Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle herzlich
und wünsche Ihnen einen guten Morgen.
Ohne weiteren Verzug rufe ich die Tagesordnungs-
punkte 29 a und 29 b auf:
a) - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der
gemeinsamen Reaktion auf terroristische
Angriffe gegen die USA auf Grundlage des
Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags
sowie der Resolutionen 1368 ({1}) und 1373
({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen
- Drucksachen 16/3150, 16/3321 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen ({3})
Dr. Werner Hoyer
Kerstin Müller ({4})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({5})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/3324 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({6}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Paul Schäfer ({7}),
Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der LINKEN zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der
gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des
Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen
und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie
der Resolutionen 1368 ({8}) und 1373 ({9})
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
- Drucksachen 16/3150, 16/3151, 16/3322 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen ({10})
Dr. Werner Hoyer
Kerstin Müller ({11})
Außerdem liegt zu dem Regierungsantrag ein Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen vor.
Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der
Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 75 Minuten vorgesehen. - Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Hans-Ulrich Klose, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der heutigen Debatte knüpfen wir an jene Debatte an, die wir vor wenigen Wochen in diesem Hause
geführt haben, als es um die Verlängerung des ISAFMandates ging. Schon damals haben wir nicht nur über
dieses ISAF-Mandat gesprochen, sondern auch ganz allgemein über die Lage in Afghanistan, die von der Bundesregierung in dem von ihr vorgelegten Konzept angemessen - will sagen: realistisch, aber nicht resignativ beurteilt wird.
Redetext
Dieses Urteil wird durch den Brief der beiden zuständigen Minister zur Beteiligung deutscher Streitkräfte im
Kampf gegen den internationalen Terrorismus aus Anlass der jetzt anstehenden Entscheidung über das Mandat
„Enduring Freedom“ ergänzt. Auch dieser sehr knapp
gehaltene - vielleicht zu knapp gehaltene - Brief vom
6. November macht deutlich, dass über Afghanistan
nicht geurteilt werden kann, ohne zugleich über beide
Mandate zu sprechen.
Das Mandat „Enduring Freedom“ ist ein Kampfmandat. Mit ihm wird auf die Anschläge vom 11. September 2001 reagiert. Es wird durch die zweimalige
Feststellung des UN-Sicherheitsrates legitimiert, dass
die Angriffe auf New York und Washington den Weltfrieden gefährden und dem angegriffenen Land, den
USA, jedes Recht auf Selbstverteidigung zusteht.
Die Regierung der USA hat sich seinerzeit für ihren
Verteidigungskrieg gegen al-Qaida und die Taliban in
Afghanistan nicht auf die NATO-Allianz gestützt, sondern auf eine Koalition der Willigen. Ich habe das für einen Fehler gehalten, weil für mich der Gedanke der
Bündnissolidarität immer besonderes Gewicht hatte und
hat.
({0})
Die NATO, so glaube ich, wäre heute und morgen stärker, wenn dies auch die Regierung der Vereinigten Staaten seinerzeit so gesehen hätte.
({1})
Das ISAF-Mandat ist später hinzugekommen. Es
soll die so genannten Bonner bzw. Petersberger Vereinbarungen, das heißt den politischen Prozess und den materiellen Wiederaufbau des Landes, abstützen. ISAF ist
kein Kampfmandat, sondern, wie der Name sagt, ein Sicherheitsunterstützungsmandat; denn es heißt „Security
Assistance“. ISAF war zunächst auf den Großraum Kabul beschränkt, ist aber über die Jahre, vor allem nach
Einrichtung der so genannten Provincial Reconstruction
Teams, weit über den Raum Kabul hinaus auf ganz Afghanistan ausgedehnt worden.
Die Besonderheit des Mandats, das heute von der
NATO geführt wird, besteht aus unserer - aus deutscher Sicht in der chancenreichen Vernetzung von militärischen
Sicherheitsvorkehrungen mit konkreter Wiederaufbauund Entwicklungshilfe, also der Zusammenarbeit von
Soldaten und Zivilisten bzw. Nichtregierungsorganisationen. Die Bundesregierung betont wegen dieser besonderen militärisch-zivilen Vernetzung immer wieder die Unterschiedlichkeit der beiden Mandate. Sie will eine
Belastung des ISAF-Mandats durch Kampfeinsätze vermeiden, was nicht ganz einfach ist; denn zum einen haben
die Antiterroreinsätze des Mandats „Enduring Freedom“
Auswirkungen auf die allgemeine Sicherheitslage - zumindest können sie diese haben -, zum anderen werden
die ISAF-Soldaten vor allem im Süden Afghanistans immer häufiger von den wieder erstarkten Taliban angegriffen und in regelrechte Kampfhandlungen verwickelt, die
sie bisweilen nur mit Unterstützung durch Kräfte des
Kampfmandats überstehen können.
Die militärische Lage ist schwieriger geworden nicht nur, aber vor allem im Süden und Osten des Landes. Um es zu wiederholen: Die Taliban sind wieder erstarkt und besser bewaffnet als zuvor. Sie rekrutieren
ihre Kämpfer im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan, das auf beiden Seiten der Grenze weitgehend
unkontrolliertes Stammesgebiet ist. Sie dort zu besiegen,
ist nahezu ausgeschlossen. Jedenfalls reichen dafür - so
der ISAF-Kommandant David Richards - die bisher in
Afghanistan eingesetzten internationalen Truppen nicht
aus. Sie genügen aber, so Richards weiter, um die Lage
in Afghanistan so zu verbessern, dass „die Leute hier mit
uns und mit ihrer Regierung zufrieden sind“.
Dass sie derzeit zufrieden seien, behauptet Richards
klugerweise nicht. Seine insoweit eher skeptische Lagebeurteilung deckt sich weitestgehend mit unserer und
mit der des UN-Beauftragten Tom Koenigs. Letzteren
zitiere ich aus einem Interview, das in der „Frankfurter
Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 5. November 2006
abgedruckt wurde. Zitat eins:
Der Aufstand kommt aus den Dörfern, wo die Entwicklungshilfe nur schleppend eintrifft. Auch Reformen der Regierung haben nicht gegriffen. Zum
Teil sind sie auch gar nicht erwünscht. Auf dem
Land redet man über Familie, Religion und Ernten,
und auf keinem dieser Gebiete konnte die jetzige
Regierung bisher etwas bieten.
Zitat zwei:
Wahrscheinlich hätte man den lokalen und regionalen Strukturen viel mehr Aufmerksamkeit schenken
müssen. Entwicklungshilfe heißt auch: Ausstattung
mit Sicherheitskräften, von Gerichten und Verwaltungsstrukturen. Daß dies vernachlässigt wurde,
sieht man jetzt.
Zitat drei:
… die Korruption und manche Fehler der internationalen Streitkräfte haben viele Bürger in die Opposition getrieben. Da greift man hier eben schnell
zur Waffe.
Tom Koenigs, der kein Militär, sondern ein konflikterfahrener ziviler Administrator ist, urteilt am Ende des
Interviews wie folgt:
Meiner Meinung nach muß man auch in Deutschland unbedingt bedenken, daß der Konflikt zwar
nicht allein militärisch zu gewinnen ist, daß die
Nato aber auch nicht verlieren darf. Es muß umfangreiche Entwicklungshilfe geben, und es braucht
auch politische und diplomatische Initiativen in
Richtung Pakistan. Und: Es muß eine gewaltige militärische Anstrengung gemacht werden, um eine
Niederlage zu verhindern.
Ich teile diese Einschätzung und wiederhole deshalb
hier, was ich in der Debatte am 28. September gesagt
habe:
Ich will, dass die NATO-Länder in Afghanistan erfolgreich sind, damit Afghanistan an Zukunft gewinnt und die NATO ihre Glaubwürdigkeit behält.
Die NATO darf nicht scheitern … Sie braucht aber
dringlich eine abgestimmte und in den Prioritäten
veränderte Strategie … Mit militärischen Mitteln
allein ist der Kampf gegen den internationalen Terrorismus nicht zu gewinnen …
Ich wiederhole das: Mit militärischen Mitteln allein
nicht!
Wer aber meint, er könne ganz und gar auf militärische Mittel verzichten, der redet sich die Lage schön.
Manch einer, der so redet, weiß das auch, was die Sache
nicht besser macht. Zweifel sind erlaubt. Reden wider
besseres Wissen nicht.
({2})
Ich will es nicht verschweigen: Auch in der SPD gibt
es natürlich Zweifel. Niemand ist frei von Zweifeln,
wenn es um die Entscheidung über militärische Einsätze
geht. Auch ich bin es nicht. Ich glaube aber zu wissen,
dass die Abkehr vom Mandat „Enduring Freedom“ zu
diesem Zeitpunkt ein ganz und gar falsches Signal wäre.
({3})
Das würde von den Taliban und dem vernetzt agierenden
internationalen Terrorismus als Zeichen westlicher
Schwäche und als Beweis für die Wirksamkeit der eigenen terroristischen Strategien gewertet werden. Das darf
nicht sein. Das dürfen wir nicht zulassen.
({4})
Wir Politiker haben es uns angewöhnt, englische Formeln und Kürzel einfach so zu übernehmen.
({5})
Was heißt „Enduring Freedom“ eigentlich? Das Wort
„enduring“ kann adjektivisch, aber auch als gerundive
Ableitung des Verbums „to endure“ verstanden werden.
Im ersten Fall hieße die Übersetzung „andauernde, bleibende Freiheit“, im zweiten Fall „Freiheit dauerhaft gestalten bzw. sichern“. Ich glaube, dass die zweite Übersetzung treffend ist. Sie entspricht der Logik des
Geschehens.
Um noch einmal auf Tom Koenigs zurückzukommen.
Auf die Frage, wie derzeit die Stimmung in Kabul ist,
antwortet er:
Alle haben Angst davor, daß sich die Welle der
Selbstmordattentate ausdehnen könnte. Und davor,
daß der internationalen Gemeinschaft der Atem
ausgeht. Man befürchtet, daß Afghanistan wieder
ins Chaos des Bürgerkriegs zurückfällt.
Ich sehe das genauso. Die Bedrohung unserer Freiheit
durch den internationalen Terrorismus ist eine Herausforderung, die uns noch lange, wahrscheinlich noch
Jahrzehnte, beschäftigen wird. Wir können sie nur bestehen, wenn wir uns auf einen lang andauernden Konflikt
einstellen und den Menschen hier und in Afghanistan genau das sagen. Unsere Entscheidung hier und heute muss
der Erkenntnis folgen: Freiheit dauerhaft gestalten und
sichern - darauf kommt es an.
({6})
Das Wort hat nun die Kollegin Birgit Homburger,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
entscheiden heute über die Verlängerung des Mandats
für die Operation „Enduring Freedom“. Diese Entscheidung ist der FDP-Bundestagsfraktion nicht leicht gefallen.
Wir haben in den letzten Wochen immer wieder
schlechte Nachrichten aus Afghanistan erhalten. Es entsteht der Eindruck, dass es in Afghanistan eher Rückschritte als Fortschritte gibt. Das führt in allen Partnerländern und zwischen den Partnern zu Diskussionen,
auch über die Frage, wo Truppen stationiert werden sollen. Es wird immer wieder befürchtet - mein Vorredner
hat das schon angesprochen -, dass die internationalen
Partner in Afghanistan scheitern könnten. Das alarmiert
uns.
Deshalb haben wir schon bei der Verlängerung des
ISAF-Mandats gesagt, dass es eine Gesamtkonzeption
für Afghanistan geben muss. Ich sage ganz deutlich:
Dennoch stimmt die FDP dieses Mal dem Mandat zu.
Erstens, weil die Operation „Enduring Freedom“ mehr
beinhaltet als nur den Einsatz in Afghanistan. Sie beinhaltet auch den Einsatz gegen den Terrorismus am Horn
von Afrika und die NATO-Seeüberwachung im Rahmen
von „Active Endeavour“ im Mittelmeer.
In Richtung der Grünen sage ich ganz klar: Der Vorwurf, den Herr Kurnaz gegen die KSK erhebt, muss auf
jeden Fall aufgeklärt werden - deswegen haben wir einen Untersuchungsausschuss eingerichtet -, er ist bisher
aber in keiner Weise bestätigt. Ein solcher Vorwurf
rechtfertigt nicht den kompletten Rückzug aus der Operation „Enduring Freedom“.
({0})
Darüber hinaus besteht ein Zusammenhang zwischen
dem Mandat für die Operation „Enduring Freedom“ und
dem ISAF-Mandat, das wir gerade erst hier, im Deutschen Bundestag, verlängert haben. Für die FDP-Bundestagsfraktion - das sage ich ganz deutlich - kommt es
nicht infrage, unilateral aus einer solchen Mission auszusteigen. Gerade angesichts der Situation, die jetzt innerhalb des Bündnisses, aber auch innerhalb der NATO vorherrscht, wäre das ein verheerendes Signal.
({1})
Sehr wichtig für uns ist, dass ein Mandat realistisch
ist. Das von der Bundesregierung vorgesehene Mandat
sieht eine Reduzierung der Oberzahl der einzusetzenden
Soldaten um 1 000 auf 1 800 vor. Damit ist eine wesentliche Forderung der FDP erfüllt. Auch das ist ein Grund
für uns, zuzustimmen.
({2})
Frau Kollegin Homburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Bitte, Herr Kollege Nachtwei.
Frau Kollegin Homburger, warum hielten Sie es für
ein verheerendes Signal, wenn die deutsche Seite erklärte, dass sie nicht mehr an der „Koalition der Willigen“ bei Enduring Freedom teilnimmt, haben aber kein
Problem damit, sich einer EU-Mission im Kongo oder
einer VN-Mission im Libanon zu verweigern?
({0})
Herr Kollege Nachtwei, bei den von Ihnen angesprochenen Fällen ging es um die Erteilung eines Mandats,
nicht um seine Verlängerung. Wir haben an der Kongomission kritisiert, dass es keine Konzeption gibt für die
Stabilisierung des Landes, wenn die Truppen abgezogen
sind, was demnächst der Fall sein wird. Was das
UNIFIL-Mandat angeht, haben wir in einer intensiven
Diskussion deutlich gemacht, dass wir der Meinung
sind, dass wir uns die Möglichkeiten erhalten sollten,
diplomatisch zu vermitteln. Doch hier, an dieser Stelle,
geht es nicht um ein neues Mandat, es geht um die Fortsetzung eines bestehenden Mandats, eines Mandats, dem
auch Ihre Fraktion einmal zugestimmt hat. Was jetzt aus
Ihrer Fraktion an Einwänden vorgebracht wird - von
Herrn Kuhn, aber auch von Ihrem Bundesvorsitzenden,
Herrn Bütikofer -, ist, mit Verlaub gesagt, scheinheilig.
({0})
All diese Einwände hätten Sie schon beim ISAF-Mandat
vortragen müssen. Doch diesem haben Sie zugestimmt.
Deswegen ist das, was Sie jetzt machen, in keiner Weise
nachvollziehbar.
({1})
Wir müssen über ein politisches Gesamtkonzept
sprechen. In einer gemeinsamen Unterrichtung des Auswärtigen Amtes und des Verteidigungsministeriums ist
deutlich gemacht worden, dass die politischen Maßnahmen von ganz besonderer Bedeutung sind. Das unterstreichen wir ausdrücklich. Aber es reicht eben nicht,
dass wir auf UNO-Ebene Resolutionen gegen den Terrorismus verabschieden. Vielmehr müssen vor allen Dingen in Afghanistan Fortschritte erzielt werden. In einem
Jahr, wenn dieses Mandat ausläuft, wird man hier im
Deutschen Bundestag erneut darüber sprechen müssen.
Bis dahin müssen deutliche Fortschritte in Afghanistan
erkennbar sein. Sonst ist der Öffentlichkeit nicht zu vermitteln, warum wir uns weiter beteiligen sollen.
Deswegen steht für uns im Mittelpunkt: Es braucht
insgesamt Reformen, es braucht Gespräche.
