Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich begrüße Sie alle herzlich. Ich wünsche Ihnen ei-
nen guten Morgen und uns eine gute parlamentarische
Woche.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte I.a und b auf:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2007
({0})
- Drucksachen 16/2300, 16/2302 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2006 bis 2010
- Drucksachen 16/2301, 16/2302, 16/3126 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider ({2})
Anja Hajduk
Wir kommen zur Beratung der Einzelpläne, und zwar
zunächst der drei Einzelpläne, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.1 auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
- Drucksachen 16/3101, 16/3123 Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Klaas Hübner
Dr. Dietmar Bartsch
Wer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der
Stimme? - Das fängt gut an: Der Einzelplan 01 ist einstimmig angenommen.
({3})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.2 auf:
Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
- Drucksachen 16/3102, 16/3123 Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Koppelin
Norbert Königshofen
Gunter Weißgerber
Anja Hajduk
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf
Drucksache 16/3458? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist der Einzelplan 02 mit
breiter Mehrheit angenommen.
({4})
- Meine Vermutung, dass nach der Entscheidung über
den Änderungsantrag, der keine Mehrheit gefunden hat,
der Einzelplan 02 eine auskömmliche Mehrheit erhält,
wird sich bestätigen. Um das über jeden Zweifel hinaus
sicherzustellen, darf ich fragen, wer dem Einzelplan 02
in der Ausschussfassung seine Zustimmung geben
möchte. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Dann ist der Einzelplan 02 ebenfalls einstimmig ange-
nommen.
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.3 auf:
Einzelplan 03
Bundesrat
- Drucksache 16/3123 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jens Spahn
Johannes Kahrs
Dr. Dietmar Bartsch
Alexander Bonde
Wer stimmt dem Einzelplan 03 in der Ausschussfas-
sung zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Dann ist der Einzelplan 03 mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen des Bündnisses 90/
Die Grünen und bei Enthaltung der FDP und der Frak-
tion Die Linke angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt I.4 auf:
a) Einzelplan 08
Bundesministerium der Finanzen
- Drucksachen 16/3108, 16/3123 Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Bernhard Brinkmann ({5})
Dr. Gesine Lötzsch
b) Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
- Drucksache 16/3123 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Petra Merkel ({6})
Michael Leutert
Zum Einzelplan 08 liegt ein Entschließungsantrag der
Fraktion der FDP vor, über den wir am Freitag nach der
Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion.
({7})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
erstem Redner in der Debatte erlauben Sie mir, dass ich
die Möglichkeit nutze, dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages, meinem Fraktionskollegen Otto Fricke, zu seinem heutigen Geburtstag zu gratulieren.
({0})
Ich nehme gern die Gelegenheit wahr, mich bei allen
Mitgliedern des Haushaltsausschusses herzlich dafür zu
bedanken - das sage ich ohne Ausnahme -, dass wir unsere Diskussionen im Haushaltsausschuss trotz aller Differenzen, die wir haben - sie werden vielleicht gleich in
der Debatte zutage treten -, fair und sehr sachlich
({1})
haben führen können. Herzlichen Dank für diese sachlichen Diskussionen!
Seit einiger Zeit erleben wir, dass der Bundesfinanzminister einen sehr zufriedenen Eindruck macht.
({2})
Aus seiner Sicht ist er auf Erfolgskurs; denn die Einnahmen des Haushaltes steigen. Wie gesagt: aus seiner
Sicht. Wenn die Koalition davon spricht, dass sie mit
diesem Haushalt einen beispiellosen Konsolidierungsbeitrag leistet, dann ist aus unserer Sicht festzustellen:
Nicht der Bundesfinanzminister, nicht die Koalition sanieren den Bundeshaushalt - zum Beispiel durch beherzte Ausgabenreduzierung -, sondern der Steuerzahler
wird zur Kasse gebeten. Es gibt Steuererhöhungen und
den Abbau einer Vielzahl von Steuervergünstigungen.
Der Steuerzahler wird zur Sanierung des Bundeshaushaltes gezwungen. Von der Koalition kommen keine
Beiträge dazu.
({3})
Die Einnahmeseite des Bundes wird dadurch verbessert, dass die Bundesregierung Verbraucher und besonders - das muss man leider sagen - Familien erheblich
belasten wird. Durch die Belastung der Verbraucher und
der Familien verbessert sich die Einnahmeseite um
15 Milliarden Euro. Allein die Erhöhung der Mehrwertsteuer am 1. Januar nächsten Jahres bringt dem
Bund über 9 Milliarden Euro. Das bedeutet eine erhebliche Belastung für die Verbraucher und die Familien mit
geringen Einkommen. Hinzu kommen die Erhöhung der
Versicherungsteuer, die Abschaffung der Eigenheimzulage und die Gewährung von Kindergeld und Kinderfreibetrag nur noch bis zum 25. Lebensjahr. Selbst die
Abschaffung des Sonderausgabenabzugs bei Steuerberatungskosten entlastet den Bundesfinanzminister und belastet den Steuerzahler.
Damit nicht genug. Zusätzlich geht der Bundesfinanzminister besonders den Arbeitnehmern ans Portemonnaie und kassiert ab: fast Halbierung des Sparerfreibetrages, Abschaffung des Freibetrages für Abfindungen,
Abschaffung des Freibetrages für Heirats- und Geburtsbeihilfen, Abschaffung der Aufwendungen für die häuslichen Arbeitszimmer usw. Es wird abkassiert, wo es nur
geht.
({4})
Zusätzlich kann der Bund laut der Steuerschätzung
für November mit einer Einnahmeerhöhung von voraussichtlich über 9 Milliarden Euro rechnen. Noch im September erklärte die Bundeskanzlerin bei der ersten Lesung des Bundeshaushaltes:
Kaum dass eine Steuermehreinnahme verkündet
wird …, gibt es eine breite Debatte darüber, was
man damit machen könnte. Lassen Sie uns erst einmal Geld haben!
So die Bundeskanzlerin.
({5})
Bei der ersten Lesung des Haushalts im September
dieses Jahres sprach sich die Bundeskanzlerin eindeutig
dafür aus, Mehreinnahmen für den Schuldenabbau zu
verwenden. Das war richtig. Hierfür hätte sie auch unsere Unterstützung bekommen. Doch die Ankündigung
von Steuermehreinnahmen aufgrund der Novembersteuerschätzung scheint für die Kanzlerin und die Koalition völlig unverhofft gekommen zu sein; denn sonst
hätte die Kanzlerin wohl kaum zu einer Sondersitzung
ins Kanzleramt eingeladen, um darüber zu diskutieren,
was man mit den Mehreinnahmen, die man nun plötzlich
und unverhofft erzielt, machen wolle.
Bei dieser Sitzung im Kanzleramt hatte man den Eindruck, die Kanzlerin habe gedacht, dass Geld allein nicht
glücklich mache, und sich daher überlegt, welche Wohltaten sie verteilen könne. Nun verspricht sie, den gesetzlichen Krankenkassen aus dem Bundeshaushalt 1 Milliarde Euro zukommen zu lassen. Frau Bundeskanzlerin,
nach unserer Auffassung war die Sitzung im Bundeskanzleramt überhaupt nicht notwendig. Denn wir haben
kein Geld zu verteilen. Sie hätten nur eines tun müssen,
sich nämlich an das halten, was Sie im September dieses
Jahres selbst gesagt haben: dass die Schulden des Bundes gesenkt und sämtliche zusätzlichen Einnahmen zum
Abbau der Schulden verwendet werden müssen. Nichts
anderes hätten Sie sagen müssen. Denn es geht nicht darum, Geld zu verteilen.
({6})
Die Sanierung des Bundeshaushalts muss Vorrang
haben. Schauen Sie sich einmal die Veröffentlichung der
Bundesbank vom gestrigen Tage an. Auch sie hat darauf
hingewiesen, dass die Sanierung des Bundeshaushalts
unser wichtigstes politisches Ziel sein muss. Deshalb ist
es für die FDP eine Selbstverständlichkeit, dass Steuermehreinnahmen nur zum Schuldenabbau genutzt werden
dürfen. Das sind wir den kommenden Generationen
schuldig. Denn sonst müssten sie unsere Schulden bezahlen. Das wollen wir nicht und das können wir nicht
verantworten.
Die FDP hat mit Interesse zur Kenntnis genommen
- das muss ich fairerweise eingestehen -, dass der SPDVorsitzende Beck und der Bundesfinanzminister nach
der Bekanntgabe der Ergebnisse der Novembersteuerschätzung darauf gedrungen haben, die Steuermehreinnahmen allein zum Schuldenabbau zu nutzen. Diese
Haltung hätten wir eher bei Ihnen, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Union, erwartet.
Mit Interesse und Erstaunen hat die FDP aber auch
zur Kenntnis genommen, dass nach Bekanntgabe der Ergebnisse der Steuerschätzung plötzlich Kanzlerin
Merkel und die Union diejenigen waren, die gleich ans
Geldverteilen gedacht haben. Ein solches Verhalten hätten wir aufgrund früherer Erfahrungen eher den Sozialdemokraten zugetraut. An diese neue Rollenverteilung
werden wir uns erst gewöhnen müssen.
({7})
Dass die Union in der Haushaltspolitik vom Pfad der
Tugend abgekommen ist - das muss ich leider so sagen -,
mag vielleicht auch daran liegen, dass es in der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion keine einflussreichen Finanzund Wirtschaftspolitiker mehr gibt.
({8})
Ich nutze das Raunen in den Reihen der CDU/CSUFraktion gerne, um, was ich sonst selten tue, den Kollegen Poß von der SPD zu zitieren.
({9})
In diesem Falle tue ich das aber, wie ich glaube, zu
Recht. Kollege Poß sagte, nach der Bekanntgabe der Ergebnisse der Steuerschätzung sei es in der Union zu einem regelrechten „Wünsch-dir-was-Wettbewerb“ gekommen, und er ermahnte die CDU/CSU zu einer
nachhaltigen Haushaltskonsolidierung. So weit ist es mit
der Union schon gekommen, dass sie sich vom Sozialdemokraten Poß zu einer soliden Haushaltspolitik ermahnen lassen muss!
({10})
Lassen Sie mich auf Folgendes aufmerksam machen:
Der Bundesfinanzminister hat - ich finde: zu Recht darauf hingewiesen, dass die Novembersteuerschätzung
eben nur eine Schätzung und das Geld noch gar nicht in
der Kasse ist. Frau Merkel, wie können Sie eigentlich
Geld ausgeben, das Sie noch gar nicht haben? Ich bedaure, dass der Bundesfinanzminister eingeknickt ist.
Denn das führt dazu, dass die Politik zur Konsolidierung
des Bundeshaushalts halbherzig bleibt.
Es bleibt festzustellen, dass die Schulden des Bundes
auch im Jahre 2007 nicht abgebaut werden, sondern dass
der Schuldenberg nur langsamer steigt; aber er steigt. Im
Koalitionsvertrag wurde versprochen, alle Ausgaben
des Bundes auf den Prüfstand zu stellen. Im Koalitionsvertrag befindet sich sogar der schöne Satz:
Daher werden wir nicht alles im gewohnten Umfang fortsetzen können.
Trotz erheblicher Mehreinnahmen des Bundes werden Sie die geplante Neuverschuldung um gerade einmal
2,5 Milliarden Euro senken. Doch die Ausgaben des
Bundes steigen um 9 Milliarden Euro. Einsparungen auf
der Ausgabenseite, wie von der Koalition versprochen,
finden nicht statt. Der Bundesetat hat ein Volumen von
270 Milliarden Euro. Die Investitionen des Bundes betragen allerdings nur 24 Milliarden Euro. Das ist ein Armutszeugnis.
({11})
Herr Bundesfinanzminister, die FDP hat immer darauf hingewiesen, dass man nur dann erhebliche Mehreinnahmen erzielen kann, wenn die Konjunktur anspringt und richtig läuft. Nun beginnt unsere Konjunktur
anzuspringen. Aber die Koalition zieht daraus keine
Lehren. Denn sonst müssten Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Koalition, aktiv tätig werden und zum
Beispiel den Arbeitsmarkt modernisieren, statt ihn in einem so betonierten Zustand zu belassen, wie er gegenwärtig ist.
({12})
Kein Zeichen dazu von der Koalition, erst recht nicht
- das muss man leider feststellen - von der Union.
Wir als FDP sind der Auffassung: Nur mit beherzten
Reformschritten können wir weitere Einnahmen für den
Bundeshaushalt bekommen. Denn eines ist klar - darüber sollten wir alle uns im Klaren sein -: Durch Abkassieren beim Bürger allein werden Sie die Schulden
des Bundes nicht abbauen können. Wir brauchen Reformen in Deutschland. Das ist dringend notwendig, damit
wir weitere Einnahmen haben.
({13})
Wir müssen die Schere zwischen Ausgaben und Einnahmen weiter schließen. Die erhöhten Einnahmen aufgrund der verbesserten Konjunktur müssen zusammen
mit Ergebnissen weiterer Reformen genutzt werden, um
die Ausgaben zu reduzieren. Arbeitsmarkt, Pflege, Unternehmensteuer - überall besteht dringender Handlungsbedarf.
Aber die Koalition ist nicht zu Entscheidungen fähig.
({14})
Was ist denn zum Beispiel mit dem Versprechen der
Koalition, die Sozialabgaben dauerhaft unter 40 Prozent
zu senken? Während der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung auf 4,2 Prozent sinken soll, steigen gleichzeitig die Beiträge für Renten- und Krankenversicherung. Das ist ein Zickzackkurs, der nicht zu vermitteln
ist.
({15})
Sie hatten im Koalitionsvertrag versprochen, zur
Haushaltskonsolidierung zunächst alle Einsparpotenziale auf der Ausgabenseite zu prüfen. Davon kann keine
Rede sein. Bei dieser Koalition steht an erster Stelle das
Abkassieren beim Bürger. Wenn Sie wirklich, wie im
Koalitionsvertrag vereinbart, alle Einsparpotenziale auf
der Ausgabenseite geprüft hätten, würde dieser Bundeshaushalt keine Ausgabensteigerung um 9 Milliarden Euro
aufweisen; vielmehr hätten wir eine Senkung der Ausgaben.
Die FDP hat Ihnen in den Haushaltsberatungen Vorschläge zur Kürzung auf der Ausgabenseite im Umfang
von 8,6 Milliarden Euro gemacht; über 500 Anträge mit
Kürzungsvorschlägen. Allein mit diesen Einsparungen
hätten Sie auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer verzichten können.
({16})
Aber die Koalition war dazu nicht fähig. Weil ich genau
weiß, wie der Bundesfinanzminister nachher argumentieren wird - „Diese Anträge der FDP, das ist alles lächerlich“ -, darf ich Sie hier und jetzt fragen: Warum
war die Koalition denn nicht bereit, bei Subventionen
und Zuwendungen auch nur eine einzige Milliarde einzusparen? Warum waren Sie dazu nicht fähig? Warum
waren Sie nicht in der Lage, bei den Verwaltungsausgaben des Bundes über 800 Millionen Euro zu streichen?
Das wäre durchaus möglich gewesen. Sie hätten außerdem im Verteidigungsetat - diese Debatte werden wir
morgen führen - auf unsinnige Beschaffungsmaßnahmen verzichten können.
({17})
Da Sie nicht glauben, dass man sparen kann, bringe
ich Ihnen ein ganz aktuelles Beispiel. Gestern war eine
große, zweiseitige Anzeige zu lesen, auch im „Spiegel“.
Das meiste, was behauptet wird, stimmt überhaupt nicht.
({18})
Ich möchte wissen, was das schon wieder gekostet hat!
Das muss der Steuerzahler bezahlen. Und dann gehen
Sie auch noch leichtfertig mit der Wahrheit um. Sie werfen das Geld zum Fenster raus. Darauf hätte man zum
Beispiel verzichten können, wenn man den Bundeshaushalt sanieren will.
({19})
Der Bundeshaushalt 2007 ist ein Bundeshaushalt der
vertanen Chancen. Die Bundesregierung hat die Chance
vertan, durch Einsparungen und mit den zu erwartenden
Steuermehreinnahmen auf die unsoziale und konjunkturschädliche Mehrwertsteuererhöhung zu verzichten, was
möglich gewesen wäre. Die Bundesregierung hat die
Chance vertan, die Neuverschuldung von fast 20 Milliarden Euro weiter abzusenken. Die Bundesregierung hat
die Chance vertan, auf den Steuerzuschuss an die Krankenkassen zu verzichten, mit dem die notwendige Systemveränderung wieder hinausgeschoben wird. Im Übrigen - das ist unsere Auffassung - ist dieser Zuschuss
verfassungswidrig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, was
Sie sich damit eingebrockt haben, können Sie in diesen
Tagen sehen: Ulla Schmidt darf nun verkünden, die Gesundheitsreform sei ein Zwischenschritt auf dem Wege
zur Bürgerversicherung. Ich hoffe, die Union wird Stellung nehmen zu dem, was Frau Schmidt da gesagt hat.
({20})
Das Ergebnis der Haushaltsberatungen lässt sich wie
folgt zusammenfassen: Die Konsolidierungspolitik ist
nur halbherzig und der Schuldenberg steigt weiter. Beim
Kürzen von Ausgaben ist die Koalition ohne Tatendrang,
beim Abkassieren der Bürger hingegen ist sie voller Tatendrang. Die Schulden steigen langsamer; aber sie steigen weiter.
Da der Bundesfinanzminister gern mit Zitaten arbeitet, möchte ich ihm zum Schluss meiner Ausführungen
ein Zitat ins Stammbuch schreiben - es stammt von
Berthold Auerbach -:
Geld erwerben erfordert Klugheit;
Geld bewahren erfordert eine gewisse Weisheit,
und Geld schön auszugeben ist eine Kunst.
Herr Bundesfinanzminister, ich würde Ihnen diese Eigenschaften wünschen.
Von diesem Bundeshaushalt gehen keine Signale aus,
es ist ein Bundeshaushalt der vertanen Chancen. Sie
werden nicht erwarten können, dass Sie zu diesem
Bundeshaushalt 2007 die Zustimmung der Fraktion der
Freien Demokratischen Partei bekommen.
Vielen Dank.
({21})
Das Wort hat nun der Kollege Joachim Poß für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Kollege Koppelin, zunächst möchte
ich Ihnen wie allen Kolleginnen und Kollegen, die in
den letzten Wochen unter hohem Druck, mit hoher Konzentration und mit großer Intensität gearbeitet haben, für
Ihre Mitarbeit im Haushaltsausschuss herzlich danken.
Ich verstehe es: Diese Haushaltsdebatte ist für Sie als
Abgeordneten der Opposition nicht ganz einfach. Das
hat man Ihnen heute Morgen auch angemerkt. Das sei
Ihnen verziehen.
({0})
Wir von der Koalition können diese Haushaltsdebatte
nämlich mit großem Optimismus bestreiten; denn eines
hat sich herausgestellt: Wir sind auf dem richtigen Weg.
Das Ergebnis zählt! Letzen Endes wissen Sie das ja
auch.
({1})
- Herr Westerwelle, Sie können noch so viele Zeilen in
der „Bild“-Zeitung schreiben, die Realität, die sich in der
Bundesrepublik Deutschland positiv entwickelt hat, werden Sie dadurch nicht verbiegen.
({2})
Ich möchte natürlich auch allen Mitarbeitern des Ausschusssekretariats und des Bundesfinanzministeriums
herzlich danken. Es war ja schon der zweite Haushalt in
diesem Jahr. Mein besonderer Dank gilt den Kollegen
Carsten Schneider und Steffen Kampeter, die das Schiff
der Koalition, wie ich glaube, gut durch diese Beratungen gelenkt und ein gutes Beratungsergebnis herbeigeführt haben; denn es spricht für sich, dass es gelungen
ist, die Nettokreditaufnahme zum ersten Mal seit
Anfang der 90er-Jahre auf unter 20 Milliarden Euro zu
drücken. Mit 19,6 Milliarden Euro erreichen wir den
niedrigsten Wert seit der Wiedervereinigung. Daran
zeigt sich, dass wir konsequent konsolidieren.
({3})
Herr Koppelin, eigentlich kann in dieser Woche auch
jeder Oppositionspolitiker dieses Ergebnis als ganz
wichtigen und bemerkenswerten Schritt hin zur notwendigen Konsolidierung des Bundeshaushaltes begrüßen.
Das habe ich in Ihrer Rede vermisst; das fehlte nun wirklich.
({4})
Aus heutiger Sicht sieht es auch so aus, als würde
diese Nettokreditaufnahme auch während des Vollzugs
des Haushalts im nächsten Jahr nicht in Gefahr geraten;
denn der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geht zum Beispiel
von einem höheren Wachstum im nächsten Jahr aus als
dem, welches wir unseren Haushaltsplanungen zugrunde
gelegt haben. Wir sind auf der sicheren Seite und zeigen
die notwendige Vorsicht, die sich dann auch auszahlen
wird, selbst wenn man Haushaltsrisiken nie ganz ausschließen kann.
Zur Mehrwertsteuererhöhung. Das ist auch für die
Koalition keine einfache Sache. Ich glaube, in diesem
Bewusstsein diskutieren wir das auch. Herr Koppelin,
inzwischen gehen aber fast alle Wirtschaftsforscher davon aus - das ist ein Unterschied zu früher -, dass es
durch sie nicht zu einem konjunkturellen Rückschlag
kommen wird. Man wird wohl eher eine kleine Delle in
der wirtschaftlichen Entwicklung hinnehmen müssen;
aber es ist doch positiv und Sie sollten sich eigentlich
darüber freuen, dass die Wirtschaft in diesem Land endlich wächst und damit auch die Arbeitslosigkeit - auch
die Langzeitarbeitslosigkeit - abgebaut wird. Das sind
doch die entscheidenden Signale.
({5})
Wir sorgen für den Aufbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Das macht sich im Übrigen auch in
den Sozialkassen bemerkbar.
Mit einer gewissen Sorge sehe ich die Zinserhöhungspolitik der EZB. Ich habe auch in Richtung der
EZB die Bitte, sich das genau zu überlegen und nicht zu
überziehen.
Der Bundesfinanzminister hat in den letzten Tagen
auf die Erkenntnis hingewiesen, dass eine Konsolidierungsschwalbe noch keinen Sommer macht. Deshalb
darf die Nettokreditaufnahme des Bundes nach dem
niedrigen Stand im Jahre 2007 mittelfristig auch nicht
wieder ansteigen, sondern sie muss möglichst weiter sinken. Das sind das Ziel und die Leitlinie dieser Koalition.
({6})
Wir haben also einen klaren Konsolidierungserfolg.
Wenn Bundestag und Bundesrat im Sinne eines Wirtschafts- und Finanzpaktes für Deutschland in eine Richtung marschieren, dann sind die nötigen Politikergebnisse auch erzielbar. Dass ein solches Zusammenwirken
jetzt endlich möglich ist, ist - das muss man offen
sagen - auch die Rechtfertigung für die große Koalition.
In diesem Jahr hat sich bestätigt - wir wussten es
auch schon -, dass Haushaltssanierung ohne wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigungszuwachs nicht
möglich ist.
({7})
Deshalb müssen wir - das müssen auch Sie bei Ihren
Vorschlägen beachten, Herr Koppelin - bei der Haushaltskonsolidierungspolitik auch immer die konjunkturelle Entwicklung in den Blick nehmen. Deshalb muss
Haushaltskonsolidierungspolitik auch immer mit Maßnahmen zur Stärkung insbesondere der Binnenkonjunktur verbunden sein. Das zeigt der Erfolg des 25-Milliarden-Euro-Impulsprogramms, das mit dem Anteil der
Länder sogar 37 Milliarden Euro umfasst. Das Impulsprogramm der Regierungskoalition hat beim Wirtschaftswachstum in diesem Jahr eine positive Rolle gespielt und wird dies auch im nächsten Jahr tun.
({8})
Wir haben also mit den erwähnten Maßnahmen zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zum verbesserten Stellenangebot unseren Beitrag geleistet.
Ich möchte noch auf einen anderen, umstritten diskutierten Punkt eingehen, der auch in Ihren Vorschlägen
angesprochen wird. Ich möchte die Aussage wagen, dass
auch die Umgestaltung von Arbeitsverwaltung und
Arbeitsvermittlung, aktiver Arbeitsmarktpolitik und
Leistungsrecht im Rahmen der Agenda 2010 offensichtlich besser ist als ihr Ruf.
({9})
Man muss immer abwarten, welche Politikergebnisse
sich im Laufe der Zeit tatsächlich einstellen. Das sage
ich an diejenigen gewandt, die die Hartz-IV-Gesetze am
liebsten wieder abschaffen wollen,
({10})
und denjenigen, die immer noch meinen, es bedürfe einer Verschärfung von Hartz IV auf dem Wege einer Generalrevision. Für die SPD-Fraktion stelle ich fest: Das
ist nicht unser Weg; wir gehen vielmehr den bisher beschrittenen Weg weiter, der sich als erfolgreich herausgestellt hat.
({11})
Diese positiven wirtschaftlichen Entwicklungen haben sich auch in der Steuerschätzung von Anfang des
Monats niedergeschlagen.
({12})
In diesem Jahr fließen fast 20 Milliarden Euro Steuereinnahmen mehr in die öffentlichen Kassen als bisher geschätzt. Im nächsten Jahr werden trotz Mehrwertsteuererhöhung nicht viel weniger Zusatzeinnahmen erzielt.
Zur Frage, ob die Mehrwertsteuererhöhung mit Blick
auf Bund und Länder verzichtbar oder unverzichtbar ist:
Ein ersatzloser Verzicht auf die Mehrwertsteuererhöhung würde sich für die Haushalte von Bund, Ländern
und Kommunen nur dann rechnen, Herr Koppelin, wenn
der Verzicht das deutliche Wirtschaftswachstum noch
einmal so stark steigern würde, dass weitere, zusätzliche
Steuereinnahmen für den Bund, die Länder und die Gemeinden mindestens in der Höhe der Mehrwertsteuererhöhung erzielt würden, und zwar auf Dauer.
({13})
Das wäre ein Vabanquespiel, meine Damen und Herren von der Opposition.
({14})
Wir haben uns in der Koalition darauf verständigt, einen
solchen riskanten Weg nicht zu gehen. Auch nach der
positiven Steuerschätzung bleiben wir bei unserer Linie,
und zwar mit gutem Grund.
Im Übrigen ist zwar immer vom Bund die Rede; aber
die Länder, in deren Haushalte ein Drittel des Aufkommens aus der Mehrwertsteuererhöhung fließt, werden
schon gar nicht auf diese Zusatzeinnahmen verzichten.
Es bedarf keiner besonderen prophetischen Fähigkeiten, um vorherzusagen, dass die Oppositionsparteien in
dieser Woche der Regierungskoalition mangelnden
Sparwillen vorwerfen werden.
({15})
Sie haben das auch schon getan, Herr Koppelin.
Man kann wirklich nicht sagen, dass wir den Menschen zugunsten der Haushaltskonsolidierung nichts zumuten. Sie haben zu Recht erwähnt, dass wir eine Reihe
von Steuervergünstigungen - zum Beispiel die Pendlerpauschale - abbauen. Wir haben das Haushaltsbegleitgesetz 2006 beschlossen, das auch in den Folgejahren
wirkt. Wir haben allerdings auch beschlossen, dass Spitzenverdiener einen Zuschlag auf ihre Einkommensteuer
zahlen.
Ihre Vorschläge zu zusätzlichen Einsparungen halten
wir auch diesmal nicht für brauchbar. Sie sind ein Sammelsurium, weder ökonomisch noch sozial verträglich
und in vielen Punkten rechtlich nicht realisierbar.
Die Mehrwertsteuererhöhung lässt sich nicht durch
Einsparungen bei den Staatsausgaben ersetzen. Das
sollte niemand behaupten. Damit meine ich nicht nur die
Opposition, sondern - das sage ich ausdrücklich - auch
Institutionen wie die Deutsche Bundesbank oder die
meisten Wirtschaftsforschungsinstitute, die ständig öffentlich den Eindruck erwecken, man könne das Konsolidierungsaufkommen aus der Mehrwertsteuererhöhung
durchaus durch Einsparungen bei den Sozialtransfers
und den Subventionen erzielen. Leider werden diejenigen, die so etwas predigen, selten konkret und nennen
nicht die Betroffenen. Dann müssten sie nämlich eingestehen: Um das Aufkommen aus der Mehrwertsteuererhöhung zu ersetzen, müssten die Renten sofort und
massiv gekürzt werden, müsste das Arbeitslosengeld II
sofort und massiv gesenkt werden und müssten wohl
auch öffentliche Investitionen gekürzt werden. Das alles
ist mit uns nicht zu machen.
({16})
Zudem sind massive Einschnitte bei den Transferleistungen nicht gut für die Binnennachfrage.
Unsere Doppelstrategie, Haushaltskonsolidierung mit
Konjunkturstabilisierung und Wachstumsförderung zu
verbinden, wird auch 2007 fortgeführt, und zwar nicht
nur mit dem 25-Milliarden-Euro-Impulsprogramm. Vielmehr senken wir den Arbeitslosenversicherungsbeitrag
um 2,3 Prozentpunkte. Trotz des Anstieges des Rentenversicherungsbeitrags und der erwarteten Erhöhung des
Krankenversicherungsbeitrags wird der Gesamtsozialversicherungsbeitrag damit im nächsten Jahr netto um
etwa anderthalb Prozentpunkte sinken. Ich gehe fest davon aus, dass die von den Krankenkassen und manchen
Gesundheitspolitikern an die Wand gemalten Horrorzahlen über die zu erwartenden Erhöhungen der GKV-Beiträge übertrieben sind. Der zusätzliche Zuschuss in
Höhe von 1 Milliarde Euro aus dem Bundeshaushalt
2007 an die gesetzliche Krankenversicherung und eine
Entschuldungsfrist für die gesetzlichen Krankenkassen
bis Ende 2008 werden hier stark dämpfend wirken. Im
Übrigen sind die Krankenkassen im Moment im Protest
sehr stark. Sie sollten aber endlich zeigen, wie gut sie
bezüglich effizienter Aufgabenerfüllung und Verwaltung
tatsächlich sind. Hier sollten sich die Krankenkassen
einmal beweisen.
({17})
In diesem Zusammenhang ist außerdem klar: Wir
werden in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode die
Frage klären müssen - der Bundesfinanzminister hat es
am letzten Wochenende in einem Zeitungsinterview angesprochen -, wie es um die Finanzierung der vereinbarten steigenden Bundeszuschüsse an die GKV in den
nächsten Jahren bestellt ist. Vor dieser Entscheidung
steht die Koalition. Hier ist eine milliardenschwere Zusage erteilt worden. Damit gibt es dauerhaft eine zunehmende Finanzierungslücke. Das müssen wir gemeinsam
noch vor der nächsten Bundestagswahl regeln.
Ich glaube, dass die Nettosenkung der Sozialversicherungsbeiträge stimmungsaufhellend wirken wird und
dass die Unternehmensteuerreform, die wir bis zum
Sommer nächsten Jahres in das Bundesgesetzblatt bringen werden, einen Beitrag dazu leisten wird.
({18})
Wir haben auf die Entwicklung in Europa bei den Unternehmensteuersätzen zu reagieren, aber nicht im Sinne eines Steuersenkungswettlaufs. Vielmehr hat sich die politische Arbeitsgruppe zur Unternehmensteuerreform, die
von Peer Steinbrück und Roland Koch geleitet wurde,
mit der zentralen Frage beschäftigt, wie wir Steuergestaltungen verhindern können, die die Steuerbasis in
Deutschland unzulässig verringern. Wir können es uns
nicht leisten und unser Gemeinwesen kann es sich nicht
leisten, dass viele Unternehmen das grenzüberschreitende nominale Steuersatzgefälle nutzen, um in
Deutschland mit der hiesigen Infrastruktur erwirtschaftete Gewinne über bestimmte Finanzierungskonstruktionen dem Zugriff des deutschen Fiskus zu entziehen. Das
ist zwar legal, aber politisch nicht akzeptabel, auch nicht
im Hinblick auf die vielen zahlenden Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler.
({19})
Hier entgehen dem Staat viele Milliarden, die dringend zur Finanzierung von Zukunftsaufgaben benötigt
werden. Nichtstun würde die Lage nicht verbessern, sondern auf Sicht sogar verschlechtern. Trotz der aktuell guten Prognosen des Steueraufkommens brauchen wir deswegen eine Unternehmensteuerreform.
Dabei geht es darum: „Ja“ zu einer Stärkung der Attraktivität des Produktions-, Investitions- und Beschäftigungsstandortes Deutschland; „Nein“, es geht nicht um
Steuergeschenke für reiche Konzerne
({20})
und nicht um Steuerausfälle auf Dauer. „Ja“, es geht um
verstärkte Steuerzahlung derjenigen Unternehmen an
den deutschen Fiskus, die sich bislang der deutschen Besteuerung durch gezielte Gestaltung intensiv entzogen
haben.
({21})
Insgesamt bietet der Kompromiss, den wir in der Arbeitsgruppe von SPD und CDU/CSU gefunden haben,
sehr viele Verbesserungen. Insbesondere für den Mittelstand gibt es erhebliche Verbesserungen. Die Lage des
Mittelstandes wurde steuerlich schon in den letzten Jahren erheblich verbessert. Verbesserungen gibt es auch für
die Kommunen, die sich auf eine stabile Finanzierung
durch eine erweiterte Gewerbesteuer verlassen können.
Damit können sie hoffentlich endlich Aufträge vergeben,
die auch für den Mittelstand in den Kommunen wichtig
sind. Letztlich wird es auch Verbesserungen für die öffentlichen Haushalte insgesamt geben.
Ich wünsche mir, dass alle hier im Deutschen Bundestag den weiteren Gesetzgebungsprozess zur Unternehmensteuerreform konstruktiv begleiten und mitgestalten.
Es lohnt sich.
Vielen Dank.
({22})
Ich erteile der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die
Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ein BBC-Reporter fragte mich
letzte Woche, warum die Bundesregierung denn in einem Umfragetief sei, wo doch die Konjunktur anspringe
und die Arbeitslosigkeit sinke.
({0})
Die Antwort findet sich unter anderem in einer repräsentativen Umfrage unter 600 Führungskräften aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung. Mehr als die Hälfte der
Befragten gab zu Protokoll, dass der wirtschaftliche
Aufschwung nichts mit der Arbeit der Regierung zu tun
habe. In dieser Frage scheint sich also die so genannte
Elite ausnahmsweise mit der Mehrheit der Bevölkerung
einig zu sein.
Ich möchte zu Ihrer Überraschung die allgemeine
Kritik etwas relativieren; denn immer dann, wenn die
Regierung den Vorschlägen der Linken folgt, ist sie in
Maßen erfolgreich.
({1})
Die Linke fordert seit Jahren mehr öffentliche Investitionen. Die Bundesregierung hat dieser Forderung teilweise
nachgegeben und es zeigt sich, dass bei deren Umsetzung zur kurzfristigen Belebung der Binnennachfrage
beigetragen wurde. Ich will Sie daran erinnern, damit Sie
Ihre eigene Geschichte nicht vergessen, dass Herr Merz
und die neoliberale Lobby
({2})
noch vor ein paar Jahren heftig gegen öffentliche Investitionsprogramme wetterten und ausschließlich auf Steuersenkung für Kapitalgesellschaften und Besser- und
Bestverdienende setzten.
({3})
Aber alle Erfahrung hat gezeigt: Die Steuersenkungen
brachten Steuerausfälle und keine neuen Arbeitsplätze.
Darum ist die fortdauernde Steuersenkungspolitik für
Besserverdienende falsch und wird von uns abgelehnt.
({4})
Ich will auf eine weitere beachtliche Wirkung der
Linken hinweisen. Inzwischen spricht man sogar von einem Linksruck in der CDU. Das ist natürlich etwas übertrieben, aber Herr Rüttgers ist nicht dafür zu kritisieren,
dass er - wie wir als Linke - die Verlängerung der
Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I fordert; zu kritisieren ist nur, dass er dafür das Geld den jungen Arbeitslosen wegnehmen will. Das ist absurd und gesellschaftspolitisch kontraproduktiv.
({5})
Wir als Linke haben einen Antrag zur Verlängerung der
Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I eingebracht. Am
Donnerstag wird dazu eine namentliche Abstimmung
stattfinden. Dann werden die Bürgerinnen und Bürger
wissen, wer wirklich wofür steht. Wir beantragen zusätzlich die Anhebung des Arbeitslosgeldes II auf 420 Euro
im Monat und übernehmen damit die begründete Forderung der Wohlfahrtsverbände. Auch hier, so denke ich,
müssen Sie den Bürgerinnen und Bürgern zeigen, wofür
sie stehen.
({6})
Obwohl ich einiges Positive benannt habe, will ich
vor Euphorie warnen, nicht nur was den Linksruck in der
CDU betrifft, sondern auch was den wirtschaftlichen
Aufschwung betrifft. Es gibt eine verbreitete Wahrnehmungsstörung bei CDU, CSU und SPD. Es gibt nämlich
nicht den Aufschwung. Der wirtschaftliche Aufschwung ist klar dreigeteilt. Für einen sehr kleinen Teil
der Gesellschaft geht es immer aufwärts, egal wie die
allgemeine wirtschaftliche Lage ist. Ich denke zum Beispiel an die 300 reichsten Deutschen, die jedes Jahr im
„Manager-Magazin“ genannt werden.
({7})
Egal ob Krise oder Konjunktur, es herrscht immer
Champagnerstimmung und es gibt immer einen Grund
für die Vorstände von Siemens, der Deutschen Bank
oder der Deutschen Bahn, sich die Gehälter dramatisch
zu erhöhen. Dieser Teil der Bevölkerung lebt in Sicherheit, weil es wirtschaftlich und politisch für ihn keine
Überraschung gibt. Der Bundesrechnungshof hat in der
letzten Woche kritisiert, dass es vor allem im Süden
Deutschlands schon Steueroasen für Millionäre gibt.
Besserverdienende haben dort bei einer normalen Lebenserwartung Prüfungen des Finanzamtes nicht zu erwarten. Diese Situation ist wirklich obszön, meine Damen und Herren.
({8})
Für die Mittelschicht wird das Leben immer mehr zu
einer Fahrt in der Achterbahn. Angst macht sich breit.
Immer mehr Menschen stehen vor existenziellen Fragen:
Werden sie ihre Arbeit behalten? Verzichten sie auf ihr
Gehalt, um ihre Arbeitsplätze scheinbar zu sichern und
um dann doch, wie die Mitarbeiter von BenQ, entlassen
zu werden?
Und was noch schlimmer ist: Für eine immer größer
werdende Gruppe von Menschen in unserem Land wird
der soziale Abstieg durch den allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung nicht einmal aufgehalten. Diese Menschen haben trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs keinen Cent mehr in der Tasche. Im Gegenteil, gerade arme
Menschen werden durch die Politik dieser Regierung
noch ärmer und ihre Chancen, aus der Armut zu entfliehen, noch geringer. Wir teilen diese Einschätzung übrigens mit Bischof Huber. Er erklärte in der vergangenen
Woche, es sei skandalös, dass in unserem reichen Land
Armut wieder erblich ist. Ich glaube, das ist ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft.
({9})
Besonders bedrückend ist die Konzentration der Armut in den neuen Ländern. Aber das spiegelt sich im
Haushalt 2007 nirgends wider. Die meisten vermeiden
auch, über Armut zu sprechen, sondern sprechen zum
Beispiel von der Überschuldung einiger Bundesländer
und von der angeblichen Verschwendung von Solidarpaktmitteln in Ostdeutschland. Der Zusammenhang von
Armut und Überschuldung ist offensichtlich noch nicht
allen deutlich geworden. Nicht nur die Herren Stoiber,
Koch und Wulff, sondern auch Herr Steinbrück forderte
nach dem Urteil gegen Berlin Verschuldungsobergrenzen für die Länder. Das klingt gut, das klingt entschlossen, das ist aber grober Unfug. Damit würde man nämlich gegen die Erscheinung eines Problems vorgehen,
nicht aber die Ursachen bei den Wurzeln packen.
({10})
Sechs Bundesländer haben verfassungswidrige Haushalte. In diesen Ländern ist die Nettokreditaufnahme höher als die Investitionen. Wenn aber sechs von 16 Bundesländern, Herr Kollege, ihren Haushalt nicht in den
Griff bekommen, kann man ja wohl nicht mehr von Einzelfällen sprechen. Dafür muss es doch wohl gemeinsame Ursachen geben.
({11})
Die Finanzkrise des Bundes, der Länder und Gemeinden ist vor allem ein Ergebnis der falschen Steuerpolitik
der alten und der neuen Bundesregierung.
({12})
Allein die Steuersenkungen der rot-grünen Bundesregierung haben jährliche Ausfälle von 60 Milliarden Euro
für Bund, Länder und Gemeinden verursacht.
Ein letztes Wort noch zur Finanzsituation Berlins.
Kulturstaatsminister Neumann wirft Berlin vor, dass es
aus der Finanzierung des Stadtschlosses aussteigt. Diese
Kritik ist mir völlig unverständlich. Die Bundesregierung kann doch nicht einerseits behaupten, Berlin spare
nicht ausreichend, und gleichzeitig erwarten, dass Berlin
ein völlig nutzloses Stadtschloss mit dreistelligen Millionenbeträgen finanziert. Das wäre wirklich Verschwendung. Herr Kollege Niebel, an der Stelle hätten Sie „Verschwendung“ dazwischen rufen können.
({13})
Meine Damen und Herren, wir müssen uns fragen, ob
der Haushalt 2007 einen Beitrag dazu leistet, die Probleme der Gegenwart und der Zukunft in unserem Land
zu meistern. Der Haushalt 2007 belastet vor allem arme
Menschen, Rentner, Familien und Kinder mit rund
30 Milliarden Euro. Gleichzeitig aber plant die Bundesregierung eine Unternehmensteuerreform, die die Unternehmen um 29 Milliarden Euro entlasten soll. Das ist
nicht nur sozial ungerecht, das ist obszön.
({14})
Dabei liegt der effektive Steuersatz für Unternehmen in
Deutschland schon jetzt bei nur 16 bis 18 Prozent und
damit sind deutsche Unternehmen weltweit mehr als
wettbewerbsfähig. Es bedarf also keiner weiteren Steuerentlastung von Unternehmen. Wer das fordert, vertritt
Lobbyinteressen und nicht die Interessen des gesamten
Volkes, wie es unser grundgesetzlicher Auftrag ist,
meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
Wer behauptet, dass die Unternehmensteuerreform
den Steuerzahler gar nichts kosten wird, der erinnere
sich bitte an die letzte Steuerreform: Im Jahre 2001 wurden in Deutschland zum Beispiel noch 25,5 Milliarden
Euro Körperschaftsteuer gezahlt. Ein Jahr später fielen
die Einnahmen unter null und die Finanzämter mussten
sogar 426 Millionen Euro an Unternehmen zurückzahlen. Wenn das nicht eine Umverteilung von unten nach
oben ist!
Wir als Linke wollen einen politischen Richtungswechsel. Weitere Steuersenkungen für Unternehmen
schaffen keine neuen Arbeitsplätze. Das hat die alte, rotgrüne Regierung eindrucksvoll bewiesen. Dafür wurde
sie abgewählt. Die Lasten in unserem Land müssen neu
verteilt werden. Starke Schultern müssen wieder mehr
tragen und schwache Schultern müssen entlastet werden.
Wer diesen Richtungswechsel nicht will, der setzt auf
Konfrontation und nimmt das Auseinanderdriften in unserer Gesellschaft billigend in Kauf. Sagen Sie nicht hinterher, Sie hätten es nicht gewusst!
({15})
Während der Haushaltsberatungen ging es auch um
die Verwendung der zu erwartenden Mehreinnahmen.
Der SPD-Vorsitzende Beck schlug als Erstes vor, dieses
Geld in die Auslandseinsätze der Bundeswehr zu stecken. Einen absurderen Vorschlag eines SPD-Vorsitzenden habe ich lange nicht gehört. Aber er wurde ihm augenscheinlich relativ schnell ausgeredet.
Wir als Linke wollen die Mehreinnahmen nutzen, um
grobe Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft zu bekämpfen. Wie bereits erwähnt, wollen wir das Arbeitslosengeld II - bekannt als Hartz IV - auf 420 Euro im Monat anheben. Weiterhin wollen wir die Zuschüsse für die
Krankenkassen erhöhen, um ein Ansteigen der Kassenbeiträge im nächsten Jahr zu verhindern. Wir haben dazu
einen Antrag in die Beratungen eingebracht, der von der
Koalition abgelehnt wurde. Allerdings hat die Bundeskanzlerin persönlich unseren Antrag in einer Miniversion übernommen. Ihr ging es dabei allerdings weniger
um höhere Beiträge als vielmehr um die Umsetzung ihres alten Konzeptes von der Kopfpauschale. Das lehnen
wir als unsolidarisch ab.
({16})
Ich will betonen, dass wir in unserem Entschließungsantrag und auch in den Haushaltsberatungen sowohl
Vorschläge für Mehreinnahmen als auch Einsparvorschläge gemacht haben. Auf einige dieser Einsparvorschläge möchte ich hier eingehen. Ich kann dabei an den
Kollegen Koppelin von der FDP anknüpfen. Die Bundesregierung will im nächsten Jahr noch einmal mehr
Geld für Verteidigung ausgeben. Ich sage Ihnen:
28 Milliarden Euro sind eine Stange Geld. Zum Vergleich: Für zivile Investitionen gibt die Bundesrepublik
in der gleichen Zeit nur 24 Milliarden Euro aus, also
4 Milliarden Euro weniger als für den Militärhaushalt.
Ich finde, da stimmt es vorne und hinten nicht.
({17})
Ist es nicht völlig verrückt, dass wir in Friedenszeiten
mehr Geld für Rüstung und Militär ausgeben als für zivile Investitionen? Offensichtlich hat fast niemand in
diesem Lande damit ein Problem. Selbst der Bund der
Steuerzahler, der sich sonst immer meldet, schweigt stoisch, wenn es um die Verschwendung von Steuermitteln
bei der Bundeswehr geht.
({18})
Die Bundesregierung versucht nun, die hohen Ausgaben mit der steigenden Terrorgefahr zu begründen. Doch
schaut man sich die großen Beschaffungsprojekte der
Bundeswehr an - wir werden darüber morgen ausführlich diskutieren -, erkennt man, dass die meisten dieser
Projekte noch aus der Zeit des Kalten Krieges stammen.
Kann mir jemand aus der Koalition erklären, wie man
mit Panzerhaubitzen Terroristen jagen will?
({19})
- Nein, auch der Minister nicht.
({20})
Der Innenminister hat mit der gleichen Begründung
in letzter Sekunde ein 132-Millionen-Euro-Programm in
den Haushaltsausschuss eingebracht. Dabei setzt man
auf flächendeckende Überwachung und auf den Abbau
von Bürgerrechten. Die SPD hätte ein solches Paket vor
zwei Jahren nur mit spitzen Fingern angefasst und sich
angewidert abgewandt. Nun hat sie zugestimmt.
({21})
Abschließend will ich auf eine weitere Einsparmöglichkeit hinweisen. Wir sind der Auffassung, dass die
kostenintensive Teilung der Bundesregierung mit den
Standorten Bonn und Berlin ein Ende finden muss.
Der Wanderzirkus sollte spätestens bis zum Jahr 2012
beendet sein. Es kann doch nicht sein, dass wir uns in einem Land, in dem wir von jedem Mobilität und Flexibilität verlangen, diesen Luxus an ministeriellem Beharrungsvermögen leisten.
({22})
Meine Damen und Herren, mein letzter Satz: Selbstverständlich fordern wir auch an dieser Stelle die Rücknahme der Mehrtwertsteuererhöhung. Diese Steuererhöhung ist unsozial und Gift für die Konjunktur. Sie ist
genauso unsozial wie dieser gesamte Haushalt. Darum
lehnen wir ihn ab.
Vielen Dank.
({23})
Dr. Michael Meister ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In dieser Woche werden wir den Bundeshaushalt 2007 verabschieden.
({0})
Die Kollegen im Haushaltsausschuss haben eine gute
Grundlage dafür geschaffen, dass die Koalition im Jahre
2007 einen entscheidenden Schritt auf dem Konsolidierungspfad vorankommen wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere von
der FDP, selbst die kritische Öffentlichkeit erkennt mittlerweile an, dass die Koalition beim Projekt Etatsanierung auf dem richtigen Wege ist.
({1})
Auch Herr Kollege Koppelin - man hat es an seinem Redebeitrag gemerkt - hat ja keinen richtigen Ansatzpunkt
gefunden, um Kritik zu üben. Populismus, Herr
Koppelin, ersetzt keine solide und seriöse Finanzpolitik
für die Bundesrepublik Deutschland.
({2})
Binnen zwölf Monaten hat diese Koalition die Nettokreditaufnahme im Bundeshaushalt etwa halbiert. Wir
haben sie von einem Niveau von 40 Milliarden Euro auf
unter 20 Milliarden Euro Nettoneuverschuldung gesenkt. Zwar ist auch in Zukunft eine weitere Absenkung
der Nettokreditaufnahme ein Gebot der Stunde,
({3})
aber man sollte den gewaltigen Schritt, den wir nach
vorne gemacht haben, anerkennen.
({4})
Weiterhin reden wir im Zusammenhang mit dem
Haushaltsentwurf 2007 - das ist hier schon vorgetragen
worden - über die niedrigste Nettokreditaufnahme seit
der Wiedervereinigung. Auch an diesem gewaltigen
Schritt zeigt sich, wie ich glaube, dass diese Koalition
das Thema „Konsolidierung des Bundeshaushaltes“
ernst nimmt.
({5})
Auch auf Folgendes möchte ich hinweisen: Nachdem
Deutschland fünf Jahre hintereinander, nämlich in den
Jahren 2001 bis 2005, Kriterien des Maastrichtvertrages
verletzt hat, unterschreiten wir nun sowohl 2006 als auch
2007 das Kriterium der Nettoneuverschuldung und kommen in 2007 in die Nähe von 2 Prozent Nettoneuverschuldung. Das ist doch etwas: Wir halten europäisches
Recht ein, eigentlich eine Normalität, aber um dies zu
realisieren, waren gewaltige Anstrengungen nötig. Ich
würde mich freuen, wenn das in dieser Debatte zur
Kenntnis genommen würde.
({6})
Der Hinweis, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass
dies alles über Maßnahmen auf der Einnahmeseite
realisiert wird, ist falsch. Die Konsolidierung erfolgt
überwiegend auf der Ausgabenseite.
({7})
Dies haben wir vereinbart und nun umgesetzt. Selbst
wenn Sie hundertmal etwas anderes behaupten, wird das
damit nicht richtiger. Fakt bleibt: Wir konsolidieren vornehmlich über Maßnahmen auf der Ausgabenseite.
({8})
In der Situation, die wir vorgefunden haben, wäre es
uns nicht möglich gewesen - das hat uns der Vorsitzende
des Sachverständigenrates in der Anhörung zum Haushaltsbegleitgesetz bestätigt -, sowohl das Neuverschuldungskriterium aus dem Maastrichtvertrag als auch die
Vorgaben von Art. 115 des Grundgesetzes einzuhalten,
wenn wir nicht gleichzeitig neben den Sparbemühungen
auf der Ausgabenseite auch auf der Einnahmeseite etwas
getan hätten.
({9})
Deshalb haben wir uns nicht mit Freude, sondern aus
Verantwortung vor der Aufgabe dazu entschlossen, auch
etwas auf der Einnahmeseite zu tun.
({10})
Jetzt dürfen Sie sich gerne mit uns darüber freuen,
dass wir die Vorgaben des Art. 115 des Grundgesetzes
im kommenden Haushalt wieder einhalten werden; denn
die Nettokreditaufnahme ist niedriger als die Investitionssumme, und zwar nicht nur deshalb, weil die Nettokreditaufnahme sinkt, sondern auch, Herr Koppelin
- das nehmen Sie ja nicht zur Kenntnis -, weil die Investitionssumme wieder steigt. Das bedeutet, wir tun auch
qualitativ etwas für den Bundeshaushalt,
({11})
indem wir zum Beispiel die Bereiche Forschung und
Technologie stärken. Ich erinnere an das Programm zur
Hightech-Strategie von Kollegin Schavan. Wir haben
uns als Koalition „committed“, dass dies auch in den
nächsten vier Jahren mit dem entsprechenden Geld unterlegt wird und dass wir dafür sorgen, dass wir bei Forschung, Technologie und Entwicklung an der Spitze
marschieren und damit trotz angespannter Haushaltslage
einen wesentlichen Beitrag zu Wachstum und Beschäftigung leisten.
({12})
- Es kommt sehr wohl beim Kunden an. Es liegt ein
Stück weit an Ihrer Realitätsverweigerung, dass Sie einfach nicht erkennen, dass wir eine halbe Million Arbeitslose weniger,
({13})
300 000 Sozialversicherungspflichtige mehr und einen
massiven Aufwuchs bei den Steuereinnahmen haben und
dass das Wachstum höher ist, als in den vergangenen
fünf, sechs Jahren überhaupt zu träumen war. Kommen
Sie doch mal in die Realität, bevor Sie hier Zwischenrufe machen!
({14})
Wir haben auch etwas getan, um die Investitionsbedingungen zu stärken. Denn wir haben doch gelernt,
dass wir, wenn wir nur sanieren, die Konjunktur abwürgen würden. Wir müssen neben der Haushaltssanierung
und dem Sparen, was richtig und wichtig ist, auch für
mehr Wachstum sorgen. Dazu haben wir zunächst einmal Investitionsanreize gesetzt. Ich nenne nur die günstigen Investitionsbedingungen für die Unternehmen über
die degressive AfA und die Möglichkeiten im Privathaushalt. Das dient der Ankurbelung der Konjunktur.
Wir sind jetzt in der Pflicht - das wird der dritte Schritt
sein -, dies auch mit strukturellem Wachstum zu unterfüttern. Meine Bitte ist, dass Sie nicht nur Zwischenrufe
machen, sondern gelegentlich auch mit einem konstruktiven Vorschlag kommen, wie man das eine oder andere
Projekt struktureller Reformen nach vorne bringen kann.
({15})
Ich greife den Einwurf von Herrn Koppelin zum
Thema Lohnnebenkosten, Arbeitskosten auf. Es ist doch
ein gewaltiger Schritt, wenn wir zum 1. Januar 2007 den
Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 2,3 Prozentpunkte senken können.
({16})
Das dient der Förderung der legalen Arbeit in Deutschland. Deshalb können Sie nicht sagen, es geschehe nichts
an dieser Stelle.
Dann sagen Sie, der Rentenbeitrag steige leider. Ich
glaube, genauso wichtig wie die Zahlen, die wir nennen,
ist die Tatsache, dass Politik in Deutschland verlässlich,
berechenbar und stetig ist.
({17})
Mit dem Rentenbeitrag, den wir jetzt festlegen, können
wir über die komplette Wahlperiode hinweg ein stabiles
Niveau halten. Damit sorgen wir für verlässliche Rahmenbedingungen an dieser Stelle.
({18})
Ich hätte mich gefreut, wenn Sie, Herr Koppelin, in der
Öffentlichkeit gesagt hätten: Zur Sanierung der Rentenversicherung startet die Koalition das Projekt „Rente mit
67“ und die FDP geht, weil sie das für richtig hält, kräftig mit voran. ({19})
Ich habe von Ihnen keinen Ton dazu gehört. Sie verweigern sich den strukturellen Reformen, sind aber nicht bereit, andere Vorschläge zu machen. Das muss man einfach einmal deutlich festhalten.
({20})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sanieren, investieren, reformieren - das ist, glaube ich, der richtige Dreiklang. Ich sage allerdings deutlich: Wir dürfen nach diesem ersten gewaltigen Sanierungsschritt nicht übermütig
werden. Wir müssen der Konsolidierung des Haushalts
auch für die folgenden Jahre erste Priorität einräumen,
damit die Handlungsspielräume künftiger Generationen
nicht noch weiter beschnitten werden. Ein Blick auf die
Zinslasten im Bundeshaushalt - wir geben rund 15 Prozent unseres Geldes für Zinsen aus; das heißt, wir kommen für Ausgaben auf, die in der Vergangenheit zu viel
getätigt worden sind, und zwar zulasten der Zukunft zeigt, dass es dringend notwendig ist, dass wir an dieser
Stelle umsteuern und zu einer Finanzierung der Zukunft
übergehen, meine Damen und Herren.
({21})
Ich will an dieser Stelle folgenden Einwurf machen.
Wir haben ja ein außerordentlich niedriges Zinsniveau.
Dennoch bin ich der Meinung, dass es für die Menschen
in unserem Land neben der Haushaltskonsolidierung ungeheuer wichtig ist, dass wir auch eine unabhängige
Geldpolitik haben,
({22})
die für stabiles Geld und eine niedrige Inflation sorgt,
was die Basis einer vernünftigen Sozialpolitik ist; denn
es gibt nichts Unsozialeres als steigende Inflationsraten.
({23})
Wir stellen uns den weiteren Herausforderungen. Bei
einem gesamtstaatlichen Defizit von 2 Prozent ist die
Konsolidierung nicht beendet. Vielmehr muss sie weitergeführt werden. Deshalb werden wir in den kommenden
Jahren in einer Größenordnung von gesamtstaatlich rund
10 Milliarden Euro weiter konsolidieren müssen. Dabei
sind unsere Annahmen für Wachstum und Beschäftigung
zurückhaltend; das ist vorhin schon angesprochen worden. Ich warne hier auch vor jeglicher Euphorie. Diese
hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass wir immer wieder am Jahresende mit Negativbotschaften überrascht wurden. Dieses Jahr haben wir zum ersten Mal die
Erfahrung gemacht, dass die Botschaften positiv waren.
Deshalb ist das der richtige Ansatz.
Auch Herr Engels vom Bundesrechnungshof sagt
- ich darf zitieren -:
Rechnet euch nicht die Steuern schön, weil sonst
der Haushalt sofort wieder in eine Schieflage
kommt, dieweil alle Welt der Notwendigkeit enthoben ist, an der Ausgabenseite zu sparen und Prioritäten zu setzen.
Recht hat er.
({24})
Die Koalition handelt gemäß dieser These. Deshalb sind
wir auf dem richtigen Weg.
({25})
Ich will darauf hinweisen, dass vor 40 Jahren etwa
27 Prozent der Wirtschaftsleistungen für Investitionen in
die Zukunft und 22 Prozent für Sozialausgaben eingesetzt wurden. Heute, also 40 Jahre später, geben wir
etwa 10 Prozent weniger für Investitionen und 10 Prozent mehr für Sozialausgaben aus. An dieser Stelle besteht für uns also die große Herausforderung, im Haushalt umzusteuern, die Investitionen wieder zu stärken
und durch vernünftige Reformen die Aufwendungen
für Sozialleistungen zurückzuführen. Das hat nichts mit
Sozialabbau zu tun. Die entscheidende Frage ist, wie
wieder mehr Menschen in den ersten Arbeitsmarkt kommen. Wenn das der Fall ist, müssen wir weniger für Sozialleistungen ausgeben und haben gleichzeitig mehr
Möglichkeiten für die Finanzierung unserer gesamtstaatlichen Aufgaben. Unser Ansatz ist also, durch Verbesserung der Chancen am ersten Arbeitsmarkt das von mir
soeben beschriebene Problem zu lösen.
({26})
Ich will noch auf einen Punkt eingehen, den meine
Vorrednerin von der PDS angesprochen hat. Es geht um
das Thema Sicherheit. Ich glaube, es ist die Grundforderung an jedes Staatswesen, seinen Bürgern Sicherheit zu
gewähren.
({27})
Ein Staat, der seinen Bürgern keine Sicherheit gewährt,
wird von ihnen nicht mehr akzeptiert. Es ist daher richtig, dass sich diese Koalition dazu entschieden hat, im
Bereich des Bundesministers der Verteidigung und des
Bundesinnenministers die notwendigen zusätzlichen
Aufwendungen für mehr Sicherheit zu tätigen, um den
vor uns liegenden Herausforderungen durch den internationalen Terrorismus gerecht zu werden. Ich sage eindeutig: Auch hier ist die große Koalition auf dem richtiDr. Michael Meister
gen Wege und handelt im Interesse der Bürger der
Bundesrepublik Deutschland.
({28})
Wir haben die Föderalismusreform I abgeschlossen.
Auch dies war ein gewaltiger Schritt in den ersten zwölf
Monaten.
({29})
Wir stehen nun vor einem weiteren großen Projekt. Wir
haben uns nämlich darauf verständigt, eine
Föderalismusreform II auf den Weg zu bringen, bei der
es um die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern
und Gemeinden geht. An dieser Stelle ist es wichtig
- wir reden ja auch über Defizite -, einmal zu überprüfen, ob die heutigen Verschuldungsregeln, die im Grundgesetz und im Maastricht-Vertrag enthalten sind, überhaupt noch konsistent zueinander sind oder ob es nicht
notwendig ist, sie besser aufeinander abzustimmen und
sie in der Weise zu gestalten, dass tatsächlich eine Politik für zukünftige Generationen gemacht wird. Deshalb
ist es richtig, dass dieser Punkt an dieser Stelle auf der
Tagesordnung steht. Die Koalition wird sich auch dieser
Herausforderung stellen.
({30})
Ich will abschließend noch auf das Thema Strukturreformen eingehen. Herr Koppelin sagte, die Koalition
käme beim Thema Unternehmensteuerreform nicht
voran. Wie auch der Kollege Poß habe ich der Arbeitsgruppe angehört, die sich mit dieser Reform befasst hat.
Die Koalition hat sich trotz dieses hochkomplexen Themas auf schlüssige und tragfähige Eckpunkte geeinigt.
Man kann also nicht den Eindruck gewinnen, dass es bei
diesem Thema nicht vorangegangen ist. Jetzt stehen wir
vor der Aufgabe, die Eckpunkte mithilfe eines Gesetzes
umzusetzen. Nach den ersten Einschätzungen des ZEW
aus Mannheim werden wir dann, was die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland betrifft, vom letzten
Platz auf einen Platz im Mittelfeld vorrücken.
Ich hätte mir gut vorstellen können, dass kritisiert
werden würde, warum wir nur solche Punkte beschlossen haben, die uns vom Tabellenende ins Mittelfeld führen, und nicht solche Punkte, die uns weiter an die Spitze
führen. Eine solche Debatte hatte ich eigentlich erwartet.
Aber die Debatte in Deutschland verläuft in die andere
Richtung. Es wird die Frage gestellt, ob wir überhaupt
vom Tabellenende weg müssen. Ich sage dazu eindeutig
Ja. Wenn wir langfristig Wachstum und Beschäftigung
wollen, dann müssen wir etwas für bessere Standortbedingungen in Deutschland tun, was uns vom Tabellenende ins Mittelfeld führt.
({31})
Ich würde mich freuen, wenn diese Unternehmensteuerreform als eine Zukunftsinvestition verstanden würde.
({32})
Ich persönlich glaube, Herr Koppelin, dass über mehr
Wachstum und Beschäftigung der Bundeshaushalt und
auch die Haushalte von Ländern und Kommunen dauerhaft stabilisiert werden. Sie werden nicht durch Einzelmaßnahmen stabilisiert, sondern durch die Schaffung
von besseren Rahmenbedingungen für Wachstum und
Beschäftigung. In diesem Zusammenhang ist die Unternehmensteuerreform ein herausragender Pfeiler.
Ich will auf einen weiteren Punkt hinweisen. Wir diskutieren hier über Geld, also über die Frage: Was kostet
uns diese Reform? Das ist eine sehr statische Betrachtung. Denn wir unterstellen bei dieser Betrachtung, dass
wir das Steuerrecht ändern und sich alle Mitspieler genauso verhalten wie vorher, dass kein Einziger sein Verhalten nach der Reform des Steuerrechts ändert. Das ist
doch eine Annahme, die nicht von dieser Welt ist. Es ist
doch folgendermaßen: Wenn ich die Regeln ändere, verhalten sich die Spieler auf dem Spielfeld anders. Wenn
ich den Fußballern heute erlaube, auch die Hände zu benutzen, dann werden sie ab morgen auch mit den Händen spielen. Solange dies verboten ist, tun sie es nicht.
({33})
Das heißt, Regeländerungen führen zu Verhaltensänderungen. Das muss zur Kenntnis genommen werden. Deshalb müssen wir aufhören, von statischen Betrachtungen
auszugehen, und müssen zu dynamischen Betrachtungen
übergehen. Denn unser Land braucht Dynamik und nicht
Statik.
({34})
Wer eine dynamische Betrachtung durchführt, wird
sehen, dass es zu Verhaltensänderungen der Steuerpflichtigen kommt. Kollege Poß hat zu Recht angesprochen, dass wir dafür sorgen wollen, dass Gewinne, die in
Deutschland erwirtschaftet werden, auch hier der Besteuerung unterzogen werden. Wir erwarten Verhaltensänderungen. Wir stoßen sie durch die von uns getroffenen Maßnahmen an.
Wenn man vom Tabellenende ins Tabellenmittelfeld
kommen will, dann geht es auch darum, am Standort
Deutschland für mehr Investitionen, mehr Beschäftigung
und damit natürlich für mehr Einnahmen zu sorgen, die
wir bei geringeren Tarifen erzielen wollen. Man sollte
also keine statische Betrachtung anstellen, sondern die
Dynamik, die erzeugt wird, zur Kenntnis nehmen.
Das, was wir zur Sanierung des Bundeshaushaltes
aufgelegt haben, ist ein sehr ehrgeiziges Programm. Ich
glaube, dass es uns gelungen ist, die verschiedenen Bausteine, nämlich Sanieren, Investieren und Reformieren,
in richtiger Weise zusammenzuführen und zu mischen.
Diese Koalition unter Führung der Union ist auf dem
richtigen Wege.
Ich freue mich auf diese Haushaltswoche und glaube,
dass sowohl das Parlament als auch die Öffentlichkeit
unseren Weg bestätigen werden.
Vielen Dank.
({35})
Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat
die Kollegin Anja Hajduk das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Die große Koalition hat - das kann man feststellen - Fortune. Im Interesse unseres Landes kann man das
als Opposition auch ertragen. Aber nicht zu akzeptieren
ist, dass die Kollegen der großen Koalition - das ist bei
Herrn Meister gerade wieder deutlich geworden - nicht
zwischen der Fortune, die sie haben, und dem, was sie
„eigene gewaltige Anstrengungen“ nennen, unterscheiden können.
({0})
Das ist schlicht und ergreifend lächerlich. Das sagt niemand anderes; nur Sie betonen das in Ihren Reden.
({1})
Ich will das belegen. Schauen wir uns das Haushaltsjahr 2006 an. Sie haben sich in den Koalitionsverhandlungen für eine Nettokreditaufnahme von 38 Milliarden Euro entschieden. Sie haben gesagt, diese brauche
man 2006, damit die Wirtschaft anspringe. Wir werden
in diesem Jahr bei einem Wirtschaftswachstum von
2,5 Prozent - Deutschland liegt damit deutlich über seinem Potenzialwachstum ({2})
bei einer gleichzeitigen Nettokreditaufnahme von
30 Milliarden Euro liegen. Das ist ein klarer Verstoß gegen die Verfassung. Das hat Ihnen der Sachverständigenrat vor einigen Tagen gesagt.
({3})
Zumindest im Haushaltsvollzug hätten Sie stärker gegensteuern können. Ihre haushaltspolitische Zielsetzung
in Ihrem ersten Haushaltsjahr war, sich Schulden in
Höhe von 38 Milliarden Euro zu gestatten. Dass Sie jetzt
nur Schulden in Höhe von 30 Milliarden Euro machen,
feiern Sie schon als Erfolg. Das bezahlen die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes aber mit steigenden Zinsen. Das ist ein Armutszeugnis für Ihre Politik.
({4})
Das setzt sich fort. Wie ist es denn im Haushalt 2007?
Im Haushalt 2007 ist eine Nettokreditaufnahme von unter 20 Milliarden Euro geplant. Das ist besser als in den
letzten Jahren unter Rot-Grün. Das weiß ich; das leugne
ich auch nicht. Aber Sie sollten diese Zielsetzung an den
Spielräumen messen, die Sie haben. Im Bund wird es
Steuermehreinnahmen in Höhe von knapp 18 Milliarden
Euro geben; die Steuereinnahmen steigen laut Steuerschätzung im Vergleich zu 2006 um diesen Betrag. Sie
wollen zusätzlich die Privatisierungen um 2,5 Milliarden
Euro erhöhen. Das sind knapp 20 Milliarden Euro, je
nachdem wie hoch die Privatisierungserlöse ausfallen.
Sie planen also Mehreinnahmen in Höhe von etwa
20 Milliarden Euro und eine Senkung der Nettokreditaufnahme um circa 11 Milliarden Euro.
({5})
Was heißt das? Das heißt, Sie steigern die Ausgaben bei
guter wirtschaftlicher Entwicklung. - Wer angesichts
von Mehreinnahmen in Höhe von 20 Milliarden Euro
die Nettokreditaufnahme nur um die Hälfte senkt, Herr
Röttgen, der kann nicht von einem Methodenwechsel in
der Haushaltspolitik der großen Koalition reden. Sie lehnen sich zurück und sonnen sich in der rosaroten Konjunkturentwicklung. Das kann dieses Land eigentlich
nicht gebrauchen.
