Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich.
Wir setzen die Haushaltsdebatte - Tagesordnungs-
punkt I - fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2007 ({0})
- Drucksachen 16/2300, 16/2302 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2006 bis 2010
- Drucksachen 16/2301, 16/2302, 16/3126 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider ({2})
Anja Hajduk
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.8 auf:
Einzelplan 04
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
- Drucksachen 16/3104, 16/3123 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Petra Merkel ({3})
Roland Claus
Anna Lührmann
Zu diesem Einzelplan liegen zwei Änderungsanträge
der Fraktion Die Linke vor.
Ich mache schon jetzt darauf aufmerksam, dass wir
über den Einzelplan später namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache vier Stunden vorgesehen. - Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion.
({4})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute ist
die Bundeskanzlerin auf den Tag genau ein Jahr im Amt.
({0})
- Die CDU war selten so anspruchslos wie heute.
({1})
Frau Merkel, die FDP hat Ihnen damals zu Ihrer Wahl
gratuliert und viel Erfolg gewünscht.
({2})
Die Gratulation zum Ende des ersten Regierungsjahres fällt leider zurückhaltender aus. Wenn ich Ihrer Regierung heute noch einmal viel Erfolg wünsche, dann
deshalb, weil die Bürger in Deutschland eine gute Politik
verdient haben, von guter Politik bisher aber kaum etwas
erkennbar ist.
({3})
Nach den Aussagen Ihres Regierungssprechers plant
die Koalition keine Feierlichkeiten zum Ende des ersten
Jahres Schwarz-Rot. Dafür gibt es auch keinen Grund.
({4})
Redetext
Die Deutschen müssen sich von schwarz-roter Politik
behandelt fühlen wie der Martini bei James Bond: geschüttelt, nicht gerührt.
({5})
- Sie, meine Damen und Herren von der Union, sind
nicht in der Kulturszene.
({6})
Als Erfolg verkauft die Regierung an erster Stelle den
wirtschaftlichen Aufschwung. Wir haben tatsächlich
eine positive wirtschaftliche Entwicklung. Über den
Aufschwung und die besseren Konjunkturzahlen freuen
wir uns. Der Boom der Weltwirtschaft ist jetzt auf die
deutsche Wirtschaft übergesprungen. Der Aufschwung
gehört zum Konjunkturzyklus, dem regelmäßigen Auf
und Ab des Wirtschaftsgeschehens. Aber der Aufschwung ist weitgehend kein Erfolg dieser Regierung.
Frau Merkel, ich sage gleich zu Beginn meiner Rede,
weil ich davon ausgehe, dass Sie unmittelbar auf meine
Ausführungen antworten werden:
({7})
Diesen Erfolg dürfen sich die Unternehmen in Deutschland, der Mittelstand, die Arbeitnehmer auf die Fahnen
schreiben. Sie haben unser Land wieder wettbewerbsfähig und fit für die Weltmärkte gemacht.
({8})
Auch moderate Lohnabschlüsse haben dazu beigetragen.
Hier gilt es, den Tarifvertragsparteien Dank zu sagen,
auch den Gewerkschaften.
Hinzu kommen der Einmaleffekt der Weltmeisterschaft und die vorgezogenen Käufe aufgrund der Mehrwertsteuererhöhung. Die Weltmeisterschaft hat einen
Viertelprozentpunkt Wachstum bewirkt.
({9})
Der Wachstumsbeitrag durch die Vorzieheffekte ist nur
geliehen. Durch die vorgezogenen Käufe haben Sie in
diesem Jahr tatsächlich einen Beitrag zum Wachstum geleistet. Die Menschen wissen, dass im nächsten Jahr die
Steuern kräftig erhöht werden, und kaufen deshalb vieles
schon in diesem Jahr. Das bewirkt für dieses Jahr einen
einmaligen Wachstumseffekt, einen der wenigen, die
von dieser Regierung geleistet wurden.
({10})
Die Bundesregierung ist weder Vater noch Mutter des
Wirtschaftsaufschwungs. Er kommt vom Exportboom,
Klinsmann-Effekt und Jahrhundertsommer.
({11})
Sie können ja mit der FIFA darüber verhandeln, ob wir
vielleicht jedes Jahr eine Weltmeisterschaft in Deutschland durchführen können, um das Wirtschaftswachstum
zu verstetigen.
({12})
Der Aufschwung verdeckt, was in der bisherigen Regierungszeit von Schwarz-Rot nicht gut gelaufen ist.
({13})
Alles andere als gerührt sind die Bürger zum Beispiel
von Ihrer Neuauflage des rot-grünen Antidiskriminierungsgesetzes. Damit haben Sie ein Bürokratieaufbauprogramm auf den Weg gebracht.
({14})
Zum Gesetz haben Sie, Frau Merkel, im Mai gesagt:
„Ich vertrete das aus vollem Herzen.“ Das ist bemerkenswert. Menschen zu schützen, die es schwerer haben,
ist ehrenwert. Das wollen auch wir. Aber dieses Gesetz
schadet denen, die es schwerer haben, weil sie erst gar
nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Das
ist die Folge Ihres Vorgehens.
({15})
Vor der Wahl hat die Union gesagt, man solle die EURichtlinie maximal eins zu eins umsetzen. Das haben Sie
- wie so vieles - nach der Wahl vergessen. Ein bürokratisches Monstrum schützt niemanden. Es schreckt viele
ab. Das Gesetz ist gerade einmal seit drei Monaten in
Kraft und schon Arbeitsbeschaffungsprogramm für Findige und Anwälte. Auf die Gerichte rollt eine Klagewelle zu.
Beim Bürokratieabbau haben Sie die kleinste Lösung
gefunden. Sie haben den Normenkontrollrat geschaffen, aber das Ganze so geregelt, dass er nicht für alle Gesetze zuständig ist. Das, was Schwarz-Rot über das Parlament auf den Weg bringt, muss gar nicht durch den
Normenkontrollrat.
Zu Ihrem Konzept „Mehr Freiheit wagen“: Sie wollen
den Haushalt nachhaltig sanieren,
({16})
das Steuersystem vereinfachen und die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfähig machen. Auf diesem Gebiet
ist bisher so gut wie nichts geschehen. Herr Kampeter,
schämen Sie sich! Sie sind viel zu schlau, um das nicht
zu wissen.
({17})
Was haben Sie gemacht? Sie haben die größte Steuererhöhung aller Zeiten auf den Weg gebracht. Die Unternehmensteuerreform ist nicht der große Wurf. Dabei
wird nichts vereinfacht. Wir befinden uns in einer tollen
Situation: Sie machen die Gesetze so kompliziert, dass
man jetzt sogar für eine Auskunft vom Finanzamt Geld
zahlen muss. Das ist schon eine bemerkenswerte Entwicklung.
Gestern hat der Finanzminister an seine SPD-Fraktion
geradezu appelliert, die Unternehmensteuerreform über
die Rampe bringen zu helfen. Die SPD hat ja beschlossen, dass es nicht zu nachhaltigen steuerlichen Entlastungen kommen soll. Aber was soll eine Steuerreform
bringen, wenn sie die Unternehmen und die Bürgerinnen
und Bürger nicht entlastet?
Wir nehmen den Menschen zu viel weg. Das muss
sich ändern. Bei diesem Freiheitsthema geht es im Kern
um folgende Frage: In welchem Umfang können wir
selbst über die Verwendung des Geldes entscheiden, das
wir uns hart erarbeitet haben, und in welchem Umfang
entscheiden andere an unserer Stelle, weil sie uns für zu
doof halten, eigenverantwortlich mit unserem Geld umzugehen?
({18})
Zu den Themen Föderalismusreform und Reform
der Finanzverfassung kann man nur sagen: Das Kernproblem wurde nicht gelöst.
Allerdings freue ich mich über die Liberalisierung des
Ladenschlusses. Dafür haben wir lange kämpfen müssen. Nur in Bayern klappt es nicht. Herr Stoiber, der
Schutzpatron aller Leichtmatrosen, hat die Zeit verschlafen. Als im Bayerischen Landtag über dieses Thema abgestimmt wurde, hat „Wackel-Ede“ die Flucht angetreten, sodass es bei der Abstimmung zu einem Patt kam.
Daher findet in Bayern keine Liberalisierung des Ladenschlusses statt. Dort dauert ja alles ein bisschen länger.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wovon träumen Sie nachts?
Aber bald sind in Bayern Landtagswahlen. Dann wird
die Freiheit auch dort mehr Raum bekommen.
({19})
Gesundheitsreform: vermurkst. Pflegeversicherung:
Fehlanzeige. Auch der Sachverständigenrat hat Ihnen,
nachdem er seine wissenschaftliche Arbeit abgeschlossen hatte, ins Stammbuch geschrieben, dass Sie Ihre
Chancen vertan haben. Die Bilanz des ersten Jahres
Schwarz-Rot lautet: Sie haben Ihre Chancen, angesichts
der günstigen Entwicklung der Weltwirtschaft Wachstumspolitik für Deutschland zu betreiben, nicht genutzt.
Sie müssen sich leider sagen lassen: Das ist fatal.
Alles in allem muss man feststellen: Das erste Regierungsjahr Ihrer Koalition ist weitgehend ein verlorenes
Jahr. Frau Kanzlerin, befreien Sie Ihre Regierung vom
Mehltau der unteren Mittelmäßigkeit! No Excellence,
Lady Chancellor.
({20})
Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin Frau
Dr. Angela Merkel.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor genau
zwölf Monaten hat die Bundesregierung ihre Arbeit für
Deutschland aufgenommen.
({0})
In diesen zwölf Monaten sind wichtige Weichenstellungen erfolgt: von der Rente mit 67 bis zum Elterngeld,
von der Erarbeitung der Eckpunkte der Unternehmensbesteuerung bis zur Einsetzung des Normenkontrollrats
und von der Föderalismusreform bis zum Islamgipfel.
Wir haben eine historische Entscheidung zum Einsatz
der Bundeswehr im Nahen Osten getroffen. Im Sommer
dieses Jahres haben wir in Deutschland eine wunderbare
Fußballweltmeisterschaft erlebt, durch die sich das Bild,
das die Menschen außerhalb Deutschlands von Deutschland haben, zum Positiven gewandelt hat.
({1})
Zwölf Monate sind für die Politik, den Regierungsbetrieb und die Medien eine lange Zeit. Um ein Land auf
die Zukunft vorzubereiten, sind zwölf Monate aber eine
sehr kurze Zeit. Deshalb gilt der Wählerauftrag von vor
einem Jahr unverändert: Es geht für unser Land darum,
neue Arbeitsplätze zu schaffen. Es geht darum, bessere
Bildung zu ermöglichen. Es geht darum, dass wir unsere
Zukunftschancen nicht verbrauchen; wir müssen lernen,
weniger Schulden und bald gar keine Schulden mehr zu
machen. Es geht darum, das Fundament unseres Wohlstands, die soziale Marktwirtschaft, so zu erneuern, dass
wir unseren Wohlstand angesichts der Herausforderungen der Globalisierung halten und weiterentwickeln können.
An diesem Wählerauftrag haben wir uns von Anfang
an orientiert. Wir haben eine nüchterne Analyse vorgenommen und uns entschieden, entlang des Dreiklangs
von Sanieren, Reformieren und Investieren zu arbeiten.
Dieser Dreiklang hat sich als richtig erwiesen.
({2})
Wir wussten, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern
in diesem Land etwas zumuten müssen. Es ist verständlich, dass manche unserer Maßnahmen nicht auf sofortige Zustimmung stoßen. Aber wir sind uns einig, dass
man, wenn man verantwortungsvolle Politik macht, einen Weg gehen muss, der Schwierigkeiten überwindet,
statt einen, der ihnen ausweicht. Entscheidend ist, wie
wir die Frage beantworten können: Steht Deutschland
heute besser da als vor einem Jahr - Ja oder Nein?
Die Fakten besagen Folgendes: Die Wirtschaft wächst
so stark wie seit dem Jahr 2000 nicht mehr. Nach einem
halben Jahrzehnt ständig steigender Arbeitslosigkeit haben wir in diesem Jahr eine halbe Million Menschen weniger, die auf die Suche nach einem Arbeitsplatz gehen
muss. Seit sechs Jahren werden erstmals wieder sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen, mehr
als 250 000. Weil Wirtschaft und Arbeitsmarkt sich erholen, steigen die Steuereinnahmen. Wir haben deshalb beschlossen und beschließen können, die Neuverschuldung
weiter zu senken, auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Ich finde, das sind gute Daten und darüber können wir uns freuen.
({3})
Dies alles zeigt: Richtige Politik wirkt. Das gilt im
Übrigen nicht nur für das letzte Jahr, sondern das gilt immer dann, wenn Schwierigkeiten überwunden und Reformen angepackt werden.
Die Erfolge zeigen ein Zweites: Wenn man überzeugt
ist, dass ein Weg unter den gegebenen Umständen der
bestmögliche ist, muss man ihn auch durchhalten. Ich erinnere mich an manche Kassandrarufe von vor einem
Jahr, was die politischen Maßnahmen, die wir in der
Koalitionsvereinbarung formuliert haben, alles bewirken werden. Jetzt gerät mancher Rufer ins Stottern. Der
Sachverständigenrat schreibt in seinem Herbstgutachten,
insgesamt starte die deutsche Volkswirtschaft mit einer
guten Ausgangslage sowie bemerkenswertem Schwung
in das neue Jahr. Er schätzt das Wachstum für 2007 auf
knapp unter 2 Prozent. Auch aus den Wirtschaftsverbänden heißt es, es seien keinerlei Anzeichen erkennbar, die
eine fühlbare Abschwächung des Wachstums erwarten
ließen, auch nicht durch die Mehrwertsteuererhöhung;
so der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages Braun am 17. November. Ähnlich sieht es
der Zentralverband des Deutschen Handwerks.
Die Bundesregierung ist bei ihrer Prognose bewusst
vorsichtiger als zum Beispiel der Sachverständigenrat.
Aber es kann nun wirklich nicht bestritten werden, dass
sich unser Land nach Jahren der Stagnation endlich wieder im Aufschwung befindet. Das ist eine gute Nachricht
für die Bürgerinnen und Bürger.
({4})
Doch die Jahresbilanz weist auch darauf hin, dass es
noch sehr viel zu tun gibt. Deshalb werden wir die
Hände nicht in den Schoß legen. Der Sanierungskurs
hat erst dann sein Ziel erreicht, wenn wir es schaffen,
den Haushalt eines Tages wieder ausgeglichen zu gestalten. Viele Arbeitsplätze in Deutschland sind weiterhin
von Verlagerung bedroht. BenQ ist leider nur ein Beispiel; für andere gilt Ähnliches. Die Arbeitsplätze in
Deutschland müssen langfristig wieder sicherer werden.
Und mit 4 Millionen Arbeitslosen können wir uns natürlich nicht zufrieden geben. Die Unternehmen müssen
spüren, dass sich Neueinstellungen lohnen; sie müssen
noch mehr Mut fassen. Ich möchte an dieser Stelle ein
herzliches Dankeschön an den Mittelstand in Deutschland richten. Er ist der Jobmotor in diesem Jahr gewesen.
Deshalb ist es wichtig, dass wir gerade den Mittelstand
stärken.
({5})
Der Aufschwung darf nicht bloß eine kurze Erholungsphase werden, sondern er muss nachhaltig gemacht
werden. Dass das eine gewaltige Aufgabe ist, die die Politik nicht alleine schafft, müssen wir immer wieder
deutlich machen. Es ist deshalb wichtig, dass wir darüber sprechen, welche Werte, welche Maßstäbe, welche
Leitbilder uns lenken und welche Prinzipien wir haben,
nach denen wir arbeiten und bei deren Umsetzung wir
die Menschen im Lande mitnehmen können. Ich habe
vor einem Jahr in meiner Regierungserklärung diese
Prinzipien genannt. Ich habe gesagt, es beginnt damit,
dass die Politik nachhaltiger und verlässlicher wird. Ich
habe gesagt, wir wollen die Leistung der Menschen
besser anerkennen. Wir brauchen mehr Herz und Einsatz
für die wirklich Schwachen in unserer Gesellschaft. Wir
wollen ein starker Partner in der Welt werden, verlässlich in unseren Bündnissen und mit einer wertebezogenen Außen- und Europapolitik. Um all das zu erreichen,
müssen wir vor allem eines: mehr Freiheit wagen.
({6})
Meine Damen und Herren, schauen wir uns die Dinge
doch einmal ganz nüchtern an: mehr Freiheit für mehr
Lebenschancen, mehr Freiheit, damit sich Leistung besser lohnt. Genau aus diesem Grunde haben wir die Sanierung des Bundeshaushalts in Angriff genommen. Zukünftige Generationen brauchen wieder mehr Spielraum.
In diesem Zusammenhang haben wir natürlich auch
Maßnahmen getroffen, die nicht ganz einfach waren.
In diesem Hause wird darüber geredet, was man noch
alles hätte sparen können. Die Vorschläge, die sowieso
unseriös sind, lege ich einmal beiseite und ich weise darauf hin, dass wir bei den Bundesbeamten, die für den
Staat arbeiten, 1 Milliarde Euro einsparen. Sie haben
eine 41-Stunden-Woche und ihr Weihnachtsgeld wurde
gekürzt. Wir schicken die Soldaten zu schwierigen Einsätzen ins Ausland und müssen sie gleichzeitig um Verständnis dafür bitten, dass das notwendig ist, weil auch
das ein Beitrag für ihre Zukunft ist. Das ist nicht ganz
einfach und man muss einfach auch einmal würdigen,
dass die Menschen das mittragen. Dafür kann man keine
Begeisterung erwarten. Sie tun ihren Dienst trotzdem
und das ist viel.
({7})
In diesem Jahr halten wir den europäischen Stabilitätspakt wieder ein. Ich erinnere mich noch an unsere
ersten Gespräche mit der Europäischen Kommission und
daran, mit welch sorgenvollem Gesicht man auf
Deutschland geschaut hat. Heute ist Deutschland wieder
ein Land, das für die Europäische Kommission dafür
steht, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt in diesem
Jahr und auch in den nächsten Jahren eingehalten werden kann. Das ist ein Riesenerfolg.
({8})
Mit dem, was wir erreicht haben, geben wir uns nicht
zufrieden. Wir haben den Sachverständigenrat gebeten
zu untersuchen, welche noch wirksameren Schuldenbremsen es für Bund und Länder gibt, damit wir weitermachen und uns unter Druck setzen können, um die
Ziele ausgeglichene Haushalte und weniger Verschuldung zu erreichen. Dies wird auch bei der zweiten Stufe
der Föderalismusreform eine gewichtige Rolle spielen.
Meine Damen und Herren, mehr Freiheit wagen heißt
natürlich auch, den Menschen Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu geben; denn wir alle wissen: Arbeit schafft
Selbstvertrauen und soziale Kontakte. Es geht also um
Freiheit für ein selbstbestimmtes Leben.
Wir werden die Lohnzusatzkosten senken.
({9})
- Wir werden die Lohnzusatzkosten senken. Selbst dann,
wenn Sie die 0,9 Prozent, die der Arbeitnehmer beim
Krankenkassenbeitrag bezahlt, mitrechnen, bedeutet das
immer noch eine Reduzierung von 42 Prozent auf ungefähr 40,6 Prozent. Wer das nicht als Senkung erfassen
kann, der ist in diesem Hause vielleicht falsch. Es geht
runter.
({10})
Mit dem Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 4,2 Prozent haben wir den niedrigsten Stand seit 20 Jahren erreicht. Das ist auch ein Erfolg der Bundesagentur für Arbeit. Dass dieser Erfolg eingetreten ist, liegt aber wiederum auch an einer politischen Maßnahme, die von der
vergangenen Regierung durchgesetzt und von der CDU/
CSU-Opposition unterstützt wurde. Nun können wir uns
doch freuen, dass das besser läuft und dass die Menschen durch die Bundesagentur gleichzeitig auch noch
bessere Ansprechpartner haben.
({11})
Wir haben gesagt, wir wollen zukunftsfähige Arbeitsplätze schaffen. Das kann die Politik nicht alleine. Mit
unserem Investitionsprogramm im Umfang von 25 Milliarden Euro haben wir aber die Weichen in die richtige
Richtung gestellt. Dass wir als Bund unseren Beitrag
dazu leisten, dass in Zukunft 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden können, und dass wir die Gründerfonds geschaffen und die Exzellenzinitiative durchgesetzt haben,
sind ganz wesentliche Beiträge. All dies deutet darauf
hin, dass wir nicht wollen, dass die besten Köpfe aus
diesem Lande abwandern, sondern dass sie hier eine
Chance haben, weil wir hochwertige Arbeit in diesem
Lande wollen und brauchen.
({12})
Mehr Freiheit heißt für mich auch, dass die Unternehmen Zukunft haben. Wir haben im Kabinett die Eckpunkte für eine Unternehmensteuerreform und die
Erbschaftsteuerreform verabschiedet. Für den Mittelstand haben wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen geschnürt: Die Eigenkapitalbildung wird begünstigt und er
wird durch weniger Bürokratie dauerhaft entlastet.
({13})
- Wir sorgen für weniger Bürokratie: Wir haben ein Mittelstandsentlastungsgesetz und das Infrastrukturbeschleunigungsgesetz beschlossen. Damit haben wir dem
Mittelstand Anreize geliefert. Wir haben gleichzeitig die
degressive Abschreibung verbessert und wir haben Steuererleichterungen geschaffen.
Wer gestern Abend beim 65. Geburtstag des Präsidenten des Zentralverbands des Deutschen Handwerks war,
der weiß, dass es bei den Menschen draußen ankommt,
egal wie viel hier kritisiert wird. Darüber kann man sich
freuen.
({14})
Wir werden im nächsten Jahr weitermachen und durch
den Normenkontrollrat das Gesetzeswerk auf den Prüfstand stellen, was Kontroll- und Statistikpflichten anbelangt, und in einem Jahr um die gleiche Zeit über die Ergebnisse berichten können.
Mehr Freiheit - das heißt auch starke Regionen in
Deutschland.
({15})
Deshalb war die Föderalismusreform ein wichtiger
Schritt. Diese Regierung hat jetzt zweimal die Kommunen in Deutschland durch die Überweisung von Kosten
für die Unterkunft in einem Maße unterstützt, über das
man aus Bundessicht auch sagen könnte, wenn es etwas
weniger gewesen wäre, wäre es nicht schlimm, damit sie
ihre Aufgaben - zum Beispiel Kinderbetreuung auch für
unter Dreijährige - erfüllen können.
({16})
Dies ist ein Beitrag dazu, dass wir uns zum Subsidiaritätsprinzip bekennen, dass wir sagen: Die kleinen
Einheiten sind wichtig da, wo nahe am Menschen entschieden wird. Das ist unser Bild von dieser Gesellschaft
und deshalb geht es den Kommunen mit dieser Bundesregierung gut.
({17})
Sie müssen nur mal die Oberbürgermeister fragen.
({18})
Wenn sie zusammen sind, dann loben sie nie. Wenn Sie
sie aber alleine treffen, dann machen sie einen sehr zufriedenen Eindruck. Das alles ist die Wahrheit.
Wir haben auch etwas für diejenigen gemacht, die die
freiheitliche Lebensentfaltung brauchen, nämlich für die
Familien, in denen Werte vermittelt werden. Ich glaube,
dass wir die Tatsache des Elterngeldes gar nicht hoch genug einschätzen können. Das ist ein Wechsel. Ob es ein
Paradigmenwechsel oder ein qualitativer Wechsel ist, sei
dahingestellt. Es ist ein Wechsel, weil wir die Entscheidung für Kinder in unserer Gesellschaft anerkennen. Ich
halte dieses Elterngeld für einen wichtigen Schritt.
({19})
Ich habe im vergangenen Jahr gesagt: Wir müssen
Leistung anerkennen und mehr Freiheit wagen, damit
wir auch den Schwachen in unserer Gesellschaft besser
helfen können. Deshalb haben wir natürlich in diesem
Jahr eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, mit denen
wir gerade denjenigen zu helfen versuchen, die in unse6514
rer Gesellschaft Schwierigkeiten haben. Das hat dazu
geführt, dass wir Arbeitsmarktinstrumente überprüft haben - ganz im Sinne von Fordern und Fördern - und
auch weiter über Anreize nachdenken, wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen; das ist unser Hauptziel.
Deshalb reden wir auch über Kombilöhne und Hinzuverdienstmöglichkeiten und werden die notwendigen Entscheidungen am Beginn des nächsten Jahres fällen.
Wir haben die Regelsätze zwischen Ost und West angeglichen - ein Beitrag, der für die neuen Bundesländer
sehr wichtig war - und wir haben im Sinne von Fordern
und Fördern gesagt: Derjenige, der dreimal ein Arbeitsangebot ablehnt, der hat auch das Anrecht verspielt,
von anderen, die für ihre Löhne hart arbeiten, unterhalten zu werden und Transferzahlungen zu bekommen.
Aber diejenigen - das ist mir wichtig -, die keine
Möglichkeit haben, Arbeit aufzunehmen, haben es verdient, dass sie weiter entsprechende Fördermaßnahmen
bekommen. Wir müssen zwischen denen unterscheiden,
die Dinge zu Unrecht in Anspruch nehmen, und denen,
die keine Chance haben. Diejenigen, die keine Chance
haben, müssen weniger werden in unserer Gesellschaft.
Das ist wichtig.
({20})
Wir haben in der Bildungsfrage - weil der Bund hier
Kompetenzen hat - ({21})
- Frau Künast, ich erinnere an die Diskussion über
Art. 91 b. Wir diskutieren gerade über den Hochschulpakt, falls Ihnen das entgangen sein sollte. Das ist ein
Beitrag des Bundes zu Bildungsfragen.
({22})
Wir haben einen Pakt für Ausbildung mit der Wirtschaft geschlossen, damit wir uns um Berufsausbildung
kümmern können.
({23})
Wir haben die Kinderbetreuungsfragen bei den Kosten
der Unterkunft mit behandelt. Wir kümmern uns im Rahmen dessen, was in der Kompetenz des Bundes liegt,
ganz bewusst um diejenigen, die mehr Bildung brauchen.
({24})
Auch die Berufsausbildung ist Bildung. An dieser Stelle
tun wir eine ganze Menge.
({25})
Ich sage aber auch in allem Ernst: Wir stehen immer
wieder vor extrem schwierigen Situationen. Der Amoklauf in Emsdetten, der „Fall Kevin“ und der „Fall Stephanie“ haben uns alle zutiefst bekümmert. Wir alle hier
im Hause wissen, dass es keine einfachen Lösungen gibt.
Aber es gibt einen Schutzauftrag und ein Wächteramt
der staatlichen Gemeinschaft. Deshalb sollten wir die
Frage, wie wir solche Fälle verhindern, nicht zu einer
parteipolitischen Frage machen, sondern uns wirklich
redlich mühen, Eltern in ihrer Erziehungskraft zu stärken, den jeweiligen Jugendeinrichtungen die Möglichkeit zu geben, ein Maximum an Hilfe zu leisten, und
eine Gesellschaft aufzubauen, in der Zivilcourage
herrscht und man nicht sagt: Sobald die Wohnungstür
zugeht, geht mich das nichts mehr an. - All das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Daran werden wir noch
lange zu arbeiten haben.
({26})
Wir müssen durch unsere Politik deutlich machen: Es
gibt null Toleranz gegenüber Intoleranz. Ich sage das im
Hinblick auf den Linksextremismus und insbesondere
im Hinblick auf die gravierend angestiegene Zahl
rechtsextremistischer Straftaten. An dieser Stelle müssen wir sehr deutlich machen, dass die demokratischen
Kräfte in diesem Lande vereint dagegen stehen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Extremisten das Bild unseres
Landes bestimmen. Hier gehen wir entschieden vor. Das
haben wir deutlich gemacht, indem wir Mittel für entsprechende Maßnahmen in den Haushalt eingestellt haben.
({27})
Natürlich müssen wir die Kriminalitätsbekämpfung
und insbesondere die Terrorismusbekämpfung ständig
weiterentwickeln. In diesem Jahr sind dazu wichtige
Schritte ermöglicht worden. Ich erinnere nur an die Antiterrordatei, die aus meiner Sicht ein ganz wesentlicher
Punkt ist.
Wir haben uns außerdem - das ist aus meiner Sicht
ein Meilenstein in der Arbeit der Regierung - dem
Thema Integration zugewandt. Wir sind ein Land mit
einer scharfen demografischen Veränderung. Wir sind
ein Land, in dem wir seit Jahrzehnten zulassen, dass diejenigen, die seit Generationen bei uns leben, nicht die
gleichen Chancen haben. Es ist an der Zeit, dass wir den
jungen Menschen, die aus Elternhäusern mit Migrationshintergrund kommen, die gleichen Möglichkeiten eröffnen. Das beginnt damit, dass man der deutschen Sprache
mächtig ist. Ansonsten haben Kinder in diesem Lande
keine Chance. Ich bin froh, dass die Diskussion darüber
nicht mehr auf parteipolitischer Ebene geführt wird. Wir
wollen miteinander erreichen, dass auch die jungen
Menschen mit Migrationshintergrund in diesem Lande
eine Chance haben und sich gut entwickeln. Wenn wir
sehen, wie viele keinen Schul- oder Berufsabschluss haben, dann darf uns das nicht ruhen lassen. Deshalb ist
der Integrationsgipfel eine solch wichtige Maßnahme.
({28})
Jeder kann einmal in eine Situation kommen, in der er
auf unsere sozialen Sicherungssysteme angewiesen ist.
Deshalb haben wir die Rente auf eine zukunftsfähige
Grundlage gestellt und das Programm „50 plus“ zur Verbesserung der Chancen älterer Menschen auf dem Arbeitsmarkt aufgelegt. Der Bundesarbeitsminister hat dies
sehr bewusst getan; denn wir wissen, dass wir das Renteneintrittsalter erhöhen müssen, um jungen Menschen
eine Chance zu geben, und gleichzeitig die über 50-Jährigen außerordentlich schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Aber das darf so nicht bleiben. Damit
darf sich die Politik nicht abfinden. Deshalb ist die Maßnahme „50 plus“ genau richtig, um älteren Menschen
wieder eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu geben.
({29})
Wir haben eine Gesundheitsreform auf den Weg gebracht.
({30})
- Das habe ich mir schon gedacht. Wissen Sie, Gesundheitsreformen waren in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland selten von einem großen Lobgesang begleitet. Im Übrigen werden Gesundheitsreformen - das
gilt für diese ganz besonders - meist von denen kommentiert, die Leistungen erbringen, und nur selten von den
Versicherten selbst. Ich sage Ihnen ganz ausdrücklich:
Diese Gesundheitsreform ist eine Reform für die Versicherten und nicht für diejenigen, die die Leistungen erbringen. Deshalb setzen wir uns auch in erster Linie mit
den Versicherten auseinander.
({31})
Wenn man einen Einblick bekommen will, an welchen Stellen in dieser Republik eine Veränderungsunwilligkeit besteht und an welchen Stellen man an Besitzständen hängt - auch wenn ich nicht alle über einen
Kamm scheren will -, muss man Gespräche mit den
Fachleuten aus dem Gesundheitsbereich führen. Wir
wollen, dass es in Deutschland nicht eine Zweiklassenmedizin gibt, sondern ein Gesundheitssystem für alle
Menschen.
({32})
Es geht um die Versicherten bei dieser Reform. Deshalb
musste die Gesundheitsreform verwirklicht werden.
({33})
Wir werden im nächsten Jahr die Reform der Pflegeversicherung in Angriff nehmen; denn wir wissen, dass
die Pflegeversicherung genauso reformbedürftig ist wie
das Gesundheitswesen. Wir haben aber immer gesagt:
Eines folgt auf das andere.
Wir haben in diesem Jahr eine Vielzahl von nationalen Projekten in Angriff genommen. Jeder, der sich anschaut, was auf den Weg gebracht wurde, wird sehen,
dass wir dieses Land entschlossen verändern und reformieren und die Bedingungen für die Zukunft nachhaltig
verbessern. Allerdings erleben wir täglich, dass es an
vielen Stellen nicht mehr ausreicht, im nationalen Rahmen Entscheidungen zum Wohl unseres Landes zu treffen, sondern dass wir dafür Partner brauchen. Deshalb
habe ich schon im vorigen Jahr in meiner Regierungserklärung gesagt, dass wir wieder ein starker Partner in
Europa und in der Welt werden wollen und können.
Deutsche Außen- und Europapolitik gründet sich auf
Werte. Sie ist Interessenpolitik. Eine Politik in deutschem Interesse setzt auf Bündnisse und Kooperationen
mit unseren Partnern.
Wir haben in diesem Jahr für innenpolitische Vorhaben eine Koalitionsvereinbarung getroffen, die ein Programm vorgibt, das man abarbeiten kann. In der Außenpolitik aber sind wir von Ereignissen überrascht worden,
die wir nicht voraussehen konnten. An dieser Stelle
möchte ich ein ganz herzliches Dankeschön sagen. Bei
all den Maßnahmen, die getroffen werden mussten, obwohl sie nicht in der Koalitionsvereinbarung standen,
und bei all den Ereignissen, die uns vor vollkommen
neue Herausforderungen gestellt haben, hat es eine vertrauensvolle und intensive Zusammenarbeit innerhalb
der Bundesregierung und mit dem Parlament gegeben.
Dafür ein ganz herzliches Dankeschön.
({34})
Abzusehen war, dass Europa eine finanzielle Vorausschau braucht. Das haben wir in der Europäischen Union
geschafft. Dadurch ist die Europäische Union ein Stück
handlungsfähiger geworden. Es war abzusehen, dass wir
uns mit dem Nuklearprogramm des Iran befassen müssen. Wir können heute noch nicht sagen, dass dieses Problem gelöst ist. Der Bundesaußenminister und andere
müssen weiter daran arbeiten. Es gab darüber hinaus die
unerwartete Geiselnahme von zwei sächsischen jungen
Männern und wir waren außerordentlich erleichtert, als
wir feststellen konnten, dass sie wieder frei waren und
nach Hause konnten. Und schließlich haben wir uns für
zwei Einsätze entschieden, im Kongo und im Libanon,
die nicht vorauszusehen waren. Ich möchte an dieser
Stelle zu dem schrecklichen Mord an Herrn Gemayel im
Libanon sagen - ich glaube, für Sie alle -: Wir verurteilen diesen Mord. Wir wollen, dass es einen selbstständigen Libanon gibt. Gewalt muss mit aller Kraft unterbunden werden. Dieses war ein feiger Mord, den die
Weltgemeinschaft insgesamt verurteilen muss.
({35})
Lassen Sie mich stellvertretend für die internationalen
Herausforderungen ein Thema nennen, das in den letzten
Tagen sehr intensiv diskutiert worden ist - angesichts
der Vorbereitung auf den NATO-Gipfel in Riga ist dies
nicht unverständlich -, nämlich die Situation in Afghanistan. Wir haben als Bundesregierung ein sehr realistisches Konzept für Afghanistan aufgestellt. Die Bundesregierung hat sich auch in den vergangenen Jahren der
Entwicklung Afghanistans in hohem Maße verpflichtet
gefühlt. Ich erinnere an den Petersbergprozess, an die
Wahlen in Afghanistan und an vieles andere mehr. Nach
unserem - ebenfalls sehr realistischen - Bericht über die
Lage in Afghanistan mussten wir feststellen, dass wir
mehr Zeit für die Entwicklung Afghanistans brauchen,
als wir es uns gedacht und gewünscht hätten. Ich sage
aber auch: Wir wollen und wir müssen diese Mission in
Afghanistan mit unseren Verbündeten zusammen zum
Erfolg führen. Wir brauchen mehr Zeit, aber es gibt
überhaupt keinen Grund, an dieser Stelle zu verzagen.
Die Frage ist nur: Was brauchen wir? - Wichtig ist,
dass wir einen Ansatz haben, der Sicherheit und Wieder6516
aufbau klug und durchdacht miteinander verbindet. Es
kann keine rein militärische Lösung geben, aber ohne
ein militärisch gesichertes Umfeld kann es auch keinen
Aufbau in Afghanistan geben.
({36})
Deshalb ist Afghanistan eine politische Aufgabe und das
werde ich auf dem NATO-Gipfel auch deutlich machen:
Hier kann man keine separaten Diskussionen führen. Es
ist eine politische Aufgabe, eine militärische Aufgabe,
eine Aufgabe der inneren Sicherheit und eine Aufgabe
für unsere Entwicklungspolitik.
Die Bundesregierung hat sehr früh in einem ganz
neuen Ansatz die Gemeinsamkeit der betroffenen Ressorts gesehen. Es gibt eine ganz regelmäßige Zusammenarbeit zwischen dem Entwicklungshilfeministerium, dem
Innenministerium, dem Verteidigungsministerium und
dem Außenministerium. Dieser Ansatz muss weiterentwickelt und zu einem Standardansatz bei all unseren Aktivitäten werden. Sie können heute nicht mehr zwischen
den einzelnen Ressorts unterscheiden. Ich bin sehr froh,
dass wir das am Beispiel Afghanistan auch praktizieren.
({37})
Wir werben für diesen Ansatz - wie ich glaube, erfolgreich. Der auf der Londoner Konferenz zu Afghanistan beschlossene so genannte „Afghan Compact“ von
London folgt ebendiesem Ansatz, dass einzelne Nationen für einzelne Aufgaben zuständig sind, Deutschland
zum Beispiel für den Aufbau der Polizei in Afghanistan.
Diese Aufgabe als Leitnation nehmen wir sehr ernst. Wir
haben bislang dort 17 000 Polizisten ausgebildet und
sind militärisch mit circa 2 900 Soldatinnen und Soldaten über Jahre hinweg einer der größten Truppensteller.
Meine Damen und Herren, wir wissen, dass wir unsere Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit noch
besser aufeinander abstimmen müssen, auch zwischen
den einzelnen Partnern. Wir müssen die Nachbarn des
Landes noch stärker in die Verantwortung nehmen. Wir
müssen gemeinsam mit den Partnern und Verbündeten
natürlich das Nötige tun, um die Sicherheitslage zu verbessern. Es ist richtig: Afghanistan ist der Lackmustest
für die Handlungsfähigkeit der NATO. In Riga wird es
deshalb darum gehen, das Zusammenwirken ziviler und
militärischer Elemente und die Zusammenarbeit zwischen der NATO, den Vereinten Nationen und der EU
sowie mit den Nichtregierungsorganisationen zu verbessern.
Meine Damen und Herren, die Bundeswehr erfüllt im
Rahmen der ISAF-Mission im Norden des Landes eine
wichtige und gefährliche Aufgabe. Wir wollen den Erfolg dieser Mission im Norden auf gar keinen Fall infrage stellen. Deshalb sehe ich niemanden, der ernsthaft
die relative Stabilität, die wir im Norden erreicht haben,
aufs Spiel setzen möchte.
({38})
Immerhin leben in diesem Gebiet circa 40 Prozent der
afghanischen Bevölkerung. Die Bundeswehr wird dort
auch weiterhin im Rahmen ihres Mandats Verantwortung tragen. Ich sehe aber kein über dieses Mandat hinausgehendes militärisches Engagement. Auch das will
ich hier ganz deutlich sagen.
({39})
Deshalb gilt für mich für den NATO-Gipfel in Riga:
Das Thema Afghanistan ist zu wichtig, als dass wir es zu
einer militärischen Nord-Süd-Debatte verkümmern lassen dürfen. In Afghanistan wollen wir als NATO und als
Weltgemeinschaft erfolgreich sein. Wir in Deutschland
wissen, dass man dafür kämpfen muss, auch militärisch.
Aber, meine Damen und Herren, man muss auch kämpfen um die Herzen der Menschen in Afghanistan. Beides
gehört für mich zusammen und so werden wir diese Mission verstehen.
({40})
Lassen Sie mich an dieser Stelle auch ein ganz herzliches Dankeschön an unsere Soldatinnen und Soldaten
und an ihre Familien sagen. Sie tun unter schwierigsten
Bedingungen ihren Dienst, nicht nur in Afghanistan. Sie
haben unsere Unterstützung verdient!
({41})
Wir haben beim Thema Sicherheit in diesem Jahr sehr
viel über die militärische Sicherung ziviler Prozesse gesprochen. Sicherheit wird in der Zukunft aber auch - das
hat dieses Jahr genauso gezeigt - mit Energiepolitik und
Energiesicherheit zu tun haben. Die Europäische Union
hat darüber eingehend diskutiert. Energiepolitik ist inzwischen zum Teil Energieaußenpolitik: Die Partner fragen, ob man sich aufeinander verlassen kann.
Zwei große Herausforderungen werden uns in den
nächsten Jahren intensiv beschäftigen:
Das eine ist die Frage, wie nicht nur wir, sondern die
Welt mit bezahlbarer Energie ausreichend versorgt werden können. Angesichts des Bevölkerungswachstums
- die Weltbevölkerung wird in den nächsten Jahrzehnten
auf 9 Milliarden Menschen anwachsen -, angesichts der
extrem hohen Wachstumsraten vieler Länder, wie China
und Indien, angesichts der Tatsache, dass wir den Menschen auf anderen Kontinenten nicht ernsthaft sagen
können, dass wir ihre Entwicklung hin zum Wohlstand
nicht wollen, wird uns dieses Thema beschäftigen.
Die zweite große Herausforderung - sie hängt mit der
Energieversorgung unmittelbar zusammen - ist die Veränderung unseres Klimas. Ich glaube, viele haben die
Dimension dieser Herausforderung noch nicht in vollem
Umfang verstanden. Die Erwärmung heute liegt bei etwa
0,6 Grad. Wir wissen, dass eine Erwärmung über 2 Grad
hinaus nicht stattfinden darf. Viele Prozesse sind allerdings schon unumkehrbar und auch in Deutschland ist
die Klimaveränderung spürbar. Nun können Sie sagen:
Ob die Eiche in der Uckermark eine Zukunft hat, ist
nicht so wichtig. - In Portugal und Spanien aber stellt
sich das Ganze schon anders dar, man schaue sich die
Wüstenbildung an, und in Afrika wird eine weitere Versteppung Grund für Bürgerkriege und Migration sein.
Europa und auch Deutschland werden hier eine ganz
besondere Verantwortung haben. Wir sind uns in der
Bundesregierung einig, dass wir Deutschlands langfristige Energieversorgung unter die Lupe nehmen müssen:
Wir müssen hier planen und Szenarien erstellen. Wir
müssen vor allen Dingen zeigen - ansonsten werden wir
auf der Welt keine Chance haben -, dass es uns gelingt,
wirtschaftliches Wachstum von den Emissionen von
Treibhausgasen zu entkoppeln.
Ein Stück weit haben wir das schon geschafft; aber
wir müssen noch mehr tun. Unser Programm zur energetischen Gebäudesanierung ist nicht nur ein Programm
zur Belebung der Bauwirtschaft, sondern auch ein Programm zur Sicherung der Zukunft. Ein Hochtechnologiestandort wie Deutschland sollte sich mit dem Thema
Energieeffizienz ganz stark identifizieren, um eines Tages sagen zu können: Hier haben wir einen Beitrag für
andere geleistet und gleichzeitig einen Exportschlager
geschaffen.
({42})
Wir haben in der Europäischen Kommission dafür gesorgt - dafür bin ich dem Bundesumweltminister dankbar -, dass es Fonds zur Investitionsförderung für effiziente und erneuerbare Energietechnologien gibt. Durch
diesen Fonds können auch in Entwicklungsländern Beiträge geleistet werden. Ich glaube, dass uns die Entwicklung von CO2-freien, erneuerbaren, aber auch anderen
Energien in den nächsten Jahren sehr beschäftigen sollte.
Heute kommen 19 Prozent aller Umwelttechnologien
aus Deutschland. Es können ruhig noch mehr werden.
An dieser Stelle können wir zulegen. Ich halte dies für
einen wichtigen Punkt.
Meine Damen und Herren, in meiner Regierungserklärung vor einem Jahr habe ich gesagt: „Verlässlichkeit
soll das Markenzeichen dieser Regierung sein.“ Verlässliche Politik ist sicherlich sehr schwierig, weil wir viele
Entwicklungen nicht voraussehen können; aber wir müssen uns schon an dem messen lassen, was wir uns vorgenommen haben. Verlässlichkeit bedeutet für mich, dass
man nicht alles einfach auf eigene Faust macht, sondern
dass man die Menschen für diese Politik gewinnt. Da haben wir noch ein Stück Arbeit vor uns; das will ich ganz
klar sagen.
Aber ich möchte auch denen danken, die in diesem
Jahr unsere Verbündeten waren. Wir haben einen Energiedialog begonnen, in den sich viele Teilnehmer engagiert einbringen. Wir haben eine Allianz für Familien gegründet, bei der die gesellschaftlichen Verbände intensiv
mitmachen. Wir haben eine Initiative „Erfahrung ist Zukunft“ zur Behandlung von Fragen des demografischen
Wandels auf den Weg gebracht. Daran beteiligen sich die
Wirtschaft und die Wohlfahrtsverbände intensiv. Ich
habe dafür Dank zu sagen, dass die Arbeit dieser Bundesregierung aus den gesellschaftlichen Bereichen unterstützt wird; denn wir können das, was zu tun ist, allein
nicht schaffen.
Ich weiß, dass manche immer noch nach dem einen
großen, befreienden Sprung suchen, obwohl sie wissen,
dass Deutschlands Kraft erst noch wachsen muss. Ich
glaube, es ist vielmehr so, dass die Freiheit von unten
wachsen muss. Roman Herzog hat es einmal folgendermaßen beschrieben - ich zitiere -:
… den großen Wurf, den unser Volk so gern hat,
({43}) in dieser Frage nicht … Notwendig sind
Dutzende, vielleicht sogar Hunderte kleiner
Schritte, die sich im Laufe der Zeit und bei entsprechender Zielstrebigkeit summieren und auszahlen
werden … Die Schritte werden aber von Jahr zu
Jahr größer werden, und dasselbe wird von den Gestaltungsräumen gelten, die unser politisches System dadurch gewinnt, gerade auch im finanziellen
Bereich.
Ich glaube, Roman Herzog hat Recht. Der Aufschwung
in diesem Jahr gibt uns Anlass zum Selbstvertrauen, auf
unserem Weg weiterzugehen.
Herzlichen Dank.
({44})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gregor Gysi,
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, ich bringe Sie nicht in Verlegenheit, indem
auch ich Ihnen jetzt Blumen schenke. Es würde Ihnen sicherlich schwer fallen, sich dazu zu verhalten.
Ich finde es ungerecht, dass Sie am Anfang Ihrer
Rede nur erwähnt haben, dass Sie ein Jahr im Amt sind;
unser Herr Bundestagspräsident ist ja auch ein Jahr im
Amt. Wenn schon, dann muss auch ihm gratuliert werden.
({0})
- Ich habe das eigentlich in der Hoffnung gesagt, einmal
Beifall von der Union zu bekommen; aber das ist mir
nicht vergönnt.
({1})
Zum einjährigen Jubiläum Ihrer Kanzlerschaft, Frau
Merkel, möchte ich zwei würdigende Bemerkungen am
Anfang machen:
Erstens. Da Sie sich nicht jeden Tag erklären, müssen
Sie sich im Unterschied zu Ihren Vorgängern auch nicht
so oft korrigieren. Das finde ich ganz geschickt.
Zweitens. Es gibt eine kleine Gruppe von leicht arroganten CDU-Ministerpräsidenten, die Ihnen das Amt
nicht gönnen. Ich finde, diese haben Sie ganz gut im
Griff. Das muss man auch einmal sagen.
({2})
Frau Bundeskanzlerin, Sie sind aber auch eine Frau
und stammen aus Ostdeutschland. Sie haben das bisher
wenig gezeigt und diesbezüglich wenig getan. Es ist
ganz typisch, dass in Ihrer Rede nicht ein Wort zur
Gleichstellung der Geschlechter gefallen ist und Sie
auch gar nichts zur Situation in Ostdeutschland gesagt
haben.
({3})
- Ja, da haben Sie völlig Recht. Wenn irgendjemand etwas für Gleichstellung in der Gesellschaft getan hat,
dann waren es vielleicht die Grünen, die SPD und die
Linken, aber ganz bestimmt nicht die Union. Da brauchen wir bloß einen Blick in die Geschichte zu werfen.
({4})
Fangen wir mit der Außenpolitik an: Sie, Frau Bundeskanzlerin, sind aus mir unerklärlichen Gründen irgendwie mit Präsident Bush befreundet. Wir können
aber feststellen, dass dieser gerade eine Quittung für
seine Kriegspolitik bekommen hat. Zwar etwas spät,
aber bei den Wahlen zum Senat und zum Repräsentantenhaus hat die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung nun Nein zu seiner Kriegspolitik gesagt.
({5})
Sie haben ja am Schluss Ihrer Rede zu Recht auch über
Umweltfragen gesprochen. Die USA stürzen uns in eine
Klimakatastrophe. Ich möchte gerne wissen, ob Sie ihm
das auch so offen sagen bzw. ob die Europäische Union
ihm gegenübertritt und sagt, dass es so einfach nicht
weitergeht. Die größte Industrienation kann diesbezüglich nicht machen, was sie will, weil sie auf diese Weise
die ganze Menschheit in eine Katastrophe stürzt.
({6})
Zurück zur Kriegspolitik: Der Irakkrieg ist doch in
jeder Hinsicht gescheitert. Es ging um die Sicherung von
Erdölvorkommen und um die Bekämpfung des Terrorismus. Wie kann man denn mit der Höchstform des Terrorismus, nämlich mittels Krieg, Terrorismus bekämpfen?
Man erreicht so doch nur neue Bereitschaft zu Terrorismus. Das beweist der Irak täglich.
({7})
Selbst der Premierminister Großbritanniens, Tony Blair,
fängt ja jetzt an, selbstkritische Töne von sich zu geben leider viel zu spät. Es gab aber auch kluge Politiker auf
der Welt, die immer gegen den Irakkrieg waren und immer schon gesagt haben, mittels Krieg lassen sich die
Probleme und Konflikte nicht lösen, sondern sie verschärfen sich nur. Der Irak ist das beste Beispiel dafür.
Sie haben auch Afghanistan angesprochen und über
die relative Ruhe im Norden berichtet. Was nutzt es
denn, wenn in einem Teil eines Landes relative Ruhe
herrscht, sich aber im anderen Teil alles verschärft? Zugleich habe ich gehört, dass Sie gesagt haben, Sie wollen
die Bundeswehr nicht in den Süden schicken. Wir werden Sie beim Wort nehmen, denn es wäre ein großer
Fehler, wenn wir Soldaten auch noch dorthin schickten.
Lassen Sie mich noch ein anderes Thema erwähnen,
das in letzter Zeit in Deutschland eine Rolle spielt.
200 000 deutsche Soldaten waren oder sind in Kriegseinsätzen.
({8})
- Wie Sie das nennen, Herr Struck, ist mir egal; aber es
sind Kriegseinsätze. Wenn Sie einmal nach Afghanistan,
in den Irak usw. schauen, sehen Sie, wo auf dieser Welt
Kriege stattfinden.
({9})
Die Soldaten kommen mit Erlebnissen zurück, und
zwar mit Erlebnissen, die sie in Deutschland nicht hätten
und nicht haben. Welch eine Verrohung dort stattfindet,
haben Sie an den Bildern gesehen, die Soldaten mit Leichenköpfen zeigen. Darauf, dass die Soldaten psychisch
verändert nach Deutschland zurückkommen, sind wir
überhaupt nicht vorbereitet. Wir haben noch nicht die
Erfahrung wie die Sowjetunion mit den Afghanistansoldaten oder die USA mit den Vietnamsoldaten. Aber wir
müssen uns darauf vorbereiten. 200 000 Soldaten in solchen Einsätzen verändern eine Gesellschaft und Sie wollen das nicht einmal zur Kenntnis nehmen, geschweige
denn Mittel dafür zur Verfügung stellen, um dagegen etwas zu tun.
({10})
Sie haben über die Europäische Union gesprochen,
Frau Bundeskanzlerin, und auch die Verfassung erwähnt.
Ich hätte gerne einmal eine Auskunft von Ihnen: Was
streben Sie in Bezug auf die europäische Verfassung
an? Sie müssen doch das Nein aus Frankreich und den
Niederlanden ernst nehmen. Wenn man das Votum ernst
nimmt, kann man doch nicht nur darüber nachdenken, ob
man das Ding anders nennt oder ob man einen Satz weglässt, sondern muss eine Verfassung für Europa schaffen,
die die Mehrheit der Bevölkerung in den Ländern akzeptiert. Das wäre ein Gewinn. Nicht gegen die Bevölkerung, sondern mit der Bevölkerung muss eine Verfassung gestaltet werden.
({11})
Wir werden dafür konkrete Vorschläge unterbreiten.
Dabei geht es um Freiheitsrechte, aber auch um Sozialrechte; denn die Menschen in Europa sind heute in
großem Maße sozial verunsichert. Sie wollen kein Europa, das so organisiert ist, dass sich mit jedem Beitritt
die soziale Frage neu stellt, und zwar in dem Sinne, dass
alles nach unten geht. So erreicht man keine Begeisterung für Europa; wohl aber erreichen die Rechtsextremen eine Begeisterung für den früheren Nationalstaat.
Das erleben wir doch auch in Deutschland. Wenn wir
hier alle die europäische Integration wollen - das ist ja
ein Vorteil dieses Parlaments, dass wir sie alle wollen -,
dann müssen wir auch etwas dafür tun, dass die europäische Integration wesentlich mehr Akzeptanz in den Bevölkerungen findet. Dann können wir nicht über die
Bevölkerungen hinweggehen, sondern müssen die Verfassung mit ihnen zusammen gestalten.
({12})
Bund, Länder und Kommunen haben Aufgaben, auch
in Deutschland, und die Kassen sind ziemlich leer. Das
hat Folgen. Wenn wir nicht nur das letzte Jahr, sondern
mehrere zurückliegende Jahre betrachten, können wir
feststellen, dass die Ausgaben für Bildung und Kultur,
für Wissenschaft und Forschung sowie für Investitionen
in Infrastruktur gesunken sind.
({13})
Das gilt auch für die Justiz. Das, was wir jetzt in Siegburg erlebt haben, ist natürlich ein Ausdruck dessen,
dass es zu wenig qualifiziertes Personal gibt. Anders ist
es doch nicht denkbar, dass dort jemand 20 Stunden gefoltert wird und niemand das merkt! Das sind Strukturschwächen, die wir uns nicht leisten können.
Hinzu kommt, dass wir die Justiz jetzt den Ländern
übergeben. Das heißt, die Länder entscheiden je nach
Kassenlage, wie viel Geld sie für eine Justizvollzugsanstalt zur Verfügung stellen.
({14})
Mir wird schon jetzt ganz schlecht, wenn ich darüber
nachdenke, wie das dann in den ärmeren Bundesländern
aussehen wird.
({15})
Also brauchen wir hier eine andere Herangehensweise.
Sie haben festgestellt, Frau Bundeskanzlerin, Deutschland stehe besser da. Dann müssen wir einmal definieren:
Wer ist Deutschland? Fragen Sie doch einmal einen
Langzeitarbeitslosen, ob er empfindet, dass er besser dasteht. Fragen Sie einmal einen Jugendlichen, der keinen
Ausbildungsplatz bekommt, ob er findet, dass er besser
dasteht. Verstehen Sie: Man muss das immer konkret untersuchen. Ich weiß, es geht Leuten besser: den Reichen
und den Besserverdienenden; das ist wahr.
({16})
Aber den Arbeitslosen geht es nicht besser und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch nicht.
({17})
- Ich werde Ihnen gleich belegen, dass ich Recht habe.
Sie haben dafür gesorgt, dass die Kassen im Bund, in
den Ländern und in den Kommunen leer sind, indem Sie
die Steuereinnahmen immer weiter gesenkt haben. Sie
können doch eine Tatsache nicht bestreiten: Deutschland
hat bei den Steuereinnahmen den vorletzten Platz in der
Europäischen Union; nur die Slowakei hat noch geringere Steuereinnahmen als Deutschland. Es ist für ein
wirtschaftlich starkes Land geradezu blamabel, was wir
uns hier leisten.
({18})
Die durchschnittliche Quote der Steuern und Abgaben, also der berühmten so genannten Lohnnebenkosten, der Sozialabgaben der Unternehmen, beträgt EUweit 40 Prozent und in Deutschland 35 Prozent. Selbst
dort sind wir unterdurchschnittlich. Auch das muss man
sagen.
({19})
Nun können Steuern sehr verschieden sein. Wir reden
zwar immer allgemein über Steuern. Aber es gibt beispielsweise einen Unterschied zwischen Unternehmensteuern und Mehrwertsteuer. Es ist spannend, sich einmal die Anteile der einzelnen Steuerarten anzuschauen.
Die Einkommen- und Unternehmensteuern machen in
Deutschland einen Anteil von 9,5 Prozent aus.
({20})
Das müssen die Bürgerinnen und Bürger wissen; alles
andere bezahlen sie. Im EU-Durchschnitt liegt der Anteil
bei 13,4 Prozent und in Dänemark bei 29,5 Prozent. Vor
Schröder lag der Anteil in Deutschland übrigens bei
11,2 Prozent. Jetzt liegt er, wie gesagt, bei 9,5 Prozent.
Das ist die Wahrheit.
Professor Jarass hat errechnet, dass durch die Steuerreform von SPD und Grünen seit 2001 jährlich
21 Milliarden Euro weniger eingenommen werden.
({21})
Jetzt setzt die neue Regierung das Ganze verschärft
fort. Ich sage deshalb „verschärft“, weil Sie ab dem Jahr
2007 durch die zusätzlichen Belastungen wie Erhöhung
der Mehrwertsteuer, Reduzierung der Pendlerpauschale
und Halbierung des Sparerfreibetrags sowie durch die
anstehenden Erhöhungen der Renten- und Krankenversicherungsbeiträge die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Rentnerinnen und Rentner sowie die Arbeitslosen mit 30 Milliarden Euro jährlich belasten werden.
Trotz steigender Steuereinnahmen und eines Überschusses der Bundesagentur für Arbeit bitten Sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner
sowie Arbeitslose weiter zur Kasse und belasten sie im
nächsten Jahr mit 30 Milliarden Euro. Das ist nicht hinnehmbar. Trotzdem machen Sie es.
(({22})
Ich spreche also deswegen davon, dass Sie die Politik
der vorherigen Regierung verschärft fortsetzen, weil es
noch unsozialer wird, indem Sie Konzernen und den
Reichen in unserer Gesellschaft noch mehr Geschenke
machen.
({23})
Gleichzeitig planen Sie eine Unternehmensteuerreform - dass so etwas immer gleichzeitig geschieht, ist
auffällig -, wonach Sie ab dem Jahr 2008 jährlich
30 Milliarden Euro brutto weniger einnehmen. Netto
macht dies 10 Milliarden Euro aus.
({24})
Das haben Gewerkschaften und viele andere errechnet.
Der Bundesfinanzminister spricht von 5 Milliarden Euro
und andere, die es genauer gerechnet haben, sprechen,
wie gesagt, von 10 Milliarden Euro.
({25})
Wir sollten jetzt keinen Streit um die genaue Zahl führen.
21 Milliarden Euro Steuererleichterungen gab es
durch die Reformen von SPD und Grünen und jetzt kommen noch einmal 10 Milliarden Euro durch die Reformen der großen Koalition hinzu. Das macht zusammen
etwas über 30 Milliarden Euro. Das heißt, die Konzerne
- die Unternehmensteuerreform wird sich überwiegend
zugunsten der Konzerne und viel weniger zugunsten der
kleinen und mittleren Unternehmen auswirken - bekommen, wenn man die Effekte der Steuerreformen der Regierung Schröder und Ihrer Regierung, Frau Merkel, zusammen nimmt, zusätzlich 30 Milliarden Euro. Aber die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Rentnerinnen
und Rentner sowie die Arbeitslosen müssen letztlich auf
diese 30 Milliarden Euro verzichten. Das ist eine direkte
Umverteilung von unten nach oben, wie es sie so in der
Geschichte kaum gegeben hat.
({26})
Die Mehreinnahmen werden viel zu wenig für Wissenschaft, Forschung, Bildung und Kultur genutzt. Ich
muss es immer wieder sagen: Deutschland hat bekanntlich kaum Erdöl- und Goldvorkommen. Wir können hier
keine Wirtschaftspolitik wie Bahrain machen. Wir müssen auf andere Dinge setzen. Die Stärke Deutschlands
bestand immer darin, eine sehr gut ausgebildete Bevölkerung zu haben. Auch wenn Sie es nicht gerne hören
wollen, sage ich Ihnen: Die DDR hat ihre Jugendlichen
gut ausgebildet und die Bundesrepublik hat ihre Jugendlichen gut ausgebildet. Jetzt sind wir vereint und packen
es nicht mehr. Wir sind unterdurchschnittlich geworden
in Europa. Das ist einfach nicht hinnehmbar.
({27})
Die Bildung ist doch unserer eigentliche Stärke.
Die Steuereinnahmen des Bundes steigen um
12 Milliarden Euro. Es gibt einen Überschuss bei der
Bundesagentur für Arbeit. Wenn wir die Mehreinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen zusammen
nehmen, haben wir sogar ein Plus von 33 Milliarden
Euro. Erklären Sie doch einmal einem Pendler, warum er
angesichts eines flexiblen Arbeitsmarkts weniger
Pendlerpauschale bekommt, obwohl der Staat 12 Milliarden Euro mehr einnimmt.
({28})
Das ist einfach grob ungerecht. Gerade Sie von der
Union plädieren jeden Tag für einen flexiblen Arbeitsmarkt, indem Sie sagen: Man muss sich damit abfinden,
dass man beispielsweise in Hessen ausgebildet wird, in
Nordrhein-Westfalen einen Job bekommt und fünf Jahre
später nach Thüringen wechselt. Die Menschen müssen
also immer größere Entfernungen in Kauf nehmen.
Trotzdem kürzen Sie die Pendlerpauschale. Das ist die
Realität.
Sie sagen dann, die Leute sollten mehr Kinder kriegen. Aber gleichzeitig gibt es 16 verschiedene Bildungssysteme. Die Menschen wären also total verantwortungslos, wenn sie mit schulpflichtigen Kindern zweimal
in ein anderes Bundesland ziehen würden.
({29})
Ihre Politik hat eben keine Logik. Auch konservative
Politik muss doch zumindest eine Logik haben; aber
diese ist nicht zu erkennen.
Die Körperschaftsteuer möchte ich gesondert erwähnen. Sie ist eine typische Steuer für Kapitalgesellschaften und hat mit den Inhaberunternehmen gar nichts
zu tun. Sie betrug in Deutschland unter Helmut Kohl
- daran darf ich die Union erinnern - 45 Prozent. Dann
hat Herr Schröder sie auf 25 Prozent gesenkt. Nun will
die große Koalition sie auf 15 Prozent senken. Ich sage
dazu nur eines - damit wir uns das hübsch merken -: In
den USA beträgt die Körperschaftsteuer 35 Prozent, in
Frankreich 33 Prozent und in Großbritannien 30 Prozent.
({30})
Also steht eines fest: Wir machen den anderen Ländern
Konkurrenz und nicht die anderen Länder uns. Wir üben
Druck aus, sodass die anderen Länder ihre Körperschaftsteuer senken müssen, damit es auch dort noch sozial ungerechter zugeht. Was Sie hier leisten, ist einfach nicht
hinnehmbar.
({31})
Was machen die Konzerne? Sie halten Pressekonferenzen ab und verhöhnen die Politik. Vertreter der DeutDr. Gregor Gysi
schen Bank, der Allianz usw. sagen: Wunderbar, wir bedanken uns. Wir haben im letzten Jahr den größten
Gewinn in unserer Geschichte gemacht. Dafür entlassen
wir 8 000 oder 10 000 Leute. Jetzt können wir es uns ja
leisten, Abfindungen zu zahlen. Dann sind wir sie los. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Es gibt, wie wir in den
vergangenen Jahren erlebt haben, nicht mehr Arbeitsplätze, sondern weniger.
({32})
Jetzt komme ich auf die Zahl der Arbeitslosen zu
sprechen. Sie ist zurückgegangen. Das haben Sie erwähnt; das hätte ich an Ihrer Stelle auch getan; das ist
normal. Aber ich weise auf zwei Dinge hin: Auf der einen Seite hat sich die Zahl der Langzeitarbeitslosen
- das haben Sie nicht erwähnt - in derselben Zeit um
55 000 erhöht. Sie haben auch nicht erwähnt, dass die
Zahl der 1-Euro-Jobber zugenommen hat. Diese zählen
ja nicht als Arbeitslose in der Statistik; das muss man
hinzufügen. Sie haben auch nicht erwähnt, dass es noch
mehr geringfügig Beschäftigte gibt. Es sind inzwischen
fast 5 Millionen. Das sind doch fast Arbeitslose. Wenn
man das alles mitberücksichtigt, dann sieht man, dass die
Arbeitslosenzahl ganz anders ausschaut.
({33})
Sie haben auch nicht erwähnt, wie hoch die Arbeitslosigkeit im Osten ist und welche Probleme wir hier haben. Auf der anderen Seite gibt es eine Zahl, die unwiderlegbar ist. Im Vergleich zu 2002 gibt es 1 Million
Menschen weniger in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Das ist ein Abbau, an dem noch nichts korrigiert worden ist, weil es dafür keine Politik gibt.
Noch eine Bemerkung zu den Arbeitslosen. Jetzt gibt
es ja einen Vorschlag von Herrn Rüttgers. Es ist wirklich
spannend, dass ein CDU-Ministerpräsident vorschlägt,
dass ältere Arbeitslose länger Arbeitslosengeld I bekommen sollen. Spannend ist erst einmal der Vorschlag
an sich. Dann schreit aber der SPD-Vorsitzende gleich:
Kommt gar nicht infrage! Jetzt rufen auch die CDU und
viele Ministerpräsidenten: Kommt gar nicht infrage! Das
alles ist absurd. Ich hätte mir vorgestellt, dass alle sagen:
Das ist eine völlig vernünftige Idee. Jetzt müssen wir uns
nur über das Wie unterhalten.
Was Herr Rüttgers vorschlägt, ist allerdings abenteuerlich. Zum einen sagt er, ein längeres Arbeitslosengeld
solle man erst nach 40 Versicherungsjahren bekommen.
Ich bitte Sie: 40 ununterbrochene Versicherungsjahre!
Diese Hand voll Leute, auf die das zutreffen würde, kann
er alleine bezahlen; das ist nicht das Problem. Ein Problem besteht bei denjenigen, die nach 30 oder 35 Jahren
arbeitslos werden. - Aber das ist nur ein Problem.
Zum anderen sagt er nämlich, den längeren Bezug
sollten andere Arbeitslose bezahlen. Ich muss Ihnen sagen: Das ist völlig indiskutabel.
({34})
Bei dem derzeitigen Überschuss bei der Bundesagentur für Arbeit - zudem gibt es höhere Steuereinnahmen - muss man dieses Geld nutzen, um zu sagen: Wir
zahlen länger Arbeitslosengeld I an Arbeitslose, die
lange in die Versicherung eingezahlt haben. Aber dazu
ist Rüttgers nicht bereit. Er kommt wirklich nur auf die
Idee, zu sagen: Andere Arbeitslose sollen das bezahlen.
Dieser Vorschlag hat überhaupt nichts mit sozialer
Gerechtigkeit zu tun. Nur die Idee ist richtig, nämlich
dass diejenigen, die länger eingezahlt haben, auch länger
Arbeitslosengeld I beziehen müssen. Dafür streiten wir.
Deshalb sagen wir noch einmal: Hartz IV muss weg;
denn Hartz IV ist Armut per Gesetz.
({35})
Das werden Sie immer wieder hören.
60 Prozent der Betroffenen - das hat die Statistik jetzt
erwiesen - geht es schlechter als vorher. 40 Prozent der
Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger
geht es gleich, im Einzelfall auch einmal besser; dagegen sagt keiner etwas. Aber gegen die Schlechterstellung
der 60 Prozent sagen wir eine Menge.
({36})
Frau Bundeskanzlerin, wenn wir Arbeitslosigkeit bekämpfen wollen, dann müssen wir neue Debatten führen.
Wir brauchen eine gerechtere Verteilung der Arbeit.
Wir müssen wieder über Arbeitszeitverkürzung nachdenken. Wir brauchen einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Es gibt doch nicht zu wenig Arbeit;
es gibt nur zu wenig bezahlte Arbeit. Wir sollten einmal
darüber nachdenken, ob wir vielleicht die Hausfrauenoder Hausmännertätigkeit und die Betreuung von Kindern nicht anders in unser Bewusstsein aufnehmen, in
der Form, dass das eine wirklich notwendige Tätigkeit
ist. Wir müssen über vieles nachdenken, wenn wir die
Arbeitslosigkeit überwinden wollen.
In den Bereichen, in denen es keinen privaten Gewinn
zu erwirtschaften gibt, müssen wir Arbeit schaffen. Das
habe ich schon einmal gesagt. Wir dürfen dabei nicht
den öffentlichen Dienst ausweiten, sondern wir müssen
eine öffentlich geförderte Wirtschaft aufbauen. Als Beispiel nenne ich den Förderunterricht für besonders begabte Kinder oder für Kinder, denen es in der Schule besonders schwer fällt. Das sind Bereiche, die sich für
private Anbieter nicht lohnen, hier entstehen Arbeitsplätze nicht von selbst. Hier muss die Politik aktiv werden und Arbeitsplätze schaffen.
Ich möchte eine weitere Bemerkung zur Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft machen. Seit 2001 speist
sich die Steigerung des Volkseinkommens zu 85 Prozent
- Herr Westerwelle, merken Sie sich das bitte - aus der
Steigerung der Unternehmens- und Vermögenseinkommen und nur zu 15 Prozent aus der Steigerung des Einkommens der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Das ist eine Riesenungerechtigkeit; denn die Zahl der einen ist viel geringer als die Zahl der anderen. Die einen
bekommen jedoch 85 Prozent, die anderen nur
15 Prozent. Zwischen 2004 und 2005 sind die Löhne und
Gehälter erstmals um 6 Milliarden Euro gesunken. Einen
solchen Rückgang hat es bis dahin noch nie gegeben.
Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen sind im
gleichen Zeitraum um 22 Milliarden Euro gestiegen. Ungerechter kann es überhaupt nicht zugehen!
({37})
Wenn Sie gegen diese Ungerechtigkeit nichts unternehmen, dann werden Sie niemals als sozial gelten, und
zwar zu Recht.
Nun haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, den Ansatz Ihrer Gesundheitsreform beschrieben.
({38})
- Auch die Gewerkschaften haben ein paar Fehler gemacht, aber die offizielle Politik Ihrer Regierung hieß
immer: Lohnsenkung, Lohnsenkung, Lohnsenkung. Das
sei die einzige Chance, um wirtschaftlich stärker zu werden. Sie sind für den jetzigen Zeitgeist verantwortlich.
({39})
Meine Redezeit ist begrenzt, deshalb kann ich nicht
viel zu Ihrer Gesundheitsreform sagen.
({40})
- Ich wusste, dass ich es schaffen würde, einmal Beifall
von der CDU/CSU zu erhalten, und bin dankbar. Ich
habe das gern.
Zur Gesundheitsreform sage ich Ihnen: Das ist ein
Gemurkse, daraus wird nichts mehr. Es ist doch klar: Sie
wollten die Kopfpauschale, die anderen eine Bürgerinnen- und Bürgerversicherung. Dazwischen ist kein Kompromiss möglich. Es wäre besser gewesen, Sie hätten es
bleiben lassen, weil es gemeinsam nicht zu packen ist.
({41})
Sie sagen, Sie machen eine Reform für die Versicherten.
Darüber kann man nur lachen, Frau Bundeskanzlerin.
({42})
Die Versicherten werden schon im nächsten Jahr höhere
Beiträge bezahlen. Wenn erst einmal der komische
Fonds gebildet ist, gibt es nur noch eine Richtung: Der
Beitragsanteil der Unternehmen darf nicht erhöht werden, aber die Versicherungen dürfen sich weiterhin an
die Versicherten halten und deren Beiträge erhöhen. Was
soll denn dabei für die Versicherten herausspringen?
Entweder müssen sie mehr bezahlen oder sie erhalten
weniger Leistungen oder beides.
({43})
Außer der Pharmaindustrie gibt es niemanden, der Ihrer Gesundheitsreform zustimmt. Doch auch die Pharmaindustrie lobt Ihre Reform nicht, sondern schweigt
nur dazu. Über diese Tatsache sollten Sie auch einmal
nachdenken; denn wenn die Pharmaindustrie meckern
würde, dann wäre, so meine ich, an Ihrer Reform etwas
dran.
({44})
Wir haben in letzter Zeit in Deutschland sehr viel über
die Armutsschicht, die Unterschicht genannt wird, diskutiert. Es stimmt, es gibt diese Schicht und sie wächst.
Diese Schicht wählt zu einem kleinen Teil noch die SPD,
zu einem bestimmten Teil meine Partei, aber zu einem
größer werdenden Teil die NPD. Das muss uns ernsthaft
Sorgen machen. Das heißt nämlich, diese Menschen fühlen sich ausgegrenzt. Sie haben keine Beziehungen mehr
zu unserer Demokratie und glauben nicht daran, dass
wir, und zwar wir alle, ihre Probleme lösen können.
Viele dieser Menschen wählen natürlich gar nicht, auch
das weiß ich. Dies ist für eine Gesellschaft ein sehr gefährlicher Vorgang.
Frau Bundeskanzlerin, ich habe von Ihnen nichts dazu
gehört, welche Maßnahmen Sie ergreifen wollen, um die
so genannte Unterschicht, die Armutsschicht, Schritt für
Schritt zu überwinden, damit es in Deutschland keine
Armut mehr gibt. Die Überwindung der Armut müsste
Ihr Ziel als Bundeskanzlerin sein.
({45})
Ich sage Ihnen voraus, was passieren wird: Der Unterschicht können Sie eines Tages nichts mehr nehmen,
weil sie nichts mehr hat. An die Reichen und die Vermögenden trauen Sie sich nicht heran. Die Steuerreform
wird wieder nur die Großaktionäre reicher machen.
