dass niemand von uns auch nur mit einem Stück Brot hätte feiern wollen. Herr Westerwelle saß schon auf dem Stuhl neben Frau Merkel. ({44}) - Innerlich, doch, doch. Sie haben sich schon darauf vorbereitet, Herr Westerwelle, geben Sie es zu! ({45}) Erstens sage ich Ihnen: Es wird nicht jetzt in Deutschland gewählt. Also muss niemand vor lauter Angst zögern, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen, die man treffen muss, wenn man regiert. Zweitens bin ich fest davon überzeugt, dass die Maßnahmen, die wir beschlossen haben - Gesundheitsreform, Arbeitsmarktreform, Steuerreform -, rechtzeitig im Jahre 2009 wirken werden, wenn die nächsten Wahlen anstehen, sodass die Leute sagen werden, dass diese große Koalition eine gute Arbeit geleistet hat. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die sagen, dass ihre Partei bei der nächsten Bundestagswahl nur dann stark werden kann, wenn sie sich gegen die andere Koalitionsfraktion, die CDU/CSU, profiliert. Ich bin der festen Überzeugung, dass meine Partei Erfolg hat, wenn die Koalition und die Regierung Erfolg haben. Dafür kämpfe ich. ({46}) Man wird mir verzeihen, dass ich zum Abschluss sage: Ich hoffe bei der nächsten Wahl auf das Ergebnis, das es auch 1969 nach der großen Koalition gegeben hat. ({47}) Wir haben gut zusammengearbeitet und ein Sozialdemokrat wurde Kanzler. Frau Bundeskanzlerin, Sie werden es mir verzeihen, aber das konnte ich mir nun doch nicht verkneifen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({48})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Renate Künast das Wort.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es Sie glücklich machen würde, dann könnte ich für die Vertreterinnen und Vertreter der Koalitionsfraktionen, für die Bundesregierung und für die Bundeskanzlerin einfach dreimal rufen: Ja, ja, ja - ja, die Zahlen sind glänzend, ja, die Nettokreditaufnahme ist niedriger, ja, die Arbeitslosenzahlen sind gesunken. Wenn es denn helfen würde. An dieser Stelle muss ich aber auch Wasser in den Wein gießen; denn eines ist doch klar: Sie versuchen hier, auf einer Welle guter Zahlen zu schwimmen, in Wahrheit streicht diese Koalition aber nur die Reformdividende von Rot-Grün ein. ({0}) - So ist es. - Frau Merkel, wenn Ihr Vorgänger nicht so nervenschwach gewesen wäre, dann würde er heute hier stehen und diese Dividende einstreichen. ({1}) Herr Steinbrück hatte gestern Recht, als er in seiner Rede angedeutet hat, dass der Grundstein für diese Reformen - zum Beispiel die Arbeitsmarktreformen - unter der Vorgängerregierung gelegt wurde. ({2}) Sie müssen jetzt erst einmal damit anfangen, anzupacken. Unser Kritikpunkt an der jetzigen Situation ist, dass Sie sie für Deutschland nicht wirklich nutzen. ({3}) Sie müssen die soziale Marktwirtschaft auch ökologisch weiterentwickeln. Sie müssen dafür sorgen, dass in diesem Land anders produziert und Mobilität anders erreicht wird und dass die Menschen anders wohnen. Diese Bereiche packen Sie aber überhaupt nicht an. Sie sorgen nicht dafür, dass in den sieben fetten Jahren für sieben magere Jahre Vorsorge betrieben wird. ({4}) - Sie ruhen sich aus. Herr Raumsauer, wir wären in den sieben Jahren noch weiter gewesen, wenn Sie nicht - Bayern vorneweg - zu den Blockierern gehört hätten. ({5}) Sie geben an, dieses Land sei weiter. Sie rühmen sich damit, den Haushalt saniert zu haben. Ich schaue mir das einmal an und rechne nach Adam Riese: Sie haben die Nettokreditaufnahme auf 19,6 Milliarden Euro reduziert. Bei Steuermehreinnahmen von 17,9 Milliarden Euro, Privatisierungserlösen von 9,2 Milliarden Euro und Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung ist eine Reduzierung der Nettokreditaufnahme um circa 11 Milliarden Euro ein Armutszeugnis. ({6}) Ich sage Ihnen: Wenn wir Ihre Strategie weiter betreiben würden, dann wären wir relativ sicher erst 2051 am Ziel. Das halte ich für ein bisschen wenig. Man könnte viel früher einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Dazu müssten Sie allerdings die Einsparpotenziale - auch bei der Verwaltung - konsequent nutzen. Dann müssten die Subventionen und die Ausgaben konsequent gesenkt werden. All das packen Sie aber nicht an. Man kann als Fazit feststellen: Sie nutzen zwar die Windfall Profits, leisten aber wenige Anstrengungen. Die einzige Anstrengung, die Sie unternommen haben, besteht darin, eine Unternehmensteuerreform vorzulegen, die nicht einmal gegenfinanziert ist. Sie entlasten die Unternehmen, greifen aber mit der Mehrwertsteuererhöhung wieder dem kleinen Mann in die Tasche. ({7}) Frau Merkel, Sie haben versucht, uns eine Lehrstunde in Sachen Rechnen zu geben, um uns allen zu erklären, dass bei den Lohnnebenkosten von 40,6 Prozent eine Senkung erfolgt sei; wer das nicht errechnen könne, sei in diesem Hause fehl am Platz. Ich rechne mit dem, was Sie damals angekündigt haben. Sie haben eine Erhöhung der Mehrwertsteuer angekündigt und legitimiert, indem Sie gesagt haben, diese Koalition werde die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent senken. Sie haben zwar die Mehrwertsteuererhöhung beschlossen, aber die Lohnnebenkosten nicht gesenkt. Versprochen - gebrochen: Das ist das richtige Fazit. ({8}) Sie haben das Meisterstück der Koalition - eine Gesundheitsreform - angekündigt. Sie haben gerade selbst festgestellt, dass es sich dabei nicht um eine Gesundheitsreform zugunsten der Strukturen und Anbieter, sondern für die Versicherten handelt. Ich halte Ihnen entgegen: Diese Gesundheitsreform war auch für die privaten Krankenkassen gedacht, die Sie von Anfang an sakrosankt gestellt haben. Das ist falsch. Sozial geht anders, Frau Merkel. ({9}) Sie haben uns mit der Gesundheitsreform eine Vorstellung Ihres monatelangen Herumdokterns und ständigen Aufschiebens gegeben. Erst haben Sie angekündigt, dass mehr Steuern in das System fließen würden. Dann wurde das wieder zurückgenommen. Als die Einnahmen etwas stiegen, wollten Sie das System doch wieder zum Teil aus Steuermitteln finanzieren. Diese Gesundheitsreform und das Herumdoktern in diesem Punkt hat in Sachen Gesundheit in Deutschland nichts Positives bewegt; die Menschen, die Ihre Arbeit verfolgt haben, sind eher krank geworden. ({10}) Was haben Sie in der Arbeitsmarktpolitik bewirkt? Sie haben Unruhe gestiftet. Lassen Sie mich nur auf die Vorschläge von Herr Rüttgers zum ALG I eingehen. Frau Merkel, Sie haben gesagt, Sie wollten Deutschland dienen. An dieser Stelle könnten Sie Deutschland einen Dienst erweisen, indem Sie nicht darauf verweisen, dass Sie den Punkt nicht angehen könnten, weil die SPD das nicht will, sondern ganz klar feststellen: Wir wollen die Vorschläge von Rüttgers nicht umsetzen, weil sie asozial sind. ({11}) Sie sind asozial, weil es in Zukunft wenige Menschen geben wird, die 45 Jahre durchgehend erwerbstätig sind, weil Rüttgers’ Vorschlag ihnen Sand in die Augen streut und weil dieser Vorschlag die Situation vieler Menschen noch verschlechtern würde. Heute reicht es, zwei Jahre versicherungspflichtig tätig zu sein, um ein Jahr lang ALG I beziehen zu können. Nach Rüttgers’ Vorschlag muss jemand zehn Jahre versicherungspflichtig tätig sein, um ein Jahr ALG zu erhalten. ({12}) Wer von den heute 25- bis 30-Jährigen schafft das denn? Rüttgers’ Vorschlag richtet sich, glaube ich, gegen mehrere Seiten: zum einen gegen die Kanzlerin, die er nicht akzeptieren kann, zum anderen gegen die jungen Menschen, die erst einmal in den Arbeitsmarkt hineinkommen müssen, und auch gegen die Frauen, die allein aufgrund von Erziehungszeiten nicht so leicht auf zehn Jahre versicherungspflichtiger Tätigkeit kommen. ({13}) Auch dazu kann man nur feststellen: Sozial geht anders. Ich muss mich auch über etwas anderes wundern, Frau Merkel. Wenn Sie über mehr Leistungsbereitschaft reden und darüber, dass Sie die Leistungsträger unterstützen wollen, dann hören Sie doch auf, ständig über Leistungsbeschränkungen, Sanktionen und Missbrauch beim Arbeitslosengeld zu diskutieren! Dann fangen Sie doch an, dafür Sorge zu tragen, dass die Mittel zur Förderung von Langzeitarbeitslosen bei der Bundesagentur abfließen, statt wieder über 2 Milliarden Euro liegen zu lassen und eine Haushaltssperre für Eingliederungsmittel zu verhängen! Sie blinken sozial, aber am Ende ist Ihr Kurs doch wieder neoliberal. ({14}) Was Ihre Leipziger Rede angeht, schaffen Sie zwar jetzt ein bisschen Distanz dazu, aber das, was Sie hier anbieten, ist immer noch Leipziger Allerlei. ({15}) Nach einem Jahr großer Koalition ist festzustellen: Sie machen eine Politik der kleinen Schritte, von der man heute kaum weiß, wohin sie geht oder gehen soll. Sie verständigen sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Wenn man genau hinschaut, dann erkennt man, dass es immer der kleinste gemeinsame Nenner von CDU/CSU, SPD und den Unionsministerpräsidenten ist. Sie haben noch Anfang dieses Jahres den guten Geist von Genshagen, dem Ort, an dem Sie eine Kabinettsklausur abgehalten haben, beschworen. Ich glaube aber, dass der gute Geist von Genshagen gar nicht mehr existiert, sondern dass er eher zum Monster von Wolfratshausen mutiert ist. ({16}) - Die Versicherungswirtschaft will Sie nicht wieder haben, Herr Niebel. Jetzt müsste es eigentlich losgehen. Frau Merkel, Sie haben sowohl in Ihrer heutigen als auch in Ihrer Rede zuvor klar gesagt: Wir dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Mich stört diese reaktive Grundhaltung. „Wir dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen“ offenbart eine falsche Begrifflichkeit; denn wir sind mittlerweile in vielen politischen Bereichen so weit entwickelt, dass es nicht mehr nur um Reaktion und Nichtverbrauchen geht. Vielmehr müssen wir an dieser Stelle eine aktive Haltung einnehmen. Wir müssen uns eine gute Zukunft erst aufbauen. Wir dürfen bei den zentralen Themen Klima, Gerechtigkeit und Kinderförderung nicht nur darauf verweisen, dass wir etwas nicht verbauen dürfen. Vielmehr müssen wir Mut, Kreativität und Kraft haben und uns von alten Lobbygruppen lösen, um wirklich etwas aufzubauen. Aber das tun Sie bislang nicht. ({17}) Meine ehrliche Sorge ist, dass Sie Vorbereitungen treffen, um 2007 zu einem Jahr der roten Teppiche und der abgeschrittenen Ehrenformationen zu machen und im nächsten Jahr lauter 50-Jahr-Feiern zu veranstalten. Wir brauchen aber für die Europäische Union und insbesondere für Deutschland eine neue Zündungsstufe in der Entwicklung. Ich nenne das Thema Klima als Beispiel. Eines verwundert sehr: Herr Gabriel ist herumgereist und hat national und international verkündet, Deutschland wolle eine Vorreiterrolle in Klimafragen einnehmen. Unter diesem Gesichtspunkt war Ihre heutige Rede mehr als enttäuschend, Frau Bundeskanzlerin. ({18}) Der Klimawandel findet längst statt. Er ist von einer ökologischen zu einer ökonomischen Katastrophe geworden. Nicholas Stern, ehemaliger Chefökonom der Weltbank, sagt, dass in wenigen Jahren bis zu 20 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung durch den Klimawandel aufgefressen werden. Dabei hat er noch nicht einmal über Hunger, Migrationsströme und Wetterextreme geredet, die unsere Wirtschaft schon heute betreffen. Professor Schellnhuber, der auch Sie berät, Frau Merkel, hat gesagt: Wenn wir eine Wende beim Klima noch schaffen wollen, dann ist heute ein kraftvolles politisches Handeln notwendig, weil wir noch circa zehn Jahre Zeit haben. - Unter diesem Aspekt haben Sie heute nichts angeboten. ({19}) - Das ist nicht falsch, auch wenn Sie etwas anderes behaupten. Frau Merkel hat in ihrer Rede zwar das Problem benannt, hat aber keine einzige Maßnahme beschrieben, die sie ergreifen will. ({20}) Das Jahr 2007 muss ein Jahr des Handelns werden. Wir brauchen gerade nach Nairobi ein zweigleisiges Vorgehen für einen erfolgreichen Klimaschutz. Wir können nicht immer auf das langsame Völkerrecht warten. Nairobi hat gezeigt, dass die Welt sozusagen auf Leadership wartet. Die Menschen in Afrika zum Beispiel warten darauf, dass jemand Vorreiter für einen wirtschaftlichen Wettbewerb ist, der dazu führt, dass anders produziert wird und Rücksicht genommen wird. Wir müssen unsere CO2-Emissionen senken und lernen, wirtschaftliche Entwicklung und Mobilität ohne CO2-Emissionen zu denken. Aber dazu haben Sie keinen Vorschlag gemacht. ({21}) Wer die Wirtschaft in Deutschland und in Europa weiterentwickeln will, muss beim Klimaschutz technologisch vorangehen und schneller sein. Wer beim Klimaschutz anführen will, der muss auch bereit sein, voranzugehen. Das gehört logisch zusammen. Sie müssen endlich beschließen, dass Deutschland 40 Prozent seiner CO2-Emissionen bis 2020 senken wird - komme, was wolle. ({22}) Es reicht nicht aus, dass Herr Gabriel hin und wieder Wenn-dann-Sätze spricht. Also: Wenn die Europäische Union entscheidet, dass die CO2-Emissionen um 30 Prozent gesenkt werden sollen, dann werden auch wir … Nein, wir brauchen von der zukünftigen Präsidentschaft der EU und der zukünftigen G-8-Präsidentschaft eine klare Aussage - quasi eine Morgengabe -, die lautet: Deutschland wird die CO2-Emissionen um 40 Prozent reduzieren. Dann lösen Sie Wettbewerb aus und dann geben Sie der Wirtschaft einen Schub. ({23}) Wir brauchen mehr als nur rhetorische Verrenkungen. Ich höre Ihre Worte, Herr Gabriel, immer gern; denn sie haben etwas Dynamisches. Sie weisen in die richtige Richtung. Uns Grünen aber fehlt, dass den Worten etwas folgt. Ihre rhetorischen Verrenkungen in den letzten Tagen über Ihren NAP II, also die Senkung der CO2-Emissionen, die Sie in Brüssel eingereicht haben, waren schon beachtlich. Die EU-Umweltagentur hat keine neuen Zahlen gebraucht, um sagen zu können, dass Deutschland beim Klimaschutz kein Vorreiter ist und seine CO2-Emissionen weiter reduzieren muss. Diese Regierung - an vorderster Stelle die Kanzlerin - ist aufgefordert, nicht vor der Drohung eines Investitionsboykotts durch die Stromindustrie in die Knie zu gehen. Sie wollten Deutschland dienen. Hier ist der Ort, zu dienen. ({24}) Sie müssen viel ehrgeizigere Ziele beim Emissionshandel festlegen und Sie müssen die Privilegien für Kohlekraftwerke endlich abschaffen, weil Sie ansonsten das Gegenteil dessen tun, was Ihr Berater, Herr Professor Schellnhuber, rät, der gesagt hat, man müsse in den nächsten zehn Jahren aktiv sein, weil sonst die Zeit vertan sei. Wir brauchen ehrgeizige europäische Maßnahmen, einen europäischen Pakt für Klimaschutz und Versorgungssicherheit. Wir brauchen verbindliche Ziele. Wir Grüne sagen: Wir müssen neue Felder beschreiten. Da lassen wir uns auch nicht durch Marktanreizprogramme, die Sie auflegen, in die Irre führen. Die größten Millionenzahlungen für Anreizprogramme reichen nicht aus, wenn Sie nicht endlich ein Wärmeeinspeisungsgesetz auflegen; denn das ändert die Strukturen und kurbelt die Wirtschaft an. ({25}) Gerade der Mittelstand, der die Arbeitsplätze schafft, braucht jetzt eine Effizienzstrategie. Wir haben in diesem Haushalt vorgeschlagen, einen Klimaschutzfonds für das Jahr 2007 einzurichten, den wir später zum Beispiel durch die Versteigerung der Emissionszertifikate speisen wollen. ({26}) Wer dieses Land zum Vorreiter machen will, muss die Möglichkeit nutzen, 10 Prozent der Emissionszertifikate zu versteigern und die Einnahmen für eine Effizienzstrategie zu verwenden. Daran wird der Mittelstand verdienen und dadurch werden neue Arbeitsplätze entstehen. Das ist sinnvoller, als über die Abschaffung von Kündigungsschutzregeln zu sprechen. ({27}) Mir hat in diesem ganzen Bereich gefehlt, dass Sie Vorschläge machen, wie wir wieder zu den alten Stärken der deutschen Wirtschaft zurückfinden können. Wenn man sich überlegt, wo die Stärken der deutschen Wirtschaft waren, kommt man sofort auf den Automobilbau. Wir stellen aber fest, dass im Augenblick die modernsten Fahrzeuge nicht in Deutschland hergestellt werden. Wer aber wieder dahin will, dass moderne und hoch angesehene Fahrzeuge in Deutschland hergestellt werden, der muss dem Markt Ziele setzen, die er erreichen soll, und Regeln geben. Das bedeutet für die Automobilindustrie eine zeitliche Vorgabe, bis wann der Durchschnittsverbrauch eines in Deutschland oder in Europa hergestellten Autos bei 5 Litern oder wann er bei 3 Litern sein muss. Wer da Bewegung schaffen will, muss dafür Sorge tragen, dass die Kfz-Steuer nach dem CO2-Ausstoß berechnet wird. So macht man eine gute soziale und ökologische Marktwirtschaft und nicht, indem man nur Zahlen benennt. ({28}) Frau Merkel, Sie haben an dieser Stelle über soziale Gerechtigkeit geredet. Sie haben Recht: Eine der zentralen Gerechtigkeitsfragen betrifft das Thema Bildung. Aber für die Bildung brauchen wir Durchlässigkeit in den Strukturen, weil es in Deutschland immer noch so ist, dass der soziale Aufstieg, der Aufstieg in Führungsfunktionen, quasi vererbt wird wie im 19. Jahrhundert. ({29}) Ehrlich gesagt, stört uns die Art und Weise Ihres Schönheitswettbewerbs um kostenfreie Kitaplätze, meine Damen und Herren. Von diesen kostenfreien Kitaplätzen werden die Besserverdienenden profitieren, aber nicht die Kinder dieser Republik. Sie sind an dieser Stelle auf dem Irrweg. ({30}) Ich hoffe, dass Sie sich da gegenseitig wieder zurückholen werden. Die Republik braucht auch keine flächendeckende Pflasterung mit Modellprojekten, Frau von der Leyen, sondern diese Republik und die Kinder brauchen nach Ihrem Elterngeld einen durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung mit einem guten Bildungsangebot. Dafür brauchen wir Geld. ({31}) Wir brauchen nicht als Erstes Gebührenfreiheit, sondern wir müssen die sprachliche Entwicklung der Kinder fördern. Es nützt doch keinem Kind, wenn es aus einem kostenlosen Kindergarten mit einem Sprachdefizit in die Grundschule kommt. Sie werden sich mit der Finanzierung der Kinderbetreuung auseinander setzen müssen. Sie tun so, als könne man beim Kindergeld herumoperieren. Ich habe mir die Analyse des Bundes der Steuerzahler des Berichts der Bundesregierung zum Existenzminimum angesehen und kann Ihnen sagen, dass Sie ständig mit Rechentricks arbeiten. Sie tun so, als könnten Sie Kindergartenplätze kostenlos machen, indem Sie das Kindergeld vielleicht nicht erhöhen. Zeitgleich hat Ihr Bundesfinanzministerium die Zahlen systematisch so klein gerechnet - erstmals wird behauptet, es gebe niedrigere Lebenshaltungskosten in dieser Republik -, dass es bis Ende 2008 überhaupt nicht zu einer Erhöhung des Kindergeldes kommen wird. Verlassen Sie doch endlich Ihr Wolkenkuckucksheim! Kümmern Sie sich um die Sorgen der Menschen, die da heißen: Rechtsanspruch auf einen guten Kindergartenplatz. ({32}) Voraussetzung dafür ist zum Beispiel eine komplette Umstrukturierung unserer Bildungslandschaft. Natürlich müssen die Curricula durch die Länder verändert werden. Aber auch Sie müssen eine Leistung vollbringen. Diese Regierung muss dafür sorgen, dass die Kommunen genug Geld haben, um bei den Kindergartenplätzen überhaupt anfangen zu können. Es gibt nur einen Weg: Wenn Sie selber sagen, Sie als große Koalition seien mutig, dann seien Sie doch so mutig und stellen endlich einmal alte Steuerprivilegien infrage. Nach unserer Meinung ist das Ehegattensplitting, das die kinderlose, reiche Ehe privilegiert, nicht mehr zu legitimieren. Das sind genau die Gelder, die wir in unsere Kinder investieren müssen. ({33}) Sie loben sich am Ende der Bildungspyramide, beim Thema Hochschulpakt. Ich sage Ihnen aber: Auch der Hochschulpakt hält nicht, was Sie heute früh versprochen haben. Warum? Weil Sie mit dem Hochschulpakt Boni an einige Stadtstaaten geben, zum Beispiel auch an Berlin, damit existente Hochschulplätze erhalten werden. Sie kürzen die Gelder um mehr als 20 Prozent, sodass Sie mit Ihrem Hochschulpakt gar nicht 90 000 neue Studienplätze werden schaffen können. Das ist ein Dilemma, weil wir in Wahrheit in den nächsten Jahren noch mehr Geld als für diese 90 000 neuen Studienplätze brauchen werden. Wir haben uns in diesem Jahr als konstruktive Opposition aufgestellt. ({34}) Deshalb will ich an dieser Stelle mit einer Bitte und einer Erwartung an die Bundesregierung enden, die sich auf das Thema Außenpolitik bezieht. Frau Merkel, ich habe positiv aufgenommen, was Sie zum NATO-Gipfel in Riga gesagt haben, weil ich glaube, dass es genau darauf ankommt. Ich bin froh, dass Sie jetzt endlich einmal die Stimme erhoben haben und in Richtung NATO-Gipfel klar sagen, dass die internationalen Sicherheitsprobleme eben nicht allein mit Militär zu lösen sind, sondern dass dazu auch zivile Unterstützung und wirtschaftliche Unterstützung erforderlich sind. Ich hoffe, dass Sie diese Strategie weiterführen, dass Sie laut - auch in Richtung USA - sagen: Das, was im Irak angerichtet worden ist, was unter dem Schild von „Enduring Freedom“ im Süden Afghanistans passiert, ist nicht richtig. Ich hoffe, dass Ihre Erwartungen erfüllt werden. Ich hoffe, dass internationale Sicherheitspolitik anders betrieben wird. Wir haben eine Erwartung in Sachen Nahost - dazu haben Sie heute nichts gesagt -: dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, das Nahostquartett wieder beleben. Auch für den Libanoneinsatz gilt: Militär allein wird nicht reichen. Wir brauchen Aktivitäten, die geeignet sind, den Libanon zu stabilisieren. Wir brauchen die Umsetzung der Zweistaatenlösung. Wir müssen Syrien konstruktiv einbeziehen; sonst wird dieses Unternehmen vor Ort scheitern. ({35})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Bundeskanzlerin, mein Fazit Ihres ersten Jahres ist: Ihre Zahlen sind zwar gut; aber es ist in Wahrheit die Reformdividende Ihrer Vorgängerregierung. Mein Ausblick ist: Das Jahr 2007 darf nicht das Jahr der roten Teppiche sein. Sie haben große Aufgaben auf dem Gebiet des Sozialen und des Ökologischen zu lösen, damit dieses Land Vorreiter beim Klimaschutz ist und damit hier neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Wir Grüne erwarten von Ihnen, dass Sie nicht nur über die Fakten reden, sondern diese Dinge wirklich anpacken. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Vorsitzende der CDU/CSUFraktion, Volker Kauder. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit einem Jahr regiert die große Koalition in Deutschland und wir können feststellen: Wir bringen unser Land voran. ({0}) Dies hat natürlich etwas mit der Arbeit dieser Bundesregierung und dieser Koalition zu tun. Vier Punkte sind entscheidend dafür, dass in unserem Land ein neuer Optimismus entstanden ist. Erstens. Wir machen den Staat effizienter. Wir haben die Föderalismusreform durchgebracht und dafür gesorgt, dass in unserem Land wieder klare Aufgabenteilungen und Aufgabenzuständigkeiten vorherrschen. Wir haben dafür gesorgt, dass der Staat effizienter wird und dass wir in der Haushaltspolitik entscheidend vorankommen. Was waren das für dramatische Jahre, als wir unter der Beobachtung der EU standen. Es wurde immer wieder die Frage gestellt: Kommen wir da voran oder nicht? Ich wiederhole: Wir haben den Staat effizienter gemacht. Wir haben Kräfte für die Regierungsarbeit dadurch freigeschaufelt, dass wir den Haushalt konsolidiert haben. ({1}) Wir haben etwas gemacht, was viele von uns schon gar nicht mehr für möglich gehalten haben. In vielen Reden haben wir davon gesprochen, dass Bürokratieabbau sein muss. Jetzt haben wir ein Instrument zum Bürokratieabbau gefunden. Ich bitte die Bundesregierung, sehr darauf zu achten, dass der Normenkontrollrat mit seiner Arbeit vorankommt. Wir erwarten erste Ergebnisse im nächsten Jahr. Was die Umsetzung dessen angeht, was wir miteinander vereinbart haben, liegen wir genau im Zeitplan. ({2}) Zweitens. Wir stärken den Standort Deutschland durch eine ganze Reihe von Maßnahmen. Vor allem stärken wir den Mittelstand. Die Bundeskanzlerin hat es gesagt: Der Blick in unserem Land fällt immer auf die DAX-Unternehmen und auf die Entwicklung ihrer Mitarbeiterzahlen. Aber die große Leistung, Arbeitsplätze zu schaffen, wird nicht von den großen Unternehmen erbracht, sondern von den vielen kleinen und mittelständischen Betrieben. Ihnen sind wir dafür dankbar. Wir helfen ihnen auch durch konkrete gesetzliche Maßnahmen dabei, dass sie ihre Arbeit für unser Land leisten können. ({3}) - Dazu brauchen wir auch die FDP. Ich weiß gar nicht, warum Sie uns an diesem Punkt so kritisch gegenüberstehen. Wir machen genau das, was wir im letzten Jahr vereinbart haben: eine Unternehmensteuerreform und eine Erbschaftsteuerreform. Ich lade Sie ein, bei Vorhaben mitzumachen, die auch Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der FDP, in Ihrem Wahlprogramm 2005 postuliert haben. ({4}) Wir haben eine Mittelstandsinitiative und ein Investitionsprogramm auf den Weg gebracht. Das sind alles richtige Dinge, mit denen wir den Standort Deutschland und insbesondere den Mittelstand stärken. Damit leisten wir einen entscheidenden Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Die Zahlen sind genannt worden. Man kann sie gar nicht oft genug nennen; denn nach fast einem Jahrzehnt ist in diesem Bereich eine Trendwende erkennbar. Das ist auch für die Menschen ein wirkliches Hoffnungszeichen. So habe ich in den letzten Tagen eine junge Frau getroffen, ({5}) die seit vielen Jahren in meine Bürgersprechstunde kommt. In der ganzen Zeit hat sie einen Jobverlust nach dem anderen erlebt. Sie hat mir nun gesagt: Herr Kauder, es bewegt sich etwas; zum ersten Mal seit Jahren bekomme ich wieder Einladungen zu Vorstellungsgesprächen. Das sind Hoffnungszeichen in unserem Land, die auf unsere Politik zurückgehen. ({6}) Drittens. Wir fördern den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Dafür tun wir zunächst einmal etwas für unsere Familien. Diese sind die entscheidenden Einrichtungen, wo Zusammenhalt in unserer Gesellschaft erlebbar wird. Hier gibt es Hilfe und Unterstützung auch in den Wechselfällen des Lebens. Deswegen bin ich außerordentlich dankbar, dass die Bundesregierung ein Bündel von Maßnahmen zugunsten der Familien initiiert hat. Ganz entscheidend in diesem Zusammenhang ist auch - Peter Struck hat es angesprochen -, dass Frau von der Leyen für die Bundesregierung eine Aufstellung darüber vorlegen wird, was wir insgesamt für die Familien ausgeben. So wird klar, wie viel wir für Familien tun. Es ist nämlich nicht so - wie manchmal der Eindruck erweckt wird -, dass wir kaum etwas für Familien in unserem Land täten. 150 Milliarden Euro geben wir für familienpolitische Leistungen aus. Das ist eine stolze Fördersumme. Wir wollen prüfen, wie wir das Geld noch besser als in der Vergangenheit einsetzen können. ({7}) Die Förderung des Zusammenhaltes unserer Gesellschaft geschieht auch, indem wir uns mit einem ganz wichtigen Thema befassen, das, wie ich glaube, in der Vergangenheit nicht mit dem notwendigen Nachdruck bearbeitet worden ist. Wir fördern nämlich den Zusammenhalt, indem wir uns massiv um Integration in unserem Land bemühen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat von Anfang an darauf verwiesen, dass sich unsere Integrationsbemühungen an all diejenigen wenden, die nicht in die Gesellschaft unseres Landes integriert sind. Dabei handelt es sich beispielsweise um Kinder aus Migrantenfamilien, aber auch um Kinder aus deutschen Familien, die aus ihrem familiären Umfeld keine oder nur wenig entsprechende Erziehung und Hilfe bekommen. Der kürzlich stattgefundene Integrationsgipfel, der in verschiedener Weise seine Fortsetzung findet und im nächsten Jahr konkrete Ergebnisse bringen wird, zeigt, wie ernst wir diese Sache nehmen. Wir nehmen die Sache auch deshalb ernst, weil wir von Anfang an gewusst haben - das haben wir auch immer gesagt -, dass das Gesäusel von der multikulturellen Gesellschaft Menschen nicht in die Gesellschaft integriert, sondern Menschen aus der Gesellschaft ausschließt. Deshalb machen wir nun etwas ganz anderes mit dem von uns eingeschlagenen Integrationskurs. ({8}) Viertens. Wir nehmen innere Sicherheit ernst. Mittels eines ganzen Pakets an gesetzlichen Maßnahmen haben wir die Terrorismusbekämpfung vorangetrieben. Wir sorgen dafür, dass die Polizei ihre Kontrollaufgaben über entsprechend zur Verfügung gestellte Dateien besser als bisher wahrnehmen kann. Es ist auch völlig klar - das müssen wir den Menschen in unserem Land immer wieder sagen -: Innere Sicherheit kann nicht nur durch gesetzliche und polizeiliche Maßnahmen in unserem Land gewährleistet werden, sondern innere Sicherheit hat auch etwas mit äußerer Sicherheit zu tun. Wir müssen deshalb überall dort, wo NATO bzw. UNO den Eindruck haben, dass eine Befriedung stattfinden muss, unseren Beitrag leisten. Das macht die Bundesregierung auch. Die Bundeswehr hat dabei einen schweren Auftrag. Wir alle wissen, dass wir es uns nicht leicht machen mit der Entscheidung, unsere Soldatinnen und Soldaten an einen Brennpunkt zu schicken. Aber noch viel schwerer haben es diejenigen, die unsere Entscheidung auszuführen haben. Deswegen sind wir ihnen außerordentlich dankbar; ohne ihren Einsatz, den sie draußen in der Welt leisten, könnten wir innere Sicherheit in unserem Land nicht garantieren. Herzlichen Dank an die Soldatinnen und Soldaten unserer Bundeswehr! ({9}) Wenn man sich diese Bilanz nach zwölf Monaten großer Koalition anschaut, muss man sagen: Diese Regierung hat erfolgreiche Arbeit geleistet. Frau Bundeskanzlerin, herzlichen Glückwunsch und herzlichen Dank für die ersten zwölf Monate der großen Koalition! ({10}) Wir werden diesen Erfolgskurs fortsetzen. Wir werden dafür sorgen, dass wir die Ziele, die wir uns gesetzt haben, auch erreichen; wir werden sie konsequent verfolgen. Das ist zum einen die Haushaltskonsolidierung. Es gibt kein besseres Beispiel dafür, dass wir es mit der Haushaltskonsolidierung wirklich ernst meinen, als die geringste Nettokreditaufnahme seit der deutschen Einheit in diesem Haushalt 2007. Das ist fast eine Halbierung der Nettoneuverschuldungen der vergangenen Jahre. Das ist eine großartige gemeinsame Leistung dieser die Koalition tragenden großen Volksparteien. Ich sage den Haushältern und natürlich auch dem Bundesfinanzminister herzlichen Dank für diese Arbeit. ({11}) Wir werden die Föderalismusreform weiter voranbringen. In der Föderalismusreform II müssen die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu geregelt werden. Auch in diesem noch schwierigeren Gebiet als bei der Föderalismusreform I muss die große Koalition zeigen, dass sie Kraft hat; denn wenn es ums Geld geht, hört die Freundschaft ja bekanntlich grundsätzlich auf. ({12}) - Frau Künast, Sie können sich daran beteiligen, indem Sie an der Kommission teilnehmen, die wir einrichten. Auf Länderebene sind Sie ja überall verschwunden; deswegen müssen Sie sich auf Bundesebene an diesem Thema beteiligen. Wir verfolgen weiter unsere Ziele. Wir haben gesagt, wir konsolidieren nicht nur den Haushalt, sondern auch die sozialen Sicherungssysteme. Da steht vor uns eine Aufgabe: die Pflegeversicherung. Wir haben miteinander vereinbart, bei der Pflegeversicherung ein deutliches Zeichen im Sinne der Nachhaltigkeit auch an die junge Generation zu geben. Es gibt gerade eine Diskussion in der Fraktion der SPD und auch bei uns, ob das Thema Nachhaltigkeit stärker verankert werden müsste. Da kann ich nur sagen: Wenn wir diese Diskussion führen, dann sollten wir bei der Pflegeversicherung, deren Reform wir jetzt miteinander vorantreiben, ein Zeichen dafür setzen, dass es uns wirklich ernst ist. Das kann nur heißen: kapitalgedeckte Elemente in der Pflegeversicherung. ({13}) Wer Nachhaltigkeit will, muss dieses Thema ernst nehmen. So steht es auch in der Koalitionsvereinbarung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben gesagt, dass wir das Thema Sicherheit ernst nehmen. Weil das so ist, wissen wir auch - Peter Struck und die Bundeskanzlerin haben bereits darauf hingewiesen -, dass wir Sicherheit nicht allein und ausschließlich mit militärischen Einsätzen schaffen können. Wir brauchen ein politisches Konzept. Ich weiß aus meiner Fraktion, dass es uns leichter fällt, die notwendigen Einsätze der Bundeswehr und deren Verlängerungen zu beschließen, wenn wir sehen, dass es über den Einsatz hinaus zu politischen Aktivitäten mit Perspektiven für das Land kommt. Deswegen bin ich Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, außerordentlich dankbar, dass Sie auch beim NATO-Gipfel in Riga jetzt so vehement auf dieses Thema eingehen. Ich weiß sehr wohl, dass es eine Diskussion - sie hat nicht ausschließlich etwas mit den Amerikanern zu tun darüber gibt, inwieweit die NATO ein Militärbündnis ist und inwieweit sie auch politische Aufgaben zu übernehmen hat. Aber wenn ich sehe, was gerade die Bundeswehr - dafür, Franz Josef Jung, herzlichen Dank - neben den eigentlichen militärischen Aufgaben tut, um das Land voranzubringen, dann muss ich sagen: Wenn es stimmt, dass nach einem militärischen Einsatz auch politische Konsequenzen folgen müssen, dann muss sich die NATO fragen, ob sie nicht auch dazu einen Beitrag leisten muss. Auf diesem Weg, Frau Bundeskanzlerin, unterstützen wir Sie nachhaltig. ({14}) All diese Fragen, die wir in der Innenpolitik sowie in der Außen- und Sicherheitspolitik miteinander besprechen, sind wichtig und von zentraler Bedeutung. Aber die größte Herausforderung, vor der wir stehen - wenn wir sie nicht bestehen, verlieren alle anderen Fragen an Bedeutung -, ist die Globalisierung in der Welt. Die Bundesregierung und die große Koalition stellen sich dieser Herausforderung. Wir wissen - so hat es Michael Stürmer vor wenigen Tagen bei einer Vorstellung seines neuen Buches „Welt ohne Weltordnung. Wer wird die Erde erben?“ gesagt -, dass die Globalisierung kein Mitleid hat. Aufstrebende Nationen mit einer jungen Altersstruktur drängen nach vorne. Deswegen wäre es die völlig falsche Botschaft, wenn wir sagen würden - das kann man manchmal von ganz links hören -: Wir müssten uns abschotten, wir müssten dichtmachen und schauen, dass wir intern vorankommen. Diese Defensivstrategie wird uns nicht zum Erfolg führen. Deshalb ist es richtig, dass wir in die Offensive gehen und sagen: Wir haben den Mut, diesen Wettbewerb anzunehmen. Wir trauen uns zu, diesen Wettbewerb zu gewinnen. Das ist die Botschaft. Wer keinen Mut hat und in die Defensive gedrängt wird, der wird diesen Wettbewerb nicht gewinnen. ({15}) Den Wettbewerb im Rahmen der Globalisierung werden wir natürlich nur dann gewinnen, wenn wir die Menschen mitnehmen. Es ist richtig, dass sich Menschen in unserem Land Sorgen machen, wie es mit ihnen weitergeht. Bis weit hinein in den Mittelstand machen sich Menschen Sorgen, ob sie ihren Arbeitsplatz behalten. Unsere Antwort darauf lautet: Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland ein System sozialer Absicherung, das seinesgleichen in der ganzen Welt sucht. Wir wollen trotzdem immer wieder neu überlegen, wie wir dieses System noch besser machen können. An dieser Stelle muss man auch einmal sagen: Fast 30 Milliarden Euro für Hartz IV sind kein Pappenstiel. Da kann niemand sagen, diese Republik sei nicht sozial. Diese Republik tut wirklich vieles, um denjenigen, die aus der Bahn geraten sind, zu helfen. Natürlich kann man immer mehr machen. Aber mehr machen kann man erst dann, wenn wieder mehr Geld in der Kasse ist. Deswegen ist der entscheidende Punkt: Wirklich sozial ist das, was Arbeit schafft. Denn Arbeit gibt den Menschen Perspektiven. ({16}) Herr Vizekanzler, es ist richtig, wie Sie auf diese Herausforderungen reagieren. Mit uns zusammen wollen Sie sich die Gruppen von besonders betroffenen Menschen anschauen. Beispielsweise haben es die über 50-Jährigen und die unter 25-Jährigen besonders schwer, Arbeit zu bekommen. Ich weiß, dass Sie sich in einer Diskussion über den Kombilohn befinden. Im nächsten Jahr wird es entsprechende Vorschläge geben. Das zeigt, die große Koalition lässt die Menschen in unserem Land, die Sorgen und Probleme haben, eben nicht allein und reagiert nicht mit alten Hüten, sondern sie reagiert mit neuen Instrumenten auf die Herausforderungen, um den Menschen in unserem Land zu helfen. ({17}) Die Globalisierung hat, wie gesagt, kein Mitleid. Deswegen müssen wir sie annehmen und den Menschen auch Mut machen. Denn nur derjenige, der den Menschen Mut macht, wird diesen Wettbewerb gewinnen. Ich will in diesem Zusammenhang auf ein zweites bemerkenswertes Buch hinweisen. Es handelt sich um ein Buch von Gabor Steingart, in dem diese Thesen ebenfalls enthalten sind. Es lohnt sich also bei Stürmer und Steingart einmal nachzulesen. Wie können wir die Globalisierung gewinnen? Wir brauchen eine dynamische Gesellschaft. Ob uns dies angesichts der Demografie in unserem Land gelingen wird, hängt davon ab, ob wir eine dynamische Jugend haben. Deswegen ist das, was die Regierungskoalition macht, völlig richtig. Sie setzt Zeichen, indem sie Ausbildungsmöglichkeiten für die junge Generation schafft. All das, was dank Annette Schavan in der Forschungsund Hochschulpolitik passiert, ist das richtige Signal im Wettbewerb im Rahmen der Globalisierung. ({18}) Eines der ganz ernsten Themen im Rahmen des Wettbewerbs innerhalb der Globalisierung betrifft - darauf hat die Bundeskanzlerin hingewiesen - die Frage der Energie. Wir müssen alles daransetzen, hier stärker voranzukommen. Wir müssen für mehr Unabhängigkeit von Energie sorgen. ({19}) Deshalb ist es richtig, dass wir Energie sparen und uns für eine bessere Energieeffizienz einsetzen. Es ist auch richtig, dass die Wirtschaft darüber nachdenkt, wie Produktionsverfahren energieeffizienter gestaltet werden können. Wir sind dafür, dass man die regenerativen Energien weiter fördert. Gerade vor dem Hintergrund des Klimagipfels und der klimatischen Probleme müssen wir im Rahmen der Energieversorgung einen Beitrag dazu leisten, dass wir weniger CO2 ausstoßen. Bei allem Sparen, bei allen regenerativen Energien vom Windrad bis zur Wasserkraft - das alles ist in Ordnung und sollte vor allem in der Region eingesetzt werden, wo dies möglich ist - dürfen wir uns selber und auch den Menschen keinen Sand in die Augen streuen. Das alles wird nicht ausreichen, um einer großen Industrienation im globalen Wettbewerb eine ausreichende Energieversorgung sicherzustellen. Ich kann nur sagen: Wenn wir das Problem des CO2-Ausstoßes ernst nehmen, dann dürfen wir nicht zulassen, dass bei der Energieerzeugung immer mehr CO2 ausgestoßen wird. ({20}) Dann müssen wir uns überlegen: Was können wir neben dem Einsatz von regenerativen Energien tun, um bei einem geringeren CO2-Ausstoß Energie zu erzeugen? Das wird das entscheidende Thema sein. ({21}) Herr Kollege Westerwelle, da Sie so platt ein Stichwort zugerufen haben, sage ich Ihnen: Das ganz Entscheidende ist - das wird auch in dieser großen Koalition ernst genommen -, dass wir wieder ohne ideologische Vorbehalte Energieforschung betreiben. Das geschieht und das wird unserem Land Zukunft bringen. ({22}) Lassen Sie mich im Zusammenhang mit der Globalisierung einen letzten Punkt ansprechen. Natürlich kommt es ganz entscheidend darauf an, dass wir zum einen denjenigen in unserem Land helfen, die von der Globalisierung betroffen sind, und zum anderen die vorhandenen Mittel einsetzen, um neue Chancen zu schaffen. Globalisierung heißt, die einen mitzunehmen, den anderen aber die Möglichkeit zu geben, etwas zu tun, sich im Wettbewerb zu bewähren. Erst wenn wir das richtig hinbekommen und geschafft haben und dann neue Arbeitsplätze geschaffen werden, werden wir den Wettbewerb gewinnen. Es wird nicht ausreichen - das können wir gar nicht schaffen -, mit immer mehr Geld nur den sozialen Status absichern zu wollen, ohne gleichzeitig darüber nachzudenken, wie wir im Wettbewerb für neue Arbeitsplätze sorgen. Da brauchen wir mehr Selbstständigkeit, mehr Freiheit, mehr Kreativität, all das, was die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung heute Morgen angesprochen hat. Es ist völlig klar, dass man angesichts dieser Herausforderungen eine starke und große Regierungskoalition braucht. Diese große Koalition kann nach dem ersten Jahr sagen: Wir haben etwas miteinander erreicht. Peter Struck hat es angesprochen: Fast 40 Jahre lang haben sich die beiden großen Volksparteien in vielen Wahlkämpfen politisch bekämpft. Gerade im letzten Wahlkampf haben wir uns nichts geschenkt; auch das sollte man einmal klar sagen. Dann haben wir das Wahlergebnis gesehen und uns war völlig klar, dass wir miteinander eine große Verantwortung tragen, dass es nicht mehr darum geht, ob nun CDU, CSU oder SPD in eine Regierung kommen, sondern darum, diesem Land eine gute Regierung zu stellen. ({23}) Da war die Zusammenarbeit zwischen den drei großen Volksparteien CDU, CSU und SPD ({24}) ohne Alternative. Jetzt muss ich sagen: Koalitionen brechen in aller Regel immer dann - dies ist auch vor dem Hintergrund der Geschichte klar -, wenn die handelnden Personen nicht mehr miteinander können. Über Sachfragen kann man reden. Da gibt es auch Punkte, bei denen man sich eingestehen muss, dass man nicht zusammenfindet. Wir haben jeder für sich in der großen Koalition unsere persönlichen und politischen Überzeugungen nicht aufgegeben, aber ich bin im Interesse unseres Landes dankbar, dass es gelungen ist, dass Peter Ramsauer und ich ein so gutes und vertrauensvolles Verhältnis zu Peter Struck haben. ({25}) Manche fragen: Wie ist denn das gelungen, ihr habt euch doch so bekämpft? Dazu kann ich nur sagen: Das, was wir vorleben, ist ein Beispiel dafür, wie wir auch in Zukunft Politik in der großen Koalition gestalten werden: Zuerst kommen die Menschen, dann kommt das Land, dann kommen die Parteien und ganz zum Schluss komme ich. Weil wir wissen, dass das so ist, überwinden wir manches, was uns über 40 Jahre hinweg getrennt hat. Wir geben unsere Grundüberzeugungen nicht auf, aber wir haben im Interesse unseres Landes in der Regierung und in der großen Koalition zusammengefunden. Dafür, Peter Struck, ein herzliches Dankeschön. ({26})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der FDP, Guido Westerwelle. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach der Anzeigenserie, die Sie als Bundesregierung am Montag auf Kosten der Steuerzahler in allen großen Blättern gestartet haben, war es zu erwarten, dass Sie den Versuch wagen würden, aus der Haushaltswoche eine Art Festspielwoche der Koalition zu machen. ({0}) Besonders bemerkenswert hat das der Kollege Kauder vorgemacht. Ihre Rede, Herr Kollege Kauder, kann man eigentlich wie folgt zusammenfassen: Erste Abteilung: Merkel ist die Größte. Zweite Abteilung: Ich mag Peter Struck. ({1}) Deswegen verstehe ich auch die Anmerkung von Herrn Struck in Ihre Richtung. Dass Sie der Bundeskanzlerin Blumen überreicht haben, war heute wichtig und unverzichtbar. Warum Sie ihm oder er Ihnen keine Blumen gebracht hat, hat der Kollege Struck folgendermaßen begründet: Sie schenken sich keine Blumen, sondern gehen lieber gemeinsam einen trinken. Das kann ich verstehen; denn nüchtern ist diese Lobhudelei nicht zu ertragen. ({2}) Diejenigen, die schon etwas länger im Deutschen Bundestag dabei sind, haben schon so manches Déjà-vuErlebnis gehabt. Die Bundeskanzlerin hat hier genauso wie in den Zeitungsanzeigen auf Kosten der Steuerzahler all das, was es an positiven Ereignissen in diesem Jahr in der Tat gegeben hat - vom Wirtschaftswachstum bis hin zur Fußballweltmeisterschaft -, für sich reklamiert. Ich glaube, Frau Bundeskanzlerin, dass der Erfolg der Fußballweltmeisterschaft völlig ohne Ihr Zutun zustande gekommen ist. Das ist allerdings in den Tagen der großen Koalition eine gewagte Behauptung. ({3}) Ich möchte Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, daran erinnern, dass wir das alles schon einmal vor sechs Jahren erlebt haben. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, die jetzigen Daten seien die besten Wirtschaftswachstumsdaten seit 2000. In großer Bescheidenheit haben Sie darauf aufmerksam gemacht, dass das eigentlich Ihr Verdienst sei. Der Altbundeskanzler, Gerhard Schröder, hat im Mai 2000, als er noch regierte und nicht Memoiren schrieb, in diesem Hohen Haus fast wortgleich dasselbe vorgetragen: Die Arbeitslosenzahlen sind im April dieses Jahres … um exakt 156 000 zurückgegangen. Wir sind unter der 4-Millionen-Grenze. Wir haben alle Chancen …, am Ende dieser Legislaturperiode weniger als 3,5 Millionen Arbeitslose zu haben. Anschließend hat er das als zentralen Erfolg seiner Regierung ausgegeben. Genau das ist die Gefahr, die mit der konjunkturellen Aufhellung verbunden ist. Ich fürchte, Sie glauben daran, dass Sie etwas mit dem Wirtschaftswachstum zu tun haben. ({4}) Ich fürchte, Sie glauben wirklich daran. ({5}) Das ist das Tragische in diesem Land; denn Politik beginnt mit der Wahrnehmung von Wirklichkeit. ({6}) Das Wirtschaftswachstum in Deutschland hat mit vielem etwas zu tun: in der Tat auch mit der Fußballweltmeisterschaft, vor allem aber mit der Weltwirtschaft und sogar mit dem milden Herbst. Ich sage Ihnen eines: Mit Ihnen, der Koalition, hat das zuallerletzt etwas zu tun. ({7}) Deswegen ist das Phänomen, dass man sich mit fremden Federn schmückt, zu Recht ein außerordentlich gefährliches. Wir wissen ja, wie das mit Schröder weitergegangen ist. Danach waren wir bei mehr als 5 Millionen Arbeitslosen, ({8}) weil Sie damals Ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Auch jetzt wiegen Sie sich in der Sicherheit einer trügerischen Ruhe und schmücken sich mit fremden Federn. Dazu hat der griechische Philosoph Äsop einmal ein wunderschönes Gleichnis aufgeschrieben: Eine eitle Krähe wollte schöner sein, als sie wirklich war, und zierte sich mit allerlei bunten Federn von anderen Vögeln … Allein um die Eitelkeit zu bestrafen …, ({9}) fielen diese über sie her und entrissen ihr nicht nur die geraubten Federn, sondern auch einen Teil ihrer eigenen. Armseliger wie vorher, stand sie nun wieder da … ({10}) Die Lehre ist: Prahle nie mit erborgtem Schimmer, Spott ist sonst dein Lohn. Was Schröder passiert ist, wird auch Ihnen passieren, wenn Sie so weitermachen, Frau Bundeskanzlerin. ({11}) Deswegen wollen wir in der Haushaltswoche einmal den Blick auf die Fakten lenken. Die Haushaltszahlen sind in dieser Woche der entscheidende Punkt. Man muss unserer Bevölkerung, unserem Volk eines noch einmal sehr deutlich machen: Wenn Sie in den Zeitungen lesen, verehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Regierung würde sparen, meint die Regierung Folgendes: Sie gibt in diesem Jahr 9 Milliarden Euro mehr Geld aus. So viel Geld wie im nächsten Jahr hat der Bund noch niemals in der Geschichte der Republik ausgegeben. Von Jahr zu Jahr mehr Geld auszugeben, ist jedoch das Gegenteil von Sparen! ({12}) Sie erläutern: Ja, aber es seien viele Investitionen getätigt worden. Von diesen 270 Milliarden Euro - das Haushaltsbuch ist ja bekanntermaßen das Schicksalsbuch unserer Nation - fließen nach Ihren eigenen Angaben gerade einmal - auch das muss man unserer Bevölkerung, den Mitbürgerinnen und Mitbürgern, sagen 24 Milliarden Euro, wohlgemerkt: von 270 Milliarden Euro Gesamtausgaben, in Investitionen. Dann wundern sich viele Bürger darüber, dass es zum Beispiel beim Straßenausbau nicht vorangeht, dass die Straßenzustände schlechter werden. Das alles sind Auswirkungen dessen. Die fleißigen Mitglieder des Haushaltsausschusses, die das viel besser beurteilen können, legen die entsprechenden Zahlen vor. Dann staunt man darüber, dass zum Beispiel der Etat für Investitionen in den Autobahnausbau zurückgeht. Das finde ich bemerkenswert vor dem Hintergrund dessen, was die Union in der Zeit, als sie noch in der Opposition war, immer über Infrastruktur gesagt hat. Mit Verlaub, ich hätte mir niemals vorstellen können, dass eine Regierung unter Beteiligung der Grünen mehr Geld für Autobahnen ausgibt als eine CDU-geführte Bundesregierung. ({13}) Neben dem niedrigen Investitionsanteil des Haushalts beläuft sich die Neuverschuldung auf fast 20 Milliarden Euro. Dafür wollen Sie dann auch noch gelobt werden. Das ist das Nächste. Sie wollen allen Ernstes dafür gelobt werden, dass Sie das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Art. 115 einhalten möchten. Sie wollen allen Ernstes dafür gelobt werden, dass Sie den Maastrichter Vertrag einhalten. ({14}) Wenn die Regierung Recht und Gesetz einhält, will sie dafür gelobt werden! Wenn das so weitergeht, werden die Bürger demnächst nur, weil sie sich rechtstreu verhalten, mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. ({15}) Das ist doch eine völlige Realitätsverdrängung. Dann muss die Bundeskanzlerin allen Ernstes auch noch ihr gestriges Geburtstagserlebnis anführen, das wir gemeinsam gehabt haben. Es war auch sehr schön beim Präsidenten des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Sie haben gesagt, man habe den Reden, die gestern Abend auf dem Geburtstagsempfang des ZDH gehalten wurden, entnehmen können - im Unterschied zu den Berichten der Damen und Herren Journalisten -, wie die Menschen in diesem Land die Realität sehen. Ich persönlich finde diese Realitätsverdrängung bemerkenswert; ich fürchte nur, dass das immer so weitergehen wird. Welche Reaktion erwarten Sie eigentlich vom Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, wenn Sie als Bundeskanzlerin ihm zum 65. Geburtstag gratulieren? Dass er in seinen Dankesworten über Sie herzieht? ({16}) Das können Sie doch nicht ernsthaft als Realität wahrnehmen. Geburtstagsreden werden jetzt schon zu Kronzeugen Ihrer Politik! Meine Güte, wo seid ihr angekommen? ({17}) Ich habe das mitbekommen. Ich war dabei und habe das selbst gehört. ({18}) - Herr Kollege, Sie haben völlig Recht, das ist mein Problem. Es ist gut, dass Sie mir das noch einmal gesagt haben. Vielen Dank dafür. ({19}) Kommen wir von der Schönfärberei zur Realität zurück. Gesamtstaatlich kommen über 20 Milliarden Euro mehr in die Kassen. Auf den Bund entfallen 9 Milliarden Euro. Statt dass Sie dieses Geld, wie übrigens angekündigt, in den Schuldenabbau stecken, ({20}) verteilen Sie es auf die verschiedensten Bereiche. Nur mit einem kleinen Teil, nämlich mit 2,4 Milliarden Euro, gehen Sie an den Abbau der Neuverschuldung heran. Mit anderen Worten: Obwohl Sie eine Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte beschließen - übrigens weil die SPD gegenüber ihren Wählern einen Wortbruch begeht -, obwohl Sie die Bürgerinnen und Bürger an allen möglichen Stellen stärker belasten, obwohl sie den Bürgern immer tiefer in die Tasche greifen und obwohl die Konjunktur endlich etwas anspringt, tilgen Sie die Schulden immer noch nicht in ausreichendem Maße, gehen Sie immer noch nicht an das heran, was man das Eingemachte der Politik nennt. Und warum? Weil die Politik einer großen Koalition in Wahrheit nur die Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners ist. Weil sie von widerstreitenden Interessen geprägt ist, kann daraus nichts Großes werden. ({21}) „Mehr Freiheit wagen!“ ist ein fabelhaftes Motto. Ich freue mich darüber, dass Sie nach den verschiedenen Mottiwechseln im Laufe des Jahres auf das zurückgreifen - back to the roots -, was Sie in der ersten Regierungserklärung gesagt haben. „Mehr Freiheit wagen!“ ist ein gutes Motto. Schauen wir aber einmal dahinter. Die Fakten sehen so aus: Die Subventionen des Bundes liegen auf einem ähnlich hohen Niveau wie im Jahr 2000. Die Steinkohlesubventionen werden nicht etwa gesenkt, sondern steigen im Haushalt, und zwar um 260 Millionen Euro. Auch Ihre Werbekampagne kostet Millionen. In diesem Haushalt sind übrigens auch Sachen zu finden, die man in der Öffentlichkeit gar nicht kennt. Wenn wir unsere 500 Streichungsvorschläge und Änderungsanträge im Bundestag präsentieren - gestern durften wir sie dankenswerterweise dem Herrn Finanzminister übergeben -, ({22}) dann heißt es jedes Mal - das ist der typische Regierungsreflex -, das sei unseriös. Wenn die Opposition etwas anderes will, ist das immer unseriös. Das geht nämlich gar nicht anders, als die Regierenden es den Menschen einreden wollen. Wollen wir doch einmal in der Bevölkerung fragen, zum Beispiel, ob sie der Meinung ist, dass wir in diesem Jahr wieder 60 Millionen Euro Entwicklungshilfe an China zahlen sollen. Das ist das Land, das zur Jahreswende Schlagzeilen damit gemacht hat, dass es jetzt den Weltraum erobern will. 300 Millionen Euro deutsche Steuergelder sind in den letzten drei oder vier Jahren nach China geflossen. Bezogen auf Weltwirtschaft und Globalisierung kann ich nur sagen - das adressiere ich auch an den Kollegen Kauder -: Wir sitzen längst nicht mehr auf dem hohen Ross der Zahler. Wir müssen begreifen, dass das konkurrierende Volkswirtschaften sind. China hat vor zwei Wochen mit den afrikanischen Ländern einen Entwicklungshilfegipfel durchgeführt und dort öffentlichkeitswirksam, mit Blick auf die afrikanische Öffentlichkeit, Gelder verteilt, nimmt aber von uns Entwicklungshilfegelder an. China macht uns beim Transrapid und bei den modernen Technologien in den Bereichen Weltraum und Luftfahrt Konkurrenz. Wir sind längst nicht mehr in der Situation, international Zahlemann und Söhne machen zu können. Wir müssen begreifen, dass das konkurrierende Volkswirtschaften sind. Jetzt sind diese Länder billiger. Ich sage Ihnen voraus, dass es nicht lange dauern wird, bis sie auch den Wettbewerb um die Qualität aufnehmen. Und dann machen wir lange Gesichter. Wer sich heute vor dem Wettbewerb mit Tschechien fürchtet, dem kann ich nur sagen: Zieht euch warm an, denn China, Indien und andere Volkswirtschaften kommen erst noch. Deswegen ist die Verdrängung von Realität für uns auch aus historischer Sicht so gefährlich. ({23}) „Mehr Freiheit wagen“, sagen Sie und beschließen nicht nur die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik, sondern - das ist übrigens Unfreiheit für Bürger - erhöhen auch die Beiträge für die Renten- und die Krankenversicherung. Das wird bei der Gesundheitsreform noch so weitergehen. Ich darf, an die Damen und Herren von der Koalition gerichtet, kurz zwei Bemerkungen zur Gesundheitsreform machen. Die erste richte ich an die Adresse der SPD, weil Sie immer meinen, dass es sich, wenn wir die Gesundheitsreform kritisieren, quasi nur um den Reflex der Opposition handelt. ({24}) Ihr ausgeschiedener Bundeskanzler hat den Gesundheitsfonds soeben als „bürokratisches Monstrum“ bezeichnet. Muss ausgerechnet ich in diesem Raum jetzt schon Schröder zitieren? ({25}) Ich muss wirklich sagen: Das sind doch Kronzeugen, an denen Sie nicht vorbeikommen. Herr Struck, das war einmal Ihr Bundeskanzler. Das letzte Jahr ist aber wohl schon lange her. ({26}) Meine Damen und Herren von der Unionsfraktion, Sie tun immer so, als müssten Sie das jetzt tun, als sei das zwangsläufig. Entschuldigen Sie einmal, ich fürchte, dass viele von Ihnen gar nicht wissen, worüber sie abstimmen werden. Lesen Sie einmal nach, was die Bundesgesundheitsministerin dazu sagt. Das ist wirklich außerordentlich spannend. Die Gesundheitsministerin sagt jetzt - nicht vor Monaten, sondern in dieser Woche über das, was Sie als Regierungskompromiss in der Gesundheitspolitik vereinbart haben, dass es nur der „Zwischenschritt“ zur Bürgerversicherung sei. Sagen wir es doch gleich: Das ist der Weg in die Zwangskasse. Das ist das Gegenteil von Wettbewerb und von Freiheit. Höhere Abgaben und schlechtere Leistungen - das ist Ihre Gesundheitsreform. ({27}) Der Gesundheitsfonds ist doch eine absurde Erfindung. Jetzt sollen zwei Bürokratien Beiträge einziehen und verwalten. Der Gesundheitsfonds soll Einheitsbeiträge einziehen und verwalten und auch die Krankenkassen müssen Beiträge einziehen und verwalten. Es wäre das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, dass zwei Bürokratien preiswerter sind als eine. ({28}) Sie rühmen sich mit dem, was Sie für den Mittelstand getan haben. Von den großen Überschüssen bei der Bundesagentur ist die Rede. Dabei verschweigen Sie etwas, was in meinen Augen unbedingt erwähnt werden muss. Sie loben den Mittelstand und verschweigen dabei, dass Sie, die Regierungsparteien, in diesem Jahr den Mittelstand nicht zwölf Mal - so wäre es anständig -, sondern 13 Mal mit den Sozialversicherungsbeiträgen belastet haben. Das war ein unverschämtes Abkassieren des Staates. In Wahrheit fördern Sie nicht den Mittelstand, sondern nehmen den Mittelstand als Kreditgeber für Ihre verfehlte Politik. Das ist nicht anständig. ({29}) Kommen wir zu dem, wie Sie dem Mittelstand wirklich geholfen haben. Ich lasse einmal weg, was bisher nur Ankündigungen sind. Wenn die Unternehmensteuerreform kommt und gut wird, werden wir da mitmachen, das ist gar keine Frage. ({30}) Aber wir werden das Kleingedruckte, insbesondere zur Gegenfinanzierung, abwarten. Wenn Sie die Erbschaftsteuer reformieren, werden wir mitmachen. Aber wir werden erst das Kleingedruckte lesen. Denn bisher sagt Ihr Regierungssprecher: Jedes Jahr muss man etwas weniger an Erbschaftsteuer zahlen und nach zehn Jahren ist man erbschaftsteuerfrei, allerdings unter der Voraussetzung, dass die Arbeitsplätze fortbestehen. Ich kenne keinen Mittelständler, der in der Lage ist, eine Arbeitsplatzgarantie für seine Belegschaft für die nächsten zehn Jahre abzugeben. Das ist gar nicht denkbar. ({31}) Jetzt kommen wir einmal zu dem, was Sie bereits beschlossen haben. Das andere sind ja Eckpunkte. Sie wollen für Eckpunkte gelobt werden. Bei der Unternehmensteuerreform rudert die SPD interessanterweise übrigens schon wieder zurück. ({32}) Zu dem, was schon in Kraft gesetzt wurde, ist in den Anzeigen nichts zu finden. Dabei ist das doch Ihre Erfolgsbilanz. Zum Beispiel auf das Antidiskriminierungsgesetz sind Sie doch stolz oder etwa nicht, meine Damen und Herren von der Unionsfraktion? Daran habe ich gar keinen Zweifel. Nur: Die, die geschützt werden sollen, werden in Wahrheit benachteiligt. Denn lassen Sie uns nun jenseits von Geburtstagen über die Realität reden. ({33}) - Ach, Herr Kauder, hören Sie doch auf. - Jetzt komme ich auf das zu sprechen, was von Ihnen beschlossen worden ist; denn das ist die Realität. ({34}) Frau Zypries kann stolz auf sich sein; denn sie hat Geschichte geschrieben. An deutschen Universitäten werden mittlerweile Seminararbeiten zum Thema „Kann sich ein Student einen Seniorenteller einklagen?“ geschrieben. ({35}) Das ist wirklich spannend. Der Vorstandsvorsitzende eines großen deutschen Luftfahrtunternehmens hat neulich gesagt: Da möchte ich eine schöne Flugbegleitung einstellen und lande letztlich bei Herrn Glos. ({36}) - Dass Sie von den Grünen sich darüber freuen, ist mir klar. Dass das mit gesundem Menschenverstand aber nichts mehr zu tun hat, ist Ihnen leider nicht klar. ({37}) Falls Sie meinen, all das, was ich gerade gesagt habe, sei Realsatire, sage ich Ihnen: Das stimmt. Da Herr Kauder vorhin von seinen Begegnungen mit jungen Frauen berichtet hat, ({38}) komme ich jetzt auf einen Brief zu sprechen, der mir von einem jungen Mann geschrieben worden ist. ({39}) - Auch das macht Freude. - In einer Anzeige, die in dieser Woche von zwei Anwälten für Arbeitsrecht im „Harzkurier“ inseriert wurde, ({40}) heißt es: Seit dem 18. August 2006 ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft. Damit ergeben sich völlig neue Grundlagen im Hinblick auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld aufgrund von Diskriminierung. Denn egal, ob erfolglose Bewerbungen, abgelehnte Gehaltserhöhungen oder Beförderungen: Die Liste der Klagemöglichkeiten ist schier grenzenlos. - Die Folgen Ihrer Politik für den Mittelstand sind mehr Bürokratie und mehr Unfreiheit. Mit Ihrem Motto „Mehr Freiheit wagen“ hat das aber nichts zu tun. ({41}) Um die Öffentlichkeit über den weiteren Ablauf zu informieren, weise ich darauf hin, dass wir heute Mittag eine ausführliche Debatte zur Außenpolitik führen werden. Herr Kollege Steinmeier ist im Augenblick noch nicht anwesend. Aber damit das klar ist, sage ich: Selbstverständlich werden wir in der Bilanz Ihrer Regierungszeit anerkennen, was Sie in Ihrer Außenpolitik Gutes getan haben. Das werden der Kollege Hoyer und andere, wenn wir diese Diskussion heute Mittag führen, tun. Daher kann ich mich nun auf die Innen- und Wirtschaftspolitik konzentrieren. Es wird also noch eine außenpolitische Debatte folgen, und zwar direkt im Anschluss an die Diskussion über diesen Einzelplan. Zur Realität in Deutschland gehört, dass eine Diskussion über angeblich gefährliche Heuschrecken geführt wird, und dass Kollege Beck eine, wie ich finde, außerordentlich ernst zu nehmende und wichtige Debatte über die so genannte Unterschicht angestoßen hat. Das Ergebnis dieser Debatte ist erschreckend: Wir stecken immer mehr Geld in unseren Sozialstaat und in die Umverteilung, aber es kommt immer weniger bei den Bedürftigen an. ({42}) Die mangelnde Treffsicherheit unseres Sozialstaates muss unser Thema sein. Allerdings sollten wir uns auch einem anderen Thema verstärkt zuwenden. Über Heuschrecken und die so genannte Unterschicht zu reden, ist das eine. Dabei vergessen Sie aber eines: die Mittelschicht. Gerade dazu müssten Sie sich in diesem Hohen Hause äußern. Die Regierung kümmert sich um alles Mögliche, aber um diejenigen, die morgens aufstehen, statt liegen zu bleiben, die hart arbeiten und all die Steuermittel erwirtschaften, über deren Verteilung wir im Deutschen Bundestag diskutieren, kümmert sie sich nicht mehr. ({43}) Frau Bundeskanzlerin, alles in allem haben Sie und Ihre Koalition heute nach dem Motto gehandelt: Wenn einen niemand lobt, muss man sich selbst loben. Das mag bei den Kolleginnen und Kollegen in Ihrer Koalition für gute Stimmung sorgen. ({44}) Frau Bundeskanzlerin - ich habe gar keinen Zweifel daran, dass Sie Ihren Geburtstag feierlich begehen werden; Blumen haben Sie ja schon bekommen und auch Herr Kauder und Herr Struck werden noch ein Getränk zu sich nehmen -, ({45}) Sie mögen das erste Jahr Ihrer Koalition feiern. ({46}) Aber den Bürgern ist in Anbetracht von lauter Mehrbelastungen nicht zum Feiern zumute. ({47})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Carsten Schneider von der SPD-Fraktion. ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Westerwelle, wenn man Ihre Rede verfolgt hat, musste man den Eindruck gewinnen, wir befänden uns schon in der Hoch-Zeit des Karnevals - dabei stehen wir erst am Beginn. ({0}) Sie haben den Mut gehabt, auch auf ein paar Sachpunkte einzugehen. Dass allerdings wir als große Koalition Lob von Ihrer Seite bekommen, in dieser Erwartungshaltung bin ich heute Morgen nicht hierher gekommen und ich bin darin auch nicht enttäuscht worden. ({1}) Wir diskutieren hier nicht nur über ein Jahr große Koalition, sondern auch über ihre Grundlagen. Vorhin hat ein Redner gesagt, dass der Haushalt dafür das Schicksalsbuch ist. Ich glaube, dass diese große Koalition sich sehr viel vorgenommen hat. Gerade im Finanzbereich war es am schwersten, waren die Herausforderungen am größten. Allerdings haben sich dort auch die Erfolge am schnellsten eingestellt. Sehen Sie es mir nach, dass ich das auch in der Kontinuität der Zugehörigkeit der SPD zur Regierung begründet sehe und darin, dass der Bundesfinanzminister immer noch von der SPD gestellt wird und Peer Steinbrück heißt. Carsten Schneider ({2}) Es ist uns gelungen, das Ziel, das wir für 2009 hatten - das strukturelle Defizit zu halbieren -, bereits in diesem Jahr zu erreichen. ({3}) Das strukturelle Defizit des Bundes lag bei 60 Milliarden Euro. Wir haben nun eine Nettokreditaufnahme, die bei 19,5 Milliarden Euro liegt. Wenn man die Privatisierungserlöse hinzurechnet, liegen wir etwa bei 30 Milliarden Euro. Dies ist ein Erfolg, der so schnell nicht zu erwarten war und über den ich sehr froh bin. Ich bin der Meinung, dass wir insbesondere deswegen nicht in Sack und Asche gehen müssen, sondern stolz darauf sein können. Denn eine solide Finanzpolitik ist die Grundlage allen Handelns: für Vertrauen der Bevölkerung und der Wirtschaft und dafür, dass wir uns - was mir als Sozialdemokrat besonders wichtig ist - Chancengerechtigkeit und sozialen Ausgleich leisten können. Dies wird nur gehen, wenn wir die enormen Zinszahlungen - in diesem Jahr gut 38 Milliarden Euro - senken. Das wird nur gelingen, wenn wir tatsächlich einmal in eine Phase der Tilgung einsteigen. Die Vorschläge, die von der Opposition gekommen sind, sind dafür nicht geeignet. Mir ist bis heute nicht klar, Herr Westerwelle: Sind Sie eigentlich gegen die Mehrwertsteuererhöhung als Ganzes - gegen alle drei Prozentpunkte - oder nur gegen einen? Gestimmt haben Sie gegen alle drei Prozentpunkte. Wofür sind Sie nun? Ein Prozent? ({4}) - Gut, null. Aber dann wäre der durchlaufende Posten, der 2007 zu einer Ausweitung der Ausgaben des Bundes führt, nämlich die 7 Milliarden Euro zur Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung, nicht möglich, wie Sie wissen. ({5}) Die vorgesehene Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung auf 4,2 Prozent wäre dann nicht möglich. Sie ist nur möglich - die Bundeskanzlerin hat das vorhin vorgetragen - durch die Reformen der Agenda 2010, durch die bessere konjunkturelle Entwicklung und dadurch, dass wir die Arbeitslosenversicherung mit einem Zuschuss von 7 Milliarden Euro aus Steuermitteln unterstützen. Dies führt dazu, dass wir ein Ausgabenwachstum haben. Real, bereinigt um diesen Posten, beträgt das Ausgabenwachstum des Bundeshaushaltes 0,9 Prozent. ({6}) Die Inflationsrate liegt höher. Das heißt, Herr Westerwelle, real geben wir sogar weniger aus, trotz der Risiken, die wir zusätzlich abzusichern hatten und zu denen ich noch kommen werde. ({7}) Ich kann bei Ihnen keine Linie erkennen. Sie haben im Haushaltsausschuss Anträge gestellt mit einem Kürzungsvolumen von 8 Milliarden Euro. Doch wenn man sie genau betrachtet, muss man feststellen, dass diese Anträge keine Substanz haben. Sie haben nämlich zustimmt, dass wir die Kommunen bei den Kosten für die Unterkunft von ALG-II-Empfängern um 2,3 Milliarden Euro entlasten, um sie in die Lage zu versetzen, Kindertageseinrichtungen zu finanzieren; das ist mehr, als wir ursprünglich geplant haben. Sie haben auch dem geringeren Aussteuerungsbetrag - 1,1 Milliarden Euro weniger - zugestimmt. Das muss man von Ihren Vorschlägen schon wieder abziehen. Dann noch zu einigen Ihrer Kürzungsvorschläge: Sie schlagen vor, die Steinkohlensubventionen um 600 Millionen Euro zu reduzieren - wohl wissend, dass es rechtskräftige Bescheide gibt, dass wir diese Summen zahlen müssen. Außerdem gibt es keine andere Subvention im Bundeshaushalt, die so stark degressiv angelegt ist, die sich in einem solchen Sinkflug befindet wie diese. Und, das finde ich besonders perfide, Sie wollen die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik - um 2,5 Milliarden Euro senken, also dort, wo insbesondere denjenigen geholfen werden soll, die es am nötigsten haben, dass wir sie nicht nur fordern, sondern auch fördern; Sie haben hier von „Unterschicht“ gesprochen, was ich mir nicht zu Eigen machen will. Das ist übrigens fast die Hälfte der Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik. ({8}) Ich kann für die Koalition und vor allem für die SPD sagen, dass wir eine solche Politik nicht mitmachen. Deshalb trägt dieser Haushalt auch nicht Ihre, sondern unsere Handschrift. Und das ist auch gut so. Sie haben die Steuermehreinnahmen für den Bund in Höhe von 8 Milliarden Euro angesprochen. Man muss das aufklären und kann das nicht so stehen lassen: 2 Milliarden Euro davon waren im Bundeshaushalt bereits eingeplant, also vorweg etatisiert, weil absehbar war, dass die Steuerschätzung im November ein besseres Ergebnis als die Steuerschätzung im Mai - der Haushalt wurde erst im Juni beschlossen - bringen würde. Wir sind darin bestätigt worden. Von diesen 8 Milliarden Euro müssen Sie Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft und die Mittel des Eingliederungstitels abziehen. Somit bleiben genau 2,4 Milliarden Euro übrig. Sie haben wir genutzt, um die Nettokreditaufnahme auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung zu senken. Ich glaube, das ist ein sehr großer und sehr schöner Erfolg, auf den wir stolz sein können. Nachdem ein Großteil der Verschuldung in Ihrer Regierungszeit entstanden ist - wir alle sind nicht frei davon, aber Sie haben den größten Teil zu verantworten -, hätte es Ihnen gut angestanden, wenn Sie von der FDP das einmal anerkannt hätten. Aber gut, das war nicht zu erwarten. ({9}) Ich glaube, die große Koalition ist sowohl in der Wirtschafts- als auch in der Finanzpolitik auf dem richtigen Weg. Carsten Schneider ({10}) Angesichts der guten konjunkturellen Situation sehe ich die Herausforderung, dass wir im Jahre 2008 nicht bei einer Neuverschuldung von 19,5 Milliarden Euro verbleiben können. ({11}) Die mittelfristige Finanzplanung, die diesem Haushalt zugrunde liegt, muss deutlich nach unten korrigiert werden. Das heißt, dass wir gerade die Zeiten eines guten wirtschaftlichen Wachstums, in denen wir uns gerade befinden - die Zahl der Arbeitslosen ist um 500 000 zurückgegangen, eine viertel Million Menschen mehr sind in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen -, nutzen müssen, um stärker zu konsolidieren. Das ist nicht nur eine Aufgabe für 2007, sondern das ist eine Aufgabe für die gesamte Regierungsperiode bis 2009. Das ist auch nicht nur eine Aufgabe des Bundesfinanzministers, sondern das ist eine Aufgabe des gesamten Kabinetts. ({12}) Die Koalition muss sich im Frühjahr damit noch einmal befassen; denn mit dem, was der Planung bisher zugrunde liegt, werden wir dem nicht gerecht. Bei den Kosten der Unterkunft gibt es Mehrausgaben. Das setzt sich bis 2010 fort. ({13}) Daneben gibt es unbeantwortete Fragen in der Gesundheitspolitik. Frau Bundeskanzlerin, ich erwarte natürlich, dass es eine saubere Gegenfinanzierung für die Mehrausgaben im Gesundheitsbereich geben wird. Das Geld darf nicht einfach nur verteilt werden, sodass der Bundesfinanzminister am Ende schauen muss, wo es herkommt. Ich glaube, dieses Spiel kann man sich in der Koalition nicht leisten. ({14}) Ich bin mir sicher, dass uns dies gemeinsam gelingen wird. Das alles findet natürlich nicht im luftleeren Raum statt. Man muss sich auch einmal genau anschauen, wo die durch die Konjunktur bedingten Steuermehreinnahmen, die wir in diesem Jahr haben, herkommen. Es geht vor allem um die Körperschaftsteuer, über die Herr Gysi vorhin hergezogen ist, indem er gesagt hat, sie sei ja so niedrig. Er ist jetzt nicht mehr da, vielleicht können Sie ihm das mitteilen: Im Jahre 2005 war der Ertrag höher als im Jahre 2000, also in der Boomphase, obwohl wir die Nominalsätze in vielen Bereichen gesenkt haben. Von daher bin ich sehr zuversichtlich, dass uns bei der Unternehmensteuerreform das Gleiche gelingen wird, nämlich ein wettbewerbsfähiges Steuersystem zu schaffen, das dazu führt, dass gerechterweise alle Unternehmen Steuern zahlen. Neben der Entlastung für die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen, die von der Senkung des Eingangssteuersatzes besonders profitiert haben, sehe ich insbesondere auch bei den Unternehmen des Mittelstandes, die hier heute ebenfalls angesprochen wurden - auch von Ihnen, Herr Westerwelle -, eine besondere Entlastung. Die Besteuerung ist von durchschnittlich 25 Prozent auf 19 Prozent heruntergegangen. Das ist ein Erfolg dieser Regierung. Schauen Sie sich die Körperschaftsteuerentwicklung in diesem Jahr an und stellen Sie sich die Frage, wo der Aufschwung und die Steuermehreinnahmen eigentlich herkommen. Man muss dabei wissen, dass die Isteingänge im Jahre 2006 auf den Steuerbescheiden von 2004 und 2005 beruhen. Zum einen gab es große Nachzahlungen und zum anderen fanden Anpassungen der Vorauszahlungen statt. Von daher kann man durchaus zu Recht feststellen: Es ist ein Verdienst der rot-grünen Regierung Schröder, dass uns heute diese Steuereinnahmen zur Verfügung stehen. ({15}) Ich hoffe, dass die konjunkturbedingten Einnahmen von Dauer sind. Ich bin mir da nicht so sicher, aber ich hoffe, dass es in diesem Land wirtschaftlich weiter bergauf geht. Sie haben in einem Punkt Recht, Herr Westerwelle: Wir sind nicht allein für diesen Aufschwung verantwortlich. Wir sind aber auch nicht ganz schuldlos daran. Trotzdem sind wir auch von der weltwirtschaftlichen Entwicklung abhängig. Wir bewegen uns derzeit in einem sehr guten Umfeld: Der Haushalt 2007 geht von einem Wachstum von 1,4 Prozent aus. Die Auguren meinen, dass es wahrscheinlich noch höher ausfallen wird; sie gehen von 1,8 Prozent oder sogar etwas mehr aus. Ich hoffe, dass sich das bewahrheitet und dass die Entwicklung der Rohölpreise dem nicht entgegensteht, dass die amerikanische Wirtschaft eine sanfte Landung schafft und dass die Europäische Zentralbank und die amerikanische Notenbank neben der Geldwertstabilität noch andere Punkte im Blick behalten und somit diesen Kurs unterstützen. Wenn ich das alles Revue passieren lasse, dann meine ich, dass wir sehr gut mit dem leben können, was die Koalition im ersten Jahr erreicht hat. In dem Etat sind das Elterngeld und die Ost-West-Angleichung der Regelsätze beim ALG II abgebildet. Beides hat die SPD durchgesetzt. Daneben gibt es auch viele Punkte, die die Union durchgesetzt hat. Alles in allem ergibt das einen bunten Strauß, der Klarheit und Farbe aufweist und einen Blick auf die Zukunft dieses Landes gestattet. Ich bin zuversichtlich, dass uns auch im nächsten Jahr ein erfolgreicher Haushalt gelingen wird und wir Ihnen weiter zu Ihrer Amtszeit gratulieren können, Frau Bundeskanzlerin. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Lukrezia Jochimsen von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Da ich nur drei Minuten Redezeit habe, ({0}) spare ich mir das Lob für den Kulturstaatsminister zur Aufstockung seines Etats und auch die Details unserer Forderungen. Wir wollen nämlich 10 Millionen Euro mehr für die Produktionsförderung des nationalen Films und 480 000 Euro mehr für die Stiftung für das sorbische Volk. Ich gehe stattdessen gleich grundsätzlich auf den Stellenwert der Kultur nach einem Jahr der neuen Regierung ein. Dabei fällt nämlich ein Widerspruch auf. Wir hören immer wieder, dass die Kultur ein wichtiges Anliegen darstellt. Aber wie kommt es dann, dass Kinder und Jugendliche immer weniger Zugang zu Sprache, Musik, Malerei, kurz: den Gestaltungsmöglichkeiten in allen musischen Feldern und vorhandenen Medien haben, unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern? Sehen Sie denn nicht die zunehmende kulturelle Verarmung und Verrohung unserer Kinder und Jugendlichen? Bedenken Sie nicht den schrecklich hohen Preis, den wir alle dafür zahlen? ({1}) Um dem Anliegen Kultur gerecht zu werden, müsste es Kinderkulturhäuser als Anlaufstätten gerade für die vernachlässigten Heranwachsenden geben. Wir fordern deshalb 1 Milliarde Euro für ein Programm „Kultur für Kinder“. Ein solches Programm ist dringend notwendig. Nach der Föderalismusreform muss neu überlegt werden, wie das Anliegen kultureller Bildung im Zusammenwirken von Bund, Ländern und Kommunen gefördert werden kann. Das kann nicht unmöglich sein. ({2}) Wenn Kultur wirklich ein Anliegen der Regierung ist, dann muss sie unseren Kindern endlich wieder vermittelt werden, zum Beispiel wie in den armen Zeiten nach Kriegsende, als es um den Aufbau unserer Demokratie ging. Heute geht es um den Erhalt unserer Demokratie. Bitte denken Sie in diesem Zusammenhang daran. Nun weg vom Geld. Das Anliegen Kultur wirft auch die Frage nach dem Staatsziel Kultur als Signal, Verpflichtung und Appell an unser kulturelles Bewusstsein in dem Sinne auf, in dem die Bundeskanzlerin davon sprach, dass wir eine Kulturnation seien. 2005 hat die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ die Aufnahme der Kultur als Staatsziel in das Grundgesetz empfohlen. Seit Anfang 2006 hängt ein entsprechender Antrag im parlamentarischen Räderwerk dieses Hauses fest. Nun sollen auf einmal Kultur und Sport als Staatsziele in der Verfassung verankert werden. Die Erpressung macht die Runde, das eine komme nur zusammen mit dem anderen. Sieht so das wichtige Anliegen Kultur der Bundesregierung, die „Kulturnation Deutschland“ aus: Sport und Kultur als gefälliger, populärer Mix, das heißt, einen Bestandteil der Kultur, der wichtig und spannend sowie kommerziell erfolgreich ist, mit dem Unikat einfach zusammenzukoppeln, als ginge dies, als wäre das nicht prinzipiell zweierlei? Anliegen Kultur der Regierung nach einem Jahr: Ich bitte Sie! Lassen Sie sich beim Wort nehmen! Staatsziel Kultur als Unikat in die Verfassung und ein großes Kulturprogramm für Kinder, das wäre etwas. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Katrin GöringEckardt vom Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich mir die heutige Debatte anschaue, dann drängt es mich, etwas zu einem Punkt zu sagen, der im weiteren Sinne mit Kultur zu tun hat, nämlich zur demokratischen Kultur. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, Sie haben gesagt, wir seien gar nicht so schlecht, wie immer behauptet werde. Das sehen Sie so. Aber wir sehen es anders. Das eigentliche Problem ist - das muss man Ihnen am allermeisten vorwerfen -, dass Sie keine Ideen und Visionen haben, aus denen hervorgeht, wie dieses Land in zehn, 15 oder 20 Jahren aussehen soll, und für die Sie die Menschen begeistern wollen. Ich glaube, das ist das eigentliche Versäumnis, über das geredet werden muss. Es zeigt sich in den Umfragen betreffend die Zustimmung zur Demokratie. Nicht nur die Umfragewerte für die beiden großen Volksparteien sind gesunken, sondern auch die Zustimmung zur Demokratie an sich hat drastisch abgenommen. Das macht mich mindestens genauso unsicher und besorgt im Hinblick auf die Zukunft wie die hohen Arbeitslosenzahlen. Sie müssen das ernster nehmen. Gerade wenn wir über den Rechtsradikalismus reden, dürfen wir nicht vergessen, dass Programme wie CIVITAS und ENTIMON wichtig sind. Aber ob wir in der Lage sind, die Menschen für die Demokratie zu begeistern, ist mindestens genauso entscheidend. ({0}) Sie müssen an einer Stelle besonders darauf achten, worum es geht. Es ist sicherlich richtig, eine Politik zu machen, bei der man alles im Blick hat und beispielsweise solche Gruppen wie die über 50-Jährigen und die unter 25-Jährigen besonders herausstellt. Die entscheidende Frage ist aber, ob man sich um diejenigen am meisten kümmert, denen es in unserer Gesellschaft am schlechtesten geht und die es am schwersten haben. Das ist ein Maßstab für eine gute Politik in unserem Land. ({1}) Wenn Sie das wollen, dann müssen Sie sich mehr um die Langzeitarbeitslosen und die Kinder kümmern, die in Deutschland dauerhaft in Armut leben, und zwar nicht erst seit gestern. Hier geht es um den Zugang zu Bildung. Damit bin ich wieder bei der Kultur; denn es geht um die Möglichkeit, die eigenen Talente zu entdecken, und zwar unabhängig vom Geldbeutel der Eltern und von ihren Fähigkeiten, die eigenen Kinder zu fördern. Dem steht ein massiver Kulturabbau an ganz vielen Stellen entgegen - Thüringen ist hierfür ein Beispiel -, genauso wie ein Laisser-faire-Umgang mit Kultur, wie wir ihn gerade in unserer Bundeshauptstadt erleben. Denken Sie nur daran, wie in Berlin mit den Opernhäusern umgegangen wurde! Ich bin überzeugt, dass der Rücktritt von Herrn Schindhelm ein Alarmsignal ist. Aber darum geht es nicht allein. Das ist nur das, was wir in den bundesweiten Medien sehen. Wenn wir uns im Land umschauen, sehen wir, dass sehr viele Kulturinstitutionen nur noch deswegen überleben, weil sie mindestens die Hälfte der regulären Jobs, die sie zu vergeben haben, beispielsweise durch 1-Euro-Jobs ersetzen. Dadurch verbauen wir unseren Kindern und Jugendlichen Zugänge und dadurch geraten wir in eine ganz schwierige gesellschaftliche Situation, was auch mit der Kultur der Demokratie zu tun hat. Es geht nicht allein um das kulturelle Erbe, sondern es geht um die Zukunft unserer Kinder. ({2}) Wenn wir darüber sprechen, müssen wir die soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler in unserem Land im Blick haben. Das will ich heute nur als Stichwort sagen. Ich hoffe sehr, dass wir in dieser Hinsicht mit den Koalitionsfraktionen gemeinsam vorankommen; denn ich habe den Eindruck, dass sich im letzten halben Jahr bzw. dreiviertel Jahr etwas getan hat, was das Wahrnehmen der sozialen Situation von Künstlerinnen und Künstlern angeht. Es dürfen aber nicht immer nur die Großen sein, sondern es muss um die Kleinen gehen, um diejenigen, die in den Regionen unseres Landes ganz besonders kreativ sind. ({3}) Ein Punkt, der mich verunsichert, auch wenn es um demokratische Kultur geht, muss heute angesprochen werden. Sie haben ganz am Ende der Haushaltsberatungen 750 000 Euro für das „sichtbare Zeichen“ eingestellt, das Sie auch im Koalitionsvertrag verankert haben. Ich habe das Gefühl, dass das nicht ein sichtbares Zeichen ist, sondern eher ein seltsames Ding mit sehr verschwommenen Konturen. ({4}) Wir wüssten schon sehr gerne, was Sie eigentlich vorhaben und was Sie damit meinen. Ist das jetzt das sichtbare Zeichen, das sich Frau Steinbach wünscht? Ist es irgendeine Ausstellung? Ist es etwas ganz anderes? Wenn Sie, Herr Kulturstaatsminister, die Summe tatsächlich in diesem Haushalt einstellen, dann verlangen wir von Ihnen, dass Sie uns mitteilen, worum es dabei eigentlich geht. ({5}) Ich glaube, dass wir nicht die Einzigen sind, die das verlangen. Wir haben viele Diskussionen mit unseren polnischen Nachbarn und mit anderen Nachbarn über dieses Thema gehabt. Ich finde, auch sie haben verdammt noch einmal das Recht, zu wissen, was Deutschland in dieser Hinsicht eigentlich will. Das müssen Sie auf den Tisch legen. Das müssen Sie sagen, schon allein um die Verunsicherung, die es international gegeben hat, nicht noch weiter zu erhöhen. Sie tun uns allen damit keinen Gefallen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Eduard Oswald von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wahr: Richtiges und Wahres muss man immer wiederholen. Man kann es nicht oft genug sagen: Unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel und die von ihr geführte Bundesregierung haben in diesem Jahr eine ausgezeichnete Arbeit geleistet. ({0}) Angela Merkel hat heute eine überzeugende Bilanz mit guten Daten für Deutschland vorgelegt. Volker Kauder und Peter Struck haben in ihren Reden unterstrichen: Die Koalition wird diesen Weg weitergehen und das Notwendige und Richtige für unser Land tun. Die Arbeit war erfolgreich. Die Arbeitslosenzahl hat sich im Vergleich zum Vorjahr um nahezu eine halbe Million reduziert. Wenn der Einzelne beobachtet, dass sich die Situation in seinem Umfeld verändert, dass sein Nachbar eine Arbeitsstelle findet oder sein Sohn bei der Lehrstellensuche erfolgreich war, dann wird die Stimmung schon bald die viel bessere Lage widerspiegeln. ({1}) Die Koalition ist angetreten, um die großen Herausforderungen unserer Zeit anzunehmen: Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, demografischer Wandel und Veränderungsdruck der Globalisierung. Es ist die Chance dieser Koalition, dies auch zu tun. Wir wissen, dass man auf dem Weg durch das politische Leben nicht immer den Wind im Rücken haben kann. Trotzdem müssen wir Kurs halten und im Interesse unseres Landes das Notwendige tun. ({2}) Wir haben die richtigen Weichenstellungen vorgenommen: Wir stärken Familien durch das Elterngeld. Wir machen die sozialen Systeme stabil. Wir haben die BeEduard Oswald dingungen verbessert, um in Sicherheit zu leben. Wir bauen die Infrastruktur in Deutschland aus. Wir sorgen für neuen Schwung bei Forschung und Technologie. Horst Seehofer ordnet die Agrarpolitik neu und gibt den ländlichen Räumen Perspektive. ({3}) Sie werden doch verstehen, dass ich als CSU-Politiker die CSU-Minister in besonderer Weise lobe und würdige. Sanieren, investieren und reformieren - die Kanzlerin hat es angesprochen -: Mit diesem mutigen Dreischritt wurden gesetzgeberische Maßnahmen verabschiedet. Mit der Föderalismusreform, der Haushaltssanierung und der Gesundheitsreform hat diese Koalition schwergewichtige Themen angepackt und zu Lösungen geführt. Die ersten Erfolge sind für jedermann sichtbar und weitere werden folgen. Wenn ich als ersten Erfolg das Wirtschaftswachstum nenne, dann gilt natürlich das, was Ludwig Erhard gesagt hat: Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts. ({4}) Die Konjunkturprognosen sind für das laufende und auch für das kommende Jahr sehr erfreulich. Auch im nächsten Jahr bleiben die Wachstumskräfte trotz der notwendigen Mehrwertsteuererhöhung intakt. Investoren und Verbraucher blicken wieder optimistisch in die Zukunft. Die kräftige Zunahme der Investitionen ist doch Ausdruck des Vertrauens in den Kurs der Koalition, auch wenn die Opposition das bestreitet. ({5}) Der zweite Erfolg zeigt sich auf dem Arbeitsmarkt. Der konjunkturelle Aufschwung hat auch die Binnenwirtschaft, also die privaten Investitionen und den Arbeitsmarkt, erfasst. Die Arbeitslosenquote sinkt auf den tiefsten Stand seit vier Jahren und wir liegen endlich wieder unter 10 Prozent. Natürlich wissen wir: Jeder Arbeitslose ist einer zu viel. Wir wollen jedem dabei helfen, dass er wieder Arbeit findet. Auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen nimmt werktäglich um über 1 000 zu. Darum geht es doch. Das ist eine echte Wende und wir werden auch im kommenden Jahr einen weiteren Aufwärtstrend haben. Der Aufschwung besitzt mittlerweile - das ist für uns das Wichtige - ein breites Fundament. ({6}) Wir werden den Beitrag für die Arbeitslosenversicherung noch stärker senken, als wir geplant hatten. Damit sinkt die Abgabenbelastung. Den Arbeitnehmern und Arbeitgebern stehen im kommenden Jahr 17 Milliarden Euro mehr zur Verfügung. Die Chancen der Menschen auf Arbeit werden erhöht. An dieser Stelle danke ich auch den Tarifpartnern für ihr verantwortungsvolles Handeln. ({7}) Der dritte Erfolg ist der Bundeshaushalt. Ich sage noch einmal - was gut ist, muss man immer wieder sagen -: Mit einer Nettokreditaufnahme von 19,5 Milliarden Euro werden wir den Haushalt 2007 beschließen. Dies ist die niedrigste Neuverschuldung seit der Wiedervereinigung. Dennoch muss uns allen bewusst sein, dass dies erst der Einstieg in die Sanierung ist. Weitere Schritte müssen folgen; ({8}) denn ein konsolidierter Haushalt ist und bleibt eine wichtige Voraussetzung für einen handlungsfähigen Staat und ist eine moralische Verpflichtung für die Handlungsfreiheit kommender Generationen. ({9}) Also soll niemand glauben, wir seien bereits über den Berg. Deutschland hat noch 1 500 Milliarden Euro Schulden und wir haben noch nicht einmal mit dem Abtragen dieses Berges begonnen. Er wird jetzt aber langsamer höher als bisher. Es muss klar sein: Nur wohlgeordnete öffentliche Finanzen ermöglichen eine gute wirtschaftliche Entwicklung. Wir wissen - ich sage das nachdenklich -, dass die Erwartungen an den Staat in unserem Land enorm sind. Er soll auf der einen Seite nicht nur Garant für Sicherheit und Freiheit sein, sondern auch materiellen Wohlstand ermöglichen, für Nachhaltigkeit und sozialen Ausgleich sorgen und insgesamt Gerechtigkeit schaffen. In dieser zunehmend globalisierten Welt - Volker Kauder hat in seiner Rede sehr intensiv darauf hingewiesen -, in der Grenzen unschärfer werden und internationale Herausforderungen zunehmen, wird es aber für den Staat immer schwieriger, einem umfassenden Steuerungsanspruch gerecht zu werden. Voraussetzung dafür sind also wirksame Ordnungsstrukturen und ein kluger Einsatz der knappen finanziellen Mittel. Das ist unser Auftrag. Deswegen haben wir vier wichtige Richtungsentscheidungen für einen handlungsfähigen Staat getroffen: Das ist erstens die Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, zweitens die Konsolidierung des Bundeshaushalts, drittens der Abbau von Bürokratie als Daueraufgabe und viertens eine bessere Zusammenarbeit von Regierung und Parlament im Bereich der europäischen Integration. So wie wir die Föderalismusreform erfolgreich durchgeführt haben, so müssen wir die Finanzbeziehungen von Bund und Ländern neu ordnen. Das wird nicht einfach werden. Aber wir müssen dies entschlossen angehen. Es wäre gut, wenn sich alle Fraktionen auch hieran beteiligten. Noch machen manche internationale Unternehmen einen Bogen um Deutschland, wenn es um Neuinvestitionen geht. Vor allem die hohen Steuersätze schrecken ab. Der Abstand zu Ländern mit niedrigen Steuersätzen ist noch zu groß, als dass unser Land mit seiner hervorragenden Infrastruktur manchen Steuernachteil ausgleichen könnte. Deswegen ist die Unternehmensteuerreform so wichtig. Es handelt sich - darum geht es - um einen wichtigen Baustein für mehr Arbeitsplätze und Investitionen in unserem Land. Durch die Unternehmensteuerreform wird die Steuerbelastung auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau gesenkt. Gleichzeitig werden Maßnahmen getroffen, durch die die Besteuerung in Deutschland erwirtschafteter Gewinne in unserem Land sichergestellt wird. Wir brauchen auch eine Abgeltungssteuer. Kontrollverfahren könnten somit entfallen. Die Ämter würden entlastet. Bürokratieabbau fände statt und damit würden den Anlegern attraktive ertragsteuerliche Rahmenbedingungen geboten. ({10}) Unternehmensteuer und Abgeltungssteuer sind geeignet, das vorhandene Potenzial des Finanzplatzes Deutschland auszubauen und seine Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Wir müssen mehr über den Finanzplatz Deutschland reden. Die Gestaltungskraft dieser Koalition ist auch beim Ausbau privater Beteiligungs- und Risikokapitalfinanzierung gefragt. Wir müssen mit einem Private-Equity-Gesetz die Voraussetzungen in den deutschen Unternehmen verbessern, innovative Produkte und Dienstleistungen schneller zur Marktreife zu bringen. Ziel muss es sein, Deutschland in einer globalisierten Welt besser zu positionieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Das steht über allem, was wir wollen. Abgerundet werden die Eckpunkte zur Unternehmensteuerreform durch die erbschaftsteuerliche Begünstigung der Unternehmensnachfolge. Die Zahlen sprechen für sich: In Deutschland werden Jahr für Jahr mehr als 46 000 Unternehmen mit rund 444 000 Beschäftigten aus Altersgründen vererbt, Tendenz steigend. Die dabei derzeit fällige Erbschaftsteuer kann häufig nicht aus den vorhandenen liquiden Mitteln gezahlt werden. Die Folge: Die Erbschaftsteuer ist aus der Substanz zu entrichten, sie kann so große Teile des Vermögens vernichten und das Unternehmen samt seinen Arbeitsplätzen in seiner Existenz bedrohen. Das kann doch nicht in unserem Interesse sein. ({11}) Der Mittelstand - wir haben das heute schon gehört ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Die rund 3,5 Millionen kleineren und mittleren Unternehmen sind eine treibende Kraft für Wachstum und Beschäftigung. Wir müssen alles tun, um dabei zu helfen. Die von uns beschlossene Mittelstandsinitiative verbessert daher die Rahmenbedingungen für diese Unternehmen. Dank an Bundeswirtschaftsminister Michael Glos für seinen Einsatz und seine Arbeit für die Wirtschaft in unserem Lande! ({12}) Wir waren auch im Hinblick auf die kommunalen Belange erfolgreich. Die Unternehmensteuerreform sichert die Steuerkraft und die Finanzierungsbasis der Kommunen. ({13}) Die kommunale Finanzkraft ist auch deswegen für den Aufschwung so wichtig, weil 60 Prozent aller öffentlichen Investitionen von Kommunen erbracht werden. ({14}) Wir werden den Weg für strukturelle Reformen in unserem Land konsequent weitergehen. Gleichzeitig wollen wir Mut zu Anstrengungen machen und das Vertrauen der Menschen in die Zukunftsfähigkeit unseres Landes stärken. Wir preisen nicht Wundermittel und schüren keine Illusionen, sondern beraten gründlich und entscheiden vernünftig. Was ist daran schädlich, dass die Willensbildung in einer großen Koalition mit so großen Partnern etwas zäh verläuft? Nach mittlerweile einem Jahr der Zusammenarbeit haben wir uns auch eingespielt. ({15}) Die freundschaftlichen Bekundungen der Fraktionsvorsitzenden sind das eine. Jetzt müssen wir auch auf den verschiedenen Arbeitsebenen noch mehr dafür sorgen, dass manches stärker verzahnt wird und dass die menschlichen Kontakte intensiver werden. ({16}) Dann soll es an Ergebnissen natürlich nicht mangeln. ({17}) Nicht wer zwischendurch bei Meinungsumfragen gut abschneidet, lieber Herr Westerwelle, sondern wer am Schluss das Vertrauen der Menschen als Ergebnis einer soliden, zukunftsorientierten Politik erhält, hat den Erfolg. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss und zitiere Saint-Exupéry, der so wunderschön gesagt hat: Man kann nicht in die Zukunft schauen, aber man kann den Grund für etwas Zukünftiges legen - denn Zukunft kann man bauen. Genau das wollen wir weiter tun. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Joachim Otto von der FDP-Fraktion. ({0})