({6})
Sie als große Koalition müssten mehr leisten und ehrlich
Zeugnis über Ihre Möglichkeiten ablegen. Das wissen
Sie auch. Sie lehnen sich stattdessen bei konjunkturellem Rückenwind zurück. Sie sind aufgrund Ihrer grundsätzlichen Differenzen erschöpft; das verstehe ich natürlich.
({7})
Ich komme nun auf einen zweiten Bereich zu sprechen. Wie erbringen Sie Ihre Einsparungen? Herr
Meister hat wiederholt, was uns Herr Steinbrück im
Sommer gesagt hat: Auf der Ausgabenseite würden
60 Prozent konsolidiert und es sei eine Legende der Opposition, dass die Steuereinnahmen der Hauptkonsolidierungsbeitrag wären.
Ich will deutlich machen, woraus Ihre Haupteinsparungen bestehen: Die erste Verschiebung findet zugunsten des Haushalts und zulasten der Rentenkasse in Höhe
von 2 Milliarden Euro statt, weil Sie die Rentenzuschüsse für die Bezieher von Arbeitslosengeld II von
78 auf 45 Euro senken. Der zweite Verschiebebahnhof
heißt Gesundheitsversicherung. Sie wollten 2,8 Milliarden Euro in diesem Jahr zulasten der Gesundheitsversicherung zugunsten des Haushalts verschieben. In der
Gesundheitsreform ist das Verschieben aber uneindeutig,
weil ständig einer die Weichen umstellt: Mal sollen
keine Steuereinnahmen in die Gesundheitsversicherung
fließen, ein andermal sollen mehr Steuereinnahmen in
die Gesundheitsversicherung fließen. Die Kanzlerin fügt
hinzu: Das findet nur statt, wenn die Steuereinnahmen
das konjunkturell zulassen. Auf diesen Aspekt komme
ich gleich noch einmal zurück.
Im Bereich der Gesundheit gibt es einen Zickzackkurs und im Bereich der Rente einen Verschiebebahnhof.
Das sind dann die berühmten strukturellen Einsparungen
von Herrn Steinbrück, die in diesem Haushalt 3,8 Milliarden Euro ausmachen. Meines Erachtens ist das aber
nichts anderes als eine unehrliche Masche, die nicht nur
die Bürgerinnen und Bürger belastet, sondern auch den
Faktor Arbeit. Darauf komme ich jetzt zu sprechen.
Das selbst gesetzte Ziel, die Lohnnebenkosten auf
unter 40 Prozent zu drücken, wird glatt verfehlt, Frau
Merkel. Ich will Ihnen eine Rechnung vorlegen, die eine
ehrliche Bilanz der Lohnnebenkosten aufweist: Bei der
Pflegeversicherung bleibt es bei einem Beitrag von
1,7 Prozent. Das ist von mir freundlich gerechnet; denn
die Reform ist hier überfällig. Bei der Krankenversicherung liegt der Durchschnittsbeitrag momentan bei
14,3 Prozent.
({8})
Dieser Beitrag wird, wiederum sehr koalitionsfreundlich
gerechnet, im nächsten Jahr auf 15 Prozent steigen. Der
Rentenversicherungsbeitrag liegt zurzeit bei 19,5 Prozent. Durch die Politik der großen Koalition wird er im
nächsten Jahr bei 19,9 Prozent liegen. Der Beitrag zur
Arbeitslosenversicherung liegt bei 6,5 Prozent. Die Senkung des Beitrags um 1,3 Prozentpunkte, die aus den
Anstrengungen der BA resultiert, kann sich die große
Koalition aber nicht auf die eigene Fahne schreiben.
({9})
5,2 Prozentpunkte in der Arbeitslosenversicherung sind
Produkt der Reformen von Hartz I bis Hartz IV, die Sie
teilweise bekämpft haben und bei denen Herr Rüttgers
jetzt schon wieder wackelt, Frau Merkel. Das wird noch
zu einem Problem für Sie.
({10})
Überlegen Sie doch: Die Bundesagentur hat durch
ihre Reformanstrengungen einen Eigenbeitrag in Höhe
von 1,3 Prozentpunkten erbracht. Insofern landeten die
Lohnnebenkosten in diesem Jahr bei 40,7 Prozent. Im
nächsten Jahr werden sie aufgrund der Maßnahmen der
großen Koalition bei 40,8 Prozent liegen. Nun könnte
man sagen, es handele sich ja nur um 0,1 Prozent. Hinzu
kommt jedoch noch ein weiteres Problem: die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte. Bei einer ehrlichen Gesamtbetrachtung erkennt man, dass die
Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte zur
Senkung der Lohnnebenkosten faktisch nichts beiträgt.
Sie wird vielmehr die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen besonders belasten.
({11})
Wie sieht die Bilanz aus? Kleinere Einkommen werden
belastet und die Unternehmensteuerreform wird nicht
aufkommensneutral sein, weil Sie dazu nicht die Kraft
haben. Daran erkennt man die soziale Schieflage, die
letztlich Ihre Politik kennzeichnet. Das hat Frau Lötzsch
richtig erkannt.
({12})
Ich möchte auf die Gesundheitsreform zurückkommen. Einige Entscheidungen, die die Leistungssätze
betreffen, finden wir gar nicht so falsch. Das Hauptproblem ist die Finanzierung. Die Gesundheitsreform ist,
was die Finanzierung betrifft, gänzlich missraten. Das
sagen alle, die davon Ahnung haben und sich als Experten melden. Das wissen Sie auch. Deshalb haben Sie,
wenn Sie sich dazu äußern müssen, auch einen sehr
schweren Stand. Ich habe das jüngst selbst erlebt.
Wenn an dem Fonds, den Sie einrichten werden, auch
die PKV beteiligt wäre, wenn auch andere Finanzierungsmittel einfließen würden, hätte man einen Fonds
vielleicht noch rechtfertigen können. Jetzt ist dieser
Fonds nichts anderes als eine Form, in die Sie Ihren faulen Kompromiss gegossen haben. Er ist schädlich für das
Gesundheitssystem. Deswegen ist die große Koalition an
dieser Stelle gescheitert.
({13})
Ich stelle die These auf, dass Sie die Gründung dieses
Fonds und die Durchführung dieser Gesundheitsreform
deswegen nicht lassen können, weil Sie sie zum Maßstab
für die Handlungsfähigkeit der großen Koalition gemacht haben. Wenn Sie auch nur ein bisschen ernst nähmen, was Ihnen Sachverständige zu dieser Reform sagen, dann müssten Sie sagen: Wir machen diese Reform
nur hinsichtlich der Ausgaben, nicht jedoch hinsichtlich
der Finanzierung. Diese wird verschoben, weil es 2009
sowieso eine Wahlauseinandersetzung über die Gesundheitsreform gibt. Wir verzichten auf diesen Unfug. - Das
wäre souverän. Ansonsten tun Sie dem System keinen
Gefallen.
({14})
Warum spreche ich das in dieser Haushaltsdebatte an?
Frau Bundeskanzlerin, Ihre Reformkompetenz gerät in
ein seltsames Licht. Im Zuge der Koalitionsvereinbarungen haben Sie gesagt, es gebe keine Steuermittel mehr
für die Gesundheitsversicherung. Im Sommer dann haben Sie einen Kompromiss geschlossen und entschieden,
dass demnächst wieder Steuermittel hineinfließen sollen,
aber ehrlich gesagt, dass Sie dafür noch eine Gegenfinanzierung brauchen, die Sie derzeit noch nicht hätten.
In diesem Herbst jedoch beschließen Sie - weil die Steuerquellen so schön sprudeln -, die Steuerfinanzierung
vorzuziehen. - Das ist ein Zickzackkurs ohne solide Gegenfinanzierung. Das spricht auch nicht für das Vorhandensein von Reformkompetenz.
Ich will Ihnen das an einer Stelle verdeutlichen: Im
Haushaltsausschuss gab es einen heftigen Streit zwischen CDU/CSU und SPD, als ich gefragt habe, was
jetzt eigentlich vorgezogen wird.
({15})
Sie haben erklärt, die steuerfinanzierte Mitversicherung
der Kinder würde vorgezogen. Das jedoch sieht die
SPD ganz anders. Solange die GKV und die PKV getrennt sind, wird es mit der SPD - und zwar zu Recht keine Steuerfinanzierung der Mitversicherung der Kinder geben. Das war ein Kommunikationsgag, den Sie
sich da geleistet haben. Es gibt im Moment keine
Grundlage für die steuerfinanzierte Mitfinanzierung von
Kindern in der Krankenversicherung.
Im übernächsten Jahr gibt es einen nicht gegenfinanzierten Steuerbeitrag für die Krankenversicherung in
Höhe von 4 Milliarden Euro. Dadurch ist ein riesiges
Loch im Haushalt entstanden. Im Jahr 2007 beläuft sich
der Steuerzuschuss auf 2,5 Milliarden Euro und da hilft
die Konjunktur. Herr Steinbrück weiß noch nicht, wie er
diese 4 Milliarden Euro im Jahr 2008 finanzieren soll.
({16})
Mit diesem Zickzackkurs bestätigen Sie leider ein altes Vorurteil in Deutschland, dass nämlich die Steuerfinanzierung sozialer Sicherungssysteme nur nach Kassenlage ginge und nicht solide zu finanzieren sei. Mit
Ihrem Zickzackkurs im Gesundheitsbereich haben Sie
dieses Vorurteil leider aufs Extremste bestätigt.
({17})
Ich komme zum Haushalt zurück und möchte über die
Finanzplanung sprechen. Herr Meister, Sie haben gesagt, Sie hätten sich sehr angestrengt und das, was hier
vorgelegt würde, sei zukunftsweisend für die Haushaltspolitik.
({18})
Die Finanzplanung - das habe ich schon vor einigen Monaten kritisiert und der Finanzminister hat mir da Recht
gegeben - ist überhaupt nicht ambitioniert. Sie sieht
heute noch eine Neuverschuldung auf dem Niveau von
knapp unter 20 Milliarden Euro bis 2009/2010 vor.
({19})
Diese fehlende Konsolidierungsperspektive muss man
aus heutiger Sicht kritisieren. Vielleicht ist das auch ein
Hinweis darauf, dass wir uns im Parlament mehr um die
Finanzplanung kümmern sollten. Dass die Neuverschuldung innerhalb der nächsten Jahre nicht abgebaut wird,
ist nicht zu rechtfertigen.
Sie, Herr Steinbrück, haben gesagt, Sie wollten sich
nicht festlegen, wann in den nächsten Jahren Sie die
Nettokreditaufnahme auf Null reduzieren können.
({20})
Sie wollen sich nicht festnageln lassen. Herr Steinbrück,
ich rate Ihnen, sich in diesem Fall an dem Kollegen
Kampeter zu orientieren.
({21})
Wie sehr ist die Reform des Maastrichtvertrages von
Herrn Kampeter gescholten worden? Jetzt will er aber,
dass der Vertrag eingehalten wird. In diesem Jahr beträgt
die Defizitquote 2,2 Prozent. Laut Maastrichtvertrag
sind wir verpflichtet, die Defizitquote jährlich um
0,5 Prozent abzubauen.
({22})
Es kann mal einige Abweichungen geben, je nachdem
wie man das strukturelle Defizit definiert. Bis 2010 sollten wir aber „close to balance“ sein. Sie müssen ja keine
Null versprechen, Herr Steinbrück, wir werden Sie auch
nicht auf 1 Milliarde oder 2 Milliarden Euro festnageln.
({23})
Aber die bisherige Unverbindlichkeit der großen Koalition bei der Finanzplanung für die nächsten Jahre ist im
Sinne einer generationengerechten Politik nicht zu akzeptieren.
Ich komme noch einmal auf Herrn Röttgen zurück.
Wenn die große Koalition einen Methodenwechsel in der
Haushaltspolitik will, dann muss sie für die Finanzplanung andere Eckwerte festlegen. Sie dürfen sich nicht
nur auf dem Rücken einer schönen Konjunktur ausruhen
und den Kollegen Kampeter kritisieren, wenn er sagt,
dass wir bis 2010 einen ausgeglichenen Haushalt haben
müssen. Daran werden wir die große Koalition messen
müssen; denn das ist im Interesse unserer Gesellschaft.
({24})
Ich kann mich sehr wohl daran erinnern, dass RotGrün das Ziel hatte, in den Jahren 2004 bis 2006 eine
Nettokreditaufnahme von Null zu erreichen. Auch wenn
wir das nicht geschafft haben,
({25})
war die Zielsetzung doch nicht falsch.
({26})
- Hören Sie doch einmal zu! - Weil wir wissen, dass es
in der deutschen Gesellschaft aufgrund der demografischen Entwicklung ab 2015 finanziell schwer wird,
weil die Entwicklung durch die alternde Gesellschaft
erst dann richtig stark auf die sozialen Sicherungssysteme durchschlagen wird, müssen wir im Jahr 2010 einen ausgeglichenen Haushalt haben, um einige Jahre ein
bisschen Geld für die richtig schweren Zeiten zurücklegen zu können. Diesen Maßstab darf man an eine große
Koalition anlegen. Diesen Maßstab legen wir auch an.
({27})
Ich finde, Sie sollten mit der Kritik des Sachverständigenrates etwas wohlwollender umgehen. Herr Poß hat
gesagt, ihm sei die Kritik zu akademisch und zu abgehoben. Meines Erachtens hat der Sachverständigenrat das
sehr höflich formuliert. Er hat gesagt, die große Koalition sei mit Elan gestartet, habe sich dann aber in widerstreitenden parteipolitischen Interessen verheddert. Das
ist eine ziemlich freundliche Beschreibung Ihrer Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik. - Ich fordere Sie
auf: Nutzen Sie die Konjunktur nicht als Alibi für Ihr
Zaudern und Zögern! Nutzen Sie die gute Konjunktur
nicht als Wärmeofen! Lehnen Sie sich nicht mit einer
rosaroten Brille zurück! Ich habe gerade deutlich gemacht, dass große Herausforderungen vor uns liegen.
Wir erwarten, dass Sie konsequent handeln.
({28})
Ich möchte Sie auf einen sehr ausführlichen Antrag
von uns Grünen zu dem gerade beschriebenen Thema
hinweisen. Wir brauchen neue Methoden und Regeln im
Haushalt. Ich habe gerade gesagt, dass wir eine verbindlichere Finanzplanung brauchen. Ich bin auch davon
überzeugt, dass wir eine neue Verfassungsregel brauchen. Art. 115 des Grundgesetzes ist nicht nur wirkungslos, sondern in seiner jetzigen Form schädlich. Das will
ich an einem Artikel deutlich machen, den ich heute im
„Handelsblatt“ gelesen habe. Darin fordert Finanzstaatssekretär Mirow, dass die Verfassungsregel künftig eine
Verpflichtung enthalten soll, den Schuldenabbau in konjunkturell guten Zeiten zu beschleunigen. Ich bin eingangs auf die Nettokreditaufnahme für die Jahre 2006
und 2007 eingegangen. Hier kann man nur sagen: Die
Handhabung des Art. 115 des Grundgesetzes durch die
große Koalition ist schädlich, weil sie in konjunkturell
guten Zeiten viel zu viele Schulden macht. Deswegen
muss in der Tat etwas Neues her.
({29})
Wir haben Ihnen in dieser Woche eine Alternative
vorgelegt, die noch gesetzlich ausgearbeitet werden
muss. Ich weiß, dass in Ihren Reihen darüber diskutiert
wird.
({30})
Ich finde, wir brauchen eine Ausgabenregel, die sich an
den Einnahmen und der konjunkturellen Entwicklung
orientiert. Man kann die Einnahmen mit einem Konjunkturfaktor kombinieren und einen Ausgabenkorridor
festlegen. Nach einem solchen System funktioniert die
Schuldenbremse in der Schweiz. Wir haben uns in einer
Anhörung damit befasst.
Ich fordere die große Koalition auf: Verschieben Sie
dieses Problem nicht in die Föderalismusreform II! Hier
muss der Bund vorangehen. Die Ministerpräsidenten, die
widerstreitenden Interessen zwischen Bund und Ländern
lösen sonst eine Blockade aus. Wenn die große Koalition
einen Methodenwechsel erreichen will, dann muss sie
bis 2009 ein neues Haushaltsrecht schaffen. Sie haben
breite Mehrheiten dafür. Sie bekommen auch unsere Unterstützung. Verschieben Sie dieses Thema nicht auf die
Ebene eines Gesprächsmarathons. Geben Sie sich einen
Ruck und stimmen Sie unserem Antrag am Freitag zu!
Wir würden uns freuen, an dieser Stelle mit Ihnen gemeinsam weiterzukommen.
({31})
Sie können dann auch zeigen, wie ernst Sie es meinen
oder ob es sich wieder nur um eine Ankündigung handelt.
Ich komme zum Schluss. Wir Grünen haben einen eigenen Zukunftshaushalt entworfen. Darin haben wir
Einsparungen in Höhe von 3,7 Milliarden Euro vorgeschlagen und einen weiteren Subventionsabbau - da legen Sie in diesem Jahr eine ziemlich große Pause ein -,
durch den 2,4 Milliarden Euro eingespart werden. Wir
kommen damit insgesamt auf ein Einsparvolumen in
Höhe von mehr als 6 Milliarden Euro in diesem Haushalt; dies wäre auch beim letzten Haushalt möglich gewesen. Wir machen unsere Vorschläge auch zugunsten
von Zukunftsinvestitionen, insbesondere im Klimaschutz, in den erneuerbaren Energien sowie in Bildung
und Forschung. Wir wollen, dass die kommenden Generationen eine Zukunftsdividende aus der Haushaltspolitik von heute bekommen.
Sie müssen beim Thema Subventionsabbau neu lernen. Herr Steinbrück, Sie haben uns Grüne für unsere
Anträge im Zusammenhang mit den Kohlesubventionen sehr angegriffen.
({32})
Ich möchte Sie auf den Haushalt Ihres Kollegen Glos
hinweisen. Herr Glos schlägt vor, die Kohlesubventionen im nächsten Jahr aufgrund der Anrechnung der
Weltmarktpreise um 114 Millionen Euro zu senken.
({33})
Herr Glos hat dem Haushaltsausschuss ein Papier vorgelegt, in dem steht, dass aufgrund der Zuwendungsvereinbarung, die wir noch unter Rot-Grün ausverhandelt haben, die steigenden Weltmarktpreise stärker dazu genutzt
werden sollen, dass der Steuerzahler weniger Kohlesubventionen zahlt.
({34})
Sie haben uns hier bisher immer gesagt, das sei gesetzlich alles festgezurrt, das müssten wir wissen, wir sollten
nicht immer solche Anträge vorlegen.
Herr Glos hat in diesem Herbst jetzt selbst dargelegt,
im nächsten Jahr 300 Millionen Euro von der RAG zurückzufordern, mit einem Bundesanteil von 230 Millionen Euro.
({35})
Sie ziehen jetzt aufgrund einer Sprechklausel voreilig
gehorsam zugunsten der RAG Beträge ab und kommen
auf einen Betrag in Höhe von 114 Millionen Euro. Wir,
die Opposition, nehmen Sie in die Pflicht: Das können
230 Millionen Euro für den Bund sein. Wenn man so
handelte, bräuchte man neue Investitionen nicht mehr
auf Pump zu finanzieren, sondern könnte sie durch Subventionsabbau gegenfinanzieren.
({36})
Ich hoffe, dass Sie an dieser Stelle ein bisschen Ehrlichkeit walten lassen und zugeben, dass so manches heftige
Wort der Kritik von Ihnen nicht immer berechtigt war.
Ich fordere Sie auf: Setzen Sie sich mit unseren haushaltsrechtlichen Vorschlägen bitte konstruktiv auseinander! Setzen Sie sich mit unserer Arbeitsmarktpolitik
- wir wollen die Lohnnebenkosten im Niedriglohnbereich deutlich senken - auseinander! Wir haben am Donnerstag Zeit, darüber zu diskutieren. Ich kann Sie nur
aufrufen, ein bisschen mehr oder am besten richtig grün
zu handeln statt rosarot zu sehen.
Ich danke Ihnen.
({37})
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Peer
Steinbrück.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Auch ich möchte zu Beginn meiner Rede Herrn
Fricke sehr herzlich zu seinem Geburtstag gratulieren.
Ich wünsche Ihnen, dass alle Ihre privaten Pläne gelingen und Ihre beruflichen, politischen Pläne nur so weit,
dass sie meine nicht beeinträchtigen.
({0})
Es ist fast genau ein Jahr her, dass zum zweiten Mal
in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine
große Koalition das Mandat für die Regierungsbildung
und die Wahrnehmung der politischen Verantwortung
der Bundesrepublik Deutschland bekommen hat, unter
anderem eben auch eine sehr schwergewichtige wirtschafts- und finanzpolitische Verantwortung. Die Bedingungen für die Politik ganz allgemein, aber insbesondere
für die Wirtschafts- und Finanzpolitik, unterscheiden
sich allerdings sehr stark von den Bedingungen in den
Zeiten, in denen Herr Kiesinger und Herr Brandt, Herr
Strauß und Herr Schiller die Verantwortung hatten. Es
haben sich Veränderungen eingestellt, die sich diese wie
viele andere Politiker der ersten großen Koalition wahrscheinlich nie haben vorstellen können. Heute handelt es
sich eher um strukturelle Herausforderungen, zum Beispiel in Form eines sehr ausgeprägten demografischen
Wandels, von dem ich glaube, dass er noch sehr viel weiter reichende gesellschaftliche Auswirkungen haben
wird, als wir es in unseren Debatten gelegentlich eingestehen. Es ist ein weltweit völlig verändertes Muster von
Wettbewerbsbeziehungen festzustellen. Darüber hinaus
haben wir notorische Probleme mit den öffentlichen
Haushalten. - An dieser Stelle könnte man selbstkritisch
die Frage aufwerfen, ob die Grundlagen für die heutigen
Probleme nicht vielleicht genau zur damaligen Zeit gelegt worden sind.
({1})
Die Anforderungen der Bürgerinnen und Bürger an
die staatliche Leistungsfähigkeit sind unverändert hoch;
daran hat sich nichts geändert. Dass wir uns einem
scharfen Wettbewerb und einer fortgesetzten Globalisierung stellen müssen, dass wir also, wie ich es gelegentlich ausdrücke, die Rollos an unseren Grenzen nicht in
einem protektionistischen Reflex herunterlassen dürfen,
ist, wie ich glaube, inzwischen ein Grundkonsens; exotische Bewertungen lasse ich an dieser Stelle außen vor.
Wir werden uns allerdings fragen müssen, wie die
finanz- und wirtschaftspolitischen Antworten auf die
Globalisierung zu unserem Gesellschaftsmodell, unserer sozialen Marktwirtschaft und unserem Sozialmodell
passen und wie wir unzweifelhaft vorhandene Verliererpositionen und Verlustängste sowie unübersehbare
Fliehkräfte, die unsere Gesellschaft auseinander zu dividieren drohen, so eingrenzen zu können, dass weder die
Stabilität unseres Gemeinwesens noch - als Folge einer
Destabilisierung unseres Gemeinwesens - der ökonomische Standort Bundesrepublik Deutschland beschädigt
werden.
({2})
Unbenommen dieser großen Herausforderungen, die
sich, wie ich glaube, von den Problemen, die die erste
große Koalition zu meistern hatte, qualitativ unterscheiden, wären wir allerdings schlecht beraten, der sehr verbreiteten Neigung zum Lamento und zur Unterschätzung
der Potenziale unseres Landes weiterhin nachzugeben.
Was in diesem Zusammenhang geschieht, hat gelegentlich, auch in der öffentlichen Kommentierung, sadomasochistische Qualitäten.
({3})
Zum wiederholten Male ist der deutschen Volkswirtschaft der Titel des Exportweltmeisters verliehen worden. Dies allein reicht nicht; das ist richtig. Aber es ist
auch kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Zeichen
von Stärke, und zwar gerade in Zeiten, in denen große
asiatische Volkswirtschaften zunehmend als unsere Konkurrenten im Welthandel auftreten und unsere Exportaktivitäten eher erschweren als erleichtern. Zum ersten Mal
seit langer Zeit ist bei den Ausrüstungsinvestitionen eine
erfreuliche Entwicklung zu verzeichnen. Die Baukonjunktur kommt zum ersten Mal seit Jahren aus ihrem Tal.
Langsam springen auch die anderen vier Zylinder des
Sechszylinders unserer Volkswirtschaft an: die Binnennachfrage. All das sind erfreuliche Entwicklungen.
({4})
Während Karl Schiller und Franz Josef Strauß mitten
in einer sehr handfesten Rezession, die sie zu bewältigen
hatten, in der Bundesrepublik Deutschland Regierungsverantwortung übernahmen, freut sich die zweite große
Koalition - und mit einem angemessenen Gesichtsausdruck auch der Bundesfinanzminister - über eine sehr
robuste Aufschwungbewegung; das ist richtig. Aber
diese Zahlen dürfen nicht missverstanden werden. Ich
bin für den Hinweis von Frau Hajduk sehr dankbar: Das
ist kein Wärmeofen, der es ermöglicht, auf weitere
Strukturreformen, die wir dringend brauchen, zu verzichten. Darauf werde ich noch zurückkommen.
({5})
Den Prognosen zufolge wird unsere Wirtschaft in diesem Jahr aller Wahrscheinlichkeit nach in einer Größenordnung von 2,3 Prozent bis 2,5 Prozent wachsen, so
stark wie selten in den letzten Jahren. Dass wir das
Maastrichtkriterium bereits in diesem Jahr deutlich erfüllen werden - die Defizitquote Deutschlands wird
circa 2,2 Prozent betragen, vielleicht sogar nur 2,1 ProBundesminister Peer Steinbrück
zent - und dass wir im nächsten Jahr die Verschuldungsgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes nach langer Zeit erstmals wieder einhalten werden, sind gute
Nachrichten. Sie entsprechen den erklärten Zielsetzungen und Ankündigungen der großen Koalition.
({6})
Ich erinnere mich, was für eine tobende Debatte wir
bei der Einbringung dieses Haushaltes darüber geführt
haben - das gilt übrigens auch für die Einbringung des
Haushalts für das Jahr 2006 -, dass wir in diesem Jahr
die Ausnahmeregelungen des Art. 115 des Grundgesetzes in Anspruch nehmen müssen.
({7})
Ich denke, dass die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen im Hinblick auf Art. 115 des
Grundgesetzes seinerzeit sehr richtig entschieden haben,
({8})
um den Konjunkturaufschwung zu unterstützen.
({9})
Als ein Finanzminister, der sich nicht ausschließlich
auf eine fiskalische Sichtweise reduzieren lassen
möchte, sondern der auch die Notwendigkeit sieht, dass
Haushalts- und Finanzpolitik eine gestaltende Funktion
haben sollten, ist für mich von größter Bedeutung, dass
der stattfindende Aufschwung auch auf dem Arbeitsmarkt ankommt. Und das tut er. Fast eine halbe Million
weniger Arbeitslose, ein Anstieg der Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse um
250 000, 825 000 als offen gemeldete Stellen und die erfreuliche Tendenz, dass wir von September auf Oktober
88 000 weniger ALG-II-Empfänger haben, das sind
keine schlechten Zahlen, man darf sich darüber freuen.
({10})
All dies bedeutet nicht nur eine Entlastung für die Sozialversicherung und die öffentlichen Haushalte, sondern
es bedeutet vor allem soziale und gesellschaftliche Teilhabe, weniger Verlierer, weniger Verlustängste bei denjenigen, die wieder einen Job haben. Das ist gut für diese
Menschen und deren Familien in der Bundesrepublik
Deutschland.
({11})
Mehrfach - um einem Popanz gleich entgegenzuwirken -, auch von dieser Stelle, habe ich darauf hingewiesen, dass ich es für genauso vermessen wie falsch hielte,
wenn dieser Konjunkturaufschwung von der Bundesregierung für sich allein reklamiert würde. Dies tut keiner von uns, auch keiner aus den Koalitionsfraktionen.
({12})
Doch unbeteiligt daran, Herr Koppelin, sind diese Bundesregierung, die große Koalition, und ihre Vorgängerregierung, die Regierung von Gerhard Schröder, auch
nicht.
({13})
Die Erfahrung lehrt übrigens: Immer dann, wenn die
Konjunktur gut läuft, gilt dies als Verdienst der Wirtschaft und immer dann, wenn die Konjunktur schlecht
läuft, soll es die Schuld der Bundesregierung sein.
({14})
Das ist eine Theorie, die sehr häufig der Opposition zuzuordnen ist.
Ich nehme für diese Bundesregierung in der Tat in
Anspruch, dass wir gemeinsam einen wichtigen Beitrag
zur Entwicklung der Konjunktur geleistet haben. Dieser
robuste Konjunkturaufschwung ist auch ein Beleg dafür,
dass die von uns entwickelte „Strategie der doppelten
Tonlage“ - Konsolidierung und Impulse für Wachstum
und Beschäftigung - richtig gewesen ist, von Anfang
an. Die Widerrede, die es gegeben hat, und die Kritik daran haben sich nicht bestätigt.
({15})
- Zum Beispiel das Investitionsprogramm mit einem
Volumen von 25 Milliarden Euro, das eine Vielzahl von
privaten Investitionen ausgelöst hat.
({16})
Erkundigen Sie sich einmal nach dem CO2-Gebäudesanierungsprogramm! Erkundigen Sie sich einmal nach
den zusätzlichen 6 Milliarden Euro für Forschung und
Entwicklung! Alles nicht verkehrt, sondern alles richtig.
({17})
Deshalb sage ich mit einer Portion Selbstbewusstsein,
aber fern jeder Überheblichkeit: Diese Bundesregierung
hat in ihrem ersten Jahr Managementqualitäten bewiesen.
({18})
- Frau Hajduk, Sie lachen. Wenn ich mir anschaue, mit
welchen Managementfehlern und welchen Fehlentwicklungen wir es in den Führungsetagen mancher deutscher
Unternehmen zu tun haben, wenn ich mir anschaue, mit
was für vielen sich widersprechenden Wirtschaftsexpertisen wir pro Woche zu tun haben, wenn ich mir anschaue, wie undifferenziert und wie platt fordernd manche Verbände auftreten, und wenn ich mir anschaue, was
an vielen Medienberichten alles richtig zu stellen oder
mit größerem Augenmaß zu versehen wäre, dann glaube
ich sagen zu dürfen: Diese Bundesregierung - die Politik
generell - hat viel Anlass, Vorurteilen betreffend Substanz und Qualität ihrer Entscheidungen mit größerem
Selbstbewusstsein entgegenzutreten und die Dinge richtig zu stellen.
({19})
Das wäre für das Vertrauen in die politischen Entscheidungsprozesse und das Vertrauen in staatliche Institutionen nicht unwichtig, auch für die weitere Perspektive,
wie sich unser demokratisches Gemeinwesen entwickelt.
({20})
Ja, etwas mehr Selbstbewusstsein im Angesicht der
Häme gegenüber denjenigen, die politische Verantwortung tragen, wäre nicht schlecht.
({21})
Ich bleibe dabei: Der Verzicht auf zusätzliche Konsolidierungsmaßnahmen - über das hinaus, was wir angekündigt haben - im laufenden Jahr war konjunkturpolitisch gesehen richtig, genauso wie das von mir schon
apostrophierte Impulsprogramm. Einen konjunkturellen, also einen temporären wirtschaftlichen Aufschwung
politisch zu unterstützen, das ist das eine - eine Volkswirtschaft wieder auf einen dauerhaft höheren Wachstumspfad zu führen, ist allerdings etwas anderes und
sehr viel schwieriger.
({22})
Genau dieses dauerhaft höhere Wachstum brauchen wir.
Denn ohne ein Erschließen des Wachstumspotenzials
wird es uns weder gelingen, die öffentlichen Haushalte
zu sanieren, noch, die sozialen Sicherungssysteme robuster zu finanzieren, noch, die Arbeitslosigkeit wirksam weiter zu bekämpfen.
Die wahrscheinlich wichtigste Erkenntnis, die wir aus
dem gegenwärtig erfreulichen Konjunkturaufschwung
ziehen sollten, lautet deshalb, dass die Strukturreformen
der letzten Jahre fortgesetzt werden müssen, damit wir
endlich wieder ein höheres Potenzialwachstum erreichen. Die Rendite solcher Maßnahmen erzielt man immer mit einem gewissen Zeitverzug. Ich sage deshalb
voraus - dessen bin ich mir ziemlich sicher -, dass nach
einem solchen Zeitverzug auch die Rendite der heute
umstrittenen Reformmaßnahmen - ob es die Gesundheitsreform oder die Unternehmensteuerreform ist - erzielt wird.
Wir fragen uns sehr selbstkritisch, warum das durchschnittliche Potenzialwachstum der Bundesrepublik
Deutschland in den letzten Jahren geringer als in anderen
europäischen Ländern - auf außereuropäische Entwicklungen komme ich auch noch zu sprechen - gewesen ist.
Die Antwort darauf ist relativ simpel: weil andere europäische Länder nach Lage der Dinge sieben bis acht
Jahre vor uns mit wichtigen Strukturreformen begonnen
haben und jetzt eine Rendite erzielen, sodass die freigesetzten öffentlichen Mittel insbesondere in Bildung, Forschung, Entwicklung und Infrastruktur investiert werden
können.
({23})
Für diejenigen, die hier sehr unbeweglich sind, kann
man in diesem Zusammenhang vielleicht den Fürsten
Salina aus dem Roman „Der Leopard“ von di Lampedusa
zitieren, der sinngemäß gesagt hat: Wenn du vieles von
dem erhalten willst, was sich bewährt hat und was du
schätzt, dann musst du einiges verändern. - Ich glaube,
in dieser Situation ist unsere Republik.
({24})
Bei dieser Gelegenheit will ich allerdings nicht nur
auf die Länder innerhalb der Europäischen Union
schauen - auf die Niederlande, auf die skandinavischen
Länder und übrigens auch auf Irland, wo sich erstaunliche Entwicklungen vollzogen haben -, sondern ich
möchte das Augenmerk des Hohen Hauses und der gesamten deutschen Öffentlichkeit sehr viel stärker auch
auf die ungeheuer dynamische Entwicklung in anderen
Weltregionen lenken.
Im September bin ich auf dem Treffen des Internationalen Währungsfonds gewesen - einige von Ihnen waren
dabei: Herr Meister, Herr Michelbach und viele andere;
aus meiner Fraktion zum Beispiel Herr Spiller und Herr
Krüger - und gerade bin ich von dem G-20-Treffen aus
Australien gekommen, sodass ich nach meinem Empfinden im Augenblick eine Rede ungefähr zu Mitternacht
halte.
({25})
- Ja, da kommt man schon einmal auf gute Ideen. - In
den letzten Tagen bin ich auch in Dubai gewesen. Ich
kann Ihnen sagen: Bei diesen Besuchen habe ich eine
ungeheure Dynamik wahrgenommen. Diese und andere
Staaten bauen große Finanzzentren auf. Sie entwickeln
neue Finanzmarktprodukte, um insbesondere auch Kapitalströme zu aktivieren.
In Dubai habe ich gelernt, was „Islamic Banking“
heißt. Man generiert dort völlig neue Finanzprodukte für
ungefähr 1,3 bis 1,5 Milliarden potenzielle Konsumenten in der islamischen Welt. Diese Länder bauen Containerhäfen in der Größenordnung derer in Hamburg und
Rotterdam. Es geht um Logistik und die Infrastruktur
des Luftverkehrs. Sie investieren in Forschung und Entwicklung und in Bildung. Das heißt, Kapital-, Güterund Know-how-Ströme werden in diese verschiedenen
Weltregionen gelenkt.
Natürlich haben einige Länder davon Spielräume aufgrund der augenblicklichen Hausse auf den Rohstoffmärkten, also sehr spezifischer Entwicklungen, und ich
will gar nicht in Abrede stellen, dass es Ambivalenzen
gibt, dass vieles gar nicht auf die Bundesrepublik
Deutschland übertragbar ist. Ich weiß auch, dass die Urteile über das, was buchstäblich weltweit passiert, sehr
weit auseinander gehen. Wer aber glaubt, dies alles sei
irrelevant und für die Beantwortung der Frage zu vernachlässigen, wie wir unseren zukünftigen Wohlstand sichern können, der macht einen fatalen Fehler und streut
uns sehr viel Sand in die Augen.
({26})
Ich glaube, wer den Bürgern vorgaukelt, sie könnten ihr
Wohlstandsniveau und das Niveau unserer sozialen
Wohlfahrt dadurch erhalten, dass im Wesentlichen alles
so bleibt, wie es ist, und dass wir uns nicht anstrengen
müssen, der flüchtet aus der Verantwortung für unser
Land.
Meine Damen und Herren, die große Koalition liegt
sehr gut im Zeitplan bezüglich der Umsetzung dessen,
was sie sich in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen
hat. Ich will mich nicht in Details verlieren, aber doch an
einige Punkte erinnern, weil es gelegentlich offenbar in
Vergessenheit gerät: erstens an die erste Stufe der Föderalismusreform, zweitens an die Einführung des Elterngeldes, drittens an die Erhöhung des Renteneintrittsalters
auf 67 Jahre, viertens an die Blaupause der Unternehmensteuerreform - ich komme noch darauf zurück -,
fünftens an die Fortentwicklung und Optimierung von
Hartz IV, sechstens an das Impuls- und Wachstumsprogramm, siebtens an die Hightechstrategie Deutschland
und achtens - last, not least - an die Gesundheitsreform,
so umstritten sie sein mag und so einseitig sie bewertet
wird. Herr Seehofer und Frau Schmidt haben mich übrigens daran erinnert, dass die Gesundheitsreform häufig
mit Begriffen bewertet wird, mit der auch alle vorhergehenden Gesundheitsreformen in den früheren Jahren
schon bewertet wurden, was ein gewisses Licht auf die
Kritiker hier wirft.
({27})
Ich stelle dabei nicht in Abrede, dass der großen
Koalition nicht alles gelungen ist, dass manches handwerklich fehlerhaft ist, dass wir wahrscheinlich besser
kommunizieren müssen und dass vielleicht manche unserer Abstimmungsprozesse zu lange dauern. Ich verhehle erst recht nicht, dass die große Koalition auch eine
Reihe von Entscheidungen getroffen hat, die nicht zur
Aufhellung der Stimmungslage der Bevölkerung beigetragen hat. Die Mehrwertsteuererhöhung war ein solches
Beispiel.
({28})
Das ist mir sehr bewusst.
Aber wenn die Regierung von einer Sache überzeugt
ist, dann muss sie Entscheidungen treffen und ihre
Gründe erklären. Genau dies ist die Aufgabe der großen
Koalition.
({29})
Ich halte mich dabei an eine Lebensweisheit von keinem
Geringeren als Winston Spencer Churchill, der gesagt
hat: „Wer die bessere Einsicht hat, darf sich nicht
scheuen, unpopulär zu werden.“
Die notwendige Konsolidierung der öffentlichen
Haushalte lässt sich nicht allein auf der Ausgabenseite
durch Haushaltskürzungen ermöglichen, Frau Hajduk.
Das wissen Sie genauso gut wie ich. Wir brauchen vielmehr strukturelle Verbesserungen auf der Einnahmeseite. Der Staat benötigt zur Erfüllung seiner Aufgaben
eine strukturell abgesicherte Einnahmebasis oder er verliert seine Funktionsfähigkeit.
({30})
Die meisten Menschen sind daran interessiert, dass unser
Staat funktions- und handlungsfähig ist.
Der Dreiklang von Steuersenkung, null Neuverschuldung und Erhöhung öffentlicher Investitionen, der gelegentlich vonseiten der FDP zu vernehmen ist, kann nur
auf den Oppositionsbänken angestimmt werden, aber
nicht im politischen Alltag einer Exekutive oder einer
Regierungspartei.
({31})
Ein zentrales Element unserer finanzpolitischen Gesamtstrategie ist die Unternehmensteuerreform. Was
wir als Blaupause vorgelegt haben, ist ein Beleg für die
Gestaltungskraft und Gestaltungsfähigkeit der großen
Koalition. Die vorgeschlagene Reform ist eine Investition in unser Land. Denn mit ihr schaffen wir eine im
internationalen Vergleich attraktive Unternehmensbesteuerung und gleichzeitig ein Steuerrecht, das Steuerumgehung zulasten des Fiskus und der Finanzierung öffentlicher Aufgaben in Deutschland unattraktiv macht.
Inzwischen bescheinigt uns eine Reihe früherer Kritiker, dass unser Konzept die deutsche Wirtschaft wird
fördern können. Im internationalen Standortvergleich
machen wir einen großen Sprung nach vorne.
Wenn durch diese Reform das Investieren in Deutschland wieder attraktiver wird, dann profitieren hiervon
alle: diejenigen, die wieder Arbeit bekommen, und der
Gesamtstaat, dem höhere Einnahmen zur Verfügung stehen. Allein darum geht es. Es geht nicht um Steuergeschenke. Dieser Begriff dient nur dem Zweck, die Unternehmensteuerreform zu diskreditieren.
Um es klipp und klar zu sagen: Durch diese Reform
bekommt niemand etwas geschenkt. Mit dieser Reform
stellen wir vielmehr sicher, dass die Unternehmen auch
in Zukunft einen angemessenen Anteil zur Finanzierung
der Staatsaufgaben beitragen, gerade auch auf der kommunalen Ebene, die als Träger öffentlicher Investitionen
von erheblicher Bedeutung ist.
({32})
Genauso klar ist: Die Unternehmensbesteuerung unverändert zu lassen, um sich gegen die Kritik verteilungspolitischer Natur zu wappnen, die unter Hinweis
auf Zumutungen an anderer Stelle anführt, die Reform
gehöre nicht in die jetzige Zeit, ist für Deutschland die
ungünstigste Variante. Denn dies würde uns in Deutschland jährlich Steuereinnahmen, Arbeitsplätze und Investitionen kosten und zusätzliche Investitionen ins Ausland
abdrängen. Der unsägliche Kapitalabfluss, unter dem wir
schon jetzt zu leiden haben, ginge weiter.
Allerdings - das weiß jeder Steuerpolitiker - lassen
sich anfängliche Steuermindereinnahmen nicht vermeiden, wenn man Steuersätze mit sofortiger Wirkung senkt
und die Bemessungsgrundlage mit einer nachlaufenden
Wirkung zu erweitern versucht. Das ist der entscheidende Punkt. Wir haben im Parteirat der SPD mit dieser
Darlegung keine Schwierigkeiten, Herr Koppelin.
({33})
- Dann machen Sie sich die Schwierigkeiten in der Argumentation noch zueigen!
({34})
Wir haben höhere Steuereinnahmen. Das ist die gute
Nachricht. An den Grundproblemen der öffentlichen
Haushalte hat sich dadurch aber nichts geändert.
Deutschland hat nach wie vor 1 500 Milliarden Schulden. Die jährlichen Zinsbelastungen des öffentlichen
Haushaltes betragen 40 Milliarden Euro. Die Nettokreditaufnahme beträgt dieses Jahr 30 Milliarden Euro. Das
heißt, wir geben einen Großteil der finanziellen Mittel
für gegenwärtige Bedürfnisse statt für Investitionen in
unsere Zukunft aus. All dies engt den Handlungsspielraum dieses Parlamentes und der Politik in Deutschland
in Zukunft dramatisch ein.
({35})
Die erfreuliche Entwicklung in diesem Jahr ist eben
nicht der politische bzw. der fiskalische Urknall, mit
dem die Haushaltsprobleme auf einen Schlag gelöst werden. Deshalb kann es nur eine weitere Marschrichtung
geben: Auch zukünftig muss konsolidiert werden.
Die ökonomischen und verteilungspolitischen Argumente derjenigen - das sage ich in Richtung der linken
Seite dieses Hauses -, die in einer zunehmenden Staatsverschuldung eine Art Münchhausentrick sehen, mit
dem man sich am eigenen Haarschopf wieder aus dem
Sumpf zieht, teile ich nicht.
({36})
Ich komme darauf gleich noch in einem Satz zu sprechen, weise aber schon jetzt darauf hin, dass verteilungspolitisch gesehen eine wachsende Verschuldung das Ungerechteste ist, was es gibt, weil sie eine Verschiebung
zugunsten der Kapitalbesitzer und zulasten der „normalen“ Steuerzahler zur Folge hat.
({37})
Das ist das größte Umverteilungsprogramm, das man
sich vorstellen kann.
({38})
- Nein. Sie machen Vorschläge, die Mehraufwendungen
in einer Größenordnung von 20 Milliarden bzw. sogar
25 Milliarden Euro zur Folge haben. Sie wollen das über
Steuererhöhungen gegenfinanzieren. Wenn man Ihren
Vorschlägen folgen wollte und eine Refinanzierung alleine über die Einkommensteuer vornähme, dann müsste
der Spitzensteuersatz auf sage und schreibe 73 Prozent
erhöht werden. Das alles ist außerhalb jeder Proportion
und jeder Balance, dass Sie es mir bitte nicht übel nehmen, wenn ich darauf erst bei unseren nächsten Gesprächen im Haushaltsausschuss bzw. Finanzausschuss eher
am Rande eingehe und nicht hier.
Wir haben uns entschlossen, mit der Senkung der
Nettokreditaufnahme ein deutliches Signal zu setzen.
Es ist die geringste seit der deutschen Wiedervereinigung. Es gibt gegenläufige Entwicklungen, die man in
einer haushaltspolitischen Debatte durchaus anerkennen
sollte, insbesondere dass der Aussteuerungsbetrag korrigiert werden muss oder dass wir mit den Kommunen einen Kompromiss gefunden haben, der im Vergleich zum
Haushaltsentwurf 2,3 Milliarden Euro mehr kostet. Das
sollte man bei dieser Gelegenheit erwähnen, damit die
Gestaltungsspielräume nicht als uferlos dargestellt werden. Ich halte es aber für einen sehr wichtigen Beitrag,
dass uns beides gelingt: eine deutliche Senkung der Neuverschuldung und gleichzeitig eine Rückführung der
Lohnnebenkosten. Beides ist Zielsetzung dieser Bundesregierung; beides machen wir. Dazu trägt insbesondere
die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags von
6,5 auf 4,2 Prozent wesentlich bei.
In allem zeigt sich erneut - aus Zeitgründen kann ich
darauf nicht näher eingehen -, dass die Vorschläge der
Opposition im Wesentlichen sehr virtueller Art sind. Bei
der Linken habe ich es allein mit dem Hinweis auf die
Unwucht zwischen den geforderten Mehrausgaben und
den Steuererhöhungen, die dieser Republik auferlegt
werden sollen, deutlich zu machen versucht. Das Gleiche gilt für die FDP. Herr Koppelin, Sie halten Ihr „Liberales Sparbuch“ in jeder haushaltspolitischen Debatte
hoch - obwohl ich den Eindruck habe, dass es das vom
letzten Jahr ist.
({39})
- Dann ist es ein neues. Sie sind jedenfalls im letzten
Jahr zur Regierungsbank gekommen und haben es mir
überreicht, damit es ein schönes Foto gibt. Das ist auch
Sinn der Sache. Das kann man respektieren. Herr
Koppelin, ich nehme das Buch nachher gern entgegen,
damit es nicht am Foto fehlt.
({40})
Ich habe in meiner ersten Rede zum Haushalt 2007
gesagt - ich setze zum Schlusssprung an -, dass es nicht
alleine Aufgabe des Finanzministers ist, eine Haushaltsund Finanzpolitik zu betreiben, die uns Spielräume für
die Zukunft erschließt und unseren Vorstellungen von
Generationengerechtigkeit entspricht. Das ist vielmehr
eine Aufgabe des gesamten Kabinetts, aller Fachpolitiker und übrigens auch der Bundesländer.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Kollegen Kuhn zu beantworten?
Nein. Ich habe nur noch eine halbe Minute Redezeit.
Das schaffe ich nicht mehr.
Die Haushalte der Länder und Kommunen entwickeln
sich deutlich besser. Das erwähne ich, um an dieser
Stelle denjenigen Zuhörern entgegenzuwirken, die annehmen, dass der Bund eine Art Melkkuh sei und bei einem Kompromiss immer nur für das Draufzahlen zuständig. Das funktioniert auf Dauer nicht mehr. Wenn es
Regierungschefs in den Ländern gibt, die im Zusammenhang mit dem Karlsruher Urteil zur Verfassungsklage
Berlins darauf hinweisen, es gehe den Bund nichts an,
wie die Länder ihre Haushalte aufstellten, dann kann
man das als Einladung an den Bund verstehen, zukünftig
auf seine Leistungen im vertikalen Finanzausgleich zu
verzichten.
({0})
- Richtig, das ist ziemlich doppeldeutig. - Ich glaube
deshalb, dass eine Neuformulierung des Art. 115 des
Grundgesetzes bei der Föderalismusreform II eine große
Rolle spielen sollte.
Abschließend: Ich glaube, dass die große Koalition
wichtige Wegmarken gesetzt hat, um unser Land zukunftsfähiger zu machen. Die aktuelle, günstige konjunkturelle Entwicklung wird keine Ausrede dafür sein,
bei der Sanierung der Staatsfinanzen nachzulassen. Die
Bürgerinnen und Bürger sind - ich behaupte: zu Recht zu ermuntern, in Zukunft mehr eigene Vorsorge für Alter, Pflege und Gesundheit zu betreiben. Aber dies setzt
voraus, dass dann von der Politik glaubhaft deutlich gemacht wird, dass sie sich entsprechend verhält und Zukunftsperspektiven nicht durch die Befriedigung von
Gegenwartsinteressen verspielt.
Die große Koalition wird ihren erfolgreichen Weg in
der Steuer- und Finanzpolitik fortsetzen. Ich glaube, dass
dieser Anspruch auch durch den von meinem Hause vorgelegten Haushaltsentwurf im Sinne einer gestaltenden
Finanzpolitik belegt werden kann. Ich freue mich auf die
weiteren Beratungen und bin dankbar, dass der Haushaltsausschuss bisher mit dem Bundesministerium so erfolgreich zusammengearbeitet hat.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Otto Solms
für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich wollte die Übergabe dieses Buches nicht unterbrechen. Das ist eine stolze Arbeit unserer Haushälter,
die über 500 Einzelvorschläge zum Einsparen vorlegen.
Konkreter kann eine Opposition gar nicht arbeiten, Herr
Bundesfinanzminister. Das hätten Sie anerkennen sollen.
Mit einem Einsparvolumen von 8,6 Milliarden Euro
steckt hier richtig etwas dahinter.
({0})
Der Sachverständigenrat hat sein Gutachten mit der
Aussage überschrieben: „Widerstreitende Interessen ungenutzte Chancen“. Besser kann man das Verhalten
der Bundesregierung gar nicht darstellen. Die Kollegin
Dückert hat das kurz in der Aussage zusammengefasst:
Gute Lage, schlechte Regierung. - Knapper und treffender kann man es nicht sagen. Ich finde, das ist eine gute
Formulierung.
Und diese Aussage zieht sich jetzt durch die Debatte.
Es fehlt die ökonomische Grundleitschnur, die Orientierung, wohin es gehen soll. Herr Bundesfinanzminister,
Sie haben nach meinem Ermessen heute eine sehr ehrliche Rede gehalten und haben auch auf unangenehme
Dinge hingewiesen. Sie haben angekündigt, dass weitere
strukturelle Änderungen im Haushalt auf der Ausgabenseite vorgenommen werden müssten. Sie haben sich sogar lernfähig gezeigt, indem Sie heute erstmals zugegeben haben, dass die Haushaltsprobleme nicht alleine auf
der Einnameseite liegen. Bislang haben Sie nämlich in
allen Haushaltsdebatten gesagt, das Haushaltsproblem
sei allein ein Problem der Einnahmeseite. Das ist eine
fundamentale Veränderung in Ihrer Aussage. Vielen
Dank, dass Sie das gemacht haben! Das war ehrlich und
auch mutig.
({1})
Ich hatte allerdings den Eindruck, dass viele gerade der
ehrlichen Aussagen insbesondere an Ihre eigene Fraktion gerichtet waren,
({2})
weil Sie das Problem haben, dort nicht die notwendige
Unterstützung zu finden. Wenn Sie allerdings unterstellen wollen, dass diese Bundesregierung an dem Konjunkturaufschwung ursächlich beteiligt gewesen ist,
dann ist das schon eine recht kühne Aussage; denn das
kann gar nicht sein, weil fast alle Maßnahmen, die Sie
beschlossen haben, erst ab 1. Januar nächsten Jahres in
Kraft gesetzt werden.
({3})
Die positive Entwicklung der Konjunktur mit den erheblich höheren Steuereinnahmen, die Ihren Haushalt
jetzt so entlasten, sind auf Maßnahmen in den vorangegangenen Jahren zurückzuführen, die die Angebotsbedingungen deutlich verbessert und damit für eine wachstumsorientierte Politik gesorgt haben. Dazu gehört
ausdrücklich die Steuersenkung im Rahmen der
eichelschen Steuerreform, dazu gehören aber auch die
moderaten Tarifabschlüsse und natürlich die Anpassungsmaßnahmen, die die Wirtschaft selbst vorgenommen hat. Das wirkt jetzt deutlich. Deswegen ist die Aussage, es sei eine Lebenslüge, dass niedrigere Steuern zu
mehr Wachstum führen müssten, falsch; gerade hier bekommen wir den Beweis, dass eine niedrigere Besteuerung Wachstum fördert.
({4})
Das Problem dieser Regierung ist aber die Uneinigkeit, sind die widerstrebenden Interessen. Nun haben
Sie, Herr Bundesfinanzminister, von den „Managementqualitäten“ der Bundesregierung gesprochen. Man muss
schon eine gewisse schauspielerische Begabung haben,
wenn man so etwas verkünden kann, ohne dabei selbst
lachen zu müssen. Bei der Diskussion über die Gesundheitsreform oder über die Arbeitsmarktreformen war von
Managementqualitäten nicht viel zu spüren. Da ging es
wirklich drunter und drüber.
({5})
Der Sachverständigenrat spricht von einem Zick-ZackKurs, der natürlich zu entsprechenden Konsequenzen
und Unsicherheiten in der Öffentlichkeit führt.
Zurück zum Sparen. Es ist richtig: Sparen ist notwendig. Sie sparen auch hart und konsequent, aber Sie sparen beim Bürger und nicht beim Staat. Der Bürger zahlt
die Zeche. Das ist doch das Problem.
({6})
Wir werden im nächsten Jahr Steuermehreinnahmen in
Höhe von 27 Milliarden Euro gewärtigen, also eine Abschöpfung von Kaufkraft in dieser Größenordnung in
Kauf nehmen müssen. Diese Zahl steigt bis zum Jahre
2010 gleichmäßig an auf 39 Milliarden Euro, die der
Staat mehr abkassiert. Das bedeutet mehr Belastung für
die Bürger und die Unternehmen, weniger Kaufkraft,
weniger Investitionsmittel. Damit werden Sie die jetzt
aufblühende Konjunktur im nächsten Jahr so dämpfen,
dass Sie in wenigen Jahren wieder vor Haushaltslücken
stehen werden, die Sie heute noch gar nicht vorhersehen
können.
({7})
Wir brauchen eine ökonomische Leitschnur, und die
kann nur lauten: Wir müssen eine wachstumsorientierte Angebotspolitik betreiben und die Kosten für Arbeit und Investitionen deutlich senken, damit durch
Wachstum mehr Arbeitsplätze entstehen können und
dann auch wieder mehr Steuereinnahmen erzielt werden.
Nur so können die Haushaltsprobleme gelöst werden.
Aber die Belastungen beim Bürger steigen weiter, die
betrieblichen Bündnisse für Arbeit sind vergessen, die
Liberalisierung des Kündigungsschutzes ist passé, die
langfristige Absenkung der Lohnzusatzkosten ist Schnee
von gestern, zu einer tragfähigen Gesundheitsreform ist
Fehlanzeige zu vermelden. So kann es natürlich nicht
weitergehen. Würden Sie hier die strukturellen Maßnahmen, die Sie ankündigen, dann auch durchführen, wäre
das schön und gut.
Zur Steuerpolitik ist zusammenfassend zu sagen: Ein
klarer Kurs fehlt. Es geht nicht nur um Entlastung, sondern es geht um Vereinfachung und um Verständlichkeit, damit die Bürger die Gesetze wieder akzeptieren
können. Der Bundesfinanzhof schlägt Ihnen in einem
Urteil Ihre Gesetze um die Ohren:
Gemessen an den vom BVerfG aufgestellten
Grundsätzen verletzen die … Vorschriften den
Grundsatz der Normenklarheit; denn sie sind
sprachlich unverständlich, widersprüchlich, irreführend, unsystematisch aufgebaut und damit in höchstem Maße fehleranfällig.
Wie sollen die Bürger denn die Steuergesetze ehrlich anwenden, wenn sie überhaupt keine Möglichkeit haben,
sie wirklich zu verstehen?
({8})
Jetzt kommt die größte Dreistigkeit und Unverschämtheit: Im Jahressteuergesetz hat die Koalition beschlossen, dass die Bürger für verbindliche Auskünfte
des Finanzamts auch noch Gebühren zahlen müssen.
({9})
Das bedeutet: Der Normengesetzgeber bleibt so unklar,
dass der Bürger nicht weiß, wie er sich verhalten soll.
Fragt er dann das Finanzamt, bekommt er dort eine Auskunft nur, wenn er dafür auch noch Gebühren zahlt, obwohl doch jeder weiß, dass die Finanzverwaltung aus
dem Steueraufkommen, das wir täglich selbst erbringen,
bezahlt wird.
({10})
Kollege Solms, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu
beantworten und auf diese Art und Weise gleich die
Überziehung der Redezeit auszugleichen?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Solms, ich teile Ihre Einschätzung, dass
unsere Gesetze und Vorschriften zu kompliziert formuliert sind.
({0})
Wenn die Bürger nicht mehr verstehen, was staatliche
Stellen formulieren, dann kostet das nicht nur mehr Geld
aufgrund der Nachfragen, sondern dann führt das natürlich auch zu einem noch stärkeren Vertrauensverlust der
Bürger gegenüber den staatlichen Stellen.
({1})
Deshalb hat die große Koalition sich dazu durchgerungen, ein Projekt für verständlichere Sprache beim
Bundesministerium der Justiz anzusiedeln, und hat hierfür auch Gelder in den Haushalt 2007 eingestellt. Können Sie mir nach dem, was Sie eben gesagt haben, jetzt
erklären, warum die FDP einen Antrag eingebracht hat,
gerade diese Gelder zu streichen?
({2})
Das ist für mich völlig unverständlich.
Diese Information geht schon insoweit fehl, als die
FDP-Fraktion als einzige Fraktion hier im Deutschen
Bundestag ein neues Steuergesetz vorgelegt hat, welches
in einfacher, deutlicher und klar verständlicher Sprache
abgefasst ist
({0})
und dazu führt, dass aus heute 475 Seiten reinem Gesetzestext nur noch 33 Seiten werden.
({1})
Damit haben wir ein Beispiel gesetzt, dem Sie folgen
sollten. Im Übrigen bin ich nicht der Meinung, dass Fragen der deutschen Sprache vom Justizministerium zu behandeln sind. Dort pflegt man nur eine Rechtssprache.
Wir brauchen aber eine allgemein verständliche Sprache,
also eine Sprache, die jeder Bürger versteht.
({2})
Ich komme zum Schluss. Die große Koalition hat ihrer Arbeit das Motto „Lasst uns mehr Freiheit wagen!“
vorangestellt. Auch Steuern sind ein Freiheitsthema.
({3})
Durch Steuerentlastungen können Sie den Bürgern mehr
Möglichkeiten geben, ihr Leben so zu gestalten, wie sie
es für richtig halten: Sie können mehr Vorsorge betreiben, mehr konsumieren, mehr investieren. Geben Sie
den Bürgern mehr Freiheit, auch finanzieller Art, damit
sie ihr Leben so gestalten können, wie sie es für richtig
halten, und nicht, wie es die Administration für richtig
hält.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat der Kollege Steffen Kampeter für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Bundesregierung und die große Koalition
sind seit etwa einem Jahr an der Arbeit. Wenn ich einen
Vergleich zu der Vergangenheit ziehe, dann komme ich
zu dem Ergebnis, dass diese Haushaltsberatungen unter
wesentlich veränderten Rahmenbedingungen stattfinden.
Wir erleben in unserem Land einen, bezogen insbesondere auf die wirtschaftliche Sphäre, großen Stimmungsumschwung sowohl bei den Investoren als auch bei den
Konsumenten.
({0})
Die Kollegin von den Grünen hat zu Recht darauf hingewiesen, dass das Wirtschaftswachstum eines der ersten
Ergebnisse dieses Stimmungsaufschwungs ist. Das Bruttoinlandsprodukt steigt stärker als das Potenzialwachstum. Dieses Wirtschaftswachstum basiert, anders als in
den vergangenen Jahren, nicht allein auf einer besonders
guten Exportleistung; vielmehr stärken die Bürgerinnen
und Bürger dieses Landes den Binnenkonsum.
Diese positive Entwicklung - sie ist der Rahmen für
diese Haushaltsberatungen - macht sich auch auf dem
Arbeitsmarkt bemerkbar. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Jeden Tag gibt es mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in diesem Land. Es kann zu einer Trendwende auf dem Arbeitsmarkt kommen, wenn wir mit
dieser Entwicklung in den nächsten Wochen und Monaten klug umgehen.
Die Steuerschätzung vom 3. November war zum ersten Mal seit vielen Jahren kein Tag der Furcht vor drohenden Steuerausfällen, sondern ein Tag der Zuversicht,
weil wir das Ergebnis der Vorjahresschätzung übertroffen haben und die Einnahmesituation der öffentlichen
Haushalte sich entspannt hat.
Ich will dem zentralen Argument der Kolleginnen und
Kollegen von der FDP einige Fakten entgegenhalten.
Die beiden Redner der FDP haben den Eindruck erweckt, dies alles werde durch eine steigende Steuer- und
Abgabenlast finanziert. Sie sind relativ rasch dabei zu
sagen, hier werde abkassiert.
Tatsache ist, dass die EU-Kommission - nachzulesen
in der heutigen Ausgabe der „Financial Times Deutschland“ - eine mittelfristige Analyse der Steuer- und
Abgabenquote in der Bundesrepublik Deutschland vorgelegt hat. Nicht nach Zahlen des Finanzministeriums,
sondern nach Zahlen der EU-Kommission dürfte die
Steuer- und Abgabenquote im nächsten Jahr inklusive
der Mehrwertsteuererhöhung ungefähr auf dem Niveau
dieses Jahres liegen, nämlich bei 43,6 Prozent.
({1})
Damit liegt sie 3 Prozentpunkte niedriger als zu Beginn
dieses Jahrzehnts. Die Steuer- und Abgabenquote sinkt
im Trend. Das steht im fundamentalen Widerspruch zu
Ihrem - wider besseres Wissen - hier vorgetragenen Argument, hier werde abkassiert und die Steuern und Abgaben würden in die Höhe getrieben. Das Gegenteil ist
richtig.
({2})
Bei dieser Entwicklung hilft insbesondere, dass wir
uns in einem stabilen weltwirtschaftlichen Umfeld befinden. Der in dieser Woche verstorbene Milton Friedman
hat vielen Politikern und vielen Wissenschaftlern eine
sehr solide Vorsicht gegenüber Inflation beigebracht.
Das internationale Leitbild orientiert sich an inflationsarmem Wachstum. Unsere Geldpolitik ist koordiniert, aber
unabhängig, sodass auch unsere Zinsentwicklung im
Augenblick absolut moderat ist. Die Wachstumserwartungen der Weltwirtschaft sind positiv.
Ich will an dieser Stelle ausdrücklich hervorheben,
dass nach Auffassung der großen Koalition insbesondere
die binnenwirtschaftliche Entwicklung etwas damit zu
tun hat, dass wir die in Art. 115 des Grundgesetzes
verankerte Ausnahmeregelung für den Etat 2006 in
Anspruch genommen haben. Wir hätten ansonsten die
Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts
durch eine 20 Milliarden Euro schwere Bremse hervorgerufen. Stattdessen haben wie die ersten Erträge dieser
positiven Entwicklung eingefahren:
({3})
So konnten wir die Nettokreditaufnahme um 25 Prozent
gegenüber unseren ursprünglichen Erwartungen senken.
Die Inanspruchnahme dieser Ausnahmeregelung hat uns
insgesamt nach vorne gebracht.
({4})
Es gibt auch eine Reihe von Risiken. Der Bundesfinanzminister hat sie in seiner Rede zur Einbringung
des Haushaltes hier sehr klar und offen benannt. Diesen
Risiken begegnen wir, indem wir bei unseren Reformbemühungen beherzt voranschreiten, und zwar gemäß dem
Dreiklang von Konsolidieren, Investieren und Reformieren.
Als Erstes nenne ich die Arbeitsmarktreform. Allein in dieser Woche sind im Rahmen einer Organisationsreform bei der Bundesagentur für Arbeit 600 Stellen in die Vermittlung umgeschichtet worden, um die
Effizienz der Arbeitsmarktverwaltung in Deutschland
noch stärker zu verbessern.
Ein schwieriges Reformprojekt des Bundesarbeitsministers Müntefering, nämlich die Rente mit 67, steht
unmittelbar vor dem Abschluss. Diese Lebensarbeitszeitverlängerung, die zur Ausbalancierung von Beitragsund Rentenzahlungen dringend notwendig ist, werden
wir vorantreiben.
Im nächsten Jahr werden wir die Pflegeversicherungsreform angehen.
Wir haben - der Bundesfinanzminister hat zu Recht
darauf hingewiesen - im unternehmensteuerlichen Bereich zwei wichtige Reformvorhaben vor uns: einmal die
Unternehmensteuerreform im engeren Sinne und zum
anderen die Erbschaftsteuerreform. Beides machen
wir deswegen, weil wir Arbeitsplätze in Deutschland
halten wollen. Das ist das einzige und wichtigste Ziel. Es
geht uns nicht um einen Steuerwettbewerb nach unten,
wie es die Linken nennen, sondern darum, Arbeit in
Deutschland wettbewerbsfähig und Investitionen rentabel zu machen. Das ist das Anliegen dieser Politik.
({5})
Außerdem werden wir die Gesundheitsreform verabschieden. Ich war schon einigermaßen erstaunt, Frau
Kollegin Hajduk, dass Sie heute den Vorschlag gebracht
haben, die Gesundheitsreform zumindest in Teilen zu
verschieben. So wurde in den vergangenen Jahren herumgewurschtelt: Wenn ein Problem auftrat, wurden Reformen verschoben. Seitdem Ihre Partei nicht mehr in
der Regierungsverantwortung steht, verschieben wir
nicht Reformen, sondern machen sie. Das ist das Markenzeichen der großen Koalition.
({6})
Ich war etwas amüsiert - das will ich ehrlich sagen -,
als der Kollege Koppelin hier vorgetragen hat, dass er es
nicht gut findet, dass wir nach einem Jahr große Koalition die Öffentlichkeit im Rahmen einer Anzeigenkampagne über die ersten Erfolge informieren. In Nordrhein-Westfalen regieren wir gemeinsam mit Ihrer
Partei, Herr Kollege Koppelin. Nach einem Jahr erfolgreicher Regierungskoalition zwischen Union und FDP
war es auch ein Anliegen der dortigen FDP, darüber zu
informieren. Ich finde, es ist das gute Recht einer jeden
Regierung, dann, wenn es gut läuft - in Nordrhein-Westfalen läuft es ebenso gut wie in der großen Koalition -,
({7})
die Menschen nach einer gewissen Zeit darüber zu informieren. Ich finde, Sie sollten das Recht, das sich die
FDP in Nordrhein-Westfalen herausnimmt, der großen
Koalition nicht absprechen. Seien Sie doch diesbezüglich etwas großzügiger, Herr Kollege Koppelin.
({8})
Mit dem Haushalt 2007 werden wichtige und zentrale
Anliegen der großen Koalition umgesetzt. Die Union
findet sich in dieser Politik wieder.
Erstens. Wir legen Ihnen im Entwurf - wir werden
auch für den entsprechenden Vollzug sorgen - einen verfassungsgemäßen Haushalt vor. Das ist das erste Mal
seit dem Jahre 2001. Dabei haben wir es im Rahmen der
Haushaltsberatungen sogar geschafft, den Vorsprung der
Investitionen vor den aufgenommenen Schulden, also
die Verfassungsgemäßheit, noch um einige hundert Millionen Euro auszubauen. Dieser Haushalt ist verfassungsfest.
Zweitens haben wir in den Beratungen der Konsolidierung einen eindeutigen Vorrang eingeräumt. Es ist
uns gelungen, noch über die selbstgesteckten Konsolidierungsziele hinauszugehen. Wir senken die Nettokreditaufnahme, Frau Kollegin Hajduk, sehr viel stärker
ab, als ursprünglich im Regierungsentwurf vorgesehen.
Wir nutzen die ersten Renditen der Politik der großen
Koalition, die sich in steigenden Steuereinnahmen zeigen, vor allen Dingen für die Absenkung der Nettokreditaufnahme in diesem und im nächsten Jahr. 19,58 Milliarden Euro stellen die niedrigste Nettokreditaufnahme
seit der Wiedervereinigung dar.