Erstens. Das Auftreten einiger Partner in Afghanistan
im Zusammenhang von ISAF und OEF führt zu Beeinträchtigungen. Ich glaube, darüber müssen wir sprechen.
Man darf nicht als Besatzer auftreten, sondern man muss
die Herzen der Menschen gewinnen. Wir brauchen eine
Art Verhaltenskodex.
({2})
Zweitens. Die bessere Verzahnung der Maßnahmen,
die zivil-militärische Zusammenarbeit, ist für uns zentral. Hier muss es Fortschritte geben. Wenn Minister
Jung das heute öffentlich einfordert, kann ich das nur unterstützen. Es ist dringend notwendig. Wir werden Sie in
einem Jahr daran messen, welche Fortschritte es bei der
Verzahnung ziviler und militärischer Vorhaben gegeben
hat.
Drittens. Wir brauchen dringend Fortschritte beim
Aufbau des Polizeiwesens. Hier hat die Bundesrepublik
Deutschland eine Führungsrolle übernommen. Wir fordern die Bundesregierung auf, die Anstrengungen deutlich zu verstärken, aber auch mit den Afghanen zu sprechen. Es kann nicht sein, dass Vetternwirtschaft und
Korruption an der Tagesordnung sind. Die Bundesregierung hat auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion mitgeteilt, dass bei der Besetzung von Polizeistellen Kandidaten der Vorzug gegeben wurde, die von
ihr nicht vorgeschlagen worden waren, und schließt daraus, dies beeinträchtige das Beratungsmandat. Das ist
deutliche Kritik. Deswegen ist es dringend erforderlich,
der afghanischen Seite deutlich zu machen, dass Hilfe
eigene Anstrengungen gegen Korruption voraussetzt.
({3})
Frau Kollegin Homburger, berücksichtigen Sie die
Zeit?!
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte. Es geht
uns auch um eine bessere Kontrolle solcher Mandate
durch das Parlament, insbesondere was den Einsatz des
KSK, den dieses Mandat beinhaltet, angeht. Wir haben
klar gesagt, dass das Parlament das Recht braucht, von
der Regierung informiert zu werden. Das ist wichtig,
weil ein Einsatz des KSK, das verdeckt operiert, zu einer
Mystifizierung führt, die, verbunden mit Gerüchten,
Mutmaßungen und Verdächtigungen Vorschub leistet.
Daran kann auch die Regierung kein Interesse haben.
Deswegen gehen wir davon aus, dass wir uns gemeinsam darauf verständigen, dass das Parlament über diese
Einsätze zukünftig besser informiert wird.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Eckart von
Klaeden, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Der bisherige Verlauf der Debatte veranlasst mich, einige klarstellende Bemerkungen zum Mandat für die
Operation „Enduring Freedom“ zu machen.
Erster Punkt. Auch wenn wir hier sicherlich eine Debatte über die Erfolge in Afghanistan und darüber führen, was in Afghanistan noch zu verbessern ist - ich
werde dazu gleich noch etwas sagen -, so muss doch
deutlich werden, dass sich dieses Mandat nicht allein auf
Afghanistan bezieht, sondern dass der gesamte Krisenbogen vom Maghreb über das Horn von Afrika, die arabische Halbinsel und Zentralasien bis hin zum Nordkaukasus mit einbezogen wird.
({0})
Ich werde im Laufe meiner Rede auch noch darauf eingehen, welche Entwicklungen es dort gibt - ein Stichwort ist zum Beispiel Somalia -, die wir mit zu berücksichtigen haben.
Zweiter Punkt. Der Kollege Klose hat den Ausdruck
„Koalition der Willigen“ in diesem Zusammenhang zutreffend verwendet. In der Tat teile ich seine Kritik, dass
es besser gewesen wäre, die Bündnissolidarität unmittelbar nach dem 11. September 2001 zu betonen. Der Ausdruck „Koalition der Willigen“ hat bei uns eine Konnotation erhalten, als handele es sich dabei um Ad-hocBündnisse, die außerhalb völkerrechtlicher Vereinbarungen und Grundlagen bestehen.
({1})
- Frau Kollegin Knoche, das trifft für dieses Mandat
ausdrücklich nicht zu; denn dieses Mandat fußt auf einer
klaren völkerrechtlichen Grundlage in Form von mehreren Resolutionen der Vereinten Nationen so wie Art. 5
des NATO-Vertrages.
Auch die Diskussion, die in den internationalen Gremien - in der Europäischen Union, in der NATO und vor
allem auch in den Vereinten Nationen - seitdem geführt
worden ist und fortgesetzt wird, zeigt, dass es eben nicht
nur um den Einsatz von Militär geht, sondern dass es ein
Vorhaben der gesamten internationalen Gemeinschaft
ist, den Terrorismus umfassend zu bekämpfen und sich
seiner Ursachen anzunehmen. Die Operation „Enduring
Freedom“ ist dafür kein hinreichender, aber ein wesentlicher und wichtiger Beitrag, der in ein politisches Gesamtkonzept eingebunden ist und auch weiterhin eingebunden bleibt.
Dritter Punkt. Ich will im Zusammenhang mit dem
Einsatz des KSK auch auf die Information des Parlaments eingehen. In der Öffentlichkeit ist der Eindruck
entstanden, als gehe es bei diesem Mandat insbesondere
um die Verlängerung des KSK-Einsatzes in Afghanistan.
Das ist in dieser Schlichtheit ebenfalls nicht richtig. Aufgrund dieses Mandats werden zwar auch wieder
100 Kräfte für den KSK-Einsatz in dem von mir beschriebenen geografischen Raum zur Verfügung gestellt,
aber es geht ausdrücklich nicht alleine um den Einsatz
des KSK in Afghanistan.
In diesem Zusammenhang will ich auch darauf hinweisen, dass seit der Regierungsübernahme der großen
Koalition kein einziger KSK-Soldat im Rahmen der
Operation „Enduring Freedom“ eingesetzt worden ist.
Die Bundesregierung weist in ihrem Bericht darauf hin,
dass der letzte Einsatz im Mai 2005 stattgefunden hat
und dass im Oktober 2005 - also vor der Regierungsübernahme der großen Koalition - die letzten KSK-Soldaten aus Afghanistan abgezogen worden sind. Deswegen finde ich es, freundlich gesagt, problematisch, dass
die Grünen einen Vorgang, für den sie selbst die Regierungsverantwortung getragen haben, jetzt zum Anlass
nehmen, diesem Einsatz nicht weiter zuzustimmen.
({2})
Auch die vorgelegte Argumentation ist nicht überzeugend. Sie könnten eigentlich nur sagen, dass Sie die
Operation „Enduring Freedom“ nicht weiter fortsetzen
wollen, es sei denn, dass Sie die Position vertreten, dagegen zu stimmen, weil die Mehrheit im Hause sowieso
gesichert ist. Das wäre aber nicht sonderlich verantwortungsvoll und das will ich Ihnen auch nicht unterstellen.
Das heißt, Ihre Ablehnung könnte nur dann Sinn machen, wenn Sie wirklich der Überzeugung wären, dass
wir uns aus dieser Operation zurückziehen sollten und
dass - das müsste ja die nächste politische Forderung
sein - diese Operation nicht weiter fortgesetzt werden
sollte. Das würde wiederum die politische Analyse voraussetzen, nach der sich die Situation in Afghanistan Ihrer Meinung nach so weit stabilisiert hat, dass man auf
die Operation „Enduring Freedom“ dort und auch in anderen Regionen verzichten kann.
Diese Analyse ist doch wirklich abenteuerlich. Ich
wäre Ihnen dankbar, wenn Sie in Ihren Redebeiträgen in
dieser Debatte darauf eingehen würden, was Ihr eigener
Parteifreund Tom Koenigs - Herr Klose hat in seiner
Rede aus diesem beeindruckenden Interview mehrfach
zitiert - zur Lage in Afghanistan gesagt hat, und wie Sie
sich vorstellen, wie der erforderliche militärische Beitrag ohne Enduring Freedom gewährleistet werden kann.
Eines ist völlig klar: Wenn wir Ihrem Vorschlag folgen würden, dann wäre die Anforderung an uns, im Rahmen des ISAF-Mandates mehr Truppen in den Süden zu
schicken, daraus die logische Konsequenz. Sie würden
kein vernünftiges Argument finden, diese Anforderung
zurückzuweisen. Bündnissolidarität innerhalb der NATO
kann nicht so funktionieren, dass die einen allein die
Verantwortung für Stabilisierungsaufgaben und die anderen allein die für Kampfeinsätze übernehmen. Das
kann nicht funktionieren.
({3})
Wer Bündnissolidarität und Konsultationen im Bündnis
möchte, der muss zu einer Arbeitsteilung, einem Burden
Sharing bereit sein, sodass die gefährlichen Einsätze
eben nicht nur auf den Schultern der einen und die Stabilisierungsaufgaben, so schwierig sie auch sein mögen,
auf den Schultern der anderen abgeladen werden.
({4})
Die Bundesregierung selbst spricht davon, dass wir es
in Afghanistan mit einem zweigeteilten Land zu tun haben. Es ist offensichtlich, dass die Schwierigkeiten, die
mit Enduring Freedom bekämpft werden sollen und auch
bekämpft werden, insbesondere im Süden und Südosten
des Landes auftreten. Daraus aber die Konsequenz zu
ziehen, sich aus der Operation „Enduring Freedom“ zurückzuziehen, ist nun wirklich unverantwortlich und mit
der Analyse und der wichtigen Arbeit, die Tom Koenigs
für die Vereinten Nationen in Afghanistan leistet, nicht
vereinbar. Das ist in Ihrer eigenen Argumentation ein
unüberwindbarer Widerspruch.
({5})
Ich will kurz einen Punkt aufgreifen, den auch der
Kollege Klose angesprochen hat: Ich bin mir nicht sicher, dass sich die Bundesregierung mit dem hier festgelegten Truppenansatz für das gesamte Jahr der Mandatsdauer die erforderliche Flexibilität erhält, die nötig ist,
wenn wir den Terrorismus in Afghanistan, aber auch in
anderen Ländern engagiert bekämpfen wollen. Ich gehe
davon aus, dass dieser Entscheidung eine sorgfältige
Analyse zugrunde gelegen hat, auf deren Basis uns die
erforderlichen Reserven bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus zur Verfügung stehen. Es ist eine
militärische Binsenweisheit, dass man ohne die erforderlichen Reserven nicht in eine solche Auseinandersetzung
ziehen darf.
Ich will etwas zu der Frage der politischen Begleitung, der Plafondierung des Kampfes gegen den Terrorismus sagen. Dabei will ich gleichzeitig deutlich machen, dass ich den Begriff „Kampf gegen den
Terrorismus“ im Grunde für falsch halte. Beim Terrorismus geht es an sich nicht um eine Ideologie, sondern es
geht beim Terrorismus um eine Methode, mit der eine
Ideologie durchgesetzt werden soll. Bei dieser Ideologie
handelt es sich um eine extremistische Spielart, eine
Denkschule innerhalb des Islam, die totalitär ist, die keinen Unterschied zwischen Politik und Religion macht,
die religiöse Toleranz nicht kennt und der jedes Mittel
recht ist, die eigenen Interessen und die eigene Ideologie
durchzusetzen.
Diese Spielart des islamistischen Extremismus gibt es
spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie hat mit
der Gründung der Muslimbrüderschaft Anfang des
20. Jahrhunderts in Ägypten erstmals organisatorisch
Gestalt angenommen und damit in den politischen
Kampf Eingang gefunden. Sie ist vor allem eine Bewegung, die innerhalb des Islam kämpft. Deswegen ist die
Analyse, die wir immer wieder hören, wonach bei allen
auftretenden Schwierigkeiten im Rahmen der Bekämpfung des Terrorismus der Kernkonflikt die Auseinandersetzung zwischen den Israelis und den Palästinensern
sei, falsch. Richtig ist - das sehen wir bei der Auseinandersetzung innerhalb der palästinensischen Gebiete -,
dass die Auseinandersetzung im Islam stattfindet,
({6})
und zwar zwischen der radikalen Bewegung auf der einen Seite und den moderaten Kräften auf der anderen
Seite.
Herr Kollege von Klaeden, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehm?
Ja, bitte.
({0})
Herr Kollege, habe ich Sie richtig verstanden, dass
Sie soeben Ihre Definition von „Terrorismus“ ganz auf
den Islam fokussiert haben?
({0})
Habe ich Sie auch richtig verstanden, dass Sie dabei den
Terrorismus des christlichen Fundamentalisten George
Bush völlig ausklammern?
Der zweite Teil Ihrer Frage, Herr Kollege, ist selbst
unter Ihrem Niveau.
({0})
Zum ersten Teil will ich nur sagen: Ich bin dabei, eine
extremistische Tendenz innerhalb des Islam zu beschreiben. Das heißt überhaupt nicht, dass wir nicht auch andere Formen des Terrorismus kennen. Gerade die Geschichte Ihrer Partei zeigt, dass es in der Geschichte
unseres eigenen Landes auch andere Formen des Terrorismus gegeben hat. Wenn Sie Interesse daran haben,
können wir uns darüber gerne einmal etwas länger unterhalten.
({1})
- Nein, Herr Kollege Lafontaine, ich spreche - aber
diese Form der Geschichtsverdrängung ist bei Ihnen
auch nichts Neues - zum Beispiel von den Terroristen
der RAF, die unter anderem in der DDR Unterschlupf
gefunden haben und deren Ausbildung in der arabischen
Welt auch von Ihrer Partei mit koordiniert worden ist.
({2})
Die Rechtsnachfolge haben Sie aus politischen Gründen
bewusst nicht gebrochen.
({3})
Es ist Ihre Sache, wenn Sie Interesse daran haben, diese
Diskussion zu führen. Ich finde, sie gehört jetzt nicht
hierher. Terrorismus im umfassenden Sinne und seine
Erscheinungsformen bilden jedoch ein Kapitel, über das
in diesem Zusammenhang zu reden ist.
Zurück zur Frage des islamistischen Fundamentalismus. Die Folge daraus und die Konsequenz für unser eigenes Handeln ist, dass wir darauf achten, die moderaten
Kräfte innerhalb des Islam zu unterstützen. Das ist ein
wesentlicher Punkt dieses politischen Konzepts. Dabei
müssen wir insbesondere auch auf die Transformation
achten, die dafür erforderlich ist. Das Ansehen der Fatah-Bewegung in den palästinensischen Gebieten hat
deswegen so sehr gelitten, weil sie als korruptionsanfällig gilt. Deswegen ist es unsere Aufgabe, einerseits die
moderaten Kräfte zu stärken, andererseits aber auch auf
eine Transformation in der islamischen Welt hinzuwirken, die Korruption bekämpft und dafür sorgt, dass erste
Standards insbesondere in der Rechtsstaatlichkeit eingeführt werden, damit die Menschen in der Region erkennen, dass das Unternehmen, das wir gemeinsam gegen
den islamistischen Fundamentalismus, gegen den Terrorismus führen, auch in ihrem Interesse ist.
Zum Schluss möchte ich noch etwas zur Entwicklung
in Somalia sagen. Wir müssen leider feststellen, dass
sich die Sicherheitslage am Horn von Afrika durch die
politischen Unruhen erheblich verschlechtert hat. Die
Bundesregierung geht in ihrem Bericht darauf ein. Wir
stellen fest, dass auch dort zur Stabilisierung der Handelswege, zum Schutz eines friedlichen Austausches der
Einsatz der Bundeswehr weiterhin erforderlich ist. Insbesondere die Gefahren, die mit dem Umsturz und den
politischen Unruhen, die wiederum beispielsweise zu einem Anstieg der Piraterie in dieser Region geführt haben, verbunden sind, müssen von „Enduring Freedom“
entschlossen angegangen werden.
Es gibt immer mehr Schwierigkeiten aufgrund der
Verknüpfung der Gefahren in der internationalen
Politik. Wir können zum Beispiel die Frage der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen nicht mehr so vom
islamistischem Extremismus, von Failing States trennen,
wie das vielleicht noch unmittelbar nach 9/11 der Fall
gewesen ist. Deswegen kommen neue und wichtige Aufgaben auf uns zu.