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

In großer Finsternis freut man sich bereits über eine kleine Kerze. In der Finsternis dieser Bundesregierung ist das Wirken des Kulturstaatsministers immerhin ein Lichtblick. Was Herr Neumann bei den Haushaltsberatungen erreicht hat, insbesondere bei der Filmförderung, nötigt uns Respekt ab. ({0}) 3,5 Prozent Steigerung ist mehr, als seine drei Vorgänger erreicht haben. Das sollte man auch als Angehöriger einer Oppositionspartei hier betonen. ({1}) Gerade weil die Haushaltsberatungen für die Kultur durchaus ein Erfolg waren, verstehe ich nicht, Herr Kollege Kampeter, dass man sich mit kleinen Mätzchen an vermeintlichen Kritikern schadlos hält. Das Faxverbot für den Deutschen Kulturrat ist ein Späßchen gewesen. Mit Späßchen sollte man aber in einem sensiblen Bereich wie diesem, bei dem es um die Autonomie von Institutionen geht, vorsichtig sein. Deswegen bitte ich ausdrücklich darum, das Faxverbot, über das sich hier schon manche Männerwitze ranken, zurückzunehmen und die erfolgreiche Arbeit des Deutschen Kulturrats nicht mit solchen Maßnahmen zu schwächen. ({2}) Die geringe Redezeit, die mir zur Verfügung steht, erlaubt es mir nicht, hier längere Ausführungen zur Vergangenheit und Gegenwart zu machen; vielmehr möchte ich mich einer Zukunftsaufgabe zuwenden. Der Regierende Bürgermeister und künftige Kultursenator von Berlin, Klaus Wowereit, hat uns in seiner grenzenlosen Güte eine der drei Berliner Opern, und zwar die Staatsoper Unter den Linden, sozusagen als Weihnachtspräsent mit der Begründung vor die Füße gelegt, Berlin habe nur noch das Geld, zwei Opern zu finanzieren. Man muss Klaus Wowereit daran erinnern, dass es glasklare Zusagen von ihm selbst und von dem von ihm geführten Senat aus der Zeit, als der Hauptstadtkulturvertrag abgeschlossen wurde, gibt. Klaus Wowereit wird wortbrüchig, wenn er sich jetzt nicht an diese Zusagen hält. Es ist aber wohl auch so, dass wir alle hier gesündigt haben, indem wir dem Hauptstadtkulturvertrag damals nicht lebhaft widersprochen haben. Es war nämlich absehbar, dass Berlin mit den vorhandenen Mitteln die Staatsoper Unter den Linden nicht sanieren kann. Es war auch absehbar, dass das Konzept nicht tragfähig ist. Deswegen möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Auch wenn sich Berlin seiner Verantwortung zu entziehen droht, können wir uns hier nicht einfach zurücklehnen und sagen, das sei das Problem Berlins. Die Kultur in Berlin, insbesondere die Staatsoper Unter den Linden, die dringend saniert werden muss, würde dann unter die Räder kommen. Was müssen wir tun? Es müssen sich alle Beteiligten - dazu gehören nicht nur der Senat und der Kulturstaatsminister, sondern auch die beiden Parlamente - an einen Tisch setzen und darüber nachdenken, wie die Hauptstadtkulturförderung endlich auf eine solide Grundlage gestellt werden kann. Es muss Schluss sein mit einer Kulturpolitik nach Haushaltslage. Es muss Schluss damit sein, dass Institutionen nach zufälligen Gesichtspunkten verteilt werden: Hauptstadtkulturfonds hierhin, Akademie der Künste dahin usw. Es muss nach nachvollziehbaren sachlichen Kriterien entschieden werden, wer in Berlin was fördert, also was Berlin zu tun hat und was der Bund zu tun hat. Letzte Bemerkung von mir: Es hat sich gerächt, dass wir es zugelassen haben, dass damals die beiden Regierungen ohne Beteiligung der Parlamente einen Hauptstadtkulturvertrag abgeschlossen haben, dessen Wortlaut wir übrigens immer noch nicht kennen. Wir brauchen einen Staatsvertrag zwischen dem Land Berlin und der Bundesrepublik Deutschland unter Beteiligung der Abgeordneten. So würde alles auf eine solide Grundlage gestellt. Meine Forderung an Herrn Neumann lautet: Tun Sie es jetzt, bevor der Schaden in Berlin noch größer wird! Meine Aufforderung an Herrn Wowereit lautet: Stecken Sie den Kopf nicht weiter in den Sand! Sie werden sich Ihrer Verantwortung noch stellen müssen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Steffen Kampeter das Wort. ({0})

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Otto, ich möchte ausdrücklich hervorheben, dass ich es für eine noble Geste halte, dass Sie als Oppositionsvertreter die hervorragende Arbeit von Bernd Neumann als Kulturstaatsminister zu Beginn Ihrer Rede erwähnt und insbesondere sein Wirken im Zusammenhang mit der materiellen Ausstattung der Kultur positiv bewertet haben. Dies ist angesichts anderer Redebeiträge vonseiten der FDP-Fraktion bezüglich Noblesse, Großzügigkeit und Geste eine positive Veränderung der Debattenbeiträge. ({0}) Sie haben in einem Punkt Kritik geübt, Herr Kollege Otto. Ich möchte der guten Ordnung halber feststellen: Alle von Ihnen kritisierten Beschlüsse sind mit Zustimmung der FDP im Haushaltsausschuss erfolgt. ({1}) Es ist schon einigermaßen verwunderlich, dass Sie - bei allen noblen Gesten - jetzt hier als Sprecher Ihrer Fraktion bestimmte Beschlüsse, die Sie im Übrigen auch falsch interpretieren, in dieser Art und Weise kritisieren. Es sollte kein falscher Eindruck bestehen bleiben: Alle Beschlüsse, auch die von Ihnen kritisierten, sind mit Zustimmung der FDP-Bundestagsfraktion im Haushaltsausschuss erfolgt. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung Kollege Otto.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Kampeter, für die Blumen zum Eingang Ihrer Kurzintervention bedanke ich mich. Ich sehe mich aber trotzdem veranlasst, die Dinge hier richtig zu stellen. Sie haben gesagt, ich hätte Beschlüsse falsch interpretiert. Natürlich bin ich darauf vorbereitet. Ich lese einmal vor, was auf Ihre persönliche Initiative hin als Haushaltsvermerk aufgenommen worden ist: Aus dem Ansatz zu … - gemeint ist der Deutsche Kulturrat dürfen vom Zuwendungsempfänger keine Ausgaben für den Versand von Faxen geleistet werden. Das ist Pillepalle, kleinliches Gezänk. Weil Ihnen Herr Zimmermann und der Deutsche Kulturrat nicht gefallen, wollen Sie dort das Versenden von Faxen verbieten. ({0}) Für den Deutschen Kulturrat ist das ein Problem, weil er keine freien Mittel hat, mit denen er das finanzieren könnte. Ich sage Ihnen: Wenn wir so anfangen - wenn Herr Staeck von der Akademie der Künste uns nicht gefällt, dann verbieten wir ihm zu telefonieren, und wenn uns der Herr Knabe in Hohenschönhausen nicht gefällt, dann verbieten wir ihm den Kauf von Briefmarken -, dann ist das kein guter Umgang. Nach meiner Kenntnis hat es einen solchen Vorgang in der Geschichte des deutschen Haushaltes noch nicht gegeben. Das ist ein kleinliches Gezänk. Ich fordere Sie auf, das zu unterlassen. Sie haben eben von Noblesse gesprochen. Lieber Herr Kampeter, haben Sie die Noblesse und nehmen Sie diesen Scherz, der im Grunde auf eine Zäsur hinausläuft, zurück! Dann sind wir beide in dieser Sache quitt. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Angelica SchwallDüren von der SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Angelica Schwall-Düren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002795, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Kommen wir von dem kleinlichen Gezänk wieder zu den wichtigen und großen Fragen zurück. Viele meiner Kollegen und Kolleginnen haben schon darauf hingewiesen, dass wir nach einem Jahr großer Koalition eine positive Bilanz ziehen können. Sie werden verstehen, dass auch ich noch einmal betone, dass die Grundlagen für den Aufbruch in die Zukunft schon unter der letzten Regierung mit der Agenda 2010 geschaffen worden sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das DIW hat in den letzten Tagen festgestellt, dass das positive Wachstum keineswegs auf einem Vorzieheffekt aufgrund der Mehrwertsteuererhöhung beruht, sondern auch eine Auswirkung der gestiegenen Binnennachfrage und der weltwirtschaftlichen Konjunktur unter positiven Rahmenbedingungen in diesem Land ist. Daran ändern auch Miesmacher wie Herr Brüderle und Herr Westerwelle nichts; denn die Menschen in unserem Land schauen wieder mit mehr Zuversicht und Vertrauen in die Zukunft. Das ist das Wichtigste. ({0}) Das positive Wachstum in Deutschland ist auch ein wichtiger Impuls für Europa. ({1}) Aber auch Europa hat über Jahrzehnte unser Land reicher gemacht. Wir verdanken unseren Wohlstand und unsere Arbeitsplätze ganz wesentlich der Tatsache, dass wir unsere Waren in 25 - bald 27 - Mitgliedstaaten ohne Zölle und Grenzbarrieren ausführen können. Der Exportweltmeister Deutschland liefert fast zwei Drittel seiner Exporte in Länder der EU. Nach Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertages sichern die freien Grenzen für Waren und Produkte in der EU circa 5,5 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland. Deutschland und die EU stehen aber im harten internationalen Wettbewerb globalisierter Ökonomie. Die vielen Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, machen den Menschen auch Angst. Junge wie Ältere machen sich zu Recht Sorgen über die Auswirkungen komplexer Fragestellungen auf ihr persönliches Leben: Globalisierung, Klimawandel, Altern der Gesellschaften, Bedrohung der Sicherheit durch Terrorismus, nicht immer gelungene Integration von Migranten sowie sozialer Druck durch erbarmungslosen Wettbewerb. Dies trifft insbesondere einfache Arbeitnehmer in Fertigungsbranchen und Menschen mit geringer Qualifizierung. Wir können und wollen aber nicht auf Basis von niedrigen Kosten konkurrieren. Wollten wir dies versuchen, müssten wir die Strukturen der sozialen Sicherheit, auf denen Europas Gesellschaften aufbauen, dramatisch reduzieren oder abschaffen. Das kommt für uns überhaupt nicht infrage. ({2}) Es wäre ein Weg in den politischen und ökonomischen Untergang der EU. Ich darf an dieser Stelle aus einem Interview mit Jean-Claude Juncker Anfang dieser Woche in der „Frankfurter Rundschau“ zitieren: Es wird der Zeitpunkt kommen, dass sich große Teile der Arbeitnehmer gegen die systematische Verunsicherung wehren werden, weil sie sich in diesem Europa und in ihren nationalen Staaten nicht mehr aufgehoben fühlen. Deshalb schlussfolgert Juncker: Die Europäische Union muss auch eine Sozialunion werden. Recht hat er. ({3}) Dabei haben viele Menschen längst akzeptiert, dass gegen Mikrochips und Internet keine künstlichen Schutzzäune helfen. Egal ob diese von links oder gar von rechts gezogen werden: Beides endet im Kreis. Eine Politik der Insel der Glückseligen entbehrt jeder rationalen Analyse. Sie muss scheitern; denn letztlich verzichtet sie auf aktive und nachhaltige politische Gestaltung. Sie nimmt die Menschen mit ihren Sorgen nicht wirklich ernst und verstärkt populistische Grundströmungen. ({4}) Es ist klar, dass die Globalisierung den weltweiten Wohlstand vergrößert hat. Um an dieser Entwicklung aber auf Dauer teilhaben zu können, müssen die richtigen Weichen gestellt werden. Die Menschen wissen: Es braucht Mut zur Veränderung und Mut, die Chancen dieser neuen Entwicklung gezielt zu ergreifen. Aufgabe der Politik ist es, mit diesem Mut und mit voller Schaffenskraft voranzugehen, dabei die Menschen zu überzeugen und mitzunehmen. Deutschland übernimmt mit der EU-Ratspräsidentschaft und der Präsidentschaft in der G 8 im kommenden Jahr besondere Verantwortung für die EU und für die politische Gestaltung der Globalisierung. Unsere gemeinsame Politik ist von dem Willen geprägt, die Vertiefung und Erweiterung des europäischen Einigungsprozesses mit Entschlossenheit und Augenmaß voranzutreiben. Wir sind bereit, uns für eine gerechtere Welt einzusetzen. Ich nenne hier zwei Stichworte: WTO und Afrika-Strategie. Spürbar sind die großen Erwartungen, die unsere Partner mit der deutschen Präsidentschaft verbinden. Dabei beziehe ich mich nicht ausschließlich auf die Erwartungen hinsichtlich des Verfassungsvertrages, auf den wir in der Europäischen Union so dringend angewiesen sind. Ich will hier auch einen Aspekt ansprechen, der mit Innovation zu tun hat, nämlich die europäische Energiestrategie. Es kommt hier nicht darauf an - darin unterscheide ich mich sicher von Herrn Kauder -, ({5}) dass es in der Europäischen Union eine Festlegung der Nationalstaaten auf einen Energiemix gibt; denn die in Deutschland durch Atomkraftwerke erzeugte Energie könnte mittelfristig durch technologische Innovationen ersetzt werden. Wir brauchen nur die Energieerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung zu verdoppeln und schon hätten wir einen Ersatz geschaffen. Es kommt aber sehr wohl darauf an, dass wir uns in der Europäischen Union auf Innovationsstrategien verständigen und dafür sorgen, dass unsere Energielieferanten in langfristige, sichere Beziehungen zu uns treten. Deswegen ist der Gipfel am Freitag dieser Woche so wichtig. Ich möchte die Bundesregierung ermutigen, dafür einzutreten, dass die Sorgen Polens so ausgeräumt werden, dass das Veto für das Verhandlungsmandat aufgehoben wird. ({6}) Da wir in nächster Zeit, im Dezember, ausführlich über die EU-Ratspräsidentschaft beraten, möchte ich mich heute auf einige wenige Aspekte beschränken, die mit unserer innerstaatlichen Agenda verknüpft sind. Hiermit meine ich ganz besonders das europäische Gesellschaftsmodell, das wir praktizieren, um einen sozialen Ausgleich in unserer Wettbewerbsgesellschaft zu erzielen. Dieses Modell umfasst solidarisch finanzierte Systeme der sozialen Sicherung gegen die persönlichen Lebensrisiken. Es hat Elemente der Wirtschaftsdemokratie durch Sozialpartnerschaft und Mitbestimmung. Es garantiert den Zugang für alle Bürger zu bezahlbaren Dienstleistungen von hoher Qualität und die Bereitstellung öffentlicher Güter. Den Herausforderungen, vor denen unser Gesellschaftsmodell steht, müssen wir mit konkreter innovativer und nachhaltiger Politikgestaltung begegnen. Dazu brauchen wir einerseits wirtschaftliche Dynamik und Wachstum und andererseits eine Ausweitung unseres Begriffs und unserer Praxis von sozialer Gerechtigkeit. Beides geht nicht ohne oder gegen die EU; beides geht nur mit der EU. Wir werden deshalb den nationalen, europäischen und internationalen Herausforderungen auch weiterhin durch kohärentes politisches Handeln auf den unterschiedlichen Ebenen begegnen. Dabei sind die Lissabonstrategie der Europäischen Union und das nationale Reformprogramm die europäische bzw. deutsche Antwort. Heute ist schon von unserer Politik für den Mittelstand und die Familien, von unserer Politik für Forschung und Innovationen sowie von unserer koordinierten Wachstumspolitik mit sozialem Gesicht gesprochen worden. Für die EU als globalen Akteur dürfen dabei die Menschen nicht zum Objekt des Geschehens werden, sondern müssen durch Befähigung zur Teilhabe und Teilnahme zum Subjekt werden. Bildung ist die Grundvoraussetzung und muss stets auf der Höhe der Zeit sein. Die Bildungsinhalte selbst müssen die Bürger zu einer aufgeschlossenen und mutigen Haltung gegenüber Innovationen anspornen. Das Wissen unserer Bürger ist entscheidend für unseren Erfolg. Aber von ebenso großer Bedeutung ist eine Haltung, die von Aktivität und Selbstbewusstsein geprägt ist; das sage ich gerade vor dem Hintergrund des Gewaltaktes in Emsdetten. Bil6550 dung muss ganzheitlich verstanden werden. Wir müssen für Wissen, soziale und kulturelle Kompetenz sowie psychische Gesundheit eintreten. ({7}) Wirtschaft braucht gute Rahmenbedingungen für Innovationen. Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, uns mit weiteren eigenen Deregulierungsvorschlägen und Beiträgen in die Arbeit an einer besseren EU-Rechtsetzung einzubringen. Unsere Leitlinie ist, bei überflüssiger Bürokratie einzugreifen. Wir gehen nicht nach dem neoliberalen Motto „Der Markt wird alles regeln“ vor, vielmehr wollen wir den gesellschaftlich gebotenen ordnungspolitischen Bedarf als Ausgangspunkt nehmen. Der Markt regelt viel, aber nicht die sozialen Beziehungen von Menschen. ({8}) Deutschland ist in den vergangenen Jahrzehnten auch deshalb so erfolgreich gewesen, weil der soziale Zusammenhalt als entscheidender Produktionsfaktor akzeptiert wurde. Sozialer Zusammenhalt und ökonomische Stärke sind zwei Seiten einer Medaille. Nicht allein wirtschaftliche Interessen bestimmen, wo es lang geht; sie müssen gegen soziale, umweltpolitische und kulturelle Interessen abgewogen werden. ({9}) Wir unterstützen das Europäische Parlament und Kommissar Günter Verheugen in der Forderung, hier besser und schneller voranzukommen. Für uns Sozialdemokraten ist besonders wichtig, schon im Vorgriff auf die Gesetzgebung ihre sozialen Folgen sichtbar zu machen. Eine entsprechende Regelung könnte auch helfen, den sozialen Akzent eines Verfassungsvertrags sichtbarer zu machen. Die weitere Öffnung der europäischen Märkte hat logischerweise Folgen für den europäischen Arbeitsmarkt. Es reicht uns nicht, mithilfe der Lissabonstrategie in erster Linie den Unternehmen besser zu helfen; denn wir haben berechtigte Zweifel an der Grundidee, dass es den Arbeitnehmern gut geht, sobald es den Unternehmen gut geht. ({10}) Arbeitnehmer sind keine frei verfügbare Masse. Wer solchen Ideen das Wort redet, untergräbt europäische Grundwerte ({11}) und riskiert die Destabilisierung der Gesellschaften. Dieser Ansatz, der von Teilen der Kommission und einigen Mitgliedstaaten verfolgt wird, orientiert sich wohl eher am neoliberalen Wirtschaftsverständnis. Als Parlamentarier halten wir auch hier am Primat der Politik fest. ({12}) Politik muss Mechanismen schaffen und Instrumente entwickeln, damit die Gestaltungskraft der Politik die Globalisierung in die richtigen Bahnen lenkt. Auf der europäischen Ebene wird es im kommenden Jahr eine Reihe von legislativen Initiativen geben, die ganz konkret in das Leben der Menschen eingreifen und Sicherheit mit Wandel - bekannt unter dem Stichwort „Flexicurity“ - verbinden wollen. Darum müssen wir uns intensiv kümmern, wie wir das bereits im vergangenen Jahr getan haben. Ich will, um ein Beispiel zu nennen, noch einmal auf die Dienstleistungsrichtlinie zu sprechen kommen. In entwickelten Volkswirtschaften erlangt der Dienstleistungsbereich ein immer stärkeres Gewicht. Die Europäische Union wird ihr Wachstumspotenzial nur dann ausschöpfen können und dauerhaft ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten, wenn sie dieses Potenzial nutzt. Gleichzeitig darf dies aber nicht dazu führen, dass Europa sein soziales Gesellschaftsmodell und damit seinen strategischen Vorteil gegenüber anderen Volkswirtschaften aufgibt. ({13}) Daraus ergibt sich ein Spannungsverhältnis, das politisch gestaltet werden muss. Die breite öffentliche Diskussion zur Dienstleistungsrichtlinie ist deshalb nicht, wie von einigen behauptet, ein Zeichen der mangelnden Reformbereitschaft in der Europäischen Union, sondern ein Zeichen der Vertiefung und Demokratisierung der EU. ({14}) Dem Europäischen Parlament ist es gelungen, die Dienstleistungsrichtlinie vom Kopf auf die Füße zu stellen und einen Rahmen für den Interessenausgleich zwischen dem notwendigen Wettbewerb und einem angemessenen sozialen Schutz zu schaffen. ({15}) Dieser Rahmen muss nun von den nationalen Entscheidungsträgern ausgefüllt werden. So bleibt es den Mitgliedstaaten aufgegeben, Lohndumping durch Mindestlöhne, die für inländische und ausländische Arbeitnehmer gleichermaßen gelten, zu verhindern. Kurz gesagt: Wenn wir zum Beispiel die Löhne der von ausländischen Dienstleistungserbringern entsandten Arbeitnehmer in deutschen Schlachthöfen kritisieren, liegt es an uns, dies zu ändern, indem wir über Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen, die Umsetzung der Entsenderichtlinie oder über gesetzliche Mindestlöhne für ein faires Miteinander der europäischen Arbeitnehmer sorgen. Wir haben damit angefangen, indem wir für den Gebäudereinigerbereich die Entsenderichtlinie endlich in nationales Recht umgesetzt haben. Auf europäischer Ebene müssen wir dafür sorgen, dass die nicht gewollte und unsoziale Deregulierung nicht wieder durch die Hintertür auf die Tagesordnung kommt, zum Beispiel zur Verhinderung von Kontrollen im Entsenderecht. ({16}) Die Tatsache, dass sich die Europäische Union mit den Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen beschäftigen wird, deutet darauf hin, dass durch die wirtschaftliDr. Angelica Schwall-Düren che Integration in der Europäischen Union der Bereich der Daseinsvorsorge immer stärker europäischen Einflüssen unterliegt. Wir müssen diesen Prozess in Europa politisch gestalten. Nur so können zum einen die Wachstumspotenziale des Binnenmarktes bei den Dienstleistungen erschlossen werden, nur so kann zum anderen der Zugang aller Bürger und Unternehmen zu hochwertigen Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge in hoher Qualität und zu angemessenen Preisen auch künftig gewährleistet werden. Der Diskussionsprozess in Europa hierzu muss fortgesetzt werden. Wir müssen ihn politisch gestalten und dürfen uns nicht auf reine Abwehrschlachten unter dem lauten Ruf nach Subsidiarität zurückziehen. ({17}) Sonst besteht die Gefahr einer schleichenden Deregulierung. Vor diesem Hintergrund begrüße ich die Arbeiten im Europäischen Parlament zur künftigen Gestaltung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse ausdrücklich. ({18}) Diese Debatte müssen wir auch auf der nationalen Ebene führen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wodurch sind wir motiviert? Menschen brauchen Arbeit - in Deutschland, Europa und anderswo. Nur sie sichert langfristig den Lebensunterhalt. Wir brauchen mehr Arbeit und qualifizierte Arbeit zu fairen Bedingungen und zu fairen Löhnen. ({19}) Jeder funktionierende Markt braucht freie und verantwortliche Akteure. Das sichert Effizienz und Dynamik. ({20}) Mitbestimmung und Rechte für Arbeitnehmer sind Teil hoch moderner Politik. ({21}) Es ist gelungen, den Mitbestimmungsgedanken in Europa zu festigen. Die Regelung zur Europäischen Gesellschaft zeigt das. Der dort gefundene Kompromiss sollte bei weiteren Gesetzesvorhaben wie der anstehenden Revision der Richtlinie über Europäische Betriebsräte und der Regelung über die grenzüberschreitende Fusion von Unternehmen berücksichtigt werden. Unsere gemeinsame Politik hält fest am Ziel des Wohlstandes für alle. Wir wollen, dass Menschen sicher und gut leben können. Deshalb organisieren wir Solidarität und Sozialstaat. Wir Sozialdemokraten arbeiten in der großen Koalition mit Energie und Leidenschaft an den nötigen Voraussetzungen in Deutschland und in der Europäischen Union. Vielen Dank. ({22})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Börnsen von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach Europa noch ein kurzer Blick auf die Kultur. ({0}) Wer fair und unvoreingenommen urteilt, der stellt auch für die Kulturpolitik der Bundesrepublik fest: Es geht voran in unserem Land. ({1}) Die großen Kulturverbände und Kulturinstitutionen zollen dem Wirken des Staatsministers bereits nach einem Jahr nicht nur Wohlwollen, sondern auch Anerkennung und Respekt. Und diese Honorigkeit gilt einem Schwarzen, einem Profi der Politik, einem Parlamentarier aus Überzeugung: Bernd Neumann, unserem Kollegen. ({2}) Viele der Kulturschaffenden, die heute applaudieren, haben noch vor einem Jahr vor Entsetzen die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen: ({3}) Wie kann ein ausgewiesener Parteipolitiker die blaue Blume Kultur überhaupt schützen, stärken und in ihrer Einmaligkeit sichern? Er kann es! ({4}) Erfolgreiche Kulturpolitik setzt einen Koordinator voraus, der in einem Klima der Freiheit für belastbare Rahmenbedingungen sorgt und der die Kulturschaffenden wie die Kulturerlebenden begeistern kann. Auch das kann er! ({5}) Bereits zum zweiten Mal ist es dem Staatsminister gelungen, die Haushaltsmittel für die Kultur aufzustocken. In Zeiten verantwortungsbewusster Sparpolitik ist das wahrlich ein besonderer Erfolg. Das gilt auch für die Beibehaltung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes von 7 Prozent in 2007. ({6}) In diesem und in anderen Kulturfeldern erfährt der Staatsminister der Union die Zustimmung der Opposition. Das ist nicht selbstverständlich. Herr Kollege Otto, dafür möchte ich Ihnen und den anderen ausdrücklich danken. ({7}) Wolfgang Börnsen ({8}) Der von Bernd Neumann praktizierte kollegiale Politikstil schafft einen breiten Konsens, der der Kultur insgesamt gut tut. Kultur ist das Fundament unserer Gesellschaft. Kultur ist das Kapital unseres Landes. Kultur ist ein exzellenter Standortfaktor. Kultur schließlich gibt den Menschen in unserem Land Orientierung, Lebensinhalt und Sinnerfüllung. Kultur ist der Bodensatz der Identitätsbildung, ist Voraussetzung, um sich als selbstbewusste Nation begreifen zu können. ({9}) Der Schlüsselsatz für die Kulturpolitik der Bundesregierung ist in der ersten Regierungserklärung von