({46})
Das ist alles, was dabei herauskommen wird. Vielleicht wollen Sie an die Reichen auch nicht heran. Sie
werden sich also an die Mittelschicht halten,
({47})
Sie werden die Normalverdiener immer schlechter stellen. Wenn Sie aber die Mittelschicht einer Gesellschaft
schrittweise zerstören
({48})
- das passiert -, gibt es zwischen oben und unten keine
Kommunikation mehr.
({49})
Die Mittelschicht kann nach unten und nach oben kommunizieren. Sie hat Illusionen, wie sie selber nach oben
kommt, und Angst davor, nach unten zu kommen. Das
alles macht sie für bestimmte Fragen sehr sensibel. Ich
sage Ihnen als Linker, dass es falsch ist, die Mittelschicht der Gesellschaft zu zerstören, weil das die Kommunikation innerhalb der Gesellschaft zerstört.
({50})
Lassen Sie mich noch etwas zum Osten sagen.
({51})
Wir haben keine Vereinigungspolitik. Wir hatten nur
eine Einheitspolitik. Niemand hat etwas dafür getan,
dass sich Strukturen im Westen etwa durch die Übernahme von 5 Prozent der Oststrukturen verändern. Das
wurde immer arrogant abgetan. Es hätte jedoch etwa bei
Kindertagesstätteneinrichtungen Sinn gemacht. Es hätte
Sinn gemacht, an Schulen eine stellvertretende Direktorin oder einen stellvertretenden Direktor für außerunterrichtliche Tätigkeiten zu haben. Es hätte Sinn gehabt,
sich vielleicht die Strukturen der Polikliniken anzusehen
und darüber nachzudenken, ob man sie im Westen einführt. Ich sage Ihnen auch, warum: Damit die Frau und
der Mann in Passau, die Frau und der Mann in Kiel mit
der Einheit das Erlebnis verbunden hätten, dass sich ihre
Lebensqualität durch die Übernahme von drei, vier oder
fünf Strukturen aus dem Osten erhöht hat. Ein solches
Erlebnis ist niemandem im Westen gegönnt worden.
({52})
Das macht deren Einstellung aus, was ich auch verstehen
kann.
Deshalb sage ich: Wir hatten eine Einheit, aber keine
Vereinigung. Gerade von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin,
hätte ich erwartet, dass Sie diesbezüglich Zeichen setzen.
Herr Kollege, Sie denken an die verbleibende Redezeit in der eigenen Fraktion?
Ich denke nur an meine Fraktion, Herr Präsident, gelegentlich auch an etwas anderes. Lassen Sie mich noch
den einen Satz sagen.
Sie müssen einen Fahrplan aufstellen, Frau Bundeskanzlerin, und sagen: Ich will die Angleichung der
Löhne. Ich will, dass man für die gleiche Arbeit den
gleichen Lohn erhält und nicht länger arbeitet für weniger Geld, dass man die gleiche Rente für die gleiche Lebensleistung erhält.
({0})
Sie müssen Ihre Politik umdrehen. Sie müssen für
Frieden kämpfen, für Steuergerechtigkeit, das heißt,
auch bei den Konzernen und Reichen abkassieren, und
für deutlich mehr soziale Gerechtigkeit. Das hilft dann
auch den kleinen und mittleren Unternehmen, weil Sie
damit die Kaufkraft stärken.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat nun Dr. Peter Struck für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Bundeskanzlerin, ich habe Ihnen keine eigenen Blumen überreichen können, weil das der Kollege
Kauder für mich gleich mit gemacht hat.
({0})
Die Blumen bezahlen wir gemeinsam. Sie werden aber
bestätigen, dass ich Ihnen schon einen ausgegeben habe,
und ich werde das gerne wiederholen. Auch von mir
herzlichen Glückwunsch zu Ihrer einjährigen Amtszeit!
Es ist das zweite Mal, dass ein Redner der PDS Soldaten, die im Auslandseinsatz sind, als Soldaten im
Kriegseinsatz bezeichnet.
({1})
Ich weise diese unverschämte Behauptung mit Nachdruck zurück, Herr Gysi. Unsere Soldaten befinden sich
nicht im Kriegseinsatz.
({2})
Unsere Soldaten befinden sich in einer friedenstiftenden
und friedenserhaltenden Mission. Sie müssen endlich
einmal dorthin fahren und sich das ansehen und nicht nur
hier im Deutschen Bundestag solche dummen Sprüche
klopfen, die die Soldaten beleidigen.
({3})
Ich will an dieser Stelle genauso wie die Bundeskanzlerin und der Verteidigungsminister Dank sagen für die
Arbeit, die die Soldatinnen und Soldaten unter Gefahren
für ihr Leben für unser Land und die Staatengemeinschaft tun. Meine Damen und Herren, Sie haben eine
solche Bewertung wie die, die von der Linken kommt,
überhaupt nicht verdient. Wir stehen an Ihrer Seite.
({4})
Da ich gerade bei der Außenpolitik bin: Das letzte
Jahr war wirklich ein schwieriges Jahr für diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen.
({5})
Es hätte sich niemand vorstellen können, dass wir Soldaten in die Gegend von Israel und Palästina schicken.
Dass es diese Mission sozusagen im Einvernehmen mit
dem Staate Libanon und dem Staate Israel gibt, ist ein
großer Erfolg. Das zeigt die Einsicht der Beteiligten,
dass man etwas machen muss. Auch in Bezug auf die
Kritik, die manche Kollegen der FDP im Vorfeld und
Nachlauf an Herrn Jung geübt haben, möchte ich deutlich sagen: Dieses Mandat ist gut und der Verteidigungsminister hat sich gut und richtig verhalten.
({6})
- Ich spreche für die SPD-Fraktion, Herr Koppelin.
Wir haben im Deutschen Bundestag ein Mandat für
den Einsatz im Kongo beschlossen. Wir hoffen - ich
gehe davon aus -, dass die Soldaten bald zurückkommen
werden. Wir verlassen uns auf Solana, der eine Erklärung dazu abgegeben hat. Die Beschlüsse, die die Bundesregierung gefasst hat, sind eindeutig. Wir wollen hoffen, dass alle gesund und munter aus dem Kongo
wiederkommen. Ihren Auftrag haben sie nach dem, was
ich gesehen habe, gut erfüllt.
({7})
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat die
Operation Althea in Bosnien-Herzegowina verlängert.
Dazu muss ich - die Verteidigungspolitiker wissen das einige Anmerkungen machen. Die Althea-Mission in
Bosnien-Herzegowina - Herr Außenminister, wenn ich
um Ihre Aufmerksamkeit bitten dürfte - ist im Grunde
keine militärische Mission mehr. Der Krieg ist seit elf
Jahren vorbei. Es haben Wahlen stattgefunden. Nach den
Kommunalwahlen gibt es mittlerweile funktionierende
kommunale Gremien. Unsere Soldaten fahren Patrouille,
zum Beispiel um Kinder zu beschützen, die von ihrem
Wohnort, wo sie einer Minderheit angehören, in eine
Schule fahren müssen, die in einem Gebiet liegt, wo ihre
ethnische Gruppe die Mehrheit stellt.
Deshalb bin ich sehr dafür, dass die Anregung von
Verteidigungsminister Jung aufgegriffen wird, die Zahl
der Soldaten langsam zurückzuführen. Die Anzahl von
jetzt 850 Soldaten kann im Zusammenwirken mit den
anderen europäischen Nationen zurückgeführt werden.
Wir sind auf dem richtigen Weg. Ein Mandat muss auch
einmal beendet werden können, wenn klar ist, dass die
Voraussetzungen, unter denen das Mandat erteilt wurde,
nicht mehr gegeben sind.
({8})
Zu Afghanistan. Die Kanzlerin hat dazu klare Worte
gesprochen. Ich kann die Vorwürfe - von wem auch immer die Debatte begonnen worden ist -, wir würden im
Norden eine ruhige Kugel schieben, während es im Süden gefährlich sei, überhaupt nicht nachvollziehen.
({9})
Wir haben - ich selbst war daran beteiligt - eine klare
Aufgabenverteilung beschlossen, nach der Deutschland
die Verantwortung für den Norden übernimmt. Wir haben auch ein klares Konzept für die Wahrnehmung dieser Verantwortung erstellt. Unser Wiederaufbauteamkonzept ist anders als das Konzept der Amerikaner, der
Briten, der Kanadier oder von wem auch immer sonst.
Unser Konzept - das sage ich ausdrücklich - ist das richtige. Wir helfen in allen Bereichen beim Wiederaufbau,
und zwar auch zivil: mit NGOs, mit Entwicklungshelfern, im Rahmen der Polizeiausbildung. Wir unterstützen die Menschen, die im Norden Afghanistans leben,
auf vielfältige Weise. Das ist das richtige Konzept.
Das meiner Meinung nach falsche Konzept - es folgt
anderen Überlegungen - lautet: Wir gehen nur mit
Kampftruppen rein. Wir bombardieren nur. Wir verfolgen nur.
({10})
Damit kann man das Vertrauen der Menschen in Afghanistan nicht gewinnen. Dann darf man sich nicht wundern, wenn solche Situationen eintreten, wie wir sie im
Süden zu beklagen haben.
({11})
Für mich ist klar, dass wir eine Verantwortung im
Norden haben, die wir auch wahrnehmen werden. Wir
wollen den Norden den Taliban und der al-Qaida nicht
wieder preisgeben. Deshalb bleiben wir dort. Wir helfen
im Süden, wenn wir darum gebeten werden; unsere Aufgabe ist aber der Norden und dabei bleibt es. Ich denke,
das wird in Riga bestätigt werden. Dabei unterstütze ich
die Bundesregierung voll.
({12})
Ich will mich der Innenpolitik zuwenden und zunächst einige grundsätzliche Bemerkungen zur Innenpolitik machen. Ich glaube, das war auch deshalb ein erfolgreiches Jahr für unser Land, weil die sich seit
Jahrzehnten politisch bekämpfenden großen Volksparteien miteinander geredet, verhandelt und sich geeinigt
haben. Sie haben gemeinsam wichtige Projekte für das
Land beschlossen. Große Koalition heißt große Verantwortung. Große Verantwortung bedeutet eine große
Chance für unser Land. Große Koalition heißt aber auch,
dass man manchmal große Kompromisse schließen
muss.
({13})
Wir sind von sehr weit voneinander entfernten Punkten
aufeinander zugegangen.
Die Debatte über den Weg, den wir miteinander gehen wollen, kann man nicht als Streit bezeichnen. Den
Journalisten, die auf der Tribüne sitzen bzw. die vor dem
Fernseher sitzen und gar nicht zur Arbeit im Plenum erscheinen - man muss ehrlich sagen: sie arbeiten vom
Büro aus -,
({14})
ist Streit am liebsten. Ich nehme eine relativ einfache
Frage als Beispiel. Wie macht man eine Gesundheitsreform? Jede Partei - wir reden von einer DreiparteienDr. Peter Struck
koalition - hat ihre eigenen Vorstellungen gehabt. Die
lagen ziemlich weit auseinander: Bürgerversicherung
hier, Kopfpauschale dort. Wir haben versucht, die Reform hinzubekommen. Dass das nicht ohne Debatten
geht, ist nachvollziehbar. Dass alle über den richtigen
Weg streiten, ist auch nachvollziehbar. Aber die Kritik
an dem Ergebnis der Gesundheitsreform kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.
Ich war bei einer Veranstaltung des Gesamtverbandes
der Deutschen Versicherungswirtschaft. Dort hat mir jemand, nachdem ich die Gesundheitsreform - zu Recht ordentlich gelobt habe, gesagt, das sei Sozialismus pur.
Darauf habe ich geantwortet: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Angela Merkel und Edmund Stoiber Sozialismus pur mitmachen würden.
({15})
- Nein. - Auch die Union ist nicht für Sozialismus pur.
Das ist absurd. Sie glauben doch nicht ernsthaft, die Gesundheitsreform sei Sozialismus pur. Das glaubt doch
kein Mensch. Ich nehme Ihnen nicht ab, dass Sie das
glauben.
({16})
Wenn man sich ansieht, wie die Kampagne gegen die
Gesundheitsreform läuft, dann muss man sagen, dass
diese Kampagne weit über das Normale hinausgeht.
Wenn Musterschreiben ins Internet gestellt werden - jeweils für Beamte, für Angestellte und für Arbeiter - und
wenn sich herausstellt, dass die Namen von Versicherten, die gar nicht wissen, dass solche Briefe an uns gerichtet werden, missbraucht werden, dann geht das zu
weit. Das kann man nicht akzeptieren.
({17})
Natürlich bestehen in verschiedenen Fragen Unterschiede zwischen den Koalitionsfraktionen. Aber sie
sind alle überwindbar, wenn das Vertrauensverhältnis
der handelnden Personen untereinander stimmt. Die
Koalitionsfraktionen können sicher sein: Volker Kauder
und ich - auch wenn wir uns nicht immer der gleichen
Meinung verpflichtet fühlen - arbeiten in einem absoluten Vertrauensverhältnis zusammen.
({18})
Ich danke Volker Kauder dafür, weil dieses schnell gefundene beiderseitige Vertrauen entscheidend und substanziell für viele schwierige Entscheidungen war, die
wir in diesem Jahr treffen mussten.
({19})
- Wir trinken öfter einen zusammen, als Sie denken.
({20})
- Mit Ihnen trinke ich vielleicht auch noch einmal einen
zusammen. - Er weiß, Herr Koppelin, was dann passiert.
({21})
Das gleiche Vertrauensverhältnis, das ich mit Volker
Kauder habe, prägt auch die Zusammenarbeit zwischen
Bundeskanzlerin Merkel und ihrem Vizekanzler Franz
Müntefering. Diese enge Zusammenarbeit ist der Garantieschein für den Erfolg dieser Regierung.
({22})
Ich weiß, dass es auf der Ebene der Fraktionsvorsitzenden in der Regierung - Volker Kauder, Peter
Ramsauer und ich - ganz gut klappt. Ich weiß auch, dass
es auf der Ebene der Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker manchmal schwierig ist.
({23})
Es wird besser. Das ist mein und auch Volker Kauders
Eindruck.
Zum Beispiel haben Wolfgang Schäuble, Franz
Müntefering und die Koalitionssprecher Fritz Rudolf
Körper und Wolfgang Bosbach in einer ganz schwierigen Frage, die uns jahrelang strittig beschäftigt hat, dem
Bleiberecht für langjährig geduldete Ausländer, eine Einigung erreicht. Das ist ein großer Erfolg. Das hat damit
zu tun, dass wir wissen, dass wir einander vertrauen können, wenn über bestimmte Fragen geredet wird. Ich gratuliere denjenigen, die darüber verhandelt haben. Ich
glaube, sie sind hinsichtlich des Bleiberechts zu einem
guten Ergebnis gekommen.
({24})
Wenn man die Frage stellt, was die Menschen von
dieser großen Koalition erwarten, dann denke ich an verschiedene Dinge. Erstens erwarten sie, dass wir die
Lebensrisiken, soweit wir das können, politisch absichern. Ein Lebensrisiko ist, arbeitslos zu werden. Ich
glaube, dass uns das, was in diesem Bereich durch den
Arbeitsminister bereits unternommen wurde, auf einen
guten Weg gebracht hat. Ich nenne die Initiative
„50 plus“ und die Sonderprogramme für jugendliche Arbeitslose. Dass wir mit der Zahl von knapp 4 Millionen
Arbeitslosen nicht zufrieden sind, davon können Sie ausgehen. Aber ich lasse mir nicht ausreden, dass es ein Erfolg ist, dass wir 450 000 Arbeitslose weniger haben als
im letzten Jahr. Warum sollte ich das verschweigen? Es
gibt keinen Grund, nicht darüber zu reden.
({25})
Die Maßnahmen zur Unternehmensteuerreform werden nach meiner Einschätzung mit dazu beitragen - der
Finanzminister hat hier völlig Recht -, dass wir dadurch
einen weiteren Impuls für Wachstum mit Auswirkungen
auf den Arbeitsmarkt bekommen. Für mich als Sozialdemokrat ist wichtig, dass im Zusammenhang mit der Unternehmensteuerreform die Gewerbesteuer garantiert ist
und sich die Gemeinden darauf verlassen können. Die
Gewerbesteuer wird so bleiben wie bisher. Die Gemeinden sind uns dankbar dafür. Das muss man zu Recht unterstreichen.
({26})
Das zweite Lebensrisiko, das viele Menschen beschäftigt, ist das Thema Krankheit. Dabei geht es um unser Gesundheitssystem; dazu habe ich mich schon geäußert. Aber ich frage mich: Warum sagen wir eigentlich
nicht, dass wir das beste Gesundheitssystem der Welt haben - dass das der Fall ist, kann man feststellen, wenn
man es mit den Gesundheitssystemen anderer Länder
vergleicht - und dass wir es zu erträglichen Bedingungen erhalten wollen? Diese erträglichen Bedingungen
haben wir im Gesundheitskompromiss, auf den wir uns
verständigt haben, festgelegt. Das war eine große Leistung.
({27})
Die Menschen können sich darauf verlassen, dass sie
- egal wie arm oder reich und wie alt oder jung sie sind die gesundheitliche Versorgung bekommen, die sie brauchen. Diese Garantie können wir den vielen Menschen,
die sich vor diesem Lebensrisiko fürchten, geben. Wir
können mit dem, was wir erreicht haben, wirklich zufrieden sein.
({28})
Das dritte Thema, das viele Menschen beschäftig, ist
die Frage: Was geschieht im Alter, wenn man das Arbeitsleben beendet hat? Das Stichwort lautet: Rente.
Dass die Koalition im Zusammenhang mit der Verlängerung der Lebensarbeitszeit einen schwierigen Weg gehen
musste, war ersichtlich; denn niemand arbeitet gern länger. Dass dieser Weg unumgänglich war, ist aber auch
ersichtlich. Durch diese Maßnahme, die der Arbeitsminister vorgeschlagen hat, haben wir unser Rentensystem
stabilisiert. Es wird auch in Zukunft, in den nächsten
zehn, 20 und 30 Jahren, stabil bleiben.
({29})
Die Maßnahmen, die wir zur sozialen Abfederung der
Rente mit 67 vereinbart und im Deutschen Bundestag
verabschiedet haben, tragen zur Stabilisierung unserer
sozialen Sicherungssysteme bei. Darum ging es uns.
Nun möchte ich etwas zur Föderalismusreform sagen. Ich erinnere mich noch gut an die Debatten, die wir
im Deutschen Bundestag über das so genannte Kooperationsverbot im Bildungsbereich geführt haben. Diese
Diskussionen waren schwierig. Jeder weiß, dass ich zum
Leidwesen mancher versucht habe, etwas anderes zu erreichen als das, was vereinbart wurde. Nachdem inzwischen ein Hochschulpakt ins Leben gerufen worden ist,
für den 1 Milliarde Euro zur Verfügung gestellt wird und
der immerhin 90 000 zusätzliche Studienplätze garantieren soll,
({30})
sage ich nun: Es war richtig, das Kooperationsverbot im
Bildungsbereich wegzufegen. Denn das war die Voraussetzung dafür, dass der Hochschulpakt überhaupt erst
möglich wurde. Wir sind stolz auf das, was wir auf diesem Gebiet erreicht haben.
({31})
- Herr Kollege Kauder, der Beifall der Unionsfraktion
könnte, da es gerade um das Thema Bildung geht, ruhig
etwas stärker ausfallen.
({32})
Ich nehme an, Frau Schavan ist uns für unser Vorgehen
im Hinblick auf Art. 91 b des Grundgesetzes sehr dankbar.
({33})
- Dann sagen doch Sie gleich etwas zu diesem Thema.
Jetzt komme ich auf den zweiten Teil der Föderalismusreform zu sprechen. Da Teil eins der Föderalismusreform sozusagen abgehakt ist, folgt bald Teil zwei.
Heute Nachmittag werden wir im Kreis der Fraktionsvorsitzenden darüber reden, wie wir unser Vorgehen
aufseiten des Bundestages organisieren. Der Kanzleramtschef und der Finanzminister haben die Aufgabe, die
notwendige Arbeitsbeschreibung im Hinblick auf die
Vorbereitung der Föderalismusreform II festzulegen und
mit uns darüber zu diskutieren. Ich denke, wir sollten so
vorgehen, dass diese Aufgabe noch im Laufe dieser Legislaturperiode erledigt werden kann.
Darüber hinaus müssen wir über die Neuverteilung
der Finanzen zwischen Bund und Ländern einerseits und
zwischen den verschiedenen Ländern andererseits reden.
Dabei müssen wir berücksichtigen, dass der Solidarpakt
bis zum Jahre 2019 gilt. Die ostdeutschen Länder müssen sich darauf verlassen können, dass sich daran nichts
ändert und keine Kürzungen vorgenommen werden. Das
ist meine Position.
Ich denke, der Föderalismusreform II wird auch eine
Föderalismusreform III folgen müssen. Wenn wir es geschafft haben, die Finanzkraft der Bundesländer in angemessener Weise auszugleichen, dann können und müssen wir auch über die Neugliederung der Bundesländer
diskutieren.
({34})
Nun möchte ich mich noch einigen anderen Themenbereichen zuwenden. Zunächst zur Familienpolitik.
Wie Sie wissen, hat die SPD-Bundestagfraktion großen
Anteil an der Einführung des Elterngeldes. Das war ursprünglich eine Forderung der SPD, Frau von der Leyen,
die in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde. Gleiches gilt in Bezug auf die Neuregelung zur steuerlichen
Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten. Für uns Sozialdemokraten bleibt es das erklärte Ziel unserer Familienpolitik, dass in Deutschland für jedes Kind ein
kostenfreier Kindergartenplatz zur Verfügung steht. Das
bleibt unser klares Ziel.
({35})
In Deutschland werden jedes Jahr - Steuern, Kindergeld, Freibeträge und dergleichen zusammengerechnet 160 Milliarden Euro für Familienförderung und Kinderförderung ausgegeben. Ich kann nicht einsehen, dass es
nicht möglich sein soll, die 8 Milliarden Euro, die wir
brauchen, um den Kindergartenbesuch gebührenfrei zu
machen, aus diesen 160 Milliarden Euro herauszuschneiden. Ich hoffe, dass dafür Vorschläge kommen.
({36})
Wir in der SPD diskutieren das. Ich weiß, auch die
Union denkt über diese Frage nach. Ich halte es für
falsch, zu überlegen, dafür das Kindergeld zu kürzen.
Aber darum geht es überhaupt nicht; es geht darum, wie
wir die vorhandenen Finanzmittel, ohne zusätzliche
schöpfen zu wollen, anders einsetzen, um Kindergartenplätze gebührenfrei anbieten zu können. Ich hoffe, dass
wir eine gemeinsame Lösung dafür finden werden. Unser Ziel bleibt es auf jeden Fall, zu machen, was Kurt
Beck in Rheinland-Pfalz begonnen hat. Das soll auch in
anderen Bundesländern Standard werden.
({37})
Ein weiteres Thema ist die Frage des Rechtextremismus. Ich finde es eigenartig, dass wir jedes Mal, wenn
gerade Wahlen stattgefunden haben und Rechtsextreme
in Landtage eingezogen sind, darüber diskutieren, wie
wir mit ihnen politisch umgehen, ob wir sie politisch bekämpfen müssen. Natürlich müssen wir sie politisch bekämpfen. Doch glauben Sie etwa, dass die Union, die
SPD und die FDP in Mecklenburg-Vorpommern sie
nicht politisch bekämpft haben? Das haben wir gemacht,
bei jeder Veranstaltung. Trotzdem sind sie in den Landtag eingezogen. Also müssen wir uns durchaus überlegen, wie wir mit ihnen umgehen und wie wir die Ursachen bekämpfen. Das sehe ich alles ein. Aber ich will
noch einmal klipp und klar sagen: Nach meiner Auffassung sind die Wahlergebnisse dieser Partei nur so zu erklären, dass das Nazis sind. Das sind keine Neonazis,
das sind Nazis, und wir müssen gegen sie vorgehen.
({38})
Ich lasse mir die Frage der Prüfung eines NPD-Verbots
nicht ausreden.
({39})
Ich weiß, welche rechtlichen Bedingungen es gibt: Ich
habe mir die Entscheidung aus Karlsruhe durchgelesen.
Ich bin selbst Jurist von Beruf und weiß, was man aus
diesem Urteil alles interpretieren kann. Aber die Rechtsauffassung von Karlsruhe - dass wir keine V-Leute in
diesen Organisationen haben dürfen, wenn das Verfahren
weitergehen soll - ist absurd. Wie sollen wir Erkenntnisse über die Verfassungsfeindlichkeit gewinnen, wenn
wir in diesen Gremien keine Leute haben dürfen, die
sich von sich aus anbieten - die haben wir doch nicht
eingekauft, die bieten sich an! -, uns zu informieren?
({40})
Nach meiner Einschätzung führt dieser Beschluss aus
Karlsruhe letztlich dazu, dass man überhaupt kein Verfahren zum Verbot rechtsextremer Parteien betreiben
kann. Dieses Ergebnis kann ich nicht akzeptieren. Wir
müssen an dieser Stelle weiterarbeiten.
({41})
Ich finde es gut, dass die Innenministerkonferenz am
vergangenen Freitag in Nürnberg beschlossen hat, das
Finanzgebaren der NPD überprüfen zu lassen.
({42})
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Schlägerbanden,
die die NPD durch Deutschland geschickt hat, die Banden, die beim Aufhängen ihrer Plakate unsere heruntergerissen haben, das alles umsonst gemacht haben. Das
glaube ich nicht. Mich interessiert, wer diese Nazipartei
finanziert. Es muss einmal öffentlich diskutiert werden,
wes Geistes Kind diejenigen sind, die so etwas unterstützen.
({43})
Nach einem Jahr großer Koalition ziehe ich für mich
und für meine Fraktion das persönliche Fazit: Dieses
Bündnis ist weitaus besser, als es von der öffentlichen
Meinung dargestellt wird. Wenn Zeitungen jetzt Noten
für Kabinettsmitglieder abgeben, ist das lächerlich. Dieses Bündnis ist besser als sein Ruf. Ich mache mir natürlich Sorgen, genau wie alle, die dieser Koalition angehören, wie die Meinungsumfragen aussehen. Allerdings
muss man auch sagen: Noch eine Woche vor der letzten
Bundestagswahl war die SPD den Meinungsumfragen
zufolge so im Keller und die CDU so weit oben, dass
niemand von uns auch nur mit einem Stück Brot hätte
feiern wollen. Herr Westerwelle saß schon auf dem Stuhl
neben Frau Merkel.
({44})
- Innerlich, doch, doch. Sie haben sich schon darauf vorbereitet, Herr Westerwelle, geben Sie es zu!
({45})
Erstens sage ich Ihnen: Es wird nicht jetzt in Deutschland gewählt. Also muss niemand vor lauter Angst zögern, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen, die
man treffen muss, wenn man regiert.
Zweitens bin ich fest davon überzeugt, dass die Maßnahmen, die wir beschlossen haben - Gesundheitsreform, Arbeitsmarktreform, Steuerreform -, rechtzeitig
im Jahre 2009 wirken werden, wenn die nächsten
Wahlen anstehen, sodass die Leute sagen werden, dass
diese große Koalition eine gute Arbeit geleistet hat.
Ich gehöre nicht zu denjenigen, die sagen, dass ihre
Partei bei der nächsten Bundestagswahl nur dann stark
werden kann, wenn sie sich gegen die andere Koalitionsfraktion, die CDU/CSU, profiliert. Ich bin der festen
Überzeugung, dass meine Partei Erfolg hat, wenn die
Koalition und die Regierung Erfolg haben. Dafür
kämpfe ich.
({46})
Man wird mir verzeihen, dass ich zum Abschluss
sage: Ich hoffe bei der nächsten Wahl auf das Ergebnis,
das es auch 1969 nach der großen Koalition gegeben hat.
({47})
Wir haben gut zusammengearbeitet und ein Sozialdemokrat wurde Kanzler. Frau Bundeskanzlerin, Sie werden
es mir verzeihen, aber das konnte ich mir nun doch nicht
verkneifen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({48})
Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat
nun die Kollegin Renate Künast das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es
Sie glücklich machen würde, dann könnte ich für die
Vertreterinnen und Vertreter der Koalitionsfraktionen,
für die Bundesregierung und für die Bundeskanzlerin
einfach dreimal rufen: Ja, ja, ja - ja, die Zahlen sind
glänzend, ja, die Nettokreditaufnahme ist niedriger, ja,
die Arbeitslosenzahlen sind gesunken. Wenn es denn
helfen würde.
An dieser Stelle muss ich aber auch Wasser in den
Wein gießen; denn eines ist doch klar: Sie versuchen
hier, auf einer Welle guter Zahlen zu schwimmen, in
Wahrheit streicht diese Koalition aber nur die Reformdividende von Rot-Grün ein.
({0})
- So ist es. - Frau Merkel, wenn Ihr Vorgänger nicht so
nervenschwach gewesen wäre, dann würde er heute hier
stehen und diese Dividende einstreichen.
({1})
Herr Steinbrück hatte gestern Recht, als er in seiner
Rede angedeutet hat, dass der Grundstein für diese Reformen - zum Beispiel die Arbeitsmarktreformen - unter
der Vorgängerregierung gelegt wurde.
({2})
Sie müssen jetzt erst einmal damit anfangen, anzupacken. Unser Kritikpunkt an der jetzigen Situation ist,
dass Sie sie für Deutschland nicht wirklich nutzen.
({3})
Sie müssen die soziale Marktwirtschaft auch ökologisch
weiterentwickeln. Sie müssen dafür sorgen, dass in diesem Land anders produziert und Mobilität anders erreicht wird und dass die Menschen anders wohnen.
Diese Bereiche packen Sie aber überhaupt nicht an. Sie
sorgen nicht dafür, dass in den sieben fetten Jahren für
sieben magere Jahre Vorsorge betrieben wird.
({4})
- Sie ruhen sich aus. Herr Raumsauer, wir wären in den
sieben Jahren noch weiter gewesen, wenn Sie nicht
- Bayern vorneweg - zu den Blockierern gehört hätten.
({5})
Sie geben an, dieses Land sei weiter. Sie rühmen sich
damit, den Haushalt saniert zu haben. Ich schaue mir
das einmal an und rechne nach Adam Riese: Sie haben
die Nettokreditaufnahme auf 19,6 Milliarden Euro reduziert. Bei Steuermehreinnahmen von 17,9 Milliarden Euro,
Privatisierungserlösen von 9,2 Milliarden Euro und Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung ist eine Reduzierung der Nettokreditaufnahme um circa 11 Milliarden
Euro ein Armutszeugnis.
({6})
Ich sage Ihnen: Wenn wir Ihre Strategie weiter betreiben würden, dann wären wir relativ sicher erst 2051 am
Ziel. Das halte ich für ein bisschen wenig. Man könnte
viel früher einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen.
Dazu müssten Sie allerdings die Einsparpotenziale
- auch bei der Verwaltung - konsequent nutzen. Dann
müssten die Subventionen und die Ausgaben konsequent
gesenkt werden. All das packen Sie aber nicht an.
Man kann als Fazit feststellen: Sie nutzen zwar die
Windfall Profits, leisten aber wenige Anstrengungen.
Die einzige Anstrengung, die Sie unternommen haben,
besteht darin, eine Unternehmensteuerreform vorzulegen, die nicht einmal gegenfinanziert ist. Sie entlasten
die Unternehmen, greifen aber mit der Mehrwertsteuererhöhung wieder dem kleinen Mann in die Tasche.
({7})
Frau Merkel, Sie haben versucht, uns eine Lehrstunde
in Sachen Rechnen zu geben, um uns allen zu erklären,
dass bei den Lohnnebenkosten von 40,6 Prozent eine
Senkung erfolgt sei; wer das nicht errechnen könne, sei
in diesem Hause fehl am Platz.
Ich rechne mit dem, was Sie damals angekündigt haben. Sie haben eine Erhöhung der Mehrwertsteuer angekündigt und legitimiert, indem Sie gesagt haben, diese
Koalition werde die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent
senken. Sie haben zwar die Mehrwertsteuererhöhung beschlossen, aber die Lohnnebenkosten nicht gesenkt. Versprochen - gebrochen: Das ist das richtige Fazit.
({8})
Sie haben das Meisterstück der Koalition - eine
Gesundheitsreform - angekündigt. Sie haben gerade
selbst festgestellt, dass es sich dabei nicht um eine Gesundheitsreform zugunsten der Strukturen und Anbieter,
sondern für die Versicherten handelt. Ich halte Ihnen entgegen: Diese Gesundheitsreform war auch für die privaten Krankenkassen gedacht, die Sie von Anfang an sakrosankt gestellt haben. Das ist falsch. Sozial geht
anders, Frau Merkel.
({9})
Sie haben uns mit der Gesundheitsreform eine Vorstellung Ihres monatelangen Herumdokterns und ständigen Aufschiebens gegeben. Erst haben Sie angekündigt,
dass mehr Steuern in das System fließen würden. Dann
wurde das wieder zurückgenommen. Als die Einnahmen
etwas stiegen, wollten Sie das System doch wieder zum
Teil aus Steuermitteln finanzieren. Diese Gesundheitsreform und das Herumdoktern in diesem Punkt hat in Sachen Gesundheit in Deutschland nichts Positives bewegt; die Menschen, die Ihre Arbeit verfolgt haben, sind
eher krank geworden.
({10})
Was haben Sie in der Arbeitsmarktpolitik bewirkt?
Sie haben Unruhe gestiftet. Lassen Sie mich nur auf die
Vorschläge von Herr Rüttgers zum ALG I eingehen.
Frau Merkel, Sie haben gesagt, Sie wollten Deutschland
dienen. An dieser Stelle könnten Sie Deutschland einen
Dienst erweisen, indem Sie nicht darauf verweisen, dass
Sie den Punkt nicht angehen könnten, weil die SPD das
nicht will, sondern ganz klar feststellen: Wir wollen die
Vorschläge von Rüttgers nicht umsetzen, weil sie asozial
sind.
({11})
Sie sind asozial, weil es in Zukunft wenige Menschen
geben wird, die 45 Jahre durchgehend erwerbstätig sind,
weil Rüttgers’ Vorschlag ihnen Sand in die Augen streut
und weil dieser Vorschlag die Situation vieler Menschen
noch verschlechtern würde. Heute reicht es, zwei Jahre
versicherungspflichtig tätig zu sein, um ein Jahr lang
ALG I beziehen zu können. Nach Rüttgers’ Vorschlag
muss jemand zehn Jahre versicherungspflichtig tätig
sein, um ein Jahr ALG zu erhalten.
({12})
Wer von den heute 25- bis 30-Jährigen schafft das denn?
Rüttgers’ Vorschlag richtet sich, glaube ich, gegen
mehrere Seiten: zum einen gegen die Kanzlerin, die er
nicht akzeptieren kann, zum anderen gegen die jungen
Menschen, die erst einmal in den Arbeitsmarkt hineinkommen müssen, und auch gegen die Frauen, die allein
aufgrund von Erziehungszeiten nicht so leicht auf zehn
Jahre versicherungspflichtiger Tätigkeit kommen.
({13})
Auch dazu kann man nur feststellen: Sozial geht anders.
Ich muss mich auch über etwas anderes wundern,
Frau Merkel. Wenn Sie über mehr Leistungsbereitschaft
reden und darüber, dass Sie die Leistungsträger unterstützen wollen, dann hören Sie doch auf, ständig über
Leistungsbeschränkungen, Sanktionen und Missbrauch
beim Arbeitslosengeld zu diskutieren! Dann fangen Sie
doch an, dafür Sorge zu tragen, dass die Mittel zur Förderung von Langzeitarbeitslosen bei der Bundesagentur
abfließen, statt wieder über 2 Milliarden Euro liegen zu
lassen und eine Haushaltssperre für Eingliederungsmittel
zu verhängen! Sie blinken sozial, aber am Ende ist Ihr
Kurs doch wieder neoliberal.
({14})
Was Ihre Leipziger Rede angeht, schaffen Sie zwar
jetzt ein bisschen Distanz dazu, aber das, was Sie hier
anbieten, ist immer noch Leipziger Allerlei.
({15})
Nach einem Jahr großer Koalition ist festzustellen:
Sie machen eine Politik der kleinen Schritte, von der
man heute kaum weiß, wohin sie geht oder gehen soll.
Sie verständigen sich auf den kleinsten gemeinsamen
Nenner. Wenn man genau hinschaut, dann erkennt man,
dass es immer der kleinste gemeinsame Nenner von
CDU/CSU, SPD und den Unionsministerpräsidenten ist.
Sie haben noch Anfang dieses Jahres den guten Geist
von Genshagen, dem Ort, an dem Sie eine Kabinettsklausur abgehalten haben, beschworen. Ich glaube aber,
dass der gute Geist von Genshagen gar nicht mehr existiert, sondern dass er eher zum Monster von Wolfratshausen mutiert ist.
({16})
- Die Versicherungswirtschaft will Sie nicht wieder haben, Herr Niebel.
Jetzt müsste es eigentlich losgehen. Frau Merkel, Sie
haben sowohl in Ihrer heutigen als auch in Ihrer Rede
zuvor klar gesagt: Wir dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Mich stört diese
reaktive Grundhaltung. „Wir dürfen unsere Zukunft
nicht verbrauchen“ offenbart eine falsche Begrifflichkeit; denn wir sind mittlerweile in vielen politischen Bereichen so weit entwickelt, dass es nicht mehr nur um
Reaktion und Nichtverbrauchen geht. Vielmehr müssen
wir an dieser Stelle eine aktive Haltung einnehmen. Wir
müssen uns eine gute Zukunft erst aufbauen. Wir dürfen
bei den zentralen Themen Klima, Gerechtigkeit und
Kinderförderung nicht nur darauf verweisen, dass wir etwas nicht verbauen dürfen. Vielmehr müssen wir Mut,
Kreativität und Kraft haben und uns von alten Lobbygruppen lösen, um wirklich etwas aufzubauen. Aber das
tun Sie bislang nicht.
({17})
Meine ehrliche Sorge ist, dass Sie Vorbereitungen
treffen, um 2007 zu einem Jahr der roten Teppiche und
der abgeschrittenen Ehrenformationen zu machen und
im nächsten Jahr lauter 50-Jahr-Feiern zu veranstalten.
Wir brauchen aber für die Europäische Union und insbesondere für Deutschland eine neue Zündungsstufe in der
Entwicklung.
Ich nenne das Thema Klima als Beispiel. Eines verwundert sehr: Herr Gabriel ist herumgereist und hat national und international verkündet, Deutschland wolle
eine Vorreiterrolle in Klimafragen einnehmen. Unter diesem Gesichtspunkt war Ihre heutige Rede mehr als enttäuschend, Frau Bundeskanzlerin.
({18})
Der Klimawandel findet längst statt. Er ist von einer
ökologischen zu einer ökonomischen Katastrophe geworden. Nicholas Stern, ehemaliger Chefökonom der
Weltbank, sagt, dass in wenigen Jahren bis zu 20 Prozent
der globalen Wirtschaftsleistung durch den Klimawandel aufgefressen werden. Dabei hat er noch nicht einmal
über Hunger, Migrationsströme und Wetterextreme geredet, die unsere Wirtschaft schon heute betreffen. Professor Schellnhuber, der auch Sie berät, Frau Merkel, hat
gesagt: Wenn wir eine Wende beim Klima noch schaffen
wollen, dann ist heute ein kraftvolles politisches Handeln notwendig, weil wir noch circa zehn Jahre Zeit haben. - Unter diesem Aspekt haben Sie heute nichts angeboten.
({19})
- Das ist nicht falsch, auch wenn Sie etwas anderes behaupten. Frau Merkel hat in ihrer Rede zwar das Problem benannt, hat aber keine einzige Maßnahme beschrieben, die sie ergreifen will.
({20})
Das Jahr 2007 muss ein Jahr des Handelns werden.
Wir brauchen gerade nach Nairobi ein zweigleisiges
Vorgehen für einen erfolgreichen Klimaschutz. Wir können nicht immer auf das langsame Völkerrecht warten.
Nairobi hat gezeigt, dass die Welt sozusagen auf Leadership wartet. Die Menschen in Afrika zum Beispiel warten darauf, dass jemand Vorreiter für einen wirtschaftlichen Wettbewerb ist, der dazu führt, dass anders
produziert wird und Rücksicht genommen wird. Wir
müssen unsere CO2-Emissionen senken und lernen, wirtschaftliche Entwicklung und Mobilität ohne CO2-Emissionen zu denken. Aber dazu haben Sie keinen Vorschlag gemacht.
({21})
Wer die Wirtschaft in Deutschland und in Europa
weiterentwickeln will, muss beim Klimaschutz technologisch vorangehen und schneller sein. Wer beim Klimaschutz anführen will, der muss auch bereit sein, voranzugehen. Das gehört logisch zusammen. Sie müssen
endlich beschließen, dass Deutschland 40 Prozent seiner
CO2-Emissionen bis 2020 senken wird - komme, was
wolle.
({22})
Es reicht nicht aus, dass Herr Gabriel hin und wieder
Wenn-dann-Sätze spricht. Also: Wenn die Europäische
Union entscheidet, dass die CO2-Emissionen um
30 Prozent gesenkt werden sollen, dann werden auch
wir … Nein, wir brauchen von der zukünftigen Präsidentschaft der EU und der zukünftigen G-8-Präsidentschaft
eine klare Aussage - quasi eine Morgengabe -, die lautet: Deutschland wird die CO2-Emissionen um
40 Prozent reduzieren. Dann lösen Sie Wettbewerb aus
und dann geben Sie der Wirtschaft einen Schub.
({23})
Wir brauchen mehr als nur rhetorische Verrenkungen.
Ich höre Ihre Worte, Herr Gabriel, immer gern; denn sie
haben etwas Dynamisches. Sie weisen in die richtige
Richtung. Uns Grünen aber fehlt, dass den Worten etwas
folgt. Ihre rhetorischen Verrenkungen in den letzten Tagen über Ihren NAP II, also die Senkung der CO2-Emissionen, die Sie in Brüssel eingereicht haben, waren
schon beachtlich. Die EU-Umweltagentur hat keine
neuen Zahlen gebraucht, um sagen zu können, dass
Deutschland beim Klimaschutz kein Vorreiter ist und
seine CO2-Emissionen weiter reduzieren muss. Diese
Regierung - an vorderster Stelle die Kanzlerin - ist aufgefordert, nicht vor der Drohung eines Investitionsboykotts durch die Stromindustrie in die Knie zu gehen. Sie
wollten Deutschland dienen. Hier ist der Ort, zu dienen.
({24})
Sie müssen viel ehrgeizigere Ziele beim Emissionshandel festlegen und Sie müssen die Privilegien für
Kohlekraftwerke endlich abschaffen, weil Sie ansonsten
das Gegenteil dessen tun, was Ihr Berater, Herr Professor Schellnhuber, rät, der gesagt hat, man müsse in den
nächsten zehn Jahren aktiv sein, weil sonst die Zeit vertan sei. Wir brauchen ehrgeizige europäische Maßnahmen, einen europäischen Pakt für Klimaschutz und Versorgungssicherheit. Wir brauchen verbindliche Ziele.
Wir Grüne sagen: Wir müssen neue Felder beschreiten. Da lassen wir uns auch nicht durch Marktanreizprogramme, die Sie auflegen, in die Irre führen. Die größten
Millionenzahlungen für Anreizprogramme reichen nicht
aus, wenn Sie nicht endlich ein Wärmeeinspeisungsgesetz auflegen; denn das ändert die Strukturen und kurbelt
die Wirtschaft an.
({25})
Gerade der Mittelstand, der die Arbeitsplätze schafft,
braucht jetzt eine Effizienzstrategie. Wir haben in diesem Haushalt vorgeschlagen, einen Klimaschutzfonds
für das Jahr 2007 einzurichten, den wir später zum Beispiel durch die Versteigerung der Emissionszertifikate
speisen wollen.
({26})
Wer dieses Land zum Vorreiter machen will, muss die
Möglichkeit nutzen, 10 Prozent der Emissionszertifikate
zu versteigern und die Einnahmen für eine Effizienzstrategie zu verwenden. Daran wird der Mittelstand verdienen und dadurch werden neue Arbeitsplätze entstehen.
Das ist sinnvoller, als über die Abschaffung von Kündigungsschutzregeln zu sprechen.
({27})
Mir hat in diesem ganzen Bereich gefehlt, dass Sie
Vorschläge machen, wie wir wieder zu den alten Stärken
der deutschen Wirtschaft zurückfinden können. Wenn
man sich überlegt, wo die Stärken der deutschen Wirtschaft waren, kommt man sofort auf den Automobilbau.
Wir stellen aber fest, dass im Augenblick die modernsten
Fahrzeuge nicht in Deutschland hergestellt werden. Wer
aber wieder dahin will, dass moderne und hoch angesehene Fahrzeuge in Deutschland hergestellt werden, der
muss dem Markt Ziele setzen, die er erreichen soll, und
Regeln geben. Das bedeutet für die Automobilindustrie
eine zeitliche Vorgabe, bis wann der Durchschnittsverbrauch eines in Deutschland oder in Europa hergestellten
Autos bei 5 Litern oder wann er bei 3 Litern sein muss.
Wer da Bewegung schaffen will, muss dafür Sorge tragen, dass die Kfz-Steuer nach dem CO2-Ausstoß berechnet wird. So macht man eine gute soziale und ökologische Marktwirtschaft und nicht, indem man nur Zahlen
benennt.
({28})
Frau Merkel, Sie haben an dieser Stelle über soziale
Gerechtigkeit geredet. Sie haben Recht: Eine der zentralen Gerechtigkeitsfragen betrifft das Thema Bildung.
Aber für die Bildung brauchen wir Durchlässigkeit in
den Strukturen, weil es in Deutschland immer noch so
ist, dass der soziale Aufstieg, der Aufstieg in Führungsfunktionen, quasi vererbt wird wie im 19. Jahrhundert.
({29})
Ehrlich gesagt, stört uns die Art und Weise Ihres
Schönheitswettbewerbs um kostenfreie Kitaplätze,
meine Damen und Herren. Von diesen kostenfreien Kitaplätzen werden die Besserverdienenden profitieren, aber
nicht die Kinder dieser Republik. Sie sind an dieser
Stelle auf dem Irrweg.
({30})
Ich hoffe, dass Sie sich da gegenseitig wieder zurückholen werden.
Die Republik braucht auch keine flächendeckende
Pflasterung mit Modellprojekten, Frau von der Leyen,
sondern diese Republik und die Kinder brauchen nach
Ihrem Elterngeld einen durchsetzbaren Rechtsanspruch
auf Kinderbetreuung mit einem guten Bildungsangebot.
Dafür brauchen wir Geld.
({31})
Wir brauchen nicht als Erstes Gebührenfreiheit, sondern
wir müssen die sprachliche Entwicklung der Kinder fördern. Es nützt doch keinem Kind, wenn es aus einem
kostenlosen Kindergarten mit einem Sprachdefizit in die
Grundschule kommt.
Sie werden sich mit der Finanzierung der Kinderbetreuung auseinander setzen müssen. Sie tun so, als könne
man beim Kindergeld herumoperieren. Ich habe mir die
Analyse des Bundes der Steuerzahler des Berichts der
Bundesregierung zum Existenzminimum angesehen und
kann Ihnen sagen, dass Sie ständig mit Rechentricks arbeiten. Sie tun so, als könnten Sie Kindergartenplätze
kostenlos machen, indem Sie das Kindergeld vielleicht
nicht erhöhen. Zeitgleich hat Ihr Bundesfinanzministerium die Zahlen systematisch so klein gerechnet - erstmals wird behauptet, es gebe niedrigere Lebenshaltungskosten in dieser Republik -, dass es bis Ende 2008
überhaupt nicht zu einer Erhöhung des Kindergeldes
kommen wird. Verlassen Sie doch endlich Ihr Wolkenkuckucksheim! Kümmern Sie sich um die Sorgen der Menschen, die da heißen: Rechtsanspruch auf einen guten
Kindergartenplatz.
({32})
Voraussetzung dafür ist zum Beispiel eine komplette
Umstrukturierung unserer Bildungslandschaft. Natürlich
müssen die Curricula durch die Länder verändert werden. Aber auch Sie müssen eine Leistung vollbringen.
Diese Regierung muss dafür sorgen, dass die Kommunen
genug Geld haben, um bei den Kindergartenplätzen überhaupt anfangen zu können.
Es gibt nur einen Weg: Wenn Sie selber sagen, Sie als
große Koalition seien mutig, dann seien Sie doch so mutig und stellen endlich einmal alte Steuerprivilegien infrage. Nach unserer Meinung ist das Ehegattensplitting,
das die kinderlose, reiche Ehe privilegiert, nicht mehr zu
legitimieren. Das sind genau die Gelder, die wir in unsere Kinder investieren müssen.
({33})
Sie loben sich am Ende der Bildungspyramide, beim
Thema Hochschulpakt. Ich sage Ihnen aber: Auch der
Hochschulpakt hält nicht, was Sie heute früh versprochen haben. Warum? Weil Sie mit dem Hochschulpakt
Boni an einige Stadtstaaten geben, zum Beispiel auch an
Berlin, damit existente Hochschulplätze erhalten werden. Sie kürzen die Gelder um mehr als 20 Prozent, sodass Sie mit Ihrem Hochschulpakt gar nicht 90 000 neue
Studienplätze werden schaffen können. Das ist ein Dilemma, weil wir in Wahrheit in den nächsten Jahren
noch mehr Geld als für diese 90 000 neuen Studienplätze
brauchen werden.
Wir haben uns in diesem Jahr als konstruktive Opposition aufgestellt.
({34})
Deshalb will ich an dieser Stelle mit einer Bitte und einer
Erwartung an die Bundesregierung enden, die sich auf
das Thema Außenpolitik bezieht. Frau Merkel, ich habe
positiv aufgenommen, was Sie zum NATO-Gipfel in
Riga gesagt haben, weil ich glaube, dass es genau darauf
ankommt. Ich bin froh, dass Sie jetzt endlich einmal die
Stimme erhoben haben und in Richtung NATO-Gipfel
klar sagen, dass die internationalen Sicherheitsprobleme
eben nicht allein mit Militär zu lösen sind, sondern dass
dazu auch zivile Unterstützung und wirtschaftliche Unterstützung erforderlich sind.
Ich hoffe, dass Sie diese Strategie weiterführen, dass
Sie laut - auch in Richtung USA - sagen: Das, was im
Irak angerichtet worden ist, was unter dem Schild von
„Enduring Freedom“ im Süden Afghanistans passiert, ist
nicht richtig. Ich hoffe, dass Ihre Erwartungen erfüllt
werden. Ich hoffe, dass internationale Sicherheitspolitik
anders betrieben wird.
Wir haben eine Erwartung in Sachen Nahost - dazu
haben Sie heute nichts gesagt -: dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, das Nahostquartett wieder beleben. Auch für
den Libanoneinsatz gilt: Militär allein wird nicht reichen. Wir brauchen Aktivitäten, die geeignet sind, den
Libanon zu stabilisieren. Wir brauchen die Umsetzung
der Zweistaatenlösung. Wir müssen Syrien konstruktiv
einbeziehen; sonst wird dieses Unternehmen vor Ort
scheitern.
({35})
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Frau Bundeskanzlerin, mein Fazit Ihres ersten Jahres
ist: Ihre Zahlen sind zwar gut; aber es ist in Wahrheit die
Reformdividende Ihrer Vorgängerregierung. Mein Ausblick ist: Das Jahr 2007 darf nicht das Jahr der roten Teppiche sein. Sie haben große Aufgaben auf dem Gebiet
des Sozialen und des Ökologischen zu lösen, damit dieses Land Vorreiter beim Klimaschutz ist und damit hier
neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Wir Grüne erwarten von Ihnen, dass Sie nicht nur über die Fakten reden, sondern diese Dinge wirklich anpacken.
({0})
Das Wort hat jetzt der Vorsitzende der CDU/CSUFraktion, Volker Kauder.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit einem
Jahr regiert die große Koalition in Deutschland und wir
können feststellen: Wir bringen unser Land voran.
({0})
Dies hat natürlich etwas mit der Arbeit dieser Bundesregierung und dieser Koalition zu tun. Vier Punkte sind
entscheidend dafür, dass in unserem Land ein neuer Optimismus entstanden ist.
Erstens. Wir machen den Staat effizienter. Wir haben
die Föderalismusreform durchgebracht und dafür gesorgt, dass in unserem Land wieder klare Aufgabenteilungen und Aufgabenzuständigkeiten vorherrschen. Wir
haben dafür gesorgt, dass der Staat effizienter wird und
dass wir in der Haushaltspolitik entscheidend vorankommen. Was waren das für dramatische Jahre, als wir unter
der Beobachtung der EU standen. Es wurde immer wieder die Frage gestellt: Kommen wir da voran oder nicht?
Ich wiederhole: Wir haben den Staat effizienter gemacht.
Wir haben Kräfte für die Regierungsarbeit dadurch freigeschaufelt, dass wir den Haushalt konsolidiert haben.
({1})
Wir haben etwas gemacht, was viele von uns schon
gar nicht mehr für möglich gehalten haben. In vielen Reden haben wir davon gesprochen, dass Bürokratieabbau sein muss. Jetzt haben wir ein Instrument zum Bürokratieabbau gefunden. Ich bitte die Bundesregierung,
sehr darauf zu achten, dass der Normenkontrollrat mit
seiner Arbeit vorankommt. Wir erwarten erste Ergebnisse im nächsten Jahr. Was die Umsetzung dessen angeht, was wir miteinander vereinbart haben, liegen wir
genau im Zeitplan.
({2})
Zweitens. Wir stärken den Standort Deutschland
durch eine ganze Reihe von Maßnahmen. Vor allem stärken wir den Mittelstand. Die Bundeskanzlerin hat es
gesagt: Der Blick in unserem Land fällt immer auf die
DAX-Unternehmen und auf die Entwicklung ihrer Mitarbeiterzahlen. Aber die große Leistung, Arbeitsplätze
zu schaffen, wird nicht von den großen Unternehmen erbracht, sondern von den vielen kleinen und mittelständischen Betrieben. Ihnen sind wir dafür dankbar. Wir helfen ihnen auch durch konkrete gesetzliche Maßnahmen
dabei, dass sie ihre Arbeit für unser Land leisten können.
({3})
- Dazu brauchen wir auch die FDP. Ich weiß gar nicht,
warum Sie uns an diesem Punkt so kritisch gegenüberstehen. Wir machen genau das, was wir im letzten Jahr
vereinbart haben: eine Unternehmensteuerreform und
eine Erbschaftsteuerreform. Ich lade Sie ein, bei Vorhaben mitzumachen, die auch Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der FDP, in Ihrem Wahlprogramm
2005 postuliert haben.
({4})
Wir haben eine Mittelstandsinitiative und ein Investitionsprogramm auf den Weg gebracht. Das sind alles
richtige Dinge, mit denen wir den Standort Deutschland
und insbesondere den Mittelstand stärken. Damit leisten
wir einen entscheidenden Beitrag zur Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit. Die Zahlen sind genannt worden. Man
kann sie gar nicht oft genug nennen; denn nach fast einem Jahrzehnt ist in diesem Bereich eine Trendwende
erkennbar. Das ist auch für die Menschen ein wirkliches
Hoffnungszeichen. So habe ich in den letzten Tagen eine
junge Frau getroffen,
({5})
die seit vielen Jahren in meine Bürgersprechstunde
kommt. In der ganzen Zeit hat sie einen Jobverlust nach
dem anderen erlebt. Sie hat mir nun gesagt: Herr Kauder,
es bewegt sich etwas; zum ersten Mal seit Jahren bekomme ich wieder Einladungen zu Vorstellungsgesprächen. Das sind Hoffnungszeichen in unserem Land, die
auf unsere Politik zurückgehen.
({6})
Drittens. Wir fördern den Zusammenhalt in unserer
Gesellschaft. Dafür tun wir zunächst einmal etwas für
unsere Familien. Diese sind die entscheidenden Einrichtungen, wo Zusammenhalt in unserer Gesellschaft erlebbar wird. Hier gibt es Hilfe und Unterstützung auch in
den Wechselfällen des Lebens. Deswegen bin ich außerordentlich dankbar, dass die Bundesregierung ein Bündel von Maßnahmen zugunsten der Familien initiiert hat.
Ganz entscheidend in diesem Zusammenhang ist auch
- Peter Struck hat es angesprochen -, dass Frau von der
Leyen für die Bundesregierung eine Aufstellung darüber
vorlegen wird, was wir insgesamt für die Familien ausgeben. So wird klar, wie viel wir für Familien tun. Es ist
nämlich nicht so - wie manchmal der Eindruck erweckt
wird -, dass wir kaum etwas für Familien in unserem
Land täten. 150 Milliarden Euro geben wir für familienpolitische Leistungen aus. Das ist eine stolze Fördersumme. Wir wollen prüfen, wie wir das Geld noch besser als in der Vergangenheit einsetzen können.
({7})
Die Förderung des Zusammenhaltes unserer Gesellschaft geschieht auch, indem wir uns mit einem ganz
wichtigen Thema befassen, das, wie ich glaube, in der
Vergangenheit nicht mit dem notwendigen Nachdruck
bearbeitet worden ist. Wir fördern nämlich den Zusammenhalt, indem wir uns massiv um Integration in unserem Land bemühen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
hat von Anfang an darauf verwiesen, dass sich unsere Integrationsbemühungen an all diejenigen wenden, die
nicht in die Gesellschaft unseres Landes integriert sind.
Dabei handelt es sich beispielsweise um Kinder aus Migrantenfamilien, aber auch um Kinder aus deutschen Familien, die aus ihrem familiären Umfeld keine oder nur
wenig entsprechende Erziehung und Hilfe bekommen.
Der kürzlich stattgefundene Integrationsgipfel, der in
verschiedener Weise seine Fortsetzung findet und im
nächsten Jahr konkrete Ergebnisse bringen wird, zeigt,
wie ernst wir diese Sache nehmen. Wir nehmen die Sache auch deshalb ernst, weil wir von Anfang an gewusst
haben - das haben wir auch immer gesagt -, dass das
Gesäusel von der multikulturellen Gesellschaft Menschen nicht in die Gesellschaft integriert, sondern Menschen aus der Gesellschaft ausschließt. Deshalb machen
wir nun etwas ganz anderes mit dem von uns eingeschlagenen Integrationskurs.
({8})
Viertens. Wir nehmen innere Sicherheit ernst. Mittels eines ganzen Pakets an gesetzlichen Maßnahmen haben wir die Terrorismusbekämpfung vorangetrieben.
Wir sorgen dafür, dass die Polizei ihre Kontrollaufgaben
über entsprechend zur Verfügung gestellte Dateien besser als bisher wahrnehmen kann.
Es ist auch völlig klar - das müssen wir den Menschen in unserem Land immer wieder sagen -: Innere Sicherheit kann nicht nur durch gesetzliche und polizeiliche Maßnahmen in unserem Land gewährleistet werden,
sondern innere Sicherheit hat auch etwas mit äußerer
Sicherheit zu tun. Wir müssen deshalb überall dort, wo
NATO bzw. UNO den Eindruck haben, dass eine Befriedung stattfinden muss, unseren Beitrag leisten. Das
macht die Bundesregierung auch. Die Bundeswehr hat
dabei einen schweren Auftrag. Wir alle wissen, dass wir
es uns nicht leicht machen mit der Entscheidung, unsere
Soldatinnen und Soldaten an einen Brennpunkt zu schicken.
Aber noch viel schwerer haben es diejenigen, die unsere Entscheidung auszuführen haben. Deswegen sind
wir ihnen außerordentlich dankbar; ohne ihren Einsatz,
den sie draußen in der Welt leisten, könnten wir innere
Sicherheit in unserem Land nicht garantieren. Herzlichen Dank an die Soldatinnen und Soldaten unserer
Bundeswehr!
({9})
Wenn man sich diese Bilanz nach zwölf Monaten großer Koalition anschaut, muss man sagen: Diese Regierung hat erfolgreiche Arbeit geleistet. Frau Bundeskanzlerin, herzlichen Glückwunsch und herzlichen Dank für
die ersten zwölf Monate der großen Koalition!
({10})
Wir werden diesen Erfolgskurs fortsetzen. Wir werden dafür sorgen, dass wir die Ziele, die wir uns gesetzt
haben, auch erreichen; wir werden sie konsequent verfolgen.
Das ist zum einen die Haushaltskonsolidierung. Es
gibt kein besseres Beispiel dafür, dass wir es mit der
Haushaltskonsolidierung wirklich ernst meinen, als die
geringste Nettokreditaufnahme seit der deutschen Einheit in diesem Haushalt 2007. Das ist fast eine Halbierung der Nettoneuverschuldungen der vergangenen
Jahre. Das ist eine großartige gemeinsame Leistung dieser die Koalition tragenden großen Volksparteien. Ich
sage den Haushältern und natürlich auch dem Bundesfinanzminister herzlichen Dank für diese Arbeit.
({11})
Wir werden die Föderalismusreform weiter voranbringen. In der Föderalismusreform II müssen die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu geregelt werden. Auch in diesem noch schwierigeren Gebiet
als bei der Föderalismusreform I muss die große Koalition zeigen, dass sie Kraft hat; denn wenn es ums Geld
geht, hört die Freundschaft ja bekanntlich grundsätzlich
auf.
({12})
- Frau Künast, Sie können sich daran beteiligen, indem
Sie an der Kommission teilnehmen, die wir einrichten.
Auf Länderebene sind Sie ja überall verschwunden; deswegen müssen Sie sich auf Bundesebene an diesem
Thema beteiligen.
Wir verfolgen weiter unsere Ziele. Wir haben gesagt,
wir konsolidieren nicht nur den Haushalt, sondern auch
die sozialen Sicherungssysteme. Da steht vor uns eine
Aufgabe: die Pflegeversicherung. Wir haben miteinander vereinbart, bei der Pflegeversicherung ein deutliches
Zeichen im Sinne der Nachhaltigkeit auch an die junge
Generation zu geben. Es gibt gerade eine Diskussion in
der Fraktion der SPD und auch bei uns, ob das Thema
Nachhaltigkeit stärker verankert werden müsste. Da
kann ich nur sagen: Wenn wir diese Diskussion führen,
dann sollten wir bei der Pflegeversicherung, deren Reform wir jetzt miteinander vorantreiben, ein Zeichen dafür setzen, dass es uns wirklich ernst ist. Das kann nur
heißen: kapitalgedeckte Elemente in der Pflegeversicherung.
({13})
Wer Nachhaltigkeit will, muss dieses Thema ernst nehmen. So steht es auch in der Koalitionsvereinbarung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
gesagt, dass wir das Thema Sicherheit ernst nehmen.
Weil das so ist, wissen wir auch - Peter Struck und die
Bundeskanzlerin haben bereits darauf hingewiesen -,
dass wir Sicherheit nicht allein und ausschließlich mit
militärischen Einsätzen schaffen können. Wir brauchen
ein politisches Konzept. Ich weiß aus meiner Fraktion,
dass es uns leichter fällt, die notwendigen Einsätze der
Bundeswehr und deren Verlängerungen zu beschließen,
wenn wir sehen, dass es über den Einsatz hinaus zu politischen Aktivitäten mit Perspektiven für das Land
kommt.
Deswegen bin ich Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, außerordentlich dankbar, dass Sie auch beim NATO-Gipfel
in Riga jetzt so vehement auf dieses Thema eingehen.
Ich weiß sehr wohl, dass es eine Diskussion - sie hat
nicht ausschließlich etwas mit den Amerikanern zu tun darüber gibt, inwieweit die NATO ein Militärbündnis ist
und inwieweit sie auch politische Aufgaben zu übernehmen hat. Aber wenn ich sehe, was gerade die Bundeswehr - dafür, Franz Josef Jung, herzlichen Dank - neben
den eigentlichen militärischen Aufgaben tut, um das
Land voranzubringen, dann muss ich sagen: Wenn es
stimmt, dass nach einem militärischen Einsatz auch politische Konsequenzen folgen müssen, dann muss sich die
NATO fragen, ob sie nicht auch dazu einen Beitrag leisten muss. Auf diesem Weg, Frau Bundeskanzlerin, unterstützen wir Sie nachhaltig.
({14})
All diese Fragen, die wir in der Innenpolitik sowie in
der Außen- und Sicherheitspolitik miteinander besprechen, sind wichtig und von zentraler Bedeutung. Aber
die größte Herausforderung, vor der wir stehen - wenn
wir sie nicht bestehen, verlieren alle anderen Fragen an
Bedeutung -, ist die Globalisierung in der Welt. Die
Bundesregierung und die große Koalition stellen sich
dieser Herausforderung.
Wir wissen - so hat es Michael Stürmer vor wenigen
Tagen bei einer Vorstellung seines neuen Buches „Welt
ohne Weltordnung. Wer wird die Erde erben?“ gesagt -,
dass die Globalisierung kein Mitleid hat. Aufstrebende
Nationen mit einer jungen Altersstruktur drängen nach
vorne. Deswegen wäre es die völlig falsche Botschaft,
wenn wir sagen würden - das kann man manchmal von
ganz links hören -: Wir müssten uns abschotten, wir
müssten dichtmachen und schauen, dass wir intern vorankommen. Diese Defensivstrategie wird uns nicht zum
Erfolg führen. Deshalb ist es richtig, dass wir in die Offensive gehen und sagen: Wir haben den Mut, diesen
Wettbewerb anzunehmen. Wir trauen uns zu, diesen
Wettbewerb zu gewinnen. Das ist die Botschaft. Wer
keinen Mut hat und in die Defensive gedrängt wird, der
wird diesen Wettbewerb nicht gewinnen.
({15})
Den Wettbewerb im Rahmen der Globalisierung werden wir natürlich nur dann gewinnen, wenn wir die Menschen mitnehmen. Es ist richtig, dass sich Menschen in
unserem Land Sorgen machen, wie es mit ihnen weitergeht. Bis weit hinein in den Mittelstand machen sich
Menschen Sorgen, ob sie ihren Arbeitsplatz behalten.
Unsere Antwort darauf lautet: Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland ein System sozialer Absicherung,
das seinesgleichen in der ganzen Welt sucht. Wir wollen
trotzdem immer wieder neu überlegen, wie wir dieses
System noch besser machen können.
An dieser Stelle muss man auch einmal sagen: Fast
30 Milliarden Euro für Hartz IV sind kein Pappenstiel.
Da kann niemand sagen, diese Republik sei nicht sozial.
Diese Republik tut wirklich vieles, um denjenigen, die
aus der Bahn geraten sind, zu helfen. Natürlich kann
man immer mehr machen. Aber mehr machen kann man
erst dann, wenn wieder mehr Geld in der Kasse ist. Deswegen ist der entscheidende Punkt: Wirklich sozial ist
das, was Arbeit schafft. Denn Arbeit gibt den Menschen
Perspektiven.
({16})
Herr Vizekanzler, es ist richtig, wie Sie auf diese Herausforderungen reagieren. Mit uns zusammen wollen
Sie sich die Gruppen von besonders betroffenen Menschen anschauen. Beispielsweise haben es die über
50-Jährigen und die unter 25-Jährigen besonders schwer,
Arbeit zu bekommen. Ich weiß, dass Sie sich in einer
Diskussion über den Kombilohn befinden. Im nächsten
Jahr wird es entsprechende Vorschläge geben. Das zeigt,
die große Koalition lässt die Menschen in unserem Land,
die Sorgen und Probleme haben, eben nicht allein und
reagiert nicht mit alten Hüten, sondern sie reagiert mit
neuen Instrumenten auf die Herausforderungen, um den
Menschen in unserem Land zu helfen.
({17})
Die Globalisierung hat, wie gesagt, kein Mitleid. Deswegen müssen wir sie annehmen und den Menschen
auch Mut machen. Denn nur derjenige, der den Menschen Mut macht, wird diesen Wettbewerb gewinnen.
Ich will in diesem Zusammenhang auf ein zweites bemerkenswertes Buch hinweisen. Es handelt sich um ein
Buch von Gabor Steingart, in dem diese Thesen ebenfalls enthalten sind. Es lohnt sich also bei Stürmer und
Steingart einmal nachzulesen.
Wie können wir die Globalisierung gewinnen? Wir
brauchen eine dynamische Gesellschaft. Ob uns dies
angesichts der Demografie in unserem Land gelingen
wird, hängt davon ab, ob wir eine dynamische Jugend
haben. Deswegen ist das, was die Regierungskoalition
macht, völlig richtig. Sie setzt Zeichen, indem sie Ausbildungsmöglichkeiten für die junge Generation schafft.
All das, was dank Annette Schavan in der Forschungsund Hochschulpolitik passiert, ist das richtige Signal im
Wettbewerb im Rahmen der Globalisierung.
({18})
Eines der ganz ernsten Themen im Rahmen des Wettbewerbs innerhalb der Globalisierung betrifft - darauf
hat die Bundeskanzlerin hingewiesen - die Frage der
Energie. Wir müssen alles daransetzen, hier stärker voranzukommen. Wir müssen für mehr Unabhängigkeit
von Energie sorgen.
({19})
Deshalb ist es richtig, dass wir Energie sparen und
uns für eine bessere Energieeffizienz einsetzen. Es ist
auch richtig, dass die Wirtschaft darüber nachdenkt, wie
Produktionsverfahren energieeffizienter gestaltet werden
können. Wir sind dafür, dass man die regenerativen
Energien weiter fördert. Gerade vor dem Hintergrund
des Klimagipfels und der klimatischen Probleme müssen
wir im Rahmen der Energieversorgung einen Beitrag
dazu leisten, dass wir weniger CO2 ausstoßen.
Bei allem Sparen, bei allen regenerativen Energien
vom Windrad bis zur Wasserkraft - das alles ist in Ordnung und sollte vor allem in der Region eingesetzt werden, wo dies möglich ist - dürfen wir uns selber und
auch den Menschen keinen Sand in die Augen streuen.
Das alles wird nicht ausreichen, um einer großen Industrienation im globalen Wettbewerb eine ausreichende
Energieversorgung sicherzustellen. Ich kann nur sagen:
Wenn wir das Problem des CO2-Ausstoßes ernst nehmen, dann dürfen wir nicht zulassen, dass bei der Energieerzeugung immer mehr CO2 ausgestoßen wird.
({20})
Dann müssen wir uns überlegen: Was können wir neben
dem Einsatz von regenerativen Energien tun, um bei einem geringeren CO2-Ausstoß Energie zu erzeugen? Das
wird das entscheidende Thema sein.
({21})
Herr Kollege Westerwelle, da Sie so platt ein Stichwort zugerufen haben, sage ich Ihnen: Das ganz Entscheidende ist - das wird auch in dieser großen Koalition
ernst genommen -, dass wir wieder ohne ideologische
Vorbehalte Energieforschung betreiben. Das geschieht
und das wird unserem Land Zukunft bringen.
({22})
Lassen Sie mich im Zusammenhang mit der Globalisierung einen letzten Punkt ansprechen. Natürlich
kommt es ganz entscheidend darauf an, dass wir zum einen denjenigen in unserem Land helfen, die von der Globalisierung betroffen sind, und zum anderen die vorhandenen Mittel einsetzen, um neue Chancen zu schaffen.
Globalisierung heißt, die einen mitzunehmen, den anderen aber die Möglichkeit zu geben, etwas zu tun, sich im
Wettbewerb zu bewähren. Erst wenn wir das richtig hinbekommen und geschafft haben und dann neue Arbeitsplätze geschaffen werden, werden wir den Wettbewerb
gewinnen. Es wird nicht ausreichen - das können wir gar
nicht schaffen -, mit immer mehr Geld nur den sozialen
Status absichern zu wollen, ohne gleichzeitig darüber
nachzudenken, wie wir im Wettbewerb für neue Arbeitsplätze sorgen. Da brauchen wir mehr Selbstständigkeit,
mehr Freiheit, mehr Kreativität, all das, was die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung heute Morgen
angesprochen hat.
Es ist völlig klar, dass man angesichts dieser Herausforderungen eine starke und große Regierungskoalition
braucht. Diese große Koalition kann nach dem ersten
Jahr sagen: Wir haben etwas miteinander erreicht. Peter
Struck hat es angesprochen: Fast 40 Jahre lang haben
sich die beiden großen Volksparteien in vielen Wahlkämpfen politisch bekämpft. Gerade im letzten Wahlkampf haben wir uns nichts geschenkt; auch das sollte
man einmal klar sagen. Dann haben wir das Wahlergebnis gesehen und uns war völlig klar, dass wir miteinander eine große Verantwortung tragen, dass es nicht mehr
darum geht, ob nun CDU, CSU oder SPD in eine Regierung kommen, sondern darum, diesem Land eine gute
Regierung zu stellen.
({23})
Da war die Zusammenarbeit zwischen den drei großen
Volksparteien CDU, CSU und SPD
({24})
ohne Alternative.
Jetzt muss ich sagen: Koalitionen brechen in aller Regel immer dann - dies ist auch vor dem Hintergrund der
Geschichte klar -, wenn die handelnden Personen nicht
mehr miteinander können.
Über Sachfragen kann man reden. Da gibt es auch
Punkte, bei denen man sich eingestehen muss, dass man
nicht zusammenfindet. Wir haben jeder für sich in der
großen Koalition unsere persönlichen und politischen
Überzeugungen nicht aufgegeben, aber ich bin im Interesse unseres Landes dankbar, dass es gelungen ist, dass
Peter Ramsauer und ich ein so gutes und vertrauensvolles Verhältnis zu Peter Struck haben.
({25})
Manche fragen: Wie ist denn das gelungen, ihr habt
euch doch so bekämpft? Dazu kann ich nur sagen: Das,
was wir vorleben, ist ein Beispiel dafür, wie wir auch in
Zukunft Politik in der großen Koalition gestalten werden: Zuerst kommen die Menschen, dann kommt das
Land, dann kommen die Parteien und ganz zum Schluss
komme ich. Weil wir wissen, dass das so ist, überwinden
wir manches, was uns über 40 Jahre hinweg getrennt hat.