Die Fortsetzung dieses Mandats ist erforderlich, damit wir die kommenden Gefahren abwehren und den politischen Prozess der Terrorismusbekämpfung, der Fundamentalismusbekämpfung entschlossen und erfolgreich
fortsetzen können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort erhält nun der Kollege Oskar Lafontaine,
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Fraktion lehnt den Antrag, den Kampfeinsatz
der deutschen Bundeswehr im Rahmen dieses Mandats
zu verlängern, ab. Wir begründen dies damit, dass schon
die Überschrift dieses Mandats falsch ist. Das Mandat ist
überschrieben mit „Enduring Freedom“ - andauernde
Freiheit. Nach unserer Auffassung wäre es besser, „andauernder Krieg“ zu sagen. Dieser Kampfeinsatz dauert
nun schon mehrere Jahre und verfehlt auch seine Ziele.
({0})
Man sollte aber nicht nur „andauernder Krieg“ sagen.
Unserer Überzeugung nach wäre es noch besser, von
„Enduring Terrorism“, also von „andauerndem Terrorismus“, zu sprechen.
({1})
Ich will begründen, warum wir im Gegensatz zur
Mehrheit dieses Hauses zu diesem Ergebnis kommen.
Wir haben Sie immer wieder darauf hingewiesen, dass es
nicht möglich ist, den Terrorismus zu bekämpfen, ohne
zu wissen, was Terrorismus eigentlich ist. Einer der zuständigen Beamten hat, als der Entwurf eines Gesetzes
zur Erstellung der Antiterrordatei vorgelegt wurde, dankenswerterweise zum ersten Mal eine Definition des Begriffes Terrorismus vorgenommen. Ich empfehle Ihnen,
diese Definition zu lesen. In diesem Satz steht, dass solche Personen zu terroristischen Kreisen gehören, die
rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer Belange anwenden
oder eine solche Gewaltanwendung unterstützen, vorbereiten, befürworten oder durch ihre Tätigkeit vorsätzlich
hervorrufen.
Das deckt sich mit der Definition, die ich hier immer
wieder vorgetragen habe. Sofern die deutsche Sprache
überhaupt noch einen Sinn hat, fällt diese Mission, die
Sie unterstützen, in genau diese Kategorie. Das ist der
Widerspruch, in dem Sie sich befinden und den Sie nicht
auflösen können. Jawohl, der vorhin bereits angesprochene Präsident der Vereinigten Staaten hat rechtswidrig
Gewalt angewendet. Nach dieser Definition ist er jemand, der - sofern die deutsche Sprache überhaupt noch
einen Sinn hat - terroristisch vorgeht.
({2})
Wir werden mit großem Interesse verfolgen, wie Sie
mit der Antiterrordatei umgehen bzw. welche Klimmzüge Sie veranstalten, um deutlich zu machen, dass diese
Datei so auszulegen ist, dass Angehörige des muslimischen Glaubens, die rechtswidrig Gewalt anwenden,
Terroristen sind, dass aber jemand aus der westlichen
Welt, der rechtswidrig Gewalt anwendet, kein Terrorist
ist. Aus diesem Widerspruch werden Sie nicht herauskommen.
Ich möchte jetzt auf den geschätzten Kollegen Klose
eingehen, der in sehr sachlicher Form vorgetragen hat,
wie er seine Befürwortung des Antrags auf Verlängerung
des Mandats begründet. Der Kern seiner Aussage war,
dass man diesen Kampf mit militärischen Mitteln allein
nicht gewinnen könne. Er hat dies wie folgt präzisiert:
Wer aber meint, er könne ganz und gar auf militärische Mittel verzichten, der redet sich die Lage
schön. Manch einer, der so redet, weiß das auch,
was die Sache nicht besser macht. Zweifel sind erlaubt. Reden wider besseres Wissen nicht.
Das waren sehr nachdenkliche Ausführungen zum Einsatz militärischer Mittel.
Ich möchte dazu Folgendes sagen: Natürlich kann
man militärische Mittel, wenn man den Frieden bewahren bzw. „enduring freedom“ herstellen will, nie völlig
ausschließen. Die Fragen sind aber: Wie werden sie angewandt? Auf welcher Grundlage werden sie angewandt? Und vor allen Dingen: Werden sie im Rahmen
des Völkerrechts angewandt?
({3})
Wer das Völkerrecht nicht zur Grundlage seines Vorgehens macht, wird den Terrorismus nicht bekämpfen, sondern ihn immer wieder befördern.
Ich möchte dem Kollegen Klose unsere Position entgegenhalten: Das Völkerrecht ist nicht nur die Gewährleistung dafür, dass UNO-Beschlüsse, auf die er auch
Bezug genommen hat, eingehalten werden. Das Völkerrecht wird verletzt, und zwar grob verletzt, wenn in immer größerer Zahl unschuldige Zivilisten ums Leben
kommen, was die Genfer Konvention strikt verbietet.
Dieser Kampfeinsatz verstößt permanent gegen die Genfer Konvention.
({4})
Dies ist der Grund, warum der Einsatz militärischer
Mittel in diesem Fall nicht vom Völkerrecht gedeckt ist.
Dies ist der Grund, warum wir sagen: Wer so vorgeht,
der schützt unser Land nicht, sondern erhöht die Terroranschlagsgefahr in unserem Land; darauf haben die Geheimdienste immer wieder hingewiesen. Weil die beiden
Missionen Enduring Freedom und ISAF eng miteinander
verwoben sind - darauf hat Herr Klose hingewiesen -,
ist das eine logische Konsequenz. Man muss allerdings
bereit sein, diese Konsequenz zur Kenntnis zu nehmen.
Seitdem die NATO in immer größerem Umfang im
Süden Afghanistans bombt, ist dieser Einsatz absurd geworden. Es ist doch kein Wunder, wenn die Nachfahren
der Opfer dieser Bombenkämpfe eines Tages Terrorattentate bei uns in Deutschland und in anderen NATOStaaten verüben. Genauso wie heute gesagt wird, dass
unsere Freiheit bzw. unser Land am Hindukusch verteidigt wird, werden sie eines Tages sagen, dass sie ihre
Ehre und ihre Familien in den NATO-Staaten verteidigen. Das ist dieselbe Logik. Das müssen auch Sie eines
Tages nachvollziehen.
Ich fasse zusammen: Dieser Einsatz wird scheitern.
Sie und die anderen Fraktionen werden eines Tages hier
stehen - das prophezeie ich Ihnen - und eine Verlängerung dieses Mandats ablehnen. Wir appellieren an Sie:
Kehren Sie rechtzeitig um! Dieser Einsatz ist nicht zu
gewinnen. Er fördert den Terror, statt ihn zu minimieren.
({5})
Fritz Kuhn ist der nächste Redner für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte mit einer Bitte bzw. einer Aufforderung an die
Frau Bundeskanzlerin und den Herrn Außenminister beginnen. Frau Merkel, wir haben vor wenigen Wochen
den Beschluss gefasst, deutsche Soldaten zur Unterstützung des UNIFIL-Mandats auf See vor dem Libanon
einzusetzen.
Ich möchte Sie bitten, alles zu unternehmen, was der
Bundesregierung möglich ist, um zu erreichen, dass die
Israelis aufhören, permanent gegen die Resolution der
Vereinten Nationen zu verstoßen. Der jüngste Zwischenfall im Zusammenhang mit den französischen Soldaten
gefährdet meines Erachtens das ganze UNIFIL-Mandat.
Es ist notwendig, liebe Frau Merkel, dass Sie sich nicht
nur in Bezug auf die deutschen Schiffe auf See, sondern
auch in Bezug auf die Landflüge über dem Libanon engagieren und dafür eintreten, dass solche Zwischenfälle
in Zukunft unterbleiben.
({0})
Ich fordere Sie zu diesem Schritt auf, weil sonst das gesamte Mandat gefährdet wird.
Nachdem wir dem Mandat für die Operation Enduring Freedom in Afghanistan fünfmal zugestimmt haben
- viermal in der Regierung und einmal in der Opposition -,
werden wir heute seiner Verlängerung nicht zustimmen.
Die große Mehrheit der Fraktion wird mit Nein stimmen;
ein bedeutender Teil wird sich enthalten. Ich will das begründen.
Wir haben unsere Position, dass man in Afghanistan
etwas unternehmen muss und dass auch der militärische
Kampf gegen den Terrorismus notwendig ist, nicht aufgegeben. Unsere heutige Entscheidung ist auch nicht als
Exitstrategie der Grünen in Bezug auf Afghanistan zu
verstehen. Wir haben vor wenigen Wochen mit großer
Mehrheit der Verlängerung des ISAF-Mandats zugestimmt.
Uns geht es um Folgendes: Im letzten Jahr eskalierten
die Berichte der Militärs und - auch deutscher - Diplomaten, die unisono unmissverständlich klar machen
- auch die Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus
Afghanistan, die vor wenigen Wochen bei uns zu Besuch
waren, haben das bestätigt -, dass die Art und Weise,
wie die OEF in Afghanistan durchgeführt wird, nicht geeignet ist, die Bevölkerung gegen die Taliban und für
den neuen Staat, die Interessen der Völkergemeinschaft und das Nation Building einzunehmen; vielmehr
wird der notwendige Kampf gegen den Terrorismus systematisch in seiner Legitimation untergraben. Das ist der
Hauptgrund, warum wir diesmal nicht zustimmen können, Frau Merkel.
Wenn wir als Parlamentarier entscheiden, deutsche
Soldaten möglicherweise in Kampfeinsätze zu schicken,
dann müssen wir uns vor unserem Gewissen mehrere
Fragen stellen. Dabei geht es zum einen um die Risiken
- solche Einsätze sind riskant - und zum anderen um die
Frage, ob das definierte Ziel, einen relevanten Beitrag
gegen den Terrorismus leisten zu können, mit der Art
des Mandates erreicht werden kann.
Wir meinen, dass bei dem OEF-Mandat wenig praktische Mitgestaltung möglich ist. Aus diesem Grund können wir nicht verantworten, der Verlängerung des Mandats zuzustimmen, wie Sie es begehren.
({1})
Das ist auch eine Antwort auf die Frage von Frau
Homburger und Herrn von Klaeden. Ich will an dieser
Stelle die Frage an Sie zurückgeben. Sie haben gefragt:
Was wollt ihr eigentlich? Im letzten Jahr keinen KSKEinsatz auf Land im Rahmen von OEF. - Ich verstehe
nicht, Herr von Klaeden, wie man vor diesem Hintergrund jetzt vor dem Hohen Hause die deutsche Zustimmung als unverzichtbar darstellen kann.
({2})
Ich habe den Verdacht - das sollten wir klären -, dass
einige die Vorstellung haben, dass wir im Falle unserer
Zustimmung zur OEF - in der Hoffnung, dass wie im
letzten Jahr keine Anforderung erfolgt - leichter um die
unangenehme Diskussion in der NATO herumkommen,
wie es mit dem ISAF-Mandat weitergehen soll. Aber mit
dieser billigen Mogelpackung kommen wir aus der internationalen Verantwortung nicht heraus, ganz zu schweigen von der NATO-Konferenz in Riga am Ende dieses
Monats. Ihre Argumentation stimmt meines Erachtens
nicht. Das kann nicht funktionieren.
({3})
Interessant war die Argumentation von Herrn Klose.
Er hat immer von der Stärkung der NATO gesprochen.
Tom Koenigs hat in seinem Interview nur davon gesprochen, die NATO dürfe nicht verlieren. Aber heute geht es
nicht um das NATO-Mandat ISAF, sondern um Enduring Freedom, was, wie wir alle wissen, kein NATOMandat ist.
({4})
Die Rede von Herrn Klose war eine Rede für eine Verstärkung der NATO-Arbeit im Rahmen von ISAF sowie
vielleicht sogar für eine Neukonzeption von ISAF und
für Überlegungen, ob zwischen ISAF und OEF weiterhin so getrennt werden kann wie bislang. Aber die Rede
war mit Sicherheit keine Begründung für die Zustimmung zur Verlängerung des OEF-Mandats. Davon hat
auch Tom Koenigs nicht geredet.
({5})
Ich will versuchen, die Differenz zwischen Enduring
Freedom und dem ISAF-Mandat darzulegen. Das
ISAF-Mandat ist eindeutig ein NATO-Mandat. Es gibt
eine politische Plattform, auf der die Aufgaben und die
Ziele bestimmt werden. Es gibt Rules of Engagement,
die festlegen, wie das Mandat auszuführen ist. Das heißt,
wir haben zusammen mit der Bundesregierung bei diesem Mandat direkt mitzureden. Auf der NATO-Konferenz in Riga am Ende dieses Monats wird es eine intensive Diskussion darüber geben, ob es mit militärischen
Mitteln allein noch zu schaffen ist. Es gibt Aussagen des
NATO-Generalsekretärs, die auf eine Neubestimmung
hindeuten.
Enduring Freedom hat einen anderen Charakter. Wir
haben dort offensichtlich nichts zu melden. Ohne aus geheimen Sitzungen zu berichten, kann ich aufgrund der
Unterrichtungen, die es gegeben hat, sagen: Nie war das
Schweigen der Bundesregierung lauter, wenn wir gefragt
haben, was im Rahmen der Operation Enduring Freedom konkret geschieht und welchen Einfluss die Bundesregierung hat.
({6})
Sie haben immer über ISAF geredet, wenn wir nach
Enduring Freedom gefragt haben. Das gibt Aufschluss
über das Problem. Haben Sie nach den Berichten etwa
des deutschen Botschafters in Kabul, der meine Analyse
voll teilt, versucht, die Regeln, nach denen die OEF
funktioniert, zu ändern, Frau Merkel? Haben Sie mit
Bush geredet? Herr Außenminister, haben Sie mit der
Außenministerin der Vereinigten Staaten darüber geredet, wie man den Kampf im Rahmen der OEF so gestalten kann, dass er nicht den Kampf gegen den Terrorismus insgesamt delegitimiert? Ich glaube, Sie haben es
nicht getan. Jedenfalls haben Sie uns keinen entsprechenden Hinweis gegeben. Das wäre angesichts der krisenhaften Zuspitzung des OEF-Mandats in Afghanistan
im letzten Jahr aber notwendig gewesen. Deswegen werden wir der Verlängerung des OEF-Mandats nicht zustimmen können.
({7})
Sie haben nach den Alternativen gefragt. Es hat Veränderungen gegeben. Die Truppenstärke im Rahmen von
ISAF ist verdreifacht worden. Vieles, was zuvor im Rahmen von Enduring Freedom gemacht wurde, wird nun
im Rahmen von ISAF durchgeführt, zum Beispiel Lufttransporte. Die Fragestellung, was sich vor Ort verändert
hat und ob es jetzt noch verantwortbar ist, einer Verlängerung des OEF-Mandats zuzustimmen, ist nicht obsolet; denn vieles ist in Afghanistan bereits Realität geworden.
Herr Verteidigungsminister, Sie müssen ehrlicher werden. Gestern gab es eine interessante dpa-Meldung über
Ihren Besuch in Kiel. Dort haben Sie - in Vorbereitung
auf Riga - gesagt: Wir werden keine deutschen Soldaten
in den Süden Afghanistans schicken. Des Weiteren haben
Sie ausgeführt, dass die Arbeitsteilung zwischen dem,
was wir im Norden machten, und dem, was andere
NATO-Mitglieder im Süden machten, gut und sehr effektiv sei. Dann sagten Sie, Herr Jung, wörtlich:
Die Menschen sollen deutlich spüren, dass wir
nicht Besatzer sind, sondern dass wir dazu da sind,
diesem Land zu helfen.
({8})
Ein bemerkenswerter Satz. Das können wir unterschreiben. Aber in Bezug auf wen haben Sie diesen Satz eigentlich gesagt? Haben Sie das in Bezug auf OEF gesagt? Dann wäre der Antrag der Bundesregierung heute
eine Unverschämtheit.