Sie, Frau Kollegin Hajduk, haben die Überarbeitung
der mittelfristigen Finanzplanung eingefordert. Die
nächste muss nach dem Gesetz im Frühjahr im Zusammenhang mit der Aufstellung des Etatentwurfs für 2008
vorgelegt werden. Wir werden selbstverständlich die
neuen erfolgreicheren Einsparoptionen der großen Koalition darlegen. Der Bundesfinanzminister steht darüber
hinaus gegenüber der EU-Kommission in der Pflicht, in
den nächsten Wochen so etwas wie eine vorläufige Linie
aufzuzeigen. Ich finde, es ist kein Anlass für Kritik, dass
wir besser sind, als wir vor einem Jahr gedacht haben.
Wir sollten es gemeinsam als Anlass zur Freude nehmen,
dass es jetzt Überarbeitungsbedarf in der mittelfristigen
Finanzpolitik gibt.
({9})
In diesem Zusammenhang weise ich auf das Treffen
am 3. November hin, bei dem sich die Spitzen der Koalition und der Regierung, assistiert von den beiden haushaltspolitischen Sprechern, mit dem Ergebnis der Steuerschätzung auseinander gesetzt haben. Die Beschlüsse,
die wir an jenem Vormittag getroffen haben, haben uns
zweierlei bewiesen: Erstens ist die große Koalition handlungsfähig und zweitens ist sie konsolidierungswillig.
({10})
Das sind doch eigentlich gute Botschaften. Ich kann daher die hier vorgetragene Kritik, dass Finanzgipfel, wie
es manche genannt haben, überflüssig seien, nicht verstehen. An jenem Tag sind wichtige Konsolidierungsimpulse, auch für die nachfolgende Generation, gesetzt
worden und diese sollten wir ausdrücklich und positiv
hervorheben.
({11})
Insbesondere haben wir an jenem Tag die Lohnzusatzkosten durch die Reduzierung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags in einem Schritt um 2,3 Prozentpunkte abgesenkt. Damit werden wir jetzt den
niedrigsten Arbeitslosenversicherungsbeitrag, Herr Kollege Müntefering, seit, wie ich glaube, 20 Jahren ausweisen. Wir setzen da - das ist ein Zusammenspiel der großen Koalition - einen wichtigen Impuls für mehr
Wachstum und Beschäftigung. Wir geben den Bürgerinnen und Bürgern, den Unternehmen und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit diesem Schritt in absoluten Zahlen 16 Milliarden Euro zusätzliche Kauf- und
Investitionskraft zurück.
({12})
Das, Herr Kollege Solms, sollten Sie in Ihren Reden
nicht verschweigen, auch die Entlastungswirkungen
nicht, die das für die Bürgerinnen und Bürger bedeutet.
Dies ist ein gutes Signal für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland.
({13})
Die Staatsquote, meine sehr verehrten Damen und
Herren, sinkt. Der Staat nimmt die Bürger weniger in
Anspruch. Das ist im Übrigen auch ein Kernanliegen liberaler Finanz- und Steuerpolitik. Die Staatsquote sinkt
kontinuierlich. Ich zitiere noch einmal die „Financial
Times Deutschland“: „EU lobt sinkende deutsche Staatsquote“. Mit Blick auf die Reden der FDP kann ich nur
sagen: Wenigstens an diesem Punkt könnten Sie uns einmal ein bisschen unterstützen. Es ist nicht immer ganz
einfach, in einer großen Koalition eine sinkende Staatsquote durchzusetzen.
({14})
Aber wir werden die Staatsquote am Ende dieser Legislaturperiode - in dieser Frage weiß ich mich mit dem
Bundesfinanzminister einig - auf das Niveau unmittelbar vor der Wiedervereinigung, zur Zeit Gerhard
Stoltenbergs, absenken können, auf unter 44 Prozent,
wenn wir konsequent an diesem Konsolidierungs- und
Sparkurs festhalten. Das wäre ein großer Erfolg, auch im
Sinne der Liberalen; denn dieses Ziel wird von allen in
diesem Hohen Hause geteilt.
({15})
Frau Kollegin Hajduk, Sie haben vorhin gesagt, dass
wir nicht die gesamten Steuermehreinnahmen verwenden würden, um die Nettokreditaufnahme zu senken.
Das hängt damit zusammen, dass wir in diesem Etat
Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit abgebildet
haben. Wir wollten nicht, wie Sie das immer gemacht
haben, als Sie Verantwortung getragen haben, bis zum
Ende des Jahres warten, sondern das in diesem Etat darstellen, beispielsweise im Bereich der Kosten der Unterkunft, für den es ein Verhandlungsergebnis gab. Das
finde ich ehrlich und konsequent: Wir haben die Steuermehreinnahmen des Bundes ausschließlich für die Absenkung der Nettokreditaufnahme und für die Herstellung von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit in
diesem Etat verwendet. Das halte ich für solide und anständige Haushaltspolitik.
({16})
Nein.
Ich möchte noch auf einige Aspekte der Haushaltsberatung eingehen. Der Dreiklang von Investieren, Sanieren und Reformieren wird auch bei diesem Etat 2007
deutlich. Wir haben schon im Aufstellungsverfahren bei
diesem Etat wichtige Investitionen in die Zukunft abgesichert. Ich nenne die Absicherung des Elterngelds, das
unter Frau Bundesministerin von der Leyen beschlossen
worden ist, und der Forschungs- und Hightechstrategie,
die im Wesentlichen durch die Bundesminister Schavan
und Glos repräsentiert sind. Das sind wichtige Zukunftsinvestitionen, ohne die wir zukünftig keine erfolgreiche
Politik machen können.
Wir haben trotz eines soliden Etatvorschlages weitere
strukturelle Verbesserungen im Haushalt vorgenommen
und gleichzeitig die Sparanstrengungen in bestimmten
Bereichen verschärft. Ich will mit einem für Haushaltsdebatten etwas ungewöhnlichen Beispiel beginnen. Ich
habe noch kein Land dieser Erde am Kulturetat Bankrott gehen sehen, eher schon am Sozialetat; aber auch da
sind wir auf einem guten Weg. Für uns war es wichtig,
auch in Zeiten strikter Sparsamkeit für die Kulturnation
Deutschland deutliche Akzente zu setzen, indem wir
zum Beispiel in der auswärtigen Kulturpolitik die Mittel
für das Goethe-Institut und die Auslandsschulen gesteigert und indem wir ein neues Eingangsgebäude für die
Museumsinsel, im Übrigen interfraktionell und einvernehmlich,
({0})
mit 73 Millionen Euro auf den Weg gebracht haben.
Dies zeigt: Man kann auch mit einer Konsolidierungsstrategie ganz wichtige Impulse für die Kulturnation
Deutschland setzen.
Impulse kann man auch auf traditionelle Weise setzen, nämlich mit einer Investitionsstärkung. Wir werden in den Bereichen Verkehr, Städtebau, Wirtschaft und
Umwelt in diesem und im nächsten Jahr durch Einsparungen bei konsumtiven Ausgaben die Investitionen um
700 Millionen Euro steigern. Wir haben für das Ergänzungsprogramm „Lückenschluss und Staubeseitigung“
für Bundesautobahnen Mittel in Höhe von 420 Millionen
Euro in den Verkehrshaushalt eingestellt. Damit haben
wir die Antiautopolitik, die die Grünen teilweise durchgesetzt hatten, endlich beendet.
({1})
Wir wollen, dass die Staugefahr auf Bundesautobahnen
durch Lückenschluss verringert wird.
({2})
Wir haben zusätzliche Investitionen in erneuerbare
Energien ermöglicht und wir haben die Mittel für die
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“ um 50 Millionen Euro gesteigert.
So machen wir deutlich, dass es uns wichtiger ist, Arbeit
anstatt Arbeitslosigkeit zu finanzieren.
Die allgemeine Sicherheitssituation in diesem Lande
machte es notwendig, dass wir ein Sicherheitsstärkungsprogramm unter der Verantwortung von Wolfgang
Schäuble auf den Weg gebracht haben. Außerdem haben
wir im Verteidigungsetat die Finanzierung der Auslandseinsätze sichergestellt, indem wir zusätzliches Geld bereitgestellt haben.
({3})
Ich danke der Kollegin Hajduk,
({4})
dass sie ausdrücklich anerkannt hat, dass wir auch vor
einem Subventionsabbau nicht Halt machen. Wir haben
die Kohleförderung für das nächste Jahr gesenkt, weil es
möglich und notwendig war. Es ist richtig, Frau Kollegin
Hajduk, dass wir im Jahresverlauf noch überprüfen werden, ob weitere Einsparungen möglich sind.
({5})
Sie sind aber erfahren genug, zu wissen, dass die
Sprechklausel gemeinsam und einvernehmlich ausgeübt werden kann. Täuschen Sie deshalb die Öffentlichkeit nicht, indem Sie sagen, dass hier eine falsche Etatisierung durchgeführt wurde. Wir werden uns mit dem
Land Nordrhein-Westfalen, mit dem Bundesfinanzminister und mit dem Bundeswirtschaftsminister einigen
müssen. Ich sage Ihnen hiermit zu: Was wir im Bereich
der Kohle an Subventionen einvernehmlich abbauen
können, werden wir bis zum Ende dieses Jahres auch abbauen. Das ist ein Anliegen der Union. Ich weiß mich in
dieser Frage mit den Kolleginnen und Kollegen der großen Koalition einig.
({6})
Wir haben weitere Einsparungen im Personalbereich
durchgeführt.
Im Übrigen, Herr Kollege Koppelin, haben Sie verschwiegen, dass wir die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung um 10 Prozent gesenkt haben. Ich
bin der Auffassung: Wenn man eine gute Politik macht,
dann braucht man für eine entsprechende Darstellung
nicht so viel Geld.
({7})
Da die Politik der großen Koalition gut ist - gute Politik
ist ebenso wichtig wie gute Öffentlichkeitsarbeit -, ist
die Absenkung um 10 Prozent einvernehmlich beschlossen worden.
({8})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Haushalt 2007 ist, wie ich finde, Ausweis einer sehr ordentlichen Bilanz in der Haushalts- und Finanzpolitik nach einem Jahr der großen Koalition. Ich will den
Bundesfinanzminister aber nachdrücklich bei seinen
Warnungen unterstützen, dass wir jetzt nicht in Euphorie
verfallen und die Konsolidierungsaufgaben vergessen
sollten. Wir sind einen ersten guten Schritt gegangen.
Ihm werden weitere folgen müssen. Sie werden nicht
ganz so einfach werden, weil wir keine Garantie haben,
dass uns die Konjunktur immer Rückenwind gibt.
Ich glaube, dass die gefühlte Konsolidierung im Augenblick besser ist als die tatsächliche. Damit will ich
nicht die Auffassung der Bevölkerung, dass wir eine anständige Arbeit leisten, negativ beeinflussen. Aber wir
werden in den nächsten Jahren noch viele Konflikte ertragen müssen, damit unser Ziel langfristig nachhaltiger
und ausgeglichener Haushalte in Bund, Ländern und Gemeinden sowie in den Sozialversicherungen erreicht
wird. Dies ist Wunsch und Wille der großen Koalition
und ein Herzensanliegen der Union.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der zweite Haushalt der schwarz-roten Regierung liegt vor und es läuft ein seit Jahren gepflegtes RiDr. Barbara Höll
tual ab. Abgeordnete freuen sich, die Beratungen beendet zu haben, und die Regierung, insbesondere der
Finanzminister, freut sich, dass sie ungeschoren davon
gekommen ist.
Auch in diesem Jahr haben die regierungstragenden
Abgeordneten nicht den Mut aufgebracht, im Haushalt
umzusteuern. Denn nur um 2,42 Milliarden Euro ist der
Haushaltsentwurf verändert worden. Er ist und bleibt die
Fortsetzung einer unsozialen Sparpolitik, die Fortsetzung einer Umverteilung von unten nach oben,
({0})
und das, obwohl es dem Herrn Finanzminister in diesem
Jahr wirklich gut geht und es auch im nächsten Jahr so
sein wird. In diesem Jahr ist ein Steuerplus von
8,4 Milliarden Euro zu verzeichnen. Im nächsten Jahr
werden 9 Milliarden Euro erwartet. Bei der Bundesagentur für Arbeit besteht ein Überschuss von etwa
10 Milliarden Euro.
Das ist viel Geld. Man könnte es natürlich einsetzen.
Man könnte zum Beispiel die bei der Bundesagentur anfallenden Überschüsse dafür einsetzen, konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einzuleiten. Nehmen Sie also Geld und schaffen Sie über eine
Anschubfinanzierung einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor!
({1})
Nehmen Sie Geld und greifen Sie den DGB-Vorschlag
auf, zumindest 50 000 Lehrstellen mittels einer Anschubfinanzierung zu schaffen! Viele junge Menschen
haben keine Ausbildungsplätze. Wir hätten noch die
Chance, zu reagieren. Unsere Fraktion wird einen entsprechenden Antrag einbringen.
({2})
Nein, Ihnen fällt nur ein, an der Mehrwertsteuererhöhung festzuhalten. Für das nächste Jahr werden
Mehreinnahmen von 19,41 Milliarden Euro erwartet.
Der Verzicht auf die Mehrwertsteuererhöhung ist ein Gebot der ökonomischen Vernunft. Die Erhöhung ist Gift
für die konjunkturelle Belebung. Sie wissen, wir befinden uns in der Situation, dass die Nettolöhne und die
Renten sinken und die Armut zunimmt. Genau die davon
Betroffenen wollen Sie im nächsten Jahr durch die
Mehrwertsteuererhöhung zusätzlich belasten.
({3})
Im Sechsten Existenzminimumbericht ist nachzulesen, dass sich die Regierung sicher ist, dass sowohl das
Kindergeld als auch das Arbeitslosengeld II als auch die
Sozialhilfe bereits heute hoch genug sind, sodass die
Mehrwertsteuererhöhung nicht eingerechnet werden
muss, obwohl sie nach den Berechnungen des Bundesfinanzministeriums für jeden Verbraucher zu einer
Mehrbelastung von etwa 29 Euro pro Monat führen
wird. Aber nein, gerade bei den kleinen Einkommen,
den Transferleistungen sagen Sie, sie würden reichen.
Das ist eine unsoziale Politik.
({4})
Die Schwächung der Binnennachfrage wird nicht
nur durch die Mehrwertsteuererhöhung verursacht. Sie
haben mit Ihrer Mehrheit die Erhöhung der Versicherungsteuer, die Kürzung der Pendlerpauschale, die Verkürzung der Dauer des Bezugs von Kindergeld
- 451 000 junge Menschen haben dann keinen Anspruch
mehr auf das Kindergeld - sowie die Kürzung des Sparerfreibetrages beschlossen. Im nächsten Jahr werden
der Binnenkonjunktur etwa 25 Milliarden Euro entzogen. Dazu sagen Sie, das sei nicht konjunkturfeindlich.
({5})
Politisch verkaufen Sie die Mehrwertsteuererhöhung
in der Form, dass Sie sagen, sie sei notwendig für die
Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung
und für die Schuldentilgung. Dies ist nicht falsch, aber
auch nicht wahr. Denn die Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung fließen in den Bundeshaushalt. Aus
dem Bundeshaushalt werden verschiedene Ausgaben finanziert. Man kann natürlich ehrlicherweise sagen, Sie
bräuchten mindestens 1 Prozentpunkt der Mehrwertsteuererhöhung, um Ihre Unternehmensteuerreform zu finanzieren.
({6})
Als Oppositionspolitikerin wünsche ich mir manchmal,
Sie würden zumindest den Koalitionsvertrag einhalten.
Denn darin stand in Bezug auf die Unternehmensteuerreform:
Angesichts des bestehenden Konsolidierungsdrucks
in allen öffentlichen Haushalten werden Nettoentlastungen kaum zu realisieren sein.
Inzwischen sind Sie drauf und dran, eine Unternehmensteuerreform zu realisieren, die bei den Unternehmen zu einer dauerhaften jährlichen Entlastung von mindestens 5,6 Milliarden Euro führen wird. Die Fachleute
gehen davon aus, dass es real mindestens 8,5 Milliarden
Euro sein werden. Das sind Riesensummen, auf die Sie
Jahr für Jahr verzichten wollen. Dies macht, wie gesagt,
die Einnahmen aus 1 Prozentpunkt der Mehrwertsteuererhöhung aus.
Herr Steinbrück, da Sie vorhin in einer ziemlich arroganten Weise über die Vorschläge der Linken hinweggegangen sind, nenne ich Ihnen eine andere Finanzierungsquelle. In einer Kleinen Anfrage habe ich Sie gefragt,
wie hoch der Unterschied zwischen den erwirtschafteten
und den besteuerten Gewinnen ist. In der Antwort Ihres
Ministeriums, Drucksache 16/3071, wird festgestellt,
dass der Unterschied zwischen den erwirtschafteten und
den besteuerten Gewinnen 65 Milliarden Euro beträgt.
Ich glaube, da ist Musik drin. Da kann man tatsächlich
etwas machen.
({7})
Aber Vorschläge in dieser Richtung haben wir von Ihnen
noch nicht auf dem Tisch.
In den Eckpunkten zur Unternehmensteuerreform ist
nachzulesen, dass Sie im Prinzip nur zu geringen
Mehreinnahmen kommen wollen. 3,5 Milliarden Euro
mehr wollen Sie vom inländischen Steuersubstrat einnehmen. Aber wie, das kann man noch nicht nachlesen.
Wenn man von 65 Milliarden Euro ausgeht und noch
im Nebel stochert, wie man an 3,5 Milliarden Euro
kommt, ist das ein Armutszeugnis für Ihre Politik.
Gleichzeitig wird daran deutlich, wie unnötig die Mehrwertsteuererhöhung ist, die zur Belastung von Kleinverdienern, von Rentnerinnen und Rentnern und von Studentinnen und Studenten führen wird. Wir werden Ihren
Haushalt ablehnen.
({8})
Die Art Ihrer Diskussion ist wirklich erschreckend.
Vielleicht erinnern Sie sich: 1983 gab es einen großen
Hit. Eine satirische Rockband, die Erste Allgemeine Verunsicherung, belegte in den Charts Platz eins. Der Name
der Band ist inzwischen Realität. Die Bevölkerung ist
zutiefst verunsichert. Die Band sang damals: „Jetzt wird
wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt.“ Die Nation freute sich, das Lied wurde
zum Hit, heute würden Millionen von Menschen gern in
die Hände spucken und von ihrer Hände Arbeit leben,
({9})
aber es ist ihnen nicht vergönnt. Es gibt keinen Mindestlohn. In dieser Richtung haben wir eine Menge zu tun.
Kollegin Höll, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Koppelin?
Ja.
({0})
Verehrte Kollegin, da ich früher einmal Leiter einer
Musikredaktion bei der ARD war, möchte ich Sie darauf
aufmerksam machen, dass es nicht die Erste Allgemeine
Verunsicherung war, sondern die Gruppe Geier Sturzflug, die dieses Lied gesungen hat.
({0})
Danke für Ihre Verbesserung. Ich glaube jedoch, dass
meine Ausführungen bezüglich der allgemeinen Verunsicherung vieler Menschen in unserem Lande völlig
richtig sind. Heute geht es nicht einfach darum, dass in
Deutschland gemeckert wird. Die Menschen sind zutiefst verunsichert, weil sie nicht mehr wissen, wie es
weitergehen wird mit der Politik, ob sie ihnen vielleicht
den Boden unter den Füßen wegzieht. Das ist ein Zustand, den wir ablehnen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat der Kollege Bernhard Brinkmann für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Kommen wir von der Ersten Allgemeinen Verunsicherung und Geier Sturzflug zurück zu den realistischen Zahlen des Bundeshaushalts 2007. Ich will meine
Ausführungen mit der Bemerkung beginnen, dass der
Bundeshaushalt 2007 eine Vielzahl positiver Merkmale
hat und eindeutig den Willen der großen Koalition zu einer nachhaltigen Finanzpolitik bestätigt und diesem auch
gerecht wird.
Wer sich bezüglich der Frage der gesunkenen Nettoneuverschuldung die Ausführungen der Freien Demokraten anlässlich der Beratungen des Bundeshaushalts
2006 vor Augen führt, der wird heute leider erneut feststellen müssen, dass die Freien Demokraten weder den
Haushalt 2006 noch den Haushalt 2007 begrüßen. Ich
habe Verständnis dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der FDP, dass Sie den Haushalt 2007 nicht loben,
aber Sie sollten die gute Entwicklung und die gesunkene
Nettoneuverschuldung - meine Vorredner haben bereits
darauf hingewiesen, dass sie die niedrigste seit der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes ist - annehmen und
letztendlich auch als einen positiven Aspekt dieser Haushalts- und Finanzpolitik herausstellen.
Auf einen zweiten Punkt kann nicht oft genug hingewiesen werden: das Einhalten der Vorgaben gemäß
Art. 115 Grundgesetz. Leider ist die Kollegin Hajduk
vom Bündnis 90/Die Grünen nicht mehr da.
({0})
Wir sind gerne bereit, über das, was sie zu diesem Punkt
unter der Überschrift „Schuldenbegrenzung und Übernahme von in Schweizer Gesetzen stehenden Regelungen“ gesagt hat, zu reden. Ich habe schon in meiner Rede
anlässlich der ersten Lesung des Haushalts 2007 darauf
hingewiesen, dass das eine zentrale Aufgabe des Rechnungsprüfungsausschusses in den nächsten Monaten
sein wird. Ich weise aber auch darauf hin, dass es hier so
wie bei vielen anderen Vergleichen ist: Man kann das,
was in der Schweiz gut läuft und vielleicht besser geregelt ist als bei uns, nicht zu hundert Prozent auf unsere
Verhältnisse übertragen.
Mit dem Bundeshaushalt 2007 setzen wir die erfolgreiche Konsolidierungspolitik fort. Wir werden dabei
auch unser Ziel nicht aus den Augen verlieren, so schnell
wie möglich einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Wir sollten uns daran aber auch nicht überheben.
Die leidvolle Erfahrung aus der Vergangenheit zeigt,
dass das nicht allein national zu regeln ist, sondern man
auch die globalisierte Wirtschaft im Blick haben muss,
welche sowohl positive als manchmal auch negative
Auswirkungen auf die Haushalts- und Finanzpolitik unseres Landes hat.
Bernhard Brinkmann ({1})
Mein Vorredner hat bereits darauf hingewiesen - das
ist ein weiteres Erfolgsmerkmal -, dass 2006 und 2007
die Maastrichtkriterien eingehalten werden können.
Was die schon oft angesprochenen Steuermehreinnahmen angeht, hat man manchmal den Eindruck, als würde
der Finanzminister diese Steuermehreinnahmen in voller
Höhe im Bundeshaushalt verbuchen können. Ich will
noch einmal deutlich machen, dass diese Steuermehreinnahmen auf alle staatlichen Ebenen verteilt und für die
dringend notwendige Konsolidierung der Länderhaushalte sowie der Haushalte der Kommunen benötigt werden, um hier zu einer weiteren Entlastung und Reduzierung der Schuldenaufnahme zu kommen.
Es wurde schon viel zur Absenkung des Beitrages zur
Arbeitslosenversicherung gesagt, der sich mit round
about 17 Milliarden Euro sowohl für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch für die Wirtschaft auswirkt. Liebe Frau Kollegin Hajduk, Ihre Rechnung und
die Staffelung der Beiträge, die sich an der 40-ProzentGrenze orientieren, bezogen auf die vier sozialen Sicherungssysteme ist nicht nachvollziehbar. Aber vielleicht
können wir beide noch einmal in einem internen Gespräch klären, wer hier richtig und wer falsch liegt.
({2})
Die FDP lässt - jedenfalls nicht deutlich - nicht davon ab, weitere Steuer- und Abgabensenkungen zu fordern. Diese will jedoch, liebe Kolleginnen und Kollegen,
niemand ernsthaft.
({3})
Das wollen letztendlich auch nicht die Landesregierungen, an denen Sie beteiligt sind.
({4})
Ich glaube, davon gibt es noch eine oder sogar zwei.
({5})
- Okay. Das war jetzt gegen 12.30 Uhr die Testfrage, ob
Sie noch genau wissen, wo Sie beteiligt sind. - Bei dieser Gelegenheit sollten wir vielleicht einmal mit dem
Kollegen Möllring reden, inwieweit er als Finanzminister meines Heimatlandes Niedersachsen bereit ist
({6})
- auch des von Herrn Thiele, keine Frage -, über weitere
Steuersenkungen nachzudenken.
An dieser Stelle muss man aber auch ein Stück Vergangenheitsbewältigung im Hinblick auf Steuersenkungen betreiben. 1998 betrug der Eingangsteuersatz
25,9 Prozent, jetzt liegt er bei 15 Prozent. Der Spitzensteuersatz lag 1998 bei 53 Prozent, jetzt liegt er bei
42 Prozent plus einem Zuschlag von 3 Prozentpunkten
bei einem entsprechenden Einkommen. Man muss deutlich darauf hinweisen, dass sich diese Steuersenkungen
- das richtet sich an die Linke - am gravierendsten bei
denen auswirken, die Einkommensteuer zahlen, also bei
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie beim
Handwerk und beim Mittelstand. Diese zahlen nicht
mehr 25,9 Prozent, sondern nur noch 15 Prozent bzw.
nicht mehr 53, sondern nur noch 42 Prozent. 80 Prozent
der mittelständischen Betriebe und Handwerksbetriebe
erzielen Gewinne, aufgrund deren sie weit von irgendwelchen Spitzensteuersätzen entfernt sind.
Eine Familie mit zwei Kindern kann in Deutschland
bis zu 37.500 Euro verdienen und zahlt unter Berücksichtigung des mehrfach erhöhten Kindergeldes keine
Steuern mehr. Das ist ein großer Erfolg, den man sich in
Erinnerung rufen sollte, wenn man Steuererhöhungen
massiv kritisiert.
({7})
Der Kollege Kampeter hat bereits auf einen Artikel
der „Financial Times Deutschland“ vom 21. November
2006 hingewiesen. Wenn es für die Opposition passend
ist, zitiert sie ja oft und gerne aus Zeitungen und Meinungsumfragen. Ich will aus dem Artikel in der „Financial Times Deutschland“ zitieren:
„Deutschland sticht mit seiner derzeitigen Haushaltskonsolidierung qualitativ und quantitativ unter
den großen EU-Ländern positiv hervor“ … So
erfolge die Konsolidierung entgegen dem weitverbreiteten Eindruck vor allem über sinkende Staatsausgaben. Zudem führe die Bundesrepublik das
Strukturdefizit schneller zurück als Italien oder
Frankreich.
({8})
Das sind deutliche Formulierungen, die die solide Haushalts- und Finanzpolitik dieser Regierungskoalition bestätigen.
Frau Kollegin Lötzsch, ich muss etwas zu Ihrer Forderung sagen, im Einzelplan 14, bei der Bundeswehr,
Einsparungen vorzunehmen. Ich habe das Gefühl, dass
Sie zumindest der staunenden Öffentlichkeit den Eindruck vermitteln wollten, man könne das machen. Ich
will ganz klar und deutlich sagen: Das kann man nicht.
Die Bundeswehr, die in den letzten Jahren durch vielfältige Aufgaben, sprich: Auslandseinsätze, gefordert ist
- jeden Tag leisten alle Soldatinnen und Soldaten sowohl im Inland als auch im Ausland wertvolle Arbeit -,
kann nicht mit weiteren Sparmaßnahmen belegt werden.
Das wäre unredlich und ist in aller Entschiedenheit zurückzuweisen.
({9})
- Herr Kollege von der PDS, von der Linken bzw. von
der WASG - man muss ja manchmal genau hinschauen,
wo Sie stehen bzw. zu wem Sie gehören -, bei der Beratung des entsprechenden Einzelplanes wird das, was zur
Bundeswehr zu sagen ist, deutlich gesagt werden. Sie
liegen leider auch diesbezüglich völlig falsch. Gehen Sie
einmal zu den Soldatinnen und Soldaten, gehen Sie einmal in eine Kaserne; dann werden Sie Ihre Denkweise
ändern und zu anderen Entscheidungen kommen.
({10})
Bernhard Brinkmann ({11})
Der Präsident des Bundesrechnungshofs, Herr Professor Engels, hat zwei wesentliche Punkte der Haushaltsund Finanzpolitik bestätigt: Die Lage der Bundesfinanzen hat sich spürbar verbessert und es ist richtig, mit den
Mehreinnahmen die Nettoneuverschuldung zu verringern. Wir sind noch längst nicht am Ziel dieser Bemühungen angekommen. Der Bundeshaushalt muss weiter
konsolidiert werden. Dabei werden wir den Finanzminister wie bisher tatkräftig unterstützen.
({12})
Wir sind auf einem guten Weg; der muss konsequent
weitergegangen werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin Ulrike
Flach.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sie haben in den Jahren 2005 und 2006 die einmalige
Chance gehabt, zwei Haushalte hintereinander, die
Haushalte für die Jahre 2006 und 2007, in einem
Schwung auf den richtigen Weg zu bringen. Herr
Kampeter, das wäre es wert gewesen, heute als historische Tat bezeichnet zu werden. Sie haben diese Chance
aber einfach vertan.
({0})
Sie haben es nicht geschafft, die wirklich positive
Konjunktur, die wir alle begrüßen - keiner sagt etwas
dagegen; insofern ist es eine Unterstellung, wenn Sie sagen, wir würden etwas schlecht reden -,
({1})
zur Konsolidierung des Haushalts zu nutzen. Herr
Kampeter, während Ihrer Oppositionszeit haben Sie uns
das bei jeder Gelegenheit erzählt.
({2})
Ich bin mehr als erstaunt, dass Sie genauso wie Kollege Brinkmann über die Steuerquote reden, wo doch
jeder Bürger dieses Landes weiß, dass am 1. Januar eine
deutliche Mehrwertsteuererhöhung in Kraft tritt, die
Bürger mit 10 Milliarden Euro zusätzlich belastet werden
({3})
und Sie sich mit den Linken, mit den Sozialdemokraten,
({4})
darüber streiten, dass die Unternehmen deutlich entlastet
werden sollen.
({5})
Warum haben Sie denn Krach mit dem Parteirat?
({6})
Weil die Steuerquote in diesem Land zu hoch ist. Das ist
der Punkt. Sie versuchen, die Realitäten zu verwischen.
({7})
Verlässlich, nachvollziehbar und berechenbar, so
müsste Ihrer Meinung nach die Finanzpolitik sein.
({8})
Das haben wir auch heute wieder gehört. Sie haben uns
am Anfang dieses Jahres eine Doppelstrategie der
Konsolidierung ohne Gefährdung des Aufschwungs
vorgemalt. Wie sieht diese Konsolidierung aus? Der
Haushalt 2006 wurde - wir haben es heute immer wieder
gehört - mit einer geplanten Nettoneuverschuldung von
circa 38 Milliarden Euro verabschiedet. Jetzt kommen
wir auf 30 Milliarden Euro. 2007 soll die Neuverschuldung bei 19,5 Milliarden Euro liegen. Die FDP begrüßt
das, nichts anderes. Das ist selbstverständlich. Sie stellen
dies als großen Erfolg beim Schuldenabbau dar. Aber
Fakt ist: In diesen zwei Jahren häufen Sie über
50 Milliarden Euro neue Schulden an.
({9})
Wenn Sie sich die mittelfristige Finanzplanung anschauen, Herr Steinbrück, dann sehen Sie, dass Sie bis
zum Ende der Legislaturperiode noch um 100 Milliarden
Euro weitergehen. Ist das eine seriöse Art, mit dem
Haushalt umzugehen? Das ist eine Belastung der Bürger
und kein Weg, der dieses Land nach vorne bringt.
({10})
Sie haben bei den Haushaltsberatungen im September
dieses Jahres gesagt: Hätten wir zu Beginn des Jahres
2006 ein niedrigeres Defizit nach Brüssel gemeldet, hätten wir mehr konsolidieren müssen. Das hätte Ihrer Doppelstrategie widersprochen, Herr Steinbrück. Was bedeutet das? Sie haben die konjunkturellen Aussichten im
Frühjahr absichtlich zu pessimistisch eingeschätzt. Sie
haben dadurch den europäischen Stabilitätspakt missachtet und geschwächt. Das wirft auch ein Licht auf die
Verfassungsmäßigkeit des laufenden Haushaltes. Denn
die gute Konjunktur hätte einen verfassungskonformen
Haushalt ermöglicht.
({11})
Da bin ich völlig auf der Seite von Frau Hajduk. Ein vorsätzlicher Bruch der Kreditfinanzierungsgrenze, Art. 115
des Grundgesetzes, wäre bei dieser Konjunktur im Haushaltsvollzug heilbar gewesen, Herr Steinbrück.
({12})
Sie hatten also offensichtlich niemals vor, stärker zu
konsolidieren. Sie wollten den einfachen Weg über die
Einnahmeseite gehen.
({13})
Die Bürger in diesem Land müssen wissen: Wir haben
allein in diesem Oktober Steuermehreinnahmen von fast
10 Prozent. Gerade bei einem solchen Geldregen muss
man mehr Schulden abbauen, als Sie es tun. Dasselbe sagen Ihnen übrigens alle Forschungsinstitute. Die Konsolidierungsstrategie der großen Koalition ist weder nachhaltig noch wachstumsgerecht.
({14})
Hinzu kommt, dass Sie - mehrere Redner haben das
bereits angesprochen - auf so genannte Impulsprogramme verweisen. Ich frage mich wirklich, was Impulsprogramme bewirken, die entweder erst im nächsten
Jahr greifen - Kollege Solms hat zu Recht darauf hingewiesen - oder aufgrund nicht abfließender Mittel überhaupt nicht greifen können. Was Sie in diesem Augenblick an Mehr einnehmen, ist nichts anderes als das
Ergebnis einer guten Entwicklung der Weltwirtschaft.
Sie versuchen, das als besondere Erfolge der großen Koalition darzustellen.
({15})
Unter dem Strich: Die FDP hat in den letzten zwei
Jahren über 1 000 Einsparvorschläge gemacht. Wir haben Ihnen gerade das Buch, das diese enthält, übergeben.
Ich hoffe, Sie lesen es auch.
({16})
Jeder einzelne dieser Anträge ist von der großen Koalition niedergestimmt worden, obwohl es zum Teil Anträge waren, die aus den Zeiten der Opposition mit der
CDU/CSU übernommen worden sind. Sie, Herr
Steinbrück, haben offensichtlich nicht einmal versucht,
zu sparen. Das erwarten wir von Ihnen. Ansonsten werden Sie in Schwierigkeiten kommen. Zum Jahre 2010
werden wir nach wie vor nicht die von Herrn Kampeter
erhoffte Konsolidierung des Haushaltes haben.
({17})
Das Wort hat der Kollege Georg Fahrenschon für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Bezogen auf die 1 000 Anträge, liebe Frau Kollegin Flach, gilt die Generallinie, dass Qualität vor
Quantität geht. In den 1 000 Anträgen waren zu viele
Vorschläge enthalten, die Schlechtes für den Wirtschaftsstandort und nicht die erhofften guten Ergebnisse
für den Bundeshaushalt bewirkt hätten.
({0})
Nach dem Haushalt des Übergangs für das laufende
Jahr 2006 markiert diese Woche den Abschluss des ersten Haushaltsentwurfs - wenn Sie so wollen - in eigener
Aufstellung, in eigener Planung und in eigener Durchführungsverantwortung der unionsgeführten Regierung
Angela Merkel. Leitlinie dabei war der Koalitionsvertrag der großen Koalition, in dem die Aufgabe klar beschrieben ist:
Deutschland braucht eine nationale Anstrengung auf
allen Ebenen, um das gesamtwirtschaftliche Wachstum zu steigern und die strukturelle Unterdeckung
der öffentlichen Haushalte durch gemeinschaftliche
Konsolidierungsanstrengungen und Strukturreformen zu beseitigen. Jedes Hinausschieben der notwendigen Haushaltssanierung treibt den Konsolidierungsbedarf nur noch weiter in die Höhe.
Das ist die Leitlinie, die wir diesem Bundeshaushalt
zugrunde gelegt haben.
({1})
Mit dem Abschluss der Haushaltsberatungen wird der
Wille der Koalition, eine nachhaltige Finanzpolitik zu
betreiben, bestätigt und in Zahlen gegossen. Statt die
Nettokreditaufnahme zu erhöhen, senken wir sie im
kommenden Jahr - auch gegenüber dem Regierungsentwurf - um weitere 2,4 Milliarden Euro. Das ist ein gutes
Ergebnis, das im Haushaltsausschuss des Deutschen
Bundestages gefunden wurde.
({2})
Deshalb lautet die übergeordnete Schlagzeile der Haushaltsberatungen richtigerweise: Mit dem Haushalt 2007
läutet die Regierung Angela Merkel endlich die überfällige Trendwende in der Haushalts- und Verschuldungspolitik des Bundes ein.
In nur einem Jahr erreichten wir das, was die Vorgängerregierung in den letzten Jahren ihrer Regierungszeit
nicht mehr geschafft hat. Das Jahr 2007 markiert die
Umkehr von ständig steigenden Schulden hin zu einer
verantwortungsvollen, sparsamen, zukunftsgerechten,
nachhaltigen und europa- und verfassungskonformen
Haushaltspolitik.
({3})
Wir halten die Regelgrenze von Art. 115 des Grundgesetzes ein und tragen den Erfordernissen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes Rechnung. Das ist im Hinblick auf die europäische Stabilitätskultur nicht nur ein
wichtiges Signal nach Brüssel, sondern auch ein Signal
an die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, weil
dadurch Vertrauen zurückgewonnen werden kann. Nur
ein Jahr nach dem Amtsantritt einer unionsgeführten
Bundesregierung schaffen wir das, was der Vorgängerregierung - das betone ich noch einmal ausdrücklich - in
mehreren Jahren nicht gelungen ist. Es gilt also: Wenn
die Union in der Verantwortung steht, werden die Regeln
wieder eingehalten. Das ist das Qualitätssiegel von CDU
und CSU.
({4})
Diese aktuell positive Entwicklung darf allerdings
nicht den Blick dafür verstellen, dass wir in Bezug auf
die Lage der öffentlichen Finanzen nach wie vor vor riesigen Herausforderungen stehen. Das beweist unter anderem eine im Oktober dieses Jahres veröffentlichte
Studie der Europäischen Kommission zur langfristigen
Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen in der Europäischen Union. Dieser Studie zufolge wird die
Schuldenquote in der Europäischen Union und in der
Eurozone unter unveränderten Rahmenbedingungen von
derzeit durchschnittlich 63 Prozent des europäischen
Bruttoinlandsproduktes auf rund 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2050 steigen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist ein Menetekel für die
Entwicklung der Staatsfinanzen.
Die Zahlen für Deutschland sind eine Drohung: Die
Schuldenquote wird von derzeit 67,7 Prozent um fast
200 Prozentpunkte, auf 260 Prozent im Jahre 2050 steigen, wenn wir in der Haushalts- und Finanzpolitik strukturell nichts ändern. Deshalb ist es ein Muss, dass wir
uns an den Regeln des Stabilitätspakts orientieren. Nur
dann könnten wir eine derartige Explosion der Staatsverschuldung - immerhin betrüge sie dann immer noch
knapp 65 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts - verhindern.
Daher ist es von enormer Bedeutung, dass Deutschland den eingeschlagenen positiven Kurs konsequent
weiterverfolgt. Die Vorgaben des Stabilitätspakts, vor allem die weitere strukturelle Konsolidierung um einen
halben Prozentpunkt pro Jahr, sollten dabei angesichts
einer stabilen, aber zu hohen gesamtwirtschaftlichen
Staatsverschuldung von 68 Prozent nicht als Strafe angesehen werden. Vielmehr müssen diese Vorgaben als Leitlinie, geradezu als Chance für die zukünftige Finanzund Haushaltspolitik betrachtet werden.
Insbesondere angesichts der Alterung der Bevölkerung - dieser Aspekt muss immer wieder ins Feld geführt werden - muss die Tragfähigkeit der öffentlichen
Finanzen unser vorrangiges politisches Ziel sein. Wir
müssen auch in Zeiten positiver Wachstumsquoten die
Grundlagen dafür legen, dass wir in Zukunft finanzpolitische Freiräume haben, mit denen wir aktiv Politik
gestalten können. Nur mit tragfähigen öffentlichen
Haushalten werden wir die Herausforderungen der demografischen Entwicklung einerseits und der Globalisierung, des ständig steigenden Wettbewerbs der Standorte,
andererseits meistern.
Das Ergebnis der Studie der Europäischen Kommission beweist - das ist im Grunde keine Überraschung -:
Staaten, die über solide und nachhaltige Finanzen verfügen, bekommen die Probleme der Zukunft besser in den
Griff und meistern strukturelle Reformen.
({5})
Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister, Sie haben
Recht: Das Problem der Sanierung der Staatsfinanzen
ist mit dem Jahr 2007 nicht gelöst und die Sanierung der
Staatsfinanzen ist auch nicht beendet. Nein, das Gegenteil ist der Fall: Vielmehr ist die Sanierung der Staatsfinanzen mit dem Jahr 2007 erst eröffnet. Von diesem
Punkt aus müssen wir weiter voranschreiten, strukturelle
Einsparungen im Haushalt zu ermöglichen.
({6})
Für die Union steht das erklärte Ziel fest, mittelfristig
den ausgeglichenen, den nachhaltigen Bundeshaushalt
zu erreichen. Dabei geht es uns nicht um Sparen um des
Sparens willen - CDU und CSU geht es um das Sparen
um der Zukunft willen. Gerade aus Sicht der jungen Generation ist ein ausgeglichener Haushalt notwendig, um
finanzielle Gestaltungsspielräume in der Zukunft zu erhalten. Wir werden, wir dürfen der zukünftigen Generation zusätzlich zu den demografischen Problemen der
sozialen Sicherungssysteme nicht auch noch die Zinslast
zusätzlicher Schulden aufbürden. Deshalb beschäftigt
uns über den Bundeshaushalt 2007 hinaus die Perspektive für die Jahre 2008, 2009 ff. Herr Bundesfinanzminister, wir müssen die Chance der derzeitigen positiven Entwicklung nutzen. Gehen wir gemeinsam auf dem
Weg, das strukturelle Defizit zügig abzubauen und die
Schuldenstandsquote zu reduzieren, voran. In diesem
Sinne müssen wir gemeinsam aus den Fehlern Ihres
Amtsvorgängers lernen.
({7})
- Doch, Herr Kollege Brinkmann!
Das Jahr 2001 hat Finanzminister Eichel gezeigt, wie
schnell eine günstige konjunkturelle Entwicklung, verbunden mit einem Boom der volatilen, gewinnabhängigen Steuern, wie wir es damals hatten, sich umkehren
kann.
({8})
Wir haben, ausgehend von einer positiven Entwicklung
2001, quasi über Nacht umfangreiche Defizite, eine
schnell wachsende Schuldenquote und eine Verletzung
der Haushaltsgrenzen erlebt, weil wir keine solide
Grundposition hatten. Das ist die Lehre aus der Entwicklung der Jahre 2001, 2002, 2003, 2004. Daher müssen
wir von heute an den vielfältigen Interessen vehement
entgegentreten und damit beginnen, endlich Schulden
abzubauen. Nur dann hält der positive Trend des
Jahres 2006 auch 2007 an und kann sich sogar multiplizieren.
({9})
Die Rückführung der Nettokreditaufnahme von
30 Milliarden Euro im Jahr 2006 auf 19,6 Milliarden
Euro im nächsten Jahr ist ein erster, wichtiger Schritt.
Die Haushälter und Finanzpolitiker sind sich natürlich
bewusst, dass man hier mit virtuellem Geld operiert.
Aber man muss es sich einmal durchrechnen, um die Volumina zu begreifen: Wir haben durch die Reduzierung
der Nettokreditaufnahme von 30 Milliarden Euro auf
19,6 Milliarden Euro zukünftige Belastungen vermieden. Wir haben in einem gewissen Sinne Freiräume geschaffen. Denn allein durch die - in Anführungszeichen „gesparten“ Schulden von rund 10 Milliarden Euro müssen wir bei einem durchschnittlichen Zinssatz von rund
4 Prozent 400 Millionen Euro weniger Zinsen zahlen.
Wir haben den Bund davor bewahrt, weitere tägliche
Zinslasten von 1 Million Euro aufzunehmen. Ich glaube,
das ist eine gute Nachricht für die Steuerzahler in unserem Lande.
({10})
Die große Koalition hat nach der Wahl den dringenden Handlungsbedarf bei den öffentlichen Finanzen, insbesondere beim Bundeshaushalt, schnell erkannt und mit
ihren ersten beiden Etats auch gehandelt. Die öffentlichen Finanzen liegen langfristig wieder auf einer guten,
soliden Grundlage. Wir müssen uns immer wieder bewusst werden, dass das eine Herausforderung ist, die mit
den Haushalten 2006 und 2007 nicht abgearbeitet ist.
Wir müssen diese Debatte in allen gesellschaftlichen Bereichen führen, um die Aufgaben der kommenden Jahre
klar zu beschreiben. Nur wenn es gelingt, finanzielle
Handlungsspielräume für eine solche aktiv gestaltende
Finanzpolitik zurückzugewinnen, kann Deutschland der
Zukunft erfolgreich begegnen.
({11})
Ich kann für die CDU/CSU feststellen: Wir sind einen
Schritt in die richtige Richtung gegangen. Es gilt im
Hinblick auf die zukünftigen Jahre, Tempo aufzunehmen, um die guten Ergebnisse des Jahres 2006 und die
gute Planung für das Jahr 2007 in erfolgreiche Haushalte
der Jahre 2008, 2009 und 2010 gießen zu können.
Herzlichen Dank.
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Jörg-Otto Spiller für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Fahrenschon, es ist sehr gut, dass
wir jetzt an einem Strang ziehen und auch in derselben
Richtung. Es war in der vorigen Wahlperiode manches
Mal schwer, mit dem Bundesrat, in dem es eine andere
Mehrheit gab als im Bundestag, in der Finanzpolitik zu
Ergebnissen zu kommen. Wäre den Vorschlägen der damaligen Bundesregierung gefolgt worden, stünden wir
heute ein Stück besser da, als wir es tun. Aber immerhin:
Wir haben es ja noch geschafft.
({0})
Deutschland ist auf einem guten Weg. Das Wirtschaftswachstum wird in diesem Jahr circa 3 Prozent betragen. Die Bundesbank redet sogar davon, dass es eher
3,5 Prozent sein werden. Alle erwarten, dass wir auch im
kommenden Jahr ein zwar vielleicht etwas verringertes,
aber immer noch solides Wirtschaftswachstum haben
werden. Es gibt heute etwa eine halbe Million Arbeitslose weniger und eine viertel Million sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mehr als vor
einem Jahr. Der Gesamtstaat Deutschland hat das Defizitkriterium von Maastricht in diesem Jahr wieder eingehalten und mit dem Haushalt 2007, der in dieser Woche
zur Debatte steht, werden wir zum ersten Mal seit längerer Zeit auch die Regelgrenze des Art. 115 Grundgesetz
wieder einhalten. Es ist bereits mehrfach gesagt worden:
Die Nettokreditaufnahme des Bundes wird den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung haben.
Wir sind noch nicht am Ziel, aber wir sind in den letzten Jahren ein gutes Stück vorangekommen. Viele Kollegen haben das schon gesagt: Wir müssen auch weiterhin
an der Konsolidierung der Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden arbeiten. Herr Fahrenschon, wir
stimmen natürlich weiterhin in unserem Ziel überein,
dass auch künftig jede Generation neu darüber entscheiden können muss, wofür sie das öffentlich zur Verfügung stehende Geld ausgibt und wo die entsprechenden
Schwerpunkte bei den öffentlichen Ausgaben liegen.
Wir dürfen nicht durch eine überbordende Zinslast eingeengt werden. Deshalb müssen wir jetzt die Ausgaben
umstrukturieren. Der Anfang ist getan. Dabei müssen
wir weg von der vergangenheitsbezogenen Last hin zu
den Zukunftsausgaben kommen.
Durch die Steuerschätzung im November 2006 wurden viele Hoffnungen geweckt. Es ist erstaunlich, dass
aufgrund der etwas vermehrt zur Verfügung stehenden
Mittel - dies bedeutet allerdings immer noch, dass die
Lücke nur kleiner geworden ist - sofort mit einer großen
Fantasie darüber nachgedacht worden ist, wie man das
weniger fehlende Geld besser ausgeben kann. Wofür gibt
man das Geld aus, das fehlt und das wir nicht haben?
({1})
Dafür gab es eine Reihe von Vorschlägen. Zum Glück
sind sie im Wesentlichen wieder begraben worden.
({2})
Die Koalition hält Kurs. Dieser Kurs heißt Konsolidierung. Ich sage aber auch: Konsolidierung gibt es nicht
ohne Wachstum.
Ich bin ein wenig erstaunt darüber, dass Frau Hajduk
und auch der Vorsitzende von Gesamtmetall verkündet
haben, die Koalition habe nur Fortune gehabt;
({3})
die Konjunktur laufe gut, aber dafür könne die Politik
nichts. Frau Hajduk, der alte Moltke hat dazu schon das
Richtige gesagt: Glück hat auf die Dauer nur der Tüchtige.
({4})
Ich bin ein bisschen enttäuscht darüber, dass Sie sich
selbst nicht mehr dazu zählen; denn es gab natürlich
auch in der vorigen Wahlperiode Entscheidungen, die
sich jetzt auszahlen. Ich weiß gar nicht, warum Sie sich
davon distanzieren. Natürlich ist die Arbeitsmarktreform, so schwierig sie war - sie ist ja immer noch umstritten -, auch eine der Grundlagen für die heutige Belebung am Arbeitsmarkt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Hajduk?
Gerne.
({0})
Sehr verehrter Herr Kollege Spiller, halten Sie es für
zustimmungsfähig, dass ich mir hinsichtlich der Senkung der Lohnnebenkosten, die jetzt Ihrer Regierung
möglich ist, auch weiterhin erlaube - weil ich zu unseren
rot-grünen Reformen gerade im Bereich des Arbeitsmarktes stehe -, darauf hinzuweisen, dass 1,3 der über
2 Prozentpunkte, um die Sie den Betrag zur Arbeitslosenversicherung senken wollen, durch rot-grüne Reformen angelegt wurden und dass deshalb dieser Schritt unabhängig von der Mehrwertsteuererhöhung erfolgt
wäre? Das wollte ich bei Ihrer Überlegung zu den Lohnnebenkosten noch einmal deutlich machen. Vielleicht
können Sie mir in diesem Punkt zustimmen. An dieser
Stelle stehe ich sehr wohl zu unseren Reformen, die wir
vor einigen Jahren durchgeführt haben.
Ganz deutlich war die Frage nicht. Aber ich nehme
mit Freude zur Kenntnis, dass Sie weiterhin zu unseren
Reformen stehen und insofern Ihre Aussage von vorhin
etwas geradegerückt haben. Herzlichen Dank für diese
Einsicht.
({0})
Der Subventionsabbau in Verbindung mit einer
gleichzeitigen Senkung von Steuersätzen hat ebenfalls
dazu beigetragen. Auch diese Maßnahmen haben wir gemeinsam begonnen, Frau Hajduk. Aber wir setzen sie
auch fort. Das eine oder andere hätte vielleicht etwas
schneller gehen können, wenn Herr Trittin nicht zum
Schluss gebremst hätte. Aber wir haben immerhin die
richtige Richtung eingeschlagen.
Die große Koalition hat den Mut gehabt, mit dem
Haushalt 2006 auch den Konjunkturverlauf zu stützen.
Ich finde, dazu kann man sich bekennen. Es war eine
vernünftige Entscheidung.
Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung; denn wir
müssen nicht nur über die Konjunktur, sondern auch
über Wachstumschancen reden. Das wird im Laufe der
Woche in der Debatte der Einzelpläne noch an mehreren
Stellen eine Rolle spielen. Aber in der allgemeinen Finanzdebatte will ich noch einen Punkt ansprechen. Unsere Unternehmensteuerreform baut darauf auf, dass
fast alle großen deutschen Unternehmen multinational
ausgerichtet sind. Das heißt, dass sie nicht nur sehr erfolgreich weltweit operieren, sondern dass sie auch die
Standortkonkurrenz besonders deutlich empfinden und
darüber hinaus entscheiden können, wo sie die Kosten
und Erträge anfallen lassen. Diese Entwicklung kann
man nicht passiv hinnehmen, sondern wir müssen zur Sicherung der deutschen Steuerbasis dafür sorgen - das ist
das Ziel der Unternehmensteuerreform -, dass die Unternehmen in Deutschland mehr Steuern zahlen. Es geht
nicht darum, dass die Unternehmen insgesamt mehr
Steuern zahlen sollen.
({1})
Ich bin mir sicher, dass wir das nach einer Anlaufphase erreichen werden. Wenn der eine oder andere mittelständische Unternehmer in seinen Überlegungen, wie
er vorzugehen hat, Herr Solms, in einem komplizierten
Fall eine verbindliche Auskunft vom Finanzamt haben
will, dann halte ich eine angemessene Gebühr dafür für
vernünftig. Ich bin sogar sicher, dass der Unternehmer
diese Gebühr gerne zahlen würde.
({2})
Der letzte Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Jochen-Konrad Fromme für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Solms, es ist nicht richtig, dass es keinen roten Faden in
unserer Haushalts- und Wirtschaftspolitik gibt. Politik
fängt bei der Betrachtung der Realitäten an. Die Realitäten sind weniger Arbeitslose, mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und mehr offene Stellen. All das
kommt nicht von ungefähr; es ist vielmehr Ausdruck dafür, dass der schmale Grat zwischen der Sanierung der
Haushalte einerseits und der Schonung der Konsumkraft
andererseits richtig getroffen ist. Sonst hätten wir diese
positiven Werte nicht erreicht.
Womit haben wir uns noch vor einem Jahr im Wahlkampf beschäftigt? Damals ging es um den Arbeitsmarkt
und die Arbeitslosigkeit. Jetzt, nachdem sich die Lage
gebessert hat, spricht keiner mehr davon. Die Entwicklung am Arbeitsmarkt spricht dafür, dass unsere Politik
erfolgreich ist und richtige Ansätze verfolgt hat.
({0})
Um mit dem Regisseur Jacques Tati zu sprechen:
„Alle Wirtschaftsprobleme wären zu lösen, wenn man
die Selbstgefälligkeit steuerpflichtig machte.“ Diesen
Weg können wir nicht beschreiten. Aber die große Koalition ist durchaus erfolgreich, wenn man berücksichtigt, was wir alles vorwärts gebracht haben. Der Staat ist
effizienter geworden. Wir haben Reformen durchgesetzt
und an allen Stellen für Verbesserungen gesorgt. Wir
sind zwar nicht dort, wo wir sein wollen; das ist völlig
klar. Alles könnte schöner, besser und größer sein. Aber
wir sind auf dem richtigen Weg; das ist das Entscheidende.
Herr Kollege Spiller, die Trendwende wurde dadurch
erreicht, dass Sie den grünen Ballast losgeworden sind.
Wir haben uns nicht verändert. Vielmehr haben wir uns
angenähert und es gibt mehr Übereinstimmung. Das
freut mich.
Die Investitionen liegen über der Nettokreditaufnahme. Wir erfüllen damit das Maastrichtkriterium. Die
Steuer- und Abgabenquote sinkt genauso wie die Lohnnebenkosten. Das sind doch richtige und wichtige Signale. Es wird behauptet, das habe nichts mit der Regierung zu tun. Wir sind sicherlich nicht so arrogant und
sagen, das sei unser Aufschwung. Aber mit dem Regierungswechsel hat es schon etwas zu tun; denn die wirtschaftliche Entwicklung hängt auch von der Stimmung
ab. Nun gibt es einen Stimmungswandel; dieser ist wichtig. Diesen hätte es ohne unsere Regierungsbeteiligung
nicht gegeben.
Wenn man die Überschriften in den letzten Tagen liest
- „Die deutsche Wirtschaft ist in guter Verfassung“;
„Stärkstes Wachstum seit sechs Jahren“; „Wirtschaftsweisen erwarten kräftiges Wachstum“; „DIW rechnet
mit einer Gesundung der öffentlichen Haushalte“ -,
dann muss man feststellen, dass es in diesem Land nun
einen breiten Konsens darüber gibt, dass die Politik einen richtigen Weg eingeschlagen hat. Diesen müssen wir
konsequent weitergehen.
Es ist richtig, vorhandene Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit an die Beitragszahler zurückzugeben. Es verwundert mich nicht, dass der Kollegin Höll
nur einfällt, wie man das Geld ausgeben kann. Aber es
ist richtig, es den Bürgern zu geben, damit die gewünschte Entwicklung in Gang kommt.
({1})
Die FDP fordert keine Steuererhöhungen sowie
gleichzeitig eine Senkung der Nettokreditaufnahme und
eine Steigerung der Investitionstätigkeit. Dazu kann ich
nur sagen: Alles muss unter dem Strich zusammenpassen. Die Rechnung muss aufgehen.
Der Kollege Solms fordert plötzlich eine zentrale
Steuerverwaltung. Dieser Hang zur Zentralität verwundert mich ganz erheblich.
({2})
Ich weiß natürlich, dass wir bei den EDV-Programmen
stärker zusammenarbeiten und uns abstimmen müssen,
wenn wir Einheitlichkeit erreichen wollen. Aber ein
Wettbewerb zwischen mehreren Beteiligten spricht immer dafür, dass man das beste Modell, das Optimum findet. Wir waren mit „Fiscus“ auf dem Weg hin zu mehr
Zentralismus, sind aber leider total gescheitert; das muss
ich ehrlich zugeben. Wir müssen nun neu anfangen.
Natürlich haben wir gespart; Steffen Kampeter hat bereits darauf hingewiesen. Wir haben auch bei uns selber
gespart, zum Beispiel bei der Öffentlichkeitsarbeit. Des
Entschließungsantrags der FDP auf Streichung der Mittel für den Neubau des Bundesinnenministeriums bedarf es aber nicht. Wir haben die Mittel bereits gesperrt.
Wir werden uns ganz in Ruhe darüber verständigen, ob
ein solches Konzept wirtschaftlich sinnvoll ist. Wenn
dem nicht so ist, dann werden die Mittel nicht freigegeben. Wenn dem so ist, dann werden die Mittel freigegeben und dann wird vorwärts geschritten.
({3})
Es wurde behauptet, durch die geplante Gesundheitsreform stiegen die Beiträge. Das verwundert mich sehr;
denn die Gesundheitsreform greift noch gar nicht. Also
können die Beiträge aufgrund der Reform noch gar nicht
steigen. Sie steigen deshalb, weil in der Vergangenheit
zu wenig verändert wurde, weil wir die Systeme zu wenig angepasst und zu wenig gesteuert haben. Lassen Sie
uns erst einmal abwarten, bis das Konzept vollständig
auf dem Tisch liegt und bis wir dafür gesorgt haben, dass
die Menschen mehr Eigenvorsorge betreiben. Ich
glaube, dass man dadurch wesentlich besser steuern
kann als durch Verwaltung und Regelungen. Letzteres
hat immer nur zu höheren Verwaltungskosten geführt.
Ein zunehmend höherer Anteil im Gesundheitswesen
geht in die Verwaltung anstatt in die Medizin, die Medikamente und Operationen. Unser Ziel muss sein, dem
entgegenzuwirken.
Ich freue mich, dass wir aktiv Politik betreiben konnten, dass wir uns beispielsweise im Bereich der Kulturpolitik durchringen konnten - das sage ich als Arbeitsgruppenvorsitzender -, der Koalitionsvereinbarung im
Punkt „Sichtbares Zeichen“ im Haushalt Geltung zu verschaffen. Ich fordere alle, insbesondere die Bundesländer auf, einzusteigen und daran konstruktiv mitzuwirken.
Natürlich sind wir längst nicht da, wo wir sein wollen.
Wir sind aber auf dem richtigen Weg. Wenn ich mir die
Einnahmen und die Ausgaben im Bundeshaushalt anschaue, dann ist völlig klar, dass wir die strukturelle Lücke schließen müssen, weil irgendwann die Einmaleffekte verbraucht sind und weil wir nicht mehr
ausgeben dürfen, als wir einnehmen. Aber auch auf diesem Weg sind wir erheblich fortgeschritten. Seit Jahren
haben wir jetzt erstmalig wieder einen Überschuss im
Primärhaushalt. Das heißt, wir sind den ersten Schritt
gegangen. In diesem Jahr geben wir weniger aus, als wir
einnehmen. Das ist ein wichtiges Zwischenziel. Wir
müssen natürlich Überschüsse erwirtschaften, damit wir
die Zinsen für die Altlasten tragen können und damit wir
zu einem besseren Investitionsverhalten kommen. Unsere Fortschritte in dieser Beziehung sind ein Beweis dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Wir haben noch vieles zu tun, auch was die Staatsquote und die Personalkosten betrifft. Wir sind in der
Koalition mit der Willensbildung darüber, wie wir fortschreiten, noch längst nicht am Ende. Natürlich sind
pauschale Personalkostenvorgaben und Einsparungen
dann problematisch, wenn man in der Sache nichts verändert. Aber, Herr Kollege Poß - darin unterscheiden
wir uns -, wir sagen, dass wir bei den Aufgaben etwas
verändern müssen, damit wir auf diesem Weg weitergehen können. Das ist aus dem Parlament heraus schwer zu
bewerkstelligen. Wir müssen Druck auf die Regierung
ausüben, damit sie uns entsprechende Vorschläge macht.
Ich will in diesem Zusammenhang auch ein Kapitel
ansprechen, das nicht überall besonders positiv aufgenommen wird, das Kapitel Bonn-Berlin. Ich glaube,
dass wir uns diesen teuren „Doppelzirkus“ nicht mehr
lange leisten können.
({4})
Das ist doch ein Wahnsinn. Ich würde mich freuen - ich
habe Beifall quer durch das ganze Haus gehört -, wenn
an diesem Thema konstruktiv mitgearbeitet würde. Ich
habe das einmal während einer Klausur angesprochen
und großen Beifall erhalten. Dann aber wurde der Beifall
deutlich weniger. Ich schließe daraus, dass wir an dieser
Stelle weitermachen müssen. Es kann doch nicht sein,
dass jemand morgens um 6 Uhr in Bonn aufbricht, mittags in Berlin ist, zehn Minuten lang etwas in einem
Ausschuss vorträgt und abends wieder nach Bonn fährt.
Damit ist der ganze Arbeitstag für einen Vortrag von
zehn Minuten verloren. An der Stelle liegt doch ein riesiges Einsparpotenzial.
({5})
Ich glaube, dass wir daran arbeiten müssen. Wir sollten über den lokalpolitischen Tellerrand hinwegschauen.
Die Stadt Bonn steht inzwischen gut da. Das hat keiner
vorausgesehen. Deswegen war es am Anfang richtig,
Brücken zu bauen. Inzwischen haben wir gesehen, dass
die Brücken tragfähig sind, und wir können weiterarbeiten.
Sie sehen, es gibt noch viel zu tun. Packen wir es an!
Wir sind auf dem richtigen Wege. Ich lade alle in diesem
Hause ein, auf dem richtigen Wege mitzumachen und am
Ende dem Haushalt zuzustimmen.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zu den Abstimmungen. Zunächst
stimmen wir über den Einzelplan 08, Bundesministerium der Finanzen, in der Ausschussfassung ab. Wer
stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der
Einzelplan 08 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Abstimmung über den Einzelplan 20, Bundesrechnungshof, in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 20
ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt I.5 auf:
Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
- Drucksache 16/3123 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Frank Schmidt
Otto Fricke
Roland Claus
Anna Lührmann
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Otto Fricke für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Beratungen des Einzelplanes 17 - das möchte
ich ausdrücklich gerade gegenüber den Koalitionsabgeordneten sagen - waren fachlich und sachlich von hoher
Qualität. Wir haben uns über inhaltliche Dinge gestritten, aber wir haben - das darf ich ausdrücklich Richtung
Ministerium sagen - die Informationen bekommen, die
wir brauchten, um unsere jeweiligen politischen Entscheidungen treffen zu können.
Wir hatten am Ende der Beratungen im Ausschuss
Streit über die Frage - ich gebe zu, dass das eine schwierige Aufgabe ist -, welche und wie viele Zivildienstschulen geschlossen werden sollen und wer letztlich dafür verantwortlich ist. Dazu wird die Kollegin Lenke
nachher etwas sagen.
({0})
Ausdrücklich begrüßen möchte ich aber noch, dass
Herr Kues erreicht hat - ich wollte mich eigentlich bei
ihm bedanken, aber er hat heute ebenfalls Geburtstag
und soll das auch ruhig feiern -, dass die Polen beim
Deutsch-Polnischen Jugendwerk genauso wie die Bundesregierung und der Bundestag ihren Verpflichtungen
nachkommen.
({1})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen immer vom Zukunftsprojekt Familie und vom ZuOtto Fricke
kunftsprojekt Kinder und Jugendliche und müssen dennoch in diesen Tagen trotz positiver Meldungen auch
Negatives zur Kenntnis nehmen. Man muss in der heutigen Debatte sicherlich auch den Fall Emsdetten ansprechen, auch wenn der Täter ein 18-Jähriger war; denn die
Ursachen für die Tat sind in seiner Kindheit und Jugend
zu suchen. Dieser Fall ist leider kein Einzelfall. Der
Hang zur Gewalt nimmt bei unserer Jugend zu und wir
sind letztlich immer noch nicht in der Lage, klare Antworten auf die Fragen zu geben, die sich in diesem Bereich stellen, auch wenn wir das alle wollen, was ich
nicht bestreiten will.
Ich will in diesem Hause ausdrücklich eine Warnung
aussprechen: Machen wir doch bitte bei einer so
schrecklichen Tat, unter deren Folgen die Betroffenen
noch jahrelang leiden werden, nicht den Fehler, in Aktionismus zu verfallen und irgendetwas zu verbieten,
weil wir glauben, damit hätten wir eine Lösung gefunden. Das kann bei solch einer schwierigen Sache nicht
der Sinn von Politik sein.
({2})
Man kann gerne die Frage prüfen, ob solche Spiele
verboten werden sollen. Das ist kein Problem, das können wir machen. Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich: Beim
Verbot eines Spiels wird am nächsten Tag entweder die
schwarz gebrannte CD weitergegeben oder das Kind
oder der Jugendliche geht am übernächsten Tag einfach
ins Internet und lädt sich dieses Spiel auf seinen Computer, weil es ja inzwischen so leicht ist, riesige Mengen
von Informationen aus dem Internet herunterzuladen.
Wir müssen hier andere Wege gehen.
Am meisten sollte uns die Tatsache berühren, dass der
Täter von Sinnleere spricht. Wir müssen uns fragen: Was
ist in diesem Land in der Diskussion über die Zukunft
und über Werte falsch gelaufen? Hier liegt nach meiner
Meinung der Kernansatz, um unseren Kindern und Jugendlichen klar zu machen, warum es sich lohnt, in diesem Land zu leben.
Ich will aber noch eine zweite Frage ansprechen: Warum passiert es in Schulen? Nun können wir über Pubertät und alle damit zusammenhängenden Probleme reden.
Da haben wir als Gesellschaft auch eine Aufgabe. Aber
wir müssen noch etwas anderes sehen: Wir haben eine
immer komplexere und immer schwierigere Welt. Die
einfachen Antworten der 50er-Jahre und vielleicht noch
aus der Zeit Anfang der 60er-Jahre reichen heute nicht
mehr aus.
({3})
Die sich heute stellenden Fragen sind auch nicht alleine
mit dem Hinweis zu beantworten - Kollege Kampeter,
Sie sollten hier nicht so reinbrüllen, sondern eine Zwischenfrage stellen - (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ich will Ihre
Redezeit nicht verlängern!
Sie sind eben auch nicht dadurch zu beantworten, dass
man sagt: Alleine mit der Einhaltung christlicher Werte
haben wir die Probleme dieser Welt gelöst. Das ist es
eben gerade nicht.
({4})
Ich sage an dieser Stelle ausdrücklich: Wir müssen
auch prüfen, warum an den Schulen in anderen Ländern
inzwischen Schulpsychologen tätig sind, während wir
immer noch auf Vertrauens- und Beratungslehrer setzen,
also wieder auf diejenigen, mit denen sich die Schüler
doch so sehr auseinander setzen. Hier müssen wir genau
hinsehen und im Übrigen auch fragen: Was muss der
Bund tun und was müssen die Länder tun?
({5})
- Zur Aufteilung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern komme ich gleich noch.
Eines müssen wir auf jeden Fall erreichen: Wir dürfen
unsere Kinder und Jugendlichen in dieser schwierigen
Welt nicht alleine lassen. Wir müssen ihnen klar machen,
dass letztlich, unabhängig von irgendwelchen Zukunftsängsten, die Politik, die Erwachsenen an ihrer Seite stehen.
Wir müssen bei der Kinderbetreuung anfangen. Da
wird von allen schnell gesagt: Wir brauchen mehr Geld.
Das ist wunderbar. Heute hören wir aber vom Finanzminister auch: Wir wollen vernünftig sparen. Und warum wollen wir sparen? Wir wollen sparen, weil wir den
Kindern nicht später, wenn sie 18 Jahre alt sind, die heutigen Schulden vorhalten können. Wir können ihnen
nicht sagen: Es tut uns Leid, wir haben das Geld für euch
ausgegeben, jetzt zahlt es bitte mit Zinsen zurück. Diesen Irrwitz müssen wir stoppen. Da ist nach meiner Meinung die Familienministerin neben dem Finanzminister
ganz besonders gefragt.