Wir geben unsere Grundüberzeugungen nicht auf, aber
wir haben im Interesse unseres Landes in der Regierung
und in der großen Koalition zusammengefunden. Dafür,
Peter Struck, ein herzliches Dankeschön.
({26})
Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der FDP,
Guido Westerwelle.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach der Anzeigenserie, die Sie als Bundesregierung am Montag auf Kosten der Steuerzahler in allen
großen Blättern gestartet haben, war es zu erwarten, dass
Sie den Versuch wagen würden, aus der Haushaltswoche
eine Art Festspielwoche der Koalition zu machen.
({0})
Besonders bemerkenswert hat das der Kollege Kauder
vorgemacht. Ihre Rede, Herr Kollege Kauder, kann man
eigentlich wie folgt zusammenfassen: Erste Abteilung:
Merkel ist die Größte. Zweite Abteilung: Ich mag Peter
Struck.
({1})
Deswegen verstehe ich auch die Anmerkung von
Herrn Struck in Ihre Richtung. Dass Sie der Bundeskanzlerin Blumen überreicht haben, war heute wichtig
und unverzichtbar. Warum Sie ihm oder er Ihnen keine
Blumen gebracht hat, hat der Kollege Struck folgendermaßen begründet: Sie schenken sich keine Blumen, sondern gehen lieber gemeinsam einen trinken. Das kann
ich verstehen; denn nüchtern ist diese Lobhudelei nicht
zu ertragen.
({2})
Diejenigen, die schon etwas länger im Deutschen
Bundestag dabei sind, haben schon so manches Déjà-vuErlebnis gehabt. Die Bundeskanzlerin hat hier genauso
wie in den Zeitungsanzeigen auf Kosten der Steuerzahler all das, was es an positiven Ereignissen in diesem
Jahr in der Tat gegeben hat - vom Wirtschaftswachstum
bis hin zur Fußballweltmeisterschaft -, für sich reklamiert. Ich glaube, Frau Bundeskanzlerin, dass der Erfolg
der Fußballweltmeisterschaft völlig ohne Ihr Zutun zustande gekommen ist. Das ist allerdings in den Tagen der
großen Koalition eine gewagte Behauptung.
({3})
Ich möchte Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, daran erinnern, dass wir das alles schon einmal vor
sechs Jahren erlebt haben. Sie haben zu Recht darauf
hingewiesen, die jetzigen Daten seien die besten Wirtschaftswachstumsdaten seit 2000. In großer Bescheidenheit haben Sie darauf aufmerksam gemacht, dass das
eigentlich Ihr Verdienst sei.
Der Altbundeskanzler, Gerhard Schröder, hat im Mai
2000, als er noch regierte und nicht Memoiren schrieb,
in diesem Hohen Haus fast wortgleich dasselbe vorgetragen:
Die Arbeitslosenzahlen sind im April dieses Jahres
… um exakt 156 000 zurückgegangen. Wir sind unter der 4-Millionen-Grenze. Wir haben alle Chancen …, am Ende dieser Legislaturperiode weniger
als 3,5 Millionen Arbeitslose zu haben.
Anschließend hat er das als zentralen Erfolg seiner Regierung ausgegeben.
Genau das ist die Gefahr, die mit der konjunkturellen
Aufhellung verbunden ist. Ich fürchte, Sie glauben daran, dass Sie etwas mit dem Wirtschaftswachstum zu tun
haben.
({4})
Ich fürchte, Sie glauben wirklich daran.
({5})
Das ist das Tragische in diesem Land; denn Politik beginnt mit der Wahrnehmung von Wirklichkeit.
({6})
Das Wirtschaftswachstum in Deutschland hat mit vielem
etwas zu tun: in der Tat auch mit der Fußballweltmeisterschaft, vor allem aber mit der Weltwirtschaft und sogar
mit dem milden Herbst. Ich sage Ihnen eines: Mit Ihnen,
der Koalition, hat das zuallerletzt etwas zu tun.
({7})
Deswegen ist das Phänomen, dass man sich mit fremden Federn schmückt, zu Recht ein außerordentlich
gefährliches. Wir wissen ja, wie das mit Schröder weitergegangen ist. Danach waren wir bei mehr als 5 Millionen Arbeitslosen,
({8})
weil Sie damals Ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Auch jetzt wiegen Sie sich in der Sicherheit einer
trügerischen Ruhe und schmücken sich mit fremden Federn.
Dazu hat der griechische Philosoph Äsop einmal ein
wunderschönes Gleichnis aufgeschrieben:
Eine eitle Krähe wollte schöner sein, als sie wirklich war, und zierte sich mit allerlei bunten Federn
von anderen Vögeln … Allein um die Eitelkeit zu
bestrafen …,
({9})
fielen diese über sie her und entrissen ihr nicht nur
die geraubten Federn, sondern auch einen Teil ihrer
eigenen. Armseliger wie vorher, stand sie nun wieder da …
({10})
Die Lehre ist:
Prahle nie mit erborgtem Schimmer, Spott ist sonst
dein Lohn.
Was Schröder passiert ist, wird auch Ihnen passieren,
wenn Sie so weitermachen, Frau Bundeskanzlerin.
({11})
Deswegen wollen wir in der Haushaltswoche einmal
den Blick auf die Fakten lenken. Die Haushaltszahlen
sind in dieser Woche der entscheidende Punkt. Man
muss unserer Bevölkerung, unserem Volk eines noch
einmal sehr deutlich machen: Wenn Sie in den Zeitungen
lesen, verehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Regierung würde sparen, meint die Regierung Folgendes:
Sie gibt in diesem Jahr 9 Milliarden Euro mehr Geld aus.
So viel Geld wie im nächsten Jahr hat der Bund noch
niemals in der Geschichte der Republik ausgegeben. Von
Jahr zu Jahr mehr Geld auszugeben, ist jedoch das Gegenteil von Sparen!
({12})
Sie erläutern: Ja, aber es seien viele Investitionen getätigt worden. Von diesen 270 Milliarden Euro - das
Haushaltsbuch ist ja bekanntermaßen das Schicksalsbuch unserer Nation - fließen nach Ihren eigenen Angaben gerade einmal - auch das muss man unserer Bevölkerung, den Mitbürgerinnen und Mitbürgern, sagen 24 Milliarden Euro, wohlgemerkt: von 270 Milliarden Euro
Gesamtausgaben, in Investitionen. Dann wundern sich
viele Bürger darüber, dass es zum Beispiel beim Straßenausbau nicht vorangeht, dass die Straßenzustände
schlechter werden. Das alles sind Auswirkungen dessen.
Die fleißigen Mitglieder des Haushaltsausschusses,
die das viel besser beurteilen können, legen die entsprechenden Zahlen vor. Dann staunt man darüber, dass zum
Beispiel der Etat für Investitionen in den Autobahnausbau zurückgeht. Das finde ich bemerkenswert vor dem
Hintergrund dessen, was die Union in der Zeit, als sie
noch in der Opposition war, immer über Infrastruktur gesagt hat. Mit Verlaub, ich hätte mir niemals vorstellen
können, dass eine Regierung unter Beteiligung der Grünen mehr Geld für Autobahnen ausgibt als eine CDU-geführte Bundesregierung.
({13})
Neben dem niedrigen Investitionsanteil des Haushalts
beläuft sich die Neuverschuldung auf fast 20 Milliarden Euro. Dafür wollen Sie dann auch noch gelobt werden. Das ist das Nächste. Sie wollen allen Ernstes dafür
gelobt werden, dass Sie das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Art. 115 einhalten möchten. Sie
wollen allen Ernstes dafür gelobt werden, dass Sie den
Maastrichter Vertrag einhalten.
({14})
Wenn die Regierung Recht und Gesetz einhält, will sie
dafür gelobt werden! Wenn das so weitergeht, werden
die Bürger demnächst nur, weil sie sich rechtstreu verhalten, mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
({15})
Das ist doch eine völlige Realitätsverdrängung.
Dann muss die Bundeskanzlerin allen Ernstes auch
noch ihr gestriges Geburtstagserlebnis anführen, das wir
gemeinsam gehabt haben. Es war auch sehr schön beim
Präsidenten des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Sie haben gesagt, man habe den Reden, die gestern Abend auf dem Geburtstagsempfang des ZDH gehalten wurden, entnehmen können - im Unterschied zu
den Berichten der Damen und Herren Journalisten -, wie
die Menschen in diesem Land die Realität sehen. Ich
persönlich finde diese Realitätsverdrängung bemerkenswert; ich fürchte nur, dass das immer so weitergehen
wird. Welche Reaktion erwarten Sie eigentlich vom Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, wenn Sie als Bundeskanzlerin ihm zum 65. Geburtstag gratulieren? Dass er in seinen Dankesworten
über Sie herzieht?
({16})
Das können Sie doch nicht ernsthaft als Realität wahrnehmen. Geburtstagsreden werden jetzt schon zu Kronzeugen Ihrer Politik! Meine Güte, wo seid ihr angekommen?
({17})
Ich habe das mitbekommen. Ich war dabei und habe das
selbst gehört.
({18})
- Herr Kollege, Sie haben völlig Recht, das ist mein Problem. Es ist gut, dass Sie mir das noch einmal gesagt haben. Vielen Dank dafür.
({19})
Kommen wir von der Schönfärberei zur Realität zurück. Gesamtstaatlich kommen über 20 Milliarden Euro
mehr in die Kassen. Auf den Bund entfallen 9 Milliarden Euro. Statt dass Sie dieses Geld, wie übrigens angekündigt, in den Schuldenabbau stecken,
({20})
verteilen Sie es auf die verschiedensten Bereiche. Nur
mit einem kleinen Teil, nämlich mit 2,4 Milliarden Euro,
gehen Sie an den Abbau der Neuverschuldung heran.
Mit anderen Worten: Obwohl Sie eine Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte beschließen - übrigens
weil die SPD gegenüber ihren Wählern einen Wortbruch
begeht -, obwohl Sie die Bürgerinnen und Bürger an allen möglichen Stellen stärker belasten, obwohl sie den
Bürgern immer tiefer in die Tasche greifen und obwohl
die Konjunktur endlich etwas anspringt, tilgen Sie die
Schulden immer noch nicht in ausreichendem Maße, gehen Sie immer noch nicht an das heran, was man das
Eingemachte der Politik nennt. Und warum? Weil die
Politik einer großen Koalition in Wahrheit nur die Politik
des kleinsten gemeinsamen Nenners ist. Weil sie von widerstreitenden Interessen geprägt ist, kann daraus nichts
Großes werden.
({21})
„Mehr Freiheit wagen!“ ist ein fabelhaftes Motto.
Ich freue mich darüber, dass Sie nach den verschiedenen
Mottiwechseln im Laufe des Jahres auf das zurückgreifen - back to the roots -, was Sie in der ersten Regierungserklärung gesagt haben. „Mehr Freiheit wagen!“ ist
ein gutes Motto. Schauen wir aber einmal dahinter. Die
Fakten sehen so aus: Die Subventionen des Bundes liegen auf einem ähnlich hohen Niveau wie im Jahr 2000.
Die Steinkohlesubventionen werden nicht etwa gesenkt,
sondern steigen im Haushalt, und zwar um 260 Millionen Euro. Auch Ihre Werbekampagne kostet Millionen.
In diesem Haushalt sind übrigens auch Sachen zu finden, die man in der Öffentlichkeit gar nicht kennt.
Wenn wir unsere 500 Streichungsvorschläge und Änderungsanträge im Bundestag präsentieren - gestern
durften wir sie dankenswerterweise dem Herrn Finanzminister übergeben -,
({22})
dann heißt es jedes Mal - das ist der typische Regierungsreflex -, das sei unseriös. Wenn die Opposition etwas anderes will, ist das immer unseriös. Das geht nämlich gar nicht anders, als die Regierenden es den
Menschen einreden wollen.
Wollen wir doch einmal in der Bevölkerung fragen,
zum Beispiel, ob sie der Meinung ist, dass wir in diesem
Jahr wieder 60 Millionen Euro Entwicklungshilfe an
China zahlen sollen. Das ist das Land, das zur Jahreswende Schlagzeilen damit gemacht hat, dass es jetzt den
Weltraum erobern will. 300 Millionen Euro deutsche
Steuergelder sind in den letzten drei oder vier Jahren
nach China geflossen.
Bezogen auf Weltwirtschaft und Globalisierung kann
ich nur sagen - das adressiere ich auch an den Kollegen
Kauder -: Wir sitzen längst nicht mehr auf dem hohen
Ross der Zahler. Wir müssen begreifen, dass das konkurrierende Volkswirtschaften sind. China hat vor zwei
Wochen mit den afrikanischen Ländern einen Entwicklungshilfegipfel durchgeführt und dort öffentlichkeitswirksam, mit Blick auf die afrikanische Öffentlichkeit,
Gelder verteilt, nimmt aber von uns Entwicklungshilfegelder an. China macht uns beim Transrapid und bei den
modernen Technologien in den Bereichen Weltraum und
Luftfahrt Konkurrenz. Wir sind längst nicht mehr in der
Situation, international Zahlemann und Söhne machen
zu können. Wir müssen begreifen, dass das konkurrierende Volkswirtschaften sind.
Jetzt sind diese Länder billiger. Ich sage Ihnen voraus,
dass es nicht lange dauern wird, bis sie auch den Wettbewerb um die Qualität aufnehmen. Und dann machen wir
lange Gesichter. Wer sich heute vor dem Wettbewerb mit
Tschechien fürchtet, dem kann ich nur sagen: Zieht euch
warm an, denn China, Indien und andere Volkswirtschaften kommen erst noch. Deswegen ist die Verdrängung
von Realität für uns auch aus historischer Sicht so gefährlich.
({23})
„Mehr Freiheit wagen“, sagen Sie und beschließen
nicht nur die größte Steuererhöhung in der Geschichte
der Republik, sondern - das ist übrigens Unfreiheit für
Bürger - erhöhen auch die Beiträge für die Renten- und
die Krankenversicherung. Das wird bei der Gesundheitsreform noch so weitergehen.
Ich darf, an die Damen und Herren von der Koalition
gerichtet, kurz zwei Bemerkungen zur Gesundheitsreform machen. Die erste richte ich an die Adresse der
SPD, weil Sie immer meinen, dass es sich, wenn wir die
Gesundheitsreform kritisieren, quasi nur um den Reflex
der Opposition handelt.
({24})
Ihr ausgeschiedener Bundeskanzler hat den Gesundheitsfonds soeben als „bürokratisches Monstrum“ bezeichnet. Muss ausgerechnet ich in diesem Raum jetzt
schon Schröder zitieren?
({25})
Ich muss wirklich sagen: Das sind doch Kronzeugen, an
denen Sie nicht vorbeikommen. Herr Struck, das war
einmal Ihr Bundeskanzler. Das letzte Jahr ist aber wohl
schon lange her.
({26})
Meine Damen und Herren von der Unionsfraktion,
Sie tun immer so, als müssten Sie das jetzt tun, als sei
das zwangsläufig. Entschuldigen Sie einmal, ich fürchte,
dass viele von Ihnen gar nicht wissen, worüber sie abstimmen werden. Lesen Sie einmal nach, was die Bundesgesundheitsministerin dazu sagt. Das ist wirklich außerordentlich spannend. Die Gesundheitsministerin sagt
jetzt - nicht vor Monaten, sondern in dieser Woche über das, was Sie als Regierungskompromiss in der Gesundheitspolitik vereinbart haben, dass es nur der „Zwischenschritt“ zur Bürgerversicherung sei. Sagen wir es
doch gleich: Das ist der Weg in die Zwangskasse. Das ist
das Gegenteil von Wettbewerb und von Freiheit. Höhere
Abgaben und schlechtere Leistungen - das ist Ihre Gesundheitsreform.
({27})
Der Gesundheitsfonds ist doch eine absurde Erfindung. Jetzt sollen zwei Bürokratien Beiträge einziehen
und verwalten. Der Gesundheitsfonds soll Einheitsbeiträge einziehen und verwalten und auch die Krankenkassen müssen Beiträge einziehen und verwalten. Es wäre
das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, dass
zwei Bürokratien preiswerter sind als eine.
({28})
Sie rühmen sich mit dem, was Sie für den Mittelstand getan haben. Von den großen Überschüssen bei
der Bundesagentur ist die Rede. Dabei verschweigen Sie
etwas, was in meinen Augen unbedingt erwähnt werden
muss. Sie loben den Mittelstand und verschweigen dabei, dass Sie, die Regierungsparteien, in diesem Jahr den
Mittelstand nicht zwölf Mal - so wäre es anständig -,
sondern 13 Mal mit den Sozialversicherungsbeiträgen
belastet haben. Das war ein unverschämtes Abkassieren
des Staates. In Wahrheit fördern Sie nicht den Mittelstand, sondern nehmen den Mittelstand als Kreditgeber
für Ihre verfehlte Politik. Das ist nicht anständig.
({29})
Kommen wir zu dem, wie Sie dem Mittelstand wirklich geholfen haben. Ich lasse einmal weg, was bisher
nur Ankündigungen sind. Wenn die Unternehmensteuerreform kommt und gut wird, werden wir da mitmachen, das ist gar keine Frage.
({30})
Aber wir werden das Kleingedruckte, insbesondere zur
Gegenfinanzierung, abwarten.
Wenn Sie die Erbschaftsteuer reformieren, werden
wir mitmachen. Aber wir werden erst das Kleingedruckte lesen. Denn bisher sagt Ihr Regierungssprecher:
Jedes Jahr muss man etwas weniger an Erbschaftsteuer
zahlen und nach zehn Jahren ist man erbschaftsteuerfrei,
allerdings unter der Voraussetzung, dass die Arbeitsplätze fortbestehen. Ich kenne keinen Mittelständler, der
in der Lage ist, eine Arbeitsplatzgarantie für seine Belegschaft für die nächsten zehn Jahre abzugeben. Das ist
gar nicht denkbar.
({31})
Jetzt kommen wir einmal zu dem, was Sie bereits beschlossen haben. Das andere sind ja Eckpunkte. Sie wollen für Eckpunkte gelobt werden. Bei der Unternehmensteuerreform rudert die SPD interessanterweise übrigens
schon wieder zurück.
({32})
Zu dem, was schon in Kraft gesetzt wurde, ist in den Anzeigen nichts zu finden. Dabei ist das doch Ihre Erfolgsbilanz. Zum Beispiel auf das Antidiskriminierungsgesetz sind Sie doch stolz oder etwa nicht, meine Damen
und Herren von der Unionsfraktion? Daran habe ich gar
keinen Zweifel. Nur: Die, die geschützt werden sollen,
werden in Wahrheit benachteiligt. Denn lassen Sie uns
nun jenseits von Geburtstagen über die Realität reden.
({33})
- Ach, Herr Kauder, hören Sie doch auf. - Jetzt komme
ich auf das zu sprechen, was von Ihnen beschlossen worden ist; denn das ist die Realität.
({34})
Frau Zypries kann stolz auf sich sein; denn sie hat Geschichte geschrieben. An deutschen Universitäten werden mittlerweile Seminararbeiten zum Thema „Kann
sich ein Student einen Seniorenteller einklagen?“ geschrieben.
({35})
Das ist wirklich spannend. Der Vorstandsvorsitzende eines großen deutschen Luftfahrtunternehmens hat neulich
gesagt: Da möchte ich eine schöne Flugbegleitung einstellen und lande letztlich bei Herrn Glos.
({36})
- Dass Sie von den Grünen sich darüber freuen, ist mir
klar. Dass das mit gesundem Menschenverstand aber
nichts mehr zu tun hat, ist Ihnen leider nicht klar.
({37})
Falls Sie meinen, all das, was ich gerade gesagt habe, sei
Realsatire, sage ich Ihnen: Das stimmt.
Da Herr Kauder vorhin von seinen Begegnungen mit
jungen Frauen berichtet hat,
({38})
komme ich jetzt auf einen Brief zu sprechen, der mir von
einem jungen Mann geschrieben worden ist.
({39})
- Auch das macht Freude. - In einer Anzeige, die in dieser Woche von zwei Anwälten für Arbeitsrecht im
„Harzkurier“ inseriert wurde,
({40})
heißt es: Seit dem 18. August 2006 ist das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz in Kraft. Damit ergeben sich
völlig neue Grundlagen im Hinblick auf Schadensersatz
oder Schmerzensgeld aufgrund von Diskriminierung.
Denn egal, ob erfolglose Bewerbungen, abgelehnte Gehaltserhöhungen oder Beförderungen: Die Liste der Klagemöglichkeiten ist schier grenzenlos. - Die Folgen Ihrer Politik für den Mittelstand sind mehr Bürokratie
und mehr Unfreiheit. Mit Ihrem Motto „Mehr Freiheit
wagen“ hat das aber nichts zu tun.
({41})
Um die Öffentlichkeit über den weiteren Ablauf zu
informieren, weise ich darauf hin, dass wir heute Mittag
eine ausführliche Debatte zur Außenpolitik führen werden. Herr Kollege Steinmeier ist im Augenblick noch
nicht anwesend. Aber damit das klar ist, sage ich: Selbstverständlich werden wir in der Bilanz Ihrer Regierungszeit anerkennen, was Sie in Ihrer Außenpolitik Gutes getan haben. Das werden der Kollege Hoyer und andere,
wenn wir diese Diskussion heute Mittag führen, tun. Daher kann ich mich nun auf die Innen- und Wirtschaftspolitik konzentrieren. Es wird also noch eine außenpolitische Debatte folgen, und zwar direkt im Anschluss an
die Diskussion über diesen Einzelplan.
Zur Realität in Deutschland gehört, dass eine Diskussion über angeblich gefährliche Heuschrecken geführt
wird, und dass Kollege Beck eine, wie ich finde, außerordentlich ernst zu nehmende und wichtige Debatte über
die so genannte Unterschicht angestoßen hat. Das Ergebnis dieser Debatte ist erschreckend: Wir stecken immer mehr Geld in unseren Sozialstaat und in die Umverteilung, aber es kommt immer weniger bei den
Bedürftigen an.
({42})
Die mangelnde Treffsicherheit unseres Sozialstaates
muss unser Thema sein.
Allerdings sollten wir uns auch einem anderen Thema
verstärkt zuwenden. Über Heuschrecken und die so genannte Unterschicht zu reden, ist das eine. Dabei vergessen Sie aber eines: die Mittelschicht. Gerade dazu
müssten Sie sich in diesem Hohen Hause äußern. Die
Regierung kümmert sich um alles Mögliche, aber um
diejenigen, die morgens aufstehen, statt liegen zu bleiben, die hart arbeiten und all die Steuermittel erwirtschaften, über deren Verteilung wir im Deutschen Bundestag diskutieren, kümmert sie sich nicht mehr.
({43})
Frau Bundeskanzlerin, alles in allem haben Sie und
Ihre Koalition heute nach dem Motto gehandelt: Wenn
einen niemand lobt, muss man sich selbst loben. Das
mag bei den Kolleginnen und Kollegen in Ihrer Koalition für gute Stimmung sorgen.
({44})
Frau Bundeskanzlerin - ich habe gar keinen Zweifel daran, dass Sie Ihren Geburtstag feierlich begehen werden;
Blumen haben Sie ja schon bekommen und auch Herr
Kauder und Herr Struck werden noch ein Getränk zu
sich nehmen -,
({45})
Sie mögen das erste Jahr Ihrer Koalition feiern.
({46})
Aber den Bürgern ist in Anbetracht von lauter Mehrbelastungen nicht zum Feiern zumute.
({47})
Das Wort hat jetzt der Kollege Carsten Schneider von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Westerwelle, wenn man
Ihre Rede verfolgt hat, musste man den Eindruck gewinnen, wir befänden uns schon in der Hoch-Zeit des Karnevals - dabei stehen wir erst am Beginn.
({0})
Sie haben den Mut gehabt, auch auf ein paar Sachpunkte
einzugehen. Dass allerdings wir als große Koalition Lob
von Ihrer Seite bekommen, in dieser Erwartungshaltung
bin ich heute Morgen nicht hierher gekommen und ich
bin darin auch nicht enttäuscht worden.
({1})
Wir diskutieren hier nicht nur über ein Jahr große
Koalition, sondern auch über ihre Grundlagen. Vorhin
hat ein Redner gesagt, dass der Haushalt dafür das
Schicksalsbuch ist. Ich glaube, dass diese große Koalition sich sehr viel vorgenommen hat. Gerade im Finanzbereich war es am schwersten, waren die Herausforderungen am größten. Allerdings haben sich dort auch die
Erfolge am schnellsten eingestellt. Sehen Sie es mir
nach, dass ich das auch in der Kontinuität der Zugehörigkeit der SPD zur Regierung begründet sehe und darin,
dass der Bundesfinanzminister immer noch von der SPD
gestellt wird und Peer Steinbrück heißt.
Carsten Schneider ({2})
Es ist uns gelungen, das Ziel, das wir für 2009 hatten
- das strukturelle Defizit zu halbieren -, bereits in diesem Jahr zu erreichen.
({3})
Das strukturelle Defizit des Bundes lag bei 60 Milliarden Euro. Wir haben nun eine Nettokreditaufnahme, die
bei 19,5 Milliarden Euro liegt. Wenn man die Privatisierungserlöse hinzurechnet, liegen wir etwa bei 30 Milliarden Euro. Dies ist ein Erfolg, der so schnell nicht zu erwarten war und über den ich sehr froh bin. Ich bin der
Meinung, dass wir insbesondere deswegen nicht in Sack
und Asche gehen müssen, sondern stolz darauf sein können. Denn eine solide Finanzpolitik ist die Grundlage
allen Handelns: für Vertrauen der Bevölkerung und der
Wirtschaft und dafür, dass wir uns - was mir als Sozialdemokrat besonders wichtig ist - Chancengerechtigkeit
und sozialen Ausgleich leisten können. Dies wird nur
gehen, wenn wir die enormen Zinszahlungen - in diesem Jahr gut 38 Milliarden Euro - senken. Das wird nur
gelingen, wenn wir tatsächlich einmal in eine Phase der
Tilgung einsteigen.
Die Vorschläge, die von der Opposition gekommen
sind, sind dafür nicht geeignet. Mir ist bis heute nicht
klar, Herr Westerwelle: Sind Sie eigentlich gegen die
Mehrwertsteuererhöhung als Ganzes - gegen alle drei
Prozentpunkte - oder nur gegen einen? Gestimmt haben
Sie gegen alle drei Prozentpunkte. Wofür sind Sie nun?
Ein Prozent?
({4})
- Gut, null. Aber dann wäre der durchlaufende Posten,
der 2007 zu einer Ausweitung der Ausgaben des Bundes
führt, nämlich die 7 Milliarden Euro zur Senkung des
Beitrags zur Arbeitslosenversicherung, nicht möglich,
wie Sie wissen.
({5})
Die vorgesehene Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung auf 4,2 Prozent wäre dann nicht möglich.
Sie ist nur möglich - die Bundeskanzlerin hat das vorhin
vorgetragen - durch die Reformen der Agenda 2010,
durch die bessere konjunkturelle Entwicklung und dadurch, dass wir die Arbeitslosenversicherung mit einem
Zuschuss von 7 Milliarden Euro aus Steuermitteln unterstützen. Dies führt dazu, dass wir ein Ausgabenwachstum haben. Real, bereinigt um diesen Posten, beträgt das
Ausgabenwachstum des Bundeshaushaltes 0,9 Prozent.
({6})
Die Inflationsrate liegt höher. Das heißt, Herr
Westerwelle, real geben wir sogar weniger aus, trotz der
Risiken, die wir zusätzlich abzusichern hatten und zu denen ich noch kommen werde.
({7})
Ich kann bei Ihnen keine Linie erkennen. Sie haben
im Haushaltsausschuss Anträge gestellt mit einem Kürzungsvolumen von 8 Milliarden Euro. Doch wenn
man sie genau betrachtet, muss man feststellen, dass
diese Anträge keine Substanz haben. Sie haben nämlich
zustimmt, dass wir die Kommunen bei den Kosten für
die Unterkunft von ALG-II-Empfängern um 2,3 Milliarden Euro entlasten, um sie in die Lage zu versetzen, Kindertageseinrichtungen zu finanzieren; das ist mehr, als
wir ursprünglich geplant haben. Sie haben auch dem geringeren Aussteuerungsbetrag - 1,1 Milliarden Euro weniger - zugestimmt. Das muss man von Ihren Vorschlägen schon wieder abziehen.
Dann noch zu einigen Ihrer Kürzungsvorschläge: Sie
schlagen vor, die Steinkohlensubventionen um 600 Millionen Euro zu reduzieren - wohl wissend, dass es
rechtskräftige Bescheide gibt, dass wir diese Summen
zahlen müssen. Außerdem gibt es keine andere Subvention im Bundeshaushalt, die so stark degressiv angelegt
ist, die sich in einem solchen Sinkflug befindet wie
diese. Und, das finde ich besonders perfide, Sie wollen
die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik - um
2,5 Milliarden Euro senken, also dort, wo insbesondere
denjenigen geholfen werden soll, die es am nötigsten haben, dass wir sie nicht nur fordern, sondern auch fördern;
Sie haben hier von „Unterschicht“ gesprochen, was ich
mir nicht zu Eigen machen will. Das ist übrigens fast die
Hälfte der Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik.
({8})
Ich kann für die Koalition und vor allem für die SPD sagen, dass wir eine solche Politik nicht mitmachen. Deshalb trägt dieser Haushalt auch nicht Ihre, sondern unsere Handschrift. Und das ist auch gut so.
Sie haben die Steuermehreinnahmen für den Bund
in Höhe von 8 Milliarden Euro angesprochen. Man muss
das aufklären und kann das nicht so stehen lassen:
2 Milliarden Euro davon waren im Bundeshaushalt bereits eingeplant, also vorweg etatisiert, weil absehbar
war, dass die Steuerschätzung im November ein besseres
Ergebnis als die Steuerschätzung im Mai - der Haushalt
wurde erst im Juni beschlossen - bringen würde. Wir
sind darin bestätigt worden. Von diesen 8 Milliarden Euro müssen Sie Aufwendungen für die Kosten der
Unterkunft und die Mittel des Eingliederungstitels abziehen. Somit bleiben genau 2,4 Milliarden Euro übrig. Sie
haben wir genutzt, um die Nettokreditaufnahme auf den
niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung zu senken.
Ich glaube, das ist ein sehr großer und sehr schöner
Erfolg, auf den wir stolz sein können. Nachdem ein
Großteil der Verschuldung in Ihrer Regierungszeit entstanden ist - wir alle sind nicht frei davon, aber Sie haben den größten Teil zu verantworten -, hätte es Ihnen
gut angestanden, wenn Sie von der FDP das einmal anerkannt hätten. Aber gut, das war nicht zu erwarten.
({9})
Ich glaube, die große Koalition ist sowohl in der Wirtschafts- als auch in der Finanzpolitik auf dem richtigen
Weg.
Carsten Schneider ({10})
Angesichts der guten konjunkturellen Situation sehe
ich die Herausforderung, dass wir im Jahre 2008 nicht
bei einer Neuverschuldung von 19,5 Milliarden Euro
verbleiben können.
({11})
Die mittelfristige Finanzplanung, die diesem Haushalt
zugrunde liegt, muss deutlich nach unten korrigiert werden. Das heißt, dass wir gerade die Zeiten eines guten
wirtschaftlichen Wachstums, in denen wir uns gerade befinden - die Zahl der Arbeitslosen ist um 500 000 zurückgegangen, eine viertel Million Menschen mehr sind
in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen -, nutzen müssen, um stärker zu konsolidieren. Das ist nicht nur eine Aufgabe für 2007, sondern das
ist eine Aufgabe für die gesamte Regierungsperiode bis
2009. Das ist auch nicht nur eine Aufgabe des Bundesfinanzministers, sondern das ist eine Aufgabe des gesamten Kabinetts.
({12})
Die Koalition muss sich im Frühjahr damit noch einmal befassen; denn mit dem, was der Planung bisher zugrunde liegt, werden wir dem nicht gerecht. Bei den
Kosten der Unterkunft gibt es Mehrausgaben. Das setzt
sich bis 2010 fort.
({13})
Daneben gibt es unbeantwortete Fragen in der Gesundheitspolitik. Frau Bundeskanzlerin, ich erwarte natürlich, dass es eine saubere Gegenfinanzierung für die
Mehrausgaben im Gesundheitsbereich geben wird. Das
Geld darf nicht einfach nur verteilt werden, sodass der
Bundesfinanzminister am Ende schauen muss, wo es
herkommt. Ich glaube, dieses Spiel kann man sich in der
Koalition nicht leisten.
({14})
Ich bin mir sicher, dass uns dies gemeinsam gelingen
wird.
Das alles findet natürlich nicht im luftleeren Raum
statt. Man muss sich auch einmal genau anschauen, wo
die durch die Konjunktur bedingten Steuermehreinnahmen, die wir in diesem Jahr haben, herkommen. Es geht
vor allem um die Körperschaftsteuer, über die Herr
Gysi vorhin hergezogen ist, indem er gesagt hat, sie sei
ja so niedrig. Er ist jetzt nicht mehr da, vielleicht können
Sie ihm das mitteilen: Im Jahre 2005 war der Ertrag höher als im Jahre 2000, also in der Boomphase, obwohl
wir die Nominalsätze in vielen Bereichen gesenkt haben.
Von daher bin ich sehr zuversichtlich, dass uns bei der
Unternehmensteuerreform das Gleiche gelingen wird,
nämlich ein wettbewerbsfähiges Steuersystem zu schaffen, das dazu führt, dass gerechterweise alle Unternehmen Steuern zahlen.
Neben der Entlastung für die Bezieher unterer und
mittlerer Einkommen, die von der Senkung des Eingangssteuersatzes besonders profitiert haben, sehe ich
insbesondere auch bei den Unternehmen des Mittelstandes, die hier heute ebenfalls angesprochen wurden
- auch von Ihnen, Herr Westerwelle -, eine besondere
Entlastung. Die Besteuerung ist von durchschnittlich
25 Prozent auf 19 Prozent heruntergegangen. Das ist ein
Erfolg dieser Regierung.
Schauen Sie sich die Körperschaftsteuerentwicklung
in diesem Jahr an und stellen Sie sich die Frage, wo der
Aufschwung und die Steuermehreinnahmen eigentlich
herkommen. Man muss dabei wissen, dass die Isteingänge im Jahre 2006 auf den Steuerbescheiden von 2004
und 2005 beruhen. Zum einen gab es große Nachzahlungen und zum anderen fanden Anpassungen der Vorauszahlungen statt.
Von daher kann man durchaus zu Recht feststellen: Es
ist ein Verdienst der rot-grünen Regierung Schröder,
dass uns heute diese Steuereinnahmen zur Verfügung
stehen.
({15})
Ich hoffe, dass die konjunkturbedingten Einnahmen von
Dauer sind. Ich bin mir da nicht so sicher, aber ich hoffe,
dass es in diesem Land wirtschaftlich weiter bergauf
geht.
Sie haben in einem Punkt Recht, Herr Westerwelle:
Wir sind nicht allein für diesen Aufschwung verantwortlich. Wir sind aber auch nicht ganz schuldlos daran.
Trotzdem sind wir auch von der weltwirtschaftlichen
Entwicklung abhängig.
Wir bewegen uns derzeit in einem sehr guten Umfeld:
Der Haushalt 2007 geht von einem Wachstum von
1,4 Prozent aus. Die Auguren meinen, dass es wahrscheinlich noch höher ausfallen wird; sie gehen von
1,8 Prozent oder sogar etwas mehr aus. Ich hoffe, dass
sich das bewahrheitet und dass die Entwicklung der
Rohölpreise dem nicht entgegensteht, dass die amerikanische Wirtschaft eine sanfte Landung schafft und dass
die Europäische Zentralbank und die amerikanische Notenbank neben der Geldwertstabilität noch andere
Punkte im Blick behalten und somit diesen Kurs unterstützen.
Wenn ich das alles Revue passieren lasse, dann meine
ich, dass wir sehr gut mit dem leben können, was die
Koalition im ersten Jahr erreicht hat. In dem Etat sind
das Elterngeld und die Ost-West-Angleichung der Regelsätze beim ALG II abgebildet. Beides hat die SPD
durchgesetzt. Daneben gibt es auch viele Punkte, die die
Union durchgesetzt hat. Alles in allem ergibt das einen
bunten Strauß, der Klarheit und Farbe aufweist und einen Blick auf die Zukunft dieses Landes gestattet. Ich
bin zuversichtlich, dass uns auch im nächsten Jahr ein
erfolgreicher Haushalt gelingen wird und wir Ihnen weiter zu Ihrer Amtszeit gratulieren können, Frau Bundeskanzlerin.
({16})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Lukrezia
Jochimsen von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Da ich
nur drei Minuten Redezeit habe,
({0})
spare ich mir das Lob für den Kulturstaatsminister zur
Aufstockung seines Etats und auch die Details unserer
Forderungen. Wir wollen nämlich 10 Millionen Euro
mehr für die Produktionsförderung des nationalen Films
und 480 000 Euro mehr für die Stiftung für das sorbische
Volk.
Ich gehe stattdessen gleich grundsätzlich auf den Stellenwert der Kultur nach einem Jahr der neuen Regierung ein. Dabei fällt nämlich ein Widerspruch auf. Wir
hören immer wieder, dass die Kultur ein wichtiges Anliegen darstellt. Aber wie kommt es dann, dass Kinder
und Jugendliche immer weniger Zugang zu Sprache,
Musik, Malerei, kurz: den Gestaltungsmöglichkeiten in
allen musischen Feldern und vorhandenen Medien haben, unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern? Sehen Sie
denn nicht die zunehmende kulturelle Verarmung und
Verrohung unserer Kinder und Jugendlichen? Bedenken
Sie nicht den schrecklich hohen Preis, den wir alle dafür
zahlen?
({1})
Um dem Anliegen Kultur gerecht zu werden, müsste
es Kinderkulturhäuser als Anlaufstätten gerade für die
vernachlässigten Heranwachsenden geben. Wir fordern
deshalb 1 Milliarde Euro für ein Programm „Kultur für
Kinder“. Ein solches Programm ist dringend notwendig.
Nach der Föderalismusreform muss neu überlegt werden, wie das Anliegen kultureller Bildung im Zusammenwirken von Bund, Ländern und Kommunen gefördert werden kann. Das kann nicht unmöglich sein.
({2})
Wenn Kultur wirklich ein Anliegen der Regierung ist,
dann muss sie unseren Kindern endlich wieder vermittelt
werden, zum Beispiel wie in den armen Zeiten nach
Kriegsende, als es um den Aufbau unserer Demokratie
ging. Heute geht es um den Erhalt unserer Demokratie.
Bitte denken Sie in diesem Zusammenhang daran.
Nun weg vom Geld. Das Anliegen Kultur wirft auch
die Frage nach dem Staatsziel Kultur als Signal, Verpflichtung und Appell an unser kulturelles Bewusstsein
in dem Sinne auf, in dem die Bundeskanzlerin davon
sprach, dass wir eine Kulturnation seien.
2005 hat die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ die Aufnahme der Kultur als Staatsziel in das
Grundgesetz empfohlen. Seit Anfang 2006 hängt ein
entsprechender Antrag im parlamentarischen Räderwerk
dieses Hauses fest. Nun sollen auf einmal Kultur und
Sport als Staatsziele in der Verfassung verankert werden.
Die Erpressung macht die Runde, das eine komme nur
zusammen mit dem anderen. Sieht so das wichtige Anliegen Kultur der Bundesregierung, die „Kulturnation
Deutschland“ aus: Sport und Kultur als gefälliger, populärer Mix, das heißt, einen Bestandteil der Kultur, der
wichtig und spannend sowie kommerziell erfolgreich ist,
mit dem Unikat einfach zusammenzukoppeln, als ginge
dies, als wäre das nicht prinzipiell zweierlei?
Anliegen Kultur der Regierung nach einem Jahr: Ich
bitte Sie! Lassen Sie sich beim Wort nehmen! Staatsziel
Kultur als Unikat in die Verfassung und ein großes Kulturprogramm für Kinder, das wäre etwas.
({3})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Katrin GöringEckardt vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn ich mir die heutige Debatte anschaue, dann drängt
es mich, etwas zu einem Punkt zu sagen, der im weiteren
Sinne mit Kultur zu tun hat, nämlich zur demokratischen
Kultur. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, Sie haben gesagt, wir seien gar nicht so
schlecht, wie immer behauptet werde. Das sehen Sie so.
Aber wir sehen es anders. Das eigentliche Problem ist
- das muss man Ihnen am allermeisten vorwerfen -, dass
Sie keine Ideen und Visionen haben, aus denen hervorgeht, wie dieses Land in zehn, 15 oder 20 Jahren aussehen soll, und für die Sie die Menschen begeistern wollen. Ich glaube, das ist das eigentliche Versäumnis, über
das geredet werden muss. Es zeigt sich in den Umfragen
betreffend die Zustimmung zur Demokratie. Nicht nur
die Umfragewerte für die beiden großen Volksparteien
sind gesunken, sondern auch die Zustimmung zur Demokratie an sich hat drastisch abgenommen. Das macht
mich mindestens genauso unsicher und besorgt im Hinblick auf die Zukunft wie die hohen Arbeitslosenzahlen.
Sie müssen das ernster nehmen. Gerade wenn wir über
den Rechtsradikalismus reden, dürfen wir nicht vergessen, dass Programme wie CIVITAS und ENTIMON
wichtig sind. Aber ob wir in der Lage sind, die Menschen für die Demokratie zu begeistern, ist mindestens
genauso entscheidend.
({0})
Sie müssen an einer Stelle besonders darauf achten,
worum es geht. Es ist sicherlich richtig, eine Politik zu
machen, bei der man alles im Blick hat und beispielsweise solche Gruppen wie die über 50-Jährigen und die
unter 25-Jährigen besonders herausstellt. Die entscheidende Frage ist aber, ob man sich um diejenigen am
meisten kümmert, denen es in unserer Gesellschaft am
schlechtesten geht und die es am schwersten haben. Das
ist ein Maßstab für eine gute Politik in unserem Land.
({1})
Wenn Sie das wollen, dann müssen Sie sich mehr um die
Langzeitarbeitslosen und die Kinder kümmern, die in
Deutschland dauerhaft in Armut leben, und zwar nicht
erst seit gestern. Hier geht es um den Zugang zu Bildung. Damit bin ich wieder bei der Kultur; denn es geht
um die Möglichkeit, die eigenen Talente zu entdecken,
und zwar unabhängig vom Geldbeutel der Eltern und
von ihren Fähigkeiten, die eigenen Kinder zu fördern.
Dem steht ein massiver Kulturabbau an ganz vielen
Stellen entgegen - Thüringen ist hierfür ein Beispiel -,
genauso wie ein Laisser-faire-Umgang mit Kultur, wie
wir ihn gerade in unserer Bundeshauptstadt erleben.
Denken Sie nur daran, wie in Berlin mit den Opernhäusern umgegangen wurde! Ich bin überzeugt, dass der
Rücktritt von Herrn Schindhelm ein Alarmsignal ist.
Aber darum geht es nicht allein. Das ist nur das, was wir
in den bundesweiten Medien sehen. Wenn wir uns im
Land umschauen, sehen wir, dass sehr viele Kulturinstitutionen nur noch deswegen überleben, weil sie mindestens die Hälfte der regulären Jobs, die sie zu vergeben
haben, beispielsweise durch 1-Euro-Jobs ersetzen. Dadurch verbauen wir unseren Kindern und Jugendlichen
Zugänge und dadurch geraten wir in eine ganz schwierige gesellschaftliche Situation, was auch mit der Kultur
der Demokratie zu tun hat. Es geht nicht allein um das
kulturelle Erbe, sondern es geht um die Zukunft unserer
Kinder.
({2})
Wenn wir darüber sprechen, müssen wir die soziale
Lage der Künstlerinnen und Künstler in unserem Land
im Blick haben. Das will ich heute nur als Stichwort sagen. Ich hoffe sehr, dass wir in dieser Hinsicht mit den
Koalitionsfraktionen gemeinsam vorankommen; denn
ich habe den Eindruck, dass sich im letzten halben Jahr
bzw. dreiviertel Jahr etwas getan hat, was das Wahrnehmen der sozialen Situation von Künstlerinnen und
Künstlern angeht. Es dürfen aber nicht immer nur die
Großen sein, sondern es muss um die Kleinen gehen, um
diejenigen, die in den Regionen unseres Landes ganz besonders kreativ sind.
({3})
Ein Punkt, der mich verunsichert, auch wenn es um
demokratische Kultur geht, muss heute angesprochen
werden. Sie haben ganz am Ende der Haushaltsberatungen 750 000 Euro für das „sichtbare Zeichen“ eingestellt, das Sie auch im Koalitionsvertrag verankert haben. Ich habe das Gefühl, dass das nicht ein sichtbares
Zeichen ist, sondern eher ein seltsames Ding mit sehr
verschwommenen Konturen.
({4})
Wir wüssten schon sehr gerne, was Sie eigentlich vorhaben und was Sie damit meinen. Ist das jetzt das sichtbare
Zeichen, das sich Frau Steinbach wünscht? Ist es
irgendeine Ausstellung? Ist es etwas ganz anderes?
Wenn Sie, Herr Kulturstaatsminister, die Summe tatsächlich in diesem Haushalt einstellen, dann verlangen
wir von Ihnen, dass Sie uns mitteilen, worum es dabei
eigentlich geht.
({5})
Ich glaube, dass wir nicht die Einzigen sind, die das verlangen. Wir haben viele Diskussionen mit unseren polnischen Nachbarn und mit anderen Nachbarn über dieses
Thema gehabt. Ich finde, auch sie haben verdammt noch
einmal das Recht, zu wissen, was Deutschland in dieser
Hinsicht eigentlich will. Das müssen Sie auf den Tisch
legen. Das müssen Sie sagen, schon allein um die Verunsicherung, die es international gegeben hat, nicht noch
weiter zu erhöhen. Sie tun uns allen damit keinen Gefallen.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Eduard Oswald von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist wahr: Richtiges und Wahres muss man immer wiederholen. Man kann es nicht oft genug sagen: Unsere
Bundeskanzlerin Angela Merkel und die von ihr geführte Bundesregierung haben in diesem Jahr eine ausgezeichnete Arbeit geleistet.
({0})
Angela Merkel hat heute eine überzeugende Bilanz mit
guten Daten für Deutschland vorgelegt. Volker Kauder
und Peter Struck haben in ihren Reden unterstrichen: Die
Koalition wird diesen Weg weitergehen und das Notwendige und Richtige für unser Land tun. Die Arbeit
war erfolgreich. Die Arbeitslosenzahl hat sich im Vergleich zum Vorjahr um nahezu eine halbe Million reduziert. Wenn der Einzelne beobachtet, dass sich die Situation in seinem Umfeld verändert, dass sein Nachbar eine
Arbeitsstelle findet oder sein Sohn bei der Lehrstellensuche erfolgreich war, dann wird die Stimmung schon bald
die viel bessere Lage widerspiegeln.
({1})
Die Koalition ist angetreten, um die großen Herausforderungen unserer Zeit anzunehmen: Arbeitslosigkeit,
Staatsverschuldung, demografischer Wandel und Veränderungsdruck der Globalisierung. Es ist die Chance dieser Koalition, dies auch zu tun. Wir wissen, dass man auf
dem Weg durch das politische Leben nicht immer den
Wind im Rücken haben kann. Trotzdem müssen wir
Kurs halten und im Interesse unseres Landes das Notwendige tun.
({2})
Wir haben die richtigen Weichenstellungen vorgenommen: Wir stärken Familien durch das Elterngeld. Wir
machen die sozialen Systeme stabil. Wir haben die BeEduard Oswald
dingungen verbessert, um in Sicherheit zu leben. Wir
bauen die Infrastruktur in Deutschland aus. Wir sorgen
für neuen Schwung bei Forschung und Technologie.
Horst Seehofer ordnet die Agrarpolitik neu und gibt den
ländlichen Räumen Perspektive.
({3})
Sie werden doch verstehen, dass ich als CSU-Politiker
die CSU-Minister in besonderer Weise lobe und würdige.
Sanieren, investieren und reformieren - die Kanzlerin
hat es angesprochen -: Mit diesem mutigen Dreischritt
wurden gesetzgeberische Maßnahmen verabschiedet.
Mit der Föderalismusreform, der Haushaltssanierung
und der Gesundheitsreform hat diese Koalition schwergewichtige Themen angepackt und zu Lösungen geführt.
Die ersten Erfolge sind für jedermann sichtbar und weitere werden folgen.
Wenn ich als ersten Erfolg das Wirtschaftswachstum nenne, dann gilt natürlich das, was Ludwig Erhard
gesagt hat: Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts.
({4})
Die Konjunkturprognosen sind für das laufende und
auch für das kommende Jahr sehr erfreulich. Auch im
nächsten Jahr bleiben die Wachstumskräfte trotz der notwendigen Mehrwertsteuererhöhung intakt. Investoren
und Verbraucher blicken wieder optimistisch in die Zukunft. Die kräftige Zunahme der Investitionen ist doch
Ausdruck des Vertrauens in den Kurs der Koalition, auch
wenn die Opposition das bestreitet.
({5})
Der zweite Erfolg zeigt sich auf dem Arbeitsmarkt.
Der konjunkturelle Aufschwung hat auch die Binnenwirtschaft, also die privaten Investitionen und den Arbeitsmarkt, erfasst. Die Arbeitslosenquote sinkt auf den
tiefsten Stand seit vier Jahren und wir liegen endlich
wieder unter 10 Prozent. Natürlich wissen wir: Jeder Arbeitslose ist einer zu viel. Wir wollen jedem dabei helfen, dass er wieder Arbeit findet.
Auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen nimmt werktäglich um über 1 000 zu. Darum geht es doch. Das ist eine echte Wende und wir werden auch im kommenden Jahr einen weiteren
Aufwärtstrend haben. Der Aufschwung besitzt mittlerweile - das ist für uns das Wichtige - ein breites Fundament.
({6})
Wir werden den Beitrag für die Arbeitslosenversicherung noch stärker senken, als wir geplant hatten. Damit
sinkt die Abgabenbelastung. Den Arbeitnehmern und
Arbeitgebern stehen im kommenden Jahr 17 Milliarden
Euro mehr zur Verfügung. Die Chancen der Menschen
auf Arbeit werden erhöht. An dieser Stelle danke ich
auch den Tarifpartnern für ihr verantwortungsvolles
Handeln.
({7})
Der dritte Erfolg ist der Bundeshaushalt. Ich sage
noch einmal - was gut ist, muss man immer wieder sagen -: Mit einer Nettokreditaufnahme von 19,5 Milliarden Euro werden wir den Haushalt 2007 beschließen.
Dies ist die niedrigste Neuverschuldung seit der Wiedervereinigung. Dennoch muss uns allen bewusst sein, dass
dies erst der Einstieg in die Sanierung ist. Weitere
Schritte müssen folgen;
({8})
denn ein konsolidierter Haushalt ist und bleibt eine
wichtige Voraussetzung für einen handlungsfähigen
Staat und ist eine moralische Verpflichtung für die Handlungsfreiheit kommender Generationen.
({9})
Also soll niemand glauben, wir seien bereits über den
Berg. Deutschland hat noch 1 500 Milliarden Euro
Schulden und wir haben noch nicht einmal mit dem Abtragen dieses Berges begonnen. Er wird jetzt aber langsamer höher als bisher. Es muss klar sein: Nur wohlgeordnete öffentliche Finanzen ermöglichen eine gute
wirtschaftliche Entwicklung.
Wir wissen - ich sage das nachdenklich -, dass die
Erwartungen an den Staat in unserem Land enorm sind.
Er soll auf der einen Seite nicht nur Garant für Sicherheit
und Freiheit sein, sondern auch materiellen Wohlstand
ermöglichen, für Nachhaltigkeit und sozialen Ausgleich
sorgen und insgesamt Gerechtigkeit schaffen. In dieser
zunehmend globalisierten Welt - Volker Kauder hat in
seiner Rede sehr intensiv darauf hingewiesen -, in der
Grenzen unschärfer werden und internationale Herausforderungen zunehmen, wird es aber für den Staat immer
schwieriger, einem umfassenden Steuerungsanspruch
gerecht zu werden. Voraussetzung dafür sind also wirksame Ordnungsstrukturen und ein kluger Einsatz der
knappen finanziellen Mittel. Das ist unser Auftrag.
Deswegen haben wir vier wichtige Richtungsentscheidungen für einen handlungsfähigen Staat getroffen: Das ist erstens die Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, zweitens die Konsolidierung des
Bundeshaushalts, drittens der Abbau von Bürokratie als
Daueraufgabe und viertens eine bessere Zusammenarbeit von Regierung und Parlament im Bereich der europäischen Integration.
So wie wir die Föderalismusreform erfolgreich durchgeführt haben, so müssen wir die Finanzbeziehungen
von Bund und Ländern neu ordnen. Das wird nicht einfach werden. Aber wir müssen dies entschlossen angehen. Es wäre gut, wenn sich alle Fraktionen auch hieran
beteiligten.
Noch machen manche internationale Unternehmen einen Bogen um Deutschland, wenn es um Neuinvestitionen geht. Vor allem die hohen Steuersätze schrecken ab.
Der Abstand zu Ländern mit niedrigen Steuersätzen ist
noch zu groß, als dass unser Land mit seiner hervorragenden Infrastruktur manchen Steuernachteil ausgleichen könnte. Deswegen ist die Unternehmensteuerreform so wichtig. Es handelt sich - darum geht es - um
einen wichtigen Baustein für mehr Arbeitsplätze und Investitionen in unserem Land. Durch die Unternehmensteuerreform wird die Steuerbelastung auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau gesenkt. Gleichzeitig
werden Maßnahmen getroffen, durch die die Besteuerung in Deutschland erwirtschafteter Gewinne in unserem Land sichergestellt wird.
Wir brauchen auch eine Abgeltungssteuer. Kontrollverfahren könnten somit entfallen. Die Ämter würden
entlastet. Bürokratieabbau fände statt und damit würden
den Anlegern attraktive ertragsteuerliche Rahmenbedingungen geboten.
({10})
Unternehmensteuer und Abgeltungssteuer sind geeignet, das vorhandene Potenzial des Finanzplatzes
Deutschland auszubauen und seine Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Wir müssen mehr über den Finanzplatz
Deutschland reden. Die Gestaltungskraft dieser Koalition ist auch beim Ausbau privater Beteiligungs- und Risikokapitalfinanzierung gefragt. Wir müssen mit einem
Private-Equity-Gesetz die Voraussetzungen in den deutschen Unternehmen verbessern, innovative Produkte
und Dienstleistungen schneller zur Marktreife zu bringen. Ziel muss es sein, Deutschland in einer globalisierten Welt besser zu positionieren und Arbeitsplätze zu
schaffen. Das steht über allem, was wir wollen.
Abgerundet werden die Eckpunkte zur Unternehmensteuerreform durch die erbschaftsteuerliche Begünstigung der Unternehmensnachfolge. Die Zahlen sprechen für sich: In Deutschland werden Jahr für Jahr mehr
als 46 000 Unternehmen mit rund 444 000 Beschäftigten
aus Altersgründen vererbt, Tendenz steigend. Die dabei
derzeit fällige Erbschaftsteuer kann häufig nicht aus den
vorhandenen liquiden Mitteln gezahlt werden. Die
Folge: Die Erbschaftsteuer ist aus der Substanz zu entrichten, sie kann so große Teile des Vermögens vernichten und das Unternehmen samt seinen Arbeitsplätzen in
seiner Existenz bedrohen. Das kann doch nicht in unserem Interesse sein.
({11})
Der Mittelstand - wir haben das heute schon gehört ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Die rund
3,5 Millionen kleineren und mittleren Unternehmen sind
eine treibende Kraft für Wachstum und Beschäftigung.
Wir müssen alles tun, um dabei zu helfen. Die von uns
beschlossene Mittelstandsinitiative verbessert daher die
Rahmenbedingungen für diese Unternehmen. Dank an
Bundeswirtschaftsminister Michael Glos für seinen Einsatz und seine Arbeit für die Wirtschaft in unserem
Lande!
({12})
Wir waren auch im Hinblick auf die kommunalen Belange erfolgreich. Die Unternehmensteuerreform sichert
die Steuerkraft und die Finanzierungsbasis der Kommunen.
({13})
Die kommunale Finanzkraft ist auch deswegen für den
Aufschwung so wichtig, weil 60 Prozent aller öffentlichen Investitionen von Kommunen erbracht werden.
({14})
Wir werden den Weg für strukturelle Reformen in unserem Land konsequent weitergehen. Gleichzeitig wollen wir Mut zu Anstrengungen machen und das Vertrauen der Menschen in die Zukunftsfähigkeit unseres
Landes stärken. Wir preisen nicht Wundermittel und
schüren keine Illusionen, sondern beraten gründlich und
entscheiden vernünftig. Was ist daran schädlich, dass die
Willensbildung in einer großen Koalition mit so großen
Partnern etwas zäh verläuft?
Nach mittlerweile einem Jahr der Zusammenarbeit
haben wir uns auch eingespielt.
({15})
Die freundschaftlichen Bekundungen der Fraktionsvorsitzenden sind das eine. Jetzt müssen wir auch auf den
verschiedenen Arbeitsebenen noch mehr dafür sorgen,
dass manches stärker verzahnt wird und dass die
menschlichen Kontakte intensiver werden.
({16})
Dann soll es an Ergebnissen natürlich nicht mangeln.
({17})
Nicht wer zwischendurch bei Meinungsumfragen gut
abschneidet, lieber Herr Westerwelle, sondern wer am
Schluss das Vertrauen der Menschen als Ergebnis einer
soliden, zukunftsorientierten Politik erhält, hat den Erfolg.
({18})
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss und zitiere Saint-Exupéry,
der so wunderschön gesagt hat:
Man kann nicht in die Zukunft schauen, aber man
kann den Grund für etwas Zukünftiges legen - denn
Zukunft kann man bauen.
Genau das wollen wir weiter tun.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Joachim Otto
von der FDP-Fraktion.
({0})
In großer Finsternis freut man sich bereits über eine
kleine Kerze. In der Finsternis dieser Bundesregierung
ist das Wirken des Kulturstaatsministers immerhin ein
Lichtblick. Was Herr Neumann bei den Haushaltsberatungen erreicht hat, insbesondere bei der Filmförderung,
nötigt uns Respekt ab.
({0})
3,5 Prozent Steigerung ist mehr, als seine drei Vorgänger
erreicht haben. Das sollte man auch als Angehöriger einer Oppositionspartei hier betonen.
({1})
Gerade weil die Haushaltsberatungen für die Kultur
durchaus ein Erfolg waren, verstehe ich nicht, Herr Kollege Kampeter, dass man sich mit kleinen Mätzchen an
vermeintlichen Kritikern schadlos hält. Das Faxverbot
für den Deutschen Kulturrat ist ein Späßchen gewesen. Mit Späßchen sollte man aber in einem sensiblen
Bereich wie diesem, bei dem es um die Autonomie von
Institutionen geht, vorsichtig sein. Deswegen bitte ich
ausdrücklich darum, das Faxverbot, über das sich hier
schon manche Männerwitze ranken, zurückzunehmen
und die erfolgreiche Arbeit des Deutschen Kulturrats
nicht mit solchen Maßnahmen zu schwächen.
({2})
Die geringe Redezeit, die mir zur Verfügung steht, erlaubt es mir nicht, hier längere Ausführungen zur Vergangenheit und Gegenwart zu machen; vielmehr möchte
ich mich einer Zukunftsaufgabe zuwenden. Der Regierende Bürgermeister und künftige Kultursenator von
Berlin, Klaus Wowereit, hat uns in seiner grenzenlosen
Güte eine der drei Berliner Opern, und zwar die Staatsoper Unter den Linden, sozusagen als Weihnachtspräsent
mit der Begründung vor die Füße gelegt, Berlin habe nur
noch das Geld, zwei Opern zu finanzieren. Man muss
Klaus Wowereit daran erinnern, dass es glasklare Zusagen von ihm selbst und von dem von ihm geführten
Senat aus der Zeit, als der Hauptstadtkulturvertrag abgeschlossen wurde, gibt. Klaus Wowereit wird wortbrüchig, wenn er sich jetzt nicht an diese Zusagen hält.
Es ist aber wohl auch so, dass wir alle hier gesündigt
haben, indem wir dem Hauptstadtkulturvertrag damals
nicht lebhaft widersprochen haben. Es war nämlich absehbar, dass Berlin mit den vorhandenen Mitteln die
Staatsoper Unter den Linden nicht sanieren kann. Es war
auch absehbar, dass das Konzept nicht tragfähig ist. Deswegen möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen:
Auch wenn sich Berlin seiner Verantwortung zu entziehen droht, können wir uns hier nicht einfach zurücklehnen und sagen, das sei das Problem Berlins. Die Kultur
in Berlin, insbesondere die Staatsoper Unter den Linden,
die dringend saniert werden muss, würde dann unter die
Räder kommen.
Was müssen wir tun? Es müssen sich alle Beteiligten
- dazu gehören nicht nur der Senat und der Kulturstaatsminister, sondern auch die beiden Parlamente - an einen
Tisch setzen und darüber nachdenken, wie die Hauptstadtkulturförderung endlich auf eine solide Grundlage
gestellt werden kann. Es muss Schluss sein mit einer
Kulturpolitik nach Haushaltslage. Es muss Schluss damit sein, dass Institutionen nach zufälligen Gesichtspunkten verteilt werden: Hauptstadtkulturfonds hierhin,
Akademie der Künste dahin usw. Es muss nach nachvollziehbaren sachlichen Kriterien entschieden werden,
wer in Berlin was fördert, also was Berlin zu tun hat und
was der Bund zu tun hat.
Letzte Bemerkung von mir: Es hat sich gerächt, dass
wir es zugelassen haben, dass damals die beiden Regierungen ohne Beteiligung der Parlamente einen Hauptstadtkulturvertrag abgeschlossen haben, dessen Wortlaut
wir übrigens immer noch nicht kennen. Wir brauchen einen Staatsvertrag zwischen dem Land Berlin und der
Bundesrepublik Deutschland unter Beteiligung der Abgeordneten. So würde alles auf eine solide Grundlage
gestellt. Meine Forderung an Herrn Neumann lautet: Tun
Sie es jetzt, bevor der Schaden in Berlin noch größer
wird! Meine Aufforderung an Herrn Wowereit lautet:
Stecken Sie den Kopf nicht weiter in den Sand! Sie werden sich Ihrer Verantwortung noch stellen müssen.
Vielen Dank.
({3})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Steffen Kampeter das Wort.
({0})
Herr Kollege Otto, ich möchte ausdrücklich hervorheben, dass ich es für eine noble Geste halte, dass Sie als
Oppositionsvertreter die hervorragende Arbeit von
Bernd Neumann als Kulturstaatsminister zu Beginn Ihrer
Rede erwähnt und insbesondere sein Wirken im Zusammenhang mit der materiellen Ausstattung der Kultur
positiv bewertet haben. Dies ist angesichts anderer Redebeiträge vonseiten der FDP-Fraktion bezüglich Noblesse, Großzügigkeit und Geste eine positive Veränderung der Debattenbeiträge.
({0})
Sie haben in einem Punkt Kritik geübt, Herr Kollege
Otto. Ich möchte der guten Ordnung halber feststellen:
Alle von Ihnen kritisierten Beschlüsse sind mit Zustimmung der FDP im Haushaltsausschuss erfolgt.
({1})
Es ist schon einigermaßen verwunderlich, dass Sie - bei
allen noblen Gesten - jetzt hier als Sprecher Ihrer Fraktion bestimmte Beschlüsse, die Sie im Übrigen auch
falsch interpretieren, in dieser Art und Weise kritisieren.
Es sollte kein falscher Eindruck bestehen bleiben: Alle
Beschlüsse, auch die von Ihnen kritisierten, sind mit Zustimmung der FDP-Bundestagsfraktion im Haushaltsausschuss erfolgt.
({2})
Zur Erwiderung Kollege Otto.
Herr Kollege Kampeter, für die Blumen zum Eingang
Ihrer Kurzintervention bedanke ich mich. Ich sehe mich
aber trotzdem veranlasst, die Dinge hier richtig zu stellen.
Sie haben gesagt, ich hätte Beschlüsse falsch interpretiert. Natürlich bin ich darauf vorbereitet. Ich lese einmal
vor, was auf Ihre persönliche Initiative hin als Haushaltsvermerk aufgenommen worden ist:
Aus dem Ansatz zu …
- gemeint ist der Deutsche Kulturrat dürfen vom Zuwendungsempfänger keine Ausgaben für den Versand von Faxen geleistet werden.
Das ist Pillepalle, kleinliches Gezänk. Weil Ihnen
Herr Zimmermann und der Deutsche Kulturrat nicht
gefallen, wollen Sie dort das Versenden von Faxen verbieten.
({0})
Für den Deutschen Kulturrat ist das ein Problem, weil er
keine freien Mittel hat, mit denen er das finanzieren
könnte. Ich sage Ihnen: Wenn wir so anfangen - wenn
Herr Staeck von der Akademie der Künste uns nicht gefällt, dann verbieten wir ihm zu telefonieren, und wenn
uns der Herr Knabe in Hohenschönhausen nicht gefällt,
dann verbieten wir ihm den Kauf von Briefmarken -,
dann ist das kein guter Umgang. Nach meiner Kenntnis
hat es einen solchen Vorgang in der Geschichte des deutschen Haushaltes noch nicht gegeben. Das ist ein kleinliches Gezänk. Ich fordere Sie auf, das zu unterlassen.
Sie haben eben von Noblesse gesprochen. Lieber Herr
Kampeter, haben Sie die Noblesse und nehmen Sie diesen Scherz, der im Grunde auf eine Zäsur hinausläuft,
zurück! Dann sind wir beide in dieser Sache quitt.
({1})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Angelica SchwallDüren von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Kommen wir von dem kleinlichen Gezänk wieder zu den
wichtigen und großen Fragen zurück. Viele meiner Kollegen und Kolleginnen haben schon darauf hingewiesen,
dass wir nach einem Jahr großer Koalition eine positive
Bilanz ziehen können. Sie werden verstehen, dass auch
ich noch einmal betone, dass die Grundlagen für den
Aufbruch in die Zukunft schon unter der letzten Regierung mit der Agenda 2010 geschaffen worden sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das DIW hat in den
letzten Tagen festgestellt, dass das positive Wachstum
keineswegs auf einem Vorzieheffekt aufgrund der
Mehrwertsteuererhöhung beruht, sondern auch eine
Auswirkung der gestiegenen Binnennachfrage und der
weltwirtschaftlichen Konjunktur unter positiven Rahmenbedingungen in diesem Land ist. Daran ändern auch
Miesmacher wie Herr Brüderle und Herr Westerwelle
nichts; denn die Menschen in unserem Land schauen
wieder mit mehr Zuversicht und Vertrauen in die Zukunft. Das ist das Wichtigste.
({0})
Das positive Wachstum in Deutschland ist auch ein
wichtiger Impuls für Europa.
({1})
Aber auch Europa hat über Jahrzehnte unser Land reicher gemacht. Wir verdanken unseren Wohlstand und
unsere Arbeitsplätze ganz wesentlich der Tatsache, dass
wir unsere Waren in 25 - bald 27 - Mitgliedstaaten ohne
Zölle und Grenzbarrieren ausführen können. Der Exportweltmeister Deutschland liefert fast zwei Drittel seiner Exporte in Länder der EU. Nach Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertages sichern die
freien Grenzen für Waren und Produkte in der EU circa
5,5 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland.
Deutschland und die EU stehen aber im harten internationalen Wettbewerb globalisierter Ökonomie. Die
vielen Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert
sind, machen den Menschen auch Angst. Junge wie Ältere machen sich zu Recht Sorgen über die Auswirkungen
komplexer Fragestellungen auf ihr persönliches Leben:
Globalisierung, Klimawandel, Altern der Gesellschaften,
Bedrohung der Sicherheit durch Terrorismus, nicht immer gelungene Integration von Migranten sowie sozialer
Druck durch erbarmungslosen Wettbewerb. Dies trifft
insbesondere einfache Arbeitnehmer in Fertigungsbranchen und Menschen mit geringer Qualifizierung.
Wir können und wollen aber nicht auf Basis von niedrigen Kosten konkurrieren. Wollten wir dies versuchen,
müssten wir die Strukturen der sozialen Sicherheit,
auf denen Europas Gesellschaften aufbauen, dramatisch
reduzieren oder abschaffen. Das kommt für uns überhaupt nicht infrage.
({2})
Es wäre ein Weg in den politischen und ökonomischen
Untergang der EU.
Ich darf an dieser Stelle aus einem Interview mit
Jean-Claude Juncker Anfang dieser Woche in der
„Frankfurter Rundschau“ zitieren:
Es wird der Zeitpunkt kommen, dass sich große
Teile der Arbeitnehmer gegen die systematische
Verunsicherung wehren werden, weil sie sich in
diesem Europa und in ihren nationalen Staaten
nicht mehr aufgehoben fühlen.
Deshalb schlussfolgert Juncker:
Die Europäische Union muss auch eine Sozialunion
werden.
Recht hat er.
({3})
Dabei haben viele Menschen längst akzeptiert, dass
gegen Mikrochips und Internet keine künstlichen
Schutzzäune helfen. Egal ob diese von links oder gar
von rechts gezogen werden: Beides endet im Kreis. Eine
Politik der Insel der Glückseligen entbehrt jeder rationalen Analyse. Sie muss scheitern; denn letztlich verzichtet
sie auf aktive und nachhaltige politische Gestaltung. Sie
nimmt die Menschen mit ihren Sorgen nicht wirklich
ernst und verstärkt populistische Grundströmungen.
({4})
Es ist klar, dass die Globalisierung den weltweiten
Wohlstand vergrößert hat. Um an dieser Entwicklung
aber auf Dauer teilhaben zu können, müssen die richtigen Weichen gestellt werden. Die Menschen wissen: Es
braucht Mut zur Veränderung und Mut, die Chancen dieser neuen Entwicklung gezielt zu ergreifen. Aufgabe der
Politik ist es, mit diesem Mut und mit voller Schaffenskraft voranzugehen, dabei die Menschen zu überzeugen
und mitzunehmen.
Deutschland übernimmt mit der EU-Ratspräsidentschaft und der Präsidentschaft in der G 8 im kommenden
Jahr besondere Verantwortung für die EU und für die politische Gestaltung der Globalisierung. Unsere gemeinsame Politik ist von dem Willen geprägt, die Vertiefung
und Erweiterung des europäischen Einigungsprozesses
mit Entschlossenheit und Augenmaß voranzutreiben.
Wir sind bereit, uns für eine gerechtere Welt einzusetzen.
Ich nenne hier zwei Stichworte: WTO und Afrika-Strategie.
Spürbar sind die großen Erwartungen, die unsere
Partner mit der deutschen Präsidentschaft verbinden.
Dabei beziehe ich mich nicht ausschließlich auf die Erwartungen hinsichtlich des Verfassungsvertrages, auf
den wir in der Europäischen Union so dringend angewiesen sind. Ich will hier auch einen Aspekt ansprechen, der
mit Innovation zu tun hat, nämlich die europäische
Energiestrategie. Es kommt hier nicht darauf an - darin
unterscheide ich mich sicher von Herrn Kauder -,
({5})
dass es in der Europäischen Union eine Festlegung der
Nationalstaaten auf einen Energiemix gibt; denn die in
Deutschland durch Atomkraftwerke erzeugte Energie
könnte mittelfristig durch technologische Innovationen
ersetzt werden. Wir brauchen nur die Energieerzeugung
aus Kraft-Wärme-Kopplung zu verdoppeln und schon
hätten wir einen Ersatz geschaffen.
Es kommt aber sehr wohl darauf an, dass wir uns in
der Europäischen Union auf Innovationsstrategien verständigen und dafür sorgen, dass unsere Energielieferanten in langfristige, sichere Beziehungen zu uns treten.
Deswegen ist der Gipfel am Freitag dieser Woche so
wichtig. Ich möchte die Bundesregierung ermutigen, dafür einzutreten, dass die Sorgen Polens so ausgeräumt
werden, dass das Veto für das Verhandlungsmandat aufgehoben wird.
({6})
Da wir in nächster Zeit, im Dezember, ausführlich
über die EU-Ratspräsidentschaft beraten, möchte ich
mich heute auf einige wenige Aspekte beschränken, die
mit unserer innerstaatlichen Agenda verknüpft sind.
Hiermit meine ich ganz besonders das europäische
Gesellschaftsmodell, das wir praktizieren, um einen sozialen Ausgleich in unserer Wettbewerbsgesellschaft zu
erzielen. Dieses Modell umfasst solidarisch finanzierte
Systeme der sozialen Sicherung gegen die persönlichen
Lebensrisiken. Es hat Elemente der Wirtschaftsdemokratie durch Sozialpartnerschaft und Mitbestimmung. Es
garantiert den Zugang für alle Bürger zu bezahlbaren
Dienstleistungen von hoher Qualität und die Bereitstellung öffentlicher Güter.
Den Herausforderungen, vor denen unser Gesellschaftsmodell steht, müssen wir mit konkreter innovativer und nachhaltiger Politikgestaltung begegnen. Dazu
brauchen wir einerseits wirtschaftliche Dynamik und
Wachstum und andererseits eine Ausweitung unseres
Begriffs und unserer Praxis von sozialer Gerechtigkeit.
Beides geht nicht ohne oder gegen die EU; beides geht
nur mit der EU.
Wir werden deshalb den nationalen, europäischen und
internationalen Herausforderungen auch weiterhin durch
kohärentes politisches Handeln auf den unterschiedlichen Ebenen begegnen. Dabei sind die Lissabonstrategie
der Europäischen Union und das nationale Reformprogramm die europäische bzw. deutsche Antwort.