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Kulturförderung ist keine Subvention, sondern eine Investition in die Zukunft. Daran orientiert, wurde konsequent und konkret gehandelt. Erstens. Der Kunststandort Deutschland wurde gestärkt. ({0}) Durch das Folgerecht im Kunsthandel wurden für Künstler in der Bundesrepublik endlich EU-weit vergleichbare Bedingungen geschaffen. ({1}) Mit der Umsetzung des UNESCO-Übereinkommens zum Kulturgüterschutz wurde für den Kunsthandel bei uns und international eine verlässliche Grundlage geschaffen. 36 Jahre lang hatte man sich dieser Regelung verweigert. Die große Koalition brauchte vier Monate, um den Schutz von Kulturgütern zu sichern. Das nenne ich eine Politik der Entschlossenheit. ({2}) Zweitens. Der Filmstandort Deutschland wurde gestärkt. Ab 2007 stehen den Filmschaffenden neben den FFA- und Ländermitteln jährlich weitere 60 Millionen Euro zur Verfügung. Das stärkt den Aufwärtstrend des deutschen Films nachhaltig, das stabilisiert ihn, das macht ihn in einem Jahr großer Rekorde noch stärker. Fast 30 Prozent aller Kinoproduktionen kommen aus dem eigenen Land. Das ist ein Rekord. In diesem Jahr gibt es fast 150 Premieren von Filmen aus Deutschland. Das ist eine noch nie da gewesene Leistung der Filmschaffenden in unserem Land. Herzlichen Dank dafür! ({3}) Drittens. Der Musikstandort Deutschland wurde durch zusätzliche Mittel für „Initiative Musik“ gestärkt. Unser Land kennzeichnet eine in der Vielzahl einmalige und in der Qualität erstklassige lebendige Musikkultur mit fast 50 000 Chören, 1,3 Millionen Sängerinnen und Sängern, 30 000 Orchestern und über 700 000 Instrumentalisten. An dieser Stelle möchte ich stellvertretend für alle Aktiven in der Breitenkultur den ehren- und hauptamtlichen Chorleitern, den Vorständen, Musikerziehern und Lehrern danken; denn ohne deren Elan und Enthusiasmus, ohne deren Inspiration und Initiative gäbe es diese blühende Musiklandschaft Deutschland nicht. ({4}) Dass auch der renommierte Bach-Chor in meiner Heimatstadt Flensburg dazugehört, ({5}) dem ich an dieser Stelle zu seinem 100-jährigen Jubiläum gratulieren möchte, darf ich am Rande bemerken. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Börnsen, das musste unbedingt noch gesagt werden. Ich bitte Sie aber, jetzt zum Schluss zu kommen.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gut. - Ich möchte noch darauf aufmerksam machen - auch das gehört zum breiten Erfolg des Kulturstaatsministers dieser Bundesregierung -, dass wir mit dem Bode-Museum, mit dem Deutschen Historischen Museum und vielen weiteren Einrichtungen eine exzellente neue und ausgebaute Museumslandschaft in Deutschland bekommen haben. Insgesamt haben wir nicht nur eine vitale, engagierte, aktive und kreative Hauptstadt Berlin mit viel Kultur, sondern wir haben auch viele andere blühende Kulturstandorte in Deutschland, in unserem föderalen System. Ich glaube, darauf sollten wir stolz sein und das sollte uns mutig machen für die Zukunft. Die Kulturpolitik ist auf einem Erfolgskurs.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das war ein wunderbarer Schlusssatz. ({0})

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie braucht Verbündete, nämlich Sie, die Abgeordneten. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich der Kollegin Petra Merkel für die SPD-Fraktion das Wort gebe, bitte ich Sie darum, auch ihr noch die angemessene Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. ({0}) Es ist schön, dass Sie schon so zahlreich zur Abstimmung erschienen sind. Ich denke, Ihre Gespräche können bis zur Abstimmung aufgeschoben werden. Das Wort hat die Kollegin Merkel.

Petra Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003591, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mir wurde empfohlen, meine Rede vorzusingen. ({0}) Das will ich Ihnen lieber ersparen. Herr Otto, ich glaube, das wäre nicht gut. Ich habe den Eindruck, dass unser Kulturstaatsminister Neumann in einer guten Kontinuität steht. Vieles, was Herr Börnsen gerade gesagt hat, war sorgfältig vorbereitet. Ich will die Verdienste von Herrn Neumann überhaupt nicht schmälern. Ich glaube, Sie haben sich wirklich wacker geschlagen und viel für den Kulturbereich herausgeholt. Schon im Regierungsentwurf war eine erhebliche Steigerung der Mittel zu verzeichnen. Ich will auch darauf hinweisen, dass Herr Kampeter und ich als Vertreter der großen Koalition für diesen Bereich noch einiges dazugelegt haben. Insofern sind wir im Bereich Kultur alle sehr erfolgreich. ({1}) Herr Gysi, zu Ihnen: Es ist das zweite Mal gelungen, den Kulturetat zu steigern. Sowohl im Jahr 2006 als auch für das Haushaltsjahr 2007 gibt es Steigerungen, die Sie nicht wahrgenommen haben. (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Aber im Vergleich zu den vorhergehenden Jahren! Wir haben dem Kulturhaushalt im Rahmen des Haushalts des Sanierens, Reformierens und Investierens allerdings nichts schenken können. Im Kulturhaushalt war für das Jahr 2007 eine pauschale Minderausgabe in Höhe von 17 Millionen Euro veranschlagt, die auf Wunsch der Haushälter der großen Koalition reduziert wurde, nämlich um 7 Millionen Euro. 10 Millionen Euro sind also im Laufe des Haushaltsjahres zu erwirtschaften. Das ist realistischerweise zu schaffen. Erfreulich ist, wie gesagt, dass der Kulturetat steigt, sowohl 2006 als auch 2007. Wir setzen mit diesem Etat sowohl im Bereich Film als auch im Bereich Musik neue Impulse. Die Film- und die Musikbranche sind eng mit der Wirtschaft verbunden. Insofern sind die eingestellten Mittel auch eine Spritze für die Wirtschaft. ({2}) Wir fördern die Filmproduktion im kommenden Jahr mit insgesamt 60 Million Euro zusätzlich. Das bietet eine gute Chance zur Stärkung des Produktionsstandortes Deutschland und zur Sicherung von Arbeitsplätzen in einer Branche, die häufig ein Bild von Deutschland exportiert. Auch die „Initiative Musik“ soll einen Impuls setzen. Im Haushalt 2007 wird sie mit 1 Millionen Euro ausgestattet. Sie soll die Rahmenbedingungen für Musik und Musikwirtschaft verbessern. Diese Initiative soll mindestens drei Säulen umfassen: Nachwuchsförderung, Migration und Pädagogik sowie - auch hier wieder - Export, nämlich Export von Musik. Die Mittel sind gesperrt, damit das Konzept entwickelt und beraten werden kann. Dazu wird Gelegenheit sein. ({3}) Gestern war Welttag des Fernsehens. Ich komme zum Thema Deutsche Welle. Sie ist im Haushalt 2007 nicht von Kürzungen betroffen. In den vergangenen Jahren wurden von Intendanten Bettermann mit erheblichen Anstrengungen neue Strukturen geschaffen, die Wirkung zeigen. Ich möchte eine neue Perspektive hervorheben: die Kooperation von ARD und ZDF mit der Deutschen Welle. Die Deutsche Welle kann sich dadurch zu einem Auslandsfernsehen mit frischen Programmplanungen ausbauen. Neben den bewährten Produktionen der Deutschen Welle können dadurch mehr Informationen über Deutschland in alle Welt gesendet werden. ({4}) Das nützt dem Bild unseres Landes und der Vermittlung unserer Kultur. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Merkel, ich habe Ihre Redezeit angehalten. Ich hatte die Kolleginnen und Kollegen schon vor Beginn Ihrer Rede darum gebeten, ihre Gespräche entweder draußen zu führen oder sie einzustellen. Ich finde, wir sollten uns, bevor wir zu dieser wichtigen Abstimmung kommen, auch noch die Argumente der letzten Rednerin in dieser Debatte anhören. ({0})

Petra Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003591, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da ich weiß, wie schwer das ist, wenn man zur Abstimmung in den Plenarsaal kommt, versuche ich, gegen die Unruhe anzureden. Im Haushalt 2007 konnten wir die Mittel für die Deutsche Welle nicht aufstocken. Aber immerhin sind keine Kürzungen erfolgt. Die Kooperation zwischen ARD, ZDF und Deutscher Welle kann schrittweise aufgebaut und in verschiedenen Sendegebieten aufgenommen werden. Die Deutsche Welle ist ein wichtiger Bestandteil des gesamten deutschen Engagements in der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Ebenso wichtig sind aber auch die Mittlerorganisationen wie das Goethe-Institut. Auch wenn diese im Haushalt des Auswärtigen Amtes angesiedelt sind, möchte ich die große kulturelle Bedeutung ihrer Arbeit deutlich machen. ({0}) Für ihre Arbeit stellen wir im Jahr 2007 13,5 Millionen Euro mehr zur Verfügung. ({1}) Die Bereiche Film und Musik, die Deutsche Welle und das Goethe-Institut sind nur wenige Beispiele, die Petra Merkel ({2}) verdeutlichen, welche Schwerpunkte wir im Rahmen der Beratungen des Haushalts für das Jahr 2007 gesetzt haben. Diese Schwerpunkte werden ausstrahlen. Auch aufgrund der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wird unser Land im Jahre 2007 ganz besonders im Mittelpunkt stehen. Die vom Bundesbeauftragten für Kultur und Medien geförderten Institutionen und Projekte geben einen Überblick über die deutsche Geschichte. Denkmäler und symbolträchtige Orte ermöglichen Erinnerung, indem sie Geschichte erlebbar und spürbar machen. Viele solcher Orte sind in Deutschland zu finden. Eine besonders hohe Dichte gibt es in Berlin, der Hauptstadt der Bundesrepublik. Die Mauer war ein Symbol dieser Stadt. Sie war das Symbol für die Teilung Deutschlands. Ich freue mich über das Ergebnis der Haushaltsberatungen, dass für die Gedenkstätte an der Bernauer Straße im Jahre 2008 3 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt werden. ({3}) Auch dies ist ein Zeichen dafür, dass die Konzeption des Mauergedenkens, die vom Berliner Senat in Abstimmung mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem Kulturausschuss des Bundestages und dem BKM erarbeitet worden ist, nun auch auf der Bundesebene in Angriff genommen werden kann. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas steht für die schlimmste deutsche Vergangenheit. Damit die Stiftung ihre gute Arbeit fortführen kann, haben wir die Mittel, die wir für die Stiftung zur Verfügung stellen, um 355 000 Euro erhöht. So können wir sicherstellen, dass die auch aufgrund der hohen Besucherzahlen wachsenden Anforderungen an die Stiftung bewerkstelligt werden können. ({4}) Daran, dass viele Menschen dieses Denkmal besuchen, wird deutlich, dass die Entscheidung für ein solches Denkmal richtig war. In Anbetracht der vielen internationalen Besucher zeigt dieses Denkmal die europäische Aufgabe, aus der Vergangenheit für eine gemeinsame Zukunft zu lernen. Nun komme ich auf das sichtbare Zeichen gegen Flucht und Vertreibung zu sprechen. Flucht und Vertreibung sind Teil der deutschen Geschichte. Auch dieser Teil unserer Vergangenheit ist im europäischen Zusammenhang zu sehen. Für dieses Zeichen haben wir im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens für das Jahr 2007 750 000 Euro zusätzlich in den Haushalt eingestellt, Frau Göring-Eckardt. ({5}) Im Koalitionsvertrag heißt es: Wir wollen im Geiste der Versöhnung auch in Berlin ein sichtbares Zeichen setzen, um - in Verbindung mit dem Europäischen Netzwerk Erinnerung und Solidarität über die bisher beteiligten Länder Polen, Ungarn und Slowakei hinaus - an das Unrecht von Vertreibungen zu erinnern und Vertreibung für immer zu ächten. Die Umsetzung dieses im Koalitionsvertrag gefundenen Kompromisses soll durch die Bereitstellung der zusätzlichen Mittel ermöglicht werden. ({6}) Kern dieses sichtbaren Zeichens soll die Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration“ des Hauses der Geschichte in Bonn sein, wie Kulturstaatsminister Bernd Neumann bei der Eröffnung der Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin angekündigt hat. Das ist die Grundlage dieser Initiative. ({7}) Im Haushaltsausschuss haben wir beschlossen, dass sich der Bund an der Sanierung der Staatsoper Unter den Linden beteiligen wird; ({8}) das ist richtig. Die Sanierung der Staatsoper Berlin wird vom Bund mit 50 Millionen Euro unterstützt. Durch den Beschluss des Haushaltsausschusses tritt der Bund in Vorleistung. Damit zeigt er seine Bereitschaft - ich zitiere -, für die Erhaltung eines national bedeutenden, einzigartigen Kulturdenkmals Verantwortung zu übernehmen. ({9}) Dieses Zitat stammt aus der Presseerklärung von Steffen Kampeter, der an dieser Stelle ins Schwärmen geraten ist. Die Finanzierung soll aufgeteilt werden: 50 Millionen Euro soll der Bund übernehmen, 50 Millionen Euro das Land Berlin und 30 Millionen Euro sollen von privaten Sponsoren aufgebracht werden. Wie es im Moment aussieht, wird darüber mit dem Berliner Senat verhandelt werden müssen. Herr Otto, im Hauptstadtkulturvertrag ist allerdings keine Festlegung in Bezug auf die Sanierung des Gebäudes erfolgt. So viel steht fest. Ich komme zur Museumsinsel. Ich freue mich besonders, dass es gelungen ist, den Beginn der Arbeiten im Zuge der Errichtung des Eingangsgebäudes für die Museumsinsel auf 2009 vorzuziehen. ({10}) Es soll dazu dienen, die schon jetzt anwachsenden Besucherströme ab 2015 auf der Insel zu verteilen. Die Museumsinsel entwickelt sich zu einem Magneten für Besucherinnen und Besucher aus allen deutschen Bundesländern und aus dem Ausland; Sie haben miterlebt, was sich seit der Eröffnung des Bode-Museums dort abspielt. Der Bund unterstützt den Bau des Eingangsgebäudes mit insgesamt 73 Millionen Euro, die ab 2009 fließen. Bis 2015 soll die Umsetzung erfolgen. Petra Merkel ({11}) Mir sei noch eine Bemerkung gestattet: Ich hoffe sehr, dass über die Form des Eingangsgebäudes noch diskutiert wird. Ich bin sicher, dass durch die Einstellung der entsprechenden Mittel ab 2009 jetzt die Auseinandersetzung darüber im Kulturausschuss beginnen kann. Über Geschmack lässt sich streiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen im Kulturausschuss, bitte tun Sie es! ({12}) Der Bund investiert viel in Berlin, wenn auch nicht über die Haushaltskasse des Landes. Ich nenne die Sanierungsmaßnahmen auf der Museumsinsel, das Eingangsgebäude, das sind Bundesmittel für die Stiftung „Preußischer Kulturbesitz“, an der Bundesländer und der Bund beteiligt sind. Vieles, was in Berlin zu sehen ist, ist eben von nationaler Bedeutung. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir im Rahmen der Föderalismusreform im Sommer dieses Jahres neben anderen, umfangreichen Grundgesetzänderungen einen Art. 22 aufgenommen haben: Die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt ist Aufgabe des Bundes. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt. Ich plädiere dafür, dass ein solches Berlin-Gesetz unter anderem den Hauptstadtkulturvertrag und den Hauptstadtkulturfonds ablösen sollte. Als Auftraggeber, als diejenigen, die das Grundgesetz geändert haben, müssen wir die Diskussion darüber führen, was der Bund für die Hauptstadt tun muss. Als Berlinerinnen und Berliner müssen wir die Diskussion führen, was die Hauptstadt den Bundesländern bietet. Als Bürger der Bundesrepublik müssen wir schließlich darüber diskutieren, welche Erwartungen an die Hauptstadt es gibt. ({13}) Während der Fußballweltmeisterschaft in diesem Sommer haben viele Menschen erlebt, was diese weltoffene Hauptstadt Berlin unbezahlbar, selbstverständlich leisten kann - und das mit Freude tut. Zum Schluss möchte ich darauf verweisen, dass das Bundespresseamt, dessen Etat zum Einzelplan des Bundeskanzleramts gehört, eine hervorragende Broschüre herausgegeben hat, die den Besucherinnen und Besuchern, die wir aus den Wahlkreisen nach Berlin einladen, überreicht wird: „Das politische Berlin - ein Stadtrundgang“. Das ist die gelungene Umsetzung einer Idee, die ich an das Bundespresseamt herangetragen habe. Ich glaube, dies dient genau dazu zu diskutieren, was die Hauptstadt ermöglicht und was wir erwarten. Diesen Diskussionsprozess brauchen wir. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, bei dem Herrn Staatsminister und den Vertretern der Ministerien. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- plan 04, Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt, in der Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Änderungs- anträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- sache 16/3464? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Ent- haltungen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist der Ände- rungsantrag der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- sache 16/3465? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Ent- haltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Union und der SPD bei Enthaltung der Fraktionen der FDP und der Grünen. Wir nehmen zwei Erklärungen zur Abstimmung zu Protokoll, nämlich der Kollegin Maria Michalk und des Kollegen Dr. Ilja Seifert1), und kommen damit zur namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem Platz? - Ich eröffne die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die unterbrochene Sitzung ist wiedereröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Ihre Plätze wieder einzunehmen. - Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb- nis der namentlichen Abstimmung über den Einzel- plan 04, Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt, in der Ausschussfassung bekannt - das betraf die Drucksachen 16/3104 und 16/3123 -: Abgegebene Stimmen 569. Mit Ja haben 419 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein haben 150 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Es gab keine Enthaltung. Damit ist der Einzelplan 04 ange- nommen. 1) Anlagen 2 und 3 Vizepräsidentin Petra Pau Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 569; davon ja: 419 nein: 150 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Carl-Eduard von Bismarck Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({1}) Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Georg Fahrenschon Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({4}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Gerda Hasselfeldt Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({5}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({6}) Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({7}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl Lamers ({8}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({9}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Laurenz Meyer ({10}) Maria Michalk Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Carsten Müller ({11}) Stefan Müller ({12}) Bernward Müller ({13}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Bernd Neumann ({14}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Henning Otte Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({15}) Klaus Riegert Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({16}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({17}) Hermann-Josef Scharf Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({18}) Andreas Schmidt ({19}) Ingo Schmitt ({20}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({21}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({22}) Gerald Weiß ({23}) Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({24}) Elisabeth WinkelmeierBecker Matthias Wissmann Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Ernst Bahr ({25}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({26}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({27}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Vizepräsidentin Petra Pau Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Iris Gleicke Renate Gradistanac Angelika Graf ({28}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({29}) Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({30}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({31}) Frank Hofmann ({32}) Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung ({33}) Josip Juratovic Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({34}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({35}) Dr. Matthias Miersch Marko Mühlstein Detlef Müller ({36}) Michael Müller ({37}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Steffen Reiche ({38}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({39}) Michael Roth ({40}) Ortwin Runde Anton Schaaf Axel Schäfer ({41}) Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder Ulla Schmidt ({42}) Silvia Schmidt ({43}) Renate Schmidt ({44}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({45}) Carsten Schneider ({46}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Swen Schulz ({47}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. h. c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber ({48}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Daniel Bahr ({49}) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({50}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Joachim Günther ({51}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Heinz Lanfermann Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Markus Löning Horst Meierhofer Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel ({52}) Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg Rohde Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({53}) Martin Zeil DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dagdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Dr. Barbara Höll Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Jan Korte Katrin Kunert Oskar Lafontaine Ulla Lötzer Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Vizepräsidentin Petra Pau Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({54}) Volker Schneider ({55}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({56}) Volker Beck ({57}) Cornelia Behm Birgitt Bender Matthias Berninger Grietje Bettin Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Hans Josef Fell Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Winfried Hermann Priska Hinz ({58}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Undine Kurth ({59}) Markus Kurth Monika Lazar Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({60}) Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({61}) Krista Sager Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({62}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.9 auf: Einzelplan 05 Auswärtiges Amt - Drucksachen 16/3105, 16/3123 Berichterstattung: Abgeordnete Jürgen Koppelin Lothar Mark Alexander Bonde Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Als erster Redner in dieser Debatte hat der Kollege Dr. Werner Hoyer für die FDP-Fraktion das Wort. ({63})

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Außenpolitik, insbesondere die internationale Politik, hat Hochkonjunktur. Scherbenhaufen allerorten: Afghanistan droht der internationalen Gemeinschaft verloren zu gehen. Im Irak stehen unsere amerikanischen Freunde vor der größten Niederlage seit Vietnam. Niemand hat Veranlassung, darüber Schadenfreude zu empfinden, auch nicht diejenigen, die - genauso wie wir Liberale - diesen Krieg immer für falsch gehalten haben. Die Radikalisierung der islamischen Welt gegenüber dem Westen schreitet voran. Islamisten haben massenhaft Zulauf. Mit Nordkorea ist eine weitere Atommacht auf den Plan getreten, während die Verhandlungen mit dem Iran über die Aufgabe seines Atomprogramms in einer Sackgasse stecken und das Scheitern des Nichtverbreitungsvertrages unausweichlich erscheint. Wir erleben zudem eine Entrechtlichung der internationalen Beziehungen und eine deutliche Schwächung internationaler Organisationen. Bei all diesen bedrückenden Themen haben die Menschen - wie ich befürchte: nicht ganz zu Unrecht - den Eindruck, dass etwas völlig schief läuft und dass der Westen bei allen diesen Themen auf der Verliererstraße ist. ({0}) Haben die Terroristen in den letzten Jahren nicht schon einen riesengroßen Erfolg errungen, wenn viele Menschen aus Angst vor möglichen Attentaten ihre Verhaltensweisen, beispielsweise ihre Reisepläne, ändern? Haben die Terroristen nicht vielleicht einen noch größeren Erfolg errungen, wenn wir beginnen, im Kampf gegen den Terrorismus Eckpfeiler unserer gesellschaftlichen Ordnung, die auf Freiheit, Toleranz, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde basiert, anzukratzen oder sogar umzuwerfen? Gelingt es uns denn überhaupt noch - die Bundeskanzlerin hat das heute angesprochen -, die Köpfe und vor allem die Herzen zum Beispiel derjenigen zu erreichen, denen wir mit unserem militärischen Engagement Hilfe leisten wollen? Ein Scheitern des Westens, also der Staaten, die ihre Wurzeln in der Aufklärung verorten, können wir uns nicht leisten. Wenn wir uns als Europäer und insbesondere als Deutsche im Globalisierungsprozess erfolgreich behaupten wollen, müssen wir unsere Interessen abstimmen, uns auf unsere gemeinsamen Werte besinnen und unsere Kräfte bündeln, und zwar gemeinsam mit denjenigen, die wie wir, die meisten anderen Europäer und die Amerikaner auf Toleranz, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenwürde setzen. ({1}) Da gleich noch über die NATO zu reden sein wird: Wir sind gut beraten, den gewaltigen historischen Fortschritt der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts nicht aufs Spiel zu setzen, der in einer klaren Absage an jede Renationalisierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik besteht. Die NATO - die Verteidigungsorganisation und die politische Organisation, der wir sehr viel zu verdanken haben und zu der wir zu Recht ständig Bekenntnisse abliefern - ist in einer schwierigen Situation. Wir bekennen uns in der Tat zu ihr. Wir brauchen sie auch in Zukunft dringend. Aber welche NATO eigentlich? Unglücklicherweise steht in dem Weißbuch zur Sicherheitspolitik, das nicht nur das Weißbuch des Verteidigungsministers, sondern das der Bundesregierung ist, zur Zukunft und zur Qualität der NATO nichts. ({2}) Die Bundeskanzlerin hat zu Recht in München wie ihr Vorgänger gesagt, dass die NATO wieder der zentrale Ort der strategischen Debatte werden müsse. Das ist richtig. Aber dann müssen wir die entscheidenden Fragen diskutieren, auch im Zusammenhang mit Weißbüchern und auch hier im Deutschen Bundestag. Dann müssen wir darüber diskutieren, wie denn Deutschland zu den neuen NATO-Partnerschaften steht. Wir müssen darüber diskutieren, wie die deutsche Bundesregierung sich zu der Frage einlässt, ob, wie das mancher in Washington glaubt, die NATO bestenfalls noch ein Werkzeugkasten ist, aus dem man sich je nach Auftrag die entsprechende Koalition derer, die mitmachen wollen, zusammenstellt. Die NATO muss mehr als ein Werkzeugkasten sein. ({3}) Wir dürfen an der tiefen Integration dieses politischen und Sicherheitsbündnisses keinen Zweifel aufkommen lassen. Es darf sich der Fehler der Amerikaner nach dem 11. September 2001 nicht wiederholen, als der Bündnisfall festgestellt worden ist und die NATO anschließend unmittelbar keine Funktion mehr bei der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus erfüllen konnte. Deswegen müssen wir offene Gespräche führen. In diese offenen Gespräche im Bündnis gehören auch die Fakten über Afghanistan. Ich finde, die Bundesregierung lässt viel zu sehr zu, dass sie, aber auch unsere Kolleginnen und Kollegen in der Parlamentarischen Versammlung der NATO unter Druck geraten. Wir müssten in die Offensive gehen. Wenn wir das täten, würden wir nämlich feststellen, dass wir in der Tat nicht immer dieselbe Sprache sprechen. Einige scheinen, geprägt von ihren Kampferfahrungen im Irak, ihren militärischen Auftrag mehr oder weniger eins zu eins in Afghanistan fortsetzen zu wollen. Das kann für Deutschland nicht die Linie sein. Für uns war es immer Aufbauarbeit mit der erforderlichen militärischen Absicherung. So war es abgesprochen. Das ist auch das, was uns Bundeskanzler Schröder hier unmittelbar nach dem 11. September in seiner Rede im Deutschen Bundestag vor der Vertrauensabstimmung gesagt hat. Es ist klar definiert worden, was Deutschland leisten soll und was nicht. Mangel an Solidarität nach der Geschichte der NATO der letzten 50 Jahre braucht sich Deutschland von niemandem vorwerfen zu lassen. ({4}) Wir haben im Übrigen auch in Afghanistan unsere Verpflichtungen punkt- und kommagenau erfüllt. Indessen stellen wir fest, dass im Süden zwei angeküdigte PRTs fehlen. Eines fehlt im Osten und die Quick Reaction Force Süd sehe ich auch nirgendwo, es sei denn, man nähme die aus Kabul verlagerte Komponente als entsprechenden Ersatz. Aber da wird doch nur ein Loch aufgerissen, um irgendwo ein anderes zu stopfen. ({5}) Diejenigen, die sich nicht beteiligt haben oder ihre Leistung nicht wie angekündigt und versprochen erbracht haben, müssen sich an die Nase fassen, bevor sie Deutschland vorführen. ({6}) Wir müssen auch die Frage stellen, ob alles richtig gemacht worden ist. Diejenigen, die mehr von militärischen Operationen verstehen als wir hier im Deutschen Bundestag, pfeifen es doch von den Dächern, wenn sie fragen, ob es verantwortungsbewusst ist, so große Operationen wie „Medusa“ ohne hinreichende Reserven anzugehen. Und: Ist es denn gerechtfertigt, eine so große Verantwortung wie die ISAF-Führungsrolle im Süden zu übernehmen, wenn dafür nicht die notwendigen militärischen Kräfte zur Verfügung stehen? Das mag jetzt alles sehr technisch klingen. Aber die Politik, die die Verantwortung für diese Einsätze trägt, muss diese Fragen beantworten können. Es kann doch nicht sein, dass wir sagen: Nicht nur ist die NATO wichtig für Afghanistan, sondern umgekehrt: Afghanistan ist heutzutage ungeheuer wichtig für die NATO. Ich sehe die Gefahren für das Bündnis, wenn wir in Afghanistan scheitern. Aber es kann nicht sein, dass die Raison d’Être der NATO nur noch in dem Einsatz in Afghanistan gesehen wird. Ich halte das für einen ganz gefährlichen Ansatz. ({7}) Meine Damen und Herren, wir sind in einer schwierigen Situation, weil wir selber im Norden natürlich auch nicht nur Erfolgsstorys verbreiten können. Das haben wir in der ISAF-Debatte hier auch besprochen. Die Vernetzung der Entwicklungspolitik, der Politik auf dem Gebiet der inneren Sicherheit, der Verteidigungspolitik und der Außenpolitik ist bei weitem noch nicht so erfolgreich, wie wir uns das wünschen. Da nickt der Außenminister und lächelt wissend. Also können wir selber bei diesem Thema, das im Weißbuch der Bundesregierung eine wichtige Rolle spielt, noch einiges nachlegen. Wir müssen das Primat des Politischen vor dem Militärischen einfordern. Wir müssen das militärisch und politisch Wünschbare mit dem militärisch Machbaren übereinbringen und wir müssen vorher immer wissen, wie man wieder herauskommt. Das ist Clausewitz pur und gilt heute wie früher. ({8}) Meine Damen und Herren, die FDP hat den meisten Auslandseinsätzen zugestimmt, dem im Libanon nicht. Wir sind leider kurz nach dem Beschluss in unserer Meinung bestätigt worden, nicht zugestimmt zu haben. ({9}) Aber das ist jetzt nicht das Thema. Entscheidend ist doch, dass möglicherweise - das war das Ziel - der UNIFIL-Einsatz Zeit kauft für den Ansatz für eine politische Lösung. Da frage ich mich natürlich: Wo ist denn etwas zu erkennen, was die politische Lösung zumindest am Horizont erscheinen lässt? ({10}) Wo sind die entsprechenden Aktivitäten? Hier ist auch die Bundesregierung gefordert. Ich denke, es wird Zeit - möglicherweise nach den amerikanischen Wahlen jetzt auch mit mehr Aussicht auf Erfolg -, diesen Prozess wieder anzugehen. Seit dem Abgang von Bill Clinton ist viel zu viel Zeit verloren gegangen. Schließlich komme ich zum Thema Abrüstungspolitik. Hier erwarten wir, Herr Minister - wir haben es hier mehrfach angemahnt -, eine Initiative Deutschlands; denn das Abrüstungsregime scheint am Ende, die Abrüstungspolitik scheint einzuschlafen, mit unabsehbaren Konsequenzen für die Machtverhältnisse und die Gefahren in dieser Welt. Frau Bundeskanzlerin, Sie gehen in eine G-8- und in eine EU-Präsidentschaft. Herr Kollege Link wird zum Thema Europapolitik nachher noch einiges sagen. Wir wünschen Ihnen aus vollem Herzen und aus voller Überzeugung viel Erfolg bei dieser schwierigen Aufgabe. Diese EU-Präsidentschaft muss ein Erfolg werden. Setzen Sie Ihre Ziele nicht zu unambitioniert. Sie haben eine große Herausforderung zu bestehen. Die Erwartungen der europäischen Freunde sind enorm groß. Wir, die Liberalen, wünschen Ihnen auf diesem Weg großen Erfolg. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Lothar Mark für die SPDFraktion.

Lothar Mark (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003190, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die aufgeworfenen und aktuellen Fragen werden sicherlich vom Außenminister und von Professor Gert Weisskirchen auf unserer Seite mit in die Überlegungen einbezogen werden. Ich werde als Haushälter für den Bereich des Auswärtigen Amtes versuchen, einiges über das Zahlenwerk des Auswärtigen Amtes zu sagen. Der Haushalt des Auswärtigen Amtes umfasst nach den Veränderungen, die wir im parlamentarischen Verfahren erreicht haben, 2,51 Milliarden Euro. Das ist eine Steigerung von insgesamt 120 Millionen Euro gegenüber dem letzten Jahr. Andererseits muss man allerdings feststellen, dass der Haushalt nur 0,93 Prozent des Gesamthaushaltes ausmacht. Meines Erachtens ist diese Zahl etwas zu niedrig. Wir müssten anstreben, in absehbarer Zeit auf mindestens 1 Prozent zu kommen. ({0}) Durch die Pflichtbeiträge, die wir an die Vereinten Nationen abführen, sieht sich unser Haushalt immer wieder im Wachstum begriffen. Allerdings hat das Auswärtige Amt von diesem Wachstum im Grunde genommen nichts, da die Gelder wieder abgeführt werden müssen. Im Vergleich dazu steigen der Haushalt für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gegenüber dem Vorjahr um 324 Millionen Euro auf knapp 4,5 Milliarden Euro und der Verteidigungshaushalt um eine halbe Milliarde auf 28,4 Milliarden Euro. Man muss auch diese Zahlen einmal nennen, um die Dimensionen zu erkennen. Angesichts einer zunehmenden Anzahl an - ich sage bewusst: militärischen - Friedensmissionen sollten wir künftig verstärkt über eine bessere nachhaltige Krisenpräventionspolitik weltweit nachdenken. Dies verlangt: Erstens. Außen-, Sicherheits-, Entwicklungs-, Wirtschafts-, Finanz-, Umwelt-, Sozial-, Kultur- und Gleichstellungspolitik müssen systematisch aufeinander abgestimmt werden. Wird unser Handeln dieser Prämisse immer gerecht? Zweitens. Die Herausbildung einer globalen Rechtsordnung, die auf der Charta der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aufbaut, muss sowohl in bilateralen als auch in multilateralen Verhandlungen zur Agenda gehören. Internationale Konventionen und Regelwerke müssen ausgebaut, die Handlungsfähigkeit internationaler und supranationaler Institutionen muss verbessert und die internationale Gerichtsbarkeit weiterentwickelt werden. Auch Supermächte sollten sich danach richten. Entspricht unser Handeln diesen Intentionen? Drittens. Präventionspolitik verlangt schließlich die Förderung eines wirksamen Multilateralismus und eine kooperative Stabilitätsordnung. Diese klaren Präventionskriterien werden in Krisensituationen wegen des akuten Handlungsbedarfs oft nicht in aller Konsequenz umgesetzt. Prävention national und international ist aber allemal auf Dauer humaner und effizienter als Schadensbekämpfung. Bezogen auf den Bundeshaushalt würde dies bedeuten, dass eine politische Priorisierungs- und Wertedebatte geführt werden muss. In diese Richtung weist, dass wir den Titel „Demokratisierungs- und Ausstattungshilfe, humanitäres Minenräumen und Förderung der Menschenrechte“ um 1,45 Millionen Euro auf 9,81 Millionen Euro aufgestockt haben. ({1}) Damit reagieren wir auf die Tatsache, dass trotz der Erfolge beim humanitären Minenräumen in den letzten Jahren jährlich immer noch 15 000 bis 20 000 Erwachsene und Kinder von Minen und Blindgängern getötet oder verstümmelt werden. Menschen in über 80 Ländern sind durch Minen akut bedroht. Die Befreiung der Böden von Minen und Blindgängern ist Bedingung für einen Wiederaufbau in Kriegsgebieten und für ein Leben ohne Angst. ({2}) Der Titel „Unterstützung von internationalen Maßnahmen auf den Gebieten der Krisenpräventionen, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung“ wurde schon im Regierungsentwurf angehoben. Der Ansatz von 12,6 Millionen Euro dient unter anderem dazu, den im Koalitionsvertrag aufgegriffenen Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ zu konkretisieren. Die erwähnten Mittel sind beim Auswärtigen Amt ebenso ODA-fähig wie humanitäre Hilfe, die mit 50 Millionen Euro jährlich verstetigt wurde, einige Projekte und Einrichtungen der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik und schließlich einige Anteile von Beiträgen für internationale Organisationen. Die ODA-Quote ist von 1982 bis 1998 von 0,42 Prozent auf 0,26 Prozent gesunken. Seit 1999 wächst sie wieder. Im Jahr 2006 liegt sie bei rund 0,36 Prozent. Im Haushalt 2007 wird der Anteil aller Voraussicht nach bei 0,37 Prozent liegen. Das hört sich sehr einfach an, ist aber äußerst schwierig zu erfüllen. Pro 0,01 Prozent Erhöhung benötigen wir nach aktueller Haushaltsbasis 225 Millionen Euro ODAanerkannter Projekte. Ein Anteil von 0,7 Prozent, wie angestrebt, würde derzeit ein Mehr von 7,65 Milliarden Euro im Bundeshaushalt bedeuten. Zu den 0,37 Prozent ODA-Quote trägt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung circa 63 Prozent bei. 15 Prozent werden aus unseren Mitteln an die EU anerkannt, circa 10 Prozent steuern die Bundesländer bei. Das Auswärtige Amt ist mit circa 5 Prozent beteiligt. Dieser Anteil muss künftig erhöht werden. Wenn Deutschland im ersten Halbjahr 2007 die EURatspräsidentschaft und den G-8-Vorsitz übernimmt, werden die außenpolitischen Erwartungen an uns weiter steigen. Schon jetzt gilt Deutschland weltweit als Friedensmacht und verlässlicher Partner. Der Haushalt 2007 des Auswärtigen Amtes steht deshalb auch im Zeichen dieser neuen Herausforderungen. Im Auswärtigen Amt wurden dafür 15 neue Stellen sowie eine auf zwei Jahre befristete Anhebung des Aushilfskräftetitels vorgesehen. Insgesamt stehen für den gesamten Aufgabenkomplex EU- und G-8-Vorsitz 58,8 Millionen Euro zur Verfügung. Ein weiterer Schwerpunkt des auswärtigen Haushalts liegt 2007 auf den Bemühungen, die personelle und materielle Ausstattung der Visastellen an den Auslandsvertretungen zu verbessern ({3}) und diese auf die Einführung der Erfassung biometrischer Daten vorzubereiten. Damit einher geht dann auch eine Verbesserung der inneren Sicherheit. So konnten erfreulicherweise 35 neue Stellen ausgebracht und zusätzliche Mittel für Ortskräfte sowie IT- und Umbaumaßnahmen veranschlagt werden. Die Visastellen gehören mit den Rechts- und Konsularabteilungen zu den Aushängeschildern Deutschlands im Ausland. Wir sollten ihnen deshalb auch als Parlamentarier größere Aufmerksamkeit und Unterstützung zukommen lassen. ({4}) Die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik als dritte Säule der Außenpolitik wird in der Tat immer wichtiger. Im parlamentarischen Verfahren konnten wir, zum Teil einstimmig, Erhöhungen der Mittelzuweisungen um insgesamt mehr als 20 Millionen Euro vornehmen. Damit konnten die Kürzungen der vergangenen Jahre kompensiert werden. Trotzdem muss man sagen, dass wir insgesamt für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik pro Kopf und pro Jahr weniger als 7 Euro ausgeben. Ich bringe in diesem Zusammenhang immer das Beispiel, dass man dafür noch nicht einmal eine Kinokarte kaufen kann. Wir müssen also stärker in den auswärtigen Kultur- und Bildungsbereich investieren, um eine nachhaltige und rentierliche Politik zu erreichen. ({5}) Ein besonderes Augenmerk hatten wir auf das Goethe-Institut gerichtet. Es ist bereits erwähnt worden: Wir haben 13,5 Millionen Euro zusätzlich bewilligt, sodass dem Goethe-Institut circa 120 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Nun muss aber das Goethe-Institut auch die Reformkonzepte, die gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt und dem Parlament ausgearbeitet wurden, umsetzen. ({6}) Dazu gehört, dass die neuen Steuerungselemente und Zielvereinbarungen strikt eingehalten werden. Zudem sollte meines Erachtens mit dem Finanzministerium auch ein modernes Liegenschaftsmanagement ausgehandelt werden, damit den Goethe-Instituten vor Ort mehr Flexibilität ermöglicht wird. Meines Erachtens sollten alle anderen Kulturmittler, die Zuwendungen aus dem Haushalt des Auswärtigen Amtes erhalten, ab 2007 darauf vorbereitet werden, dass Budgetierung und Controlling ab 2008 einzuführen sind. Nur so kann deren Arbeit auf Dauer finanziell abgesichert werden. Im Sinne von Haushaltswahrheit und -klarheit spreche ich mich zusammen mit meinem Berichterstatterkollegen Frankenhauser und den anderen Kollegen dafür aus, dass wir wie zum Beispiel beim Deutschen Archäologischen Institut Titelzusammenfassungen in einem Kapitel herbeiführen und die Streulage der jeweiligen Einrichtungen innerhalb des Einzelplans beenden, um so mehr Transparenz herzustellen. Das Goethe-Institut muss allein schon von seiner Aufgabenstellung her in der Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes bleiben. Andere Überlegungen, die Zuständigkeit in Richtung Bundeskanzleramt zu verlagern, wie jüngst gefordert, sollten nicht weiter verfolgt werden. ({7}) Es handelt sich für mich dabei um eine Gummibärchendiskussion, die letztendlich nur hinderlich ist. ({8}) Die deutschen Botschaften vor Ort sind aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die deutschen Mittlerorganisationen und sonstigen Institutionen und Organisationen - ich nenne hier die deutschen Auslandsschulen, den Deutschen Akademischen Austauschdienst, die Alexandervon-Humboldt-Stiftung, das Deutsche Archäologische Institut; man könnte auch die politischen Stiftungen, die Deutsche Welle usw. einbeziehen - nicht nur bei Raumfragen, sondern auch programmatisch verstärkt zusammenarbeiten, weil so wesentliche Synergieeffekte erzielt werden können. In diesem Bereich sollte aber auch die Zusammenarbeit mit Mittlerorganisationen anderer europäischer Staaten voranschreiten. Die Ansätze für die deutschen Auslandsschulen, zur Förderung der deutschen Sprache im Ausland, für Austauschmaßnahmen und Beihilfen für Nachwuchswissenschaftler, Studierende und Hochschulpraktikanten aus dem Ausland sind jeweils um 1 Million Euro erhöht worden, ({9}) was meines Erachtens sehr wichtige Maßnahmen sind. Außerdem wurde der Ansatz für gesellschaftspolitische Maßnahmen der politischen Stiftungen um 1,7 Millionen Euro und der Ansatz für die Öffentlichkeitsarbeit zur Auslandsberichterstattung über Deutschland um 750 000 Euro erhöht. Das Deutsche Archäologische Institut erhielt im parlamentarischen Verfahren zusätzliche 500 000 Euro.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Mark, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. Ich fürchte, Sie bekommen sonst Ärger mit den Kollegen Weisskirchen und Griefahn. ({0})

Lothar Mark (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003190, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich komme zum Schluss. - Ich danke allen Berichterstattern, die mit mir in diesem Rahmen zusammengearbeitet haben. Es war immer eine sehr verständnisvolle Arbeit. Ich danke auch dem Außenminister ganz herzlich für die offenen und fairen Gespräche und die vertrauensvolle Arbeit. Ebenso danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Auswärtigen Amt für ihre aufopferungsvolle Arbeit in oft äußerst schwieriger Mission. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Leutert für die Fraktion Die Linke. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn im Bundestag über Außenpolitik gesprochen wird, ist sehr oft von Frieden und gestiegener internationaler Verantwortung Deutschlands die Rede. Auch im Koalitionsvertrag steht in dem Kapitel zur Außenpolitik als erster Satz: Deutsche Außen-, Europa- und Entwicklungspolitik dient dem Frieden in der Welt. Dies ist ein Kernsatz, den wir natürlich unterstützen können. Aber ich denke, wir als Opposition werden die Regierung nicht bloß an solchen Lippenbekenntnissen, sondern auch an den Realitäten messen müssen und messen. Der Haushalt ist sozusagen die materielle Unterfütterung dieser Ziele. Ansonsten sind die Ziele das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Wir sprechen heute über den Etat des Auswärtigen Amtes. Er umfasst - das wurde schon erwähnt - 2,5 Milliarden Euro. Das ist nicht einmal 1 Prozent des Gesamtetats. ({0}) Dies ist die zivile Komponente der Außenpolitik. Dagegen steht ein Verteidigungsetat von über 28 Milliarden Euro, der damit der zweitgrößte Einzeletat im Bundeshaushalt ist. Er umfasst weit über 10 Prozent des Gesamtetats. Das ist die militärische Komponente der Außenpolitik. Der Wahrheit halber muss man dazusagen, dass von diesen 2,5 Milliarden Euro beim Auswärtigen Amt noch ungefähr 600 Millionen Euro abgezogen werden müssen, nämlich Beiträge an die UN für friedenserhaltende Maßnahmen, also Militäreinsätze, die unter UN-Mandat stattfinden, für die Deutschland als Mitglied der UN zahlt. Zu guter Letzt gibt es vom Auswärtigen Amt zum Verteidigungsministerium eine Quersubventionierung, über die hier eigentlich nie gesprochen wird. Nimmt nämlich Deutschland an UN-Missionen teil, bekommt es dafür von der UN Aufwandsentschädigungen. Diese umfassten in den Jahren 2003 bis 2005 immerhin 74 Millionen Euro. Sie fließen allerdings nicht in den Topf, aus dem sie finanziert wurden, sondern natürlich in den Topf des Verteidigungsministeriums. Wenn man sich allerdings die Größenverhältnisse anschaut - weniger als 1 Prozent zivile Außenpolitik, mehr als 10 Prozent militärische Außenpolitik -, dann müsste man eigentlich zu dem Schluss kommen, dass diese 74 Millionen Euro wesentlich besser beim Auswärtigen Amt aufgehoben wären. ({1}) Wir debattieren jedes Jahr im Haushaltsausschuss beispielsweise darüber, ob wir 11 Millionen oder 12 Millionen Euro für zivile Aufgaben wie das Minenräumen bereitstellen können und ob wir den Mehrbedarf der Goethe-Institute in Höhe von 16 Millionen Euro mit 13 Millionen oder 14 Millionen Euro decken können. Man kann also sagen: Diese 74 Millionen Euro könnten uns bei der Finanzierung der zivilen Komponenten der Außenpolitik weiterhelfen. ({2}) Schon aus diesem Grunde kann meine Fraktion diesem Haushalt nicht zustimmen. Ich möchte ein Beispiel nennen, wie „ernsthaft“ es derzeit die Regierung mit der zivilen Komponente der Außenpolitik meint. Es gibt ein so genanntes Aktionsprogramm „Zivile Krisenprävention“. Es wurde von der Vorgängerregierung beschlossen und soll nun gemäß der jetzigen Koalitionsvereinbarung durchgeführt werden. In diesem Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ ist ein Beauftragter im Range eines Botschafters beim Auswärtigen Amt vorgesehen. Ich war in der letzten Legislaturperiode noch nicht Mitglied dieses Parlaments. Daher habe ich heute Morgen im Auswärtigen Amt angerufen, um einmal mit diesem Beauftragten zu sprechen oder zumindest zu erfahren, wer dies eigentlich ist. Ich habe bis jetzt noch keine Auskunft über diesen Mitarbeiter im Range eines Botschafters bekommen. So ernst nimmt die Bundesregierung die zivile Komponente der Außenpolitik. ({3}) Meine Fraktion hat schon immer gefordert, dass der zivilen Komponente unbedingt Vorrang einzuräumen ist. Allerdings sieht das die Mehrheit des Parlamentes nicht so. Wir haben allein im September innerhalb von einer Woche drei Militäreinsätze im Sudan, in Afghanistan und im Libanon mit einem Umfang von über 650 Millionen Euro beschlossen. Das ist ein Viertel des Etats des Auswärtigen Amtes. Wir haben Gegenstrategien aufgezeigt. Unser Vorschlag ist, dass die Bundesregierung im Libanon nach dem Vorbild KSZE aktiv werden sollte und daran mitwirken sollte, eine Nahostkonferenz einzuberufen. Zumindest sollte ein entsprechender Vorschlag unterbreitet werden. Die Bundesregierung ist aber auf diesem Gebiet bisher untätig geblieben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Leutert, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, natürlich.