({6})
Wir führen im Moment eine Diskussion über kostenfreie Kitas und die Nichterhöhung oder gar Absenkung
des Kindergelds. Einig sind wir uns wahrscheinlich darüber, dass das Geld bei den Kindern ankommen muss;
wir streiten nur über den Weg. Ich will ausdrücklich sagen, Frau Ministerin: Wenn Sie sagen, man dürfe das
nicht gegeneinander ausspielen, dann ist das eine gute
Aussage. Wenn aber die Konsequenz der Aussage ist,
dass man das Kindergeld erhöht - die Kinderfreibeträge
müssen verfassungsrechtlich dann auch entsprechend
angepasst werden; das wissen wir - und gleichzeitig
auch noch auf Kosten des Steuerzahlers die Kitas gebührenfrei macht, dann sucht man sich nur das Gute, aber
das Schlechte sind dann wieder die Schulden, die dabei
übersehen werden. Die FDP ist nicht bereit, zu guten
Dingen zu sagen: Wir unterstützen das, egal wie viel es
kostet. Wichtig ist, dass sich etwas Gutes auch auf Dauer
für alle Generationen rechnet.
({7})
Ich möchte noch auf eine andere Sache hinweisen.
Wir überlegen sehr häufig, wie wir mit dem Rechtsextremismus klarkommen. Immer wieder wird darüber
gestritten - das ist auch im Haushaltsausschuss
passiert -, wer der bessere Bekämpfer sei. Wir haben in
den Bundeshaushalt, in die Länderhaushalte und in die
kommunalen Haushalte dieselben Summen eingestellt.
Dennoch merken wir auch hier wieder: Wir kommen an
die Betroffenen nicht richtig heran. Wir wollen das, aber
wir schaffen es nicht.
Die FDP begrüßt deswegen ausdrücklich den Weg,
die Arbeit der Kommunen zu stärken. Dieser Weg ist
richtig. Ich frage mich, ob man es schaffen wird, all diejenigen zu erreichen - Jugendliche, Cliquen -, die fest in
einer bestimmten Richtung verwurzelt sind. Das wird
sehr schwierig. Die Summen, die der Bund dafür zur
Verfügung stellt, reichen mit Sicherheit nicht aus. Das ist
keine Forderung nach mehr Geld. Ich stelle nur die
Frage: Nützt es etwas, wenn wir in immer neue Projekte
kleinere Beträge investieren, ohne Erfolge feststellen zu
können?
({8})
Ich komme auf die Zuständigkeit der Länder zu sprechen. Sie haben eben so schön gesagt: Mehrgenerationenhäuser sind eine schöne Sache; in NRW heißen sie
Familienzentren. In Kommunen spricht man von Exzellenzkindergärten. Wenn man sich das genau anschaut,
dann stellt man Folgendes fest, Frau Humme - seien wir
doch einmal ganz ehrlich -: Jedes dieser Projekte wird
aus vier, fünf oder sechs verschiedenen Töpfen finanziert und alle rühmen sich, wer weiß wie viel getan zu
haben.
Es ist eine gute Sache, es ist eine richtige Sache. Zwischen den Generationen liegen heutzutage 30 oder sogar
35 Jahre. Mit diesem relativ großen Abstand ist die
Schwierigkeit verbunden, dass die Generationen zueinander finden. Ist es allerdings die Aufgabe des Bundes,
damit fertig zu werden? Nein. Ich bin der Meinung, es
ist die Aufgabe der Länder. Der Bund sollte sich da heraushalten - mag man sich in Stuttgart noch so sehr rühmen - und mehr Geld für die Schwächeren investieren.
Ich komme zum Schluss. Frau Ministerin, der Haushalt des Familienministeriums wird sich in nächster Zeit
sicherlich verändern. Sie haben gesagt, Sie prüften noch
seriöse Vorschläge dazu, wie man zu Veränderungen
kommen kann. Meiner Meinung nach sind Sie nach dem
Finanzminister die zweite Haushaltsministerin. Am
Ende Ihrer Regierungszeit nach vier Jahren müssen Sie
sich vor die Kinder und Jugendlichen stellen und sagen:
Vorher waren es so viele Schulden; ich als Vertreterin
eurer Interessen überlasse euch weit weniger Schulden.
Eines ist wichtig für Kinder: Auf Schuldenbergen können sie nicht spielen.
Herzlichen Dank.
({9})
Nun hat das Wort der Kollege Dr. Ole Schröder für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Haushalt 2007 ist ein deutlicher Fortschritt
für Familien und Kinder. Trotz der notwendigen Konsolidierung ist es uns gelungen, 1,6 Milliarden Euro für das
Elterngeld bereitzustellen. Das Elterngeld ist die größte
familienpolitische Reformleistung der letzten zehn
Jahre.
({0})
Wir wissen, dass sich fast alle 18-Jährigen Kinder
wünschen, und zwar in der Regel mindestens zwei. Wir
wissen aber auch, dass rund ein Drittel der Deutschen
diesen Wunsch nie realisiert. Hier setzt das Elterngeld
an. Wir unterstützen die jungen Eltern dann, wenn es am
notwendigsten ist: wenn die Ausgaben nach der Geburt
eines Kindes steigen und gleichzeitig ein Einkommen
wegfällt. Hier setzt das Elterngeld gezielt an. Ich bin
sehr optimistisch, dass sich aufgrund des Elterngeldes
mehr Paare dafür entscheiden, sich ihren Kinderwunsch
zu erfüllen.
Über eines müssen wir uns aber auch im Klaren sein:
Politik ist nicht allmächtig. Wir werden die Geburtenrate
in Deutschland auch durch noch so üppige familienpolitische Leistungen nicht bestimmen können. Die Entscheidung liegt bei den Eltern. Um sich für ein Kind zu
entscheiden, braucht es vor allen Dingen eines: Zuversicht. Renate Schmidt, die Vorgängerin unserer Familienministerin von der Leyen, hat dazu einmal etwas sehr
Lebenskluges gesagt: Junge Paare haben heute erst dann
den Mut zum Kind, wenn das Eigenheim gebaut ist,
wenn der Arbeitsplatz auf Dauer gesichert ist und wenn
die ersten drei Kinderbetreuungsjahre en détail geregelt
sind. Sie sagte weiter: Wenn sie die Erfüllung all dieser
Voraussetzungen verlangt hätte, dann wäre keines ihrer
drei Kinder zur Welt gekommen. Ich finde, damit hat sie
etwas sehr Kluges gesagt. Sie hat nämlich Recht: Den
Mut zum Kind muss jeder selbst aufbringen. Politik
kann nur die Rahmenbedingungen so setzen, dass nicht
zu viel Mut dafür vonnöten ist.
({1})
Familienpolitik in engerem Sinne ist dafür natürlich
wichtig, aber nicht allein entscheidend. Die Entscheidung für oder gegen die Erfüllung des Kinderwunsches
hängt zum Beispiel genauso davon ab, ob man sicher
sein kann, im nächsten Jahr noch einen Arbeitsplatz zu
haben. Deshalb ist gute Wirtschaftspolitik eben auch
gute Familienpolitik.
({2})
Meine Damen und Herren, wir müssen auch klar erkennen: Manchmal reicht es eben nicht aus, wenn die
Politik nur Rahmenbedingungen setzt. Manchmal muss
- das sage ich ganz bewusst auch zu meinen Kollegen
von der FDP - die Politik bzw. der Staat auch eingreifen.
({3})
Damit komme ich zu der Debatte, die der SPD-Vorsitzende Kurt Beck mit seinen Äußerungen zu der von ihm
so bezeichneten Unterschicht ausgelöst hat.
({4})
Leider flammen solche Diskussionen immer nur kurz auf
und ebben trotz der politischen Brisanz dann wieder ab.
Was ist das Entscheidende an dieser Diskussion für die
Familienpolitik? In der Vergangenheit wurde viel zu
häufig geglaubt, dass die soziale Ausgrenzung ein Problem sei, das durch die Höhe der Sozialtransfers gelöst
werden könne. Meine Damen und Herren, nur mit hohen
Sozialtransfers holen wir die Menschen nicht aus der
gesellschaftlichen Randlage heraus. Darüber müssen wir
uns im Klaren sein. Das Problem vieler Kinder ist die
mangelnde Erziehungsfähigkeit der Eltern. Die Folge
ist: Immer mehr Fälle von häuslicher Gewalt und Verwahrlosung werden bekannt und die Bildungschancen
von Kindern hängen immer noch maßgeblich von der
sozialen Herkunft der Eltern ab. Hier ist Familienpolitik
gefordert.
Das Wichtigste ist: Wir dürfen nicht wegschauen.
Vielfach können wir schon mit beratender Unterstützung
den Eltern und Kindern viel Hilfe zukommen lassen.
Wichtig ist, dass diese Problemfälle aus der Isolation herausgeholt werden. Mit dem Aktionsprogramm „Frühe
Hilfen für Eltern und Kinder und soziale Frühwarnsysteme“ ist unsere Koalition dabei, die Bildung von lokalen Netzwerken zu unterstützen. Dieses Programm
wird dazu beitragen, den Schutz von Kindern in
Deutschland konsequent zu verbessern. Von besonderer
Bedeutung ist dabei die Verzahnung der Gesundheitssysteme mit der Kinder- und Jugendhilfe vor Ort. Natürlich
ist das zunächst einmal Aufgabe der Kommunen und der
Länder. Aber dem Bund kommt selbstverständlich die
Aufgabe zu, die Erfahrungen aus diesen Modellprojekten zu bündeln und dafür zu sorgen, dass die Kommunen
und die Länder auf der Grundlage dieser Erfahrungen
vor Ort konkret politisch tätig werden und ein flächendeckendes System aufbauen können.
({5})
Wir haben im Haushalt 2006 schon erste Mittel dafür bereitgestellt und jetzt im Haushalt 2007 im Kinder- und
Jugendplan dafür 2 Millionen Euro vorgesehen. Frau
Ministerin von der Leyen, ich begrüße ganz ausdrücklich, dass Sie dies auf den Weg gebracht haben und das
jetzt konsequent weiter verfolgen.
Meine Damen und Herren, im Zentrum unserer Familienpolitik stehen die genannten zwei Ziele: höhere Geburtenraten und bessere Bedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten für Kinder. Wenn wir uns die Höhe
der Ausgaben für familienpolitische Leistungen im
internationalen Bereich ansehen, dann stellen wir fest,
dass wir ganz oben stehen. Wir erreichen unsere Ziele
aber nur mangelhaft. Es ist und bleibt daher unsere Aufgabe, zu überprüfen, ob wir weiterhin 50 unterschiedliche monetäre Leistungen anbieten müssen. All diese
Leistungen müssen ja beantragt, überprüft und ausgezahlt werden. Welchen Aufwand das bedeutet, können
wir sehr gut am Kinderzuschlag sehen. Es handelt sich
um eine gut gemeinte Maßnahme, mit deren Hilfe Eltern, die zwar für ihren eigenen Unterhalt aufkommen
können, aber nicht zusätzlich für den Unterhalt der Kinder, unterstützt werden. Wenn wir uns allerdings vor Augen führen, dass im letzten Jahr von 600 000 Anträgen
nur 50 000 gebilligt wurden,
({6})
dann sehen wir, dass es sich hier um ein bürokratisches
Monstrum handelt, das wir dringend verändern müssen,
damit das Geld wirklich bei den Kindern und Eltern ankommt
({7})
und nicht in der Förderbürokratie versickert. Es ist schon
einigermaßen absurd, dass uns hier jetzt ein Antrag der
Fraktion Die Linke ins Haus flattert, nach dem gerade
dieses ineffiziente Förderinstrument um Milliarden aufgestockt werden soll, ohne dass hierfür irgendeine Gegenfinanzierung vorgesehen wäre.
({8})
Meine Damen und Herren, wir müssen mit den Haushaltsmitteln effizienter umgehen. Es ist daher richtig,
dass die Familienministerin eine Evaluierung in Auftrag gegeben hat, damit wir die einzelnen Förderarten
bündeln können, sodass das Geld bei den Kindern und
Familien ankommt.
Ein zweiter zentraler Aufgabenbereich in unserem
Einzelplan hängt mit dem Aspekt der demografischen
Entwicklung zusammen:
({9})
die Politik für immer mehr ältere Menschen. Wenn heute
fast jeder dritte Mann und jede dritte Frau keine Kinder
mehr bekommen, entstehen dadurch natürlich auch größere Herausforderungen für die Seniorenpolitik. Denn
eines ist klar: Ebenso wie die Eltern im Zentrum der Verantwortung für die Kinder stehen, stehen die Kinder im
Zentrum der Verantwortung für die Eltern. Es ist daher
positiv, dass wir mit dem Projekt „Mehrgenerationenhäuser“ offene Tagestreffpunkte schaffen, in denen sich
die Generationen selbstverständlich begegnen und sich
gegenseitig helfen können. Wir haben die Mittel im
Haushalt 2007 in Höhe von 20,5 Millionen Euro eingestellt.
Meine Damen und Herren, die mittelfristige Konsolidierung des Einzelplans 17 bringen wir mit der seit langem diskutierten Umsetzung der Schließung von Zivildienstschulen voran.
({10})
Ausgehend von den aktuellen Dienstantrittszahlen und
dem Bettenüberhang von circa 12 000 ist die Schließung
von Zivildienstschulen haushaltspolitisch notwendig. Es
ist dringend erforderlich, dass wir auch hier eine Anpassung vornehmen. Wir haben jetzt im Ausschuss nach
langen Diskussionen Nägel mit Köpfen gemacht
({11})
und werden dafür sorgen, dass bis zum April 2007 eine
Entscheidung über die Schließung von drei Zivildienstschulen erfolgt.
Wir begrüßen es ausdrücklich, wenn im Rahmen der
Umsetzung des Konzeptes „Zivildienst als Lerndienst“ das Lernen der Zivildienstleistenden in ihren
Dienststellen gestärkt wird. Zum Beispiel ist es eine gute
Idee, wenn angehende Altenpfleger ihre Zivildienstzeit
in einer Altenpflegeeinrichtung auf ihre Ausbildungszeit
angerechnet bekommen, insbesondere wenn ihnen durch
ihre Dienststelle eine entsprechende Qualifizierung geboten wird.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Lenke?
Bitte schön.
({0})
Frau Humme, die Sitzungsleitung bestimmt das, nicht
Sie.
Herr Schröder, wir als FDP sind immer für die Überprüfung, auch in der Frage, ob wir zu viele oder zu wenige Zivildienstschulen haben. Aber finden Sie es richtig
- vielleicht sind Sie auch nicht informiert -, die Modellvorhaben in den Zivildienstschulen zu der Frage, wie der
Zivildienst zum Lerndienst entwickelt werden kann,
nicht zu Ende laufen zu lassen und nicht zu evaluieren?
Erst danach könnte doch festgelegt werden, welche
Schulen geschlossen werden. Ich frage Sie, wieso Sie da
überhaupt nicht zielgerichtet sind und der Haushaltsausschuss letztendlich das Ministerium im Regen stehen
lässt.
Vielen Dank für Ihre Frage. Dazu möchte ich zwei
Anmerkungen machen. Punkt eins. Wir sind nicht der
Auffassung, dass das neue Konzept „Zivildienst als
Lerndienst“ dazu führen wird, dass wir mehr Kapazitäten in den Zivildienstschulen benötigen.
({0})
Wie ich eben zum Ausdruck gebracht habe, sind wir der
Meinung, dass dieses Lernen vor allen Dingen an die
Dienststellen angebunden werden soll. Denn dort werden die Zivildienstleistenden gebraucht; dort machen sie
die wichtigen Erfahrungen, die durch den Lerndienst
noch verstärkt werden sollen und die vor allem für die
Zeit nach dem Zivildienst nutzbar gemacht werden sollen.
Punkt zwei. Es ist erstaunlich, dass gerade die FDP
sich jetzt Gedanken über einzelne Zivildienstschulen
macht.
({1})
Denn die FDP möchte ja, indem sie für die Abschaffung
der Wehrpflicht ist, alle Zivildienstschulen schließen.
({2})
Ohne Wehrpflicht gibt es keinen Zivildienst und ohne
Zivildienst gibt es keine Zivildienstschulen.
({3})
Insofern wundere ich mich, dass Sie die Schließung von
einzelnen Zivildienstschulen kritisieren, obwohl die
Schließung aller Schulen Ihrer Beschlusslage entspricht.
({4})
Um eine effektive und transparente Politik für Familien, Senioren, Frauen und Jugend zu erreichen, hat die
Regierung wichtige Schritte eingeleitet. Mir als Haushälter geht es insbesondere darum, dass die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel effizient eingesetzt
werden. Auch hierfür sind die notwendigen Schritte eingeleitet worden.
Wir von der CDU/CSU-Fraktion unterstützen die Ministerin ausdrücklich in ihren Bemühungen. Wir denken,
dass wir mit diesem Einzelplan einen ganz wichtigen
Schritt in die richtige Richtung gemacht haben.
({5})
Das Wort hat nun die Kollegin Diana Golze für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Staunen Sie ruhig: Ich beginne mit einem Lob
an die große Koalition.
({0})
Denn zwischen der ersten und der zweiten Lesung wurden - das soll es wirklich geben - im Kinder- und Jugendplan die Mittel für die Freiwilligendienste und für
die Jugendverbandsarbeit sichtbar angehoben. Diese
2 Millionen Euro im Bundeshaushalt 2007 sind gut angelegtes Geld. Ihre Bereitstellung findet die volle Unterstützung der Linken.
({1})
Auch die gleich bleibende Höhe des Zuschusses für
das neue Programm gegen Rechtsextremismus ist
positiv zu bewerten, gerade auch deshalb, weil es durchaus schon Hiobsbotschaften aus Ihrem Ministerium gab.
Die zusätzlichen Mittel in Höhe von 5 Millionen Euro
für Beratungsnetzwerke gegen rechts betrachte ich als
Zugeständnis an hartnäckigen Druck aus Verbänden, Initiativen und der Opposition.
({2})
Ihnen liegt übrigens ein Antrag der Linken aus dem
Frühjahr mit identischen Forderungen bald zur Abstimmung vor. Es ist nur paradox, dass Sie ihn sicherlich ablehnen werden, obwohl Sie ihn heute praktisch schon beschließen.
({3})
Alles in allem gibt es leider nicht oft Grund, das Jugendministerium zu loben. Dies sind nur kurze Lichtblicke am sonst eher dunklen Himmel der bundesrepublikanischen Kinder-, Jugend- und Familienpolitik. Das
Beste, was Kinder und Eltern von SPD und Union noch
erwarten können, ist die Linke-Tasche-rechte-TaschePolitik, wie sie in den letzten Tagen einmal mehr diskutiert wurde. Aber eine Regierung, die nach dem absurden
Motto „Kinder kriegen mehr! Aber sie sollen es gefälligst selbst bezahlen!“ verfährt, darf sich nicht wundern,
wenn ihr das Volk davonläuft. Denn im Regelfall arbeiten Sie fleißig an der Verschärfung der alltäglichen
Nöte der Menschen im Lande. Besonders Familien
greifen Sie mit der Mehrwertsteuererhöhung in die Tasche.
({4})
Das Kindergeld ist seit sechs Jahren nicht erhöht
worden. Real wurde es also um 10 Prozent gekürzt. Nun
wird bei Ihnen auch noch über ein weiteres Einfrieren
debattiert. Jugendlichen bis 25 verbieten Sie, von zu
Hause auszuziehen, wenn sie arbeitslos sind. Statt Ausbildungsplätze halten Sie 1-Euro-Jobs bereit und in der
Ferne winkt bestenfalls die mickrige Rente mit 67.
Transparenz gegenüber dem Parlament ist im
Hause von der Leyen ein Fremdwort. Das gilt zum einen
für das neue Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus, dessen Details mit dem Ausschuss bis zur gestrigen
Anhörung nicht diskutiert wurden. Eine Programmhomepage wurde ohne Ankündigung gestartet. Leitlinien wurden online gestellt, ohne die Fachpolitiker zu
informieren.
Wir haben in der Anhörung drastische Kritik am Informationsmanagement des Von-der-Leyen-Ministeriums
gehört. So hat zum Beispiel der Sebnitzer Bürgermeister
Mike Ruckh berichtet, dass er bis jetzt nicht in die Planungen für das neue Bundesprogramm, das in einem
Monat auch in seinem Landkreis starten soll, einbezogen
wurde.
({5})
Wir haben, so glaube ich, eine Scheinanhörung erlebt,
weil bereits alle wichtigen Entscheidungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen worden sind. Wenn
das Ihr Demokratieverständnis ist, dann gute Nacht.
Transparenz habe ich auch an einer anderen Stelle
sehr vermisst. Der Haushaltsausschuss hat - allein gegen
die Stimmen der Linken - die Schließung von Zivildienstschulen beschlossen.
({6})
- Sie haben sich enthalten. - Es ist ein Skandal, dass das
Ministerium den Fachausschuss nicht über derartige
Pläne informiert hat. Erst auf Anfrage unserer Fraktion
war von einem durchaus bekannten Gerücht die Rede,
was schon eine unglaubliche Verharmlosung war. Dieses
Gerücht wurde nur einen Tag später zu einer sehr greifbaren Tatsache, nämlich zu einem Beschluss. Diesen Beschluss, aber vor allem den nicht hinnehmbaren und unsäglichen Umgang mit dem Parlament lehne ich ab.
({7})
Verschleierung statt Transparenz: Das ist Ihr Motto.
Doch zurück zu den positiven Ansätzen. 2 Millionen
Euro mehr für die Jugendarbeit sind ganz nett. Aber sie
sind nicht mehr als ein Tröpfchen angesichts jahrelanger
Kürzungen, die auch Sie, Frau von der Leyen, als ehemalige Landesministerin zu verantworten haben. Wer
sich die Kinder- und Jugendhilfestatistik für Niedersachsen für die Jahre 2000 bis 2004 anschaut, findet einen
realen Rückgang der Aufwendungen für die Kinder- und
Jugendarbeit um fast 20 Prozent. Ob die Jugendverbände
und freien Träger in Niedersachsen Ihnen nun all Ihre
schönen Worte glauben, wage ich zu bezweifeln.
Die Kinder- und Jugendhilfe ist in den letzten Jahren in unverantwortlicher Weise kaputtgespart worden.
Nun bedarf es einer gemeinsamen Anstrengung zur Wiederbelebung des Patienten. Der Vertreter des Deutschen
Jugendinstituts hat gestern in der Anhörung einen gesamtgesellschaftlichen Konsens über die Wichtigkeit
von Jugendhilfe und Jugendarbeit eingefordert. Er hat
nicht von Modellprojekten wie Frühwarnsystemen oder
Kompetenzzentren gesprochen, die Sie, Frau Ministerin,
so gerne loben. Es ging ihm um die ganz normale Kinder- und Jugendarbeit in Verbänden, in Jugendhäusern,
in der außerschulischen Jugendbildung und in der Jugendsozialarbeit. Hier wurde in den letzten Jahren zusammengestrichen, als ob es kein Morgen gäbe, weil es
keine wirkliche Lobby für Kinder gab.
Es ist alarmierend, dass die NPD in aufgegebenen Jugendzentren braune Krabbelgruppen einrichtet - natürlich beitragsfrei. Freie Kameradschaften nehmen die Jugendlichen auf ihre Zeltlager mit und impfen ihnen die
braune Ideologie ein, weil die Kapazitäten der Jugendverbände nicht mehr ausreichen. Solange ich hier stehe,
werde ich diese Zustände anprangern. Nazis haben keinen Platz in unserer demokratischen Gesellschaft.
({8})
Ich fordere einen neuen Pakt für die Jugend, den
Bund, Länder und Kommunen, aber auch die Beteiligten
in Verbänden, Trägern und ihren Dachvereinigungen
schließen müssen. Wir legen Ihnen heute einen Änderungsantrag zum Einzelplan 17 vor, der den Startschuss
für diesen Pakt markieren kann. Wir schlagen vor, dass
der Bund - vorerst für drei Jahre - einen mit 50 Millionen Euro gefüllten Sonderfonds „Jugendarbeit“ einrichtet. Er macht Ländern und Kommunen ein Angebot; er
nimmt sie aber auch in die Pflicht. Auch die Höhe des
Fonds ist nicht aus der Luft gegriffen. Die Summe aus
den 50 Millionen Euro des Bundes und einem gleich hohen Zuschuss von Ländern und Kommunen würde die
realen Kürzungen seit dem Jahr 2000 kompensieren.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Wort
zum Kindeswohl sagen. Auch hier könnte dieser Fonds
positive Synergieeffekte haben. Starke und verlässliche
Angebote der Jugendarbeit erreichen gefährdete Kinder
und Jugendliche in besonderem Maße, weil die Zugangsschwellen niedrig sind und weil die Kinder und Jugendlichen oft Zuflucht und Schutz finden. Ein wirksamer Kinderschutz hängt eben auch maßgeblich von
einer starken Jugendarbeit ab. Sie nimmt in den angestrebten Netzwerken zwischen Kitas, Schulen, Jugendämtern, Ärzten usw. eine wichtige Rolle, wenn nicht die
Schlüsselrolle ein.
({9})
Ich bitte Sie - die anderen Oppositionsparteien eingeschlossen - um eines: Singen Sie nicht wieder das abgedroschene Lied von nicht vorhandenem Geld! Sie wissen
so gut wie ich: Es ist da. Sie verschleudern es nur zum
Beispiel für ein völlig überflüssiges neues Programm zur
angeblichen Terrorismusbekämpfung. Die Zukunft dieses Landes liegt nicht in mehr Überwachungskameras.
Wenn Sie stattdessen in die Jugend investieren, brauchen
Sie diese Kameras vielleicht irgendwann nicht mehr.
Vielen Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Frank Schmidt
für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sicherlich kann man sich, wenn man eine etwas eingeschränkte Sicht auf das Land hat, in Jammern ergehen.
Aber wenn man den Einzelplan 17 des Bundeshaushaltes 2007 betrachtet, kommt man zu dem Ergebnis, dass
der heutige Tag der zweiten Lesung eines Entwurfes des
Haushaltsgesetzes 2007 im Deutschen Bundestag ein guter Tag für die Familienpolitik ist. Denn wir haben in
diesem Etat einen eindeutigen Aufwuchs vorgesehen.
Das ist zu begrüßen und positiv für die Familien in unserem Land.
({0})
Das Finanzvolumen steigt auf 5,25 Milliarden Euro.
Dies stellt einen Rekord dar. Es ist ein Zuwachs von
16,2 Prozent. Das bedeutet auch 16,2 Prozent mehr an
Leistungen für Familien, Kinder, Jugendliche, für die
Gleichstellung, für Ältere und das ehrenamtliche
Engagement. Das ist eine bewusste, richtungsweisende
und gute Entscheidung dieser großen Koalition im Deutschen Bundestag.
({1})
Allein das neue Elterngeld macht 1,6 Milliarden
Euro aus. Ab und zu lohnt es sich, sich die Details anzuschauen.
({2})
Das neue Elterngeld trägt in erheblichem Umfang dazu
bei, dass gerade kleine und mittlere Einkommen aus der
bisherigen Erziehungsgeldfalle herausgelöst werden. Ich
will das an drei kleinen Beispielen erläutern; denn das
wird gern vergessen:
Erstes Beispiel: Ein Doppelverdienerehepaar - der
oder die eine verdient 2 300 Euro brutto, der oder die andere 1 600 Euro brutto - erhält, wenn derjenige mit dem
geringeren Gehalt zu Hause bleibt, zwölf oder 14 Monate lang, wenn man die Erziehungszeit aufteilt,
600 Euro Elterngeld. Diese Familie hat nach alter Regelung, Frau Lenke, nur sechs Monate lang 300 Euro Erziehungsgeld erhalten. Jetzt werden der Betrag und die
Bezugsdauer verdoppelt.
({3})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Lenke?
Ich möchte erst meine Beispiele nennen, danach kann
Frau Lenke eine Frage stellen.
Zweites Beispiel: Ein Doppelverdienerehepaar - der
oder die eine verdient 2 900 Euro brutto, der oder die andere ist geringfügig beschäftigt mit 400 Euro - erhält,
wenn der geringfügig beschäftigte Partner zu Hause
bleibt, zwölf oder 14 Monate lang, bei der Teilung der
Elternzeit, 390 Euro Elterngeld. Früher hat dieses Ehepaar sechs Monate lang 300 Euro erhalten. Auch für
diese Familie ist das neue Elterngeld eine eindeutige
Verbesserung.
Drittes Beispiel: Eine Alleinerziehende verdient
2 400 Euro brutto. Sie erhält 14 Monate lang 950 Euro
Elterngeld, nach der alten Regelung hat sie sechs Monate lang 300 Euro erhalten.
Fazit: Das Elterngeld fördert als Lohnersatzleistung
endlich gezielt kleine und mittlere Einkommensbezieher.
Dieser Personenkreis ist seit Jahren aus der Familienförderung herausgefallen.
({0})
Jetzt können Sie Ihre Frage stellen.
Frau Kollegin, bitte sehr.
Das ist sehr freundlich von Ihnen. - Auch ich habe ein
gutes Beispiel. Wenn Vater und Mutter im ersten Jahr, in
dem es Elterngeld gibt, das Kind gemeinsam betreuen
wollen, dann wird das Elterngeld nur für sieben Monate
gezahlt. Das wissen Sie. Warum ist das so?
Frau Kollegin Lenke, der Bundesrechnungshof hat
gefordert, das Elterngeld bei denjenigen, die Transferleistungen erhalten, voll und ganz auf die Transferleistungen anzurechnen. Die FDP hat keinen einzigen Antrag dazu eingebracht, wie man die Situation der
Transferleistungsempfänger verbessern kann. Sie hatten dazu keine eigenen Ideen. Daher sollten Sie hier
ganz ruhig sein und keine Beispielrechnungen anführen;
denn wir haben das Elterngeld verbessert, wir haben die
Standards verbessert, nicht Sie.
({0})
Fakt ist: Wenn man bisher 1 834 Euro brutto im Monat verdiente, erhielt man nach der alten Regelung nur
sechs Monate lang Erziehungsgeld. Jetzt erhalten alle ab
dieser Einkommensgrenze zwölf oder sogar 14 Monate
lang Elterngeld und diejenigen, die darunter verdienen
- hier wurde eine Klausel eingefügt -, erhalten noch einen Zuschlag. Besser und gerechter kann man es nicht
machen. Das ist eine große Leistung dieser Koalition
und darauf können wir stolz sein!
({1})
Gleichzeitig wird das Elterngeld noch etwas bewirken: Die Betreuung für unter Dreijährige wird wesentlich schneller ausgebaut, als wir bisher vermuten.
Der Druck wird steigen.
({2})
Sie müssen die Kommunalpolitiker fragen, Frau Lenke.
Diese könnten Ihnen Antworten geben. Ich bin seit
20 Jahren Kommunalpolitiker und weiß, wie der Druck
steigt.
({3})
Die Nachfrage steigt jetzt schon. Immer mehr Kindergärten werden altersübergreifende Gruppen einrichten,
es werden neue Kitas eingerichtet, weil Antworten gefunden werden müssen. Die richtigen Antworten werden
auch gegeben.
Ich bin sicher, dass die Platzzahlen, die wir beim Tagesbetreuungsausbaugesetz anvisiert haben, viel schneller erreicht werden, als wir bisher dachten. Auch das ist
eine positive Entwicklung. Hier müssen wir den Bundesländern danken, die das unterstützen. Rheinland-Pfalz
beispielsweise leistet hier Hervorragendes.
({4})
Man sollte hervorheben, dass durch das Elterngeld
und die sich anschließende Kinderbetreuung die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert wird. Schritt
für Schritt setzt die Koalition dieses Ziel um. Wir reden
nicht, wir handeln, und das auch solide finanziert.
Wir müssen nicht Anträge einbringen, wie das gerade
die ganz linke Seite dieses Hauses getan hat. Sie wollen
mal soeben mit 3,5 Milliarden Euro für das eine oder andere aufwarten. Liebe Frau Kollegin Golze, Sie sollten
ernsthaft diskutieren und uns sagen, wo Sie das Geld,
das Sie ausgeben wollen, hernehmen wollen. Das haben
Sie nicht einmal ansatzweise getan.
({5})
Deswegen ist das entschieden abzulehnen.
Aber auch im Bereich des Kinder- und Jugendplans
leisten wir Herausragendes: Es wurde heute schon von
meinem Kollegen Ole Schröder erwähnt, dass wir den
Etat für das Freiwillige Soziale bzw. Freiwillige Ökologische Jahr um 1 Million Euro erhöht haben. Das bedeutet - auch das muss man berücksichtigen -, dass wir damit gleichzeitig zusätzlich 1 Million Euro aus dem ESF
akquirieren können. Das heißt, dass wir den Rekordansatz von diesem Jahr im nächsten Jahr noch einmal steigern und damit dieses Programm entsprechend nach
vorn bringen. Das ist ein deutliches Zeichen der Koalition und eine gute Entscheidung für bürgerschaftliches
Engagement, die viele Verbände gefordert haben. Wir
setzen es um.
({6})
Lieber Otto Fricke, ich möchte noch etwas in Sachen
Mehrgenerationenhäuser - unser Geburtstagskind telefoniert gerade; das kann man am Geburtstag noch in
Kauf nehmen - erwähnen. Das von Ihnen, Frau Bundesministerin von der Leyen, ins Leben gerufene Programm
ist wohl ein Renner.
({7})
Ich will gar nicht wissen, woher in deinem Wahlkreis die
Anträge gekommen sind.
({8})
Es gab 904 Anträge!
({9})
Angesichts dessen kann jedoch niemand sagen, dass die
Kommunen und Verbände so etwas ablehnen würden.
Sie haben erkannt, dass es ein richtiges Programm ist.
Deswegen ein Dankeschön an dieser Stelle. Das war der
richtige Weg.
({10})
Da wir - Gott sei Dank - immer älter werden, gleichzeitig aber immer weniger Kinder geboren werden,
braucht es ein enges und direktes Miteinander, um gesellschaftliche Probleme zu überwinden und Trennendes
beiseite zu räumen. Das muss die Konzeption der Zukunft sein. Diese Mehrgenerationenhäuser, von denen je
eins pro Landkreis errichtet wird, können ein Beispiel
für andere Kommunen geben. Auch dies ist eine zukunftsweisende Entscheidung dieser Koalition, die richtig ist und weiter unterstützt werden sollte.
({11})
Weil Frau Lenke das vorhin erwähnt hat, möchte ich
noch etwas zur Zukunft des Zivildienstes sagen: Es
steht in keinem Fall im Widerspruch, dass wir in diesen
Bundeshaushalt extra einen Haushaltstitel eingefügt
haben, um den Zivildienst als Lerndienst voranzubringen, und gleichzeitig mit beschlossen haben, dass sich
die Bettenkapazitäten der Zivildienstschulen am Bedarf
orientieren und dass gegebenenfalls einige Schulen geschlossen werden müssen. Ich weiß, dass Sie selber einen Antrag eingebracht haben, liebe Frau Kollegin
Lenke. Er ist heute Mittag um 12 Uhr eingegangen, sodass ihn nicht alle rechtzeitig bekommen haben. In dem
fordern Sie, im nächsten Jahr zwei Zivildienstschulen
dicht zu machen, keine Übergangszeit zu gewähren und
2008 eine weitere Schule dicht zu machen.
({12})
Das ist Inhalt Ihres Antrags, der heute eingegangen ist.
Damit wären Sie schneller als wir. Wir machen es sozialverträglich und richtig mit einer ordentlichen Evaluierung. Das, was Sie hier dazu sagen, entspricht nicht dem
Inhalt Ihres eigenen Antrags.
({13})
Klar und unmissverständlich bekennt sich die Koalition zum Kampf gegen Rechtsextremismus.
({14})
Die 2006 auslaufenden Programme „CIVITAS“ und
„ENTIMON“ werden 2007 in gleicher Größenordnung
neu aufgelegt. Bestehende Einrichtungen können sich
mithilfe des Ministeriums auf die neue Programmstruktur bewerben und erhalten so schnell eine Anschlussfinanzierung. Uns wurde vorgeworfen, das ginge nicht.
Wir machen es! Wir sorgen dafür, dass das geschieht,
und andere reden nur darüber.
({15})
Zusätzlich werden 5 Millionen Euro dauerhaft für Beratungsnetzwerke bereitgestellt, die sicherstellen, dass
die erfolgreichen Opferberatungsstellen und mobilen
Beratungsteams nun in ganz Deutschland denjenigen
helfen, die dringend Hilfe gegen rechts brauchen. Wir
dürfen unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger hier nicht
allein lassen. Die Polizei allein kann es nicht richten.
Wir brauchen die Erfahrung, die hier in der gesamten
Bundesrepublik Deutschland gesammelt wurde. Das
stellen wir hiermit sicher.
({16})
Damit stehen im Haushalt 2007 insgesamt 24 Millionen Euro für den Kampf gegen rechts bereit. Noch vor
einem halben Jahr haben viele geglaubt, das sei etwas,
was wir nie hinbekommen würden, und glaubten, uns
Vorwürfe machen zu müssen. Alle Zweifler und Nörgler
wurden eines Besseren belehrt, auch wenn Zwischenrufe
hier und da das Gegenteil beweisen sollen. Diese kommen von Zweiflern und Nörglern, die glaubten, wir würden es nicht schaffen. Diese Koalition steht entschieden
für den Kampf gegen rechts. Wir werden alles dafür tun,
dass der Rechtsstaat gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus verteidigt wird.
Das machen wir auch in diesem Etat in Einzelplan 17.
({17})
Nach den Beratungen zu Einzelplan 17, der viel Positives enthält, gehört es sich, Frau Ministerin von der
Leyen, ein herzliches Dankeschön an Ihr Haus, Ihre beiden Staatssekretäre und Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszusprechen. Ich habe von allen Berichterstattern gehört, dass die Informationen von Ihrem Haus
zeitnah und sofort gegeben worden sind. Deswegen ist
es wichtig, dass hier festgestellt wird, dass die Zusammenarbeit gut und, was den Etat 2007 betrifft, ersprießlich war. Wir von der SPD sind froh über Ihr Wirken,
weil es dazu beiträgt - das sage ich immer wieder gerne -,
dass unsere neuen Freunde in der familienpolitischen
Realität ankommen. Ich denke, diese gute Zusammenarbeit sollte fortgesetzt werden.
({18})
Ich komme zum Schluss. Familie hat Konjunktur: über
20 000 neue Betreuungsplätze seit Beginn des Tagesbetreuungsausbaugesetzes, über 5 800 neue Ganztagsschulen durch Bundesmittel, 327 lokale Bündnisse für
Familien, Elterngeld, Absetzbarkeit von Betreuungskosten, Mehrgenerationenhäuser, frühe Hilfen für Kinder,
mehr Mittel für bürgerschaftliches Engagement, Stärkung des Zivildienstes als Lerndienst und mehr Mittel
gegen rechts. Sicherlich fällt einem noch das eine oder
andere ein. Allerdings kann man dieser Koalition nicht
vorwerfen, dass sie nichts für Familien tut. Der
Etat 2007 ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir zwar
noch nicht am Ziel, aber auf einem sehr guten Weg sind.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({19})
Nun hat das Wort die Kollegin Ekin Deligöz für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der von dieser Koalition häufig beschworene familienpolitische Aufbruch ist zumindest im Haushaltsplan
2007 nicht zu erkennen. Auch wenn Sie in den öffentlichen politischen Debatten glänzen - das hat die letzte
Woche wieder einmal gezeigt -, kann man diesen Aufbruch, wenn man sich konkret anschaut, was Sie gemacht haben,
({0})
nicht erkennen. So lassen sich die Haushaltszahlen nicht
interpretieren.
Ein paar konkrete Beispiele. Herr Schröder, Sie haben
gesagt, der Kinderzuschlag sei ein gutes Instrument.
Damit haben Sie Recht. Wir reden immer über prekäre
Einkommenssituationen, über Familienarmut und über
Kinderarmut. Wenn Sie aber einsehen, dass der KinderEkin Deligöz
zuschlag ein gutes Instrument ist, warum lassen Sie die
notwendige Weiterentwicklung dann zu einer peinlichen
Hängepartie werden? Warum haben Sie keine konkreten
Verbesserungsvorschläge? Sie sagen, das Instrument sei
zu bürokratisch. Warum ändern Sie das dann nicht? Warum verschweigen Sie das Ganze?
({1})
Vor lauter Selbstbeschäftigung gehen bei Ihnen von
der Koalition die Maßstäbe verloren. Sie wollen Familienpolitik zu einem Schwerpunkt der deutschen EURatspräsidentschaft machen. Das finde ich gut. Die großen Beiträge Deutschlands sollen die „Allianz für die
Familie“ und die Mehrgenerationenhäuser sein. Ich
finde, an diesem Punkt überschätzen Sie Ihre Arbeit ein
bisschen. „Allianz für die Familie“ bedeutet Öffentlichkeitsarbeit für Familien. Das ist notwendig und gut für
Deutschland; womöglich ist das wichtig. Glauben Sie
aber wirklich, dass ganz Europa darauf gewartet hat,
dass wir diesen Vorschlag unterbreiten und zeigen, dass
wir für Familien gute Öffentlichkeitsarbeit machen?
Glauben Sie wirklich, dass Mehrgenerationenhäuser in
Deutschland so überzeugend sind, dass man damit international aufwarten kann, ohne eine einzige Evaluation
im Inland dazu durchgeführt zu haben, ohne zu wissen,
welche Effekte dieses Instrument hat?
({2})
Wenn wir etwas in der Öffentlichkeit thematisieren sollten, dann das Phänomen, dass wir vom Ausland lernen
können, wie wichtig Frühförderung und Infrastruktur
als Instrumente der Chancengleichheit sind. Das können
wir von Europa lernen.
Wenn es um die konkrete Umsetzung Ihrer Modelle
geht, geraten Sie in eine langwierige und holprige Debatte.
({3})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Fischbach?
Ja.
Sehr geehrte Frau Kollegin Deligöz, ich erinnere
mich, dass Deutschland 1999 unter Rot-Grün die Ratspräsidentschaft innehatte. Können Sie kurz deutlich machen, welche Schwerpunkte Sie während dieser Ratspräsidentschaft in der Familienpolitik in Europa nach vorne
gebracht haben?
({0})
Frau Fischbach, wir haben nicht von Familienpolitik,
sondern von Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit gesprochen. Wir haben gesagt, dass wir die Phänomene Ausgrenzung und Armut europaweit ernst nehmen
und Instrumente entwickeln müssen, um gleichwertige
Lebensbedingungen in ganz Europa zu schaffen.
({0})
Der Unterschied zu Ihrem Ansatz liegt darin, dass
das, wozu wir gestanden haben, Hand und Fuß hatte. Es
ging nicht um billige Vorzeigeeffekte. Sie können doch
überhaupt nicht sagen, wozu das führen wird. Das war
keine Scheindebatte über etwas, was man gerne hätte,
aber im eigenen Land nicht umsetzen kann. Das war
auch keine hohle Debatte - wenn Sie es so nennen wollen -, bei der unter dem Strich nichts herausgekommen
ist. Ich bin übrigens froh darüber, weil es letztendlich
dazu geführt hat, dass wir jetzt europaweit eine Diskussion über Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit
führen. Das ist mehr als das, was Sie jemals in diesem
Land bewegt haben.
({1})
Ich komme noch einmal zur konkreten Umsetzung.
Die Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten finden Sie ganz toll. Inzwischen wissen wir aber, dass die
Kommunen gerade dabei sind, die Elternbeiträge für die
Kindergärten zu erhöhen. Die Kommunen holen sich das
Geld über die Elternbeiträge und sagen: Der Bund übernimmt die Kosten ja sowieso über die Absetzbarkeit.
Zahlen müssen dafür die Eltern.
Die Entstehung des Elterngeldes war langwierig; aber
nichtsdestotrotz haben wir sie kritisch, konstruktiv und
- wenn Sie es so haben wollen, Herr Schmidt - mit Änderungsanträgen begleitet. Eines können Sie doch nicht
verhehlen: Das beste Elterngeld wird scheitern, wenn
der Wiedereinstieg in den Beruf nicht möglich ist, weil
es an Betreuungsplätzen mangelt, weil in Deutschland
nicht genügend Kinderkrippenplätze vorhanden sind.
({2})
Wenn Sie sagen, die Eltern müssten halt ein bisschen
mehr Druck ausüben, damit Kinderbetreuung bereit gestellt wird, verkennen Sie die Realität. Erst letzte Woche
wurde eine Studie veröffentlicht, nach der 86 Prozent
der Eltern sagen, die Vereinbarkeit von Beruf und
Familie sei in Deutschland zurzeit sehr schwierig umzusetzen. In diesem Zusammenhang bedeutet das, was Sie
sagen: Daran sind sie selber schuld. Würden sie mehr
Druck ausüben, dann könnten sie das Problem
lösen. - Sie lassen die Eltern im Stich.
({3})
Das ist Ihre Art, Politik zu machen. Sie sagen einfach:
Die Eltern sind selber schuld, wenn sie es schwer haben.
Darum brauche ich mich ja nicht zu kümmern. - Diese
Politik ist verlogen. Gerade die Diskussion in Ihrer Partei zeigt, wie wichtig die Debatte über die Infrastruktur
ist. Denn sonst würden Sie zurzeit nicht so viel Wirbel
darum machen.
Apropos Wirbel, ich glaube ohnehin, dass Sie bei der
Diskussion über die Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten und kostenlose Kindergärten viel Parteipolitik und ziemlich wenig Fachpolitik machen. Sie wollen
sich parteipolitisch profilieren. Das klingt alles ganz gut.
Was sinnvoll und machbar ist, wollen Sie aber gar nicht
sehen; das ist für Sie nachrangig.
Der Finanzminister hat das Verhältnis von Transferund Infrastrukturleistungen zu Recht aufgegriffen. Wir
brauchen mehr Investitionen in die Infrastruktur. Denn
drei Dinge stehen fest:
Erstens. Familientransfers sind in Deutschland wenig
effektiv.
Zweitens. Wir brauchen Qualität und Quantität bei
den Betreuungs- und Bildungseinrichtungen.
Drittens. Zusätzliche Mittel sind im Moment schwer
aufzubringen.
({4})
Statt etwas Konkretes zu unternehmen, reden Sie über
virtuelle, nicht existierende Mittel. Wir haben Ihnen einen ganz konkreten Vorschlag gemacht: Nehmen Sie das
Ehegattensplitting. Es hat den Vorteil, dass die Mittel
dafür schon existieren. Sie sind vorhanden und nicht nur
virtuell. Vor allem dienen sie derzeit dazu, die Ehe zu
fördern. Schichten Sie das vorhandene Geld in Richtung
direkter Kinderförderung um! Dann können Sie damit
etwas Konkretes erreichen und müssen keine Geisterdebatten führen. Sie könnten mit dem Geld übrigens auch
bewirken, dass man in Deutschland einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung für unter Dreijährige bekommt. Wir, die Grünen, haben mit der Kinderbetreuungskarte einen Vorschlag gemacht. Dieser ist konkret
und verfassungsrechtlich möglich. Den können Sie sofort umsetzen. Warum tun Sie es nicht?
({5})
Sie kündigen Beitragsfreiheit für Kindergärten an.
Dabei waren die Fachpolitiker unter Ihnen im Familienausschuss anwesend, als Professor Rauschenbach gesagt
hat, dass gerade Beiträge in der Debatte über die Inanspruchnahme der Kinderbetreuung nachrangig sind und
überhaupt nicht zu Chancengleichheit führen, weil
Haushalte mit geringen Einkommen und Hartz-IV-Empfänger ohnehin keine oder kaum Beiträge in den Kindergärten zahlen, und dass wir stattdessen Qualität in den
Einrichtungen brauchen. Wir brauchen auch Quantität,
weil die größten Defizite - das zeigt Ihnen die Debatte
über das TAG - in der frühkindlichen Förderung, in den
Kinderkrippen und in den Ganztagseinrichtungen bestehen.
({6})
Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land wollen
konkrete Lösungen. Diese konkreten Lösungen liegen
auf der Hand. Unsere Kinderbetreuungskarte ist eine
Antwort darauf. Die Frage ist, ob es Ihnen gelingen
wird, bei all den ganzen Sonntagsreden, die Sie zurzeit
in den Medien halten, etwas Konkretes zu leisten.
Meine Damen und Herren von der großen Koalition,
Sie wissen, was Sie eigentlich zu tun hätten. Ob Sie den
Mut dazu haben, daran habe ich aber meine Zweifel.
({7})
Für die Bundesregierung hat nun die Bundesministerin Frau Dr. Ursula von der Leyen das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Jahr
ist die große Koalition im Amt. Ein Jahr Familienpolitik
hat etwas bewegt. Mit dem Einzelplan 17 wollen wir
jetzt die Grundlage dafür schaffen, dass wir auch im
nächsten Jahr erfolgreich handeln können. In diesem
Einzelplan sind die eigenständigen Politikfelder Familie,
Senioren, Jugend und Frauen eng miteinander verwoben.
Wenn man es genau nimmt, ist es so, dass man keine
vollständige Familienpolitik machen kann, wenn man
nicht gleichzeitig die Gleichstellung von Männern und
Frauen berücksichtigt. Man kann keine vollständige Familienpolitik machen, wenn man sich nicht auch mit der
Situation von Älteren und Hochbetagten beschäftigt, ihnen Perspektiven aufzeigt bzw. Fürsorge gewährt. Man
kann auch keine vollständige Familienpolitik machen,
ohne den Heranwachsenden Chancen auf frühe Bildung
und Erziehung zu geben.
Deshalb haben wir im Haushalt für das Jahr 2007
erstmals die Titel für Familien-, Senioren- und Gleichstellungspolitik zusammengelegt. Das ist eine formale
Vereinfachung. Aber es ist auch ein Zeichen, dass es uns
darum geht, übergreifend zu handeln, Zusammenhänge
zu berücksichtigen und alle Generationen in den Blick
zu nehmen.
Herr Fricke, ich war ein wenig erstaunt, als Sie mir
eben vorgeschlagen haben, eine Art stellvertretende Finanzministerin zu werden und den Kindern in einigen
Jahren zu sagen, dass die Schulden begrenzt worden
sind. Was die Zielrichtung angeht, stimme ich Ihnen völlig zu: Die Schulden müssen begrenzt werden. Aber angesichts knapper Ressourcen und aufgrund der Tatsache,
dass es unendlich viele Interessengruppen und Themen
gibt, um die gerungen wird, ist meine Aufgabe als Familienministerin doch nicht, mich hinter den Finanzminister zu stellen. Meine Aufgabe ist vielmehr, eine Bresche
zu schlagen, damit trotz knapper Ressourcen dennoch
möglichst viel für die Familien getan wird. Ich will also
keine zweitklassige Finanzministerin sein, sondern eine
erstklassige Familienministerin.
({0})
Deshalb ist es nur folgerichtig, dass die Mittel, die im
kommenden Jahr für den Einzelplan 17 veranschlagt
werden, im Vergleich zum abgelaufenen Jahr erhöht
werden. Es ist schon mehrfach erwähnt worden, dass wir
statt der 4,5 Milliarden Euro nun 5,2 Milliarden Euro für
das Jahr 2007 vorgesehen haben; das ist primär auf das
Elterngeld zurückzuführen.
Frau Deligöz, an dieser Stelle komme ich auf Ihre Bemerkungen zur EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands zu
sprechen. Zunächst einmal Folgendes: Mein Verständnis
der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ist nicht, dass wir
die anderen Länder bevormunden bzw. ihnen zeigen
sollten, was wir besser können als sie. Unsere Aufgabe
ist vielmehr, im Rahmen unserer Präsidentschaft Ideen
und Erfahrungen zusammenzuführen. Die „Europäische
Allianz für die Familien“ hat genau dieses Ziel: in
Europa voneinander zu lernen. Denn aufgrund des demografischen Wandels haben wir keine Zeit mehr,
Versuche durchzuführen und nach dem Prinzip „trial and
error“ zu lernen.
Zum Beispiel haben wir etwas über das Thema Elterngeld gelernt. Das hat dazu geführt, dass wir es in
Deutschland eingeführt haben. Ebenso können wir im
Hinblick auf die Kinderbetreuung und die frühkindliche
Förderung lernen. Es geht um die Frage: Wie ist dieser
Bereich in anderen Ländern organisiert? In England beispielsweise wird er relativ stark privat finanziert, in den
skandinavischen Ländern relativ stark staatlich.
Eine „Europäische Allianz für Familien“ zu bilden,
bedeutet auch, ein Informationsnetzwerk und einen Forschungsverbund zum Thema demografischer Wandel
ins Leben zu rufen; denn der europäische Kontinent wird
mit diesem Problem am meisten konfrontiert sein. Dass
diese Absicht richtig ist, zeigt sich schon an der Tatsache, dass wir inzwischen sowohl die Unterstützung des
Sozialkommissars Spidla als auch die Unterstützung von
Herrn Verheugen haben. Wir haben zwischen den unterschiedlichen Interessen und Ansätzen dieser beiden
Kommissare, die für verschiedene Themen verantwortlich sind, ein großes Band gespannt.
Es ist selbstverständlich, dass wir im Rahmen der vorhandenen Best-Practice-Modelle auch das Thema Mehrgenerationenhäuser berücksichtigen. Wenn man sich
die Zahlen für Europa anschaut, sieht man, dass gegenüber heute, wo 460 Millionen Menschen in Europa leben, bis 2050 10 Millionen weniger in Eu-ropa leben
werden. Das ist nicht weiter dramatisch. Aber zugleich
wird es dann 50 Millionen Menschen im Erwerbstätigenalter weniger geben als heute, während sich die Anzahl der über 80-Jährigen bis dahin verdreifachen wird.
Als das Land, das wahrscheinlich schon bald die älteste
Bevölkerung der Welt haben wird, muss Deutschland
Antworten geben auf den demografischen Wandel. BestPractice-Beispiele wie die Mehrgenerationenhäuser zu
zeigen, verstehe ich als Aufgabe unserer Präsidentschaft
im Europäischen Rat.
({1})
Deshalb freut es mich, dass das Aktionsprogramm
„Mehrgenerationenhäuser“ 2007 erstmals in voller Höhe
finanziell umgesetzt wird. Es freut mich auch, dass es
gelungen ist, die Mittel für Jugendmaßnahmen aufzustocken. Frau Golze, ich habe gestaunt, dass man bei Ihnen
vor Plattheiten nie gefeit ist. Sie haben den Zeitraum von
2000 bis 2004 betrachtet. Ich darf Sie darauf hinweisen,
dass der Regierungswechsel in Niedersachen erst 2003
erfolgte; davor gab es eine andere Landesregierung.
Also demnächst etwas genauer recherchieren, bevor Sie
mich für alles verantwortlich machen!
({2})
Die Mittel für den Kinder- und Jugendplan sind erhöht worden. Es ist schon mehrfach erwähnt worden,
dass es vor allen Dingen auf drei Feldern zusätzliche
Mittel geben wird. Sehr erfreulich sind die zusätzlichen
5 Millionen Euro für das neue Programm „Jugend für
Vielfalt, Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“.
Ganz entscheidend ist das Wort „zusätzlich“. Das heißt,
diese Mittel sind nicht aus dem Haushalt des Bundesfamilienministeriums gekommen. Mein besonderer Dank
geht an die Familienpolitikerinnen und -politiker, aber
auch an unsere Berichterstatter im Haushaltsausschuss,
die sich konsequent dafür eingesetzt haben, dass das
möglich ist. Wir werden die zusätzlichen Mittel gezielt
für die Förderung von Beratungsnetzwerken einsetzen.
Ein wesentlicher Bestandteil wird der Aufbau einer bundesweiten Struktur der mobilen Krisenintervention sein.
Dort sollen die Kompetenzen der bisher im Programm
„Civitas“ arbeitenden mobilen Beratungsteams und Opferberatungsstellen integriert werden.
Es ist mehrfach angesprochen worden - deshalb
werde ich es kurz machen -, dass eine zusätzliche Million Euro für die Jugendfreiwilligendienste zur Verfügung steht. Wir wollen damit ein ESF-Programm kofinanzieren, mit dem gezielt versucht werden soll,
benachteiligte Jugendliche für die Freiwilligendienste zu
gewinnen. Eine weitere Aufstockung um 1 Million Euro
wird es zugunsten der Jugendverbandsarbeit geben.
({3})
Lassen Sie mich kurz zum Thema „Zivildienst als
Lerndienst“ Stellung nehmen. Bei diesem Tietel geht es
um Kompetenzen. Ich denke - ich habe es mehrfach gesagt, möchte es aber noch einmal sagen -, meine Aufgabe ist es nicht, über den Wehrdienst zu philosophieren,
sondern über den Zivildienst als Zeit, die junge Männer
ableisten. Wir sind verantwortlich dafür, dass diese Zeit
so sinnvoll wie irgend möglich gestaltet wird. Deshalb
steht hinter Projekten zu „Zivildienst als Lerndienst“ die
Idee, dass jungen Männern das, was sie während ihres
Zivildienstes lernen, auch an manch anderer Stelle im
Leben von Nutzen sein kann, ob im Beruf, ob im Ehrenamt oder in der Familie. Wir wollen deshalb die Zivildienstlehrgänge, aber auch die Einarbeitung und Begleitung in den Dienststellen - die jungen Männer
verbringen dort ja mehrere Monate - viel stärker am Gedanken des Lerndienstes ausrichten. Ich denke, es ist ein
hervorragendes Ziel, so etwas zu zertifizieren, damit es
später - gerade bei benachteiligten Jugendlichen - in der
Berufsausbildung anerkannt werden kann.
Ich möchte ganz klar sagen, dass man hier unterscheiden muss. Diese inhaltliche Weiterentwicklung ist völlig
unabhängig davon, dass der Haushaltsausschuss uns aufgefordert hat, in den nächsten Wochen Entscheidungen
über die Schließung von Zivildienstschulen herbeizuführen. Insgesamt sollen nach 2008 drei Standorte betroffen sein. Die anstehenden Entscheidungen müssen
nach Sachkriterien getroffen werden. Das Ministerium
arbeitet an den entsprechenden Vorbereitungen und wird
die notwendigen Mitwirkungsverfahren einleiten.
Natürlich sind bei den Zivildienstschulen dadurch
Verunsicherungen entstanden. Wer die Vorgeschichte
aus der vergangenen Legislaturperiode kennt - ich habe
mir erzählen lassen, dass manch einer oder eine hier im
Raum das in der vergangenen Legislaturperiode miterlebt hat -, der weiß aber, dass es in erster Linie um den
Abbau eines schon jetzt bestehenden Bettenüberhangs
geht. Das heißt, der Zivildienst an sich ist gesichert.
Diesbezüglich bleibt es auch bei den Vereinbarungen im
Koalitionsvertrag.
({4})
Mein Anliegen ist, dass nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Zivildienstleistenden selbst stärker von ihrem Dienst profitieren.
Damit ist meine Redezeit zu Ende; das heißt, ich
komme auch inhaltlich zu einem Schlusspunkt.
Meine Damen und Herren, unsere Gesellschaft wird
älter. Das ist die Grundtatsache des demografischen
Wandels. Jetzt ist vielleicht der richtige Moment, dass
auch ich Ihnen, Herr Fricke, ganz herzlich zum Geburtstag gratuliere.
({5})
- Das war keine Anspielung. Das ist nachher eine
Schachtel Pralinen wert.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch die Gelegenheit nutzen, mich bei allen Berichterstattern sehr
herzlich für die sehr gute Zusammenarbeit zu bedanken.
Ich denke, durch diese sehr gute Zusammenarbeit ist es
gelungen, den Haushalt auf ganz solide Füße zu stellen,
einen Haushalt, durch den für alle Generationen Bewährtes gesichert und gleichzeitig - das ist mir wichtig neue Akzente gesetzt werden.
Vielen Dank.
({6})
Nun hat die Kollegin Ina Lenke für die FDP-Fraktion
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
von der Leyen, seit die große Koalition im Amt ist, steigen die Belastungen für die Familien rapide an. Besonders durch die Mehrwertsteuererhöhung wird ein Loch
in die Familienkassen gerissen
({0})
- Sie können so viel lamentieren, wie Sie wollen -; denn
das Geld, das den Familien monatlich zur Verfügung
steht, geht doch in den Konsum.
Sie haben der Erhöhung der Mehrwertsteuer zugestimmt und gleichzeitig notwendige Reformen unterlassen. Ich will Ihnen ein Beispiel dafür nennen, nämlich
notwendige Anschaffungen für Kinder. Für Pampers
müssen zum Beispiel 19 Prozent Mehrwertsteuer gezahlt
werden, während der Staat beim Kauf von Rennpferden
lediglich 7 Prozent verlangt. Wenn Sie für die Familien
also etwas tun wollen, dann fordern Sie von Ihren Finanzpolitikern eine Reform hinsichtlich des verringerten Mehrwertsteuersatzes. Hiermit sollten Sie sich einmal an Herrn Steinbrück wenden.
({1})
2005 erfolgte die Streichung der milliardenschweren
Eigenheimzulage. Die Bundestagsabgeordneten der
großen Koalition verlangen Verbesserungen für die Familien hinsichtlich der Altersvorsorge. Bis heute ist
nichts passiert und bis heute hat die große Koalition kein
geeignetes Mittel dafür gefunden, damit das Hauseigentum als Altersvorsorge genutzt werden kann.
Meine Damen und Herren, ich will ganz kurz auf die
Gesundheitsreform eingehen. Die Bundesregierung verspricht, Steuermittel für Kinder einzusetzen, damit sie in
der gesetzlichen Krankenversicherung beitragsfrei mitversichert werden. Wenn man das tut, dann muss es auch
Entlastungen für die Kinder in der privaten Krankenversicherung geben. Ansonsten wäre das verfassungsrechtlich äußerst bedenklich. Frau Ministerin, ich bitte Sie,
dass Sie sich dafür einsetzen. Die Position der FDP ist
sehr klar: Wir wollen, dass für die Kinder in der Bundesrepublik Deutschland nach der Reform keine Beiträge
mehr gezahlt werden müssen.
Eine weitere Kritik geht direkt an das Familienministerium. Bis heute hat Bundeskanzlerin Merkel ihre Zusage nicht eingehalten, den Städten und Gemeinden
1,5 Milliarden Euro für den Ausbau von Krippenplätzen zukommen zu lassen. Herr Schmidt, gerade Sie als
Kommunalpolitiker der SPD sollten dafür sorgen, dass
dieses Geld fließt.
Meine Damen und Herren, es ist gut, dass die Kosten
für die Kinderbetreuung als Werbungskosten besser von
der Einkommen- und der Lohnsteuer abgesetzt werden
können. Diese Koalition sagt aber, dass nur zwei Drittel
der beruflich bedingten Kinderbetreuungskosten abgesetzt werden können. Das kann ich nicht nachvollziehen.
Hierzu ist keine Erklärung gegeben worden. Mir ist bekannt, dass schon Gerichtsverfahren anhängig sind. Die
Mütter und Väter, die das Gericht anrufen, werden sicherlich Recht bekommen.
({2})
Ich möchte noch kurz auf das Elterngeld eingehen,
das ursprünglich als Lohnersatzleistung geplant war. Wir
haben das grundsätzlich unterstützt. Ich möchte aber unsere Kritik an dem Elterngeldkonzept aufzeigen.
Erstens. Gegen massive Bürgerproteste wurde beim
Elterngeld die Stichtagsregelung zum 1. Januar 2007
eingeführt, Herr Schmidt. Das neue Elterngeld wird nur
dann gezahlt - das wissen die Leute noch gar nicht -,
({3})
wenn das Kind erst im neuen Jahr geboren wird. Alle
Kinder, die zum Beispiel am 30. oder 31. Dezember dieses Jahres geboren werden, gehen beim Elterngeld leer
aus.
Ich war gestern in Sachsen-Anhalt. Es war sehr erstaunlich, welche Antworten mir dort gegeben wurden.
Mir wurde gesagt - und das auch noch von Erzieherinnen -, sie bekämen ab 1. Januar 2007 67 Prozent ihres
Einkommens, höchstens aber 1 800 Euro. Von daher
werden die Bürger und Bürgerinnen große Enttäuschungen erleben, wenn dieses Geld dann doch nicht fließt.
Herr Schmidt, ich habe bereits vorhin gefragt - darauf
haben Sie aber keine Antwort gegeben -,
({4})
wie es sich verhält, wenn Vater und Mutter im ersten Lebensjahr gemeinsam auf das Kind aufpassen wollen.
Dann gibt es nach dem Gesetz nur sieben Monate Elterngeld. Das verschweigen Sie. Auch Frau von der Leyen
äußert sich nicht dazu. Dieser Punkt wird einfach beiseite geschoben und verschwiegen. Das ist unserer Meinung nach nicht richtig.
({5})
Ich möchte auf die Steuerklasse V zu sprechen kommen. Im Koalitionsvertrag ist eine Neuregelung der
Steuerklassen vereinbart worden. Die Einstufung in
Steuerklasse V ist nachteilig für erwerbstätige Frauen.
({6})
Das gilt auch für das Elterngeld. Bei einem Bruttogehalt
von 2 000 Euro erhält eine Mutter, die in Steuerklasse V
eingestuft ist, 390 Euro monatlich weniger Elterngeld als
eine Frau in Lohnsteuerklasse III.
({7})
Wenn Sie das nicht selber als sozialpolitische Untat darstellen, dann muss es die Opposition tun.
Zweitens. Auch die Studierenden und die Auszubildenden verlieren durch Ihre neuen Elterngeldregelungen
Geld.
({8})
- Natürlich, Frau Kressl.
({9})
Früher bekamen Studentinnen zwei Jahre lang 300 Euro
monatlich. Künftig bekommen sie nur ein Jahr lang
300 Euro Elterngeld monatlich.
({10})
Wir haben deshalb die Einführung eines Baby-BAföG
vorgeschlagen, damit Mütter, die BAföG erhalten, nicht
in eine Notlage kommen und ihr Studium unterbrechen.
Ich habe mir diese Punkte bei einem Besuch im Studentenwerk in Dresden vorhalten lassen müssen; aber
ich konnte auf die große Koalition verweisen. Diese Entscheidungen zum Elterngeld müssen Sie noch einmal
prüfen und ändern.
Ich habe auch zu kritisieren, dass Sie den Kinderzuschlag bisher nicht abgeschafft, umgewandelt oder verändert haben. Bis November 2005 wurden 660 000 Anträge gestellt; nur 50 000 sind bewilligt worden. Das
lähmt die Verwaltung, schafft Verdruss bei den Antragstellern und erreicht nicht das selbst gesteckte Ziel, Familien mit Kindern vor Hartz IV zu bewahren. Dass das
Thema bei den Abgeordneten von SPD und CDU/CSU
nicht zur Sprache kommt und dass aus diesen beiden
Fraktionen auch keine Vorschläge kommen, finde ich
sehr erstaunlich.
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf den Zivildienst zu sprechen kommen. Wir sind dafür, Frau von
der Leyen, dass der Zivildienst als Lerndienst ausgestaltet wird.
({11})
Solange die Wehrpflicht nicht abgeschafft ist, müssen
wir für Verbesserungen beim Zivildienst sorgen. Das ist
richtig.
({12})
Sie haben aber im Haushaltsausschuss - ich glaube,
nicht ganz ohne Beteiligung des Familienministeriums schon jetzt beschlossen, dass drei Zivildienstschulen geschlossen werden, obwohl an allen Zivildienstschulen
Modellversuche laufen, um den Zivildienst als Lerndienst umzugestalten. Wie kann man vonseiten des
Haushaltsausschusses in bereits laufende Modellprojekte
eingreifen? Warum warten Sie nicht, bis die Modellversuche Anfang 2007 abgeschlossen und evaluiert werden? Dann können wir weitersehen. Dann werden wir
sehen, ob Zivildienstschulen geschlossen werden müssen. Wenn dem so ist, sind wir dabei und werden unseren
Beitrag dazu leisten.
Ich komme zum Schluss. Ich möchte Ihnen noch ein
„Spiegel“-Zitat vom Juni 2006 zur Kenntnis geben:
Zivildienstleistende werden oft ohne ausreichende
Schulung in der Alten- und Krankenpflege eingesetzt. Nur etwa die Hälfte der für Pflegehilfe oder
Betreuungsdienste eingeteilten Zivis habe im
vergangenen Jahr die gesetzlich vorgeschriebenen
Vorbereitungslehrgänge absolviert …
Das hat der Ministerin bislang noch niemand gesagt. Die
FDP will keine Ad-hoc-Schließung von Zivildienstschulen
({13})
wie etwa in Buchholz oder Ith bei Holzminden, bevor
das Konzept des Lerndienstes steht. Wir von der FDP
wollen auch in diesem Haushalt sparen und haben deshalb ein liberales Sparbuch aufgelegt. Da wir aber nicht
willkürlich sparen wollen, müssen die Modellvorhaben
im Rahmen des Zivildienstes erst einmal beendet und
ausgewertet werden. Dann müssen wir weitere Entscheidungen treffen.
({14})
Ich erteile nun das Wort der Kollegin Nicolette Kressl
für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Frau Lenke, die Redlichkeit erfordert einige Klarstellungen zum Thema Elterngeld. Was ich ganz besonders
scheinheilig finde, ist, dass Sie sich in Ihrer Rede als die
Hüterin und Beschützerin von Hartz-IV-Familien dargestellt haben. In Wirklichkeit haben Sie aber im Haushaltsausschuss beantragt, die Mittel für das Elterngeld
um 200 Millionen Euro zu kürzen. Den Familien, die
ALG II bekommen, sollte das Elterngeld angerechnet
werden. Ich finde, Sie führen eine unredliche Debatte.