Heute ist schon von unserer Politik für den Mittelstand und die Familien, von unserer Politik für Forschung und Innovationen sowie von unserer koordinierten Wachstumspolitik mit sozialem Gesicht gesprochen
worden. Für die EU als globalen Akteur dürfen dabei die
Menschen nicht zum Objekt des Geschehens werden,
sondern müssen durch Befähigung zur Teilhabe und
Teilnahme zum Subjekt werden. Bildung ist die Grundvoraussetzung und muss stets auf der Höhe der Zeit sein.
Die Bildungsinhalte selbst müssen die Bürger zu einer
aufgeschlossenen und mutigen Haltung gegenüber Innovationen anspornen. Das Wissen unserer Bürger ist entscheidend für unseren Erfolg. Aber von ebenso großer
Bedeutung ist eine Haltung, die von Aktivität und
Selbstbewusstsein geprägt ist; das sage ich gerade vor
dem Hintergrund des Gewaltaktes in Emsdetten. Bil6550
dung muss ganzheitlich verstanden werden. Wir müssen
für Wissen, soziale und kulturelle Kompetenz sowie psychische Gesundheit eintreten.
({7})
Wirtschaft braucht gute Rahmenbedingungen für Innovationen. Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf
verständigt, uns mit weiteren eigenen Deregulierungsvorschlägen und Beiträgen in die Arbeit an einer besseren EU-Rechtsetzung einzubringen.
Unsere Leitlinie ist, bei überflüssiger Bürokratie einzugreifen. Wir gehen nicht nach dem neoliberalen Motto
„Der Markt wird alles regeln“ vor, vielmehr wollen wir
den gesellschaftlich gebotenen ordnungspolitischen Bedarf als Ausgangspunkt nehmen. Der Markt regelt viel,
aber nicht die sozialen Beziehungen von Menschen.
({8})
Deutschland ist in den vergangenen Jahrzehnten auch
deshalb so erfolgreich gewesen, weil der soziale Zusammenhalt als entscheidender Produktionsfaktor akzeptiert
wurde. Sozialer Zusammenhalt und ökonomische Stärke
sind zwei Seiten einer Medaille. Nicht allein wirtschaftliche Interessen bestimmen, wo es lang geht; sie müssen
gegen soziale, umweltpolitische und kulturelle Interessen abgewogen werden.
({9})
Wir unterstützen das Europäische Parlament und Kommissar Günter Verheugen in der Forderung, hier besser
und schneller voranzukommen. Für uns Sozialdemokraten ist besonders wichtig, schon im Vorgriff auf die Gesetzgebung ihre sozialen Folgen sichtbar zu machen.
Eine entsprechende Regelung könnte auch helfen, den
sozialen Akzent eines Verfassungsvertrags sichtbarer zu
machen.
Die weitere Öffnung der europäischen Märkte hat logischerweise Folgen für den europäischen Arbeitsmarkt. Es reicht uns nicht, mithilfe der Lissabonstrategie in erster Linie den Unternehmen besser zu helfen;
denn wir haben berechtigte Zweifel an der Grundidee,
dass es den Arbeitnehmern gut geht, sobald es den Unternehmen gut geht.
({10})
Arbeitnehmer sind keine frei verfügbare Masse. Wer solchen Ideen das Wort redet, untergräbt europäische
Grundwerte
({11})
und riskiert die Destabilisierung der Gesellschaften.
Dieser Ansatz, der von Teilen der Kommission und
einigen Mitgliedstaaten verfolgt wird, orientiert sich
wohl eher am neoliberalen Wirtschaftsverständnis. Als
Parlamentarier halten wir auch hier am Primat der Politik fest.
({12})
Politik muss Mechanismen schaffen und Instrumente
entwickeln, damit die Gestaltungskraft der Politik die
Globalisierung in die richtigen Bahnen lenkt.
Auf der europäischen Ebene wird es im kommenden
Jahr eine Reihe von legislativen Initiativen geben, die
ganz konkret in das Leben der Menschen eingreifen und
Sicherheit mit Wandel - bekannt unter dem Stichwort
„Flexicurity“ - verbinden wollen. Darum müssen wir
uns intensiv kümmern, wie wir das bereits im vergangenen Jahr getan haben.
Ich will, um ein Beispiel zu nennen, noch einmal auf
die Dienstleistungsrichtlinie zu sprechen kommen. In
entwickelten Volkswirtschaften erlangt der Dienstleistungsbereich ein immer stärkeres Gewicht. Die Europäische Union wird ihr Wachstumspotenzial nur dann
ausschöpfen können und dauerhaft ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten, wenn sie dieses Potenzial nutzt. Gleichzeitig darf dies aber nicht dazu führen, dass Europa sein
soziales Gesellschaftsmodell und damit seinen strategischen Vorteil gegenüber anderen Volkswirtschaften aufgibt.
({13})
Daraus ergibt sich ein Spannungsverhältnis, das politisch gestaltet werden muss. Die breite öffentliche Diskussion zur Dienstleistungsrichtlinie ist deshalb nicht,
wie von einigen behauptet, ein Zeichen der mangelnden
Reformbereitschaft in der Europäischen Union, sondern
ein Zeichen der Vertiefung und Demokratisierung der
EU.
({14})
Dem Europäischen Parlament ist es gelungen, die
Dienstleistungsrichtlinie vom Kopf auf die Füße zu stellen und einen Rahmen für den Interessenausgleich zwischen dem notwendigen Wettbewerb und einem angemessenen sozialen Schutz zu schaffen.
({15})
Dieser Rahmen muss nun von den nationalen Entscheidungsträgern ausgefüllt werden. So bleibt es den Mitgliedstaaten aufgegeben, Lohndumping durch Mindestlöhne, die
für inländische und ausländische Arbeitnehmer gleichermaßen gelten, zu verhindern. Kurz gesagt: Wenn wir
zum Beispiel die Löhne der von ausländischen Dienstleistungserbringern entsandten Arbeitnehmer in deutschen Schlachthöfen kritisieren, liegt es an uns, dies zu
ändern, indem wir über Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen, die Umsetzung der Entsenderichtlinie oder über gesetzliche Mindestlöhne für ein faires Miteinander der europäischen Arbeitnehmer sorgen.
Wir haben damit angefangen, indem wir für den Gebäudereinigerbereich die Entsenderichtlinie endlich in
nationales Recht umgesetzt haben. Auf europäischer
Ebene müssen wir dafür sorgen, dass die nicht gewollte
und unsoziale Deregulierung nicht wieder durch die Hintertür auf die Tagesordnung kommt, zum Beispiel zur
Verhinderung von Kontrollen im Entsenderecht.
({16})
Die Tatsache, dass sich die Europäische Union mit
den Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen beschäftigen wird, deutet darauf hin, dass durch die wirtschaftliDr. Angelica Schwall-Düren
che Integration in der Europäischen Union der Bereich
der Daseinsvorsorge immer stärker europäischen Einflüssen unterliegt. Wir müssen diesen Prozess in Europa
politisch gestalten. Nur so können zum einen die Wachstumspotenziale des Binnenmarktes bei den Dienstleistungen erschlossen werden, nur so kann zum anderen der
Zugang aller Bürger und Unternehmen zu hochwertigen
Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge in
hoher Qualität und zu angemessenen Preisen auch künftig gewährleistet werden. Der Diskussionsprozess in
Europa hierzu muss fortgesetzt werden. Wir müssen ihn
politisch gestalten und dürfen uns nicht auf reine Abwehrschlachten unter dem lauten Ruf nach Subsidiarität
zurückziehen.
({17})
Sonst besteht die Gefahr einer schleichenden Deregulierung.
Vor diesem Hintergrund begrüße ich die Arbeiten im
Europäischen Parlament zur künftigen Gestaltung der
Dienstleistungen von allgemeinem Interesse ausdrücklich.
({18})
Diese Debatte müssen wir auch auf der nationalen Ebene
führen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wodurch sind wir
motiviert? Menschen brauchen Arbeit - in Deutschland,
Europa und anderswo. Nur sie sichert langfristig den Lebensunterhalt. Wir brauchen mehr Arbeit und qualifizierte Arbeit zu fairen Bedingungen und zu fairen Löhnen.
({19})
Jeder funktionierende Markt braucht freie und verantwortliche Akteure. Das sichert Effizienz und Dynamik.
({20})
Mitbestimmung und Rechte für Arbeitnehmer sind Teil
hoch moderner Politik.
({21})
Es ist gelungen, den Mitbestimmungsgedanken in
Europa zu festigen. Die Regelung zur Europäischen Gesellschaft zeigt das. Der dort gefundene Kompromiss
sollte bei weiteren Gesetzesvorhaben wie der anstehenden Revision der Richtlinie über Europäische Betriebsräte und der Regelung über die grenzüberschreitende Fusion von Unternehmen berücksichtigt werden.
Unsere gemeinsame Politik hält fest am Ziel des
Wohlstandes für alle. Wir wollen, dass Menschen sicher
und gut leben können. Deshalb organisieren wir Solidarität und Sozialstaat.
Wir Sozialdemokraten arbeiten in der großen Koalition mit Energie und Leidenschaft an den nötigen Voraussetzungen in Deutschland und in der Europäischen
Union.
Vielen Dank.
({22})
Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Börnsen von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Nach Europa noch ein kurzer Blick auf die Kultur.
({0})
Wer fair und unvoreingenommen urteilt, der stellt auch
für die Kulturpolitik der Bundesrepublik fest: Es geht
voran in unserem Land.
({1})
Die großen Kulturverbände und Kulturinstitutionen zollen dem Wirken des Staatsministers bereits nach einem
Jahr nicht nur Wohlwollen, sondern auch Anerkennung
und Respekt. Und diese Honorigkeit gilt einem Schwarzen, einem Profi der Politik, einem Parlamentarier aus
Überzeugung: Bernd Neumann, unserem Kollegen.
({2})
Viele der Kulturschaffenden, die heute applaudieren,
haben noch vor einem Jahr vor Entsetzen die Hände über
dem Kopf zusammengeschlagen:
({3})
Wie kann ein ausgewiesener Parteipolitiker die blaue
Blume Kultur überhaupt schützen, stärken und in ihrer
Einmaligkeit sichern? Er kann es!
({4})
Erfolgreiche Kulturpolitik setzt einen Koordinator
voraus, der in einem Klima der Freiheit für belastbare
Rahmenbedingungen sorgt und der die Kulturschaffenden wie die Kulturerlebenden begeistern kann. Auch das
kann er!
({5})
Bereits zum zweiten Mal ist es dem Staatsminister gelungen, die Haushaltsmittel für die Kultur aufzustocken.
In Zeiten verantwortungsbewusster Sparpolitik ist das
wahrlich ein besonderer Erfolg. Das gilt auch für die
Beibehaltung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes von
7 Prozent in 2007.
({6})
In diesem und in anderen Kulturfeldern erfährt der
Staatsminister der Union die Zustimmung der Opposition. Das ist nicht selbstverständlich. Herr Kollege Otto,
dafür möchte ich Ihnen und den anderen ausdrücklich
danken.
({7})
Wolfgang Börnsen ({8})
Der von Bernd Neumann praktizierte kollegiale Politikstil schafft einen breiten Konsens, der der Kultur insgesamt gut tut. Kultur ist das Fundament unserer Gesellschaft. Kultur ist das Kapital unseres Landes. Kultur ist
ein exzellenter Standortfaktor. Kultur schließlich gibt
den Menschen in unserem Land Orientierung, Lebensinhalt und Sinnerfüllung. Kultur ist der Bodensatz der
Identitätsbildung, ist Voraussetzung, um sich als selbstbewusste Nation begreifen zu können.
({9})
Der Schlüsselsatz für die Kulturpolitik der Bundesregierung ist in der ersten Regierungserklärung von
Kulturförderung
ist keine Subvention, sondern eine Investition in die Zukunft. Daran orientiert, wurde konsequent und konkret
gehandelt.
Erstens. Der Kunststandort Deutschland wurde gestärkt.
({0})
Durch das Folgerecht im Kunsthandel wurden für Künstler in der Bundesrepublik endlich EU-weit vergleichbare
Bedingungen geschaffen.
({1})
Mit der Umsetzung des UNESCO-Übereinkommens
zum Kulturgüterschutz wurde für den Kunsthandel bei
uns und international eine verlässliche Grundlage geschaffen. 36 Jahre lang hatte man sich dieser Regelung
verweigert. Die große Koalition brauchte vier Monate,
um den Schutz von Kulturgütern zu sichern. Das nenne
ich eine Politik der Entschlossenheit.
({2})
Zweitens. Der Filmstandort Deutschland wurde gestärkt. Ab 2007 stehen den Filmschaffenden neben den
FFA- und Ländermitteln jährlich weitere 60 Millionen Euro zur Verfügung. Das stärkt den Aufwärtstrend
des deutschen Films nachhaltig, das stabilisiert ihn, das
macht ihn in einem Jahr großer Rekorde noch stärker.
Fast 30 Prozent aller Kinoproduktionen kommen aus
dem eigenen Land. Das ist ein Rekord. In diesem Jahr
gibt es fast 150 Premieren von Filmen aus Deutschland.
Das ist eine noch nie da gewesene Leistung der Filmschaffenden in unserem Land. Herzlichen Dank dafür!
({3})
Drittens. Der Musikstandort Deutschland wurde
durch zusätzliche Mittel für „Initiative Musik“ gestärkt.
Unser Land kennzeichnet eine in der Vielzahl einmalige
und in der Qualität erstklassige lebendige Musikkultur
mit fast 50 000 Chören, 1,3 Millionen Sängerinnen und
Sängern, 30 000 Orchestern und über 700 000 Instrumentalisten. An dieser Stelle möchte ich stellvertretend
für alle Aktiven in der Breitenkultur den ehren- und
hauptamtlichen Chorleitern, den Vorständen, Musikerziehern und Lehrern danken; denn ohne deren Elan und
Enthusiasmus, ohne deren Inspiration und Initiative gäbe
es diese blühende Musiklandschaft Deutschland nicht.
({4})
Dass auch der renommierte Bach-Chor in meiner Heimatstadt Flensburg dazugehört,
({5})
dem ich an dieser Stelle zu seinem 100-jährigen Jubiläum gratulieren möchte, darf ich am Rande bemerken.
({6})
Kollege Börnsen, das musste unbedingt noch gesagt
werden. Ich bitte Sie aber, jetzt zum Schluss zu kommen.
Gut. - Ich möchte noch darauf aufmerksam machen
- auch das gehört zum breiten Erfolg des Kulturstaatsministers dieser Bundesregierung -, dass wir mit dem
Bode-Museum, mit dem Deutschen Historischen Museum und vielen weiteren Einrichtungen eine exzellente
neue und ausgebaute Museumslandschaft in Deutschland bekommen haben. Insgesamt haben wir nicht nur
eine vitale, engagierte, aktive und kreative Hauptstadt
Berlin mit viel Kultur, sondern wir haben auch viele andere blühende Kulturstandorte in Deutschland, in unserem föderalen System. Ich glaube, darauf sollten wir
stolz sein und das sollte uns mutig machen für die Zukunft. Die Kulturpolitik ist auf einem Erfolgskurs.
Das war ein wunderbarer Schlusssatz.
({0})
Sie braucht Verbündete, nämlich Sie, die Abgeordneten.
Herzlichen Dank.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich der Kollegin Petra Merkel für die SPD-Fraktion das Wort gebe,
bitte ich Sie darum, auch ihr noch die angemessene Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
({0})
Es ist schön, dass Sie schon so zahlreich zur Abstimmung erschienen sind. Ich denke, Ihre Gespräche können bis zur Abstimmung aufgeschoben werden.
Das Wort hat die Kollegin Merkel.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Mir wurde empfohlen,
meine Rede vorzusingen.
({0})
Das will ich Ihnen lieber ersparen. Herr Otto, ich glaube,
das wäre nicht gut.
Ich habe den Eindruck, dass unser Kulturstaatsminister Neumann in einer guten Kontinuität steht. Vieles,
was Herr Börnsen gerade gesagt hat, war sorgfältig vorbereitet. Ich will die Verdienste von Herrn Neumann
überhaupt nicht schmälern. Ich glaube, Sie haben sich
wirklich wacker geschlagen und viel für den Kulturbereich herausgeholt. Schon im Regierungsentwurf war
eine erhebliche Steigerung der Mittel zu verzeichnen.
Ich will auch darauf hinweisen, dass Herr Kampeter und
ich als Vertreter der großen Koalition für diesen Bereich
noch einiges dazugelegt haben. Insofern sind wir im Bereich Kultur alle sehr erfolgreich.
({1})
Herr Gysi, zu Ihnen: Es ist das zweite Mal gelungen,
den Kulturetat zu steigern. Sowohl im Jahr 2006 als auch
für das Haushaltsjahr 2007 gibt es Steigerungen, die Sie
nicht wahrgenommen haben.
(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Aber im Vergleich zu den vorhergehenden Jahren!
Wir haben dem Kulturhaushalt im Rahmen des Haushalts des Sanierens, Reformierens und Investierens allerdings nichts schenken können. Im Kulturhaushalt war für
das Jahr 2007 eine pauschale Minderausgabe in Höhe
von 17 Millionen Euro veranschlagt, die auf Wunsch der
Haushälter der großen Koalition reduziert wurde, nämlich um 7 Millionen Euro. 10 Millionen Euro sind also
im Laufe des Haushaltsjahres zu erwirtschaften. Das ist
realistischerweise zu schaffen.
Erfreulich ist, wie gesagt, dass der Kulturetat steigt,
sowohl 2006 als auch 2007. Wir setzen mit diesem Etat
sowohl im Bereich Film als auch im Bereich Musik neue
Impulse. Die Film- und die Musikbranche sind eng mit
der Wirtschaft verbunden. Insofern sind die eingestellten
Mittel auch eine Spritze für die Wirtschaft.
({2})
Wir fördern die Filmproduktion im kommenden Jahr
mit insgesamt 60 Million Euro zusätzlich. Das bietet
eine gute Chance zur Stärkung des Produktionsstandortes Deutschland und zur Sicherung von Arbeitsplätzen in
einer Branche, die häufig ein Bild von Deutschland exportiert.
Auch die „Initiative Musik“ soll einen Impuls setzen.
Im Haushalt 2007 wird sie mit 1 Millionen Euro ausgestattet. Sie soll die Rahmenbedingungen für Musik und
Musikwirtschaft verbessern. Diese Initiative soll mindestens drei Säulen umfassen: Nachwuchsförderung,
Migration und Pädagogik sowie - auch hier wieder - Export, nämlich Export von Musik. Die Mittel sind gesperrt, damit das Konzept entwickelt und beraten werden
kann. Dazu wird Gelegenheit sein.
({3})
Gestern war Welttag des Fernsehens. Ich komme zum
Thema Deutsche Welle. Sie ist im Haushalt 2007 nicht
von Kürzungen betroffen. In den vergangenen Jahren
wurden von Intendanten Bettermann mit erheblichen
Anstrengungen neue Strukturen geschaffen, die Wirkung
zeigen. Ich möchte eine neue Perspektive hervorheben:
die Kooperation von ARD und ZDF mit der Deutschen
Welle. Die Deutsche Welle kann sich dadurch zu einem
Auslandsfernsehen mit frischen Programmplanungen
ausbauen. Neben den bewährten Produktionen der Deutschen Welle können dadurch mehr Informationen über
Deutschland in alle Welt gesendet werden.
({4})
Das nützt dem Bild unseres Landes und der Vermittlung
unserer Kultur.
({5})
Kollegin Merkel, ich habe Ihre Redezeit angehalten.
Ich hatte die Kolleginnen und Kollegen schon vor Beginn Ihrer Rede darum gebeten, ihre Gespräche entweder draußen zu führen oder sie einzustellen. Ich finde,
wir sollten uns, bevor wir zu dieser wichtigen Abstimmung kommen, auch noch die Argumente der letzten
Rednerin in dieser Debatte anhören.
({0})
Da ich weiß, wie schwer das ist, wenn man zur Abstimmung in den Plenarsaal kommt, versuche ich, gegen
die Unruhe anzureden.
Im Haushalt 2007 konnten wir die Mittel für die
Deutsche Welle nicht aufstocken. Aber immerhin sind
keine Kürzungen erfolgt. Die Kooperation zwischen
ARD, ZDF und Deutscher Welle kann schrittweise aufgebaut und in verschiedenen Sendegebieten aufgenommen werden.
Die Deutsche Welle ist ein wichtiger Bestandteil des
gesamten deutschen Engagements in der auswärtigen
Kultur- und Bildungspolitik. Ebenso wichtig sind aber
auch die Mittlerorganisationen wie das Goethe-Institut.
Auch wenn diese im Haushalt des Auswärtigen Amtes
angesiedelt sind, möchte ich die große kulturelle Bedeutung ihrer Arbeit deutlich machen.
({0})
Für ihre Arbeit stellen wir im Jahr 2007 13,5 Millionen Euro mehr zur Verfügung.
({1})
Die Bereiche Film und Musik, die Deutsche Welle
und das Goethe-Institut sind nur wenige Beispiele, die
Petra Merkel ({2})
verdeutlichen, welche Schwerpunkte wir im Rahmen der
Beratungen des Haushalts für das Jahr 2007 gesetzt haben. Diese Schwerpunkte werden ausstrahlen. Auch aufgrund der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wird unser
Land im Jahre 2007 ganz besonders im Mittelpunkt stehen.
Die vom Bundesbeauftragten für Kultur und Medien
geförderten Institutionen und Projekte geben einen
Überblick über die deutsche Geschichte. Denkmäler und
symbolträchtige Orte ermöglichen Erinnerung, indem
sie Geschichte erlebbar und spürbar machen. Viele solcher Orte sind in Deutschland zu finden. Eine besonders
hohe Dichte gibt es in Berlin, der Hauptstadt der Bundesrepublik.
Die Mauer war ein Symbol dieser Stadt. Sie war das
Symbol für die Teilung Deutschlands. Ich freue mich
über das Ergebnis der Haushaltsberatungen, dass für die
Gedenkstätte an der Bernauer Straße im Jahre 2008
3 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt werden.
({3})
Auch dies ist ein Zeichen dafür, dass die Konzeption des
Mauergedenkens, die vom Berliner Senat in Abstimmung mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem Kulturausschuss des Bundestages und dem BKM erarbeitet
worden ist, nun auch auf der Bundesebene in Angriff genommen werden kann.
Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas steht
für die schlimmste deutsche Vergangenheit. Damit die
Stiftung ihre gute Arbeit fortführen kann, haben wir die
Mittel, die wir für die Stiftung zur Verfügung stellen, um
355 000 Euro erhöht. So können wir sicherstellen, dass
die auch aufgrund der hohen Besucherzahlen wachsenden Anforderungen an die Stiftung bewerkstelligt werden können.
({4})
Daran, dass viele Menschen dieses Denkmal besuchen,
wird deutlich, dass die Entscheidung für ein solches
Denkmal richtig war. In Anbetracht der vielen internationalen Besucher zeigt dieses Denkmal die europäische
Aufgabe, aus der Vergangenheit für eine gemeinsame
Zukunft zu lernen.
Nun komme ich auf das sichtbare Zeichen gegen
Flucht und Vertreibung zu sprechen. Flucht und Vertreibung sind Teil der deutschen Geschichte. Auch dieser
Teil unserer Vergangenheit ist im europäischen Zusammenhang zu sehen. Für dieses Zeichen haben wir im
Rahmen des parlamentarischen Verfahrens für das
Jahr 2007 750 000 Euro zusätzlich in den Haushalt eingestellt, Frau Göring-Eckardt.
({5})
Im Koalitionsvertrag heißt es:
Wir wollen im Geiste der Versöhnung auch in Berlin ein sichtbares Zeichen setzen, um - in Verbindung mit dem Europäischen Netzwerk Erinnerung
und Solidarität über die bisher beteiligten Länder
Polen, Ungarn und Slowakei hinaus - an das Unrecht von Vertreibungen zu erinnern und Vertreibung für immer zu ächten.
Die Umsetzung dieses im Koalitionsvertrag gefundenen
Kompromisses soll durch die Bereitstellung der zusätzlichen Mittel ermöglicht werden.
({6})
Kern dieses sichtbaren Zeichens soll die Ausstellung
„Flucht, Vertreibung, Integration“ des Hauses der Geschichte in Bonn sein, wie Kulturstaatsminister Bernd
Neumann bei der Eröffnung der Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin angekündigt hat. Das
ist die Grundlage dieser Initiative.
({7})
Im Haushaltsausschuss haben wir beschlossen, dass
sich der Bund an der Sanierung der Staatsoper Unter
den Linden beteiligen wird;
({8})
das ist richtig. Die Sanierung der Staatsoper Berlin wird
vom Bund mit 50 Millionen Euro unterstützt. Durch den
Beschluss des Haushaltsausschusses tritt der Bund in
Vorleistung. Damit zeigt er seine Bereitschaft - ich zitiere -,
für die Erhaltung eines national bedeutenden, einzigartigen Kulturdenkmals Verantwortung zu übernehmen.
({9})
Dieses Zitat stammt aus der Presseerklärung von Steffen
Kampeter, der an dieser Stelle ins Schwärmen geraten
ist.
Die Finanzierung soll aufgeteilt werden: 50 Millionen Euro soll der Bund übernehmen, 50 Millionen Euro
das Land Berlin und 30 Millionen Euro sollen von privaten Sponsoren aufgebracht werden. Wie es im Moment
aussieht, wird darüber mit dem Berliner Senat verhandelt werden müssen. Herr Otto, im Hauptstadtkulturvertrag ist allerdings keine Festlegung in Bezug auf die Sanierung des Gebäudes erfolgt. So viel steht fest.
Ich komme zur Museumsinsel. Ich freue mich besonders, dass es gelungen ist, den Beginn der Arbeiten im
Zuge der Errichtung des Eingangsgebäudes für die
Museumsinsel auf 2009 vorzuziehen.
({10})
Es soll dazu dienen, die schon jetzt anwachsenden Besucherströme ab 2015 auf der Insel zu verteilen. Die
Museumsinsel entwickelt sich zu einem Magneten für
Besucherinnen und Besucher aus allen deutschen Bundesländern und aus dem Ausland; Sie haben miterlebt,
was sich seit der Eröffnung des Bode-Museums dort abspielt. Der Bund unterstützt den Bau des Eingangsgebäudes mit insgesamt 73 Millionen Euro, die ab 2009
fließen. Bis 2015 soll die Umsetzung erfolgen.
Petra Merkel ({11})
Mir sei noch eine Bemerkung gestattet: Ich hoffe sehr,
dass über die Form des Eingangsgebäudes noch diskutiert wird. Ich bin sicher, dass durch die Einstellung der
entsprechenden Mittel ab 2009 jetzt die Auseinandersetzung darüber im Kulturausschuss beginnen kann. Über
Geschmack lässt sich streiten. Liebe Kolleginnen und
Kollegen im Kulturausschuss, bitte tun Sie es!
({12})
Der Bund investiert viel in Berlin, wenn auch nicht
über die Haushaltskasse des Landes. Ich nenne die Sanierungsmaßnahmen auf der Museumsinsel, das Eingangsgebäude, das sind Bundesmittel für die Stiftung
„Preußischer Kulturbesitz“, an der Bundesländer und der
Bund beteiligt sind. Vieles, was in Berlin zu sehen ist, ist
eben von nationaler Bedeutung. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir im Rahmen der Föderalismusreform im
Sommer dieses Jahres neben anderen, umfangreichen
Grundgesetzänderungen einen Art. 22 aufgenommen haben:
Die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt ist Aufgabe des Bundes. Das Nähere wird
durch Bundesgesetz geregelt.
Ich plädiere dafür, dass ein solches Berlin-Gesetz unter
anderem den Hauptstadtkulturvertrag und den Hauptstadtkulturfonds ablösen sollte. Als Auftraggeber, als
diejenigen, die das Grundgesetz geändert haben, müssen
wir die Diskussion darüber führen, was der Bund für die
Hauptstadt tun muss. Als Berlinerinnen und Berliner
müssen wir die Diskussion führen, was die Hauptstadt
den Bundesländern bietet. Als Bürger der Bundesrepublik müssen wir schließlich darüber diskutieren, welche
Erwartungen an die Hauptstadt es gibt.
({13})
Während der Fußballweltmeisterschaft in diesem
Sommer haben viele Menschen erlebt, was diese weltoffene Hauptstadt Berlin unbezahlbar, selbstverständlich
leisten kann - und das mit Freude tut.
Zum Schluss möchte ich darauf verweisen, dass das
Bundespresseamt, dessen Etat zum Einzelplan des
Bundeskanzleramts gehört, eine hervorragende Broschüre herausgegeben hat, die den Besucherinnen und
Besuchern, die wir aus den Wahlkreisen nach Berlin einladen, überreicht wird: „Das politische Berlin - ein
Stadtrundgang“. Das ist die gelungene Umsetzung einer
Idee, die ich an das Bundespresseamt herangetragen
habe. Ich glaube, dies dient genau dazu zu diskutieren,
was die Hauptstadt ermöglicht und was wir erwarten.
Diesen Diskussionsprozess brauchen wir.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, bei dem
Herrn Staatsminister und den Vertretern der Ministerien.
({14})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 04, Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt, in der
Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Änderungs-
anträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst
abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 16/3464? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Ent-
haltungen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist der Ände-
rungsantrag der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der
übrigen Fraktionen des Hauses abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 16/3465? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Ent-
haltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den
Stimmen der Union und der SPD bei Enthaltung der
Fraktionen der FDP und der Grünen.
Wir nehmen zwei Erklärungen zur Abstimmung zu
Protokoll, nämlich der Kollegin Maria Michalk und des
Kollegen Dr. Ilja Seifert1), und kommen damit zur namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04 in der
Ausschussfassung. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem
Platz? - Ich eröffne die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wiedereröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Ihre
Plätze wieder einzunehmen. - Ich gebe das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb-
nis der namentlichen Abstimmung über den Einzel-
plan 04, Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt, in der
Ausschussfassung bekannt - das betraf die Drucksachen
16/3104 und 16/3123 -: Abgegebene Stimmen 569. Mit
Ja haben 419 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit
Nein haben 150 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Es
gab keine Enthaltung. Damit ist der Einzelplan 04 ange-
nommen.
1) Anlagen 2 und 3
Vizepräsidentin Petra Pau
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 569;
davon
ja: 419
nein: 150
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Carl-Eduard von Bismarck
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({1})
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({2})
Dirk Fischer ({3})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({4})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Gerda Hasselfeldt
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({5})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({6})
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({7})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({8})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({9})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({10})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Carsten Müller
({11})
Stefan Müller ({12})
Bernward Müller ({13})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({14})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({15})
Klaus Riegert
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({16})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({17})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({18})
Andreas Schmidt ({19})
Ingo Schmitt ({20})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({21})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({22})
Gerald Weiß ({23})
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({24})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Ernst Bahr ({25})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({26})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({27})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Vizepräsidentin Petra Pau
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({28})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({29})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({30})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({31})
Frank Hofmann ({32})
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({33})
Josip Juratovic
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({34})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({35})
Dr. Matthias Miersch
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({36})
Michael Müller ({37})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({38})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({39})
Michael Roth ({40})
Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({41})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({42})
Silvia Schmidt ({43})
Renate Schmidt ({44})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({45})
Carsten Schneider ({46})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({47})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({48})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({49})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({50})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({51})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Heinz Lanfermann
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Horst Meierhofer
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
({52})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({53})
Martin Zeil
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Dr. Barbara Höll
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Ulla Lötzer
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Vizepräsidentin Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({54})
Volker Schneider
({55})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({56})
Volker Beck ({57})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Priska Hinz ({58})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Undine Kurth ({59})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({60})
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({61})
Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({62})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.9 auf:
Einzelplan 05
Auswärtiges Amt
- Drucksachen 16/3105, 16/3123 Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Koppelin
Lothar Mark
Alexander Bonde
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Als erster Redner in dieser Debatte hat der Kollege
Dr. Werner Hoyer für die FDP-Fraktion das Wort.
({63})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Außenpolitik, insbesondere die internationale Politik, hat Hochkonjunktur. Scherbenhaufen allerorten: Afghanistan droht der internationalen Gemeinschaft verloren zu gehen. Im Irak stehen unsere amerikanischen
Freunde vor der größten Niederlage seit Vietnam. Niemand hat Veranlassung, darüber Schadenfreude zu empfinden, auch nicht diejenigen, die - genauso wie wir Liberale - diesen Krieg immer für falsch gehalten haben.
Die Radikalisierung der islamischen Welt gegenüber
dem Westen schreitet voran. Islamisten haben massenhaft Zulauf. Mit Nordkorea ist eine weitere Atommacht
auf den Plan getreten, während die Verhandlungen mit
dem Iran über die Aufgabe seines Atomprogramms in einer Sackgasse stecken und das Scheitern des Nichtverbreitungsvertrages unausweichlich erscheint. Wir erleben zudem eine Entrechtlichung der internationalen
Beziehungen und eine deutliche Schwächung internationaler Organisationen.
Bei all diesen bedrückenden Themen haben die Menschen - wie ich befürchte: nicht ganz zu Unrecht - den
Eindruck, dass etwas völlig schief läuft und dass der
Westen bei allen diesen Themen auf der Verliererstraße
ist.
({0})
Haben die Terroristen in den letzten Jahren nicht schon
einen riesengroßen Erfolg errungen, wenn viele Menschen aus Angst vor möglichen Attentaten ihre Verhaltensweisen, beispielsweise ihre Reisepläne, ändern? Haben die Terroristen nicht vielleicht einen noch größeren
Erfolg errungen, wenn wir beginnen, im Kampf gegen
den Terrorismus Eckpfeiler unserer gesellschaftlichen
Ordnung, die auf Freiheit, Toleranz, Rechtsstaatlichkeit
und Menschenwürde basiert, anzukratzen oder sogar
umzuwerfen? Gelingt es uns denn überhaupt noch - die
Bundeskanzlerin hat das heute angesprochen -, die
Köpfe und vor allem die Herzen zum Beispiel derjenigen
zu erreichen, denen wir mit unserem militärischen Engagement Hilfe leisten wollen?
Ein Scheitern des Westens, also der Staaten, die ihre
Wurzeln in der Aufklärung verorten, können wir uns
nicht leisten. Wenn wir uns als Europäer und insbesondere als Deutsche im Globalisierungsprozess erfolgreich
behaupten wollen, müssen wir unsere Interessen abstimmen, uns auf unsere gemeinsamen Werte besinnen und
unsere Kräfte bündeln, und zwar gemeinsam mit denjenigen, die wie wir, die meisten anderen Europäer und die
Amerikaner auf Toleranz, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit,
Demokratie und Menschenwürde setzen.
({1})
Da gleich noch über die NATO zu reden sein wird:
Wir sind gut beraten, den gewaltigen historischen Fortschritt der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts nicht
aufs Spiel zu setzen, der in einer klaren Absage an jede
Renationalisierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik besteht.
Die NATO - die Verteidigungsorganisation und die
politische Organisation, der wir sehr viel zu verdanken
haben und zu der wir zu Recht ständig Bekenntnisse abliefern - ist in einer schwierigen Situation. Wir bekennen
uns in der Tat zu ihr. Wir brauchen sie auch in Zukunft
dringend. Aber welche NATO eigentlich? Unglücklicherweise steht in dem Weißbuch zur Sicherheitspolitik,
das nicht nur das Weißbuch des Verteidigungsministers,
sondern das der Bundesregierung ist, zur Zukunft und
zur Qualität der NATO nichts.
({2})
Die Bundeskanzlerin hat zu Recht in München wie
ihr Vorgänger gesagt, dass die NATO wieder der zentrale
Ort der strategischen Debatte werden müsse. Das ist
richtig. Aber dann müssen wir die entscheidenden Fragen diskutieren, auch im Zusammenhang mit Weißbüchern und auch hier im Deutschen Bundestag. Dann
müssen wir darüber diskutieren, wie denn Deutschland
zu den neuen NATO-Partnerschaften steht. Wir müssen
darüber diskutieren, wie die deutsche Bundesregierung
sich zu der Frage einlässt, ob, wie das mancher in Washington glaubt, die NATO bestenfalls noch ein Werkzeugkasten ist, aus dem man sich je nach Auftrag die
entsprechende Koalition derer, die mitmachen wollen,
zusammenstellt. Die NATO muss mehr als ein Werkzeugkasten sein.
({3})
Wir dürfen an der tiefen Integration dieses politischen
und Sicherheitsbündnisses keinen Zweifel aufkommen
lassen. Es darf sich der Fehler der Amerikaner nach dem
11. September 2001 nicht wiederholen, als der Bündnisfall festgestellt worden ist und die NATO anschließend
unmittelbar keine Funktion mehr bei der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus erfüllen konnte.
Deswegen müssen wir offene Gespräche führen. In
diese offenen Gespräche im Bündnis gehören auch die
Fakten über Afghanistan. Ich finde, die Bundesregierung lässt viel zu sehr zu, dass sie, aber auch unsere Kolleginnen und Kollegen in der Parlamentarischen Versammlung der NATO unter Druck geraten. Wir müssten
in die Offensive gehen. Wenn wir das täten, würden wir
nämlich feststellen, dass wir in der Tat nicht immer dieselbe Sprache sprechen. Einige scheinen, geprägt von ihren Kampferfahrungen im Irak, ihren militärischen Auftrag mehr oder weniger eins zu eins in Afghanistan
fortsetzen zu wollen. Das kann für Deutschland nicht die
Linie sein. Für uns war es immer Aufbauarbeit mit der
erforderlichen militärischen Absicherung. So war es abgesprochen. Das ist auch das, was uns Bundeskanzler
Schröder hier unmittelbar nach dem 11. September in
seiner Rede im Deutschen Bundestag vor der Vertrauensabstimmung gesagt hat. Es ist klar definiert worden,
was Deutschland leisten soll und was nicht. Mangel an
Solidarität nach der Geschichte der NATO der letzten
50 Jahre braucht sich Deutschland von niemandem vorwerfen zu lassen.
({4})
Wir haben im Übrigen auch in Afghanistan unsere
Verpflichtungen punkt- und kommagenau erfüllt. Indessen stellen wir fest, dass im Süden zwei angeküdigte
PRTs fehlen. Eines fehlt im Osten und die Quick Reaction Force Süd sehe ich auch nirgendwo, es sei denn,
man nähme die aus Kabul verlagerte Komponente als
entsprechenden Ersatz. Aber da wird doch nur ein Loch
aufgerissen, um irgendwo ein anderes zu stopfen.
({5})
Diejenigen, die sich nicht beteiligt haben oder ihre Leistung nicht wie angekündigt und versprochen erbracht haben, müssen sich an die Nase fassen, bevor sie Deutschland vorführen.
({6})
Wir müssen auch die Frage stellen, ob alles richtig gemacht worden ist. Diejenigen, die mehr von militärischen Operationen verstehen als wir hier im Deutschen
Bundestag, pfeifen es doch von den Dächern, wenn sie
fragen, ob es verantwortungsbewusst ist, so große Operationen wie „Medusa“ ohne hinreichende Reserven anzugehen. Und: Ist es denn gerechtfertigt, eine so große
Verantwortung wie die ISAF-Führungsrolle im Süden zu
übernehmen, wenn dafür nicht die notwendigen militärischen Kräfte zur Verfügung stehen? Das mag jetzt alles
sehr technisch klingen. Aber die Politik, die die Verantwortung für diese Einsätze trägt, muss diese Fragen beantworten können.
Es kann doch nicht sein, dass wir sagen: Nicht nur ist
die NATO wichtig für Afghanistan, sondern umgekehrt:
Afghanistan ist heutzutage ungeheuer wichtig für die
NATO. Ich sehe die Gefahren für das Bündnis, wenn wir
in Afghanistan scheitern. Aber es kann nicht sein, dass
die Raison d’Être der NATO nur noch in dem Einsatz in
Afghanistan gesehen wird. Ich halte das für einen ganz
gefährlichen Ansatz.
({7})
Meine Damen und Herren, wir sind in einer schwierigen Situation, weil wir selber im Norden natürlich auch
nicht nur Erfolgsstorys verbreiten können. Das haben
wir in der ISAF-Debatte hier auch besprochen. Die Vernetzung der Entwicklungspolitik, der Politik auf dem
Gebiet der inneren Sicherheit, der Verteidigungspolitik
und der Außenpolitik ist bei weitem noch nicht so erfolgreich, wie wir uns das wünschen. Da nickt der Außenminister und lächelt wissend. Also können wir selber
bei diesem Thema, das im Weißbuch der Bundesregierung eine wichtige Rolle spielt, noch einiges nachlegen.
Wir müssen das Primat des Politischen vor dem Militärischen einfordern. Wir müssen das militärisch und politisch Wünschbare mit dem militärisch Machbaren
übereinbringen und wir müssen vorher immer wissen,
wie man wieder herauskommt. Das ist Clausewitz pur
und gilt heute wie früher.
({8})
Meine Damen und Herren, die FDP hat den meisten
Auslandseinsätzen zugestimmt, dem im Libanon nicht.
Wir sind leider kurz nach dem Beschluss in unserer Meinung bestätigt worden, nicht zugestimmt zu haben.
({9})
Aber das ist jetzt nicht das Thema. Entscheidend ist
doch, dass möglicherweise - das war das Ziel - der
UNIFIL-Einsatz Zeit kauft für den Ansatz für eine politische Lösung. Da frage ich mich natürlich: Wo ist denn
etwas zu erkennen, was die politische Lösung zumindest
am Horizont erscheinen lässt?
({10})
Wo sind die entsprechenden Aktivitäten? Hier ist auch
die Bundesregierung gefordert. Ich denke, es wird Zeit
- möglicherweise nach den amerikanischen Wahlen jetzt
auch mit mehr Aussicht auf Erfolg -, diesen Prozess
wieder anzugehen. Seit dem Abgang von Bill Clinton ist
viel zu viel Zeit verloren gegangen.
Schließlich komme ich zum Thema Abrüstungspolitik. Hier erwarten wir, Herr Minister - wir haben es hier
mehrfach angemahnt -, eine Initiative Deutschlands;
denn das Abrüstungsregime scheint am Ende, die Abrüstungspolitik scheint einzuschlafen, mit unabsehbaren
Konsequenzen für die Machtverhältnisse und die Gefahren in dieser Welt.
Frau Bundeskanzlerin, Sie gehen in eine G-8- und in
eine EU-Präsidentschaft. Herr Kollege Link wird zum
Thema Europapolitik nachher noch einiges sagen. Wir
wünschen Ihnen aus vollem Herzen und aus voller Überzeugung viel Erfolg bei dieser schwierigen Aufgabe.
Diese EU-Präsidentschaft muss ein Erfolg werden. Setzen Sie Ihre Ziele nicht zu unambitioniert. Sie haben
eine große Herausforderung zu bestehen. Die Erwartungen der europäischen Freunde sind enorm groß. Wir, die
Liberalen, wünschen Ihnen auf diesem Weg großen Erfolg.
({11})
Das Wort hat der Kollege Lothar Mark für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die aufgeworfenen und aktuellen Fragen werden sicherlich vom Außenminister und von Professor Gert
Weisskirchen auf unserer Seite mit in die Überlegungen
einbezogen werden. Ich werde als Haushälter für den
Bereich des Auswärtigen Amtes versuchen, einiges über
das Zahlenwerk des Auswärtigen Amtes zu sagen.
Der Haushalt des Auswärtigen Amtes umfasst nach
den Veränderungen, die wir im parlamentarischen Verfahren erreicht haben, 2,51 Milliarden Euro. Das ist eine
Steigerung von insgesamt 120 Millionen Euro gegenüber dem letzten Jahr. Andererseits muss man allerdings
feststellen, dass der Haushalt nur 0,93 Prozent des Gesamthaushaltes ausmacht. Meines Erachtens ist diese
Zahl etwas zu niedrig. Wir müssten anstreben, in absehbarer Zeit auf mindestens 1 Prozent zu kommen.
({0})
Durch die Pflichtbeiträge, die wir an die Vereinten
Nationen abführen, sieht sich unser Haushalt immer wieder im Wachstum begriffen. Allerdings hat das Auswärtige Amt von diesem Wachstum im Grunde genommen
nichts, da die Gelder wieder abgeführt werden müssen.
Im Vergleich dazu steigen der Haushalt für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gegenüber dem
Vorjahr um 324 Millionen Euro auf knapp 4,5 Milliarden Euro und der Verteidigungshaushalt um eine halbe
Milliarde auf 28,4 Milliarden Euro. Man muss auch
diese Zahlen einmal nennen, um die Dimensionen zu erkennen.
Angesichts einer zunehmenden Anzahl an - ich sage
bewusst: militärischen - Friedensmissionen sollten wir
künftig verstärkt über eine bessere nachhaltige Krisenpräventionspolitik weltweit nachdenken. Dies verlangt:
Erstens. Außen-, Sicherheits-, Entwicklungs-, Wirtschafts-, Finanz-, Umwelt-, Sozial-, Kultur- und Gleichstellungspolitik müssen systematisch aufeinander abgestimmt werden. Wird unser Handeln dieser Prämisse
immer gerecht?
Zweitens. Die Herausbildung einer globalen Rechtsordnung, die auf der Charta der Vereinten Nationen und
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aufbaut,
muss sowohl in bilateralen als auch in multilateralen
Verhandlungen zur Agenda gehören. Internationale Konventionen und Regelwerke müssen ausgebaut, die Handlungsfähigkeit internationaler und supranationaler Institutionen muss verbessert und die internationale
Gerichtsbarkeit weiterentwickelt werden. Auch Supermächte sollten sich danach richten. Entspricht unser
Handeln diesen Intentionen?
Drittens. Präventionspolitik verlangt schließlich die
Förderung eines wirksamen Multilateralismus und eine
kooperative Stabilitätsordnung. Diese klaren Präventionskriterien werden in Krisensituationen wegen des
akuten Handlungsbedarfs oft nicht in aller Konsequenz
umgesetzt. Prävention national und international ist aber
allemal auf Dauer humaner und effizienter als Schadensbekämpfung.
Bezogen auf den Bundeshaushalt würde dies bedeuten, dass eine politische Priorisierungs- und Wertedebatte geführt werden muss.
In diese Richtung weist, dass wir den Titel „Demokratisierungs- und Ausstattungshilfe, humanitäres Minenräumen und Förderung der Menschenrechte“ um
1,45 Millionen Euro auf 9,81 Millionen Euro aufgestockt haben.
({1})
Damit reagieren wir auf die Tatsache, dass trotz der Erfolge beim humanitären Minenräumen in den letzten
Jahren jährlich immer noch 15 000 bis 20 000 Erwachsene und Kinder von Minen und Blindgängern getötet
oder verstümmelt werden. Menschen in über 80 Ländern
sind durch Minen akut bedroht. Die Befreiung der Böden von Minen und Blindgängern ist Bedingung für
einen Wiederaufbau in Kriegsgebieten und für ein Leben
ohne Angst.
({2})
Der Titel „Unterstützung von internationalen Maßnahmen auf den Gebieten der Krisenpräventionen, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung“ wurde schon
im Regierungsentwurf angehoben. Der Ansatz von
12,6 Millionen Euro dient unter anderem dazu, den im
Koalitionsvertrag aufgegriffenen Aktionsplan „Zivile
Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ zu konkretisieren. Die erwähnten Mittel sind
beim Auswärtigen Amt ebenso ODA-fähig wie humanitäre Hilfe, die mit 50 Millionen Euro jährlich verstetigt
wurde, einige Projekte und Einrichtungen der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik und schließlich einige
Anteile von Beiträgen für internationale Organisationen.
Die ODA-Quote ist von 1982 bis 1998 von
0,42 Prozent auf 0,26 Prozent gesunken. Seit 1999
wächst sie wieder. Im Jahr 2006 liegt sie bei rund
0,36 Prozent. Im Haushalt 2007 wird der Anteil aller Voraussicht nach bei 0,37 Prozent liegen.
Das hört sich sehr einfach an, ist aber äußerst schwierig zu erfüllen. Pro 0,01 Prozent Erhöhung benötigen wir
nach aktueller Haushaltsbasis 225 Millionen Euro ODAanerkannter Projekte. Ein Anteil von 0,7 Prozent, wie
angestrebt, würde derzeit ein Mehr von 7,65 Milliarden
Euro im Bundeshaushalt bedeuten.
Zu den 0,37 Prozent ODA-Quote trägt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung circa 63 Prozent bei. 15 Prozent werden aus
unseren Mitteln an die EU anerkannt, circa 10 Prozent
steuern die Bundesländer bei. Das Auswärtige Amt ist
mit circa 5 Prozent beteiligt. Dieser Anteil muss künftig
erhöht werden.
Wenn Deutschland im ersten Halbjahr 2007 die EURatspräsidentschaft und den G-8-Vorsitz übernimmt,
werden die außenpolitischen Erwartungen an uns weiter
steigen.
Schon jetzt gilt Deutschland weltweit als Friedensmacht und verlässlicher Partner. Der Haushalt 2007 des
Auswärtigen Amtes steht deshalb auch im Zeichen dieser neuen Herausforderungen. Im Auswärtigen Amt
wurden dafür 15 neue Stellen sowie eine auf zwei Jahre
befristete Anhebung des Aushilfskräftetitels vorgesehen.
Insgesamt stehen für den gesamten Aufgabenkomplex
EU- und G-8-Vorsitz 58,8 Millionen Euro zur Verfügung.
Ein weiterer Schwerpunkt des auswärtigen Haushalts
liegt 2007 auf den Bemühungen, die personelle und materielle Ausstattung der Visastellen an den Auslandsvertretungen zu verbessern
({3})
und diese auf die Einführung der Erfassung biometrischer Daten vorzubereiten. Damit einher geht dann auch
eine Verbesserung der inneren Sicherheit. So konnten erfreulicherweise 35 neue Stellen ausgebracht und zusätzliche Mittel für Ortskräfte sowie IT- und Umbaumaßnahmen veranschlagt werden. Die Visastellen gehören mit
den Rechts- und Konsularabteilungen zu den Aushängeschildern Deutschlands im Ausland. Wir sollten ihnen
deshalb auch als Parlamentarier größere Aufmerksamkeit und Unterstützung zukommen lassen.
({4})
Die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik als
dritte Säule der Außenpolitik wird in der Tat immer
wichtiger. Im parlamentarischen Verfahren konnten wir,
zum Teil einstimmig, Erhöhungen der Mittelzuweisungen um insgesamt mehr als 20 Millionen Euro vornehmen. Damit konnten die Kürzungen der vergangenen
Jahre kompensiert werden. Trotzdem muss man sagen,
dass wir insgesamt für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik pro Kopf und pro Jahr weniger als 7 Euro
ausgeben. Ich bringe in diesem Zusammenhang immer
das Beispiel, dass man dafür noch nicht einmal eine Kinokarte kaufen kann. Wir müssen also stärker in den auswärtigen Kultur- und Bildungsbereich investieren, um
eine nachhaltige und rentierliche Politik zu erreichen.
({5})
Ein besonderes Augenmerk hatten wir auf das
Goethe-Institut gerichtet. Es ist bereits erwähnt worden: Wir haben 13,5 Millionen Euro zusätzlich bewilligt,
sodass dem Goethe-Institut circa 120 Millionen Euro zur
Verfügung stehen. Nun muss aber das Goethe-Institut
auch die Reformkonzepte, die gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt und dem Parlament ausgearbeitet wurden,
umsetzen.
({6})
Dazu gehört, dass die neuen Steuerungselemente und
Zielvereinbarungen strikt eingehalten werden. Zudem
sollte meines Erachtens mit dem Finanzministerium
auch ein modernes Liegenschaftsmanagement ausgehandelt werden, damit den Goethe-Instituten vor Ort mehr
Flexibilität ermöglicht wird.
Meines Erachtens sollten alle anderen Kulturmittler,
die Zuwendungen aus dem Haushalt des Auswärtigen
Amtes erhalten, ab 2007 darauf vorbereitet werden, dass
Budgetierung und Controlling ab 2008 einzuführen sind.
Nur so kann deren Arbeit auf Dauer finanziell abgesichert werden.
Im Sinne von Haushaltswahrheit und -klarheit spreche ich mich zusammen mit meinem Berichterstatterkollegen Frankenhauser und den anderen Kollegen dafür
aus, dass wir wie zum Beispiel beim Deutschen Archäologischen Institut Titelzusammenfassungen in einem
Kapitel herbeiführen und die Streulage der jeweiligen
Einrichtungen innerhalb des Einzelplans beenden, um so
mehr Transparenz herzustellen.
Das Goethe-Institut muss allein schon von seiner
Aufgabenstellung her in der Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes bleiben. Andere Überlegungen, die Zuständigkeit in Richtung Bundeskanzleramt zu verlagern, wie
jüngst gefordert, sollten nicht weiter verfolgt werden.
({7})
Es handelt sich für mich dabei um eine Gummibärchendiskussion, die letztendlich nur hinderlich ist.
({8})
Die deutschen Botschaften vor Ort sind aufgefordert,
dafür zu sorgen, dass die deutschen Mittlerorganisationen und sonstigen Institutionen und Organisationen - ich
nenne hier die deutschen Auslandsschulen, den Deutschen Akademischen Austauschdienst, die Alexandervon-Humboldt-Stiftung, das Deutsche Archäologische
Institut; man könnte auch die politischen Stiftungen, die
Deutsche Welle usw. einbeziehen - nicht nur bei Raumfragen, sondern auch programmatisch verstärkt zusammenarbeiten, weil so wesentliche Synergieeffekte erzielt
werden können. In diesem Bereich sollte aber auch die
Zusammenarbeit mit Mittlerorganisationen anderer europäischer Staaten voranschreiten.
Die Ansätze für die deutschen Auslandsschulen, zur
Förderung der deutschen Sprache im Ausland, für Austauschmaßnahmen und Beihilfen für Nachwuchswissenschaftler, Studierende und Hochschulpraktikanten aus
dem Ausland sind jeweils um 1 Million Euro erhöht
worden,
({9})
was meines Erachtens sehr wichtige Maßnahmen sind.
Außerdem wurde der Ansatz für gesellschaftspolitische
Maßnahmen der politischen Stiftungen um 1,7 Millionen Euro und der Ansatz für die Öffentlichkeitsarbeit
zur Auslandsberichterstattung über Deutschland um
750 000 Euro erhöht. Das Deutsche Archäologische Institut erhielt im parlamentarischen Verfahren zusätzliche
500 000 Euro.
Kollege Mark, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. Ich fürchte, Sie bekommen sonst Ärger mit den
Kollegen Weisskirchen und Griefahn.
({0})
Ja, ich komme zum Schluss. - Ich danke allen Berichterstattern, die mit mir in diesem Rahmen zusammengearbeitet haben. Es war immer eine sehr verständnisvolle Arbeit. Ich danke auch dem Außenminister ganz
herzlich für die offenen und fairen Gespräche und die
vertrauensvolle Arbeit. Ebenso danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Auswärtigen Amt für ihre
aufopferungsvolle Arbeit in oft äußerst schwieriger Mission.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Michael Leutert für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn im Bundestag über Außenpolitik gesprochen wird,
ist sehr oft von Frieden und gestiegener internationaler
Verantwortung Deutschlands die Rede. Auch im Koalitionsvertrag steht in dem Kapitel zur Außenpolitik als
erster Satz:
Deutsche Außen-, Europa- und Entwicklungspolitik
dient dem Frieden in der Welt.
Dies ist ein Kernsatz, den wir natürlich unterstützen können. Aber ich denke, wir als Opposition werden die Regierung nicht bloß an solchen Lippenbekenntnissen, sondern auch an den Realitäten messen müssen und messen.
Der Haushalt ist sozusagen die materielle Unterfütterung dieser Ziele. Ansonsten sind die Ziele das Papier
nicht wert, auf dem sie stehen. Wir sprechen heute über
den Etat des Auswärtigen Amtes. Er umfasst - das
wurde schon erwähnt - 2,5 Milliarden Euro. Das ist
nicht einmal 1 Prozent des Gesamtetats.
({0})
Dies ist die zivile Komponente der Außenpolitik. Dagegen steht ein Verteidigungsetat von über 28 Milliarden
Euro, der damit der zweitgrößte Einzeletat im Bundeshaushalt ist. Er umfasst weit über 10 Prozent des Gesamtetats. Das ist die militärische Komponente der Außenpolitik.
Der Wahrheit halber muss man dazusagen, dass von
diesen 2,5 Milliarden Euro beim Auswärtigen Amt noch
ungefähr 600 Millionen Euro abgezogen werden müssen, nämlich Beiträge an die UN für friedenserhaltende
Maßnahmen, also Militäreinsätze, die unter UN-Mandat
stattfinden, für die Deutschland als Mitglied der UN
zahlt.
Zu guter Letzt gibt es vom Auswärtigen Amt zum
Verteidigungsministerium eine Quersubventionierung,
über die hier eigentlich nie gesprochen wird. Nimmt
nämlich Deutschland an UN-Missionen teil, bekommt es
dafür von der UN Aufwandsentschädigungen. Diese umfassten in den Jahren 2003 bis 2005 immerhin
74 Millionen Euro. Sie fließen allerdings nicht in den
Topf, aus dem sie finanziert wurden, sondern natürlich in
den Topf des Verteidigungsministeriums. Wenn man sich
allerdings die Größenverhältnisse anschaut - weniger als
1 Prozent zivile Außenpolitik, mehr als 10 Prozent militärische Außenpolitik -, dann müsste man eigentlich zu
dem Schluss kommen, dass diese 74 Millionen Euro wesentlich besser beim Auswärtigen Amt aufgehoben wären.
({1})
Wir debattieren jedes Jahr im Haushaltsausschuss beispielsweise darüber, ob wir 11 Millionen oder 12 Millionen Euro für zivile Aufgaben wie das Minenräumen
bereitstellen können und ob wir den Mehrbedarf der
Goethe-Institute in Höhe von 16 Millionen Euro mit
13 Millionen oder 14 Millionen Euro decken können.
Man kann also sagen: Diese 74 Millionen Euro könnten
uns bei der Finanzierung der zivilen Komponenten der
Außenpolitik weiterhelfen.
({2})
Schon aus diesem Grunde kann meine Fraktion diesem Haushalt nicht zustimmen. Ich möchte ein Beispiel
nennen, wie „ernsthaft“ es derzeit die Regierung mit der
zivilen Komponente der Außenpolitik meint. Es gibt ein
so genanntes Aktionsprogramm „Zivile Krisenprävention“. Es wurde von der Vorgängerregierung beschlossen
und soll nun gemäß der jetzigen Koalitionsvereinbarung
durchgeführt werden. In diesem Aktionsplan „Zivile
Krisenprävention“ ist ein Beauftragter im Range eines
Botschafters beim Auswärtigen Amt vorgesehen.
Ich war in der letzten Legislaturperiode noch nicht
Mitglied dieses Parlaments. Daher habe ich heute Morgen im Auswärtigen Amt angerufen, um einmal mit diesem Beauftragten zu sprechen oder zumindest zu erfahren, wer dies eigentlich ist. Ich habe bis jetzt noch keine
Auskunft über diesen Mitarbeiter im Range eines Botschafters bekommen. So ernst nimmt die Bundesregierung die zivile Komponente der Außenpolitik.
({3})
Meine Fraktion hat schon immer gefordert, dass der
zivilen Komponente unbedingt Vorrang einzuräumen ist.
Allerdings sieht das die Mehrheit des Parlamentes nicht
so. Wir haben allein im September innerhalb von einer
Woche drei Militäreinsätze im Sudan, in Afghanistan
und im Libanon mit einem Umfang von über
650 Millionen Euro beschlossen. Das ist ein Viertel des
Etats des Auswärtigen Amtes. Wir haben Gegenstrategien aufgezeigt. Unser Vorschlag ist, dass die Bundesregierung im Libanon nach dem Vorbild KSZE aktiv
werden sollte und daran mitwirken sollte, eine Nahostkonferenz einzuberufen. Zumindest sollte ein entsprechender Vorschlag unterbreitet werden. Die Bundesregierung ist aber auf diesem Gebiet bisher untätig
geblieben.
Kollege Leutert, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, natürlich.
Sehr geehrter Herr Kollege Leutert, ich wollte Sie fragen, ob Sie bereit sind, dazuzulernen, was die Frage
nach dem Beauftragten für Zivile Krisenprävention angeht. Wären Sie also bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass dieser Beauftragte der Botschafter Dr. Däuble ist?
({0})
Herr Haibach, Sie wissen doch aus dem Ausschuss,
dass ich sehr wohl bereit bin, dazuzulernen. Wir können
nächste Woche also gerne ein Gespräch mit diesem Beauftragten führen.
Wir hatten, wie schon gesagt, den Vorschlag gemacht,
eine Nahostkonferenz abzuhalten, anstatt diesen Militäreinsatz durchzuführen. Jetzt haben Italien, Spanien und
Frankreich die Initiative ergriffen und haben diesen Vorschlag, eine Nahostkonferenz zu installieren, vorgelegt.
Die Bundesregierung hat jetzt noch die Möglichkeit, auf
der nächsten Konferenz der Staats- und Regierungschefs
der EU diesen Vorschlägen zuzustimmen. Ich fordere
Sie auf, dies zu tun.
Ich möchte Ihnen noch ein Argument nennen, warum
der zivilen Komponente der Außenpolitik eindeutig der
Vorrang gegenüber der militärischen Komponente eingeräumt werden sollte. Es liegt in der Natur der Sache,
dass sich Militär, insbesondere Militär im Einsatz - die
Bundeswehr wird im Übrigen im Koalitionsvertrag als
eine Armee im Einsatz beschrieben -, der demokratischen Kontrolle entzieht. Das wird durch folgendes Beispiel deutlich. Ich habe eine einfache Frage an die Bundesregierung gestellt:
Wie viele „Body bags“ werden die deutschen Streitkräfte bei der VN-Mission UNIFIL vor der libanesischen Küste mitführen?
„Body bags“ sind Leichensäcke. Die Antwort lautete:
Die im Rahmen der UN-Mission UNIFIL eingesetzten deutschen Kräfte führen die gemäß allgemeinem Ausstattungssoll vorgesehene Ausrüstung
mit. „Body bags“ sind Bestandteil dieses Ausstattungssolls.
Große Klasse! Das habe ich gewusst. Um das zu erfahren, hätte ich die Frage nicht stellen müssen. Wenn
ich frage, wie viel, dann möchte ich natürlich als Antwort eine Zahl bekommen.
({0})
- Es besteht natürlich die Angst, dass in der Öffentlichkeit bekannt wird, mit wie vielen Opfern gerechnet wird.
({1})
Wenn wir Parlamentarier nicht einmal wissen dürfen,
wie hoch die Risiken sind, wie sollen wir dann über solche Einsätze beschließen? Diese Dinge entziehen sich
der demokratischen Kontrolle. Wenn die Regierung
nicht einmal in der Lage ist, solche einfachen Fragen zu
beantworten, dann frage ich mich natürlich, was das Gerede der Bundeskanzlerin im September sollte, als sie
ankündigte - dies war in verschiedenen Zeitungen nach6564
zulesen -, dass der Militäretat aufgrund der gestiegenen
internationalen Verantwortung in den nächsten Jahren
natürlich weiter erhöht wird.
({2})
Kollege Leutert, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Nein, jetzt nicht.
Herr Außenminister, ich habe den Eindruck, dass das
Auswärtige Amt, wenn diese Entwicklung so weitergeht,
ein nachgeordnetes Amt des Bundesverteidigungsministeriums wird.
({0})
Wenn Sie allerdings dagegen ankämpfen möchten, dann
haben Sie uns auf Ihrer Seite. Wir wollen einen starken
Außenminister für eine friedliche und zivile Außenpolitik und keinen starken Kriegsminister.
Ich danke.
({1})
Das Wort hat der Kollege Herbert Frankenhauser für
die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! In der
Demokratie wird man leidensfähig,
({0})
wie man wieder deutlich an dem vorangegangenen Beispiel gesehen hat. Aber es gibt auch Erfreuliches, so zum
Beispiel die glückliche Fügung, dass mein hoch geschätzter Kollege Lothar Mark in Haushaltsdebatten immer vor mir spricht; denn nicht einmal ich selbst hätte
den Einzelplan 05 so gut erläutern können, wie er das
gemacht hat. Dies gibt mir einen gewissen Freiraum, zu
ein paar grundsätzlichen und besonderen Dingen Stellung zu nehmen. Dies zeugt auch von der Harmonie, die
nicht nur zwischen uns beiden, sondern auch in der großen Koalition besteht und die sich darin ausdrückt, dass
zwischen uns praktisch kein Buchstabe passt.
({1})
- Es ist so.
Ich darf mit Nachdruck seine Forderung unterstützen,
dass Regierung und Parlament ständig überprüfen sollten, ob der Anteil des Einzelplans 05 am Gesamtbudget
den Aufgaben, die dem Auswärtigen Amt gestellt sind,
angemessen ist.
({2})
- Lieber Kollege, du weißt doch, wie schwierig das ist.
Aber wir bemühen uns. - Im nächsten Haushalt ist wieder ein anteilsmäßiger Aufwuchs zur Erhöhung der Mittel für die Umsetzung der ODA-Quote vorgesehen. Wir
wollen auch sonst versuchen, bereits im Aufstellungsverfahren eine bessere Dotierung des Einzelplanes zu erreichen,
({3})
in dem sich unter anderem ein Juwel der deutschen auswärtigen Kulturpolitik verbirgt, das ich hier einmal benennen muss: das Deutsche Archäologische Institut, das
im Ausland exzellente Arbeit für Deutschland leistet,
({4})
so zum Beispiel in Ländern wie dem Iran, zu denen wir
aus verständlichen Gründen einen etwas schwierigen
Zugang haben.
Gestern Abend sind die Verhandlungen zum EUHaushalt verschoben worden, weil man sich nicht verständigen konnte. Da will das Parlament mehr als die
Kommission. Bei uns ist es zumindest jetzt umgekehrt
gewesen. Das gibt mir Anlass, auf Folgendes hinzuweisen, sehr geehrter Herr Außenminister: Die EU-Ratspräsidentschaft steht bevor. Man will auch unter deutscher Ratspräsidentschaft für mehr Vertrauen werben.
Man will sogar einen erneuten Anlauf für eine EU-Verfassung starten. Ich denke, das kann nur gelingen, wenn
das Vertrauen der Bürger in die doch etwas weit entrückte Institution „Europäische Union“ wieder verfestigt
wird.
Das hängt stark damit zusammen, dass die Bürger die
feste Überzeugung haben müssen, dass ihr Geld ordnungsgemäß und sinnvoll verwandt wird und man sich
nicht, wie dies ein sozialdemokratischer Haushälter im
Europäischen Parlament getan hat - der Vorteil einer
großen Koalition ist, dass ein CSUler auch einen Sozi zitieren kann -, fragen muss: Sind unsere Regeln zu kompliziert oder finanzieren wir lauter Betrüger?
({5})
Das will ich doch nicht hoffen.
Aber was ist in jüngster Zeit wieder passiert? Dazu
möchte ich drei Beispiele nennen.
Es gibt große Probleme bei der Ernährungslage der
Bevölkerung im Senegal, insbesondere an der Küste.
Das liegt daran, dass die dortigen Fischer ihre Hauptnahrung kaum mehr fangen können. Ursache dafür ist, dass
die Europäische Union die Fischereirechte an der Küste
aufgekauft hat. Ebenfalls werden der Bau, die Ausrüstung und der Treibstoff der Riesenschiffe, die das Hauptnahrungsmittel der Küstenbewohner des Senegals abfiHerbert Frankenhauser
schen, von der EU subventioniert. Ich kann mir nicht
vorstellen, dass so eine vernünftige europäische Politik
aussehen kann.
In Burkina Faso, einem der ärmsten Länder dieser
Erde, ist Milchpulver aus der Bundesrepublik Deutschland um mehr als die Hälfte billiger als die Milch, die
von den dortigen Milchbauern angeboten wird. Das liegt
daran, dass die Milch in Europa so stark subventioniert
wird. Sie kann daher preiswerter verkauft werden, was
dazu führt, dass den Milchbauern in Burkina Faso die
Existenzgrundlage entzogen wird. So sollten unsere
Steuergelder auf EU-Ebene nicht verwendet werden.
({6})
Es ist kaum zu glauben: Der Europäische Rechnungshof hat beispielsweise festgestellt, dass bei der Forschungsförderung der Europäischen Union die Kosten
und Aufwendungen bei drei Viertel aller geprüften Vorgänge schlichtweg doppelt abgerechnet wurden.
({7})
Hier muss es sich offensichtlich um eine konzertierte
Betrugsaktion handeln. Wir sollten mit einem besseren
Beispiel vorangehen. Ich denke dabei an die Fremdverwendung der Mittel aus dem Stabilitätspakt durch Berlin
und andere Bundesländer. Ich möchte herzlich darum
bitten, Herr Bundesaußenminister, die Gelegenheit der
EU-Ratspräsidentschaft zu nutzen, um den Bemühungen, die aus dem Europäischen Parlament kommen, eine
sorgfältigere Prüfung der Mittelverwendung durchzusetzen, durch geeignete Mittel zu unterstützen. Meines
Erachtens sollte es unter allen Umständen durchgesetzt
werden, dass fehlgeleitete Mittel oder überwiegend
durch Betrug erschlichene Fördermittel der EU von den
jeweiligen EU-Mitgliedsländern wieder zurückgeführt
werden. Wenn das nicht geschehen sollte, muss ein solches Vorgehen mit entsprechenden Sanktionen belegt
werden. Ich will ein Beispiel nennen: In Spanien wurden
lediglich 4,9 Prozent der offenkundig fehlgeleiteten europäischen Mittel zurückgezahlt. Das kann nicht mit einer ordnungsgemäßen Haushaltsführung in Einklang gebracht werden. Ich bitte Sie, soweit als möglich auch auf
die sinnvolle Mittelverwendung durch die EU-Kommission selbst, nicht nur durch die Empfängerländer oder
die Empfänger in den Ländern zu sorgen. Hier hat der
Europäische Rechnungshof eindeutige Verstöße innerhalb der Europäischen Kommission festgestellt.
Zumindest sind wir der europäischen Biersteuer entkommen. Bei der Kennzeichnungspflicht - nun schließt
sich der Kreis zur von mir in anderem Zusammenhang
zitierten Schwarzwälder Kirschtorte - sind wir noch
nicht so weit, aber es könnte durchaus sein, dass wir,
wenn die EU-Kommission so weiter macht, für die
Kommissare demnächst eine Kennzeichnungspflicht
einführen müssen: Achtung! Kommissare!
Vielen Dank.
({8})
Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat
die Kollegin Kerstin Müller das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle
hier in diesem Hause unterstützen einen starken Multilateralismus. Wer aber einen starken und effektiven Multilateralismus will, der muss auch selber bereit sein, mehr
internationale Verantwortung zu tragen, gerade auch im
Rahmen der anstehenden deutschen EU- und G-8-Präsidentschaften. Das tun wir bereits auf dem Balkan, in Afghanistan, im Nahen Osten und im Kongo. Allerdings
müssen wir die deutsche Öffentlichkeit darauf vorbereiten, dass es dabei angesichts der gestiegenen Anforderungen und neuen Herausforderungen in der Zukunft
nicht bleiben wird. Ein Beispiel ist Darfur. Ich meine,
hier muss die Bundesregierung endlich deutlich initiativ
werden, um eine internationale Schutztruppe durchzusetzen.
({0})
Auch die Debatte um ein stärkeres deutsches Engagement im Süden Afghanistans kommt genau von diesen
gestiegenen Erwartungen. Für uns sind der Wiederaufbau und die Stabilisierung dieses Landes von zentraler
Bedeutung. Es liegt auch in unserem Interesse, auch
wenn wir überwiegend im Norden sind, dass die Taliban
und die anderen islamistisch-militanten Kräfte im Süden
Afghanistans mit allen Mitteln, das heißt auch militärisch, bekämpft werden.
Dennoch geht meines Erachtens die Kritik der USA
und Großbritanniens in Bezug auf mangelnde Unterstützung durch Deutschland fehl. Die Art und Weise, wie im
Südosten der Kampf gegen die Taliban und andere
geführt wird, und zwar ohne dass diese militärischen
Maßnahmen von sichtbaren Aufbauprojekten begleitet
werden, bringt die Bevölkerung eher gegen die internationale Gemeinschaft auf, statt sie für diesen Aufbauprozess zu gewinnen.
({1})
Genau das muss endlich beim NATO-Gipfel in Riga auf
den Tisch. Ich habe heute Morgen die entsprechende Ankündigung, von Ihnen, Frau Merkel, gehört. Man darf
gespannt sein auf die Debatte und darauf, was Sie dort
bei den Partnern erreichen können.
Es geht auch um unterschiedliche Befriedungskonzepte. Die müssen wir mit den Partnern offensiv diskutieren. Im Norden ist das - ich nenne das jetzt einfach so sensible zivilmilitärische Konzept, an dem nicht nur die
Deutschen, sondern auch Norweger, Schweden, Dänen,
Tschechen und viele andere beteiligt sind, in einer
schwierigen Region - was wir damals auch festgestellt
haben -, immerhin Drogenanbaugebiet, mit verhältnismäßig wenig Soldaten recht erfolgreich.
Wenn wir den Kampf gewinnen wollen, geht es eben
nicht nur um mehr Soldaten, sondern darum - ich
Kerstin Müller ({2})
möchte dazu die „Süddeutsche Zeitung“ von gestern zitieren -, für ganz Afghanistan
das Zivile und das Militärische so zusammenzubinden, dass die Afghanen wirkliche Hoffnung schöpfen können.
({3})
Wenn das nicht gelingt, könnte Afghanistan zum Irak der
NATO werden. Das müssen wir alle gemeinsam verhindern!
({4})
Wichtig ist - vielleicht können Sie etwas dazu sagen,
Herr Außenminister -, dass sich die Bundesregierung
dafür auch im Süden entwicklungspolitisch und mit zivilen Projekten engagiert. Auch beim Polizeiaufbau müssen die Anstrengungen in ganz Afghanistan verstärkt
werden. 40 Ausbilder und 12 Millionen Euro waren ein
guter Anfang, sind aber offensichtlich zu wenig. Geld
und Personal müssen verdoppelt, wenn nicht verdreifacht werden.
({5})
- Und nachhaltig eingesetzt werden.