({9})
Haben Sie das in Bezug auf ISAF gesagt, dann, so
finde ich, ist die Arbeitsteilung interessant. Die anderen
NATO-Länder agieren also als Besatzer, während wir
dies nicht tun. Ich finde, Sie müssen sich präziser ausdrücken, wenn Sie darüber sprechen. Ich würde Ihnen
raten, mit einem solchen Satz nicht nach Riga zu fahren.
({10})
Herr Kollege, denken Sie an die Zeit.
Ich komme zum Schluss. - Wir stimmen heute nicht
zu, weil wir die Art und Weise, wie im Rahmen der OEF
gekämpft wird, für delegitimierend in Bezug auf Nation
Building und den notwendigen Kampf gegen den Terrorismus halten. Wir werden weiterhin und würden auch
heute dem ISAF-Mandat zustimmen, weil das ein vernünftiges Mandat ist, zu dem wir stehen. Ich glaube, damit ist die Position meiner Fraktion erklärt.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Ich erteile der Kollegin Petra Heß, SPD-Fraktion, das
Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes möchte ich meinen
Respekt auch für diejenigen im Parlament zum Ausdruck bringen, die sich mit der Entscheidung zum Einsatz von OEF schwer tun; denn das zeigt, dass die Debatte von der überwiegenden Mehrheit des Hauses mit
sehr großer Nachdenklichkeit, mit einem hohen Maß an
Verantwortung und vor allen Dingen nicht leichtfertig
geführt wird.
Es ist wohl die schwierigste Entscheidung, die das
Parlament in der zurückliegenden Zeit bezüglich eines
Einsatzes der Bundeswehr treffen musste. Ich gebe aber
zu bedenken, dass sich der Einsatz, über den wir heute
abstimmen, in den deutschen außen- und sicherheitspolitischen Gesamtansatz einfügt und ein wichtiges Element
desselben darstellt. Deutschland verfolgt mit seiner Außen- und Sicherheitspolitik einen umfassenden, einen
präventiven und einen multinationalen Ansatz. Das umfassende Element resultiert aus der Erkenntnis, dass erfolgreiche Krisen- und Konfliktbewältigung nur durch
die Kombination von zivilen und militärischen Mitteln erfolgen kann. Ich wünschte mir in diesem Zusammenhang übrigens wesentlich mehr Informationen und
Berichte auch in den Medien von zahlreichen positiven
Beispielen ebendieser zivil-militärischen Zusammenarbeit.
({0})
Es gibt nämlich in Afghanistan inzwischen eine Regierung und vor allen Dingen ein gewähltes Parlament,
das sich zu über 27 Prozent aus Frauen zusammensetzt.
Mädchen können wieder in die Schule gehen. Kinder
dürfen wieder auf der Straße spielen, ohne mit der Todesstrafe rechnen zu müssen. 70 Prozent der Bevölkerung können eine medizinische Versorgung in Anspruch
nehmen. Zu Zeiten der Talibanherrschaft waren das gerade einmal 9 Prozent. Es wurden Brunnen gebohrt und
Straßen gebaut. Es sind bestimmt nur viele kleine
Schritte, aber es sind auch für die Afghanen sichtbare
Schritte in die richtige Richtung und das ist ein Ergebnis
dieses eben erwähnten umfassenden Ansatzes. Deshalb
werden unsere Soldaten dort nicht als Besatzer wahrgenommen, sondern als Begleiter auf dem Weg hin zu
Frieden und Entwicklung.
({1})
Ein umfassender Ansatz bringt nämlich politische, zivile, ökonomische und militärische Mittel verzahnt zum
Einsatz, damit sie sich in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken. Die Operation Enduring Freedom ist dabei eine
spezielle militärische Komponente dieses Gesamtansatzes.
Trotz der immer prekärer werdenden Sicherheitslage
ist es unbedingt erforderlich, dass ISAF die Wiederaufbauarbeit kontinuierlich fortsetzen kann. Auch dazu
brauchen wir, mein sehr geschätzter Herr Kollege Kuhn,
unterstützend OEF. Damit diese Kontinuität erreicht
werden kann, wird im Rahmen der Operation Enduring
Freedom dafür Sorge getragen, dass die terroristischen
Nachschubwege unterbrochen werden und ein Wiedererstarken der Taliban verhindert wird. Nur so kann Afghanistan die Stabilität gegeben werden, die das Land
für eine friedliche Entwicklung so dringend benötigt.
Auch wir haben ein ureigenes Interesse an einer Befriedung Afghanistans; denn Terrorismus macht eben
nicht vor unserer Haustüre halt, sondern findet auch in
Europa statt. Deshalb zielt der präventive Ansatz der
Außen- und Sicherheitspolitik darauf ab, Krisen, Konflikte und Instabilitäten möglichst erst gar nicht entstePetra Heß
hen zu lassen. Während ISAF in diesem Zusammenhang
ermöglicht, die friedliche und demokratische Entwicklung in Afghanistan zu fördern und zu festigen, um der
jetzigen Generation und vor allem der zukünftigen Generation eine Perspektive jenseits von Armut und Gewalt
zu bieten, tragen wir gemeinsam mit circa 20 Nationen
im Rahmen von OEF dazu bei, den Schutz vor einem
Wiedererstarken der Taliban durch die dauerhafte Unterbindung der Kommunikations- und Transportwege und
den aktiven Kampf gegen noch bestehende terroristische
Verbände zu gewährleisten. So unterbindet beispielsweise die Marine im Rahmen von OEF am Horn von
Afrika allein durch ihre Präsenz, aber auch durch gezielte Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen traditionelle Transportwege terroristischer Kräfte und schränkt
damit den Zugang zu potenziellen Rückzugsgebieten
ein.
({2})
Auch damit wird eine wesentliche Voraussetzung für die
Wiederaufbauarbeit in Afghanistan gewährleistet.
Vergessen Sie bitte in diesem Zusammenhang nicht,
dass ein Rückzug von den Unterstützungsleistungen der
Stabilisierungs- und Wiederaufbauarbeit in Afghanistan
einer Entsolidarisierung mit den Vereinten Nationen
gleichkommen und zudem die engagierte Arbeit von tausenden von Menschen - auch vieler Deutscher, die in
Hilfsprojekten seit Jahren tätig sind - infrage stellen
würde. Ein Ablassen von der Wiederaufbauarbeit in Afghanistan käme einer Aufkündigung unseres multinationalen Engagements und damit auch einer Schwächung
der Vereinten Nationen gleich.
({3})
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat nämlich
erst unlängst die Staaten erneut dringend zur Zusammenarbeit aufgefordert, um terroristische Handlungen zu
verhüten und zu bekämpfen.
Wenn also die Bundeswehr im Rahmen von ISAF zusammen mit unseren Verbündeten in Afghanistan vor
Ort Wiederaufbauarbeit leistet, schaffen unsere Soldatinnen und Soldaten zusammen im Rahmen von OEF und
Hand in Hand mit unseren Verbündeten im Wesentlichen
die Voraussetzung dafür, dass ISAF in der bisherigen
Form weitergeführt werden kann. Hierfür möchte ich
den Soldatinnen und Soldaten, aber auch den zahlreichen zivilen Helferinnen und Helfern sowie ihren Familien, die - in welchem Bereich auch immer - diesen Einsatz mittragen und unterstützen, in der ihnen
gebührenden Form danken.
({4})
Glauben Sie denn wirklich, dass Menschen in Zukunft
bereit sein werden, die in Afghanistan so dringend benötigte humanitäre Hilfe zu leisten, wenn der Schutz durch
militärische Präsenz vor Ort gänzlich fehlt?
({5})
Genau an dieser Stelle muss folgende kritische Bemerkung erlaubt sein: Vor diesem Hintergrund zeugt es
nicht gerade von Glaubwürdigkeit, wenn einige Kolleginnen und Kollegen eben noch für ISAF ihre wohl
überlegte und begründete Zustimmung gegeben haben,
aber einer Verlängerung des OEF-Einsatzes nunmehr ablehnend gegenüberstehen, zumal das neue Mandat an die
tatsächlichen Gegebenheiten angepasst wird. In welcher
Form das geschieht, haben wir eben schon gehört.
Lassen Sie uns die Augen nicht davor verschließen:
Die Lage in Afghanistan ist sehr ernst. In den nächsten
Monaten wird die Entscheidung fallen, ob es gelingt,
Afghanistan zu stabilisieren. Es sind noch mehr Anstrengungen der beteiligten Nationen gefordert. OEF als eine
der Voraussetzungen für das erfolgreiche Gelingen von
ISAF muss vor diesem Hintergrund verlängert werden,
auch um die militärisch-zivile Zusammenarbeit nicht zu
gefährden.
Nur wenn alle Nationen - Nationen, die sich Werten
wie Freiheit, Demokratie und Bürgerrechten verpflichtet
fühlen - an einem Strang ziehen, haben wir eine Chance,
den Kampf gegen den internationalen Terrorismus erfolgreich zu führen und vor allen Dingen zu gewinnen.
Ich danke Ihnen.
({6})
Der nächste Redner ist Herr Kollege Dr. Rainer
Stinner von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
sind uns in diesem Hause über eine Tatsache weitestgehend einig: Der Kampf gegen den Terrorismus ist notwendig. Aber der Kampf gegen den Terrorismus ist mit
militärischen Mitteln allein nicht zu gewinnen. Darüber
herrscht, glaube ich, breiter Konsens in diesem Hause.
({0})
Gleichwohl bedarf es auch heute noch der militärischen
Komponente. Auch das sollte unstrittig sein. Diese
Komponente brauchen wir, weil das Militär ein Teil
- aber auch nur ein Teil - dieses Kampfes ist. Dazu wollen wir einen Beitrag leisten.
Wir stimmen heute zu. Unsere Zustimmung ist aber
verbunden mit der Erwartung an die Bundesregierung,
diese militärischen Einsätze stärker als bisher in ein
gesamtpolitisches Konzept einzubinden, um deutlich
zu machen, welches politische Ziel mit diesen Einsätzen
verbunden ist.
Es stellt sich die Frage nach der Strategie bei OEF.
Über das Ziel sind wir uns einig: Wir wollen den Terrorismus bekämpfen und möglichst besiegen. Aber ich bezweifele, dass wir eine gemeinsame Gesamtstrategie haben - Strategie heißt: Weg zum Ziel -, dass im Bündnis
wirklich Konsens darüber besteht, mit welchen Mitteln
wir dieses Ziel gemeinsam erreichen wollen.
Nach unserem Dafürhalten ist es dringend notwendig,
dass wir uns über die Strategie, wie wir dieses Ziel erreichen wollen, stärker austauschen und Pflöcke einschlagen. Dazu beizutragen, ist Aufgabe der Bundesregierung.
Wir werden in der Parlamentarischen Versammlung der
NATO nächste Woche in Quebec darüber sprechen. Primär ist es natürlich Aufgabe der Exekutive, mit den
Bündnispartnern darüber zu reden.
In den letzten Monaten hat ISAF von OEF den Süden
und mittlerweile auch den Osten Afghanistans übernommen. Wenn man aber sieht, was jetzt im Süden stattfindet und wie dort gearbeitet und gekämpft wird, dann
könnte man der Meinung sein: Eigentlich hat OEF dieses
Gebiet von ISAF übernommen und nicht umgekehrt.
Wir müssen über die Relation dieser beiden Mandate
dringend deutlicher sprechen.
({1})
Eines ist völlig klar: Für den Erfolg in Afghanistan
geht es nicht nur darum, was wir tun, sondern insbesondere darum, wie wir es tun.
({2})
Daher müssen wir neben unsere Rules of Engagement
- wir müssen über sie reden; manchmal streiten wir auch
über sie - etwas anderes stellen: Rules of Behaviour,
also Regeln, wie wir eigentlich vorgehen sollen. Denn
nur durch Rules of Behaviour, durch Verhaltensregeln,
können wir dafür sorgen, dass wir gemeinsam Erfolg haben. Darüber muss geredet werden.
Wir erwarten von der Bundesregierung aber auch,
dass sie uns über die Dauer des Gesamtmandats aufklärt.
Ein wesentlicher Bestandteil des Gesamtmandats ist,
Herr Minister, der Einsatz am Horn von Afrika. Im Augenblick befindet sich sogar die überwiegende Zahl unserer Soldaten im Auslandseinsatz dort. Wir müssen uns
auch die Frage stellen, wie lange die Schiffe dort eingesetzt werden sollen: So lange, bis der letzte Terrorist besiegt ist? Das kann ja wohl nicht sein.
Oder müssen wir nicht doch ehrlicher mit uns selber
umgehen? Vielleicht sollten wir feststellen: Der Sinn des
Mandats für den Einsatz am Horn von Afrika ist nicht
nur die Bekämpfung des Terrorismus, sondern auch die
Wahrnehmung anderer - vitaler - Interessen unseres
Landes, zum Beispiel das Interesse an sicheren See- und
Handelswegen. Jeder, der da war, weiß, dass es ganz
wichtig ist, Informationen zu bekommen und diese Region entsprechend abzusichern.
Lassen Sie mich ein Wort zu den Kolleginnen und
Kollegen von den Grünen sagen. Sie lehnen diesen Antrag heute ab. Sie haben eine Abwägung vorgenommen
und begründen Ihr Verhalten. Ich respektiere Ihre Begründung, auch wenn ich sie in diesem Zusammenhang
für falsch halte. Ich bitte Sie wirklich, einmal darüber
nachzudenken, mit welchen Vokabeln Sie uns bedacht
haben,
({3})
als wir vor einigen Wochen und Monaten uns anders entschieden haben. Das war eine schwierige Entscheidung.
Wie Sie wissen, haben wir nicht alle dieselbe Entscheidung getroffen. Hier einige Vokabeln, mit denen Sie unser Verhalten beschrieben haben: innenpolitisch motiviert, populistisch, nicht sachorientiert usw. Ich bitte Sie
herzlich: Rüsten Sie diesbezüglich ab!
({4})
Wenn Sie für sich in Anspruch nehmen, dass Ihre Argumentationslinie jedenfalls respektiert wird, dann tun
Sie dies bitte auch in Bezug auf unseren Standpunkt.
Herr Kuhn, Frau Künast und andere, das ist ein kleiner
Wink für die Zukunft. Herr Nachtwei, ich weiß, Sie haben in Ihrer Fraktion eine Sonderrolle eingenommen.
Das begrüße ich natürlich sehr. Aber die anderen machen es eben anders. Ich hoffe, ich habe Ihrer Karriere,
Herr Nachtwei, jetzt nicht zu sehr geschadet. Das wäre
sehr bedauerlich.
({5})
Völlig klar ist: Diese militärischen Einsätze müssen
in ein politisches Gesamtkonzept eingebettet sein. Abschließend möchte ich kritisch bemerken: Leider gibt
das Weißbuch zu wenig her, um über die gesamte politische Konzeption von militärischen Einsätzen Kenntnis
zu erlangen. Die Diskussion muss angestoßen werden.
Sehr geehrte Damen und Herren Minister, Frau Bundeskanzlerin, die Art, wie Sie die Diskussion über das
Weißbuch angestoßen haben, und die Tatsache, dass Sie
zu manchen Inhalten wenig konkret Stellung genommen
haben, lassen leider befürchten, dass diese Diskussion in
diesem Land nicht so umfassend geführt wird, wie es
dringend geschehen müsste.
Vielen Dank.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Kurt Rossmanith für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Mit Ausnahme der Fraktion der Linken und insbesondere Herrn Lafontaines herrscht,
glaube ich, Einigkeit darüber - das war den Reden in der
Debatte heute Morgen zu entnehmen -, dass der Terror
gegen Staaten des transatlantischen Bündnisses nach wie
vor ein besonders Besorgnis erregendes Phänomen darstellt. Dies ist der Grund unserer Beteiligung an der Operation „Enduring Freedom“. Das Mandat hat seine
Grundlage auch in den Vereinten Nationen und dem
Nordatlantischen Vertrag. Deshalb sind wir seit 2001 an
diesem Einsatz beteiligt. Nicht nur wir sind an diesem
Einsatz beteiligt, sondern über 20 Nationen.