({0})
Ihre Aussage, dass Studierende pauschal benachteiligt
würden, entbehrt jeder Grundlage.
({1})
Sie haben gerade gesagt, Studierende erhielten in Zukunft nur ein Jahr Elterngeld, und haben daraus eine
pauschale Schlechterstellung abgeleitet. Das ist aber
nicht die Wahrheit. Die Wahrheit ist, dass sehr viele Studierende, die zusätzlich erwerbstätig sind und beispielsweise rund 500 Euro im Monat verdienen, in Zukunft,
wenn sie Elterngeld bekommen, genauso gut bzw. sogar
besser gestellt sind, weil sie aufgrund unserer Geringverdienerregelung pro Monat wesentlich mehr bekommen
können als die bisherigen 300 Euro. Die Redlichkeit erfordert, dass Sie bei der Wahrheit und den Fakten des
Gesetzes bleiben.
Ich will deutlich machen, dass der Haushalt für Familie, Senioren, Frauen und Jugend widerspiegelt, welche
politischen Rahmenbedingungen für Menschen fast jeden Alters geschaffen werden können; hier geht es um
Lebensläufe. Die entscheidenden Fragen sind: Was erwarten Menschen von der Familie? Was erwarten wir,
die Gesellschaft, dass die Familie leisten soll? Was kann
sie noch leisten? Ich glaube, angesichts dessen, was alles
inzwischen auf Eltern einströmt, lohnt es sich, eine
Grundsatzdebatte darüber zu führen, wann Eltern überfordert sind.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Lenke?
Das hat schon fast Tradition. Bitte.
Bitte, Frau Lenke.
Frau Kressl, ich weise das zurück. Sie haben mir Unwahrheit unterstellt.
({0})
- Ich frage. - Ist es richtig, dass Studentinnen bislang
zwei Jahre Erziehungsgeld in Höhe von 300 Euro monatlich bekommen und nun nur noch zwölf bzw.
14 Monate Elterngeld? Nur diese Frage brauchen Sie
mir zu beantworten.
Liebe Frau Lenke, was ich als scheinheilig kritisiert
habe, ist, dass Sie behauptet haben, es gebe eine grundsätzliche Schlechterstellung.
({0})
Sie haben das nämlich nicht differenziert. Ihnen ist
dabei offensichtlich entgangen, dass zum Beispiel zwölfmal 500 Euro mehr sein kann - Jetzt haben Sie mich doch durcheinander gebracht.
Wenn das monatliche Elterngeld höher als die bisherigen
300 Euro Erziehungsgeld ist - ({1})
- Ja, natürlich.
Wenn eine Studierende zusätzlich erwerbstätig war - ({2})
- Ich glaube, Sie, Frau Lenke, sind etwas weit von der
Realität entfernt, wenn Sie sagen, es gebe keine studierenden Frauen und Männer, die gleichzeitig noch erwerbstätig sind.
({3})
Ich sage Ihnen noch einmal: Es gibt keine pauschale
Schlechterstellung von Studierenden. Das können Sie
einfach nicht behaupten. Es geht darum, wie viel Elterngeld tatsächlich bezahlt wird. Es kann sein, dass es sehr
viel mehr als 300 Euro sind. Ich bitte Sie, das einfach
nachzurechnen.
({4})
Ich war gerade bei der Überlegung, welche politischen Zusammenhänge und welche Werte wir bei dem
Haushalt für Familie, Senioren, Frauen und Jugend deutlich machen wollen. Ich habe davon gesprochen, dass
Menschen bestimmte Erwartungen haben, was ihnen
Familie bringt, aber dass auch die Gesellschaft bestimmte Erwartungen hat, zum Beispiel dass die Familie
mindestens so stark wie die Schule ein Ort der Bildung
und ein Ort der Möglichkeit, sich selbst zu entwickeln,
ist. Dies bedeutet, dass wir sehr genau überlegen müssen, welche politischen Rahmenbedingungen wir setzen
und welche politischen Weichen wir stellen. Wir können
wenig verordnen und wir sollten nicht verordnen, wie
sich Familien entwickeln und wie sie leben. Wir können
aber zum Beispiel dann unterstützend eingreifen, wenn
es darum geht, ob sich junge Paare für Kinder entscheiden. Dass der Staat in diesem Bereich Entwicklungen
unterstützen kann, ist offenbar. Ich halte es für wichtig,
dass diese Unterstützung für uns kein Tabu mehr ist. Es
ist eine uralte und leider auch deutsche Tradition, zu
glauben, in Familien entwickle sich alles von alleine ordentlich und wir müssten nur Geld in die Familien investieren. Da hat uns die Wirklichkeit überholt. Es muss ein
Zusammenspiel zwischen den Maßnahmen des Staates
geben, mit denen er unterstützt und fördert, und denen,
mit denen er Fehlentwicklungen entgegensteuert.
({5})
In dieser Hinsicht muss das Wächteramt des Staates
für uns entscheidend sein. Das muss in allem, was wir
tun, deutlich werden. Das Wächteramt des Staates ist
nicht nur über Vorschriften und Zwang zu definieren,
sondern auch darüber, wie wir Familien und Eltern unterstützen. Ich will ein Beispiel nennen. In diesem Haushalt finden sich auch 10 Millionen Euro, die für den Aufbau eines Frühwarnsystems zum Schutz der Kinder und
zur Unterstützung der Erziehungsfähigkeit der Eltern
eingesetzt werden. Ich glaube, das ist der richtige Ansatz. Man muss aber auch sagen, dass dieser Ansatz nie
das Handeln vor Ort wird ersetzen können. Wir sind
vielmehr in der Situation, dass wir eine stärkere Vernetzung der verschiedenen Ebenen brauchen. Das ist etwas,
was wir als Staat für das Wohl des Kindes noch besser
und intensiver als bisher auf den Weg bringen müssen.
({6})
Wir sind überzeugt, dass zu dieser Vernetzung, einer
Vernetzung zwischen den Generationen, auch die Mehrgenerationenhäuser beitragen können. Wir starten jetzt
in die zweite Phase der Ausschreibung. Ich glaube, dass
zur Akzeptanz dieser Häuser noch stärker als bisher beitragen kann, dass die Menschen vor Ort erkennen können, nach welchen Kriterien die Vergabe bei den Mehrgenerationenhäusern vor sich geht.
({7})
Zur Antwort auf die Frage, wie wir die Familien unterstützen können, gehören für mich auch die Programme gegen Rechtsextremismus oder die für Demokratie und Toleranz. Wir müssen uns fragen: Was kann
die Familie an Demokratieverständnis vermitteln? Welches Demokratieverständnis gibt es im gesellschaftlichen Raum? Wie können wir Verführungen deutlich machen und die jungen Leute auf einen anderen Weg
bringen?
Deshalb ist es gut, dass wir den Ansatz für die ursprünglichen Programme bei 19 Millionen Euro gehalten haben. Auf der anderen Seite halte ich es für ganz
entscheidend, dass wir zusätzlich 5 Millionen Euro für
Programme gegen Rechtsextremismus zur Verfügung
gestellt haben, damit für diese Programme nicht mehr
die Gefahr besteht, dass sie auslaufen, weil wir haushaltsrechtliche Probleme damit hatten, Modellprojekte
weiterzuführen. Diese 5 Millionen Euro können jetzt der
Anstoß dafür sein, die Programme und die Opferberatung dauerhaft zu etablieren. Das ist ein ganz wichtiges
Signal, das weit über das Problem des Rechtsextremismus hinausgeht und die Demokratie bei uns auch ganz
stark unterstützt. Wir werden uns mit Ihnen gemeinsam,
Frau Ministerin, sehr stark dafür engagieren, dass wir die
besten Wege finden, um diese Programme zu etablieren
und zu installieren.
({8})
Zu den von mir angesprochenen Rahmenbedingungen, die wir mit diesem Haushalt für Familien gestalten
können, gehört auch eine verbesserte Sicherheit für
Paare, die sich noch überlegen: Werden wir uns für Kinder entscheiden oder nicht?
({9})
Und vor allem, wenn sie sich für Kinder entscheiden:
Werden wir uns unseren Kinderwunsch erfüllen können
oder nicht? Ich halte es für ganz wichtig, nicht vorrangig
mit der demografischen Entwicklung und nicht nur zahlenmäßig zu argumentieren. Natürlich brauchen wir
mehr Kinder; das ist so. Aber wir haben in Deutschland
die Situation, dass sich junge Menschen ihren Kinderwunsch noch nicht erfüllen. Für mich ist das allererste
und wichtigste Ziel, mit verbesserten Rahmenbedingungen zu erreichen, dass sich Familien den Kinderwunsch
wirklich erfüllen können.
Dazu gehören zwei wichtige Punkte. Einer ist das Elterngeld, weil es für das erste Lebensjahr des Kindes, in
dem sich Eltern verstärkt um ihr Kind kümmern wollen,
eine materielle Sicherheit gibt. Es ist im Übrigen auch
gleichstellungspolitisch wichtig, weil ab 1. Januar die
Väter, die sich ja zu über 50 Prozent gerne für eine gewisse Zeit um ihr Kind kümmern würden, es aber bisher
aus rein materiellen Erwägungen - sie sagen: Unserer
Familie wird zu viel Geld fehlen - nur zu 5 Prozent tun,
nicht mehr gezwungen sein werden, sich gegen das Betreuen ihres Kindes zu entscheiden. Sie können sich jetzt
eben frei entscheiden.
({10})
Auch den zweiten Punkt halte ich für ganz entscheidend: Wir werden zusätzlich zum Elterngeld für den
Ausbau von Betreuungsangeboten kämpfen müssen.
Da haben wir mit dem TAG bereits etwas auf den Weg
gebracht, aber alle Experten sagen uns: Die 230 000
Plätze für unter Dreijährige, die im TAG vorgesehen
sind, werden nicht reichen. Da macht es Sinn, über einen
weiteren Mosaikstein in unserem familienpolitischen
Konzept nachzudenken und gemeinsam zu überlegen,
wie wir uns noch intensiver um den schnellen Ausbau
von Betreuungsangeboten kümmern können. Dieser
Puzzlestein muss dringend von uns noch verstärkt werden.
Vielen Dank.
({11})
Bevor ich nun der nächsten Rednerin das Wort erteile,
hat der Kollege Otto Fricke von der FDP das Wort zu einer Kurzintervention.
Frau Kollegin Kressl, Sie haben das schöne Vorurteil
von der ach so bösen und angeblich sozial kalten SPD
angesprochen.
({0})
- Ja, FDP. Ich merke, ich gehe in die Richtung, in die ich
eigentlich will.
({1})
Ich höre meinen nordrhein-westfälischen Landesvater
Rüttgers zu häufig und deswegen passiert mir so etwas.
Ich bitte um Entschuldigung.
Frau Kressl, Sie haben gesagt, die FDP habe einen
Antrag auf Kürzung um 200 Millionen Euro gestellt, da
sie dagegen sei, Hartz-IV-Empfängern Elterngeld zu
zahlen. Wir sind da nicht allein. Sie wissen, dass auch
andere sagen, das passe nicht ins System. Ich will Ihnen
auch begründen, warum wir dieser Auffassung sind. Es
ist nicht so, dass wir glauben, es bestehe keine Notwendigkeit für eine entsprechende finanzielle Unterstützung.
Unsere Haltung hat ihren Grund allein in dem Sinn des
Elterngeldes - die Ministerin hat mit dem Hinweis darauf immer wieder zu Recht gewuchert -: Das Elterngeld
soll die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern.
Wir sind uns doch darin einig - sosehr wir uns das Gegenteil wünschen -: Hartz-IV-Empfänger haben keinen
Beruf. Falls man Hartz-IV-Empfängern Elterngeld
zahlte, ginge es bei ihnen nicht um die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf.
({2})
Man kann auch argumentieren: Elterngeld für Hartz-IVEmpfänger ist eine soziale Leistung. Wenn man das tut,
müssen die Koalition und gerade die SPD zugeben, dass
Hartz IV für Hartz-IV-Empfänger mit Kindern nicht ausreicht. Das müssen sie hier deutlich sagen und sie dürfen
nicht den fiesen kleinen Umweg über das Elterngeld
gehen. Außerdem müsste man Hartz-IV-Empfängern
konsequenterweise länger als zwölf Monate Elterngeld
zahlen. Man müsste doch sehen: Ein Hartz-IV-Empfänger mit einem Kind rutscht nach einem Jahr in eine Lücke. Das hieße, dass Kinder ab dem zweiten Jahr weniger wert sind.
Diese Widersprüche haben uns gezeigt, dass das Elterngeld keine Lösung ist. Die Koalition muss sich schon
bemühen, dieses Problem anders zu lösen. Das Vorgehen
der Koalition ändert nichts daran, dass Eltern - leider von Transferleistungen abhängig sind, wenn sie keinen
Arbeitsplatz haben.
Letzter Punkt: Zivildienst. Ich will allen Koalitionären sagen, die hier noch behaupten, sie wollten nur eine
Zivildienstschule schließen: Die Koalition will letztlich
drei Zivildienstschulen schließen. Wir, die FDP, stimmen
dem zu. Wir, die FDP, gehen nicht den einfachen Weg
und sagen: Macht diese schwierige Angelegenheit doch
alleine. Zum Wie sagen wir, lieber Kollege Schmidt: erst
evaluieren und dann entscheiden und nicht erst entscheiden und nachher sagen, die Evaluation habe leider etwas
anderes ergeben. Das ist das, was wir wollen. Wir können uns darüber unterhalten, ob in Anträgen etwas anderes steht. Ich hoffe, dass das damit geklärt ist.
Danke.
({3})
Frau Kollegin Kressl, Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Herr Kollege Fricke, nachdem Sie sich versprochen
hatten, haben Sie gesagt, Sie seien von Ihrem Landesvater Rüttgers zu sehr beeindruckt. Das kann ich gut verstehen. Schließlich erleben wir, dass die Zuschüsse für
Kindertagesstätten und Kindergärten in Nordrhein-Westfalen Stück für Stück gekürzt werden.
({0})
Für mich ist Ihr Versprecher daher nachvollziehbar.
Zum Hauptteil Ihrer Kurzintervention. Sie haben vielleicht übersehen, dass das Elterngeld zwei Komponenten
hat: Die eine ist die Einkommensersatzleistung, die andere ist das so genannte Mindestelterngeld. Dafür haben
wir uns entschieden. Wir möchten, dass zusätzlich Erziehungsleistungen anerkannt werden. Es handelt sich nicht
um einen Einkommensersatz. Nicht nur ALG-II-Familien erhalten Mindestelterngeld; vielmehr erhalten alle
Eltern Mindestelterngeld - diese Mittel sind in dem entsprechenden Sockel -, die aus der „Erwerbstätigkeit“
nicht aussteigen können, zum Beispiel weil es nur einen
Einkommensbezieher gibt.
({1})
Ich habe nicht kritisiert, dass Sie Kürzungen wollen.
Das ließe sich mit der FDP-Ideologie gut vereinbaren.
Ich habe nur kritisiert, dass uns Frau Lenke in einem anderen Zusammenhang scharf angegriffen hat, weil wir
die Hartz-IV-Empfänger angeblich so schlecht behandeln. Da verlange ich von Ihnen einfach eine klare Linie.
({2})
Ich erwarte, dass Sie nicht opportunistisch und populistisch sind, indem Sie Ihre Einstellung zu Transferleistungen für Familien je nach Situation ändern.
({3})
Ich habe nicht zu kritisieren, dass Sie dazu stehen, ALG-IIEmpfängern kein Elterngeld zukommen lassen zu wollen. Das haben die Wähler bei der nächsten Wahl zu berücksichtigen.
({4})
Nun hat das Wort die Kollegin Elke Reinke für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau von der Leyen, Sie arbeiten weiter an Ihrem Ruf einer talentierten Ankündigungsministerin, die ein Gespür
für symbolträchtige Themen hat. Ich fürchte, dass Ihre
- ich zitiere - „feste Überzeugung“, dass es „mittelfristig
beitragsfreie Kindergartenplätze“ geben wird, nicht ausreicht, um dieses Ziel zu erreichen. Wenn das wirklich
der politische Wille der großen Koalition wäre, dann
sollte sich so ein Vorhaben wenigstens teilweise im
Einzelplan 17 unseres Haushaltes wiederfinden.
({0})
Ich fürchte weiterhin, dass Sie pflichtgemäß unseren
Entschließungsantrag, in dem wir 200 Millionen Euro
zur Verankerung von regionalen Modellprojekten fordern, ablehnen werden. Aber nach kinder-, jugend-, familienpolitischen Visionen, die Ihre Ankündigungen,
Frau Ministerin, unterstützen würden, sucht man im
Bundeshaushalt vergeblich.
Unter den so genannten großen Volksparteien ist ein
eigenartiger Wettbewerb ausgebrochen: Herr Rüttgers
will die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für Ältere
verlängern, indem er bei den Jüngeren kürzt, Frau Kressl
von der SPD will zur Finanzierung beitragsfreier Kinderbetreuung das Kindergeld einfrieren, also kürzen.
Deshalb finde ich es lobenswert, dass Sie, Frau Ministerin, nicht eine Familiengruppe gegen die andere ausspielen wollen, um die Kinderbetreuung beitragsfrei zu stellen. Allein, Ihre bisherige Praxis sah anders aus. Das
Elterngeld stellt eine Umverteilung von unten nach oben
dar.
Mehr Geld für Familien fordert die Linke. Es wäre
da, wenn diese Regierung es nicht den Konzernen in
Form von milliardenschweren Steuergeschenken hinterherwerfen würde.
({1})
Diese Regierung hat keine Lösung für Familien, sie
ist ein Teil des Problems, weil sich ihre Familienpolitik
je nach Kassenlage wie ein Flickenteppich darstellt. In
Ihrem Koalitionsvertrag hatten Sie sich vorgenommen,
die Regelungen für den Kinderzuschlag zu überarbeiten.
Die jetzigen Regelungen sind so schwer durchschaubar,
dass neun von zehn Anträgen abgelehnt wurden. Deshalb konnten Sie den größten Etatposten gegen Kinderarmut im Jahr 2006 um 67 Prozent wegen Nichtauslastung kürzen. Das ist irrsinnig.
({2})
Nach neuesten Berechnungen lebt jedes fünfte Kind
auf Sozialhilfeniveau. Der Kinderschutzbund hat die
Zahl von 2,5 Millionen Kindern errechnet, die mit der
Armut ihrer Eltern konfrontiert werden. „Armut von Anfang an“ - so lautet in Abwandlung des Mottos des Kinder- und Jugendberichts die bisherige Bilanz dieser Regierung. In Halle an der Saale, in meinem Bundesland
Sachsen-Anhalt, liegt die Zahl der von Sozialgeld lebenden Kinder unter 15 Jahren aktuell bei 40 Prozent. Im
hessischen Offenbach sieht es mit 34 Prozent auch nicht
viel besser aus.
Armut in Familien heißt alltäglicher Verzicht auf das
Nötigste. Ich kenne viele Mütter oder Väter, die sich lieber die 10 Euro Eintrittsgebühr beim Arzt sparen, damit
die Kinder zusammen mit den Freunden auch mal mit
ins Kino gehen können. Das ist Ausgrenzung. Natürlich
kostet es Geld, wenn die Politik etwas an diesem Zustand ändern will. Hier geht es in erster Linie um die Sicherung von Grundbedürfnissen und das Menschenrecht
auf eine würdige Existenz.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn uns in Anhörungen berichtet wird, dass Kinder mit knurrendem Magen im Unterricht zum Normalfall werden, dann gibt es
keinen Grund, lächelnd von statistischen Spielereien
oder Übertreibungen zu sprechen. Weil dem wirklich so
ist, geht die Berliner Tafel mittlerweile an Schulen, damit Kinder wenigstens ab und zu einmal eine warme
Mahlzeit haben. Wir sollten öfter einmal die „Käseglocke“ Bundestag verlassen. Ich kann Sie gerne mal in die
Wärmestube nach Halberstadt einladen. Dort können Sie
die Realität kennen lernen.
({4})
Die Fraktion Die Linke hat sich in mehreren Anträgen
zur öffentlichen Verantwortung für Kinder bekannt. Wir
haben Ihnen einen Vorschlag zur Reform des Kinderzuschlags vorgelegt. Ihre Fraktionen haben diesen starrköpfig abgelehnt. Damit haben Sie verhindert, dass alle
Kinder aus dem Sozialgeldbezug und den Bedarfsgemeinschaften herausgeholt werden. Wir meinen, dass jedem Kind, je nach Einkommen der Eltern, der Zugang
zum sozioökonomischen Existenzminimum in Höhe von
momentan 420 Euro garantiert werden muss.
({5})
Mit unseren Vorschlägen hätten wir 2,1 Millionen Familien mit 3 Millionen Kindern erreicht. Die dafür benötigten 3,5 Milliarden Euro wären da, wenn - ich muss das
wiederholen - diese Regierung nicht schon wieder Steuergeschenke in Höhe von 5 Milliarden Euro den Konzernen hinterherwerfen würde.
Wo sind Ihre Antworten? Wer nur soziale Symbolthemen ankündigt, braucht sich nicht über enttäuschte Menschen, wachsende Unterschichten und geringe Wahlbeteiligung zu wundern.
({6})
Ich frage mich: Wo bleibt der Wille zur Umverteilung?
Nicht von den Kinderlosen zu den Kinderreichen, nicht
von der Kindergeldkasse zum Kindergarten, sondern von
den Starken zu den Schwachen, von den breiten zu den
schmalen Schultern. Liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, es gibt dafür einen Namen, der bei Ihnen längst nicht mehr aktuell ist: Sozialstaat.
Für uns ist es auch nicht hinnehmbar, dass der Anspruch eines Kindes auf einen Kindergartenplatz davon abhängen soll, ob die Eltern eine Vollzeitarbeit haben, teilzeitbeschäftigt oder nicht erwerbstätig sind. Eine
beitragsfreie Kinderbetreuung muss ein Kinderrecht
werden.
({7})
Auch das ist wieder eine Frage für den Haushalt: Wenn
die Betreuung für Kinder ausgebaut werden soll, dann
muss mehr Geld bei den Kommunen ankommen. Wer
ernsthaft etwas gegen Kinderarmut erreichen und den
Zugang zu einer frühkindlichen Bildung verbessern will,
der muss eine bedarfsorientierte Grundsicherung einführen und das Recht des Kindes auf einen Betreuungsplatz
durchsetzen. In unserer Verantwortung liegt es, ob es bei
den Ankündigungen bleibt oder ob finanzielle Mittel für
die drängenden gesellschaftlichen Probleme bereitgestellt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Wort zum
Schluss. Viele von uns werden in der Vorweihnachtszeit
versuchen, einigen Kindern im Wahlkreis eine kleine
Freude zu bereiten. Weil es für viele Kinder ein Stück
Urlaub vom Alltag ist, sollten wir das auch tun. Kinderarmut gibt es aber nicht nur in der Weihnachtszeit, wenn
sich das gut in der Presse verkaufen lässt. Lassen Sie uns
bitte mehr soziale Gerechtigkeit wagen!
Danke schön.
({8})
Das Wort hat nun der Kollege Kai Gehring für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, der Haushalt Ihres Ministeriums wird den vielen gesellschaftspolitischen Herausforderungen nicht gerecht; meine Kollegin
Deligöz hat beim Thema Familienpolitik insbesondere
im Zusammenhang mit dem Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur bereits darauf hingewiesen. Stattdessen wird, wie beim Zivildiensthaushalt, Geld in Luftbuchungen gebunkert. Meine Fraktion bringt deshalb heute
einen Entschließungsantrag ein, der fordert, Mittel vom
Zivildiensthaushalt in die Förderung der Jugendfreiwilligendienste sowie in Programme gegen Rechtsextremismus umzuschichten.
In Deutschland besteht keine Wehr- und Einberufungsgerechtigkeit mehr.
({0})
Der Transformationsprozess der Bundeswehr hat dazu
geführt, dass maximal 15 Prozent der Wehrpflichtigen
eines Geburtsjahrgangs zum Wehrdienst einberufen werden können, während 25 Prozent zum Zivildienst herangezogen werden. Der Wehrdienst ist also nicht mehr die
Regel, sondern die Ausnahme. Die allgemeine Wehrpflicht ist damit aus der Sicht der Grünen verfassungsrechtlich nicht mehr haltbar.
({1})
Wir fordern von der Bundesregierung deshalb ein klares Konzept für den Ausstieg aus der Wehrpflicht und,
damit verbunden, tragfähige Alternativen zum Zivildienst. 2007 will die Regierung über 88 000 Zivildienstleistende einberufen, aber nur 62 000 Wehrdienstleistende. Mit der von uns vorgeschlagenen Kürzung um
65 Millionen Euro würden nur noch so viele junge Männer zum Zivildienst herangezogen werden, wie Wehrdienst leisten. Dies wäre ein Schritt zu mehr Einberufungsgerechtigkeit.
({2})
Was ist unsere Alternative? Wir wollen eine klare
Aufstockung der Mittel für Jugendfreiwilligendienste.
Wir haben hier fraktionsübergreifend einen ersten Schritt
vollzogen. Aber wir wollen ein Stück weiter gehen und
schlagen eine Aufstockung um 25 Millionen Euro vor,
um der großen Nachfrage junger Menschen in diesem
Bereich nachkommen zu können. Wir wollen über die
bisherigen Ansätze deutlich hinausgehen, weil es sehr
sinnvoll ist, dass mehr junge Menschen soziale, ökologische und auch kulturelle Erfahrungen im In- und Ausland sammeln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die zivilgesellschaftliche Arbeit gegen Rechtsextremismus wollen
wir als Grüne verstärkt fördern. Die bisher von der Koalition vorgesehenen Mittel und Programme sind aus unserer Sicht noch nicht ausreichend, um eine kontinuierliche, nachhaltige und wirklich effektive Arbeit gegen
rechts zu gewährleisten. Die große Koalition hat die für
die Projekte gegen Rechtsextremismus Verantwortlichen
durch ein langes Hin und Her sehr verunsichert. Die TräKai Gehring
ger sind, gerade was die Kooperation mit den Kommunen angeht, auf Planungssicherheit angewiesen. Ich begrüße, dass die Koalition diese Planungssicherheit nun
gewährleisten will, und hoffe, dass dies auch wirklich
schnell erfolgt.
In der gestrigen Anhörung zur Zukunft der Rechtsextremismusarbeit haben die Expertinnen und Experten
bestätigt, dass der Erfolg vor Ort wesentlich von der Einbindung in überregionale Netzwerke abhängt. Besonders
für ländliche Regionen wurde bestätigt, dass Lücken
durch die Kürzung von Jugendhilfemitteln dort verstärkt
von Rechtsextremen gefüllt werden. Rechtsextreme Einstellungen sind in manchen Regionen hegemonial geworden. Gerade in strukturschwachen Regionen ist es
unwahrscheinlich, dass die im Vorschlag der Koalition
geforderten Mittel zur Kofinanzierung auch wirklich
aufgebracht werden können.
({3})
Das größte Manko aber ist: Der Vorschlag der Koalition, nur den Kommunen ein Antragsrecht einzuräumen,
ist nicht zielführend, weil dies der gleichberechtigten
Kooperation mit der Zivilgesellschaft eindeutig widerspricht. Notwendig ist stattdessen die dauerhafte Sicherung der Arbeit gegen Rechtsextremismus.
({4})
Dies könnte nach den Vorstellungen der Grünen auch im
Rahmen einer Stiftung geschehen, die das Engagement
gegen Rechtsextremismus überparteilich verstetigt und
gleichzeitig viele gesellschaftliche Akteure einbezieht.
Nach unserer Auffassung ist die Einbeziehung von Bildungseinrichtungen besonders wichtig; denn hier fängt
schließlich das Lernen von Demokratie und Toleranz an.
Frau von der Leyen, Sie haben in Ihrer heutigen Rede
die Shell-Jugendstudie, die vor einigen Wochen veröffentlicht worden ist, nicht angesprochen. Damals haben
Sie diese Veröffentlichung mit den Worten kommentiert:
Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. - Ich hätte mir
gewünscht, dass Sie dem Parlament heute erklärt hätten,
welche Konsequenzen Sie als Jugendministerin aus dieser Jugendstudie ziehen. Gerade den Schattenseiten
müssen Sie sich endlich zuwenden.
({5})
Wie kümmern Sie sich um Jugendliche, die von sozialer Exklusion bedroht oder betroffen sind? Was tun
Sie für Teenager, die kaum Zukunftsperspektiven für
sich sehen, die ohne Schulabschluss und Ausbildungsplatz vermehrt ins Abseits gedrängt werden und bei denen eine frühkindliche Förderung nicht mehr hilft? Die
großkoalitionäre Jugendpolitik gibt es aus unserer Sicht
hauptsächlich in Sonntagsreden. Werktags warten wir
dann vergeblich auf jugendpolitische Zukunftskonzepte.
({6})
Seit Mai 2006 warten wir Grüne auf die Antwort zu
unserer Großen Anfrage zur Jugendpolitik, was die Perspektiven für Jugendliche in Deutschland angeht. Sie
soll erst im März 2007 beantwortet werden. Die Bundesregierung muss aber schon jetzt Antworten auf die sich
verschärfende soziale Exklusion von Jugendlichen geben. An diesem sehr zentralen Punkt werden wir nicht
locker lassen; denn Perspektivlosigkeit von Jugendlichen ist ein gesellschaftliches Armutszeugnis.
Frau von der Leyen, Sie haben in Ihrer Rede vorhin
zu Recht ausgeführt: Familienpolitik geht nicht ohne Heranwachsende. Deshalb appelliere ich eindringlich an
Sie: Machen Sie Ihr Ministerium endlich zu einem wirklichen Mehrgenerationenhaus! Machen Sie endlich Ihre
Hausaufgaben - für die Zukunft aller Generationen, also
auch für die Jugendlichen in unserem Land!
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Johannes Singhammer,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir haben die Anliegen der Familien ins Zentrum der Politik zurückgeholt. Dies ist maßgeblich das
Verdienst unserer Familienministerin. Herzlichen Dank
dafür!
({0})
Es ist nicht bei Ankündigungen geblieben. Die Ministerin und die Bundesregierung haben eine Reihe von
Maßnahmen mit nachprüfbaren Ergebnissen auf den
Weg gebracht: Die erste finanzpolitisch wirksame Entscheidung dieser Bundesregierung zu Beginn dieses Jahres war, die Steuereinsparmöglichkeiten bei der Kinderbetreuung beträchtlich zu verbessern. Im Laufe des
Jahres haben wir das Elterngeld mit einem Volumen von
1,6 Milliarden Euro beschlossen. Dieses Geld wird den
Familien zugute kommen. Der Etat für das kommende
Jahr 2007 wächst von 4,5 Milliarden auf 5,2 Milliarden
Euro. Dies wird den Familien, der Jugend und den Senioren zugute kommen. - Die Richtung stimmt. Wir
werden unseren Grundsatz „Mehr finanzielle Gerechtigkeit für Familien“ Schritt für Schritt umsetzen.
An dieser Stelle sage ich aber auch: Das Gegenteil
von finanzieller Gerechtigkeit für Familien wäre es,
wenn beispielsweise an eine Kürzung des Kindergeldes
gedacht würde.
({1})
Wir meinen, dass höhere Ausgaben für Energie und Bildung - dies betrifft Ausgaben für den Schulausflug bis
hin zum Federmäppchen - schon heute dazu führen, dass
viele Eltern jeden Euro buchstäblich umdrehen müssen.
Deshalb wäre der Vorschlag, das Kindergeld zu kürzen,
kein Zugewinn an Humanität, sondern schlichtweg
Herzlosigkeit.
({2})
Nun bringen manche eine zweite Variante ins Spiel:
Man könnte ja einen eventuellen Zuwachs beim Kindergeld dazu verwenden, Kinderbetreuungseinrichtungen
zu finanzieren. Manche meinen, spektakuläre Fälle, über
die wir immer wieder voller Sorge diskutieren, bei denen
Eltern Kinder vernachlässigen oder misshandeln und das
Kindergeld eher in Alkohol statt in die Bildung ihrer
Kinder investieren, würden das begründen. Ich möchte
für eine ehrliche Diskussion werben. Wir sollten feststellen, dass sich die allermeisten Eltern liebevoll um ihre
Kinder kümmern und sorgen und es der falsche Weg ist,
Eltern unter Generalverdacht zu stellen.
({3})
In manchen Regionen, vor allem in den Ballungsgebieten der alten Bundesländer, stellt sich zudem für viele
Eltern die Frage, was Kinderbetreuung kostet, erst
nachrangig im Vergleich zu der Frage, ob sie überhaupt
einen Betreuungsplatz erhalten. Beispielsweise in der
Landeshauptstadt München - wenn ich das einmal sagen
darf - ist es für manche Eltern durchaus angezeigt, ihr
Kind bereits vor der Zeugung für eine Kinderkrippe anzumelden, um überhaupt die Chance zu haben, einen
Kinderkrippenplatz zu bekommen.
({4})
Die Selbstfinanzierung der Kinderbetreuung durch
die Eltern ist kein guter Weg; denn nach wie vor steht
den Familien deutlich weniger Geld zur Verfügung als
Paaren ohne Kinder. Aus dem 7. Familienbericht, über
den wir hier vor kurzem diskutiert haben, ergibt sich,
dass beispielsweise 35-jährige Paare ohne Kinder pro
Kopf mehr als 600 Euro netto mehr im Monat haben als
vergleichbare Paare mit Kindern. Deshalb macht es keinen Sinn, den Eltern das Geld aus der einen Tasche wegzunehmen und es in die andere Tasche hineinzustecken.
Das gemeinsame Ziel aller Familienpolitiker sollte es
sein, mehr Geld für Familien aufzuwenden und in einer
gemeinsamen Kraftanstrengung Eltern und Kindern trotz
der schwierigen Finanzproblematik mehr zukommen zu
lassen.
({5})
Nun sagen einige, in Deutschland würden ohnehin
pro Jahr rund 115 Milliarden Euro für Familienleistungen ausgegeben, darunter 35 Milliarden Euro für das
Kindergeld, während in anderen Ländern gerade das
Kindergeld sehr viel geringer ausfällt. Ich bin froh und
stolz darauf, dass wir in Deutschland dieses Geld für
Kinder und Eltern aufwenden. Aber ich sage auch: Es
macht Sinn - das haben wir in der großen Koalition vereinbart -, das Geflecht der Leistungen, die den Familien
zustehen - es sind an die 143 Positionen -, nach ihrer
Wirksamkeit zu bewerten, um damit zu erreichen, dass
die Leistungen gebündelt und möglichst effizient eingesetzt werden.
Vor wenigen Tagen hat das Statistische Bundesamt
eine Prognose hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung in den kommenden Jahrzehnten, also etwas weitergehend, vorgelegt. Eine der dramatischen Erkenntnisse
des Statistischen Bundesamts war, dass die Zahl der
Deutschen in den nächsten Jahrzehnten, also bis 2050,
um deutlich mehr als 10 Millionen zurückgehen wird.
Daraus folgt logischerweise auch eine geringere Zahl an
Kindern. Im Vergleich zu 2004 haben in 2005 über
45 000 Kinder weniger das Licht der Welt in Deutschland erblickt. Wenn das so weitergeht, kann sich jeder
ausrechnen, welche Folgen das haben wird.
Wenn aber immer weniger Kinder geboren werden,
bedeutet das zwangsläufig, dass auch weniger Aufwendungen für Kinder notwendig werden. Das Deutsche Jugendinstitut hat eine für die Kommunen interessante
Zahl ermittelt: Allein in den Kommunen in Deutschland
werden bis zum Jahr 2010 aufgrund des Geburtenrückgangs 3,6 Milliarden Euro pro Jahr eingespart. Deshalb
wäre ein Verlangen, zumindest den Status quo zu halten,
nicht unbillig. Angesichts des dramatischen Geburtenrückgangs brauchen die Familien heute noch mehr Unterstützung, müssen wir noch mehr Geld für sie in die
Hand nehmen.
Wir beschäftigen uns nicht nur in dem entsprechenden Fachbereich, dem Einzelplan 17, mit Familienpolitik; Familienpolitik geht weit darüber hinaus. Ich glaube,
es ist ein Verdienst der Bundesregierung, der großen Koalition und der Ministerin, den Querschnittscharakter der
Familienpolitik immer wieder darzustellen. Vor kurzem
fand eine sehr bemerkenswerte Veranstaltung statt, die
von Industrie und Wirtschaft gemeinsam mit Ihnen, Frau
Ministerin, durchgeführt worden ist. Im Rahmen dieser
Veranstaltung ging es um die Frage, was der Rückgang
der Geburten ökonomisch bedeutet. Mir ist natürlich
klar, dass eine rein ökonomische Betrachtung viel zu
kurz greift; denn jedes Kind ist nicht nur ein ökonomischer Faktor, sondern bedeutet Leben, Freude, Hoffnung
und Zukunft.
({6})
Ich möchte Ihnen dennoch das Ergebnis einer Studie des
Instituts der deutschen Wirtschaft vorstellen: Wenn es
gelänge, die Geburtenrate nur ein wenig zu steigern,
wenn die Geburtenhelfer also wieder mehr Arbeit hätten,
dann würde das Wirtschaftswachstum bis zum Jahr
2050 um bis zu 15 Prozent höher ausfallen. Das zeigt,
dass jedes neugeborene Kind nicht nur ein Stück Hoffnung ist, sondern unser Land auch reicher und nicht ärmer macht. Dies wollen wir weiter unterstützen. Dazu
haben wir eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht; wir werden diesen Weg entschlossen fortsetzen.
Wir haben mit der Einführung des Elterngeldes etwas erreicht, was der eine oder andere von der Opposition der großen Koalition vielleicht zunächst nicht zugetraut hätte.
({7})
Wir haben das gemeinsam geschafft; viele Eltern haben
darauf gewartet. Wenn jetzt kritisch eingewandt wird, es
bestehe das große Problem, dass es beim Elterngeld
keine Übergangsfristen gibt,
({8})
dann zeigt das, wie hoch die Akzeptanz bei den Eltern
ist.
({9})
Die meisten wollen das Elterngeld schon viel eher, nicht
erst zum 1. Januar 2007. Wir haben dies jetzt auf den
Weg gebracht, nachdem viele Jahre verstrichen sind, in
denen es nur Ankündigungen gab, aber keine Taten folgten.
Danke schön.
({10})
Das Wort hat der Kollege Sönke Rix, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es gibt mehrere positive Ansätze im Familienhaushalt.
Dazu gehört unter anderem, dass wir den Haushaltstitel
für das bürgerschaftliche Engagement, das heißt für die
Freiwilligendienste, um 1 Millionen Euro erhöhen. Es
gibt einen weiteren freudigen Ansatz in unserem Haushaltsentwurf: Für die Bekämpfung des Rechtsextremismus nehmen wir mehr Geld in die Hand.
({0})
Schwerpunktthema meiner Rede wird die Bekämpfung
des Rechtsextremismus sein.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendein Artikel zum Thema Rechtsextremismus in den Zeitungen
steht: Gedenkstätten in Frankfurt geschändet, Hakenkreuze an Hauswänden und Mahnmalen, rassistische
Pöbeleien in Fußballstadien, NPD-Parteitag in Berlin.
Dabei sind diese Meldungen nur die Spitze des Eisbergs.
Wenn wir jetzt nicht aufpassen, gehören Nazis bald zu
unserem normalen Alltag. Aber was Nazis machen, ist
nicht normal und darf es niemals werden.
({1})
Vor zwei Wochen kam eine Studie der FriedrichEbert-Stiftung heraus. Ein Rauschen ging durch den
Blätterwald, ungefähr drei Tage. Ich glaube, seitdem
habe ich nur noch ein oder zwei Kommentare darüber
gelesen. Dabei zeigt diese Studie eine gefährliche Entwicklung auf:
Erstens. Rechtsextremismus und eine sich verfestigende Naziideologie sind kein typisch ostdeutsches Problem. Es ist ein bundesweites Problem.
Zweitens. Es gibt nicht den typischen rechtsextremen
Wähler. Es wird quer durch alle Schichten, von beiden
Geschlechtern und in allen Altersklassen rechtsextrem
gewählt und - noch viel schlimmer - rechtsextrem gedacht.
Wir erleben derzeit, wie sich Rechtsextreme den Weg
in unsere Mitte bahnen. Das tun sie nicht mit Gewalt,
sondern subtil: Rechtsextreme Mütter - das haben wir
auch gestern in der Anhörung gehört - gründen Krabbelgruppen mit anderen Müttern. Rechtsextreme Eltern treten in Elternverbände und Elternbeiräte ein und versuchen, dort ihre Einstellungen kundzutun. Unternehmer
mit rechtsextremem Hintergrund schaffen nur Ausbildungsplätze für rechtsextrem orientierte Jugendliche.
Das ist nicht hinnehmbar.
({2})
Der Einzeltitel im Haushalt des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der sich mit der Bekämpfung des Rechtsextremismus befasst, ist sicher
nicht der höchste, der heute zur Beschlussfassung ansteht. Trotzdem ist es, so finde ich, einer der wichtigsten.
Nichts anderes hat die Anhörung im Familienausschuss
gestern gezeigt. Wir sind mit unseren Programmen auf
dem richtigen Weg, aber leider noch lange nicht am Ziel.
Im Jahr 2001 hat die damalige Bundesregierung das
Aktionsprogramm „Jugend für Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit
und Antisemitismus“ aufgelegt. Es teilt sich in drei
selbstständige Teilprogramme: Civitas, Entimon und
Xenos. Im Zentrum des Programms steht das gemeinsame Ziel, zivilgesellschaftliche Akteure und Potenziale
zu fördern und zu stärken. In den fünf Jahren seit Programmbeginn im Jahr 2001 konnten über 4 000 Projekte, Initiativen und Maßnahmen mit über 163 Millionen Euro gefördert werden. Bis Ende 2006 sollen
Fördergelder in Höhe von rund 192 Millionen Euro vom
Bund geflossen sein; ich finde, hier gehen wir in die
richtige Richtung. Auch im Jahr 2007 - unser Kollege
Frank Schmidt hat es vorhin dargestellt - gibt es Geld
für den Kampf gegen Rechtsextremismus, diesmal sogar
mehr als in diesem Jahr. An dieser Stelle danke ich allen,
die sich dafür eingesetzt haben und diesen Beschluss
mittragen werden.
Es geht um 19 Millionen Euro, zusätzlich 5 Millionen
Euro, die vornehmlich in Strukturprojekte fließen sollen.
Davon gibt es noch einmal knapp 1 600 Projekte. Dass
dies alles wichtige und erfolgreiche Projekte sind, muss
ich an dieser Stelle nicht betonen. Ich lade alle Abgeordneten ein, sich diese Projekte einmal vor Ort anzusehen.
Die wirklich aktive und erfrischende Arbeit dieser Projekte ist unterstützenswert. Ich richte an dieser Stelle einen Dank an alle, die diese Projekte durchführen und vor
Ort die Flagge der Demokratie und Toleranz hochhalten.
({3})
Wir brauchen zivilgesellschaftliche Courage, um uns
gegen jede Form von Extremismus durchzusetzen. Das
kann man mit Geld allein nicht erreichen. Wir brauchen
eine Justiz, die zeitnah in der Lage ist, die Nazis festzunehmen und zu verurteilen, die Gedenkstätten durch Hakenkreuze schänden. Wir brauchen eine Justiz und einen
gut ausgestatteten Strafvollzugsapparat, damit Nazis, die
über unsere Straßen marschieren und dabei Hakenkreuze
zeigen, nicht wegen Arbeitsüberlastung laufen gelassen
werden. Der Staat hat das Gewaltmonopol und sonst
niemand.
({4})
Um das durchsetzen zu können, brauchen wir keine
schärferen Gesetze und keine flächendeckende Überwachung der Bürgerinnen und Bürger. Die Gesetze, die wir
haben, sind gut und ausreichend. Sie müssen nur überall
und jederzeit konsequent und vor allem schnell angewandt werden.
({5})
Der Staat muss zeigen, dass er sich nicht ansatzweise
von Extremisten provozieren oder vorführen lässt. Den
Kampf gegen Rechtsextremismus - ich habe es bereits
erwähnt - kann man nicht allein mit Geld gewinnen.
Man gewinnt ihn durch Überzeugungsarbeit. Sicherlich
ist es leichter, ein paar Millionen mehr locker zu machen, um noch das eine oder andere Projekt zu starten.
Diese Projekte können aber immer nur einen kleinen
Kreis gefährdeter Menschen erreichen.
Wir Politikerinnen und Politiker dagegen stehen ständig in der Öffentlichkeit. Was wir vorleben und in den
Medien äußern, kommt bei vielen Menschen an. Wir
dürfen uns von Rechtsextremen nicht die Deutungshoheit streitig machen lassen.
({6})
Für Politiker, die auf Bundes- oder Landesebene Verantwortung tragen, heißt das erstens: Zurück auf die Straße!
Der Infostand ist einem parlamentarischen Abend bei
weitem vorzuziehen. Anders ausgedrückt: Jeder Prozentpunkt, den die Rechten bei Wahlen erreichen, ist ein
Zeichen dafür, dass die demokratischen Parteien mit ihrer Politik nicht immer und überall bei den Menschen
sind; aber für sie müssen wir Politik machen. Unser
Motto muss also lauten: Ran an die Leute!
Zweitens. Warum fangen wir Abgeordnete nicht bei
uns selbst an? Um ein Beispiel zu bringen: Jeder Abgeordnete des Bundestages hat ein Budget zur Bezuschussung von Gruppen, die den Deutschen Bundestag besuchen dürfen. Warum verteilen wir dieses Geld nicht
ausschließlich auf Schulklassen und Jugendgruppen?
Warum gibt es eine Begrenzung auf 200 Personen? - Ich
würde mich freuen, wenn ich noch mehr Schulklassen
hier begrüßen dürfte und wenn zu jedem Besuch einer
Schulklasse im Parlament ein Gegenbesuch des Abgeordneten in der Schule im Wahlkreis gehören würde.
Dann würde ich sagen: Ja, hier hat die Politik einen Weg
in Richtung Jugendliche eingeschlagen.
({7})
Drittens. Wie können wir verhindern, dass schleichende Demokratiefeindlichkeit bzw. Demokratieferne
gesellschaftsfähig wird? Wir müssen die Kräfte unterstützen, die in den „braunen Regionen“ eine demokratische Kultur vorleben. Der klassische NPD-Wähler ist
nicht jung, arbeitslos und männlich. Unter den NPDWählern sind auch Menschen, die Arbeit haben, Abiturientinnen und Abiturienten sowie Auszubildende. Ihnen
muss eine demokratische Alternative zum NPD-Sommerfest geboten werden. Die übrigen Parteien vor Ort
brauchen sofort und dauerhaft jede gewünschte Unterstützung, damit die Mitbürgerinnen und Mitbürger sehen, dass es auch andere Parteien gibt, bei denen man
sich einbringen und mit denen man über seine Vorstellungen diskutieren kann.
Ich habe in Mecklenburg-Vorpommern Wahlkampf
gemacht. Leider gab es dort ganze Landstriche, wo nur
die NPD plakatiert hatte.
Herr Kollege, würden Sie einmal auf die Uhr
schauen?
Entschuldigung. Ich bin sofort fertig.
Ein letzter Satz: Nazis sind nicht normal und dürfen
es auf keinen Fall werden. Ich hoffe, das ist Konsens in
diesem Haus.
Danke schön.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Dörflinger,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Rix, hinsichtlich Ihres letzten Satzes sind wir uns in diesem Hause sicherlich alle einig.
Vor gar nicht allzu langer Zeit musste sich diejenige,
die im Bundeskabinett für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend zuständig war, von demjenigen, der sie berufen
hat, sagen lassen, sie sei zuständig für Familie, Frauen
und Gedöns.
({0})
Das war, wenn ich das richtig erinnere, im Jahr 1998.
Jetzt, im Jahr 2006, finden wir die Familienpolitik in einer Schlagzeile der „Financial Times Deutschland“. Das
ist angesichts dieser Zeitspanne eine ganz beträchtliche
Entwicklung. Ich glaube, Ursula von der Leyen und
Bundeskanzlerin Angela Merkel haben einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet. Herzlichen Dank dafür!
({1})
Wenn man gegen Schluss der Debatte das Wort ergreift, bietet sich die Gelegenheit, auf das eine oder andere einzugehen, was gesagt worden ist. Mich haben die
Ausführungen zu den sieben Monaten und dem Elterngeld sehr irritiert, Frau Lenke. Ich versuche, das einmal
am Beispiel meiner Frau und mir aufzudröseln.
({2})
Stellen Sie sich vor, ich würde auch zu Hause bleiben.
Dann stünden uns 14 Monate zur Verfügung. Wie wir
das organisieren, machen meine Frau und ich untereinander aus. Ich muss ja mindestens zwei Monate zu
Hause bleiben.
({3})
Also sind folgende Kombinationen möglich: zwölf plus
zwei, elf plus drei, zehn plus vier, neun plus fünf, acht
plus sechs oder - jetzt kommt es - sieben plus sieben.
Zweimal sieben sind 14. So einfach könnte es eigentlich
sein. Deswegen habe ich vorhin den Grund des Dissenses nicht ganz verstanden.
Wenn wir gerade dabei sind: Es hat mich fast schon
ein bisschen belustigt,
({4})
wie hier über die Kürzungen im Bereich der Zivildienstschulen berichtet wurde. Mit Sicherheit sind wir uns,
Herr Dr. Schröder und Herr Dr. Schmidt, einig, dass es
sowohl im Haushaltsausschuss als auch im Fachausschuss niemandem leicht gefallen ist, diesen Beschluss
zu fassen.
({5})
- Sie waren doch dabei. Sie haben Herrn Staatssekretär
Dr. Kues gefragt. Das war in der letzten Ausschusssitzung.
({6})
Eines fand ich ganz besonders spannend. Diejenigen,
die in diesem Hohen Hause Krokodilstränen über die
Kürzungen im Bereich der Zivildienstschulen vergießen,
sind gleichzeitig diejenigen, die uns mit Parteitagsbeschlüssen gegen die Wehrpflicht im Nacken sitzen und
hier gegen Wehrpflicht und Zivildienst argumentieren.
({7})
Das passt einfach nicht zusammen.
({8})
Wenn wir Ihre Parteitagsbeschlüsse in diesem Hohen
Hause umgesetzt hätten, dann gäbe es den Wehrdienst
nicht mehr, dann gäbe es den Zivildienst nicht mehr und
die dazugehörigen Schulen gäbe es auch nicht mehr.
({9})
Deswegen appelliere ich an Sie: Machen Sie eine Politik
aus einem Guss! Bleiben Sie bei Ihren Beschlüssen, aber
vergießen Sie hier keine Krokodilstränen; denn das passt
einfach nicht zusammen.
Ich war irritiert über das, was Sie zum Zivildienst und
zu den Freiwilligendiensten gesagt haben. Ich hätte mir
gewünscht, Sie hätten zunächst einmal anerkannt, dass
es der Koalition trotz der alles andere als einfachen
Haushaltslage gelungen ist, einen - das gebe ich zu fraktionsübergreifenden Konsens darüber zu erzielen,
bei den Mitteln für die Freiwilligendienste etwas draufzusatteln. Das hätte ich erwartet.
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit den Trägerverbänden - das liegt einige Zeit zurück -, in dem der Vorschlag an mich herangetragen wurde, wir möchten im
Rahmen der Freiwilligendienste für eine ganz bestimmte
Zielgruppe etwas tun, nämlich für die sozial benachteiligten Jugendlichen. Ich habe damals, da ich nicht nur
Berichterstatter für den Zivildienst und die Freiwilligendienste, sondern auch für den Haushalt bin, im Fachausschuss gesagt: Das Problem leuchtet mir durchaus ein;
aber wir unterliegen hier dem Finanz- und Haushaltsvorbehalt. - Deswegen bin ich glücklich, nun sagen zu können: Wir haben im Haushalt für das Jahr 2007 die Mittel
erhöht und sind dem Begehr seitens der Trägerverbände,
speziell etwas für sozial benachteiligte Jugendliche zu
tun, in dem Rahmen, der uns zur Verfügung steht, nachgekommen.
Manchmal ist Politik ganz konkret.
({10})
Das hat Herr Kollege Fricke, der gerade geburtstagsbedingt abwesend ist - das sei ihm gegönnt -, bereits angesprochen.
({11})
- Doch, Frau Lenke, ich habe mit ihm darüber gesprochen.
Politik kann ganz konkret sein. Daher frage ich mich,
Herr Kollege Gehring, warum Sie vor dem Hintergrund
dessen, was in Emsdetten passiert ist und uns alle
schockiert hat, von vornherein - quasi im Stile eines
pawlowschen Reflexes - ein Verbot von Killerspielen
ausschließen. Ich teile hier die Einschätzung des Kollegen Fricke. Wenn wir das verbieten würden, hätten wir
noch keinen Beitrag dazu geleistet, dass sich Ereignisse
wie das in Emsdetten nicht wiederholen. Da sind wir uns
sicherlich einig.
({12})
- Sie haben mich falsch verstanden. Ich habe mich auf
Herrn Gehring bezogen, nicht auf Herrn Fricke. Ich teile
ausdrücklich, was Herr Fricke gesagt hat.
Wir sollten aber zumindest ins Kalkül ziehen, ob ein
Verbot der Herstellung und der Weitergabe dieser Spiele
möglicherweise einen Beitrag dazu leisten könnte, Ereignisse wie diese zu verhindern. Wenn wir das von
vorneherein ausschließen, leisten wir sicher keinen Beitrag.
Ich lade Sie alle ein, diese Frage, über die wir in der
letzten Legislaturperiode schon einmal diskutiert haben,
noch einmal vorurteilsfrei in den Blick zu nehmen, nicht
nur, aber auch vor dem Hintergrund der Ereignisse von
Emsdetten. Wir sollten darüber nachdenken, ob es möglicherweise nicht doch Sinn macht, zusammen mit den
Bundesländern über ein Verbot der Herstellung und Weitergabe dieser Spiele nachzudenken;
({13})
eine solche Initiative ist bereits vom Bundesland Niedersachsen bzw. vom dortigen Innenminister in den Bundesrat eingebracht worden. Ich glaube, das sind wir den
Bürgerinnen und Bürgern schuldig, da sie von der Politik
nicht nur Betroffenheitsrhetorik, sondern auch eine konkrete Antwort auf diese Frage erwarten.
({14})
Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen, der mich
überrascht und zugleich gefreut hat. Ich habe mit großem Interesse zur Kenntnis genommen, dass der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz und geschätzte
Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Kurt Beck, vor wenigen Tagen gesagt hat, er erwarte, dass der Deutsche Bundestag bzw. die Bundesregierung im Verlauf dieser Legislaturperiode - sprich:
bis zum Jahre 2009 - eine gesetzliche Neuregelung zur
Spätabtreibung trifft.
Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass ich ebenso
wie Johannes Singhammer, Ilse Falk, Maria Eichhorn
und viele andere zu denjenigen gehört habe, die sich
nicht erst in der letzten, sondern schon in der vorvorletzten Legislaturperiode mit diesem Thema beschäftigt haben
({15})
- ja, Sie auch -, und wir alle um den Stand der gegenwärtigen Beratungen wissen, stellt sich mir allerdings
die Frage - vielleicht kann sie im Verlauf dieser Debatte
noch beantwortet werden -: Wer war eigentlich der
Adressat dieser Meinungsäußerung von Kurt Beck?
Wir sind auf dem richtigen Weg. Wenn es in anderen
Fraktionen zu diesem Thema noch Beratungsbedarf gibt,
räume ich Ihnen die Möglichkeit zur Beratung gerne ein.
Aber wenn der rheinland-pfälzische Ministerpräsident
durch seine Einlassungen dazu beitragen wollte, dass wir
schon in naher Zukunft zu einer Lösung dieses Problems
kommen, dann bin ich ihm dafür ausdrücklich dankbar.
Herzlichen Dank.
({16})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Christel Humme, SPD-Fraktion.
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Nachdem wir
mittlerweile zwei Stunden lang eine intensive Debatte
über die Familienpolitik geführt haben, wird das Spiel
zwischen Opposition und Regierung wieder sehr deutlich: Die Opposition - das sage ich an die linke Seite
dieses Hauses - stellt ihren Wunschkatalog vor, äußert
sich aber nicht dazu, woher die Milliardenbeträge, die
Sie einfordern, kommen sollen, und Ekin Deligöz sagt,
wir ließen die Familien im Stich.
Natürlich muss man so etwas sagen, wenn man in der
Opposition ist. Aber die Wahrheit ist, dass wir heute
über einen Haushalt beraten, der tatsächlich den Schwerpunkt unserer Politik widerspiegelt, einer Politik, die
Hilfe anbietet und die Familien nicht im Stich lässt.
Durch unsere Politik bieten wir Familien, Kindern, Jugendlichen, Frauen und natürlich auch Seniorinnen und
Senioren Hilfe an. Diese Hilfe lassen wir uns - das wird
sehr deutlich - etwas kosten. Die für diesen Einzelplan
zur Verfügung gestellten Mittel steigen um 16,8 Prozent.
Ich betone ganz bewusst den Begriff „Hilfe“. Denn in
den letzten Wochen und Monaten wurde sehr häufig eingefordert, Verhaltensänderungen bei Familien insbesondere über Sanktionen einzuklagen und gesetzliche Regelungen in den Vordergrund zu rücken. Das war vor allen
Dingen dann der Fall, wenn es darum ging, Vernachlässigungen und Misshandlungen von Kindern in ihren Familien zu verhindern.
Insbesondere die Kürzung des Kindergeldes ist immer
wieder als Sanktionsinstrument ins Spiel gebracht worden; Herr Singhammer hat das schon gesagt. Natürlich
finden wir diesen Vorschlag nicht gut. Denn das Kindergeld ist eine familienfördernde Maßnahme. Eine Streichung des Kindergeldes würde insbesondere für die Bezieher geringer Einkommen eine soziale Ungerechtigkeit
bedeuten. Das wollen wir alle nicht.
({0})
Es ist gut, dass dieser Haushalt einen anderen
Schwerpunkt setzt. Es geht um Hilfe statt um Strafe und
Zwang. Wir wollen den Menschen helfen und sie nicht
ausgrenzen. Die gestrige Anhörung zum Thema Rechtsextremismus hat deutlich gemacht: Wir müssen die Kinder und Jugendlichen ernst nehmen, sie annehmen und
stark machen. Das ist die beste Basis für Toleranz und
Demokratie.
Dafür können wir Gott sei Dank 19 Millionen Euro
pro Jahr zur Verfügung stellen, darüber hinaus 5 Millionen Euro für langfristige Beratungsnetzwerke. Das ist
gut so. Denn zu helfen, Kinder und Jugendliche stark zu
machen, ist die beste Basis für Gewaltprävention. An
dieser Stelle will ich kurz auf die gestrigen Vorkommnisse eingehen, die uns natürlich erschüttert haben. Die
Forderung, Killerspiele zu verbieten, ist wieder der
schnelle Ruf nach einer gesetzlichen Lösung. Doch alle,
die das fordern, sollten einmal einen Blick ins Strafgesetzbuch werfen: § 131 verbietet Killerspiele. Rot-Grün
hat in der letzten Legislaturperiode das Gesetz an dieser
Stelle verschärft, damit auch Computerspiele erfasst
werden können, damit Strafen ausgesprochen werden
können, von bis zu einem Jahr Gefängnis. Das ist geltende Rechtslage. Deswegen ist die erhobene Forderung
nicht angemessen. Es geht vielmehr darum, Kinder und
Jugendliche zu stärken und ihnen mehr Medienkompetenz zu vermitteln. Auch das gehört dazu, wenn wir wollen, dass Kinder stark sind und keine Gewalt anwenden.
Der soziale Wandel stellt Eltern vor große Probleme,
viele fühlen sich überfordert. Wir alle - Kommunen,
Länder und Bund - sind aufgefordert, Familien bei ihrer
Erziehungsleistung zu unterstützen, ihnen früher aufsuchende Hilfe zu gewähren. Die Entwicklung des Frühwarnsystems ist ein wichtiger Schritt, um all die Aktivitäten zu unterstützen, die in den Bundesländern bereits
existieren. Insgesamt 10 Millionen Euro werden in den
nächsten Jahren dafür zur Verfügung gestellt.
Neben der bereits erwähnten Anhörung gab es gestern
eine weitere Anhörung, nämlich der Kinderkommission
zum Thema „Kinderrechte in die Verfassung“. Dabei hat
sich die Mehrheit der Sachverständigen dafür ausgesprochen, das Grundgesetz zu ändern und Kinderrechte in
die Verfassung aufzunehmen. Das ist nicht verwunderlich. Art. 6 des Grundgesetzes begründet bereits ein starkes Recht für Eltern. Kinder haben ein solches starkes
Recht nicht. Bedeutet das, Kinder müssen Eltern, die
sich nicht um ihre Entwicklungschancen kümmern, hinnehmen? Werden Eltern zum Schicksal ihrer Kinder? Es
scheint so. Denn in keinem anderen Land bestimmt die
Herkunft so sehr den Bildungserfolg wie in Deutschland.
Wir werden diskutieren müssen in den nächsten Monaten und im nächsten Jahr, ob eine Grundgesetzänderung
die bestmögliche Förderung unserer Kinder - von Anfang an, mit gleichen Chancen - befördern kann. Wird
der Staat dann sein Wächteramt noch ernster nehmen
müssen? Käme den Jugendämtern eine noch wichtigere
Rolle im Hinblick auf das Kindeswohl zu? Ich meine, Ja.
Kinder haben Rechte, und die gehören ins Grundgesetz.
({1})
Leider wachsen zunehmend viele Kinder vereinzelt
auf, Familien sind häufig isoliert, das selbstverständliche
Erlernen sozialer Kompetenz findet nicht statt, schon gar
nicht in Familienzusammenhängen. Das Erfahrungswissen der älteren Menschen erreicht die jungen nicht mehr.
Das Konzept der Mehrgenerationenhäuser kann hier eine
Lücke füllen und einen weiteren Beitrag leisten, Familien zu unterstützen. Für diese Hilfe sind langfristig
98 Millionen Euro im Haushalt angesetzt.
Der Einzelplan 17, um den es heute in der zweiten
und dritten Lesung geht, trägt die Handschrift der Hilfe
und Unterstützung für Familien und gibt damit eine eindeutige Zukunftsperspektive für Eltern und ihre Kinder,
vor allem für die jungen Männer und Frauen, die Familie
und Beruf vereinbaren wollen. Für sie gibt es - das haben wir heute schon in mehreren Reden gehört - ab dem
1. Januar 2007 das Elterngeld. Mindestens 700 Millionen Euro stehen hierfür Jahr für Jahr zu Verfügung. Das
ist gut investiertes Geld. Denn es sichert nicht nur den
Lebensstandard der Familien im ersten Lebensjahr des
Kindes, sondern bedeutet auch einen weiteren Schritt zur
Gleichstellung der Frauen und Männer, die Familie und
Beruf vereinbaren wollen. Wir haben das Elterngeld bewusst auf ein Jahr angelegt, weil wir den anschließenden
Wiedereinstieg in den Beruf möglichst einfach machen
wollen. Wir haben von verschiedenen Seiten gehört
- auch heute wieder -, dass jetzt in den Kommunen
mehr Betreuungsplätze geschaffen werden müssen.
({2})
- Natürlich, die Kommunen brauchen dafür unsere Unterstützung. Wir geben sie über die 2,5 Milliarden Euro
Einsparvolumen bei Hartz IV,
({3})
indem sich der Bund jetzt stärker an den Unterkunftskosten beteiligt. Hinzu kommen Steuermehreinnahmen von
4 Milliarden Euro in diesem Jahr und - Herr
Singhammer hat Recht - ein Sparpotenzial durch die
rückgängigen Geburtenraten. Die frei werdenden Mittel
können neu eingesetzt werden.
Das wird langfristig aber nicht reichen. Wir haben die
Aufgabe, alle familienpolitischen Leistungen daraufhin
zu überprüfen, ob sie bei den Familien und bei den Kindern wirklich ankommen und ob sie auch in die Bildung
investiert werden. Ich denke, wir sollten darüber nachdenken, ob eine zusätzliche Erhöhung des Kindergeldes
der richtige Weg ist oder ob nicht in der Tat mehr in die
Infrastruktur investiert werden muss. Mit dieser Aufgabe
werden wir uns in den nächsten Monaten zu beschäftigen haben.
({4})
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, der Haushalt ist
ausgewogen. Dies zeigen die Hilfen für die Familien, die
Kinder, die Jugendlichen, die Senioren und natürlich
auch die Frauen. Ich glaube, wir haben ein gutes Stück
Arbeit geleistet.
Danke schön.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 17 - Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend - in der Ausschussfassung. Hierzu
liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke
vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/3459? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke mit den restlichen Stimmen des Hauses
abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/3460? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Dieser Änderungsantrag ist ebenfalls gegen die Stimmen
der Linken mit den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 17 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Einzelplan 17 ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich rufe auf:
Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit
- Drucksachen 16/3114, 16/3123 Berichterstattung:
Abgeordnete Ewald Schurer
Dr. Claudia Winterstein
Anja Hajduk
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
der FDP sowie zwei Änderungsanträge der Fraktion Die
Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Claudia Winterstein, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die aktuelle Debatte um die Gesundheitsreform
lässt mich an einen Ausspruch des geschätzten Altkanzlers Helmut Schmidt denken. Er sagte:
Nicht alle Reformen kosten Geld, und nicht alles,
was Geld kostet, ist deshalb schon eine Reform.
({0})
Frau Ministerin, treffender könnte man Ihren Entwurf
nicht bewerten. Sie haben ein Gesetz vorgelegt, das mit
einer sinnvollen Gesundheitsreform wirklich nichts
mehr zu tun hat. Nur eines ist sicher: Das, was Sie Reform nennen, wird sehr viel Geld kosten. Zahlmeister
sind wie immer die Patienten. Schon 2007 wird es satte
Beitragssatzsteigerungen in der gesetzlichen Krankenversicherung geben. Trotz des um 1 Milliarde Euro erhöhten Steuerzuschusses werden den Krankenkassen zur
Deckung ihrer Ausgaben über 6 Milliarden Euro fehlen.
Das bedeutet einen Rekordbeitrag von 15 Prozent und
mehr. Damit aber nicht genug! In den Anhörungen des
Gesundheitsausschusses hieß es, dass der Beitrag bis
2009 sogar auf 16 Prozent und darüber hinaus steigen
könnte.
({1})
Noch stärker betroffen sind die Mitglieder der privaten Krankenkassen, die sich dank Ihres faulen Kompromisses auf deutlich höhere Prämien einstellen müssen.
({2})
Erhöhung der Krankenkassenbeiträge, Erhöhung der
Rentenbeiträge - hier kommt es also zu keiner Absenkung der Arbeitskosten. Durch die Mehrwertsteuererhöhung tun Sie das Übrige zur Kostenexplosion im Gesundheitswesen.
Beflügelt durch die positive Steuerschätzung wollen
Sie jetzt 1 Milliarde Euro zusätzlich aus Steuermitteln in
die gesetzliche Krankenversicherung pumpen. Eine solide Gegenfinanzierung gibt es nicht. Ihr Vorschlag,
diese Mehrausgaben teilweise durch eine globale Minderausgabe aufzufangen, ist unseriös und deckt zudem
gerade die Hälfte des Betrages.
({3})
Diese 1 Milliarde Euro belastet den Haushalt, zeigt
aber ansonsten kaum Wirkung. Denn Beitragssatzsteigerungen werden dadurch letztendlich nicht vermieden.
1 Milliarde Euro hilft der GKV nur minimal und vor allen Dingen auch nur einmalig. Statt ein nachhaltiges
Konzept zur langfristigen Finanzierung der GKV vorzulegen, schlingert die Regierung weiter auf ihrem Zickzackkurs.
({4})
Geld, das als Einmaleffekt in das Gesundheitssystem
fließt, ist doppelt schädlich. Erstens wird der Druck gesenkt, das System nachhaltig zu reformieren, und zweitens wird dadurch das strukturelle Haushaltsdefizit
noch erhöht. Dabei sind wir uns doch - zumindest unter
den Haushältern - einig, dass konjunkturell gute Zeiten
zur Haushaltskonsolidierung genutzt werden müssen.
Das sieht auch Ihr Chef Kurt Beck so, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der SPD-Fraktion. Ich zitiere aus seiner Rede beim Arbeitgebertag am 7. November:
Man kann nicht Mehreinnahmen, die dem Staat
allein aufgrund konjunktureller Entwicklungen zusätzlich zur Verfügung stehen, für dauerhafte Ausgaben verwenden. Damit wird ein neues Haushaltsrisiko geschaffen.
({5})
Recht hat er.
Außerdem lassen Sie offen, wie die zusätzliche 1 Milliarde Euro genutzt werden soll. Ist das der Einstieg in
die Kindermitversicherung aus Steuermitteln oder sollen
mit dem Geld weiter versicherungsfremde Leistungen finanziert werden? Die Äußerungen und Anträge aus der
Koalition waren im Haushaltsausschuss
({6})
äußerst widersprüchlich.