Fest steht: Afghanistan muss auch politisch stabilisiert werden. Allein militärisch ist diese Auseinandersetzung nicht zu gewinnen. Genau das müssen wir in Riga
mit den Partnern diskutieren.
Meine Damen und Herren, die gestrige Ermordung
des libanesischen Industrieministers Pierre Gemayel ist
ein großer Schock für uns alle. Eine erneute Destabilisierung des Libanon ist zu befürchten. Damit sind auch der
Erfolg der UNIFIL-Mission und der regionale Frieden
gefährdet. Deswegen brauchen wir jetzt und unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft neue politische Initiativen
für einen umfassenden Fahrplan für Nahost. Dazu gehören Initiativen zur Stabilisierung des Libanons und Gespräche mit Syrien. Ich sage das trotz der Vorfälle: Syrien muss endlich die libanesische Souveränität achten,
seine Unterstützung für die Hisbollah einstellen. Wir
müssen versuchen, Syrien aus der Achse mit Iran herauszubrechen. Das ist sicher nicht einfach. Das wäre
aber ein echter strategischer Erfolg, der das Fenster zu
Fortschritten im Nahen Osten öffnen könnte.
Die politische und humanitäre Lage in den palästinensischen Gebieten ist mehr als kritisch: Eine handlungsfähige Regierung der nationalen Einheit ist immer noch
nicht gebildet. Die Hamas schießt weiterhin Raketen auf
Israel und Israel reagiert mit fatalen Militärschlägen.
Auch hierzu erwarten wir unter deutscher Ratspräsidentschaft neue Initiativen. Das Nahost-Quartett muss endlich wieder belebt werden.
({6})
Im Irak erleben wir erneut eine Spirale der Gewalt.
Bei den Midterm-Elections hat US-Präsident Bush die
Quittung für eine verfehlte unilaterale Irakpolitik erhalten. Frau Bundeskanzlerin, Sie müssen diese Situation
nutzen, um in Washington vehement für multilaterale
politische Lösungen im Nahen und Mittleren Osten zu
werben. Uns allen sollte nämlich klar sein, dass es ohne
die amerikanischen Partner ganz schwer ist, im Nahen
Osten zu wirklichen Erfolgen bzw. Ergebnissen zu kommen.
({7})
Eine multilaterale Einigung unter Einbeziehung der
USA ist vor allem bezogen auf das iranische Atomprogramm sehr wichtig. Ich möchte sagen: Das iranische
Atomprogramm ist nach dem unilateralen Irakkrieg ein
entscheidender Testlauf für die Zukunft multilateraler
Krisenbewältigung. Ein unilateraler Militärschlag, wie
er zurzeit in bestimmten Kreisen offensichtlich diskutiert
wird, wäre für den regionalen und den internationalen
Frieden katastrophal.
({8})
Wir müssen wirklich alles daran setzen, dass wir zu einer
Verhandlungslösung kommen. Ein Verhandlungsangebot
liegt auf dem Tisch. Jetzt ist es an der iranischen Führung, Verhandlungswillen zu zeigen und einem Kompromiss bei der Urananreicherung zuzustimmen. Weil
bisher keine Signale kamen, beraten die UN-Sicherheitsratsmitglieder zu Recht erstmalig über die Verhängung
von Sanktionen. Es geht auch um die Glaubwürdigkeit
der internationalen Gemeinschaft und die Autorität des
Sicherheitsrates.
Für mich ist Folgendes klar: Sanktionen dürfen nicht
die Bevölkerung treffen, sie dürfen nicht das Regime
stärken und die Tür für Verhandlungen muss jederzeit
offen bleiben. Bis zum Ende des Jahres und anschließend, während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft,
werden entscheidende Weichenstellungen anstehen. Am
Konflikt über das Atomprogramm lässt sich die gewachsene Verantwortung Deutschlands im Rahmen eines effektiven Multilateralismus beispielhaft aufzeigen.
Ein weiteres positives Beispiel ist meines Erachtens
der Kongoeinsatz. Einige Sätze dazu: Die Wahlen sind
fair und friedlich verlaufen. EUFOR hat sich bisher als
Sicherheitsgarant bewährt. Allerdings befinden wir uns
erst jetzt in der schwierigsten Phase des gesamten Prozesses. Nächste Woche wird das Endergebnis verkündet.
Der unterlegene Kandidat Bemba hat leider angekündigt, dass er das Ergebnis nicht akzeptieren will. Seine
Anhänger haben gestern das Haus des Obersten Gerichtshofs in Brand gesetzt.
Von hier aus richte ich einen deutlichen Appell an
alle: Bemba muss - auch seinen Leuten - signalisieren,
dass er dieses demokratische Ergebnis akzeptiert, damit
die Bevölkerung im Kongo, die die Demokratie will,
endlich zu ihrem Recht kommt.
({9})
Ich finde es fahrlässig, dass die Bundesregierung sich
schon jetzt darauf festgelegt hat, dass der endgültige Abzug Ende November erfolgen soll. Die Situation könnte
Kerstin Müller ({10})
noch eskalieren. Wir hoffen zwar, dass das nicht passiert,
meines Erachtens muss der Abzug aber von der Lage vor
Ort abhängig gemacht werden. Am 10. Dezember wird
die Regierung eingesetzt. In der Zwischenzeit darf auf
keinen Fall ein Sicherheitsvakuum entstehen. Andernfalls waren die hehren Worte über unsere Verantwortung
gegenüber Afrika nichts wert. Wir wollen, dass dieser
Einsatz erfolgreich bleibt.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen,
Dr. Frank-Walter Steinmeier.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren Abgeordneten! Wir haben jetzt noch
gut einen Monat Zeit, um letzte Vorbereitungen für ein
unter außen- und europapolitischen Gesichtspunkten in
der Tat außergewöhnliches Jahr zu treffen. Vor uns liegt
ein Jahr - einige, zum Beispiel Herr Hoyer, haben es angedeutet -, in dem uns sowohl innerhalb der Europäischen Union wie auch innerhalb des G-8-Rahmens große
internationale Verantwortung auferlegt wird und in dem
uns große Erwartungen entgegengetragen werden. Sie
erwarten sowohl von der Kanzlerin als auch von mir zu
Recht, dass uns das Datum 1. Januar 2007 und die nachfolgenden sechs Monate bzw. für die G 8-Präsidentschaft das ganze Jahr besonders umtreiben. Sie werden
vielleicht durch diese Einleitungssätze verstehen, warum
die diesjährigen Haushaltsverhandlungen für mich ganz
besonders wichtig waren; denn wir stehen in diesem
Punkt unter internationaler Beobachtung.
Nachdem wir miteinander gestritten und verhandelt
haben und zu Ergebnissen gekommen sind, ist dies der
Ort und Zeitpunkt des Dankes. Ich möchte all denjenigen danken, die uns bei unseren Bemühungen unterstützt
haben, eine immerhin leicht bessere Ressourcenausstattung der auswärtigen Politik sicherzustellen. Ich habe
mich über die Unterstützung gefreut, die uns hier im
Plenum und auch in den Ausschüssen, dem Auswärtigen
Ausschuss und dem Haushaltsausschuss, widerfahren
ist. Mein besonderer Dank gilt den Berichterstattern:
dem Hauptberichterstatter Herrn Koppelin, der die Verhandlungen wie immer souverän und pragmatisch geführt hat, Herbert Frankenhauser und Lothar Mark, die
- das sei hervorgehoben - uns gerade bei der Mittelausstattung für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
sehr unterstützt haben, auch Michael Leutert, selbst
wenn wir gleich in einigen Punkten aneinander geraten
werden. Alexander Bonde darf ich sagen: Sie haben die
Verhandlungen kritisch begleitet, aber an den entscheidenden Punkten in der inhaltlichen Debatte unterstützt.
({0})
Deshalb vorab dieser Dank.
Sie erwarten es ja gar nicht anders: Diesen Dank muss
ich mit einer kleinen Bitte verbinden, nämlich der, dass
Sie in dieser Unterstützung nicht nachlassen.
({1})
Bleiben Sie uns gewogen! Denn wir haben im kommenden Jahr nicht nur erneut schwierige Haushaltsgespräche
vor uns, sondern ich brauche Ihre Unterstützung auch
deshalb, weil - viele haben eben in ihren Reden darauf
hingewiesen - leider alles danach aussieht, dass wir im
kommenden Jahr eher mehr als weniger Außenpolitik
brauchen.
All das, was ich am 6. September dieses Jahres an
dieser Stelle schon einmal gesagt habe, gilt noch heute.
Die Welt scheint kleiner geworden, aber nicht die Probleme. Das, was in ferneren Regionen passiert, betrifft
uns in Deutschland mittlerweile ganz unmittelbar. Wir
haben im zurückliegenden Jahr über die Bürgerkriege
in Afrika gesprochen, die Migration auslösen, deren
Folgen uns berühren. Wir haben über Terrorismus gesprochen und über Klimawandel, der letztlich - die
Kanzlerin hat es heute Morgen gesagt - die natürlichen
Lebensgrundlagen bei uns verändert und unsicher
macht.
Wir können jedenfalls von einem ganz sicher ausgehen: Anforderungen an unsere Außenpolitik, an unser
außenpolitisches Engagement werden in den nächsten
Jahren eher zunehmen als abnehmen. Das wird uns viel
abverlangen: Arbeit, Beharrlichkeit, Kreativität, Mut
und vor allem eines, von dem ich zugebe, dass es mir
erst in diesem laufendem Jahr richtig klar geworden ist,
nämlich Präsenz.
Ich darf es einmal so sagen: Bescheidenheit ist sicherlich eine Zier kluger Diplomatie. Aber ich halte es rückblickend - das muss ich ganz offen sagen - für einen
Fehler, dass wir heute gegenüber dem Stand von 1993
26 Länder mehr betreuen bei insgesamt 10 Prozent weniger Personal. Ich frage rückblickend, ob der Schritt
hin zu einigen Laptopbotschaften eher ein kreativer Umgang mit dem Mangel war als eine kluge und effektive
Idee, sich in diesen Regionen zu halten.
({2})
Mit selbstbewusster Präsenz hat das jedenfalls aus
meiner Sicht nichts zu tun. Wir müssen uns immer ein
bisschen mit denen vergleichen, mit denen wir uns auch
vergleichen können. Ich weise deshalb auf Folgendes
hin: Der diplomatische Dienst der Franzosen hat
10 000 Personen mehr, der der Briten 6 000 mehr. Ich
rede dabei gar nicht von der massiven kulturellen Präsenz dieser beiden Nachbarstaaten, denen wir auf Schritt
und Tritt immer wieder in den Regionen begegnen.
({3})
Deshalb bitte ich Sie, diesen Haushalt zu unterstützen, einen Haushalt, der aus meiner Sicht durchaus erste
Ansätze für eine Verbesserung der Situation enthält und
insbesondere bei der auswärtigen Kultur- und Bildungs6568
politik Zeichen setzt. Für diesen Politikbereich habe ich
mich auch hier im Parlament im letzten Jahr mehrere
Male eingesetzt, um auf diesem Gebiet so etwas wie eine
kleine Trendwende einzuleiten.
Vielleicht mussten wir erst alle miteinander lernen,
wie wichtig die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
ist. Vielleicht haben wir das auch zu spät gelernt. Ich jedenfalls bin der Meinung, dass wir diese dritte Säule der
deutschen Außenpolitik in der Vergangenheit nicht genug geschätzt haben. Entweder haben wir ihren Wert
nicht erkannt oder wir sind davon ausgegangen, dass es
sich dabei um eine Art Luxusannex der deutschen Außenpolitik handelt.
Gerade in diesem Jahr, einem Jahr, in dem es zu großen Irritationen, vielen Missverständnissen und sogar zu
handfesten Konflikten zwischen Europa bzw. der westlichen Welt und Teilen der arabisch-islamischen Welt gekommen ist, ist eines klar geworden - lassen Sie mich
das als Antwort auf viele Redebeiträge, die ich hier gehört habe, sagen -: Wenn wir in Zukunft nicht noch häufiger über das Verhältnis von zivilen und militärischen
Engagements im Rahmen der Missionen, an denen wir
uns beteiligen, reden wollen, und wenn wir nicht noch
häufiger über die Höhe des Haushaltsansatzes für zivile
Wiederaufbauleistungen, die bekanntlich immer zu gering ist, streiten wollen, dann müssen wir die Elemente
ziviler und präventiver Sicherheit ausbauen.
({4})
Das bedeutet aber: Wir müssen uns auch in den Regionen, in denen es uns schwer fällt, verständlich machen; wir müssen erklären, worauf es uns ankommt, und
wir müssen alle Beteiligten davon überzeugen, dass es
am besten ist, Lösungen möglichst gemeinsam anzugehen. Das verlangt mehr als nur eine Botschaft und einen
Botschafter. Das bedarf der Ebene menschlicher Begegnungen und der Schaffung eines dichten Netzwerkes
kultureller Beziehungen. Darüber hinaus sollten wir, was
unsere Auslandsschulen und den wissenschaftlichen
Austausch betrifft, ehrgeiziger sein.
Das sollten wir uns für die nächsten Jahre vornehmen
und es auch in unseren Haushaltsberatungen berücksichtigen. Diese Auffassung vertrete ich, obwohl ich mich
offen gesagt sehr darüber freue, dass im Hinblick auf das
Flaggschiff unserer auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, das Goethe-Institut, eine Trendwende eingeleitet werden konnte und wir nun auf dem Wege der Stabilisierung und der Verbesserung unserer Präsenz nach
außen sind.
Um das, was ich zur auswärtigen Kulturpolitik gesagt
habe, müssen wir uns kümmern. Seien Sie sich aber sicher: Mir ist natürlich klar, dass der Schwerpunkt meiner
und Ihrer Arbeit im nächsten Jahr woanders liegen wird.
Die Agenda wird von Stichworten beherrscht sein, die
wir alle kennen: von der Situation im Nahen Osten, in
Afghanistan, im Kongo und im Iran und von der Statuslösung im Kosovo, die heute noch gar keine Rolle gespielt hat.
({5})
All das wird uns in enormem Maße beschäftigen.
Zwei dieser Stichworte möchte ich herausgreifen. Zunächst zur Situation in Afghanistan. Die Frau Bundeskanzlerin hat heute Morgen die gemeinsame Haltung der
Bundesregierung dargelegt. Ihre Ausführungen möchte
ich nicht wiederholen. Ich finde, dass es gute Gründe dafür gibt, unser Engagement im Norden Afghanistans
nicht aufzugeben und es auch nicht einzuschränken. Ich
wünschte mir aber, Herr Hoyer - hier bin ich viel näher
bei Ihnen, als Sie möglicherweise vermuten -, dass wir
das, was wir tun, in der deutschen und in der internationalen Öffentlichkeit mit etwas mehr Selbstbewusstsein
vertreten würden.
({6})
Nachdem ich dies vorausgeschickt habe, sage ich Ihnen nun: Natürlich weiß ich, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan ausgesprochen schwierig entwickelt.
Natürlich weiß ich auch, dass wir dort, wo wir zuständig
sind, noch lange nicht am Ziel sind. Aber wir sollten dieses Thema auch einmal in entgegengesetzter Richtung
angehen: Wenn die Stabilisierung überhaupt irgendwo in
Afghanistan gelungen ist, wenn überhaupt irgendwo in
Afghanistan in ganz bescheidenem Maße und viel zu
wenig sichtbar etwas für den Wiederaufbau getan worden ist - viele von Ihnen waren ja vor Ort, haben Schulen und Krankenstationen besucht und sich über die
Wasserversorgung informiert -, wenn also irgendwo
überhaupt etwas gelungen ist, dann ist das im Norden
Afghanistans der Fall. Somit sollten wir auch die umgekehrte Frage stellen: Ob es für eine andere Region
Afghanistans von Vorteil wäre, wenn wir in unserem Bemühen, im Norden des Landes für Stabilisierung zu sorgen und Wiederaufbauhilfe zu leisten, nachlassen würden.
({7})
Im Gegenteil: Vieles spricht dafür, dass wir unsere
Anstrengungen dort sogar verstärken müssen, sowohl
bei der Schaffung von Einkommensmöglichkeiten für
die afghanische Bevölkerung als auch bei der Ausbildung der Polizei. Ich bemühe mich, auch im europäischen Rahmen mehr Sensibilität und Ehrgeiz dafür zu
wecken; solche Maßnahmen müssen nicht auf bilaterale
Anstrengungen Deutschlands beschränkt bleiben.
({8})
Selbstbewusst dürfen wir in dieser Diskussion auch
deshalb sein, weil sich unsere Philosophie, unser Ansatz
eines zivil-militärischen Zusammenwirkens, langsam
sichtbar durchsetzt, nicht nur bei den PRTs, auch innerhalb der NATO. Herr Hoyer, Sie dürfen gewiss sein, dort
wird nicht kleinmütig geredet von deutscher Seite. Wenn
wir es der internationalen Staatengemeinschaft und den
NATO-Partnern so leicht machten, stände es um die internationale Diskussion schon länger anders. Wir treten
dort sehr selbstbewusst auf mit dem, was wir tun. Wir
haben erst jüngst gemeinsam mit unseren norwegischen
Freunden dafür gesorgt, dass mit Blick auf den NATOGipfel in Riga überlegt wird, diese zivile Komponente
zu einem unauflöslichen Bestandteil des Engagements
aller NATO-Partner in Afghanistan zu machen. Ich
glaube, das ist der richtige Weg.
({9})
Nach den Agenturmeldungen von heute Morgen wird
jetzt überlegt, im Süden Afghanistans, einer Region mit
einer schwierigen Sicherheitslage - ganz ohne Zweifel -,
so genannte Sicherheitsinseln zu schaffen. Das ist letztlich nichts anderes als ein etwas anders gearteter
- notwendigerweise anders gearteter - Versuch, dort zivil-militärische Zusammenarbeit zu präsentieren, um
auch der Bevölkerung im Süden, indem man ihr sichtbare Wiederaufbauerfolge vor Augen führt, deutlich zu
machen, dass es sich lohnt, nicht mit den Taliban zusammenzuarbeiten.
Ich habe schon vor einigen Wochen an dieser Stelle
gesagt - mit Blick auf Katastrophenberichte, die es
schon damals gab und die aktuell verstärkt kommen -:
Afghanistan ist aus meiner Sicht nur verloren, wenn wir
es aufgeben. Es gibt viele Gründe, es nicht aufzugeben:
Die Lage der afghanischen Bevölkerung ist der eine
Grund, die anderen Gründe sind heute Morgen genannt
worden. Die internationale Staatengemeinschaft, von der
wir ein Teil sind, darf dort nicht scheitern.
({10})
Noch größere Anstrengungen werden uns im Nahen
Osten abverlangt. Der Mord an dem libyschen Minister
Gemayel, den ich noch im Sommer bei zwei Begegnungen kennen gelernt habe, zeugt davon, dass der Kreislauf
von Gewalt, der Sabotage wirklich jedes Ansatzes von
Stabilität, durchbrochen werden muss. Deshalb kommt
es für unsere Politik mit Blick auf das kommende Jahr
darauf an, die Zahl der Vetospieler entscheidend zu verringern. Daran arbeiten wir mit Ehrgeiz, Herr Leutert,
auch wenn das nicht jeden Tag in der Zeitung steht. Ich
kann Ihnen versichern, Frau Müller, dass wir während
unserer europäischen Ratspräsidentschaft mit diesem
Ehrgeiz auch an Initiativen arbeiten werden, die von Europa ausgehen. Nur, Herr Leutert, von einem werden Sie
mich am Ende nie überzeugen: Ihnen hier im Parlament
oder der deutschen Öffentlichkeit Vorschläge und Initiativen zu unterbreiten, die gerade einmal die Titelzeile der
Zeitungen vom nächsten Tag erreichen. So etwas ist unseriös und daran werde ich mich nicht beteiligen.
({11})
- Das war nicht gemeint; das wissen Sie auch.
Wir können in einer Haushaltsrede nicht alle Konfliktregionen behandeln. Aber wie ich an anderer Stelle
schon gesagt habe: Wir müssen uns um die Konfliktregionen kümmern; das liegt auf der Hand. Aber vorausschauende Außenpolitik muss noch ein breiteres Spektrum erfassen.
Deshalb bin ich vor wenigen Tagen - einige von Ihnen waren dabei - in Zentralasien und in der vergangenen Woche in den Maghrebstaaten gewesen. Auch
wenn unser Blick auf die aktuellen Konflikte gerichtet
bleibt, glaube ich, dass wir in der Tat gut daran tun, gelegentlich auch das Jahr 2025 in unsere Perspektive zu
nehmen, um zu sehen, wie sich die Gewichte verändern,
wer die neuen Player sind und in welchen Regionen wir
schon präsent sein sollten, bevor sich prognostizierbare
Entwicklungen zeigen.
Ich glaube, wir haben gut daran getan, uns in diesen
Regionen zu zeigen. Wir haben junge Generationen von
Politikern kennen gelernt, die ihre Augen auf Europa
richten. Ich freue mich darauf, dass wir während der europäischen Ratspräsidentschaft die Möglichkeit haben
werden, an Angeboten zu arbeiten, um Europa attraktiv
zu halten. Ich meine damit nicht, dass wir aus lauter
Nächstenliebe nur diesen Regionen etwas Gutes tun sollten. Ich glaube, allen Begleitern der Delegation ist klar
geworden, dass wir weiß Gott nicht nur wegen der Energie einen Blick auf Zentralasien werfen. Wir müssen der
Region helfen, dass sie nicht von allen Instabilitäten der
südlichen Nachbarschaft infiziert wird. Wir haben ein
Interesse daran, dass diese Region stabil bleibt, auch
wenn uns die Herrschaften an der Spitze die Gespräche
zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwer machen. Trotzdem
müssen wir den Mut haben, diesen Weg zu gehen, und
Sie können davon ausgehen, dass wir ihn auch in Zukunft weiter gehen werden.
Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung.
({12})
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Harald
Leibrecht das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Außenminister, ich danke Ihnen, dass Sie einen beträchtlichen Teil Ihrer Rede hier im Plenum für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik aufgewendet haben.
({0})
In der Tat können gerade durch diesen Teil der Politik
dort Türen geöffnet werden, wo die konventionelle Diplomatie oftmals nicht richtig weiterkommt. Ich glaube,
es ist wichtig, dass dort die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zum Tragen kommt.
Um die wichtige Aufgabe der Konfliktprävention
durch die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
gewährleisten zu können, bedarf es aber auch eines angemessenen Budgets. Ich bin natürlich sehr froh darüber,
dass für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in
den einzelnen Posten des Haushalts etwas mehr Geld zur
Verfügung gestellt werden soll.
Natürlich kann mit diesen Geldern aber erst dann erfolgreich gearbeitet werden, wenn sie richtig eingesetzt
werden. Sie haben die Goethe-Institute erwähnt. Auch
wir sind der Meinung, dass das wichtige Einrichtungen
sind. In der Tat sind hier aber große Sparmaßnahmen
möglich. Es geht nicht, ihnen einfach nur mehr Gelder
zu geben, sondern sie müssen in ihren eigenen Strukturen sparen. Ich denke hier vor allem an Sparmaßnahmen
in der Verwaltung.
({1})
Das Auswärtige Amt, der Hauptgeldgeber der Goethe-Institute, muss für eine zügige Umstellung der Budgetierung hinsichtlich der Goethe-Institute sorgen. Nur
so können die Gelder flexibel eingesetzt und eventuelle
Einsparmaßnahmen durchgeführt werden, um Geld für
andere wichtige Projekte der Goethe-Institute zur Verfügung zu haben.
Weitere wichtige Schwerpunkte der deutschen Kulturpolitik sind natürlich die deutschen Auslandsschulen. Diese Schulen fördern in den entsprechenden Ländern die kulturelle Vielfalt und vermitteln sowohl ein
positives Bild von Deutschland als auch ein Verständnis
für die Meinungsfreiheit, die Rechtsstaatlichkeit und die
Demokratie. Über 90 Prozent der Schüler an diesen
Schulen, die sich in freier Trägerschaft befinden, kommen übrigens aus den Gastgeberländern. Sie sind also
keine Deutschen, aber sie haben einen direkten Kontakt
zu Deutschen und zur deutschen Kultur. Viele der Absolventen dieser Schulen haben später wichtige - auch politische - Ämter inne. Deshalb glaube ich, dass sich diese
Investition im Ausland durchaus lohnt.
({2})
Ein weiterer wichtiger Bereich ist natürlich auch die
Humboldt-Stiftung. 40 ehemalige Humboldt-Stipendiaten sind inzwischen Nobelpreisträger. Auch daran erkennen wir, dass sich die auswärtige Kulturarbeit für uns
lohnt.
Wir müssen, was die auswärtige Politik betrifft, über
den Tellerrand hinausschauen. Ich bin deshalb froh, dass
wir in Zentralasien waren. Denn dort ist deutlich geworden, dass es wichtig wäre, bei der internationalen
Kulturpolitik anzusetzen. Das wäre ein wichtiger Beitrag
zur politischen Entwicklung in diesen Staaten. Wir müssen ein Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit vermitteln. Dafür können wir gerade unsere Kultureinrichtungen nutzen.
Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Ich bin
froh, dass es mehr Geld für diese Einrichtungen gibt.
Wir, die FDP, möchten die Bemühungen dieser Einrichtungen auch weiterhin unterstützen. Wir werden sie aber
auch sehr kritisch begleiten.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat der Kollege Eckart von Klaeden für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ein intensives und aufregendes Jahr in der Außenund Sicherheitspolitik liegt hinter der großen Koalition.
Diese Außen- und Sicherheitspolitik ist von Kontinuität
und Wandel geprägt. Kontinuität gibt es zum Beispiel in
der Balkanpolitik. Der Kosovoeinsatz der Bundeswehr
wurde unter Rot-Grün begonnen und wird von uns fortgesetzt.
Die Kontinuität zeigt sich auch in der Afghanistanpolitik. Der Einsatz in Afghanistan wurde von Rot-Grün
begonnen und wird von der großen Koalition fortgesetzt.
Das nicht nur national, sondern auch international gelobte PRT-Konzept ist von Rot-Grün mit unserer Unterstützung entwickelt worden. Es wird von uns fortgesetzt
und von anderen übernommen.
Es gibt aber auch Beispiele für einen Wandel in der
Außen- und Sicherheitspolitik von Rot-Grün zur großen
Koalition. Das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten ist
wieder auf eine vertrauensvolle Grundlage gestellt worden. Das hat die Möglichkeit eröffnet, kritische Fragen
wie den Fall Kurnaz oder Guantanamo in den Vereinigten Staaten anzusprechen, was Ihr Vorgänger, Herr
Steinmeier, sorgfältig vermieden hat.
({0})
Das Verhältnis zu Russland ist wieder vernünftig eingeordnet worden. Es geht nicht allein um die wirtschaftlichen Beziehungen, sondern bei der Betrachtung Russlands werden die innenpolitische Entwicklung und das
Verhältnis zu den Nachbarstaaten stärker als bisher mit
einbezogen. Es wird Russland gegenüber deutlich gemacht, dass die Frage, wie sich Russland seinen Nachbarn gegenüber verhält und ob bzw. wie es die Prinzipien, zu denen es sich im Europarat selber verpflichtet
hat, innenpolitisch umsetzt, ein Gradmesser für das Vertrauen ist, das wir zu Russland haben können.
Das verbesserte, auf Vertrauen fußende Verhältnis zu
den Vereinigten Staaten hat es der Kanzlerin bei ihren
Amerikabesuchen ermöglicht, deutlich zu machen, dass
wir Europäer kein Interesse an einer Russlandpolitik haben, die auf Abschottung und Isolierung Russlands gerichtet ist, sondern daran, dass Russland Europa gegenüber offen bleibt und sich in unsere Richtung entwickelt.
Das Verhältnis zu unseren Nachbarstaaten in der
Europäischen Union ist auf eine neue Grundlage gestellt worden. Die Kanzlerin hat sich vor ihrer Regierungsübernahme zu einer Stop-over-Politik zum Beispiel
Polen gegenüber verpflichtet. Vieles, was wir heute im
deutsch-polnischen Verhältnis als Ressentiments erleEckart von Klaeden
ben, sind Überbleibsel falscher Ansätze unter Rot-Grün.
Man muss den Polen allerdings auch sagen, dass, wenn
sie von uns die Stop-over-Politik einfordern, der Flughafen in Warschau nicht wegen Magenverstimmung geschlossen sein darf.
Schließlich hält die große Koalition auch den
Maastrichtvertrag ein. Gerade wenn wir darauf Wert legen, dass internationales Recht beachtet wird, dann müssen wir selber mit gutem Beispiel vorangehen.
({1})
Vor uns liegen die Präsidentschaften in der Europäischen Union und der G 8. Bei der G 8 geht es vor
allem darum, den bestehenden und weiter wachsenden
weltwirtschaftlichen Ungleichgewichten entgegenzuwirken und die Schattenseiten der Globalisierung, wie sie
sich vor allem in Afrika zeigen, zu bekämpfen. In
Europa müssen wir uns darum kümmern, dass die Lethargie, die insbesondere durch das vorläufige Scheitern
des Verfassungsvertrags in Frankreich und den Niederlanden begründet ist, zu überwinden und dafür zu sorgen, dass Europa wieder eine Perspektive gewinnt.
Dabei spielen auch die Fragen im Zusammenhang mit
der Erweiterung, insbesondere die Frage nach dem Beitritt der Türkei, eine wichtige Rolle. Wir haben uns
dazu verpflichtet, die Verhandlungen mit der Türkei ergebnisoffen und mit dem Ziel des Beitritts zu führen.
Die Türkei muss aber einsehen, dass sie ihre enorme
geostrategische Bedeutung für Europa nicht missbrauchen kann, um Bedingungen, denen sie selber in den
Verhandlungen zugestimmt hat, nicht zu erfüllen. Wir
brauchen von der Türkei einen konstruktiveren Ansatz,
damit die Verhandlungen weitergehen und dann zu dem
von der Türkei gewünschten Ergebnis führen können.
({2})
Vor uns liegt der NATO-Gipfel. Die NATO wird sich
stärker als bisher mit den internationalen Herausforderungen des transnationalen Terrorismus und des islamischen Fundamentalismus, der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, zerfallenden Staaten sowie dem
Einsatz von Energie und Rohstoffen als strategische
Waffen auseinander setzen müssen. Aber wir müssen
auch darauf achten, dass dieser Gipfel nicht zu einem so
genannten Caveats-Gipfel wird, also zu einem Gipfel,
bei dem in erster Linie über die Vorbehalte bezüglich des
Afghanistaneinsatzes gesprochen wird. Wir alle haben
ein Interesse daran, dass die Mission in Afghanistan gelingt. Mit einem Schwarzen-Peter-Spiel ist niemandem
gedient, weder den Mitgliedstaaten noch der NATO und
erst recht nicht Afghanistan.
({3})
Ich möchte dazu drei Bemerkungen machen. Erste
Bemerkung. Es ist richtig, dass nationale Vorbehalte,
so genannte Caveats, die ausschließen, dass bestimmte
Truppen zur Unterstützung der Verbündeten eingesetzt
werden, nicht akzeptabel sind, insbesondere dann nicht,
wenn sie geheim sind. Wir müssen aber deutlich machen, dass solche Vorbehalte auf deutscher Seite nicht
existieren; denn im Rahmen des OEF-Mandats sind unsere Soldaten in ganz Afghanistan einsetzbar,
({4})
und im Rahmen des ISAF-Mandats ist es selbstverständlich möglich, im Notfall unseren Verbündeten zur Seite
zu stehen. Man darf allerdings die Frage nach nationalen
Caveats nicht mit der Frage nach der nationalen Verantwortung verwechseln.
Meine zweite Bemerkung betrifft die Frage nach den
Standards. Wir müssen uns gerade im Hinblick auf gemeinsame militärische Operationen auf einheitliche
Standards einigen, die festlegen, wie zum Beispiel mit
Kriegsgefangenen oder „unlawful combatants“ umgegangen wird. Wenn bestimmte Verbündete Verfahren anwenden, die von anderen Staaten als rechtswidrig angesehen werden, dann ist das geeignet, die Solidarität in
den Bündnisstaaten zu unterminieren und das gemeinsame Ziel, die Stabilisierung Afghanistans, aus den Augen zu verlieren.
({5})
Dritte Bemerkung. Wir alle, auch wir Deutsche, beklagen Opfer, beklagen gefallene Soldaten in Afghanistan. Ich finde, es ist der richtige Zeitpunkt, an diese Soldaten und ihre Familien zu erinnern. Es ist aber zynisch,
zu glauben, dass man die Gefallenen des einen Landes
gegen die Gefallenen des anderen Landes aufrechnen
kann. Das hat mit Bündnissolidarität nichts zu tun.
({6})
- Wenn Sie Zeitung lesen würden, Frau Kollegin, wüssten Sie, wovon ich spreche.
({7})
- Das ist nicht frech. Ich kann Ihnen gerne die Artikel
zukommen lassen, in denen das der Fall ist.
Wenn solche Debatten geführt werden, besteht die
Gefahr, dass die Solidarität in den jeweiligen Bündnisstaaten abnimmt; denn in der Öffentlichkeit entsteht
dann der Eindruck, dass es darum geht, Verluste für andere zu übernehmen. Tatsächlich geht es aber darum, gemeinsam dafür zu sorgen, dass die Mission in Afghanistan Erfolg hat.
({8})
Nationale Vorbehalte dürfen nicht - darauf habe ich
bereits hingewiesen - mit nationalen Verantwortungsbereichen verwechselt werden. Es ist richtig, dass sich die
Nationen sowohl geografisch als auch sachlich bestimmte Aufgaben vorgenommen haben; denn wenn jeder für alles zuständig ist, ist leider damit zu rechnen,
dass sich niemand verantwortlich fühlt.
Ich finde, wir können auf das, was wir bisher in Afghanistan geleistet haben, wirklich stolz sein. Wir sind
die Ersten gewesen, die im Rahmen von ISAF Kabul
verlassen und in einer Region die Verantwortung für Stabilisierung und Wiederaufbau übernommen haben. Auf
den Erfolg des PRT-Konzepts habe ich schon hingewiesen. Wir haben im Rahmen des Aufbaus und der Ausbildung der Polizei mittlerweile über 17 000 Polizisten ausgebildet. Das reicht nicht und es muss weitergehen. Aber
wichtig ist auch, dass wir uns den anderen Elementen,
die zum Aufbau der Administration in Afghanistan erforderlich sind, zum Beispiel die Bekämpfung des Drogenanbaus, die Bekämpfung der Korruption und der
Aufbau der afghanischen Armee, mit ähnlicher Intensität
wie dem Aufbau der Polizei widmen.
({9})
Dabei kommt der Bekämpfung des Drogenanbaus
eine besondere Bedeutung zu. Ich will aber den Schwerpunkt auf den Aufbau der afghanischen Armee legen;
denn ISAF bedeutet Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan. Je mehr afghanische Soldaten Schulter an Schulter mit ihren Kameraden in der
NATO für die Stabilisierung des eigenen Landes kämpfen, umso weniger kann bei der Bevölkerung der Eindruck entstehen, dass die NATO dort eine Okkupationsaufgabe innehat.
({10})
Deswegen sind gerade der Aufbau und die Integration
der afghanischen Armee in das gemeinsame Projekt
auch unter dem Stichwort „Afghan Ownership“ von besonderer Bedeutung.
Mir fehlt jetzt leider die Zeit, um auf weitere Punkte
einzugehen, zum Beispiel auf die Entwicklung im Sudan
und auf die Entwicklung im Kongo. Ich glaube, dass
beide Stichworte deutlich machen, dass wir im Rahmen
der internationalen Gemeinschaft unsere diplomatischen
Beziehungen auch zu aufstrebenden Mächten wie China
und Indien intensivieren müssen; denn China kommt
eine besondere Bedeutung gerade auf dem afrikanischen
Kontinent zu. Unser Interesse ist es, China mehr als bisher in die Verantwortung für die Entwicklungen dort einzubeziehen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat der Kollege Alexander Ulrich für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In die deutsche Ratspräsidentschaft und in den
Vorsitz Deutschlands beim G-8-Gipfel werden große Erwartungen gesetzt. Das wird vonseiten der Europäischen
Kommission immer wieder betont, wie letzte Woche im
Auswärtigen Amt geschehen. Aber viele Regierungen
der EU-Länder glauben an eine nicht vorhandene Problemlösungskompetenz dieser Regierung. Auch die
Linke im Bundestag bittet die europäischen Bürgerinnen
und Bürger, ihre Erwartungen zurückzuschrauben. Wer
im eigenen Land gegen die Interessen der Mehrheit der
Bevölkerung regiert, wie wir heute Morgen mehrmals
hören konnten, ist nicht geeignet, für positive europäische Lösungen zu sorgen.
({0})
Die deutsche Ratspräsidentschaft und der G-8-Gipfel
werden den Steuerzahler - wir befinden uns in einer
Haushaltsdebatte - weit über 100 Millionen Euro kosten.
Man sollte mit diesem Geld verantwortungsvoll umgehen und einen grundsätzlichen europäischen Politikwechsel einleiten. Die bekannten Initiativen der Bundesregierung lassen erkennen: Außenpolitisch dominiert die
Vorstellung von militärischer Stärke statt der Suche nach
globalen Antworten für eine friedliche Zukunft. Der
Krieg gegen den Terror in Afghanistan und im Irak ist
militärisch eine Sackgasse. Die Linke fordert seit langem die sofortige Beendigung der Afghanistaneinsätze
der Bundeswehr.
({1})
Fakt ist: Die Gefahr von terroristischen Anschlägen
auch in Deutschland ist nicht gesunken, sondern gestiegen. Die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen wurde nicht gestoppt, sondern vorangetrieben.
({2})
Der Krieg gegen den Terror hat nicht zu mehr Demokratie, sondern auch in demokratischen Staaten zum Abbau
demokratischer Rechte geführt. Es geht bei den Militäreinsätzen ohnehin um andere Gründe, nämlich um Rohstoffe, Handelswege und geostrategische Vorherrschaft.
Wir brauchen eine andere Ausrichtung der Nahostpolitik. Sowohl die deutsche Ratspräsidentschaft als auch
der G-8-Vorsitz bieten eine gute Gelegenheit, die
Voraussetzung für eine ständige internationale Nahostkonferenz zu schaffen. Ebenso muss der Barcelonaprozess so umgestaltet werden, dass er zur wirtschaftlichen
und sozialen Stabilisierung der Region beiträgt. Deshalb
fordern wir die Bundesregierung auf, sich insbesondere
im ersten Halbjahr 2007 intensiver mit eigenen Initiativen in die Lösung des israelisch-palästinensischen
Konfliktes einzubringen.
({3})
Dazu gehört auch, Syrien ohne Bedingungen aktiv in
den Friedensprozess einzubeziehen.
Den Menschen in Palästina, insbesondere im Gazastreifen, muss rasch geholfen werden. Materielle Hilfen
durch die EU für die palästinensischen Autonomiegebiete müssen ohne Einschränkungen sofort wieder aufgenommen werden.
({4})
Die EU muss den in der demokratischen Wahl vom Februar dieses Jahres erklärten Willen des palästinensischen Volkes anerkennen.
Europa muss einen zivilen Ansatz in der Krisen- und
Konfliktbewältigung verfolgen. Unser Ausgangspunkt
für eine Neubestimmung der deutschen und der europäiAlexander Ulrich
schen Außen- und Sicherheitspolitik ist daher: keine Beteiligung an völkerrechtswidrigen Angriffskriegen, weder unmittelbar noch mittelbar.
({5})
Dass wir auch am Irakkrieg beteiligt sind, kann ich Ihnen versichern, Herr Außenminister. Ich wohne fünf Kilometer von der US-Airbase Ramstein entfernt. „Von
deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen“, sagte
einmal Willy Brandt. Ich versichere Ihnen: Ramstein
liegt in Rheinland-Pfalz, also in Deutschland, und von
dort geht völkerrechtswidriger Krieg aus.
({6})
Daher unterstützen wir, Die Linke, den Ramsteiner Appell, der von vielen Bürgerinitiativen und der Friedensbewegung getragen wird und der lautet: Angriffskriege
sind verfassungswidrig. Von deutschem Boden darf kein
Krieg ausgehen.
Im Irankonflikt muss weiter verhandelt werden. Dabei müssen auch die Sicherheitsinteressen des Iran beachtet werden. Ganz nebenbei: Eine glaubwürdige Iranpolitik kann nur der vertreten, der auch selber bereit ist,
für nukleare Abrüstung zu sorgen. Kein Land der Welt
hat das Recht, über Massenvernichtungswaffen zu verfügen - nicht der Iran, aber auch kein anderes Land der
Welt, Herr Außenminister.
({7})
Ich komme zur EU-Erweiterungspolitik. In der Frage
der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei werden
klare Aussagen vermieden. Die Gleichbehandlung der
Türkei mit anderen EU-Beitrittsländern als Bestandteil
der EU-Verhandlungen muss Gegenstand der deutschen
Bemühungen sein. Deutschland muss sich aktiv um eine
die Interessen aller Verhandlungspartner berücksichtigende Lösung der Türkei-Zypern-Frage bemühen. Klar
ist: Die Türkei muss Zypern als EU-Land voll akzeptieren. Ultimaten, wie sie von der finnischen Ratspräsidentschaft gestellt werden, bergen aber die Gefahr eines
Scheiterns der bisherigen EU-Perspektive der Türkei.
Oder - das ist die Frage - kommt der Bundesregierung, insbesondere der Kanzlerin, die Zypernproblematik gerade recht, um einen Grund zu haben, für ihr Modell einer privilegierten Partnerschaft zu werben? Wir
werden wahrscheinlich demnächst die doppelte Bundeskanzlerin erleben, die morgens auf dem roten Teppich
für die EU-Beitrittsverhandlungen und abends bei CDUVeranstaltungen für die privilegierte Partnerschaft werben wird. Dieses Verhalten kann sich Deutschland während der Ratspräsidentschaft nicht leisten. Die Kanzlerin
muss sich entscheiden; sonst ist die Glaubwürdigkeit
dieses Landes in dieser Frage mehr als in Gefahr.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Politik der
Bundesregierung für ein soziales und Frieden stiftendes
Europa ist nicht zu erkennen, weder für das erste Halbjahr 2007 noch für die Zeit danach. Ökonomisch wird
Europa als Ort der Deregulierung, Privatisierung und
neoliberalen Entstaatlichung begriffen. Die Menschen
verbinden mit den Begriffen wie Europäisierung und
Globalisierung zumeist Sorgen und Ängste. Die Frustration der Menschen in Europa ist groß.
Die Lissabonstrategie ist gescheitert. Wirtschaftswachstum und Produktivitätsentwicklung blieben weit
hinter der Zielmarke. Eine höhere Beschäftigungsquote
bei weiblichen und älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und durchschlagende Erfolge im Kampf gegen Arbeitslosigkeit blieben weitgehend aus. Die Arbeitslosigkeit verharrt in Europa bei über 18 Millionen
und die soziale Spaltung nimmt zu. In nahezu allen EULändern ist eine Prekarisierung der Arbeit zu beobachten. Bei der Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit
und sozialer Ausgrenzung sind Europa und auch
Deutschland kaum vorangekommen. Das belegt deutlich
die neue Unterschichtendiskussion auch in unserem
Land.
Herausragendes Beispiel für den Verrat am sozialen
Europa ist die vom Europäischen Parlament angenommene Dienstleistungsrichtlinie. Massenproteste der Gewerkschaften und der sozialen Bewegungen wurden
weitgehend ignoriert. Luxemburgs Premier Juncker forderte am Montag in der Presse, die Europäische Union
müsse eine Sozialunion werden. Dieser Forderung
schließen wir uns klar und deutlich an. Die soziale Dimension Europas muss gestärkt werden.
({9})
Ich komme zum Ende. Die Linke unterstützt nochmals das Nein in Frankreich und in den Niederlanden.
Durch diese Ablehnung der europäischen Verfassung besteht die Chance auf ein sozialeres und friedlicheres Europa. Wir sollten auch die deutsche Ratspräsidentschaft
nutzen, um für einen alternativen Verfassungsvertrag zu
werben.
Herr Kollege, Sie haben versprochen, zum Schluss zu
kommen.
Ich komme zum Schluss.
Noch sagt die Mehrheit der europäischen Bevölkerung Ja zu Europa. Wir müssen diese Zustimmung nutzen und einen Politikwechsel einleiten.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Marieluise Beck,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Außenminister, Sie haben
eben angemerkt, dass noch nicht über den Kosovo
Marieluise Beck ({0})
gesprochen worden sei. Ihnen kann geholfen werden. Ich
werde dem sofort nachkommen.
Neben den vielen Projekten, die der deutschen Ratspräsidentschaft und der Bundesregierung jetzt auf den
Tisch gelegt werden - mir würde, wenn ich in Ihrer
Rolle wäre, etwas bange, weil diese Projekte eher einen
Fünfjahreszeitraum zu beanspruchen scheinen -, wird
eines unabdingbar sein: die Entscheidung über die Statusfrage des Kosovo. Jeder, der sich mit dem Kosovo
länger befasst hat, weiß, dass die Kosovo-Albaner niemals wieder unter das Dach des serbischen Staates zurückzukehren bereit sind. Die Herauslösung eines Landesteils aus einem Staat ist heikel und das sollte niemand
schönreden.
Natürlich wird auch versucht werden, das Kosovo
zum Präzedenzfall zu machen. Das Kosovo ist aber ein
einzigartiger Fall. Das gilt vor allen Dingen, nachdem
die UNO das Kosovo zum Protektorat erklärt hat und mit
der Resolution 1244 den Auftrag erteilt hat, in Verhandlungen eine substanzielle Autonomie herzustellen. Der
UNO-Sicherheitsrat wird also für die Letztentscheidung
zuständig sein. Die Europäische Union - das wird das
Entscheidende sein - wird vor allen Dingen die Verantwortung für die Entwicklung dieses Gebietes in ökonomischer, ziviler und staatlicher Hinsicht übernehmen
müssen.
Die Zeit ist reif, Entscheidungen zu fällen und den
Schwebezustand zu beenden, damit die Menschen im
Kosovo endlich Perspektiven haben. Übrigens brauchen
auch die Menschen in Serbien Klarheit. Diese Klarheit
muss mit einer Perspektive verbunden sein: Das ist die
Europäische Union.
({1})
Es ist klar: Die Perspektive für die Länder des westlichen Balkans nach diesem schmerzhaften Zerfall des
großen Staates Jugoslawien muss letztlich ein Wiederzusammentreffen unter dem Dach der Europäischen Union
sein.
Wir müssen bei den schwierigen Verhandlungen über
den Status des Kosovo auch darauf bedacht sein, dass es
gelingt, Serbien so weit wie möglich mitzunehmen und
zu stabilisieren. Serbien sollte nicht gedemütigt werden.
Das ist wichtig; denn Demütigungen sind gefährlich. Es
ist erschreckend, wie wenig weite Teile Serbiens nach
wie vor bereit sind, sich mit der historischen Last des
Milošević-Erbes auseinander zu setzen. Das gilt auch für
die Nichtzusammenarbeit mit dem Haager Tribunal.
({2})
Ein weiteres Projekt ist die Neuformulierung der Politik nach Osten. Es ist kein Geheimnis, dass wir Grüne die
Einschätzung, Putin sei ein lupenreiner Demokrat, nicht
geteilt haben und weiterhin nicht teilen. Natürlich ist
klar, dass wir gute Beziehungen zu Russland brauchen.
Russland und die Europäische Union sind aufeinander
angewiesen, und zwar nicht nur wegen Rohstoffen und
Ressourcen, sondern auch aus politischen Gründen. Wir
haben schwerwiegende Krisen zu meistern - ich erinnere
an Nordkorea und den Iran - und das wird ohne russisches Mitwirken nicht möglich sein.
Ich wünsche mir, von der Regierung einmal genauer
zu hören, was strategische Partnerschaft, die auf gemeinsamen Werten beruht, eigentlich heißen soll. In der derzeitigen Situation traut sich niemand wirklich eine Einschätzung zu, mit wem wir es in Russland zu tun haben.
Man fragt sich: Wie sind die Machtverhältnisse, wer
steht hinter Putin und welche Rolle spielen der FSB und
die Oligarchen? Ist Putin die treibende Kraft oder wird er
getrieben? Es gibt sehr viel Unsicherheit. Die Kremlastrologie erlebt leider eine neue Blüte. Das ist eine
schwere Hypothek für gute Beziehungen, die auf Transparenz, Demokratie und gegenseitigem Verständnis basieren.
Wir pflegen nicht nur deshalb gute Beziehungen zu
Russland, weil es ein wichtiger Energielieferant ist, sondern auch, weil Russland ein wichtiger Teil Europas ist
und Stabilität in diesem Land in unserem Interesse liegt.
Für Stabilität darf aber nicht jeder Preis bezahlt werden.
So darf es kein Leisetreten geben.
Sorgen macht mir, dass die Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien, obwohl es scheinbar beruhigt ist,
dramatische Ausmaße angenommen haben, dass wir
Angst haben müssen um die Menschenrechtler, die sich
derzeit in der Zivilgesellschaft engagieren - so hat der
Tod von Anna Politkowskaja uns alle erschüttert -, und
dass die russisch-tschetschenische Freundschaftsgesellschaft liquidiert wurde, während wir im Petersburger
Dialog saßen. All diese Punkte müssen sehr deutlich gegenüber dem Partner in Russland angesprochen werden.
({3})
Noch ein Wort zur Energiepolitik: Beim EU-Russland-Gipfel am Freitag muss eine Lösung gefunden werden, die den Weg für eine auf Gleichberechtigung - das
möchte ich betonen - beruhende Energiepartnerschaft
ebnet. Gleichberechtigung heißt, dass es um einen zweiseitigen Prozess geht, nicht um einen einseitigen. Auch
wenn keine Energiecharta zustande kommt, muss das
Abkommen dennoch im größeren Rahmen des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens mit Russland stehen. Das ist existenziell wichtig.
Noch ein Gedanke, Frau Präsidentin: Die Regierung
und die Koalitionsfraktionen - ich nenne insbesondere
Herrn Pofalla und Frau Zapf - haben sich mit uns allen
zusammen hinter Belarus gestellt. Die Erwartungen dort
sind enorm. Wir dürfen in unseren Bemühungen für
Belarus nicht nachlassen.
({4})
Noch etwas Weiteres möchte ich im Hinblick auf die
Europäische Union sagen: Öffnen Sie Deutschland für
all die jungen Menschen aus den Transformationsländern im Osten, damit sie reisen und sehen können, was
Demokratie ist.
Frau Kollegin!
Das ist eine unverzichtbare und notwendige Investition in unsere Zukunft.
({0})
Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In einem haben Sie, Frau Kollegin Beck, völlig Recht:
Stabilität der Gesellschaften definiert sich nicht über die
militärische Stärke eines Staates nach außen, sondern
Stabilität, besonders von sich modernisierenden Gesellschaften, erkennt man an der Stärke ihrer Demokratien.
Das ist genau der entscheidende Punkt, warum die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland darauf gerichtet ist, dazu beizutragen, dass es überall auf der Erde
starke Demokratien und Zivilgesellschaften gibt, die
über ihre Freiheit selbst bestimmen. Nur so können nämlich von innen starke Staaten aufgebaut werden, die weder von Problemen wie sozialen Konflikten noch von
Feinden der Demokratie umgeworfen werden. Das ist
der Auftrag der Außenpolitik, der insbesondere von der
auswärtigen Kulturpolitik wahrgenommen wird.
Vielen Dank, Herr Außenminister, dass Sie dazu beigetragen haben, dass die auswärtige Kulturpolitik endlich eine Trendwende vollzogen hat.
({0})
Gestern wurde Pierre Gemayel erschossen. Aber worauf zielten diese Schüsse? Sie zielten - das ist ganz
deutlich - darauf, eine stabile innere Entwicklung des
Libanon unmöglich zu machen. Pierre Gemayel war ein
engagierter Parlamentarier. Er steht für den Mut der Zedernrevolution.
Einer der Gründe für die klare und deutliche Mehrheit
für das UNIFIL-Mandat im Deutschen Bundestag ist,
dass dieses Mandat auf das politische Ziel gerichtet ist,
die Souveränität des Libanon zu festigen und zu stärken.
Denn nur wenn es ein souveränes Libanon gibt, besteht
auch eine Chance, dass der Nahostfriedensprozess neu in
Gang kommt. Die Schüsse, die Pierre Gemayel getötet
haben, zielten darauf, diese Möglichkeit zu zerstören.
Al-Hariri hat gestern sehr deutlich gesagt, er befürchte,
dass dabei diejenigen als Drahtzieher ihre Hände mit im
Spiel hätten, die schon seinen Vater erschossen hätten.
Er hat gesagt: Die Freiheit der Politiker in diesem Land
soll erschossen werden.
Ein Zeichen für die mutige Veränderung in diesem
Land war die Zedernrevolution. Unser UNIFIL-Mandat
ist ein Zeichen dafür, dass wir mithelfen wollen, die Demokratie im Libanon zu stärken, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
({1})
Auch hier zeigen sich deutlich die Ziele der deutschen
Außenpolitik. Gemeinsam mit anderen wollen wir dazu
beitragen, Explosionen von Gewalt zu verhindern, Gewaltbereitschaft einzudämmen und die zivile Arbeit bei
der Bewältigung von Konflikten zu fördern. Deshalb beteiligen wir uns so intensiv und engagiert an den Missionen und Mandaten der Vereinten Nationen; denn sie
schaffen die Möglichkeit, die Konflikte dieser Erde in
multilateralem Handeln so weit es geht zu bändigen.
Das ist das Ziel unserer Außenpolitik. Es geht nicht
darum - wie Sie ständig unterstellen -, die Außenpolitik
zu militarisieren, sondern darum, dafür zu sorgen, dass
das Militär mit eingesetzt wird, um zivile und demokratische Prozesse zu unterstützen. Das können Sie überall
sehen, wo wir, die Bundesrepublik Deutschland, uns im
Rahmen multilateraler Entscheidungen beteiligen, sei es
in Afghanistan, sei es im Nahen Osten. Das bestimmt die
Qualität der deutschen Außenpolitik. Für diese Qualität
der deutschen Außenpolitik steht der Außenminister
Frank-Walter Steinmeier. Sie haben unsere Unterstützung, die Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion.
({2})
Ich will auf etwas aufmerksam machen, was uns in
den nächsten Jahren vermutlich noch sehr viel mehr beschäftigen und sehr viel dramatischere Züge annehmen
wird - das betrifft übrigens alle demokratischen Gesellschaften und alle Nationalstaaten -: Wir stehen vor einem Wandel, vor einem Prozess der inneren Veränderung. Überall befinden sich Gesellschaften, die sich
modernisieren, in einem ungeheuren inneren Beschleunigungsprozess, ob in Frankreich - wenn Sie an das
denken, was vor einem Jahr in den Banlieues geschehen
ist - oder auch in manchen Städten Großbritanniens. Sie
brauchen auch nur nach Kreuzberg zu schauen. In den
USA ist das ebenso ein Thema. Robert Putnam, einer der
wichtigsten Soziologen der USA, hat gerade eine Studie
veröffentlicht - ich empfehle ihre Lektüre sehr -, in der
er klar beschreibt, wie in Kalifornien - also einem Land
in den USA, von dem man erwartet, dass es Integrationskräfte mobilisiert, damit es nicht zu inneren Brüchen
kommt - das Vertrauen in den Kommunen in solchen
Regionen, die sehr stark von Einwanderung geprägt
sind, dramatisch zusammenbricht. Das ist ein Zeichen
dafür, dass wir das, worum es zukünftig gehen wird, sehr
ernst nehmen müssen.
Ein anderer kluger - diesmal deutscher - Soziologe,
Georg Simmel, hat schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts gesagt: „Der Fremde ist der, der heute kommt und
morgen bleibt.“ Wir müssen also von einem homogenen
Verständnis des Nationalstaats Abschied nehmen und die
Heterogenität nicht nur annehmen, sondern sie als eine
Chance der inneren Bereicherung und - wenn es denn
sein muss - als Ausgangspunkt eines inneren Konfliktes
akzeptieren.
Gert Weisskirchen ({3})
Heute wird in den Niederlanden gewählt. Was mich
wundert, ist, dass im niederländischen Wahlkampf der
Mord an Theo van Gogh keine Rolle mehr gespielt hat.
Selbst in diesem Land, das von sich selber sagt, es sei offen und in ihm werde hart über die inneren Konflikte
diskutiert, zeigen sich Verdrängungsprozesse.
Wir dürfen die Verdrängungsprozesse bei uns nicht
akzeptieren, sondern wir müssen ganz bewusst auf die
Integrationsdefizite aufmerksam machen. Das ist ein
Prozess, der alle - ich wiederhole es: alle - sich modernisierenden Nationalstaaten überall in der Welt vordringlich mit Integrationsaufgaben konfrontieren wird. Ich
glaube, dass das, was augenblicklich in der auswärtigen
Kulturpolitik geschieht, sozusagen das Modell dafür ist,
wie wir mit diesem Problem umgehen müssen.
Ich erinnere daran: Das Goethe-Institut - das Ihnen,
Herr Außenminister, anlässlich der Konferenz Ende Oktober in einigen Papieren dargestellt hat, wie wir mit solchen Themen umgehen sollten - hat sehr plastisch
herausgearbeitet, dass der kulturelle Dialog keine Veranstaltung ist, in dem es nur um fruchtbare Begegnungen
geht. Vielmehr sind mit diesem Dialog Konflikte verbunden. Konflikte sind aber das Markenzeichen von sich
modernisierenden demokratischen Gesellschaften. Konflikte darf man nicht aus Angst sozusagen wegdrücken.
Man muss sie vielmehr annehmen und unter dem Aspekt
unterschiedlicher Lebensentwürfe - dazu gehört der Islam - so verarbeiten, dass es zu einem Integrationsprozess kommt.
Wir müssen deutlich machen, dass Demokratie und
Freiheit die Moderne repräsentieren. Alle, die sich diesen Wert der Freiheit zu Eigen machen, haben bei uns ihren Platz. Das deutlich zu machen, ist eine Aufgabe, die
sich bei der auswärtigen Kulturpolitik sehr plastisch
zeigt.
Ich danke den Haushältern, dass sie mitgeholfen haben, dass sich das Goethe-Institut modernisiert, Budgetierungen einführt und mit seiner Arbeit dafür sorgt, dass
dieses Modell der auswärtigen Kulturpolitik auch bei
uns im Land seinen Platz finden kann.
Vielen Dank.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Michael Link, FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Es ist
eine gute Tradition, dass wir im Rahmen des
Einzelplans 05 auch auf den EU-Haushalt eingehen.
Herr Frankenhauser hat es bereits getan. Leider war er
bisher der Einzige. Ich will daher für die FDP-Fraktion
einige Worte hinzufügen.
({0})
In der Tat ist es so, dass wir während der deutschen
Präsidentschaft nicht nur über die EU-Verfassung sprechen, Herr Bundesaußenminister. Die Verfassung ist
wichtig. Wir alle, auch die FDP, wünschen uns, dass wir
mit Blick auf diese Verfassung zum Erfolg kommen.
Aber ich will auch auf einen anderen Prozess aufmerksam machen, der seine Schatten vorauswirft. Es
handelt sich um den auf dem Dezember-Gipfel beschlossenen Prozess, der mit der Revisionsklausel des EUHaushalts verbunden ist. Eine entsprechende Prüfung
wird es bereits 2008/2009 geben. Wir wünschen uns,
dass unter der deutschen Präsidentschaft ein Fahrplan
aufgestellt wird, wie es mit der Verfassung weitergeht.
Wir werden diesbezüglich 2008 bzw. 2009 zu einem Ergebnis kommen. Aber just zu diesem Zeitpunkt greift die
Revisionsklausel.
({1})
Juristisch sind die beiden Themen nicht verbunden,
politisch sehr wohl. Die Gefahr, dass hier Gegengeschäfte stattfinden, die am Schluss nicht zu einem europäischen Mehrwert, sondern wieder zu falschen Kompromissen führen, ist groß. Deshalb: Passen wir
gemeinsam auf! Das ist eine Aufgabe des ganzen Parlaments.
Eigentlich bräuchten wir mehr parlamentarische Kontrolle dessen, was wir an die EU zahlen. Gemessen an
dem, was wir heute an die EU zahlen - das sind deutlich
mehr als 20 Milliarden Euro pro Jahr -, gehen wir im
Bundestag mit diesem ganzen Bereich äußerst nachlässig um.
({2})
Die parlamentarische Beratung des EU-Haushalts im
Deutschen Bundestag könnte völlig zu einer Farce verkommen, würden wir nicht endlich einmal zu einer Verfahrensweise kommen, bei der die Zahlungen an die EU
so wichtig, so ernst und so konsequent behandelt würden, wie dies bei den Einzelplänen der Fall ist, die wir in
Berichterstattergesprächen usw. sehr genau behandeln.
Beim Bereich der EU läuft das oft außen vor. Das
Verhandlungsergebnis des Rates wird oft mehr oder weniger nur durchgewinkt. Wieso wird es durchgewinkt?
Weil wir es zur endgültigen Ratifizierung erst dann bekommen, wenn es, zeitlich gesehen, bereits in Kraft getreten ist. Die jetzige Finanzielle Vorausschau 2007 bis
2013 werden wir irgendwann im Laufe des nächsten Jahres zur Entscheidung bekommen. Dann ist der Zug aber
abgefahren.
Deshalb fordern wir von der FDP - das ist eine Forderung an das ganze Parlament; es ist eine Frage unserer
parlamentarischen Selbstachtung -: Lassen Sie uns zu
einer Behandlung dieses Bereiches kommen, die den
Verfahren bei den anderen Einzelplänen entspricht! Das
ist außerordentlich wichtig. Dies wäre vor allem deshalb
angeraten, weil wir hier über mehr als 20 Milliarden
Euro sprechen.
({3})
Michael Link ({4})
Dieser Bereich entspricht, vergleicht man ihn mit den
Einzelplänen, dem fünfgrößten Einzelplan. 14 Einzelpläne sind kleiner und vier größer; das sollte man sich
einmal deutlich machen.
Trotz allem wird dieses Thema nur im Einzelplan 60
unter „Allgemeine Finanzverwaltung“ unter „ferner liefen“ abgehakt, und zwar, technisch gesprochen, als negative Einnahmen. Technisch ist das zwar richtig. Aber
wollen wir Europa nur technisch behandeln? Ich möchte
sagen: Es ist politisch falsch, die Zahlungen an die EU
nur dort zu behandeln. Wir müssen sie quasi wie einen
eigenen Einzelplan behandeln. Es entspricht auch nicht
der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit, wenn wir
diesen Posten mehr oder weniger nur grosso modo
durchwinken. Das Königsrecht des Parlaments, die Kontrolle des Haushalts, wird auf diese Art und Weise weder
auf der Einnahmeseite noch auf der Ausgabenseite nachdrücklich ausgeübt.
({5})
Wie wichtig mehr Kontrolle wäre, machen die Worte
des Präsidenten des Europäischen Rechnungshofes deutlich. Er hat letzte Woche vor dem Europäischen Parlament Folgendes gesagt:
Der Hof kann - insbesondere für die Ausgabenbereiche Landwirtschaft …; Strukturmaßnahmen; interne … und externe Politikbereiche - … keinen …
Bestätigungsvermerk erteilen.
Er stellt in weiten Bereichen „überhöhte Ausgabenerklärungen“ - das ist ein freundliches Wort für Trickserei;
selbst dieses Wort ist noch freundlich - und „doppelte
Abrechnung von Kosten“ fest.
Ich frage mich also: Ist das, wofür wir unser Geld in
der EU ausgeben - über 80 Prozent fließen ja in den
Agrarfonds und in die Strukturpolitik -, vielleicht nicht
zu betrugsanfällig? Abgesehen davon, dass es politisch
überhaupt nicht sinnvoll ist, fast die gesamten Mittel nur
in jene Bereiche zu stecken, die keinen europäischen
Mehrwert bringen.
Es gibt also genügend Stoff für die Revisionsklausel
2008/2009. Die deutsche Bundesregierung hat vor dem
Hintergrund ihrer Ratspräsidentschaft jetzt die Chance,
erste Weichen zu stellen. Denn selbstverständlich beginnen die Verhandlungen und die Vorgespräche zu diesem
Thema bereits jetzt.
Wir würden uns wünschen, dass die deutsche Bundesregierung so mutig wäre wie der britische Staatssekretär
im Finanzministerium, der vorgestern eine Rede in London folgendermaßen überschrieben hat: „Giving national
parliaments scrutiny over EU funds“.
Herr Kollege, würden Sie bitte einmal auf die Uhr vor
sich schauen?
Jawohl.
({0})
- Genau.
Den nationalen Parlamenten soll also ein Mitspracherecht gegeben werden. Das sollte auch bei uns im Hause
so sein. Dies sollte mit Respekt vor dem Geld der Steuerzahler dringend eingeführt werden.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Ursula Heinen, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Link, gestatten Sie mir eingangs nur ein
Wort zu Ihrer Forderung, auch unser Parlament müsse
sich stärker mit dem EU-Haushalt befassen. Ich denke,
wir als Deutscher Bundestag müssen dem Europäischen
Parlament Vertrauen entgegenbringen; denn das originäre Recht, den europäischen Haushalt zu kontrollieren,
liegt natürlich beim Europäischen Parlament. Nicht von
ungefähr haben wir viele deutsche Europaabgeordnete
nach Brüssel geschickt - Ihre Fraktion ist dort relativ
stark vertreten -, um dort Kontrollfunktionen wahrzunehmen. Ich glaube daher, dass wir uns mit unseren
europäischen Kollegen intensiver austauschen müssen.
({0})
Ich möchte eine zweite Anmerkung machen. In den
Fachausschüssen wird sehr wohl über den EU-Haushalt
gesprochen. Ich kann das auf jeden Fall für den Landwirtschaftsausschuss bestätigen, für den es geradezu essenziell ist, wie mit den europäischen Geldern umgegangen wird. Ich glaube, dass wir da auf dem richtigen Weg
sind.
Mit der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft
stehen uns in der Tat sehr wichtige Monate bevor. Es ist
ein besonderes Ereignis, weil es uns die Möglichkeit
eröffnet, in Europa Themen anzusprechen und voranzubringen, die uns ganz besonders wichtig sind. Der Kollege Hoyer hatte Recht, als er in seinem ersten Redebeitrag sagte, dass die Regierung durchaus ambitioniert an
die nächsten Monate herangehen und sich hohe Ziele
stecken soll.
Für uns steht dabei der Verfassungsprozess an allererster Stelle. Das besondere Merkmal der Europäischen
Union ist, dass sie eine politische Union ist. Im Gegensatz zu anderen Formen von Zusammenschlüssen in
Freihandelszonen oder sonstigen Wirtschaftsvereinigungen soll die Europäische Union mehr sein, sie soll ihren
politischen Charakter wahren. Wenn sich die EU weiter
vergrößert, weil sie neue Mitglieder aufnimmt, darf ihr
Charakter als politische Union nicht verloren gehen.
Dazu brauchen wir den europäischen Verfassungsvertrag.
Frau Bundeskanzlerin und Herr Außenminister, die
Bundesregierung muss wirklich den Verfassungsprozess
wieder in Gang bringen. Der Europäische Rat hat im
vergangenen Juni einen Zeitplan vorgeschlagen, der im
ersten Halbjahr des nächsten Jahres präzisiert und konkretisiert werden soll. Am 25. März 2007, dem 50. Jahrestag der Römischen Verträge, soll es eine Berliner Erklärung der Staats- und Regierungschefs der EU geben,
die vor allen Dingen die Werte, die Aufgaben und
Grundlagen der Europäischen Union darstellen soll. Jeder ist aufgefordert und aufgerufen, sich tatsächlich an
dieser Diskussion zu beteiligen.
Es werden immer wieder Rufe laut, insbesondere aus
den ganz linken Reihen, dass der Verfassungsvertrag so
nicht umgesetzt werden muss. Ich möchte daher daran
erinnern, dass in 15 Ländern die Parlamente den Verfassungsvertrag bislang ratifiziert haben.
({1})
- In Irland gab es beispielsweise eine Volksabstimmung. Viele Menschen haben dem Verfassungsvertrag zugestimmt. Diese Tatsache müssen wir in den nächsten Monaten berücksichtigen.
({2})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ulrich?
Nein.
({0})
Lassen Sie mich zu einem weiteren zentralen Thema
kommen, zur Erweiterung der Europäischen Union.
Der Bundestag hat mit großer Mehrheit dem Beitritt
Rumäniens und Bulgariens in die EU zugestimmt,
auch wenn es noch Defizite im Transformationsprozess
gibt, etwa in den Bereichen Lebensmittelsicherheit und
Hygienestandards, ordnungsgemäße Kontrolle der EUFördermittel, Herr Link, sowie Innen- und Justizpolitik.
Diese Defizite müssen selbstverständlich weiter überprüft und behoben werden.
Die Europäische Union wird ab dem kommenden
Jahr 27 Mitglieder zählen. Es sind beinahe - wir haben
uns die Zahl gerade noch einmal zugerufen - eine halbe
Milliarde Menschen in der Europäischen Union. Ab einem gewissen Punkt müssen wir in der Tat verantwortlich darüber nachdenken, wie groß die Europäische
Union eigentlich werden kann, ohne ihren Charakter als
politische Union zu verlieren und - das hatte ich eingangs bereits erwähnt - zu einer bloßen Freihandelszone
degradiert zu werden.
Deshalb muss es für eine Reihe von Drittstaaten, die
eine Grenze zur EU haben, eine Nachbarschaftspolitik
- anstelle eines EU-Beitritts - geben, die auf gemeinsamen Werten und einer gemeinsamen Teilhabe an Sicherheit und Wohlstand beruht. Es geht also durchaus
um privilegierte Partnerschaften.
Wir führen jetzt ergebnisoffene - ich betone das Wort
„ergebnisoffen“ - Beitrittsverhandlungen mit der
Türkei. Sie zeigen uns, wie schwierig dieser Prozess ist.
Eines muss klar sein: Ein EU-Beitritt ist an klare Kriterien geknüpft. Der Fortschrittsbericht der vergangenen
Woche hat zutage gebracht, was viele befürchteten, nämlich dass der Reformprozess in der Türkei ins Stocken
geraten ist. So hält sich die Türkei bei der Umsetzung
des Ankaraprotokolls nicht an die Standards. Es ist richtig, dass die Europäische Union der Türkei ein Ultimatum gesetzt hat, die bestehende Zollunion auf alle neuen
Mitgliedstaaten, also eben auch auf Zypern auszudehnen. Bis Anfang Dezember müssen zypriotische Schiffe
und Flugzeuge türkische Häfen und Flughäfen ungehindert anlaufen bzw. anfliegen können.
({1})
Seit 1987 blockiert die Türkei alle Schiffe unter zypriotischer Flagge. Das hat mittlerweile durchaus erhebliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung
in Zypern. So war die zypriotische Handelsflotte einmal
die viertgrößte Handelsflotte der Welt. Mittlerweile ist
sie - nicht nur, aber auch durch den schwierigen Prozess
mit der Türkei - auf den zehnten Platz gerutscht. Ich
finde, wir dürfen in der heutigen Zeit in Europa nicht
mehr zulassen, dass es solche Entwicklungen gibt.
Lassen Sie mich noch kurz auf einen weiteren Aspekt
der Frage des Beitritts der Türkei zur Europäischen
Union eingehen, der in der öffentlichen Diskussion oft
ein wenig zurückgespielt wird bzw. unter dem allgemeinen Titel „Menschenrechte“ zur Sprache kommt, nämlich die Situation der Frauen und der Frauenrechte in
der Türkei. In den letzten Jahren hat die Türkei zahlreiche Gesetze zur Stärkung der Rechte von Frauen verabschiedet. Eine besonders wertvolle Arbeit hat der Ausschuss über Ehrenmorde geleistet. Er hat auch viel
Erfolg gehabt, nämlich in der Änderung des Strafgesetzbuches, wo Ehrenmorde endlich als Morde in besonders
schwerem Fall gelten. Das ist ein Riesenfortschritt für
die Türkei, der sich allerdings noch nicht bis in die tatsächliche Justiz herumgesprochen hat; im Fortschrittsbericht wurde nämlich gezeigt, dass Ehrenmorde immer
noch nicht als schwere Delikte geahndet werden. Auch
dies sollte geändert werden.
Ein weiteres Thema, das uns auch hier in Deutschland
betrifft, ist die Zwangsverheiratung. So wird das außen- und europapolitische Thema Türkei natürlich auch
ein innerdeutsches, ein innenpolitisches Thema. In der
Türkei werden 58 Prozent der Ehen nicht freiwillig geschlossen, um es so zu formulieren. Es sind nicht immer
Zwangsverheiratungen, aber es sind Ehen, die unter
Druck zustande kommen. Die Zahlen hierzu sind offiUrsula Heinen
zielle Zahlen. Die offizielle Seite in der Türkei verneint
aber bisher, dass es solche Zwangsverheiratungen gibt.
Ich denke, dass wir uns damit auch hier, auch in der
Europapolitik, wenn es um die Frage des Beitritts geht,
intensiver auseinander setzen müssen.
({2})
Ich freue mich, dass die Europapolitik der Bundesregierung auf einem wirklich guten Weg ist, und hoffe,
dass die Beitrittsverhandlungen und die Gespräche mit
unseren europäischen Nachbarn weiter zu guten Ergebnissen führen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Monika Griefahn, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an dieser Stelle als erstes unserem Außenminister danken. Seit er im Amt ist, hat er klar gemacht, dass Kulturpolitik innerhalb der auswärtigen
Politik nicht nur irgendein Aspekt ist, sondern ein zentrales Standbein. Ich finde, er hat das hier heute ausdrücklich demonstriert. Herzlichen Dank dafür!