Der Antrag der Bundesregierung, über den wir heute
debattieren und entscheiden werden, lautet, dieses Mandat über den 15. November 2006 hinaus erneut für zwölf
Monate zu verlängern.
In der heutigen Debatte ist meiner Meinung nach der
Fokus zum Teil etwas zu stark auf Afghanistan gerichtet
worden. Natürlich sind ISAF und Operation „Enduring
Freedom“ miteinander zu sehen. Wir müssen allerdings
auch beachten, dass der deutsche Beitrag in Afghanistan
nur einen relativ geringen Anteil darstellt; das galt ganz
besonders in den letzten zwölf Monaten. Kollege von
Klaeden hat schon darauf hingewiesen: Das beginnt ja
am Horn von Afrika und geht über den Kaukasus bis hin
zum Hindukusch.
Nach 2 800 Kräften maximal, die wir für diese Operation ja nie im Einsatz hatten, wird die Höchstgrenze jetzt
auf 1 800 festgelegt. Ich will auch einmal darstellen, wie
sich das auf die verschiedenen Kräfte verteilt, weil das
offenbar nicht alle gelesen haben: 1 100 Seestreitkräfte,
100 Spezialkräfte, 200 Lufttransportkräfte, 200 Unterstützungskräfte und 200 Sanitätskräfte. Deshalb ist unser
Beitrag am Horn von Afrika der wesentliche Teil.
Die deutschen Marinekräfte sind in der Tat der wichtigste Teil bei unserer Teilnahme am internationalen
Kampf gegen den Terrorismus. Unsere Marinekräfte
haben in den vergangenen zwölf Monaten über
2 380 Schiffe abgefragt. Sie haben 180 Schiffe einer genauen Prüfung unterzogen. Sie haben 14 Schiffe mit so
genannten Boarding-Teams eingehend untersucht. Es ist,
glaube ich, wichtig, auch einmal darauf hinzuweisen,
was da getan wird und dass da nicht Kräfte im Einsatz
sind, die sich mehr oder weniger nur die Zeit vertreiben.
Der Grund für diesen Einsatz ist, dass der Zugang zu
den Rückzugsgebieten der Terroristen verwehrt werden
soll und dass die Transportwege, auf denen Waffen und
Munition bewegt werden, auf denen sich aber auch die
Terroristen selbst bewegen, unterbrochen werden sollen.
({0})
Es bleibt absolut notwendig, den Strukturen des
internationalen Terrors Aufmerksamkeit zu widmen
und alles daranzusetzen, diese Strukturen zu zerschlagen.
({1})
Es ist für mich deshalb wirklich völlig unverständlich,
dass Sie von der Fraktion der Grünen - Herr Kuhn, was
Sie getan haben, war nichts anderes, als Salz süß zu reden - hier aussteigen wollen; denn es war ja Ihr Parteikollege Joschka Fischer als Außenminister, der damals
nach dem 11. September 2001 vehement speziell für dieses Mandat geworben hat. Der Kollege Klose hat Tom
Koenigs - auch ein Parteikollege von Ihnen - zitiert, der
darauf hingewiesen hat, dass wir in diesem Kampf nicht
nachlassen dürfen.
({2})
Natürlich ist uns allen bewusst, lieber Kollege Nachtwei
- Sie werden hier im Haus niemanden finden, der eine
andere Meinung hat -, dass die militärische Komponente
nur eine Komponente bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist. Wir debattieren aber heute nicht
nur über diese Komponente der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, sondern wir müssen auch entscheiden, ob wir unsere Beteiligung an der Operation
„Enduring Freedom“ um weitere zwölf Monate verlängern. Angesichts dessen ist es mir schlicht und einfach
unverständlich, dass Sie von den Grünen sich jetzt aus
diesem Einsatz zurückziehen wollen.
({3})
Leistungsfähige Kontingente der deutschen Streitkräfte sind im Einsatz und sind in die Gesamtheit der
Antiterroroperationen eingebracht worden. Sie haben
sich bei den Partnernationen hohes Ansehen erworben,
zum einen aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit, zum anderen aber auch durch die Art, wie sie sich für die Menschen vor Ort einsetzen. Ich möchte von dieser Stelle unseren Soldatinnen und Soldaten Dank aussprechen, dass
sie diesen Einsatz für unser Land und die Menschen in
diesen Gebieten leisten.
({4})
Eine Zwischenfrage kann ich nur bei großzügiger Interpretation der Redezeit zulassen, weil Sie, Herr Kollege Rossmanith, gewiss registriert haben, dass Ihre Redezeit soeben abgelaufen ist.
Als ich bemerkt habe, dass der Kollege Nachtwei sich
gemeldet hatte, hatte ich noch drei Sekunden.
({0})
Bei solchen Bestellungen muss man aufpassen, damit
man sie noch rechtzeitig innerhalb der Redezeit unterbringt.
Wir sind jetzt aber großzügig. Herr Kollege
Nachtwei, Sie haben das Wort.
Kollege Kurt Rossmanith, Sie sind Sicherheitspolitiker, Sie sind auch Reserveoffizier. Aus beiden Erfahrungsbereichen wissen Sie, dass wir den Soldaten, die
wir in einen Einsatz schicken, konkret und überzeugend
vermitteln müssen, dass dieser Einsatz nicht nur
grundsätzlich notwendig ist, sondern konkret auch
zweckmäßig und verantwortbar ist. Ich habe in den letzten Tagen festgestellt, dass dieser Einsatz - ich habe immerhin zwölf Jahre Erfahrung in diesem Bereich - von
der Bundesregierung so schlecht wie noch kein Einsatz
zuvor begründet wurde. Ergreifen Sie jetzt die Chance,
die Bundesregierung aus der Bredouille herauszubringen, und sagen Sie konkret, warum die deutsche Beteiligung an der Operation „Enduring Freedom“ zweckmäßig und verantwortbar ist und weshalb die Hinweise,
dass der Einsatz in Afghanistan immer kontraproduktiver geworden ist und inzwischen zur Gewalt- und Hassspirale beiträgt, nicht stimmt!
({0})
Lieber Kollege Nachtwei, das würde ich gerne tun.
Ich glaube aber, dann wäre der Präsident nicht sehr
glücklich mit mir.
({0})
Lassen Sie mich kurz drei Punkte nennen.
Aber knapp, da Sie mich ja glücklich machen wollen.
- Drei Sätze. - Erstens bin ich der Meinung, dass die
Begründung, die die Bundesregierung für ihren Antrag
gegeben hat, überzeugend ist.
({0})
Zweitens habe ich mit den Soldaten gesprochen und
habe Ihnen, Herr Kollege Nachtwei, ja bezüglich unserer
Seestreitkräfte aufgezeigt - ich könnte das für die anderen Streitkräfte auch noch machen, aber den wesentlichen Teil stellen ja unsere Seestreitkräfte dar - ({1})
- Nach der Rede, die Sie, Herr Kuhn, gehalten haben,
würde ich an Ihrer Stelle gerade noch etwas dazu sagen,
was anderen gelungen ist; da wäre ich sehr zurückhaltend und würde kein Wort dazu mehr sagen.
Die Kommentierung von schon gehaltenen Reden ist
außerhalb der eigentlichen Redezeit nun sicherlich nicht
mehr möglich.
Lieber Kollege Nachtwei, im letzten Absatz der Begründung dieses Antrags hat die Bundesregierung noch
einmal dargelegt, dass sie die Information des Parlaments und der Fraktionsvorsitzenden entsprechend fortführen wird. Das ist für mich das entscheidende Moment.
Drittens weiß ich - ich bin nämlich häufig draußen
bei den Soldaten, da ich noch aktiver Reservist bin -,
dass die Soldaten aus Einheiten, die häufig in Einsätzen
sind, nicht nur im Rahmen der „Enduring-Freedom“Operation, sondern auch in anderen Operationen, sehr
wohl wissen, welchen Auftrag sie wahrzunehmen haben,
und dass sie sich dabei vom Parlament getragen wissen.
Gerade deshalb bitte ich Sie ganz herzlich, hier keine
Spaltung vorzunehmen, sondern in einer breiten Mehrheit in diesem Parlament den Soldaten, denen wir diesen
schwierigen und sehr gefährlichen Auftrag geben, zu
zeigen, dass sie vom Parlament in toto - wenn ich die
Linken einmal ausnehme - getragen werden.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Norman Paech, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundesregierung möchte nun auch im sechsten Jahr
die Bundeswehr am so genannten Antiterrorkrieg der
USA beteiligen.
({0})
Unsere Fraktion hat das im vorigen Jahr abgelehnt und
- ich wiederhole es; Oskar Lafontaine hat es bereits gesagt - wir lehnen es auch heute wieder ab,
({1})
und zwar nicht, weil uns plötzlich die Hässlichkeit des
Krieges durch geschmacklose Bilder von deutschen Soldaten präsentiert wird - so abscheulich das ist. Aber es
muss vollkommen klar sein: Diese Bilder sind harmlos
im Verhältnis zu dem, was täglich dort und in anderen
Kriegen passiert.
({2})
Wir sind von Anfang an gegen die Operation „Enduring Freedom“ gewesen, und zwar weil wir befürchtet
haben, dass sie letztlich nur das produziert, was sie bekämpfen will, nämlich Krieg und immer weiteren Terror.
Wir werden durch die Entwicklung des letzten Jahres leider bestätigt. Der Terrorismus ist nicht der klassische
Feind und Gegner, den man mit den klassischen Mitteln
des Krieges bekämpfen kann. Er hat faktisch in allen
Ländern seinen Nachwuchs, seine Versorgungsdepots
und seine Schlafstätten. Sie müssten eigentlich die ganze
Welt unter Terrorverdacht stellen und einen permanenten
Ausnahmezustand verkünden.
Die Geheimhaltung rund um das KSK ist - das haben
jetzt alle begriffen - nicht akzeptabel. Was allerdings nie
geheim war, ist der Auftrag der Bundeswehr unter dem
OEF-Mandat. Ich bitte Sie, bevor Sie hier zur EntscheiDr. Norman Paech
dung schreiten, sich dieses Mandat noch einmal anzusehen. Seit November 2001 befinden wir uns in einem Verteidigungskrieg und es gehört zu den Aufgaben der
Bundeswehr - ich zitiere -,
Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und
vor Gericht zu stellen sowie Dritte dauerhaft von
der Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten.
({3})
Aber gleichzeitig berichtet uns die Bundesregierung
auf unsere Kleine Anfrage hin, dass die Bundeswehr genau das nicht tut. Die Bundeswehr nehme nämlich gar
keine Personen fest und sie wisse auch nicht, ob Personen, die von Streitkräften anderer Länder festgenommen
werden, vor Gericht gestellt würden.
Die Bundesregierung konnte uns auch nicht erklären,
was eigentlich der Einsatz der Bundeswehr am Horn
von Afrika mit Terrorismusbekämpfung zu tun hat. Dafür bestätigt sie allerdings indirekt unsere Vermutung,
dass der Begleitschutz durch die Bundesmarine vor
Dschibuti viel mit dem Irakkrieg zu tun hat. Auf der
Liste der Bundesregierung stehen fast ausschließlich
Kriegsschiffe der USA und Großbritanniens. Auffällig
hoch war die Zahl der eskortierten Kriegsschiffe kurz
vor dem Angriff auf den Irak im Februar und im März
2003.
({4})
Sie rechtfertigen den Einsatz nun schon lange mit der
Behauptung, es finde immer noch ein bewaffneter Angriff auf die USA statt. Mir ist vor allem eines bekannt,
dass es nämlich die USA sind, die in diesen fünf Jahren
einen bewaffneten Angriff unternommen haben, und
zwar auf den Irak. Es ist abenteuerlich, wie die Bundesregierung hier das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51
der UNO-Charta biegt und verdreht.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor Sie nun entscheiden, lesen Sie doch bitte noch einmal im Antrag
nach, was der Auftrag der Bundeswehr im Rahmen der
Operation „Enduring Freedom“ tatsächlich ist. Von
Bündnissolidarität steht dort nirgends etwas. Wenn Sie
schon uns nicht folgen wollen, dann folgen Sie diesmal
den Grünen: Lehnen Sie den Antrag ab und verabschieden Sie sich heute von einer Mission, die wirklich keinen wirksamen Beitrag zur Terrorismusbekämpfung
leistet und auch nicht mit dem Völkerrecht vereinbar ist!
Eine letzte Bemerkung in Richtung Bundesregierung.
Blicken Sie einmal auf die USA, die offensichtlich jetzt
beginnen, ihre Irakstrategie zu überdenken und zu verändern. Es wäre Bündnissolidarität, wenn auch Sie jetzt
daran gingen, Ihre Strategie zu überdenken. In den USA
wurde der ehemalige Verteidigungsminister schon Opfer
entsprechender Überlegungen. Ich finde aber, kein Opfer
ist zu groß, um die zurzeit gültige Strategie endlich zu
ändern.
Danke sehr.
({6})
Der Kollege Dzembritzki hat nun das Wort für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist richtig, dass wir hier mit großer Ernsthaftigkeit die
Debatte führen. Mich bewegen natürlich insbesondere
die Argumente der Grünen, weil wir bis letztes Jahr gemeinsam eine Politik betrieben haben, die auch die Einsätze, die heute besprochen werden, einschloss. Dankenswerterweise hat mir der Kollege Nachtwei seine
Positionsbeschreibung zur Verfügung gestellt. Denn
noch vor wenigen Tagen haben wir sehr intensiv in
Hammelburg über die Fragen globaler Verantwortung
diskutiert.
Interessant ist - ich denke, man kann es so sagen -,
dass die Grünen bestätigen, dass die Bedrohung der internationalen Sicherheit durch Netzwerke und Akteure
des internationalen Terrorismus weiter anhält, dass die
Bekämpfung des internationalen Terrorismus eine zentrale Herausforderung für die internationale Gemeinschaft bleibt und dass die Bundesrepublik Deutschland
im Rahmen der Vereinten Nationen, der Europäischen
Union, der NATO und der OSZE ihren Beitrag zu leisten
hat. Diese Aufgabe ist nicht kurzfristig, sondern nur mit
langem Atem, Augenmaß und Konsequenz zu bewältigen. Ich denke, dem kann man voll und ganz zustimmen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie
sagen sogar, dass die Einsätze von KSK-Soldaten im
Rahmen von OEF klar von Einsätzen im Rahmen von
ISAF in Afghanistan zu unterscheiden seien. Letztere
seien notwendig und zum Schutz eigener ISAF-Kräfte
ausgesprochen hilfreich. Wenn dem so ist, dann verstehe
ich nicht, dass dieser Teil der Argumentation nicht die
notwendige Berücksichtigung findet.
Dass wir einen Teil der internationalen Verantwortung zu tragen haben, ist ein entscheidendes Argument.
Sie sprechen davon, dass die transatlantische Komponente beeinträchtigt sein könnte. Mich ärgert bei dieser
Diskussion, dass die transatlantische Zusammenarbeit
ausschließlich auf die USA und uns projiziert wird. Ich
will aber betonen, lieber Herr Kollege Nachtwei, dass
auch Kanada dazugehört. Schauen wir uns einmal den
Beitrag der kanadischen Soldatinnen und Soldaten und
der zivilen Einsatzkräfte an. Unsere große Sorge ist, dass
wir unsere Argumentation nicht in die internationale Gemeinschaft transportieren können, wenn wir uns aus dieser Gesamtverantwortung zurückziehen. Dadurch könnte
der Eindruck entstehen - ich will das jetzt nicht überspitzen, aber ich will es zumindest andeuten -, wir würden
uns generell aus dieser Verantwortung zurückziehen. Ich
denke, das steht uns nicht an.
({1})
Es ist sehr interessant - ich will in meiner restlichen
Redezeit auf Afghanistan zu sprechen kommen -, dass
wir über diesen Punkt des Antrages am intensivsten diskutieren. Daran kann man sehen, dass wir größte Sorgen
haben, dass das Projekt nicht erfolgreich sein könnte.