Nach einigem Hin und Her begründen Sie die Erhöhung nun mit „Aufwendungen für gesamtgesellschaftliche Aufgaben“. Wenn das bedeuten soll, dass Sie die im
Gesetzentwurf zur Gesundheitsreform vorgesehene Kindermitversicherung für GKV-Mitglieder vorziehen
wollen, dann stehen Sie mit dem Grundgesetz im Konflikt. Denn dann müssen Sie auch die Privatversicherten
mit einbeziehen.
({7})
Eine Ungleichbehandlung wäre verfassungswidrig.
Auch Finanzminister Steinbrück windet sich mit Worten. Im Interview mit der „Welt am Sonntag“ kündigt er
an, bis 2008 die allgemeinen Zuschüsse zu beenden und
im Gegenzug 2007 in die Kindermitversicherung einzusteigen. Welche Maßnahmen Sie wann planen, wissen
Sie offenbar selbst noch nicht richtig.
({8})
Im Übrigen ist bei der Koalition völlig unklar, wie Sie
lang- und mittelfristig die Kindermitversicherung aus
Steuermitteln finanzieren wollen, die 16 Milliarden Euro
pro Jahr kosten wird. Die bisherigen GKV-Zuschüsse,
die eigentlich über die Tabaksteuer fließen sollten, waren schon auf Pump finanziert. Insofern ist die Frage berechtigt, wie Sie in Zukunft eine solide Finanzierung sicherstellen wollen. Bisher sind Sie völlig planlos.
Ihre Vorhaben werden viel Geld kosten. So viel steht
fest. Von einer Reform hingegen sind Sie noch immer
weit entfernt. Das macht Ihr 582 Seiten starkes Papiermonster, das Sie „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs
in der Gesetzlichen Krankenversicherung“ nennen, deutlich. Sie haben seltsame Vorstellungen darüber, was
Wettbewerb bedeutet.
In der Wirtschaft definiert man den Nutzen von Wettbewerb als die Bereitstellung von bedarfsgerechten Angeboten an Gütern und Dienstleistungen zu möglichst
niedrigen Preisen. Genau das wird aber durch den einheitlichen Dachverband der GKV und erst recht durch
die Festsetzung der Beiträge durch das Ministerium verhindert.
({9})
Die Krankenkassen können ihren Versicherten eben
keine bedarfsgerechten Angebote unterbreiten. Von
niedrigen Beiträgen kann schon jetzt keine Rede mehr
sein.
Mit dem Gesundheitsfonds bauen Sie eine neue umständliche und überflüssige Bürokratie auf. Die Transparenz sinkt und die Kosten steigen. Fazit: Ihr Gesetz
würgt den Wettbewerb im Gesundheitswesen ab, statt
ihn zu stärken. Sie verhindern das notwendige Umsteuern in Richtung eines freiheitlichen Gesundheitswesens.
Stattdessen gehen Sie den Weg in eine staatliche Einheitsmedizin. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat Ihren
Fonds sogar als „Missgeburt“ bezeichnet. Das ist hart,
aber korrekt.
Leider haben Sie kein Interesse an der Meinung von
Experten. Sie stellen sich einfach taub.
Frau Ministerin, Sie haben hier im Deutschen Bundestag gesagt: Ich bitte Sie, in den kommenden Wochen
mit uns über diesen Gesetzentwurf zu diskutieren. - Die
Art und Weise, wie Sie Ihre Reformen durchpauken wollen, hat aber nichts mehr mit Diskussionskultur zu tun.
Sie kennen ja die Kritik der Patientenverbände, der
Krankenkassen und aller anderen Organisationen aus
dem Gesundheitsbereich. Sie wissen, dass 90 Prozent
der Bevölkerung Ihre Pläne ablehnen. Aber Sie haben
sich stur gestellt und über die Kritik hinweggesetzt, um
einen faulen Kompromiss zwischen Bürgerversicherung
à la SPD und Kopfpauschale à la CDU zu finden. Beim
Anhörungsmarathon im Gesundheitsausschuss haben
Sie dann noch hören müssen, dass Ihre Reformen in allen Kernpunkten falsch sind. Da nutzt es auch nichts,
noch einmal an einigen Details herumzudoktern.
Für die Koalition bedeutet die Gesundheitsreform das
politische Überleben. Aber für 82 Millionen Bürger bedeutet diese Reform eine schlechtere Versorgung zu höheren Preisen.
Vielen Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Ewald Schurer, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine werten Kolleginnen und
Kollegen! Trotz aller kritischen Erwägungen betreffend
den Entwurf einer Gesundheitsreform gibt es eine uneingeschränkt gute Nachricht. Die Zahl der voll sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse in
Deutschland ist im Laufe dieses Jahres auf nunmehr
26,5 Millionen angestiegen. Das ist gut für die Menschen. Das erfreut die Regierung und sicherlich auch
die Opposition, liebe Kollegin Winterstein. Es geht darum, diesen Trend zu verstetigen.
Wir alle wissen, dass die Ausgaben im Gesundheitssystem in den letzten Jahrzehnten unter allen Regierungen deutlich angestiegen sind. So sind die Ausgaben der
gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung einschließlich Beihilfen und Zuzahlungen von 163 Milliarden Euro im Jahre 1992 auf nunmehr über 240 Milliarden
Euro angewachsen. Die sozialversicherungspflichtigen
Einkünfte hingegen sind deutlich langsamer gewachsen
als zum Beispiel Kapitalerträge und Unternehmenseinkünfte. Das heißt, die beitragspflichtigen Einnahmen des
Gesundheitswesens sind unterhalb der Entwicklung des
Bruttoinlandsproduktes geblieben. Eine bedenkliche
Entwicklung! Entscheidend hierfür war die Tatsache,
dass wir in den letzten zehn Jahren eine zu hohe Arbeitslosigkeit und zu gering gestiegene Löhne bei gleichzeitigem Rückgang der Zahl der voll sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten zu verzeichnen hatten. Das ist
die grundlegende Problematik, die wir bei der anstehenden Reform zu berücksichtigen haben. Umso besser ist
die momentane Entwicklung, ausgelöst durch Impulse
von Rot-Grün und manifestiert von der jetzigen Regierung. Es ist wieder ein Aufwuchs bei der Beschäftigung
zu verzeichnen.
Auf der Ausgabenseite haben ohne Zweifel der
medizinische Fortschritt und die deutlichen Ausgabensteigerungen bei den Arzneimitteln, aber auch die Mehrausgaben bei den Krankenhäusern sowie die Überschneidungsprozesse bei den ambulanten und den
stationären Leistungsangeboten zu deutlichen Kostensteigerungen im System geführt. Dieser Entwicklung
hat sich die Gesundheitsreform zu stellen. Dass dabei
künftig Versicherungsschutz für alle Menschen besteht,
damit der Zugang zu medizinischen Leistungen für alle
Menschen sichergestellt werden soll, dass die Wahlmöglichkeiten der Versicherten ausgebaut werden und - das
ist wichtig - dass das Sachleistungsprinzip als Grundsatz
erhalten bleibt, begrüße ich außerordentlich. Das ist ein
Gewinn für die betroffenen Menschen, gilt es doch, entstandene Armut in dieser Gesellschaft gezielt zu bekämpfen und möglichst viele Menschen in Arbeit zu
bringen bzw. an der Wertschöpfung der Volkswirtschaft
zu beteiligen.
Hinzu kommt, dass künftig Eltern-Kind-Kuren, gesundheitlich notwendige Impfungen, die geriatrische Rehabilitation und eine umfassende Palliativversorgung in
den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen aufgenommen werden. Dies ist gesundheitspolitisch notwendig und sinnvoll.
({0})
- Hören Sie zu! Es ist auch für Sie erhellend. - Es stellt
sich allerdings die Frage - wir Haushälter müssen sie
stellen -, ob und wie wir dies finanzieren können. Eine
sinnvolle Begrenzung der Lohnnebenkosten ist weiterhin eine notwendige Zielsetzung dieser großen Koalition.
({1})
Dabei sind die bereits angekündigten Beitragserhöhungen der gesetzlichen Kassen sicherlich mit aller Ernsthaftigkeit zu betrachten. Umso mehr richtet sich mein
Blick, verehrte Kollegin Winterstein, auf die kostenreduzierenden Elemente in der vorliegenden Gesundheitsstrukturreform,
({2})
also auf die Teile Struktur- und Finanzreform. Man
muss zunächst einmal feststellen, dass das Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz, seit dem 1. Mai
2006 in Kraft, über billigere Generika, über sinkende
Festpreise und beispielsweise durch manipulationsfreie
Praxissoftware insgesamt Kostenvorteile in Höhe von
knapp 1,5 Milliarden Euro erwirtschaften soll. Die Gesundheitsreform selbst will die Effizienz im System steigern, Versichertenbeiträge künftig zielgenauer einsetzen
und die Behandlungskette aus ambulanter Versorgung,
Krankenhausversorgung, Reha und Pflege besser miteinander verzahnen sowie die Wahlmöglichkeiten der Versicherten entsprechend erweitern. Alleine dadurch soll
ein Einsparvolumen von 1 Milliarde Euro generiert werden. Auch die Umstellung auf Höchstpreise, die KostenNutzen-Bewertung von Arzneimitteln oder die Verordnung teurer Medikamente in speziellen Zentren sollen
dazu führen, dass wir insgesamt gut 1,8 Milliarden Euro
über den Jahreszeitraum zusätzlich einsparen.
Aus sozialdemokratischer Sichtweise wäre sicherlich
ein noch größeres Einsparpotenzial zu erschließen gewesen, wenn die PKV - das war unser sozialdemokratischer Wunsch und wird es auch bleiben - voll in den
Einkommensausgleich einbezogen worden wäre
({3})
sowie Beitragsbemessungsgrenze und Versicherungspflichtgrenze um je 300 Euro angehoben worden wären.
Leider konnten wir an der Stelle vom Koalitionspartner
noch keine Zustimmung erreichen.
({4})
Ich bin optimistisch, dass das in der Zukunft nachgeholt
werden kann.
({5})
Der schrittweise Aufbau einer steuerfinanzierten
Säule in der GKV wurde innerhalb der Koalition ebenfalls sehr unterschiedlich beurteilt. Ein solches Projekt
ist nach meiner Meinung dann sinnvoll, wenn die Aufgaben, deren Übernahme als gesellschaftspolitisch notwendig erachtet wird, exakt definiert sind. Es geht also um
Aufgaben, welche die Politik den Kassen überträgt oder
künftig übertragen wird, zum Beispiel die beitragsfreie
Mitversicherung der Kinder in der gesetzlichen Krankenkasse. Im aktuellen Haushalt 2007 wird hierfür neben den ursprünglich geplanten 1,5 Milliarden Euro nun
zusätzlich 1 Milliarde Euro in das Kapitel 15 02 eingestellt.
({6})
- Diese 1 Milliarde Euro wird seriös aus dem Steueraufkommen finanziert.
Diese Gesundheitsreform muss daran arbeiten, weitere Effizienzgewinne zu heben. Erste Ansätze zur Stärkung der integrierten Versorgung bei Schwerstkranken
müssen - kein Zweifel - ausgebaut werden. Vorteile erwarte ich mir persönlich von der künftig konsequenten
Umsetzung des Hausarztmodells durch die Kassen und
einer entsprechend breiten Inanspruchnahme dieses Modells durch die Versicherten. Ich bin überzeugt, da könnten Hunderte von Millionen Euro - wenn nicht noch
mehr - gespart werden. Von Bonusprogrammen, die auf
der regelmäßigen Vorsorge der Menschen aufbauen, verspreche ich mir ebenfalls große Effizienzgewinne in der
Größenordnung von Hunderten von Millionen Euro.
Weitere Potenziale sehe ich auch darin, dass künftig
hoch spezialisierte Leistungen im Benehmen mit den
Ländern ambulant auch an Krankenhäusern erbracht
werden können.
Ganz zum Schluss möchte ich noch etwas zum zentralen Instrument des Risikostrukturausgleiches sagen. Er muss nach meiner Meinung so ausgestaltet sein,
dass er den Kassen ermöglicht, ihren Aufgaben samt den
Erweiterungen des Leistungskataloges, wie jetzt beschlossen, gerecht zu werden. Ohne einen umfassenden
Morbiditätszuschlag wäre dies nicht möglich. Nur wenn
der RSA auch künftig einen hundertprozentigen Einnahmeausgleich im Fonds sicherstellt, wird er den Namen
Risikostrukturausgleich auch verdienen.
({7})
Das muss funktionieren, weil ich gar nicht daran denken
möchte, was es bedeutet, wenn die Kassen ernsthaft und
dauerhaft auf die Zusatzbeiträge zurückgreifen müssten.
Das würde nach meiner Meinung den Wettbewerb für
die gesetzlichen Kassen, die Volkskassen, deutlich erschweren. Das möchte ich nicht. Es darf nicht passieren,
dass gesetzliche Kassen als Volkskassen, die sie sind,
({8})
dadurch Nachteile haben, dass sie in wirtschaftlich
schwierigen Regionen des Landes mehr Menschen, die
arbeitslos sind, ältere Menschen oder kränkere Versicherte versorgen müssen. Das darf nicht sein.
({9})
Der Haushalt 2007 und die mittelfristige Finanzplanung bieten wenig Spielraum für Experimente, wie sie
von der Opposition vorgeschlagen worden sind. Ganz im
Gegenteil, ich als Gesundheitshaushälter leite ab: Die Sicherung der Sozialsysteme hängt entscheidend davon ab,
dass wir den Bundeshaushalt durch Entschuldung stabilisieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, erst aus der
Kombination von gezieltem Schuldenabbau und einer
gesicherten Gegenfinanzierung für künftige Maßnahmen
im Gesundheitssystem ist es möglich,
({10})
mittel- und langfristig mit einer Steuerfinanzierungsfunktion das Gesundheitssystem wirksam zu unterstützen und damit den Faktor Arbeit auch entsprechend zu
entlasten.
Als Hauptberichterstatter möchte ich mich bei allen
Berichterstattern der Fraktionen, ganz besonders beim
Unionskollegen Norbert Barthle, für die gute Zusammenarbeit bedanken, ebenso bei der Ministerin für die
sehr guten Vorlagen aus dem Gesundheitsministerium
sowie beim Finanzministerium für die gute Kooperation
und für die fachgerechte Unterstützung bei der Aufstellung des Einzelplans 15, Gesundheit, für das Jahr 2007.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat der Kollege Frank Spieth, Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Kollege Schurer, es ist immer wieder erfreulich, Ihnen als Haushälter beim Thema
Gesundheitspolitik zu lauschen. Ich frage mich nur, ob
das, was Sie hier in vielen Passagen richtigerweise sagen, auch in Übereinstimmung zu bringen ist mit dem,
was Ihr Koalitionspartner zur Gesundheitsreform gerade
am Beispiel des Morbiditäts-, also des krankheitsorientierten Risikostrukturausgleichs gesagt hat. Ich stelle
dort ganz erhebliche Differenzen fest und verstehe insofern Ihre Dankesarie am Ende Ihrer Rede nicht. Die Ausführungen widersprechen ein ganzes Stück dem, was in
dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz niedergeschrieben ist, und geben eher zu nachhaltigem Stirnrunzeln
Anlass als zu Dankesreden an Ihren Koalitionspartner.
Aber ich stelle anheim: Es ist Ihr gutes Recht, dies hier
zu tun.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat
mit der Koalitionsvereinbarung vom 11. November 2005
ein ausdrückliches Bekenntnis zur Sicherung einer nachhaltigen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben. In dem uns vorliegenden Entwurf
zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2007
und im Finanzplan des Bundes für die Jahre 2006 bis
2010 suche ich dazu vergebens die entsprechenden
Grundlagen.
Sie sprechen davon, dass den Bürgerinnen und Bürgern ein modernes und leistungsfähiges Gesundheitswesen mit hochwertiger Gesundheitsversorgung bereitgestellt wird, und weisen zu Recht darauf hin, dass dieser
Sektor mit 4,2 Millionen Beschäftigten eine dynamische
Wirtschaftsbranche ist. Nun könnten wohlmeinende
Bürger oder Bürgerinnen zu der Auffassung kommen,
dass Sie dann auch alles tun werden, um dieses System
zu stabilisieren und mit einer nachhaltigen Finanzreform
die dazu erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen.
Leider weit gefehlt. Im Einzelplan 15 des Bundesministeriums für Gesundheit vermissen wir die dazu notwendigen Schlussfolgerungen. Wir finden das genaue Gegenteil.
Wir haben Sie schon vor Monaten durch Anfragen
und durch Debattenbeiträge hier im Hause darauf aufmerksam gemacht, dass den gesetzlichen Krankenkassen
im Jahre 2007 infolge der weitgehenden Beseitigung von
Urlaubs- und zum Teil auch von Weihnachtsgeldzahlungen sowie von Lohnkürzungen und von Kürzungen der
Versicherungsbeiträge für Bezieher von Arbeitslosengeld I und II erhebliche Einnahmeverluste entstehen.
Wir haben Sie außerdem darauf hingewiesen, dass im
kommenden Jahr durch die Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie für Krankenhausärzte, durch die Erhöhung der
Mehrwertsteuer, durch die zu erwartenden Ausgabensteigerungen bei Arzneien sowie durch weitere zusätzliche Leistungen bei den Krankenkassen finanzielle Mehrbelastungen eintreten werden, ganz zu schweigen von
der Tatsache, dass Sie zukünftig den Krankenkassen
auch noch die Investitionen in den Krankenhäusern zumuten wollen.
Gleichzeitig kürzen Sie den Bundeszuschuss an die
Krankenkassen von 4,2 auf 1,5 Milliarden Euro. Zur Erinnerung: Dieser Bundeszuschuss stammt aus der im
Jahre 2004 vorgenommenen Erhöhung der Tabaksteuer
und sollte zur Finanzierung von Mutterschaftsleistungen
eingesetzt werden.
Alles in allem entsteht den Krankenkassen im Jahre
2007 eine Finanzierungslücke von 10 bis 13 Milliarden
Euro. Immerhin 7 Milliarden Euro werden von Ihnen zugegeben. Wir fragen uns, wie Sie diese Lücke schließen
wollen, die Sie zu einem ganz wesentlichen Teil zu verantworten haben. Auf diese Fragen geben Sie mit Ihrem
Haushaltsplan, den milliardenschweren Kürzungen und
der Mehrwertsteuererhöhung die falsche Antwort.
({0})
Ich habe an dieser Stelle schon mehrfach dazu aufgefordert, dem deutschen Gesundheitswesen eine stabile
Finanzgrundlage zu geben. Aus meiner Sicht, meine Damen und Herren von der großen Koalition: Fehlanzeige!
Ihre konkrete Politik mit diesem Haushalt und mit dem
uns vorliegenden GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz
wird nur eines realisieren: die Versicherten mit einem
Einkommen unter 3 562,50 Euro im Monat nachhaltig
über Beitragserhöhungen zur Kasse zu bitten.
Wir haben in diesem Jahr Vorschläge gemacht, wie
wir zu einer sozial gerechteren Finanzierung der Einnahmen kommen können. Wir, die Linke, wollen mit einer
solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung,
die alle in Deutschland lebenden Menschen in der gesetzlichen Krankenkasse versichert, dafür Voraussetzungen schaffen. Wir wollen, dass von allen Einkommensarten, also von Arbeits- und Vermögenseinkommen,
Beiträge eingezogen werden und dass sie mit dem gleichen Prozentsatz belastet werden.
Damit könnten Überlastungen von Menschen mit geringem Einkommen vermieden werden. Man müsste den
Gutverdienenden und den Vermögenden in dieser Gesellschaft allerdings Solidarität zur Finanzierung unseres
Gesundheitswesens abverlangen.
({1})
Nur so kann der alte Grundsatz in der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten werden, dass Gesunde für
Kranke, Junge für Alte und Reiche für Arme eintreten.
Das, meine Damen und Herren von der großen Koalition, verlangt aber die Auseinandersetzung mit Privilegien und mit den Privilegierten in dieser Gesellschaft.
Dazu haben Sie leider keinen Mut.
({2})
Ich finde es skandalös, dass wir mehr und mehr auf
eine Dreiklassengesellschaft im Gesundheitswesen zusteuern. Privatpatienten erhalten in den Krankenhäusern
alle erforderlichen und zweckmäßigen Leistungen, während gesetzlich Krankenversicherte zunehmend eingeschränkte Leistungen erhalten. So ist jedenfalls die Aussage vieler Klinikärzte. Privatversicherte erhalten bei
vielen niedergelassenen Ärzten vorrangig Termine, während gesetzlich Krankenversicherte zum Teil monatelang
auf einen Facharzttermin warten müssen.
Aber damit nicht genug: Zuzahlungsregelungen,
Krankenhaustagegeld, Eintrittsgebühren bei Ärzten haben die verhängnisvolle Wirkung, dass immer mehr
Menschen von der gesundheitlichen Versorgung abgehängt werden. Langzeitarbeitslose, die keinen Anspruch
auf Arbeitslosengeld II haben, werden aufgefordert, sich
privat zu versichern, ohne zu wissen, woher sie das dafür
erforderliche Geld nehmen sollen. Zehntausende sind
auf diese Art und Weise aus dem Schutz der gesetzlichen
Krankenversicherung herausgefallen. Dies wollen Sie
zwar ändern, aber die notwendigen Gelder dafür stellen
Sie auch in diesem Haushalt nicht bereit.
Die Politik der Beitragserhöhungen, der Leistungsausgrenzungen und der Zuzahlungen, die schon unter
Helmut Kohl begonnen hatte und von Gerhard Schröder
fortgesetzt wurde, wird mit den aktuellen Maßnahmen
und dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz konsequent
fortgesetzt. Sie versprechen zwar das Gegenteil. Aber
die Anhörungen in den letzten Tagen haben die entsolidarisierenden und unsozialen Wirkungen des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes eindeutig bestätigt.
Wir haben mit unseren Änderungsanträgen zum
Einzelplan 15, Gesundheit, ein Sofortprogramm zur
Finanzierung und Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung gefordert. Wir wollen, dass die Einnahmeverluste, die Mindereinnahmen sowie die Mehrausgaben im Jahre 2007 mit 7,95 Milliarden Euro zusätzlich
ausgeglichen werden. Gleichzeitig erwarten wir, dass
Sie die Entschuldung der gesetzlichen Krankenkassen in
Höhe von 4,8 Milliarden Euro durch einen Bundeszuschuss aus den erhöhten Steuereinnahmen dem Einzelplan 15 zuordnen. Uns reicht die - gnädig zugestandene - 1 Milliarde Euro aus dem zusätzlichen Steueraufkommen nicht aus; denn Sie haben den Bundeszuschuss
vorher um 2,7 Milliarden Euro gekürzt. Ich bitte um Zustimmung zu unseren Änderungsanträgen.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Norbert Barthle,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Verehrte Frau Ministerin! Die jetzige Debatte zeigt, dass mit der heutigen Lesung des
Einzelplans 15 die relativ aufgeregte Debatte um die Gesundheitsreform noch nicht zu Ende sein wird. Um ein
etwas relativierendes Licht darauf zu werfen, möchte ich
mit einem Zitat in meine Rede einsteigen:
Es ist nicht zu verkennen, dass für die Höhe der
Beiträge [in der gesetzlichen Krankenversicherung]
einmal eine Grenze gegeben ist, die aus volkswirtschaftlichen und psychologischen Gründen nicht
überschritten werden sollte. So scheint mir, bleibt
nur der Weg, durch eine Entlastung der Krankenversicherung von Bagatellfällen einerseits die Kassen in die Lage zu versetzen, bei lang andauernden
und schweren Krankheiten wirksam zu helfen, andererseits die Beitragsbelastung in vernünftigen
Grenzen zu halten.
Von wem stammt das wohl? Von Horst Seehofer? Von
Ulla Schmidt? Nein, weit gefehlt! 1958 stellte der damalige Arbeitsminister Theodor Blank fest, dass wir eine
umfassende Reform der gesetzlichen Krankenversicherung brauchen, bei eigentlich genau den gleichen Voraussetzungen wie heute, allerdings unter anderen GegebenNorbert Barthle
heiten: So lag das Wirtschaftswachstum bei 5 Prozent,
überschuldete Haushalte waren Fremdworte usw.
({0})
Was lernen wir daraus? Ich glaube, diese große Koalition hat aus den bisher gemachten Erfahrungen gelernt
und eine Reform vorgelegt, die unser Gesundheitssystem grundlegend erneuert und es damit zukunftsfester
macht sowie für mehr Transparenz, mehr Effizienz und
mehr Wettbewerb steht. Deshalb kann sich diese Reform
sehen lassen.
Liebe Kollegin Winterstein, an dieser Stelle möchte
ich der FDP empfehlen, eine ordnungspolitische Debatte
anzustrengen. Ich bin bisher immer davon ausgegangen,
dass Sie von der FDP für mehr Wettbewerb sind. Deshalb verstehe ich jetzt nicht, weshalb die FDP gegen
diese Gesundheitsreform ist. Vielleicht machen Sie sich
einmal schlau, was der Vorstandsvorsitzende der BKK in
Deutschland, Ralf Sjuts, am vergangenen Sonntag in
„Sonntag Aktuell“ geschrieben hat. Er sagt:
Mit dieser Gesundheitsreform wird es für die Versicherten langfristig durch den Wettbewerb qualitativ
bessere Leistungen und zu günstigeren Preisen geben.
({1})
Das ist die Leistung des Wettbewerbs, sehr verehrte Frau
Kollegin Winterstein. Warum die FDP dagegen ist,
werde ich wohl mein Leben lang nicht verstehen.
({2})
Zu den fachpolitischen Auseinandersetzungen möchte
ich mich nicht vertiefend äußern, sondern jetzt als Haushälter reden. Nach Abzug des durchlaufenden Postens an
die GKV verbleiben rund 425 Millionen Euro für den
Gesundheitsetat. Das ist in Relation zum Gesamthaushalt
relativ wenig. Dennoch hebt sich dieser Etat für 2007 etwas von den früheren ab. Das liegt schlicht und einfach
daran, dass ein Erweiterungsneubau in der Rochusstraße
vorgesehen ist, der allein 16 Millionen Euro verschlingt.
Im Rahmen eines Gesamtkontextes werden wir sicherlich noch länger darüber diskutieren, wie wir damit verfahren. Mein Kollege Fromme hat heute Vormittag schon
darauf hingewiesen, dass wir Haushälter die Debatte bezüglich der Dependancen in Bonn und der Einrichtungen
hier in Berlin angestoßen haben.
Zurück zum Haushalt: Der Gesamtetat des Einzelplans 15 umfasst 2,9 Milliarden Euro. Der Zuschuss für
die GKV wird jetzt richtigerweise als Zuschuss für die
gesamtgesellschaftlichen Aufgaben der gesetzlichen
Krankenversicherungen bezeichnet.
({3})
Der Zuschuss in Höhe von 4,2 Milliarden Euro für die
versicherungsfremden Leistungen sollte auf 1,5 Milliarden Euro gekürzt werden, wird jetzt aber um eine zusätzliche Milliarde auf 2,5 Milliarden Euro angehoben. Diesbezüglich gab es viel Kritik in der Öffentlichkeit; diesbezüglich gab es viel Kritik vonseiten der Opposition. Die
FDP kommt ständig darauf zu sprechen. Noch heute früh
hat die Kollegin Hajduk von den Grünen von einem
Zickzackkurs und Herumgeeiere geredet.
({4})
Auch der Sachverständigenrat hat sich ähnlich eingelassen. Lassen Sie mich deshalb noch einmal in aller Ruhe
einen Blick auf die Faktenlage werfen; dann relativiert
sich vielleicht manches wieder.
Rot-Grün hat diese Zuschüsse 2004 mit möglichen
Mehreinnahmen aus der Tabaksteuer verknüpft und
versprochen, diese Mehreinnahmen den GKVen als Zuschüsse zukommen zu lassen.
({5})
Dieser Schuss ging zugegebenermaßen nach hinten los.
Wie sah es nämlich aus? 2003 hatten wir Tabaksteuereinnahmen in Höhe von 14 Milliarden Euro. Nach der
Tabaksteuererhöhung waren es gerade noch 13,6 Milliarden Euro. In den Folgejahren lagen die Einnahmen
immer um 2 bis 3 Milliarden Euro niedriger als erwartet.
So werden sie auch 2007 über 3 Milliarden Euro niedriger liegen als erwartet. Wir machen also nichts anderes,
als zu den Prinzipien der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit zurückzukehren, indem wir diese Fehleinschätzung der Vergangenheit korrigieren und den Etat
wieder auf ordentliche Beine stellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es schadet dem Ansehen der Politik insgesamt nicht, wenn wir
eine Fehleinschätzung eingestehen und dann die richtigen Schlüsse ziehen und diese Fehleinschätzung korrigieren. Deshalb sage ich an dieser Stelle auch an die
Krankenkassen: Ich wäre froh, wenn endlich dieses Lamentieren darüber aufhören würde, dass aufgrund der
Absenkung der Steuerzuschüsse jetzt die Beiträge erhöht
werden müssen, damit die 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden können.
({6})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Bahr?
Aber immer, gerne.
Herr Kollege Barthle, können Sie mir bitte einmal
Folgendes erklären: Sie sagten, da die Tabaksteuereinnahmen nicht so hoch ausgefallen seien, wie Sie erwartet
Daniel Bahr ({0})
hätten, hätten Sie den Zuschuss für die Krankenkassen
streichen müssen. Heißt das, dass Sie die Hoffnung haben, dass die Menschen sich weiterhin gesundheitsschädlich verhalten und mehr rauchen, damit Sie mehr
Geld in die Krankenversicherung geben können? Ist das
die Logik, die hinter diesem Zuschuss steckt?
({1})
Denn das Geld fehlt ja offensichtlich, weil sich die Menschen gesundheitsbewusst verhalten haben.
Herr Bahr, ich kann Ihnen die Logik gerne noch einmal erklären. Wenn man die Zusage, die Steuermehreinnahmen aus der Tabaksteuererhöhung der GKV zur Verfügung zu stellen, ernst nimmt, dann müsste der Bund
eigentlich von den Krankenkassen Geld zurückfordern,
da die Erhöhung eben nicht zu Mehreinnahmen, sondern
zunächst einmal zu einem Rückgang der Einnahmen geführt hat.
({0})
Auch heute liegen die Mehreinnahmen weit unter dem,
was erwartet worden war. Dass wir logisch handeln, sehen Sie daran, dass wir diese Fehleinschätzung der Vergangenheit korrigieren und das Ganze den Fakten entsprechend wieder auf die Beine stellen. - Herzlichen
Dank.
({1})
Prinzipiell entspricht der Weg einer verstärkten Steuerfinanzierung innerhalb des GKV-Systems, den wir
jetzt beschreiten, dem, was alle kundigen Thebaner uns
raten, weil wir damit zumindest einen Einstieg in die
Entkoppelung unserer sozialen Sicherungssysteme vom
Lohneinkommen schaffen. Das ist das, was wir alle wollen,
({2})
weil es zu einer gerechteren Finanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme führt. Denn die Steuereinnahmen
sind nach der Leistungsfähigkeit gestaffelt; das heißt, die
Bankerin zahlt mehr als der Gebäudereiniger.
(Frank Spieth [DIE LINKE]: Die Abkoppelung der Arbeitgeber ist interessant!
Herr Kollege von der Linken, das sollten auch Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
Noch ein Wort an die Krankenkassen. Mein Kollege
Schurer hat bereits erwähnt, dass man nicht nur die
2,5 Milliarden Euro sehen darf, die wir jetzt den Krankenkassen aus Steuermitteln zur Verfügung stellen, sondern auch das Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz in den Blick nehmen muss, das für die
Krankenkassen ein Entlastungsvolumen von 1,5 Milliarden Euro bedeutet. 2,5 Milliarden Euro aus Steuermitteln plus 1,5 Milliarden Euro aus dieser gesetzlichen
Maßnahme, das bedeutet nach Adam Riese unter dem
Strich 4 Milliarden Euro Entlastung für die GKV gegenüber 4,2 Milliarden Euro bisherigem Zuschuss.
({3})
Derjenigen Kasse, die jetzt noch argumentiert, Beitragserhöhungen seien eine Folge des Entzugs von Steuermitteln, muss ich sagen, dass ich einer solchen Logik
nicht folgen kann. Ich fordere deshalb alle Kassen auf,
dieses Lamentieren endlich einzustellen, stattdessen die
Chancen zu ergreifen und zu nutzen, die in mehr Wettbewerb und mehr Transparenz bestehen, und sich entsprechend zu positionieren.
({4})
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch kurz einen
Blick über den Tellerrand des Gesundheitsetats werfen,
und zwar auf die Frage unserer Sozialabgaben, unserer
Lohnnebenkosten, was durchaus in diesem Zusammenhang zu sehen ist. Heute Vormittag wurde an dieser
Stelle bereits darüber debattiert. Ich habe festgestellt,
dass die Opposition sich schon da nicht ganz auf dem
Boden der Tatsachen bewegt hat. Denn wie sieht es 2007
aus? Die Rentenversicherungsbeiträge steigen auf
19,9 Prozent. Die Arbeitslosenversicherungsbeiträge haben wir auf 4,2 Prozent abgesenkt. Hinzu kommt die
Pflegeversicherung mit 1,7 Prozent. Wenn ich dann noch
die Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von, Steigerung inbegriffen, 13,9 Prozent auf Arbeitgeberseite hinzurechne und den Arbeitnehmeranteil von 0,9 Prozent
abziehe, dann addiert sich das auf eine Summe von
39,7 Prozent. Das heißt, wir werden bereits nach zwei
Jahren Arbeit in der großen Koalition das angestrebte
Ziel, die Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent zu senken, im kommenden Jahr erreichen. Das ist eine großartige Leistung der großen Koalition und ein Erfolg, den
auch die Opposition nicht einfach kleinreden kann. Mit
der Absenkung der Lohnnebenkosten erhöhen wir die
Chance, dass mehr Arbeitsplätze geschaffen werden und
dass damit noch mehr Menschen in Arbeit kommen. Die
Erwähnung dieses Erfolges sollte man nicht hintanstellen.
({5})
Noch eine Bemerkung zu den einzelnen Positionen
im Einzelplan 15. In diesem Etat sind allein 140 Millionen Euro für Personalkosten vorgesehen; das ist der
größte Brocken des ministeriellen Etats. Damit werden
im Ministerium und in fünf nachgeordneten Behörden
2 400 Stellen finanziert. Wir Haushälter werfen immer
einen kritischen Blick auf die Personalkosten. Wir mussten in diesem Jahr zwar einige neue Planstellen akzeptieren, weil die Begründung stichhaltig und überzeugend
war - wir wollen ja mit Sorgfalt und nicht mit Uneinsichtigkeit vorgehen -, aber wir sagen, dass wir auf
lange Sicht an dieser Stelle eine konstruktive Aufgabenkritik betreiben werden.
Man muss betonen, dass der Bundesrechnungshof Ihr
Haus, Frau Ministerin, ausdrücklich gelobt hat. Er hat
nur eine einzige kritische Erwähnung vorgenommen, die
die Insellösungen bei den Personal- und Stellenverwaltungssystemen betrifft. Wir sollten einmal miteinander
sprechen, ob man die Anregungen des Bundesrechnungshofes an dieser Stelle nicht aufgreifen kann.
Darüber hinaus haben wir innerhalb des Etats einige
Schwerpunkte gesetzt. Darüber waren der Kollege
Ewald Schurer und ich uns sehr einig. Das betrifft zusätzliche Mittel für die Aids-Aufklärung und zusätzliche
Mittel für die Prävention, für die 3 Millionen Euro zur
Verfügung stehen. An dieser Stelle muss man immer
wieder betonen: Die meisten Krankheiten werden nicht
angeboren, sondern stellen sich im Laufe des Lebens ein.
Prävention ist immer noch das beste Mittel, um Krankheiten zu vermeiden. Deswegen werden dafür auch mehr
Mittel zur Verfügung gestellt.
({6})
Selbstverständlich stehen wir auch an der Seite des
Gesundheitsministeriums, wenn es darum geht, für eventuell drohende Gefahren Vorsorge zu treffen. Ich nenne
in diesem Zusammenhang nur die Stichworte Bioterror
oder Pandemien wie Vogelgrippe. Heute konnten wir in
der Zeitung lesen, dass die Vereinigten Staaten Impfstoffe in einem Wert von 200 Millionen Dollar bestellt
haben. Wir geben dafür in fünf Jahren nur 20 Millionen
Euro aus. Auch wenn wir uns auf einem vergleichsweise
niedrigen Niveau befinden, ist die Sicherheit gewährleistet. Trotzdem sollten wir diesen Punkt im Auge behalten.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgitt Bender,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Barthle, ich darf Ihrem politischen Gedächtnis
etwas auf die Sprünge helfen. Die Koalition, der Sie angehören, ist angetreten, um die Lohnnebenkosten zu senken. Was aber haben Sie gemacht? Die größte Steuererhöhung nach dem Krieg!
({0})
Sie haben es gerade einmal geschafft, die Beiträge zur
Arbeitslosenversicherung zu senken. Die Beiträge in der
Rentenversicherung und in der Krankenversicherung
steigen aber.
({1})
Warum steigen sie? Vor allem deswegen, weil Sie selbst
ein Milliardenloch an dieser Stelle geschaffen haben.
Es ist natürlich richtig, was meine Kollegin heute
Morgen gesagt hat. Sie fahren hier einen Zickzackkurs:
rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln.
({2})
Denn Sie haben für 2007 wieder 1 Milliarde Euro Steuermittel eingestellt. Man weiß aber nicht, was 2008 wird.
Es bleibt dabei, dass Sie eine Lücke durch Abschaffung
des Steuerzuschusses verursacht haben. Damit tragen Sie
dazu bei, dass die Lohnnebenkosten steigen. Warum Sie
das getan haben, müssen Sie einem vernünftigen Menschen erst einmal erklären.
({3})
Herr Kollege, da Sie es mit der Seriosität in der Haushaltspolitik haben, sollten Sie Ihre Kollegen aus dem Bereich Gesundheit einmal fragen, warum sie bei dieser
Reform davon sprechen, es sei ein Steuerzuschuss für
die Kindermitversicherung geplant, obwohl das eine
reine Luftbuchung ist. Denn nirgendwo - auch nicht in
der mittelfristigen Finanzplanung - ist dies ausgewiesen.
Wenn man ein solches Vorgehen seriös nennt, dann haben wir einen verschiedenen Begriff von Seriosität.
({4})
Wir reden nicht nur über den Haushalt des Gesundheitsministeriums, sondern wir befinden uns inmitten
des parlamentarischen Verfahrens zur Gesundheitsreform. Wir haben viele Stunden Anhörung gerade hinter uns.
({5})
Ich frage mich, ob die Koalition bereit ist, etwas daraus
zu lernen. Denn es hat sich doch gezeigt, dass es nicht
nur Kritik, wie das zugegebenermaßen bei jeder Anhörung der Fall sein mag, gab, sondern dass Sie von allen
Sachverständigen auf der ganzen Fläche zu hören bekommen haben, dass es so nicht geht.
({6})
Das war ein Desaster für die Koalition.
Ich will das an einigen wenigen Punkten deutlich machen, zunächst am Zusatzbeitrag. Ich rede gar nicht
über soziale Gerechtigkeit und die Belastung der Versicherten. Ich rede darüber, dass die Koalition sagt, mit
dem Zusatzbeitrag solle es Wettbewerb der Kassen untereinander geben. Was haben wir in der Anhörung gehört? Dieser Wettbewerb wird nichts anderes sein als ein
Wettrennen der Kassen um Gutverdienende, Kinderlose
und Gesunde.
({7})
Denn es werden die Kassen mit vielen einkommensschwachen und kinderreichen Mitgliedern sein, die, obwohl sie keineswegs schlecht wirtschaften - vielleicht
sogar besser als andere Kassen -, durch die Erhebung
des Zusatzbeitrages in den Ruin getrieben werden,
({8})
weil sie ihr besseres Wirtschaften gar nicht realisieren
können.
({9})
Das haben Ihnen die Experten - Sie selber haben
Herrn Rürup und Herrn Fiedler eingeladen - schon im
Vorfeld der Anhörung gesagt und sie haben es auf der
Anhörung wiederholt. Wenn Sie also bei der Einführung
des Zusatzbeitrages bleiben, dann muss man dieser
Koalition vorwerfen, dass sie das Krankenversicherungssystem sehenden Auges schwer beschädigt und
dies lieber tut, als einen mühsam herbeigeführten Kompromiss wieder aufzuschnüren. Das gereicht Ihnen nun
wirklich nicht zur politischen Ehre.
({10})
Ein weiterer Punkt. Sie führen letztlich das Verschuldensprinzip in die gesetzliche Krankenversicherung
ein. Es ist ja richtig, was Sie, Herr Barthle, vorhin sagten, nämlich dass die Mehrzahl der Krankheiten nicht
angeboren ist. Aber was schließt man denn daraus? Die
Koalition führt die Regelung ein, wonach Krebskranke
in Zukunft die vollen Zuzahlungen für Arzneimittel,
Krankenhausaufenthalte und weitere Leistungen zu tragen haben, wenn sie nicht regelmäßig bei Früherkennungsuntersuchungen waren. Das ist zynisch. Es gehört nicht viel dazu, das zu erkennen.
Aber die Sachverständigen haben Ihnen auf der Anhörung Weiteres ins Stammbuch geschrieben, nämlich
dass nicht alle Früherkennungsuntersuchungen per se
gut sind. Die Stiftung Warentest hat 50 davon unter die
Lupe genommen und ist zu dem Ergebnis gekommen,
dass 36 der angebotenen Untersuchungen per se ungeeignet und 13 eingeschränkt geeignet sind. Gerade einmal eine Untersuchung hat sie als geeignet befunden.
Das heißt doch, dass die Politik vor allem die Aufgabe
der Qualitätssicherung hat und nicht Pädagogik mit dem
Rohrstock betreiben sollte.
({11})
Im Übrigen müssen sich Versicherte auch gegen die
Teilnahme an einer solchen Untersuchung entscheiden
können, weil dies immer eine Risikoabwägung bedeutet.
Es wundert mich, dass gerade die Union, die jüngst wieder bürgerliche Werte hochhalten wollte, beispielsweise
die Entscheidung einer mündigen Patientin mit finanziellen Sanktionen belegen will. Das ist schon sehr
merkwürdig.
Schließlich geht es darum, dass die tatsächliche Zugänglichkeit zu qualitätsgesicherten Früherkennungsuntersuchungen verbessert werden muss, weil es nämlich eher die sozial Benachteiligten sind, die diese nicht
in Anspruch nehmen. Es zeigt sich, dass beispielsweise
bei einem Bonusprogramm, wie es die AOK BadenWürttemberg - übrigens durch die Möglichkeiten, die
mit der letzten Gesundheitsreform geschaffen wurden aufgelegt hat, 89 Prozent der an diesem Programm Teilnehmenden auch zu Krebsfrüherkennungsuntersuchungen gehen. Wenn man eine solche breite Teilnahme will,
dann kann dies nur so herum funktionieren und nicht mit
schwarzer Pädagogik.
Weiterhin wollen Sie in Zukunft selbst verschuldete
Behandlungsbedürftigkeiten nicht mehr bezahlen. Als
Beispiel müssen die Tätowierungen herhalten. Warum
eigentlich nicht der Tennisarm? Was ist mit der Achillessehne, die beim Joggen reißt? Was ist mit den Couchpotatoes, die durch Bewegungslosigkeit und zu viel
Essen Krankheiten selbst verursachen? Wollen Sie all
diese in Zukunft mit finanziellen Sanktionen belegen?
Ich kann Ihnen nur sagen: Wir brauchen zwar gesundheitsbewusstes Verhalten; aber das kann man nicht mit
schwarzer Pädagogik herbeizwingen.
({12})
Das sollten Sie aus der Anhörung gelernt haben.
Weiterhin haben Sie zumindest innerhalb der privaten Krankenversicherung - wenn es schon keinen einheitlichen Versicherungsmarkt gibt - Wettbewerb versprochen. Was passiert mit dem Standardtarif und der
eingeschränkten Übertragbarkeit der Altersrückstellungen auf diesen Standardtarif? Dazu haben uns die Experten deutlich gesagt: Es wird praktisch gar nichts passieren. Für jetzt PKV-Versicherte ist es nach wie vor in
keiner Weise attraktiv, das Versicherungsunternehmen
zu wechseln. Das heißt, Wettbewerb wird weiterhin nur
um Junge und Gesunde stattfinden. Die Idee eines Wettbewerbs innerhalb der PKV werden Sie also mit diesem
Modell nicht umsetzen.
Zur Insolvenzfähigkeit der Krankenkassen: Kassen
sollen in Zukunft auch Pleite gehen können. Darüber
kann man reden, aber Sie haben über die Ausgestaltung
dieser Regelung in keiner Weise nachgedacht. In der Anhörung konnte man lernen, dass allein die Bilanzierung
der Pensions- und Altersversorgungsansprüche der Beschäftigten der Krankenkassen mit 10 bis 12 Milliarden
Euro zu Buche schlägt, was bedeuten würde, dass selbst
gesunde Kassen bei einer solchen Regelung den Bach
runtergingen. Ich kann dazu nur sagen: Denken Sie
nach! Nehmen Sie jetzt die Chance wahr, solche Regelungen zu ändern!
Wir streiten schon lange - das soll mein abschließendes Thema sein - über einen Finanzausgleich zwischen
den Krankenkassen, der auch die Krankheiten berücksichtigt, den Morbi-RSA. Bei diesem Thema saß immer
die Union im Bremserhäuschen. Jetzt sollen 50 bis
80 Krankheiten berücksichtigt werden. Was wurde uns
in der Anhörung gesagt? Es hieß, das würde bürokratischen Mehraufwand verursachen. War da nicht einmal
etwas bei der Union bezüglich des Bürokratieabbaus? Im
Übrigen werden Sie den Menschen, die an einer Krankheit leiden, die Sie nicht berücksichtigen wollen, erklären müssen, warum es Krankheiten erster und zweiter
Klasse gibt. Dabei wünsche ich viel Vergnügen. Ich kann
Ihnen nur sagen: Auch darüber sollten Sie noch einmal
nachdenken.
({13})
Kurz und gut: Diese Reform bringt es nicht. Sie bringt
es nicht, weil sie vor Ungereimtheiten strotzt. Das haben
wir in der Anhörung erlebt. Selbst bezüglich des Kernstücks der Reform - das ist der berühmte Gesundheitsfonds - müssen Sie sich von den Anhängern solcher Lösungen sagen lassen, dass die jetzige Ausgestaltung es
nicht bringt. Der Fonds taugt allenfalls als politisches
Wartehäuschen für die politische Regenzeit, die Sie offenbar in dieser Koalition erleben. Ich sage Ihnen: Wer
politisch gestalten will, muss auch bereit sein, sich gelegentlich nasse Füße zu holen.
Danke.
({14})
Das Wort hat jetzt die Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten heute über den Einzelplan 15. Wir haben
schon viel darüber gehört, dass der Haushaltsausschuss,
der eine Beschlussempfehlung abgegeben hat, auch in
den letzten Beratungen noch dazu beigetragen hat, den
Haushalt aufzustocken. Ich glaube, das war eine gute
Entscheidung. Die Entscheidung, die Steuerzuschüsse zu
streichen, hat nichts mit der Gesundheitsreform, sondern
mit haushaltspolitischen Entscheidungen zu tun.
({0})
Dass die Finanzierung im Prinzip an das Tabaksteueraufkommen geknüpft war,
({1})
hatte etwas mit den Entscheidungen zu tun, die die Grünen forciert und mitgetragen haben. Dafür ist nicht die
jetzige Bundesregierung verantwortlich gewesen. Ich
bin dafür, die Zusammenhänge so darzustellen, wie sie
tatsächlich sind. Ich bin daher froh, dass mit der Gesundheitsreform ein Weg gefunden wurde, der unabhängig
vom Aufkommen der Tabaksteuer oder einer anderen
Steuer gegangen werden kann. Wir wollen zur Finanzierung des Gesundheitssystems eine zweite Säule aufbauen, die steuerfinanziert ist. Als wichtigen Schritt
haben wir daher beschlossen, dass der Steueranteil
14 Milliarden Euro ausmachen soll. Das sind immerhin
10 Prozent der heutigen Ausgaben des Gesundheitswesens.
Wir werden diese Säule Schritt für Schritt aufbauen.
Die Tatsache, dass die Koalition in der Lage und bereit
war, jetzt aufgrund der besseren finanziellen Ausgangssituation für das kommende Jahr 1 Milliarde Euro mehr
als ursprünglich geplant aufzuwenden, zeigt, dass der
Wille zu einer stabilen Finanzierung vorhanden ist.
Ich werde oft gefragt: Wozu dient das Geld? Ich antworte dann: Es dient auch zur Abgeltung der gesamtgesellschaftlichen Aufgaben,
({2})
die, Herr Kollege Bahr, nur die gesetzlich Krankenversicherten in diesem Lande finanzieren, während sich die
privat Versicherten und diejenigen, die überhaupt nicht
versichert sind, daran bis heute nicht beteiligen.
({3})
Dazu gehören familienpolitische Leistungen, die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern, Haushaltshilfen
und vieles andere mehr. Dafür werden wir Steuermittel
aufwenden;
({4})
denn heute ist es so, dass nur Kinderlose, die Mitglied
einer gesetzlichen Krankenversicherung sind, an der
Finanzierung der beitragsfreien Mitversicherung für
Kinder beteiligt sind. Wer privat versichert ist, beteiligt
sich bis heute nicht daran. Hier wollen wir ein Stück
mehr Gerechtigkeit schaffen. Das ist der richtige Weg.
({5})
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Niebel?
Ja, bitte.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Können Sie bestätigen, dass Eltern in der privaten Krankenversicherung jedes Kind einzeln versichern müssen? Wenn Sie das bestätigen können: Würden Sie mir den Unterschied bei
der Behandlung von Kindern gesetzlich Versicherter und
privat Versicherter nach Ihrem Konzept erklären?
Herr Kollege Niebel, Sie müssen Folgendes sehen:
Erstens. In die Privatversicherung werden - die Anhörung hat das noch einmal deutlich gemacht - grundsätzlich nur diejenigen aufgenommen, die gesund sind,
die über ein hohes Einkommen verfügen oder verbeamtet sind.
({0})
Demgegenüber werden die Risiken - Behinderungen
und Krankheiten auch von Kindern - von den gesetzlich
Versicherten in diesem Land getragen.
({1})
Zweitens. Alle Bundesregierungen haben entschieden,
dass die gesetzlichen Krankenkassen viele gesamtpolitische Aufgaben, die man auch über Leistungsgesetze regeln könnte, erfüllen müssen. Wenn die entsprechenden
Leistungen - zum Beispiel für Haushaltshilfen, die einspringen, wenn Eltern erkrankt sind - über Leistungsgesetze geregelt würden, müssten sie ebenfalls über Steuern finanziert werden. Deshalb ist es richtig, dass alle an
der Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben,
die originär nichts mit Krankheit zu tun haben - etwa die
Unterstützung von Familien, die in eine schwierige Situation geraten, weil ein Elternteil krank wird -, beteiligt
werden. Deshalb hat sich die Koalition dafür ausgesprochen, dass die Finanzierung gesamtgesellschaftlicher
Aufgaben, die bisher nur über die Beiträge der gesetzlich
Versicherten getragen werden, eine Angelegenheit der
gesamten Bevölkerung sein soll und dass sich alle - auch
diejenigen, die nicht gesetzlich versichert sind - daran
beteiligen.
({2})
Ich bedanke mich beim Haushaltsausschuss und bei
den Berichterstattern dafür, dass sie diesen Haushalt ermöglicht haben.
({3})
Die Berichterstatter haben im Haushaltsausschuss ein
klares Signal gesetzt: Trotz der schwierigen finanziellen
Lage fördern wir weiterhin den Gedanken der Prävention. Man kann lange darüber diskutieren, ob die Einführung der Kapitaldeckung und viele andere Maßnahmen
die richtige Antwort auf eine älter werdende Gesellschaft sind. Eines ist jedenfalls klar: Investitionen in Gesundheitsvorsorge und Prävention sind in einer Gesellschaft des längeren Lebens, in der die Menschen so
lange wie möglich gesund leben und so aktiv wie möglich alt werden wollen, entscheidend.
Deshalb ist es auch richtig, neben dem Werben für
mehr Bewegung und gesunde Ernährung mehr Mittel in
Maßnahmen zu investieren, die dazu führen, dass weniger Menschen rauchen. Ich halte es für ein gutes Signal,
dass die Mittel für diese Maßnahmen um 2 Millionen
Euro aufgestockt wurden. Wir würden ein entscheidendes Stück vorankommen, wenn der Bundestag mit einem
Gesetz dem Nichtraucherschutz in Deutschland ein
stärkeres Gewicht beimessen würde und wenn es uns gelänge, die Unterstützung des Bundesrates dafür zu gewinnen. Ich würde das aus gesundheitspolitischer Sicht
sehr begrüßen.
({4})
Ich möchte mich auch dafür bedanken, dass wir die
Mittel für die Aufklärung über HIV/Aids aufstocken
konnten. Ich glaube, dass die Gefahren, die von HIV/
Aids ausgehen, in der Gesamtgesellschaft immer noch
unterschätzt werden. Wir müssen weiterhin viel tun, damit klar wird, dass nur Prävention, also Schutz, ein wirksames Mittel ist. Leider glauben viele junge Menschen,
dass es gute Medikamente gegen Aids gebe, und vernachlässigen die Prävention. Wir werden den Kampf gegen HIV/Aids in Zusammenarbeit mit anderen europäischen Ländern intensivieren müssen. Europa muss das
Thema HIV/Aids auf die Tagesordnung setzen; denn es
ist nicht nur ein gesundheitspolitisches, sondern auch ein
gesellschaftspolitisches und ein ökonomisches Thema.
Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie die Zahl der Neuinfektionen steigt. Mittlerweile beträgt auch in Europa
der Anteil der Frauen an den neu Infizierten mehr als
40 Prozent, wodurch wiederum Kinder gefährdet werden. Wir müssen alles tun, um dies zu einem politischen
Thema zu machen.
Es liegt mit in unserer Verantwortung, dass auch in
unseren osteuropäischen Nachbarstaaten alle Infizierten
Zugang zu einer Behandlung haben. Wir müssen uns für
bezahlbare Medikamente in diesen Ländern einsetzen.
Wir müssen alles tun, um den Zugang zu Präventionsmaßnahmen vernünftig zu organisieren. Deshalb wird
die Regierung HIV/Aids während der EU-Ratspräsidentschaft zu einem Schwerpunktthema machen. Wir glauben, dass hierbei alle gefordert sind. Es ist gut, dass der
Haushaltsausschuss dieses Vorhaben unterstützt, indem
er die Mittel für Aidsprävention erhöht hat.
({5})
Frau Kollegin Winterstein, in der Debatte habe ich
von der FDP - Herr Bahr folgt ja noch - so einiges gehört. Ich hätte es gut gefunden, wenn Sie sich für irgendetwas entschieden hätten.
({6})
Entweder stimmt, dass wir in den kommenden Jahren
zusätzliche Milliarden ins Gesundheitswesen stecken
müssen, oder, dass die Menschen in den kommenden
Jahren keine Leistungen mehr bekommen.
({7})
Sie führen eine Debatte nach dem Motto - Herr Bahr,
Sie schreiben entsprechende Briefe -: Die Leistungen
werden gekürzt; die Ärzte und die Krankenhäuser bekommen kein Geld; die Menschen erhalten keine Leistungen mehr; aber alles wird teurer. Insoweit kann ich
Sie nur auf Ihren Mathematikunterricht zurückverweisen; denn Ihren Ausführungen kann ich nicht ganz folgen.
({8})
Man kann natürlich sagen: Das gehört ins Programm der
„Bar jeder Vernunft“ und ist wert, dort aufgeführt zu
werden.
({9})
Herr Spieth, Sie sprechen hier von 10 Milliarden
Euro. Hat eigentlich einer von Ihnen, die Sie die Debatten unterstützen, die auch von den Verbandsvertretern
initiiert werden, darüber nachgedacht, was in diesem
Lande eigentlich los wäre, wenn es stimmen würde, dass
jedes Jahr 10 oder 15 Milliarden Euro zusätzlich in die
gesetzliche Krankenkasse fließen müssten, um Gesundheitsversorgung zu organisieren?
({10})
Ich glaube, dass man über die Risiken reden muss.
Aus Gründen der Redlichkeit muss man aber auch Folgendes sagen - ich richte das an die Adresse der Verbandsvertreter der Krankenkassen -:
Erstens. Wir haben in diesem Jahr erstmals wieder
steigende Einnahmen, weil wir ein Mehr an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung haben. Das kommt
als Plus in der Rentenversicherung und in der Bundesagentur für Arbeit an und auch als Plus in den gesetzlichen Krankenversicherungen. Das ist mehr als das, was
wir und die Wirtschaftsweisen vor drei Monaten prognostiziert haben.
Zweitens. Zu Beginn dieses Jahres drohte eine Steigerung der Arzneimittelausgaben um 2 Milliarden Euro.
Mit unserem Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung haben wir dafür
gesorgt, dass jetzt, nach dem dritten Quartal, praktisch
keine Steigerung der Arzneimittelausgaben eintritt.
Auch das kann man quasi als Zusatzeinnahme werten.
Drittens. 1 Milliarde Euro mehr Steuermittel.
Viertens. Für das nächste Jahr haben wir - konservativ gerechnet - Einsparungen von 1,3 Milliarden Euro
beschlossen. Herr Kollege Spieth, irgendwann werden
sich auch die Vorsitzenden der Krankenkassen einmal
dafür zu verantworten haben, wohin das Geld fließt,
wenn es nicht in die Versorgung kranker Menschen
fließt.
({11})
Was soll der Gesetzgeber denn tun, wenn auf der anderen Seite, vor Ort, auf diese Entwicklungen offensichtlich nicht reagiert wird? So geht das nicht! Vor diesem
Hintergrund kann in diesem Land keine seriöse Debatte
darüber stattfinden, welche Reformen notwendig sind,
um eine gute Gesundheitsversorgung für die Menschen
in Ost und West, in der Stadt und auf dem Land sicherzustellen. Diese Debatte wollen einige immer noch nicht
führen.
({12})
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Spieth?
Das führt zu weit.
({0})
Wenn Sie glauben, dass man den Kritiken der Lobbyverbände - ({1})
- Ja, der Lobbyverbände. Vonseiten der FDP wurde vorhin gefragt, warum wir in Deutschland seit 1958 falsche
Gesetze gemacht haben. Die FDP war mehr als 30 Jahre
lang in der Regierung. Haben Sie das denn vergessen?
Ihre Parteimitglieder saßen doch nicht irgendwo anderes
auf der Regierungsbank, sondern hier im Deutschen
Bundestag. Ich nenne Ihnen ein paar Dinge, die mich in
diesem Zusammenhang ein bisschen beruhigen: 1988
sagte der BPI - als Sie in der Regierungsverantwortung
standen -: „Der Arzneimittelforschung wird die Grundlage entzogen.“ 1988 die ABDA: Ein „Apothekensterben in nicht bezifferbarer Höhe“ werde vonstatten gehen. Wir haben heute mindestens 500 Apotheken mehr
als zum damaligen Zeitpunkt. Herr Karsten Vilmar
warnte 1992 - Sie waren in der Regierung -: Wir warnen
vor „wachsenden planwirtschaftlichen, dirigistischen
Eingriffen“ ins Gesundheitssystem.1992 wieder der BPI:
„Tiefer Griff in die dirigistische Mottenkiste.“ Weiterhin
prognostizierte man einen „heißen Herbst im Gesundheitswesen“. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft
1992: „Die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhausbetten ist gefährdet.“ Der Marburger Bund 1992: Der Übergang zu einem „staatlichen Gesundheitswesen wird billigend in Kauf genommen“.
Weitere Zitate: „Entmündigung der Selbstverwaltung“, „zentralistische Reglementierung“, „rigorose Kostendämpfung“. Ich könnte hier noch lange so weiter vorlesen.
({2})
Damals waren Sie von der FDP in der Regierung.
({3})
Sie können das bis zum Beginn des letzten Jahrhunderts zurückverfolgen.
({4})
Wenn man sich als Politiker oder Politikerin darauf einlässt, dass man diese Schlagworte als Argumente wirken
lässt, dann hat man verloren. Aber man hat in Wahrheit
nicht selber verloren. Verloren haben vielmehr 82 Millionen Menschen, die darauf angewiesen sind, dass wir gegen die Interessen der Lobbyisten angehen, die, obwohl
sie die Sorge um den Patienten im Mund führen, immer
nur kämpfen, um ein größeres Stück vom Kuchen zu erhalten, der im Gesundheitswesen verteilt wird. Wenn
man den Lobbyisten folgt, haben die Patienten und Patientinnen verloren. Ich sage Ihnen: Wir werden das
nicht machen.
({5})
Wir werden darauf achten, dass wir eine gute Gesundheitsversorgung in diesem Land gegen die Lobbyinteressen durchsetzen.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen, Herr Kollege
Spieth: Mich hat gewundert, dass Sie hier von Berichten
sprechen, gesetzlich Krankenversicherte würden im
Krankenhaus nicht ordentlich behandelt.
({6})
Die gesetzlich Krankenversicherten erhielten keine Termine. Dies alles liege an den Lobbyinteressen.
({7})
Ich frage Sie jetzt einmal - Sie sind Verwaltungsratvorsitzender der AOK in Thüringen -:
({8})
Was tun Sie in Ihrer Krankenkasse, um die Interessen der
Versicherten zu vertreten, und was tun Sie, um die Interessen der Versicherten durchzusetzen, wenn es für sie
eine andere Behandlung gibt? Das müssen Sie sich einmal fragen lassen.
({9})
- Die Krankenkassen wurden nicht gegründet, um irgendetwas auszubaden. Die Krankenkassen führen im Moment mehr Diskussionen darüber, ob aus sieben Spitzenverbänden einer wird, und wehren sich dagegen, dass bei
den Finanzströmen Transparenz einzieht, damit die Versicherten besser sehen können, wie die Krankenkassen
mit ihren Geldern umgehen und welche Versorgungsangebote sie organisieren.
({10})
Das bringt uns nicht nach vorne.
Ich sage Ihnen: Wir - auch ich - werden den Kampf
darum führen, dass die Krankenkassen das tun, wofür sie
da sind, nämlich die Interessen der Versicherten zu vertreten und dafür zu sorgen, dass so etwas nicht vorkommt. Denn das Gesetz erlaubt nicht, dass Menschen,
die gesetzlich krankenversichert sind und hohe Beiträge
zahlen, bei den Ärzten und Ärztinnen oder in Krankenhäusern schlechter behandelt werden als die Privatpatienten. Wenn Sie dabei mitmachen, sind Sie bei uns
willkommen. Aber sich hier hinzustellen, das anzugreifen und selbst in einer verantwortlichen Position zu sein,
das ändern zu können, das geht nicht.
({11})
Wir werden die Debatte weiterführen. Natürlich werden die Koalitionsfraktionen nach den Anhörungen an
einigen Stellen Änderungen des Gesetzentwurfes auf
den Weg bringen, wo man ihn besser formulieren kann.
Man führt Anhörungen ja durch, damit man erfährt, wo
etwas zu Entwicklungen führen könnte, die man nicht
will. Wir werden jedoch nicht davon abrücken, dass wir
diese Reform brauchen.
Ich würde mich freuen, wenn ich nur von einem von
all denjenigen, die hier unsere Arbeit kritisieren, hören
würde, was er stattdessen tun würde.
({12})
Ich möchte von einem Einzigen hören, was passieren
würde, wenn wir die unverantwortliche Forderung, wir
sollten es ganz sein lassen, erfüllen würden.
({13})
Um auf Ihre Krankenkasse einzugehen, sage ich Ihnen: Der AOK-Bundesverband ist der Auffassung, wir
brauchten keine Reform. Es sei genug getan, wenn wir
jedes Jahr 10 Milliarden Euro mehr in das System investierten. Aber ich sage Ihnen: Wer so etwas fordert, der
muss gleichzeitig sagen, dass er nicht will, dass für unsere Kinder in Zukunft weiterhin das gilt, was für uns
selbstverständlich war: dass man dann, wenn man krank
ist, unabhängig von der Höhe des Einkommens eine gute
medizinische Versorgung erhält. Wer so etwas fordert,
der fährt das System gegen die Wand.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Spieth.
({0})
Auch wenn es der SPD-Fraktion nicht gefällt, muss
ich Ihnen, Frau Ministerin, Folgendes sagen:
Erstens. Ich finde es interessant, wenn Privatversicherte über die gesetzliche Krankenversicherung philosophieren und dabei sehr deutlich zeigen, wie viel Ahnung sie davon haben. Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu
nehmen, dass die AOK Thüringen, in deren Verwaltungsrat ich ehrenamtlich tätig bin
({0})
- ich bin allerdings nicht der Vorsitzende -, die höchste
Versichertenzufriedenheit aller deutschen Krankenkassen vorweisen kann.
({1})
Sie sollten sich von Ihrem großen Apparat wirklich besser informieren lassen.
({2})
- Sie können jetzt so laut herummaulen, wie Sie wollen.
Das, was ich gesagt habe, ist eine Tatsache, die von Dritten und nicht etwa von uns festgestellt wurde.
Zweitens. Manchmal hat man wirklich den Eindruck,
als wollten Sie uns in Ihrem Redebeitrag potemkinsche
Dörfer zeigen: Die erwarteten Defizite, die im kommenden Jahr zu verzeichnen sein werden und die Sie noch
vor kurzem selbst beschrieben haben, haben Sie auf einmal auf wundersame Art und Weise wegdekliniert. Es ist
doch so, dass Sie die Beiträge im nächsten Jahr erhöhen
wollen, weil Sie genau wissen, dass die Krankenkassen
mit den vorhandenen Mitteln nicht auskommen. Aber
Sie vermitteln den Eindruck, als stimme das nicht, und
werfen uns vor, wir würden auf eine Art und Weise agitieren, die zumindest unsolide sei. Den Finger, den Sie
auf andere richten, sollten Sie sich einmal genau ansehen. Denn drei Finger derselben Hand deuten auf Sie
selbst zurück.
({3})
Drittens. In seiner Antwort auf unsere Kleine Anfrage
geht Ihr Ministerium selbst davon aus, dass im kommenden Jahr, im Jahre 2007, Einnahmeausfälle bzw. Zusatzbelastungen in Höhe von round about 7 Milliarden Euro
entstehen werden. Wenn ich das Ergebnis Ihrer eigenen
Berechnungen hier vortrage, Sie dann aber behaupten,
diese Aussage sei falsch, dann fällt das, was den Wahrheitsgehalt Ihrer Antwort betrifft, auf Sie zurück.
Viertens. Der Abgeordnete Professor Lauterbach
- weiß Gott kein Unbekannter in diesem Hause - behauptet, dass sich die Defizite, die im kommenden Jahr
entstehen werden, in einer Größenordnung von 10 Milliarden Euro bewegen. Ist das alles falsch? Ist das alles
nur das Wunschdenken der Opposition? Frau Ministerin,
ich glaube, hier sind Sie jenseits der Realität.
({4})
Frau Ministerin, Sie können antworten.
Herr Kollege Spieth, ich bin alles andere als jenseits
der Realität.
({0})
Ich habe ganz klar gesagt: Wenn man über dieses Thema
diskutiert, muss man auch zur Kenntnis nehmen, dass
wir entgegen den Schätzungen zur finanziellen Situation
eine positive Entwicklung zu verzeichnen haben und
dass Verbesserungen festzustellen sind. Mehr erwarte
ich auch von den Krankenkassen nicht.
Es ist ein Beschäftigungszuwachs zu verzeichnen.
Das dritte Quartal wurde nach allen Zahlen, die bisher
von den Kassen vorliegen, mit einem Plus abgeschlossen. Im vierten Quartal wird die zweite Zahlung der
Steuermittel für dieses Jahr in Höhe von 2,1 Milliarden Euro erfolgen. Ebenfalls sind im vierten Quartal die
Zuwächse im Zusammenhang mit den Einmaleinnahmen
zu berücksichtigen. Ich habe gesagt, dass das AVWG,
das Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in
der Arzneimittelversogung, größere Auswirkungen hat,
als von uns prognostiziert wurde; denn mein Ministerium rechnet immer sehr konservativ.
({1})
- Ich glaube, Sie von der Linken waren gegen dieses
Spargesetz. - Wir wollen nämlich nicht den Eindruck erwecken, es seien mehr Einsparungen vorgenommen
worden, als es tatsächlich der Fall war.
Der erste Fakt ist: Angesichts dessen, dass wir den
Krankenkassen 1 Milliarde Euro mehr zur Verfügung
stellen, muss man zur Kenntnis nehmen, dass sich der
Worst Case, nämlich ein Risiko in Höhe von 5 Milliarden Euro, verringert hat.
Der zweite Fakt ist: Die Beiträge erhöhen nicht wir,
sondern die Krankenkassen.
({2})
Wer erhöht denn nächstes Jahr die Beiträge? Das sind
doch nicht wir!
({3})
- Das, was ich gesagt habe, ist richtig. Denn ich stehe zu
dem, wofür ich jetzt verantwortlich gemacht werde.