Holger Haibach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Kollege Leutert, ich wollte Sie fragen, ob Sie bereit sind, dazuzulernen, was die Frage nach dem Beauftragten für Zivile Krisenprävention angeht. Wären Sie also bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass dieser Beauftragte der Botschafter Dr. Däuble ist? ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Haibach, Sie wissen doch aus dem Ausschuss, dass ich sehr wohl bereit bin, dazuzulernen. Wir können nächste Woche also gerne ein Gespräch mit diesem Beauftragten führen. Wir hatten, wie schon gesagt, den Vorschlag gemacht, eine Nahostkonferenz abzuhalten, anstatt diesen Militäreinsatz durchzuführen. Jetzt haben Italien, Spanien und Frankreich die Initiative ergriffen und haben diesen Vorschlag, eine Nahostkonferenz zu installieren, vorgelegt. Die Bundesregierung hat jetzt noch die Möglichkeit, auf der nächsten Konferenz der Staats- und Regierungschefs der EU diesen Vorschlägen zuzustimmen. Ich fordere Sie auf, dies zu tun. Ich möchte Ihnen noch ein Argument nennen, warum der zivilen Komponente der Außenpolitik eindeutig der Vorrang gegenüber der militärischen Komponente eingeräumt werden sollte. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich Militär, insbesondere Militär im Einsatz - die Bundeswehr wird im Übrigen im Koalitionsvertrag als eine Armee im Einsatz beschrieben -, der demokratischen Kontrolle entzieht. Das wird durch folgendes Beispiel deutlich. Ich habe eine einfache Frage an die Bundesregierung gestellt: Wie viele „Body bags“ werden die deutschen Streitkräfte bei der VN-Mission UNIFIL vor der libanesischen Küste mitführen? „Body bags“ sind Leichensäcke. Die Antwort lautete: Die im Rahmen der UN-Mission UNIFIL eingesetzten deutschen Kräfte führen die gemäß allgemeinem Ausstattungssoll vorgesehene Ausrüstung mit. „Body bags“ sind Bestandteil dieses Ausstattungssolls. Große Klasse! Das habe ich gewusst. Um das zu erfahren, hätte ich die Frage nicht stellen müssen. Wenn ich frage, wie viel, dann möchte ich natürlich als Antwort eine Zahl bekommen. ({0}) - Es besteht natürlich die Angst, dass in der Öffentlichkeit bekannt wird, mit wie vielen Opfern gerechnet wird. ({1}) Wenn wir Parlamentarier nicht einmal wissen dürfen, wie hoch die Risiken sind, wie sollen wir dann über solche Einsätze beschließen? Diese Dinge entziehen sich der demokratischen Kontrolle. Wenn die Regierung nicht einmal in der Lage ist, solche einfachen Fragen zu beantworten, dann frage ich mich natürlich, was das Gerede der Bundeskanzlerin im September sollte, als sie ankündigte - dies war in verschiedenen Zeitungen nach6564 zulesen -, dass der Militäretat aufgrund der gestiegenen internationalen Verantwortung in den nächsten Jahren natürlich weiter erhöht wird. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Leutert, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, jetzt nicht. Herr Außenminister, ich habe den Eindruck, dass das Auswärtige Amt, wenn diese Entwicklung so weitergeht, ein nachgeordnetes Amt des Bundesverteidigungsministeriums wird. ({0}) Wenn Sie allerdings dagegen ankämpfen möchten, dann haben Sie uns auf Ihrer Seite. Wir wollen einen starken Außenminister für eine friedliche und zivile Außenpolitik und keinen starken Kriegsminister. Ich danke. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Herbert Frankenhauser für die Unionsfraktion. ({0})

Herbert Frankenhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! In der Demokratie wird man leidensfähig, ({0}) wie man wieder deutlich an dem vorangegangenen Beispiel gesehen hat. Aber es gibt auch Erfreuliches, so zum Beispiel die glückliche Fügung, dass mein hoch geschätzter Kollege Lothar Mark in Haushaltsdebatten immer vor mir spricht; denn nicht einmal ich selbst hätte den Einzelplan 05 so gut erläutern können, wie er das gemacht hat. Dies gibt mir einen gewissen Freiraum, zu ein paar grundsätzlichen und besonderen Dingen Stellung zu nehmen. Dies zeugt auch von der Harmonie, die nicht nur zwischen uns beiden, sondern auch in der großen Koalition besteht und die sich darin ausdrückt, dass zwischen uns praktisch kein Buchstabe passt. ({1}) - Es ist so. Ich darf mit Nachdruck seine Forderung unterstützen, dass Regierung und Parlament ständig überprüfen sollten, ob der Anteil des Einzelplans 05 am Gesamtbudget den Aufgaben, die dem Auswärtigen Amt gestellt sind, angemessen ist. ({2}) - Lieber Kollege, du weißt doch, wie schwierig das ist. Aber wir bemühen uns. - Im nächsten Haushalt ist wieder ein anteilsmäßiger Aufwuchs zur Erhöhung der Mittel für die Umsetzung der ODA-Quote vorgesehen. Wir wollen auch sonst versuchen, bereits im Aufstellungsverfahren eine bessere Dotierung des Einzelplanes zu erreichen, ({3}) in dem sich unter anderem ein Juwel der deutschen auswärtigen Kulturpolitik verbirgt, das ich hier einmal benennen muss: das Deutsche Archäologische Institut, das im Ausland exzellente Arbeit für Deutschland leistet, ({4}) so zum Beispiel in Ländern wie dem Iran, zu denen wir aus verständlichen Gründen einen etwas schwierigen Zugang haben. Gestern Abend sind die Verhandlungen zum EUHaushalt verschoben worden, weil man sich nicht verständigen konnte. Da will das Parlament mehr als die Kommission. Bei uns ist es zumindest jetzt umgekehrt gewesen. Das gibt mir Anlass, auf Folgendes hinzuweisen, sehr geehrter Herr Außenminister: Die EU-Ratspräsidentschaft steht bevor. Man will auch unter deutscher Ratspräsidentschaft für mehr Vertrauen werben. Man will sogar einen erneuten Anlauf für eine EU-Verfassung starten. Ich denke, das kann nur gelingen, wenn das Vertrauen der Bürger in die doch etwas weit entrückte Institution „Europäische Union“ wieder verfestigt wird. Das hängt stark damit zusammen, dass die Bürger die feste Überzeugung haben müssen, dass ihr Geld ordnungsgemäß und sinnvoll verwandt wird und man sich nicht, wie dies ein sozialdemokratischer Haushälter im Europäischen Parlament getan hat - der Vorteil einer großen Koalition ist, dass ein CSUler auch einen Sozi zitieren kann -, fragen muss: Sind unsere Regeln zu kompliziert oder finanzieren wir lauter Betrüger? ({5}) Das will ich doch nicht hoffen. Aber was ist in jüngster Zeit wieder passiert? Dazu möchte ich drei Beispiele nennen. Es gibt große Probleme bei der Ernährungslage der Bevölkerung im Senegal, insbesondere an der Küste. Das liegt daran, dass die dortigen Fischer ihre Hauptnahrung kaum mehr fangen können. Ursache dafür ist, dass die Europäische Union die Fischereirechte an der Küste aufgekauft hat. Ebenfalls werden der Bau, die Ausrüstung und der Treibstoff der Riesenschiffe, die das Hauptnahrungsmittel der Küstenbewohner des Senegals abfiHerbert Frankenhauser schen, von der EU subventioniert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so eine vernünftige europäische Politik aussehen kann. In Burkina Faso, einem der ärmsten Länder dieser Erde, ist Milchpulver aus der Bundesrepublik Deutschland um mehr als die Hälfte billiger als die Milch, die von den dortigen Milchbauern angeboten wird. Das liegt daran, dass die Milch in Europa so stark subventioniert wird. Sie kann daher preiswerter verkauft werden, was dazu führt, dass den Milchbauern in Burkina Faso die Existenzgrundlage entzogen wird. So sollten unsere Steuergelder auf EU-Ebene nicht verwendet werden. ({6}) Es ist kaum zu glauben: Der Europäische Rechnungshof hat beispielsweise festgestellt, dass bei der Forschungsförderung der Europäischen Union die Kosten und Aufwendungen bei drei Viertel aller geprüften Vorgänge schlichtweg doppelt abgerechnet wurden. ({7}) Hier muss es sich offensichtlich um eine konzertierte Betrugsaktion handeln. Wir sollten mit einem besseren Beispiel vorangehen. Ich denke dabei an die Fremdverwendung der Mittel aus dem Stabilitätspakt durch Berlin und andere Bundesländer. Ich möchte herzlich darum bitten, Herr Bundesaußenminister, die Gelegenheit der EU-Ratspräsidentschaft zu nutzen, um den Bemühungen, die aus dem Europäischen Parlament kommen, eine sorgfältigere Prüfung der Mittelverwendung durchzusetzen, durch geeignete Mittel zu unterstützen. Meines Erachtens sollte es unter allen Umständen durchgesetzt werden, dass fehlgeleitete Mittel oder überwiegend durch Betrug erschlichene Fördermittel der EU von den jeweiligen EU-Mitgliedsländern wieder zurückgeführt werden. Wenn das nicht geschehen sollte, muss ein solches Vorgehen mit entsprechenden Sanktionen belegt werden. Ich will ein Beispiel nennen: In Spanien wurden lediglich 4,9 Prozent der offenkundig fehlgeleiteten europäischen Mittel zurückgezahlt. Das kann nicht mit einer ordnungsgemäßen Haushaltsführung in Einklang gebracht werden. Ich bitte Sie, soweit als möglich auch auf die sinnvolle Mittelverwendung durch die EU-Kommission selbst, nicht nur durch die Empfängerländer oder die Empfänger in den Ländern zu sorgen. Hier hat der Europäische Rechnungshof eindeutige Verstöße innerhalb der Europäischen Kommission festgestellt. Zumindest sind wir der europäischen Biersteuer entkommen. Bei der Kennzeichnungspflicht - nun schließt sich der Kreis zur von mir in anderem Zusammenhang zitierten Schwarzwälder Kirschtorte - sind wir noch nicht so weit, aber es könnte durchaus sein, dass wir, wenn die EU-Kommission so weiter macht, für die Kommissare demnächst eine Kennzeichnungspflicht einführen müssen: Achtung! Kommissare! Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat die Kollegin Kerstin Müller das Wort.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle hier in diesem Hause unterstützen einen starken Multilateralismus. Wer aber einen starken und effektiven Multilateralismus will, der muss auch selber bereit sein, mehr internationale Verantwortung zu tragen, gerade auch im Rahmen der anstehenden deutschen EU- und G-8-Präsidentschaften. Das tun wir bereits auf dem Balkan, in Afghanistan, im Nahen Osten und im Kongo. Allerdings müssen wir die deutsche Öffentlichkeit darauf vorbereiten, dass es dabei angesichts der gestiegenen Anforderungen und neuen Herausforderungen in der Zukunft nicht bleiben wird. Ein Beispiel ist Darfur. Ich meine, hier muss die Bundesregierung endlich deutlich initiativ werden, um eine internationale Schutztruppe durchzusetzen. ({0}) Auch die Debatte um ein stärkeres deutsches Engagement im Süden Afghanistans kommt genau von diesen gestiegenen Erwartungen. Für uns sind der Wiederaufbau und die Stabilisierung dieses Landes von zentraler Bedeutung. Es liegt auch in unserem Interesse, auch wenn wir überwiegend im Norden sind, dass die Taliban und die anderen islamistisch-militanten Kräfte im Süden Afghanistans mit allen Mitteln, das heißt auch militärisch, bekämpft werden. Dennoch geht meines Erachtens die Kritik der USA und Großbritanniens in Bezug auf mangelnde Unterstützung durch Deutschland fehl. Die Art und Weise, wie im Südosten der Kampf gegen die Taliban und andere geführt wird, und zwar ohne dass diese militärischen Maßnahmen von sichtbaren Aufbauprojekten begleitet werden, bringt die Bevölkerung eher gegen die internationale Gemeinschaft auf, statt sie für diesen Aufbauprozess zu gewinnen. ({1}) Genau das muss endlich beim NATO-Gipfel in Riga auf den Tisch. Ich habe heute Morgen die entsprechende Ankündigung, von Ihnen, Frau Merkel, gehört. Man darf gespannt sein auf die Debatte und darauf, was Sie dort bei den Partnern erreichen können. Es geht auch um unterschiedliche Befriedungskonzepte. Die müssen wir mit den Partnern offensiv diskutieren. Im Norden ist das - ich nenne das jetzt einfach so sensible zivilmilitärische Konzept, an dem nicht nur die Deutschen, sondern auch Norweger, Schweden, Dänen, Tschechen und viele andere beteiligt sind, in einer schwierigen Region - was wir damals auch festgestellt haben -, immerhin Drogenanbaugebiet, mit verhältnismäßig wenig Soldaten recht erfolgreich. Wenn wir den Kampf gewinnen wollen, geht es eben nicht nur um mehr Soldaten, sondern darum - ich Kerstin Müller ({2}) möchte dazu die „Süddeutsche Zeitung“ von gestern zitieren -, für ganz Afghanistan das Zivile und das Militärische so zusammenzubinden, dass die Afghanen wirkliche Hoffnung schöpfen können. ({3}) Wenn das nicht gelingt, könnte Afghanistan zum Irak der NATO werden. Das müssen wir alle gemeinsam verhindern! ({4}) Wichtig ist - vielleicht können Sie etwas dazu sagen, Herr Außenminister -, dass sich die Bundesregierung dafür auch im Süden entwicklungspolitisch und mit zivilen Projekten engagiert. Auch beim Polizeiaufbau müssen die Anstrengungen in ganz Afghanistan verstärkt werden. 40 Ausbilder und 12 Millionen Euro waren ein guter Anfang, sind aber offensichtlich zu wenig. Geld und Personal müssen verdoppelt, wenn nicht verdreifacht werden. ({5}) - Und nachhaltig eingesetzt werden. Fest steht: Afghanistan muss auch politisch stabilisiert werden. Allein militärisch ist diese Auseinandersetzung nicht zu gewinnen. Genau das müssen wir in Riga mit den Partnern diskutieren. Meine Damen und Herren, die gestrige Ermordung des libanesischen Industrieministers Pierre Gemayel ist ein großer Schock für uns alle. Eine erneute Destabilisierung des Libanon ist zu befürchten. Damit sind auch der Erfolg der UNIFIL-Mission und der regionale Frieden gefährdet. Deswegen brauchen wir jetzt und unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft neue politische Initiativen für einen umfassenden Fahrplan für Nahost. Dazu gehören Initiativen zur Stabilisierung des Libanons und Gespräche mit Syrien. Ich sage das trotz der Vorfälle: Syrien muss endlich die libanesische Souveränität achten, seine Unterstützung für die Hisbollah einstellen. Wir müssen versuchen, Syrien aus der Achse mit Iran herauszubrechen. Das ist sicher nicht einfach. Das wäre aber ein echter strategischer Erfolg, der das Fenster zu Fortschritten im Nahen Osten öffnen könnte. Die politische und humanitäre Lage in den palästinensischen Gebieten ist mehr als kritisch: Eine handlungsfähige Regierung der nationalen Einheit ist immer noch nicht gebildet. Die Hamas schießt weiterhin Raketen auf Israel und Israel reagiert mit fatalen Militärschlägen. Auch hierzu erwarten wir unter deutscher Ratspräsidentschaft neue Initiativen. Das Nahost-Quartett muss endlich wieder belebt werden. ({6}) Im Irak erleben wir erneut eine Spirale der Gewalt. Bei den Midterm-Elections hat US-Präsident Bush die Quittung für eine verfehlte unilaterale Irakpolitik erhalten. Frau Bundeskanzlerin, Sie müssen diese Situation nutzen, um in Washington vehement für multilaterale politische Lösungen im Nahen und Mittleren Osten zu werben. Uns allen sollte nämlich klar sein, dass es ohne die amerikanischen Partner ganz schwer ist, im Nahen Osten zu wirklichen Erfolgen bzw. Ergebnissen zu kommen. ({7}) Eine multilaterale Einigung unter Einbeziehung der USA ist vor allem bezogen auf das iranische Atomprogramm sehr wichtig. Ich möchte sagen: Das iranische Atomprogramm ist nach dem unilateralen Irakkrieg ein entscheidender Testlauf für die Zukunft multilateraler Krisenbewältigung. Ein unilateraler Militärschlag, wie er zurzeit in bestimmten Kreisen offensichtlich diskutiert wird, wäre für den regionalen und den internationalen Frieden katastrophal. ({8}) Wir müssen wirklich alles daran setzen, dass wir zu einer Verhandlungslösung kommen. Ein Verhandlungsangebot liegt auf dem Tisch. Jetzt ist es an der iranischen Führung, Verhandlungswillen zu zeigen und einem Kompromiss bei der Urananreicherung zuzustimmen. Weil bisher keine Signale kamen, beraten die UN-Sicherheitsratsmitglieder zu Recht erstmalig über die Verhängung von Sanktionen. Es geht auch um die Glaubwürdigkeit der internationalen Gemeinschaft und die Autorität des Sicherheitsrates. Für mich ist Folgendes klar: Sanktionen dürfen nicht die Bevölkerung treffen, sie dürfen nicht das Regime stärken und die Tür für Verhandlungen muss jederzeit offen bleiben. Bis zum Ende des Jahres und anschließend, während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, werden entscheidende Weichenstellungen anstehen. Am Konflikt über das Atomprogramm lässt sich die gewachsene Verantwortung Deutschlands im Rahmen eines effektiven Multilateralismus beispielhaft aufzeigen. Ein weiteres positives Beispiel ist meines Erachtens der Kongoeinsatz. Einige Sätze dazu: Die Wahlen sind fair und friedlich verlaufen. EUFOR hat sich bisher als Sicherheitsgarant bewährt. Allerdings befinden wir uns erst jetzt in der schwierigsten Phase des gesamten Prozesses. Nächste Woche wird das Endergebnis verkündet. Der unterlegene Kandidat Bemba hat leider angekündigt, dass er das Ergebnis nicht akzeptieren will. Seine Anhänger haben gestern das Haus des Obersten Gerichtshofs in Brand gesetzt. Von hier aus richte ich einen deutlichen Appell an alle: Bemba muss - auch seinen Leuten - signalisieren, dass er dieses demokratische Ergebnis akzeptiert, damit die Bevölkerung im Kongo, die die Demokratie will, endlich zu ihrem Recht kommt. ({9}) Ich finde es fahrlässig, dass die Bundesregierung sich schon jetzt darauf festgelegt hat, dass der endgültige Abzug Ende November erfolgen soll. Die Situation könnte Kerstin Müller ({10}) noch eskalieren. Wir hoffen zwar, dass das nicht passiert, meines Erachtens muss der Abzug aber von der Lage vor Ort abhängig gemacht werden. Am 10. Dezember wird die Regierung eingesetzt. In der Zwischenzeit darf auf keinen Fall ein Sicherheitsvakuum entstehen. Andernfalls waren die hehren Worte über unsere Verantwortung gegenüber Afrika nichts wert. Wir wollen, dass dieser Einsatz erfolgreich bleibt. Vielen Dank. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier. ({0})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Wir haben jetzt noch gut einen Monat Zeit, um letzte Vorbereitungen für ein unter außen- und europapolitischen Gesichtspunkten in der Tat außergewöhnliches Jahr zu treffen. Vor uns liegt ein Jahr - einige, zum Beispiel Herr Hoyer, haben es angedeutet -, in dem uns sowohl innerhalb der Europäischen Union wie auch innerhalb des G-8-Rahmens große internationale Verantwortung auferlegt wird und in dem uns große Erwartungen entgegengetragen werden. Sie erwarten sowohl von der Kanzlerin als auch von mir zu Recht, dass uns das Datum 1. Januar 2007 und die nachfolgenden sechs Monate bzw. für die G 8-Präsidentschaft das ganze Jahr besonders umtreiben. Sie werden vielleicht durch diese Einleitungssätze verstehen, warum die diesjährigen Haushaltsverhandlungen für mich ganz besonders wichtig waren; denn wir stehen in diesem Punkt unter internationaler Beobachtung. Nachdem wir miteinander gestritten und verhandelt haben und zu Ergebnissen gekommen sind, ist dies der Ort und Zeitpunkt des Dankes. Ich möchte all denjenigen danken, die uns bei unseren Bemühungen unterstützt haben, eine immerhin leicht bessere Ressourcenausstattung der auswärtigen Politik sicherzustellen. Ich habe mich über die Unterstützung gefreut, die uns hier im Plenum und auch in den Ausschüssen, dem Auswärtigen Ausschuss und dem Haushaltsausschuss, widerfahren ist. Mein besonderer Dank gilt den Berichterstattern: dem Hauptberichterstatter Herrn Koppelin, der die Verhandlungen wie immer souverän und pragmatisch geführt hat, Herbert Frankenhauser und Lothar Mark, die - das sei hervorgehoben - uns gerade bei der Mittelausstattung für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik sehr unterstützt haben, auch Michael Leutert, selbst wenn wir gleich in einigen Punkten aneinander geraten werden. Alexander Bonde darf ich sagen: Sie haben die Verhandlungen kritisch begleitet, aber an den entscheidenden Punkten in der inhaltlichen Debatte unterstützt. ({0}) Deshalb vorab dieser Dank. Sie erwarten es ja gar nicht anders: Diesen Dank muss ich mit einer kleinen Bitte verbinden, nämlich der, dass Sie in dieser Unterstützung nicht nachlassen. ({1}) Bleiben Sie uns gewogen! Denn wir haben im kommenden Jahr nicht nur erneut schwierige Haushaltsgespräche vor uns, sondern ich brauche Ihre Unterstützung auch deshalb, weil - viele haben eben in ihren Reden darauf hingewiesen - leider alles danach aussieht, dass wir im kommenden Jahr eher mehr als weniger Außenpolitik brauchen. All das, was ich am 6. September dieses Jahres an dieser Stelle schon einmal gesagt habe, gilt noch heute. Die Welt scheint kleiner geworden, aber nicht die Probleme. Das, was in ferneren Regionen passiert, betrifft uns in Deutschland mittlerweile ganz unmittelbar. Wir haben im zurückliegenden Jahr über die Bürgerkriege in Afrika gesprochen, die Migration auslösen, deren Folgen uns berühren. Wir haben über Terrorismus gesprochen und über Klimawandel, der letztlich - die Kanzlerin hat es heute Morgen gesagt - die natürlichen Lebensgrundlagen bei uns verändert und unsicher macht. Wir können jedenfalls von einem ganz sicher ausgehen: Anforderungen an unsere Außenpolitik, an unser außenpolitisches Engagement werden in den nächsten Jahren eher zunehmen als abnehmen. Das wird uns viel abverlangen: Arbeit, Beharrlichkeit, Kreativität, Mut und vor allem eines, von dem ich zugebe, dass es mir erst in diesem laufendem Jahr richtig klar geworden ist, nämlich Präsenz. Ich darf es einmal so sagen: Bescheidenheit ist sicherlich eine Zier kluger Diplomatie. Aber ich halte es rückblickend - das muss ich ganz offen sagen - für einen Fehler, dass wir heute gegenüber dem Stand von 1993 26 Länder mehr betreuen bei insgesamt 10 Prozent weniger Personal. Ich frage rückblickend, ob der Schritt hin zu einigen Laptopbotschaften eher ein kreativer Umgang mit dem Mangel war als eine kluge und effektive Idee, sich in diesen Regionen zu halten. ({2}) Mit selbstbewusster Präsenz hat das jedenfalls aus meiner Sicht nichts zu tun. Wir müssen uns immer ein bisschen mit denen vergleichen, mit denen wir uns auch vergleichen können. Ich weise deshalb auf Folgendes hin: Der diplomatische Dienst der Franzosen hat 10 000 Personen mehr, der der Briten 6 000 mehr. Ich rede dabei gar nicht von der massiven kulturellen Präsenz dieser beiden Nachbarstaaten, denen wir auf Schritt und Tritt immer wieder in den Regionen begegnen. ({3}) Deshalb bitte ich Sie, diesen Haushalt zu unterstützen, einen Haushalt, der aus meiner Sicht durchaus erste Ansätze für eine Verbesserung der Situation enthält und insbesondere bei der auswärtigen Kultur- und Bildungs6568 politik Zeichen setzt. Für diesen Politikbereich habe ich mich auch hier im Parlament im letzten Jahr mehrere Male eingesetzt, um auf diesem Gebiet so etwas wie eine kleine Trendwende einzuleiten. Vielleicht mussten wir erst alle miteinander lernen, wie wichtig die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist. Vielleicht haben wir das auch zu spät gelernt. Ich jedenfalls bin der Meinung, dass wir diese dritte Säule der deutschen Außenpolitik in der Vergangenheit nicht genug geschätzt haben. Entweder haben wir ihren Wert nicht erkannt oder wir sind davon ausgegangen, dass es sich dabei um eine Art Luxusannex der deutschen Außenpolitik handelt. Gerade in diesem Jahr, einem Jahr, in dem es zu großen Irritationen, vielen Missverständnissen und sogar zu handfesten Konflikten zwischen Europa bzw. der westlichen Welt und Teilen der arabisch-islamischen Welt gekommen ist, ist eines klar geworden - lassen Sie mich das als Antwort auf viele Redebeiträge, die ich hier gehört habe, sagen -: Wenn wir in Zukunft nicht noch häufiger über das Verhältnis von zivilen und militärischen Engagements im Rahmen der Missionen, an denen wir uns beteiligen, reden wollen, und wenn wir nicht noch häufiger über die Höhe des Haushaltsansatzes für zivile Wiederaufbauleistungen, die bekanntlich immer zu gering ist, streiten wollen, dann müssen wir die Elemente ziviler und präventiver Sicherheit ausbauen. ({4}) Das bedeutet aber: Wir müssen uns auch in den Regionen, in denen es uns schwer fällt, verständlich machen; wir müssen erklären, worauf es uns ankommt, und wir müssen alle Beteiligten davon überzeugen, dass es am besten ist, Lösungen möglichst gemeinsam anzugehen. Das verlangt mehr als nur eine Botschaft und einen Botschafter. Das bedarf der Ebene menschlicher Begegnungen und der Schaffung eines dichten Netzwerkes kultureller Beziehungen. Darüber hinaus sollten wir, was unsere Auslandsschulen und den wissenschaftlichen Austausch betrifft, ehrgeiziger sein. Das sollten wir uns für die nächsten Jahre vornehmen und es auch in unseren Haushaltsberatungen berücksichtigen. Diese Auffassung vertrete ich, obwohl ich mich offen gesagt sehr darüber freue, dass im Hinblick auf das Flaggschiff unserer auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, das Goethe-Institut, eine Trendwende eingeleitet werden konnte und wir nun auf dem Wege der Stabilisierung und der Verbesserung unserer Präsenz nach außen sind. Um das, was ich zur auswärtigen Kulturpolitik gesagt habe, müssen wir uns kümmern. Seien Sie sich aber sicher: Mir ist natürlich klar, dass der Schwerpunkt meiner und Ihrer Arbeit im nächsten Jahr woanders liegen wird. Die Agenda wird von Stichworten beherrscht sein, die wir alle kennen: von der Situation im Nahen Osten, in Afghanistan, im Kongo und im Iran und von der Statuslösung im Kosovo, die heute noch gar keine Rolle gespielt hat. ({5}) All das wird uns in enormem Maße beschäftigen. Zwei dieser Stichworte möchte ich herausgreifen. Zunächst zur Situation in Afghanistan. Die Frau Bundeskanzlerin hat heute Morgen die gemeinsame Haltung der Bundesregierung dargelegt. Ihre Ausführungen möchte ich nicht wiederholen. Ich finde, dass es gute Gründe dafür gibt, unser Engagement im Norden Afghanistans nicht aufzugeben und es auch nicht einzuschränken. Ich wünschte mir aber, Herr Hoyer - hier bin ich viel näher bei Ihnen, als Sie möglicherweise vermuten -, dass wir das, was wir tun, in der deutschen und in der internationalen Öffentlichkeit mit etwas mehr Selbstbewusstsein vertreten würden. ({6}) Nachdem ich dies vorausgeschickt habe, sage ich Ihnen nun: Natürlich weiß ich, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan ausgesprochen schwierig entwickelt. Natürlich weiß ich auch, dass wir dort, wo wir zuständig sind, noch lange nicht am Ziel sind. Aber wir sollten dieses Thema auch einmal in entgegengesetzter Richtung angehen: Wenn die Stabilisierung überhaupt irgendwo in Afghanistan gelungen ist, wenn überhaupt irgendwo in Afghanistan in ganz bescheidenem Maße und viel zu wenig sichtbar etwas für den Wiederaufbau getan worden ist - viele von Ihnen waren ja vor Ort, haben Schulen und Krankenstationen besucht und sich über die Wasserversorgung informiert -, wenn also irgendwo überhaupt etwas gelungen ist, dann ist das im Norden Afghanistans der Fall. Somit sollten wir auch die umgekehrte Frage stellen: Ob es für eine andere Region Afghanistans von Vorteil wäre, wenn wir in unserem Bemühen, im Norden des Landes für Stabilisierung zu sorgen und Wiederaufbauhilfe zu leisten, nachlassen würden. ({7}) Im Gegenteil: Vieles spricht dafür, dass wir unsere Anstrengungen dort sogar verstärken müssen, sowohl bei der Schaffung von Einkommensmöglichkeiten für die afghanische Bevölkerung als auch bei der Ausbildung der Polizei. Ich bemühe mich, auch im europäischen Rahmen mehr Sensibilität und Ehrgeiz dafür zu wecken; solche Maßnahmen müssen nicht auf bilaterale Anstrengungen Deutschlands beschränkt bleiben. ({8}) Selbstbewusst dürfen wir in dieser Diskussion auch deshalb sein, weil sich unsere Philosophie, unser Ansatz eines zivil-militärischen Zusammenwirkens, langsam sichtbar durchsetzt, nicht nur bei den PRTs, auch innerhalb der NATO. Herr Hoyer, Sie dürfen gewiss sein, dort wird nicht kleinmütig geredet von deutscher Seite. Wenn wir es der internationalen Staatengemeinschaft und den NATO-Partnern so leicht machten, stände es um die internationale Diskussion schon länger anders. Wir treten dort sehr selbstbewusst auf mit dem, was wir tun. Wir haben erst jüngst gemeinsam mit unseren norwegischen Freunden dafür gesorgt, dass mit Blick auf den NATOGipfel in Riga überlegt wird, diese zivile Komponente zu einem unauflöslichen Bestandteil des Engagements aller NATO-Partner in Afghanistan zu machen. Ich glaube, das ist der richtige Weg. ({9}) Nach den Agenturmeldungen von heute Morgen wird jetzt überlegt, im Süden Afghanistans, einer Region mit einer schwierigen Sicherheitslage - ganz ohne Zweifel -, so genannte Sicherheitsinseln zu schaffen. Das ist letztlich nichts anderes als ein etwas anders gearteter - notwendigerweise anders gearteter - Versuch, dort zivil-militärische Zusammenarbeit zu präsentieren, um auch der Bevölkerung im Süden, indem man ihr sichtbare Wiederaufbauerfolge vor Augen führt, deutlich zu machen, dass es sich lohnt, nicht mit den Taliban zusammenzuarbeiten. Ich habe schon vor einigen Wochen an dieser Stelle gesagt - mit Blick auf Katastrophenberichte, die es schon damals gab und die aktuell verstärkt kommen -: Afghanistan ist aus meiner Sicht nur verloren, wenn wir es aufgeben. Es gibt viele Gründe, es nicht aufzugeben: Die Lage der afghanischen Bevölkerung ist der eine Grund, die anderen Gründe sind heute Morgen genannt worden. Die internationale Staatengemeinschaft, von der wir ein Teil sind, darf dort nicht scheitern. ({10}) Noch größere Anstrengungen werden uns im Nahen Osten abverlangt. Der Mord an dem libyschen Minister Gemayel, den ich noch im Sommer bei zwei Begegnungen kennen gelernt habe, zeugt davon, dass der Kreislauf von Gewalt, der Sabotage wirklich jedes Ansatzes von Stabilität, durchbrochen werden muss. Deshalb kommt es für unsere Politik mit Blick auf das kommende Jahr darauf an, die Zahl der Vetospieler entscheidend zu verringern. Daran arbeiten wir mit Ehrgeiz, Herr Leutert, auch wenn das nicht jeden Tag in der Zeitung steht. Ich kann Ihnen versichern, Frau Müller, dass wir während unserer europäischen Ratspräsidentschaft mit diesem Ehrgeiz auch an Initiativen arbeiten werden, die von Europa ausgehen. Nur, Herr Leutert, von einem werden Sie mich am Ende nie überzeugen: Ihnen hier im Parlament oder der deutschen Öffentlichkeit Vorschläge und Initiativen zu unterbreiten, die gerade einmal die Titelzeile der Zeitungen vom nächsten Tag erreichen. So etwas ist unseriös und daran werde ich mich nicht beteiligen. ({11}) - Das war nicht gemeint; das wissen Sie auch. Wir können in einer Haushaltsrede nicht alle Konfliktregionen behandeln. Aber wie ich an anderer Stelle schon gesagt habe: Wir müssen uns um die Konfliktregionen kümmern; das liegt auf der Hand. Aber vorausschauende Außenpolitik muss noch ein breiteres Spektrum erfassen. Deshalb bin ich vor wenigen Tagen - einige von Ihnen waren dabei - in Zentralasien und in der vergangenen Woche in den Maghrebstaaten gewesen. Auch wenn unser Blick auf die aktuellen Konflikte gerichtet bleibt, glaube ich, dass wir in der Tat gut daran tun, gelegentlich auch das Jahr 2025 in unsere Perspektive zu nehmen, um zu sehen, wie sich die Gewichte verändern, wer die neuen Player sind und in welchen Regionen wir schon präsent sein sollten, bevor sich prognostizierbare Entwicklungen zeigen. Ich glaube, wir haben gut daran getan, uns in diesen Regionen zu zeigen. Wir haben junge Generationen von Politikern kennen gelernt, die ihre Augen auf Europa richten. Ich freue mich darauf, dass wir während der europäischen Ratspräsidentschaft die Möglichkeit haben werden, an Angeboten zu arbeiten, um Europa attraktiv zu halten. Ich meine damit nicht, dass wir aus lauter Nächstenliebe nur diesen Regionen etwas Gutes tun sollten. Ich glaube, allen Begleitern der Delegation ist klar geworden, dass wir weiß Gott nicht nur wegen der Energie einen Blick auf Zentralasien werfen. Wir müssen der Region helfen, dass sie nicht von allen Instabilitäten der südlichen Nachbarschaft infiziert wird. Wir haben ein Interesse daran, dass diese Region stabil bleibt, auch wenn uns die Herrschaften an der Spitze die Gespräche zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwer machen. Trotzdem müssen wir den Mut haben, diesen Weg zu gehen, und Sie können davon ausgehen, dass wir ihn auch in Zukunft weiter gehen werden. Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Harald Leibrecht das Wort. ({0})

Harald Leibrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003581, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Außenminister, ich danke Ihnen, dass Sie einen beträchtlichen Teil Ihrer Rede hier im Plenum für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik aufgewendet haben. ({0}) In der Tat können gerade durch diesen Teil der Politik dort Türen geöffnet werden, wo die konventionelle Diplomatie oftmals nicht richtig weiterkommt. Ich glaube, es ist wichtig, dass dort die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zum Tragen kommt. Um die wichtige Aufgabe der Konfliktprävention durch die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik gewährleisten zu können, bedarf es aber auch eines angemessenen Budgets. Ich bin natürlich sehr froh darüber, dass für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in den einzelnen Posten des Haushalts etwas mehr Geld zur Verfügung gestellt werden soll. Natürlich kann mit diesen Geldern aber erst dann erfolgreich gearbeitet werden, wenn sie richtig eingesetzt werden. Sie haben die Goethe-Institute erwähnt. Auch wir sind der Meinung, dass das wichtige Einrichtungen sind. In der Tat sind hier aber große Sparmaßnahmen möglich. Es geht nicht, ihnen einfach nur mehr Gelder zu geben, sondern sie müssen in ihren eigenen Strukturen sparen. Ich denke hier vor allem an Sparmaßnahmen in der Verwaltung. ({1}) Das Auswärtige Amt, der Hauptgeldgeber der Goethe-Institute, muss für eine zügige Umstellung der Budgetierung hinsichtlich der Goethe-Institute sorgen. Nur so können die Gelder flexibel eingesetzt und eventuelle Einsparmaßnahmen durchgeführt werden, um Geld für andere wichtige Projekte der Goethe-Institute zur Verfügung zu haben. Weitere wichtige Schwerpunkte der deutschen Kulturpolitik sind natürlich die deutschen Auslandsschulen. Diese Schulen fördern in den entsprechenden Ländern die kulturelle Vielfalt und vermitteln sowohl ein positives Bild von Deutschland als auch ein Verständnis für die Meinungsfreiheit, die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie. Über 90 Prozent der Schüler an diesen Schulen, die sich in freier Trägerschaft befinden, kommen übrigens aus den Gastgeberländern. Sie sind also keine Deutschen, aber sie haben einen direkten Kontakt zu Deutschen und zur deutschen Kultur. Viele der Absolventen dieser Schulen haben später wichtige - auch politische - Ämter inne. Deshalb glaube ich, dass sich diese Investition im Ausland durchaus lohnt. ({2}) Ein weiterer wichtiger Bereich ist natürlich auch die Humboldt-Stiftung. 40 ehemalige Humboldt-Stipendiaten sind inzwischen Nobelpreisträger. Auch daran erkennen wir, dass sich die auswärtige Kulturarbeit für uns lohnt. Wir müssen, was die auswärtige Politik betrifft, über den Tellerrand hinausschauen. Ich bin deshalb froh, dass wir in Zentralasien waren. Denn dort ist deutlich geworden, dass es wichtig wäre, bei der internationalen Kulturpolitik anzusetzen. Das wäre ein wichtiger Beitrag zur politischen Entwicklung in diesen Staaten. Wir müssen ein Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit vermitteln. Dafür können wir gerade unsere Kultureinrichtungen nutzen. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Ich bin froh, dass es mehr Geld für diese Einrichtungen gibt. Wir, die FDP, möchten die Bemühungen dieser Einrichtungen auch weiterhin unterstützen. Wir werden sie aber auch sehr kritisch begleiten. Danke schön. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Eckart von Klaeden für die Unionsfraktion. ({0})

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ein intensives und aufregendes Jahr in der Außenund Sicherheitspolitik liegt hinter der großen Koalition. Diese Außen- und Sicherheitspolitik ist von Kontinuität und Wandel geprägt. Kontinuität gibt es zum Beispiel in der Balkanpolitik. Der Kosovoeinsatz der Bundeswehr wurde unter Rot-Grün begonnen und wird von uns fortgesetzt. Die Kontinuität zeigt sich auch in der Afghanistanpolitik. Der Einsatz in Afghanistan wurde von Rot-Grün begonnen und wird von der großen Koalition fortgesetzt. Das nicht nur national, sondern auch international gelobte PRT-Konzept ist von Rot-Grün mit unserer Unterstützung entwickelt worden. Es wird von uns fortgesetzt und von anderen übernommen. Es gibt aber auch Beispiele für einen Wandel in der Außen- und Sicherheitspolitik von Rot-Grün zur großen Koalition. Das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten ist wieder auf eine vertrauensvolle Grundlage gestellt worden. Das hat die Möglichkeit eröffnet, kritische Fragen wie den Fall Kurnaz oder Guantanamo in den Vereinigten Staaten anzusprechen, was Ihr Vorgänger, Herr Steinmeier, sorgfältig vermieden hat. ({0}) Das Verhältnis zu Russland ist wieder vernünftig eingeordnet worden. Es geht nicht allein um die wirtschaftlichen Beziehungen, sondern bei der Betrachtung Russlands werden die innenpolitische Entwicklung und das Verhältnis zu den Nachbarstaaten stärker als bisher mit einbezogen. Es wird Russland gegenüber deutlich gemacht, dass die Frage, wie sich Russland seinen Nachbarn gegenüber verhält und ob bzw. wie es die Prinzipien, zu denen es sich im Europarat selber verpflichtet hat, innenpolitisch umsetzt, ein Gradmesser für das Vertrauen ist, das wir zu Russland haben können. Das verbesserte, auf Vertrauen fußende Verhältnis zu den Vereinigten Staaten hat es der Kanzlerin bei ihren Amerikabesuchen ermöglicht, deutlich zu machen, dass wir Europäer kein Interesse an einer Russlandpolitik haben, die auf Abschottung und Isolierung Russlands gerichtet ist, sondern daran, dass Russland Europa gegenüber offen bleibt und sich in unsere Richtung entwickelt. Das Verhältnis zu unseren Nachbarstaaten in der Europäischen Union ist auf eine neue Grundlage gestellt worden. Die Kanzlerin hat sich vor ihrer Regierungsübernahme zu einer Stop-over-Politik zum Beispiel Polen gegenüber verpflichtet. Vieles, was wir heute im deutsch-polnischen Verhältnis als Ressentiments erleEckart von Klaeden ben, sind Überbleibsel falscher Ansätze unter Rot-Grün. Man muss den Polen allerdings auch sagen, dass, wenn sie von uns die Stop-over-Politik einfordern, der Flughafen in Warschau nicht wegen Magenverstimmung geschlossen sein darf. Schließlich hält die große Koalition auch den Maastrichtvertrag ein. Gerade wenn wir darauf Wert legen, dass internationales Recht beachtet wird, dann müssen wir selber mit gutem Beispiel vorangehen. ({1}) Vor uns liegen die Präsidentschaften in der Europäischen Union und der G 8. Bei der G 8 geht es vor allem darum, den bestehenden und weiter wachsenden weltwirtschaftlichen Ungleichgewichten entgegenzuwirken und die Schattenseiten der Globalisierung, wie sie sich vor allem in Afrika zeigen, zu bekämpfen. In Europa müssen wir uns darum kümmern, dass die Lethargie, die insbesondere durch das vorläufige Scheitern des Verfassungsvertrags in Frankreich und den Niederlanden begründet ist, zu überwinden und dafür zu sorgen, dass Europa wieder eine Perspektive gewinnt. Dabei spielen auch die Fragen im Zusammenhang mit der Erweiterung, insbesondere die Frage nach dem Beitritt der Türkei, eine wichtige Rolle. Wir haben uns dazu verpflichtet, die Verhandlungen mit der Türkei ergebnisoffen und mit dem Ziel des Beitritts zu führen. Die Türkei muss aber einsehen, dass sie ihre enorme geostrategische Bedeutung für Europa nicht missbrauchen kann, um Bedingungen, denen sie selber in den Verhandlungen zugestimmt hat, nicht zu erfüllen. Wir brauchen von der Türkei einen konstruktiveren Ansatz, damit die Verhandlungen weitergehen und dann zu dem von der Türkei gewünschten Ergebnis führen können. ({2}) Vor uns liegt der NATO-Gipfel. Die NATO wird sich stärker als bisher mit den internationalen Herausforderungen des transnationalen Terrorismus und des islamischen Fundamentalismus, der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, zerfallenden Staaten sowie dem Einsatz von Energie und Rohstoffen als strategische Waffen auseinander setzen müssen. Aber wir müssen auch darauf achten, dass dieser Gipfel nicht zu einem so genannten Caveats-Gipfel wird, also zu einem Gipfel, bei dem in erster Linie über die Vorbehalte bezüglich des Afghanistaneinsatzes gesprochen wird. Wir alle haben ein Interesse daran, dass die Mission in Afghanistan gelingt. Mit einem Schwarzen-Peter-Spiel ist niemandem gedient, weder den Mitgliedstaaten noch der NATO und erst recht nicht Afghanistan. ({3}) Ich möchte dazu drei Bemerkungen machen. Erste Bemerkung. Es ist richtig, dass nationale Vorbehalte, so genannte Caveats, die ausschließen, dass bestimmte Truppen zur Unterstützung der Verbündeten eingesetzt werden, nicht akzeptabel sind, insbesondere dann nicht, wenn sie geheim sind. Wir müssen aber deutlich machen, dass solche Vorbehalte auf deutscher Seite nicht existieren; denn im Rahmen des OEF-Mandats sind unsere Soldaten in ganz Afghanistan einsetzbar, ({4}) und im Rahmen des ISAF-Mandats ist es selbstverständlich möglich, im Notfall unseren Verbündeten zur Seite zu stehen. Man darf allerdings die Frage nach nationalen Caveats nicht mit der Frage nach der nationalen Verantwortung verwechseln. Meine zweite Bemerkung betrifft die Frage nach den Standards. Wir müssen uns gerade im Hinblick auf gemeinsame militärische Operationen auf einheitliche Standards einigen, die festlegen, wie zum Beispiel mit Kriegsgefangenen oder „unlawful combatants“ umgegangen wird. Wenn bestimmte Verbündete Verfahren anwenden, die von anderen Staaten als rechtswidrig angesehen werden, dann ist das geeignet, die Solidarität in den Bündnisstaaten zu unterminieren und das gemeinsame Ziel, die Stabilisierung Afghanistans, aus den Augen zu verlieren. ({5}) Dritte Bemerkung. Wir alle, auch wir Deutsche, beklagen Opfer, beklagen gefallene Soldaten in Afghanistan. Ich finde, es ist der richtige Zeitpunkt, an diese Soldaten und ihre Familien zu erinnern. Es ist aber zynisch, zu glauben, dass man die Gefallenen des einen Landes gegen die Gefallenen des anderen Landes aufrechnen kann. Das hat mit Bündnissolidarität nichts zu tun. ({6}) - Wenn Sie Zeitung lesen würden, Frau Kollegin, wüssten Sie, wovon ich spreche. ({7}) - Das ist nicht frech. Ich kann Ihnen gerne die Artikel zukommen lassen, in denen das der Fall ist. Wenn solche Debatten geführt werden, besteht die Gefahr, dass die Solidarität in den jeweiligen Bündnisstaaten abnimmt; denn in der Öffentlichkeit entsteht dann der Eindruck, dass es darum geht, Verluste für andere zu übernehmen. Tatsächlich geht es aber darum, gemeinsam dafür zu sorgen, dass die Mission in Afghanistan Erfolg hat. ({8}) Nationale Vorbehalte dürfen nicht - darauf habe ich bereits hingewiesen - mit nationalen Verantwortungsbereichen verwechselt werden. Es ist richtig, dass sich die Nationen sowohl geografisch als auch sachlich bestimmte Aufgaben vorgenommen haben; denn wenn jeder für alles zuständig ist, ist leider damit zu rechnen, dass sich niemand verantwortlich fühlt. Ich finde, wir können auf das, was wir bisher in Afghanistan geleistet haben, wirklich stolz sein. Wir sind die Ersten gewesen, die im Rahmen von ISAF Kabul verlassen und in einer Region die Verantwortung für Stabilisierung und Wiederaufbau übernommen haben. Auf den Erfolg des PRT-Konzepts habe ich schon hingewiesen. Wir haben im Rahmen des Aufbaus und der Ausbildung der Polizei mittlerweile über 17 000 Polizisten ausgebildet. Das reicht nicht und es muss weitergehen. Aber wichtig ist auch, dass wir uns den anderen Elementen, die zum Aufbau der Administration in Afghanistan erforderlich sind, zum Beispiel die Bekämpfung des Drogenanbaus, die Bekämpfung der Korruption und der Aufbau der afghanischen Armee, mit ähnlicher Intensität wie dem Aufbau der Polizei widmen. ({9}) Dabei kommt der Bekämpfung des Drogenanbaus eine besondere Bedeutung zu. Ich will aber den Schwerpunkt auf den Aufbau der afghanischen Armee legen; denn ISAF bedeutet Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan. Je mehr afghanische Soldaten Schulter an Schulter mit ihren Kameraden in der NATO für die Stabilisierung des eigenen Landes kämpfen, umso weniger kann bei der Bevölkerung der Eindruck entstehen, dass die NATO dort eine Okkupationsaufgabe innehat. ({10}) Deswegen sind gerade der Aufbau und die Integration der afghanischen Armee in das gemeinsame Projekt auch unter dem Stichwort „Afghan Ownership“ von besonderer Bedeutung. Mir fehlt jetzt leider die Zeit, um auf weitere Punkte einzugehen, zum Beispiel auf die Entwicklung im Sudan und auf die Entwicklung im Kongo. Ich glaube, dass beide Stichworte deutlich machen, dass wir im Rahmen der internationalen Gemeinschaft unsere diplomatischen Beziehungen auch zu aufstrebenden Mächten wie China und Indien intensivieren müssen; denn China kommt eine besondere Bedeutung gerade auf dem afrikanischen Kontinent zu. Unser Interesse ist es, China mehr als bisher in die Verantwortung für die Entwicklungen dort einzubeziehen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Alexander Ulrich für die Fraktion Die Linke. ({0})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In die deutsche Ratspräsidentschaft und in den Vorsitz Deutschlands beim G-8-Gipfel werden große Erwartungen gesetzt. Das wird vonseiten der Europäischen Kommission immer wieder betont, wie letzte Woche im Auswärtigen Amt geschehen. Aber viele Regierungen der EU-Länder glauben an eine nicht vorhandene Problemlösungskompetenz dieser Regierung. Auch die Linke im Bundestag bittet die europäischen Bürgerinnen und Bürger, ihre Erwartungen zurückzuschrauben. Wer im eigenen Land gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung regiert, wie wir heute Morgen mehrmals hören konnten, ist nicht geeignet, für positive europäische Lösungen zu sorgen. ({0}) Die deutsche Ratspräsidentschaft und der G-8-Gipfel werden den Steuerzahler - wir befinden uns in einer Haushaltsdebatte - weit über 100 Millionen Euro kosten. Man sollte mit diesem Geld verantwortungsvoll umgehen und einen grundsätzlichen europäischen Politikwechsel einleiten. Die bekannten Initiativen der Bundesregierung lassen erkennen: Außenpolitisch dominiert die Vorstellung von militärischer Stärke statt der Suche nach globalen Antworten für eine friedliche Zukunft. Der Krieg gegen den Terror in Afghanistan und im Irak ist militärisch eine Sackgasse. Die Linke fordert seit langem die sofortige Beendigung der Afghanistaneinsätze der Bundeswehr. ({1}) Fakt ist: Die Gefahr von terroristischen Anschlägen auch in Deutschland ist nicht gesunken, sondern gestiegen. Die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen wurde nicht gestoppt, sondern vorangetrieben. ({2}) Der Krieg gegen den Terror hat nicht zu mehr Demokratie, sondern auch in demokratischen Staaten zum Abbau demokratischer Rechte geführt. Es geht bei den Militäreinsätzen ohnehin um andere Gründe, nämlich um Rohstoffe, Handelswege und geostrategische Vorherrschaft. Wir brauchen eine andere Ausrichtung der Nahostpolitik. Sowohl die deutsche Ratspräsidentschaft als auch der G-8-Vorsitz bieten eine gute Gelegenheit, die Voraussetzung für eine ständige internationale Nahostkonferenz zu schaffen. Ebenso muss der Barcelonaprozess so umgestaltet werden, dass er zur wirtschaftlichen und sozialen Stabilisierung der Region beiträgt. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, sich insbesondere im ersten Halbjahr 2007 intensiver mit eigenen Initiativen in die Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes einzubringen. ({3}) Dazu gehört auch, Syrien ohne Bedingungen aktiv in den Friedensprozess einzubeziehen. Den Menschen in Palästina, insbesondere im Gazastreifen, muss rasch geholfen werden. Materielle Hilfen durch die EU für die palästinensischen Autonomiegebiete müssen ohne Einschränkungen sofort wieder aufgenommen werden. ({4}) Die EU muss den in der demokratischen Wahl vom Februar dieses Jahres erklärten Willen des palästinensischen Volkes anerkennen. Europa muss einen zivilen Ansatz in der Krisen- und Konfliktbewältigung verfolgen. Unser Ausgangspunkt für eine Neubestimmung der deutschen und der europäiAlexander Ulrich schen Außen- und Sicherheitspolitik ist daher: keine Beteiligung an völkerrechtswidrigen Angriffskriegen, weder unmittelbar noch mittelbar. ({5}) Dass wir auch am Irakkrieg beteiligt sind, kann ich Ihnen versichern, Herr Außenminister. Ich wohne fünf Kilometer von der US-Airbase Ramstein entfernt. „Von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen“, sagte einmal Willy Brandt. Ich versichere Ihnen: Ramstein liegt in Rheinland-Pfalz, also in Deutschland, und von dort geht völkerrechtswidriger Krieg aus. ({6}) Daher unterstützen wir, Die Linke, den Ramsteiner Appell, der von vielen Bürgerinitiativen und der Friedensbewegung getragen wird und der lautet: Angriffskriege sind verfassungswidrig. Von deutschem Boden darf kein Krieg ausgehen. Im Irankonflikt muss weiter verhandelt werden. Dabei müssen auch die Sicherheitsinteressen des Iran beachtet werden. Ganz nebenbei: Eine glaubwürdige Iranpolitik kann nur der vertreten, der auch selber bereit ist, für nukleare Abrüstung zu sorgen. Kein Land der Welt hat das Recht, über Massenvernichtungswaffen zu verfügen - nicht der Iran, aber auch kein anderes Land der Welt, Herr Außenminister. ({7}) Ich komme zur EU-Erweiterungspolitik. In der Frage der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei werden klare Aussagen vermieden. Die Gleichbehandlung der Türkei mit anderen EU-Beitrittsländern als Bestandteil der EU-Verhandlungen muss Gegenstand der deutschen Bemühungen sein. Deutschland muss sich aktiv um eine die Interessen aller Verhandlungspartner berücksichtigende Lösung der Türkei-Zypern-Frage bemühen. Klar ist: Die Türkei muss Zypern als EU-Land voll akzeptieren. Ultimaten, wie sie von der finnischen Ratspräsidentschaft gestellt werden, bergen aber die Gefahr eines Scheiterns der bisherigen EU-Perspektive der Türkei. Oder - das ist die Frage - kommt der Bundesregierung, insbesondere der Kanzlerin, die Zypernproblematik gerade recht, um einen Grund zu haben, für ihr Modell einer privilegierten Partnerschaft zu werben? Wir werden wahrscheinlich demnächst die doppelte Bundeskanzlerin erleben, die morgens auf dem roten Teppich für die EU-Beitrittsverhandlungen und abends bei CDUVeranstaltungen für die privilegierte Partnerschaft werben wird. Dieses Verhalten kann sich Deutschland während der Ratspräsidentschaft nicht leisten. Die Kanzlerin muss sich entscheiden; sonst ist die Glaubwürdigkeit dieses Landes in dieser Frage mehr als in Gefahr. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Politik der Bundesregierung für ein soziales und Frieden stiftendes Europa ist nicht zu erkennen, weder für das erste Halbjahr 2007 noch für die Zeit danach. Ökonomisch wird Europa als Ort der Deregulierung, Privatisierung und neoliberalen Entstaatlichung begriffen. Die Menschen verbinden mit den Begriffen wie Europäisierung und Globalisierung zumeist Sorgen und Ängste. Die Frustration der Menschen in Europa ist groß. Die Lissabonstrategie ist gescheitert. Wirtschaftswachstum und Produktivitätsentwicklung blieben weit hinter der Zielmarke. Eine höhere Beschäftigungsquote bei weiblichen und älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und durchschlagende Erfolge im Kampf gegen Arbeitslosigkeit blieben weitgehend aus. Die Arbeitslosigkeit verharrt in Europa bei über 18 Millionen und die soziale Spaltung nimmt zu. In nahezu allen EULändern ist eine Prekarisierung der Arbeit zu beobachten. Bei der Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit und sozialer Ausgrenzung sind Europa und auch Deutschland kaum vorangekommen. Das belegt deutlich die neue Unterschichtendiskussion auch in unserem Land. Herausragendes Beispiel für den Verrat am sozialen Europa ist die vom Europäischen Parlament angenommene Dienstleistungsrichtlinie. Massenproteste der Gewerkschaften und der sozialen Bewegungen wurden weitgehend ignoriert. Luxemburgs Premier Juncker forderte am Montag in der Presse, die Europäische Union müsse eine Sozialunion werden. Dieser Forderung schließen wir uns klar und deutlich an. Die soziale Dimension Europas muss gestärkt werden. ({9}) Ich komme zum Ende. Die Linke unterstützt nochmals das Nein in Frankreich und in den Niederlanden. Durch diese Ablehnung der europäischen Verfassung besteht die Chance auf ein sozialeres und friedlicheres Europa. Wir sollten auch die deutsche Ratspräsidentschaft nutzen, um für einen alternativen Verfassungsvertrag zu werben.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie haben versprochen, zum Schluss zu kommen.

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. Noch sagt die Mehrheit der europäischen Bevölkerung Ja zu Europa. Wir müssen diese Zustimmung nutzen und einen Politikwechsel einleiten. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Marieluise Beck, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Außenminister, Sie haben eben angemerkt, dass noch nicht über den Kosovo Marieluise Beck ({0}) gesprochen worden sei. Ihnen kann geholfen werden. Ich werde dem sofort nachkommen. Neben den vielen Projekten, die der deutschen Ratspräsidentschaft und der Bundesregierung jetzt auf den Tisch gelegt werden - mir würde, wenn ich in Ihrer Rolle wäre, etwas bange, weil diese Projekte eher einen Fünfjahreszeitraum zu beanspruchen scheinen -, wird eines unabdingbar sein: die Entscheidung über die Statusfrage des Kosovo. Jeder, der sich mit dem Kosovo länger befasst hat, weiß, dass die Kosovo-Albaner niemals wieder unter das Dach des serbischen Staates zurückzukehren bereit sind. Die Herauslösung eines Landesteils aus einem Staat ist heikel und das sollte niemand schönreden. Natürlich wird auch versucht werden, das Kosovo zum Präzedenzfall zu machen. Das Kosovo ist aber ein einzigartiger Fall. Das gilt vor allen Dingen, nachdem die UNO das Kosovo zum Protektorat erklärt hat und mit der Resolution 1244 den Auftrag erteilt hat, in Verhandlungen eine substanzielle Autonomie herzustellen. Der UNO-Sicherheitsrat wird also für die Letztentscheidung zuständig sein. Die Europäische Union - das wird das Entscheidende sein - wird vor allen Dingen die Verantwortung für die Entwicklung dieses Gebietes in ökonomischer, ziviler und staatlicher Hinsicht übernehmen müssen. Die Zeit ist reif, Entscheidungen zu fällen und den Schwebezustand zu beenden, damit die Menschen im Kosovo endlich Perspektiven haben. Übrigens brauchen auch die Menschen in Serbien Klarheit. Diese Klarheit muss mit einer Perspektive verbunden sein: Das ist die Europäische Union. ({1}) Es ist klar: Die Perspektive für die Länder des westlichen Balkans nach diesem schmerzhaften Zerfall des großen Staates Jugoslawien muss letztlich ein Wiederzusammentreffen unter dem Dach der Europäischen Union sein. Wir müssen bei den schwierigen Verhandlungen über den Status des Kosovo auch darauf bedacht sein, dass es gelingt, Serbien so weit wie möglich mitzunehmen und zu stabilisieren. Serbien sollte nicht gedemütigt werden. Das ist wichtig; denn Demütigungen sind gefährlich. Es ist erschreckend, wie wenig weite Teile Serbiens nach wie vor bereit sind, sich mit der historischen Last des Milošević-Erbes auseinander zu setzen. Das gilt auch für die Nichtzusammenarbeit mit dem Haager Tribunal. ({2}) Ein weiteres Projekt ist die Neuformulierung der Politik nach Osten. Es ist kein Geheimnis, dass wir Grüne die Einschätzung, Putin sei ein lupenreiner Demokrat, nicht geteilt haben und weiterhin nicht teilen. Natürlich ist klar, dass wir gute Beziehungen zu Russland brauchen. Russland und die Europäische Union sind aufeinander angewiesen, und zwar nicht nur wegen Rohstoffen und Ressourcen, sondern auch aus politischen Gründen. Wir haben schwerwiegende Krisen zu meistern - ich erinnere an Nordkorea und den Iran - und das wird ohne russisches Mitwirken nicht möglich sein. Ich wünsche mir, von der Regierung einmal genauer zu hören, was strategische Partnerschaft, die auf gemeinsamen Werten beruht, eigentlich heißen soll. In der derzeitigen Situation traut sich niemand wirklich eine Einschätzung zu, mit wem wir es in Russland zu tun haben. Man fragt sich: Wie sind die Machtverhältnisse, wer steht hinter Putin und welche Rolle spielen der FSB und die Oligarchen? Ist Putin die treibende Kraft oder wird er getrieben? Es gibt sehr viel Unsicherheit. Die Kremlastrologie erlebt leider eine neue Blüte. Das ist eine schwere Hypothek für gute Beziehungen, die auf Transparenz, Demokratie und gegenseitigem Verständnis basieren. Wir pflegen nicht nur deshalb gute Beziehungen zu Russland, weil es ein wichtiger Energielieferant ist, sondern auch, weil Russland ein wichtiger Teil Europas ist und Stabilität in diesem Land in unserem Interesse liegt. Für Stabilität darf aber nicht jeder Preis bezahlt werden. So darf es kein Leisetreten geben. Sorgen macht mir, dass die Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien, obwohl es scheinbar beruhigt ist, dramatische Ausmaße angenommen haben, dass wir Angst haben müssen um die Menschenrechtler, die sich derzeit in der Zivilgesellschaft engagieren - so hat der Tod von Anna Politkowskaja uns alle erschüttert -, und dass die russisch-tschetschenische Freundschaftsgesellschaft liquidiert wurde, während wir im Petersburger Dialog saßen. All diese Punkte müssen sehr deutlich gegenüber dem Partner in Russland angesprochen werden. ({3}) Noch ein Wort zur Energiepolitik: Beim EU-Russland-Gipfel am Freitag muss eine Lösung gefunden werden, die den Weg für eine auf Gleichberechtigung - das möchte ich betonen - beruhende Energiepartnerschaft ebnet. Gleichberechtigung heißt, dass es um einen zweiseitigen Prozess geht, nicht um einen einseitigen. Auch wenn keine Energiecharta zustande kommt, muss das Abkommen dennoch im größeren Rahmen des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens mit Russland stehen. Das ist existenziell wichtig. Noch ein Gedanke, Frau Präsidentin: Die Regierung und die Koalitionsfraktionen - ich nenne insbesondere Herrn Pofalla und Frau Zapf - haben sich mit uns allen zusammen hinter Belarus gestellt. Die Erwartungen dort sind enorm. Wir dürfen in unseren Bemühungen für Belarus nicht nachlassen. ({4}) Noch etwas Weiteres möchte ich im Hinblick auf die Europäische Union sagen: Öffnen Sie Deutschland für all die jungen Menschen aus den Transformationsländern im Osten, damit sie reisen und sehen können, was Demokratie ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin!