Deswegen sage ich immer wieder: Es kommt nicht darauf an, Exit-Strategien zu entwickeln - wir sollten auch
nicht auf ein Scheitern hoffen, um aus der Mission aussteigen zu können -, sondern wir müssen Erfolgsstrategien entwickeln, die in Verbindung mit einer Exit-Strategie gesehen werden müssen. Alles andere ist abzulehnen.
({2})
Ich will jetzt nicht weiter auf die Trennung von OEF
und ISAF eingehen, weil meine Redezeit nur knapp bemessen ist. Ich will aber etwas zu den Spezialkräften
sagen: Das Parlament wurde auf dem dafür vorgesehenen Weg über die Obleute des Verteidigungsausschusses
und des Auswärtigen Ausschusses informiert. Offenbar
reicht diese Information aber nicht aus. Deswegen war
es richtig, dass die Bundesregierung am 25. Oktober erklärt hat, eine intensivere Informationspolitik in diesem
sensiblen Bereich betreiben zu wollen. Darauf werden
wir achten.
({3})
Generell sollte die Berichtstattung seitens der Bundesregierung zu Afghanistan in Umfang, Qualität sowie
in der Vernetzung und Verzahnung militärischer und ziviler Leistungen, die wir für notwendig halten, besser
werden. Man muss die Kohärenz deutlich erkennen
können. Wir in unserer Fraktion werden das jedenfalls
intensiv verfolgen und darauf achten. Ich ermutige also
die Bundesregierung, die eigene Kohärenz zu stärken;
der Verteidigungsminister hat das gestern erfreulicherweise in Agenturmeldungen erklärt.
Aber das Bemühen, Kohärenz herzustellen, muss natürlich - Herr Kuhn, einen Teil Ihrer Argumentation will
ich durchaus aufgreifen - auf die internationale Zusammenarbeit übertragen werden. Das heißt, dass man
sich mit seinen Partnern auseinander setzen muss. Angesichts der Diskussion im Zusammenhang mit den Vereinigten Staaten sind auch wir Parlamentarier gefordert.
Wir sind in der Parlamentarischen Versammlung der
NATO und in der Versammlung der Westeuropäischen
Union vertreten. Wir haben uns dort mit einzubringen
und den Veränderungsprozess, der in den USA zurzeit
stattfindet und sich in der Entlassung des Verteidigungsministers und der Stärkung derjenigen Kräfte ausdrückt,
die einen anderen Dialog führen wollen, ein Stückchen
zu berücksichtigen und diese Kräfte nicht vor den Kopf
zu stoßen.
({4})
Ein konkretes Problem will ich aufgreifen: den Polizeiaufbau in Afghanistan. Dies ist ein Zweig, der die
zivile Sicherheit verstärken soll. Wir sind dort verantwortlich; Herr Dr. Stinner, Sie haben das zu Recht angesprochen. Von der Qualität her machen wir eine ordentliche Arbeit; darüber haben wir schon im Parlament
gesprochen.
Wir alle wissen aber, dass das quantitativ überhaupt
nicht ausreicht. Nun wende ich mich einmal an das Parlament, an uns als Kolleginnen und Kollegen: Wir werden dazu bald eine Debatte führen; denn in der nächsten
Sitzungswoche ist der Haushalt zu beraten. Wenn wir
meinen, dass die jetzt vorgesehenen Mittel nicht ausreichen - ich meine das; wir müssen die Mittel verstärken;
wir müssen zu einer höheren Quantität und zu einer besseren Verzahnung in den dezentralen Bereichen kommen -, dann müssen wir auch überlegen, wie wir in diesem Bereich etwas zulegen können. Mit den Millionen,
die wir dafür vorgesehen haben, kommen wir nicht aus.
({5})
Das ist doch objektiv nicht zu leugnen. Wir dürfen nicht
im Parlament große Debatten führen und mit dem Finger
auf die Regierung zeigen, wenn wir selbst nicht in der
Lage sind, den parlamentarischen Stempel aufzudrücken. Das fordere ich von uns ein.
Ich fordere aber auch die Regierung auf, zu schauen,
was wir auf europäischer Ebene tun können. Es gibt zum
Beispiel den Europäischen Entwicklungsfonds. Wir
haben in diesem Zusammenhang einmal spontan 250 Millionen Euro für afrikanische Friedensfazilitäten zur
Verfügung gestellt. Warum kann so etwas in dieser dringenden, schwierigen und brenzligen Situation in Afghanistan nicht auch getan werden? Warum schafft man es
nicht, europäische Kapazitäten zu bündeln und temporär
einzubringen?
Ich denke, dass es wirklich lohnenswert wäre, noch
einmal darüber nachzudenken. Denn wir allein werden
die Probleme in Afghanistan nicht bewältigen. Dies ist
eine internationale Herausforderung, eine internationale
Aufgabe. Wir müssen sie erfolgreich zum Abschluss
bringen.
Vielen Dank.
({6})
Bevor ich dem letzten Redner dieser Debatte das Wort
erteile, begrüße ich auf der Besuchertribüne eine Delegation des Schweizer Nationalrates.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir freuen uns über Ihren Besuch in Deutschland. Wir würdigen gemeinsam,
wie wir das gestern getan haben, die außerordentlich guten und freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern. Auch die meisten von Ihnen würden es
ganz gewiss begrüßen, wenn Ihr Besuch im größten Mitgliedsland der Europäischen Gemeinschaft Ihr Interesse
an der EU befördern würde.
({1})
Nun erteile ich als letztem Redner dieser Debatte dem
Kollegen Holger Haibach für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auslandseinsätze
der Bundeswehr zu beschließen, ist immer ein schwieriges Geschäft. Das erfordert viel Nachdenken und es ist
immer eine Gewissensentscheidung. Deswegen habe ich
großen Respekt vor jedem, der sich heute anders entscheidet. Wir sollten die Debatte aber ehrlich und gut
fundiert führen.
Herr Kollege Paech, deshalb sage ich in Ihre Richtung: Hören Sie endlich auf, die Dinge miteinander zu
vermischen! Wir reden heute nicht über den Krieg im
Irak, sondern wir reden über die Verlängerung der Operation „Enduring Freedom“. Das ist etwas, was auf einer
ganz klaren völkerrechtlichen Grundlage basiert, was
auf einer ganz klaren völkerrechtlichen Grundlage stattfindet. Das sollten Sie bitte zur Kenntnis nehmen.
({0})
Wenn Sie mir nicht glauben, dann schauen Sie einmal
in den Antrag der Bundesregierung. Da heißt es in Nr. 2:
Die Fortsetzung erfolgt auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen, des
Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 ({1}) und 1373 ({2}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen …
Man kann hier also wirklich nicht von einem völkerrechtswidrigen Vorgehen sprechen. Ich finde, Sie sollten
endlich damit aufhören!
({3})
Mein zweiter Punkt richtet sich an den Kollegen
Lafontaine: Zu Ihrer Totalverweigerung hat der Kollege
Nachtwei interessanterweise während der Debatte, die
wir vor einem Jahr über diesen Einsatz geführt haben, einen sehr interessanten Satz gesagt, den ich mit Genehmigung des Präsidenten zitiere:
Die Konsequenzen Ihrer Forderung, bezogen auf
Afghanistan, sind ganz eindeutig und klar: volle
Bewegungs- und Anschlagsfreiheit für die Talibanund andere Terrorgruppen und Zerstörung des UNmandatierten Stabilisierungsprozesses, der schon
schwierig genug ist.
Das war damals wahr, das ist auch heute richtig. Deshalb kann ich die heutige Entscheidung der Grünen einfach nicht verstehen und nicht nachvollziehen.
({4})
- Ich weiß, dass Sie sehr gern über die veränderte Rolle
von ISAF sprechen, Herr Kollege Nachtwei. Ich würde
Sie gern beim Wort nehmen. Im letzten Jahr haben Sie
dazu Folgendes gesagt:
Umgekehrt: Ohne Enduring Freedom keine ISAF,
keine Stabilisierungschance für Afghanistan. Deshalb hat sich Präsident Karzai - übrigens im Unterschied zu den Formulierungen im Antrag der Linkspartei - ausdrücklich für die Präsenz dieser Truppen
ausgesprochen.
Wenn es richtig ist, dass OEF sozusagen der Rückhalt, der Backbone des Einsatzes für ISAF ist - diese
Operation ist natürlich wesentlich mehr; das wissen wir
alle und das ist auch in der heutigen Debatte schon deutlich angeklungen -, dann sollten wir auch die Konsequenz ziehen und klar sagen: Jawohl, wir unterstützen
auch weiterhin dieses für die Stabilisierung in Afghanistan wichtige und unabdingbare Mandat.
Das heißt nicht, dass wir uns nicht auch darüber Gedanken machen müssen, wie die Zukunft der beiden
Mandate aussehen muss und wie wir den Stabilisierungsprozess in Afghanistan weiter vorantreiben müssen. Das ist vollkommen richtig. Es bedeutet auch nicht,
dass wir einfach weitermachen können. Wir müssen nur
zur Kenntnis nehmen: Momentan ist die Kombination
aus Operation „Enduring Freedom“, „Active Endeavour“ und ISAF nicht ersetzbar. Ich glaube, das ist die
Grundlage, auf der wir heute diskutieren müssen. Das
müssen wir gemeinsam zur Kenntnis nehmen. Deshalb
wird meine Fraktion mit ganz großer Mehrheit ganz
deutlich sagen: Jawohl, wir unterstützten auch weiterhin
den Kurs, den die Bundesregierung an dieser Stelle eingeschlagen hat.
({5})
Natürlich wurde heute auch viel über Interessen gesprochen. Es ist über unser Interesse gesprochen worden,
an dieser Stelle zu sagen: Jawohl, die Bekämpfung des
Terrorismus und die Stabilität in dieser Region sind für
uns wichtige Dinge, die wir leisten wollen und müssen.
Als jemand, der sich inzwischen mehr als vier Jahre lang
im Bereich der Menschenrechte betätigt, sage ich auch:
Die Stabilisierung kann nur dann funktionieren, wenn
wir es schaffen, neben den militärischen Aspekten dieser
ganzen Angelegenheit auch alle anderen Maßnahmen,
die zum Beispiel unter die Begriffe Nation Building, Demokratisierungsprozess, Ausbildung, Austausch fallen,
anzugehen und konsequent zu verfolgen. Auch das ist in
der heutigen Debatte schon sehr häufig angeklungen.
Das Folgende, glaube ich, muss an dieser Stelle auch
erwähnt werden. Wir haben oft erlebt, dass die internationale Staatengemeinschaft nach schlimmen Ereignissen - denken Sie an Srebrenica, an Ruanda und an viele
andere Katastrophen - gesagt hat: Das wollen wir nicht
noch einmal erleben, das werden wir nicht noch einmal
zulassen. Meine Damen und Herren, es gibt schon genügend Gedenktage für schlimme Ereignisse. Lassen Sie
uns mit der heutigen Entscheidung dafür sorgen, dass in
Zukunft nicht noch ein weiterer Gedenktag hinzukommt!
Herzlichen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 16/3321 zum Antrag der Bundesregierung
zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher
Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reak-
tion auf terroristische Angriffe gegen die USA. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/3150 an-
zunehmen.
Mir liegen hierzu eine Reihe von persönlichen Erklä-
rungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung aus der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor, die wir zu
Protokoll nehmen.1)
Für diese Abstimmung ist namentliche Abstimmung
verlangt worden. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die Plätze einzunehmen. - Ich eröffne die
Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgeben konnte? - Das scheint nicht der
Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Wie immer geben wir Ihnen
das Ergebnis der Abstimmung später, vermutlich wäh-
rend des nächsten Tagesordnungspunktes, bekannt.2)
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen auf Drucksache 16/3366. Wer stimmt für
diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? -
Wer möchte sich der Stimme enthalten? - Dann ist der
Entschließungsantrag abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 29 b, Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 16/3322 zu dem von der Fraktion Die Linke
eingebrachten Entschließungsantrag zu dem Antrag der
Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaff-
neter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der ge-
meinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen
die USA. Der Ausschuss empfiehlt, den Entschließungs-
antrag auf Drucksache 16/3151 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlussempfeh-
lung ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 30 und
zum Zusatzpunkt 8:
30 Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Jürgen Koppelin, Jens Ackermann, Dr. Karl
Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Prüfplanung der Bundesregierung aufgrund
des Koalitionsvertrages in der 16. Legislatur-
periode
- Drucksachen 16/926, 16/2468 -
1) Anlagen 3 und 4
2) Ergebnis Seite 6331 D
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl
Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Mehr Freiheit wagen
- Drucksache 16/3288 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache wiederum eineinviertel Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die so genannte große Koalition ist seit ziemlich genau einem
Jahr im Amt. Die Bundeskanzlerin sprach in ihrer Regierungserklärung am 30. November letzten Jahres von einer „Koalition der neuen Möglichkeiten“. Aus dieser
„Koalition der neuen Möglichkeiten“ ist längst eine Koalition geworden, der fast nichts möglich ist. Sie sind
nicht in der Lage, am Arbeitsmarkt die notwendigen Reformen durchzuführen. Sie sind nicht in der Lage, in der
Gesundheitspolitik mehr Wahlfreiheit zuzulassen. Selbst
in diesem Jahr, wo die Steuerquellen sprudeln wie seit
vielen Jahren nicht mehr, schaffen Sie es nicht, einen
verfassungskonformen Haushalt vorzulegen. Das belegt,
dass Sie das, was Sie sich vorgenommen haben, nicht
hinbekommen.
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat vorgestern der
Bundesregierung deutlich ins Stammbuch geschrieben,
dass sie das Jahr nicht genutzt hat. Vor einem Jahr trug
das Gutachten den Titel „Die Chance nutzen - Reformen
mutig voranbringen“.
({0})
Dieses Jahr lautete er „Widerstreitende Interessen - Ungenutzte Chancen“. Sie haben die Chancen nicht genutzt. Es ist schwarz auf weiß belegt, dass Sie nichts daraus gemacht haben.
({1})
Es kommt einem fast so vor, als ob Sie auf der Rolltreppe rückwärts gehen und uns erläutern wollen, es geht
bei Ihnen zügig bergauf.
Ich darf zitieren, was der saarländische Ministerpräsident Peter Müller - CDU, falls es niemand weiß - gestern gesagt hat. Er sprach von den „quälenden Meinungsbildungsprozessen in der Koalition“ und sagte
wörtlich:
Viele hatten die falsche Vorstellung, dass große Koalition gleichbedeutend ist mit großer Veränderung.
Der Mann hat Recht. Sie schaffen keine wesentlichen
Veränderungen.
Wann gab es denn je eine bessere Zeit als jetzt, da die
Konjunktur Gott sei Dank angesprungen ist und sich beschleunigt? Das ist am wenigsten das Verdienst dieser
Regierung. Durch die Restrukturierungsmaßnahmen der
deutschen Wirtschaft, die boomende Weltwirtschaft und
die moderaten und vernünftigen Lohnabschlüsse wurde
die Basis für diese Belebung gelegt, aufgrund deren auch
sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstehen und
sich das Wachstum beschleunigt.
Sie sind den Ratschlägen der Sachverständigen, den
beginnenden Aufschwung nicht gleich wieder mit der
Mehrwertsteuerkeule abzuwürgen, aber nicht gefolgt.
Sie tun das Gegenteil von der Beschleunigung des
Wachstums und der Schaffung von mehr Arbeitsplätzen.
Sie würgen die Entwicklung durch die Erhöhung der
Mehrwertsteuer ein Stück weit ab.
Ich finde es zutiefst unredlich - der Begriff ist
schlecht, aber Sie benutzen ihn -, von der Unterschicht
zu reden und denen, die im Schatten der Gesellschaft
stehen, mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer das Leben
zusätzlich zu erschweren,
({2})
wodurch Sie den Konsum, den Sie anregen müssten, abbremsen. Es ist doch keine aufrichtige Diskussion, von
den Betroffenen zu reden, die Probleme zu beschreiben
und ihnen gleichzeitig eines drüberzugeben. Das ist
wahrlich keine in sich schlüssige Politik.