({4})
Ich sage noch einmal: Das GMG war nötig, weil die
Krankenkassen mit mehr als 8 Milliarden Euro verschuldet waren und die Schulden abbauen mussten. Das ist erfolgreich angegangen worden; aber es gibt noch Restschulden. Wir werden jetzt noch einmal zwei Jahre Zeit
geben, damit die Krankenkassen die restlichen Schulden
auf einem vernünftigen Weg abbauen. Selbstverständlich
wird es dazu auch Beitragsanhebungen geben müssen,
aber nur bis die Altschulden abgebaut sind.
Deshalb, Kollege Spieth, können Sie sich da nicht
einfach herauswinden. Ich glaube, dass die Krankenkassen gut daran tun, sich darauf einzustellen, sich mehr um
die Versorgung ihrer Versicherten zu kümmern. Ich
kenne gute Krankenkassen und ich kenne schlechtere.
Ich sage Ihnen: Die AOK Rheinland/Hamburg hat mir
sehr gefallen, weil sie ihren Versicherten jetzt den Service anbietet, sich um zeitnahe Termine beim Arzt zu
kümmern. Sie will sich engagieren, sie will es nicht hinnehmen, dass ihre Versicherten, die hohe Beiträge bezahlen, womöglich monatelang auf einen Termin beim
Arzt warten müssen, während privat Versicherte vorgezogen werden.
({5})
Wenn Sie das bei der AOK Thüringen auch machen,
werde ich das auch loben.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat der Kollege Daniel Bahr, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Ministerin, ich kann rechnen und wir werden Sie nicht
aus der Verantwortung entlassen, was die Beitragserhöhungen im nächsten Jahr angeht. Denn was ist die
Hauptursache für die Beitragssteigerungen im nächsten
und im übernächsten Jahr? Das waren Ihre Entscheidungen. Nicht wir, nicht die FDP-Fraktion, haben beschlossen, die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte zu erhöhen, was die gesetzlichen Krankenkassen mit 800 bis
900 Millionen Euro belastet. Nicht wir, nicht die FDPFraktion, haben den Zuschuss an die gesetzlichen Krankenkassen von 4,2 Milliarden Euro sukzessive zurückgefahren, was ihnen Finanzmittel entzieht und eine der
Ursachen für die Beitragssteigerungen ist.
({0})
Nicht wir, nicht die FDP-Fraktion, haben zu verantworten, dass sich die Krankenkassen verschuldet haben. Sie
waren es in Ihrer Verantwortung als Ministerin der rotgrünen Regierung, die so etwas 2001/2002 zugelassen
hat - obwohl Krankenkassen normalerweise keine
Schulden machen dürfen. Das rächt sich jetzt.
Diese drei Aspekte sind die Hauptursachen für die
Beitragssteigerungen in den nächsten Jahren. Dafür sind
Sie verantwortlich und keiner von der Opposition.
({1})
Und dann tun Sie so, also ob die ganzen Kritiker nur
Besitzstandswahrer wären! Ich fand es schon beeindruckend, wie die große Koalition dafür sorgt, dass ehemalige Widersacher bei den Anhörungen zu Verbündeten
werden. Ich hätte mir vor einem Jahr nicht vorstellen
können, dass der DGB und die Bundesvereinigung der
Deutschen Arbeitgeberverbände eine gemeinsame Pressemitteilung gegen diese Reform herausgeben. Und da
tun Sie so, als ob die alle nur Besitzstandswahrer und
Lobbyisten wären!
({2})
Meine liebe Ministerin Frau Schmidt, Sie sollten sich
diese Kritik zu Herzen nehmen, statt einfach stur zu bleiben und sich taub zu stellen. Denn wenn Sachverständige, die Sie selbst für die Anhörung benannt haben, Ihre
Reform kritisieren, ist das etwas, was uns alle sehr nachdenklich stimmen sollte. Dann ist das fundamentale Kritik an dieser Reform.
({3})
Mit dieser Reform werden Sie den Problemen im Gesundheitswesen doch überhaupt nicht gerecht. Es erfolgt
eben keine Abkopplung der Gesundheitsausgaben von
den Lohnzusatzkosten. Im Gegenteil: In dieser Legislaturperiode steigen die Krankenkassenbeiträge und damit
die Lohnzusatzkosten auf Rekordniveau, der Arbeitsmarkt wird weiter belastet.
({4})
Es kommt zu keiner Nachhaltigkeit in der Finanzierung des Gesundheitswesens. Im Gegenteil, die steigenden Kosten einer alternden Bevölkerung werden von der
schwarz-roten Koalition schlichtweg ignoriert. Sie betreiben keine Vorsorge, Sie schieben die Lasten weiter
auf kommende Generationen. Die privaten Krankenversicherungen, die Rückstellungen für steigende Kosten
im Alter bilden, werden von Ihnen sogar weiter zurückgedrängt. Es wird immer weniger Menschen geben, die
mit einer privaten Krankenversicherung Altersrückstellungen und Vorsorge treffen können. Immer mehr Menschen werden in das Umlagesystem gezwungen. Diese
Reform verschlechtert die Gesundheitsversorgung der
Patientinnen und Patienten in Deutschland.
({5})
Zum Tabaksteuerzuschuss. Es war von Anfang an
ein Fehler, die Tabaksteuer zu erhöhen. Frau Schmidt,
Sie haben damals argumentiert - ich könnte Ihnen die
Zitate vorlegen -, Sie wollten mit der Tabaksteuererhöhung dazu beitragen, dass die Menschen weniger rauchen und sich gesundheitsbewusster verhalten. Dann tun
die Menschen das plötzlich, rauchen weniger, und Sie
erhalten etwas weniger an Tabaksteuereinnahmen, als
Sie erwartet haben. Zur Strafe streichen Sie den Krankenkassen den Zuschuss. Das ist eine bestechende Logik. Hätten sich die Menschen also gesundheitsschädlich
verhalten und viel geraucht, dann wäre Geld für die
Krankenkassen da gewesen. Das kann doch keine wirklich seriöse Politik sein.
({6})
Vor gerade einmal zwei Jahren, im Jahre 2004, haben
Sie einen Steuerzuschuss in Höhe von 1 Milliarde Euro
an die gesetzlichen Krankenkassen gezahlt. 2005 waren
es 2,5 Milliarden Euro, in diesem Jahr waren es erstmals
4,2 Milliarden Euro. Damals gab es den Plan, an diesem
Zuschuss weiterhin festzuhalten. Im letzten Jahr haben
Sie sich aber von Ihrer Verpflichtung verabschiedet;
denn in der Koalitionsvereinbarung haben Sie beschlossen, diesen Zuschuss bis 2008 auf null zu kürzen.
Für 2007 sollte der ursprüngliche Zuschuss von
4,2 Milliarden Euro auf 1,7 Milliarden Euro gekürzt
werden. Das wäre eine Kürzung um 2,5 Milliarden Euro
gewesen. Nun soll diese Kürzung etwas geringer ausfallen, nämlich nur 1,5 Milliarden Euro. Eine Kürzung
bleibt es aber allemal. Meine Damen und Herren von der
Koalition, durch Ihre Pläne - dieses Vor und Zurück entziehen Sie den Krankenkassen bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahre 2009 verglichen mit dem, was
nach dem Rechtsstand im Jahre 2005 gezahlt worden
wäre, Steuermittel in Höhe von insgesamt 5,6 Milliarden
Euro. Das ist eine der Hauptursachen für die Beitragserhöhungen.
Die Diskussion über Steuerzuschüsse für die Krankenkassen zeigt doch die Unzuverlässigkeit Ihrer Politik.
Wenn gespart werden muss, werden die Zuschüsse geDaniel Bahr ({7})
kürzt, wenn etwas mehr Steuereinnahmen vorhanden
sind, wird der Zuschuss wieder leicht erhöht. Dafür erwarten Sie auch noch Lob. Sie verhalten sich wie jemand, der einem das Schwein vom Hof klaut und nachher dafür gefeiert werden will, wenn er ein Kotelett
zurückbringt.
({8})
Die Aussage der Bundesregierung in einer Anzeige,
die wir am Montag in einem großen Magazin sehen
konnten, heißt übrigens: Die Gesundheitskosten unserer Kinder werden nach und nach aus Steuermitteln
bezahlt; dadurch werden die Beiträge und damit die
Lohnzusatzkosten verringert. In dem hier vorliegenden
Haushaltsplan steht doch gar nicht, dass das Geld für die
Kinder ist. Es ist für gesamtgesellschaftliche Aufgaben.
Das ist alles Mögliche. Wenn es Ihnen wirklich um die
Kinder ginge, dann müssten Sie diesen Zuschuss natürlich auch für privat versicherte Kinder zahlen. Bei einer
gesamtgesellschaftlichen Aufgabe ist es nämlich völlig
wurst, ob das Kind gesetzlich oder privat versichert ist.
({9})
Ich weiß, dass die Kolleginnen und Kollegen der CDU/
CSU diese Auffassung teilen. Deswegen haben sie ja
auch den Vorschlag gemacht, dass für die Kinder von
Privatversicherten auch ein Zuschuss gezahlt wird. Sie
verwenden die Kinder nur als Vorwand.
Es geht Ihnen doch gar nicht darum, dass die Krankheitskosten der Kinder aus Steuermitteln bezahlt werden,
sondern es geht Ihnen nur um einen Vorwand, um einigermaßen rechtfertigen zu können, Steuermittel in ein
Umlagesystem zu stopfen.
({10})
Genauso ist es bei den anderen Themen. Sie schaffen
es, dass der durchschnittliche Krankenkassenbeitrag auf
Rekordniveau steigt. Damit steigen die Lohnzusatzkosten. Sinnvoll wäre es gewesen, den Arbeitgeberbeitrag
festzuschreiben und als Lohnbestandteil auszuzahlen,
wie wir das vorgeschlagen haben. Sinnvoll wäre es auch
gewesen, bestimmte Bereiche des Leistungskatalogs
- Zahnersatz, Krankengeld, Unfälle - in die private Verantwortung zu geben, sodass sich jeder bei seiner Versicherung den passenden Versicherungsschutz auszusuchen hätte, damit die Belastung des Arbeitsmarkts durch
Lohnzusatzkosten geringer ausfiele.
({11})
Das, was Sie tun, ist eben nicht sinnvoll. Sie sind als
Bundesregierung demnächst jedes Jahr in der Verantwortung, zu entscheiden, wie hoch der Beitragssatz für
die Krankenversicherungen bundesweit einheitlich ist.
Das wird dazu führen, dass wir hier im Bundestag jedes
Jahr darüber streiten werden, wie viel Geld die Bundesregierung bereit ist, dem Gesundheitswesen zur Verfügung zu stellen.
({12})
Allein aufgrund dieser Diskussion über den Steuerzuschuss sage ich Ihnen voraus, dass es jedes Jahr einen
Streit geben wird. Sie sehen hier Gesundheit nach Kassenlage vor.
({13})
Sie mehren den Einfluss des Staates, der Politik auf
das Gesundheitswesen und Sie bauen auf ein staatliches
und zentralistisches Gesundheitswesen mit einem Bundeskrankenkassenverband, durch den der Weg in die
Einheitskasse vorgezeichnet wird, wie es die Ministerin
am Wochenende bei der Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Gesundheitswesen gesagt hat.
({14})
Sie wollen einen hauptamtlichen Gemeinsamen Bundesausschuss, der darüber entscheidet, was gute und
schlechte Medizin ist, und der dem Ministerium unterstellt ist.
Meine Damen und Herren, die Folgen dieser Reform
und eines weiteren staatlichen und politischen Einflusses
auf das Gesundheitswesen können wir uns in Großbritannien und in anderen Ländern anschauen. Das wird zu
Mangelverwaltung, Wartelisten und den krassesten Unterschieden in einer Zweiklassenmedizin führen. Durch
Ihre Gesundheitspolitik verschlechtern Sie die Gesundheitsversorgung für 82 Millionen Menschen in Deutschland.
Herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat die Kollegin Annette Widmann-Mauz
für die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Kollege Bahr, wenn Sie heute wieder die Schuldzuweisung hinsichtlich der Schulden zumindest in Teilen
an die falsche Adresse richten,
({0})
dann muss ich darauf hinweisen, dass der Finger auch an
dieser Stelle auf Sie selbst zeigt. In Rheinland-Pfalz, wo
Sie mitregiert haben, haben Sie wegen einer bevorstehenden Wahl verhindert, dass die AOK die Beiträge anhebt.
({1})
Man muss die Verantwortung immer dann wahrnehmen,
wenn man sie hat. Die Tatsache, dass Sie die Verantwortung nicht mehr haben, zeigt, dass Sie sie nicht wahrgenommen haben.
Sie haben heute über die Steuerzuschüsse für versicherungsfremde, gesamtgesellschaftliche Aufgaben geredet. Sie haben in dieser Haushaltsdebatte nicht einen
Antrag vorgelegt, der die Erhöhung der Steuerzuflüsse
vorsieht. Sie brauchen doch für Ihr Projekt - ob es sich
um risikoadäquate oder solidarische Prämien handelt Steuermittel in zweistelliger Milliardenhöhe. Auch dazu
haben Sie keine Vorschläge gemacht.
({2})
Entweder ist das, was Sie hier vortragen, heiße Luft
oder Sie nehmen Ihre eigenen Worte nicht ernst. Auch in
diesem Hohen Hause müssen Sie Ihre Verantwortung
wahrnehmen.
({3})
Manch ein journalistischer Beobachter mag meinen,
dass die adipöse Neigung unseres Gesundheitssystems
durch gesetzliche Hüfthalter zu regeln wäre. Doch die
Probleme lassen sich nicht länger kaschieren. Die Lösung der Probleme muss grundsätzlich angegangen werden. Dazu braucht es eines Programms für mehr Fitness
und Bewegung im Gesundheitswesen.
Was wir bereits im ersten Jahr der großen Koalition
geschafft haben, ist beachtlich. Das Arzneimittelspargesetz von Anfang dieses Jahres zeigt es: Wir haben bei
den Arzneimittelpreisen und Arzneimittelausgaben Erfolge erzielt. Dieses Gesetz hat dafür gesorgt, dass Mitte
November über 6 000 Arzneimittel von der Zuzahlung
befreit sind, weil sich die Hersteller durch die hohe Preissenkung - nämlich 30 Prozent unter dem Festbetrag - höhere Marktanteile versprechen. Wir haben unsere Verantwortung wahrgenommen und die Verantwortlichkeit
im System gestärkt.
Die große Koalition ist sicherlich keine Wunschformation oder gar eine Traumkonstellation.
({4})
Aber sie ist eine Verantwortungsgemeinschaft auf Zeit
im Interesse der Menschen unseres Landes. Jede und jeder, der in diesem Hause Verantwortung trägt, muss sich
dieser Verantwortung stellen. Das tun wir, auch wenn es
unbequem wird. Der Bundeshaushalt ist ein Beispiel dafür. Haushaltskonsolidierung hat für uns oberste Priorität, auch wenn sie unser System der gesetzlichen Krankenversicherung betrifft.
Vor diesem Hintergrund bin ich froh, dass es gelungen ist, für das nächste Jahr nochmals 1 Milliarde Euro
mehr als ursprünglich vorgesehen zur Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben im Bundeshaushalt einzustellen. Das ist ein Erfolg. Es ist der erste Schritt in die
richtige Richtung.
Manches, was wir in den vergangenen Wochen und
am heutigen Tag leider wieder zu hören bekommen haben, war nicht angenehm. Vieles war von Schlagwörtern
geprägt, die auch nicht dadurch richtiger werden, dass
sie ständig und von jedem ungeprüft - wie auch von Ihnen heute - wiederholt werden. Manches blieb von Anfang an widersprüchlich, weil ein und derselbe Sachverhalt vom einen als nicht ausreichend und vom anderen
als viel zu weitgehend beurteilt wurde. Ich erinnere nur
an die Aussagen der Arbeitgeberverbände und des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu ein und derselben Tatsache, die gesetzliche Fixierung des Arbeitgeberbeitrags.
({5})
Wieder anderes verlief nach dem Sankt-Florians-Prinzip: „Verschon mein Haus, zünd andere an!“ Ich denke
dabei an die Solidarbeiträge, die die Krankenhäuser oder
der Arzneimittelsektor zu erbringen haben.
Wenn auch das nicht weiterhalf, dann gab es immer
noch die Methode der bewussten Verunsicherung der
Menschen und damit der Instrumentalisierung von Unwissenden. Auch hierzu kann ich nur feststellen: Wer behauptet, die Versorgung würde nur deshalb schlechter,
weil wir Wettbewerb einführen,
({6})
der führt die Menschen an der Nase herum.
({7})
Am Ende waren sich wieder alle einig, dass es so, wie
es ist, für alle am besten ist. Sie stecken den Kopf in den
Sand. Plattitüden ersetzen aber keine Argumente und die
Emotionalisierung trägt, auch als oppositionelle Strategie, nur eine einzige Empörungswelle lang. Eine notwendige Sachpolitik hingegen ist langfristig angelegt
und damit unverzichtbar.
Verantwortung ist das prägende Leitmotiv in der
großen Koalition und insbesondere unserer Vorstellungen eines zukunftsfähigen Gesundheitssystems.
({8})
Diese Verantwortung hat zwei Perspektiven: den Blick
auf sich selbst gerichtet, also als Individuum zuerst für
sich selbst Verantwortung zu übernehmen, und den
Blick, für andere verantwortlich zu sein. Subsidiarität
und Solidarität sind Ausdruck ein und derselben Verantwortung. Beides, die Verantwortung für sich und die für
andere, gehört zusammen. Die Betonung des einen darf
nicht dazu missbraucht werden, sich aus der anderen
Verantwortung zu stehlen. Wir wollen keine Privatisierung, aber auch keine Sozialisierung und erst recht keine
Volkskasse oder Volksversicherung, sondern eine Verantwortungsgemeinschaft. Nur wer sich verantwortlich
fühlt, kann auch Verantwortung für sich und andere
wahrnehmen.
Was beklagen wir denn? Wir sehen doch: Je größer,
anonymer und intransparenter die Systeme werden,
desto schwieriger ist es, die Verantwortlichkeit zu spüren
und Verantwortung wahrzunehmen. Im Gesundheitswesen sind uns die negativen Erscheinungen und Entwicklungen doch bestens bekannt: Chipkartenmentalität bis
hin zum Missbrauch, Abrechnungskampf im Hamsterrad
mit Punktwertverfall, der Einschreibedruck auf die Patienten, in die DMPs zu gehen, nur um Ausgleichszahlungen im Rahmen des Risikostrukturausgleichs zu erhalten, und vieles andere mehr.
Die Rückbesinnung auf die Verantwortungsgemeinschaft organisieren wir nun mit dem geplanten Gesundheitsfonds.
({9})
Mit dem Fonds und einheitlichen Zuweisungen an die
einzelnen Krankenkassen schaffen wir genau die Transparenz bei der Wirtschaftlichkeit der Krankenkassen, die
wir brauchen. Mit dem Zusatzbeitrag machen wir die
Kosten und damit den Preis für die Leistungen sichtbar
und für die Versicherten vergleichbar. Diese Transparenz
ist Voraussetzung für eine verantwortliche Wahlentscheidung der Versicherten und stärkt zudem die Eigenverantwortung der Krankenkassen für Kosten und Verträge mit
Ärzten, Krankenhäusern und der pharmazeutischen Industrie.
Mit der neuen ambulanten, ärztlichen Vertragsgebührenordnung schaffen wir Transparenz bei Leistungen
und Preisen in der ärztlichen Honorierung. Feste Punktwerte in Euro und Cent sowie das Ende der Budgetierung schaffen in diesem Bereich mehr Leistungsgerechtigkeit.
({10})
Ich sage ganz offen: Mir wäre an noch mehr Transparenz
im Verhältnis von Patient zu Arzt bei Preisen und Leistungen zum Beispiel in Form einer generellen Rechnungsstellung mit der Möglichkeit der Forderungsabtretung an die Krankenkassen sehr gelegen, auch wenn ich
einräumen muss, dass wir nun Pflichtversicherten mit
Kostenerstattung und Selbstbehalten in weitaus größerem Umfang und unbürokratisch neue Möglichkeiten eröffnen. Vielleicht lässt sich aber unser Koalitionspartner
in den kommenden Wochen zu noch mehr Transparenz
bewegen.
({11})
Verantwortung wird nur dann übernommen, wenn die
Abgrenzung der beiden Perspektiven, also der Eigenverantwortung und der Verantwortung für andere, als gerecht beurteilt wird. Zumutbarkeit und Leistungsgerechtigkeit sind dabei wichtige Aspekte.
Liebe Kollegin Bender, was Sie am heutigen Nachmittag zur Früherkennung gesagt haben, empfinde ich
als zynisch.
({12})
Ich finde, es ist unverantwortlich, Menschen nicht auch
mit ökonomischen Instrumenten zu sinnvollen Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit ihres Körpers zu motivieren. Wir müssen die richtigen Akzente setzen und
über entsprechende Instrumente sprechen. Wir dürfen
solche Instrumente nicht von vornherein verunglimpfen,
sondern sollten mit ihnen verantwortlich umgehen.
({13})
Betrachten wir einen weiteren Aspekt, den Zusatzbeitrag. Dieser wird durch zwei Mechanismen begrenzt.
Auf der einen Seite dürfen die Zusatzbeiträge aller Kassen nicht mehr als 5 Prozent der Gesamtausgaben in der
gesetzlichen Krankenversicherung ausmachen. Auf der
anderen Seite soll der Zusatzbeitrag einer Kasse individuell nicht mehr als 1 Prozent des beitragspflichtigen
Bruttoeinkommens ausmachen. Überforderungsregeln
sind sicherlich Ausdruck des Zumutbarkeitsprinzips und
damit wichtig und richtig.
Sie dürfen aber auf der anderen Seite nicht dazu führen, dass die größere Verantwortungsgemeinschaft in
Anspruch genommen wird, bevor individuell in zumutbarer Weise die Eigenverantwortung wahrgenommen
wird. Deshalb gibt es die Überforderungsgrenzen bei
Zuzahlungen in Höhe von 1 Prozent bzw. 2 Prozent. Die
Praxisgebühr oder die Zuzahlung bei Arzneimitteln fällt
nämlich bei jeder Kasse in gleicher Höhe an. Sie sind gesetzlich vorgeschrieben und man kann ihnen nicht ausweichen. Anders ist es allerdings beim kassenindividuellen Zusatzbeitrag. Versicherte können erforderliche
Zusatzbeiträge der Kassen und damit eine individuelle
Überforderung dadurch vermeiden, dass sie einfach in
eine andere Kasse wechseln, die einen geringeren oder
gar keinen Zusatzbeitrag erhebt. Ob wir auf diese Verantwortung gänzlich verzichten wollen, darüber werden
wir nochmals reden müssen.
Leistungsgerechtigkeit hat im Wettbewerb viel mit
Chancengerechtigkeit zu tun. Deshalb ist die Voraussetzung für den Fonds und für seine Wirkung zunächst ein
gerechter Risikostrukturausgleich, ein Risikostrukturausgleich, der schwerwiegende Erkrankungen ausgleicht, der aber auf der anderen Seite das Eigeninteresse
der Krankenkassen an Präventionsarbeit und an sparsamem Ausgabeverhalten nicht wieder unterminiert.
Eine weitere Voraussetzung ist der Abbau der Verschuldung der Kassen aus den letzten Jahren. Dass gerade die FDP dieses nicht zulassen will, obwohl es der
Beitrag zur Generationengerechtigkeit schlechthin ist,
({14})
kann ich überhaupt nicht verstehen. Wir wollen, dass
diese Schulden nicht auf die nächste Generation abgewälzt werden. Denn jede Generation muss ihre Last tragen.
({15})
Wir dürfen Verantwortung nicht größeren Kollektiven
zuweisen, wenn es zum Beispiel um kassenindividuelles
Fehlverhalten in der Zukunft geht. Deshalb wollen wir
das Insolvenzrecht für Krankenkassen etablieren.
Dazu gibt es nach den Anhörungen berechtigterweise
noch eine Reihe von offenen Fragen.
({16})
Doch ich sage auch bewusst: Manches Problem, das derzeit vorgetragen wird, resultiert weniger aus der Anwendung des Insolvenzrechts als aus der Begrenzung des
Zusatzbeitrags. Deshalb sage ich heute: Probleme müssen dort gelöst werden, wo sie entstehen. Da müssen wir
handeln.
({17})
Wir müssen die Verantwortlichkeiten stärken, das
heißt aus Betroffenen Beteiligte machen und umgekehrt.
Das muss uns noch besser als in der Vergangenheit
gelingen. Es ist gelungen, Betroffene in Entscheidungsprozesse einzubeziehen, während die Beteiligung von
Patientenvertretern im Gemeinsamen Bundesausschuss
bereits im GMG im Jahre 2003 geregelt und damit ein
großer Fortschritt erzielt worden ist. Mit dieser Gesundheitsreform werden wir die Selbsthilfeförderung auf
feste Beine stellen und den Organisationen zum Beispiel
im Bereich der Palliativversorgung bei der Leistungsdefinition im Gemeinsamen Bundesausschuss ein Anhörungsrecht einräumen. Was alle angeht, muss auch von
allen finanziert werden. Auch diesem Grundsatz verschreibt sich die Reform mit der kontinuierlich ansteigenden Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben
in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Lassen Sie mich einen letzten Aspekt ansprechen,
nämlich das Prinzip der Verantwortlichkeit der gesetzlichen Krankenversicherung. In der Selbstverwaltung ist
dieses Prinzip grundsätzlich angelegt. Die Selbstverwaltung hat sich bewährt, auch wenn die Entscheidungsabläufe und -verfahren zuweilen sehr mühsam, zeitaufwendig und nicht immer nachvollziehbar sind.
Kollegin Widmann-Mauz, jetzt sprechen Sie auf
Rechnung Ihrer Kollegen.
Ich komme gleich zum Schluss.
Wir sollten jetzt nicht den Ausweg darin suchen, immer mehr Verantwortung von den Beteiligten zur Politik
zu verlagern, sondern die originären Verantwortungsgemeinschaften und Beziehungen stärken. Ich glaube, in
diesem Zusammenhang werden wir auch über die Anregungen hinaus, die in der Anhörung gemacht wurden,
noch erheblichen Diskussionsbedarf haben. Wir tragen
die Verantwortung und nehmen die Anhörung ernst. Wir
werden ein gutes Gesetz vorlegen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Martina Bunge für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit nun 3 Milliarden Euro nimmt sich der Haushalt des Bundesministeriums für Gesundheit sehr bescheiden aus. Es ist deshalb sehr verständlich, dass hier
fast alle über die dreistelligen Milliardenbeträge reden,
die im Gesundheitssystem bewegt werden.
Natürlich spielt die misslungene Gesundheitsreform
hier die größte Rolle. Eigentlich wollte ich heute etwas
anderes in den Mittelpunkt stellen, aber es hält mich
nicht, Frau Ministerin. Ich muss doch etwas zur Reform
sagen. Sie kritisieren unseren Antrag. Ich sage Ihnen:
10 Milliarden mehr wären im System der GKV gut aufgehoben. Wir leben mittendrin in den Herausforderungen, die sich aus der Alterung der Gesellschaft und aus
dem medizinischen Fortschritt ergeben, und wir haben
dieses Problem mit dem gleichen Anteil zum Leistungsvermögen der Gesellschaft bisher bewältigt. Es ist hohe
Zeit, dass mehr Geld ins System kommt.
({0})
- Die Quellen haben wir Ihnen genannt mit einer gerechten Steuerreform und mit einer Bürgerinnen- und Bürgerversicherung, die auch die Einnahmen, die Beiträge
auf breitere Schultern, auf alle Einkommen bezieht.
({1})
Das würde den Patientinnen und Patienten sowie den
Beschäftigten im Gesundheitssystem gut tun. Sie wären
die Gewinnerinnen und Gewinner und nicht irgendwelche imaginären Lobbyisten.
Ich finde es angesichts der komplizierten Situation in
diesen Tagen höchst unerträglich, dass Sie die Krankenkassen hier zum Sündenbock machen. Dass trotz der
Politik der letzten Jahre - ich denke an das Hin und Her
mit der Folge immer neuer Kostendämpfungsgesetze die Leistungen gegenüber den Patientinnen und Patienten erfüllt wurden, haben letztlich die Krankenkassen organisiert.
({2})
Ich möchte mich jetzt aber mit einigen Aspekten in
die Mühen der Ebene des Haushalts begeben und zunächst ein Thema beleuchten: Natürlich ist es gut, dass
für die Aufklärung in Sachen HIV und Aids 3 Millionen
Euro mehr aufgewandt werden und so der Titel von
9,2 auf 12,2 Millionen Euro steigen kann. Als Ausschussvorsitzende begrüße ich, dass die Bundesregierung während der deutschen Ratspräsidentschaft eine
Geißel der Menschheit, die weltweite Ausbreitung von
HIV und Aids, thematisieren will. Auch wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier werden den G-8-Gipfel intensiv begleiten und gemeinsam mit der Deutschen
Stiftung Weltbevölkerung eine internationale Konferenz
zu HIV und Aids organisieren; denn Impulse für parlamentarische Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten im
Rahmen des zivilgesellschaftlichen Engagements müssen schnellstmöglich verbreitet werden. Die Erfahrung
ist: Dringend notwendiges Geld wird umso effektiver
und wirkungsvoller eingesetzt, je konsequenter Regierungen und Parlamente sich an die Spitze der nationalen
Strategien stellen.
Es ist zweifelsohne auch zu begrüßen, dass mit der
finanziellen Ausstattung einer Präventionskampagne
durch den Bund das Thema Prävention überhaupt im
Haushaltsentwurf auftaucht; denn leider ist es um Gesundheitsförderung und Prävention viel zu ruhig geworden. Wir haben lange über die Notwendigkeit eines Präventionsgesetzes geredet. Im letzten Jahr wurde hier
über einen Gesetzentwurf diskutiert. Sie alle kennen das
Schicksal.
Das Bekenntnis von Schwarz-Rot im Koalitionsvertrag zum Präventionsgesetz ist mittlerweile zwölf Monate alt. Die Einjahresbilanz ist negativ. So bleibt der
Ausbau der Prävention zu einer eigenständigen Säule im
Gesundheitssystem weiterhin auf der Strecke. Wenn jetzt
die Ministerin ankündigt, das Präventionsgesetz solle
nach der Gesundheitsreform und nach der Pflegereform
kommen - wir alle wissen, wie gefahrengeneigt auch im
zeitlichen Ausmaß diese Reformen sind -, dann ist die
Prävention ja fast auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertagt.
Frau Ministerin, wenn Sie ganz richtig den Nichtraucherschutz als eine große Säule für Prävention in der
Gesellschaft ansprechen, dann fordere ich Sie auf: Sie
haben mit der Regierungskoalition eine große Mehrheit
hier im Parlament. Dann tun Sie es doch und provozieren uns nicht, Gruppenanträge oder Einzelanträge einzubringen! Machen Sie es! Lassen Sie den Worten Taten
folgen!
({3})
Sie haben es in der Hand.
({4})
Eine umfassende, verstetigte Prävention hätte für das
Wohlbefinden von Jung und Alt und auch für die Sozialsysteme viel Gutes; es gäbe sehr viele Synergien. Hier
muss einfach ein Punkt gesetzt werden. In der Zukunft
reichen für eine Präventionskampagne 3,2 Millionen
Euro als gesamtgesellschaftlicher Beitrag nicht aus.
Angesichts dieser Summe von 3,2 Millionen Euro
muten die 6,1 Millionen Euro geradezu grotesk an, die in
Ihrem Haushalt für Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung
stehen. Sie sollten bessere Gesetze machen. Wenn Sie
das tun, dann brauchen Sie kein Geld für das Schönreden
von Gesetzen, für Gesetze, die es überhaupt noch nicht
gibt, wie in Anzeigen dieses Jahr. Machen Sie Gesetze,
die den Patientinnen und Patienten helfen! Machen Sie
Gesetze, die den Beschäftigten helfen! Wenn Sie das tun,
dann brauchen Sie dieses Geld nicht für eine überbordende Öffentlichkeitsarbeit und dann könnten Sie es
sinnvoller verwenden.
Ich danke.
({5})
Die Kollegin Elisabeth Scharfenberg hat für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Kollegin Bender und
auch die Kolleginnen und Kollegen der Opposition haben wirklich schon zur Genüge darauf hingewiesen, dass
diese Gesundheitsreform gründlich danebengeht.
({0})
Wir erleben - leider - aber auch, dass die große Koalition in dieser Hinsicht offensichtlich vollkommen beratungsresistent ist.
({1})
Es ist mir wirklich ein Rätsel, wie eine Koalition, die
sich selbst als „groß“ tituliert, sehenden Auges und gegen die Widerstände von allen Seiten - im Übrigen auch
aus den Reihen der eigenen Koalition - an diesem Unsinn festhalten kann. Glauben Sie mir: Wir als Opposition finden dieses Spiel hier nur sehr begrenzt amüsant.
({2})
Ich schaue mit Grauen nicht nur auf den dauerhaften
Schaden, den Sie gerade mit der Gesundheitsreform anrichten, sondern auch auf das, was uns wohl noch erwartet.
({3})
Sofern Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der
großen Koalition, Ihren eigenen Koalitionsvertrag noch
kennen, müssten Sie wissen, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich schon bei der Reform der Pflegeversicherung sein sollten.
({4})
Aber auch das haben Sie bisher nicht auf die Reihe bekommen.
({5})
Die Reform der Pflegeversicherung ist schon auf das
nächste Jahr verschoben worden.
({6})
Ich bin einmal gespannt, was für Ausreden wir im nächsten Jahr zu hören bekommen. Das ist ein verlorenes Jahr,
ein Jahr, in dem die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen weiter auf Verbesserungen warten müssen.
({7})
Genauso lassen Sie alle in der Pflege Beschäftigten im
Regen stehen. Alle warten auf Verbesserungen, die sie
dringend brauchen.
Wenn ich aber die Vorschläge und die Meinungsäußerungen der letzten Tage aus den Reihen dieser Koalition
zur Pflegereform höre, dann frage ich mich allen Ernstes, ob es nicht besser wäre, wenn Sie die Finger davon
ließen.
({8})
Wir hören und lesen abenteuerliche Geschichten. Da
wollen die einen, Mitglieder der Union, eine kleine
Kopfpauschale einführen, während Ulla Schmidt wiederum die Bürgerversicherung ins Spiel bringt. Frau
Ministerin, hier haben Sie unsere volle Unterstützung.
Die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der
CDU/CSU will mit der Solidarität und der sozialen Gerechtigkeit ganz Schluss machen. Sie will die Pflegeversicherung total auf Kapitaldeckung umstellen.
({9})
Aber es kommt noch besser: Sie will auch die Pflegestufe I komplett abschaffen, weil dadurch 4 Milliarden
Euro gespart werden können.
({10})
Eigentlich fehlen jetzt nur noch zwei Vorschläge: erstens
die Einführung des Pflegefonds; zweitens die gänzliche
Abschaffung der Pflegeversicherung.
({11})
Das würde wirklich am meisten sparen.
({12})
Die große Koalition bläst bei der Pflegereform schon
jetzt in das gleiche Horn wie bei der Gesundheitsreform.
Was soll denn dabei Sinnvolles herauskommen? Das
Schlimmste daran ist: Sie verlieren bei diesem ganzen
Theater nicht ein Wort über die Pflegebedürftigen und
ihre Angehörigen. Genau um diese Menschen geht es
aber hier.
({13})
Sie sollten sich einmal das Positionspapier der Grünen
zur Pflegereform durchlesen. Da steht einiges dazu drin.
Ich lade Sie auch ganz herzlich jetzt und hier zu unserem
morgigen Fachgespräch zu diesem Thema ein. Notfalls
können Vertreter der großen Koalition ja inkognito kommen; wir werden sie nicht bei den Kollegen verraten.
Es würde mir an Ihrer Stelle schwer zu denken geben,
wenn hilfsbedürftige Menschen und deren Angehörige,
die sich das Treiben dieser Regierung anschauen, feststellen: Wir brauchen dringend Verbesserungen, aber lieber keine Reform als eine von Schwarz-Rot. Genau
diese Stimmung erzeugen Sie momentan im Land.
({14})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Frau Ministerin Schmidt, verlassen Sie endlich Ihren großkoalitionären Sockel und kommen Sie in der Realität an.
Schauen Sie endlich dahin, wo der wirkliche Bedarf ist,
und reagieren Sie verantwortungsvoll, und zwar ohne
noch länger abzuwarten!
Danke schön.
({15})
Das Wort hat die Kollegin Maria Eichhorn für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Das Thema Gesundheit berührt alle Menschen. Deswegen ist es nachvollziehbar, dass darüber
mit großer Leidenschaft diskutiert wird. Allerdings stelle
ich in Diskussionen mit den Bürgerinnen und Bürgern
fest, dass sich die Kritik wegen der Kompliziertheit der
Materie meist auf Schlagworte aus den Medien bezieht.
Den meisten Versicherten und offensichtlich auch
einigen aus der Opposition ist nicht bewusst, dass der
Leistungskatalog durch die Gesundheitsreform ausgeweitet wird. Mutter/Vater-Kind-Kuren sind ein Thema,
das uns die letzten Jahre immer wieder beschäftigt hat.
({0})
Viele berechtigte Proteste Betroffener, die dringend eine
Kur gebraucht hätten, haben uns erreicht, weil Krankenkassen ihnen diese Kuren verweigert hatten. In Zukunft
zählt diese Kur zu den Pflichtleistungen. Das ist eine
ganz wichtige Verbesserung für Mütter und Väter.
({1})
Ein wichtiger Fortschritt ist auch, dass in Zukunft
geriatrische Rehaleistungen zu Pflichtleistungen der
Krankenkassen werden. Wer hat nicht schon miterlebt,
dass in der Familie oder in der Nachbarschaft nach
einem Sturz oder einem Schlaganfall im Alter eine Rehamaßnahme verweigert wurde, weil der Patient ja
sowieso in Pflege käme? Dabei kann mit einer Rehamaßnahme die Selbstständigkeit auch im Alter wiederhergestellt werden bzw. erhalten bleiben.
Das, was Sie, Frau Scharfenberg, gerade zum Thema
Pflege gesagt haben, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Es handelt sich um reine Vermutungen, die Sie
hier angestellt haben.
({2})
Wir werden darauf zurückkommen.
({3})
Meine Damen und Herren, die humane Antwort auf
die Forderung nach Sterbehilfe ist die Palliativversorgung. Mit diesem neuen gesetzlichen Anspruch ist es
möglich, den Wunsch zu erfüllen, bis zum Tod in der
vertrauten häuslichen Umgebung fachgerecht versorgt
zu werden. Versicherte in stationären Einrichtungen haben ebenfalls einen Anspruch auf Palliativversorgung.
Diese Leistung kann nicht nur von Vertragsärzten, sondern auch von entsprechend qualifizierten Krankenhausärzten verordnet werden. So können Sterbende wieder
aus den Krankenhäusern heraus und in das häusliche
oder ein anderes vertrautes Umfeld zurückgeholt werden. Wer wie ich in den letzten Wochen Einrichtungen
der Palliativversorgung besucht hat, weiß, dass mit der
Neuregelung ein lang geäußerter Wunsch dieser Einrichtungen in Erfüllung geht.
({4})
Mit der Gesundheitsreform werden auch die Rahmenbedingungen für Kinderhospize verbessert.
Das Präventionsgesetz, Frau Dr. Bunge, wird kommen. Darauf können Sie sich verlassen.
({5})
Der Gesundheitsetat 2007 enthält Aufwüchse bei Prävention und Suchtbekämpfung; das ist auch schon angesprochen worden. Als Drogenbeauftragte der Union
begrüße ich, dass der Bund 2007 für Drogenprävention
8,7 Millionen Euro zur Verfügung stellt. Das sind
2 Millionen Euro mehr als im letzten Jahr. Diese Mittel
ersetzen bisherige Beträge aus der Tabaksteuer, die noch
in 2006 mit 2,5 Millionen Euro angesetzt waren. Sie
werden der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung speziell für Tabakprävention bei Jugendlichen
zur Verfügung gestellt. Wenn Kinder bereits in einem
Alter von durchschnittlich 11,6 Jahren das erste Mal rauchen, ist das erschreckend. Daher müssen wir die Aufklärung so früh wie möglich beginnen.
Wir brauchen aber auch eine Vorbildfunktion für unsere Kinder und Jugendlichen. Deshalb ist es sehr zu
begrüßen, dass die große Koalition sich auf ein Rauchverbot in allen öffentlichen Gebäuden, öffentlichen Verkehrsmitteln, Theatern und Kinos geeinigt hat.
({6})
Dazu gibt es in einigen Kommunen und Bundesländern
bereits gut funktionierende Beispiele. Beschlossen ist
auch die Anhebung der Altersgrenze für den Zigarettenkauf von 16 auf 18 Jahre.
Rauchen kann tödlich sein. Neueste Untersuchungen
zur Passivrauchbelastung belegen, dass die Gesundheitsbelastung zum Beispiel in Restaurants, in denen geraucht wird, bis zu 20-mal höher ist als dort, wo Verbote
gelten. Die Passivrauchbelastung in Diskotheken ist besonders hoch.
Die durch das Rauchen verursachten Kosten belaufen
sich auf circa 17 Milliarden Euro. Laut Angaben des
Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg sterben
jährlich 140 000 Menschen in Deutschland tabakbedingt.
Kollegin Eichhorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Bender?
Bitte, Frau Bender.
Frau Kollegin Eichhorn, dürfen wir nach Ihren Worten erwarten, dass die große Koalition für einen umfassenden Schutz vor Passivrauch in den Gaststätten
Deutschlands eintreten wird?
({0})
Frau Bender, wenn Sie in der letzten Sitzungswoche
bei der Diskussion über die Tabakrichtlinie anwesend
waren, dann konnten Sie von Herrn Staatssekretär
Müller hören, dass die Arbeitsgruppe der Koalition auf
einem sehr guten Wege ist; es wurde bereits vereinbart,
dass in Speisegaststätten Rauchverbot herrschen soll.
Derzeit wird noch darüber verhandelt. Ich persönlich
und auch Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen
sind für einen Nichtraucherschutz nach italienischem
Vorbild; denn ich bin der Meinung, dass sich die dortige
Lösung bewährt hat. Wir treten dafür ein, ein generelles
Rauchverbot in der Gastronomie einzuführen, aber auch
abgeschlossene Räume für Raucher zu schaffen, wo
diese ihrer Sucht, die zwar schädlich ist, aber auf diese
Weise keinen anderen schädigt, frönen können. Das
wäre eine saubere Lösung nach italienischem Vorbild,
die ich befürworten könnte, weil sie einen Schutz der
Nichtraucher vor dem Passivrauch gewährleistet, aber
auch einen Raum für Raucher schafft. Ich denke, das
können auch Sie befürworten. Auf jeden Fall habe ich
das in den Ausführungen der Grünen bisher immer so
gehört.
({0})
Meine Damen und Herren, im Übrigen ist nach einer
aktuellen Umfrage des Deutschen Krebsforschungszentrums die Mehrheit der deutschen Bevölkerung für ein
vollständiges Rauchverbot in der Gastronomie. Ich
selbst habe noch nie so viele zustimmende Zuschriften
und Anrufe zu einem Thema bekommen wie zu meiner
Forderung nach einem Rauchverbot.
Kollegen, die sich gegen ein Rauchverbot in der
Gastronomie aussprechen, befürchten, dass eine solche
Regelung zu mehr Bürokratie führen und der Umsatz in
der Gastronomie zurückgehen könnte. Dass diese Bedenken unbegründet sind, zeigen uns die europäischen
Länder, welche ein Rauchverbot bereits eingeführt haben.
({1})
Beispielsweise ist in Irland wie auch in anderen Ländern
der Getränkeumsatz nach Einführung des Rauchverbots
konstant geblieben, während der Speisenumsatz sogar
angestiegen ist.
({2})
Es ist an der Zeit, auch in Deutschland zu handeln und
die große Mehrheit, nämlich 63 Prozent der Bevölkerung, vor dem Tabakrauch umfassend zu schützen.
Aber nicht nur die Tabaksucht muss uns zum Handeln
veranlassen. Auch die Zahl der Alkoholabhängigen ist
erschreckend hoch. Kinder greifen heute durchschnittlich im Alter von 12,8 Jahren zum Alkohol. Ein Jahr
später haben sie bereits den ersten Alkoholrausch.
Kampftrinken ist „in“ und hat auch schon zum Tod von
Jugendlichen geführt. Daher sind Aufklärungskampagnen wie zum Beispiel „Kein Alkohol in Kinderhände“
äußerst wichtig.
({3})
Ich danke in diesem Zusammenhang allen Verantwortlichen in den Schulen, Kindertagesstätten, Jugendgruppen, Verbänden und Vereinen, die diese Aufklärung
vor Ort betreiben. Schließlich ist der verantwortungsvolle Umgang der Erwachsenen mit Alkohol auch hier
das beste Vorbild für die Jugend.
Alkohol und Nikotin führen oft auch zu illegalen Drogen. Alarmierend ist vor allem die Zunahme des Konsums von Cannabis. Daher muss die Präventions- und
Aufklärungsarbeit weiter verbessert werden. Cannabis
ist keine Spaßdroge; sie kann zu schweren physischen
und psychischen Schäden führen.
Zum Ende des Jahres läuft die Heroinstudie aus, die
unter der Vorgängerregierung in Auftrag gegeben wurde.
Die Koalition hat jetzt in einem Spitzengespräch vereinbart, dass bei denjenigen Menschen, die aktuell im Heroinprojekt sind, die Behandlung zu Ende geführt wird.
({4})
Wir wollen diese Menschen schließlich nicht ins Nichts
fallen lassen.
({5})
Eine grundsätzliche Fortführung der Heroinsubstitution
und damit eine Zulassung von Diamorphin als Arzneimittel wird es nicht geben.
({6})
Damit wird den starken Vorbehalten der Union gegen die
Heroinsubstitution Rechnung getragen.
({7})
Es ist besser, dieses Geld für eine Verstärkung der
Cannabisprävention auszugeben; diese ist dringend erforderlich.
({8})
Wir müssen alles tun, um Menschen vor der Sucht zu bewahren.
({9})
Damit können wir ihnen viel Leid und Elend ersparen.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Jella Teuchner für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Debatte um den Haushalt des Bundesministeriums
für Gesundheit lässt sich nicht losgelöst von der Diskussion um die Gesundheitsreform führen. In beiden Diskussionen steht die Finanzierung der Krankenversicherung im Mittelpunkt. Für beide Diskussionen gilt
die klare Prämisse: Die gesetzliche Krankenversicherung ist unverzichtbar; nur sie garantiert ein solidarisches Gesundheitssystem, in dem die notwendigen
Gesundheitsdienstleistungen flächendeckend erbracht
werden.
({0})
Es gibt eine deutliche Verbesserung, die im Laufe der
Beratungen zum Haushalt erreicht wurde. Wir werden
die pauschale Abgeltung für die versicherungsfremden Leistungen deutlich weniger senken, als dies noch
im Entwurf vorgesehen war. Den Krankenkassen wird
dadurch 1 Milliarde Euro mehr zur Verfügung stehen.
Das ist ein wichtiges Signal.
({1})
- Herr Bahr, wenn Sie Ihre qualifizierten Beiträge im
Ausschuss bringen würden, dann wäre dies für uns alle
sehr hilfreich.
({2})
- Ich werde mich anstrengen.
Dies ist auch ein Signal dafür, dass wir die Verantwortung, die wir für die gesetzliche Krankenkasse haben, wahrnehmen. Insbesondere die versicherungsfremden Leistungen sind Ausgaben, die nicht nur von den
Mitgliedern der gesetzlichen Krankenkassen, sondern
von allen Bürgerinnen und Bürgern zu finanzieren sind.
({3})
Es sind Leistungen für alle, die von allen zu finanzieren
sind.
({4})
Wir bekräftigen mit dieser Änderung das, was wir mit
der Gesundheitsreform auf den Weg bringen wollen. Wir
wollen eine dritte Säule der Finanzierung: eine spürbare
Steuerfinanzierung für die gesetzlichen Krankenkassen. Dazu brauchen wir Antworten auf folgende Fragen:
Wie finanzieren wir die Krankenversicherungen? Wer
muss welchen Beitrag leisten? Woher kommt das Geld?
Unser Anspruch dabei ist, dass es auch in Zukunft eine
solidarische Finanzierung gibt. Wir wollen, dass die
Reichen weiterhin für die Armen, die Gesunden für die
Kranken und die Jungen für die Alten einstehen.
({5})
Wenn wir über die gesetzliche Krankenversicherung reden, dann sprechen wir über ein Ausgabenvolumen von 235 Milliarden Euro pro Jahr. Dies sind Ausgaben, die von den Beiträgen der Versicherten finanziert
werden. Die Versicherten verlangen zu Recht, dass mit
ihren Beiträgen
({6})
wirtschaftlich umgegangen wird. Sie verlangen ebenfalls
zu Recht, dass ihnen die notwendigen medizinischen
Leistungen zur Verfügung stehen und sie am medizinischen Fortschritt teilhaben können.
Ich sehe es daher als Erfolg der Gesundheitsreform,
dass wir damit fortfahren, Strukturen zu verändern, die
in vielen Jahren gewachsen sind. Es ist uns gerade bei
den neuen Versorgungsformen gelungen, Schritte nach
vorn zu machen. Krankenkassen müssen in Zukunft einen Hausarzttarif als Wahltarif anbieten. Die Kassen haben die eingeschränkte Möglichkeit, Preise für Arzneimittel auszuschreiben, und die Krankenhäuser werden
weiter für die ambulante Versorgung geöffnet. Wir machen also einen weiteren Schritt hin zu mehr Effizienz,
({7})
mehr Koordination und mehr Qualität im Gesundheitswesen.
Ich sehe es auch als Erfolg, dass in Zukunft 300 000
Nichtversicherte wieder eine Krankenversicherung haben werden. Wir wollen, dass jeder krankenversichert
ist. Dies umzusetzen, ist längst überfällig.
({8})
Es gibt noch einen wichtigen Erfolg der Gesundheitsreform. Wir führen eine Reform durch, die keine Leistungskürzungen beinhaltet. Es ist richtig, dass die Behandlung von Verkehrsunfällen und privaten Unfällen
Bestandteil des Leistungskataloges bleibt. Es ist richtig,
dass die Chronikerregelung erhalten bleibt und keine höheren Zuzahlungen verlangt werden.
({9})
Es ist auch richtig, dass in Zukunft Eltern-Kind-Kuren,
verbesserte Leistungen in der geriatrischen Rehabilitation und die Versorgung Sterbender sowie empfohlene
Impfungen in den Pflichtleistungskatalog aufgenommen werden.
Mittel effektiv zu verwenden, ist die eine Aufgabe,
die wir mit der Gesundheitsreform angehen. Die andere
Aufgabe ist: Wir müssen die gesetzliche Krankenversicherung auf eine tragfähige finanzielle Basis stellen. Mit
den zusätzlichen Mitteln für die pauschale Abgeltung
verbessern wir die Startposition.
Wie sieht die Situation zurzeit aus? Das Beitragsaufkommen für die gesetzliche Krankenversicherung hält
nicht mit den Kostensteigerungen mit. Die Leistungsausgaben stiegen von 1980 bis 2000 im gleichen Maße
wie das Bruttoinlandsprodukt. Die beitragspflichtigen
Einnahmen pro Mitglied blieben allerdings dahinter zurück. Grund dafür ist, dass der Anteil der Bruttolöhne
und -gehälter am Volkseinkommen von 70,1 Prozent
im Jahre 1992 auf 64,7 Prozent im Jahre 2000 gesunken
ist. Es ist also eine Lücke zwischen Kostensteigerungen
und Lohnsteigerungen entstanden, die zu einer Finanzierungslücke in der gesetzlichen Krankenkasse führt.
Einen Teil dieser Lücke wollen wir mit Mitteln, die
durch die Steuererhöhung 2003 generiert wurden, schließen. In den Eckpunkten zur Gesundheitsreform ist nun
vorgesehen, versicherungsfremde Leistungen immer
stärker aus Steuern zu finanzieren.
({10})
2005 haben die Krankenkassen rund 5 Milliarden Euro
für solche Leistungen ausgegeben. Diese Mittel gilt es
zu verstetigen.
({11})
Herr Bahr, auch wenn Sie immer wieder dazwischenrufen,
({12})
bleibt es dabei.
({13})
Deswegen müssen wir schauen, dass wir die Leistungen
sichern können.
({14})
- Ich habe Sie gehört. Sie brauchen es nicht zum vierten
Mal zu wiederholen.
In der Anhörung zur Gesundheitsreform ging es unter
anderem um die Regelungen zur privaten Krankenversicherung. Es wurde deutlich, dass das Argument, die
private Krankenversicherung unterstütze die gesetzliche,
nicht stimmt. Die privaten Krankenversicherungen zahlen zwar höhere Arzthonorare. Der Finanzverlust für die
gesetzliche Krankenkasse durch die Risikoselektion der
Privaten übertrifft diese höheren Honorare aber bei weitem. Es stellt sich schon die Frage, wie hoch der Beitrag
zu einer privaten Krankenversicherung sein müsste,
wenn sie zum Beispiel auch die Kosten für die Infrastruktur bei der ärztlichen Versorgung durch die Krankenhäuser übernehmen müsste.
({15})
Wie viel müsste dann bezahlt werden?
Außerdem machen Privatversicherte im Wesentlichen
dort einen spürbaren Anteil aus, wo wir eine medizinische Überversorgung haben. Sichergestellt wird die Versorgung durch die gesetzliche Krankenversicherung.
90 Prozent der Menschen haben eine gesetzliche Krankenversicherung.
({16})
Für diese Menschen müssen wir deren Krankenkassen
funktionsfähig erhalten.
({17})
Wir stehen aber weiter in der Pflicht, die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen verlässlich zu regeln. Wir müssen damit das Fundament stärken. Die
Reform sieht einen Fonds zur Finanzierung der Krankenkassen vor. Es ist notwendig, die Finanzierung der
gesetzlichen Krankenkassen und gleiche Wettbewerbsbedingungen so weit wie möglich sicherzustellen; denn
ohne diese gibt es keinen Wettbewerb um eine effiziente
und gute Versorgung, sondern nur reinen Preiswettbewerb. Eine Verschlechterung des Leistungsumfangs,
zum Beispiel durch Streichung von Satzungsleistungen
oder Einschränkungen der im SGB V als Kann- oder Ermessensleistung definierten Maßnahmen, würde dann
drohen. Dies darf nicht passieren; denn dies würde das
bewährte System der gesetzlichen Krankenkassen in seinem Bestand gefährden.
Wir müssen sicherstellen, dass der Morbi-RSA wirklich funktionieren wird. Darüber hinaus müssen wir
nochmals deutlich machen, dass wir von Anfang an einen deutlichen Steuerzuschuss brauchen. Bisher ist festgelegt, dass im Startjahr die Finanzmittel, die über die
Beitragseinnahmen und die zusätzlichen Steuermittel in
den Fonds fließen, ausreichen sollen, um die zu erwartenden Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung zu decken. Dies müssen wir auch in Zukunft sicherstellen. Wenn das nicht gelingt, wenn wir den
Kassen Mittel entziehen, dann muss das dadurch aufgefangen werden, dass Leistungen, die keine Pflichtleistungen sind, nicht mehr gewährt werden. Das wollen wir
alle nicht.
Es darf nicht dazu kommen, dass wir über einen stetig
steigenden Zusatzbeitrag die Kosten für die Krankenversicherung immer mehr auf die Versicherten verlagern. Es darf auch nicht dazu kommen, dass durch die
Insolvenz einer Krankenkasse Löcher in die Finanzierung der medizinischen Versorgung gerissen werden.
({18})
Hier liegen Aufgaben, die wir in den weiteren Beratungen zur Gesundheitsreform lösen müssen. Mit den
zusätzlichen Mitteln für die versicherungsfremden Leistungen setzen wir hier das Signal: Wir sind handlungsfähig.
Es muss vor allem aber ein Signal an uns selbst sein.
Mit der Gesundheitsreform werden wir beschließen,
dass die Politik für die Beitragssätze verantwortlich ist.
Das heißt, wir müssen diese Verantwortung zukünftig
selber wahrnehmen.
({19})
Die gesetzliche Krankenversicherung ist unverzichtbar.
Wir sind es, die die Finanzierung sicherstellen müssen.
({20})
Das heißt, wir müssen jetzt und auch in Zukunft handlungsfähig sein.
({21})
Der Kollege Dr. Rolf Koschorrek hat für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gesundheitspolitik und Gesundheitsreform sind in diesen Tagen
fast schon zu Synonymen geworden. Seit Monaten werden die geplanten Neuerungen ausgiebig öffentlich diskutiert und vielfach aus verschiedenen Perspektiven und
Gründen gescholten.
In diesem Jahr haben wir als große Koalition einige
wegweisende Gesetze im Bereich der Gesundheitspolitik
auf den Weg gebracht.
({0})
Bereits im Frühjahr verabschiedete der Bundestag das
AVWG - zunächst unter schwerem Beschuss der Kritiker -, im Verlauf der letzten Monate hat sich aber die positive Wirkung des Gesetzes auf die Kosten im Arzneimittelbereich deutlich herausgestellt.
({1})
Der überproportionale Anstieg der Kosten in diesem Bereich im ersten Quartal ist bereits zum Ende dieses Jahres nicht nur ausgeglichen, sondern wir werden abschließend für dieses Jahr sogar sinkende Kosten haben.
Besondere Kritik erfuhr die Einführung der BonusMalus-Regelung in diesem Bereich.
({2})
Durch gute, wegweisende regionale Verhandlungen konnten aber auch hier in den vergangenen Wochen und Monaten zukunftsfeste, qualitätssteigernde und kostensenkende Verträge geschlossen werden.
({3})
Hier möchte ich besonders auf das in meiner Heimat
Schleswig-Holstein in der vergangenen Woche zwischen
KV, Apothekern und Kassen als ablösende Vereinbarung
beschlossene leitliniengestützte Informationssystem hinweisen. Hier zeigt sich, dass gute und vertrauensvolle
Zusammenarbeit der Kassen, der Leistungserbringer und
nicht zuletzt der Politik auf regionaler Ebene durchaus
gut funktioniert.
({4})
Vor einigen Wochen verabschiedeten wir hier das
Vertragsarztrechtsänderungsgesetz, das viele liberalere Organisationsformen in der ärztlichen Versorgungslandschaft ermöglicht, vorhandene Hemmnisse abbaut
und den ärztlichen Kollegen für die flächendeckende
Versorgung der Patienten neue Perspektiven gibt. Zugleich wird hier die Zukunftsfestigkeit unseres Gesundheitssystems nachhaltig gestärkt. Die engere Verzahnung
von ambulanter und stationärer Versorgung wird deutlich verbessert. Zudem verpflichtet das Gesetz die gesetzlichen Krankenkassen nachdrücklich dazu, ihre
Schulden offen zu legen und sie in einem konkreten
Zeitrahmen abzubauen. Wir schaffen damit für die Kassen im Hinblick auf die künftige neue Finanzstruktur der
GKV vergleichbare Startbedingungen.
({5})
So viel zu den bereits beschlossenen, sehr umfangreichen Vorhaben.
Nun steht die parlamentarische Beratung des größten
Gesetzeswerkes, das je im Rahmen einer Gesundheitsreform geschaffen wurde, bevor. Die Bürger - das erfahren
wir immer wieder in Gesprächen und bei Veranstaltungen in den Wahlkreisen - haben allerdings angesichts
der Vielfalt der Reformmaßnahmen nicht nur den Überblick darüber verloren, was die Gesetze im Einzelnen
bringen; vielfach haben sie auch das Interesse daran verloren, die Diskussionen zu verfolgen und sich mit den
verschiedenen Meinungen, Vorschlägen und Standpunkten auseinander zu setzen. Viele wollen sich erst wieder
dann mit dem Thema befassen und sich informieren,
wenn es ernst wird. Jetzt wird es ernst!
Bei vielen Betroffenen, zum Beispiel bei den Ärzten,
den Krankenkassen, Krankenhäusern und ihren Beschäftigten, ist bei all den Auseinandersetzungen und Diskussionen der Eindruck entstanden, die Politik sei unbelehrbar und wolle lieber mit dem Kopf durch die Wand, als
Änderungen des Konzepts zuzulassen.
Bei der mehrtägigen Anhörung zur Gesundheitsreform im Ausschuss bekamen wir in der vergangenen
Woche von allen Seiten durchaus geballte Kritik zu hören. Die erste - formale, aber keineswegs unwichtige Konsequenz dieser Anhörung ist, dass wir uns mehr
Zeit für die Beratung des Gesetzes nehmen; der Bundestag wird erst im Januar darüber abstimmen. Das angedrohte beschleunigte Hauruckverfahren ist damit vom
Tisch.
({6})
Zusammen mit meinen Fraktionskollegen bin ich davon überzeugt, dass wir im Laufe der Ausschussberatungen zur Gesundheitsreform in den nächsten Wochen
auch inhaltlich in einigen wesentlichen Punkten Lösungen finden und beschließen werden, die inhaltlich besser
und praktikabler als jene im vorliegenden Gesetzentwurf
sind.
({7})
Wir von der Union werden deutlich machen, dass eine
parlamentarische Anhörung für uns keine Farce ist, die
wir als parlamentarisches Ritual über uns ergehen lassen. Wir werden aus dem Gehörten, aus den Informationen der Fachleute aus den Verbänden, Konsequenzen
ziehen. Im Anhörungsverfahren ist uns sehr deutlich gemacht worden, dass wir in einigen Punkten zu Verbesserungen kommen müssen.
({8})
Bei aller lauten, manchmal überzogenen Kritik muss
festgestellt werden, dass die parlamentarische Beratung der Reform eigentlich erst jetzt beginnt. Arbeitsgruppen und Ausschuss werden sich in dieser und in der
kommenden Woche erstmals inhaltlich mit den Details
des Gesetzes und den Schlussfolgerungen aus der Kritik,
die in 26 Stunden Anhörung geübt wurde, befassen. Ich
bin sicher, dass viele Teile des Gesetzentwurfs noch
reichlicher Überarbeitung bedürfen.
Als letzter Redner der Debatte möchte ich allen Beteiligten ausdrücklich für die - bei aller Kontroverse - gute
Zusammenarbeit danken. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen.
Danke schön.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 15 - Bundesministerium für Gesundheit - in der
Vizepräsidentin Petra Pau
Ausschussfassung. Hierzu liegen uns vier Änderungsan-
träge vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 16/3487? - Gegenstimmen? - Ent-
haltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen der
FDP und der Linken bei Enthaltung der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 16/3488? - Gegenstimmen? - Ent-
haltungen? - Dieser Antrag ist ebenfalls mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Fraktionen der FDP und der Linken bei Enthaltung der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/3461. Wer stimmt dafür? - Ge-
genstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke von den übrigen
Fraktionen des Hauses abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/3462. Wer stimmt dafür? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor abge-
lehnt.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzel-
plan 15 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für den
Einzelplan 15? - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltun-
gen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist der Einzelplan 15
mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Frak-
tion gegen die Stimmen der übrigen Fraktionen des Hau-
ses angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.7 auf:
a) hier: Einzelplan 07
Bundesministerium der Justiz
- Drucksachen 16/3107, 16/3123 Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Fricke
Lothar Binding ({0})
Roland Claus
Anna Lührmann
b) hier: Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 16/3124 Berichterstattung:
Abgeordnete Lothar Binding ({1})
Otto Fricke
Dr. Dietmar Bartsch
Anna Lührmann
Zu dem Einzelplan 07 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich
bitte die Kolleginnen und Kollegen, welche an der Beratung dieser Einzelpläne nicht teilhaben können oder wollen, ihre Gespräche draußen fortzusetzen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für die FDPFraktion.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Rückblick auf ein Jahr schwarz-rote
Koalition und Rechtspolitik heißt, Licht und Schatten
aufzeigen. Der Vielzahl von Gesetzentwürfen aus diesem Jahr steht keine Vielzahl rechtspolitisch guter
Ergebnisse gegenüber. Das Fazit der FDP-Bundestagsfraktion zur Rechtspolitik der Bundesregierung im vergangenen Jahr fällt daher verhalten aus.
Mit dem Zollfahndungsdienstgesetz und dem Europäischen Haftbefehlgesetz ist aus Sicht der FDP-Fraktion den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts leider
nicht in ausreichendem Maß Genüge getan worden. In
diesem Bereich ist die Gesetzgebung nicht gelungen,
hier gibt es Schatten.
Einige Anhörungen, die im Rechtsausschuss zu einem Teil der auf den Weg gebrachten Gesetzentwürfe
stattfanden, haben in einigen Punkten zu überraschenden
und für die Bundesregierung etwas schmerzlichen Erkenntnissen geführt. Lassen Sie mich erinnern an die
Anhörung zum Gesetzentwurf zum Pfändungsschutz der
Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung. Die Meinung der Sachverständigen war
so einhellig, die Kritik überwog derart, dass diese Änderung der Insolvenzordnung jetzt nicht durchgezogen
wird. Ich denke, das ist ein gutes Beispiel dafür, dass die
Parlamentarier mithilfe des Sachverstands von Experten
deutlich machen, wo Schwächen sind, und dass das entsprechend umgesetzt bzw. durchgesetzt wird.
({0})
Das entspricht unserer Auffassung von der Arbeit im
Rechtsausschuss.
Die Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinie
- das kann ich Ihnen nicht vorenthalten - war insgesamt
kein Ruhmesblatt. Ich will die Diskussion, die besonders
für die Kollegen von der CDU/CSU schmerzhaft gewesen ist, nicht wiederholen. Eines will ich aber sagen:
Schon bei der Schlussberatung wurden viele handwerkliche Mängel aufgezeigt und jetzt, nur wenige Monate
nach In-Kraft-Treten, zeigt sich, dass das Gesetz in der
Praxis hoch missbrauchsanfällig ist. Schon jetzt zeichnet
sich ab, dass die erwarteten Vorteile für die Betroffenen
in der beabsichtigten Form überhaupt nicht eintreten
werden.
({1})
Frau Ministerin, Sie haben sich mit einem sehr wichtigen Vorhaben, nämlich der Neuordnung der Telekommunikationsüberwachung, einige Zeit gelassen. Jetzt
liegt ein Referentenentwurf vor. Die FDP-Fraktion hat in
Anträgen, die sie in der letzten und in dieser Legislaturperiode vorgelegt hat, deutlich gemacht, wie dringlich
und notwendig diese Neuordnung ist, die im Übrigen
auch durch Urteile des Bundesverfassungsgerichts vorgegeben ist. Ich hoffe, dass wir den Gesetzentwurf zügig
zugeleitet bekommen und dann nicht nur den Deliktkatalog durchforsten - das ist mit Sicherheit ein wichtiger
Punkt -, sondern uns auch damit befassen, wie wir auf
die abnehmende Kontrollwirkung durch den Richtervorbehalt zu reagieren gedenken, und natürlich damit, welche anderen Verbesserungen bei der Benachrichtigung
Betroffener vorzunehmen sind, bis hin zu dem Problem,
dass wir einheitliche Regelungen für die Berufsgeheimnisträger brauchen.
In diesem Zusammenhang möchte ich ein Vorhaben
ansprechen: die Stärkung der Pressefreiheit. Dazu gab
es eine Anhörung, einen Vorschlag der FDP-Fraktion
und einen weiteren vom Bündnis 90/Die Grünen. Die
Sachverständigen haben dargestellt, und zwar alle, auch
die von CDU/CSU und SPD benannten, dass es hier
Handlungsbedarf gibt. Ich will jetzt keine einzelnen
Punkte aufzeigen. Ich denke, morgen werden in der Verhandlung beim Bundesverfassungsgericht im „Cicero“Verfahren noch weitere deutliche Hinweise gegeben. Ich
sage Ihnen, Frau Ministerin: Sie haben unsere Unterstützung, wenn Sie in andere Gesetzgebungsverfahren, zum
Beispiel zur Telekommunikationsüberwachung, Änderungen zur Stärkung der Pressefreiheit aufnehmen.
Lassen Sie mich in meiner kurzen Redezeit in nur
zwei Sätzen einen Blick auf das werfen, was im nächsten
Jahr neben den jetzt im Gesetzgebungsgang befindlichen
Verfahren ansteht. Ich denke, entscheidende Bedeutung
kommen der EU-Ratspräsidentschaft und dem gesamten Bereich der Rechtspolitik zu, der zum Schwerpunkt
der deutschen EU-Ratspräsidentschaft werden soll. Hier
muss endlich ein Durchbruch bei der Stärkung der
Beschuldigtenrechte im Mittelpunkt stehen. Wir haben
bisher immer die Sicherheitsorgane aufgrund von EURahmenbeschlüssen und EU-Gesetzgebung gestärkt.
Hier brauchen wir jetzt einen deutlichen Durchbruch.
Ich hoffe - dabei haben Sie unsere Unterstützung, Frau
Ministerin -, dass das in den sechs Monaten EU-Ratspräsidentschaft trotz ganz erheblicher Widerstände gelingen kann und wird.
Recht herzlichen Dank.
({2})
Nach diesen sehr langen zwei Sätzen hat nun die Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren Kolleginnen und Kollegen! Ich darf zunächst
einmal ganz kurz auf zwei Punkte eingehen, die Sie
angesprochen haben, liebe Frau LeutheusserSchnarrenberger: Missbrauch des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Ich glaube, dass die zwei Berichte, die letzte Woche dazu in der Presse zu lesen waren - wenn ich es richtig verfolgt habe, waren sie im
„Spiegel“ und einem anderen Magazin -, maßlos übertrieben sind.