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist eine unverzichtbare und notwendige Investition in unsere Zukunft. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen, SPDFraktion. ({0})

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einem haben Sie, Frau Kollegin Beck, völlig Recht: Stabilität der Gesellschaften definiert sich nicht über die militärische Stärke eines Staates nach außen, sondern Stabilität, besonders von sich modernisierenden Gesellschaften, erkennt man an der Stärke ihrer Demokratien. Das ist genau der entscheidende Punkt, warum die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland darauf gerichtet ist, dazu beizutragen, dass es überall auf der Erde starke Demokratien und Zivilgesellschaften gibt, die über ihre Freiheit selbst bestimmen. Nur so können nämlich von innen starke Staaten aufgebaut werden, die weder von Problemen wie sozialen Konflikten noch von Feinden der Demokratie umgeworfen werden. Das ist der Auftrag der Außenpolitik, der insbesondere von der auswärtigen Kulturpolitik wahrgenommen wird. Vielen Dank, Herr Außenminister, dass Sie dazu beigetragen haben, dass die auswärtige Kulturpolitik endlich eine Trendwende vollzogen hat. ({0}) Gestern wurde Pierre Gemayel erschossen. Aber worauf zielten diese Schüsse? Sie zielten - das ist ganz deutlich - darauf, eine stabile innere Entwicklung des Libanon unmöglich zu machen. Pierre Gemayel war ein engagierter Parlamentarier. Er steht für den Mut der Zedernrevolution. Einer der Gründe für die klare und deutliche Mehrheit für das UNIFIL-Mandat im Deutschen Bundestag ist, dass dieses Mandat auf das politische Ziel gerichtet ist, die Souveränität des Libanon zu festigen und zu stärken. Denn nur wenn es ein souveränes Libanon gibt, besteht auch eine Chance, dass der Nahostfriedensprozess neu in Gang kommt. Die Schüsse, die Pierre Gemayel getötet haben, zielten darauf, diese Möglichkeit zu zerstören. Al-Hariri hat gestern sehr deutlich gesagt, er befürchte, dass dabei diejenigen als Drahtzieher ihre Hände mit im Spiel hätten, die schon seinen Vater erschossen hätten. Er hat gesagt: Die Freiheit der Politiker in diesem Land soll erschossen werden. Ein Zeichen für die mutige Veränderung in diesem Land war die Zedernrevolution. Unser UNIFIL-Mandat ist ein Zeichen dafür, dass wir mithelfen wollen, die Demokratie im Libanon zu stärken, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Auch hier zeigen sich deutlich die Ziele der deutschen Außenpolitik. Gemeinsam mit anderen wollen wir dazu beitragen, Explosionen von Gewalt zu verhindern, Gewaltbereitschaft einzudämmen und die zivile Arbeit bei der Bewältigung von Konflikten zu fördern. Deshalb beteiligen wir uns so intensiv und engagiert an den Missionen und Mandaten der Vereinten Nationen; denn sie schaffen die Möglichkeit, die Konflikte dieser Erde in multilateralem Handeln so weit es geht zu bändigen. Das ist das Ziel unserer Außenpolitik. Es geht nicht darum - wie Sie ständig unterstellen -, die Außenpolitik zu militarisieren, sondern darum, dafür zu sorgen, dass das Militär mit eingesetzt wird, um zivile und demokratische Prozesse zu unterstützen. Das können Sie überall sehen, wo wir, die Bundesrepublik Deutschland, uns im Rahmen multilateraler Entscheidungen beteiligen, sei es in Afghanistan, sei es im Nahen Osten. Das bestimmt die Qualität der deutschen Außenpolitik. Für diese Qualität der deutschen Außenpolitik steht der Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Sie haben unsere Unterstützung, die Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion. ({2}) Ich will auf etwas aufmerksam machen, was uns in den nächsten Jahren vermutlich noch sehr viel mehr beschäftigen und sehr viel dramatischere Züge annehmen wird - das betrifft übrigens alle demokratischen Gesellschaften und alle Nationalstaaten -: Wir stehen vor einem Wandel, vor einem Prozess der inneren Veränderung. Überall befinden sich Gesellschaften, die sich modernisieren, in einem ungeheuren inneren Beschleunigungsprozess, ob in Frankreich - wenn Sie an das denken, was vor einem Jahr in den Banlieues geschehen ist - oder auch in manchen Städten Großbritanniens. Sie brauchen auch nur nach Kreuzberg zu schauen. In den USA ist das ebenso ein Thema. Robert Putnam, einer der wichtigsten Soziologen der USA, hat gerade eine Studie veröffentlicht - ich empfehle ihre Lektüre sehr -, in der er klar beschreibt, wie in Kalifornien - also einem Land in den USA, von dem man erwartet, dass es Integrationskräfte mobilisiert, damit es nicht zu inneren Brüchen kommt - das Vertrauen in den Kommunen in solchen Regionen, die sehr stark von Einwanderung geprägt sind, dramatisch zusammenbricht. Das ist ein Zeichen dafür, dass wir das, worum es zukünftig gehen wird, sehr ernst nehmen müssen. Ein anderer kluger - diesmal deutscher - Soziologe, Georg Simmel, hat schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts gesagt: „Der Fremde ist der, der heute kommt und morgen bleibt.“ Wir müssen also von einem homogenen Verständnis des Nationalstaats Abschied nehmen und die Heterogenität nicht nur annehmen, sondern sie als eine Chance der inneren Bereicherung und - wenn es denn sein muss - als Ausgangspunkt eines inneren Konfliktes akzeptieren. Gert Weisskirchen ({3}) Heute wird in den Niederlanden gewählt. Was mich wundert, ist, dass im niederländischen Wahlkampf der Mord an Theo van Gogh keine Rolle mehr gespielt hat. Selbst in diesem Land, das von sich selber sagt, es sei offen und in ihm werde hart über die inneren Konflikte diskutiert, zeigen sich Verdrängungsprozesse. Wir dürfen die Verdrängungsprozesse bei uns nicht akzeptieren, sondern wir müssen ganz bewusst auf die Integrationsdefizite aufmerksam machen. Das ist ein Prozess, der alle - ich wiederhole es: alle - sich modernisierenden Nationalstaaten überall in der Welt vordringlich mit Integrationsaufgaben konfrontieren wird. Ich glaube, dass das, was augenblicklich in der auswärtigen Kulturpolitik geschieht, sozusagen das Modell dafür ist, wie wir mit diesem Problem umgehen müssen. Ich erinnere daran: Das Goethe-Institut - das Ihnen, Herr Außenminister, anlässlich der Konferenz Ende Oktober in einigen Papieren dargestellt hat, wie wir mit solchen Themen umgehen sollten - hat sehr plastisch herausgearbeitet, dass der kulturelle Dialog keine Veranstaltung ist, in dem es nur um fruchtbare Begegnungen geht. Vielmehr sind mit diesem Dialog Konflikte verbunden. Konflikte sind aber das Markenzeichen von sich modernisierenden demokratischen Gesellschaften. Konflikte darf man nicht aus Angst sozusagen wegdrücken. Man muss sie vielmehr annehmen und unter dem Aspekt unterschiedlicher Lebensentwürfe - dazu gehört der Islam - so verarbeiten, dass es zu einem Integrationsprozess kommt. Wir müssen deutlich machen, dass Demokratie und Freiheit die Moderne repräsentieren. Alle, die sich diesen Wert der Freiheit zu Eigen machen, haben bei uns ihren Platz. Das deutlich zu machen, ist eine Aufgabe, die sich bei der auswärtigen Kulturpolitik sehr plastisch zeigt. Ich danke den Haushältern, dass sie mitgeholfen haben, dass sich das Goethe-Institut modernisiert, Budgetierungen einführt und mit seiner Arbeit dafür sorgt, dass dieses Modell der auswärtigen Kulturpolitik auch bei uns im Land seinen Platz finden kann. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Michael Link, FDPFraktion. ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine gute Tradition, dass wir im Rahmen des Einzelplans 05 auch auf den EU-Haushalt eingehen. Herr Frankenhauser hat es bereits getan. Leider war er bisher der Einzige. Ich will daher für die FDP-Fraktion einige Worte hinzufügen. ({0}) In der Tat ist es so, dass wir während der deutschen Präsidentschaft nicht nur über die EU-Verfassung sprechen, Herr Bundesaußenminister. Die Verfassung ist wichtig. Wir alle, auch die FDP, wünschen uns, dass wir mit Blick auf diese Verfassung zum Erfolg kommen. Aber ich will auch auf einen anderen Prozess aufmerksam machen, der seine Schatten vorauswirft. Es handelt sich um den auf dem Dezember-Gipfel beschlossenen Prozess, der mit der Revisionsklausel des EUHaushalts verbunden ist. Eine entsprechende Prüfung wird es bereits 2008/2009 geben. Wir wünschen uns, dass unter der deutschen Präsidentschaft ein Fahrplan aufgestellt wird, wie es mit der Verfassung weitergeht. Wir werden diesbezüglich 2008 bzw. 2009 zu einem Ergebnis kommen. Aber just zu diesem Zeitpunkt greift die Revisionsklausel. ({1}) Juristisch sind die beiden Themen nicht verbunden, politisch sehr wohl. Die Gefahr, dass hier Gegengeschäfte stattfinden, die am Schluss nicht zu einem europäischen Mehrwert, sondern wieder zu falschen Kompromissen führen, ist groß. Deshalb: Passen wir gemeinsam auf! Das ist eine Aufgabe des ganzen Parlaments. Eigentlich bräuchten wir mehr parlamentarische Kontrolle dessen, was wir an die EU zahlen. Gemessen an dem, was wir heute an die EU zahlen - das sind deutlich mehr als 20 Milliarden Euro pro Jahr -, gehen wir im Bundestag mit diesem ganzen Bereich äußerst nachlässig um. ({2}) Die parlamentarische Beratung des EU-Haushalts im Deutschen Bundestag könnte völlig zu einer Farce verkommen, würden wir nicht endlich einmal zu einer Verfahrensweise kommen, bei der die Zahlungen an die EU so wichtig, so ernst und so konsequent behandelt würden, wie dies bei den Einzelplänen der Fall ist, die wir in Berichterstattergesprächen usw. sehr genau behandeln. Beim Bereich der EU läuft das oft außen vor. Das Verhandlungsergebnis des Rates wird oft mehr oder weniger nur durchgewinkt. Wieso wird es durchgewinkt? Weil wir es zur endgültigen Ratifizierung erst dann bekommen, wenn es, zeitlich gesehen, bereits in Kraft getreten ist. Die jetzige Finanzielle Vorausschau 2007 bis 2013 werden wir irgendwann im Laufe des nächsten Jahres zur Entscheidung bekommen. Dann ist der Zug aber abgefahren. Deshalb fordern wir von der FDP - das ist eine Forderung an das ganze Parlament; es ist eine Frage unserer parlamentarischen Selbstachtung -: Lassen Sie uns zu einer Behandlung dieses Bereiches kommen, die den Verfahren bei den anderen Einzelplänen entspricht! Das ist außerordentlich wichtig. Dies wäre vor allem deshalb angeraten, weil wir hier über mehr als 20 Milliarden Euro sprechen. ({3}) Michael Link ({4}) Dieser Bereich entspricht, vergleicht man ihn mit den Einzelplänen, dem fünfgrößten Einzelplan. 14 Einzelpläne sind kleiner und vier größer; das sollte man sich einmal deutlich machen. Trotz allem wird dieses Thema nur im Einzelplan 60 unter „Allgemeine Finanzverwaltung“ unter „ferner liefen“ abgehakt, und zwar, technisch gesprochen, als negative Einnahmen. Technisch ist das zwar richtig. Aber wollen wir Europa nur technisch behandeln? Ich möchte sagen: Es ist politisch falsch, die Zahlungen an die EU nur dort zu behandeln. Wir müssen sie quasi wie einen eigenen Einzelplan behandeln. Es entspricht auch nicht der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit, wenn wir diesen Posten mehr oder weniger nur grosso modo durchwinken. Das Königsrecht des Parlaments, die Kontrolle des Haushalts, wird auf diese Art und Weise weder auf der Einnahmeseite noch auf der Ausgabenseite nachdrücklich ausgeübt. ({5}) Wie wichtig mehr Kontrolle wäre, machen die Worte des Präsidenten des Europäischen Rechnungshofes deutlich. Er hat letzte Woche vor dem Europäischen Parlament Folgendes gesagt: Der Hof kann - insbesondere für die Ausgabenbereiche Landwirtschaft …; Strukturmaßnahmen; interne … und externe Politikbereiche - … keinen … Bestätigungsvermerk erteilen. Er stellt in weiten Bereichen „überhöhte Ausgabenerklärungen“ - das ist ein freundliches Wort für Trickserei; selbst dieses Wort ist noch freundlich - und „doppelte Abrechnung von Kosten“ fest. Ich frage mich also: Ist das, wofür wir unser Geld in der EU ausgeben - über 80 Prozent fließen ja in den Agrarfonds und in die Strukturpolitik -, vielleicht nicht zu betrugsanfällig? Abgesehen davon, dass es politisch überhaupt nicht sinnvoll ist, fast die gesamten Mittel nur in jene Bereiche zu stecken, die keinen europäischen Mehrwert bringen. Es gibt also genügend Stoff für die Revisionsklausel 2008/2009. Die deutsche Bundesregierung hat vor dem Hintergrund ihrer Ratspräsidentschaft jetzt die Chance, erste Weichen zu stellen. Denn selbstverständlich beginnen die Verhandlungen und die Vorgespräche zu diesem Thema bereits jetzt. Wir würden uns wünschen, dass die deutsche Bundesregierung so mutig wäre wie der britische Staatssekretär im Finanzministerium, der vorgestern eine Rede in London folgendermaßen überschrieben hat: „Giving national parliaments scrutiny over EU funds“.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, würden Sie bitte einmal auf die Uhr vor sich schauen?

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Jawohl. ({0}) - Genau. Den nationalen Parlamenten soll also ein Mitspracherecht gegeben werden. Das sollte auch bei uns im Hause so sein. Dies sollte mit Respekt vor dem Geld der Steuerzahler dringend eingeführt werden. Danke schön. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Ursula Heinen, CDU/CSUFraktion. ({0})

Ursula Heinen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Link, gestatten Sie mir eingangs nur ein Wort zu Ihrer Forderung, auch unser Parlament müsse sich stärker mit dem EU-Haushalt befassen. Ich denke, wir als Deutscher Bundestag müssen dem Europäischen Parlament Vertrauen entgegenbringen; denn das originäre Recht, den europäischen Haushalt zu kontrollieren, liegt natürlich beim Europäischen Parlament. Nicht von ungefähr haben wir viele deutsche Europaabgeordnete nach Brüssel geschickt - Ihre Fraktion ist dort relativ stark vertreten -, um dort Kontrollfunktionen wahrzunehmen. Ich glaube daher, dass wir uns mit unseren europäischen Kollegen intensiver austauschen müssen. ({0}) Ich möchte eine zweite Anmerkung machen. In den Fachausschüssen wird sehr wohl über den EU-Haushalt gesprochen. Ich kann das auf jeden Fall für den Landwirtschaftsausschuss bestätigen, für den es geradezu essenziell ist, wie mit den europäischen Geldern umgegangen wird. Ich glaube, dass wir da auf dem richtigen Weg sind. Mit der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft stehen uns in der Tat sehr wichtige Monate bevor. Es ist ein besonderes Ereignis, weil es uns die Möglichkeit eröffnet, in Europa Themen anzusprechen und voranzubringen, die uns ganz besonders wichtig sind. Der Kollege Hoyer hatte Recht, als er in seinem ersten Redebeitrag sagte, dass die Regierung durchaus ambitioniert an die nächsten Monate herangehen und sich hohe Ziele stecken soll. Für uns steht dabei der Verfassungsprozess an allererster Stelle. Das besondere Merkmal der Europäischen Union ist, dass sie eine politische Union ist. Im Gegensatz zu anderen Formen von Zusammenschlüssen in Freihandelszonen oder sonstigen Wirtschaftsvereinigungen soll die Europäische Union mehr sein, sie soll ihren politischen Charakter wahren. Wenn sich die EU weiter vergrößert, weil sie neue Mitglieder aufnimmt, darf ihr Charakter als politische Union nicht verloren gehen. Dazu brauchen wir den europäischen Verfassungsvertrag. Frau Bundeskanzlerin und Herr Außenminister, die Bundesregierung muss wirklich den Verfassungsprozess wieder in Gang bringen. Der Europäische Rat hat im vergangenen Juni einen Zeitplan vorgeschlagen, der im ersten Halbjahr des nächsten Jahres präzisiert und konkretisiert werden soll. Am 25. März 2007, dem 50. Jahrestag der Römischen Verträge, soll es eine Berliner Erklärung der Staats- und Regierungschefs der EU geben, die vor allen Dingen die Werte, die Aufgaben und Grundlagen der Europäischen Union darstellen soll. Jeder ist aufgefordert und aufgerufen, sich tatsächlich an dieser Diskussion zu beteiligen. Es werden immer wieder Rufe laut, insbesondere aus den ganz linken Reihen, dass der Verfassungsvertrag so nicht umgesetzt werden muss. Ich möchte daher daran erinnern, dass in 15 Ländern die Parlamente den Verfassungsvertrag bislang ratifiziert haben. ({1}) - In Irland gab es beispielsweise eine Volksabstimmung. Viele Menschen haben dem Verfassungsvertrag zugestimmt. Diese Tatsache müssen wir in den nächsten Monaten berücksichtigen. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ulrich?

Ursula Heinen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. ({0}) Lassen Sie mich zu einem weiteren zentralen Thema kommen, zur Erweiterung der Europäischen Union. Der Bundestag hat mit großer Mehrheit dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens in die EU zugestimmt, auch wenn es noch Defizite im Transformationsprozess gibt, etwa in den Bereichen Lebensmittelsicherheit und Hygienestandards, ordnungsgemäße Kontrolle der EUFördermittel, Herr Link, sowie Innen- und Justizpolitik. Diese Defizite müssen selbstverständlich weiter überprüft und behoben werden. Die Europäische Union wird ab dem kommenden Jahr 27 Mitglieder zählen. Es sind beinahe - wir haben uns die Zahl gerade noch einmal zugerufen - eine halbe Milliarde Menschen in der Europäischen Union. Ab einem gewissen Punkt müssen wir in der Tat verantwortlich darüber nachdenken, wie groß die Europäische Union eigentlich werden kann, ohne ihren Charakter als politische Union zu verlieren und - das hatte ich eingangs bereits erwähnt - zu einer bloßen Freihandelszone degradiert zu werden. Deshalb muss es für eine Reihe von Drittstaaten, die eine Grenze zur EU haben, eine Nachbarschaftspolitik - anstelle eines EU-Beitritts - geben, die auf gemeinsamen Werten und einer gemeinsamen Teilhabe an Sicherheit und Wohlstand beruht. Es geht also durchaus um privilegierte Partnerschaften. Wir führen jetzt ergebnisoffene - ich betone das Wort „ergebnisoffen“ - Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Sie zeigen uns, wie schwierig dieser Prozess ist. Eines muss klar sein: Ein EU-Beitritt ist an klare Kriterien geknüpft. Der Fortschrittsbericht der vergangenen Woche hat zutage gebracht, was viele befürchteten, nämlich dass der Reformprozess in der Türkei ins Stocken geraten ist. So hält sich die Türkei bei der Umsetzung des Ankaraprotokolls nicht an die Standards. Es ist richtig, dass die Europäische Union der Türkei ein Ultimatum gesetzt hat, die bestehende Zollunion auf alle neuen Mitgliedstaaten, also eben auch auf Zypern auszudehnen. Bis Anfang Dezember müssen zypriotische Schiffe und Flugzeuge türkische Häfen und Flughäfen ungehindert anlaufen bzw. anfliegen können. ({1}) Seit 1987 blockiert die Türkei alle Schiffe unter zypriotischer Flagge. Das hat mittlerweile durchaus erhebliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung in Zypern. So war die zypriotische Handelsflotte einmal die viertgrößte Handelsflotte der Welt. Mittlerweile ist sie - nicht nur, aber auch durch den schwierigen Prozess mit der Türkei - auf den zehnten Platz gerutscht. Ich finde, wir dürfen in der heutigen Zeit in Europa nicht mehr zulassen, dass es solche Entwicklungen gibt. Lassen Sie mich noch kurz auf einen weiteren Aspekt der Frage des Beitritts der Türkei zur Europäischen Union eingehen, der in der öffentlichen Diskussion oft ein wenig zurückgespielt wird bzw. unter dem allgemeinen Titel „Menschenrechte“ zur Sprache kommt, nämlich die Situation der Frauen und der Frauenrechte in der Türkei. In den letzten Jahren hat die Türkei zahlreiche Gesetze zur Stärkung der Rechte von Frauen verabschiedet. Eine besonders wertvolle Arbeit hat der Ausschuss über Ehrenmorde geleistet. Er hat auch viel Erfolg gehabt, nämlich in der Änderung des Strafgesetzbuches, wo Ehrenmorde endlich als Morde in besonders schwerem Fall gelten. Das ist ein Riesenfortschritt für die Türkei, der sich allerdings noch nicht bis in die tatsächliche Justiz herumgesprochen hat; im Fortschrittsbericht wurde nämlich gezeigt, dass Ehrenmorde immer noch nicht als schwere Delikte geahndet werden. Auch dies sollte geändert werden. Ein weiteres Thema, das uns auch hier in Deutschland betrifft, ist die Zwangsverheiratung. So wird das außen- und europapolitische Thema Türkei natürlich auch ein innerdeutsches, ein innenpolitisches Thema. In der Türkei werden 58 Prozent der Ehen nicht freiwillig geschlossen, um es so zu formulieren. Es sind nicht immer Zwangsverheiratungen, aber es sind Ehen, die unter Druck zustande kommen. Die Zahlen hierzu sind offiUrsula Heinen zielle Zahlen. Die offizielle Seite in der Türkei verneint aber bisher, dass es solche Zwangsverheiratungen gibt. Ich denke, dass wir uns damit auch hier, auch in der Europapolitik, wenn es um die Frage des Beitritts geht, intensiver auseinander setzen müssen. ({2}) Ich freue mich, dass die Europapolitik der Bundesregierung auf einem wirklich guten Weg ist, und hoffe, dass die Beitrittsverhandlungen und die Gespräche mit unseren europäischen Nachbarn weiter zu guten Ergebnissen führen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Monika Griefahn, SPDFraktion. ({0})

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an dieser Stelle als erstes unserem Außenminister danken. Seit er im Amt ist, hat er klar gemacht, dass Kulturpolitik innerhalb der auswärtigen Politik nicht nur irgendein Aspekt ist, sondern ein zentrales Standbein. Ich finde, er hat das hier heute ausdrücklich demonstriert. Herzlichen Dank dafür! ({0}) Seine Initiative ist besonders für die zahlreichen Mittlerorganisationen ein wichtiges Zeichen; denn wir haben in Deutschland immer noch das Problem, dass unser kulturelles Engagement im Ausland und seine Bedeutung für Deutschland hier im Land zu wenig wahrgenommen wird. Es wird zu wenig gesehen als etwas, das uns direkt nützt, nämlich in der Anbindung der Länder und der Menschen untereinander, derjenigen, die unsere Institutionen besuchen - seien es die Schulen, sei es über den Wissenschaftsaustausch, sei es das Goethe-Institut. Unser kulturelles Engagement hat etwas damit zu tun, was für eine Beziehung diese Menschen später zu Deutschland haben; sie können selber Botschafter für Deutschland werden, können mit uns Geschäfte machen und können, wenn sie in politische Verantwortung kommen, einen regen Kontakt mit uns haben und unsere demokratischen Ideen mit vertreten. Ich glaube, das müssen wir deutlich machen. Sie, Herr Minister, haben das sehr deutlich gemacht, und auch dafür danke ich Ihnen. Was mit dem zusätzlichen Geld für die Goethe-Institute geschieht, war in der heutigen Debatte ein Thema. Herr Leibrecht, ich möchte darauf aufmerksam machen, dass in einem sehr mühevollen Prozess ein neues Konzept erarbeitet worden ist. Auch vom Goethe-Institut selber werden große Umstrukturierungen vorgesehen. Das möchte ich hier ausdrücklich anerkennen. Ich finde es gut, dass man in der Zentrale sparen will, dass man dort Personal freisetzen will - das ist Teil des Konzeptes -, um in neue Institute in Osteuropa, in Zentralasien oder in anderen Ländern, wo die Goethe-Institute zurzeit wenig präsent sind, investieren zu können, damit die Anbindung besser wird. Diese Leistung will ich an dieser Stelle würdigen. Es gab eine Debatte darüber, dass man Institute in Europa schließen könnte; sie seien nicht mehr so wichtig, weil wir in Europa ohnehin schon miteinander verbunden seien. Wir sehen, wie notwendig es ist, dass es die europäischen Kontakte noch gibt. Deswegen bin ich froh darüber, dass in dem Konzept vorgesehen ist, dass die europäischen Institute bestehen bleiben, sie vielleicht in eine andere Präsenzform gegossen werden, wir in Europa aber auf jeden Fall weiterhin zusammenarbeiten. Ich glaube, auch das ist ein wichtiges Zeichen. ({1}) Wir haben heute einen Antrag, der dieses Konzept begleitet, eingebracht, über den wir in den nächsten Wochen diskutieren werden. Ich hoffe auf eine rege Debatte über diesen Antrag. Ich hoffe, dass wir ihn anschließend auch hier im Plenum diskutieren können. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie die außenpolitische Debatte heute gezeigt hat, wird das Jahr 2007 ein spannendes Jahr für die deutsche Außenpolitik. Die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union und die G-8-Präsidentschaft werden uns die Chance geben, in der internationalen Gemeinschaft nach unseren Maßstäben einer interessenorientierten und wertegebundenen Außenpolitik eigene Akzente zu setzen. Lassen Sie mich einige Aspekte dazu ausführen. Die Risiken für unsere Sicherheit sind nicht geringer geworden. Die Situation im Nahen Osten, die Lage in Afghanistan oder geplante Terroranschläge in Deutschland zeigen das. Für mich ist wichtig, festzustellen, dass die NATO als unser wichtigstes militärisches Bündnis der Anker für unsere Sicherheit ist und bleibt. Allerdings sehen wir auch, dass wir unsere Sicherheit in der Europäischen Union immer weniger von der NATO borgen können, sondern immer mehr gehalten sind, selbst Aufgaben der Friedenssicherung wahrzunehmen. Die Europäische Union hat in den vergangenen Jahren gelernt, in der Außen- und Sicherheitspolitik neue Verantwortung zu tragen. Wir sichern den Frieden in Bosnien und Herzegowina, im Kosovo und in Mazedonien. Dabei setzen wir auf eine enge Kooperation zwischen NATO und Europäischer Union. Beim NATOGipfel Ende November werden wir mit unseren Partnern über die Rollenverteilung zwischen NATO und EU sowie über die Ausrichtung und Ausdehnung der NATO diskutieren können. Wir müssen uns aber auch innerhalb der Europäischen Union noch enger abstimmen. Dazu gibt es nach meiner Auffassung keine Alternative. Wir müssen uns darauf verlassen können, dass Europa mit einer Stimme spricht und gemeinsam handelt, wenn es ernst wird. Deswegen braucht die Europäische Union eine starke Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. In Afghanistan leisten unsere Soldaten und Diplomaten eine herausragende Arbeit. Ich glaube, wir müssen immer wieder deutlich machen, weshalb wir diesen Einsatz in Afghanistan erbringen: Wir sind nicht aus purer Nächstenliebe dort. Wir engagieren uns in Afghanistan, weil dort Terroristen ausgebildet worden sind, die uns noch heute bedrohen. Deswegen haben wir ein eigenes Interesse daran, dass dieses Land nicht erneut zum Ausbildungscamp für Terroristen wird. Deswegen engagieren wir uns in Kabul und in den Provinzen beim Wiederaufbau und bei der Stabilisierung dieses Landes. Wir bemühen uns um Sicherheit für uns und für das afghanische Volk. Wenn nun gefordert wird, dass die militärischen Kräfte in Afghanistan insbesondere im Süden verstärkt werden sollen, scheint mir der Akzent der öffentlichen Debatte nicht ganz exakt gesetzt zu sein. Ich habe den Eindruck, dass wir die Probleme im Süden Afghanistans nicht mit zusätzlichen Soldaten lösen können. Soldaten können nur ein Zeitfenster öffnen, das wir für eine politische Lösung nutzen müssen. Wir sollten deshalb alles daran setzen, eine solche politische Lösung zu finden. Wir müssen, um Afghanistan zu stabilisieren, dafür sorgen, dass die Menschen wieder Hoffnung schöpfen können. Das wird nur der Fall sein, wenn sie die internationale Präsenz als Unterstützung für sich selbst verstehen und erfahren können, und wenn beispielsweise bei der Errichtung von Schulen und Krankenhäusern sichtbar wird, dass es Fortschritte gibt und dass es Alternativen zum Drogenanbau gibt. Die Wiederaufbauhilfe, die wir leisten, wird nur dann bei den Menschen ankommen und nur dann eine gute Investition in die Zukunft des Landes darstellen, wenn wir für Sicherheit in diesem Land sorgen können. Ich denke, dass unser deutscher Beitrag gerade im Hinblick auf die afghanische Polizei und Armee deshalb von ganz besonderer Bedeutung ist. ({0}) Die Kongomission steht vor der Beendigung. Wir können von hier aus den Präsidentschaftskandidaten Bemba nur aufrufen, die Ergebnisse der Wahl, die von einer unabhängigen Kommission festgestellt worden sind, zu akzeptieren. Es ist nicht überzeugend, eine Überprüfung dieses Ergebnisses bei Gericht zu beantragen und dann zuzusehen, wie eigene Leute exakt dieses Gericht angreifen und damit die selbst beantragte Überprüfung unmöglich machen. Wir müssen darauf drängen, dass dieses Wahlergebnis akzeptiert wird. Alles Weitere wird die Mission der Vereinten Nationen im Kongo übernehmen können. Ich möchte hier nochmals mein Petitum anbringen, dass wir politische Leitlinien für die Auslandseinsätze der Bundeswehr entwickeln müssen, die Antworten geben auf die Frage, was wir politisch wollen, auf die Frage, was militärisch erreichbar ist, und auf die Frage, was mit unseren Ressourcen leistbar ist. Dazu gehört zum Beispiel, dass wir militärische Einsätze in ein politisches Gesamtkonzept einbetten, das auch diplomatische Bemühungen, humanitäre Maßnahmen, polizeiliche Unterstützung und entwicklungspolitische Projekte beinhaltet. Wir müssen Ziel, Umfang und Dauer eines Einsatzes einschließlich einer Exit-Strategie definieren. Wir müssen auch die Kapazitäten an Personal, Material und Finanzen konkretisieren. Mir geht es dabei darum, dass wir keine Sicherheitspolitik betreiben, die nur auf internationale Entwicklungen reagiert, sondern dass wir uns im Vorfeld konzeptionell überlegen, wie wir Sicherheitspolitik gestalten wollen. Deswegen ist meine Forderung nach Leitlinien für Auslandseinsätze der Bundeswehr Bestandteil einer präventiven Sicherheitsstrategie. Ich glaube, das müssen wir auf der Grundlage des Weißbuches in den nächsten Monaten leisten, und zwar mit dem Ziel, selbst glaubwürdiger und berechenbarer - sowohl für unsere Partner als auch für die Bevölkerung in Deutschland - zu werden. Lassen Sie mich hinsichtlich der Europäischen Union das Thema Türkei ansprechen. Wir stehen vor der Situation, dass die Türkei ihre klare Verpflichtung, das Ankaraprotokoll zu ratifizieren und damit die gemeinsame Zollunion auf Zypern auszudehnen, bis heute nicht erfüllt. Wir in der CSU waren der Meinung - und wir sind bis heute dieser Meinung -, dass es verfrüht war, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beginnen. Wir haben uns jedoch im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass diese Verhandlungen ergebnisoffen geführt werden können. Nun ist die Frage, wie man damit umgeht, dass die Grundlage dieser Verhandlungen nach wie vor nicht erfüllt wird. Denn die Ratifizierung des Ankaraprotokolls war eine Vorbedingung dafür, dass die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen beschlossen wurde. Deswegen plädiere ich dafür, dass wir Konsequenzen ziehen, wenn das Ankaraprotokoll nicht unterzeichnet wird und die Türkei sich weiterhin weigert, ihre Häfen und Flughäfen für zypriotische Schiffe und Flugzeuge zu öffnen. ({1}) Es muss endlich jemand den Mut haben, der Türkei die Wahrheit zu sagen. Dazu gehört, dass wir einen andauernden Vertragsbruch nicht hinnehmen, so nicht weitermachen und nicht zur Tagesordnung übergehen können. Wir müssen darauf drängen, dass die Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen, auf die wir uns im Vorhinein verständigt haben, erfüllt werden. Dazu gehört, jetzt Konsequenzen zu ziehen und - so lautet unser Vorschlag - im Rahmen dieses Verfahrens keine neuen Verhandlungskapitel zu öffnen. ({2}) Ich will allerdings auch darauf hinweisen, dass die Türkei für uns ein wichtiger Nachbar und ein strategischer Partner bleibt und dass wir der Bedeutung dieser Nachbarschaft durch die Entwicklung eines maßgeschneiderten Konzepts der Zusammenarbeit zwischen der Türkei und der Europäischen Union Rechnung tragen müssen. Ich bin dafür, einen praktischen und realistischen Ansatz zu wählen, um aus der Sackgasse eines alles oder nichts herauszukommen. Stattdessen sollten wir auch Formen der Kooperation unterhalb der Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union entwickeln. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 05 - Auswärtiges Amt - in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.10 auf: Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung - Drucksachen 16/3113, 16/3123 Berichterstattung: Abgeordnete Johannes Kahrs Bartholomäus Kalb Dr. Gesine Lötzsch Zum Einzelplan 14 liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP sowie der Fraktion Die Linke vor. Außerdem liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor, über den wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Elke Hoff, FDP-Fraktion. ({0})

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen! Verehrte Kollegen! Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Bundeswehr in ihrer 50-jährigen Geschichte schon einmal derart in der Öffentlichkeit gestanden hat, wie es in den letzten Monaten der Fall war. Ob dadurch jedoch in unserer Gesellschaft oder aufseiten der Bundesregierung das „freundliche Desinteresse“ gegenüber der Bundeswehr, wie Bundespräsident Köhler es formuliert hat, schwindet, bleibt dahingestellt. Die Bundeswehr wird zunehmend als ein außen- und innenpolitisches Allheilmittel zur Bewältigung von sicherheitspolitischen Bedrohungen in Anspruch genommen. Man kann dem früheren Außenminister Genscher nur zustimmen, der darauf hingewiesen hat: „Militäreinsatz darf nicht zum beliebigen Mittel der ersten Wahl werden.“ ({0}) Der rasante Zuwachs der Bedeutung der Bundeswehr geht schon seit Jahren nicht mehr mit einer adäquaten materiellen, finanziellen und personellen Ausstattung einher. Das hat im Hinblick auf die zukünftige Ausrüstung der Bundeswehr fatale Konsequenzen. Denn diese Lücken können nur durch eine weitere Runde Streichen, Strecken, Kürzen und Verschieben geschlossen werden; was dann allerdings noch von den Grundsätzen der Haushaltswahrheit und -klarheit übrig bleibt, kann man getrost vergessen. Anders wird es Ihnen aber nicht gelingen, die zusätzlichen Auslandseinsätze, die Sie selbst beschlossen haben, zu finanzieren. Die Fachpolitiker der großen Koalition werden auch heute beteuern, wie wichtig es ist, dass unsere Soldatinnen und Soldaten mit dem besten Gerät ausgestattet in den Einsatz gehen. Das sind viele leere Worte. Die FDPBundestagsfraktion hat im Verteidigungsausschuss beantragt, unverzüglich den Bedarf für eine Grundbefähigung mit geschützten Fahrzeugen zu beschaffen, ein effektives und am Markt verfügbares Schutzsystem gegen Sprengfallen anzuschaffen und so schnell wie möglich den Feldlagerschutz umfassend zu verbessern. All dies haben Sie nolens volens abgelehnt. Nur einen Tag, nachdem Sie unsere Anträge abgelehnt hatten, verkündete ein Kollege - ich zitiere ihn wörtlich, auch wenn mich dies meine Redezeit kostet hier im Plenum: Die Bundeswehr hat den Anspruch, dass wir bei Ausrüstung und Ausbildung alles tun, damit sie immer das Notwendige, also das, was auf dem Markt verfügbar ist, bekommt. Wenn wir das der Bundeswehr nicht geben und uns hinter mangelndem Geld verstecken, wenn wir die Leute in einen Einsatz schicken, bei dem sie zu Schaden oder sogar zu Tode kommen können, nur weil wir die notwendige Ausrüstung nicht zur Verfügung gestellt haben, dann handeln dieses Parlament, der Verteidigungsausschuss und der Haushaltsausschuss, dann handeln also wir insgesamt unmoralisch. ({1}) „Unmoralisch“ ist ein starkes Wort, und es kommt aus Ihren eigenen Reihen. Statt dem Rechnung zu tragen und endlich eine sachgerechte Priorisierung der Beschaffungsvorhaben vorzunehmen, kleben Sie bei den Beschaffungsvorhaben weiterhin an den Strukturen des Kalten Krieges. ({2}) Es werden zwar wünschenswerte Investitionsprogramme über zusätzliche 2 Milliarden Euro in der Presse lanciert, aber letztendlich nicht durchgesetzt. Wiederholt und überwiegend kam es in Afghanistan zu Personenschäden durch Sprengfallen. Fast alle hätten verhindert werden können, wenn das technische Abwehrmaterial beschafft worden wäre, das notwendig und auf dem Markt verfügbar ist. Sie verweigern sich der Realität im Einsatz und tragen in diesem Verteidigungshaushalt unter anderem mit, dass die notwendige Beschaffung von 149 Dingo 2 bis 2011 gestreckt wird - statt, wie technisch möglich, sie bis 2008 zu beschaffen. Dies sind drei verlorene Jahre, die über die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten entscheiden. ({3}) Die FDP hat mit ihrem Antrag, die Stückzahlen des Eurofighter und des A400M zu reduzieren und die Beteiligung an der Entwicklung des Raketenabwehrsystems MEADS zu beenden, den Versuch gemacht, eine einsatzorientierte Priorisierung auf den Weg zu bringen. Nur durch eine solche Schwerpunktverlagerung sind überhaupt Spielräume im Verteidigungsetat zu erzielen. Wenn Sie die Ankündigung der Bundeskanzlerin, die Finanzausstattung zu verbessern, in Angriff nehmen - hoffentlich bald -, werden Sie schon einen ordentlichen Schluck aus der Pulle nehmen müssen. Denn allein die ursprünglich im Einzelplan 33 angesiedelten Versorgungsausgaben schlagen jährlich mit 100 Millionen Euro zu Buche, Tendenz steigend. Die Belastung durch die völlig unsinnige Mehrwertsteuererhöhung, die Belastung durch die Auslandseinsätze sowie Preisfortschreibungen bei zulaufenden Beschaffungsvorhaben werden ihr Übriges tun. Herr Minister, das Fazit Ihres ersten Amtsjahres ist, freundlich ausgedrückt, durchwachsen. Vom „Minister im Praktikum“ war die Rede, vom „Minister unter Dauerfeuer“, von „Minister Tapsig“, vom „Mann ohne Marschrichtung“. Schade eigentlich; denn Sie sind wirklich ein netter Mensch. ({4}) Leider ist es bis heute noch nicht klar, welche Kriterien in den nächsten Jahren für bestehende und zukünftige Auslandseinsätze der Bundeswehr gelten sollen. Das eine Mal mahnen Sie zur Zurückhaltung - die Grenzen seien erreicht - und bringen in diesem Zusammenhang unabgestimmt eine Rückführung der Soldaten aus Bosnien ins Gespräch. Dann wieder bringen Sie die Bundeswehr ins Spiel, ohne dass deutsche Interessen erkennbar betroffen wären. Mit in der Ressortabstimmung weichgespülten Formulierungen bleibt das Weißbuch hinter den vorsichtigen Definitionen Ihres Vorgängers zurück. ({5}) Ihr abwehrender Hinweis, es könne keine Checkliste für Auslandseinsätze geben, zeugt nach meiner Auffassung von einer erheblichen politischen Oberflächlichkeit in einem der wichtigsten Bereiche, die staatliches Handeln zu erfüllen hat. ({6}) An dieser Stelle möchte ich mir eine kurze persönliche Bemerkung zu Afghanistan erlauben. Wenn der Maßstab für die zivilisatorische Entwicklung dieses seit Jahrzehnten geschundenen Landes auf ein „die NATO darf nicht scheitern“ reduziert wird, wenn es nur noch darum geht, einen Waffengang erfolgreich - was immer man darunter verstehen mag - zu beenden, wenn der Eindruck entsteht, dass sich Bündnissolidarität nach der Anzahl der Opfer bemisst, dann haben wir alle etwas falsch gemacht. Solange es den westlichen Verbündeten nicht gelingt, den Menschen vor Ort eine bessere Lebensperspektive zu bieten, als es die Taliban tun, und gemeinsam mit Afghanistan und Pakistan ein tragfähiges Konzept zur Rückführung der Tausenden Kriegsflüchtlinge und ihrer Familien von jenseits der Grenzen zu erarbeiten, die wegen des völligen Fehlens einer Lebensperspektive ein unerschöpfliches Rekrutierungsreservoir für die Taliban bilden, wird das sinnlose Sterben auf beiden Seiten weitergehen. Wenn die NATO wirklich eine politische Gemeinschaft sein will, muss sie endlich hier ansetzen und beweisen, dass sie lernfähig ist - anstatt dass sich die Partner gegenseitig in Misskredit bringen. Ich bin jedenfalls stolz auf die Leistungen unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Vielleicht gibt es ja auch handfeste Gründe dafür, dass der Norden Afghanistans stabiler ist als andere Regionen, und vielleicht können ja auch andere davon lernen. Die Bundeswehrangehörigen und ihre Familien bedürfen in den nächsten Jahren unserer besonderen Aufmerksamkeit. Das Mindeste, was wir als Parlament dazu beitragen können, ist die Schaffung größtmöglicher Sicherheit und bester Ausbildung - an der Wirklichkeit orientiert, nicht an der Vergangenheit. Mit dem vorliegenden Haushalt tragen Sie diesem Anspruch jedenfalls nicht Rechnung. Danke für die Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Susanne Jaffke, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Susanne Jaffke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001008, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich auf das nackte Zahlenwerk des Haushalts 2007 des Bundesministeriums der Verteidigung zu sprechen komme, möchte ich den circa 8 000 Soldatinnen und Soldaten danken, welche im Rahmen von internationalen Einsätzen ihren Dienst unter zunehmend schwierigen und gefährlichen Bedingungen leisten. Auch wenn es kaum wahrgenommen wird: Die Bundeswehr leistet durch ihre Auslandseinsätze einen beträchtlichen Beitrag für die innere Sicherheit Deutschlands. ({0}) Ihnen gebührt parteiübergreifend Respekt und Hochachtung für die Erfüllung ihres Auftrages. In diesem Zusammenhang möchte ich eine Anmerkung zur Diskussion der vergangenen Tage über einen eventuellen Einsatz der Bundeswehr im Süden von Afghanistan machen. Obwohl durch das Mandat, welches wir hier mehrheitlich beschlossen haben, die Möglichkeit eines zeitlich begrenzten Antiterroreinsatzes auch deutscher Spezialkräfte außerhalb unseres zugewiesenen Gebietes zugelassen wird, hat es bisher ein offizielles Ersuchen der NATO dafür nicht gegeben. Ich danke an dieser Stelle ganz besonders der Bundeskanzlerin dafür, dass sie heute Morgen klar und eindeutig Stellung dafür bezogen hat, auch auf dem bevorstehenden NATO-Gipfel in Riga die restriktiven Einsatzregeln - die Rules of Engagement - für die deutschen Truppen weiterhin zu begründen und ganz besonders für das erfolgreiche Einsatzkonzept der zivil-militärischen Zusammenarbeit Deutschlands im Norden Afghanistans zu werben. Wir sollten es also vermeiden, unsere Bundeswehrsoldaten zu verunsichern. ({1}) Es zeigt sich, dass der Einsatz der Bundeswehr bei der Zivilbevölkerung auf Anerkennung stößt. Die Wiederaufbau- und Stabilisierungsarbeit der Bundeswehr wird nicht nur vor Ort, sondern auch von den anderen Truppenstellern hoch anerkannt. Dieser Aspekt kommt mir in der veröffentlichten Wahrnehmung wesentlich zu kurz. ({2}) Nun einige Anmerkungen zum Etat. Nachdem im Einzelplan 14 des Haushaltes über Jahre hinweg Kürzungen hingenommen wurden, hatten wir bereits mit dem Haushalt 2006 eine Verstetigung des Ansatzes erreicht und damit eine Wende eingeleitet. Nach Jahren erfährt der Etat des BMVg jetzt einen Aufwuchs. Inklusive der Versorgungsausgaben in Höhe von 4,037 Milliarden Euro weist der Gesamtetat des Bundesministeriums der Verteidigung 28,389 Milliarden Euro aus, was einem Gesamtplus von circa 517 Millionen Euro entspricht. Ohne die Versorgungsausgaben steigt der Ansatz um 472 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr. Wenn man die erhöhte Mehrwertsteuer abzieht, die sich im Jahr mit ungefähr 100 Millionen Euro pro Prozentpunkt zusätzlich niederschlagen wird, dann bleibt unter dem Strich ein zwar bescheidener, aber immerhin ein Aufwuchs in Höhe von 172 Millionen Euro stehen. ({3}) Das entspricht der mittelfristigen Finanzplanung. Dieses Plus wird im Wesentlichen für die Verstärkung der verteidigungsinvestiven Ausgaben, für die Materialerhaltung sowie für die Deckung der gestiegenen Kosten der Betriebsstoffe verwendet. Die große Koalition wird damit den geänderten Rahmenbedingungen durch die Transformation der Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz und der Zunahme der Einsatzanforderungen im Rahmen internationaler Einsätze gerecht. Ziel der Regierung ist es, Auftrag, Ausrüstung und hierfür zur Verfügung stehende Mittel in Einklang zu bringen. Nun einige Bemerkungen zu den Personalausgaben. Das BMVg hat seit der Wiedervereinigung mehr Personal abgebaut als alle anderen Ressorts zusammen. Dieser Weg wird von Verteidigungsminister Jung konsequent weitergegangen. Parallel zum sozialverträglichen Personalabbau sind im Haushalt 2007 aber auch circa 3 000 Beförderungsmöglichkeiten im Rahmen des beschlossenen Attraktivitätsprogramms ausgewiesen. Darüber hinausgehende Stellenhebungen sind durch die Koalition diesmal nicht vorgesehen. Das ist vielleicht unattraktiv, weil es eine gut eingeführte Sitte war, im parlamentarischen Verfahren Stellenhebungen mit zu beschließen. Aber meiner Meinung nach geht es darum, dass das bisherige Attraktivitätsprogramm an die neue Zielstruktur angepasst werden muss. Dabei muss vor allen Dingen die Laufbahnverordnung überarbeitet und angepasst werden. Ich denke, das ist eine dankbare Aufgabe für die Kollegen im Fachausschuss. Ich glaube, in einer Gesamtkonzeption wird es zu einer gerechteren Würdigung der Leistungen unserer Soldaten und der zivilen Beschäftigten kommen. Was die zivilen Beschäftigten der Bundeswehr betrifft, so hatte die Regierungskoalition zwar die Zusage des Hauses, bis Ende 2006 das Konzept der Zielstruktur vorgelegt zu bekommen, aber zu meinem Bedauern konnte diese Zusage nicht eingehalten werden. Das Personalkonzept soll nun Ende Februar 2007 stehen. Die Koalition wird mit Nachdruck auf die Einhaltung des Zeitplans drängen. Auch die zivilen Beschäftigten der Bundeswehr haben ein Anrecht darauf zu erfahren, in welcher Struktur sie künftig tätig sein werden. Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu den Umschichtungen machen, die wir im Haushalt vorgenommen haben. Einen Schwerpunkt hierbei bildet das Thema Materialerhaltung. Bereits im Regierungsentwurf zum Haushalt 2006 war ein kleiner Aufwuchs zu verzeichnen. Der Regierungsentwurf zum Haushalt 2007 sah einen Aufwuchs von circa 48 Millionen Euro vor. Dieser resultierte zwar primär aus dem Zulauf neuer Waffensysteme, aber zusätzlich zu diesem Mehrbedarf hat die Regierungskoalition weitere 45 Millionen Euro zur Materialerhaltung umgeschichtet. Wir wollen damit den gestiegenen Anforderungen hinsichtlich der Ausstattung durch die Zunahme von Mandaten gerecht werden. Wir sind der Überzeugung, dass durch die vermehrten Auslandseinsätze der Bundeswehr die Materialerhaltung bzw. Instandsetzung nicht immer in vollem Umfang durchgeführt werden konnten. Dieser Umstand und die Verpflichtung, unsere Soldaten mit dem unabdingbaren Bedarf auszustatten, sind die Gründe für die Aufstockung der Mittel um insgesamt 93 Millionen Euro. Einen weiteren Schwerpunkt stellt der „Geschützte Transportraum“ dar, der durch die zunehmende Gefährdungslage an Bedeutung zugenommen hat. Nach der Zunahme von Anschlägen hatte Minister Jung die Weisung gegeben, dass Bewegungen außerhalb von Lagern nur noch in geschützten Fahrzeugen stattfinden sollen. Im Sinne der Sicherheit und des Schutzes der Soldaten ist das sinnvoll und notwendig. Die Haushälter haben das BMVg in diesem Zusammenhang aufgefordert, gemeinsam mit der deutschen Landsystemindustrie nach Möglichkeiten eines Vorziehens von beschlossenen Beschaffungsvorhaben zu suchen. Zurzeit laufen dazu Verhandlungen zwischen dem BMVg und der Industrie. Im zahlenmäßigen Vergleich zwischen geschützten Fahrzeugen und ungeschützten Fahrzeugen ergibt sich, bezogen auf das ISAF-Mandat, ein Verhältnis von zwei zu eins. Insgesamt befinden sich circa 500 geschützte Fahrzeuge im Einsatz. Die Verlegung zusätzlicher geschützter Fahrzeuge ist geplant. Damit befindet sich der Großteil dieses Gerätes im Einsatz und das ist auch richtig so. Ich hatte bereits zu Beginn meiner Ausführungen auf die Wiederaufbau- und Stabilisierungsarbeit der Bundeswehr in den Einsatzgebieten hingewiesen. Um diese Arbeit der Bundeswehr mit der Arbeit ziviler Hilfsorganisationen bzw. NGOs sowie mit der staatlicher Projektträger besser abzustimmen, hat die Regierungskoalition eine Neuausrichtung der Schwerpunkte vorgenommen. Die große Koalition hat dazu den noch unter Rot-Grün neu aufgenommenen Haushaltstitel - strukturelle Krisenvorsorge - nunmehr an eine Zweckbindung gekoppelt. Zukünftig sollen aus diesem Titel nur noch Projekte bezahlt werden, die an den Einsatzorten der Bundeswehr durchgeführt werden. Damit wird ein direkter Zusammenhang zwischen militärischer und ziviler Friedensmission sichergestellt. Es ist erwiesen, dass die schwierigen und gefährlichen Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan nur dann erfolgreich sind, wenn im Rahmen der zivilen Krisenprävention den militärischen Maßnahmen auch zivile flankierend zur Seite gestellt werden. Das wird mit dem Beschluss der Koalition verstärkt. Dabei haben wir nicht nur den Baransatz qualifiziert gesperrt, sondern wir verlangen auch von der Regierung, dass sie eine belastbare Planung vorlegt, wie die Mittel verwendet werden sollen. Gestatten Sie mir noch zu erwähnen, dass wir als Regierungskoalitionsberichterstatter zu den Einzelplänen 14 und 23 eine abgestimmte Konzeption zur verbesserten Kooperation und Koordination zwischen zivilen Organisationen und der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen erbeten haben. Wir wollen damit sicherstellen, dass es bei den Projekten zu einer effizienteren Mittelverwendung kommt. Der kleine Aufwuchs, den der Haushalt des Verteidigungsministers erfährt, wird auch zur Stabilisierung der Auslandseinsätze der deutschen Soldaten beitragen. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Etat. Gestatten Sie mir zum Schluss,

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ungern, Frau Kollegin, weil Sie Ihre Redezeit deutlich überschritten haben.

Susanne Jaffke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001008, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- den Mitarbeitern nicht nur der Haushaltsabteilung des BMVg, sondern auch der Haushaltsabteilung des BMF sowie vor allen Dingen unserem Hauptberichterstatter, dem Kollegen Johannes Kahrs, Dank auszusprechen. Wir werden auch in der Vorbereitung kleiner Sitzungen zunehmend besser. Daran wollen wir weiterarbeiten. Danke. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben im Laufe der Debatte gesehen: Die Koalition ist sichtlich begeistert - ich erinnere nur an die Rede des Vorsitzenden der Unionsfraktion -, dass Deutschland im nächsten Jahr wahrscheinlich den Stabilitätspakt einhalten wird. Die Nettoneuverschuldung wird unter den Investitionen liegen. Da Sie Stabilitätspakte so gut finden, schlage ich Ihnen einen weiteren Pakt vor. Ich möchte Ihnen folgendes Angebot unterbreiten: Wie Sie wissen, wird die Bundesregierung im nächsten Jahr 28 Milliarden Euro für die Verteidigung ausgeben. Für zivile Investitionen sollen in der gleichen Zeit allerdings nur 24 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Ich denke, es wäre sinnvoll, einen Pakt zu schließen, der festlegt, dass in Friedenszeiten die Ausgaben für das Militär die zivilen Investitionen nicht übersteigen dürfen. ({0}) Das wäre nicht nur ein Stabilitätspakt, sondern auch ein Friedenspakt. Wir, die Linke, haben ausreichend Kürzungsvorschläge eingebracht, sodass der Bundestag schon im Jahr 2007 diesen Friedenspakt einhalten könnte. ({1}) An dieser Stelle will ich mich mit einer Behauptung auseinander setzen, die von mehreren Kollegen im Laufe der Debatte aufgestellt wurde. Uns, die wir vorschlagen, die Mittel für die Bundeswehr zu kürzen, wird vorgeworfen, wir gefährdeten die Sicherheit deutscher Soldaten im Ausland. Diese Denunziation - als Argument kann man das nicht bezeichnen - will ich mit aller Schärfe zurückweisen. Der entscheidende Punkt ist - das ist bekannt -: Wir sind dagegen, dass deutsche Soldaten in Kriegseinsätze ins Ausland gehen. ({2}) Wenn aber eine Mehrheit dieses Hauses deutsche Soldaten ins Ausland schickt, dann sind wir der Auffassung, dass alles für ihre Sicherheit getan werden muss. Wir unterstützen jeden, der der Meinung ist, dass bei den Haushaltspositionen, die dazu dienen, die persönliche Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten zu stärken, nicht gekürzt werden darf. Gerade wir haben immer wieder kritisch angemerkt, dass Soldatinnen und Soldaten keine angemessene Ausrüstung und Kleidung haben. Ich erinnere nur daran, dass sie sich Ferngläser bei Tchibo kaufen mussten. So viel zur Wahrheitsfindung und zur Realität. ({3}) - Lieber Kollege Rossmanith, bitte regen Sie sich nicht auf! Das schadet Ihrer Gesundheit. ({4}) Ich will Ihnen darlegen, wo wir Einsparmöglichkeiten im Verteidigungshaushalt, Einzelplan 14, sehen. Die Kollegin Hoff von der FDP ist darauf dankenswerterweise schon eingegangen. Es gibt eine Reihe großer Beschaffungsprojekte der Bundeswehr, die gar nichts mit der von der Regierung beschriebenen Bedrohungssituation zu tun haben. Die Mittel für diese Projekte kann man guten Gewissens einsparen. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen. Die Geschichte des Lenkflugkörpers PARS 3 begann im Jahre 1982, also vor einem Vierteljahrhundert. Um es einmal zu illustrieren: Das jüngste Mitglied des Bundestages, die Kollegin Lührmann von den Grünen, war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht geboren. Damals gab es noch die Sowjetunion und den Warschauer Pakt, die über reichlich Panzer verfügten. Diese Rakete war nur auf die Bekämpfung von Panzern spezialisiert. Die Entwicklungspartner - hören Sie gut zu, meine Damen und Herren! - Großbritannien und Frankreich sind in den Jahren 1998 und 1999 aus diesem veralteten Projekt ausgestiegen. Richtig so. Sie hatten nämlich zehn Jahre nach dem Mauerfall erkannt, dass es für solche Raketen keinen Bedarf mehr gibt. Übrigens ist sehr bemerkenswert, dass die Engländer und die Franzosen aussteigen konnten. Immer wenn wir als Linke den Ausstieg aus Beschaffungsprojekten wie zum Beispiel beim Eurofighter fordern, dann werden internationale Verträge angeführt, die den Ausstieg für uns angeblich unmöglich machen. Ich frage Sie, Herr Minister: Warum können die anderen aussteigen und wir nicht? ({5}) Hängt das vielleicht damit zusammen, dass die Bundesregierung in den Verträgen Austrittsklauseln ausschließt oder so teuer macht, damit der Bundestag in seiner Souveränität eingeschränkt wird? Ich finde, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, dieser Frage sollten wir gemeinsam genauer nachgehen. Zurück zu PARS 3. Ich will auch für die Zuschauer illustrieren, welche enormen Summen ausgegeben werden. Die Gesamtkosten für die Entwicklung und den Bau dieser Rakete betragen rund 490 Millionen Euro. Nach bisherigen Plänen soll die Auslieferung der Rakete im Jahr 2010 beginnen und 2014 abgeschlossen sein. Ein einziger Schuss einer derartigen Rakete würde den Steuerzahler 1,3 Millionen Euro kosten. Stellen Sie sich einmal vor, wie viele Kindergärten oder Schulen Sie in Ihrer Kommune sanieren könnten, wenn Sie den Gegenwert von zwei oder drei Schüssen zur Verfügung hätten! Übrigens - darum verstehe ich auch die Erregung des Kollegen Rossmanith von vorhin sehr gut; die war nämlich schon proaktiv - ist der Hauptauftragnehmer ein süddeutsches Unternehmen, das den Firmen EADS und Diehl gehört. Das heißt, alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler finanzieren museumsreife Technologien, ({6}) die weder die Sicherheit unseres Landes noch die Sicherheit unserer Museen erhöhen. Das kann man wirklich keinem Steuerzahler erklären. ({7}) Hier werden die Rüstungslobbyisten auf Kosten der Steuerzahler reichlich bedient. Ich schlage vor, dass diese Art der Subventionierung der süddeutschen Länder abgeschafft wird ({8}) oder, wenn wir dafür keine Mehrheit bekommen sollten, dass wenigstens diese üppige Quersubventionierung für diese Bundesländer in den Länderfinanzausgleich einbezogen wird. Dann würde sich so manches im Verhältnis der Länder etwas anders darstellen. ({9}) Noch eine kleine pikante Ergänzung: Der Hauptauftragnehmer der PARS-3-Raketen wurde für einen Preisnachlass von 1,25 Prozent von allen Mängelansprüchen freigestellt. Herr Jung, würden Sie zu Hause auf ein solches Angebot Ihres Klempners eingehen, Preisnachlass von 1,25 Prozent und dafür keine Garantieansprüche? ({10}) Ich glaube, da bekämen Sie sicher heftigen Ärger mit Ihrer häuslichen Generalität. Wir als Linke fordern in unserem Entschließungsantrag Einsparungen im Verteidigungshaushalt von 2 Milliarden Euro. Das sind nicht einmal 10 Prozent dieses Haushaltes. Das können wir gerade so und die Bundeswehr sehr gut verkraften. Wir sind für friedliche Konfliktlösungen und wir denken, die Mittel des Verteidigungshaushaltes sollten im Laufe der Jahre alle in Entwicklungshilfe und Maßnahmen zur zivilen Konfliktbereinigung umgelenkt werden. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Johannes Kahrs, SPD-Fraktion.