Meine Damen und Herren, Sie müssen sich in der
großen Koalition entscheiden, was Sie wollen. Wollen
Sie verwalten oder wollen Sie gestalten? Die Roten bewachen die Schwarzen und die Schwarzen bewachen die
Roten. Die Selbstblockade ist vollkommen. Im Schlafwagen werden Sie die Zukunft aber nicht gewinnen. Sie
müssen schon den Mut zur Veränderung haben und an
die Lösung der Probleme herangehen.
Die Raison d’Être dieser großen Koalition muss sein,
schwierige Reformprozesse anzukurbeln, und nicht, die
Situation noch zu verschlechtern, wie das bei der Gesundheitsreform - das haben die Sachverständigen dargelegt - der Fall ist. Sie haben es Ihnen deutlich gesagt:
Es ist ein Armutszeugnis, wenn man antritt, die Lohnnebenkosten durch eine Gesundheitsreform zu reduzieren,
und mit einer erheblichen Beitragssteigerung einsteigt.
Auch hier tun Sie das Gegenteil von dem, was Sie angekündigt haben.
({3})
Sie müssen eine konsistente, anspruchsvolle und ehrgeizige Politik machen und nicht im Konjunktiv - wenn,
vielleicht und sonst was - verharren und in die Außenpolitik flüchten. Ich ahne schon, was im nächsten halben
Jahr passiert, wenn wir sowohl in der EU als auch in der
G 8 die Präsidentschaft innehaben: Außenpolitische Auftritte werden zelebriert und zu Hause wird das Notwendige nicht getan. Nein, die Politik muss mit der Erledigung der Hausaufgaben anfangen und das Elementare in
Ordnung bringen.
Sie müssen jetzt die Chance nutzen, bei einer sich beschleunigenden Wirtschaft Reformen durchzuführen, damit wir auf Dauer auf einen höheren Wachstumspfad
kommen und den fast 6 Millionen Menschen, die immer
noch keine Arbeit haben - 4 Millionen Menschen sind es
laut Statistik, die anderen befinden sich in ABM und anderen Maßnahmen -, eine echte Chance geben. Nutzen
Sie die Chancen und verschlafen Sie die Chancen nicht!
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann Ihnen nun
das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die
Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher
Streitkräfte mitteilen. Es geht um die vorhin mehrfach zitierten Drucksachen 16/3150 und 16/3321. Abgegebene
Stimmen 563. Mit Ja haben gestimmt 436, mit Nein haben gestimmt 101, enthalten haben sich 26 Mitglieder des
Hauses. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 563;
davon
ja: 436
nein: 101
enthalten: 26
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Carl-Eduard von Bismarck
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({1})
Dirk Fischer ({2})
Axel E. Fischer ({3})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
({4})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Norbert Geis
Michael Glos
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Präsident Dr. Norbert Lammert
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({5})
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({6})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({7})
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({8})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({9})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({10})
Stefan Müller ({11})
Bernward Müller ({12})
Dr. Gerd Müller
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({13})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({14})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({15})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({16})
Andreas Schmidt ({17})
Ingo Schmitt ({18})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({19})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Uwe Vogel
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Peter Weiß ({20})
Gerald Weiß ({21})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({22})
Doris Barnett
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({23})
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({24})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf ({25})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({26})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({27})
Frank Hofmann ({28})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({29})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({30})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Caren Marks
Katja Mast
Petra Merkel ({31})
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Präsident Dr. Norbert Lammert
Detlef Müller ({32})
Michael Müller ({33})
Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({34})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({35})
Michael Roth ({36})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({37})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({38})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({39})
Silvia Schmidt ({40})
Heinz Schmitt ({41})
Carsten Schneider ({42})
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({43})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gert Weisskirchen
({44})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({45})
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({46})
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({47})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({48})
Martin Zeil
Nein
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
Wolfgang Börnsen
({49})
Hubert Deittert
Norbert Königshofen
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Norbert Schindler
Willy Wimmer ({50})
SPD
Gregor Amann
Ingrid Arndt-Brauer
Klaus Barthel
Marco Bülow
Renate Gradistanac
Reinhold Hemker
Ernst Kranz
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Hilde Mattheis
Christoph Strässer
Dr. Wolfgang Wodarg
FDP
Uwe Barth
Joachim Günther ({51})
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger-Neuling
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Katrin Kunert
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothee Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Petra Pau
Elke Reinke
Paul Schäfer ({52})
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Volker Beck ({53})
Cornelia Behm
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Undine Kurth ({54})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Jerzy Montag
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({55})
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Enthalten
CDU/CSU
Peter Albach
Renate Blank
SPD
Dr. Bärbel Kofler
Dr. Wilhelm Priesmeier
Frank Schwabe
FDP
Dr. Edmund Peter Geisen
Miriam Gruß
Dr. Max Stadler
Präsident Dr. Norbert Lammert
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({56})
Birgitt Bender
Grietje Bettin
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Katrin Göring-Eckardt
Priska Hinz ({57})
Anna Lührmann
Kerstin Müller ({58})
Omid Nouripour
Krista Sager
Rainder Steenblock
Wolfgang Wieland
Margareta Wolf ({59})
Wir setzen die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 30
und Zusatzpunkt 8 fort. Nächster Redner ist der Kollege
Dr. Michael Meister für die CDU/CSU-Fraktion.
({60})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Kollege Brüderle, wenn Sie vor einem
halben Jahr, im März, gewusst hätten, wie die Bilanz der
großen Koalition nach einem Jahr aussehen würde, dann
hätten Sie wahrscheinlich darauf verzichtet, Ihre Große
Anfrage, die heute zur Debatte steht, einzubringen.
({0})
Auch wenn Sie gerade am Telefon die neuesten Informationen einholen: Mit Ihren Erwartungen, die Sie in
der Großen Anfrage formuliert haben, liegen Sie voll daneben. Die große Koalition kann nämlich nach zwölf
Monaten eine gute Zwischenbilanz vorweisen. Deshalb
möchte ich mich für diese Debatte ganz herzlich bei Ihnen bedanken; denn sie gibt uns Gelegenheit, heute über
die tolle Bilanz der großen Koalition nach einem Jahr zu
diskutieren.
({1})
Sehr geehrter Herr Westerwelle, liebe Kollegen von
der FDP, ich darf zunächst einmal aus Ihrer Großen Anfrage zitieren, damit wir wissen, worüber wir reden.
({2})
Deutschland steht vor großen Herausforderungen.
Knapp fünf Millionen Menschen sind offiziell arbeitslos … Deutschland befindet sich in einer strukturellen Wachstums- und Beschäftigungskrise. Die
öffentlichen Kassen sind in eine nie gekannte Schieflage geraten.
So viel aus Ihrer Großen Anfrage.
Ich darf zunächst einmal festhalten: Ja, wir stehen in
Deutschland vor großen Herausforderungen. Womit Sie
als Antragsteller allerdings nicht gerechnet haben, ist,
dass diese große Koalition die Herausforderungen annimmt und meistern wird.
({3})
Sanieren, investieren und reformieren, so lautet das
Motto der großen Koalition. Die ersten gesetzgeberischen Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung und zur
Förderung von Wachstum und Beschäftigung hat die
große Koalition auf den Weg gebracht.
Herr Brüderle, Sie haben eben gesagt, es sei nicht das
Verdienst der Politik, dass es in Deutschland aufwärts
geht. Dazu sage ich Ihnen: Das ist vielleicht nicht das alleinige Verdienst der Politik. Aber mit denen im Hause,
die diese Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung und
zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung abgelehnt haben, wäre es bestimmt nicht aufwärts gegangen.
Deshalb haben Sie an diesem Aufschwung auf keinen
Fall ein Verdienst. Wenn daran jemand ein Verdienst hat,
dann sind es diejenigen, die im ersten Jahr mutig zugepackt haben.
({4})
Die erste Herausforderung ist das Thema Wachstum.
In den Konjunkturprognosen des Sachverständigenrates
- Sie haben ihn eben zitiert, Herr Brüderle - wird für
dieses Jahr von einem Wachstum von 2,4 und für nächstes Jahr von 1,8 Prozent ausgegangen.
({5})
Auch im nächsten Jahr bleiben die Wachstumskräfte
trotz der Erhöhung der Mehrwertsteuer bestehen. Das ist
nach mehreren Jahren der Stagnation - so der Sachverständigenrat - eine bemerkenswert positive Entwicklung. Das heißt, selbst der Sachverständigenrat attestiert
uns in seinem Gutachten, dass es in die richtige Richtung
geht.
({6})
Dennoch werden wir als große Koalition die Herausforderung, das potenzielle Wachstum in Deutschland zu
stärken, weiter entschlossen angehen.
Die zweite Herausforderung ist der Arbeitsmarkt.
Der konjunkturelle Aufschwung hat dazu geführt, dass
die Binnenwirtschaft und der Arbeitsmarkt positiv belebt
worden sind. Eine halbe Million Arbeitslose weniger als
vor einem Jahr! Wenn wir das vor einem Jahr angekündigt hätten, dann hätte das kein Mensch in der Republik
geglaubt. Aber die große Koalition hat dieses Ziel erreicht. Darüber sollte man sich doch freuen.
({7})
Wir haben noch etwas erreicht. Wir schaffen jeden
Tag in Deutschland etwa tausend neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.
({8})
- Ja, natürlich schaffen wir das. Das ist, wie ich gesagt
habe, auch ein Verdienst der großen Koalition.
({9})
Auf die Maßnahmen werde ich gleich noch zu sprechen
kommen. Diejenigen, die nur populistisch daherreden
und keine Alternative aufzeigen, haben daran bestimmt
kein Verdienst.
Ich habe eben gesagt, dass wir als Politik an diesem
Aufschwung nicht das alleinige Verdienst haben. Ich
möchte an dieser Stelle ausdrücklich unterstreichen: Ein
Teil dieses Verdienstes ist auch dem Mitwirken der Tarifpartner geschuldet. Für die verantwortliche Haltung
der Tarifpartner für mehr Arbeitsplätze in Deutschland
möchte ich ausdrücklich danke sagen. Damit haben sie
der Politik und allen Menschen in unserem Lande sehr
geholfen. Ich hoffe, dass wir diese gemeinsamen Anstrengungen fortsetzen.
({10})
Wir nehmen die Herausforderung von 4 Millionen
Arbeitslosen an. Wir sind mit dem Rückgang der Arbeitslosigkeit um eine halbe Million nicht zufrieden.
Vielmehr müssen wir die Zahl von 4 Millionen Arbeitslosen weiter reduzieren. Daran werden wir in der Zukunft arbeiten.
({11})
Die dritte Herausforderung ist der Bundeshaushalt.
Wir alle haben die positiven Zahlen der Steuerschätzung
gehört. Für uns hat die Rückführung der Nettokreditaufnahme erste Priorität. Als wir die Koalitionsverhandlungen begonnen haben, Herr Kollege Scholz, sind
wir bei der Nettokreditaufnahme von einem Niveau von
etwa 40 Milliarden Euro pro Jahr ausgegangen. In dem
Bundeshaushalt für 2007, über den wir in der nächsten
Sitzungswoche diskutieren werden, wird eine Nettokreditaufnahme von 19,6 Milliarden Euro stehen. Das ist
eine Halbierung binnen eines Jahres. Vor diesem Hintergrund kann man sich doch nicht hinstellen und erklären,
dass nichts geschieht. Das ist eine gewaltige Leistung
dieser Koalition und ein Sprung nach vorne. Mir ist aber
auch eine Nettokreditaufnahme von etwa 20 Milliarden Euro zu viel. Deswegen werden wir den Weg der
Konsolidierung weiter beschreiten, Herr Brüderle.
({12})
Ich habe Ihnen aufgezeigt, wie die drei großen Herausforderungen - Arbeitsmarkt, Wachstum und Staatshaushalt - angegangen worden sind. Wir werden in 2007
die niedrigste Nettokreditaufnahme seit der Wiedervereinigung haben. Hier muss man doch anerkennen, dass
es nach vorn geht, und kann nicht einfach wie während
der fünften Jahreszeit in Mainz erklären: Das wollen wir
alles nicht hören.
({13})
Wir sind hier in Berlin und nicht in Mainz auf dem Fasching; wir sind bei der Lösung von ernsthaften politischen Problemen unseres Landes.
({14})
Sie haben zu Recht gesagt, dass der Aufwärtstrend
teilweise konjunkturell bedingt sei. Wir wissen das und
wollen dann, wenn auf der Seite der Konjunktur die
Sonne scheint, die Strukturen in unserem Land verändern und damit nicht warten, bis es wieder stürmt und
schneit. Deshalb packen wir die Strukturveränderungen
an.
Wir haben einiges erledigt: Die Föderalismusreform I
ist von dieser Koalition abgeschlossen worden. Das
sollte man anerkennen. Wir haben eine Hightechstrategie auf den Weg gebracht, um unser Land im Bereich Innovationen nach vorn zu bringen. Der Bürokratieabbau
ist auf den Weg gebracht. Auch das ist nicht nur ein Nebenfeld, auf dem nichts geschieht. Auch wenn tolle populistische Reden dagegen gehalten werden: Es wird angepackt, es wird vorangebracht und es geschieht etwas.
Im Zusammenhang mit Populismus und Strukturreformen möchte ich noch das Thema Rente mit 67 nennen.
Wir alle müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Lebenserwartung der Menschen in unserem Land erfreulicherweise wächst. Will man verantwortlich mit dem Thema
Alterssicherung umgehen, muss man sich die Frage stellen: Müssen wir nicht die Lebensarbeitszeit dieser wachsenden Lebenserwartung anpassen?
({15})
Das ist kein populäres Thema. Dennoch stellt sich diese
Koalition dieser Aufgabe in großer Verantwortung vor
der Zukunft der Menschen in unserem Land, auch wenn
sie dafür nicht mit Beifall bedacht wird.
({16})
Jetzt komme ich zum Thema höhere Belastungen.
Herr Brüderle, Sie haben es vorhin angesprochen. Sie
sind jedoch auf einem Auge blind. Wir sorgen nämlich
zum 1. Januar 2007 für die größte Entlastung in diesem
Land,
({17})
und zwar in einem Bereich, der für die Zukunft der Menschen wichtig ist: bei den Arbeitskosten, bei den Lohnnebenkosten.
({18})
Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sinken um
2,3 Prozent. Auch das sollte man gelegentlich einmal erwähnen.
({19})
Auch wenn der eine oder andere diese Entscheidung
nicht mitträgt, bin ich persönlich der Meinung, dass die
Strategie, den Haushalt zu sanieren, zu konsolidieren
und gleichzeitig auf günstigere Arbeitsmarktkonditionen
zu setzen, die richtige Strategie ist. Dies hat eine nachhaltige Wirkung auf die Konsolidierung und führt
gleichzeitig zu mehr Beschäftigung und damit zu mehr
Wohlstand für die Menschen. Deshalb werden wir diesen
Weg entschlossen weitergehen.
({20})
Die Sachverständigen haben zur Einigung bei der
Unternehmensteuerreform nicht Stellung genommen.
Auch hierzu haben wir gemeinsam klare Eckpunkte vorgelegt. Wir verbessern damit die Investitionsbedingungen am Standort Deutschland, schaffen mehr Investitionen in Deutschland und verbessern damit die Chancen
auf mehr Arbeitsplätze. Das bringt den Menschen auch
mehr Wohlstand. „Mehr Arbeitsplätze in Deutschland“
ist auch eine Ansage gegen das Thema Unterschicht,
Herr Brüderle. Nicht populistische Reden, sondern bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt brauchen die Menschen. Daran wollen wir gemeinsam arbeiten. Die Koalition bringt die Dinge entsprechend voran.
({21})
Wir sorgen nicht nur für günstigere Rahmenbedingungen, damit Unternehmen hier mehr investieren. Wir
sorgen auch dafür, dass die Unternehmensgewinne, die
in Deutschland erwirtschaftet werden, hier der Besteuerung unterzogen werden. Das ist ein wichtiges Anliegen
und kein ökonomischer Unsinn.