({0})
- Danke schön.
Sie sind in einer solchen Weise unwahr, dass man nur
sagen kann: Das ist tendenziös und damit ist etwas ganz
anderes gemeint: Es geht um einen angeblichen Zwist
zwischen den Koalitionspartnern, der vertieft werden
soll, obwohl völlig klar ist: Die Koalitionspartner haben
dieses Gesetz gemeinsam auf den Weg gebracht. Es ist
ein richtiges Gesetz. Wenn es vielleicht an der einen oder
anderen Stelle Verwerfungen gibt, dann ist das relativ
normal. Sie erinnern sich sicherlich daran, dass wir, als
vor 25 Jahren der so genannte Portoparagraf ins BGB
eingeführt wurde, am Anfang dieselben Probleme hatten. Es gab dann fünf Entscheidungen und damit war der
Fall gelöst.
({1})
- Ja, dieses Land ist weiter, als man manchmal denkt.
({2})
Das ist also nicht so dramatisch. Ich sehe das entspannt.
Ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihre Ankündigung,
dass Sie uns vor allem während der EU-Präsidentschaft
in Sachen Mindeststandards für Strafverfahren unterstützen wollen. Ich gehe davon aus, dass das das ganze Haus
betrifft. In der Tat ist es so, dass wir da vorankommen
müssen. Wir müssen deutlich machen, dass die Vorgaben
aus Brüssel nicht nur eine Beschränkung von Rechten
hinsichtlich der Speicherung und Weitergabe von Daten
bedeuten - so wird es gerade in Deutschland im Bereich
der Rechtspolitik vielfach wahrgenommen -, sondern
eben auch die Schaffung von Mindeststandards in allen
Staaten.
Ich war gestern in Brüssel und habe mit den Abgeordneten des Europaparlaments Gespräche darüber geführt.
Dort wird dieses Vorhaben sehr begrüßt und dort haben
wir Unterstützung. Aber Sie haben völlig richtig darauf
hingewiesen, dass im Rat die Kritik von den anderen
Ländern kommen wird. Es wird deshalb kein einfaches
Unterfangen. Aber wir werden unser Bestes versuchen.
Ich kann Ihnen aber jetzt schon sagen: Ein halbes Jahr
ist sehr kurz. Das ist leider so. Wir haben die Idee des
Verfassungsvertrages aufgenommen - das sage ich zur
Ergänzung - und zum ersten Mal eine 18-Monats-Präsidentschaft. Wir haben das Programm mit den Portugiesen und mit den Slowenen abgestimmt. Sonntag fanden die letzten Abstimmungen statt. Wir haben jetzt
einen gemeinsamen Text, in dem beschrieben wird, was
wir machen wollen. Ich bin ganz optimistisch, dass die
beiden Länder, die sich verpflichtet haben, dabei mitzumachen, unsere Abmachungen fortführen werden, wenn
wir selbst nicht so weit kommen sollten.
Nun zum eigentlichen Thema, dem Haushalt. Es ist
mir ein Anliegen, zunächst einmal darauf hinzuweisen,
dass nicht jede Modernisierung des Staatsapparates einen Bürokratieabbau zur Folge haben muss. Sie kennen
meine Position: Ein gutes Staatsmanagement ist nicht
nur eine Frage der Quantität, sondern auch eine Frage
der Qualität. Es geht darum, die Verwaltung vernünftig
zu organisieren, damit sie mit den zur Verfügung stehenden Mitteln ein Optimum an Leistung erbringen kann.
Ich will darauf hinaus - Sie ahnen es wahrscheinlich
schon -, dass wir das Bundesamt für Justiz gegründet
haben. Ich möchte mich ganz herzlich bei all denen bedanken, die dazu beigetragen haben, es zu ermöglichen,
dass dieses neue Amt seine Arbeit bereits am 1. Januar
nächsten Jahres aufnehmen kann. Insbesondere möchte
ich mich bei den Haushaltspolitikern bedanken, denen
dieses Projekt, das nachträglich in den Haushaltsplan
aufgenommen wurde und mehr als 100 Änderungsanträge mit sich brachte, viel Arbeit gemacht hat. Ich
möchte mich aber auch bei den Rechtspolitikern bedanken, die mit dem Errichtungsgesetz die Rechtsgrundlage
für das Bundesamt für Justiz geschaffen haben.
Ich glaube, es war eine gute Idee, dass wir die beim
Umzug von Bonn nach Berlin seinerzeit erfolgte Aufgabenkritik jetzt in gewisser Weise aufgenommen haben.
Die Zuständigkeit für Aufgaben, die nicht notwendigerweise im Ministerium angesiedelt sein müssen, können
wir nun anderweitig regeln. Die neue Behörde hat also
nicht mehr Aufgaben bekommen, sondern ihre Aufgaben wurden konzentriert. Teilweise handelt es sich um
solche Aufgaben, die bisher beim Ministerium angesiedelt waren, teilweise betrifft dies das BZR, also das Bundeszentralregister - das ist der wesentliche Nukleus -,
das von der Generalbundesanwältin geführt wird. Mit
dieser Bündelung der Aufgaben erzielen wir eine Menge
Synergieeffekte.
Ein anderes Thema, das wir damit für meine Begriffe
abhaken, ist die Sicherung des Justizstandortes am
Rhein. Zumindest die Beschäftigten des Bundesamtes
für Justiz können sich in Zukunft aus den immer wiederkehrenden Debatten über den Rutschbahneffekt beim
Regierungsumzug ausklinken. Denn sie wissen: Ihr Arbeitsplatz ist in Bonn und er wird in Bonn bleiben.
Ich möchte noch einen weiteren Aspekt ansprechen
und mich erneut bei Ihnen bedanken. Dabei geht es um
zwei Fragen, die mir, wie Sie wissen, sehr am Herzen
liegen: Wie ist das Deutsche Patent- und Markenamt
ausgestattet? Wie schaffen wir es, den Break-even, den
wir beim Stauabbau erreicht haben, zu halten und keinen
neuen Stau aufzubauen?
Das gelingt natürlich nur, wenn wir gute EDV und
gutes Personal in ausreichender Zahl zur Verfügung stellen. Deswegen danke ich all denen ganz herzlich, die
dazu beigetragen haben, dass die Stellen, die aufgrund
des linearen Personalabbaus verloren gegangen sind,
jetzt wieder aufgestockt werden können. Mit anderen
Worten: Es bleibt beim bisherigen Personalbestand.
Ich möchte mich namentlich bei den Haushaltsberichterstattern Lothar Binding, Ole Schröder und Roland
Claus bedanken, die letzte Woche extra noch einmal
nach München gefahren sind, um das Deutsche Patentund Markenamt zu besuchen und sich vor Ort zu informieren. Das war nicht nur für das Amt ein gutes Signal
- dass dem so ist, kann ich Ihnen mitteilen, weil ich in
der letzten Woche an der dortigen Personalversammlung
teilgenommen habe -, sondern auch insgesamt ein gutes
Signal im Hinblick auf die verantwortliche Tätigkeit des
Deutschen Bundestages, in deren Rahmen auch nachgeordnete Behörden und nicht immer nur die Ministerien
berücksichtigt werden; auch das wird zur Kenntnis genommen.
Wie Sie wissen, sind wir der Auffassung, dass kreative Erfinder in Deutschland ganz besonders gefördert
werden müssen. Wir haben keine Bodenschätze. Unser
Schatz ist die Kreativität der Menschen, die hier leben,
und die Tatsache, dass sie Patente und Marken zügig anmelden können und schnell darüber entschieden wird.
Ich sagte bereits: Beim Stauabbau haben wir den
Break-even erreicht. Jetzt sind wir dabei, den Stau abzuarbeiten. Dieses Niveau müssen wir, auch im internationalen Vergleich, halten und unsere Bemühungen fortsetzen.
Vorhin haben wir schon kurz über die deutsche EURatspräsidentschaft gesprochen. Das Patentrecht wird
in diesem Zusammenhang mit Sicherheit ein wichtiges
Thema sein. Fast könnte man sagen: Beim Versuch, ein
europäisches Gemeinschaftspatent zu schaffen, handelt
es sich um eine Never-Ending-Story. Wie Sie wissen, ist
Deutschland der Auffassung, dass ein europäisches Gemeinschaftspatent geschaffen werden sollte, sofern es
wirtschaftlich ist - wenn also die Kosten für die Anmelder gleich hoch blieben oder sogar, was noch besser
wäre, minimiert würden -, und dass wir ein effizientes
Rechtsschutzsystem brauchen. Nur dann, wenn dieses
System mindestens so gut ist wie das, was wir mit dem
europäischen Bündelpatent haben, können wir darüber
reden, wie wir das bestehende System ändern wollen.
Wir müssen die Frage der hohen Kosten der Übersetzung von Patenten zufrieden stellend lösen.
Wir werden uns auf europäischer Ebene mit dem
Thema „geistiges Eigentum“ im nächsten Jahr sehr beschäftigen. Wir werden uns während unserer Präsidentschaft im Europäischen Rat damit auseinander zu setzen
haben, wie man ein europäisches Gemeinschaftspatent
schaffen kann. Die Europäische Kommission will noch
im Dezember einen neuen Standpunkt dazu vorlegen,
von dem wir hoffen, dass sich die Punkte, die ich eben
angesprochen habe - als Voraussetzungen dafür, dass
Deutschland dem zustimmen kann -, darin wiederfinden
werden.
Wir werden das auch im Kreise der G 8 - Sie wissen,
Deutschland wird auch die G-8-Präsidentschaft übernehmen - zu einem Thema machen. Die Innen- und Justizminister der G 8 werden sich im Mai in München trefBundesministerin Brigitte Zypries
fen. Wir wollen dort internationale Standards abgleichen
und uns mit der Frage beschäftigen, ob wir eine Ergänzung der WIPO-Standards für geistiges Eigentum brauchen. Wir wollen im Kreis der G 8 außerdem diskutieren, ob wir eine Veränderung der Strafvorschriften und
Verfolgungsmöglichkeiten brauchen. Das geistige Eigentum ist für Staaten wie Deutschland, die nicht über
Rohstoffe verfügen, ein besonders wichtiges Thema. Wir
alle müssen uns darüber im Klaren sein, dass Schutz des
geistigen Eigentums heißt: Schutz unserer Arbeitsplätze
und unseres Wohlstands. Das ist uns in diesem Hause aller Anstrengungen wert.
({3})
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Dank an den
Haushaltsausschuss aussprechen, der die besondere Situation des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesverfassungsgerichts in einem Beschluss berücksichtigt hat, der für die Versorgungsausgaben eine Umlage
vorsieht, die bisher zentral veranschlagt waren und nunmehr in den Plänen der einzelnen Ressorts ausgewiesen
werden. Sie wissen, dass das bei einem Haushaltsplan,
der ganz überwiegend aus Personalkosten besteht, besonders problematisch ist. Ich möchte deshalb dem
Haushaltsausschuss, der auf Antrag der Abgeordneten
Lothar Binding, Dr. Ole Schröder und Otto Fricke den
Beschluss gefasst hat, ganz besonders danken. In diesem
heißt es nämlich:
Die Erfüllung verfassungsmäßig vorgegebener
Aufgaben darf nicht durch überproportionale Belastungen aus strukturell bedingten hohen Anteilen
der Versorgungsausgaben in dem Einzelplan 07
- BMJ - … und dem Einzelplan 19 - Bundesverfassungsgericht - … gefährdet werden.
({4})
Ich danke Ihnen, dass Sie in dieser Art und Weise vorausschauend auf die Haushaltsaufstellung für das
Jahr 2008 reagiert haben.
({5})
- Und folgende. Deshalb habe ich das hier noch einmal
vorgelesen und allen zur Kenntnis gebracht. Das werden
dann Haushaltsverhandlungen - der Kollege Diller lacht
schon freundlich -, bei denen wir gemeinsam sehen
müssen, wie wir die in unserem Land allgemein als gut
anerkannte Rechtspflege auch personell so ausstatten,
dass sie ihre Aufgabe weiter erfüllen kann. In diesem
Sinne herzlichen Dank an den Haushaltsausschuss.
({6})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Nešković für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Ministerin
Zypries! Das Schlechte an dem heute zu beratenden
Einzelplan 07, Justiz, ist nicht, dass die finanziellen Zuweisungen unter der einen oder anderen Kennziffer auf
Seite soundso etwas großzügiger hätten ausfallen können. Das Schlechte an diesem Einzelplan ist, dass er so
schlecht ist wie seine Vorgängerpläne.
({0})
Denn die deutsche Justiz ist seit Jahren chronisch unterfinanziert.
({1})
Der aktuell vorliegende Einzelplan hilft diesem Zustand
auf der Ebene der obersten Bundesgerichte erneut nicht
ab.
Viele in diesem Haus finden schmale Justizhaushalte überhaupt nicht ungewöhnlich, sie sind der Regelfall, sie werden nicht hinterfragt, sie sind das Normale.
Wenn Menschen definieren, was das Normale ist, dann
benennen sie allzu oft lediglich das, woran sie sich gewöhnt haben. Der Zustand der Gewöhnung mag ein
friedlicher sein, er ist allerdings völlig untauglich für die
Ermittlung dessen, was notwendig und angemessen ist.
Dieser Gewöhnung möchte ich entgegenwirken. Die
Justiz ist nicht irgendein Aufgabenbereich des Staates,
sie ist unentbehrlicher Mindestbestandteil des sozialen
Rechtsstaates.
({2})
Viele von uns haben die Fußball-Weltmeisterschaft
in diesem Land genossen. Für eine kurze Zeit wurden
sogar die ernsten Angelegenheiten der Politik von der
Begeisterung über die schönste Nebensache der Welt
überstrahlt. Die besten und teuersten Spieler der ganzen
Welt traten zum Wettkampf gegeneinander an.
Es gab aber nicht nur 22 Spieler auf dem Platz, sondern es bewegten sich noch drei weitere Personen auf
dem Spielfeld.
({3})
Ich meine die Schiedsrichter, die mit einigen tausend
Euro Spesen abgefunden wurden, während sie bei manchen Spielen von Spielern umringt wurden, deren Vermögen im dreistelligen Millionenbereich liegt.
({4})
Nun stellen Sie sich ein Fußballspiel ohne Schiedsrichter vor. Es könnte nicht funktionieren; denn es wäre
ein Spiel ohne durchsetzbare Regeln. Chaos! Niemand
würde ein solches Spiel sehen wollen; denn es wäre
überhaupt keines mehr.
({5})
Es ist also der vergleichsweise schlecht bezahlte Mann
in Schwarz, der das Spiel überhaupt erst ermöglicht, indem er die Spielregeln durchsetzt.
({6})
Im Spiel unserer Gesellschaft sind es die Richterinnen und Richter, die die Regeln unserer Gesellschaft
durchsetzen.
({7})
Auch sie kosten wenig und sind dennoch unentbehrlich
für den Zusammenhalt und die Funktionsfähigkeit unserer Gesellschaft.
({8})
Deswegen ist es bei dieser Sachlage völlig unverständlich, dass wir der Justiz nicht die sächlichen und personellen Mittel zur Verfügung stellen, die sie braucht, um
dieser unentbehrlichen Funktion gerecht zu werden.
({9})
Aus diesem Grunde ist es nicht ausreichend, die Ausgaben für die Justiz allenfalls stabil zu halten. Wir benötigen die Bereitschaft zu deutlichen Mehrausgaben. Wir
brauchen diese Mehrausgaben, um den ansteigenden
Anforderungen bei gleich bleibender Qualität gerecht zu
werden.
({10})
Die steigende Arbeitslast an den Gerichten führt dazu,
dass die Richterinnen und Richter keine Zeit mehr für
die Parteien und ihre Probleme haben. Das nehmen Sie
nur nicht wahr. Ich empfehle Ihnen, einmal auszuschwärmen und sich bei den Leuten zu erkundigen, wie
sie die Lebenswirklichkeit bei den Gerichten erleben.
({11})
In fast allen Völkern und zu fast allen Zeiten galten
die Rechtshüter auch als Hüter der Zeit. Sie hüten das
Recht nicht nur in der Zeit, in der sie richten, sondern
Zeit ist genau das, was sie für die schwierige Aufgabe
brauchen, die ihnen anvertraut ist, nämlich Recht von
Unrecht zu trennen. Der Wahrheit Mutter ist nämlich die
Zeit und nicht der richterliche Erledigungsautomat. Ihre
Haushaltspläne führen aber genau dazu.
({12})
Wir benötigen Mehrausgaben für die Justiz aber auch
und vor allem darum, um den Anspruch an eine sozialstaatlich orientierte Justiz endlich einzulösen.
Ich erinnere dazu an die Motivlage bei der Beratung
unseres Grundgesetzes. Carlo Schmid beantragte seinerzeit, das Prinzip des sozialen Rechtsstaates in das
Grundgesetz aufzunehmen. Den Beratungen dieses Antrags lag eine Studie von Hermann Heller - die Sozialdemokraten sollten ihn gut kennen - aus dem Jahre 1930
zugrunde. Hermann Heller vertrat darin die These, dass
nur die Fortentwicklung des liberalen Rechtsstaates - im
Sinne der FDP - in einen sozialen Rechtsstaat ein Umschlagen in die Diktatur verhindern könne. Heller wird
es nicht gerne gesehen haben, wie schnell und unerhört
grausam ihm die Geschichte Recht gab. Es wäre ein grober Fehler und ein Akt der Überheblichkeit, anzunehmen, dass diese These Hellers nicht erneut bestätigt werden kann.
Ich will Ihnen daher sagen, über welchen Erkenntnisvorsprung Hermann Heller 1930 verfügte, den auch
Carlo Schmid 1948 beachtete, damit Sie heute, im
Jahre 2006, bei der Beschließung des Einzelplanes 07
nicht wieder in die übliche Gewöhnung an schmale
Haushaltspläne verfallen. Heller sah die Notwendigkeit,
die Vorstellung vom klassischen liberalen Rechtsstaat
fortzuentwickeln, da dessen Recht und Justiz die Freiheit
nur im formalen Sinne garantierte. Ob nun jemand als
Obdachloser frei über das Land zieht oder ein anderer
ein freies Unternehmen gründet: Formal frei sind sie darin beide. Sie werden ihre Freiheit aber ganz verschieden
als Last oder Lust wahrnehmen.
Last und Lust treffen sich an der Wahlurne wieder.
Heller sah daher die Notwendigkeit, die Zustimmung der
Menschen zur Demokratie über die gleichmäßige Gewähr realer Freiheit zu gewinnen und zu erhalten. Wer
wenig im Leben hat, braucht demnach viel Unterstützung durch das Recht, und wer viel im Leben hat, den
muss das Recht nicht noch weiter mästen.
Für Heller waren Recht und Justiz also nicht ignorante Gleichbehandler, sondern bewusste Gleichmacher,
die zu den unterschiedlichen materiellen Lebenssituationen der Menschen einen gesunden Ausgleich zu schaffen haben. Was meinen Sie, wie es sich mit dieser Theorie vertrüge, die Prozesskostenhilfe zu beschränken?
({13})
Was denken Sie, wie es mit dieser Theorie einhergeht,
den Zugang zu den Gerichten von der Höhe des Streitwertes abhängig zu machen? Was meinen Sie, was
Heller wohl zur Einführung einer Sozialgerichtsgebühr
zu sagen gehabt hätte? Was glauben Sie, wen eine
schlecht ausgestattete Justiz wohl härter trifft: den Bessergestellten, der zur Not den Weg der privaten Streitschlichtung beschreitet, oder den von Ihnen gerade neu
wahrgenommenen Angehörigen der Unterschicht?
Wer ist wohl eher auf einen mit Zeit ausgestatteten,
also ausgeruhten und konzentrierten Richter angewiesen? Ist es der Hartz-IV-Empfänger, der zur Feststellung
der Rechtmäßigkeit seines Leistungsbescheides in der
ersten Instanz prozessiert, oder der Unternehmer, der an
irgendeinem Landgericht in der Verhandlungspause bereits mit seinem Anwalt die Möglichkeiten einer Berufung berät?
Die Antworten liegen auf der Hand: Sie liegen in der
Verfassung. Denn der eingangs erwähnte Antrag Carlo
Schmids hatte Erfolg und wirkt somit bis heute.
Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković
Ob Sie es wollen oder nicht: Die Theorie Hellers hat
es bis ins Grundgesetz geschafft. Das können Sie wegen
der Ewigkeitsklausel in Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes nicht ändern. Sie können es allenfalls ignorieren und
genau das tun Sie.
Wir leben in einem Staat, in den dieses Prinzip Eingang gefunden hat. Im sozialen Rechtsstaat des Grundgesetzes, in dem wir leben, gibt es diese Wahl für den
Gesetzgeber nicht. In ihm gibt es keine Gerechtigkeit
nach Kassenlage; vielmehr hat sich die Kassenlage nach
den Anforderungen der Gerechtigkeit zu richten. Über
nichts anderes stimmen Sie heute ab.
({14})
Kollege Nešković, können Sie bitte zum Schluss
kommen.
Ich komme zum Ende. - Sie entscheiden heute also
nicht wieder aus alter Gewöhnung über den wie gewöhnlich zu schmal geratenen Etat für das gewöhnliche Justizwesen. Sie entscheiden heute über einen Haushalt, der
dem sozialen Rechtsstaat in keiner Weise gerecht wird.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Ole Schröder für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Vorweg mein Dank an Sie, Frau Ministerin, und
Ihr gesamtes Haus für die gute Zusammenarbeit bei der
Aufstellung dieses Haushalts. Vielen Dank auch an den
Kollegen und Hauptberichterstatter Lothar Binding und
die Mitberichterstatter für die gute Zusammenarbeit.
({0})
In den vergangenen Debatten über diese Einzelpläne
wurde regelmäßig darauf hingewiesen, dass die Etats der
Einzelpläne für das Bundesministerium der Justiz und
das Bundesverfassungsgericht gemessen am gesamten
Ausgabevolumen sehr klein sind. Der Etat für diese Einzelpläne beträgt nicht einmal 1,8 Promille der Gesamtausgaben.
Was sagt uns diese Zahl eigentlich? Keinesfalls darf
man von der Höhe der Ausgaben auf die Bedeutung der
Institutionen schließen. Beim Bundesverfassungsgericht
ist diese Gefahr relativ gering. Wir sind uns darüber im
Klaren, wie bedeutend diese Institution ist. Dagegen gibt
es auch Institutionen wie das Deutsche Patent- und Markenamt, die keine oder nur wenig mediale Aufmerksamkeit genießen. Dennoch ist deren Bedeutung für
Deutschland als Wirtschafts- und Technologiestandort
immens.
Kann man also im Umkehrschluss feststellen, dass
wir zu wenig Geld für diese Einzelpläne aufbringen?
Wenn beispielsweise Gerichtsverfahren objektiv zu
lange dauern, dann ist es - insbesondere für die Opposition - die einfachste Lösung, mehr Geld für mehr Richter zu fordern.
Doch auch wenn wir die Frage der Zuständigkeit von
Bund oder Ländern - es wäre auch einmal klarzustellen,
dass insbesondere die Länder für die finanzielle Ausstattung der Gerichte zuständig sind ({1})
beiseite lassen, greift dieser Vorwurf allemal zu kurz.
Nicht nur aufgrund der notwendigen Konsolidierung der
öffentlichen Haushalte, aber besonders aus diesem
Grund können wir es uns nicht leisten, nur die Symptome dieses Problems zu behandeln. Intelligenter ist,
sich auch mit den Ursachen - in diesem Fall von langen
Gerichtsverfahren - auseinander zu setzen.
Eine wichtige Maßnahme für mehr Effizienz betrifft
uns alle, die Abgeordneten, den Gesetzgeber. Wir müssen alles versuchen, um die Regelungsdichte und die
Komplexität so gering wie möglich zu halten. Wir haben
mit der Einsetzung des Normenkontrollrates, der Einführung eines Gesetzes-TÜV und unserer Initiative zugunsten einer verständlicheren Sprache in Gesetzen und Verordnungen einen wichtigen Anfang gemacht. Natürlich
müssen sich unsere Gerichte die Frage gefallen lassen,
ob sie effizient arbeiten. Es ist nicht einzusehen, dass
deutsche Gerichte beispielsweise in Scheidungsfällen
langsamer arbeiten als im europäischen Durchschnitt.
Auch nach den Beratungen im Haushaltsausschuss
gilt für die beiden zur Diskussion stehenden Einzelpläne
große Kontinuität in der Ausgabenentwicklung. Daher
kann ich mich auf drei wesentliche Punkte beschränken.
Der erste Punkt ist die kommende EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands. Diese kostet Geld. Aus diesem Grund haben wir die Haushaltsansätze des Bundesjustizministeriums maßvoll, das heißt um weniger als
5 Millionen Euro, erhöht. Auf der anderen Seite bietet
diese Ratspräsidentschaft auch dem Bundesministerium
der Justiz große Chancen. Insbesondere die europäische
Gesetzgebung trägt in erheblichem Maße dazu bei, dass
der gesetzliche Regelungsrahmen zunehmend dichter
und komplexer wird. Dem BMJ bietet sich nun die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass nicht ständig neue und
komplexere Richtlinien und Verordnungen in Kraft treten, sondern dass Richtlinien und Verordnungen abgeschafft werden.
({2})
Dann wird die EU-Ratspräsidentschaft nicht nur ein
Ausgabenposten im Einzelplan, sondern eine wichtige
Investition in weniger Bürokratie sein.
Ein weiterer Gegenstand intensiver Beratungen war
das Deutsche Patent- und Markenamt. Hier haben wir
sowohl bei den Stellen als auch bei den Mitteln für Investitionen in die Informationstechnologie aufgestockt.
Vor einigen Jahren hat sich beim Deutschen Patent- und
Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković
Markenamt ein massiver Patentanmeldestau entwickelt,
der erst durch den Einsatz zusätzlicher Prüfer abgebaut
werden konnte. Hätten wir nicht reagiert und dem Deutschen Patent- und Markenamt nicht zusätzliche Stellen
bewilligt, dann wäre der Grundstein für einen weiteren
Patentanmeldestau gelegt worden. Qualifiziertes Personal ist das eine. Wichtig ist aber auch die Informationstechnologie. Man darf nicht vergessen, dass es mittlerweile um die Verarbeitung und Bewertung von
30 Millionen Patentschriften geht. In keinem anderen
Patentamt in Europa gehen so viele neue Patentanmeldungen ein wie beim DPMA. Damit das auch in Zukunft
so bleibt, stellen wir 4,5 Millionen Euro für das Projekt
„elektronische Schutzakte“ bereit. Das ist eine wichtige
Investition in den Technologiestandort Deutschland.
({3})
Der dritte und letzte Punkt, den ich anspreche, ist die
Gründung des Bundesamtes für Justiz. Es wird bestehende Aufgaben vom Bundesjustizministerium und vom
Generalbundesanwalt übernehmen. Das ist notwendig,
weil im Laufe der Jahre dem Ministerium und dem Generalbundesanwalt relativ wahllos Aufgaben übertragen
wurden, ohne dass diese Aufgaben richtig zu den Häusern gepasst hätten. Diese Neugründung wurde sehr kostengünstig über die Bühne gebracht. Wir haben hierfür
lediglich 400 000 Euro veranschlagt. Wir gehen davon
aus, dass diese Mittel noch nicht einmal ausgeschöpft
werden. Entscheidend ist aber, dass wir in Zukunft aufgrund von Synergieeffekten in erheblichem Maße einsparen können und dass der Service für die Bürger verbessert werden kann.
Das Modell des BMJ, die Reduzierung auf die ministeriellen Kernaufgaben, verbunden mit der Ausgliederung nicht ministerieller Tätigkeiten in nachgelagerte
Bereiche, kann ein Vorbild für andere Häuser sein. Ich
denke insbesondere an die Diskussion, die jetzt im Bundesministerium des Innern über die Gründung eines
Bundespolizeipräsidiums geführt wird.
Ich habe bereits bei der Diskussion über das Gesetz
zur Errichtung des Bundesamts für Justiz gesagt, dass
wir diesen Weg konsequent fortsetzen müssen. Es muss
uns klar sein, dass für eine Außenstelle des Bundesministeriums der Justiz in Bonn jetzt wirklich keine Notwendigkeit mehr besteht. Hier steht uns aber das BerlinBonn-Gesetz im Wege. Wir haben deshalb im Haushaltsausschuss beschlossen, dass wir nochmals den Bundesrechnungshof auffordern wollen, die Arbeitsteilung der
Ministerien zwischen Berlin und Bonn zu untersuchen.
Wir sollten diese Analyse zum Anlass nehmen, das Berlin-Bonn-Gesetz entsprechend zu ändern.
Schönen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Jerzy Montag für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Haushalt des Bundesjustizministeriums ist immer noch
klein und immer noch fein. Mit 0,17 Prozent des Gesamthaushalts kann er weder viel zur Sanierung der
Staatsfinanzen beitragen noch diese ernsthaft beschädigen. Bei einem Deckungsgrad von 69,6 Prozent ist der
Justizhaushalt vorbildlich. Allerdings, Frau Ministerin,
hatten wir früher schon einmal einen Deckungsgrad von
weit über 70 Prozent.
Das neue Bundesamt für Justiz hat den Justizhaushalt,
wie von der Ministerin versprochen, nicht belastet. Das
erkennen wir an. Deshalb haben wir Grünen dem Einzeletat des Bundesjustizministeriums und des Bundesverfassungsgerichts im Rechtsausschuss zugestimmt und
nicht wie die Linke krampfhaft lange nach einem Haar in
der Suppe gesucht, um aus Prinzip auch dazu Nein sagen
zu können.
({0})
Die von der Linken geforderte Verlegung des Bundesamts für Justiz von Bonn in den Osten Deutschlands ist
blanker Populismus und angesichts der Tatsache, dass
sich der Kernbereich des neuen Bundesamts für Justiz
mit dem Bundeszentralregister schon seit Jahren in Bonn
befindet, sachlich nicht zu begründen.
({1})
- Nein, ist er nicht.
Die Ministerin hat letzte Woche zusammen mit dem
Innenminister der Öffentlichkeit den Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht vorgestellt. Er berührt Kernbereiche der Rechtspolitik, weshalb ich mich ihm heute
widmen will. Politik beginnt mit dem Erfassen der Wirklichkeit und Kriminalpolitik als ein immer in der öffentlichen Debatte stehender Teil der Rechtspolitik mit dem
Erfassen der tatsächlichen und nicht der gefühlten
Sicherheitslage. Um wirksame Konzepte zur Kriminalitätsbekämpfung entwickeln zu können, braucht die Politik eine verlässliche Bestandsaufnahme der Kriminalitätslage, die über die bloße Analyse der Statistiken
hinausgeht. So jedenfalls haben Sie es, Frau Zypries, geschrieben.
Es ist erstaunlich, aber wahr, dass erst unter Rot-Grün
mit einer solchen systematischen Erfassung der Wirklichkeit begonnen wurde.
({2})
Voraussetzung war und ist eine breit gefächerte Aufarbeitung und Analyse des vorhandenen Datenmaterials
unter kriminologischen, unter soziologischen, unter
rechtswissenschaftlichen und unter statistischen Aspekten. So steht es im Sicherheitsbericht. Der erste stammt
aus dem Jahr 2001. Er erfasste naturgemäß die Entwicklung der Kriminalität aus der Zeit der unionsgeführten
Kohl-Regierung. Der zweite Sicherheitsbericht, der aus
dem Jahr 2006, erfasst die Entwicklung bis zum
Jahr 2005. Er ist so etwas wie der kriminalpolitische Rechenschaftsbericht der beiden rot-grünen Regierungen.
Deshalb habe ich mit Spannung und mit Interesse auf
diesen Rechenschaftsbericht gewartet. Was haben wir
aus diesem Bericht erfahren? Die Zusammenfassung zuerst: Deutschland war unter Rot-Grün eines der sichersten Länder der Welt.
({3})
Deutschland nimmt auf der Kriminalitätsskala in Europa
den ruhmreichen letzten Platz ein. Noch 1994, also in
unionsgeführten Zeiten, lagen wir bei Kapitalverbrechen
wie Mord und Totschlag in Europa über dem Durchschnitt, heute weit darunter. In den Bereichen Raub und
Erpressung ist Deutschland das einzige Land Europas
mit zurückgehenden Deliktraten.
({4})
Entgegen politisch und medial geschürten Ängsten vor
einer überbordenden Kriminalität hat in den letzten Jahrzehnten, insbesondere in den letzten sieben Jahren der
rot-grünen Kriminalitätspolitik, die Opfergefährdung
durch Vergewaltigungen, sexuelle Nötigungen, sexuelle
Übergriffe gegenüber Kindern und durch Mord und Totschlag nicht zugenommen. Ganz im Gegenteil, wir haben deutliche Rückgänge zu verzeichnen.
({5})
Der Bericht spricht insoweit unter Hinweis auf immer
wieder in der Öffentlichkeit und in den Medien breit herausgestellte Einzelfälle von einem drastisch verzerrten
Bild des Kriminalgeschehens in der Öffentlichkeit. Eine
allgemeine Brutalisierung unserer Gesellschaft, von vielen immer wieder beschworen und herbeigeredet, ist
nicht nachweisbar.
Bis Ende der 90er-Jahre war eine Zunahme der
Jugenddelinquenz zu verzeichnen. Seit 1999 ist dieser
Anstieg in fast allen Deliktarten der Jugenddelinquenz
gestoppt; er geht überwiegend zurück, zum Teil sehr
deutlich.
({6})
Opfer der Gewaltdelikte Jugendlicher sind überwiegend
Gleichaltrige, nicht ältere Menschen. Opfer von Gewalt
Erwachsener sind überwiegend junge Menschen und
Kinder. Das alles wird weder in der „Bild“-Zeitung publiziert, noch findet es sich in den sicherheitspolitischen
Analysen der Union.
Besonders wichtig finde ich im Sicherheitsbericht,
dass die Wirkungen des erhöhten Anzeigeverhaltens und
die Ergebnisse der Dunkelfeldforschung ins Verhältnis
zu den Deliktbereichen gesetzt werden, bei denen Anstiege der angezeigten Kriminalität zu verzeichnen sind.
Das ist traditionell das Betätigungsfeld konservativer
Kriminalitätspolitik. Jetzt können wir schwarz auf weiß
lesen, dass Anstiege in bestimmten Bereichen der gewalttätigen Jugenddelinquenz kein Beleg für eine immer
brutalere Jugend sind, sondern die Zahlen deswegen ansteigen, weil die Menschen Gewalt immer weniger akzeptieren und durch Anzeigen aus dem Dunkelfeld ans
Licht der Öffentlichkeit bringen. Dies haben wir Grünen
in kriminalpolitischen Debatten gegen den Populismus
der Union immer wieder argumentiert. Bei jedem Einzelfall haben wir uns geweigert, gleich nach Strafrechtsverschärfungen und neuen Gesetzen zu rufen. Unseren
Koalitionspartner konnten wir nicht immer, aber immer
wieder überzeugen. Die Union aber erlag und erliegt wie
eine Süchtige immer wieder der Versuchung, einen billigen Punkt in der Debatte zu machen und auf die Pauke
der Repression zu hauen.
({7})
So können wir feststellen, dass Sie im Sicherheitsbericht
über unsere Regierungszeit zu vernünftigen Schlussfolgerungen kommen,
({8})
aber schon die erste Bewährungsprobe dieses neuen rationalen Ansatzes bei Ihnen gescheitert ist.
Gestern hat ein 18-jähriger Amokläufer in einer
Schule in Nordrhein-Westfalen viele Menschen verletzt.
Heute sind die Zeitungen voll mit Vorschlägen aus den
Reihen der Union zu strengerem Jugendschutz, zu neuen
Verboten und neuen Strafen.
({9})
Ohne gesicherte Kenntnisse, ohne Sinn und Verstand
hauen Kollegen des Regierungslagers auf die Repressionspauke. Dabei müsste uns aufhorchen lassen, dass
der 18-Jährige über seine Erfahrung als Jugendlicher in
seiner Schule geschrieben haben soll: Das Einzige, was
mir die Schule beigebracht hat, ist, dass ich ein Versager
bin.
Wenn wir Grünen Ihre kriminalpolitische Tagespolitik, Ihr rechtspolitisches Programm in Ihrer Koalitionsvereinbarung und Ihre rechtspolitischen Vorstöße über
den Bundesrat bewerten, dann ist keine Entwarnung angesagt. Danke, dass Sie uns für unsere Regierungszeit im
Sicherheitsbericht so gelobt haben! Aber die Umsetzung
der im Sicherheitsbericht zu Papier gebrachten Grundsätze einer rationalen Kriminalitätspolitik in die Tagespolitik haben Sie noch vor sich.
({10})
Wir werden Ihnen dabei nach Kräften helfen.
({11})
Das Wort hat der Kollege Lothar Binding für die
SPD-Fraktion.
Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Zum Haushalt und zu den Einzelplänen
haben wir schon viel gehört und ich frage mich inzwischen - ich sitze seit 10 Uhr hier -, warum eigentlich so
ein guter Haushalt in so unterschiedlichem Licht erscheint.
({0})
Ich will versuchen, das an drei Beispielen, die ich heute
hören konnte, zu erläutern.
Herr Koppelin fragte heute Morgen gegen 10.14 Uhr:
Wie können Sie, Frau Kanzlerin - er schaute ganz vorwurfsvoll zu ihr herüber -, eigentlich Geld ausgeben, das
Sie noch gar nicht haben? Da habe ich mich gefragt: Wie
kann das jemand von der FDP fragen, obwohl die FDP
39 Jahre lang genau das gemacht hat? Die FDP hat das
praktiziert und dabei sämtliche Verfahren in dieser Richtung angewandt. Dennoch stellt sich ein FDP-Vertreter
hierhin und stellt diese Frage.
({1})
Frau Lötzsch von der Linken hat gesagt, die große
Koalition sei immer dann erfolgreich gewesen, wenn sie
den Vorschlägen der Linken gefolgt sei.
({2})
Man muss schwer aufpassen, dass man sich nicht verhebt; die Bandscheiben danken dafür.
({3})
Es ist immer ein schönes Gefühl, jemandem zu folgen,
der Geld ausgibt, etwa in der Zeit vor Weihnachten. Der
Unterschied zwischen Ihnen, Frau Lötzsch, und uns besteht darin, dass wir versuchen, Ausgaben im Haushalt
zu decken: Wir kümmern uns auch um entsprechende
Einnahmen.
({4})
Wer so vorgeht, hat andere Probleme als jemand, der
sich nur um die Ausgaben kümmert. Es stimmt: Immer
wenn wir Geld ausgeben - auch in Ihrem Sinne -, hat
das ein positives Moment.
Ich möchte auf Anja Hajduk zu sprechen kommen.
Sie hat uns etwas vorgerechnet. Das möchte ich gerne
nachrechnen. Sie hat gesagt - das zeigt, in welchen Kategorien von Haushalt man eigentlich denkt, welche
Haushaltsgrundsätze man hat -: Die Pflegeversicherung
kostet den Arbeitnehmer und den Arbeitgeber 1,7 Prozent; die Reform fehlt noch. Das stimmt. Auch ich mache der großen Koalition - allzu lange existiert sie noch
nicht - einen kleinen Vorwurf. Frau Hajduk hat also gesagt: Die Verantwortung hat die große Koalition. Nach
Frau Hajduks Rechnung wird der Beitragssatz in der
Krankenversicherung - er beträgt heute durchschnittlich
14,3 Prozent - auf 15 Prozent steigen. Auch das stimmt.
Frau Hajduk hat gesagt: Die Verantwortung hat die
große Koalition. - Sie nicken. Wir sind uns hundertprozentig einig.
({5})
Der Beitragssatz in der Rentenversicherung - derzeit
liegt er bei 19,5 Prozent - steigt auf - ich gehe auf keinen der Gründe ein - 19,9 Prozent. Das stimmt hundertprozentig. Frau Hajduk hat gesagt: Die Verantwortung
hat die große Koalition. Der Beitragssatz in der Arbeitslosenversicherung sinkt von 6,5 Prozent auf 4,2 Prozent.
Frau Hajduk hat bezüglich der Verantwortung gesagt:
Das ist die Folgewirkung der langfristig angelegten, guten rot-grünen Politik und ein Ergebnis der Arbeit der
Bundesanstalt für Arbeit.
({6})
Eine solche Differenzierung vorzunehmen, ist natürlich wunderbar. Sie muss mir noch erklären - ich konnte
sie noch nicht fragen -, wie sie aufgrund der von ihr
genannten Zahlen zu einer Gesamtbelastung von - bisher - 40,7 Prozent kommt, um dann die Entlastung von
1,2 Prozent zu einer Belastung von 0,1 Prozent umzurechnen und so zu einer Gesamtbelastung von 40,8 Prozent zu kommen. Zum Schluss hat Frau Hajduk addiert
und darauf hingewiesen, dass die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte hinzukommt.
({7})
Wer so rechnet, der muss den Haushalt zugegebenermaßen zwingend anders betrachten als wir. Deshalb ist
unser Urteil „guter Haushalt“ wahrscheinlich richtig und
Ihr Urteil „schlechter Haushalt“ falsch.
({8})
Ich will noch eine Bemerkung zu einer Frage machen,
die Ulla Schmidt gestellt hat. Ulla Schmidt hat gefragt,
welcher der vielen Kritiker oder Kritikaster eigentlich
substanzielle eigene Vorschläge gemacht hat. Den lautesten Zwischenruf hat Herr Niebel gemacht: Wir! - Schaut
man einmal nach, was Sie vorgeschlagen haben - Sie
machen viele große Reformvorschläge -, stellt man fest,
dass Sie die gesetzliche Krankenversicherung abschaffen
wollen. Jeder soll an sich denken und alles soll privatisiert werden. Das ist ein super Modell - völlig klar -;
auch die Abschaffung der Bundesanstalt für Arbeit ist
eine ganz tolle Idee. Wie man sie ersetzt, ist eine zweite
Frage. Sie wollen dieses Steuersystem abschaffen und es
durch ein besseres ersetzen, das zwar einfach, aber nicht
finanzierbar und total ungerecht ist.
({9})
Jetzt möchte ich auf Herrn Nešković zu sprechen
kommen. Herr Nešković, Sie haben etwas vergessen.
Letztes Jahr haben Sie etwas zu Arm und Reich gesagt.
Ich habe Sie gefragt, ob Sie einmal prüfen können, wie
Lothar Binding ({10})
es Rot-Grün geschafft hat, den Spitzensteuersatz zu senken und gleichzeitig die Steuerlast der Millionäre zu erhöhen. Die Antwort wollten Sie heute geben, haben es
aber leider nicht getan. Das ist sehr bedauerlich.
({11})
Auch dadurch leisten Sie keinen Beitrag zu einer verantwortlichen Haushaltspolitik.
Verantwortliche Haushaltspolitik kommt in diesem
Einzelplan zum Ausdruck, weil Ole Schröder, Otto
Fricke, Anna Lührmann, Roland Claus und Dr. Dietmar
Bartsch sehr gut zusammengearbeitet haben, und zwar
auf der Grundlage der Vorlagen des Ministeriums, bei
dem wir uns herzlich bedanken möchten. Es war sehr
kooperativ. Ich danke Brigitte Zypries, Herrn SchmittWellbrock und Axel Vogel. Auch Frau Dr. Barnstedt und
Herrn Köntopp vom Bundesverfassungsgericht möchte
ich erwähnen. Mit diesem gesamten Team kann man bei
der Erstellung des Haushalts sehr gut auch kritische
Punkte behandeln. Auf dieser Basis ist ein ausgezeichneter Einzelplan zustande gekommen. Auf Einzelheiten
gehe ich nicht ein; denn das haben meine Vorredner hinreichend getan.
Vielen Dank.
({12})
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Otto
Fricke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Binding, es ist schade, dass Sie nicht in der
Schlussrunde reden. Ich hätte Ihre Ausführungen da
gerne auch noch einmal gehört und wäre gespannt, ob
dann ebenso stark von Ihrer Fraktion applaudiert würde.
Die Debatte über den Justizhaushalt bringt die Notwendigkeit mit sich, dass man über Kosten sprechen
muss, nämlich über die Frage, wie viel der Rechtsstaat
uns kostet. Das ist unangenehm und das tut man nicht
gerne; aber der Rechtsstaat muss Geld kosten und er soll
auch Geld kosten. Wir diskutieren aber leider nicht darüber, wie viel Geld wir bereit sind, für den Rechtsstaat
zu bezahlen. Der Rechtsstaat lebt nämlich von Voraussetzungen, die er selber nicht garantieren kann, nämlich
von Ressourcen.
Die erste Ressource ist das Geld. Darüber kann man
so viel reden, wie man will. Das gewährt im Bundeshaushalt zum Teil auch der Haushalt des Bundesverfassungsgerichts und zum Teil leider immer noch der Haushalt des Arbeits- und Sozialministeriums. Ich fordere Sie
noch einmal auf, Frau Ministerin Zypries: Holen Sie
während der großen Koalition die Verantwortung für das
Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht hinüber zum Justizministerium. Es darf nicht sein, dass
zwischen zwei Ministerien, beide noch dazu SPD-geführt, darüber diskutiert wird, wer denn nun von wem
welche Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter oder
anderes bekommt. Das ist ein Aberwitz.
Außerdem ist aber zu sehen, dass der Rechtsstaat
mehr als nur Geld kostet. Er kostet Verantwortung. Lassen Sie mich zunächst auf die Diskussion zum Jugendstrafvollzug zu sprechen kommen. Keine Partei - das
sage ich ganz bewusst - kann sich hier für die letzten
Jahrzehnte von Schuld freisprechen. Der Bundestag hat
Gesetze beschlossen, die der Bundesrat einfach hat einschlafen lassen. Die jetzt gültige Kompetenzverteilung
geht in eine andere Richtung. Ich glaube, dass die Länder relativ schnell sein werden und die ersten Gesetze
demnächst kommen. Ich verwahre mich aber dagegen
- das sollten alle Rechtspolitiker tun -, dass man sofort,
wenn etwas falsch läuft, sagt, dass der Minister, in dessen Verantwortungsbereich etwas aktuell fällt, schuld ist
und zurücktreten soll, und dann glaubt, damit die Probleme gelöst zu haben. Im Gegenteil: Das sind Scheinlösungen, die am eigentlichen Problem vorbeilaufen.
({0})
Ich sage das auch deswegen, weil es natürlich richtig
ist, dass wir dafür mehr Geld geben müssen. Dafür sind
zwar in dem Falle die Länder zuständig - Frau Ministerin, Sie haben Recht -, aber das Problem ist doch, dass
auch die Länder entsprechende Haushaltsschwierigkeiten haben. Man muss dann eben schauen, Kollege
Binding, woher das Geld genommen werden kann. Nun
sind es immer noch 19,6 Milliarden Euro, die der Bund
zusätzlich aufnehmen muss, und über 40 Milliarden
Euro an Zinsen. In solch einer Situation befinden sich
die Länder eben auch.
Der Rechtsstaat braucht aber auch einen Kompass.
Das Antidiskriminierungsgesetz ist schon angesprochen worden. Ich finde es bemerkenswert, dass ich inzwischen Briefe von Gewerkschaftern bekomme, in denen sie von riesigen Problemen mit den Tarifverträgen
berichten, da sie gar nicht wüssten, ob diese mit diesem
Gesetz konform gingen. Vielleicht ist es so, dass die Gerichte nicht wie befürchtet entscheiden. Aber wehe, es
kommt nachher dazu, dass innerhalb dieser Legislaturperiode noch das zweite, dritte, vierte oder fünfte Änderungsgesetz nötig wird, nur weil die Koalition und in
dieser insbesondere die SPD sagt, man wolle gar nichts
mehr an dem ändern, was einmal unter Rot-Grün beschlossen wurde und was die CDU/CSU nachher mitmachen musste.
Auch bei der Urheberrechtsreform, die ja noch
kommen soll, müssen wir aufpassen, dass der Kompass
stimmt. Ich fand es schon bemerkenswert, dass 90 weltweit bekannte Regisseure, die zum Teil in den USA leben, Ihnen, Frau Ministerin, sagen: Passen Sie auf, dass
nicht nur die Verwerter das große Geld verdienen werden, und sorgen Sie dafür, dass auch die Kreativen und
die Urheber ihren Teil bekommen. Ich bitte Sie wirklich,
darauf zu achten, dass ein wesentlicher Punkt, der unser
Land stark macht, nämlich Kreativität und kulturelle Betätigung, nicht hinten herunterfällt.
({1})
- Nein, es wird auch im zweiten Korb eine ganz wesentliche Rolle spielen. Lassen Sie sich das einmal von der
Ministerin erklären.
Eine Frage möchte ich noch kurz am Schluss ansprechen: Der BGH-Präsident Günter Hirsch hat eine sehr
bemerkenswerte Aussage gemacht: Der Gesetzgeber sei
der Komponist des Rechtsstaates und die Gerichte seien
diejenigen, die schauen müssten, wie sie das musikalisch
umsetzten. Es wurde auch noch gesagt: Wenn dem Gesetzgeber Takt und Tongefühl fehlen, wird die ganze
Melodie schief und schräg. Man kann sicherlich
schauen, was Sinn und Zweck eines Gesetzes sind. Aber
wenn der Gesetzgeber einen Viervierteltakt vorgibt,
dann kann ein Gericht nicht sagen, es finde einen Walzer
schöner, und einen Dreivierteltakt spielen. Es muss sich
vielmehr an den Viervierteltakt halten. Wir müssen genau aufpassen, dass Gerichte nicht zu Ersatzgesetzgebern werden.
Letzter Satz: Professor Johann Braun hat einmal eine
Aussage gemacht, der ich auf keinen Fall zustimme
- damit ich hier nicht missverstanden werde -: Auch
wenn Sie vom Recht nichts verstehen, Gesetzgeber können Sie immer noch werden. - Wenn eine solche Auffassung Eingang bei uns finden würde, dann würde uns das
letztlich den Rechtsstaat kosten. Das wollen wir nicht.
Deswegen ist dieser Haushalt so wichtig.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgen Gehb für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Haushaltsdebatten geben nicht nur Anlass zu artigen Danksagungen, sondern bieten auch eine Gelegenheit, einmal
über den Tellerrand zu schauen und nicht nur stakkatohaft das Klein-Klein abzuarbeiten, also jedes Gesetz zu
untersuchen; sie ermöglichen, auch einmal Grundsätzliches zu diskutieren.
Zu diesem Grundsätzlichen gehört für mich eine Warnung des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts,
die er vor den Teilnehmern der 5. Medienakademie der
Friedrich-Naumann-Stiftung Anfang dieses Monats ausgesprochen hat. Ich zitiere aus dem „Tagesspiegel“ vom
4. November. Dort heißt es:
„Die Journalisten schüren den Aktionismus der Politik“ … durch ihr ständiges Rufen nach dem Gesetzgeber bei jedem noch so kleinen Problem. Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen trieben Regierung
und Parlament an, immer neue Gesetze zu erlassen
…
Als weiteres Beispiel zitiert Papier ein „großes Magazin“ - den Namen verrät er nicht -, bei dem aktuell jeder Beitrag mit der Frage ende, warum dieses
oder jenes Problem noch nicht gesetzlich geregelt
sei. Wie 2005, bei der Vogelgrippenhysterie: „Wenn
auf Usedom drei Vögel verenden, wird sofort die
Gesetzgebungsmaschine angeworfen.“
({0})
- Ich habe ja nur zitiert. Man muss ein Zitat korrekt wiedergeben, selbst wenn es nicht richtig ist, Herr Wieland;
das haben Sie doch bestimmt auch gelernt.
({1})
Nun will ich mir nicht jedes Wort von Präsident
Papier zu Eigen machen; doch im Kern hat der Präsident
des Bundesverfassungsgerichts wohl Recht. Ständig
wird nach dem Gesetzgeber gerufen und wir Parlamentarier werden von den Medien, aber auch von vielen anderen Seiten, manchmal auch ein bisschen von der Ministerialbürokratie, angesprochen.
({2})
Nicht wahr, Herr Stünker, davon können wir ein Lied
singen, wenn diese Herrschaften sogar an Podiumsdiskussionen teilnehmen und um jedes Wort und jedes Semikolon ringen - und die Abgeordneten sitzen im Publikum und müssen zuhören. Eine gewisse politische
Konkurrenz, die im Prinzip überhaupt nicht zu kritisieren ist, hat sicherlich ihren Anteil an der Gesetzgebungsmaschinerie.
Trotzdem sollten wir uns immer wieder die Frage
stellen: Wie weit lassen wir uns auf dieses Treiben ein?
Ist es wirklich erstrebenswert, einem solchen Aktionismus zu frönen, nur weil dies von der Öffentlichkeit oder
von einflussreichen Medien oder von Lobbyisten erwartet wird? Ich bin jedenfalls froh, dass wir uns in der großen Koalition diesen Fragen stellen und sie auch einmal
in dem Sinne beantworten, dass ein geplantes Gesetzgebungsprojekt nicht auf den Weg gebracht wird. Frau
Ministerin, ich denke da an das Untätigkeitsrechtsbehelfsgesetz. Manchmal müssen die Parlamentarier die
Regierung ein bisschen zur Raison rufen und dann wird
eine Kabinettsvorlage auch einmal abgesetzt.
({3})
Um es deutlich zu sagen: Für mich kann auch der
selbstgenügsame Gesetzgeber ein wirklich guter Gesetzgeber sein. Anders formuliert: Auch in der Rechtspolitik
kann weniger manchmal mehr sein. Ich bemühe noch
einmal Montesquieu. Letzte Woche musste ich Herrn
Beck erklären, dass es sich dabei nicht um den Grafen
von Monte Christo handelt und dass das auch kein Modezar oder jemand aus der Haute Cuisine ist.
({4})
Montesquieu hat gesagt: Wenn es nicht notwendig ist,
ein Gesetz zu erlassen, ist es notwendig, kein Gesetz zu
erlassen. - Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
Meine Damen und Herren, diese Kultur des offenen
Wortes wünschte ich mir auch bei den Debatten um weitere Staatsziele in unserer Verfassung.
({5})
Ich habe hierüber in der ersten Lesung des Justizhaushaltes vieles gesagt, möchte aber heute mindestens für unsere Gruppe der Rechtspolitiker noch einmal eines herausstellen: Viele der Anliegen, die als potenzielle
Staatsziele in der Diskussion sind, sind sicherlich mehr
als ehrenwert; gar keine Frage. Nach unserer Auffassung
wäre es aber eine geradezu dramatische Fehlentwicklung, wenn ein politisches Ziel oder ein Recht nur noch
dann als angemessen verortet gälte, wenn es auch seinen
Platz im Grundgesetz gefunden hätte. Das wäre eine völlige Entwertung.
({6})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wie schnell
man hier auf eine abschüssige Bahn geraten kann, wird
für mich überdeutlich an einem Ausspruch des Präsidenten des Deutschen Kinderschutzbundes in der gestrigen
Anhörung der Kinderkommission. In der „Leipziger
Volkszeitung“ wird Herr Hilgers wie folgt zitiert: Ich
fühle mich in einem Land nicht wohl, in dem der Tierschutz Staatsziel ist, der Kinderschutz aber nicht.
Das hat natürlich prima facie einen gewissen Charme.
Alle zucken zusammen. Aber genauso wenig, wie es einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht gibt,
gibt es einen Anspruch auf Gleichbehandlung bei legislativen Fehlleistungen.
({7})
Meine Damen und Herren, wer hierin einen Wertungswiderspruch sieht, dem kann ich nur eines sagen: Einen
solchen könnte man auflösen, indem man den ursprünglichen Fehler, sozusagen die Erbsünde, rückgängig
macht und das Staatsziel Tierschutz aus dem Grundgesetz wieder herausnimmt. Aber bitte lassen Sie uns das
Grundgesetz, das durch seine Kargheit und Schlichtheit
besticht, nicht zu einem Neckermannkatalog verkommen!
({8})
Diese Vorsicht und Zurückhaltung der Rechtspolitiker
wäre auch bei der Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, was die notwendige Mehrheit bei Verbotsverfahren angeht, angebracht. Da gebe ich unserer
Ministerin vollkommen Recht. Man kann doch die
Scheibe nicht einfach nach dem Schuss hängen, indem
man sagt: Da es nur eine einfache Mehrheit, aber keine
Zweidrittelmehrheit unter den Senatsmitgliedern gab,
verändern wir einfach das Quorum. - Da wird zumindest
der unschöne Anschein erweckt, als gäbe es so etwas
wie eine bestellte oder politisch erwünschte Rechtsprechung.
({9})
Davor sollten wir uns wirklich hüten.
Im Kern geht es bei dieser Debatte aber um viel
Grundsätzlicheres. Gerade von dieser Stelle aus muss
daran erinnert werden, dass unser Grundgesetz ein Parteienverbot nur als Ultima Ratio ansieht,
({10})
das zum Schutze der Demokratie zwar eingesetzt, aber
zum Schutze der Parteiendemokratie wiederum nur
äußerst selten und dann nur unter ganz engen Voraussetzungen geändert werden darf. Zu diesen engen Voraussetzungen gehört aus guten Gründen eine Zweidrittelmehrheit.
Bei der Gelegenheit - heute lobe ich dich sehr oft,
liebe Brigitte ({11})
sollte man die Rede der Ministerin mit dem Titel „Warum dürfen Neonazis demonstrieren?“ lesen. Ich weiß
noch, dass ich vor zwei Jahren, als es um die Änderung
des Versammlungsgesetzes ging, Murren bei den strenggläubigen Innenpolitikern hervorgerufen habe. Aber es
steht uns Rechtspolitikern insgesamt sehr gut an, dass
wir darüber auch einmal reden.
Man hat Angst, man würde sofort in eine bestimmte
Ecke gestellt werden, wenn man diese Meinung vertritt.
Wir alle kennen die unschönen Bilder. Aber das ist nun
einmal der Preis der Demokratie. Diese unsere Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass Parteiverbote nur
als allerletztes Mittel angewendet werden und stattdessen stärker auf das Engagement der demokratisch gesinnten Bürger gesetzt wird.
Ich möchte in die allgemeine Danksagung einfallen.
Ich danke nicht nur den Haushältern und der Ministerin.
Ich will an dieser Stelle erwähnen, dass es eine wahre
Freude ist, mit meinem Pendant, Joachim Stünker, mit
dem ich mich noch vor zwei Jahren böse gefetzt habe
und der wie ich ordentlich ausgeteilt hat, Rechtspolitik
in diesem Hause zu machen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Nun hat der Kollege Joachim Stünker für die SPDFraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte in meinen drei Minuten drei Anmerkungen
machen.
Erste Anmerkung. Herr Kollege Nešković, wenn den
Linken zur Rechtspolitik nichts anderes einfällt, als
230 Assistentenstellen an deutschen Obergerichten zu
fordern, dann sollten Sie nicht solche Reden wie vorhin
halten.
({0})
Sie können sicher sein - da kann ich Sie beruhigen -,
dass die Rechtspolitiker in der SPD-Bundestagsfraktion
in der Tradition Carlo Schmids stehen. Sie werden das
auch in Zukunft tun, Herr Kollege Nešković.
({1})
All die vermeintlich bösen Dinge, die Sie zu der Behauptung veranlassen, wir würden nicht mehr in dieser
Tradition stehen, wurden nicht von der großen Koalition
im Deutschen Bundestag eingebracht. Das alles sind
Vorlagen aus dem Bundesrat. Machen Sie uns für die
Vorlagen des anderen Verfassungsorgans nicht verantwortlich, Herr Kollege Nešković.
Zweite Anmerkung. Frau Ministerin, ich habe heute
gelesen, dass es morgen im Kanzleramt Sekt gibt. Die
Kanzlerin hat dazu eingeladen. Ich habe mich gefragt,
Herr Kollege Gehb, wann wir eigentlich eingeladen werden; denn ich meine, dass die Indianer in der Rechtspolitik in diesem Jahr gute Arbeit geleistet haben.
({2})
Wir haben in diesem einen Jahr mit der Föderalismusreform, mit dem AGG, mit dem Europäischen Haftbefehl, mit der Vermögensabschöpfung bei Straftaten, mit
der Einführung des elektronischen Handelsregisters und
der Schaffung des Bundesamtes für Justiz sehr geräuschlos sehr wichtige Entscheidungen getroffen. Dies waren
zukunftsweisende Schritte. Ich bedanke mich dafür beim
Koalitionspartner. Ich denke, wir werden noch vor Weihnachten eine Regelung finden, dass Stalking zukünftig
unter Strafe gestellt wird. Wir werden das Zweite Justizmodernisierungsgesetz noch verabschieden. Danach folgen die Reform des Unterhaltsrechts und die Reform des
Wohnungseigentumsgesetzes. Wir haben in der Tat in
diesem Jahr viel geleistet.
Dritte Anmerkung. Auch ich bin der Meinung - es ist
bereits darauf hingewiesen worden; Herr Fricke hat dazu
eine Anmerkung gemacht; auch ich will das heute
Abend tun, weil mir das sehr ernst ist -, dass es uns bei
all den Vorkommnissen in den Justizvollzugsanstalten
- sei es in Sachsen, in Nordrhein-Westfalen oder wo
auch immer in der Vergangenheit -, über die wir gegenwärtig öffentlich diskutieren, nicht gut ansteht - ich bin
der Letzte, der danach ruft -, zu sagen: Da müssen möglicherweise von denjenigen persönliche Konsequenzen
gezogen werden, die im Augenblick den undankbaren
Job haben, in den jeweiligen Ländern Justizminister zu
sein.
Auch wenn meine Redezeit schon fortgeschritten ist,
noch eine nachdenkliche Bemerkung: Ich bin der Meinung, dass wir in den letzten zehn bis 20 Jahren quer
durch alle Regierungen - um es deutlich zu sagen: Keine
Regierung kann sich, wie ich meine, im Ergebnis einen
schlanken Fuß machen - in diesem Bereich, aber auch in
anderen Bereichen der Rechtspolitik, gerade auch auf
Länderebene, zunehmend die Entwicklung zu beklagen
haben, dass die Fiskalpolitik die Rechtspolitik leider
überlagert hat. Wir sollten in den drei Jahren, die wir in
dieser Koalition noch vor uns haben, daran mitwirken,
dass sich dies ändert; ich zumindest habe dieses Vorhaben. Wir sollten die Entwicklung so umdrehen, dass die
Rechtspolitik das Primat hat und nicht die Fiskalpolitik.
Schönen Dank.
({3})
Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat die Kollegin
Daniela Raab für die Unionsfraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Viel hat sich in den letzten Wochen und Monaten auch in
rechtspolitischer Hinsicht getan. Aber viel liegt noch vor
uns; über vieles muss noch diskutiert werden. Wir haben
uns oftmals einen engen Zeitrahmen gesetzt und wollen
auch in diesem Jahr noch einiges schaffen. Allein die
Anzahl der öffentlichen Anhörungen, die stattgefunden
haben und noch stattfinden werden, spricht für sich.
Denken Sie an die Anhörungen zum Unterhaltsrecht,
zum Stalking
({0})
und zur Pressefreiheit sowie an die vielen und zahlreichen Anhörungen zum sehr komplexen Urheberrecht.
Wir konnten natürlich - Kollege Stünker hat es gerade grob zusammengefasst - einige Erfolge verbuchen.
Lassen Sie mich beispielhaft nur ein Gesetzgebungsverfahren herausgreifen - denn es hat uns sehr viel Kraft
und sehr viel Zeit gekostet; letzten Endes ist aber doch
ein gutes Ergebnis zustande gekommen -: das Gesetz
über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister, kurz
„EHUG“ genannt. Es wird zum 1. Januar 2007 in Kraft
treten. Die genannten Register werden auf den elektronischen Betrieb umgestellt, was natürlich einer dringend
notwendigen Anpassung an die neuen Techniken, zum
Beispiel an das Internet, entspricht. Weil die Register
nun elektronisch geführt werden sollen, können Handelsregistereintragungen künftig auch elektronisch bekannt gemacht werden. Dies ist eine preiswerte und
leicht zugängliche Form für jeden Interessierten. Insgesamt führt diese Verlagerung auf die elektronische Ebene
dazu, dass unsere Gerichte entlastet werden und dass
wesentliche Daten über Firmen, die publikationspflichtig sind, online abgerufen werden können. Wen es interessiert: Ab dem 1. Januar ist dies unter www.unternehmensregister.de möglich; das Hineinklicken lohnt sich.
In den Diskussionen im Vorfeld haben wir festgestellt, dass die Abkehr von der ursprünglichen Publikation in den Tageszeitungen gegebenenfalls zu Umstellungsproblemen führen könnte, da manch kleiner
Unternehmer vielleicht noch gar nicht online vernetzt
ist. Deswegen war es uns, der Union, immer sehr wichtig
- ich danke an dieser Stelle der Kollegin Voßhoff für
ihren regen Einsatz bei diesem Thema -, eine bundeseinheitliche Übergangsfrist von nunmehr zwei Jahren einzuführen. Ich denke, wir kommen hiermit allen Beteiligten entgegen. Ich bin froh, dass wir diesen Kompromiss
im Endeffekt erzielt haben.
({1})
Es wird nun parallel im Internet und in der Tageszeitung
veröffentlicht. Jeder der Beteiligten hat die Möglichkeit,
sich darauf einzustellen. Ich denke, schon allein das war
die Mühe wert.
Ein weiteres Thema, mit dem wir uns beschäftigt haben und immer noch beschäftigen, ist die Reform des
Unterhaltsrechts. Die öffentliche Anhörung im Oktober
hat uns darin bestärkt, dass die Stärkung des Kindeswohls, die Betonung des Grundsatzes der Eigenverantwortung nach der Ehe und die Vereinfachung des Unterhaltsrechts nun unverzüglich umgesetzt werden müssen.
Wir, die Rechtspolitiker der Union, hoffen sehr, dass die
Bedenken der Familienpolitiker auf unserer Seite ausgeräumt werden können; denn grundsätzlich unterstützen
wir den Reformansatz, dass der Kindesunterhalt in der
Rangfolge vor allen anderen potenziellen Unterhaltsberechtigten kommen muss. Bevor es um den Unterhalt
des ehemaligen Partners geht, muss der des Kindes gesichert sein.
Jeder der beiden Partner - ich betone bewusst: jeder muss die Chance haben, auch nach einer geschiedenen
Ehe einen Neuanfang wagen zu können. In diesem Reformansatz unterstützen wir die Ministerin. Ich denke
und hoffe sehr, dass wir zu einem guten Ende dieser Diskussion kommen werden.
({2})
In den nächsten Wochen, vielleicht auch Monaten, je
nachdem wie schnell wir uns eine Meinung bilden können, wird uns eine weitere sehr bedeutsame Frage beschäftigen. Nicht nur die Rechtspolitiker werden sich damit befassen müssen, sondern das gesamte Parlament.
Wir werden zu entscheiden haben, wie wir die Patientenverfügung am besten gesetzlich regeln. Dass wir sie
gesetzlich regeln müssen, denke ich, ist mittlerweile unumstritten.
Aus Gesprächen mit Hospizvereinen, Ärzten und insbesondere mit persönlich Betroffenen wissen wir, dass
wir Rechtsklarheit und Rechtssicherheit schaffen müssen. Dies geht nur mit einer eindeutigen gesetzlichen Regelung. Wir werden dabei schwierige und sehr sensible
Fragen zu beantworten haben, zum Beispiel: Wie weit
kann eine Patientenverfügung reichen? Kann der Patient
im Vorhinein alles anordnen oder alles ausschließen?
Muss eine solche Verfügung nicht in ihrer Reichweite
begrenzt werden und wie oft muss sie erneuert werden,
um gültig zu sein? Wir werden die Frage zu beantworten
haben, ob es zu einem Behandlungsabbruch bei Wachkomapatienten oder Schwerstdemenzkranken kommen
kann. Wir werden uns um so technische Fragen kümmern müssen wie: Bedarf es der notariellen Beurkundung der Patientenverfügung oder reicht die einfache
Schriftform?
({3})
Ich meine, Letzteres reicht wohl aus.
Diese ethischen Gesichtspunkte und schwierigen Fragen werden den einen oder anderen unserer Kollegen vor
eine schwere Entscheidung stellen. Klar ist deshalb
auch, dass es bei diesem Thema keine vorgefasste Meinung an den Fraktionsgrenzen entlang geben wird. Jeder
Kollege wird mit sich selbst ausmachen müssen, welchen Lösungsweg er beschreiten will.
({4})
Zum jetzigen Zeitpunkt ist auf jeden Fall die Botschaft
wichtig, dass sich der Deutsche Bundestag dieses Themas annimmt. Ich bin mir sicher, wir werden auch hier
in bewährter Weise eine gute Lösung finden.
Herzlichen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Zum Einzelplan 07 liegt eine Erklärung des Abgeordneten Volker Beck ({0}) ({1}) vor.1)
Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst zum
Einzelplan 07 - Bundesministerium der Justiz - in der
Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
16/3463? - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition,
der FDP und der Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den
Einzelplan 07. Wer stimmt für den Einzelplan 07 in der
Ausschussfassung? - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Einzelplan 07 ist mit den Stimmen der
Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDPFraktion und der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den
Einzelplan 19. Dabei geht es um das Bundesverfassungsgericht. Wer stimmt für den Einzelplan 19? - Gibt
es Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Einzelplan 19 - Bundesverfassungsgericht - ist damit einstimmig angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 22. November
2006, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.