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Da es hier gute Sitte ist, möchte ich mich am Anfang bei den Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstattern ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken. Wir haben heute schon einige gehört. Ob es die Kollegin Jaffke, die Kollegen Kalb, Koppelin, Bonde oder auch die Kollegin Lötzsch sind, wir alle arbeiten im Kern in der Sache dafür, dass wir die deutschen Soldaten vernünftig ausstatten, damit sie, wenn sie im Ausland sind, eine Ausrüstung haben, die es ihnen ermöglicht, dort klarzukommen. Wir als Parlament, wir als Berichterstatter und wir als Ausschuss kennen unsere Verantwortung und nehmen sie auch wahr. Zum Verteidigungshaushalt 2007 wurde in den Beratungen im Haushaltsausschuss entsprechend dem Ansatz des Regierungsentwurfs mit einem Ausgabevolumen in Höhe von insgesamt 28,4 Milliarden Euro ein nach meiner Meinung vernünftiger Beschluss gefasst. Der Ansatz bedeutet im Vergleich zum Haushalt 2006 eine Verbesserung um rund eine halbe Milliarde Euro. In diesem Haushalt von 28,4 Milliarden Euro sind jetzt auch die Versorgungsausgaben für ehemalige Beamtinnen und Beamte sowie Berufssoldatinnen und Berufssoldaten in Höhe von knapp 4 Milliarden Euro enthalten. Diese Ausgaben waren bis zum letzten Jahr zentral im Einzelplan 33 veranschlagt. Sie sind für den Verteidigungsetat auf Dauer gesehen ein ziemliches Risiko. Die Steigerung in diesem Bereich wird, weil der Verteidigungshaushalt anders strukturiert ist als viele andere Haushalte, weil wir viele Zeitsoldaten haben, die auch wieder ausscheiden, zu anderen Belastungen führen. Ich bitte den Herrn Minister ganz herzlich, auf diese Besonderheit zu achten, weil das in den nächsten Jahren im Haushalt zu überdurchschnittlichen Steigerungen von jährlich einigen hundert Millionen führen kann. Ich glaube, man muss vernünftige Regelungen finden, damit der Verteidigungshaushalt nicht schlechter behandelt wird als andere Haushalte. Gleichzeitig muss man sagen, dass diese Steigerung - das ist das Gute am Verteidigungsetat - ungefähr dem entspricht, was in den letzten Jahren festgelegt und unter Peter Struck beschlossen wurde. Die Betriebsausgaben in Höhe von 17,4 Milliarden Euro bleiben nahezu konstant. Die Personalausgaben sind rückläufig und liegen deutlich unter 11,7 Milliarden Euro. Das bedeutet, dass wir für Personal weniger ausgeben. Bei einem Personalkostenanteil von knapp 50 Prozent müssen wir auf diese Ausgaben ganz genau schauen. Wir haben einen deutlichen Mehrbedarf bei der Materialerhaltung in Höhe von rund 1,9 Milliarden Euro und beim sonstigen Betrieb in Höhe von 3,7 Milliarden Euro. Hier belasten insbesondere die erhöhten Treibstoffkosten diesen Haushalt. Die Ausgaben im Bereich der Betreiberlösungen sinken geringfügig und betragen in 2007 635 Millionen Euro. Die verteidigungsinvestiven Ausgaben steigen im Vergleich zu 2006 um 350 Millionen Euro. Für militärische Beschaffung sind 140 Millionen Euro mehr vorgesehen. Deutliche Anstrengungen sind auch bei den militärischen Anlagen, also bei Kasernenanlagen und Unterbringung, zu erkennen. Das war uns allen ein ganz besonderes Anliegen. Hier wollen wir 130 Millionen Euro mehr ausgeben als im letzten Jahr. An dieser Stelle sei mir eine persönliche Bemerkung gestattet zu einigen Kasernenanlagen, insbesondere in Westdeutschland, in denen in den letzten zehn Jahren nicht so viel gemacht wurde. Ich glaube, wir können es uns nicht leisten, unsere Soldatinnen und Soldaten in Unterkünften - das sage ich ganz bewusst - hausen zu lassen, die ich persönlich niemandem empfehlen möchte und die nicht zur Attraktivität der Streitkräfte beitragen. Ich möchte Sie, meine werten Kolleginnen und Kollegen, einfach auffordern: Besuchen Sie Ihre Standorte! Gucken Sie sich dort die Sanitärbereiche, die Unterkunftsbereiche oder die Küchen an! Die Zustände sind teilweise grenzwertig. Das haben sowohl der Fachausschuss als auch der Haushaltsausschuss erkannt und deswegen haben wir umgeschichtet und geben mehr Geld aus. Für einige, die die Situation nicht kennen, mag es sich befremdlich anhören, aber wenn zum Beispiel Nasszellen für ein halbes oder dreiviertel Jahr gesperrt sind, gibt es durchaus Probleme. Wenn wir dieses Problem gemeinschaftlich angehen, steht es uns allen sehr gut an, dient auch der Attraktivität der Truppe und ist gleichzeitig für uns alle ein echter Gewinn. ({0}) Gestatten Sie mir aus aktuellem Anlass zwei Anmerkungen zum Einsatz der Bundeswehr im Kongo und in Bosnien. Zum einen möchte ich meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass der Parlamentsbeschluss zum Einsatz im Kongo wirklich eingehalten wird. Ich habe ein bisschen daran gezweifelt, muss ich zugeben. Ich war einer derjenigen, die diesen Einsatz nicht so begrüßt haben, wie es die Mehrheit meiner Fraktion getan hat. Ich hatte Zweifel, ob er wirklich nach vier Monaten zu Ende ist, und freue mich, dass die Befürchtungen nicht eingetreten sind. Ich hoffe, dass das auch so bleibt und dass wir die Soldatinnen und Soldaten rechtzeitig zum Weihnachtsfest wieder in Deutschland haben. Das habe ich mir nicht vorstellen können. Ich bin eines Besseren belehrt worden. Ich möchte mich bei all denjenigen, die dazu beigetragen haben, ganz herzlich bedanken. ({1}) - Das hat ein anderer gesagt, der Bürgermeister einer Stadt, Frau Kollegin. Ebenso begrüße ich die Initiative unseres Verteidigungsministers in Sachen Bosnien-Herzegowina. Die Reduzierung der Bundeswehrtruppen in Bosnien kann meiner Meinung nach mittlerweile ins Auge gefasst werden. Gerhard Schröder hat einmal gesagt: Wer irgendwo reingeht, muss auch wissen, wie er wieder rauskommt. Ich glaube, das ist richtig. Wenn man sich die dortige Sicherheitslage anschaut, dann erkennt man, dass es dort insgesamt ruhig und stabil ist. ({2}) - Ich begrüße die Zustimmung zu dieser Aussage von Gerhard Schröder durch Abgeordnete der Koalition. Ich wiederhole: Eine Reduzierung der Truppen scheint mir sinnvoll zu sein. Wir müssen darauf achten, dass das dort Erreichte bei einem stufenweisen TruppenJohannes Kahrs abzug nicht gefährdet wird, dass er der Lage angepasst wird und dass es für die Bundeswehr eine Planungssicherheit gibt. Was den Auslandseinsatz in Afghanistan angeht, möchte ich, genau wie meine Kollegin Jaffke und andere, unterstreichen, dass der Auftrag, den die Bundeswehr im Norden Afghanistans ausführt, wichtig ist. Sie tut dies gut, verlässlich und vernünftig. ({3}) Ich habe bei der Truppe gelernt, dass es nicht sinnvoll ist, eingesetzte Soldaten mit einem festen Auftrag je nach aktueller Lage aus einem Auftrag herauszunehmen und zu verlegen. Wenn man sich das genau anschaut, dann erkennt man, dass eigentlich der alte militärische Grundsatz gilt: Jeder Führer hat jederzeit und in jeder Lage Reserven zu bilden, die er einsetzen muss, wenn er Probleme hat. Es bringt überhaupt nichts, Soldaten, damit sie woanders eine andere Aufgabe erfüllen, herauszunehmen aus Aufträgen, die schwieriger sind, in die man sich langfristig einarbeiten muss, in denen man die Lage vor Ort kennen muss und in denen man Kontakte zur Bevölkerung knüpft. Ich halte es für richtig und wichtig, dass wir Deutschen darauf dringen, dass man sich über das Gesamtkonzept unterhält. Es kann natürlich nicht sein, dass diejenigen, die im Süden Afghanistans eingesetzt sind, gänzlich allein dastehen. Auch da muss es eine vernünftige Lösung geben. Das kann aber nicht bedeuten, dass man Soldaten einfach quer durch das Land schickt, weil Soldaten aus militärischen Gründen woanders gebraucht werden. Unser Einsatz dort ist mehr als rein militärischer Art. ({4}) - Jawohl, Herr stellvertretender Fraktionsvorsitzender! Das deutsche Engagement ist insbesondere im Hinblick auf die deutschen Provincial Reconstruction Teams, die PRTs, in Kunduz und Faizabad in Afghanistan zu begrüßen. Ich glaube, dass sich die Grundphilosophie des deutschen Konzeptes dort ganz besonders klar widerspiegelt. Eine zivile und eine militärische Komponente arbeiten dort integriert und gleichrangig zusammen. Das Personal kommt dabei aus dem Verteidigungsministerium, aus dem Auswärtigen Amt, aus dem Innenministerium und aus dem BMZ. Dieses Personal soll ressortübergreifend zusammenarbeiten. Ich glaube, dass dies für die Stabilisierung der Sicherheitslage und für den Wiederaufbau Afghanistans wichtig ist. Es könnte auch die zukünftige Arbeit in Postkonfliktsituationen und die Beziehungen von Militär und zivilen Kräften fundamental ändern. Das Afghanistankonzept der Bundesregierung vom September dieses Jahres wurde von allen genannten Ministerien erarbeitet. Im vorgesehenen PRT-Konzept manifestiert sich die Erkenntnis, dass militärische Lösungen allein in komplexen Situationen nicht zielführend sind. Das haben die Amerikaner im Irak übrigens ganz deutlich gemerkt: Man kann zwar militärisch gewinnen, hat aber den Frieden noch lange nicht gewonnen. Ich glaube, das sollte uns allen eine Lehre sein und da sollten wir alle genau hinschauen. Da kann man viel lernen. ({5}) Natürlich gibt es neben diesen positiven Erfahrungen auch Probleme. So üben zum Beispiel Hilfsorganisationen heftige Kritik am PRT-Konzept, weil es auf eine vermeintliche Vermischung von humanitären und militärischen Aktivitäten ausgerichtet ist. Darin sehen sie ein Problem, insbesondere weil sie glauben, dass ihre Neutralität berührt wird. Schaut man sich das Ergebnis an, wird meiner Meinung nach anders herum ein Schuh daraus: Die Zusammenarbeit zwischen diesen Kräften führt zu einer besseren Akzeptanz von beiden Gruppen, insbesondere bei der afghanischen Bevölkerung. Man muss die Vorbehalte gegen das zivil-militärische Zusammengehen aufgeben. Ich würde es begrüßen, wenn das BMZ die volle Integration in die PRTs mit umsetzt. Nur so werden wir es gemeinsam zustande bringen können. Wir müssen die - wie auch immer bestehende - Distanz zwischen Entwicklungspolitik und Sicherheitspolitik überwinden. Wir müssen hier - anders als in der Vergangenheit - zusammenarbeiten. Angesichts des Gesamtengagements dieses Hohen Hauses greift man, wie ich glaube, zu kurz, wenn man nur über den Einsatz der Bundeswehr im Ausland diskutiert. Wir beschließen hier ja immer darüber, ob die Bundeswehr in einem bestimmten Einsatzgebiet eingesetzt werden darf. Ich glaube aber, dass es nicht reicht, einfach nur den Einsatz der Bundeswehr zu beschließen, aber nicht auch über die Arbeit der anderen Ressorts auf diesen Gebieten zu beraten. Wir sollten vielmehr über das Gesamtengagement der Bundesrepublik Deutschland in einem bestimmten Einsatzland beschließen. Natürlich möchte ich nicht die Position aufgeben, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist; wesentliche Elemente sind hierbei das Amt des Wehrbeauftragten, der seine Arbeit sehr gut macht, und das Engagement der Kolleginnen und Kollegen, die der Bundeswehr verbunden sind. Aber es wäre besser, ein Gesamtkonzept zu erarbeiten, bevor die Bundeswehr eingesetzt wird. Dieses Gesamtkonzept des Einsatzes sollte im Kanzleramt in enger Abstimmung mit den betroffenen vier Ministerien erstellt werden. Dabei müssten die Ministerien sagen, welche Schwerpunkte sie setzen und wie sie das bezahlen wollen. Dann sollten wir im Parlament darüber informiert werden, wie man sich den Einsatz vorstellt. Die Bundeswehr alleine kann die Erwartungen, die wir mit diesen Einsätzen verbinden - ich würde es etwas salopp als das Heilsversprechen von Nation-Building bezeichnen -, gar nicht erfüllen. Wenn wir sowieso wollen, dass dieses Ziel in enger Kooperation verfolgt wird, dann wäre es doch viel besser, vorher entsprechende Planungen im Kanzleramt unter Beteiligung der vier Ministerien zu erarbeiten, diese als Vorlage einzubringen und dann hier über die Gesamtsituation, und nicht nur über den Bundeswehreinsatz, zu diskutieren. So könnte sich auch der Haushaltsausschuss intensiver damit beschäftigen. Vom Verteidigungsministerium gibt es derzeit allwöchentlich eine Unterrichtung des Parlaments über die Auslandseinsätze der Bundeswehr - ein jeder kennt diese wöchentlichen Berichte -, ({6}) in der die Lage der Bundeswehr und die Situation im Einsatzland dargestellt werden. Wenn man sich das einmal genau überlegt, wäre es doch viel besser, wir bekämen einen Bericht, ({7}) der zusammengefasst die koordinierten Anstrengungen aller Ministerien in den jeweiligen Einsatzländern darlegt. ({8}) Das wäre ein Konzept für die Zukunft, das uns alle viel weiter bringen würde. Lassen Sie mich einmal darstellen, welche Umstrukturierungen bei der Bundeswehr seit 1998 vorgenommen wurden, inwieweit sie sich - das nennt man Transformation - für die Auslandseinsätze neu aufgestellt hat: Die Anzahl der Schützenpanzer „Marder“ ist von 2 097 auf 536 heruntergefahren worden. Sie dürfen mir glauben, dass einem alten Panzergrenadier wie mir es nicht ganz leicht fällt, das zu akzeptieren, aber von der Sache her ist es vernünftig. Die Anzahl der Kampfpanzer „Leopard“ haben wir im selben Zeitraum von 2 123 auf 410 heruntergefahren. Man muss sich einfach einmal klar machen, welche Umstrukturierungen hinsichtlich finanzieller Ausstattung, Ressourcen, Ausbildungsformen und Personalplanung innerhalb der Bundeswehr stattgefunden haben. Ich glaube, dass das eine der großen Errungenschaften der letzten Jahre ist. ({9}) Wenn es sich aber nun so verhält, dass das Verteidigungsressort nicht das einzige Ressort ist, das mit der Bundeswehr für das Gelingen eines solchen Auslandseinsatzes einen wesentlichen Beitrag leistet, dann muss man hier auch legitimerweise darüber diskutieren, warum in anderen Ressorts keine entsprechenden Umstrukturierungen in diesem Ausmaß stattfinden. Damit will ich keineswegs geschätzte Parteifreunde oder Koalitionspartner kritisieren; Sie alle kennen mich und wissen, dass mir das nicht zusteht. ({10}) Ich halte es aber für wichtig, dass wir uns im Parlament und in den Arbeitsgruppen der Fraktionen darüber unterhalten, ob es ausreicht, wenn etwa das Bundesinnenministerium für den Aufbau der Polizei im Einsatzgebiet - das soll ja ein Schwerpunkt deutscher Politik sein nur einen zweistelligen Millionenbetrag zur Verfügung stellt, von dem 41 Polizisten bezahlt werden können, während die Amerikaner deutlich mehr Geld - vielleicht 600, 700 oder 800 Millionen ({11}) zur Verfügung stellen, um uns zu unterstützen, weil wir in diesem Bereich keine ernsthaft überzeugenden Erfolge vorweisen können. Um in Afghanistan Erfolg zu haben, reicht es eben nicht aus, dass allein die Bundeswehr dort gute Arbeit macht. Es ist genauso wichtig, dass der Aufbau der Polizei dort vorankommt. Wir werden nämlich die Bundeswehr dort erst dann wieder abziehen können, wenn dort eine starke Zentralregierung auf eine funktionierende Polizei zurückgreifen kann. Werfen wir einmal einen Blick auf den Bereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Auch hier finden wir Etatansätze für die eine oder andere Maßnahme in Afghanistan. Das finde ich auch richtig und gut. Aber die Frage ist, ob die Anstrengungen der Verteidiger bei der Transformation, der Umstellung der Schwerpunktsetzung auf die Einsätze, im gleichen Ausmaß in der Entwicklungshilfe wiederzufinden sind, ob die Mittel schwerpunktmäßig genau da eingesetzt werden, wo wir uns als Bundesrepublik Deutschland engagieren. Denn wenn wir militärisch für Ruhe sorgen - ({12}) - Herr Kollege Stinner, ich würde das jetzt gerne ausführen. Sie sind ja noch dran.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Kahrs, ob Zwischenfragen gestellt werden dürfen, fragt die Präsidentin. - Lassen Sie diese Zwischenfrage zu?

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich, da das meine Redezeit verlängert.

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kollege Kahrs, da Sie heute die längste Redezeit in Ihrer Fraktion haben, gehe ich davon aus, dass Sie durchaus die Position Ihrer Fraktion darstellen. Deshalb wundere ich mich, dass Sie alles in Frageform kleiden. Kann ich davon ausgehen, dass sich das, was Sie hier richtigerweise bemerken - ich bin erstaunt, wie ich Ihnen zustimmen kann -, auch im Haushalt wiederfindet, nämlich in Form einer Erhöhung der Mittel für den Polizeieinsatz und für die wirtschaftliche Zusammenarbeit? Wir haben ja eine Haushaltsdebatte. Ich gehe davon aus, dass Sie hier eine abgestimmte Rede halten und dass sich das, was Sie zu Recht fordern, auch im Haushalt wiederfindet.

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, Sie wissen, dass wir im Parlament zum einen das darstellen, was wir im Haushalt niedergelegt haben. Das habe ich am Anfang meiner beachtenswerten Rede getan; ({0}) ich habe Ausführungen zu Umschichtungen insbesondere im Bereich der militärischen Unterkünfte, Treibstoffen und anderen Dingen gemacht. Sie wissen aber auch, dass zum anderen Politik von Zielen lebt, die man anstrebt. Wir diskutieren zum Beispiel zurzeit unter den Haushaltspolitikern der Koalition, insbesondere unter denen der vier Ressorts, ob man verstärkt die Haushalte entsprechend ausrichtet. Die Kollegin Jaffke hat dankenswerterweise Ausführungen zu einem Bereich, in dem wir selber tätig sein können, gemacht: Wir haben die Mittel, die in der Vergangenheit für das Einsammeln von Waffen und Munition weltweit bereitgestellt wurden, nun anders eingestellt, nämlich für das Einsammeln von Waffen und Munition in den Einsatzgebieten deutscher Soldaten. Das heißt, wir haben Umschichtungen in diesem kleinen Bereich vorgenommen. Ansonsten kleiden wir unsere Anliegen als Abgeordnete natürlich in eine Forderung, die wir an unsere Exekutive richten. Ich finde, dass wir, die wir die Kameraden gewählt haben, von diesen verlangen können, dass sie dann, wenn wir zu anderen Erkenntnissen kommen, diese umsetzen. Dafür bezahlen wir sie ja. Wir stellen hier also zum einen dar, was wir getan haben, und zum anderen das, was wir erreichen wollen. Politik ist nicht immer nur die Darstellung des Erreichten, auch nicht in einer Haushaltsdebatte, sondern soll auch aufzeigen, wo man hinwill. Das muss ja nicht gleich eine Vision sein, aber zumindest eine grobe Idee, was die Politik in dieser Legislaturperiode erreichen will. Es freut mich aber uneingeschränkt, dass die FDP dem schon jetzt zustimmen kann. Deswegen danke ich Ihnen ganz herzlich für Ihre Zwischenfrage. ({1}) Ich komme dann wieder zum Thema. Wir werden natürlich die noch zu behandelnden Punkte, zum Beispiel im Bereich Entwicklungshilfe, im Haushaltsausschuss diskutieren. Ich glaube, dass das wichtig ist. Das soll keinen Gegensatz dokumentieren, sondern deutlich machen, dass wir hier ein Miteinander erreichen müssen. Die Haushälter für Verteidigung müssen mit den Haushältern für Entwicklungshilfe von innen, aber auch von außen enger zusammenarbeiten, als wir das in der Vergangenheit getan haben. Das Gleiche tun die Ministerien inzwischen auf Staatssekretärsebene. Die PRTs stehen ja erst am Ende einer Veranstaltung. Der Anfang muss in Deutschland stattfinden, dann, wenn man ein Konzept hat. Das würde ich für wichtig und zielführend halten. Ich glaube, dass wir alle gut daran täten, das in den nächsten Wochen und Monaten gemeinsam anzugehen; denn der Einsatz der Bundeswehr ist letztendlich nur zielführend, wenn er von allen betroffenen Ministerien unterstützt wird. Dann ist es kein Einsatz allein der Bundeswehr. Dann ist es nicht nur das Ministerium für zivile Zusammenarbeit oder für Entwicklungshilfe, das vor Ort tätig ist. Wenn Sie einem afghanischen Bauern den Mohnanbau verbieten und die Felder, von wem auch immer, abgebrannt werden, sodass er seinen Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten kann, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder Sie helfen dem Bauern über die GTZ mit Entwicklungshilfe und geben ihm eine Möglichkeit, seine Familie zu ernähren, oder er lässt seine Missbilligung über diesen Vorgang und Ihr Verhalten spürbar werden, indem er nach einer Waffe greift. Letzteres ist nicht in unserem Sinne, weil es keine Lösung dieses Konfliktes ist. Das heißt, das Zusammenwirken der genannten Bereiche kann uns eher zu einem Ergebnis führen als eine reine Fixierung auf das Militärische. Dafür plädiere ich. Ich würde mich freuen, wenn Sie mich in diesem Punkt unterstützten. Ich wünsche uns allen viel Erfolg dabei. Glück auf! ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Alexander Bonde, Bündnis 90/Die Grünen.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte über den Haushalt nach einem Jahr großer Koalition markiert einen Zeitpunkt, zu dem man eine Bilanz der verschiedenen Ministerien ziehen muss. Die Bilanz des Verteidigungsministers übertrifft, was Pleiten, Pech und Pannen angeht, die insgesamt schlechte Bilanz der großen Koalition bei weitem. Von einem Minister, der immer mit einem Fuß in dem nächstgelegenen Fettnapf steht und Interviews gibt, an deren Richtigstellung das halbe Ministerium beteiligt ist, kann man natürlich schwerlich erwarten, dass er einen vernünftigen Einzelplan vorlegt und gleichzeitig die Struktur seiner Truppe verbessert. Der Einzelplan, den wir heute beraten, zeigt deutlich: Was der Kollege Kahrs gerade als Erfolg der Transformation geschildert hat, wurde nicht im zurückliegenden Jahr auf den Weg gebracht. Dieser Prozess ist eher trotz des Ministers als wegen des Ministers in Gang gehalten worden. Wenn wir uns die Modernisierungsprojekte der Bundeswehr im Bereich der Kooperation mit der Wirtschaft anschauen, dann muss man sagen, dass inzwischen Sendepause herrscht. Wir hoffen, dass der Minister nicht auch noch das Projekt Herkules erfolgreich verhindert, wie dies bei den vorhergehenden Projekten in diesem Bereich der Fall war. Wenn man sich die Frage stellt, wie mit dem Haushalt umgegangen wird, dann stößt man auf viele Fehlinvestitionen und auch auf den einen oder anderen Versuch offensichtlicher Trickserei. ({0}) Wir haben in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses erfahren müssen, wie die Koalition an den Grundsätzen der Haushaltswahrheit und -klarheit vorbei zusätzliche Mittel für diesen Einzelplan mobilisiert. Dies geschah im Rahmen einer Operation, die haushaltstechnisch kompliziert ist, die die Öffentlichkeit aber einmal erfahren muss. Es gibt bei Materialverkäufen der Bundeswehr sichere Einnahmen in Höhe von mindestens 40 Millionen Euro. Der Ansatz für diese Position wurde auf Null gesetzt. So haben Sie die Möglichkeit geschaffen, dass unerwartete Einnahmen - dazu gehören die Einnahmen aus den Materialverkäufen in Höhe von 40 Millionen Euro - der Bundeswehr zugute kommen. Eine ähnliche Operation haben Sie an anderer Stelle durchgeführt. Auf diese Weise haben Sie den Bundeswehretat um 100 Millionen Euro aufgestockt, ohne dass dies der Öffentlichkeit im Haushaltsplan ersichtlich wird. Herr Minister, ich weiß, dass Sie eine Vorgeschichte in diesen Dingen haben; siehe Hessen. Das sollte Sie aber nicht dazu verleiten, hinsichtlich des Verteidigungsetats die Rechte des Parlaments und die Grundsätze der Haushaltswahrheit und -klarheit, auf deren Einhaltung die Öffentlichkeit einen Anspruch hat, zu verletzen. ({1}) Mit diesem Einzelplan werden wichtige Strukturfragen hinsichtlich der Bundeswehr nicht berücksichtigt. Sie legen uns in den nächsten Wochen - noch vor Weihnachten - eine milliardenschwere Weihnachtswunschliste Ihres Hauses vor. Man kann den Eindruck gewinnen, dass es weniger darum geht, die Struktur der Bundeswehr zu verbessern, als darum, noch vorhandenes Geld in Rüstungsaufträge zu stecken. Seien diese Aufträge in ihrer sicherheitspolitischen Wirkung auch noch so fragwürdig: Solange Sie sich industriepolitisch etwas davon versprechen, wird investiert. Beim Zweitflugkörper IRIS-T für die Luftverteidigung handelt es sich zum Beispiel um einen nationalen Alleingang innerhalb eines internationalen Systems. Die Partnernationen greifen sich an den Kopf und fragen sich, weshalb Deutschland einen dreistelligen Millionenbetrag für ein veraltetes Konzept ausgibt und dadurch ein internationales Projekt komplizierter macht. Sie gehen nationale Sonderwege, während hier immer das Hohelied der internationalen Kooperation und der Interoperabilität gesungen wird. Das passt vorne und hinten nicht zusammen. ({2}) Die gleiche Situation erleben wir überall dort, wo die geplanten Beschaffungen heute darüber entscheiden, wie morgen die Betriebskosten aussehen. Die Koalition hat dargestellt, wie dramatisch die Betriebskosten bei der Bundeswehr ansteigen und wie wichtig es ist, sie in den Griff zu bekommen. Aber gleichzeitig stoßen wir bei jeder neuen Investition darauf, dass neue Strukturen geschaffen werden, die unnötige Betriebskosten nach sich ziehen. Ich will auch dafür ein Beispiel nennen. Sie wollen die Fregatte F 125 beschaffen. Bei der Bewaffnung setzen Sie auf Landgerät, auf Elemente der Panzerhaubitze 2000 und des Raketenwerfers MLRS, die mit Kalibern operieren, die in der Schifffahrt unüblich sind. Das heißt, im Ergebnis schaffen Sie eine Fregatte, die zwar im internationalen Verbund operieren soll, der aber wegen der Munition immer ein deutscher Versorger hinterhergeschickt werden muss, weil die international standardisierte Munition auf dem Schiff nicht benutzt werden kann. Wir wissen, wer diese Gerätschaft herstellt. Sie betreiben Politik für die deutsche Industrie. Sie rüsten die Bundeswehr systematisch nach nationalen Industrieinteressen aus und nicht aufgrund der Bedingungen, die in internationalen Stabilisierungseinsätzen bestehen. Jammern Sie hinterher nicht über die Betriebskosten! Diese Betriebskosten haben einen Namen, nämlich Ihren, Herr Minister. ({3}) Die Liste der Milliardengräber, die in diesem Haushalt zu finden sind, lässt sich fortsetzen. Sie haben nicht die Kraft, an die Überarbeitung der Beschaffungen zu gehen. Sie führen im Hinblick auf die Struktur der Truppe nur das aus, was Ihr Vorgänger beschlossen hat. Selbst da regiert eher die Bremse als das mutige Voranschreiten. Ich halte das für eine richtige Belastung der Bundeswehr. Denken Sie in diesem Zusammenhang an die beschriebenen Herausforderungen, denen wir uns alle stellen. Im Rahmen der Entscheidungen über Einsätze sorgen wir alle sehr verantwortlich dafür, dass die Bundeswehr die Aufgaben, die wir ihr übertragen, auch tatsächlich leisten kann. Ihr Vorgehen schadet. Sie verfolgen eine Politik, die mutlos keine Strukturfragen stellt und die Steuergelder nach Interessen anlegt, die nicht jenen der Soldatinnen und Soldaten sowie der Bürgerinnen und Bürger entsprechen. Hier werden vielmehr sachfremde Interessen eingeführt. Insofern ist dieser Haushalt kein Beitrag zu einer konsequenten Sicherheitspolitik. Er verfestigt vielmehr die Strukturen, die das eigentliche Problem sind. Deshalb können Sie, Herr Minister, nicht mit unserer Unterstützung rechnen. Ich hoffe, dass Sie irgendwann einmal so weit sind, diese Probleme tatsächlich zu erkennen. Sie haben sich im letzten Jahr ja nicht gerade als Star dieser Regierung profiliert. Die Rolle des Reformers in dieser Koalition ist immer noch offen. Vielleicht werden Sie doch noch ein Heeresreformer. Genug zu tun gäbe es. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung.

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit diesem Haushalt, den wir im Rahmen dieser Debatte verabschieden wollen, und dem Finanzplan ist eine tragfähige und gute Grundlage geschaffen worden, den Anpassungs- und Modernisierungsprozess der Bundeswehr voranzutreiben. Frau Kollegin Hoff, lassen Sie mich gleich zu Anfang sagen: Wir tragen die Verantwortung dafür, dass wir unseren Soldatinnen und Soldaten, die sich in riskanten Auslandseinsätzen befinden, eine optimale Ausbildung gewähren und eine optimale Ausrüstung mitgeben. Das ist der Sachverhalt; das machen wir auch so. Die Situation, die Sie geschildert haben, entspricht nicht der Realität. Unsere Soldaten haben im Einsatz die Ausrüstung, die sie im Hinblick auf einen optimalen Schutz brauchen. ({0}) Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, den Mitgliedern des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages herzlich zu danken, allen voran den Berichterstattern der Regierungskoalition, dem Kollegen Kahrs, Frau Kollegin Jaffke und dem Kollegen Kalb, die den Haushalt unterstützen. Die Beratungen sind kompetent durchgeführt worden. Zudem will ich den Kollegen Koppelin und die Frau Kollegin Lötzsch erwähnen. Herr Kollege Bonde, im Gegensatz zu Ihrem Beitrag hier war Ihr Vorgehen im Ausschuss von anderer Qualität. Ich will in diesem Zusammenhang einen zweiten Punkt ansprechen. Es ist besonders wichtig, dass wir mit diesem Haushalt die Chance haben, einige Akzente im Hinblick auf die soziale Entwicklung in der Struktur der Bundeswehr zu setzen; denn ich glaube schon, dass wir von unseren Soldatinnen und Soldaten viel verlangen. Die Bundeskanzlerin hat heute Morgen angesprochen, welche Auswirkungen die Einsparungen in Höhe von 1 Milliarde Euro im öffentlichen Dienst beispielsweise auch auf die Soldaten haben. Angesichts dieser Einsparungen finde ich es gut, dass wir in diesem Haushalt die Möglichkeit haben, Planstellenverbesserungen durchzuführen, beispielsweise rund 3 400 zusätzliche Beförderungsmöglichkeiten für Unteroffiziere und 750 für Mannschaften. Ich finde es auch gut, dass das Bundeskabinett entschieden hat, eine Einmalzahlung für die Jahre 2005, 2006 und 2007 in Höhe von 300 Euro zu gewährleisten, sodass für die soziale Perspektive der Soldatinnen und Soldaten ein positiver Akzent gesetzt wird. Ich erachte es als notwendig und wichtig, den Soldatinnen und Soldaten Möglichkeiten der Beförderung und der sozialen Absicherung zu eröffnen. Schließlich erwarten wir große Leistungen von ihnen. ({1}) Lassen Sie mich einen weiteren Aspekt ansprechen. Ich denke, die Struktur und die Tendenz des Verteidigungshaushalts stimmen. Im Gegensatz zu dem, was hier gerade vom Kollegen Bonde vorgetragen wurde, reduzieren wir die Betriebskosten in erheblichem Umfang, während wir gleichzeitig die Ausgaben für Investitionen steigern. Die entsprechenden Zahlen haben wir mit dem Haushalt vorgelegt. Ich sage hier in aller Ruhe und Gelassenheit: Die Anstrengungen, die jetzt unternommen werden, um die Zahl der zivilen Bediensteten von rund 110 000 auf 75 000 im Jahr 2010 zu reduzieren, sind enorm. Diesen großen Beitrag, den die Bundeswehr leistet, sollte man entsprechend würdigen. Aufgrund der Tatsache, dass die Betriebskosten gesenkt werden, werden Steigerungen im Bereich der Investitionen möglich. ({2}) Das Haushaltsvolumen steigt zum ersten Mal seit Jahren um rund 500 Millionen Euro, sodass wir in der Lage sind, auf die neuen Herausforderungen finanziell zu reagieren. Die Herausforderungen der Bundeswehr sind enorm. Bevor wir die Regierungsverantwortung übernommen haben, hätte niemand in diesem Haus gedacht, dass wir innerhalb dieses Jahres einen europäischen Einsatz im Kongo und einen UN-Einsatz im Libanon bewerkstelligen müssen. Diese Einsätze waren in den Haushaltsberatungen nicht vorgesehen. Deshalb, Herr Kollege Bonde, hat der Haushalt nichts mit Trickserei zu tun. Ich bin dem Finanzminister und den Mitgliedern des Haushaltsausschusses sehr dankbar, dass sie eine Lösung gefunden haben, um die Einsätze, die nicht eingeplant waren, finanziell abzusichern, ohne die Substanz des Einzelplans 14 zu belasten. Das ist wichtig und richtig; denn wenn unvorhergesehene Zusatzkosten entstehen, muss deren Finanzierung sichergestellt werden. ({3}) Die finanziellen Rahmenbedingungen für die Bundeswehr werden in Zukunft eng bleiben. Ich glaube aber, dass wir mit diesem Haushalt den richtigen Weg beschritten haben. Ich will es noch einmal unterstreichen: Wir passen die Ausrüstung und Ausstattung den Einsatzerfordernissen an. Die Zuspitzung der Situation in Afghanistan war natürlich eine besondere Herausforderung. Wir können jetzt nur noch in geschützten Fahrzeugen fahren. Inzwischen gibt es Fahrzeuge in ausreichender Zahl vor Ort, sodass die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten gewährleistet ist. Es ist wichtig, dass wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten eine optimale Ausrüstung besitzen, um ihren Auftrag in gefährlichen Situationen zu erfüllen. Wenn man Bilanz zieht, kann man in aller Gelassenheit feststellen: Der Einsatz im Kongo ist mit einer zeitlich klaren Perspektive - dankenswerterweise hat der Kollege Kahrs das unterstrichen; auch ich weiß, was vor diesem Einsatz alles gesagt worden ist - verantwortungsvoll und optimal durchgeführt worden. Wir haben in der Zeit vom 20. bis 22. August einen Bürgerkrieg im Kongo verhindert und ich hoffe und wünsche, dass die Lage so stabil bleibt, dass wir am 30. November fristgerecht unseren Auftrag als abgeschlossen ansehen können. ({4}) Der Einsatz im Kongo war für uns nicht ganz einfach, weil es die erste Operation war, die die Europäische Union in dieser Art und Weise in Afrika umgesetzt hat. Es gab auch bezüglich des Libanonmandats Diskussionen mit den Vereinten Nationen, bis die Rules of Engagement so klar waren, wie wir sie gebraucht haben. Wir haben jetzt ein klares, effektives Mandat, dem der Deutsche Bundestag zugestimmt hat. Dieses effektive Mandat wird in guter Kooperation mit der libanesischen Marine umgesetzt: Es wird Seesicherheit hergestellt, Waffenschmuggel unterbunden und es werden somit die Voraussetzungen für die Umsetzung der UN-Resolution geschaffen. Ich finde, auch diese Mission, die die Bundeswehr dort leistet, ist eine erfolgreiche Mission. ({5}) Natürlich kann man, wenn wir über Bosnien-Herzegowina diskutieren, nicht von Überforderung sprechen; das hat auch niemand getan. Die Wahrheit ist, dass wir gesagt hatten, dass wir vor den Wahlen keine falschen Akzente setzen wollen. Die Wahlen sind am 1. Oktober durchgeführt worden. Wir haben dort eine stabile, eine friedliche Entwicklung, die uns jetzt - zu Recht, wie ich finde - in die Lage versetzt, einen Stufenplan im Hinblick auf eine Exit-Strategie zu diskutieren und möglichst noch im Dezember zu verabschieden. Wenn wir einen Auftrag wahrnehmen, dann müssen wir ihn auch entsprechend erfüllen und eine Planung für den Übergang in zivile Sicherheitsstrukturen entwickeln, den wir stufenweise vollziehen. Nur so können wir einen Auftrag erfolgreich beenden. Deshalb ist es richtig, wenn wir diese erste Stufe jetzt im Hinblick auf Bosnien-Herzegowina in Angriff nehmen. ({6}) Dasselbe gilt für den Kosovo. Ich hoffe und wünsche, dass sich die Lage dort so stabilisiert - auch nach den Statusverhandlungen -, dass der Prozess mit einer europäischen Perspektive friedlich und stabil fortgesetzt werden kann. Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zum Thema Afghanistan machen. Heute ist von der Bundeskanzlerin bereits zu Recht auf die Gesamtsituation in Afghanistan hingewiesen worden. Ich will es noch einmal unterstreichen: Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass wir die NATO-geführte Operation in Afghanistan nur erfolgreich fortführen und zu Ende führen können, wenn wir eine Strategie der zivil-militärischen Zusammenarbeit für Gesamtafghanistan umsetzen, womit wir im Norden begonnen haben und damit auch erfolgreich sind. Wir haben dort bereits mehr als 520 Projekte in Angriff genommen: von der Wasserversorgung über Schulen und Krankenhäuser bis hin zur Infrastruktur. Ich glaube, wir werden die Probleme in Afghanistan nicht lösen, indem wir immer nur nach mehr Militär rufen. Wir werden die Operation in Afghanistan nur dann zu einem Erfolg führen, wenn wir die Herzen der Menschen gewinnen und den Wiederaufbau in einem sicheren Umfeld vorantreiben. Das muss aus meiner Sicht das Konzept für den NATO-Gipfel in Riga sein; darüber müssen wir diskutieren. ({7}) Ich will in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass wir der zweitstärkste Truppensteller in NATO-geführten Operationen sind. Deutschland leistet seinen Beitrag im Hinblick auf internationale Friedensmissionen. Ich war schon etwas betroffen, als ich die eine oder andere Behauptung gehört und gelesen habe, dass sich unsere Soldatinnen und Soldaten mehr mit anderen Dingen beschäftigen würden als damit, Sicherheit herzustellen; ich will das vor diesem Hohen Haus nicht wiederholen. Man muss auch einmal sehen, dass im Rahmen dieser Auslandseinsätze bereits 64 Soldatinnen und Soldaten ihr Leben verloren haben. Es ist nicht so, als wären die Soldaten der Bundesrepublik Deutschland nicht auch in riskanten Situationen engagiert. Deshalb halte ich es für völlig falsch, wenn hier der eine oder andere versucht, den Finger zu erheben und eine falsche Diskussion zu führen. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten ihren Einsatz verantwortlich, leistungsfähig und gut; im Rahmen dieser Einsätze - das habe ich immer wieder festgestellt - mehren sie das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb bin ich dankbar für das Engagement, das unsere Soldaten dort leisten. ({8}) Zu dieser Erfolgsbilanz gehört natürlich auch, dass es dieser großen Koalition nach zwölf Jahren gelungen ist, dass ein Weißbuch zur Standortbestimmung, zur Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland und zur Zukunftsperspektive der Bundeswehr im Bundeskabinett verabschiedet wurde. Überall, wo ich hinkomme, werde ich - auch und gerade von unseren europäischen und unseren NATO-Partnern - für dieses Weißbuch gelobt. Ich finde, wir haben ein Konzept auf den Tisch gelegt und im Bundeskabinett verabschiedet, das sich sehen lassen kann. Das lasse ich mir von dem einen oder anderen aus der Opposition nicht zerreden. Das ist ein gutes Werk, das zur Erfolgsbilanz dieser Bundesregierung gehört. ({9}) Ich will darauf hinweisen, dass wir mit dem Einsatz der Bundeswehr natürlich auch den Schutz Deutschlands gewährleisten. Das geht in den Debatten über Auslandseinsätze oft unter. Die Bundeswehr hat in diesem Jahr zahlreiche Beiträge zum Schutz Deutschlands geleistet: Vom Einsatz bei der Schneekatastrophe in Bayern über den Einsatz bei der Vogelgrippe auf Rügen und den Hochwasserschutz an der Elbe bis hin zu den einzelnen Maßnahmen zur Sicherstellung der Fußballweltmeisterschaft; bei jedem Spiel waren 2 000 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz und 5 000 in Reserve. ({10}) Das ist ein wichtiger Punkt, den man in einer solchen Debatte nicht vergessen darf. ({11}) Ich denke, dass wir den Prozess der Transformation der Bundeswehr auf Grundlage dieses Haushaltes fortsetzen können. Wir richten alles darauf aus, diesen Prozess zu einem positiven Ergebnis zu führen. Wir verlangen von unseren Soldaten und zivilen Mitarbeitern viel. Sie leisten, wie ich finde, Hervorragendes. Deshalb haben sie unseren Dank und unseren Rückhalt verdient. Der Einsatz lohnt sich; denn es geht um nicht weniger als um die Sicherheit Deutschlands. Es geht um einen friedensstiftenden Auftrag, den unsere Soldatinnen und Soldaten im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, im Interesse von Frieden und Freiheit erfüllen. Deshalb bin ich für die Unterstützung dieser Politik dankbar. Wir werden sie konsequent fortsetzen. Besten Dank. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort für die FDP-Fraktion hat Birgit Homburger. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich möchte zunächst einmal einige Bemerkungen zu dem machen, was Sie zur Ausstattung der Bundeswehr gesagt haben. Sie haben großen Wert darauf gelegt zu betonen, dass Sie alles tun, um die Bundeswehr, um die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, gut und richtig auszustatten. Sie haben meine Kollegin Hoff angesprochen, die zuvor ein Zitat gebracht hat, in dem das Wort „unmoralisch“ vorkam. Ich kann Ihnen nur dringend empfehlen, in Ihrer eigenen Fraktion über dieses Zitat zu sprechen. Dieses Wort wurde nicht von der Kollegin Hoff in den Raum gestellt. Sie hat vielmehr einen Abgeordneten aus Ihrer Fraktion zitiert, Herr Minister. ({0}) Wir sprechen hier über ein Jahr Koalition aus CDU/ CSU und SPD. Die Verteidigungspolitik war in diesem Jahr von zusätzlichen Auslandseinsätzen geprägt. Das ist natürlich haushaltsrelevant, und zwar vor allem deshalb, weil Sie in diesem Jahr keine zusätzlichen Mittel erhalten haben, sondern vieles aus dem bestehenden Einzelplan 14 heraus erwirtschaftet werden musste. So viel zum Thema Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit. Das ist - der Kollege Bonde hat das schon angesprochen - eine Art und Weise, die nicht länger akzeptiert werden darf. Deswegen hat die FDP entsprechende Anträge gestellt. ({1}) Bei den Auslandseinsätzen mussten wir feststellen, dass die lange gültige „Kultur der Zurückhaltung“ für die Bundesregierung keine große Bedeutung mehr hat. Vielfach handelte es sich eher um eine Militärangebotspolitik. ({2}) Ich denke zum Beispiel an den Einsatz im Kongo oder an die frühe Festlegung auf den Einsatz im Nahen Osten. Dazu kann ich nur sagen: Das kann kein Ersatz für politische Initiativen sein. Ich sage sehr deutlich: Wer Soldatinnen und Soldaten in einen Einsatz schickt, der hat auch und vor allen Dingen die Verantwortung, politische Initiativen zur Stabilisierung der Region zu ergreifen. Das habe ich bei der Bundesregierung ziemlich durchgängig vermisst. ({3}) Ein Beispiel - Sie, Herr Minister, haben es angesprochen - ist das Thema Kongo. Nach der Mandatserteilung hat es hier keine große Rolle mehr gespielt. Ich muss sagen, dass ich über Ihre Intonierung gerade höchst erstaunt war. Sie haben hier gesagt, sie hoffen, dass man den Einsatz am 30. November dieses Jahres abschließen kann. Bisher haben Sie nach draußen immer deutlich gesagt, dass der Einsatz dann abgeschlossen sein wird. Offensichtlich merken Sie - auch aufgrund der Ausschreitungen, die es gestern in der Demokratischen Republik Kongo gegeben hat -, dass man die Situation dort mitnichten abschließend beurteilen kann, dass die kritische Situation erst noch kommt, und zwar dann, wenn das endgültige Wahlergebnis bekannt gegeben wird. Ich sage sehr deutlich: Es ist nicht gut, dass wir nach wie vor kein Konzept für eine politische Stabilisierung der Demokratischen Republik Kongo nach den Wahlen haben. Es ist ein Versäumnis aller EUFOR-Staaten, aber auch ein Versäumnis der Bundesregierung, hier nicht die Initiative ergriffen zu haben. Das ist uns zu wenig. Ich denke, dass die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, aber auch das Parlament und die Steuerzahler dieser Republik Anspruch darauf haben, dass solche Einsätze sauber vorbereitet und vor allen Dingen so durchgeführt werden, dass sie den erwünschten Effekt erzielen. ({4}) Herr Minister, es war ein Jahr der Mauschelei, der Geheimniskrämerei und der durchgestochenen Dokumente, beispielsweise im Zusammenhang mit dem Weißbuch. Ich möchte sehr deutlich sagen, dass das, was Sie in Bezug auf die Einstufung von Dokumenten machen, nicht in Ordnung ist. Beispielsweise mit dem Protokoll zwischen der UNO und dem Libanon, den so genannten „Minutes“. Es ist in Deutschland unter VS-Vertraulich eingestuft. Abgeordnete des Deutschen Bundestages müssen in eine Geheimschutzstelle gehen, um es einzusehen, während es in Pressekreisen frei kursiert und im Übrigen von der UNO nicht so eingestuft ist, Herr Minister. ({5}) Das ist eine Geheimniskrämerei, die der Sache nicht gerecht wird. Auch den Einsatz im Rahmen des ISAF-Mandates außerhalb des Kerngebiets haben Sie erst zugegeben, als es eine öffentliche Diskussion darüber gab. Dasselbe passierte im Zusammenhang mit den KSK-Einsätzen. Sie tun sich keinen Gefallen damit und erweisen mit diesem Verhalten der Geheimniskrämerei der Bundeswehr einen Bärendienst. Etwas mehr Transparenz und Information, Herr Minister, würde manche Diskussion entschärfen und der Situation im Parlament gut tun. ({6}) Ich möchte als Letztes das Thema aufgreifen, das auch Sie erwähnt haben und das sich seit heute Morgen neun Uhr durch alle Debatten zieht. Die Bundeskanzlerin, Ihr Kollege Außenminister und auch die Fraktionsvorsitzenden haben sich zum Thema Afghanistan und die immer wieder an Deutschland herangetragenen Forderungen geäußert, dass wir stärker in den Süden Afghanistans gehen müssten. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie hier sehr deutlich gemacht haben, dass das nicht infrage kommt. Ich bin Ihnen auch dankbar, dass Sie hier sehr deutlich dargestellt haben, welche Leistungen Deutschland bringt. Die ganze Debatte des heutigen Tages ist Ausdruck einer weiteren verpassten Chance, in die Offensive zu gehen. Ich erwarte, dass unseren Partnern in der NATO vor dem NATO-Gipfel deutlich gesagt wird, dass auch andere Fehler gemacht haben und dass wir über diese Fehler sprechen müssen. Wenn wir nicht zu einem gemeinsamen Konzept kommen, dann droht der ganze Einsatz zu scheitern. Deshalb sage ich sehr deutlich, dass es notwendig ist, offen hierüber zu sprechen. Der Deutsche Bundestag hat sowohl das Mandat der ISAF als auch das der Operation „Enduring Freedom“ um ein Jahr verlängert.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Homburger, Sie müssen bitte zum Ende Ihrer Rede kommen.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. Herr Minister, in diesem Jahr müssen Fortschritte erreicht werden, sonst wird es schwer, Argumente zu finden, warum man dort weiter bleiben soll. Wir erwarten Initiativen und klare Worte. Unser Angebot lautet, dass wir Sie gerne dabei unterstützen. Wir wünschen Ihnen für den NATO-Gipfel viel Erfolg, damit den verpassten Chancen, die es in diesem Jahr gab, nicht noch eine weitere verpasste Chance mit Blick auf Afghanistan hinzugefügt wird. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ursula Mogg spricht für die SPD-Fraktion.

Ursula Mogg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Redner haben allseits darauf hingewiesen, dass die Mitglieder des Verteidigungsausschusses, die Verteidigungspolitiker ein sehr arbeitsreiches Jahr hinter sich haben. Es sieht auch nicht so aus, als würden wir im nächsten Jahr weniger Arbeit bekommen, sondern eher mehr. An dieser Stelle möchte ich Ihren Vorwurf, Frau Homburger, wir würden vonseiten der Bundesregierung eine Angebotspolitik hinsichtlich des Einsatzes der Bundeswehr machen, ausdrücklich zurückweisen. Sie wissen genau, dass es Ende des letzten Jahres eine Anfrage aus New York in Richtung Brüssel gegeben hat, und Sie kennen die Situation, in der wir waren, als wir über den Libanoneinsatz diskutiert und entschieden haben. Von Angebotspolitik kann in diesem Zusammenhang mit Sicherheit keine Rede sein. ({0}) Im Mittelpunkt meiner Ausführungen steht das Thema Afghanistan. Die Situation in Afghanistan ist in aller Munde. Wir alle - viele Kolleginnen und Kollegen, aber auch ich selbst - stehen noch unter dem Eindruck der Debatten, die wir auf der NATO-Parlamentarierversammlung in Québec erlebt haben. Die Diskussionen wurden vonseiten der Bündnispartner zum Teil sehr emotional geführt. Das ist auch nachvollziehbar; das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen. Aber bei diesen Diskussionen darf es nicht um Stimmungen und Emotionen gehen. Im Vordergrund muss eine ehrliche und klare Analyse stehen. Wir dürfen in unseren Anstrengungen nicht nachlassen. ({1}) Es gilt der Satz von Tom Koenigs, dass die NATO in Afghanistan nicht verlieren darf. Gegenseitige Schuldzuweisungen innerhalb des Bündnisses helfen überhaupt nicht weiter. Frau Homburger, ich würde mich an dieser Stelle sehr zurückhalten und gegenseitige Vorwürfe vermeiden. Denn das freut nur den Gegner, den wir bekämpfen wollen, es gefährdet den Einsatz und es verunsichert die demokratischen Kräfte in Afghanistan. ({2}) Herr Minister, in diesem Zusammenhang fühle ich mich sehr stark an unseren Besuch in Afghanistan vom Sommer dieses Jahres und an unsere dortige Pressekonferenz erinnert. Die meistgestellte Frage der afghanischen Journalisten war die nach unserer Beständigkeit und Zuverlässigkeit im Hinblick auf diesen Einsatz. Das hat natürlich etwas mit der Situation im Land zu tun. Deshalb würde ich dringend davon abraten, eine Diskussion über Schuldzuweisungen zu führen. Schließlich wollen wir den gemeinsamen Erfolg. Mein nächster Punkt. Die Diskussion über die nationalen Vorbehalte, die so genannten Caviats, ist aus meiner Sicht absolut nicht zielführend. Alle Staaten haben, wenn es um die Beteiligung an Einsätzen geht, nationale Vorbehalte. Das war immer so und daran wird sich auch nichts ändern. Zudem hat die Bundesrepublik Deutschland ihre Vorbehalte im Laufe der diversen Einsätze weiterentwickelt und ihre Anzahl reduziert. Es ist also allseits bekannt, dass deutsche Kräfte auch im Süden Afghanistans zum Einsatz kommen können und dort auch schon zum Einsatz gekommen sind. Viel wichtiger ist es unserer Meinung nach, eine Diskussion über das Gesamtbild der Lage in Afghanistan zu führen. Alles andere hätte nämlich eine Militarisierung dieser Debatte, des Konflikts und vor allen Dingen unseres Denkens und damit zwangsläufig Legendenbildung zur Folge. Das wird im Übrigen auch von militärischer Seite so beurteilt. So traf Walter Laqueur die Feststellung, dass Afghanistan militärisch nicht zu gewinnen ist. Ich frage mich: Wie ist Afghanistan dann zu gewinnen? Gewinnen kann man dort ganz sicher nur, wenn man die Ansätze verfolgt, die auch in dieser Debatte schon dargestellt wurden. Aufgrund der Aufarbeitung der Märzunruhen im Kosovo wissen wir, dass die Diskussion über nationale Vorbehalte nicht weiterführt. Im Mittelpunkt muss die Diskussion über das Gesamtbild der Situation stehen. Im Rahmen der Debatte, die in Québec über den spannenden Ausdruck „to remove“ geführt wurde, ist vernachlässigt worden, dass der dort vorgelegte Antrag zu Afghanistan viele wichtige Punkte enthielt, in denen die Versammlung absolut einer Meinung war. In diesem Antrag heißt es: Es geht darum, eine Politik zu entwickeln, die den Reformprozess in Afghanistan beschleunigt und die Probleme der Unterentwicklung und der Korruption angeht. - Diese Aussage kann man nur nachdrücklich unterstreichen. Es geht darum - auch das wissen wir alle -, die Herzen und den Verstand der Bevölkerung in Afghanistan zu gewinnen. Deutsche Soldatinnen und Soldaten leisten dazu in ihrem Einsatz einen wichtigen Beitrag. Sie pflegen unter schwierigsten Bedingungen eine Kultur des Friedens und grenzen sich dadurch von einer Kultur des Krieges ab. Auf dem NATO-Gipfel in Riga, der in der kommenden Woche stattfindet, erwarten wir eine lebhafte Debatte zum Thema Afghanistan. Wir dürfen sehr zuversichtlich sein, dass am Ende und als Ergebnis dieser Diskussion ein fortentwickeltes Afghanistankonzept des Bündnisses vorliegen wird. Sein Schwerpunkt - das ist klar - muss die Verbesserung der Gewährleistung der Sicherheit in Afghanistan sein. Darüber hinaus muss eine Antwort auf die Kritik der Afghanen selbst gegeben werden, nach der die Allianz dem militärischen Bereich zu großes Gewicht beimesse. Es geht nicht nur um Militärpräsenz, zitiert die „Frankfurter Rundschau“ heute die neue afghanische Botschafterin. Sie lobt - das sollte erwähnt werden - den deutschen Beitrag sehr. Im Afghanistankonzept 2003 der Bundesregierung wurde festgestellt, dass der Petersberger Prozess die Gefahr zahlreicher Rückschläge in sich birgt und der Überprüfung und Anpassung bedarf. Genau darüber unterhalten wir uns im Moment, genau das werden wir tun. Das Ziel bleibt klar: Es geht um eine sich selbst tragende demokratische Entwicklung in Afghanistan. Um diese zu erreichen, braucht die Staatengemeinschaft einen langen Atem - auch das sollte nicht unerwähnt bleiben - und die Unterstützung unserer bzw. der jeweiligen Bevölkerung. Das ist im Übrigen unsere Aufgabe als Abgeordnete: immer wieder neu dafür zu werben, worüber wir da zu entscheiden haben und was wir da tun wollen. Ich habe dem Kollegen Kahrs bei seinen Ausführungen zu seinem Herzensanliegen - der Vernetzung der verschiedenen Aufgabenbereiche - genau zugehört. Er hat auf den Afghanistanbericht hingewiesen und sehr viel Gutes und Kluges dazu gesagt. Ich will hier einen Gedanken hinzufügen: Wir haben eine Taskforce „Afghanistan“ auf den Weg gebracht. Das ist ein erster Schritt hin zu einem ganzheitlichen Ansatz, der vielleicht so etwas wie ein deutsches Exportprodukt für internationale Einsätze werden könnte. Wenn man verfolgt, was heute in der Presse über die Vorbereitung des NATO-Gipfels zu lesen ist, stellt man fest: Da geht es um die Schaffung von Sicherheitszonen und um die Bildung zusätzlicher PRTs. Es gibt im Bündnis allerdings unterschiedliche Denkweisen, wie die Debatte in Québec gezeigt hat; das sollten wir zur Kenntnis nehmen. Nun stehen wir wenige Wochen vor der EU-Ratspräsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland. Wir hatten die EU-Ratspräsidentschaft schon einmal in einer außen- und sicherheitspolitisch sehr schwierigen Situation inne, nämlich 1999; ich erinnere an den Gipfel in Köln. Wir haben damals den Stabilitätspakt entwickelt. Diesen Stabilitätspakt haben wir sozusagen als Blaupause genommen und daraus für Afghanistan den Petersbergprozess entwickelt. An dieser Stelle ein paar kurze Anmerkungen zum Balkan, zu Südosteuropa: Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass wir einiges erreicht haben. Aber es gibt noch viel zu tun. Der Bosnieneinsatz stand im Interesse der Öffentlichkeit. Wir sind eine weite Strecke gegangen. Ich denke, dass wir Verteidigungspolitiker auch den Weg, den wir noch zu gehen haben, verantwortungsvoll gehen werden. Wir wissen, an manchen Stellen sind eher Polizeieinsätze gefragt. Aber es gibt auch für die Bundeswehr, für die militärischen Kräfte noch einiges zu leisten. Die Verhandlungen über den Status des Kosovo befinden sich in einer sehr spannenden, aber nach wie vor sehr schwierigen Phase; das haben wir schon in der Debatte über den Etat des Auswärtigen Amtes gehört. Es ist uns bewusst, dass wir, wie auch immer diese Statusverhandlungen ausgehen, dort noch lange militärisch präsent sein werden; das gehört zur Wahrheit. Schließlich ein kurzes Fazit zum Kongoeinsatz, den wir in diesem Jahr beschlossen und durchgeführt haben: Wirkliche Überraschungen haben wir nicht erleben müssen, weder politisch noch militärisch. Der Einsatz läuft planmäßig und wir werden ihn auch planmäßig abschließen können. Frau Homburger, Sie haben die Berichte über die gestrigen Angriffe erwähnt. Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass MONUC in den vergangenen Monaten eine herausragende Rolle gespielt hat. ({3}) Das ist eine positive Erfahrung. Im Rahmen der Debatten über den Einsatz im Kongo haben wir zum ersten Mal auch intensiv über die deutschen Interessen diskutiert. ({4}) Der Minister hat auf das Weißbuch hingewiesen. Aus meiner Sicht war die dann folgende Debatte über die Interessen im Libanon ein Rückschritt in diesen Diskussionen. Darin können wir also noch besser werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Ursula Mogg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich weiß, ich bin auch so gut wie fertig. - Bezüglich des Kongo wollen wir noch einmal genauer auf das Battlegroup-Concept schauen. Das gehört sicher auch zur Evaluierung eines solchen Einsatzes. Last, not least, will ich natürlich nicht versäumen, mich bei allen zu bedanken, die in diesem Jahr gemeinsam dafür gestanden haben, dass die deutsche Außenund Sicherheitspolitik erfolgreich sein konnte, nämlich bei den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, bei den Kolleginnen und Kollegen im Verteidigungsausschuss -

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Vielleicht bedanken Sie sich einfach kollektiv bei allen.