({0})
Seine Initiative ist besonders für die zahlreichen Mittlerorganisationen ein wichtiges Zeichen; denn wir haben
in Deutschland immer noch das Problem, dass unser kulturelles Engagement im Ausland und seine Bedeutung
für Deutschland hier im Land zu wenig wahrgenommen
wird. Es wird zu wenig gesehen als etwas, das uns direkt
nützt, nämlich in der Anbindung der Länder und der
Menschen untereinander, derjenigen, die unsere Institutionen besuchen - seien es die Schulen, sei es über den
Wissenschaftsaustausch, sei es das Goethe-Institut. Unser kulturelles Engagement hat etwas damit zu tun, was
für eine Beziehung diese Menschen später zu Deutschland haben; sie können selber Botschafter für Deutschland werden, können mit uns Geschäfte machen und
können, wenn sie in politische Verantwortung kommen,
einen regen Kontakt mit uns haben und unsere demokratischen Ideen mit vertreten. Ich glaube, das müssen wir
deutlich machen. Sie, Herr Minister, haben das sehr
deutlich gemacht, und auch dafür danke ich Ihnen.
Was mit dem zusätzlichen Geld für die Goethe-Institute geschieht, war in der heutigen Debatte ein Thema.
Herr Leibrecht, ich möchte darauf aufmerksam machen,
dass in einem sehr mühevollen Prozess ein neues Konzept erarbeitet worden ist. Auch vom Goethe-Institut selber werden große Umstrukturierungen vorgesehen. Das
möchte ich hier ausdrücklich anerkennen. Ich finde es
gut, dass man in der Zentrale sparen will, dass man dort
Personal freisetzen will - das ist Teil des Konzeptes -,
um in neue Institute in Osteuropa, in Zentralasien oder in
anderen Ländern, wo die Goethe-Institute zurzeit wenig
präsent sind, investieren zu können, damit die Anbindung besser wird. Diese Leistung will ich an dieser
Stelle würdigen.
Es gab eine Debatte darüber, dass man Institute in Europa schließen könnte; sie seien nicht mehr so wichtig,
weil wir in Europa ohnehin schon miteinander verbunden seien. Wir sehen, wie notwendig es ist, dass es die
europäischen Kontakte noch gibt. Deswegen bin ich froh
darüber, dass in dem Konzept vorgesehen ist, dass die
europäischen Institute bestehen bleiben, sie vielleicht in
eine andere Präsenzform gegossen werden, wir in
Europa aber auf jeden Fall weiterhin zusammenarbeiten.
Ich glaube, auch das ist ein wichtiges Zeichen.
({1})
Wir haben heute einen Antrag, der dieses Konzept begleitet, eingebracht, über den wir in den nächsten Wochen diskutieren werden. Ich hoffe auf eine rege Debatte
über diesen Antrag. Ich hoffe, dass wir ihn anschließend
auch hier im Plenum diskutieren können.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wie die außenpolitische Debatte heute gezeigt
hat, wird das Jahr 2007 ein spannendes Jahr für die deutsche Außenpolitik. Die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union und die G-8-Präsidentschaft werden uns
die Chance geben, in der internationalen Gemeinschaft
nach unseren Maßstäben einer interessenorientierten und
wertegebundenen Außenpolitik eigene Akzente zu setzen. Lassen Sie mich einige Aspekte dazu ausführen.
Die Risiken für unsere Sicherheit sind nicht geringer geworden. Die Situation im Nahen Osten, die Lage
in Afghanistan oder geplante Terroranschläge in
Deutschland zeigen das. Für mich ist wichtig, festzustellen, dass die NATO als unser wichtigstes militärisches
Bündnis der Anker für unsere Sicherheit ist und bleibt.
Allerdings sehen wir auch, dass wir unsere Sicherheit in
der Europäischen Union immer weniger von der NATO
borgen können, sondern immer mehr gehalten sind,
selbst Aufgaben der Friedenssicherung wahrzunehmen.
Die Europäische Union hat in den vergangenen Jahren gelernt, in der Außen- und Sicherheitspolitik neue
Verantwortung zu tragen. Wir sichern den Frieden in
Bosnien und Herzegowina, im Kosovo und in Mazedonien. Dabei setzen wir auf eine enge Kooperation zwischen NATO und Europäischer Union. Beim NATOGipfel Ende November werden wir mit unseren Partnern
über die Rollenverteilung zwischen NATO und EU
sowie über die Ausrichtung und Ausdehnung der NATO
diskutieren können.
Wir müssen uns aber auch innerhalb der Europäischen Union noch enger abstimmen. Dazu gibt es nach
meiner Auffassung keine Alternative. Wir müssen uns
darauf verlassen können, dass Europa mit einer Stimme
spricht und gemeinsam handelt, wenn es ernst wird. Deswegen braucht die Europäische Union eine starke
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.
In Afghanistan leisten unsere Soldaten und Diplomaten eine herausragende Arbeit. Ich glaube, wir müssen
immer wieder deutlich machen, weshalb wir diesen Einsatz in Afghanistan erbringen: Wir sind nicht aus purer
Nächstenliebe dort. Wir engagieren uns in Afghanistan,
weil dort Terroristen ausgebildet worden sind, die uns
noch heute bedrohen. Deswegen haben wir ein eigenes
Interesse daran, dass dieses Land nicht erneut zum Ausbildungscamp für Terroristen wird. Deswegen engagieren wir uns in Kabul und in den Provinzen beim Wiederaufbau und bei der Stabilisierung dieses Landes. Wir
bemühen uns um Sicherheit für uns und für das afghanische Volk.
Wenn nun gefordert wird, dass die militärischen
Kräfte in Afghanistan insbesondere im Süden verstärkt
werden sollen, scheint mir der Akzent der öffentlichen
Debatte nicht ganz exakt gesetzt zu sein. Ich habe den
Eindruck, dass wir die Probleme im Süden Afghanistans
nicht mit zusätzlichen Soldaten lösen können. Soldaten
können nur ein Zeitfenster öffnen, das wir für eine politische Lösung nutzen müssen. Wir sollten deshalb alles
daran setzen, eine solche politische Lösung zu finden.
Wir müssen, um Afghanistan zu stabilisieren, dafür
sorgen, dass die Menschen wieder Hoffnung schöpfen
können. Das wird nur der Fall sein, wenn sie die internationale Präsenz als Unterstützung für sich selbst verstehen und erfahren können, und wenn beispielsweise bei
der Errichtung von Schulen und Krankenhäusern sichtbar wird, dass es Fortschritte gibt und dass es Alternativen zum Drogenanbau gibt. Die Wiederaufbauhilfe, die
wir leisten, wird nur dann bei den Menschen ankommen
und nur dann eine gute Investition in die Zukunft des
Landes darstellen, wenn wir für Sicherheit in diesem
Land sorgen können. Ich denke, dass unser deutscher
Beitrag gerade im Hinblick auf die afghanische Polizei
und Armee deshalb von ganz besonderer Bedeutung ist.
({0})
Die Kongomission steht vor der Beendigung. Wir
können von hier aus den Präsidentschaftskandidaten
Bemba nur aufrufen, die Ergebnisse der Wahl, die von
einer unabhängigen Kommission festgestellt worden
sind, zu akzeptieren. Es ist nicht überzeugend, eine
Überprüfung dieses Ergebnisses bei Gericht zu beantragen und dann zuzusehen, wie eigene Leute exakt dieses
Gericht angreifen und damit die selbst beantragte Überprüfung unmöglich machen. Wir müssen darauf drängen, dass dieses Wahlergebnis akzeptiert wird. Alles
Weitere wird die Mission der Vereinten Nationen im
Kongo übernehmen können.
Ich möchte hier nochmals mein Petitum anbringen,
dass wir politische Leitlinien für die Auslandseinsätze
der Bundeswehr entwickeln müssen, die Antworten geben auf die Frage, was wir politisch wollen, auf die
Frage, was militärisch erreichbar ist, und auf die Frage,
was mit unseren Ressourcen leistbar ist. Dazu gehört
zum Beispiel, dass wir militärische Einsätze in ein politisches Gesamtkonzept einbetten, das auch diplomatische
Bemühungen, humanitäre Maßnahmen, polizeiliche Unterstützung und entwicklungspolitische Projekte beinhaltet. Wir müssen Ziel, Umfang und Dauer eines Einsatzes
einschließlich einer Exit-Strategie definieren. Wir müssen auch die Kapazitäten an Personal, Material und Finanzen konkretisieren.
Mir geht es dabei darum, dass wir keine Sicherheitspolitik betreiben, die nur auf internationale Entwicklungen reagiert, sondern dass wir uns im Vorfeld konzeptionell überlegen, wie wir Sicherheitspolitik gestalten
wollen. Deswegen ist meine Forderung nach Leitlinien
für Auslandseinsätze der Bundeswehr Bestandteil einer
präventiven Sicherheitsstrategie. Ich glaube, das müssen wir auf der Grundlage des Weißbuches in den nächsten Monaten leisten, und zwar mit dem Ziel, selbst
glaubwürdiger und berechenbarer - sowohl für unsere
Partner als auch für die Bevölkerung in Deutschland - zu
werden.
Lassen Sie mich hinsichtlich der Europäischen Union
das Thema Türkei ansprechen. Wir stehen vor der Situation, dass die Türkei ihre klare Verpflichtung, das Ankaraprotokoll zu ratifizieren und damit die gemeinsame
Zollunion auf Zypern auszudehnen, bis heute nicht erfüllt. Wir in der CSU waren der Meinung - und wir sind
bis heute dieser Meinung -, dass es verfrüht war, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beginnen. Wir
haben uns jedoch im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass diese Verhandlungen ergebnisoffen geführt
werden können.
Nun ist die Frage, wie man damit umgeht, dass die
Grundlage dieser Verhandlungen nach wie vor nicht erfüllt wird. Denn die Ratifizierung des Ankaraprotokolls
war eine Vorbedingung dafür, dass die Aufnahme von
Beitrittsverhandlungen beschlossen wurde. Deswegen
plädiere ich dafür, dass wir Konsequenzen ziehen, wenn
das Ankaraprotokoll nicht unterzeichnet wird und die
Türkei sich weiterhin weigert, ihre Häfen und Flughäfen
für zypriotische Schiffe und Flugzeuge zu öffnen.
({1})
Es muss endlich jemand den Mut haben, der Türkei
die Wahrheit zu sagen. Dazu gehört, dass wir einen andauernden Vertragsbruch nicht hinnehmen, so nicht weitermachen und nicht zur Tagesordnung übergehen können. Wir müssen darauf drängen, dass die Bedingungen
für die Aufnahme von Verhandlungen, auf die wir uns
im Vorhinein verständigt haben, erfüllt werden. Dazu gehört, jetzt Konsequenzen zu ziehen und - so lautet unser
Vorschlag - im Rahmen dieses Verfahrens keine neuen
Verhandlungskapitel zu öffnen.
({2})
Ich will allerdings auch darauf hinweisen, dass die
Türkei für uns ein wichtiger Nachbar und ein strategischer Partner bleibt und dass wir der Bedeutung dieser
Nachbarschaft durch die Entwicklung eines maßgeschneiderten Konzepts der Zusammenarbeit zwischen
der Türkei und der Europäischen Union Rechnung tragen müssen.
Ich bin dafür, einen praktischen und realistischen Ansatz zu wählen, um aus der Sackgasse eines alles oder
nichts herauszukommen. Stattdessen sollten wir auch
Formen der Kooperation unterhalb der Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union entwickeln.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den
Einzelplan 05 - Auswärtiges Amt - in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der
Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.10 auf:
Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung
- Drucksachen 16/3113, 16/3123 Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Kahrs
Bartholomäus Kalb
Dr. Gesine Lötzsch
Zum Einzelplan 14 liegt je ein Änderungsantrag der
Fraktion der FDP sowie der Fraktion Die Linke vor. Außerdem liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
FDP vor, über den wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Elke Hoff, FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen!
Verehrte Kollegen! Ich kann mich nicht daran erinnern,
dass die Bundeswehr in ihrer 50-jährigen Geschichte
schon einmal derart in der Öffentlichkeit gestanden hat,
wie es in den letzten Monaten der Fall war. Ob dadurch
jedoch in unserer Gesellschaft oder aufseiten der Bundesregierung das „freundliche Desinteresse“ gegenüber
der Bundeswehr, wie Bundespräsident Köhler es formuliert hat, schwindet, bleibt dahingestellt.
Die Bundeswehr wird zunehmend als ein außen- und
innenpolitisches Allheilmittel zur Bewältigung von
sicherheitspolitischen Bedrohungen in Anspruch genommen. Man kann dem früheren Außenminister Genscher nur zustimmen, der darauf hingewiesen hat: „Militäreinsatz darf nicht zum beliebigen Mittel der ersten
Wahl werden.“
({0})
Der rasante Zuwachs der Bedeutung der Bundeswehr
geht schon seit Jahren nicht mehr mit einer adäquaten
materiellen, finanziellen und personellen Ausstattung
einher. Das hat im Hinblick auf die zukünftige Ausrüstung der Bundeswehr fatale Konsequenzen. Denn diese
Lücken können nur durch eine weitere Runde Streichen,
Strecken, Kürzen und Verschieben geschlossen werden;
was dann allerdings noch von den Grundsätzen der
Haushaltswahrheit und -klarheit übrig bleibt, kann man
getrost vergessen. Anders wird es Ihnen aber nicht gelingen, die zusätzlichen Auslandseinsätze, die Sie selbst beschlossen haben, zu finanzieren.
Die Fachpolitiker der großen Koalition werden auch
heute beteuern, wie wichtig es ist, dass unsere Soldatinnen und Soldaten mit dem besten Gerät ausgestattet in
den Einsatz gehen. Das sind viele leere Worte. Die FDPBundestagsfraktion hat im Verteidigungsausschuss beantragt, unverzüglich den Bedarf für eine Grundbefähigung mit geschützten Fahrzeugen zu beschaffen, ein effektives und am Markt verfügbares Schutzsystem gegen
Sprengfallen anzuschaffen und so schnell wie möglich
den Feldlagerschutz umfassend zu verbessern. All dies
haben Sie nolens volens abgelehnt.
Nur einen Tag, nachdem Sie unsere Anträge abgelehnt hatten, verkündete ein Kollege - ich zitiere ihn
wörtlich, auch wenn mich dies meine Redezeit kostet hier im Plenum:
Die Bundeswehr hat den Anspruch, dass wir bei
Ausrüstung und Ausbildung alles tun, damit sie immer das Notwendige, also das, was auf dem Markt
verfügbar ist, bekommt. Wenn wir das der Bundeswehr nicht geben und uns hinter mangelndem Geld
verstecken, wenn wir die Leute in einen Einsatz
schicken, bei dem sie zu Schaden oder sogar zu
Tode kommen können, nur weil wir die notwendige
Ausrüstung nicht zur Verfügung gestellt haben,
dann handeln dieses Parlament, der Verteidigungsausschuss und der Haushaltsausschuss, dann handeln also wir insgesamt unmoralisch.
({1})
„Unmoralisch“ ist ein starkes Wort, und es kommt aus
Ihren eigenen Reihen.
Statt dem Rechnung zu tragen und endlich eine sachgerechte Priorisierung der Beschaffungsvorhaben
vorzunehmen, kleben Sie bei den Beschaffungsvorhaben
weiterhin an den Strukturen des Kalten Krieges.
({2})
Es werden zwar wünschenswerte Investitionsprogramme
über zusätzliche 2 Milliarden Euro in der Presse lanciert,
aber letztendlich nicht durchgesetzt. Wiederholt und
überwiegend kam es in Afghanistan zu Personenschäden
durch Sprengfallen. Fast alle hätten verhindert werden
können, wenn das technische Abwehrmaterial beschafft
worden wäre, das notwendig und auf dem Markt verfügbar ist. Sie verweigern sich der Realität im Einsatz und
tragen in diesem Verteidigungshaushalt unter anderem
mit, dass die notwendige Beschaffung von 149 Dingo 2
bis 2011 gestreckt wird - statt, wie technisch möglich,
sie bis 2008 zu beschaffen. Dies sind drei verlorene
Jahre, die über die Sicherheit unserer Soldatinnen und
Soldaten entscheiden.
({3})
Die FDP hat mit ihrem Antrag, die Stückzahlen des
Eurofighter und des A400M zu reduzieren und die Beteiligung an der Entwicklung des Raketenabwehrsystems
MEADS zu beenden, den Versuch gemacht, eine einsatzorientierte Priorisierung auf den Weg zu bringen. Nur
durch eine solche Schwerpunktverlagerung sind überhaupt Spielräume im Verteidigungsetat zu erzielen.
Wenn Sie die Ankündigung der Bundeskanzlerin, die
Finanzausstattung zu verbessern, in Angriff nehmen
- hoffentlich bald -, werden Sie schon einen ordentlichen Schluck aus der Pulle nehmen müssen. Denn allein
die ursprünglich im Einzelplan 33 angesiedelten Versorgungsausgaben schlagen jährlich mit 100 Millionen
Euro zu Buche, Tendenz steigend. Die Belastung durch
die völlig unsinnige Mehrwertsteuererhöhung, die Belastung durch die Auslandseinsätze sowie Preisfortschreibungen bei zulaufenden Beschaffungsvorhaben
werden ihr Übriges tun.
Herr Minister, das Fazit Ihres ersten Amtsjahres ist,
freundlich ausgedrückt, durchwachsen. Vom „Minister
im Praktikum“ war die Rede, vom „Minister unter
Dauerfeuer“, von „Minister Tapsig“, vom „Mann ohne
Marschrichtung“. Schade eigentlich; denn Sie sind wirklich ein netter Mensch.
({4})
Leider ist es bis heute noch nicht klar, welche Kriterien in den nächsten Jahren für bestehende und zukünftige Auslandseinsätze der Bundeswehr gelten sollen.
Das eine Mal mahnen Sie zur Zurückhaltung - die Grenzen seien erreicht - und bringen in diesem Zusammenhang unabgestimmt eine Rückführung der Soldaten aus
Bosnien ins Gespräch. Dann wieder bringen Sie die
Bundeswehr ins Spiel, ohne dass deutsche Interessen erkennbar betroffen wären. Mit in der Ressortabstimmung
weichgespülten Formulierungen bleibt das Weißbuch
hinter den vorsichtigen Definitionen Ihres Vorgängers
zurück.
({5})
Ihr abwehrender Hinweis, es könne keine Checkliste für
Auslandseinsätze geben, zeugt nach meiner Auffassung
von einer erheblichen politischen Oberflächlichkeit in
einem der wichtigsten Bereiche, die staatliches Handeln
zu erfüllen hat.
({6})
An dieser Stelle möchte ich mir eine kurze persönliche Bemerkung zu Afghanistan erlauben. Wenn der
Maßstab für die zivilisatorische Entwicklung dieses seit
Jahrzehnten geschundenen Landes auf ein „die NATO
darf nicht scheitern“ reduziert wird, wenn es nur noch
darum geht, einen Waffengang erfolgreich - was immer
man darunter verstehen mag - zu beenden, wenn der
Eindruck entsteht, dass sich Bündnissolidarität nach der
Anzahl der Opfer bemisst, dann haben wir alle etwas
falsch gemacht. Solange es den westlichen Verbündeten
nicht gelingt, den Menschen vor Ort eine bessere Lebensperspektive zu bieten, als es die Taliban tun, und gemeinsam mit Afghanistan und Pakistan ein tragfähiges
Konzept zur Rückführung der Tausenden Kriegsflüchtlinge und ihrer Familien von jenseits der Grenzen zu erarbeiten, die wegen des völligen Fehlens einer Lebensperspektive ein unerschöpfliches Rekrutierungsreservoir
für die Taliban bilden, wird das sinnlose Sterben auf beiden Seiten weitergehen. Wenn die NATO wirklich eine
politische Gemeinschaft sein will, muss sie endlich hier
ansetzen und beweisen, dass sie lernfähig ist - anstatt
dass sich die Partner gegenseitig in Misskredit bringen.
Ich bin jedenfalls stolz auf die Leistungen unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Vielleicht gibt es ja auch
handfeste Gründe dafür, dass der Norden Afghanistans
stabiler ist als andere Regionen, und vielleicht können ja
auch andere davon lernen.
Die Bundeswehrangehörigen und ihre Familien bedürfen in den nächsten Jahren unserer besonderen Aufmerksamkeit. Das Mindeste, was wir als Parlament dazu
beitragen können, ist die Schaffung größtmöglicher Sicherheit und bester Ausbildung - an der Wirklichkeit
orientiert, nicht an der Vergangenheit. Mit dem vorliegenden Haushalt tragen Sie diesem Anspruch jedenfalls
nicht Rechnung.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Susanne Jaffke,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bevor ich auf das nackte Zahlenwerk des Haushalts 2007 des Bundesministeriums der Verteidigung zu
sprechen komme, möchte ich den circa 8 000 Soldatinnen und Soldaten danken, welche im Rahmen von internationalen Einsätzen ihren Dienst unter zunehmend
schwierigen und gefährlichen Bedingungen leisten.
Auch wenn es kaum wahrgenommen wird: Die Bundeswehr leistet durch ihre Auslandseinsätze einen beträchtlichen Beitrag für die innere Sicherheit Deutschlands.
({0})
Ihnen gebührt parteiübergreifend Respekt und Hochachtung für die Erfüllung ihres Auftrages.
In diesem Zusammenhang möchte ich eine Anmerkung zur Diskussion der vergangenen Tage über einen
eventuellen Einsatz der Bundeswehr im Süden von
Afghanistan machen. Obwohl durch das Mandat, welches wir hier mehrheitlich beschlossen haben, die Möglichkeit eines zeitlich begrenzten Antiterroreinsatzes
auch deutscher Spezialkräfte außerhalb unseres zugewiesenen Gebietes zugelassen wird, hat es bisher ein offizielles Ersuchen der NATO dafür nicht gegeben. Ich
danke an dieser Stelle ganz besonders der Bundeskanzlerin dafür, dass sie heute Morgen klar und eindeutig Stellung dafür bezogen hat, auch auf dem bevorstehenden
NATO-Gipfel in Riga die restriktiven Einsatzregeln
- die Rules of Engagement - für die deutschen Truppen
weiterhin zu begründen und ganz besonders für das erfolgreiche Einsatzkonzept der zivil-militärischen Zusammenarbeit Deutschlands im Norden Afghanistans zu
werben. Wir sollten es also vermeiden, unsere Bundeswehrsoldaten zu verunsichern.
({1})
Es zeigt sich, dass der Einsatz der Bundeswehr bei der
Zivilbevölkerung auf Anerkennung stößt. Die Wiederaufbau- und Stabilisierungsarbeit der Bundeswehr wird
nicht nur vor Ort, sondern auch von den anderen Truppenstellern hoch anerkannt. Dieser Aspekt kommt mir in
der veröffentlichten Wahrnehmung wesentlich zu kurz.
({2})
Nun einige Anmerkungen zum Etat. Nachdem im
Einzelplan 14 des Haushaltes über Jahre hinweg Kürzungen hingenommen wurden, hatten wir bereits mit
dem Haushalt 2006 eine Verstetigung des Ansatzes erreicht und damit eine Wende eingeleitet. Nach Jahren erfährt der Etat des BMVg jetzt einen Aufwuchs. Inklusive
der Versorgungsausgaben in Höhe von 4,037 Milliarden
Euro weist der Gesamtetat des Bundesministeriums der
Verteidigung 28,389 Milliarden Euro aus, was einem
Gesamtplus von circa 517 Millionen Euro entspricht.
Ohne die Versorgungsausgaben steigt der Ansatz um
472 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr. Wenn
man die erhöhte Mehrwertsteuer abzieht, die sich im
Jahr mit ungefähr 100 Millionen Euro pro Prozentpunkt
zusätzlich niederschlagen wird, dann bleibt unter dem
Strich ein zwar bescheidener, aber immerhin ein Aufwuchs in Höhe von 172 Millionen Euro stehen.
({3})
Das entspricht der mittelfristigen Finanzplanung.
Dieses Plus wird im Wesentlichen für die Verstärkung
der verteidigungsinvestiven Ausgaben, für die Materialerhaltung sowie für die Deckung der gestiegenen
Kosten der Betriebsstoffe verwendet. Die große Koalition wird damit den geänderten Rahmenbedingungen
durch die Transformation der Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz und der Zunahme der Einsatzanforderungen im Rahmen internationaler Einsätze gerecht. Ziel
der Regierung ist es, Auftrag, Ausrüstung und hierfür
zur Verfügung stehende Mittel in Einklang zu bringen.
Nun einige Bemerkungen zu den Personalausgaben.
Das BMVg hat seit der Wiedervereinigung mehr Personal abgebaut als alle anderen Ressorts zusammen. Dieser
Weg wird von Verteidigungsminister Jung konsequent
weitergegangen. Parallel zum sozialverträglichen Personalabbau sind im Haushalt 2007 aber auch circa 3 000
Beförderungsmöglichkeiten im Rahmen des beschlossenen Attraktivitätsprogramms ausgewiesen. Darüber hinausgehende Stellenhebungen sind durch die Koalition
diesmal nicht vorgesehen. Das ist vielleicht unattraktiv,
weil es eine gut eingeführte Sitte war, im parlamentarischen Verfahren Stellenhebungen mit zu beschließen.
Aber meiner Meinung nach geht es darum, dass das bisherige Attraktivitätsprogramm an die neue Zielstruktur
angepasst werden muss. Dabei muss vor allen Dingen
die Laufbahnverordnung überarbeitet und angepasst
werden. Ich denke, das ist eine dankbare Aufgabe für die
Kollegen im Fachausschuss.
Ich glaube, in einer Gesamtkonzeption wird es zu einer gerechteren Würdigung der Leistungen unserer Soldaten und der zivilen Beschäftigten kommen. Was die
zivilen Beschäftigten der Bundeswehr betrifft, so hatte
die Regierungskoalition zwar die Zusage des Hauses, bis
Ende 2006 das Konzept der Zielstruktur vorgelegt zu bekommen, aber zu meinem Bedauern konnte diese Zusage nicht eingehalten werden. Das Personalkonzept soll
nun Ende Februar 2007 stehen. Die Koalition wird mit
Nachdruck auf die Einhaltung des Zeitplans drängen.
Auch die zivilen Beschäftigten der Bundeswehr haben
ein Anrecht darauf zu erfahren, in welcher Struktur sie
künftig tätig sein werden.
Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu den Umschichtungen machen, die wir im Haushalt vorgenommen haben. Einen Schwerpunkt hierbei bildet das
Thema Materialerhaltung. Bereits im Regierungsentwurf zum Haushalt 2006 war ein kleiner Aufwuchs zu
verzeichnen. Der Regierungsentwurf zum Haushalt 2007
sah einen Aufwuchs von circa 48 Millionen Euro vor.
Dieser resultierte zwar primär aus dem Zulauf neuer
Waffensysteme, aber zusätzlich zu diesem Mehrbedarf
hat die Regierungskoalition weitere 45 Millionen Euro
zur Materialerhaltung umgeschichtet. Wir wollen damit
den gestiegenen Anforderungen hinsichtlich der Ausstattung durch die Zunahme von Mandaten gerecht werden.
Wir sind der Überzeugung, dass durch die vermehrten
Auslandseinsätze der Bundeswehr die Materialerhaltung
bzw. Instandsetzung nicht immer in vollem Umfang
durchgeführt werden konnten. Dieser Umstand und die
Verpflichtung, unsere Soldaten mit dem unabdingbaren
Bedarf auszustatten, sind die Gründe für die Aufstockung der Mittel um insgesamt 93 Millionen Euro.
Einen weiteren Schwerpunkt stellt der „Geschützte
Transportraum“ dar, der durch die zunehmende Gefährdungslage an Bedeutung zugenommen hat. Nach der Zunahme von Anschlägen hatte Minister Jung die Weisung
gegeben, dass Bewegungen außerhalb von Lagern nur
noch in geschützten Fahrzeugen stattfinden sollen. Im
Sinne der Sicherheit und des Schutzes der Soldaten ist
das sinnvoll und notwendig. Die Haushälter haben das
BMVg in diesem Zusammenhang aufgefordert, gemeinsam mit der deutschen Landsystemindustrie nach
Möglichkeiten eines Vorziehens von beschlossenen Beschaffungsvorhaben zu suchen. Zurzeit laufen dazu Verhandlungen zwischen dem BMVg und der Industrie. Im
zahlenmäßigen Vergleich zwischen geschützten Fahrzeugen und ungeschützten Fahrzeugen ergibt sich, bezogen auf das ISAF-Mandat, ein Verhältnis von zwei zu
eins. Insgesamt befinden sich circa 500 geschützte Fahrzeuge im Einsatz. Die Verlegung zusätzlicher geschützter Fahrzeuge ist geplant. Damit befindet sich der Großteil dieses Gerätes im Einsatz und das ist auch richtig so.
Ich hatte bereits zu Beginn meiner Ausführungen auf
die Wiederaufbau- und Stabilisierungsarbeit der Bundeswehr in den Einsatzgebieten hingewiesen. Um diese
Arbeit der Bundeswehr mit der Arbeit ziviler Hilfsorganisationen bzw. NGOs sowie mit der staatlicher Projektträger besser abzustimmen, hat die Regierungskoalition
eine Neuausrichtung der Schwerpunkte vorgenommen.
Die große Koalition hat dazu den noch unter Rot-Grün
neu aufgenommenen Haushaltstitel - strukturelle Krisenvorsorge - nunmehr an eine Zweckbindung gekoppelt. Zukünftig sollen aus diesem Titel nur noch Projekte
bezahlt werden, die an den Einsatzorten der Bundeswehr
durchgeführt werden. Damit wird ein direkter Zusammenhang zwischen militärischer und ziviler Friedensmission sichergestellt. Es ist erwiesen, dass die schwierigen und gefährlichen Einsätze der Bundeswehr in
Afghanistan nur dann erfolgreich sind, wenn im Rahmen
der zivilen Krisenprävention den militärischen Maßnahmen auch zivile flankierend zur Seite gestellt werden.
Das wird mit dem Beschluss der Koalition verstärkt. Dabei haben wir nicht nur den Baransatz qualifiziert gesperrt, sondern wir verlangen auch von der Regierung,
dass sie eine belastbare Planung vorlegt, wie die Mittel
verwendet werden sollen.
Gestatten Sie mir noch zu erwähnen, dass wir als
Regierungskoalitionsberichterstatter zu den Einzelplänen 14 und 23 eine abgestimmte Konzeption zur verbesserten Kooperation und Koordination zwischen zivilen
Organisationen und der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen erbeten haben. Wir wollen damit sicherstellen, dass
es bei den Projekten zu einer effizienteren Mittelverwendung kommt.
Der kleine Aufwuchs, den der Haushalt des Verteidigungsministers erfährt, wird auch zur Stabilisierung der
Auslandseinsätze der deutschen Soldaten beitragen. Ich
bitte um Zustimmung zu diesem Etat.
Gestatten Sie mir zum Schluss,
Ungern, Frau Kollegin, weil Sie Ihre Redezeit deutlich überschritten haben.
- den Mitarbeitern nicht nur der Haushaltsabteilung
des BMVg, sondern auch der Haushaltsabteilung des
BMF sowie vor allen Dingen unserem Hauptberichterstatter, dem Kollegen Johannes Kahrs, Dank auszusprechen. Wir werden auch in der Vorbereitung kleiner
Sitzungen zunehmend besser. Daran wollen wir weiterarbeiten.
Danke.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine
Lötzsch, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir haben im Laufe der Debatte gesehen: Die
Koalition ist sichtlich begeistert - ich erinnere nur an die
Rede des Vorsitzenden der Unionsfraktion -, dass
Deutschland im nächsten Jahr wahrscheinlich den Stabilitätspakt einhalten wird. Die Nettoneuverschuldung
wird unter den Investitionen liegen. Da Sie Stabilitätspakte so gut finden, schlage ich Ihnen einen weiteren
Pakt vor. Ich möchte Ihnen folgendes Angebot unterbreiten: Wie Sie wissen, wird die Bundesregierung im
nächsten Jahr 28 Milliarden Euro für die Verteidigung
ausgeben. Für zivile Investitionen sollen in der gleichen
Zeit allerdings nur 24 Milliarden Euro zur Verfügung
stehen. Ich denke, es wäre sinnvoll, einen Pakt zu schließen, der festlegt, dass in Friedenszeiten die Ausgaben
für das Militär die zivilen Investitionen nicht übersteigen dürfen.
({0})
Das wäre nicht nur ein Stabilitätspakt, sondern auch ein
Friedenspakt. Wir, die Linke, haben ausreichend Kürzungsvorschläge eingebracht, sodass der Bundestag
schon im Jahr 2007 diesen Friedenspakt einhalten
könnte.
({1})
An dieser Stelle will ich mich mit einer Behauptung
auseinander setzen, die von mehreren Kollegen im Laufe
der Debatte aufgestellt wurde. Uns, die wir vorschlagen,
die Mittel für die Bundeswehr zu kürzen, wird vorgeworfen, wir gefährdeten die Sicherheit deutscher Soldaten im Ausland. Diese Denunziation - als Argument
kann man das nicht bezeichnen - will ich mit aller
Schärfe zurückweisen. Der entscheidende Punkt ist - das
ist bekannt -: Wir sind dagegen, dass deutsche Soldaten
in Kriegseinsätze ins Ausland gehen.
({2})
Wenn aber eine Mehrheit dieses Hauses deutsche Soldaten ins Ausland schickt, dann sind wir der Auffassung,
dass alles für ihre Sicherheit getan werden muss. Wir unterstützen jeden, der der Meinung ist, dass bei den Haushaltspositionen, die dazu dienen, die persönliche Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten zu stärken, nicht
gekürzt werden darf. Gerade wir haben immer wieder
kritisch angemerkt, dass Soldatinnen und Soldaten keine
angemessene Ausrüstung und Kleidung haben. Ich erinnere nur daran, dass sie sich Ferngläser bei Tchibo kaufen mussten. So viel zur Wahrheitsfindung und zur Realität.
({3})
- Lieber Kollege Rossmanith, bitte regen Sie sich nicht
auf! Das schadet Ihrer Gesundheit.
({4})
Ich will Ihnen darlegen, wo wir Einsparmöglichkeiten
im Verteidigungshaushalt, Einzelplan 14, sehen. Die
Kollegin Hoff von der FDP ist darauf dankenswerterweise schon eingegangen. Es gibt eine Reihe großer
Beschaffungsprojekte der Bundeswehr, die gar nichts
mit der von der Regierung beschriebenen Bedrohungssituation zu tun haben. Die Mittel für diese Projekte kann
man guten Gewissens einsparen. Ich möchte Ihnen ein
Beispiel nennen. Die Geschichte des Lenkflugkörpers
PARS 3 begann im Jahre 1982, also vor einem Vierteljahrhundert. Um es einmal zu illustrieren: Das jüngste
Mitglied des Bundestages, die Kollegin Lührmann von
den Grünen, war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht geboren.
Damals gab es noch die Sowjetunion und den Warschauer Pakt, die über reichlich Panzer verfügten. Diese
Rakete war nur auf die Bekämpfung von Panzern spezialisiert. Die Entwicklungspartner - hören Sie gut zu,
meine Damen und Herren! - Großbritannien und Frankreich sind in den Jahren 1998 und 1999 aus diesem veralteten Projekt ausgestiegen. Richtig so. Sie hatten nämlich zehn Jahre nach dem Mauerfall erkannt, dass es für
solche Raketen keinen Bedarf mehr gibt. Übrigens ist
sehr bemerkenswert, dass die Engländer und die Franzosen aussteigen konnten. Immer wenn wir als Linke den
Ausstieg aus Beschaffungsprojekten wie zum Beispiel
beim Eurofighter fordern, dann werden internationale
Verträge angeführt, die den Ausstieg für uns angeblich
unmöglich machen. Ich frage Sie, Herr Minister: Warum
können die anderen aussteigen und wir nicht?
({5})
Hängt das vielleicht damit zusammen, dass die Bundesregierung in den Verträgen Austrittsklauseln ausschließt
oder so teuer macht, damit der Bundestag in seiner Souveränität eingeschränkt wird? Ich finde, meine Damen
und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, dieser Frage sollten wir gemeinsam genauer nachgehen.
Zurück zu PARS 3. Ich will auch für die Zuschauer illustrieren, welche enormen Summen ausgegeben werden. Die Gesamtkosten für die Entwicklung und den Bau
dieser Rakete betragen rund 490 Millionen Euro. Nach
bisherigen Plänen soll die Auslieferung der Rakete im
Jahr 2010 beginnen und 2014 abgeschlossen sein. Ein
einziger Schuss einer derartigen Rakete würde den Steuerzahler 1,3 Millionen Euro kosten. Stellen Sie sich einmal vor, wie viele Kindergärten oder Schulen Sie in
Ihrer Kommune sanieren könnten, wenn Sie den Gegenwert von zwei oder drei Schüssen zur Verfügung hätten!
Übrigens - darum verstehe ich auch die Erregung des
Kollegen Rossmanith von vorhin sehr gut; die war nämlich schon proaktiv - ist der Hauptauftragnehmer ein
süddeutsches Unternehmen, das den Firmen EADS und
Diehl gehört. Das heißt, alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler finanzieren museumsreife Technologien,
({6})
die weder die Sicherheit unseres Landes noch die Sicherheit unserer Museen erhöhen. Das kann man wirklich
keinem Steuerzahler erklären.
({7})
Hier werden die Rüstungslobbyisten auf Kosten der
Steuerzahler reichlich bedient. Ich schlage vor, dass
diese Art der Subventionierung der süddeutschen Länder
abgeschafft wird
({8})
oder, wenn wir dafür keine Mehrheit bekommen sollten,
dass wenigstens diese üppige Quersubventionierung für
diese Bundesländer in den Länderfinanzausgleich einbezogen wird. Dann würde sich so manches im Verhältnis
der Länder etwas anders darstellen.
({9})
Noch eine kleine pikante Ergänzung: Der Hauptauftragnehmer der PARS-3-Raketen wurde für einen Preisnachlass von 1,25 Prozent von allen Mängelansprüchen freigestellt. Herr Jung, würden Sie zu Hause auf ein solches
Angebot Ihres Klempners eingehen, Preisnachlass von
1,25 Prozent und dafür keine Garantieansprüche?
({10})
Ich glaube, da bekämen Sie sicher heftigen Ärger mit Ihrer häuslichen Generalität.
Wir als Linke fordern in unserem Entschließungsantrag Einsparungen im Verteidigungshaushalt von 2 Milliarden Euro. Das sind nicht einmal 10 Prozent dieses
Haushaltes. Das können wir gerade so und die Bundeswehr sehr gut verkraften. Wir sind für friedliche Konfliktlösungen und wir denken, die Mittel des Verteidigungshaushaltes sollten im Laufe der Jahre alle in
Entwicklungshilfe und Maßnahmen zur zivilen Konfliktbereinigung umgelenkt werden.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat der Kollege Johannes Kahrs, SPD-Fraktion.
Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Da es hier gute Sitte ist, möchte ich mich
am Anfang bei den Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstattern ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken. Wir haben heute schon einige gehört.
Ob es die Kollegin Jaffke, die Kollegen Kalb, Koppelin,
Bonde oder auch die Kollegin Lötzsch sind, wir alle arbeiten im Kern in der Sache dafür, dass wir die deutschen Soldaten vernünftig ausstatten, damit sie, wenn sie
im Ausland sind, eine Ausrüstung haben, die es ihnen ermöglicht, dort klarzukommen. Wir als Parlament, wir als
Berichterstatter und wir als Ausschuss kennen unsere
Verantwortung und nehmen sie auch wahr.
Zum Verteidigungshaushalt 2007 wurde in den Beratungen im Haushaltsausschuss entsprechend dem Ansatz
des Regierungsentwurfs mit einem Ausgabevolumen in
Höhe von insgesamt 28,4 Milliarden Euro ein nach meiner Meinung vernünftiger Beschluss gefasst. Der Ansatz
bedeutet im Vergleich zum Haushalt 2006 eine Verbesserung um rund eine halbe Milliarde Euro. In diesem
Haushalt von 28,4 Milliarden Euro sind jetzt auch die
Versorgungsausgaben für ehemalige Beamtinnen und
Beamte sowie Berufssoldatinnen und Berufssoldaten in
Höhe von knapp 4 Milliarden Euro enthalten. Diese
Ausgaben waren bis zum letzten Jahr zentral im
Einzelplan 33 veranschlagt. Sie sind für den Verteidigungsetat auf Dauer gesehen ein ziemliches Risiko. Die
Steigerung in diesem Bereich wird, weil der Verteidigungshaushalt anders strukturiert ist als viele andere
Haushalte, weil wir viele Zeitsoldaten haben, die auch
wieder ausscheiden, zu anderen Belastungen führen. Ich
bitte den Herrn Minister ganz herzlich, auf diese Besonderheit zu achten, weil das in den nächsten Jahren im
Haushalt zu überdurchschnittlichen Steigerungen von
jährlich einigen hundert Millionen führen kann. Ich
glaube, man muss vernünftige Regelungen finden, damit
der Verteidigungshaushalt nicht schlechter behandelt
wird als andere Haushalte. Gleichzeitig muss man sagen,
dass diese Steigerung - das ist das Gute am Verteidigungsetat - ungefähr dem entspricht, was in den letzten
Jahren festgelegt und unter Peter Struck beschlossen
wurde.
Die Betriebsausgaben in Höhe von 17,4 Milliarden
Euro bleiben nahezu konstant. Die Personalausgaben
sind rückläufig und liegen deutlich unter 11,7 Milliarden
Euro. Das bedeutet, dass wir für Personal weniger ausgeben. Bei einem Personalkostenanteil von knapp 50 Prozent müssen wir auf diese Ausgaben ganz genau
schauen.
Wir haben einen deutlichen Mehrbedarf bei der Materialerhaltung in Höhe von rund 1,9 Milliarden Euro und
beim sonstigen Betrieb in Höhe von 3,7 Milliarden Euro.
Hier belasten insbesondere die erhöhten Treibstoffkosten
diesen Haushalt.
Die Ausgaben im Bereich der Betreiberlösungen sinken geringfügig und betragen in 2007 635 Millionen
Euro. Die verteidigungsinvestiven Ausgaben steigen im
Vergleich zu 2006 um 350 Millionen Euro. Für militärische Beschaffung sind 140 Millionen Euro mehr vorgesehen.
Deutliche Anstrengungen sind auch bei den militärischen Anlagen, also bei Kasernenanlagen und Unterbringung, zu erkennen. Das war uns allen ein ganz besonderes Anliegen. Hier wollen wir 130 Millionen Euro
mehr ausgeben als im letzten Jahr. An dieser Stelle sei
mir eine persönliche Bemerkung gestattet zu einigen Kasernenanlagen, insbesondere in Westdeutschland, in denen in den letzten zehn Jahren nicht so viel gemacht
wurde. Ich glaube, wir können es uns nicht leisten, unsere Soldatinnen und Soldaten in Unterkünften - das
sage ich ganz bewusst - hausen zu lassen, die ich persönlich niemandem empfehlen möchte und die nicht zur
Attraktivität der Streitkräfte beitragen. Ich möchte Sie,
meine werten Kolleginnen und Kollegen, einfach auffordern: Besuchen Sie Ihre Standorte! Gucken Sie sich dort
die Sanitärbereiche, die Unterkunftsbereiche oder die
Küchen an! Die Zustände sind teilweise grenzwertig.
Das haben sowohl der Fachausschuss als auch der Haushaltsausschuss erkannt und deswegen haben wir umgeschichtet und geben mehr Geld aus. Für einige, die die
Situation nicht kennen, mag es sich befremdlich anhören, aber wenn zum Beispiel Nasszellen für ein halbes
oder dreiviertel Jahr gesperrt sind, gibt es durchaus Probleme. Wenn wir dieses Problem gemeinschaftlich angehen, steht es uns allen sehr gut an, dient auch der Attraktivität der Truppe und ist gleichzeitig für uns alle ein
echter Gewinn.
({0})
Gestatten Sie mir aus aktuellem Anlass zwei Anmerkungen zum Einsatz der Bundeswehr im Kongo und in
Bosnien. Zum einen möchte ich meine Freude darüber
zum Ausdruck bringen, dass der Parlamentsbeschluss
zum Einsatz im Kongo wirklich eingehalten wird. Ich
habe ein bisschen daran gezweifelt, muss ich zugeben.
Ich war einer derjenigen, die diesen Einsatz nicht so begrüßt haben, wie es die Mehrheit meiner Fraktion getan
hat. Ich hatte Zweifel, ob er wirklich nach vier Monaten
zu Ende ist, und freue mich, dass die Befürchtungen
nicht eingetreten sind. Ich hoffe, dass das auch so bleibt
und dass wir die Soldatinnen und Soldaten rechtzeitig
zum Weihnachtsfest wieder in Deutschland haben. Das
habe ich mir nicht vorstellen können. Ich bin eines Besseren belehrt worden. Ich möchte mich bei all denjenigen, die dazu beigetragen haben, ganz herzlich bedanken.
({1})
- Das hat ein anderer gesagt, der Bürgermeister einer
Stadt, Frau Kollegin.
Ebenso begrüße ich die Initiative unseres Verteidigungsministers in Sachen Bosnien-Herzegowina. Die
Reduzierung der Bundeswehrtruppen in Bosnien kann
meiner Meinung nach mittlerweile ins Auge gefasst werden. Gerhard Schröder hat einmal gesagt: Wer irgendwo
reingeht, muss auch wissen, wie er wieder rauskommt. Ich glaube, das ist richtig. Wenn man sich die dortige Sicherheitslage anschaut, dann erkennt man, dass es dort
insgesamt ruhig und stabil ist.
({2})
- Ich begrüße die Zustimmung zu dieser Aussage von
Gerhard Schröder durch Abgeordnete der Koalition.
Ich wiederhole: Eine Reduzierung der Truppen
scheint mir sinnvoll zu sein. Wir müssen darauf achten,
dass das dort Erreichte bei einem stufenweisen TruppenJohannes Kahrs
abzug nicht gefährdet wird, dass er der Lage angepasst
wird und dass es für die Bundeswehr eine Planungssicherheit gibt.
Was den Auslandseinsatz in Afghanistan angeht,
möchte ich, genau wie meine Kollegin Jaffke und andere, unterstreichen, dass der Auftrag, den die Bundeswehr im Norden Afghanistans ausführt, wichtig ist. Sie
tut dies gut, verlässlich und vernünftig.
({3})
Ich habe bei der Truppe gelernt, dass es nicht sinnvoll
ist, eingesetzte Soldaten mit einem festen Auftrag je
nach aktueller Lage aus einem Auftrag herauszunehmen
und zu verlegen. Wenn man sich das genau anschaut,
dann erkennt man, dass eigentlich der alte militärische
Grundsatz gilt: Jeder Führer hat jederzeit und in jeder
Lage Reserven zu bilden, die er einsetzen muss, wenn er
Probleme hat. Es bringt überhaupt nichts, Soldaten, damit sie woanders eine andere Aufgabe erfüllen, herauszunehmen aus Aufträgen, die schwieriger sind, in die
man sich langfristig einarbeiten muss, in denen man die
Lage vor Ort kennen muss und in denen man Kontakte
zur Bevölkerung knüpft.
Ich halte es für richtig und wichtig, dass wir Deutschen darauf dringen, dass man sich über das Gesamtkonzept unterhält. Es kann natürlich nicht sein, dass diejenigen, die im Süden Afghanistans eingesetzt sind,
gänzlich allein dastehen. Auch da muss es eine vernünftige Lösung geben. Das kann aber nicht bedeuten, dass
man Soldaten einfach quer durch das Land schickt, weil
Soldaten aus militärischen Gründen woanders gebraucht
werden. Unser Einsatz dort ist mehr als rein militärischer
Art.
({4})
- Jawohl, Herr stellvertretender Fraktionsvorsitzender!
Das deutsche Engagement ist insbesondere im Hinblick auf die deutschen Provincial Reconstruction
Teams, die PRTs, in Kunduz und Faizabad in Afghanistan zu begrüßen. Ich glaube, dass sich die Grundphilosophie des deutschen Konzeptes dort ganz besonders klar
widerspiegelt. Eine zivile und eine militärische Komponente arbeiten dort integriert und gleichrangig zusammen. Das Personal kommt dabei aus dem Verteidigungsministerium, aus dem Auswärtigen Amt, aus dem
Innenministerium und aus dem BMZ. Dieses Personal
soll ressortübergreifend zusammenarbeiten. Ich glaube,
dass dies für die Stabilisierung der Sicherheitslage und
für den Wiederaufbau Afghanistans wichtig ist.
Es könnte auch die zukünftige Arbeit in Postkonfliktsituationen und die Beziehungen von Militär und zivilen
Kräften fundamental ändern. Das Afghanistankonzept
der Bundesregierung vom September dieses Jahres
wurde von allen genannten Ministerien erarbeitet. Im
vorgesehenen PRT-Konzept manifestiert sich die Erkenntnis, dass militärische Lösungen allein in komplexen Situationen nicht zielführend sind. Das haben die
Amerikaner im Irak übrigens ganz deutlich gemerkt:
Man kann zwar militärisch gewinnen, hat aber den Frieden noch lange nicht gewonnen. Ich glaube, das sollte
uns allen eine Lehre sein und da sollten wir alle genau
hinschauen. Da kann man viel lernen.
({5})
Natürlich gibt es neben diesen positiven Erfahrungen
auch Probleme. So üben zum Beispiel Hilfsorganisationen heftige Kritik am PRT-Konzept, weil es auf eine
vermeintliche Vermischung von humanitären und militärischen Aktivitäten ausgerichtet ist. Darin sehen sie ein
Problem, insbesondere weil sie glauben, dass ihre Neutralität berührt wird.
Schaut man sich das Ergebnis an, wird meiner Meinung nach anders herum ein Schuh daraus: Die Zusammenarbeit zwischen diesen Kräften führt zu einer besseren Akzeptanz von beiden Gruppen, insbesondere bei
der afghanischen Bevölkerung. Man muss die Vorbehalte gegen das zivil-militärische Zusammengehen aufgeben. Ich würde es begrüßen, wenn das BMZ die volle
Integration in die PRTs mit umsetzt. Nur so werden wir
es gemeinsam zustande bringen können. Wir müssen die
- wie auch immer bestehende - Distanz zwischen Entwicklungspolitik und Sicherheitspolitik überwinden. Wir
müssen hier - anders als in der Vergangenheit - zusammenarbeiten.
Angesichts des Gesamtengagements dieses Hohen
Hauses greift man, wie ich glaube, zu kurz, wenn man
nur über den Einsatz der Bundeswehr im Ausland diskutiert. Wir beschließen hier ja immer darüber, ob die Bundeswehr in einem bestimmten Einsatzgebiet eingesetzt
werden darf. Ich glaube aber, dass es nicht reicht, einfach nur den Einsatz der Bundeswehr zu beschließen,
aber nicht auch über die Arbeit der anderen Ressorts auf
diesen Gebieten zu beraten. Wir sollten vielmehr über
das Gesamtengagement der Bundesrepublik Deutschland in einem bestimmten Einsatzland beschließen. Natürlich möchte ich nicht die Position aufgeben, dass die
Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist; wesentliche Elemente sind hierbei das Amt des Wehrbeauftragten, der
seine Arbeit sehr gut macht, und das Engagement der
Kolleginnen und Kollegen, die der Bundeswehr verbunden sind. Aber es wäre besser, ein Gesamtkonzept zu erarbeiten, bevor die Bundeswehr eingesetzt wird. Dieses
Gesamtkonzept des Einsatzes sollte im Kanzleramt in
enger Abstimmung mit den betroffenen vier Ministerien
erstellt werden. Dabei müssten die Ministerien sagen,
welche Schwerpunkte sie setzen und wie sie das bezahlen wollen. Dann sollten wir im Parlament darüber informiert werden, wie man sich den Einsatz vorstellt.
Die Bundeswehr alleine kann die Erwartungen, die
wir mit diesen Einsätzen verbinden - ich würde es etwas
salopp als das Heilsversprechen von Nation-Building bezeichnen -, gar nicht erfüllen. Wenn wir sowieso wollen,
dass dieses Ziel in enger Kooperation verfolgt wird,
dann wäre es doch viel besser, vorher entsprechende Planungen im Kanzleramt unter Beteiligung der vier Ministerien zu erarbeiten, diese als Vorlage einzubringen und
dann hier über die Gesamtsituation, und nicht nur über
den Bundeswehreinsatz, zu diskutieren.
So könnte sich auch der Haushaltsausschuss intensiver damit beschäftigen. Vom Verteidigungsministerium
gibt es derzeit allwöchentlich eine Unterrichtung des
Parlaments über die Auslandseinsätze der Bundeswehr
- ein jeder kennt diese wöchentlichen Berichte -,
({6})
in der die Lage der Bundeswehr und die Situation im
Einsatzland dargestellt werden. Wenn man sich das einmal genau überlegt, wäre es doch viel besser, wir bekämen einen Bericht,
({7})
der zusammengefasst die koordinierten Anstrengungen
aller Ministerien in den jeweiligen Einsatzländern darlegt.
({8})
Das wäre ein Konzept für die Zukunft, das uns alle viel
weiter bringen würde.
Lassen Sie mich einmal darstellen, welche Umstrukturierungen bei der Bundeswehr seit 1998 vorgenommen wurden, inwieweit sie sich - das nennt man Transformation - für die Auslandseinsätze neu aufgestellt hat:
Die Anzahl der Schützenpanzer „Marder“ ist von
2 097 auf 536 heruntergefahren worden. Sie dürfen mir
glauben, dass einem alten Panzergrenadier wie mir es
nicht ganz leicht fällt, das zu akzeptieren, aber von der
Sache her ist es vernünftig. Die Anzahl der Kampfpanzer „Leopard“ haben wir im selben Zeitraum von
2 123 auf 410 heruntergefahren. Man muss sich einfach
einmal klar machen, welche Umstrukturierungen hinsichtlich finanzieller Ausstattung, Ressourcen, Ausbildungsformen und Personalplanung innerhalb der Bundeswehr stattgefunden haben. Ich glaube, dass das eine
der großen Errungenschaften der letzten Jahre ist.
({9})
Wenn es sich aber nun so verhält, dass das Verteidigungsressort nicht das einzige Ressort ist, das mit der
Bundeswehr für das Gelingen eines solchen Auslandseinsatzes einen wesentlichen Beitrag leistet, dann muss
man hier auch legitimerweise darüber diskutieren, warum in anderen Ressorts keine entsprechenden Umstrukturierungen in diesem Ausmaß stattfinden. Damit will
ich keineswegs geschätzte Parteifreunde oder Koalitionspartner kritisieren; Sie alle kennen mich und wissen, dass mir das nicht zusteht.
({10})
Ich halte es aber für wichtig, dass wir uns im Parlament
und in den Arbeitsgruppen der Fraktionen darüber unterhalten, ob es ausreicht, wenn etwa das Bundesinnenministerium für den Aufbau der Polizei im Einsatzgebiet
- das soll ja ein Schwerpunkt deutscher Politik sein nur einen zweistelligen Millionenbetrag zur Verfügung
stellt, von dem 41 Polizisten bezahlt werden können,
während die Amerikaner deutlich mehr Geld - vielleicht
600, 700 oder 800 Millionen ({11})
zur Verfügung stellen, um uns zu unterstützen, weil wir
in diesem Bereich keine ernsthaft überzeugenden Erfolge vorweisen können. Um in Afghanistan Erfolg zu
haben, reicht es eben nicht aus, dass allein die Bundeswehr dort gute Arbeit macht. Es ist genauso wichtig,
dass der Aufbau der Polizei dort vorankommt. Wir werden nämlich die Bundeswehr dort erst dann wieder abziehen können, wenn dort eine starke Zentralregierung
auf eine funktionierende Polizei zurückgreifen kann.
Werfen wir einmal einen Blick auf den Bereich des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Auch hier finden wir Etatansätze für die eine oder andere Maßnahme in Afghanistan. Das finde ich auch richtig und gut. Aber die Frage
ist, ob die Anstrengungen der Verteidiger bei der Transformation, der Umstellung der Schwerpunktsetzung auf
die Einsätze, im gleichen Ausmaß in der Entwicklungshilfe wiederzufinden sind, ob die Mittel schwerpunktmäßig genau da eingesetzt werden, wo wir uns als Bundesrepublik Deutschland engagieren. Denn wenn wir
militärisch für Ruhe sorgen - ({12})
- Herr Kollege Stinner, ich würde das jetzt gerne ausführen. Sie sind ja noch dran.
Herr Kollege Kahrs, ob Zwischenfragen gestellt werden dürfen, fragt die Präsidentin. - Lassen Sie diese
Zwischenfrage zu?
Selbstverständlich, da das meine Redezeit verlängert.
Kollege Kahrs, da Sie heute die längste Redezeit in
Ihrer Fraktion haben, gehe ich davon aus, dass Sie
durchaus die Position Ihrer Fraktion darstellen. Deshalb
wundere ich mich, dass Sie alles in Frageform kleiden.
Kann ich davon ausgehen, dass sich das, was Sie hier
richtigerweise bemerken - ich bin erstaunt, wie ich Ihnen zustimmen kann -, auch im Haushalt wiederfindet,
nämlich in Form einer Erhöhung der Mittel für den Polizeieinsatz und für die wirtschaftliche Zusammenarbeit?
Wir haben ja eine Haushaltsdebatte. Ich gehe davon aus,
dass Sie hier eine abgestimmte Rede halten und dass sich
das, was Sie zu Recht fordern, auch im Haushalt wiederfindet.
Herr Kollege, Sie wissen, dass wir im Parlament zum
einen das darstellen, was wir im Haushalt niedergelegt
haben. Das habe ich am Anfang meiner beachtenswerten
Rede getan;
({0})
ich habe Ausführungen zu Umschichtungen insbesondere im Bereich der militärischen Unterkünfte, Treibstoffen und anderen Dingen gemacht. Sie wissen aber
auch, dass zum anderen Politik von Zielen lebt, die man
anstrebt. Wir diskutieren zum Beispiel zurzeit unter den
Haushaltspolitikern der Koalition, insbesondere unter
denen der vier Ressorts, ob man verstärkt die Haushalte
entsprechend ausrichtet.
Die Kollegin Jaffke hat dankenswerterweise Ausführungen zu einem Bereich, in dem wir selber tätig sein
können, gemacht: Wir haben die Mittel, die in der Vergangenheit für das Einsammeln von Waffen und Munition weltweit bereitgestellt wurden, nun anders eingestellt, nämlich für das Einsammeln von Waffen und
Munition in den Einsatzgebieten deutscher Soldaten.
Das heißt, wir haben Umschichtungen in diesem kleinen
Bereich vorgenommen.
Ansonsten kleiden wir unsere Anliegen als Abgeordnete natürlich in eine Forderung, die wir an unsere Exekutive richten. Ich finde, dass wir, die wir die Kameraden gewählt haben, von diesen verlangen können, dass
sie dann, wenn wir zu anderen Erkenntnissen kommen,
diese umsetzen. Dafür bezahlen wir sie ja.
Wir stellen hier also zum einen dar, was wir getan haben, und zum anderen das, was wir erreichen wollen.
Politik ist nicht immer nur die Darstellung des Erreichten, auch nicht in einer Haushaltsdebatte, sondern soll
auch aufzeigen, wo man hinwill. Das muss ja nicht
gleich eine Vision sein, aber zumindest eine grobe Idee,
was die Politik in dieser Legislaturperiode erreichen
will.
Es freut mich aber uneingeschränkt, dass die FDP
dem schon jetzt zustimmen kann. Deswegen danke ich
Ihnen ganz herzlich für Ihre Zwischenfrage.
({1})
Ich komme dann wieder zum Thema. Wir werden natürlich die noch zu behandelnden Punkte, zum Beispiel
im Bereich Entwicklungshilfe, im Haushaltsausschuss
diskutieren. Ich glaube, dass das wichtig ist. Das soll
keinen Gegensatz dokumentieren, sondern deutlich machen, dass wir hier ein Miteinander erreichen müssen.
Die Haushälter für Verteidigung müssen mit den Haushältern für Entwicklungshilfe von innen, aber auch von
außen enger zusammenarbeiten, als wir das in der Vergangenheit getan haben. Das Gleiche tun die Ministerien
inzwischen auf Staatssekretärsebene. Die PRTs stehen ja
erst am Ende einer Veranstaltung. Der Anfang muss in
Deutschland stattfinden, dann, wenn man ein Konzept
hat. Das würde ich für wichtig und zielführend halten.
Ich glaube, dass wir alle gut daran täten, das in den
nächsten Wochen und Monaten gemeinsam anzugehen;
denn der Einsatz der Bundeswehr ist letztendlich nur
zielführend, wenn er von allen betroffenen Ministerien
unterstützt wird. Dann ist es kein Einsatz allein der Bundeswehr. Dann ist es nicht nur das Ministerium für zivile
Zusammenarbeit oder für Entwicklungshilfe, das vor Ort
tätig ist.
Wenn Sie einem afghanischen Bauern den Mohnanbau verbieten und die Felder, von wem auch immer,
abgebrannt werden, sodass er seinen Lebensunterhalt
nicht mehr bestreiten kann, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder Sie helfen dem Bauern über die GTZ
mit Entwicklungshilfe und geben ihm eine Möglichkeit,
seine Familie zu ernähren, oder er lässt seine Missbilligung über diesen Vorgang und Ihr Verhalten spürbar
werden, indem er nach einer Waffe greift. Letzteres ist
nicht in unserem Sinne, weil es keine Lösung dieses
Konfliktes ist.
Das heißt, das Zusammenwirken der genannten Bereiche kann uns eher zu einem Ergebnis führen als eine
reine Fixierung auf das Militärische. Dafür plädiere ich.
Ich würde mich freuen, wenn Sie mich in diesem Punkt
unterstützten. Ich wünsche uns allen viel Erfolg dabei.
Glück auf!
({2})
Das Wort hat der Kollege Alexander Bonde, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Debatte über den Haushalt nach einem Jahr großer
Koalition markiert einen Zeitpunkt, zu dem man eine Bilanz der verschiedenen Ministerien ziehen muss. Die Bilanz des Verteidigungsministers übertrifft, was Pleiten,
Pech und Pannen angeht, die insgesamt schlechte Bilanz
der großen Koalition bei weitem. Von einem Minister,
der immer mit einem Fuß in dem nächstgelegenen Fettnapf steht und Interviews gibt, an deren Richtigstellung
das halbe Ministerium beteiligt ist, kann man natürlich
schwerlich erwarten, dass er einen vernünftigen Einzelplan vorlegt und gleichzeitig die Struktur seiner Truppe
verbessert.
Der Einzelplan, den wir heute beraten, zeigt deutlich:
Was der Kollege Kahrs gerade als Erfolg der Transformation geschildert hat, wurde nicht im zurückliegenden
Jahr auf den Weg gebracht. Dieser Prozess ist eher trotz
des Ministers als wegen des Ministers in Gang gehalten
worden.
Wenn wir uns die Modernisierungsprojekte der
Bundeswehr im Bereich der Kooperation mit der Wirtschaft anschauen, dann muss man sagen, dass inzwischen Sendepause herrscht. Wir hoffen, dass der Minister nicht auch noch das Projekt Herkules erfolgreich
verhindert, wie dies bei den vorhergehenden Projekten
in diesem Bereich der Fall war. Wenn man sich die Frage
stellt, wie mit dem Haushalt umgegangen wird, dann
stößt man auf viele Fehlinvestitionen und auch auf den
einen oder anderen Versuch offensichtlicher Trickserei.
({0})
Wir haben in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses erfahren müssen, wie die Koalition an den
Grundsätzen der Haushaltswahrheit und -klarheit vorbei zusätzliche Mittel für diesen Einzelplan mobilisiert.
Dies geschah im Rahmen einer Operation, die haushaltstechnisch kompliziert ist, die die Öffentlichkeit aber einmal erfahren muss. Es gibt bei Materialverkäufen der
Bundeswehr sichere Einnahmen in Höhe von mindestens
40 Millionen Euro. Der Ansatz für diese Position wurde
auf Null gesetzt. So haben Sie die Möglichkeit geschaffen, dass unerwartete Einnahmen - dazu gehören die
Einnahmen aus den Materialverkäufen in Höhe von
40 Millionen Euro - der Bundeswehr zugute kommen.
Eine ähnliche Operation haben Sie an anderer Stelle
durchgeführt. Auf diese Weise haben Sie den Bundeswehretat um 100 Millionen Euro aufgestockt, ohne dass
dies der Öffentlichkeit im Haushaltsplan ersichtlich
wird.
Herr Minister, ich weiß, dass Sie eine Vorgeschichte
in diesen Dingen haben; siehe Hessen. Das sollte Sie
aber nicht dazu verleiten, hinsichtlich des Verteidigungsetats die Rechte des Parlaments und die Grundsätze der Haushaltswahrheit und -klarheit, auf deren Einhaltung die Öffentlichkeit einen Anspruch hat, zu
verletzen.
({1})
Mit diesem Einzelplan werden wichtige Strukturfragen hinsichtlich der Bundeswehr nicht berücksichtigt.
Sie legen uns in den nächsten Wochen - noch vor Weihnachten - eine milliardenschwere Weihnachtswunschliste Ihres Hauses vor. Man kann den Eindruck
gewinnen, dass es weniger darum geht, die Struktur der
Bundeswehr zu verbessern, als darum, noch vorhandenes Geld in Rüstungsaufträge zu stecken. Seien diese
Aufträge in ihrer sicherheitspolitischen Wirkung auch
noch so fragwürdig: Solange Sie sich industriepolitisch
etwas davon versprechen, wird investiert.
Beim Zweitflugkörper IRIS-T für die Luftverteidigung handelt es sich zum Beispiel um einen nationalen
Alleingang innerhalb eines internationalen Systems. Die
Partnernationen greifen sich an den Kopf und fragen
sich, weshalb Deutschland einen dreistelligen Millionenbetrag für ein veraltetes Konzept ausgibt und dadurch
ein internationales Projekt komplizierter macht. Sie gehen nationale Sonderwege, während hier immer das Hohelied der internationalen Kooperation und der Interoperabilität gesungen wird. Das passt vorne und hinten nicht
zusammen.
({2})
Die gleiche Situation erleben wir überall dort, wo die
geplanten Beschaffungen heute darüber entscheiden, wie
morgen die Betriebskosten aussehen. Die Koalition hat
dargestellt, wie dramatisch die Betriebskosten bei der
Bundeswehr ansteigen und wie wichtig es ist, sie in den
Griff zu bekommen. Aber gleichzeitig stoßen wir bei jeder neuen Investition darauf, dass neue Strukturen geschaffen werden, die unnötige Betriebskosten nach sich
ziehen.
Ich will auch dafür ein Beispiel nennen. Sie wollen
die Fregatte F 125 beschaffen. Bei der Bewaffnung setzen Sie auf Landgerät, auf Elemente der
Panzerhaubitze 2000 und des Raketenwerfers MLRS,
die mit Kalibern operieren, die in der Schifffahrt unüblich sind. Das heißt, im Ergebnis schaffen Sie eine Fregatte, die zwar im internationalen Verbund operieren
soll, der aber wegen der Munition immer ein deutscher
Versorger hinterhergeschickt werden muss, weil die international standardisierte Munition auf dem Schiff nicht
benutzt werden kann. Wir wissen, wer diese Gerätschaft
herstellt. Sie betreiben Politik für die deutsche Industrie.
Sie rüsten die Bundeswehr systematisch nach nationalen
Industrieinteressen aus und nicht aufgrund der Bedingungen, die in internationalen Stabilisierungseinsätzen
bestehen. Jammern Sie hinterher nicht über die Betriebskosten! Diese Betriebskosten haben einen Namen, nämlich Ihren, Herr Minister.
({3})
Die Liste der Milliardengräber, die in diesem Haushalt zu finden sind, lässt sich fortsetzen. Sie haben nicht
die Kraft, an die Überarbeitung der Beschaffungen zu
gehen. Sie führen im Hinblick auf die Struktur der
Truppe nur das aus, was Ihr Vorgänger beschlossen hat.
Selbst da regiert eher die Bremse als das mutige Voranschreiten. Ich halte das für eine richtige Belastung der
Bundeswehr. Denken Sie in diesem Zusammenhang an
die beschriebenen Herausforderungen, denen wir uns
alle stellen. Im Rahmen der Entscheidungen über Einsätze sorgen wir alle sehr verantwortlich dafür, dass die
Bundeswehr die Aufgaben, die wir ihr übertragen, auch
tatsächlich leisten kann. Ihr Vorgehen schadet. Sie verfolgen eine Politik, die mutlos keine Strukturfragen stellt
und die Steuergelder nach Interessen anlegt, die nicht jenen der Soldatinnen und Soldaten sowie der Bürgerinnen
und Bürger entsprechen. Hier werden vielmehr sachfremde Interessen eingeführt.
Insofern ist dieser Haushalt kein Beitrag zu einer konsequenten Sicherheitspolitik. Er verfestigt vielmehr die
Strukturen, die das eigentliche Problem sind. Deshalb
können Sie, Herr Minister, nicht mit unserer Unterstützung rechnen. Ich hoffe, dass Sie irgendwann einmal so
weit sind, diese Probleme tatsächlich zu erkennen. Sie
haben sich im letzten Jahr ja nicht gerade als Star dieser
Regierung profiliert. Die Rolle des Reformers in dieser
Koalition ist immer noch offen. Vielleicht werden Sie
doch noch ein Heeresreformer. Genug zu tun gäbe es.
({4})
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung,
Dr. Franz Josef Jung.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mit diesem Haushalt, den wir im Rahmen dieser
Debatte verabschieden wollen, und dem Finanzplan ist
eine tragfähige und gute Grundlage geschaffen worden,
den Anpassungs- und Modernisierungsprozess der Bundeswehr voranzutreiben.
Frau Kollegin Hoff, lassen Sie mich gleich zu Anfang
sagen: Wir tragen die Verantwortung dafür, dass wir unseren Soldatinnen und Soldaten, die sich in riskanten
Auslandseinsätzen befinden, eine optimale Ausbildung
gewähren und eine optimale Ausrüstung mitgeben. Das
ist der Sachverhalt; das machen wir auch so. Die Situation, die Sie geschildert haben, entspricht nicht der Realität. Unsere Soldaten haben im Einsatz die Ausrüstung,
die sie im Hinblick auf einen optimalen Schutz brauchen.
({0})
Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, den Mitgliedern des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages herzlich zu danken, allen voran den Berichterstattern der Regierungskoalition, dem Kollegen Kahrs,
Frau Kollegin Jaffke und dem Kollegen Kalb, die den
Haushalt unterstützen. Die Beratungen sind kompetent
durchgeführt worden. Zudem will ich den Kollegen
Koppelin und die Frau Kollegin Lötzsch erwähnen. Herr
Kollege Bonde, im Gegensatz zu Ihrem Beitrag hier war
Ihr Vorgehen im Ausschuss von anderer Qualität.
Ich will in diesem Zusammenhang einen zweiten
Punkt ansprechen. Es ist besonders wichtig, dass wir mit
diesem Haushalt die Chance haben, einige Akzente im
Hinblick auf die soziale Entwicklung in der Struktur der
Bundeswehr zu setzen; denn ich glaube schon, dass wir
von unseren Soldatinnen und Soldaten viel verlangen.
Die Bundeskanzlerin hat heute Morgen angesprochen,
welche Auswirkungen die Einsparungen in Höhe von
1 Milliarde Euro im öffentlichen Dienst beispielsweise
auch auf die Soldaten haben. Angesichts dieser Einsparungen finde ich es gut, dass wir in diesem Haushalt die
Möglichkeit haben, Planstellenverbesserungen durchzuführen, beispielsweise rund 3 400 zusätzliche Beförderungsmöglichkeiten für Unteroffiziere und 750 für Mannschaften.
Ich finde es auch gut, dass das Bundeskabinett entschieden hat, eine Einmalzahlung für die Jahre 2005,
2006 und 2007 in Höhe von 300 Euro zu gewährleisten,
sodass für die soziale Perspektive der Soldatinnen und
Soldaten ein positiver Akzent gesetzt wird. Ich erachte
es als notwendig und wichtig, den Soldatinnen und Soldaten Möglichkeiten der Beförderung und der sozialen
Absicherung zu eröffnen. Schließlich erwarten wir große
Leistungen von ihnen.
({1})
Lassen Sie mich einen weiteren Aspekt ansprechen.
Ich denke, die Struktur und die Tendenz des Verteidigungshaushalts stimmen. Im Gegensatz zu dem, was hier
gerade vom Kollegen Bonde vorgetragen wurde, reduzieren wir die Betriebskosten in erheblichem Umfang,
während wir gleichzeitig die Ausgaben für Investitionen
steigern. Die entsprechenden Zahlen haben wir mit dem
Haushalt vorgelegt. Ich sage hier in aller Ruhe und Gelassenheit: Die Anstrengungen, die jetzt unternommen
werden, um die Zahl der zivilen Bediensteten von rund
110 000 auf 75 000 im Jahr 2010 zu reduzieren, sind
enorm. Diesen großen Beitrag, den die Bundeswehr leistet, sollte man entsprechend würdigen. Aufgrund der
Tatsache, dass die Betriebskosten gesenkt werden, werden Steigerungen im Bereich der Investitionen möglich.
({2})
Das Haushaltsvolumen steigt zum ersten Mal seit Jahren um rund 500 Millionen Euro, sodass wir in der Lage
sind, auf die neuen Herausforderungen finanziell zu reagieren. Die Herausforderungen der Bundeswehr sind
enorm. Bevor wir die Regierungsverantwortung übernommen haben, hätte niemand in diesem Haus gedacht,
dass wir innerhalb dieses Jahres einen europäischen Einsatz im Kongo und einen UN-Einsatz im Libanon bewerkstelligen müssen. Diese Einsätze waren in den
Haushaltsberatungen nicht vorgesehen. Deshalb, Herr
Kollege Bonde, hat der Haushalt nichts mit Trickserei zu
tun. Ich bin dem Finanzminister und den Mitgliedern des
Haushaltsausschusses sehr dankbar, dass sie eine Lösung
gefunden haben, um die Einsätze, die nicht eingeplant
waren, finanziell abzusichern, ohne die Substanz des
Einzelplans 14 zu belasten. Das ist wichtig und richtig;
denn wenn unvorhergesehene Zusatzkosten entstehen,
muss deren Finanzierung sichergestellt werden.