Ursula Mogg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Einen Satz erlauben Sie mir bitte noch.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nein.

Ursula Mogg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Weihnachten 2005 haben wir nicht gewusst, dass wir in den Kongo gehen. Vor den Sommerferien haben wir nicht gewusst, dass wir in den Libanon gehen. Deshalb freuen wir uns, dass die Bundeskanzlerin uns Verteidigungspolitikerinnen und Verteidigungspolitikern in Aussicht gestellt hat, dass wir mittelfristig mit mehr Geld rechnen dürfen. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort für die Linke hat die Kollegin Inge HögerNeuling. ({0})

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Längst ist die Bundeswehr vorne mit dabei, wenn es um Militäreinsätze und Kriege überall auf der Welt geht. Circa 10 000 deutsche Soldatinnen und Soldaten sind zurzeit im Ausland im Einsatz. Auch wenn es manchen von Ihnen mit der Enttabuisierung des Militärischen offenbar nicht schnell genug geht, ist sie bereits weit vorangeschritten. Eben war ja schon von einem Exportschlager die Rede. Die Vielzahl von Rüstungsprojekten, die durch diesen Haushalt finanziert werden, ist allein deswegen nötig, weil sich die Ausrichtung der deutschen Verteidigungspolitik grundsätzlich verändert hat. Von einer Armee, die allein für die territoriale Verteidigung zuständig war, wurde die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee umgewandelt, die überall auf der Welt einsetzbar ist. Doch diese neue aggressive Politik entspricht nicht dem Willen der Bevölkerung. ({0}) Selbst das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr kam zu dem Ergebnis: Immer mehr Bundesbürger sind der Ansicht, Deutschland sollte sich aus den Krisen und Konflikten anderer Länder möglichst heraushalten und sich stärker auf die Bewältigung der Probleme im eigenen Land konzentrieren. ({1}) Hier zeigt sich wieder einmal: Die große Koalition regiert gegen die Mehrheit der Bevölkerung. Es ist ein Hohn, die Auslandseinsätze als Export von Demokratie und Menschenrechten zu verkaufen. Die geplanten Ausgaben für Entwicklungshilfe betragen gerade einmal 17 Prozent des Wehretats, wobei nur ein kleiner Teil davon tatsächlich für die Armutsbekämpfung da ist. Eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung lehnt die Aussage ab, dass unter bestimmten Bedingungen Krieg nötig sei, um Gerechtigkeit durchzusetzen. Die Herstellung von Gerechtigkeit und die Förderung von Demokratie sind politische Aufgaben. Verantwortung kann man nicht mit Waffen übernehmen. ({2}) Mit einer anderen Wirtschaftspolitik und mit einer anderen Umwelt- und Klimapolitik kann Deutschland dazu beitragen, dass es nicht zu immer noch mehr Armut und Katastrophen auf dieser Welt kommt. Bundeswehrsoldaten können die Probleme in den Einsatzregionen nicht lösen. Früher oder später werden sie Teil des Problems. ({3}) In einer Woche treffen sich in Riga die Repräsentanten der NATO-Mitgliedstaaten. Sie werden dort die so genannte NATO-Transformation fortsetzen. Unter der Überschrift „Ausbau militärischer Fähigkeiten“ werden sie weitere kostspielige Rüstungsprojekte beschließen. Sie werden die Vereinbarungen für das milliardenschwere Raketenabwehrprogramm der NATO konkretisieren und sich darüber freuen, dass der Aufbau der schnellen Eingreiftruppe der NATO nun abgeschlossen ist. Diese neue NATO-Truppe ist keine Friedenstruppe. Sie wird zum Kämpfen und zum Töten ausgebildet und ausgerüstet. Die NATO-Kampftruppen und die EUBattlegroups sind Ausdruck einer aggressiven und rücksichtslosen Außenpolitik. ({4}) Deutschland stellt mit 6 700 Soldaten mehr als ein Viertel der Soldaten in der NATO-Elitetruppe. Auch an den EU-Schlachttruppen ist die Bundeswehr maßgeblich beteiligt. Um es klar zu sagen: Es geht hier nicht mehr um territoriale Verteidigung im Sinne von Art. 115 a des Grundgesetzes. Weder die NATO- noch die EU-Spezialeinheiten üben für den Verteidigungsfall. Geübt werden offensive Szenarien, also Angriffe. Solche globalen Machtprojektionen verstoßen gegen das Grundgesetz. Deshalb fordern wir den Ausstieg der Bundeswehr aus diesen Kampftruppen und beantragen die Streichung der Mittel für entsprechende Übungen. ({5}) Viele NATO-Partner - allen voran die USA - fordern zurzeit ein größeres Engagement Deutschlands in den Kampfeinsätzen im Süden Afghanistans. Sie rennen dabei eine Tür ein, die die Autoren des Weißbuches weit aufgerissen haben. Das Weißbuch wünscht sich eine „strikt einsatzorientierte Ausrichtung der Bundeswehr“. So genannte Stabilisierungseinsätze wie in Afghanistan sollen laut Weißbuch künftig häufiger durchgeführt werden. Es muss sich also niemand wundern, wenn nun eine stärkere Beteiligung eingefordert wird. Wer Soldaten in Krisenregionen schickt, in der Hoffnung, sich dort die Hände nicht schmutzig zu machen, ist ohnehin naiv. Zudem zeigt sich auch, wie ernst Sie es mit der Parlamentsarmee meinen: Von geheimen KSK-Missionen erfahren wir nur per Zufall. Die Linke fordert deswegen den Ausstieg aus den Auslandseinsätzen der Bundeswehr. ({6}) Wir lehnen auch die generelle Ausrichtung des Weißbuches ab. Es geht dabei in den meisten Fällen knallhart um strategische Interessen. Der Zugang zu Rohstoffen, der Schutz von Handelswegen und die Energiesicherheit sind für uns keine Interessen, für die wir Soldaten in den Krieg schicken. Die NATO trägt durch ihre Militärpolitik mit dazu bei, dass Völkerrecht durch Faustrecht ersetzt wird. Die offensive deutsche Militärpolitik stützt sich allerdings nicht allein auf die NATO; auch die Sicherheitspolitik der Europäischen Union wird maßgeblich von Deutschland aus mitgeprägt und mitfinanziert. Ein erweiterter Sicherheitsbegriff bedeutet für uns nicht, das Deutschland am Hindukusch verteidigt werden soll und kann. Sicherheit ist für uns zuerst und vor allem soziale Sicherheit. Wer deutsche Soldaten in immer neue Kriege schickt, der muss sich auch überlegen, wen er dorthin schickt. Immer mehr junge Menschen gehen zur Bundeswehr, weil sie sonst kaum eine Möglichkeit sehen, Ausbildung und Arbeit zu finden. ({7}) Wer vor der Bundeswehr arbeitslos war, entscheidet sich auffallend häufig für eine längere Verpflichtungszeit. Es sind deswegen besonders häufig Jugendliche aus Ostdeutschland - aus Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit -, die sich länger verpflichten. Besonders bitter ist dabei, dass diejenigen, die aufgrund fehlender Alternativen zur Bundeswehr kamen, dort nochmals benachteiligt werden. Die Anpassung des Ostsoldes auf das Westniveau wurde auf 2009 verschoben. Die Linke beantragt deswegen die Ost-West-Angleichung bereits im Jahr 2007 sowie die Auszahlung des Weihnachtsgelds in voller Höhe für alle Soldatinnen und Soldaten. ({8}) Sparen Sie sich die teuren Rüstungsprojekte und Auslandseinsätze! Holen Sie die Soldatinnen und Soldaten nach Hause! Nehmen Sie endlich sinnvolle Konversionsprojekte in Angriff! Investieren Sie in den globalen Kampf gegen Armut, in soziale Sicherheit und zivile Arbeitsplätze! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Winfried Nachtwei hat das Wort für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf zwei Bereiche eingehen, und zwar erstens auf die Einsätze in Afghanistan und zweitens auf unsere Fähigkeiten. Die Bundeskanzlerin hat heute Morgen zur Frage des weiteren Afghanistaneinsatzes die deutliche Position bezogen, dass es bei dem bisherigen Engagement bleiben soll und muss und dass dieses Engagement nicht erweitert wird. Das ist - das sage ich ausdrücklich - die richtige Positionierung. ({0}) Auf der NATO-Parlamentarierversammlung vor einer Woche - das haben die Kollegin Mogg und andere bereits angesprochen - haben wir als deutsche Parlamentarier zu spüren bekommen, welche Stimmung sich inzwischen in dieser Frage aufgebaut hat. Ich glaube, in diesem Zusammenhang muss etwas klargestellt werden: Gerade diejenigen, die am lautesten waren und geäußert haben, die einen seien Tee- und Biertrinker und die anderen riskierten ihr Leben, haben zu denen gehört - ich habe das im Internet überprüft -, die den Irakkrieg deutlich mit unterstützt haben und damit Mitverantwortung dafür tragen, dass der Stabilisierungsprozess in Afghanistan erheblich zurückgeworfen worden ist. Das ist der Hintergrund. ({1}) Allerdings ist der ISAF-Einsatz - das wurde schon mehrfach richtigerweise festgestellt - unter „anders schwierigen“ Bedingungen ein ausgesprochen kluger und relativ wirksamer Einsatz einschließlich des Umgangs mit den auch dort vorhandenen Risiken und Bedrohungen. Die Obleute, die vor kurzem dort waren, haben selber erlebt, dass es immer wieder zu Überfällen beispielsweise mit Panzerfäusten kommt. Man kann nur von Glück sagen, dass die dort nicht so gut zielen; aber riskant ist es trotzdem. Falsch ist auf jeden Fall die Fixierung auf die Erwartung, dass die Probleme in Afghanistan vor allem mit zunehmend mehr Soldaten zu lösen seien. Es sei daran erinnert, dass die Sowjets am Ende 120 000 Soldaten in Afghanistan stehen hatten und trotzdem verloren haben. Es kommt also vor allem auf andere, politische Hauptaufgaben an. Ich nenne einige. Erstens. Die akute Hungerkrise vor allem im Süden Afghanistans muss schnell überwunden werden. ({2}) Zweitens. Es muss eine Wende bei der Drogenbekämpfung geben. Sie muss einheitlich erfolgen und langfristig angelegt sein. Hier herrscht zurzeit ein ziemliches Durcheinander in der Realität. Drittens. Beim Aufbau von Polizei und Justiz muss es einen Push geben. Beim Justizausbau sieht es bislang ziemlich mager aus. Schließlich muss es - darüber haben wir bereits vor 14 Tagen gesprochen; allerdings sind wir zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen - eine Kurskorrektur bei der Antiterroroperation „Enduring Freedom“ und - nicht unwichtig im Hinblick auf den NATO-Gipfel eine Zusammenarbeit zwischen NATO und Europäischer Union geben. Außenstehende können gar nicht glauben, dass solche wichtigen, sicherheitspolitisch relevanten Institutionen in der Realität eher aneinander vorbei arbeiten. ({3}) Hier muss angepackt werden und - das muss man deutlich sagen - muss die Bundesregierung einiges nachlegen. Selbstbewusstsein ist zwar richtig, aber zur Selbstbeweihräucherung - diese Tendenz habe ich in der heutigen Diskussion deutlich gespürt - haben wir keine Veranlassung. Auch mit der richtigen Position - diese hat die Bundeskanzlerin heute Morgen formuliert - werden wir dem wachsenden Druck nur standhalten können, wenn wir unsere Hausaufgaben nachholen und beim Polizeiaufbau quantitativ enorm nachlegen. Gute Qualität allein reicht auf keinen Fall. ({4}) Afghanistan, der Balkan und Nahost sind schlagende Beweise für die Notwendigkeit umfassender und vorbeugender Sicherheit. Herr Minister, Sie betonen seit Monaten in diesem Zusammenhang den Begriff der vernetzten Sicherheit. Das Gebot des Zusammenwirkens bei Krisenbewältigung und Friedenskonsolidierung liegt auf der Hand. Aber wie sieht es damit in der Wirklichkeit aus? Die Wirklichkeit steht in sehr großem Gegensatz zu dem, was alle für selbstverständlich halten. Was ist hier zu tun, damit man weiterkommt? Erstens. Es muss Klarheit darüber geschaffen werden, was Militär, Polizei, Diplomaten und zivile Experten jeweils am besten leisten können, wenn es um bestimmte Bedrohungen, Risiken und Chancen geht. Mit dem Weißbuch ist die Chance vertan worden, hier Klarheit zu schaffen. Zweitens. Insgesamt ist - entschuldigen Sie den umständlichen Begriff; aber mir ist noch kein besserer eingefallen - ein fähigkeiten- und ressortübergreifender Ansatz notwendig. Wir sollten als Erstes mit der Ausbildung der entsprechenden Kräfte beginnen. Wir haben bereits gute Ansätze: Zentrum für Internationale Friedenseinsätze, Bundesakademie für Sicherheitspolitik sowie das UNO-Ausbildungszentrum der Bundeswehr. Diese Ansätze müssen ausgebaut werden. Kollege Kahrs, Sie haben schon angesprochen, dass es wahrhaftig nicht nur um Auslandseinsätze, sondern um Krisenengagements geht; das ist das Entscheidende. Daher muss von Anfang an eine entsprechende Planung und Organisation vorhanden sein. Es reicht nicht, wenn man sich erst mit der Zeit zusammenrauft! Drittens schließlich - das ist ganz entscheidend - bedarf es ausgewogener Fähigkeiten in den verschiedenen Bereichen. Es darf nicht so sein, dass die Polizei und die zivilen Experten dem Militär, das einen natürlichen Startvorteil hat - dort gibt es natürlich eine schnelle personelle, finanzielle und materielle Verfügbarkeit -, hinterherhoppeln. Eine solche Verfügbarkeit erreicht man, wie im militärischen Bereich, nur mit Planzielen: Was wollen wir im nächsten und im übernächsten Jahr haben, was bis zum Jahr 2010 erreichen? Auf der EU-Ebene gibt es das schon. Das ist von ganz entscheidender Bedeutung und eine Hausaufgabe für das AA, für das BMZ und für das BMI. Darüber hinaus muss die Ressourcenausstattung ausgewogener werden - auch hier sind die zivilen Bereiche im Rückstand - und ist eine Transformation der sicherheitspolitischen Strukturen insgesamt notwendig. Das Kanzleramt ist aufseiten der Exekutive viel stärker gefordert; die Ressorts sind, wie wir seit Jahrzehnten wissen, mit der Einigung untereinander überfordert. Auch wir im Parlament müssen uns gehörig anstrengen. Es fragt sich, ob sich diese Notwendigkeiten in einer zureichenden Haushaltsausstattung niederschlagen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt gibt es die Notwendigkeit, dass Sie zum Ende kommen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann überschlage ich das und sage den Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuss persönlich, welche Chance bei der strukturellen Krisenvorbeugung vertan worden ist. Noch ein letzter Gedanke und damit komme ich zum Schluss: Aus den Auslandseinsätzen mussten wir lernen, dass wir Zeit und Geduld brauchen. In Afghanistan erfahren wir aber zugleich, dass in der Vergangenheit schon viel Zeit verloren wurde und die Zeit jetzt drängt. Es ist höchste Zeit!

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das stimmt. Die Zeit drängt und Sie müssen wirklich zum Schluss kommen. ({0})

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das langsame Lernen, das wir uns hier im Inland angewöhnt haben, können wir uns bei solchen Auslandseinsätzen nicht mehr erlauben. Wir brauchen nicht nur einen langen Atem, sondern inzwischen auch eine konstruktive Ungeduld. Danke schön. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das war jetzt eine echte Probe für meine konstruktive Ungeduld. Das Wort hat der Kollege Bernd Siebert von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bernd Siebert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuallererst möchte ich mich bedanken, aber nicht deswegen, weil es üblich ist, sondern weil es mir ein ganz besonderes Anliegen ist. Ich möchte mich bei allen Soldatinnen und Soldaten und bei allen zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken, die unter zum Teil gefährlichen Umständen ihre Aufgabe im Einsatz erfüllen und damit auch das Ansehen unseres Landes, unserer Heimat international erhöht haben. ({0}) Ich denke, es ist nicht nur eine Pflicht, sondern muss ein inneres Bedürfnis sein, diesen Dank zu formulieren. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass dieser Dank auch den Soldatinnen und Soldaten gebührt, die in der Heimat ihren Kameraden den Rücken frei halten und durch die Erfüllung ihrer Aufgaben zum Schutz der Heimat beitragen. Gerade weil die Entwicklung im Einzelplan 14 unmittelbare Auswirkungen auf die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz hat, müssen wir den Verteidigungshaushalt mit besonderer Sorgfalt prüfen und gestalten. Die Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien haben ein Anrecht darauf, dass sie die Politik mit dem bestmöglichen Material zu ihrem Schutz ausstattet. Diese Verpflichtung und besondere Verantwortung hat jeder Einzelne von uns übernommen, zumindest aber die, die den Einsätzen der Bundeswehr zugestimmt haben. Mit dem Entwurf des Verteidigungshaushaltes 2007 stehen der Bundeswehr insgesamt 28,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Wenn man von der Erhöhung die zukünftigen Leistungen für Pensionen abzieht, bleiben dem Verteidigungsminister leider nur zusätzliche 500 Millionen Euro für das Jahr 2007 übrig. Das ist in Anbetracht unserer Aufgaben sicherlich nicht zu viel und nicht zu großzügig. Diese Entwicklung im Einzelplan 14 liegt zwar auf der Finanzlinie des 40. Finanzplanes. Wenn man aber die Herausforderungen betrachtet, denen sich die Bundeswehr gegenübersieht, kann die finanzielle Ausstattung nur als knapp ausreichend bezeichnet werden. Ein „Weiter so!“ wird der Auftragslage der Bundeswehr zukünftig nicht mehr gerecht werden. Aber auch wenn das finanzielle Korsett weiterhin eng bleibt, sind mit dem vorliegenden Regierungsentwurf die Weichen dennoch richtig gestellt. Der investive Anteil steigt, die Eindämmung der Ausgaben für Materialerhaltung und Instandsetzung hilft, die Preissteigerungen im kommenden Jahr zumindest abfedern zu können. Das Erreichen dieser Etappenziele ist insbesondere vor dem Hintergrund der Einsatzrealität der Bundeswehr wichtig und richtig. Es kommt letztendlich darauf an, dass wir eine Bundeswehr haben, die im gesamten denkbaren Einsatzspektrum als verlässliches Instrument unserer Sicherheits- und Außenpolitik agieren kann. Dazu benötigen wir eine ausgewogene Ausstattung aller Kräftekategorien. Gerade in Afghanistan haben wir in den letzten Monaten gesehen, wie schnell sich die Lage verschlechtern kann, wie rasch eine relativ kalkulierbare Stabilisierungsoperation eskalieren kann und wie ebenso schnell die Ausrüstung unserer Soldaten und Soldatinnen angepasst werden muss. Franz Josef Jung und sein Ministerium haben diese Herausforderungen bewältigt. Es ist jetzt sichergestellt, dass alle Soldatinnen und Soldaten ihren Einsatz unter Schutz erfüllen können. Vor dem Hintergrund der weiterhin knappen Mittel wird es auch zukünftig nicht immer möglich sein, schnell mit dem nötigen Material zu reagieren. Deshalb ist mir an dieser Stelle der Hinweis auf das neue Weißbuch besonders wichtig. Im Weißbuch wird darauf hingewiesen, dass für die Verwendung der begrenzten finanziellen Ressourcen künftig bei Beschaffungen alternative Finanzierungsmöglichkeiten geprüft werden sollen. Ich bin dankbar, dass Minister Jung hier einen wirklich zukunftsweisenden Ansatz aufgezeigt hat, und sage meine uneingeschränkte Unterstützung bei der Ausgestaltung dieser Idee zu. Vielleicht gelingt es uns auch durch diesen innovativen Ansatz, die langjährige Praxis des Schiebens und Streckens zu durchbrechen und die aufgetürmte Bugwelle der Ausrüstungsdefizite in der Bundeswehr wenigstens in Teilen schnell schrumpfen zu lassen. An dieser Stelle möchte ich auf den Kollegen Bonde kurz eingehen, der sich vorhin kritisch mit unserer Bewaffnung auseinander gesetzt hat. Ja, es geht bei der Entscheidung über Investitionen auch darum, die Kernfähigkeit unserer wehrtechnischen Industrie zu erhalten. Es geht uns bei diesen Entscheidungen auch um Arbeitsplätze in unserem Land, lieber Herr Kollege Bonde. ({1}) Ein weiteres nicht zu vernachlässigendes Problem im Verteidigungshaushalt stellt die Finanzierung der Einsätze dar. Neue Einsätze wie zum Beispiel im Kongo und im Libanon können bei der Haushaltsaufstellung nicht vorausgesehen werden. Da die Haushaltsmittel schnell benötigt werden, wird der Einzelplan 14 auch zukünftig in Vorleistung treten müssen. Um jedoch den Spielraum des Verteidigungsministers nicht noch weiter einzuschränken, muss aus meiner Sicht der Einzelplan 14 grundsätzlich von den Kosten der Einsätze entbunden werden. Schließlich liegt der Einsatz der Bundeswehr im Gesamtinteresse unseres Staates und damit in der Verantwortung der gesamten Bundesregierung. Darum habe ich auch mit Freude zur Kenntnis genommen, dass mit dem Finanzminister eine einvernehmliche Regelung zur Finanzierung des Libanoneinsatzes getroffen werden konnte. Auch hier wurden die Weichen richtig gestellt. Ich bin deshalb davon überzeugt, dass mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf der Bundesregierung der richtige Weg hin zu einer soliden Finanzierung der Bundeswehr eingeschlagen wurde. Konzeptionell ist die Finanzierung des Verteidigungshaushaltes stimmig. Wesentlich bleibt die Anpassung der Finanzlinie an die Anforderungen der Bundeswehr. Dies sollte vor dem Hintergrund der erfreulichen positiven Konsolidierung des Bundeshaushaltes in naher Zukunft sicherlich auch möglich sein. Entsprechende Hinweise gibt es jedenfalls. Die alternative Finanzierung kann dort, wo es sinnvoll ist, ebenfalls zur Entlastung des Einzelplans 14 beitragen. Bei gleichzeitiger Entlastung von den Kosten der Einsätze ergibt sich jedenfalls der finanzielle Spielraum, der notwendig ist, damit wir unsere Aufgaben in Zukunft vollständig erfüllen können. Der aufgezeigte Dreiklang schafft eine solide finanzielle Basis für den Erwerb von Ausrüstungen und damit für die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber. Lassen Sie mich zum Schluss noch ein paar Worte des Dankes vortragen. Ich danke unserem Minister Franz Josef Jung, der die Bundeswehr in seinem ersten Amtsjahr entscheidend vorangebracht hat. Mit dem bereits erwähnten Weißbuch ist es endlich gelungen, der Transformation das notwendige, von der Bundesregierung mitgetragene konzeptionelle Fundament zu geben. Gleichzeitig hat der Minister durch die Einsätze im Kongo und im Libanon dazu beigetragen, das sicherheitspolitische Profil Deutschlands weiter zu schärfen und der Stimme Deutschlands in der internationalen Gemeinschaft ein angemessenes Gewicht zu verleihen. Für das vergangene Jahr möchte ich ihm meine Anerkennung aussprechen. Ich wünsche mir, dass er auch die zukünftige Arbeit mit Mut und Fortune gestaltet. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Bernd Siebert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Letzte Bemerkung, Frau Präsidentin. - Ich möchte von diesem Pult nicht gehen, ohne die gute Zusammenarbeit zu erwähnen, die es zwischen der Arbeitsgruppe Sicherheitsfragen der SPD-Fraktion und der Arbeitsgruppe Verteidigung der CDU/CSU-Fraktion gibt. ({0}) Unsere gemeinsame gute Arbeit des letzten Jahres war die Basis dafür, dass wir eine erfolgreiche Sicherheitsund Verteidigungspolitik organisieren konnten. Mein ganz persönlicher Dank gilt meinem Kollegen Arnold als Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Sicherheitsfragen der SPD-Fraktion. Herzlichen Dank und Glückauf! ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Stinner, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ohne jeden Zweifel: Vor der NATO-Sitzung in Riga befinden wir uns in der Defensive. Mit „wir“ meine ich sowohl uns Abgeordnete - das haben wir letzte Woche bei der NATO-Parlamentarierversammlung in Québec deutlich gemerkt -, aber auch die Bundesregierung. Ich frage mich und Sie alle, auch Sie, Herr Kolbow: Wie kommt es eigentlich, dass wir Deutsche in der NATO in der Defensive stehen, obwohl wir unseren Beitrag insgesamt als gewichtig, richtig und wertvoll ansehen? Wenn man diese Frage beantworten will, dann muss man natürlich, Herr Minister Jung, auf Ihre Verantwortung rekurrieren. Es ist in der Tat die Aufgabe der Bundesregierung, die Leistungen, die wir hier einvernehmlich erbringen - unter uns besteht eine große Einigkeit -, entsprechend zu vermarkten. Dazu kann ich nur sagen: Das Marketing der Bundesregierung innerhalb der NATO scheint in den letzten Jahren offensichtlich extrem schlecht gewesen zu sein. Frau Präsidentin, der Abgeordnete Arnold möchte eine Zwischenfrage stellen, die ich sehr gerne beantworte. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wenn Sie das gerne möchten, dann bitte schön.

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, eine Frage des Kollegen Arnold beantworte ich immer sehr gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Vielleicht hängt das mit Ihrer Redezeit zusammen. Herr Arnold, bitte.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Stinner, ich bin der Meinung, dass wir überhaupt keinen Grund haben, uns in der Defensive zu fühlen. Könnte die Wahrnehmung mancher Personen, dass wir in der Defensive sind, etwas damit zu tun haben, dass gerade Sie auf der Parlamentarierversammlung der NATO den Zuruf eines britischen Kollegen, der für die britische Regierung nicht unbedingt repräsentativ ist, so nach Deutschland gemeldet haben, dass es in Deutschland völlig missverständlich angekommen ist und der britische Kollege sogar eine korrigierende Stellungnahme abgeben musste? Vielleicht sind Sie ein Stück mitverantwortlich. Haben Sie darüber einmal nachgedacht? ({0})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Arnold, ich bedanke mich für diese Zwischenfrage sehr herzlich. Glücklicherweise sind die Verhandlungen in Québec aufgezeichnet worden. Ich werde Ihnen in wenigen Minuten, lieber Herr Kollege Arnold, das Videoband dieser langen Sitzung überspielen lassen. Ich empfehle allen Kollegen, sich die Sitzung von vorne bis hinten anzuschauen. Das ist sehr aufschlussreich. Damit Sie, Herr Kollege Arnold, schneller zu Potte kommen und sich schneller bei mir entschuldigen können, empfehle ich Ihnen, das Band auf Minute 48 vorlaufen zu lassen: Dort wird die Wortmeldung des ersten englischen Kollegen gezeigt. Außerdem empfehle ich Ihnen, das Band auf eine Stunde und zehn Minuten vorlaufen zu lassen: Dort wird die Wortmeldung eines weiteren englischen Kollegen gezeigt. Dazwischen haben einige andere englische Kollegen gesprochen, die etwas Interessantes gesagt haben, zum Beispiel über nicht genannte deutsche Minister, die irgendwo mit Freundinnen badeten. Spulen Sie also auf Minute 48 und auf eine Stunde zehn Minuten vor. Anschließend bitte ich Sie, Herr Kollege Arnold, sich bei mir zu entschuldigen. Falls Sie dazu dann nicht bereit sein sollten, schlage ich vor, dass wir uns gemeinsam im Fernsehen vor der deutschen Öffentlichkeit anschauen, was dort gesagt worden ist. Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Mithilfe. ({0}) - Ja, das werden wir sehen. Ich verweise auf Minute 48 des Bandes. Das können Sie sich alle besorgen und dann genau anschauen. Ich empfehle Ihnen, Herr Kollege Arnold, und auch der Bundesregierung, sich außerdem die Stelle bei einer Stunde 16 Minuten auf dem Band anzuschauen, wo der Kollege Koenders uns sehr intelligent begründet hat, weshalb die üblichen Bedingungen, die die Holländer für einen NATO-Einsatz stellen, uns als Caveats ausgelegt werden. Insofern befinden wir uns in der Defensive; daran muss die Bundesregierung arbeiten. Ich bin Ihnen, Herr Arnold, sehr dankbar, dass Sie diese Frage gestellt haben. Wir werden darauf noch zurückkommen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolbow zulassen?

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, ich würde sie sehr gerne zulassen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön, Herr Kollege Kolbow.

Walter Kolbow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Stinner, wie beurteilen Sie die Tatsache, dass weder der Generalsekretär der NATO, de Hoop Scheffer, bei seinem Vortrag vor der Deutschen Atlantischen Gesellschaft während seines Besuches in der Bundesrepublik noch der Oberbefehlshaber der NATO im Rahmen der Veranstaltung „Impulse 21“ und abends während seiner verdienstvollen Verabschiedung im Bendler-Block anlässlich des Zapfenstreichs Worte der Kritik an der politischen Position Deutschlands bezüglich des Einsatzes seiner Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan geäußert haben?

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Kolbow, das beurteile ich sehr positiv. Ich begrüße es, dass der Generalsekretär der NATO diesbezüglich offensichtlich einen realistischen Blick auf die Dinge hat. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass das, was in den letzten Tagen in der Presse zu lesen war, und zwar ohne Einflussnahme meinerseits - ich habe nun wirklich keinen Einfluss auf den englischen Premierminister oder die amerikanische Presse, jedenfalls noch nicht -, die Aussage, dass wir uns in der Defensive befinden, mehr als rechtfertigt. Das werden Sie, Herr Kolbow, ja wohl nicht bestreiten wollen. ({0}) - Es ist nun wirklich nicht so, lieber Kollege Arnold, dass ich das entsprechende Stichwort gegeben hätte. Dem ist nun wirklich nicht so. Ich könnte Ihnen noch von ganz anderen Dingen berichten, die abends in Québec geäußert wurden. Ich bedanke mich, dass Sie mir die Gelegenheit gegeben haben, die Fragen so ausführlich zu beantworten, und komme jetzt auf mein Thema zurück. Ich stellte fest, dass wir uns in der Defensive befinden, und sagte, dass es Aufgabe der Bundesregierung ist, unsere Leistungen, über die ja Einvernehmen herrscht, zu vermarkten. Es stellt sich in der Tat die Frage, warum die Bundeskanzlerin angesichts der Themen, die im Raum stehen, nicht persönlich die Gelegenheit wahrgenommen hat, auf internationaler Ebene, also nicht nur hier in Deutschland, deutlich zu machen, welche Leistungen wir erbringen. Das wäre eigentlich angemessen gewesen. Wir sollten uns generell angewöhnen, über den deutschen Tellerrand hinauszuschauen und auf internationaler Ebene unsere Interessen besser zu vertreten, als das bisher der Fall war. In Québec ging es hauptsächlich um zwei Themen. Zum einen ging es darum, wer welche Verpflichtungen eingeht. Wir sind uns alle einig, dass wir uns da nichts vorzuwerfen haben. Das muss aber auch sehr deutlich gesagt werden. Zum anderen ging es darum, welche nationalen Caveats es gibt. Es findet meines Erachtens eine unvertretbare Ausuferung bei der Verwendung des Begriffs „nationale Caveats“ statt. Bei nationalen Caveats handelt es sich eigentlich um Einschränkungen der Rules of Engagement. Wenn wir aber gewisse Grundbedingungen stellen, bevor wir unsere Soldaten in den Einsatz schicken, werden diese uns als nationale Caveats ausgelegt, während solch ein Vorgehen bei anderen Ländern als selbstverständlich erachtet wird. Ein weiterer Punkt ist, meine Damen und Herren, dass die NATO entsprechend politischer werden muss. Wir alle wissen das und sagen das auch; die Kanzlerin hat es in München, aber auch hier gesagt. Die Frage ist natürlich, welche diesbezüglichen Initiativen die Bundesregierung nach der Rede der Bundeskanzlerin in München im Februar dieses Jahres ergriffen hat. Selbst bei den NATO-Mitgliedstaaten gibt es ja - das haben wir letzte Woche in Québec gemerkt - völlig unterschiedliche Auffassungen darüber, was die NATO sein soll. Parlamentskollegen anderer Länder haben dort zum Beispiel gesagt, sie sehen die NATO als eine im engeren Sinne militärische Organisation an. Alle Fraktionen hier - die Linke will ich einmal ausnehmen - haben jedoch ein andere Auffassung davon, was die NATO sein soll. Hier muss die Bundesregierung unsere Position offensiver vertreten, auch gegenüber unserem Freund Frankreich, ({1}) der sich ja beispielsweise weigert, in diesem Rahmen über Energiepolitik zu sprechen. Diese Meinungsunterschiede müssen innerhalb der NATO ausgetragen werden. Da müssen wir entsprechend unseren Beitrag leisten. Es gibt einen letzten Punkt, den ich hier ansprechen möchte. Wir müssen uns angesichts der Diskussion, die wir jetzt haben, Konzepte für unsere internationale Beteiligung, und zwar sowohl an der NATO Response Force als auch an den EU-Battlegroups, überlegen. Jetzt stellen Sie sich angesichts der momentanen Diskussion über Aufgabenverteilung im Bündnis einmal vor, dass ein neuer Auftrag kommt und nur holländische, englische oder norwegische Soldaten angefordert werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin; aber Sie haben doch sicher die Zeit für die Beantwortung der Zwischenfragen berücksichtigt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die habe ich definitiv mehr als berücksichtigt. Sie sind dennoch jetzt über die Zeit.

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist aber erstaunlich - ich meine, interessant. Vielen Dank.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie müssen da vielleicht mit Ihrer Fraktion verhandeln.

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich will nur noch sagen: Wir müssen die Konzepte für die Einsätze im Rahmen der NATO Response Force und der EU Battle Groups angesichts der gegenwärtigen Diskussion überdenken. Es gibt viel Arbeit für die Bundesregierung - vor dem Gipfel und auf dem Gipfel. Wir würden uns wünschen, dass Sie die deutschen Interessen offensiver vertreten als bisher. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Rolf Kramer spricht für die SPD-Fraktion.

Rolf Kramer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Siebert, Sie haben am Ende Ihrer Rede auf die gute Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Fraktionen im Verteidigungsausschuss hingewiesen. Auch ich möchte gleich zu Beginn darauf hinweisen. Ich kann das bestätigen. Schon in der Vergangenheit haben wir alle im Verteidigungsausschuss sehr kollegial zusammengearbeitet. Dass sich diese Zusammenarbeit im letzten Jahr noch verbessert hat, wissen wir zu würdigen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundeswehr befindet sich noch mitten in der Phase ihres größten Umbruchs in ihrer über 50-jährigen Geschichte. Der heute zu beratende Haushalt spiegelt diesen Umbruch wider. Ich möchte in meinem Beitrag auf zwei Punkte zum Umbau der Bundeswehr besonders eingehen, zunächst einmal auf die Frage der zukünftigen Einsatzbreite der Bundeswehr. Schon im Vorfeld der Vorlage des Weißbuches wurde wieder über einen Einsatz der Bundeswehr im Innern diskutiert. Ich möchte für meine Fraktion betonen, dass die im Weißbuch genannten Vorschläge sich mit den Forderungen der SPD decken. Eine darüber hinausgehende Regelung ist nach unserer Überzeugung nicht notwendig und mit uns auch nicht umzusetzen. Die Bundeswehr leistet schon seit Jahrzehnten einen deutlichen Beitrag zur inneren Sicherheit. Die Beispiele kennen wir alle, ob es das ICE-Unglück bei Eschede in Niedersachsen war, die Hochwassereinsätze oder Einsätze bei Schneekatastrophen. Man könnte die Reihe der Beispiele weiter fortsetzen. Das Grundgesetz erlaubt derartige Unterstützungsleistungen bei schweren Unglücksfällen und Naturkatastrophen. Auch die Absicherung beispielsweise einer Absturzstelle bei einem Flugzeugunglück ist erlaubt. Für all diese Fälle ist eine Änderung des Grundgesetzes nicht notwendig. Eine Modifizierung ist nach unserer festen Überzeugung nur in einem engen Bereich der Luft- und Seesicherheit erforderlich, wenn die Mittel der Polizei nicht ausreichen sollten. Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass eine Ergänzung bzw. Klarstellung notwendig ist. Hier besteht also Änderungsbedarf. Wir sind im Rahmen des Art. 35 des Grundgesetzs dazu bereit. Darüber hinausgehende Einsätze der Bundeswehr im Innern, wie zum Beispiel zur Bewachung von zivilen Einrichtungen, von Bahnhöfen oder Flugplätzen, wird es mit meiner Fraktion nicht geben. Das sind Kernaufgaben der Polizei; sie ist dafür ausgebildet. Die Bundeswehr ist keine Hilfspolizei. Wer zulasten der Bundeswehr die Polizeikräfte auf Länderebene reduzieren will, um Kosten zu sparen, benötigt eine grundlegende Änderung des Grundgesetzes und verändert damit auch das Gesicht dieser Republik. Das ist mit uns nicht zu machen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein zweiter Punkt, den ich heute ansprechen möchte, ist die Personalsituation bei der Bundeswehr. Wir haben als Bundestag in den letzten 16 Jahren unseren Soldatinnen und Soldaten sowie den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viel abverlangt, nicht nur bei den Einsätzen im Ausland, sondern auch mit dem Umbau der Bundeswehr und ihrer schrittweisen Anpassung an die neuen sicherheitspolitischen Aufgaben. Der Haushaltsentwurf für 2007 geht insgesamt von einer Veranlagungsstärke von 249 500 Soldatinnen und Soldaten aus. Dabei ist für die Bereiche der Grundwehrdienstleistenden und der freiwillig Wehrdienstleistenden mit 55 000 und der Reservisten mit 2 500 die vorgegebene Zielstruktur für 2010 schon erreicht. Bei den Berufssoldatinnen und -soldaten sowie den Soldaten auf Zeit fehlen zurzeit noch 3 000 Planstellen an der Zielstruktur von insgesamt etwa 195 000. Damit sind wir im militärischen Bereich auf einem guten - ich möchte sagen: auf einem sehr guten - Weg. Es ist schon angesprochen worden, dass die Situation bei den Unteroffizieren und bei den Mannschaftsdienstgraden, was die Besoldung angeht, sich gebessert hat. Wir von der Koalition hätten uns gewünscht, dass dieser Weg noch weiter hätte beschritten werden können. Wir haben auch entsprechende Anträge gestellt. Frau Jaffke, eigentlich hat der Verteidigungsausschuss seine Arbeit gemacht. Leider konnte der Haushaltsausschuss unseren Vorschlägen nicht folgen. Auch auf der zivilen Seite erfolgt eine Reduzierung des Personals. Hier beträgt die Zielzahl für das Jahr 2010 75 000. Im Haushaltsplanentwurf für 2007 sind noch 100 000 Stellen vorgesehen. Wir haben also noch einen enormen Abbau bei den zivilen Stellen in Höhe von etwa 40 Prozent vor uns. Wir sind überzeugt, dass der existierende Tarifvertrag das geeignete Instrumentarium bietet, um diese Umgestaltung durchzuführen. Für Beamtinnen und Beamte sind dies die gesetzlichen Regelungen zur Altersteilzeit. Wir sind auch hier auf einem guten Weg, auch wenn wir sozusagen der militärischen Seite hinterherhinken. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Angehörigen der Bundeswehr bedanken, dass sie diesen Umstrukturierungsprozess trotz mancherlei Schwierigkeiten und nicht zu verschweigender Probleme mittragen und gleichzeitig die ihnen von der Politik übertragenen Aufgaben aus meiner Sicht vorbildlich erfüllen. ({0}) Ich möchte noch ein sehr ernstes Thema ansprechen. Es geht um die Anschuldigungen des Bremer Bürgers Herrn Kurnaz. Ich bin überzeugt, wir sind uns alle darin einig, dass die jahrelange Inhaftierung in Guantanamo durch die USA eindeutig rechtswidrig war und zu verurteilen ist. ({1}) Die Anschuldigungen, die Herr Kurnaz gegen deutsche Soldaten wegen Vorkommnissen während seiner Haft in Kandahar vorbringt, sind richtigerweise Gegenstand der Untersuchungen des Verteidigungsausschusses. Nach Abschluss der Untersuchung sind die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen. Aber eines kann jetzt schon gesagt werden: Die Information über den Einsatz der KSK muss in Zukunft wesentlich transparenter werden. ({2}) Das verständliche Schutzbedürfnis für die Soldaten und das selbstverständliche Informationsrecht des Parlaments müssen und können in besserer Weise als bisher in Einklang gebracht werden. Auch die in den vergangenen Wochen bekannt gewordenen Fotos von deutschen Soldaten mit Gebeinen von Verstorbenen in Afghanistan sind kein Ruhmesblatt für Deutschland - schon gar nicht für die Bundeswehr. Damit wird der gute Ruf der fast 200 000 Soldatinnen und Soldaten, die bisher im Auslandseinsatz waren, durch das Verhalten einiger weniger lädiert. Aber auch hier gilt der Grundsatz, dass alles bis ins Detail aufgeklärt werden muss. Die Bundeswehr hat ein geeignetes Instrumentarium, um Aufklärung zu leisten. Die Wehrdienstordnung ist hier anzuwenden. Nach allem, was uns im Verteidigungsausschuss bekannt geworden ist, hat die Bundeswehr ihre Sache bisher sehr gut gemacht. ({3}) Ich will ganz deutlich sagen, dass die Vorgesetzten gerade auch während der Einsätze gefordert sind und für ein korrektes Verhalten Sorge tragen müssen. Erlauben Sie mir zum Abschluss noch einige Anmerkungen zu dem in der letzten Woche vorgelegten Bericht des Bundesrechnungshofes. Die Bemerkungen zum Einzelplan 14 haben aus meiner Sicht deutlich gemacht, dass es im Bereich des BMVg noch weiteres Optimierungspotenzial gibt, das ausgenutzt werden muss. Allerdings möchte ich hier aus Sicht der Verteidigungspolitiker davor warnen, das Allheilmittel in einer Privatisierung von Aufgaben zu sehen. Es ist richtig, dass sich die Bundeswehr auf ihre Kernaufgaben zu beschränken hat. Allerdings sind dabei die Organisationsabläufe bei der Bundeswehr gerade vor dem Hintergrund einer veränderten und sich weiter verändernden Aufgabenstellung zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund werden wir uns mit den Anmerkungen intensiv auseinander zu setzen haben. Mit dem Etat 2007 sind wir aus Sicht der Verteidigungspolitik auf einem guten Weg. Die ursprünglich vorgegebene Finanzplanlinie für den Einzelplan 14 wird weiter verfolgt. Aus Sicht meiner Fraktion und aus Sicht der Koalition bedeutet dies ein Stück Stetigkeit. Diese Linie muss sich allerdings auch in den kommenden Jahren fortsetzen, um den Umbau der Bundeswehr erfolgreich abschließen zu können. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zum Schluss dieser Debatte hat der Kollege Hans Raidel das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

Hans Raidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001768, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Schluss einige ganz wenige Anmerkungen machen. Erstens. Mit dem Haushalt 2007 sind wir auf dem richtigen Weg. Insgesamt haben wir eine aufsteigende Finanzlinie zu verzeichnen. Wenn wir dafür sorgen, dass sich diese verstetigt, dann werden wir die gemeinsamen Aufgaben in Bezug auf Ausbildung, Ausrüstung, Personal und Attraktivität der Bundeswehr entsprechend erfüllen können. Auch werden wir die Fragen der Rüstungswirtschaft entsprechend einbinden können. Die Nagelprobe insgesamt ist nicht der Haushalt 2007. Die Nagelprobe kommt erst 2008. Dabei müssen wir an unserer Zielsetzung festhalten. Zweitens. Ich wünsche mir, dass wir im Ausschuss alle Fragen der Transformation neu zur Debatte stellen, dass wir die Einzelfragen betrachten und zu neuen Perspektiven kommen, indem wir feststellen: Wo stehen wir? Wohin wollen wir? Wo sind Einzelfragen zu klären? Wo sind Schrauben neu zu justieren? Damit bekommen wir wieder ein ausgewogenes Tableau im Hinblick auf die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr insgesamt. Wie gesagt, die Ausgangsbasis ist gut. Ich glaube, dass wir das in einer entsprechenden Perspektive gut leisten können. Das schließt alle Auslandseinsätze mit ein, insbesondere den Einsatz in Afghanistan. Es stimmt, was hier in etwa gesagt worden ist: Viele beteiligte Partner haben eine eigene Sichtweise auf die Vereinbarungen. Auf dem Gipfel in Riga - es ist richtig, Herr Kollege Stinner, dies steht auf dem Tableau - muss über diese Fragen in aller Deutlichkeit, ganz objektiv und offen diskutiert werden, um wieder zu gemeinsamen Befähigungen bei der Lösung dieser schwierigen Aufgaben zu kommen. Der Herr Minister hat darauf hingewiesen, dass ein wesentliches Dokument das Weißbuch ist. Ich wünsche mir - sicherlich gemeinsam mit Ihnen -, dass wir im Rahmen des Weißbuches über die Notwendigkeiten und die gemeinsamen deutschen Interessen in der Außenund Sicherheitspolitik diskutieren und eine öffentliche Debatte darüber, wie Sie selbst formuliert haben, provozieren und in Gang setzen. Denn wir brauchen sie als Legitimation für unsere eigene Handlungsweise hier im Parlament. ({0}) Persönlich bin ich für die vielen kritischen Beiträge zur Außen- und Sicherheitspolitik sehr dankbar; denn nur dann, wenn es viele kritische Beiträge gibt, werden mögliche Defizite offenkundig. Sie kennen meinen Spruch: Wo alle dasselbe denken, wird zu wenig gedacht. Ich darf also durchaus dazu auffordern - wir sollten uns nicht beschimpfen, wie das hier manchmal passiert -, ({1}) jeden kritischen Beitrag als wichtig und wertvoll anzusehen. ({2}) Zum Abschluss: Ich meine, dass wir mit unserer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Verteidigungspolitik gut aufgestellt sind. Sie ist ein ausgezeichnetes Aushängeschild, ein Markenzeichen und eine tragende Säule für unser gemeinsames Handeln. Unsere Bundeswehr ist ein Vertrauensfaktor in Bezug auf unsere Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit. Zum Schluss darf ich den Angehörigen der Bundeswehr - in Zivil, aber insbesondere auch in Uniform - für ihre Leistungen daheim, an der Heimatfront, und draußen, an den Brennpunkten in der Welt, herzlich danken. ({3}) Wir wissen, was sie leisten. Insofern bitte ich herzlich um Zustimmung zum Verteidigungsetat 2007. Wir sind gemeinsam auf dem richtigen Weg. Herzlichen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14, Bundesministerium der Verteidigung, in der Ausschuss- fassung. Hierzu liegen uns zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt dem Änderungsantrag der FDP auf Drucksache 16/3489 zu? - Wer stimmt dagegen? - Ent- haltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stim- men der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke mit den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt.1) Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3466? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Linke hat dafür gestimmt, die übri- gen Abgeordneten haben dagegen gestimmt. Damit ist auch dieser Änderungsantrag abgelehnt.2) Wer stimmt für den Einzelplan 14 in der Ausschuss- fassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. 1) Anlage 4 2) Anlage 5 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Ich rufe Tagesordnungspunkt I.11 auf: Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - Drucksachen 16/3119, 16/3123 Berichterstattung: Abgeordnete Alexander Bonde Iris Hoffmann ({0}) Michael Leutert Zum Einzelplan 23 liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor, über den wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, für diesen Einzelplan eine Debatte von einer Stunde vorzusehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Hellmut Königshaus von der FDP-Fraktion das Wort. ({1})

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann unmittelbar an das, was wir gerade behandelt haben, anschließen: Afghanistan und den unbestritten erkennbaren Zusammenhang zwischen Sicherheit auf der einen und Entwicklung auf der anderen Seite. Sicherheit und Entwicklung sind zwei Seiten einer Medaille. Gerade in unterentwickelten Ländern - Afghanistan gehört sicher dazu - ist es erforderlich, dass man militärische Interventionen mit zivilen Komponenten begleitet. Heute Morgen, aber auch schon am Volkstrauertag hat die Bundeskanzlerin auf diesen Punkt ausdrücklich hingewiesen. Sie hat dabei angemahnt, dass der deutsche Beitrag, den wir in Afghanistan leisten, nicht auf den militärischen Sektor begrenzt werden darf, sondern gerade auch die entwicklungspolitische Komponente angemessen gewürdigt werden muss. Damit hat sie natürlich völlig Recht, und zwar aus den Gründen, die wir alle kennen. Wir Entwicklungspolitiker wissen das schon lange. Aber, Frau Ministerin, wo findet sich in diesem Haushalt diese Schwerpunktsetzung zugunsten Afghanistans wieder? Sind die Worte der Kanzlerin einfach nur warme Luft? Ich hätte eigentlich erwartet, dass Sie, die Kanzlerin oder jemand anderes sagt: Endlich haben wir begriffen, dass wir in Afghanistan mehr tun müssen; wir stellen den Haushalt um und stecken mehr Geld rein. Das ist aber nicht der Fall. Stattdessen fand ich heute nach meiner Rückkehr eine Presseerklärung von Ihnen, in der es heißt, was wir bisher leisteten, sei schon beträchtlich. Das können Sie so sehen. Sie sehen hier aber einen wirklich mickrigen Aufwuchs der Mittel für Afghanistan vor. Wenn ich die Höhe der Mittel mit denen für andere Nehmerländer vergleiche, erkenne ich: Es ist geradezu beschämend, gerade im Hinblick auf den Anspruch, neben dem militärischen einen entwicklungspolitischen Ansatz zu verfolgen. ({0}) Wer ist das größte Nehmerland? Afghanistan? Pakistan? Nein, immer noch China! Ausgerechnet China, Frau Ministerin, das Land mit den größten Devisenreserven weltweit, ({1}) das selbst jährlich 1,5 Milliarden Euro an Entwicklungshilfe zahlt, das einen generösen Schuldenerlass von 10,5 Milliarden Euro für einzelne Länder, die ihm energiepolitisch dienlich zu sein scheinen oder von denen es das hofft, beabsichtigt, wo die Küstenregionen boomen und wo wir ein Wirtschaftswachstum beobachten können, von dem wir nur träumen können. Das ist doch ein Land, das sich selbst helfen kann. Hier hätten wir mit deutlich verringerten Mitteln herangehen und zugunsten von Afghanistan und anderen Ländern am Hindukusch umschichten können. ({2}) Nichts davon können wir hier feststellen. Wir haben im Ausschuss beantragt, dass hier durch Umschichtung zugunsten Afghanistans um 30 Millionen Euro aufgestockt wird. Das ist kommentarlos von der Mehrheit abgelehnt worden, und zwar quer durch alle die, die hier heute große Reden zur zivilen Dimension in Afghanistan gehalten haben. Sie haben diesen Antrag einfach kommentarlos abgelehnt. ({3}) Ziehen Sie doch endlich die Konsequenz aus dem, was Sie sagen, wenn Sie das alles ernst meinen. Herr Minister, wenn Sie und die Kanzlerin in Riga einen Aufwuchs um knapp 5 Millionen Euro für Afghanistan groß verkünden und denken, das sei dann der große Beitrag und deswegen müssten wir militärisch nicht in die Pflicht gehen, dann werden Sie sich blamieren; das wird nicht funktionieren. Die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin - das ist ganz eindeutig - reicht jedenfalls nicht bis an den Schreibtisch der Entwicklungsministerin, ({4}) die in dieser Richtung ja auch nichts getan hat. Die Kanzlerin hat die Erkenntnis, die Sie uns mitgeteilt hat, sicherlich nicht erst heute Morgen gewonnen. ({5}) Frau Ministerin, Sie sind ja gerade wegen Ihrer Unbeugsamkeit persönlich sehr sympathisch. Aber gerade in diesem Punkt wäre ein bisschen Flexibilität zugunsten der wirklich richtigen Auffassung der Kanzlerin angemessen gewesen. Stattdessen fließen die Mittel wieder unvermindert nach China und in die anderen Schwellenländer; wir haben das schon besprochen. Davon müssen wir weg. Das ist doch keine vernünftige Schwerpunktsetzung, schon gar nicht vor dem Hintergrund dessen, was wir hier heute Morgen gehört haben. Der Haushalt wird wachsen, das ist wohl unvermeidbar; denn Sie werden mit Ihrer fetten Mehrheit natürlich alles, was wir hier beantragen, einfach niederdrücken. Sie können das auch machen. Aber dieses Geld müsste dann wenigstens in die Richtung gelenkt werden, wo es wirklich gebraucht wird, vor allem wenn Sie auch selbst Ansprüche erheben, dass Sie dort Schwerpunkte setzen. Dann tun Sie es doch endlich! Ich weiß, Sie hören das nicht gerne, aber ich will hier dennoch - ich habe das schon oft ausgeführt - auf die großen multilateralen Fonds verweisen. Wir haben zwar auch gestern darüber gesprochen und haben ein bisschen mehr Klarheit geschaffen, haben aber nicht unsere Auffassung zu diesem Thema geändert. Ich will das hier aber nicht weiter vertiefen, weil ich sonst mein Zeitbudget überziehe. Ich will einfach nur darauf hinweisen: Auch dort gibt es noch erhebliches Potenzial zur Umschichtung zugunsten dessen, was ich eben angesprochen habe. Im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hatten wir keine echten Haushaltsberatungen, wenn ich das einmal so sagen darf. Vielmehr wurde einfach kommentarlos alles an Kürzungserwägungen - selbst, wenn sie von den eigenen Haushältern kamen - abgetan. Stattdessen wurde einstimmig und weitestgehend ohne große Diskussion jeder Erhöhungsantrag einfach durchgewinkt. Meine Damen und Herren, das ist nicht das, was wir unter einer wirksamen Haushaltspolitik im Entwicklungsbereich verstehen. Mein Kollege Addicks wird hierzu noch einiges weiter ausführen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich danke Ihnen, Frau Präsidentin, für Ihre Geduld und Ihnen, meine Damen und Herren, für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion spricht die Kollegin Iris Hoffmann.

Iris Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003151, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach Abschluss der Beratungen zum Einzelplan Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gilt zunächst mein Dank allen Beteiligten: der Ministerin, dem Haus, unserem Koalitionspartner, aber auch den Kollegen von der Opposition. Wir haben in der Sache teils hart verhandelt, aber letztlich immer konstruktiv. Alle am Haushalt dieses Bundesministeriums Beteiligten einte das gemeinsame Ziel, die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zu stärken und voranzubringen. Das ist uns in diesem vorliegenden Haushaltsentwurf für 2007 auch wieder gelungen. Mit einer Steigerung von weit über 300 Millionen Euro ist dieser Haushalt einer der am stärksten aufwachsenden Einzelpläne im Bundeshaushalt insgesamt. ({0}) Im Bereich der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit werden insbesondere die Beiträge an internationale Organisationen angehoben. Die Titel, unter denen die Zahlungen an die Weltbank und die Vereinten Nationen, die Beiträge zu den Europäischen Entwicklungsfonds und Hilfen im Rahmen internationaler Vereinbarungen zum weltweiten Umweltschutz gefasst sind, wachsen zum Teil deutlich stärker auf als der Einzelplan insgesamt. Diese zusätzlichen Mittel sind wichtig, damit Deutschland sein erfolgreiches Streben nach mehr Einfluss in den multilateralen Organisationen letztlich auch finanziell unterstreichen kann. Im Titel „Beitrag an die Vereinten Nationen“ wurden der Baransatz und der Ansatz bei den Verpflichtungsermächtigungen maßvoll abgesenkt. Das dient der Gegenfinanzierung von Erhöhungen bei verschiedenen Titeln im bilateralen Bereich. Die verbleibenden Ansätze ermöglichen es der Bundesregierung dennoch, ihre Aktivitäten im Bereich der Vereinten Nationen auszubauen. Der Baransatz steigt gegenüber dem Soll 2006 um rund 16 Prozent, also etwa doppelt so stark wie das Programmkapitel des Einzelplans. Mit der beschlossenen Verpflichtungsermächtigung wird es auch in den kommenden Haushaltsjahren möglich sein, diesen Titel signifikant zu steigern. Weil es eine Herzensangelegenheit von mir ist, möchte ich besonders erwähnen, dass sich der Bund ab dem nächsten Jahr über den Titel „Beitrag an die Vereinten Nationen“ an der Finanzierung der GAVI Alliance beteiligen wird. Die GAVI ist eine PPP-Initiative von Industrie- und Entwicklungsländern, UNICEF, der WHO, der Weltbank, der Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung, von Nichtregierungsorganisationen sowie von Impfstoffherstellern aus Industrie- und Entwicklungsländern. GAVI ist die international größte Allianz zur Kinderimmunisierung. Sie trägt maßgeblich zur Reduzierung der Kindersterblichkeit bei. In den ersten fünf Jahren ihres Bestehens konnten durch GAVI weltweit weit mehr als 100 Millionen Kinder zusätzlich immunisiert und damit vor potenziell tödlichen Krankheiten geschützt werden. Dadurch hat die GAVI-Alliance Schätzungen zufolge allein bis Ende 2005 1,7 Millionen vorzeitige Todesfälle verhindert. Ich unterstütze den nachhaltigen Ansatz der GAVI und begrüße es sehr, dass die Zusage vom Gipfel in Gleneagles umgesetzt wird. Im Bereich der institutionellen bilateralen Entwicklungszusammenarbeit sind die Baransätze für die technische und die finanzielle Zusammenarbeit erhöht worden, was sowohl für die GTZ als auch für die KfWEntwicklungsbank neue Handlungsspielräume eröffnet. Wichtiger als die Steigerung der Baransätze ist jedoch die deutliche Steigerung bei den Verpflichtungsermächtigungen: bei der finanziellen Zusammenarbeit um 30 Prozent und bei der technischen Zusammenarbeit um 25 Prozent. Dadurch wird sichergestellt, dass beide Organisationen auch in den kommenden Jahren mit einem Mittelzuwachs rechnen können und so ihre Arbeit erfolgreich fortsetzen können. Eine weitere wichtige Änderung im Bereich der finanziellen Zusammenarbeit ist die Verdoppelung der Iris Hoffmann ({1}) Plafonds für Treuhandmittel auf rund 50 Millionen Euro. Treuhandmittel werden in der finanziellen Zusammenarbeit speziell für die Finanzierung von Vorhaben privater Träger in den Entwicklungsländern in dem besonders förderungswürdigen Bereich der Mikrofinanzierung eingesetzt. Gerade angesichts der vom Bund ins Leben gerufenen Mikrofinanzierungsinitiative für SubSahara-Afrika war diese Aufstockung der Mittel durchaus sinnvoll. Sie erhöht den Gestaltungsspielraum in diesem Bereich enorm. Bei aller gebotenen Konzentration auf die großen multi- und bilateralen Organisationen dürfen die kleineren Programme und die zivilgesellschaftliche Entwicklungszusammenarbeit nicht vernachlässigt werden. Darum möchte ich Ihren Blick hierauf lenken. ({2}) Ein Schwerpunkt unserer parlamentarischen Beratungen lag darauf, es auch diesen Organisationen zu ermöglichen, angemessen an der positiven Entwicklung dieses Einzelplanes zu partizipieren. Lassen Sie mich einige Beispiele herausgreifen. Neben den politischen Stiftungen und den Kirchen, deren Mittelansätze auch in diesem Haushaltsjahr eine Steigerung erfahren haben, möchte ich noch einmal den Titel „Förderung entwicklungswichtiger Vorhaben privater deutscher Träger“ erwähnen. Hieraus werden basisnahe Projekte vieler ehrenamtlich tätiger Vereine und Nichtregierungsorganisationen gefördert. Diese Projekte wirken in den Partnerländern ganz unmittelbar an der Basis. Sie erreichen vor allem die ärmsten Bevölkerungsgruppen und tragen direkt zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen bei. Ein weiter Schwerpunkt, den wir in diesen Haushaltsberatungen gesetzt haben, ist auf die Verstärkung des Kampfes gegen HIV/Aids gelegt. Dazu gehört auch die Aufstockung des deutschen Beitrages zum Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria um gut 21 Prozent gegenüber dem Vorjahr. ({3}) - Das ist auch gut. Gleichzeitig wurden durch die Zweckbindung eines Teils der zusätzlichen Mittel die bilateralen Programme zur Bekämpfung von Aids und HIV gestärkt. Denn biund multilaterale Programme arbeiten nicht nebeneinander, sondern ergänzen sich. Genau das wollen wir erreichen. Am Beispiel der Arbeit des Globalen Fonds wird das deutlich. Er finanziert bislang hauptsächlich Medikamente und Verhütungsmittel, unterhält jedoch keine Außenstrukturen und Büros und ist daher von den Strukturen in den Partnerländern vor Ort stark abhängig. Genau hier greifen die deutsche finanzielle Zusammenarbeit und die technische Zusammenarbeit ein und unterstützen in verschiedenen Ländern den Aufbau von Umsetzungsstrukturen und -verfahren. So erhalten beispielsweise in Uganda und Sierra Leone Social-Marketing-Organisationen Kondome, die durch Mittel des Global Fonds beschafft werden. Dass diese Kondome aber auch effektiv verbreitet werden können, ist das Verdienst der finanziellen Zusammenarbeit. Sie hat Gutscheinsysteme eingeführt und die Durchführung von Informationskampagnen sowie das begleitende Monitoring finanziert. Erst durch diese Kombination der Maßnahmen und das Zusammenwirken mit der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit kommen sie richtig zum Tragen. Diese Synergien und komparativen Vorteile von bi- und multilateralem Mitteleinsatz bei der Aidsbekämpfung gilt es nun und auch in Zukunft zu stärken. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend hätte ich gerne noch einige grundlegende Ausführungen zu den im Moment diskutierten Umstrukturierungen der Durchführungsorganisationen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gemacht. Meine Redezeit ist jedoch abgelaufen. Ich hoffe, dass dieses Thema in dieser Debatte noch aufgegriffen wird. Ich wünsche mir, dass wir hier Anfang des Jahres gemeinsam eine gute Lösung finden, durch die wir die deutsche Entwicklungszusammenarbeit und insbesondere auch die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit stärken und mit der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit verknüpfen. Vielen Dank.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Die Linke spricht die Kollegin Heike Hänsel. ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Rahmen der Haushaltsdebatte ziehen wir heute auch Bilanz über ein Jahr große Koalition. Wie sieht es da in der Entwicklungspolitik aus? Mein bleibendster Eindruck ist - ich bin neu im Parlament -, dass wir im Entwicklungsausschuss sehr häufig über die Beteiligung an Militäreinsätzen als Beitrag zur Entwicklung abstimmen mussten. Vor ein paar Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. Insofern hat die Enttabuisierung des Militärischen, wie es Gerhard Schröder formuliert hat, wirklich gegriffen. Sie ist vollzogen und wird von der großen Koalition konsequent weiter betrieben. Das neue Zauberwort dabei heißt „zivil-militärische Zusammenarbeit“. Herr Struck hat sich heute Morgen über die Bemerkung von Gregor Gysi empört, deutsche Soldaten seien in Kriegseinsätzen. Er hat gesagt, das sei falsch, die Soldaten seien in Friedensmissionen und würden Aufbauund Entwicklungshilfe leisten. ({0}) Ich muss sagen: Das ist eine recht plumpe Manipulation der öffentlichen Meinung. ({1}) Ich möchte den Satz wiederholen, den ich hier bereits vor einem Jahr gesagt habe: Soldaten sind keine Entwicklungshelfer. ({2}) Das gilt nach wie vor. Was macht zum Beispiel das Kommando Spezialkräfte in Afghanistan? Wir sind nicht darüber informiert, was dort gemacht wird und ob diese Spezialtruppe zurzeit in Afghanistan ist oder nicht, und zwar deswegen, weil sie einen Kampfauftrag hat, weil sie im Kriegseinsatz ist und es zu gefährlich wäre, uns darüber zu informieren. Soldaten sind zuallererst dazu ausgebildet, Menschen zu töten. ({3}) Sie können auch getötet werden. Wer im Bundestag die Hand dafür hebt, Soldaten ins Ausland zu schicken, nimmt dies in Kauf. ({4}) Dies muss man im Zusammenhang mit der Diskussion, ob deutsche Soldaten in den Süden Afghanistans gehen sollen oder nicht, klar sagen. Wer Ja zum Einsatz von Soldaten im Ausland sagt, kann sich nicht vor den Konsequenzen drücken, die das nach sich zieht. Genau deshalb halte ich die Vermischung von Militäreinsätzen mit Aufbau- und Entwicklungshilfe für fatal. Die Soldaten in Afghanistan sind in unseren Augen nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. ({5}) Deshalb fordern wir den sofortigen Abzug der Soldaten aus Afghanistan. ({6}) Das Land gehört noch immer zu einem der ärmsten der Erde. Es wurde berechnet, dass der Westen für diesen Militäreinsatz in den letzten Jahren insgesamt mehr als 82 Milliarden Euro ausgegeben hat, während für die zivile Entwicklung und für den Aufbau des Landes gerade einmal 7 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt wurden. Die zivil-militärische Zusammenarbeit ist eine Illusion; denn das Zivile muss immer auf Kosten des Militärischen zurückstecken. ({7}) Je mehr Geld man in den militärischen Bereich investiert, desto weniger bleibt für die zivile Entwicklung übrig. Das ist eine logische Folgerung. So können die Herzen der Menschen in Afghanistan nicht gewonnen werden, die ohne Strom, Wasser und Gesundheitsversorgung leben und keine Arbeit haben, aber tagtäglich gut ausgerüsteten und rundum versorgten Soldaten begegnen. Deshalb haben wir uns für den Abzug der Soldaten aus Afghanistan eingesetzt. Die dadurch frei werdenden Haushaltsmittel wollen wir umwidmen und sie in den zivilen Aufbau des Landes investieren. ({8}) Das ist die beste Form von Sicherheitspolitik, Herr Königshaus. Unser Antrag geht am weitesten; denn wir streben eine grundsätzlich andere Ausrichtung der deutschen Außenpolitik an. Frau Merkel hat heute Vormittag das Modell der zivilmilitärischen Zusammenarbeit angesprochen. Die Militär-, die Außen-, die Wirtschafts- und die Entwicklungspolitik sollen das zukünftige Standardmodell für Auslandseinsätze darstellen. Auch Herr Steinmeier hat sich in letzter Zeit vermehrt dafür ausgesprochen. Im Grunde ist das aber nichts anderes als eine moderne Form von Militäreinsätzen bzw. eine Art Interventionismus light. Denn es handelt sich nach wie vor um Militäreinsätze, mit denen die deutschen Interessen verfolgt werden sollen. Im Weißbuch, in dem neuen strategischen Konzept der Bundeswehr, ist sogar die Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen bzw. zu Energie insgesamt als vitales Interesse der Bundesrepublik Deutschland definiert. ({9}) Die Entwicklungspolitik verkommt dabei in zunehmendem Maße zum strategischen Anhängsel der Sicherheitspolitik. Wir lehnen solche integrierten Militäreinsätze, die in Zukunft vermehrt im Rahmen der EU stattfinden sollen, ab. Stattdessen setzen wir uns dafür ein, eine aktive zivile Friedenspolitik zu betreiben, die mehr als nur Sicherheitspolitik ist. ({10}) Zu diesem Zweck müssen in unseren Augen auch im Haushalt die richtigen Weichen gestellt werden, sowohl was die Ausweitung des zivilen Friedensdienstes angeht, als auch was die Finanzierung der UN-Organisationen betrifft, die sich um Entwicklung, humanitäre Hilfe und zivilen Aufbau bemühen. Dazu haben wir zahlreiche Anträge gestellt. Insofern muss ich sagen: Es ist für mich politisch nicht nachvollziehbar, warum die im Haushalt 2007 ursprünglich vorgesehene Erhöhung der Beiträge, die an die Vereinten Nationen und an den Global Fund gezahlt werden sollten, von den Haushaltspolitikern zurückgenommen wurde. ({11}) Als ich vor kurzem gemeinsam mit einer Delegation die Vereinten Nationen besucht habe, wurden wir überall gefragt, warum Deutschland im Verhältnis zu seiner Wirtschaftskraft nur so geringe Beiträge an die Vereinten Nationen zahlt. Es gibt zum Beispiel einen neu eingerichteten Nothilfefonds, an dem sich 60 Länder, darunter viele Entwicklungsländer, beteiligen. Deutschland zahlt in diesen Fonds keinen einzigen Cent. Das ist ein Skandal. Meiner Meinung nach wäre es viel besser, wenn Deutschland seine internationale Verantwortung im zivilen Bereich wahrnehmen würde, statt Soldaten in alle Welt zu schicken. Genau das fordern wir auch ein. ({12}) Im Zusammenhang mit der Erhöhung der Mittel des Einzelplans 23 und angesichts der steigenden ODAQuote möchte ich darauf hinweisen - auch das habe ich bereits mehrfach kritisiert -, dass die Entschuldung bei der Berechnung der ODA-Quote nach wie vor angerechnet wird. Das ist nicht zulässig. Die OECD hat berechnet, dass die ODA-Quote deutlich niedriger wäre, wenn die Entschuldung nicht angerechnet würde. Dieses Vorgehen ist nicht legitim. Wir setzen uns dafür ein, dass die Mittel im Verteidigungshaushalt umgeschichtet werden und mehr Geld für die Entwicklungspolitik zur Verfügung gestellt wird. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wir haben dazu viele Vorschläge erarbeitet. Aber es ist nicht legitim, die Entschuldung bei der Berechnung der ODA-Quote anzurechnen. Zum Schluss möchte ich noch kurz auf die auch in den heutigen Debatten mehrfach erwähnte G-8-Präsidentschaft und auf die EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands eingehen. Im Etat des Einzelplans 23 wurden mehr als 4 Milliarden Euro für Konferenzen und Kongresse angesetzt. In meinen Augen wäre es die beste entwicklungs- und friedenspolitische Initiative, dieses Geld für Kongresse zu streichen und es umzuwidmen für die Erreichung der Millenniumsziele, für die Bekämpfung von Armut und Hunger und den Klimaschutz. Den G-8-Gipfel können wir uns sparen. ({13}) Er ist nur die Zusammenkunft der reichen und mächtigen Staaten, die ohne jegliche Legitimation weit reichende Entscheidungen bezüglich Weltwirtschaft und neuer Militäreinsätze treffen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. - Wir brauchen ernsthafte Initiativen für weltweite Abrüstung und einen umfassenden Klimaschutz. Dafür haben wir viele Vorschläge gemacht. Viele Menschen vernetzen sich weltweit in diesem Zusammenhang. Ich sage Ihnen: Viele Menschen werden nächstes Jahr beim G-8-Gipfel dafür auf die Straße gehen. Wir werden dabei sein. Danke. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Jochen Borchert.

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Bundeshaushalt 2007 ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Bundesregierung ihre internationale Verantwortung wahrnimmt und dieser Verantwortung gerecht wird, einer Verantwortung, über die wir im Zusammenhang mit dem vorherigen Einzelplan intensiv diskutiert haben. Mit einer deutlichen Steigerung der Mittel für den Einzelplan 23, den Etat des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, zeigen wir, dass wir die globale Herausforderung ernst nehmen. Herr Kollege Königshaus, Sie haben mich enttäuscht: Sie haben von den FDP-Klassikern nur die Abschaffung der Entwicklungshilfe für China gefordert. Da ist Ihr Kollege Koppelin wesentlich konsequenter: Er fordert in jeder Debatte die Auflösung des BMZ, verbunden mit einer Angliederung an das Auswärtige Amt. ({0}) Ich weiß also nicht, ob es einen ersten Sinneswandel bei der FDP gibt; aber ich würde ihn begrüßen. ({1}) Wir konnten den Etat wechselkursbereinigt um gut 337 Millionen Euro steigern. Das entspricht einem Plus von gut 8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Wir haben bei den parlamentarischen Beratungen den Schwerpunkt auf drei Bereiche gelegt: Erstens haben wir deutlich gemacht, dass wir die Arbeit unserer bilateralen Partner weiter stärken. Zweitens haben wir mit der Erhöhung der Mittel für die Bekämpfung von HIV/Aids um 15 Millionen Euro gegenüber dem Regierungsentwurf deutlich gemacht, dass wir die Ankündigung der Bundesregierung, die Mittel für die Bekämpfung von HIV/Aids zu erhöhen, aktiv unterstützen. Drittens konnten wir die Wirksamkeit der deutschen finanziellen Zusammenarbeit durch etatneutrale Veränderungen im Haushalt deutlich stärken. Auf diese drei Schwerpunkte will ich jetzt eingehen. ({2}) Deutschlands Möglichkeiten in der Entwicklungszusammenarbeit sind ausgesprochen vielseitig. Wir verfügen über effiziente, international anerkannte bilaterale Organisationen der staatlichen EZ. Wir verfügen über eine facettenreiche Landschaft der Nichtregierungsorganisationen, die sich engagiert für die wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung einsetzen. In der parlamentarischen Beratung haben wir zugunsten der bilateralen EZ 40 Millionen Euro umgeschichtet. Damit stärken wir die Arbeit unserer bilateralen Entwicklungsorganisationen. Die Diskussion über eine Stärkung der deutschen bilateralen EZ beschränkt sich aber nicht nur auf die reinen Etatberatungen, sondern die Diskussion umfasst auch die Struktur der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit. Ich begrüße es, dass auch im Koalitionsvertrag ausdrücklich die Verbesserung der Strukturen und eine Steigerung der Effizienz der Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit gefordert werden. Deshalb diskutieren wir zurzeit lebhaft darüber, wie wir unsere beiden Durchführungsorganisationen KfW und GTZ noch besser miteinander verknüpfen können. Der Haushaltsausschuss hat den Bundesrechnungshof beauftragt, Möglichkeiten einer Verbesserung der Zusammenarbeit zu überprüfen, die ein positives KostenNutzen-Verhältnis aufweisen. Denn Effizienz bedeutet auch hier, gewissenhaft zu prüfen, welche Veränderungen tatsächlich eine Verbesserung der Zusammenarbeit bringen. Ich will aber eines betonen: Bei allen Veränderungen ist es erforderlich, dass die komparativen Vorteile und das markante Profil der deutschen EZ nicht verloren gehen. Ich denke, wir tragen die Verantwortung für eine nachhaltige Stärkung der deutschen EZ. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung hat ihr Engagement für die globale Bekämpfung von Aids, Malaria, Tuberkulose und anderen Infektionskrankheiten in den letzten Jahren stetig erhöht. Ich denke, dies ist ein großer persönlicher Erfolg für Sie, Frau Ministerin Wieczorek-Zeul. Die deutsche Entwicklungspolitik ist im Bereich HIV/Aids jetzt bilateral in fast 50 Ländern mit international anerkannten innovativen Ansätzen aktiv. Besonders im Bereich der HIV/ Aids-Bekämpfung hat sich gezeigt - darauf ist meine Kollegin Iris Hoffmann schon eingegangen -, wie wichtig die komplementäre Arbeitsteilung zwischen den bilateralen Entwicklungsorganisationen und den multilateralen Gebern ist. So können die bilateralen Geber in den Partnerländern ohne aufwendige Bürokratie und ohne lange Abstimmungsverfahren schnell und effizient Unterstützung leisten. Der Fonds GFATM verfügt über keine eigene Außenstruktur und ist daher ohne bilaterale Partner häufig nicht in der Lage, die betroffenen Länder beim Aus- und Aufbau der nötigen Umsetzungsstrukturen und -verfahren zu unterstützen. Ich denke, dies verdeutlicht die Notwendigkeit einer komplementären Zusammenarbeit und die Notwendigkeit, sowohl bilaterale als auch multilaterale Unterstützung zu bieten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in einer Pressemitteilung des Aktionsbündnisses gegen Aids wird das Parlament aufgefordert, gegen den Einzelplan 23 zu stimmen, weil die Mittel zur Bekämpfung von HIV/Aids gekürzt worden und die Beiträge an die Vereinten Nationen abgestürzt seien. Ich setze mich gerne mit jedem Einwand auseinander, in dem die Zahlen auch nur einigermaßen stimmen. Die Zahlen, mit denen das Aktionsbündnis gegen Aids argumentiert, haben mit der Haushaltswirklichkeit aber überhaupt nichts zu tun. So wird behauptet, die Baransätze im Titel 687 01 - Beiträge an die Vereinten Nationen - lägen unter den Ansätzen von 2004. Die tatsächlichen Zahlen sind: 2004 wurden im Haushalt dafür 155,2 Millionen Euro eingesetzt. In dem Entwurf für 2007, über den wir jetzt diskutieren, haben wir 199,3 Millionen dafür eingesetzt. Im Vergleich von 2007 zu 2004 bedeutet das eine Steigerung um 44,1 Millionen Euro oder 28 Prozent. ({4}) - In der Presseerklärung werden die Zahlen von 2004 und 2007 miteinander verglichen. Es sind 2007 nun einmal 44,1 Millionen Euro mehr. Wenn Sie die Zahlen geliefert haben, dann sollten Sie sie noch einmal überprüfen. ({5}) Auch die Mittel zur Bekämpfung von HIV/Aids sind nicht gekürzt worden, sondern im Haushalt 2007 werden für den GFATM, den Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria, 15 Millionen Euro mehr als in diesem Jahr eingesetzt. Im Zuge der parlamentarischen Beratung haben wir die Mittel zur Bekämpfung von Aids für die bilateralen Organisationen um 20 Millionen Euro erhöht. Das heißt, im Vergleich zu 2006 werden 2007 im Einzelplan 23 mindestens 35 Millionen Euro mehr zur Bekämpfung von Aids zur Verfügung gestellt. Das ist alles andere als eine Senkung der Mittel. ({6}) - Frau Präsidentin, der Kollege Addicks möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie sie gerne zulassen?

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit großem Vergnügen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Dr. Karl Addicks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003713, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege, abgesehen von den absoluten Zahlen: Könnten Sie uns bitte auch sagen, an welcher Stelle wir im internationalen Kontext mit unseren Beiträgen zum Global Fund stehen?

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich denke, es geht jetzt nicht darum, an welcher Stelle wir stehen; aber ich will zu dem Global Fund gleich noch einige Zahlen nennen, damit dies deutlich wird. Ich habe eben ja nur die Erhöhung von 2006 auf 2007 angesprochen. Wenn Sie sich die Zahlen der vergangenen Jahre ansehen, dann erkennen Sie, dass wir 2003 32,5 Millionen Euro in den Global Fund eingezahlt haben, während wir im nächsten Jahr 87 Millionen Euro einzahlen werden. Ich glaube, es gibt kaum ein anderes Land, das in diesen Jahren eine so imposante Steigerung wie die Bundesrepublik Deutschland aufweist. ({0}) Es wäre schön gewesen, wenn Sie, Herr Addicks, zugehört hätten; denn jetzt stellen Sie das nächste Mal vielleicht wieder diese Frage. Ich beantworte sie dann aber gerne noch einmal. ({1}) Ich denke, wer hier von Kürzungen spricht - vielleicht machen Sie das gleich -, der weiß offensichtlich nicht, wovon er spricht. Die Mittelansätze zur Bekämpfung von HIV/Aids steigen deutlich. So haben wir sichergestellt, dass sowohl die multilaterale Gebergemeinschaft als auch die bilaterale Hilfe mit ausreichenden Finanzmitteln ausgestattet sind, dass die Menschen unmittelbar von dieser Hilfe profitieren und wir ein System aufbauen, das zur Eigenhilfe befähigt. Ich denke, das sollte das Ziel unserer Politik sein. So haben wir sichergestellt, dass unsere Mittel effizient und nachhaltig eingesetzt werden. Neben den Baransätzen haben wir die Effizienzsteigerung auch durch wichtige Änderungen im Bereich der finanziellen Zusammenarbeit erreicht, die wir beschlossen haben. Frau Hoffmann hat bereits darauf hingewiesen, dass wir die Mittel für den Treuhandfonds von 25 Millionen auf 50 Millionen Euro verdoppelt haben. Die Darlehen können flexibler und in größerem Umfang eingesetzt werden. Die Bundesregierung wird durch die Erweiterung des Treuhandfonds auf 50 Millionen Euro in die Lage versetzt, über die KfW ihr Engagement bei Mikrobanken und Mikrofinanzierungsinstituten auszuweiten. Mikrokredite helfen den Menschen vor Ort, sich eine eigene, von Hilfe unabhängige wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Aber nicht nur die Mikrofinanzierung profitiert von der Verdoppelung des Treuhandfonds, sondern auch der Bereich der erneuerbaren Energien. Die Finanzierung von Maßnahmen in diesem Bereich - die so genannten 4-E-Fazilitäten - sind ein entscheidender Erfolgsfaktor, um die Ziele der deutschen Entwicklungszusammenarbeit auch im Hinblick auf den Klimaschutz voranzutreiben. Wir haben gleichzeitig auch die Möglichkeiten für die Ausdehnung der Vergabe zinsverbilligter Darlehen deutlich erhöht. Dadurch können wir eine erhöhte Wirksamkeit der Mittel erreichen. Zum einen stehen mehr Mittel für dieses Instrument zur Verfügung und zum anderen kann ein weiterer Nachfragekreis bedient werden. Bei den Weichenstellungen für die nächsten Haushaltsjahre geht es um eine weitere Stärkung der Entwicklungszusammenarbeit. Dafür haben wir die Verpflichtungsermächtigungen bei der TZ und FZ erhöht. Wir haben aber auch die Stellung der Stiftungen der Kirchen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit mit einer Erhöhung der VE unterstrichen. Ich möchte mich zum Schluss sehr herzlich bei meiner Kollegin Iris Hoffmann für die gute Zusammenarbeit bedanken. Ich denke, wir haben intensiv beraten. Wir haben immer sach- und fachgerechte Lösungen im Sinne der Entwicklungspolitik gefunden. Dafür sage ich herzlichen Dank. Ich bedanke mich aber auch bei den Berichterstattern der anderen Fraktionen für die gute Diskussion und die konstruktive Zusammenarbeit. Dies gilt auch für die Ministerin und ihr Haus, bei denen ich mich ausdrücklich für die gute Zusammenarbeit bei den diesjährigen Haushaltsberatungen bedanke. Ich denke, wir legen heute einen Einzelplan 23 vor, dem man mit voller Überzeugung zustimmen kann. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Jürgen Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Da der Kollege Borchert mich persönlich angesprochen hat, will ich zwei Bemerkungen machen. Erstens geht es um unsere Vorstellungen als FDP hinsichtlich der Auflösung des Ministeriums. Darüber kann man sich durchaus streiten. Ich muss aber immer wieder feststellen - ich bin auch für den Etat des Auswärtigen Amtes zuständig -, dass es erhebliche Reibungsverluste zwischen dem Auswärtigen Amt und dem BMZ gibt. Es gibt immer wieder Probleme in der Planung und insgesamt Probleme in der Zusammenarbeit. Ich finde, dass sich zumindest diese beiden Ministerien zusammentun sollten, um zu überlegen, wie sie diese Reibungsverluste beenden könnten. So kann es nämlich nicht weitergehen. Es gibt seit längerer Zeit immer wieder erhebliche Probleme. Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt hat im Haushaltsausschuss eindeutig und klar dargelegt, wo die Probleme in der Zusammenarbeit liegen und zu welchen Verlusten das gerade für die Politik des Auswärtigen Amtes führt. Zweitens. Was die Zusammenarbeit zwischen KfW und GTZ und die Konzentration der Entwicklungshilfe angeht, ist eines festzustellen, Kollege Borchert - ich finde, das haben Sie in Ihrer Darstellung ein bisschen weichgezeichnet -: Es ist doch sehr merkwürdig, dass man ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen mit einem Gutachten beauftragt, das gleichzeitig Wirtschaftsprüfer sowohl der KfW als auch - das gebe ich zu - der GTZ ist. Wie wäre es denn gewesen, wenn man neutrale Wirtschaftsprüfer beauftragt hätte? So hat man einen Auftrag im Wert von 160 000 Euro vergeben und aus meiner Sicht fast ein Gefälligkeitsgutachten bekommen; denn die Konsequenzen einer Zusammenlegung von GTZ und KfW kommen gar nicht vor. Eine Zusammenlegung würde bedeuten, dass wir zum Beispiel bestimmte Aufträge der GTZ europaweit ausschreiben müssten. Das kann doch nicht in unserem Sinne sein. Wie kommen wir eigentlich dazu, ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen, das sowohl die GTZ als auch die KfW prüft, mit einem solchen Gutachten zu beauftragen, ohne dass übrigens der Aufsichtsrat der GTZ jemals darüber informiert wurde? Bis heute hat der Aufsichtsrat der GTZ nicht über das Gutachten diskutieren dürfen. Der Skandal ist aber, dass die Ministerin in der Presse verkündet, bis Ende Dezember sei der Vorgang abgeschlossen. Deswegen hat meine Fraktion den Antrag gestellt - diesem haben sich viele angeschlossen -, dass erst einmal der Bundesrechnungshof das Gutachten überprüfen soll. Ich glaube, dass der eine oder andere noch staunen wird. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch Folgendes sagen: Wir haben der Ministerin Gott sei Dank einiges an Geld weggenommen, für das sie keine Pläne hatte. Deswegen konnten wir die Mittel an der einen oder anderen Stelle aufstocken. Das ist erfreulich und zeugt von einer wunderbaren Zusammenarbeit. Dafür bedanke ich mich ganz herzlich. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zur Erwiderung hat der Kollege Königshaus das Wort. ({0})

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Koppelin, ich habe erstens mit großem Interesse vernommen, dass Sie nicht mehr die Auflösung des BMZ fordern, sondern verlangen, dass sich die beiden Ministerien zusammensetzen mit dem Ziel, die Reibungsverluste zu verringern. Ausgehend von Ihrer bisherigen Position ist das, finde ich, ein gutes Rückzugsgefecht. ({0}) Zweitens, zu den Anmerkungen über eine bessere Zusammenarbeit von GTZ und KfW. Ich habe keine Veranlassung, daran zu zweifeln, dass die KPMG das Gutachten neutral erstellt hat. Es gibt zwar offene Fragen in dem Gutachten. Aber darüber haben wir bereits intensiv diskutiert. Um die offenen Fragen zu klären, haben wir - wie ich finde: zu Recht - den Bundesrechnungshof beauftragt. Wir werden dann im Ausschuss über dieses Gutachten mit aller Intensität diskutieren. Unser Ziel muss es sein, die Zusammenarbeit zu verbessern und dort, wo es möglich ist, zu Kostenersparnissen aufgrund einer verbesserten Zusammenarbeit zu kommen. Ich bleibe aber bei meiner Aussage, dass dabei die jetzigen Vorteile der durchaus spezialisierten Durchführungsorganisationen, die das spezifische Profil der deutschen Entwicklungspolitik ausmachen, auch in Zukunft erhalten bleiben. Ich sehe mit Interesse den Ergebnissen entgegen, zu denen wir in den Beratungen im Haushaltsausschuss kommen werden. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Borchert, ich entschuldige mich herzlich. Der Herr Kollege Königshaus hat seinem Kollegen so heftig zugenickt, dass sich sein Name in meinem Kopf vorgedrängt hat. ({0}) Ich erteile jetzt das Wort der Kollegin Ute Koczy für Bündnis 90/Die Grünen.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes möchte ich meinem kranken Kollegen Thilo Hoppe gute Besserung wünschen. Er wollte eigentlich hier sprechen. Aber seine Genesung dauert etwas länger. Ich wünsche ihm von hier aus alles Gute und Geduld mit seiner Krankheit. ({0}) Als Zweites möchte ich der Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul nachträglich zu ihrem gestrigen Geburtstag gratulieren. Das darf man sicherlich in einer Haushaltswoche. ({1}) Als Drittes möchte ich auf Ihre Kurzintervention reagieren, Herr Koppelin. Die Qualität der deutschen Entwicklungszusammenarbeit entsteht durch ihr eigenes Profil. Das, was Sie sich wünschen, nämlich weniger Reibungsverluste, würde bedeuten, dass wir ein Qualitätsmerkmal in der deutschen Außenpolitik vermissen würden. Sie verachten damit ein bisschen die Armutsbekämpfung und sehen außerdem die Eigenständigkeit nicht. Sie sind auf einem vollkommen falschen Weg. Deswegen bin ich strikt gegen Ihre Position. Ich halte es für falsch, in diese Richtung zu agieren. Es wäre vielmehr notwendig, andere Wege einzuschlagen. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Koczy, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin zulassen?

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte, wenn es nicht von meiner Redezeit abgeht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte, Herr Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass der frühere Bundesaußenminister Joseph Fischer die gleiche Haltung wie ich vertreten hat, nämlich dass eigentlich das BMZ in das Auswärtige Amt eingegliedert werden sollte?

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Koppelin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich nicht Joschka Fischer bin und dass ich eine andere Auffassung habe? ({0}) Wir verabschieden heute den entwicklungspolitischen Haushalt für das Jahr 2007. Das ist ein spannendes Jahr, ein Jahr, das der Bundesregierung Gestaltungsspielraum wie selten in der internationalen Politik gibt. Mit der EURatspräsidentschaft und dem Vorsitz des G-8-Gipfels hat die Bundesregierung eine große Chance. Sie kann den Rahmen für eine menschliche, soziale und ökologisch verträgliche Globalisierung mitgestalten. Sie kann auch angesichts der Klimakatastrophe in dieser unserer einen Welt den Fuß auf die Bremse setzen. Sie kann sogar, wenn sie denn fit genug und willens wäre, jetzt Führungsqualitäten zeigen und sich an die Spitze der Gipfel stellen. Diese vielleicht ungewohnte Rolle ist Kanzlerin Merkel nicht nur vonseiten der britischen Außenministerin Beckett nahe gelegt worden. Aus entwicklungspolitischer Sicht begrüßen wir die stärkere Hinwendung zu Afrika. Immerhin ist der Bundesregierung gerade noch rechtzeitig aufgegangen, dass man diesen Kontinent nicht ignorieren sollte. China ist uns da mit dem China-Afrika-Gipfel meilenweit voraus. Die deutschen Vorstellungen, was unter der Präsidentschaft laufen soll, sind noch etwas nebulös. Hoffentlich wird das nicht auch noch peinlich, weil sich die afrikanischen Staaten nicht mehr mit einer Appel-und-Ei-Politik abspeisen lassen werden. Liebe Bundesregierung, Sie hatten offenbar vor, zu kleckern, aber Sie werden nicht umhinkommen, in diesem Zusammenhang zu klotzen. Ähnliches gilt für den Haushalt. Die wichtigste Frage, die heute eigentlich diskutiert werden müsste, ist die, wie viel Geld Deutschland in Zukunft analog zu seiner Leistungsfähigkeit tatsächlich in eine globale Entwicklungspartnerschaft einbringen will. Der Haushalt 2007 und das Konzept, das die Bundesregierung für den G-8Vorsitz vorgelegt hat, machen vor allem eines klar: Sie hat keinen Plan. Sie hat keinen Plan, wie der EU-Stufenplan umgesetzt werden soll, sie hat keinen Plan, wie multilaterale Politik gestärkt werden soll, und sie hat keinen Plan, wie neue Finanzierungsinstrumente Umweltschutz und Entwicklung befördern sollen. Verehrte Ministerin Wieczorek-Zeul, mit Plan meine ich nicht, dass man mathematisch aufzeigt, wie sich die Steigerungen ergeben sollen. Mit Plan meine ich, dass man konzeptionell und strategisch aufzeigen muss, wie man im Einzelplan 23 von den jetzigen 4,5 Milliarden Euro auf einen echten Mittelzuwachs kommen will. Die Zahl von 4,9 Milliarden Euro, die in der mittelfristigen Finanzplanung steht, ist nämlich lächerlich. Selbst wenn das Ganze nur einen Teil der ODA-Quote ausmacht, erreichen Sie damit 2015 nie und nimmer die anvisierte ODA-Quote von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens. Eigentlich müsste pro Jahr 1 Milliarde Euro draufgesattelt werden. So sehr wir die Steigerung von 324 Millionen Euro im Haushaltsentwurf 2007 lobend begrüßen, bleiben die Zahlen doch klar hinter den Erfordernissen von 1 Milliarde Euro zurück. Sie können sich auch nicht auf die Schuldenerlasse verlassen. Noch segeln Sie im Wind der Nigeria- und Irakentschuldungen und verlassen sich darauf, dass dadurch die ODA-Zahlen beschönigt werden. Doch das wird 2008 nachlassen. Dann werden Sie feststellen, dass der Effekt verpufft ist und Sie in dieser Flaute auf einmal nicht mehr vom Fleck kommen. Darauf haben gerade auch die Hilfswerke zu Recht in ihrem Bericht „Die Wirklichkeit der Entwicklungszusammenarbeit“ hingewiesen. Also aufgepasst: Das Erreichen von 0,7 Prozent bis 2015 ist bisher nur Ankündigung. Die Frage der Konkretisierung bleibt der Knackpunkt. Die Bundesregierung legt es darauf an, mit einer G-8Agenda zu brechen, die bis Gleneagles sehr stark die Mitverantwortung der reichen Länder für die Bewältigung der Entwicklungsprobleme im Süden betont hat. Daraus sind eine ganze Menge konkreter Entscheidungen entstanden. Statt diese Vorarbeiten zu nutzen und jetzt auch dafür zu werben, lassen Sie die europäischen Nachbarländer, gerade was die innovativen Finanzierungsinstrumente angeht, alleine stehen. Die Bundesregierung hat Angst vor einer Steuerdiskussion, aber anscheinend nur dort, wo „Bild“-Zeitung und Lobbyisten wie die aus der Flugindustrie ihr diese Angst einjagen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann sage ich meinen letzten Satz, Frau Präsidentin. - Ich bin der Meinung: Das ist zu wenig. Sie müssen mehr tun. Das mickrige Ergebnis aus diesem Haushalt, mit dem Sie die EU- und die G-8-Präsidentschaft übernehmen, reicht leider nicht aus. Wir werden Sie daran erinnern, wenn Sie in Geldnöten sind. Ich danke Ihnen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat die Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie können ganz sicher sein, Frau Koczy: Wir werden den ODA-Stufenplan einlösen. Dafür stehe ich politisch und dafür steht die Koalition. Wir haben uns das - so steht es in unserer Koalitionsvereinbarung - vorgenommen und werden es entsprechend umsetzen. ({0}) Lassen Sie mich an der Stelle - Herr Borchert hat es schon angesprochen - in unser aller Namen einem Mann von hier aus unseren herzlichen Dank und unsere Glückwünsche übermitteln: Muhammad Yunus, der zu Recht für sein Engagement für Mikrokredite und für die Grameen-Bank mit dem Friedensnobelpreis belohnt wird. Das ist eine wunderbare Leistung. ({1}) Die Mikrokredite sind aus unserer Sicht seit vielen Jahren ein Instrument gegen Armut; sie dienen aber auch der Prävention vor Krisen und der Friedenssicherung. Gerade weil wir mit Kleinkrediten Armutsbekämpfung und Friedensförderung verbinden, haben wir das Instrument schon seit langem in die politische Arbeit des Entwicklungsministeriums einbezogen. Manchmal ist es gut, wenn man einmal ausrechnet, was Entwicklungszusammenarbeit für Menschen tatsächlich bedeutet. Allein die deutsche Entwicklungszusammenarbeit erreicht mit ihren verschiedensten Mikrofinanzinstrumenten derzeit über 14 Millionen Menschen. Mit deren Familien profitieren davon 50 Millionen Menschen, die dadurch aus der Armut herauskommen. Das ist eine tolle Leistung. Das finde ich wunderbar. ({2}) Das muss verallgemeinert werden. Das muss noch stärker aufgegriffen werden. Wir haben jedenfalls im Haushalt die Mittel dafür deutlich gesteigert. Während einer Reise nach Marokko - einige Kolleginnen und Kollegen waren dabei - habe ich die dortige Unternehmerin des Jahres getroffen. Es handelt sich um eine Frau, die vor ein paar Jahren mithilfe eines Mikrokredits von 150 Euro aus der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ihre Firma gegründet hat. Heute hat sie 20 Beschäftigte und ist Unternehmerin des Jahres in Marokko. Das ein wirklich tolles Ergebnis im Interesse der Menschen, insbesondere der Frauen. Lassen Sie mich als zweiten Punkt auf den Klimaschutz eingehen, den Frau Koczy auch schon angesprochen hat. Ich kann es nur sehr kurz machen. Eines ist klar: Klimaschutz kostet nicht Geld, sondern er spart dauerhaft Geld. Für unser Ministerium steht die Förderung von erneuerbaren Energien und von Energieeffizienz seit Jahren auf der Tagesordnung. Wir werden im Jahr 2007 rund 400 Millionen Euro für diese beiden Bereiche einsetzen. Das sind die großen Renner der Entwicklungszusammenarbeit. Damit eröffnen wir den Entwicklungsländern Chancen für eine Entwicklung weg vom Öl und wir unterstützen sie in der Armutsbekämpfung. Ich möchte gern einen weiteren Punkt ansprechen, der für mich wirklich nur schwer erträglich ist. Der zweitgrößte Emittent von CO2 ist China und deshalb erwähne ich in diesem Kontext auch China. Wir wollen durch Kredite im Rahmen unserer wirtschaftlichen Zusammenarbeit und durch Beratung mit dazu beizutragen, den Energiepfad Chinas zu verändern. Das liegt nicht nur in unserem ureigenen Interesse, sondern im globalen Klimainteresse. Das ist keine Entwicklungshilfe. Das ist eine Investition in eine zukunftsfähige Entwicklung unseres Globus, auch für uns selbst. ({3}) Wer verlangt, dieses Vorgehen zu stoppen, der hat die ganze Argumentation nicht verstanden und wird in diesen Fragen nicht weiterkommen. ({4}) - Das sind die Richtigen: Sie kritisieren vorher, dass es diese Hilfe gibt, und wenn es nachher um bestimmte Exportinteressen geht, dann stehen sie bei mir auf der Matte. Das habe ich wirklich gern. ({5}) Was erneuerbare Energien und mehr Energieeffizienz angeht, ist es richtig, dass deutsche Firmen Riesenchancen haben. Diese Chancen sollten sie nutzen. Das ist auch entwicklungspolitisch vernünftig. Im Übrigen geht es doch auch darum, China in entsprechende Dialoge einzubeziehen. Schließlich wollen wir verhindern, dass China Afrika dauerhaft als einen Kontinent betrachtet, den man neokolonial - nur der Rohstoffsicherung wegen - ausbeutet. Wir wollen dazu beitragen, dass dieser Energiepfad nicht weiter beschritten wird. Zum Schluss möchte ich auf Afghanistan zu sprechen kommen; diese Frage ist mehrfach angesprochen worden. Ich finde, man sollte unsere wirklich guten Leistungen aus parteitaktischen Gründen nicht schlechtreden. Wir haben mein Versprechen eingelöst: Seit 2002 hilft Deutschland Afghanistan jedes Jahr mit 80 Millionen Euro. Das ist der höchste Betrag für ein Entwicklungsland, den wir überhaupt zahlen. Wir haben Hilfen in dieser Höhe bis 2010 zugesagt und dem werden wir auch nachkommen. Wie Sie alle wissen, bin ich immer dafür, dass unsere Mittel erhöht werden. Doch gerade was Afghanistan anbelangt, können deutsche Schultern nicht alles tragen. Der Wiederaufbau Afghanistans ist eine große Gemeinschaftsaufgabe, die die verantwortliche afghanische Regierung und die Gesamtzahl der Geber erfüllen. Wir sind bereits seit Jahren in zehn Provinzen Afghanistans tätig, vorwiegend im Norden. Wir leisten aber auch für den Süden Unterstützung. Mancher, der sich zu Afghanistan äußert, tut dies so, als wenn ein Blinder von Farbe spricht. Wir unterstützen den afghanischen Wiederaufbaufonds mit 20 Millionen Euro. Dadurch werden insbesondere im Süden Leistungen für die Infrastruktur, auch für die soziale Infrastruktur, erbracht. Ich möchte heute ausdrücklich hinzufügen: Wir möchten im gesamten Jahr 2007 zusätzlich in zwei Regionen des Südostens entwicklungsorientierte Nothilfe leisten. Vorgesehen ist die Unterstützung durch lokale Organisationen, die auf den Gebieten Infrastruktur und soziale Grunddienste aktiv sind. In der ganzen bisherigen Debatte hat mir etwas gefehlt, worauf ich jetzt eingehen möchte. Die Entwicklungshelfer in Afghanistan haben kein Gewehr bei sich, um sich verteidigen zu können. Auch sie müssen schwierige Situationen durchmachen. Ihnen will ich danken. Das, was sie leisten, ist keine ungefährliche Arbeit. Wer etwas anderes sagt, der missachtet die Leistungen dieser Entwicklungshelfer. Ich danke ihnen außerordentlich und herzlich. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Dr. Karl Addicks für die FDP-Fraktion.

Dr. Karl Addicks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003713, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, Sie haben gerade gesagt, dass diese Bundesregierung die ODA-Zusagen bis 2015 einhalten wird. Ich kann nur meiner Hoffnung Ausdruck geben, dass diese Regierung 2015 nicht mehr im Amt sein wird. Ich bin mir sicher, dass sie so lange nicht halten wird. ({0}) Im Übrigen bin ich geneigt, hier unsere Haushälter zu loben. Ich danke ihnen dafür, dass sie den Etat ganz beträchtlich aufgestockt haben, auch wenn dieser Haushalt wieder ein Schuldenhaushalt ist; denn zu den bereits vorhandenen Schulden kommen weitere 20 Milliarden Euro hinzu. Immerhin ist die Tendenz bei der Neuverschuldung fallend. Als Entwicklungspolitiker bin ich da immer ein bisschen in der Bredouille. Ich tue mich nämlich schwer, das zu kritisieren, weil wir uns nun tatsächlich der ODAQuote, wenn auch auf Kosten einer höheren Schuldenaufnahme, langsam annähern. Mittlerweile haben wir eine Quote von 0,35 Prozent erreicht; das stellt schon eine deutliche Verbesserung zu früher dar. Schade ist es nur für das Land und unsere Bürger, die letztlich höhere Steuern zahlen müssen, zum Beispiel in Form der von Ihnen beschlossenen Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte. Ich weiß nun wirklich nicht, ob das der richtige Weg ist. Letztlich konnten wir an diesem Haushalt nichts ändern. Im Ausschuss haben Sie alle unsere Änderungsvorschläge großzügig abgeschmettert. Ins Gewissen möchten wir Ihnen an dieser Stelle doch noch einmal reden und fragen, wie diese sauer erwirtschafteten Mittel von Ihnen verwendet werden, also an wen und wofür wie viel gegeben wird. Das ist ja eine unserer Aufgaben. Einige meiner Fragen wurden schon angesprochen. Ich komme zunächst einmal auf China zu sprechen, Frau Ministerin. Dass wir China aus dem Entwicklungsetat Kredite geben, stellt für mich dann kein Problem dar, wenn diese Kredite zurückzuzahlen sind. ({1}) Auf diese Weise können wir nämlich Einfluss darauf nehmen, was in China gemacht wird. Entwicklungshilfe an China kommt für mich aber überhaupt nicht infrage, wenn die Chinesen mit unserem Geld ihre Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika finanzieren. Einen solchen Luxus können wir uns angesichts unseres Schuldenberges nicht mehr leisten. Machen Sie also Schluss damit. ({2}) Auch die Zusammenarbeit mit anderen Schwellenländern sollten wir in diesem Rahmen noch einmal überprüfen. Auf ein anderes Land möchte ich zu sprechen kommen, nämlich Angola. Angola hat zwar hohe Einnahmen aus Ölverkäufen, kann aber nicht als Schwellenland bezeichnet werden. So hoffe ich, dass Angola auf der Länderliste bleibt. Wir haben ja bei unserer Delegationsreise gesehen, was dort zu tun ist und welche Chancen die Entwicklungszusammenarbeit für dieses Land bietet. Im Zusammenhang mit der Frage, wofür wir unsere Entwicklungsgelder verwenden, fällt mir im Rahmen der finanziellen Zusammenarbeit die Budgethilfe ein. In 2006 wurden dafür bisher 280 Millionen zugesagt, mit steigender Tendenz. Wir stehen einer finanziellen Zusammenarbeit in Form der Budgethilfe sehr skeptisch gegenüber. Für einige handverlesene Länder geht das in Ordnung; ich denke an Ruanda und Marokko. Bei diesen Ländern haben wir auf unserer Reise den Eindruck gewonnen, dass dort wirklich solide gewirtschaftet wird. Bevor wir unser Geld aber anderen Ländern in dieser Weise anvertrauen, sollten wir uns diese ganz genau anschauen. Frau Ministerin, Sie haben auch die Mikrokredite erwähnt. Ich kann Ihnen nur beipflichten: Diese Art der Entwicklungszusammenarbeit können wir uneingeschränkt unterstützen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie müssen jetzt zum Schluss kommen, Herr Kollege.

Dr. Karl Addicks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003713, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Im Übrigen merke ich, dass drei Minuten doch schneller vergehen, als man denkt. ({0}) Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen einen schönen Abend. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sibylle Pfeiffer spricht für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sibylle Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Koczy, wenn ich mich recht erinnere - obwohl ich das gerne verdrängen würde -, waren die Grünen sieben Jahre in der Regierungsverantwortung. ({0}) - Was bedauerlich genug war, genau. ({1}) Während dieser sieben Jahre wurde jedes Jahr aufs Neue angekündigt, dass die Ansätze im Einzelplan 23 erhöht würden. Jedes Jahr stellten wir bei der Haushaltsdebatte fest, dass nichts passiert ist. Deshalb wundert es mich schon ein bisschen, wie Sie hier auftreten. Wir sind jedenfalls ungeheuer stolz darauf, dass uns das dieses Jahr gelungen ist. Wir sind vor allem auch deshalb stolz darauf, Frau Ministerin, weil wir eine gute Bundeskanzlerin haben, die genau das unterstützt hat. ({2}) Als Vorletzte ist es immer ganz schwierig, in einer solchen Debatte zu reden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Koczy zulassen?

Sibylle Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dabei habe ich jetzt gerade so gut angefangen.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kollegin Pfeiffer, liebe Sibylle, nur eine kleine Erinnerung, zur Kenntnisnahme oder auch zum Merken. Mein Kollege Hoppe war derjenige, der daran gearbeitet hat, dass unter Rot-Grün das 0,7-Prozent-Ziel als politisches Ziel verankert wird. Ist Ihnen das bekannt? ({0})

Sibylle Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe eben schon gesagt: Ziele formulieren ist das eine; mit einer guten Bundeskanzlerin Unterstützung für deren Umsetzung zu haben, ist das andere. ({0}) Wir haben hier eine Debatte, in der wir uns im Grunde ziemlich einig sind. Wir wissen um die Schwachpunkte, die Probleme, wir wissen, was wir eigentlich wollen, wo wir hinwollten, wenn wir könnten, mit wie viel Geld wir ausgestattet werden wollen, wir wissen um Hunger und Armut und Ähnliches. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss Sie alle einmal fragen: Haben Sie in Ihrem Wahlkreis schon einmal ausschließlich mit dem Thema wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Wahlkampf gemacht? Das haben Sie natürlich alle nicht; denn dann hätten Sie Ihren Wahlkreis, so Sie ihn gewonnen haben, mit Sicherheit nicht gewonnen. ({1}) - Dass wir Wahlkreise haben, die wirtschaftliche Entwicklungshilfe brauchen, ist uns klar, lieber Kollege Staffelt. - In diesem Zusammenhang haben wir Entwicklungspolitiker doch wirklich ein Problem. Warum ist das eigentlich so? Warum gelingt es uns nicht, den Bürgern zu vermitteln, dass es in ihrem ureigenen Interesse ist, dass wir wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung betreiben? Ich versuche den Bürgern in meinem Wahlkreis immer zu erklären, dass wir die Friedens- und Sicherheitspolitiker sind. Frieden und Sicherheit sind allgemeine Begriffe. Sie umfassen die Gefahrenprävention und die Gefahrenabwehr, aber auch die Herstellung von Frieden und Sicherheit. Das bezieht sich im Übrigen nicht nur auf die Entwicklungsländer, sondern auch auf Deutschland. Natürlich fallen darunter auch - liebe Kollegin Hänsel, hören Sie mir gut zu - die friedenssichernden Missionen der Bundeswehr, die mit ihrem Einsatz in den Krisenregionen weltweit einen unschätzbaren Dienst auch zur nachhaltigen Entwicklung und damit zu unserer Sicherheit leistet. ({2}) Denn ohne Frieden, liebe Kollegin Hänsel, haben wir keine Sicherheit und ohne Sicherheit haben wir keine Entwicklung. Das ist ganz normal. Wenn Sie hier mit Ihren propagandistischen Reden, mit Ihren Ideen von anno dunnemal kommen, mit Formulierungen, die wir in den 70er-Jahren vom Spartakus gehört haben, dann kommen wir nicht weit. ({3}) Ich will Ihnen noch etwas sagen: Ich bin heilfroh, dass Sie nicht in der Regierungsverantwortung sind und zum Glück auch nie hineinkommen. ({4}) Wenn ich den Bürgern vor Ort das Thema Sicherheit und Frieden als unsere ureigene Politik nahe gebracht habe, dann versuche ich, ihnen zu erläutern, dass auch der Terrorismus unser Thema ist, weil dieser zum Beispiel auf dem Nährboden der Armut wächst. Armut ist menschliches Leid. Da müssen wir helfen, und zwar durch Hilfe zur Selbsthilfe, damit sich die Menschen dort, wo sie sind, ernähren können, damit sie dort bleiben können, wo ihre Familien sind, und nicht in die Migration müssen. Uns allen sind die Schiffe aus Afrika auf den Kanaren bestens bekannt. Ich erläutere den Bürgern, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen den Themen Umwelt, Klima, Rohstoffökonomie, Bildung und Ausbildung - im Übrigen vor allem für Mädchen und Frauen -, Desertifikation, Wasserknappheit, Gesundheit und hier besonders HIV/Aids gibt. Ich sage jedem Bürger, dass ich fest davon überzeugt bin, dass Prävention immer besser ist als Reparaturarbeiten - besser, günstiger und letztendlich auch einfacher. Wir müssen mit den Steuergeldern unserer Bürger sorgfältig umgehen. Auch das ist unsere Verantwortung. Wenn ich den Bürgern diese Zusammenhänge klar mache, ernte ich immer ein verständnisvolles Kopfnicken, weil es ein jeder versteht. Danach herrscht ein Moment Ruhe. Aber was passiert dann? Die betreffenden Bürger sagen mir, dass sie zehn Euro Praxisgebühr zahlen müssen. Dann bin selbst ich fast am Ende. ({5}) Aber ich bin natürlich noch nicht ganz am Ende. ({6}) Da meine Redezeit schon fast vorbei ist, möchte ich nur noch eine kurze Bemerkung machen. Ich bedaure sehr, dass wir diese Debatte nicht dann führen können - das Gegenteil hätte mich gefreut -, wenn das Fernsehen noch zugeschaltet ist. Heute debattieren wir wieder unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ich will mich nicht über die Medien beschweren. Denn wir haben das Thema Entwicklungspolitik schon des Öfteren in den Medien gehabt. Wir bekommen von dieser Seite auch Unterstützung. Nichtsdestotrotz müssen wir daran arbeiten, dieses wichtige Politikfeld auch in der Zukunft in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Es liegt im Interesse unseres Landes und unserer Bürger, dass Deutschland an der Entwicklung in den Entwicklungsländern beteiligt ist. Es ist unsere Verantwortung, dafür zu sorgen, dass es den Menschen vor Ort gut geht. Dann haben auch wir etwas davon. Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zum Abschluss der Debatte hat der Kollege Sascha Raabe für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir verabschieden in diesem Jahr schon den zweiten Haushalt. Es ist für die Opposition daher schwer, die Tatsache kommentieren zu müssen, dass ein Etat innerhalb eines Jahres zweimal um über 300 Millionen Euro - das sind zweimal 8 Prozent - aufwächst. Daran Kritik zu üben, ist wirklich schwierig. Ich denke, das hat man heute gemerkt. Es wurde heute zwar viel geredet, aber weniger über den Haushalt selbst. Dass wir es geschafft haben, mehr Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen, muss eigentlich auch von der Opposition anerkannt werden. ({0}) Es kann auch nicht angehen, dass man versucht, den Einsatz der Mittel, die aufgrund der Steigerung der ODAQuote zur Verfügung stehen und die zum Beispiel für die Entschuldung aufgewendet werden, zu kritisieren. Letztendlich ist es so, dass die Länder mehr Spielräume für Bildung und Gesundheit haben, wenn sie entschuldet sind. In Tansania und Uganda gehen mittlerweile doppelt so viele Kinder zur Schule wie früher. Es ist also richtig, dass wir die Mittel so einsetzen, dass sie eine positive Wirkung entfalten können. Die Probleme auf dieser Welt sind nicht allein durch Geld zu lösen. Dies ist heute schon mehrfach gesagt worden. Deshalb möchte ich während meiner verbleibenden Redezeit - ich habe unserem Geburtstagskind statt Blumen zwei Minuten meiner Redezeit geschenkt noch zwei Punkte ansprechen, die noch nicht erwähnt wurden. Geld ist der eine Punkt. Aber wir brauchen zum Beispiel auch Bedingungen innerhalb der Weltwirtschaft, mit denen die Entwicklungsländer in die Lage versetzt werden, aufgrund einer besseren Infrastruktur und besserer Bildungsmöglichkeiten produktiv zu sein und am fairen Welthandel teilzunehmen. Ich glaube, um das zu erreichen, brauchen wir bei der Doha-Runde der WTO, die gerade gestoppt wurde, einen neuen Anlauf. Es muss auch in den Verhandlungen mit den afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten noch einen großen Schub geben. Es reicht eben nicht aus, den Fischern nur ein Netz zur Verfügung zu stellen. Sie müssen auch die Möglichkeit haben, ihren Fisch zu fairen Preisen zu verkaufen. Es freut mich, dass auf der Konferenz „Globalisierung fair gestalten“, an der auch der Bundesarbeitsminister und die Bundeskanzlerin teilgenommen haben, das Thema der fairen und sozial gerechten Gestaltung der Globalisierung angesprochen wird. Die Kanzlerin hat heute das gesagt, was wir als SPD-Fraktion schon in den Bundestag eingebracht haben, nämlich dass auch Kernarbeitsnormen und Sozialstandards im Welthandelssystem auf WTO-Ebene verankert werden müssen. Denn wir wollen allen Menschen eine faire Teilhabe am wirtschaftlichen Aufschwung ermöglichen. ({1}) - Jawohl. - In diesem Sinne geht es auch in den kommenden Jahren nicht nur darum, die Mittel zur Erfüllung der ODA-Quote zu steigern - da sind wir mit großen Schritten vorangekommen -, sondern auch darum, im wirtschaftlichen Bereich die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Ein letzter Satz zu den Attacken auf unsere Auslandseinsätze. Denken Sie an den Einsatz im Kongo, zu dem die Linkspartei gesagt hat: Dort dürfen keine deutschen Soldaten eingesetzt werden. Nach der vor kurzem getroffenen Wahlentscheidung gab es auch gestern wieder eine kritische Situation vor dem Gerichtsgebäude. Auch dank deutscher UN-Soldaten vor Ort wurde erreicht, die Situation zu befrieden. Das sind Beispiele dafür, dass das Zusammenspiel funktioniert. Wir helfen im Kongo auf zivile Weise mit Entwicklungspolitik. Sie sollten unsere Soldaten nicht in der Weise diffamieren, dass Sie sagen, sie seien nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Im Kongo sind in den letzten Jahrzehnten 3,5 Millionen Menschen gemeuchelt worden. Es gab nur eine UN-Friedenstruppe mit Soldaten aus Entwicklungsländern, zum Beispiel aus Bangladesch. Sie lassen dort seit Jahren ihr Leben. Dass Sie, Frau Hänsel, sagen, wir sollten uns an einem solchen Einsatz nicht beteiligen, ist schäbig. ({2}) Das sollten Sie einmal Herrn Gysi ausrichten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen, sondern sagen: Wir wollen Menschen helfen und präventiv tätig sein. Wir können nicht tatenlos zusehen, wie Menschen abgeschlachtet und gemeuchelt werden. Deswegen gilt unser Dank den Entwicklungshelfern, die sich in Krisenregionen engagieren, und ebenso unseren Soldaten. Wir sollten alle zusammen auch in Zukunft für Frieden, Sicherheit und Entwicklung sorgen. Das alles gehört zusammen. Man darf dies nicht gegeneinander ausspielen; das eine bedingt das andere. In diesem Sinne bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit und dafür, dass ich nun doch fast fünf Minuten reden durfte. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nachdem Sie so großartig ein Geschenk angekündigt haben, sage ich Ihnen: Bei uns hieß das geschenkt ist geschenkt, wieder holen ist gestohlen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 23 mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesordnung. Die nächste Sitzung berufe ich für morgen, den 23. November 2006, 9 Uhr, ein. Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonnenen Einsichten. Die Sitzung ist geschlossen.