({3})
Die finanziellen Rahmenbedingungen für die Bundeswehr werden in Zukunft eng bleiben. Ich glaube aber,
dass wir mit diesem Haushalt den richtigen Weg beschritten haben. Ich will es noch einmal unterstreichen:
Wir passen die Ausrüstung und Ausstattung den Einsatzerfordernissen an. Die Zuspitzung der Situation in
Afghanistan war natürlich eine besondere Herausforderung. Wir können jetzt nur noch in geschützten Fahrzeugen fahren. Inzwischen gibt es Fahrzeuge in ausreichender Zahl vor Ort, sodass die Sicherheit der Soldatinnen
und Soldaten gewährleistet ist. Es ist wichtig, dass wir
die Voraussetzungen dafür schaffen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten eine optimale Ausrüstung besitzen,
um ihren Auftrag in gefährlichen Situationen zu erfüllen.
Wenn man Bilanz zieht, kann man in aller Gelassenheit feststellen: Der Einsatz im Kongo ist mit einer zeitlich klaren Perspektive - dankenswerterweise hat der
Kollege Kahrs das unterstrichen; auch ich weiß, was vor
diesem Einsatz alles gesagt worden ist - verantwortungsvoll und optimal durchgeführt worden. Wir haben
in der Zeit vom 20. bis 22. August einen Bürgerkrieg im
Kongo verhindert und ich hoffe und wünsche, dass die
Lage so stabil bleibt, dass wir am 30. November fristgerecht unseren Auftrag als abgeschlossen ansehen können.
({4})
Der Einsatz im Kongo war für uns nicht ganz einfach,
weil es die erste Operation war, die die Europäische
Union in dieser Art und Weise in Afrika umgesetzt hat.
Es gab auch bezüglich des Libanonmandats Diskussionen mit den Vereinten Nationen, bis die Rules of Engagement so klar waren, wie wir sie gebraucht haben.
Wir haben jetzt ein klares, effektives Mandat, dem der
Deutsche Bundestag zugestimmt hat. Dieses effektive
Mandat wird in guter Kooperation mit der libanesischen
Marine umgesetzt: Es wird Seesicherheit hergestellt,
Waffenschmuggel unterbunden und es werden somit die
Voraussetzungen für die Umsetzung der UN-Resolution
geschaffen. Ich finde, auch diese Mission, die die Bundeswehr dort leistet, ist eine erfolgreiche Mission.
({5})
Natürlich kann man, wenn wir über Bosnien-Herzegowina diskutieren, nicht von Überforderung sprechen;
das hat auch niemand getan. Die Wahrheit ist, dass wir
gesagt hatten, dass wir vor den Wahlen keine falschen
Akzente setzen wollen. Die Wahlen sind am 1. Oktober
durchgeführt worden. Wir haben dort eine stabile, eine
friedliche Entwicklung, die uns jetzt - zu Recht, wie ich
finde - in die Lage versetzt, einen Stufenplan im Hinblick auf eine Exit-Strategie zu diskutieren und möglichst noch im Dezember zu verabschieden. Wenn wir einen Auftrag wahrnehmen, dann müssen wir ihn auch
entsprechend erfüllen und eine Planung für den Übergang in zivile Sicherheitsstrukturen entwickeln, den wir
stufenweise vollziehen. Nur so können wir einen Auftrag erfolgreich beenden. Deshalb ist es richtig, wenn
wir diese erste Stufe jetzt im Hinblick auf Bosnien-Herzegowina in Angriff nehmen.
({6})
Dasselbe gilt für den Kosovo. Ich hoffe und wünsche,
dass sich die Lage dort so stabilisiert - auch nach den
Statusverhandlungen -, dass der Prozess mit einer europäischen Perspektive friedlich und stabil fortgesetzt werden kann.
Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zum
Thema Afghanistan machen. Heute ist von der Bundeskanzlerin bereits zu Recht auf die Gesamtsituation in Afghanistan hingewiesen worden. Ich will es noch einmal
unterstreichen: Ich bin der felsenfesten Überzeugung,
dass wir die NATO-geführte Operation in Afghanistan
nur erfolgreich fortführen und zu Ende führen können,
wenn wir eine Strategie der zivil-militärischen Zusammenarbeit für Gesamtafghanistan umsetzen, womit wir
im Norden begonnen haben und damit auch erfolgreich
sind. Wir haben dort bereits mehr als 520 Projekte in
Angriff genommen: von der Wasserversorgung über
Schulen und Krankenhäuser bis hin zur Infrastruktur. Ich
glaube, wir werden die Probleme in Afghanistan nicht
lösen, indem wir immer nur nach mehr Militär rufen.
Wir werden die Operation in Afghanistan nur dann zu einem Erfolg führen, wenn wir die Herzen der Menschen
gewinnen und den Wiederaufbau in einem sicheren Umfeld vorantreiben. Das muss aus meiner Sicht das Konzept für den NATO-Gipfel in Riga sein; darüber müssen
wir diskutieren.
({7})
Ich will in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass wir der zweitstärkste Truppensteller in
NATO-geführten Operationen sind. Deutschland leistet
seinen Beitrag im Hinblick auf internationale Friedensmissionen. Ich war schon etwas betroffen, als ich die
eine oder andere Behauptung gehört und gelesen habe,
dass sich unsere Soldatinnen und Soldaten mehr mit anderen Dingen beschäftigen würden als damit, Sicherheit
herzustellen; ich will das vor diesem Hohen Haus nicht
wiederholen. Man muss auch einmal sehen, dass im
Rahmen dieser Auslandseinsätze bereits 64 Soldatinnen
und Soldaten ihr Leben verloren haben. Es ist nicht so,
als wären die Soldaten der Bundesrepublik Deutschland
nicht auch in riskanten Situationen engagiert. Deshalb
halte ich es für völlig falsch, wenn hier der eine oder andere versucht, den Finger zu erheben und eine falsche
Diskussion zu führen. Unsere Soldatinnen und Soldaten
leisten ihren Einsatz verantwortlich, leistungsfähig und
gut; im Rahmen dieser Einsätze - das habe ich immer
wieder festgestellt - mehren sie das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb bin ich dankbar für
das Engagement, das unsere Soldaten dort leisten.
({8})
Zu dieser Erfolgsbilanz gehört natürlich auch, dass es
dieser großen Koalition nach zwölf Jahren gelungen ist,
dass ein Weißbuch zur Standortbestimmung, zur Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland und zur Zukunftsperspektive der Bundeswehr im Bundeskabinett
verabschiedet wurde. Überall, wo ich hinkomme, werde
ich - auch und gerade von unseren europäischen und unseren NATO-Partnern - für dieses Weißbuch gelobt. Ich
finde, wir haben ein Konzept auf den Tisch gelegt und
im Bundeskabinett verabschiedet, das sich sehen lassen
kann. Das lasse ich mir von dem einen oder anderen aus
der Opposition nicht zerreden. Das ist ein gutes Werk,
das zur Erfolgsbilanz dieser Bundesregierung gehört.
({9})
Ich will darauf hinweisen, dass wir mit dem Einsatz
der Bundeswehr natürlich auch den Schutz Deutschlands gewährleisten. Das geht in den Debatten über
Auslandseinsätze oft unter. Die Bundeswehr hat in diesem Jahr zahlreiche Beiträge zum Schutz Deutschlands
geleistet: Vom Einsatz bei der Schneekatastrophe in
Bayern über den Einsatz bei der Vogelgrippe auf Rügen
und den Hochwasserschutz an der Elbe bis hin zu den
einzelnen Maßnahmen zur Sicherstellung der Fußballweltmeisterschaft; bei jedem Spiel waren 2 000 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz und 5 000 in Reserve.
({10})
Das ist ein wichtiger Punkt, den man in einer solchen
Debatte nicht vergessen darf.
({11})
Ich denke, dass wir den Prozess der Transformation
der Bundeswehr auf Grundlage dieses Haushaltes fortsetzen können. Wir richten alles darauf aus, diesen Prozess zu einem positiven Ergebnis zu führen.
Wir verlangen von unseren Soldaten und zivilen Mitarbeitern viel. Sie leisten, wie ich finde, Hervorragendes.
Deshalb haben sie unseren Dank und unseren Rückhalt
verdient. Der Einsatz lohnt sich; denn es geht um nicht
weniger als um die Sicherheit Deutschlands. Es geht um
einen friedensstiftenden Auftrag, den unsere Soldatinnen
und Soldaten im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, im Interesse von Frieden und Freiheit
erfüllen. Deshalb bin ich für die Unterstützung dieser
Politik dankbar. Wir werden sie konsequent fortsetzen.
Besten Dank.
({12})
Das Wort für die FDP-Fraktion hat Birgit Homburger.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, ich möchte zunächst einmal einige Bemerkungen zu dem machen, was Sie zur Ausstattung
der Bundeswehr gesagt haben. Sie haben großen Wert
darauf gelegt zu betonen, dass Sie alles tun, um die Bundeswehr, um die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz,
gut und richtig auszustatten. Sie haben meine Kollegin
Hoff angesprochen, die zuvor ein Zitat gebracht hat, in
dem das Wort „unmoralisch“ vorkam. Ich kann Ihnen
nur dringend empfehlen, in Ihrer eigenen Fraktion über
dieses Zitat zu sprechen. Dieses Wort wurde nicht von
der Kollegin Hoff in den Raum gestellt. Sie hat vielmehr
einen Abgeordneten aus Ihrer Fraktion zitiert, Herr Minister.
({0})
Wir sprechen hier über ein Jahr Koalition aus CDU/
CSU und SPD. Die Verteidigungspolitik war in diesem
Jahr von zusätzlichen Auslandseinsätzen geprägt. Das
ist natürlich haushaltsrelevant, und zwar vor allem deshalb, weil Sie in diesem Jahr keine zusätzlichen Mittel
erhalten haben, sondern vieles aus dem bestehenden
Einzelplan 14 heraus erwirtschaftet werden musste. So
viel zum Thema Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit. Das ist - der Kollege Bonde hat das schon angesprochen - eine Art und Weise, die nicht länger akzeptiert werden darf. Deswegen hat die FDP entsprechende
Anträge gestellt.
({1})
Bei den Auslandseinsätzen mussten wir feststellen,
dass die lange gültige „Kultur der Zurückhaltung“ für
die Bundesregierung keine große Bedeutung mehr hat.
Vielfach handelte es sich eher um eine Militärangebotspolitik.
({2})
Ich denke zum Beispiel an den Einsatz im Kongo oder
an die frühe Festlegung auf den Einsatz im Nahen Osten.
Dazu kann ich nur sagen: Das kann kein Ersatz für politische Initiativen sein. Ich sage sehr deutlich: Wer Soldatinnen und Soldaten in einen Einsatz schickt, der hat
auch und vor allen Dingen die Verantwortung, politische
Initiativen zur Stabilisierung der Region zu ergreifen.
Das habe ich bei der Bundesregierung ziemlich durchgängig vermisst.
({3})
Ein Beispiel - Sie, Herr Minister, haben es angesprochen - ist das Thema Kongo. Nach der Mandatserteilung hat es hier keine große Rolle mehr gespielt. Ich
muss sagen, dass ich über Ihre Intonierung gerade höchst
erstaunt war. Sie haben hier gesagt, sie hoffen, dass man
den Einsatz am 30. November dieses Jahres abschließen
kann. Bisher haben Sie nach draußen immer deutlich gesagt, dass der Einsatz dann abgeschlossen sein wird. Offensichtlich merken Sie - auch aufgrund der Ausschreitungen, die es gestern in der Demokratischen Republik
Kongo gegeben hat -, dass man die Situation dort mitnichten abschließend beurteilen kann, dass die kritische
Situation erst noch kommt, und zwar dann, wenn das
endgültige Wahlergebnis bekannt gegeben wird.
Ich sage sehr deutlich: Es ist nicht gut, dass wir nach
wie vor kein Konzept für eine politische Stabilisierung
der Demokratischen Republik Kongo nach den Wahlen
haben. Es ist ein Versäumnis aller EUFOR-Staaten, aber
auch ein Versäumnis der Bundesregierung, hier nicht die
Initiative ergriffen zu haben. Das ist uns zu wenig. Ich
denke, dass die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz,
aber auch das Parlament und die Steuerzahler dieser Republik Anspruch darauf haben, dass solche Einsätze sauber vorbereitet und vor allen Dingen so durchgeführt
werden, dass sie den erwünschten Effekt erzielen.
({4})
Herr Minister, es war ein Jahr der Mauschelei, der
Geheimniskrämerei und der durchgestochenen Dokumente, beispielsweise im Zusammenhang mit dem
Weißbuch. Ich möchte sehr deutlich sagen, dass das, was
Sie in Bezug auf die Einstufung von Dokumenten
machen, nicht in Ordnung ist. Beispielsweise mit dem
Protokoll zwischen der UNO und dem Libanon, den so
genannten „Minutes“. Es ist in Deutschland unter
VS-Vertraulich eingestuft. Abgeordnete des Deutschen
Bundestages müssen in eine Geheimschutzstelle gehen,
um es einzusehen, während es in Pressekreisen frei kursiert und im Übrigen von der UNO nicht so eingestuft
ist, Herr Minister.
({5})
Das ist eine Geheimniskrämerei, die der Sache nicht gerecht wird.
Auch den Einsatz im Rahmen des ISAF-Mandates außerhalb des Kerngebiets haben Sie erst zugegeben, als es
eine öffentliche Diskussion darüber gab. Dasselbe passierte im Zusammenhang mit den KSK-Einsätzen. Sie
tun sich keinen Gefallen damit und erweisen mit diesem
Verhalten der Geheimniskrämerei der Bundeswehr einen
Bärendienst. Etwas mehr Transparenz und Information,
Herr Minister, würde manche Diskussion entschärfen
und der Situation im Parlament gut tun.
({6})
Ich möchte als Letztes das Thema aufgreifen, das
auch Sie erwähnt haben und das sich seit heute Morgen
neun Uhr durch alle Debatten zieht. Die Bundeskanzlerin, Ihr Kollege Außenminister und auch die
Fraktionsvorsitzenden haben sich zum Thema Afghanistan und die immer wieder an Deutschland herangetragenen Forderungen geäußert, dass wir stärker in den Süden
Afghanistans gehen müssten. Ich bin Ihnen dankbar,
dass Sie hier sehr deutlich gemacht haben, dass das nicht
infrage kommt. Ich bin Ihnen auch dankbar, dass Sie hier
sehr deutlich dargestellt haben, welche Leistungen
Deutschland bringt.
Die ganze Debatte des heutigen Tages ist Ausdruck
einer weiteren verpassten Chance, in die Offensive zu
gehen. Ich erwarte, dass unseren Partnern in der NATO
vor dem NATO-Gipfel deutlich gesagt wird, dass auch
andere Fehler gemacht haben und dass wir über diese
Fehler sprechen müssen. Wenn wir nicht zu einem gemeinsamen Konzept kommen, dann droht der ganze Einsatz zu scheitern. Deshalb sage ich sehr deutlich, dass es
notwendig ist, offen hierüber zu sprechen. Der Deutsche
Bundestag hat sowohl das Mandat der ISAF als auch das
der Operation „Enduring Freedom“ um ein Jahr verlängert.
Frau Homburger, Sie müssen bitte zum Ende Ihrer
Rede kommen.
Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin.
Herr Minister, in diesem Jahr müssen Fortschritte erreicht werden, sonst wird es schwer, Argumente zu finden, warum man dort weiter bleiben soll. Wir erwarten
Initiativen und klare Worte. Unser Angebot lautet, dass
wir Sie gerne dabei unterstützen. Wir wünschen Ihnen
für den NATO-Gipfel viel Erfolg, damit den verpassten
Chancen, die es in diesem Jahr gab, nicht noch eine weitere verpasste Chance mit Blick auf Afghanistan hinzugefügt wird.
({0})
Ursula Mogg spricht für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Redner haben allseits darauf hingewiesen,
dass die Mitglieder des Verteidigungsausschusses, die
Verteidigungspolitiker ein sehr arbeitsreiches Jahr hinter
sich haben. Es sieht auch nicht so aus, als würden wir im
nächsten Jahr weniger Arbeit bekommen, sondern eher
mehr. An dieser Stelle möchte ich Ihren Vorwurf, Frau
Homburger, wir würden vonseiten der Bundesregierung
eine Angebotspolitik hinsichtlich des Einsatzes der Bundeswehr machen, ausdrücklich zurückweisen. Sie wissen
genau, dass es Ende des letzten Jahres eine Anfrage aus
New York in Richtung Brüssel gegeben hat, und Sie kennen die Situation, in der wir waren, als wir über den
Libanoneinsatz diskutiert und entschieden haben. Von
Angebotspolitik kann in diesem Zusammenhang mit Sicherheit keine Rede sein.
({0})
Im Mittelpunkt meiner Ausführungen steht das
Thema Afghanistan. Die Situation in Afghanistan ist in
aller Munde. Wir alle - viele Kolleginnen und Kollegen,
aber auch ich selbst - stehen noch unter dem Eindruck
der Debatten, die wir auf der NATO-Parlamentarierversammlung in Québec erlebt haben. Die Diskussionen
wurden vonseiten der Bündnispartner zum Teil sehr
emotional geführt. Das ist auch nachvollziehbar; das
möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen. Aber
bei diesen Diskussionen darf es nicht um Stimmungen
und Emotionen gehen. Im Vordergrund muss eine ehrliche und klare Analyse stehen. Wir dürfen in unseren Anstrengungen nicht nachlassen.
({1})
Es gilt der Satz von Tom Koenigs, dass die NATO in
Afghanistan nicht verlieren darf. Gegenseitige Schuldzuweisungen innerhalb des Bündnisses helfen überhaupt
nicht weiter. Frau Homburger, ich würde mich an dieser
Stelle sehr zurückhalten und gegenseitige Vorwürfe vermeiden. Denn das freut nur den Gegner, den wir bekämpfen wollen, es gefährdet den Einsatz und es verunsichert die demokratischen Kräfte in Afghanistan.
({2})
Herr Minister, in diesem Zusammenhang fühle ich
mich sehr stark an unseren Besuch in Afghanistan vom
Sommer dieses Jahres und an unsere dortige Pressekonferenz erinnert. Die meistgestellte Frage der afghanischen Journalisten war die nach unserer Beständigkeit
und Zuverlässigkeit im Hinblick auf diesen Einsatz. Das
hat natürlich etwas mit der Situation im Land zu tun.
Deshalb würde ich dringend davon abraten, eine Diskussion über Schuldzuweisungen zu führen. Schließlich
wollen wir den gemeinsamen Erfolg.
Mein nächster Punkt. Die Diskussion über die nationalen Vorbehalte, die so genannten Caviats, ist aus meiner Sicht absolut nicht zielführend. Alle Staaten haben,
wenn es um die Beteiligung an Einsätzen geht, nationale
Vorbehalte. Das war immer so und daran wird sich auch
nichts ändern. Zudem hat die Bundesrepublik Deutschland ihre Vorbehalte im Laufe der diversen Einsätze weiterentwickelt und ihre Anzahl reduziert. Es ist also allseits bekannt, dass deutsche Kräfte auch im Süden
Afghanistans zum Einsatz kommen können und dort
auch schon zum Einsatz gekommen sind.
Viel wichtiger ist es unserer Meinung nach, eine Diskussion über das Gesamtbild der Lage in Afghanistan zu
führen. Alles andere hätte nämlich eine Militarisierung
dieser Debatte, des Konflikts und vor allen Dingen unseres Denkens und damit zwangsläufig Legendenbildung
zur Folge. Das wird im Übrigen auch von militärischer
Seite so beurteilt. So traf Walter Laqueur die Feststellung, dass Afghanistan militärisch nicht zu gewinnen ist.
Ich frage mich: Wie ist Afghanistan dann zu gewinnen?
Gewinnen kann man dort ganz sicher nur, wenn man die
Ansätze verfolgt, die auch in dieser Debatte schon dargestellt wurden.
Aufgrund der Aufarbeitung der Märzunruhen im
Kosovo wissen wir, dass die Diskussion über nationale
Vorbehalte nicht weiterführt. Im Mittelpunkt muss die
Diskussion über das Gesamtbild der Situation stehen. Im
Rahmen der Debatte, die in Québec über den spannenden Ausdruck „to remove“ geführt wurde, ist vernachlässigt worden, dass der dort vorgelegte Antrag zu Afghanistan viele wichtige Punkte enthielt, in denen die
Versammlung absolut einer Meinung war.
In diesem Antrag heißt es: Es geht darum, eine Politik
zu entwickeln, die den Reformprozess in Afghanistan
beschleunigt und die Probleme der Unterentwicklung
und der Korruption angeht. - Diese Aussage kann man
nur nachdrücklich unterstreichen. Es geht darum - auch
das wissen wir alle -, die Herzen und den Verstand der
Bevölkerung in Afghanistan zu gewinnen. Deutsche Soldatinnen und Soldaten leisten dazu in ihrem Einsatz einen wichtigen Beitrag. Sie pflegen unter schwierigsten
Bedingungen eine Kultur des Friedens und grenzen sich
dadurch von einer Kultur des Krieges ab.
Auf dem NATO-Gipfel in Riga, der in der kommenden Woche stattfindet, erwarten wir eine lebhafte Debatte zum Thema Afghanistan. Wir dürfen sehr zuversichtlich sein, dass am Ende und als Ergebnis dieser
Diskussion ein fortentwickeltes Afghanistankonzept des
Bündnisses vorliegen wird. Sein Schwerpunkt - das ist
klar - muss die Verbesserung der Gewährleistung der Sicherheit in Afghanistan sein. Darüber hinaus muss eine
Antwort auf die Kritik der Afghanen selbst gegeben werden, nach der die Allianz dem militärischen Bereich zu
großes Gewicht beimesse. Es geht nicht nur um Militärpräsenz, zitiert die „Frankfurter Rundschau“ heute die
neue afghanische Botschafterin. Sie lobt - das sollte erwähnt werden - den deutschen Beitrag sehr.
Im Afghanistankonzept 2003 der Bundesregierung
wurde festgestellt,
dass der Petersberger Prozess die Gefahr zahlreicher Rückschläge in sich birgt und der Überprüfung
und Anpassung bedarf.
Genau darüber unterhalten wir uns im Moment, genau
das werden wir tun. Das Ziel bleibt klar: Es geht um eine
sich selbst tragende demokratische Entwicklung in Afghanistan. Um diese zu erreichen, braucht die Staatengemeinschaft einen langen Atem - auch das sollte nicht unerwähnt bleiben - und die Unterstützung unserer bzw.
der jeweiligen Bevölkerung. Das ist im Übrigen unsere
Aufgabe als Abgeordnete: immer wieder neu dafür zu
werben, worüber wir da zu entscheiden haben und was
wir da tun wollen.
Ich habe dem Kollegen Kahrs bei seinen Ausführungen zu seinem Herzensanliegen - der Vernetzung der
verschiedenen Aufgabenbereiche - genau zugehört. Er
hat auf den Afghanistanbericht hingewiesen und sehr
viel Gutes und Kluges dazu gesagt. Ich will hier einen
Gedanken hinzufügen: Wir haben eine Taskforce
„Afghanistan“ auf den Weg gebracht. Das ist ein erster
Schritt hin zu einem ganzheitlichen Ansatz, der vielleicht so etwas wie ein deutsches Exportprodukt für internationale Einsätze werden könnte. Wenn man verfolgt, was heute in der Presse über die Vorbereitung des
NATO-Gipfels zu lesen ist, stellt man fest: Da geht es
um die Schaffung von Sicherheitszonen und um die Bildung zusätzlicher PRTs. Es gibt im Bündnis allerdings
unterschiedliche Denkweisen, wie die Debatte in
Québec gezeigt hat; das sollten wir zur Kenntnis nehmen.
Nun stehen wir wenige Wochen vor der EU-Ratspräsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland. Wir hatten die EU-Ratspräsidentschaft schon einmal in einer außen- und sicherheitspolitisch sehr schwierigen Situation
inne, nämlich 1999; ich erinnere an den Gipfel in Köln.
Wir haben damals den Stabilitätspakt entwickelt. Diesen
Stabilitätspakt haben wir sozusagen als Blaupause genommen und daraus für Afghanistan den Petersbergprozess entwickelt.
An dieser Stelle ein paar kurze Anmerkungen zum
Balkan, zu Südosteuropa: Es sollte nicht unerwähnt
bleiben, dass wir einiges erreicht haben. Aber es gibt
noch viel zu tun. Der Bosnieneinsatz stand im Interesse
der Öffentlichkeit. Wir sind eine weite Strecke gegangen. Ich denke, dass wir Verteidigungspolitiker auch den
Weg, den wir noch zu gehen haben, verantwortungsvoll
gehen werden. Wir wissen, an manchen Stellen sind eher
Polizeieinsätze gefragt. Aber es gibt auch für die Bundeswehr, für die militärischen Kräfte noch einiges zu
leisten.
Die Verhandlungen über den Status des Kosovo befinden sich in einer sehr spannenden, aber nach wie vor
sehr schwierigen Phase; das haben wir schon in der Debatte über den Etat des Auswärtigen Amtes gehört. Es ist
uns bewusst, dass wir, wie auch immer diese Statusverhandlungen ausgehen, dort noch lange militärisch präsent sein werden; das gehört zur Wahrheit.
Schließlich ein kurzes Fazit zum Kongoeinsatz, den
wir in diesem Jahr beschlossen und durchgeführt haben:
Wirkliche Überraschungen haben wir nicht erleben müssen, weder politisch noch militärisch. Der Einsatz läuft
planmäßig und wir werden ihn auch planmäßig abschließen können. Frau Homburger, Sie haben die Berichte
über die gestrigen Angriffe erwähnt. Es ist wichtig, sich
zu vergegenwärtigen, dass MONUC in den vergangenen
Monaten eine herausragende Rolle gespielt hat.
({3})
Das ist eine positive Erfahrung.
Im Rahmen der Debatten über den Einsatz im Kongo
haben wir zum ersten Mal auch intensiv über die deutschen Interessen diskutiert.
({4})
Der Minister hat auf das Weißbuch hingewiesen. Aus
meiner Sicht war die dann folgende Debatte über die
Interessen im Libanon ein Rückschritt in diesen Diskussionen. Darin können wir also noch besser werden.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Ja, ich weiß, ich bin auch so gut wie fertig. - Bezüglich des Kongo wollen wir noch einmal genauer auf das
Battlegroup-Concept schauen. Das gehört sicher auch
zur Evaluierung eines solchen Einsatzes.
Last, not least, will ich natürlich nicht versäumen,
mich bei allen zu bedanken, die in diesem Jahr gemeinsam dafür gestanden haben, dass die deutsche Außenund Sicherheitspolitik erfolgreich sein konnte, nämlich
bei den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, bei den
Kolleginnen und Kollegen im Verteidigungsausschuss -
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Vielleicht bedanken Sie sich einfach kollektiv bei allen.
Einen Satz erlauben Sie mir bitte noch.
Nein.
Weihnachten 2005 haben wir nicht gewusst, dass wir
in den Kongo gehen. Vor den Sommerferien haben wir
nicht gewusst, dass wir in den Libanon gehen. Deshalb
freuen wir uns, dass die Bundeskanzlerin uns Verteidigungspolitikerinnen und Verteidigungspolitikern in Aussicht gestellt hat, dass wir mittelfristig mit mehr Geld
rechnen dürfen.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort für die Linke hat die Kollegin Inge HögerNeuling.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Längst
ist die Bundeswehr vorne mit dabei, wenn es um Militäreinsätze und Kriege überall auf der Welt geht. Circa
10 000 deutsche Soldatinnen und Soldaten sind zurzeit
im Ausland im Einsatz. Auch wenn es manchen von Ihnen mit der Enttabuisierung des Militärischen offenbar
nicht schnell genug geht, ist sie bereits weit vorangeschritten. Eben war ja schon von einem Exportschlager
die Rede.
Die Vielzahl von Rüstungsprojekten, die durch diesen
Haushalt finanziert werden, ist allein deswegen nötig,
weil sich die Ausrichtung der deutschen Verteidigungspolitik grundsätzlich verändert hat. Von einer Armee, die
allein für die territoriale Verteidigung zuständig war,
wurde die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee
umgewandelt, die überall auf der Welt einsetzbar ist.
Doch diese neue aggressive Politik entspricht nicht dem
Willen der Bevölkerung.
({0})
Selbst das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr kam zu dem Ergebnis:
Immer mehr Bundesbürger sind der Ansicht,
Deutschland sollte sich aus den Krisen und Konflikten anderer Länder möglichst heraushalten und
sich stärker auf die Bewältigung der Probleme im
eigenen Land konzentrieren.
({1})
Hier zeigt sich wieder einmal: Die große Koalition regiert gegen die Mehrheit der Bevölkerung.
Es ist ein Hohn, die Auslandseinsätze als Export von
Demokratie und Menschenrechten zu verkaufen. Die geplanten Ausgaben für Entwicklungshilfe betragen gerade
einmal 17 Prozent des Wehretats, wobei nur ein kleiner
Teil davon tatsächlich für die Armutsbekämpfung da ist.
Eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung lehnt die Aussage ab, dass unter bestimmten Bedingungen Krieg nötig
sei, um Gerechtigkeit durchzusetzen. Die Herstellung
von Gerechtigkeit und die Förderung von Demokratie
sind politische Aufgaben. Verantwortung kann man
nicht mit Waffen übernehmen.
({2})
Mit einer anderen Wirtschaftspolitik und mit einer anderen Umwelt- und Klimapolitik kann Deutschland dazu
beitragen, dass es nicht zu immer noch mehr Armut und
Katastrophen auf dieser Welt kommt. Bundeswehrsoldaten können die Probleme in den Einsatzregionen nicht
lösen. Früher oder später werden sie Teil des Problems.
({3})
In einer Woche treffen sich in Riga die Repräsentanten der NATO-Mitgliedstaaten. Sie werden dort die so
genannte NATO-Transformation fortsetzen. Unter der
Überschrift „Ausbau militärischer Fähigkeiten“ werden
sie weitere kostspielige Rüstungsprojekte beschließen.
Sie werden die Vereinbarungen für das milliardenschwere Raketenabwehrprogramm der NATO konkretisieren und sich darüber freuen, dass der Aufbau der
schnellen Eingreiftruppe der NATO nun abgeschlossen
ist. Diese neue NATO-Truppe ist keine Friedenstruppe.
Sie wird zum Kämpfen und zum Töten ausgebildet und
ausgerüstet. Die NATO-Kampftruppen und die EUBattlegroups sind Ausdruck einer aggressiven und rücksichtslosen Außenpolitik.
({4})
Deutschland stellt mit 6 700 Soldaten mehr als ein Viertel der Soldaten in der NATO-Elitetruppe. Auch an den
EU-Schlachttruppen ist die Bundeswehr maßgeblich beteiligt.
Um es klar zu sagen: Es geht hier nicht mehr um territoriale Verteidigung im Sinne von Art. 115 a des
Grundgesetzes. Weder die NATO- noch die EU-Spezialeinheiten üben für den Verteidigungsfall. Geübt werden
offensive Szenarien, also Angriffe. Solche globalen
Machtprojektionen verstoßen gegen das Grundgesetz.
Deshalb fordern wir den Ausstieg der Bundeswehr aus
diesen Kampftruppen und beantragen die Streichung der
Mittel für entsprechende Übungen.
({5})
Viele NATO-Partner - allen voran die USA - fordern
zurzeit ein größeres Engagement Deutschlands in den
Kampfeinsätzen im Süden Afghanistans. Sie rennen dabei eine Tür ein, die die Autoren des Weißbuches weit
aufgerissen haben. Das Weißbuch wünscht sich eine
„strikt einsatzorientierte Ausrichtung der Bundeswehr“.
So genannte Stabilisierungseinsätze wie in Afghanistan
sollen laut Weißbuch künftig häufiger durchgeführt werden. Es muss sich also niemand wundern, wenn nun eine
stärkere Beteiligung eingefordert wird. Wer Soldaten in
Krisenregionen schickt, in der Hoffnung, sich dort die
Hände nicht schmutzig zu machen, ist ohnehin naiv. Zudem zeigt sich auch, wie ernst Sie es mit der Parlamentsarmee meinen: Von geheimen KSK-Missionen erfahren
wir nur per Zufall.
Die Linke fordert deswegen den Ausstieg aus den
Auslandseinsätzen der Bundeswehr.
({6})
Wir lehnen auch die generelle Ausrichtung des Weißbuches ab. Es geht dabei in den meisten Fällen knallhart
um strategische Interessen. Der Zugang zu Rohstoffen,
der Schutz von Handelswegen und die Energiesicherheit
sind für uns keine Interessen, für die wir Soldaten in den
Krieg schicken.
Die NATO trägt durch ihre Militärpolitik mit dazu
bei, dass Völkerrecht durch Faustrecht ersetzt wird. Die
offensive deutsche Militärpolitik stützt sich allerdings
nicht allein auf die NATO; auch die Sicherheitspolitik
der Europäischen Union wird maßgeblich von Deutschland aus mitgeprägt und mitfinanziert.
Ein erweiterter Sicherheitsbegriff bedeutet für uns
nicht, das Deutschland am Hindukusch verteidigt werden soll und kann. Sicherheit ist für uns zuerst und vor
allem soziale Sicherheit. Wer deutsche Soldaten in immer neue Kriege schickt, der muss sich auch überlegen,
wen er dorthin schickt. Immer mehr junge Menschen gehen zur Bundeswehr, weil sie sonst kaum eine Möglichkeit sehen, Ausbildung und Arbeit zu finden.
({7})
Wer vor der Bundeswehr arbeitslos war, entscheidet sich
auffallend häufig für eine längere Verpflichtungszeit. Es
sind deswegen besonders häufig Jugendliche aus Ostdeutschland - aus Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit -,
die sich länger verpflichten. Besonders bitter ist dabei,
dass diejenigen, die aufgrund fehlender Alternativen zur
Bundeswehr kamen, dort nochmals benachteiligt werden. Die Anpassung des Ostsoldes auf das Westniveau
wurde auf 2009 verschoben. Die Linke beantragt deswegen die Ost-West-Angleichung bereits im Jahr 2007 sowie die Auszahlung des Weihnachtsgelds in voller Höhe
für alle Soldatinnen und Soldaten.
({8})
Sparen Sie sich die teuren Rüstungsprojekte und Auslandseinsätze! Holen Sie die Soldatinnen und Soldaten
nach Hause! Nehmen Sie endlich sinnvolle Konversionsprojekte in Angriff! Investieren Sie in den globalen
Kampf gegen Armut, in soziale Sicherheit und zivile Arbeitsplätze!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Winfried Nachtwei hat das Wort für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte auf zwei Bereiche eingehen, und zwar erstens auf die Einsätze in Afghanistan und zweitens auf
unsere Fähigkeiten. Die Bundeskanzlerin hat heute Morgen zur Frage des weiteren Afghanistaneinsatzes die
deutliche Position bezogen, dass es bei dem bisherigen
Engagement bleiben soll und muss und dass dieses
Engagement nicht erweitert wird. Das ist - das sage ich
ausdrücklich - die richtige Positionierung.
({0})
Auf der NATO-Parlamentarierversammlung vor einer
Woche - das haben die Kollegin Mogg und andere bereits angesprochen - haben wir als deutsche Parlamentarier zu spüren bekommen, welche Stimmung sich inzwischen in dieser Frage aufgebaut hat. Ich glaube, in
diesem Zusammenhang muss etwas klargestellt werden:
Gerade diejenigen, die am lautesten waren und geäußert
haben, die einen seien Tee- und Biertrinker und die anderen riskierten ihr Leben, haben zu denen gehört - ich
habe das im Internet überprüft -, die den Irakkrieg deutlich mit unterstützt haben und damit Mitverantwortung
dafür tragen, dass der Stabilisierungsprozess in Afghanistan erheblich zurückgeworfen worden ist. Das ist der
Hintergrund.
({1})
Allerdings ist der ISAF-Einsatz - das wurde schon
mehrfach richtigerweise festgestellt - unter „anders
schwierigen“ Bedingungen ein ausgesprochen kluger
und relativ wirksamer Einsatz einschließlich des Umgangs mit den auch dort vorhandenen Risiken und Bedrohungen. Die Obleute, die vor kurzem dort waren, haben selber erlebt, dass es immer wieder zu Überfällen
beispielsweise mit Panzerfäusten kommt. Man kann nur
von Glück sagen, dass die dort nicht so gut zielen; aber
riskant ist es trotzdem.
Falsch ist auf jeden Fall die Fixierung auf die Erwartung, dass die Probleme in Afghanistan vor allem mit zunehmend mehr Soldaten zu lösen seien. Es sei daran
erinnert, dass die Sowjets am Ende 120 000 Soldaten in
Afghanistan stehen hatten und trotzdem verloren haben.
Es kommt also vor allem auf andere, politische Hauptaufgaben an. Ich nenne einige.
Erstens. Die akute Hungerkrise vor allem im Süden
Afghanistans muss schnell überwunden werden.
({2})
Zweitens. Es muss eine Wende bei der Drogenbekämpfung geben. Sie muss einheitlich erfolgen und langfristig
angelegt sein. Hier herrscht zurzeit ein ziemliches
Durcheinander in der Realität. Drittens. Beim Aufbau
von Polizei und Justiz muss es einen Push geben. Beim
Justizausbau sieht es bislang ziemlich mager aus.
Schließlich muss es - darüber haben wir bereits vor
14 Tagen gesprochen; allerdings sind wir zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen - eine Kurskorrektur bei der Antiterroroperation „Enduring Freedom“ und
- nicht unwichtig im Hinblick auf den NATO-Gipfel eine Zusammenarbeit zwischen NATO und Europäischer
Union geben. Außenstehende können gar nicht glauben,
dass solche wichtigen, sicherheitspolitisch relevanten Institutionen in der Realität eher aneinander vorbei arbeiten.
({3})
Hier muss angepackt werden und - das muss man deutlich sagen - muss die Bundesregierung einiges nachlegen. Selbstbewusstsein ist zwar richtig, aber zur Selbstbeweihräucherung - diese Tendenz habe ich in der
heutigen Diskussion deutlich gespürt - haben wir keine
Veranlassung. Auch mit der richtigen Position - diese
hat die Bundeskanzlerin heute Morgen formuliert - werden wir dem wachsenden Druck nur standhalten können,
wenn wir unsere Hausaufgaben nachholen und beim Polizeiaufbau quantitativ enorm nachlegen. Gute Qualität
allein reicht auf keinen Fall.
({4})
Afghanistan, der Balkan und Nahost sind schlagende
Beweise für die Notwendigkeit umfassender und vorbeugender Sicherheit. Herr Minister, Sie betonen seit
Monaten in diesem Zusammenhang den Begriff der vernetzten Sicherheit. Das Gebot des Zusammenwirkens
bei Krisenbewältigung und Friedenskonsolidierung liegt
auf der Hand. Aber wie sieht es damit in der Wirklichkeit aus? Die Wirklichkeit steht in sehr großem Gegensatz zu dem, was alle für selbstverständlich halten. Was
ist hier zu tun, damit man weiterkommt?
Erstens. Es muss Klarheit darüber geschaffen werden,
was Militär, Polizei, Diplomaten und zivile Experten jeweils am besten leisten können, wenn es um bestimmte
Bedrohungen, Risiken und Chancen geht. Mit dem
Weißbuch ist die Chance vertan worden, hier Klarheit zu
schaffen.
Zweitens. Insgesamt ist - entschuldigen Sie den umständlichen Begriff; aber mir ist noch kein besserer eingefallen - ein fähigkeiten- und ressortübergreifender
Ansatz notwendig. Wir sollten als Erstes mit der Ausbildung der entsprechenden Kräfte beginnen. Wir haben
bereits gute Ansätze: Zentrum für Internationale Friedenseinsätze, Bundesakademie für Sicherheitspolitik sowie das UNO-Ausbildungszentrum der Bundeswehr.
Diese Ansätze müssen ausgebaut werden. Kollege
Kahrs, Sie haben schon angesprochen, dass es wahrhaftig nicht nur um Auslandseinsätze, sondern um Krisenengagements geht; das ist das Entscheidende. Daher
muss von Anfang an eine entsprechende Planung und
Organisation vorhanden sein. Es reicht nicht, wenn man
sich erst mit der Zeit zusammenrauft!
Drittens schließlich - das ist ganz entscheidend - bedarf es ausgewogener Fähigkeiten in den verschiedenen
Bereichen. Es darf nicht so sein, dass die Polizei und die
zivilen Experten dem Militär, das einen natürlichen
Startvorteil hat - dort gibt es natürlich eine schnelle personelle, finanzielle und materielle Verfügbarkeit -, hinterherhoppeln. Eine solche Verfügbarkeit erreicht man,
wie im militärischen Bereich, nur mit Planzielen: Was
wollen wir im nächsten und im übernächsten Jahr haben,
was bis zum Jahr 2010 erreichen? Auf der EU-Ebene
gibt es das schon. Das ist von ganz entscheidender Bedeutung und eine Hausaufgabe für das AA, für das BMZ
und für das BMI.
Darüber hinaus muss die Ressourcenausstattung ausgewogener werden - auch hier sind die zivilen Bereiche
im Rückstand - und ist eine Transformation der sicherheitspolitischen Strukturen insgesamt notwendig. Das
Kanzleramt ist aufseiten der Exekutive viel stärker gefordert; die Ressorts sind, wie wir seit Jahrzehnten wissen, mit der Einigung untereinander überfordert.
Auch wir im Parlament müssen uns gehörig anstrengen. Es fragt sich, ob sich diese Notwendigkeiten in einer zureichenden Haushaltsausstattung niederschlagen.
Jetzt gibt es die Notwendigkeit, dass Sie zum Ende
kommen.
Dann überschlage ich das und sage den Kolleginnen
und Kollegen aus dem Haushaltsausschuss persönlich,
welche Chance bei der strukturellen Krisenvorbeugung
vertan worden ist.
Noch ein letzter Gedanke und damit komme ich zum
Schluss: Aus den Auslandseinsätzen mussten wir lernen,
dass wir Zeit und Geduld brauchen. In Afghanistan erfahren wir aber zugleich, dass in der Vergangenheit
schon viel Zeit verloren wurde und die Zeit jetzt drängt.
Es ist höchste Zeit!
Das stimmt. Die Zeit drängt und Sie müssen wirklich
zum Schluss kommen.
({0})
Das langsame Lernen, das wir uns hier im Inland angewöhnt haben, können wir uns bei solchen Auslandseinsätzen nicht mehr erlauben. Wir brauchen nicht nur
einen langen Atem, sondern inzwischen auch eine konstruktive Ungeduld.
Danke schön.
({0})
Das war jetzt eine echte Probe für meine konstruktive
Ungeduld.
Das Wort hat der Kollege Bernd Siebert von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zuallererst möchte ich mich bedanken, aber nicht deswegen, weil es üblich ist, sondern weil es mir ein ganz
besonderes Anliegen ist. Ich möchte mich bei allen Soldatinnen und Soldaten und bei allen zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken, die unter zum Teil
gefährlichen Umständen ihre Aufgabe im Einsatz erfüllen und damit auch das Ansehen unseres Landes, unserer
Heimat international erhöht haben.
({0})
Ich denke, es ist nicht nur eine Pflicht, sondern muss ein
inneres Bedürfnis sein, diesen Dank zu formulieren. Wir
dürfen dabei nicht vergessen, dass dieser Dank auch den
Soldatinnen und Soldaten gebührt, die in der Heimat ihren Kameraden den Rücken frei halten und durch die Erfüllung ihrer Aufgaben zum Schutz der Heimat beitragen.
Gerade weil die Entwicklung im Einzelplan 14 unmittelbare Auswirkungen auf die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz hat, müssen wir den Verteidigungshaushalt mit besonderer Sorgfalt prüfen und
gestalten. Die Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien haben ein Anrecht darauf, dass sie die Politik mit
dem bestmöglichen Material zu ihrem Schutz ausstattet.
Diese Verpflichtung und besondere Verantwortung hat
jeder Einzelne von uns übernommen, zumindest aber
die, die den Einsätzen der Bundeswehr zugestimmt haben.
Mit dem Entwurf des Verteidigungshaushaltes 2007
stehen der Bundeswehr insgesamt 28,4 Milliarden Euro
zur Verfügung. Wenn man von der Erhöhung die zukünftigen Leistungen für Pensionen abzieht, bleiben dem
Verteidigungsminister leider nur zusätzliche 500 Millionen Euro für das Jahr 2007 übrig. Das ist in Anbetracht
unserer Aufgaben sicherlich nicht zu viel und nicht zu
großzügig. Diese Entwicklung im Einzelplan 14 liegt
zwar auf der Finanzlinie des 40. Finanzplanes. Wenn
man aber die Herausforderungen betrachtet, denen sich
die Bundeswehr gegenübersieht, kann die finanzielle
Ausstattung nur als knapp ausreichend bezeichnet werden. Ein „Weiter so!“ wird der Auftragslage der Bundeswehr zukünftig nicht mehr gerecht werden.
Aber auch wenn das finanzielle Korsett weiterhin eng
bleibt, sind mit dem vorliegenden Regierungsentwurf
die Weichen dennoch richtig gestellt. Der investive Anteil steigt, die Eindämmung der Ausgaben für Materialerhaltung und Instandsetzung hilft, die Preissteigerungen
im kommenden Jahr zumindest abfedern zu können.
Das Erreichen dieser Etappenziele ist insbesondere
vor dem Hintergrund der Einsatzrealität der Bundeswehr
wichtig und richtig. Es kommt letztendlich darauf an,
dass wir eine Bundeswehr haben, die im gesamten denkbaren Einsatzspektrum als verlässliches Instrument unserer Sicherheits- und Außenpolitik agieren kann. Dazu
benötigen wir eine ausgewogene Ausstattung aller Kräftekategorien.
Gerade in Afghanistan haben wir in den letzten Monaten gesehen, wie schnell sich die Lage verschlechtern
kann, wie rasch eine relativ kalkulierbare Stabilisierungsoperation eskalieren kann und wie ebenso schnell
die Ausrüstung unserer Soldaten und Soldatinnen angepasst werden muss. Franz Josef Jung und sein Ministerium haben diese Herausforderungen bewältigt. Es ist
jetzt sichergestellt, dass alle Soldatinnen und Soldaten
ihren Einsatz unter Schutz erfüllen können.
Vor dem Hintergrund der weiterhin knappen Mittel
wird es auch zukünftig nicht immer möglich sein, schnell
mit dem nötigen Material zu reagieren. Deshalb ist mir
an dieser Stelle der Hinweis auf das neue Weißbuch besonders wichtig. Im Weißbuch wird darauf hingewiesen,
dass für die Verwendung der begrenzten finanziellen
Ressourcen künftig bei Beschaffungen alternative Finanzierungsmöglichkeiten geprüft werden sollen. Ich
bin dankbar, dass Minister Jung hier einen wirklich zukunftsweisenden Ansatz aufgezeigt hat, und sage meine
uneingeschränkte Unterstützung bei der Ausgestaltung
dieser Idee zu. Vielleicht gelingt es uns auch durch diesen innovativen Ansatz, die langjährige Praxis des Schiebens und Streckens zu durchbrechen und die aufgetürmte
Bugwelle der Ausrüstungsdefizite in der Bundeswehr
wenigstens in Teilen schnell schrumpfen zu lassen.
An dieser Stelle möchte ich auf den Kollegen Bonde
kurz eingehen, der sich vorhin kritisch mit unserer Bewaffnung auseinander gesetzt hat. Ja, es geht bei der
Entscheidung über Investitionen auch darum, die Kernfähigkeit unserer wehrtechnischen Industrie zu erhalten.
Es geht uns bei diesen Entscheidungen auch um Arbeitsplätze in unserem Land, lieber Herr Kollege Bonde.
({1})
Ein weiteres nicht zu vernachlässigendes Problem im
Verteidigungshaushalt stellt die Finanzierung der Einsätze dar. Neue Einsätze wie zum Beispiel im Kongo
und im Libanon können bei der Haushaltsaufstellung
nicht vorausgesehen werden. Da die Haushaltsmittel
schnell benötigt werden, wird der Einzelplan 14 auch zukünftig in Vorleistung treten müssen. Um jedoch den
Spielraum des Verteidigungsministers nicht noch weiter
einzuschränken, muss aus meiner Sicht der Einzelplan 14 grundsätzlich von den Kosten der Einsätze entbunden werden. Schließlich liegt der Einsatz der Bundeswehr im Gesamtinteresse unseres Staates und damit
in der Verantwortung der gesamten Bundesregierung.
Darum habe ich auch mit Freude zur Kenntnis genommen, dass mit dem Finanzminister eine einvernehmliche
Regelung zur Finanzierung des Libanoneinsatzes getroffen werden konnte. Auch hier wurden die Weichen richtig gestellt.
Ich bin deshalb davon überzeugt, dass mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf der Bundesregierung der richtige Weg hin zu einer soliden Finanzierung der Bundeswehr eingeschlagen wurde. Konzeptionell ist die
Finanzierung des Verteidigungshaushaltes stimmig. Wesentlich bleibt die Anpassung der Finanzlinie an die Anforderungen der Bundeswehr. Dies sollte vor dem Hintergrund der erfreulichen positiven Konsolidierung des
Bundeshaushaltes in naher Zukunft sicherlich auch möglich sein. Entsprechende Hinweise gibt es jedenfalls.
Die alternative Finanzierung kann dort, wo es sinnvoll ist, ebenfalls zur Entlastung des Einzelplans 14 beitragen. Bei gleichzeitiger Entlastung von den Kosten der
Einsätze ergibt sich jedenfalls der finanzielle Spielraum,
der notwendig ist, damit wir unsere Aufgaben in Zukunft
vollständig erfüllen können. Der aufgezeigte Dreiklang
schafft eine solide finanzielle Basis für den Erwerb von
Ausrüstungen und damit für die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber.
Lassen Sie mich zum Schluss noch ein paar Worte
des Dankes vortragen. Ich danke unserem Minister
Franz Josef Jung, der die Bundeswehr in seinem ersten
Amtsjahr entscheidend vorangebracht hat. Mit dem bereits erwähnten Weißbuch ist es endlich gelungen, der
Transformation das notwendige, von der Bundesregierung mitgetragene konzeptionelle Fundament zu geben.
Gleichzeitig hat der Minister durch die Einsätze im
Kongo und im Libanon dazu beigetragen, das sicherheitspolitische Profil Deutschlands weiter zu schärfen
und der Stimme Deutschlands in der internationalen Gemeinschaft ein angemessenes Gewicht zu verleihen. Für
das vergangene Jahr möchte ich ihm meine Anerkennung aussprechen. Ich wünsche mir, dass er auch die zukünftige Arbeit mit Mut und Fortune gestaltet.
({2})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Letzte Bemerkung, Frau Präsidentin. - Ich möchte
von diesem Pult nicht gehen, ohne die gute Zusammenarbeit zu erwähnen, die es zwischen der Arbeitsgruppe
Sicherheitsfragen der SPD-Fraktion und der Arbeitsgruppe Verteidigung der CDU/CSU-Fraktion gibt.
({0})
Unsere gemeinsame gute Arbeit des letzten Jahres war
die Basis dafür, dass wir eine erfolgreiche Sicherheitsund Verteidigungspolitik organisieren konnten. Mein
ganz persönlicher Dank gilt meinem Kollegen Arnold
als Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Sicherheitsfragen
der SPD-Fraktion.
Herzlichen Dank und Glückauf!
({1})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Stinner,
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ohne jeden Zweifel: Vor der NATO-Sitzung in
Riga befinden wir uns in der Defensive. Mit „wir“ meine
ich sowohl uns Abgeordnete - das haben wir letzte Woche bei der NATO-Parlamentarierversammlung in Québec deutlich gemerkt -, aber auch die Bundesregierung.
Ich frage mich und Sie alle, auch Sie, Herr Kolbow: Wie
kommt es eigentlich, dass wir Deutsche in der NATO in
der Defensive stehen, obwohl wir unseren Beitrag insgesamt als gewichtig, richtig und wertvoll ansehen?
Wenn man diese Frage beantworten will, dann muss
man natürlich, Herr Minister Jung, auf Ihre Verantwortung rekurrieren. Es ist in der Tat die Aufgabe der Bundesregierung, die Leistungen, die wir hier einvernehmlich erbringen - unter uns besteht eine große Einigkeit -,
entsprechend zu vermarkten. Dazu kann ich nur sagen:
Das Marketing der Bundesregierung innerhalb der
NATO scheint in den letzten Jahren offensichtlich extrem schlecht gewesen zu sein.
Frau Präsidentin, der Abgeordnete Arnold möchte
eine Zwischenfrage stellen, die ich sehr gerne beantworte.
({0})
Wenn Sie das gerne möchten, dann bitte schön.
Ja, eine Frage des Kollegen Arnold beantworte ich
immer sehr gerne.
Vielleicht hängt das mit Ihrer Redezeit zusammen.
Herr Arnold, bitte.
Herr Kollege Dr. Stinner, ich bin der Meinung, dass
wir überhaupt keinen Grund haben, uns in der Defensive
zu fühlen. Könnte die Wahrnehmung mancher Personen,
dass wir in der Defensive sind, etwas damit zu tun haben, dass gerade Sie auf der Parlamentarierversammlung
der NATO den Zuruf eines britischen Kollegen, der für
die britische Regierung nicht unbedingt repräsentativ ist,
so nach Deutschland gemeldet haben, dass es in
Deutschland völlig missverständlich angekommen ist
und der britische Kollege sogar eine korrigierende Stellungnahme abgeben musste? Vielleicht sind Sie ein
Stück mitverantwortlich. Haben Sie darüber einmal
nachgedacht?
({0})
Lieber Kollege Arnold, ich bedanke mich für diese
Zwischenfrage sehr herzlich. Glücklicherweise sind die
Verhandlungen in Québec aufgezeichnet worden. Ich
werde Ihnen in wenigen Minuten, lieber Herr Kollege
Arnold, das Videoband dieser langen Sitzung überspielen lassen. Ich empfehle allen Kollegen, sich die Sitzung
von vorne bis hinten anzuschauen. Das ist sehr aufschlussreich. Damit Sie, Herr Kollege Arnold, schneller
zu Potte kommen und sich schneller bei mir entschuldigen können, empfehle ich Ihnen, das Band auf Minute
48 vorlaufen zu lassen: Dort wird die Wortmeldung des
ersten englischen Kollegen gezeigt. Außerdem empfehle
ich Ihnen, das Band auf eine Stunde und zehn Minuten
vorlaufen zu lassen: Dort wird die Wortmeldung eines
weiteren englischen Kollegen gezeigt. Dazwischen haben einige andere englische Kollegen gesprochen, die etwas Interessantes gesagt haben, zum Beispiel über nicht
genannte deutsche Minister, die irgendwo mit Freundinnen badeten.
Spulen Sie also auf Minute 48 und auf eine Stunde
zehn Minuten vor. Anschließend bitte ich Sie, Herr Kollege Arnold, sich bei mir zu entschuldigen. Falls Sie
dazu dann nicht bereit sein sollten, schlage ich vor, dass
wir uns gemeinsam im Fernsehen vor der deutschen Öffentlichkeit anschauen, was dort gesagt worden ist. Ich
bedanke mich ganz herzlich für Ihre Mithilfe.
({0})
- Ja, das werden wir sehen. Ich verweise auf Minute 48
des Bandes. Das können Sie sich alle besorgen und dann
genau anschauen.
Ich empfehle Ihnen, Herr Kollege Arnold, und auch
der Bundesregierung, sich außerdem die Stelle bei einer
Stunde 16 Minuten auf dem Band anzuschauen, wo der
Kollege Koenders uns sehr intelligent begründet hat,
weshalb die üblichen Bedingungen, die die Holländer
für einen NATO-Einsatz stellen, uns als Caveats ausgelegt werden. Insofern befinden wir uns in der Defensive;
daran muss die Bundesregierung arbeiten. Ich bin Ihnen,
Herr Arnold, sehr dankbar, dass Sie diese Frage gestellt
haben. Wir werden darauf noch zurückkommen.
Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Kolbow zulassen?
Ja, ich würde sie sehr gerne zulassen.
Bitte schön, Herr Kollege Kolbow.
Herr Kollege Stinner, wie beurteilen Sie die Tatsache,
dass weder der Generalsekretär der NATO, de Hoop
Scheffer, bei seinem Vortrag vor der Deutschen Atlantischen Gesellschaft während seines Besuches in der Bundesrepublik noch der Oberbefehlshaber der NATO im
Rahmen der Veranstaltung „Impulse 21“ und abends
während seiner verdienstvollen Verabschiedung im
Bendler-Block anlässlich des Zapfenstreichs Worte der
Kritik an der politischen Position Deutschlands bezüglich des Einsatzes seiner Soldatinnen und Soldaten in
Afghanistan geäußert haben?
Herr Kollege Kolbow, das beurteile ich sehr positiv.
Ich begrüße es, dass der Generalsekretär der NATO diesbezüglich offensichtlich einen realistischen Blick auf die
Dinge hat. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass
das, was in den letzten Tagen in der Presse zu lesen war,
und zwar ohne Einflussnahme meinerseits - ich habe
nun wirklich keinen Einfluss auf den englischen Premierminister oder die amerikanische Presse, jedenfalls
noch nicht -, die Aussage, dass wir uns in der Defensive
befinden, mehr als rechtfertigt. Das werden Sie, Herr
Kolbow, ja wohl nicht bestreiten wollen.
({0})
- Es ist nun wirklich nicht so, lieber Kollege Arnold,
dass ich das entsprechende Stichwort gegeben hätte.
Dem ist nun wirklich nicht so. Ich könnte Ihnen noch
von ganz anderen Dingen berichten, die abends in Québec geäußert wurden.
Ich bedanke mich, dass Sie mir die Gelegenheit gegeben haben, die Fragen so ausführlich zu beantworten,
und komme jetzt auf mein Thema zurück. Ich stellte fest,
dass wir uns in der Defensive befinden, und sagte, dass
es Aufgabe der Bundesregierung ist, unsere Leistungen,
über die ja Einvernehmen herrscht, zu vermarkten. Es
stellt sich in der Tat die Frage, warum die Bundeskanzlerin angesichts der Themen, die im Raum stehen, nicht
persönlich die Gelegenheit wahrgenommen hat, auf internationaler Ebene, also nicht nur hier in Deutschland,
deutlich zu machen, welche Leistungen wir erbringen.
Das wäre eigentlich angemessen gewesen. Wir sollten
uns generell angewöhnen, über den deutschen Tellerrand
hinauszuschauen und auf internationaler Ebene unsere
Interessen besser zu vertreten, als das bisher der Fall
war.
In Québec ging es hauptsächlich um zwei Themen.
Zum einen ging es darum, wer welche Verpflichtungen
eingeht. Wir sind uns alle einig, dass wir uns da nichts
vorzuwerfen haben. Das muss aber auch sehr deutlich
gesagt werden. Zum anderen ging es darum, welche
nationalen Caveats es gibt. Es findet meines Erachtens
eine unvertretbare Ausuferung bei der Verwendung des
Begriffs „nationale Caveats“ statt. Bei nationalen
Caveats handelt es sich eigentlich um Einschränkungen
der Rules of Engagement. Wenn wir aber gewisse
Grundbedingungen stellen, bevor wir unsere Soldaten in
den Einsatz schicken, werden diese uns als nationale
Caveats ausgelegt, während solch ein Vorgehen bei anderen Ländern als selbstverständlich erachtet wird.
Ein weiterer Punkt ist, meine Damen und Herren,
dass die NATO entsprechend politischer werden muss.
Wir alle wissen das und sagen das auch; die Kanzlerin
hat es in München, aber auch hier gesagt. Die Frage ist
natürlich, welche diesbezüglichen Initiativen die Bundesregierung nach der Rede der Bundeskanzlerin in
München im Februar dieses Jahres ergriffen hat. Selbst
bei den NATO-Mitgliedstaaten gibt es ja - das haben wir
letzte Woche in Québec gemerkt - völlig unterschiedliche Auffassungen darüber, was die NATO sein soll. Parlamentskollegen anderer Länder haben dort zum Beispiel gesagt, sie sehen die NATO als eine im engeren
Sinne militärische Organisation an. Alle Fraktionen hier
- die Linke will ich einmal ausnehmen - haben jedoch
ein andere Auffassung davon, was die NATO sein soll.
Hier muss die Bundesregierung unsere Position offensiver vertreten, auch gegenüber unserem Freund Frankreich,
({1})
der sich ja beispielsweise weigert, in diesem Rahmen
über Energiepolitik zu sprechen. Diese Meinungsunterschiede müssen innerhalb der NATO ausgetragen werden. Da müssen wir entsprechend unseren Beitrag leisten.
Es gibt einen letzten Punkt, den ich hier ansprechen
möchte. Wir müssen uns angesichts der Diskussion, die
wir jetzt haben, Konzepte für unsere internationale Beteiligung, und zwar sowohl an der NATO Response
Force als auch an den EU-Battlegroups, überlegen. Jetzt
stellen Sie sich angesichts der momentanen Diskussion
über Aufgabenverteilung im Bündnis einmal vor, dass
ein neuer Auftrag kommt und nur holländische, englische oder norwegische Soldaten angefordert werden.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin; aber Sie haben doch
sicher die Zeit für die Beantwortung der Zwischenfragen
berücksichtigt.
Die habe ich definitiv mehr als berücksichtigt. Sie
sind dennoch jetzt über die Zeit.
Das ist aber erstaunlich - ich meine, interessant. Vielen Dank.
Sie müssen da vielleicht mit Ihrer Fraktion verhandeln.
Ich will nur noch sagen: Wir müssen die Konzepte für
die Einsätze im Rahmen der NATO Response Force und
der EU Battle Groups angesichts der gegenwärtigen Diskussion überdenken. Es gibt viel Arbeit für die Bundesregierung - vor dem Gipfel und auf dem Gipfel. Wir
würden uns wünschen, dass Sie die deutschen Interessen
offensiver vertreten als bisher.
Vielen Dank.
({0})
Rolf Kramer spricht für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Siebert,
Sie haben am Ende Ihrer Rede auf die gute Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Fraktionen im Verteidigungsausschuss hingewiesen. Auch ich möchte gleich zu
Beginn darauf hinweisen. Ich kann das bestätigen. Schon
in der Vergangenheit haben wir alle im Verteidigungsausschuss sehr kollegial zusammengearbeitet. Dass sich
diese Zusammenarbeit im letzten Jahr noch verbessert
hat, wissen wir zu würdigen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundeswehr befindet sich noch mitten in der Phase ihres größten Umbruchs in ihrer über 50-jährigen Geschichte. Der
heute zu beratende Haushalt spiegelt diesen Umbruch
wider.
Ich möchte in meinem Beitrag auf zwei Punkte zum
Umbau der Bundeswehr besonders eingehen, zunächst
einmal auf die Frage der zukünftigen Einsatzbreite der
Bundeswehr. Schon im Vorfeld der Vorlage des Weißbuches wurde wieder über einen Einsatz der Bundeswehr
im Innern diskutiert. Ich möchte für meine Fraktion betonen, dass die im Weißbuch genannten Vorschläge sich
mit den Forderungen der SPD decken. Eine darüber hinausgehende Regelung ist nach unserer Überzeugung
nicht notwendig und mit uns auch nicht umzusetzen.
Die Bundeswehr leistet schon seit Jahrzehnten einen
deutlichen Beitrag zur inneren Sicherheit. Die Beispiele
kennen wir alle, ob es das ICE-Unglück bei Eschede in
Niedersachsen war, die Hochwassereinsätze oder Einsätze bei Schneekatastrophen. Man könnte die Reihe der
Beispiele weiter fortsetzen. Das Grundgesetz erlaubt
derartige Unterstützungsleistungen bei schweren Unglücksfällen und Naturkatastrophen. Auch die Absicherung beispielsweise einer Absturzstelle bei einem Flugzeugunglück ist erlaubt. Für all diese Fälle ist eine
Änderung des Grundgesetzes nicht notwendig.
Eine Modifizierung ist nach unserer festen Überzeugung nur in einem engen Bereich der Luft- und Seesicherheit erforderlich, wenn die Mittel der Polizei nicht
ausreichen sollten. Das Bundesverfassungsgericht hat
deutlich gemacht, dass eine Ergänzung bzw. Klarstellung notwendig ist. Hier besteht also Änderungsbedarf.
Wir sind im Rahmen des Art. 35 des Grundgesetzs dazu
bereit.
Darüber hinausgehende Einsätze der Bundeswehr im
Innern, wie zum Beispiel zur Bewachung von zivilen
Einrichtungen, von Bahnhöfen oder Flugplätzen, wird es
mit meiner Fraktion nicht geben. Das sind Kernaufgaben
der Polizei; sie ist dafür ausgebildet. Die Bundeswehr ist
keine Hilfspolizei. Wer zulasten der Bundeswehr die
Polizeikräfte auf Länderebene reduzieren will, um Kosten zu sparen, benötigt eine grundlegende Änderung des
Grundgesetzes und verändert damit auch das Gesicht
dieser Republik. Das ist mit uns nicht zu machen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein zweiter
Punkt, den ich heute ansprechen möchte, ist die Personalsituation bei der Bundeswehr. Wir haben als Bundestag in den letzten 16 Jahren unseren Soldatinnen und
Soldaten sowie den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viel abverlangt, nicht nur bei den Einsätzen im
Ausland, sondern auch mit dem Umbau der Bundeswehr
und ihrer schrittweisen Anpassung an die neuen sicherheitspolitischen Aufgaben.
Der Haushaltsentwurf für 2007 geht insgesamt von
einer Veranlagungsstärke von 249 500 Soldatinnen und
Soldaten aus. Dabei ist für die Bereiche der Grundwehrdienstleistenden und der freiwillig Wehrdienstleistenden
mit 55 000 und der Reservisten mit 2 500 die vorgegebene Zielstruktur für 2010 schon erreicht. Bei den Berufssoldatinnen und -soldaten sowie den Soldaten auf
Zeit fehlen zurzeit noch 3 000 Planstellen an der Zielstruktur von insgesamt etwa 195 000. Damit sind wir im
militärischen Bereich auf einem guten - ich möchte sagen: auf einem sehr guten - Weg.
Es ist schon angesprochen worden, dass die Situation
bei den Unteroffizieren und bei den Mannschaftsdienstgraden, was die Besoldung angeht, sich gebessert hat.
Wir von der Koalition hätten uns gewünscht, dass dieser
Weg noch weiter hätte beschritten werden können. Wir
haben auch entsprechende Anträge gestellt. Frau Jaffke,
eigentlich hat der Verteidigungsausschuss seine Arbeit
gemacht. Leider konnte der Haushaltsausschuss unseren
Vorschlägen nicht folgen.
Auch auf der zivilen Seite erfolgt eine Reduzierung
des Personals. Hier beträgt die Zielzahl für das Jahr
2010 75 000. Im Haushaltsplanentwurf für 2007 sind
noch 100 000 Stellen vorgesehen. Wir haben also noch
einen enormen Abbau bei den zivilen Stellen in Höhe
von etwa 40 Prozent vor uns. Wir sind überzeugt, dass
der existierende Tarifvertrag das geeignete Instrumentarium bietet, um diese Umgestaltung durchzuführen. Für
Beamtinnen und Beamte sind dies die gesetzlichen Regelungen zur Altersteilzeit. Wir sind auch hier auf einem
guten Weg, auch wenn wir sozusagen der militärischen
Seite hinterherhinken.
An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Angehörigen der Bundeswehr bedanken, dass sie diesen Umstrukturierungsprozess trotz mancherlei Schwierigkeiten und
nicht zu verschweigender Probleme mittragen und gleichzeitig die ihnen von der Politik übertragenen Aufgaben
aus meiner Sicht vorbildlich erfüllen.
({0})
Ich möchte noch ein sehr ernstes Thema ansprechen.
Es geht um die Anschuldigungen des Bremer Bürgers
Herrn Kurnaz. Ich bin überzeugt, wir sind uns alle darin
einig, dass die jahrelange Inhaftierung in Guantanamo
durch die USA eindeutig rechtswidrig war und zu verurteilen ist.
({1})
Die Anschuldigungen, die Herr Kurnaz gegen deutsche
Soldaten wegen Vorkommnissen während seiner Haft in
Kandahar vorbringt, sind richtigerweise Gegenstand der
Untersuchungen des Verteidigungsausschusses. Nach
Abschluss der Untersuchung sind die entsprechenden
Schlussfolgerungen zu ziehen. Aber eines kann jetzt
schon gesagt werden: Die Information über den Einsatz
der KSK muss in Zukunft wesentlich transparenter werden.
({2})
Das verständliche Schutzbedürfnis für die Soldaten
und das selbstverständliche Informationsrecht des Parlaments müssen und können in besserer Weise als bisher in
Einklang gebracht werden. Auch die in den vergangenen
Wochen bekannt gewordenen Fotos von deutschen Soldaten mit Gebeinen von Verstorbenen in Afghanistan
sind kein Ruhmesblatt für Deutschland - schon gar nicht
für die Bundeswehr. Damit wird der gute Ruf der fast
200 000 Soldatinnen und Soldaten, die bisher im Auslandseinsatz waren, durch das Verhalten einiger weniger
lädiert. Aber auch hier gilt der Grundsatz, dass alles bis
ins Detail aufgeklärt werden muss. Die Bundeswehr hat
ein geeignetes Instrumentarium, um Aufklärung zu leisten. Die Wehrdienstordnung ist hier anzuwenden. Nach
allem, was uns im Verteidigungsausschuss bekannt geworden ist, hat die Bundeswehr ihre Sache bisher sehr
gut gemacht.
({3})
Ich will ganz deutlich sagen, dass die Vorgesetzten
gerade auch während der Einsätze gefordert sind und für
ein korrektes Verhalten Sorge tragen müssen.
Erlauben Sie mir zum Abschluss noch einige Anmerkungen zu dem in der letzten Woche vorgelegten
Bericht des Bundesrechnungshofes. Die Bemerkungen
zum Einzelplan 14 haben aus meiner Sicht deutlich gemacht, dass es im Bereich des BMVg noch weiteres Optimierungspotenzial gibt, das ausgenutzt werden muss.
Allerdings möchte ich hier aus Sicht der Verteidigungspolitiker davor warnen, das Allheilmittel in einer Privatisierung von Aufgaben zu sehen. Es ist richtig, dass sich
die Bundeswehr auf ihre Kernaufgaben zu beschränken
hat. Allerdings sind dabei die Organisationsabläufe bei
der Bundeswehr gerade vor dem Hintergrund einer veränderten und sich weiter verändernden Aufgabenstellung zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund werden wir uns mit den Anmerkungen intensiv auseinander
zu setzen haben.
Mit dem Etat 2007 sind wir aus Sicht der Verteidigungspolitik auf einem guten Weg. Die ursprünglich
vorgegebene Finanzplanlinie für den Einzelplan 14 wird
weiter verfolgt. Aus Sicht meiner Fraktion und aus Sicht
der Koalition bedeutet dies ein Stück Stetigkeit. Diese
Linie muss sich allerdings auch in den kommenden Jahren fortsetzen, um den Umbau der Bundeswehr erfolgreich abschließen zu können.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Zum Schluss dieser Debatte hat der Kollege Hans
Raidel das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lassen Sie mich zum Schluss einige ganz wenige Anmerkungen machen. Erstens. Mit dem Haushalt
2007 sind wir auf dem richtigen Weg. Insgesamt haben
wir eine aufsteigende Finanzlinie zu verzeichnen. Wenn
wir dafür sorgen, dass sich diese verstetigt, dann werden
wir die gemeinsamen Aufgaben in Bezug auf Ausbildung, Ausrüstung, Personal und Attraktivität der Bundeswehr entsprechend erfüllen können. Auch werden
wir die Fragen der Rüstungswirtschaft entsprechend einbinden können. Die Nagelprobe insgesamt ist nicht der
Haushalt 2007. Die Nagelprobe kommt erst 2008. Dabei
müssen wir an unserer Zielsetzung festhalten.
Zweitens. Ich wünsche mir, dass wir im Ausschuss
alle Fragen der Transformation neu zur Debatte stellen,
dass wir die Einzelfragen betrachten und zu neuen Perspektiven kommen, indem wir feststellen: Wo stehen
wir? Wohin wollen wir? Wo sind Einzelfragen zu klären? Wo sind Schrauben neu zu justieren? Damit bekommen wir wieder ein ausgewogenes Tableau im Hinblick
auf die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr insgesamt. Wie
gesagt, die Ausgangsbasis ist gut. Ich glaube, dass wir
das in einer entsprechenden Perspektive gut leisten können.
Das schließt alle Auslandseinsätze mit ein, insbesondere den Einsatz in Afghanistan. Es stimmt, was hier in
etwa gesagt worden ist: Viele beteiligte Partner haben
eine eigene Sichtweise auf die Vereinbarungen. Auf dem
Gipfel in Riga - es ist richtig, Herr Kollege Stinner, dies
steht auf dem Tableau - muss über diese Fragen in aller
Deutlichkeit, ganz objektiv und offen diskutiert werden,
um wieder zu gemeinsamen Befähigungen bei der Lösung dieser schwierigen Aufgaben zu kommen.
Der Herr Minister hat darauf hingewiesen, dass ein
wesentliches Dokument das Weißbuch ist. Ich wünsche
mir - sicherlich gemeinsam mit Ihnen -, dass wir im
Rahmen des Weißbuches über die Notwendigkeiten und
die gemeinsamen deutschen Interessen in der Außenund Sicherheitspolitik diskutieren und eine öffentliche
Debatte darüber, wie Sie selbst formuliert haben, provozieren und in Gang setzen. Denn wir brauchen sie als Legitimation für unsere eigene Handlungsweise hier im
Parlament.
({0})
Persönlich bin ich für die vielen kritischen Beiträge
zur Außen- und Sicherheitspolitik sehr dankbar; denn
nur dann, wenn es viele kritische Beiträge gibt, werden
mögliche Defizite offenkundig. Sie kennen meinen
Spruch: Wo alle dasselbe denken, wird zu wenig gedacht. Ich darf also durchaus dazu auffordern - wir sollten uns nicht beschimpfen, wie das hier manchmal passiert -,
({1})
jeden kritischen Beitrag als wichtig und wertvoll anzusehen.
({2})
Zum Abschluss: Ich meine, dass wir mit unserer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der
Verteidigungspolitik gut aufgestellt sind. Sie ist ein ausgezeichnetes Aushängeschild, ein Markenzeichen und
eine tragende Säule für unser gemeinsames Handeln.
Unsere Bundeswehr ist ein Vertrauensfaktor in Bezug
auf unsere Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit.
Zum Schluss darf ich den Angehörigen der Bundeswehr - in Zivil, aber insbesondere auch in Uniform - für
ihre Leistungen daheim, an der Heimatfront, und draußen, an den Brennpunkten in der Welt, herzlich danken.
({3})
Wir wissen, was sie leisten. Insofern bitte ich herzlich
um Zustimmung zum Verteidigungsetat 2007. Wir sind
gemeinsam auf dem richtigen Weg.
Herzlichen Dank.
({4})
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14,
Bundesministerium der Verteidigung, in der Ausschuss-
fassung. Hierzu liegen uns zwei Änderungsanträge vor,
über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt dem Änderungsantrag der FDP auf
Drucksache 16/3489 zu? - Wer stimmt dagegen? - Ent-
haltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stim-
men der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke mit
den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt.1)
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/3466? - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Die Linke hat dafür gestimmt, die übri-
gen Abgeordneten haben dagegen gestimmt. Damit ist
auch dieser Änderungsantrag abgelehnt.2)
Wer stimmt für den Einzelplan 14 in der Ausschuss-
fassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist
der Einzelplan mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen.
1) Anlage 4
2) Anlage 5
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich rufe Tagesordnungspunkt I.11 auf:
Einzelplan 23
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
- Drucksachen 16/3119, 16/3123 Berichterstattung:
Abgeordnete Alexander Bonde
Iris Hoffmann ({0})
Michael Leutert
Zum Einzelplan 23 liegt ein Entschließungsantrag der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor, über den
wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen
werden. Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, für
diesen Einzelplan eine Debatte von einer Stunde vorzusehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Hellmut Königshaus von der FDP-Fraktion das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann
unmittelbar an das, was wir gerade behandelt haben, anschließen: Afghanistan und den unbestritten erkennbaren Zusammenhang zwischen Sicherheit auf der einen
und Entwicklung auf der anderen Seite. Sicherheit und
Entwicklung sind zwei Seiten einer Medaille. Gerade in
unterentwickelten Ländern - Afghanistan gehört sicher
dazu - ist es erforderlich, dass man militärische Interventionen mit zivilen Komponenten begleitet.
Heute Morgen, aber auch schon am Volkstrauertag
hat die Bundeskanzlerin auf diesen Punkt ausdrücklich
hingewiesen. Sie hat dabei angemahnt, dass der deutsche
Beitrag, den wir in Afghanistan leisten, nicht auf den militärischen Sektor begrenzt werden darf, sondern gerade
auch die entwicklungspolitische Komponente angemessen gewürdigt werden muss. Damit hat sie natürlich völlig Recht, und zwar aus den Gründen, die wir alle kennen. Wir Entwicklungspolitiker wissen das schon lange.
Aber, Frau Ministerin, wo findet sich in diesem Haushalt diese Schwerpunktsetzung zugunsten Afghanistans
wieder? Sind die Worte der Kanzlerin einfach nur warme
Luft? Ich hätte eigentlich erwartet, dass Sie, die Kanzlerin oder jemand anderes sagt: Endlich haben wir begriffen, dass wir in Afghanistan mehr tun müssen; wir stellen den Haushalt um und stecken mehr Geld rein. Das ist
aber nicht der Fall. Stattdessen fand ich heute nach meiner Rückkehr eine Presseerklärung von Ihnen, in der es
heißt, was wir bisher leisteten, sei schon beträchtlich.
Das können Sie so sehen. Sie sehen hier aber einen wirklich mickrigen Aufwuchs der Mittel für Afghanistan vor.
Wenn ich die Höhe der Mittel mit denen für andere Nehmerländer vergleiche, erkenne ich: Es ist geradezu beschämend, gerade im Hinblick auf den Anspruch, neben
dem militärischen einen entwicklungspolitischen Ansatz
zu verfolgen.
({0})
Wer ist das größte Nehmerland? Afghanistan? Pakistan? Nein, immer noch China! Ausgerechnet China, Frau
Ministerin, das Land mit den größten Devisenreserven
weltweit,
({1})
das selbst jährlich 1,5 Milliarden Euro an Entwicklungshilfe zahlt, das einen generösen Schuldenerlass von
10,5 Milliarden Euro für einzelne Länder, die ihm energiepolitisch dienlich zu sein scheinen oder von denen es
das hofft, beabsichtigt, wo die Küstenregionen boomen
und wo wir ein Wirtschaftswachstum beobachten können, von dem wir nur träumen können. Das ist doch ein
Land, das sich selbst helfen kann. Hier hätten wir mit
deutlich verringerten Mitteln herangehen und zugunsten
von Afghanistan und anderen Ländern am Hindukusch
umschichten können.
({2})
Nichts davon können wir hier feststellen. Wir haben
im Ausschuss beantragt, dass hier durch Umschichtung
zugunsten Afghanistans um 30 Millionen Euro aufgestockt wird. Das ist kommentarlos von der Mehrheit abgelehnt worden, und zwar quer durch alle die, die hier
heute große Reden zur zivilen Dimension in Afghanistan
gehalten haben. Sie haben diesen Antrag einfach kommentarlos abgelehnt.
({3})
Ziehen Sie doch endlich die Konsequenz aus dem, was
Sie sagen, wenn Sie das alles ernst meinen. Herr Minister, wenn Sie und die Kanzlerin in Riga einen Aufwuchs
um knapp 5 Millionen Euro für Afghanistan groß verkünden und denken, das sei dann der große Beitrag und
deswegen müssten wir militärisch nicht in die Pflicht gehen, dann werden Sie sich blamieren; das wird nicht
funktionieren. Die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin
- das ist ganz eindeutig - reicht jedenfalls nicht bis an
den Schreibtisch der Entwicklungsministerin,
({4})
die in dieser Richtung ja auch nichts getan hat. Die
Kanzlerin hat die Erkenntnis, die Sie uns mitgeteilt hat,
sicherlich nicht erst heute Morgen gewonnen.
({5})
Frau Ministerin, Sie sind ja gerade wegen Ihrer Unbeugsamkeit persönlich sehr sympathisch. Aber gerade
in diesem Punkt wäre ein bisschen Flexibilität zugunsten
der wirklich richtigen Auffassung der Kanzlerin angemessen gewesen. Stattdessen fließen die Mittel wieder
unvermindert nach China und in die anderen Schwellenländer; wir haben das schon besprochen. Davon müssen
wir weg. Das ist doch keine vernünftige Schwerpunktsetzung, schon gar nicht vor dem Hintergrund dessen,
was wir hier heute Morgen gehört haben.
Der Haushalt wird wachsen, das ist wohl unvermeidbar; denn Sie werden mit Ihrer fetten Mehrheit natürlich
alles, was wir hier beantragen, einfach niederdrücken.
Sie können das auch machen. Aber dieses Geld müsste
dann wenigstens in die Richtung gelenkt werden, wo es
wirklich gebraucht wird, vor allem wenn Sie auch selbst
Ansprüche erheben, dass Sie dort Schwerpunkte setzen.
Dann tun Sie es doch endlich!
Ich weiß, Sie hören das nicht gerne, aber ich will hier
dennoch - ich habe das schon oft ausgeführt - auf die
großen multilateralen Fonds verweisen. Wir haben
zwar auch gestern darüber gesprochen und haben ein
bisschen mehr Klarheit geschaffen, haben aber nicht unsere Auffassung zu diesem Thema geändert. Ich will das
hier aber nicht weiter vertiefen, weil ich sonst mein Zeitbudget überziehe. Ich will einfach nur darauf hinweisen:
Auch dort gibt es noch erhebliches Potenzial zur Umschichtung zugunsten dessen, was ich eben angesprochen habe.
Im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung hatten wir keine echten Haushaltsberatungen, wenn ich das einmal so sagen darf. Vielmehr
wurde einfach kommentarlos alles an Kürzungserwägungen - selbst, wenn sie von den eigenen Haushältern
kamen - abgetan. Stattdessen wurde einstimmig und
weitestgehend ohne große Diskussion jeder Erhöhungsantrag einfach durchgewinkt. Meine Damen und Herren,
das ist nicht das, was wir unter einer wirksamen Haushaltspolitik im Entwicklungsbereich verstehen. Mein
Kollege Addicks wird hierzu noch einiges weiter ausführen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich danke Ihnen, Frau Präsidentin, für Ihre Geduld
und Ihnen, meine Damen und Herren, für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Für die SPD-Fraktion spricht die Kollegin Iris
Hoffmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach Abschluss der Beratungen zum Einzelplan Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gilt zunächst mein Dank allen Beteiligten: der Ministerin, dem
Haus, unserem Koalitionspartner, aber auch den Kollegen von der Opposition. Wir haben in der Sache teils
hart verhandelt, aber letztlich immer konstruktiv.
Alle am Haushalt dieses Bundesministeriums Beteiligten einte das gemeinsame Ziel, die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zu stärken und voranzubringen.
Das ist uns in diesem vorliegenden Haushaltsentwurf für
2007 auch wieder gelungen. Mit einer Steigerung von
weit über 300 Millionen Euro ist dieser Haushalt einer
der am stärksten aufwachsenden Einzelpläne im Bundeshaushalt insgesamt.
({0})
Im Bereich der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit werden insbesondere die Beiträge an internationale Organisationen angehoben. Die Titel, unter denen die Zahlungen an die Weltbank und die Vereinten
Nationen, die Beiträge zu den Europäischen Entwicklungsfonds und Hilfen im Rahmen internationaler Vereinbarungen zum weltweiten Umweltschutz gefasst sind,
wachsen zum Teil deutlich stärker auf als der Einzelplan
insgesamt. Diese zusätzlichen Mittel sind wichtig, damit
Deutschland sein erfolgreiches Streben nach mehr Einfluss in den multilateralen Organisationen letztlich auch
finanziell unterstreichen kann.
Im Titel „Beitrag an die Vereinten Nationen“ wurden
der Baransatz und der Ansatz bei den Verpflichtungsermächtigungen maßvoll abgesenkt. Das dient der Gegenfinanzierung von Erhöhungen bei verschiedenen Titeln
im bilateralen Bereich. Die verbleibenden Ansätze ermöglichen es der Bundesregierung dennoch, ihre Aktivitäten im Bereich der Vereinten Nationen auszubauen.
Der Baransatz steigt gegenüber dem Soll 2006 um rund
16 Prozent, also etwa doppelt so stark wie das Programmkapitel des Einzelplans. Mit der beschlossenen
Verpflichtungsermächtigung wird es auch in den kommenden Haushaltsjahren möglich sein, diesen Titel signifikant zu steigern.
Weil es eine Herzensangelegenheit von mir ist,
möchte ich besonders erwähnen, dass sich der Bund ab
dem nächsten Jahr über den Titel „Beitrag an die Vereinten Nationen“ an der Finanzierung der GAVI Alliance
beteiligen wird. Die GAVI ist eine PPP-Initiative von Industrie- und Entwicklungsländern, UNICEF, der WHO,
der Weltbank, der Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung, von
Nichtregierungsorganisationen sowie von Impfstoffherstellern aus Industrie- und Entwicklungsländern. GAVI
ist die international größte Allianz zur Kinderimmunisierung. Sie trägt maßgeblich zur Reduzierung der Kindersterblichkeit bei. In den ersten fünf Jahren ihres Bestehens konnten durch GAVI weltweit weit mehr als
100 Millionen Kinder zusätzlich immunisiert und damit
vor potenziell tödlichen Krankheiten geschützt werden.
Dadurch hat die GAVI-Alliance Schätzungen zufolge allein bis Ende 2005 1,7 Millionen vorzeitige Todesfälle
verhindert. Ich unterstütze den nachhaltigen Ansatz der
GAVI und begrüße es sehr, dass die Zusage vom Gipfel
in Gleneagles umgesetzt wird.
Im Bereich der institutionellen bilateralen Entwicklungszusammenarbeit sind die Baransätze für die technische und die finanzielle Zusammenarbeit erhöht worden, was sowohl für die GTZ als auch für die KfWEntwicklungsbank neue Handlungsspielräume eröffnet.
Wichtiger als die Steigerung der Baransätze ist jedoch
die deutliche Steigerung bei den Verpflichtungsermächtigungen: bei der finanziellen Zusammenarbeit um
30 Prozent und bei der technischen Zusammenarbeit um
25 Prozent. Dadurch wird sichergestellt, dass beide Organisationen auch in den kommenden Jahren mit einem
Mittelzuwachs rechnen können und so ihre Arbeit erfolgreich fortsetzen können.
Eine weitere wichtige Änderung im Bereich der finanziellen Zusammenarbeit ist die Verdoppelung der
Iris Hoffmann ({1})
Plafonds für Treuhandmittel auf rund 50 Millionen
Euro. Treuhandmittel werden in der finanziellen Zusammenarbeit speziell für die Finanzierung von Vorhaben
privater Träger in den Entwicklungsländern in dem besonders förderungswürdigen Bereich der Mikrofinanzierung eingesetzt. Gerade angesichts der vom Bund ins
Leben gerufenen Mikrofinanzierungsinitiative für SubSahara-Afrika war diese Aufstockung der Mittel durchaus sinnvoll. Sie erhöht den Gestaltungsspielraum in diesem Bereich enorm.
Bei aller gebotenen Konzentration auf die großen
multi- und bilateralen Organisationen dürfen die kleineren Programme und die zivilgesellschaftliche Entwicklungszusammenarbeit nicht vernachlässigt werden.
Darum möchte ich Ihren Blick hierauf lenken.
({2})
Ein Schwerpunkt unserer parlamentarischen Beratungen
lag darauf, es auch diesen Organisationen zu ermöglichen, angemessen an der positiven Entwicklung dieses
Einzelplanes zu partizipieren.
Lassen Sie mich einige Beispiele herausgreifen. Neben den politischen Stiftungen und den Kirchen, deren
Mittelansätze auch in diesem Haushaltsjahr eine Steigerung erfahren haben, möchte ich noch einmal den Titel
„Förderung entwicklungswichtiger Vorhaben privater
deutscher Träger“ erwähnen. Hieraus werden basisnahe
Projekte vieler ehrenamtlich tätiger Vereine und Nichtregierungsorganisationen gefördert. Diese Projekte wirken
in den Partnerländern ganz unmittelbar an der Basis. Sie
erreichen vor allem die ärmsten Bevölkerungsgruppen
und tragen direkt zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen bei.
Ein weiter Schwerpunkt, den wir in diesen Haushaltsberatungen gesetzt haben, ist auf die Verstärkung des
Kampfes gegen HIV/Aids gelegt. Dazu gehört auch die
Aufstockung des deutschen Beitrages zum Globalen
Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria um gut 21 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
({3})
- Das ist auch gut.
Gleichzeitig wurden durch die Zweckbindung eines
Teils der zusätzlichen Mittel die bilateralen Programme
zur Bekämpfung von Aids und HIV gestärkt. Denn biund multilaterale Programme arbeiten nicht nebeneinander, sondern ergänzen sich. Genau das wollen wir erreichen. Am Beispiel der Arbeit des Globalen Fonds wird
das deutlich. Er finanziert bislang hauptsächlich Medikamente und Verhütungsmittel, unterhält jedoch keine
Außenstrukturen und Büros und ist daher von den Strukturen in den Partnerländern vor Ort stark abhängig.
Genau hier greifen die deutsche finanzielle Zusammenarbeit und die technische Zusammenarbeit ein und unterstützen in verschiedenen Ländern den Aufbau von Umsetzungsstrukturen und -verfahren.
So erhalten beispielsweise in Uganda und Sierra
Leone Social-Marketing-Organisationen Kondome, die
durch Mittel des Global Fonds beschafft werden. Dass
diese Kondome aber auch effektiv verbreitet werden
können, ist das Verdienst der finanziellen Zusammenarbeit. Sie hat Gutscheinsysteme eingeführt und die
Durchführung von Informationskampagnen sowie das
begleitende Monitoring finanziert. Erst durch diese
Kombination der Maßnahmen und das Zusammenwirken mit der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit
kommen sie richtig zum Tragen. Diese Synergien und
komparativen Vorteile von bi- und multilateralem Mitteleinsatz bei der Aidsbekämpfung gilt es nun und auch in
Zukunft zu stärken.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend hätte
ich gerne noch einige grundlegende Ausführungen zu
den im Moment diskutierten Umstrukturierungen der
Durchführungsorganisationen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gemacht. Meine Redezeit ist jedoch abgelaufen. Ich hoffe, dass dieses Thema in dieser
Debatte noch aufgegriffen wird.
Ich wünsche mir, dass wir hier Anfang des Jahres gemeinsam eine gute Lösung finden, durch die wir die
deutsche Entwicklungszusammenarbeit und insbesondere auch die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit
stärken und mit der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit verknüpfen.
Vielen Dank.
Für Die Linke spricht die Kollegin Heike Hänsel.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Im Rahmen der Haushaltsdebatte ziehen wir heute auch
Bilanz über ein Jahr große Koalition. Wie sieht es da in
der Entwicklungspolitik aus? Mein bleibendster Eindruck ist - ich bin neu im Parlament -, dass wir im Entwicklungsausschuss sehr häufig über die Beteiligung an
Militäreinsätzen als Beitrag zur Entwicklung abstimmen mussten. Vor ein paar Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. Insofern hat die Enttabuisierung des
Militärischen, wie es Gerhard Schröder formuliert hat,
wirklich gegriffen. Sie ist vollzogen und wird von der
großen Koalition konsequent weiter betrieben. Das neue
Zauberwort dabei heißt „zivil-militärische Zusammenarbeit“.
Herr Struck hat sich heute Morgen über die Bemerkung von Gregor Gysi empört, deutsche Soldaten seien
in Kriegseinsätzen. Er hat gesagt, das sei falsch, die Soldaten seien in Friedensmissionen und würden Aufbauund Entwicklungshilfe leisten.
({0})
Ich muss sagen: Das ist eine recht plumpe Manipulation
der öffentlichen Meinung.
({1})
Ich möchte den Satz wiederholen, den ich hier bereits
vor einem Jahr gesagt habe: Soldaten sind keine Entwicklungshelfer.
({2})
Das gilt nach wie vor. Was macht zum Beispiel das
Kommando Spezialkräfte in Afghanistan? Wir sind nicht
darüber informiert, was dort gemacht wird und ob diese
Spezialtruppe zurzeit in Afghanistan ist oder nicht, und
zwar deswegen, weil sie einen Kampfauftrag hat, weil
sie im Kriegseinsatz ist und es zu gefährlich wäre, uns
darüber zu informieren. Soldaten sind zuallererst dazu
ausgebildet, Menschen zu töten.
({3})
Sie können auch getötet werden. Wer im Bundestag die
Hand dafür hebt, Soldaten ins Ausland zu schicken,
nimmt dies in Kauf.
({4})
Dies muss man im Zusammenhang mit der Diskussion, ob deutsche Soldaten in den Süden Afghanistans
gehen sollen oder nicht, klar sagen. Wer Ja zum Einsatz
von Soldaten im Ausland sagt, kann sich nicht vor den
Konsequenzen drücken, die das nach sich zieht. Genau
deshalb halte ich die Vermischung von Militäreinsätzen
mit Aufbau- und Entwicklungshilfe für fatal. Die Soldaten in Afghanistan sind in unseren Augen nicht Teil der
Lösung, sondern Teil des Problems.
({5})
Deshalb fordern wir den sofortigen Abzug der Soldaten
aus Afghanistan.
({6})
Das Land gehört noch immer zu einem der ärmsten
der Erde. Es wurde berechnet, dass der Westen für diesen Militäreinsatz in den letzten Jahren insgesamt mehr
als 82 Milliarden Euro ausgegeben hat, während für die
zivile Entwicklung und für den Aufbau des Landes gerade einmal 7 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt
wurden.
Die zivil-militärische Zusammenarbeit ist eine Illusion; denn das Zivile muss immer auf Kosten des Militärischen zurückstecken.
({7})
Je mehr Geld man in den militärischen Bereich investiert, desto weniger bleibt für die zivile Entwicklung
übrig. Das ist eine logische Folgerung. So können die
Herzen der Menschen in Afghanistan nicht gewonnen
werden, die ohne Strom, Wasser und Gesundheitsversorgung leben und keine Arbeit haben, aber tagtäglich gut
ausgerüsteten und rundum versorgten Soldaten begegnen.
Deshalb haben wir uns für den Abzug der Soldaten
aus Afghanistan eingesetzt. Die dadurch frei werdenden
Haushaltsmittel wollen wir umwidmen und sie in den zivilen Aufbau des Landes investieren.
({8})
Das ist die beste Form von Sicherheitspolitik, Herr
Königshaus. Unser Antrag geht am weitesten; denn wir
streben eine grundsätzlich andere Ausrichtung der deutschen Außenpolitik an.
Frau Merkel hat heute Vormittag das Modell der zivilmilitärischen Zusammenarbeit angesprochen. Die Militär-, die Außen-, die Wirtschafts- und die Entwicklungspolitik sollen das zukünftige Standardmodell für
Auslandseinsätze darstellen. Auch Herr Steinmeier hat
sich in letzter Zeit vermehrt dafür ausgesprochen. Im
Grunde ist das aber nichts anderes als eine moderne
Form von Militäreinsätzen bzw. eine Art Interventionismus light. Denn es handelt sich nach wie vor um Militäreinsätze, mit denen die deutschen Interessen verfolgt
werden sollen. Im Weißbuch, in dem neuen strategischen
Konzept der Bundeswehr, ist sogar die Sicherung des
Zugangs zu Rohstoffen bzw. zu Energie insgesamt als
vitales Interesse der Bundesrepublik Deutschland definiert.
({9})
Die Entwicklungspolitik verkommt dabei in zunehmendem Maße zum strategischen Anhängsel der Sicherheitspolitik. Wir lehnen solche integrierten Militäreinsätze, die in Zukunft vermehrt im Rahmen der EU
stattfinden sollen, ab. Stattdessen setzen wir uns dafür
ein, eine aktive zivile Friedenspolitik zu betreiben, die
mehr als nur Sicherheitspolitik ist.
({10})
Zu diesem Zweck müssen in unseren Augen auch im
Haushalt die richtigen Weichen gestellt werden, sowohl
was die Ausweitung des zivilen Friedensdienstes angeht,
als auch was die Finanzierung der UN-Organisationen
betrifft, die sich um Entwicklung, humanitäre Hilfe und
zivilen Aufbau bemühen. Dazu haben wir zahlreiche
Anträge gestellt. Insofern muss ich sagen: Es ist für mich
politisch nicht nachvollziehbar, warum die im Haushalt 2007 ursprünglich vorgesehene Erhöhung der Beiträge, die an die Vereinten Nationen und an den Global
Fund gezahlt werden sollten, von den Haushaltspolitikern zurückgenommen wurde.
({11})
Als ich vor kurzem gemeinsam mit einer Delegation
die Vereinten Nationen besucht habe, wurden wir überall gefragt, warum Deutschland im Verhältnis zu seiner
Wirtschaftskraft nur so geringe Beiträge an die Vereinten
Nationen zahlt. Es gibt zum Beispiel einen neu eingerichteten Nothilfefonds, an dem sich 60 Länder, darunter
viele Entwicklungsländer, beteiligen. Deutschland zahlt
in diesen Fonds keinen einzigen Cent. Das ist ein Skandal. Meiner Meinung nach wäre es viel besser, wenn
Deutschland seine internationale Verantwortung im
zivilen Bereich wahrnehmen würde, statt Soldaten in
alle Welt zu schicken. Genau das fordern wir auch ein.
({12})
Im Zusammenhang mit der Erhöhung der Mittel des
Einzelplans 23 und angesichts der steigenden ODAQuote möchte ich darauf hinweisen - auch das habe ich
bereits mehrfach kritisiert -, dass die Entschuldung bei
der Berechnung der ODA-Quote nach wie vor angerechnet wird. Das ist nicht zulässig. Die OECD hat berechnet, dass die ODA-Quote deutlich niedriger wäre, wenn
die Entschuldung nicht angerechnet würde. Dieses Vorgehen ist nicht legitim. Wir setzen uns dafür ein, dass die
Mittel im Verteidigungshaushalt umgeschichtet werden
und mehr Geld für die Entwicklungspolitik zur Verfügung gestellt wird. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wir haben dazu viele Vorschläge erarbeitet. Aber
es ist nicht legitim, die Entschuldung bei der Berechnung der ODA-Quote anzurechnen.
Zum Schluss möchte ich noch kurz auf die auch in
den heutigen Debatten mehrfach erwähnte G-8-Präsidentschaft und auf die EU-Ratspräsidentschaft
Deutschlands eingehen. Im Etat des Einzelplans 23
wurden mehr als 4 Milliarden Euro für Konferenzen und
Kongresse angesetzt. In meinen Augen wäre es die beste
entwicklungs- und friedenspolitische Initiative, dieses
Geld für Kongresse zu streichen und es umzuwidmen für
die Erreichung der Millenniumsziele, für die Bekämpfung von Armut und Hunger und den Klimaschutz. Den
G-8-Gipfel können wir uns sparen.
({13})
Er ist nur die Zusammenkunft der reichen und mächtigen
Staaten, die ohne jegliche Legitimation weit reichende
Entscheidungen bezüglich Weltwirtschaft und neuer Militäreinsätze treffen.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.
Ich komme zum Schluss. - Wir brauchen ernsthafte
Initiativen für weltweite Abrüstung und einen umfassenden Klimaschutz. Dafür haben wir viele Vorschläge gemacht. Viele Menschen vernetzen sich weltweit in diesem Zusammenhang. Ich sage Ihnen: Viele Menschen
werden nächstes Jahr beim G-8-Gipfel dafür auf die
Straße gehen. Wir werden dabei sein.
Danke.
({0})
Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege
Jochen Borchert.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der vorliegende Bundeshaushalt 2007 ist ein deutliches
Zeichen dafür, dass die Bundesregierung ihre internationale Verantwortung wahrnimmt und dieser Verantwortung gerecht wird, einer Verantwortung, über die wir im
Zusammenhang mit dem vorherigen Einzelplan intensiv
diskutiert haben. Mit einer deutlichen Steigerung der
Mittel für den Einzelplan 23, den Etat des Ministeriums
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,
zeigen wir, dass wir die globale Herausforderung ernst
nehmen.
Herr Kollege Königshaus, Sie haben mich enttäuscht:
Sie haben von den FDP-Klassikern nur die Abschaffung
der Entwicklungshilfe für China gefordert. Da ist Ihr
Kollege Koppelin wesentlich konsequenter: Er fordert in
jeder Debatte die Auflösung des BMZ, verbunden mit
einer Angliederung an das Auswärtige Amt.
({0})
Ich weiß also nicht, ob es einen ersten Sinneswandel bei
der FDP gibt; aber ich würde ihn begrüßen.
({1})
Wir konnten den Etat wechselkursbereinigt um gut
337 Millionen Euro steigern. Das entspricht einem Plus
von gut 8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Wir haben bei den parlamentarischen Beratungen den
Schwerpunkt auf drei Bereiche gelegt:
Erstens haben wir deutlich gemacht, dass wir die Arbeit unserer bilateralen Partner weiter stärken.
Zweitens haben wir mit der Erhöhung der Mittel für
die Bekämpfung von HIV/Aids um 15 Millionen Euro
gegenüber dem Regierungsentwurf deutlich gemacht,
dass wir die Ankündigung der Bundesregierung, die
Mittel für die Bekämpfung von HIV/Aids zu erhöhen,
aktiv unterstützen.
Drittens konnten wir die Wirksamkeit der deutschen
finanziellen Zusammenarbeit durch etatneutrale Veränderungen im Haushalt deutlich stärken. Auf diese drei
Schwerpunkte will ich jetzt eingehen.
({2})
Deutschlands Möglichkeiten in der Entwicklungszusammenarbeit sind ausgesprochen vielseitig. Wir verfügen über effiziente, international anerkannte bilaterale
Organisationen der staatlichen EZ. Wir verfügen über
eine facettenreiche Landschaft der Nichtregierungsorganisationen, die sich engagiert für die wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung einsetzen. In der parlamentarischen Beratung haben wir zugunsten der
bilateralen EZ 40 Millionen Euro umgeschichtet. Damit
stärken wir die Arbeit unserer bilateralen Entwicklungsorganisationen. Die Diskussion über eine Stärkung der
deutschen bilateralen EZ beschränkt sich aber nicht nur
auf die reinen Etatberatungen, sondern die Diskussion
umfasst auch die Struktur der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit. Ich begrüße es, dass auch im Koalitionsvertrag ausdrücklich die Verbesserung der Strukturen und eine Steigerung der Effizienz der Organisationen
der Entwicklungszusammenarbeit gefordert werden.
Deshalb diskutieren wir zurzeit lebhaft darüber, wie wir
unsere beiden Durchführungsorganisationen KfW und
GTZ noch besser miteinander verknüpfen können.
Der Haushaltsausschuss hat den Bundesrechnungshof
beauftragt, Möglichkeiten einer Verbesserung der Zusammenarbeit zu überprüfen, die ein positives KostenNutzen-Verhältnis aufweisen. Denn Effizienz bedeutet
auch hier, gewissenhaft zu prüfen, welche Veränderungen tatsächlich eine Verbesserung der Zusammenarbeit
bringen. Ich will aber eines betonen: Bei allen Veränderungen ist es erforderlich, dass die komparativen Vorteile und das markante Profil der deutschen EZ nicht verloren gehen. Ich denke, wir tragen die Verantwortung für
eine nachhaltige Stärkung der deutschen EZ.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung hat ihr Engagement für die globale Bekämpfung
von Aids, Malaria, Tuberkulose und anderen Infektionskrankheiten in den letzten Jahren stetig erhöht. Ich
denke, dies ist ein großer persönlicher Erfolg für Sie,
Frau Ministerin Wieczorek-Zeul. Die deutsche Entwicklungspolitik ist im Bereich HIV/Aids jetzt bilateral in
fast 50 Ländern mit international anerkannten innovativen Ansätzen aktiv. Besonders im Bereich der HIV/
Aids-Bekämpfung hat sich gezeigt - darauf ist meine
Kollegin Iris Hoffmann schon eingegangen -, wie wichtig die komplementäre Arbeitsteilung zwischen den bilateralen Entwicklungsorganisationen und den multilateralen Gebern ist. So können die bilateralen Geber in den
Partnerländern ohne aufwendige Bürokratie und ohne
lange Abstimmungsverfahren schnell und effizient Unterstützung leisten.
Der Fonds GFATM verfügt über keine eigene Außenstruktur und ist daher ohne bilaterale Partner häufig nicht
in der Lage, die betroffenen Länder beim Aus- und Aufbau der nötigen Umsetzungsstrukturen und -verfahren zu
unterstützen. Ich denke, dies verdeutlicht die Notwendigkeit einer komplementären Zusammenarbeit und die
Notwendigkeit, sowohl bilaterale als auch multilaterale
Unterstützung zu bieten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in einer Pressemitteilung des Aktionsbündnisses gegen Aids wird das Parlament aufgefordert, gegen den Einzelplan 23 zu stimmen, weil die Mittel zur Bekämpfung von HIV/Aids
gekürzt worden und die Beiträge an die Vereinten Nationen abgestürzt seien. Ich setze mich gerne mit jedem
Einwand auseinander, in dem die Zahlen auch nur einigermaßen stimmen. Die Zahlen, mit denen das Aktionsbündnis gegen Aids argumentiert, haben mit der Haushaltswirklichkeit aber überhaupt nichts zu tun.
So wird behauptet, die Baransätze im Titel 687 01
- Beiträge an die Vereinten Nationen - lägen unter den
Ansätzen von 2004. Die tatsächlichen Zahlen sind: 2004
wurden im Haushalt dafür 155,2 Millionen Euro eingesetzt. In dem Entwurf für 2007, über den wir jetzt diskutieren, haben wir 199,3 Millionen dafür eingesetzt. Im
Vergleich von 2007 zu 2004 bedeutet das eine Steigerung um 44,1 Millionen Euro oder 28 Prozent.
({4})
- In der Presseerklärung werden die Zahlen von 2004
und 2007 miteinander verglichen. Es sind 2007 nun einmal 44,1 Millionen Euro mehr. Wenn Sie die Zahlen geliefert haben, dann sollten Sie sie noch einmal überprüfen.
({5})
Auch die Mittel zur Bekämpfung von HIV/Aids
sind nicht gekürzt worden, sondern im Haushalt 2007
werden für den GFATM, den Fonds zur Bekämpfung
von Aids, Tuberkulose und Malaria, 15 Millionen Euro
mehr als in diesem Jahr eingesetzt. Im Zuge der parlamentarischen Beratung haben wir die Mittel zur Bekämpfung von Aids für die bilateralen Organisationen
um 20 Millionen Euro erhöht. Das heißt, im Vergleich zu
2006 werden 2007 im Einzelplan 23 mindestens 35 Millionen Euro mehr zur Bekämpfung von Aids zur Verfügung gestellt. Das ist alles andere als eine Senkung der
Mittel.
({6})
- Frau Präsidentin, der Kollege Addicks möchte gerne
eine Zwischenfrage stellen.
({7})
Möchten Sie sie gerne zulassen?
Mit großem Vergnügen.
Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege, abgesehen von den absoluten Zahlen: Könnten Sie uns bitte
auch sagen, an welcher Stelle wir im internationalen
Kontext mit unseren Beiträgen zum Global Fund stehen?
Ich denke, es geht jetzt nicht darum, an welcher Stelle
wir stehen; aber ich will zu dem Global Fund gleich
noch einige Zahlen nennen, damit dies deutlich wird.
Ich habe eben ja nur die Erhöhung von 2006 auf 2007
angesprochen. Wenn Sie sich die Zahlen der vergangenen Jahre ansehen, dann erkennen Sie, dass wir 2003
32,5 Millionen Euro in den Global Fund eingezahlt haben, während wir im nächsten Jahr 87 Millionen Euro
einzahlen werden. Ich glaube, es gibt kaum ein anderes
Land, das in diesen Jahren eine so imposante Steigerung
wie die Bundesrepublik Deutschland aufweist.
({0})
Es wäre schön gewesen, wenn Sie, Herr Addicks, zugehört hätten; denn jetzt stellen Sie das nächste Mal vielleicht wieder diese Frage. Ich beantworte sie dann aber
gerne noch einmal.
({1})
Ich denke, wer hier von Kürzungen spricht - vielleicht
machen Sie das gleich -, der weiß offensichtlich nicht,
wovon er spricht.
Die Mittelansätze zur Bekämpfung von HIV/Aids
steigen deutlich. So haben wir sichergestellt, dass sowohl die multilaterale Gebergemeinschaft als auch die
bilaterale Hilfe mit ausreichenden Finanzmitteln ausgestattet sind, dass die Menschen unmittelbar von dieser
Hilfe profitieren und wir ein System aufbauen, das zur
Eigenhilfe befähigt. Ich denke, das sollte das Ziel unserer Politik sein. So haben wir sichergestellt, dass unsere
Mittel effizient und nachhaltig eingesetzt werden.
Neben den Baransätzen haben wir die Effizienzsteigerung auch durch wichtige Änderungen im Bereich der
finanziellen Zusammenarbeit erreicht, die wir beschlossen haben. Frau Hoffmann hat bereits darauf hingewiesen, dass wir die Mittel für den Treuhandfonds von
25 Millionen auf 50 Millionen Euro verdoppelt haben.
Die Darlehen können flexibler und in größerem Umfang
eingesetzt werden. Die Bundesregierung wird durch die
Erweiterung des Treuhandfonds auf 50 Millionen Euro
in die Lage versetzt, über die KfW ihr Engagement bei
Mikrobanken und Mikrofinanzierungsinstituten auszuweiten.
Mikrokredite helfen den Menschen vor Ort, sich eine
eigene, von Hilfe unabhängige wirtschaftliche Existenz
aufzubauen. Aber nicht nur die Mikrofinanzierung profitiert von der Verdoppelung des Treuhandfonds, sondern
auch der Bereich der erneuerbaren Energien. Die Finanzierung von Maßnahmen in diesem Bereich - die so
genannten 4-E-Fazilitäten - sind ein entscheidender Erfolgsfaktor, um die Ziele der deutschen Entwicklungszusammenarbeit auch im Hinblick auf den Klimaschutz
voranzutreiben.
Wir haben gleichzeitig auch die Möglichkeiten für die
Ausdehnung der Vergabe zinsverbilligter Darlehen deutlich erhöht. Dadurch können wir eine erhöhte Wirksamkeit der Mittel erreichen. Zum einen stehen mehr Mittel
für dieses Instrument zur Verfügung und zum anderen
kann ein weiterer Nachfragekreis bedient werden.
Bei den Weichenstellungen für die nächsten Haushaltsjahre geht es um eine weitere Stärkung der Entwicklungszusammenarbeit. Dafür haben wir die Verpflichtungsermächtigungen bei der TZ und FZ erhöht. Wir
haben aber auch die Stellung der Stiftungen der Kirchen
im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit mit einer
Erhöhung der VE unterstrichen.
Ich möchte mich zum Schluss sehr herzlich bei meiner Kollegin Iris Hoffmann für die gute Zusammenarbeit
bedanken. Ich denke, wir haben intensiv beraten. Wir haben immer sach- und fachgerechte Lösungen im Sinne
der Entwicklungspolitik gefunden. Dafür sage ich herzlichen Dank.
Ich bedanke mich aber auch bei den Berichterstattern
der anderen Fraktionen für die gute Diskussion und die
konstruktive Zusammenarbeit. Dies gilt auch für die
Ministerin und ihr Haus, bei denen ich mich ausdrücklich für die gute Zusammenarbeit bei den diesjährigen
Haushaltsberatungen bedanke. Ich denke, wir legen
heute einen Einzelplan 23 vor, dem man mit voller Überzeugung zustimmen kann.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Jürgen Koppelin.
Da der Kollege Borchert mich persönlich angesprochen hat, will ich zwei Bemerkungen machen.
Erstens geht es um unsere Vorstellungen als FDP hinsichtlich der Auflösung des Ministeriums. Darüber
kann man sich durchaus streiten. Ich muss aber immer
wieder feststellen - ich bin auch für den Etat des Auswärtigen Amtes zuständig -, dass es erhebliche Reibungsverluste zwischen dem Auswärtigen Amt und dem
BMZ gibt. Es gibt immer wieder Probleme in der Planung und insgesamt Probleme in der Zusammenarbeit.
Ich finde, dass sich zumindest diese beiden Ministerien
zusammentun sollten, um zu überlegen, wie sie diese
Reibungsverluste beenden könnten. So kann es nämlich
nicht weitergehen. Es gibt seit längerer Zeit immer wieder erhebliche Probleme. Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt hat im Haushaltsausschuss eindeutig und klar
dargelegt, wo die Probleme in der Zusammenarbeit liegen und zu welchen Verlusten das gerade für die Politik
des Auswärtigen Amtes führt.
Zweitens. Was die Zusammenarbeit zwischen KfW
und GTZ und die Konzentration der Entwicklungshilfe
angeht, ist eines festzustellen, Kollege Borchert - ich
finde, das haben Sie in Ihrer Darstellung ein bisschen
weichgezeichnet -: Es ist doch sehr merkwürdig, dass
man ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen mit einem
Gutachten beauftragt, das gleichzeitig Wirtschaftsprüfer
sowohl der KfW als auch - das gebe ich zu - der GTZ
ist. Wie wäre es denn gewesen, wenn man neutrale Wirtschaftsprüfer beauftragt hätte? So hat man einen Auftrag
im Wert von 160 000 Euro vergeben und aus meiner
Sicht fast ein Gefälligkeitsgutachten bekommen; denn
die Konsequenzen einer Zusammenlegung von GTZ und
KfW kommen gar nicht vor. Eine Zusammenlegung
würde bedeuten, dass wir zum Beispiel bestimmte Aufträge der GTZ europaweit ausschreiben müssten. Das
kann doch nicht in unserem Sinne sein. Wie kommen wir
eigentlich dazu, ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen,
das sowohl die GTZ als auch die KfW prüft, mit einem
solchen Gutachten zu beauftragen, ohne dass übrigens
der Aufsichtsrat der GTZ jemals darüber informiert
wurde? Bis heute hat der Aufsichtsrat der GTZ nicht
über das Gutachten diskutieren dürfen.
Der Skandal ist aber, dass die Ministerin in der Presse
verkündet, bis Ende Dezember sei der Vorgang abgeschlossen. Deswegen hat meine Fraktion den Antrag gestellt - diesem haben sich viele angeschlossen -, dass
erst einmal der Bundesrechnungshof das Gutachten
überprüfen soll. Ich glaube, dass der eine oder andere
noch staunen wird.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch Folgendes
sagen: Wir haben der Ministerin Gott sei Dank einiges
an Geld weggenommen, für das sie keine Pläne hatte.
Deswegen konnten wir die Mittel an der einen oder anderen Stelle aufstocken. Das ist erfreulich und zeugt von
einer wunderbaren Zusammenarbeit. Dafür bedanke ich
mich ganz herzlich.
({0})
Zur Erwiderung hat der Kollege Königshaus das
Wort.
({0})
Lieber Herr Kollege Koppelin, ich habe erstens mit
großem Interesse vernommen, dass Sie nicht mehr die
Auflösung des BMZ fordern, sondern verlangen, dass
sich die beiden Ministerien zusammensetzen mit dem
Ziel, die Reibungsverluste zu verringern. Ausgehend
von Ihrer bisherigen Position ist das, finde ich, ein gutes
Rückzugsgefecht.
({0})
Zweitens, zu den Anmerkungen über eine bessere Zusammenarbeit von GTZ und KfW. Ich habe keine Veranlassung, daran zu zweifeln, dass die KPMG das Gutachten neutral erstellt hat. Es gibt zwar offene Fragen in
dem Gutachten. Aber darüber haben wir bereits intensiv
diskutiert. Um die offenen Fragen zu klären, haben wir
- wie ich finde: zu Recht - den Bundesrechnungshof beauftragt. Wir werden dann im Ausschuss über dieses
Gutachten mit aller Intensität diskutieren.
Unser Ziel muss es sein, die Zusammenarbeit zu verbessern und dort, wo es möglich ist, zu Kostenersparnissen aufgrund einer verbesserten Zusammenarbeit zu
kommen. Ich bleibe aber bei meiner Aussage, dass dabei
die jetzigen Vorteile der durchaus spezialisierten Durchführungsorganisationen, die das spezifische Profil der
deutschen Entwicklungspolitik ausmachen, auch in Zukunft erhalten bleiben. Ich sehe mit Interesse den Ergebnissen entgegen, zu denen wir in den Beratungen im
Haushaltsausschuss kommen werden.
({1})
Herr Kollege Borchert, ich entschuldige mich herzlich. Der Herr Kollege Königshaus hat seinem Kollegen
so heftig zugenickt, dass sich sein Name in meinem
Kopf vorgedrängt hat.
({0})
Ich erteile jetzt das Wort der Kollegin Ute Koczy für
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als Erstes möchte ich meinem kranken Kollegen Thilo Hoppe gute Besserung wünschen. Er wollte
eigentlich hier sprechen. Aber seine Genesung dauert etwas länger. Ich wünsche ihm von hier aus alles Gute und
Geduld mit seiner Krankheit.
({0})
Als Zweites möchte ich der Ministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul nachträglich zu ihrem gestrigen Geburtstag gratulieren. Das darf man sicherlich in einer
Haushaltswoche.
({1})
Als Drittes möchte ich auf Ihre Kurzintervention reagieren, Herr Koppelin. Die Qualität der deutschen Entwicklungszusammenarbeit entsteht durch ihr eigenes
Profil. Das, was Sie sich wünschen, nämlich weniger
Reibungsverluste, würde bedeuten, dass wir ein Qualitätsmerkmal in der deutschen Außenpolitik vermissen
würden. Sie verachten damit ein bisschen die Armutsbekämpfung und sehen außerdem die Eigenständigkeit
nicht. Sie sind auf einem vollkommen falschen Weg.
Deswegen bin ich strikt gegen Ihre Position. Ich halte es
für falsch, in diese Richtung zu agieren. Es wäre vielmehr notwendig, andere Wege einzuschlagen.
({2})
Frau Koczy, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Koppelin zulassen?
Ja, bitte, wenn es nicht von meiner Redezeit abgeht.
Bitte, Herr Koppelin.
Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass der frühere Bundesaußenminister Joseph
Fischer die gleiche Haltung wie ich vertreten hat, nämlich dass eigentlich das BMZ in das Auswärtige Amt
eingegliedert werden sollte?
Herr Koppelin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich nicht Joschka Fischer bin und dass ich eine
andere Auffassung habe?
({0})
Wir verabschieden heute den entwicklungspolitischen
Haushalt für das Jahr 2007. Das ist ein spannendes Jahr,
ein Jahr, das der Bundesregierung Gestaltungsspielraum
wie selten in der internationalen Politik gibt. Mit der EURatspräsidentschaft und dem Vorsitz des G-8-Gipfels
hat die Bundesregierung eine große Chance. Sie kann
den Rahmen für eine menschliche, soziale und ökologisch verträgliche Globalisierung mitgestalten. Sie kann
auch angesichts der Klimakatastrophe in dieser unserer
einen Welt den Fuß auf die Bremse setzen. Sie kann sogar, wenn sie denn fit genug und willens wäre, jetzt Führungsqualitäten zeigen und sich an die Spitze der Gipfel
stellen. Diese vielleicht ungewohnte Rolle ist Kanzlerin
Merkel nicht nur vonseiten der britischen Außenministerin Beckett nahe gelegt worden.
Aus entwicklungspolitischer Sicht begrüßen wir die
stärkere Hinwendung zu Afrika. Immerhin ist der Bundesregierung gerade noch rechtzeitig aufgegangen, dass
man diesen Kontinent nicht ignorieren sollte. China ist
uns da mit dem China-Afrika-Gipfel meilenweit voraus.
Die deutschen Vorstellungen, was unter der Präsidentschaft laufen soll, sind noch etwas nebulös. Hoffentlich
wird das nicht auch noch peinlich, weil sich die afrikanischen Staaten nicht mehr mit einer Appel-und-Ei-Politik
abspeisen lassen werden. Liebe Bundesregierung, Sie
hatten offenbar vor, zu kleckern, aber Sie werden nicht
umhinkommen, in diesem Zusammenhang zu klotzen.
Ähnliches gilt für den Haushalt. Die wichtigste Frage,
die heute eigentlich diskutiert werden müsste, ist die,
wie viel Geld Deutschland in Zukunft analog zu seiner
Leistungsfähigkeit tatsächlich in eine globale Entwicklungspartnerschaft einbringen will. Der Haushalt 2007
und das Konzept, das die Bundesregierung für den G-8Vorsitz vorgelegt hat, machen vor allem eines klar: Sie
hat keinen Plan. Sie hat keinen Plan, wie der EU-Stufenplan umgesetzt werden soll, sie hat keinen Plan, wie
multilaterale Politik gestärkt werden soll, und sie hat
keinen Plan, wie neue Finanzierungsinstrumente Umweltschutz und Entwicklung befördern sollen.
Verehrte Ministerin Wieczorek-Zeul, mit Plan meine
ich nicht, dass man mathematisch aufzeigt, wie sich die
Steigerungen ergeben sollen. Mit Plan meine ich, dass
man konzeptionell und strategisch aufzeigen muss, wie
man im Einzelplan 23 von den jetzigen 4,5 Milliarden
Euro auf einen echten Mittelzuwachs kommen will. Die
Zahl von 4,9 Milliarden Euro, die in der mittelfristigen
Finanzplanung steht, ist nämlich lächerlich. Selbst wenn
das Ganze nur einen Teil der ODA-Quote ausmacht, erreichen Sie damit 2015 nie und nimmer die anvisierte
ODA-Quote von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens. Eigentlich müsste pro Jahr 1 Milliarde Euro draufgesattelt werden. So sehr wir die Steigerung von
324 Millionen Euro im Haushaltsentwurf 2007 lobend
begrüßen, bleiben die Zahlen doch klar hinter den Erfordernissen von 1 Milliarde Euro zurück.
Sie können sich auch nicht auf die Schuldenerlasse
verlassen. Noch segeln Sie im Wind der Nigeria- und
Irakentschuldungen und verlassen sich darauf, dass dadurch die ODA-Zahlen beschönigt werden. Doch das
wird 2008 nachlassen. Dann werden Sie feststellen, dass
der Effekt verpufft ist und Sie in dieser Flaute auf einmal
nicht mehr vom Fleck kommen. Darauf haben gerade
auch die Hilfswerke zu Recht in ihrem Bericht „Die
Wirklichkeit der Entwicklungszusammenarbeit“ hingewiesen. Also aufgepasst: Das Erreichen von 0,7 Prozent
bis 2015 ist bisher nur Ankündigung. Die Frage der
Konkretisierung bleibt der Knackpunkt.
Die Bundesregierung legt es darauf an, mit einer G-8Agenda zu brechen, die bis Gleneagles sehr stark die
Mitverantwortung der reichen Länder für die Bewältigung der Entwicklungsprobleme im Süden betont hat.
Daraus sind eine ganze Menge konkreter Entscheidungen entstanden. Statt diese Vorarbeiten zu nutzen und
jetzt auch dafür zu werben, lassen Sie die europäischen
Nachbarländer, gerade was die innovativen Finanzierungsinstrumente angeht, alleine stehen. Die Bundesregierung hat Angst vor einer Steuerdiskussion, aber anscheinend nur dort, wo „Bild“-Zeitung und Lobbyisten
wie die aus der Flugindustrie ihr diese Angst einjagen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Dann sage ich meinen letzten Satz, Frau Präsidentin.
- Ich bin der Meinung: Das ist zu wenig. Sie müssen
mehr tun. Das mickrige Ergebnis aus diesem Haushalt,
mit dem Sie die EU- und die G-8-Präsidentschaft übernehmen, reicht leider nicht aus. Wir werden Sie daran erinnern, wenn Sie in Geldnöten sind.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat die Bundesministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sie können ganz sicher sein, Frau Koczy: Wir werden
den ODA-Stufenplan einlösen. Dafür stehe ich politisch
und dafür steht die Koalition. Wir haben uns das - so
steht es in unserer Koalitionsvereinbarung - vorgenommen und werden es entsprechend umsetzen.
({0})
Lassen Sie mich an der Stelle - Herr Borchert hat es
schon angesprochen - in unser aller Namen einem Mann
von hier aus unseren herzlichen Dank und unsere Glückwünsche übermitteln: Muhammad Yunus, der zu Recht
für sein Engagement für Mikrokredite und für die
Grameen-Bank mit dem Friedensnobelpreis belohnt
wird. Das ist eine wunderbare Leistung.
({1})
Die Mikrokredite sind aus unserer Sicht seit vielen
Jahren ein Instrument gegen Armut; sie dienen aber auch
der Prävention vor Krisen und der Friedenssicherung.
Gerade weil wir mit Kleinkrediten Armutsbekämpfung
und Friedensförderung verbinden, haben wir das Instrument schon seit langem in die politische Arbeit des Entwicklungsministeriums einbezogen.
Manchmal ist es gut, wenn man einmal ausrechnet,
was Entwicklungszusammenarbeit für Menschen tatsächlich bedeutet. Allein die deutsche Entwicklungszusammenarbeit erreicht mit ihren verschiedensten Mikrofinanzinstrumenten derzeit über 14 Millionen Menschen.
Mit deren Familien profitieren davon 50 Millionen Menschen, die dadurch aus der Armut herauskommen. Das
ist eine tolle Leistung. Das finde ich wunderbar.
({2})
Das muss verallgemeinert werden. Das muss noch stärker aufgegriffen werden. Wir haben jedenfalls im Haushalt die Mittel dafür deutlich gesteigert.
Während einer Reise nach Marokko - einige Kolleginnen und Kollegen waren dabei - habe ich die dortige
Unternehmerin des Jahres getroffen. Es handelt sich um
eine Frau, die vor ein paar Jahren mithilfe eines Mikrokredits von 150 Euro aus der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ihre Firma gegründet hat. Heute hat sie
20 Beschäftigte und ist Unternehmerin des Jahres in Marokko. Das ein wirklich tolles Ergebnis im Interesse der
Menschen, insbesondere der Frauen.
Lassen Sie mich als zweiten Punkt auf den Klimaschutz eingehen, den Frau Koczy auch schon angesprochen hat. Ich kann es nur sehr kurz machen. Eines ist
klar: Klimaschutz kostet nicht Geld, sondern er spart
dauerhaft Geld. Für unser Ministerium steht die Förderung von erneuerbaren Energien und von Energieeffizienz seit Jahren auf der Tagesordnung. Wir werden im
Jahr 2007 rund 400 Millionen Euro für diese beiden Bereiche einsetzen. Das sind die großen Renner der Entwicklungszusammenarbeit. Damit eröffnen wir den Entwicklungsländern Chancen für eine Entwicklung weg
vom Öl und wir unterstützen sie in der Armutsbekämpfung.
Ich möchte gern einen weiteren Punkt ansprechen, der
für mich wirklich nur schwer erträglich ist. Der zweitgrößte Emittent von CO2 ist China und deshalb erwähne
ich in diesem Kontext auch China. Wir wollen durch
Kredite im Rahmen unserer wirtschaftlichen Zusammenarbeit und durch Beratung mit dazu beizutragen, den
Energiepfad Chinas zu verändern. Das liegt nicht nur in
unserem ureigenen Interesse, sondern im globalen Klimainteresse. Das ist keine Entwicklungshilfe. Das ist
eine Investition in eine zukunftsfähige Entwicklung unseres Globus, auch für uns selbst.
({3})
Wer verlangt, dieses Vorgehen zu stoppen, der hat die
ganze Argumentation nicht verstanden und wird in diesen Fragen nicht weiterkommen.
({4})
- Das sind die Richtigen: Sie kritisieren vorher, dass es
diese Hilfe gibt, und wenn es nachher um bestimmte Exportinteressen geht, dann stehen sie bei mir auf der
Matte. Das habe ich wirklich gern.
({5})
Was erneuerbare Energien und mehr Energieeffizienz
angeht, ist es richtig, dass deutsche Firmen Riesenchancen haben. Diese Chancen sollten sie nutzen. Das ist
auch entwicklungspolitisch vernünftig.
Im Übrigen geht es doch auch darum, China in entsprechende Dialoge einzubeziehen. Schließlich wollen
wir verhindern, dass China Afrika dauerhaft als einen
Kontinent betrachtet, den man neokolonial - nur der
Rohstoffsicherung wegen - ausbeutet. Wir wollen dazu
beitragen, dass dieser Energiepfad nicht weiter beschritten wird.
Zum Schluss möchte ich auf Afghanistan zu sprechen kommen; diese Frage ist mehrfach angesprochen
worden. Ich finde, man sollte unsere wirklich guten
Leistungen aus parteitaktischen Gründen nicht schlechtreden. Wir haben mein Versprechen eingelöst: Seit 2002
hilft Deutschland Afghanistan jedes Jahr mit 80 Millionen Euro. Das ist der höchste Betrag für ein Entwicklungsland, den wir überhaupt zahlen. Wir haben Hilfen
in dieser Höhe bis 2010 zugesagt und dem werden wir
auch nachkommen. Wie Sie alle wissen, bin ich immer
dafür, dass unsere Mittel erhöht werden.
Doch gerade was Afghanistan anbelangt, können
deutsche Schultern nicht alles tragen. Der Wiederaufbau
Afghanistans ist eine große Gemeinschaftsaufgabe, die
die verantwortliche afghanische Regierung und die Gesamtzahl der Geber erfüllen. Wir sind bereits seit Jahren
in zehn Provinzen Afghanistans tätig, vorwiegend im
Norden. Wir leisten aber auch für den Süden Unterstützung. Mancher, der sich zu Afghanistan äußert, tut dies
so, als wenn ein Blinder von Farbe spricht. Wir unterstützen den afghanischen Wiederaufbaufonds mit
20 Millionen Euro. Dadurch werden insbesondere im
Süden Leistungen für die Infrastruktur, auch für die soziale Infrastruktur, erbracht.
Ich möchte heute ausdrücklich hinzufügen: Wir
möchten im gesamten Jahr 2007 zusätzlich in zwei Regionen des Südostens entwicklungsorientierte Nothilfe
leisten. Vorgesehen ist die Unterstützung durch lokale
Organisationen, die auf den Gebieten Infrastruktur und
soziale Grunddienste aktiv sind.
In der ganzen bisherigen Debatte hat mir etwas gefehlt, worauf ich jetzt eingehen möchte. Die Entwicklungshelfer in Afghanistan haben kein Gewehr bei
sich, um sich verteidigen zu können. Auch sie müssen
schwierige Situationen durchmachen. Ihnen will ich
danken. Das, was sie leisten, ist keine ungefährliche Arbeit. Wer etwas anderes sagt, der missachtet die Leistungen dieser Entwicklungshelfer. Ich danke ihnen außerordentlich und herzlich.
({6})
Das Wort hat der Kollege Dr. Karl Addicks für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, Sie haben gerade gesagt, dass diese Bundesregierung
die ODA-Zusagen bis 2015 einhalten wird. Ich kann nur
meiner Hoffnung Ausdruck geben, dass diese Regierung
2015 nicht mehr im Amt sein wird. Ich bin mir sicher,
dass sie so lange nicht halten wird.
({0})
Im Übrigen bin ich geneigt, hier unsere Haushälter zu
loben. Ich danke ihnen dafür, dass sie den Etat ganz beträchtlich aufgestockt haben, auch wenn dieser Haushalt
wieder ein Schuldenhaushalt ist; denn zu den bereits vorhandenen Schulden kommen weitere 20 Milliarden Euro
hinzu. Immerhin ist die Tendenz bei der Neuverschuldung fallend.
Als Entwicklungspolitiker bin ich da immer ein bisschen in der Bredouille. Ich tue mich nämlich schwer, das
zu kritisieren, weil wir uns nun tatsächlich der ODAQuote, wenn auch auf Kosten einer höheren Schuldenaufnahme, langsam annähern. Mittlerweile haben wir
eine Quote von 0,35 Prozent erreicht; das stellt schon
eine deutliche Verbesserung zu früher dar. Schade ist es
nur für das Land und unsere Bürger, die letztlich höhere
Steuern zahlen müssen, zum Beispiel in Form der von
Ihnen beschlossenen Erhöhung der Mehrwertsteuer um
3 Prozentpunkte. Ich weiß nun wirklich nicht, ob das der
richtige Weg ist. Letztlich konnten wir an diesem Haushalt nichts ändern. Im Ausschuss haben Sie alle unsere
Änderungsvorschläge großzügig abgeschmettert.
Ins Gewissen möchten wir Ihnen an dieser Stelle doch
noch einmal reden und fragen, wie diese sauer erwirtschafteten Mittel von Ihnen verwendet werden, also an
wen und wofür wie viel gegeben wird. Das ist ja eine unserer Aufgaben.
Einige meiner Fragen wurden schon angesprochen.
Ich komme zunächst einmal auf China zu sprechen,
Frau Ministerin. Dass wir China aus dem Entwicklungsetat Kredite geben, stellt für mich dann kein Problem dar, wenn diese Kredite zurückzuzahlen sind.
({1})
Auf diese Weise können wir nämlich Einfluss darauf
nehmen, was in China gemacht wird. Entwicklungshilfe
an China kommt für mich aber überhaupt nicht infrage,
wenn die Chinesen mit unserem Geld ihre Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika finanzieren. Einen solchen Luxus können wir uns angesichts unseres Schuldenberges nicht mehr leisten. Machen Sie also Schluss
damit.
({2})
Auch die Zusammenarbeit mit anderen Schwellenländern sollten wir in diesem Rahmen noch einmal überprüfen.
Auf ein anderes Land möchte ich zu sprechen kommen, nämlich Angola. Angola hat zwar hohe Einnahmen
aus Ölverkäufen, kann aber nicht als Schwellenland bezeichnet werden. So hoffe ich, dass Angola auf der Länderliste bleibt. Wir haben ja bei unserer Delegationsreise
gesehen, was dort zu tun ist und welche Chancen die
Entwicklungszusammenarbeit für dieses Land bietet.
Im Zusammenhang mit der Frage, wofür wir unsere
Entwicklungsgelder verwenden, fällt mir im Rahmen der
finanziellen Zusammenarbeit die Budgethilfe ein. In
2006 wurden dafür bisher 280 Millionen zugesagt, mit
steigender Tendenz. Wir stehen einer finanziellen Zusammenarbeit in Form der Budgethilfe sehr skeptisch
gegenüber. Für einige handverlesene Länder geht das in
Ordnung; ich denke an Ruanda und Marokko. Bei diesen
Ländern haben wir auf unserer Reise den Eindruck gewonnen, dass dort wirklich solide gewirtschaftet wird.
Bevor wir unser Geld aber anderen Ländern in dieser
Weise anvertrauen, sollten wir uns diese ganz genau anschauen.
Frau Ministerin, Sie haben auch die Mikrokredite erwähnt. Ich kann Ihnen nur beipflichten: Diese Art der
Entwicklungszusammenarbeit können wir uneingeschränkt unterstützen.
Sie müssen jetzt zum Schluss kommen, Herr Kollege.
Im Übrigen merke ich, dass drei Minuten doch
schneller vergehen, als man denkt.
({0})
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen einen schönen Abend.
({1})
Sibylle Pfeiffer spricht für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Kollegin Koczy, wenn ich mich recht erinnere
- obwohl ich das gerne verdrängen würde -, waren die
Grünen sieben Jahre in der Regierungsverantwortung.
({0})
- Was bedauerlich genug war, genau.
({1})
Während dieser sieben Jahre wurde jedes Jahr aufs Neue
angekündigt, dass die Ansätze im Einzelplan 23 erhöht
würden. Jedes Jahr stellten wir bei der Haushaltsdebatte
fest, dass nichts passiert ist. Deshalb wundert es mich
schon ein bisschen, wie Sie hier auftreten. Wir sind jedenfalls ungeheuer stolz darauf, dass uns das dieses Jahr
gelungen ist. Wir sind vor allem auch deshalb stolz darauf, Frau Ministerin, weil wir eine gute Bundeskanzlerin haben, die genau das unterstützt hat.
({2})
Als Vorletzte ist es immer ganz schwierig, in einer
solchen Debatte zu reden.
Möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Koczy
zulassen?
Dabei habe ich jetzt gerade so gut angefangen.
Liebe Kollegin Pfeiffer, liebe Sibylle, nur eine kleine
Erinnerung, zur Kenntnisnahme oder auch zum Merken.
Mein Kollege Hoppe war derjenige, der daran gearbeitet
hat, dass unter Rot-Grün das 0,7-Prozent-Ziel als politisches Ziel verankert wird. Ist Ihnen das bekannt?
({0})
Ich habe eben schon gesagt: Ziele formulieren ist das
eine; mit einer guten Bundeskanzlerin Unterstützung für
deren Umsetzung zu haben, ist das andere.
({0})
Wir haben hier eine Debatte, in der wir uns im
Grunde ziemlich einig sind. Wir wissen um die
Schwachpunkte, die Probleme, wir wissen, was wir eigentlich wollen, wo wir hinwollten, wenn wir könnten,
mit wie viel Geld wir ausgestattet werden wollen, wir
wissen um Hunger und Armut und Ähnliches. Aber,
liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss Sie alle einmal fragen: Haben Sie in Ihrem Wahlkreis schon einmal
ausschließlich mit dem Thema wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Wahlkampf gemacht? Das
haben Sie natürlich alle nicht; denn dann hätten Sie Ihren
Wahlkreis, so Sie ihn gewonnen haben, mit Sicherheit
nicht gewonnen.
({1})
- Dass wir Wahlkreise haben, die wirtschaftliche Entwicklungshilfe brauchen, ist uns klar, lieber Kollege
Staffelt. - In diesem Zusammenhang haben wir Entwicklungspolitiker doch wirklich ein Problem. Warum ist das
eigentlich so? Warum gelingt es uns nicht, den Bürgern
zu vermitteln, dass es in ihrem ureigenen Interesse ist,
dass wir wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung betreiben?
Ich versuche den Bürgern in meinem Wahlkreis immer zu erklären, dass wir die Friedens- und Sicherheitspolitiker sind. Frieden und Sicherheit sind allgemeine
Begriffe. Sie umfassen die Gefahrenprävention und die
Gefahrenabwehr, aber auch die Herstellung von Frieden
und Sicherheit. Das bezieht sich im Übrigen nicht nur
auf die Entwicklungsländer, sondern auch auf Deutschland.
Natürlich fallen darunter auch - liebe Kollegin
Hänsel, hören Sie mir gut zu - die friedenssichernden
Missionen der Bundeswehr, die mit ihrem Einsatz in den
Krisenregionen weltweit einen unschätzbaren Dienst
auch zur nachhaltigen Entwicklung und damit zu unserer
Sicherheit leistet.
({2})
Denn ohne Frieden, liebe Kollegin Hänsel, haben wir
keine Sicherheit und ohne Sicherheit haben wir keine
Entwicklung. Das ist ganz normal. Wenn Sie hier mit Ihren propagandistischen Reden, mit Ihren Ideen von anno
dunnemal kommen, mit Formulierungen, die wir in den
70er-Jahren vom Spartakus gehört haben, dann kommen
wir nicht weit.
({3})
Ich will Ihnen noch etwas sagen: Ich bin heilfroh,
dass Sie nicht in der Regierungsverantwortung sind und
zum Glück auch nie hineinkommen.
({4})
Wenn ich den Bürgern vor Ort das Thema Sicherheit
und Frieden als unsere ureigene Politik nahe gebracht
habe, dann versuche ich, ihnen zu erläutern, dass auch
der Terrorismus unser Thema ist, weil dieser zum Beispiel auf dem Nährboden der Armut wächst. Armut ist
menschliches Leid. Da müssen wir helfen, und zwar
durch Hilfe zur Selbsthilfe, damit sich die Menschen
dort, wo sie sind, ernähren können, damit sie dort bleiben können, wo ihre Familien sind, und nicht in die Migration müssen. Uns allen sind die Schiffe aus Afrika auf
den Kanaren bestens bekannt.
Ich erläutere den Bürgern, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen den Themen Umwelt, Klima,
Rohstoffökonomie, Bildung und Ausbildung - im Übrigen vor allem für Mädchen und Frauen -, Desertifikation, Wasserknappheit, Gesundheit und hier besonders
HIV/Aids gibt. Ich sage jedem Bürger, dass ich fest davon überzeugt bin, dass Prävention immer besser ist als
Reparaturarbeiten - besser, günstiger und letztendlich
auch einfacher. Wir müssen mit den Steuergeldern unserer Bürger sorgfältig umgehen. Auch das ist unsere Verantwortung.
Wenn ich den Bürgern diese Zusammenhänge klar
mache, ernte ich immer ein verständnisvolles Kopfnicken, weil es ein jeder versteht. Danach herrscht ein
Moment Ruhe. Aber was passiert dann? Die betreffenden Bürger sagen mir, dass sie zehn Euro Praxisgebühr
zahlen müssen. Dann bin selbst ich fast am Ende.
({5})
Aber ich bin natürlich noch nicht ganz am Ende.
({6})
Da meine Redezeit schon fast vorbei ist, möchte ich
nur noch eine kurze Bemerkung machen. Ich bedaure
sehr, dass wir diese Debatte nicht dann führen können
- das Gegenteil hätte mich gefreut -, wenn das Fernsehen noch zugeschaltet ist. Heute debattieren wir wieder
unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ich will mich nicht
über die Medien beschweren. Denn wir haben das
Thema Entwicklungspolitik schon des Öfteren in den
Medien gehabt. Wir bekommen von dieser Seite auch
Unterstützung. Nichtsdestotrotz müssen wir daran arbeiten, dieses wichtige Politikfeld auch in der Zukunft in
der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Es liegt im Interesse unseres Landes und unserer Bürger, dass Deutschland an der Entwicklung in den Entwicklungsländern beteiligt ist. Es ist unsere Verantwortung, dafür zu sorgen, dass es den Menschen vor Ort gut
geht. Dann haben auch wir etwas davon.
Vielen Dank.
({7})
Zum Abschluss der Debatte hat der Kollege Sascha
Raabe für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir verabschieden in diesem Jahr schon den zweiten
Haushalt. Es ist für die Opposition daher schwer, die Tatsache kommentieren zu müssen, dass ein Etat innerhalb
eines Jahres zweimal um über 300 Millionen Euro - das
sind zweimal 8 Prozent - aufwächst. Daran Kritik zu
üben, ist wirklich schwierig. Ich denke, das hat man
heute gemerkt.
Es wurde heute zwar viel geredet, aber weniger über
den Haushalt selbst. Dass wir es geschafft haben, mehr
Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen, muss eigentlich auch von der Opposition anerkannt werden.
({0})
Es kann auch nicht angehen, dass man versucht, den
Einsatz der Mittel, die aufgrund der Steigerung der ODAQuote zur Verfügung stehen und die zum Beispiel für die
Entschuldung aufgewendet werden, zu kritisieren. Letztendlich ist es so, dass die Länder mehr Spielräume für
Bildung und Gesundheit haben, wenn sie entschuldet
sind. In Tansania und Uganda gehen mittlerweile doppelt so viele Kinder zur Schule wie früher. Es ist also
richtig, dass wir die Mittel so einsetzen, dass sie eine
positive Wirkung entfalten können.
Die Probleme auf dieser Welt sind nicht allein durch
Geld zu lösen. Dies ist heute schon mehrfach gesagt
worden. Deshalb möchte ich während meiner verbleibenden Redezeit - ich habe unserem Geburtstagskind
statt Blumen zwei Minuten meiner Redezeit geschenkt noch zwei Punkte ansprechen, die noch nicht erwähnt
wurden.
Geld ist der eine Punkt. Aber wir brauchen zum Beispiel auch Bedingungen innerhalb der Weltwirtschaft,
mit denen die Entwicklungsländer in die Lage versetzt
werden, aufgrund einer besseren Infrastruktur und besserer Bildungsmöglichkeiten produktiv zu sein und am
fairen Welthandel teilzunehmen. Ich glaube, um das zu
erreichen, brauchen wir bei der Doha-Runde der WTO,
die gerade gestoppt wurde, einen neuen Anlauf. Es muss
auch in den Verhandlungen mit den afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten noch einen großen
Schub geben. Es reicht eben nicht aus, den Fischern nur
ein Netz zur Verfügung zu stellen. Sie müssen auch die
Möglichkeit haben, ihren Fisch zu fairen Preisen zu verkaufen.
Es freut mich, dass auf der Konferenz „Globalisierung fair gestalten“, an der auch der Bundesarbeitsminister und die Bundeskanzlerin teilgenommen haben, das
Thema der fairen und sozial gerechten Gestaltung der
Globalisierung angesprochen wird. Die Kanzlerin hat
heute das gesagt, was wir als SPD-Fraktion schon in den
Bundestag eingebracht haben, nämlich dass auch Kernarbeitsnormen und Sozialstandards im Welthandelssystem auf WTO-Ebene verankert werden müssen. Denn
wir wollen allen Menschen eine faire Teilhabe am wirtschaftlichen Aufschwung ermöglichen.
({1})
- Jawohl. - In diesem Sinne geht es auch in den kommenden Jahren nicht nur darum, die Mittel zur Erfüllung
der ODA-Quote zu steigern - da sind wir mit großen
Schritten vorangekommen -, sondern auch darum, im
wirtschaftlichen Bereich die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Ein letzter Satz zu den Attacken auf unsere Auslandseinsätze. Denken Sie an den Einsatz im Kongo, zu dem
die Linkspartei gesagt hat: Dort dürfen keine deutschen
Soldaten eingesetzt werden. Nach der vor kurzem getroffenen Wahlentscheidung gab es auch gestern wieder
eine kritische Situation vor dem Gerichtsgebäude. Auch
dank deutscher UN-Soldaten vor Ort wurde erreicht, die
Situation zu befrieden. Das sind Beispiele dafür, dass
das Zusammenspiel funktioniert. Wir helfen im Kongo
auf zivile Weise mit Entwicklungspolitik. Sie sollten unsere Soldaten nicht in der Weise diffamieren, dass Sie sagen, sie seien nicht Teil der Lösung, sondern Teil des
Problems. Im Kongo sind in den letzten Jahrzehnten
3,5 Millionen Menschen gemeuchelt worden. Es gab nur
eine UN-Friedenstruppe mit Soldaten aus Entwicklungsländern, zum Beispiel aus Bangladesch. Sie lassen dort
seit Jahren ihr Leben. Dass Sie, Frau Hänsel, sagen, wir
sollten uns an einem solchen Einsatz nicht beteiligen, ist
schäbig.
({2})
Das sollten Sie einmal Herrn Gysi ausrichten.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen, sondern sagen: Wir wollen Menschen helfen und präventiv
tätig sein. Wir können nicht tatenlos zusehen, wie Menschen abgeschlachtet und gemeuchelt werden.
Deswegen gilt unser Dank den Entwicklungshelfern,
die sich in Krisenregionen engagieren, und ebenso unseren Soldaten. Wir sollten alle zusammen auch in Zukunft
für Frieden, Sicherheit und Entwicklung sorgen. Das alles gehört zusammen. Man darf dies nicht gegeneinander
ausspielen; das eine bedingt das andere.
In diesem Sinne bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit und dafür, dass ich nun doch fast fünf Minuten
reden durfte.
({0})
Nachdem Sie so großartig ein Geschenk angekündigt
haben, sage ich Ihnen: Bei uns hieß das geschenkt ist geschenkt, wieder holen ist gestohlen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den
Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung, in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 23 mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Die nächste Sitzung berufe ich für morgen, den
23. November 2006, 9 Uhr, ein.
Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonnenen Einsichten.
Die Sitzung ist geschlossen.