({22})
Ich bin gespannt, wo Sie am Ende stehen: ob Sie diejenigen unterstützen, die ihre Gewinne über die Landesgrenze schieben, oder ob Sie dafür sorgen, dass die Gewinne, die in Deutschland erwirtschaftet werden, auch
hier besteuert werden. Wir stellen uns auch dieser Verantwortung.
({23})
Auch stehen wir vor einer wichtigen strukturellen
Entscheidung für den Finanzplatz Deutschland, nämlich
vor der Entscheidung, die Abgeltungsteuer einzuführen. Dazu darf ich Herrn Steinbrück zitieren:
25 Prozent von x sind besser als 42 Prozent auf nix.
Wenn die Menschen die Steuern, die sie eigentlich
zahlen müssten, nicht zahlen, nützt uns das nichts. Wir
brauchen ein Steuersystem, das von den Menschen akzeptiert wird, sodass sie ihre Pflichten erfüllen. Ferner
müssen wir die Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland erhöhen, damit Investoren Investitionen tätigen
({24})
und die Dinge, die notwendig sind, finanzieren. Mit der
Abgeltungsteuer schaffen wir die entsprechenden Voraussetzungen. Außerdem entledigen wir uns damit der
üblen Kontrollmitteilungen, die wir dann nicht mehr
brauchen. Ich bin der Meinung, das ist für dieses Land
strukturell ein klarer Schritt nach vorne.
({25})
Ich möchte dem Bundeskabinett dafür danken, dass es
zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge den
Entwurf eines Gesetzes zur Erbschaftsteuerreform beschlossen und auf den parlamentarischen Weg gebracht
hat.
({26})
Damit wird endlich dafür gesorgt, dass angesichts von
knapp 50 000 Unternehmensnachfolgen pro Jahr die entsprechenden Arbeitsplätze nicht zum Beispiel deshalb
abgebaut werden, weil bei der Übernahme Liquidität
verloren geht. Es wird ein Beitrag dazu geleistet, dass
ein junger Mensch, der die Chance hat, in ein Unternehmen einzutreten und dort ein Risiko zu tragen und Verantwortung zu übernehmen, vom Staat eine Hilfestellung bekommt, statt belastet zu werden. Deshalb tun wir
das.
Wir sind sehr aktiv, wenn es um Existenzgründungen
und die Schaffung neuer Arbeitsplätze geht. Wir sollten
uns aber in diesem Sinne auch darum kümmern, dass
Unternehmen an unserem Standort, die lebensfähig sind,
in der Phase der Erbfolge bzw. des Unternehmensübergangs erhalten bleiben und nicht durch staatliche Eingriffe behindert werden.
({27})
Lassen Sie mich etwas zur Mittelstandsinitiative der
Bundesregierung sagen. Es wird immer behauptet, im
Hinblick auf den Mittelstand geschehe nichts. Doch wir
sind den Abbau bürokratischer Hindernisse entschlossen angegangen. Wir verfolgen dabei einen neuen
Ansatz, der aus den Niederlanden stammt. Die Stichworte in diesem Zusammenhang lauten Bürokratie-TÜV
und Standardkostenmodell. Jetzt wird in Deutschland
endlich mit den Sonntagsreden Schluss gemacht und
eine neue Philosophie verfolgt, um Bürokratie und Regulierungswut zu bekämpfen.
({28})
Wir sind mit Ihnen von der FDP einer Meinung, wenn es
darum geht, mehr Freiheit zu wagen. Aber im Gegensatz
zu Ihnen tun wir es und reden nicht nur darüber. Ich bin
also der Meinung, dass wir die richtige Richtung eingeschlagen haben.
Ich freue mich, dass der Bundeswirtschaftsminister,
nachdem im Juni dieses Jahres das erste Mittelstandsentlastungsgesetz verabschiedet worden ist, noch in diesem
Jahr ein zweites Mittelstandsentlastungsgesetz vorbereiten wird und dass die Koalition damit konkrete Maßnahmen zum Bürokratieabbau ergreift.
({29})
Wir wollen die Startbedingungen für Gründer und
Kleinunternehmer verbessern. Wir wollen die RegisterDr. Michael Meister
eintragungen bei der Gründung eines Unternehmens beschleunigen und ein zentrales Unternehmensregister
schaffen. Hinzu kommt eine Reform des GmbH-Rechts.
All das gehört zusammen. Ich glaube, manchmal leiden
wir und leidet vielleicht auch die Öffentlichkeit darunter,
dass gar nicht mehr wahrgenommen wird, welche Veränderungen in unserem Land binnen zwölf Monaten stattgefunden haben.
({30})
Vielleicht sollten wir mehr darüber reden, was sich zum
Positiven verändert hat, statt immer nur beckmesserisch
über das eine oder andere Detail zu streiten und dabei die
große Linie aus den Augen zu verlieren.
({31})
Nun komme ich auf die Stärkung der Innovationsfähigkeit des Mittelstandes zu sprechen. Wir wollen
mehr kleine und mittelständische Unternehmen in die
Lage versetzen, Innovationen, Forschung und Entwicklung betreiben zu können. Frau Kollegin Aigner, das ist
im Hinblick auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze,
insbesondere in kleinen und mittelständischen Unternehmen, eine große Chance. Dieses Thema packen wir entschlossen an. Darüber hinaus beschäftigen wir uns mit
der Modernisierung der beruflichen Bildung. In diesem
Zusammenhang werden neue Berufsbilder und gestufte
Ausbildungsgänge geschaffen.
({32})
All diese Maßnahmen dienen dem wichtigen Ziel der
Qualifizierung. Wir dürfen nicht nur über die Ergebnisse der PISA-Studie und über Bildungsmängel klagen.
Vielmehr müssen wir diese Probleme konkret angehen
und uns für ein höheres Bildungsniveau und damit für
bessere Arbeitsmarktchancen für die Menschen in unserem Land einsetzen.
({33})
Als letzten Punkt will ich das Thema Wagniskapital
ansprechen. All das, was wir für die Bildung und für die
Schaffung besserer Rahmenbedingungen für die mittelständische Wirtschaft tun, ist gut. Aber wir brauchen
auch diejenigen, die Wachstum finanzieren. Wenn jemand, der gute Ideen hat und alle notwendigen Voraussetzungen erfüllt, ein Unternehmen gründen möchte,
muss das bezahlt werden können. An dieser Stelle haben
wir ein großes Defizit. Ich möchte dem Bundeskabinett
herzlich dafür Dank sagen, dass es im Zusammenhang
mit der Diskussion über die Eckpunkte der Unternehmensteuerreform und die REITs angekündigt hat, bis
zum 1. Januar 2008 ein Gesetz zur Finanzierung von
Wagniskapital auf den Weg bringen zu wollen.
({34})
Wir werden an dieser Stelle alles tun, um die Rahmenbedingungen für die Wagniskapitalfinanzierung in Deutschland attraktiver zu machen.
Meine Damen und Herren, Sie alle sind eingeladen,
dabei mitzutun und diese Vorhaben zu unterstützen, damit wir unser Land in gemeinschaftlichem Geist voranbringen und den Menschen Mut für einen neuen Aufbruch machen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({35})
Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Dagmar
Enkelmann für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nun
liegt es an mir, etwas Wasser in den Wein zu gießen.
({0})
Ich hatte in dieser Woche eine Besuchergruppe zu Gast,
die mich gefragt hat, ob ich mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden sei. Auf meine Gegenfrage, ob sie es
denn sei, kam als Antwort ein vielstimmiges Nein. Nein,
mit dieser Regierung kann man nicht zufrieden sein.
Erinnern wir uns an die Situation vor etwas mehr als
einem Jahr: Rot-Grün wurde abgewählt. Das war eine
ganz klare Absage an weiteren Sozialabbau, an die
Agenda 2010 und an Hartz IV.
Dass es seinerzeit eine deutliche Mehrheit für eine
große Koalition gab, hat etwas mit den großen Problemen in diesem Land wie der Massenarbeitslosigkeit und
den Disproportionen in der wirtschaftlichen Entwicklung - eine schrumpfende Binnennachfrage bei einem
deutlichen Exportwachstum -, den instabilen sozialen
Sicherungssystemen - wie sicher ist zum Beispiel die
Rente noch? - und der Verschuldung der öffentlichen
Haushalte zu tun.
Ein großer Teil der Wählerinnen und Wähler hat
große Hoffnungen auf die stabile Mehrheit einer großen Koalition gesetzt. In dieser großen Hoffnung haben
Sie sie arglistig getäuscht.
({1})
Es ist auch eine Folge Ihrer Politik, wenn eine Mehrheit
der Bevölkerung inzwischen kein Vertrauen mehr in
die Demokratie hat.
Vor kurzem beklagte der Vizekanzler, Franz
Müntefering, mit Tränen in den Augen, es sei doch unfair, dass die Wählerinnen und Wähler die CDU/CSU
und die SPD an ihren Wahlversprechen messen. - Woran
sonst sollen die Wählerinnen und Wähler Sie denn messen, wenn nicht an den Wahlversprechen?
({2})
Sie sind doch gerade für Ihre Wahlversprechen gewählt
worden. Die SPD zum Beispiel ist auch deshalb gewählt
worden, weil sie die Mehrwertsteuererhöhung als unwirtschaftlich und unsozial abgelehnt hat.
Die Halbwertszeit der Wahlversprechen ist offenkundig so niedrig wie nie zuvor. Schon der Koalitionsvertrag ist eine Ansammlung unverbindlicher Absichtserklärungen und diverser Prüfaufträge, die die FDP mit
ihrer Großen Anfrage hier nun auf den Prüfstand gestellt
hat.
({3})
Wie weit ist die Bundesregierung ein Jahr nach der Wahl
tatsächlich gekommen? Die Antworten geben ein beredtes Zeugnis für das Nichthandeln der Regierung. Die
Bundesregierung prüft und prüft und prüft in der Hoffnung, dass darüber die Legislaturperiode vorübergeht.
Die Antwort auf die Große Anfrage beweist auch,
dass diese Regierung konzeptionslos ist bzw., wie es
Herr Rüttgers, der Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, formuliert hat
({4})
- er gehört, glaube ich, der CDU an -, dass die Regierung derzeit keine gemeinsame Leitidee habe und sich
schwer tue, ihrem Regierungshandeln eine klare Kontur
zu geben. Es gebe kein großes Ziel. - Wo er Recht hat,
hat er Recht.
({5})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Olaf Scholz?
Gerne.
({0})
- Für die Aufklärung von Herrn Scholz ist das wahrscheinlich nötig.
Frau Kollegin, war das eben ein Koalitionsangebot an
Herrn Rüttgers?
({0})
Da es nach wie vor genug Unterschiede zwischen
Herrn Rüttgers und der Linken gibt, war das selbstverständlich kein Koalitionsangebot. Aber ich finde, das
wirksamste Argument ist immer noch, jemanden mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Da Herr Rüttgers sehr
gut über die Koalition - insbesondere über die CDU Bescheid weiß, sollte man ihn auch ab und zu als Autoritätsbeweis heranziehen. Vielen Dank, Herr Kollege
Scholz.
Dass die Regierungskoalition konzeptionslos ist, ist
auch die Auffassung der Linken. In einem Punkt ist die
Regierung allerdings sehr konsequent und ideenreich,
und zwar beim weiteren Abbau des Sozialstaates. Sie
missbrauchen Ihre satte Mehrheit, um den Bürgerinnen
und Bürgern immer unverschämter in die Tasche zu greifen.
({0})
Dazu hat der Kollege Meister zum Beispiel gar nichts
gesagt. Ich erinnere nur an die Kürzung der Pendlerpauschale und des Sparerfreibetrages, weitere Nullrunden
für Rentnerinnen und Rentner, die de facto Rentenkürzungen bedeuten, oder die Rente mit 67 - sie ist im Ergebnis ebenfalls eine Rentenkürzung -, steigende Beiträge für Krankenversicherung und Rentenversicherung,
die für das kommende Jahr angekündigt sind, die Verschärfung der Hartz-IV-Regelungen und die Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte, die offensichtlich
ein Wahlbetrug ist.
Sie verschärfen die soziale Schieflage in rasantem
Tempo. Die Schere zwischen Einkünften aus privatem
Vermögen einerseits und Löhnen und Gehältern andererseits wird immer größer. Zugleich steigen die Managergehälter in astronomische Höhen, bei der Deutschen
Post zum Beispiel um 18 Prozent, bei Eon um
63 Prozent und bei der Commerzbank sogar um
187 Prozent. Die geplante Unternehmensteuer bringt den
Großunternehmen weitere Geschenke in einer Größenordnung von 29 Milliarden Euro im Jahr. Die Realeinkommen sinken hingegen.
Inzwischen leben 10 Millionen Menschen in Armut
- darunter sind 2,5 Millionen Kinder -; die Existenzunsicherheit nimmt in immer größeren Teilen der Bevölkerung zu.
Zu all dem haben Sie nichts gesagt, Herr Meister.
Nach all dem hat aber auch die FDP nicht gefragt.
Ich habe am Anfang von enttäuschten Hoffnungen gesprochen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
FDP, an dieser Stelle haben auch Sie mich enttäuscht.
Ich hatte die leise Hoffnung, dass sich die FDP irgendwann doch noch zu einer akzeptablen Opposition entwickelt. Diese Hoffnung haben Sie mit Ihrer Großen Anfrage leider enttäuscht. Sie sind wirklich nur eine
Regierung im Wartestand; das ist schade.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Olaf Scholz für die
SPD-Fraktion.
({0})
Meine Damen und Herren! Es ist manchmal wichtig,
dass diejenigen, die noch etwas zu lernen haben, zuhören. Das sind heute die Abgeordneten der FDP.
({0})
Ich bedanke mich daher für ihr zahlreiches Erscheinen.
({1})
Sie haben nun Gelegenheit, von den Erfahrungen zu profitieren, die viele Menschen mit der Arbeit der Regierung seit der Neuwahl machen konnten.
Die Große Anfrage bietet uns eine gute Gelegenheit
- sie ist wohl die Fleißarbeit eines Sachbearbeiters der
FDP, der sich den Koalitionsvertrag der Regierungsparteien sehr sorgfältig durchgelesen hat -,
({2})
einmal auf den Feldherrnhügel hinaufzusteigen und sich
die Landschaft anzuschauen. Es zeigt sich, dass jenseits
des Tagesgetümmels viele Reformen zustande gekommen sind bzw. auf den Weg gebracht wurden. In diesem
Lande bewegt sich etwas. Die große Koalition wird ihrem Auftrag und ihren selbst gesteckten Zielen gerecht.
Da einige Punkte noch nicht fertig bearbeitet sind, haben wir ein gutes Programm bis 2009. Auch das ist
vielleicht eine interessante Botschaft: Diese Koalition
hat nicht ein Arbeitsprogramm für ein, zwei Jahre vorgelegt, sondern ein Regierungsprogramm, das bis zum
Ende dieser Legislaturperiode reicht
({3})
und das uns die Chance verschafft, Jahr für Jahr, Halbjahr für Halbjahr, Monat für Monat dazu beizutragen,
dass Fortschritte in der Gesetzgebung dieses Landes zustande kommen.
Weil es keinen Sinn macht, in politischen Debatten
ständig das zu wiederholen, was andere gesagt haben,
verweise ich Sie zunächst auf die Rede meines Unionskollegen. Er hat in seiner schnellen Rede unglaublich
viele Einzelmaßnahmen aufgezählt, die wir schon durchgeführt haben. Eigentlich müsste er Sie sehr beeindruckt
haben.
({4})
- Das habe ich gehofft. Ich muss Ihnen ehrlich sagen,
dass das auch hilfreich wäre; denn während Herr
Brüderle eine etwas wolkige Rede gehalten hat, die genauso gut zu jedem anderen Tagesordnungspunkt gepasst hätte und in der er einfach das gesagt hat, was er
schon immer sagen wollte, ist der Kollege von der Union
konkret geworden, und die Wahrheit ist eben konkret.
({5})
- Den Karnevalswitz sollten wir noch einmal laut sagen:
So wie Rainer kann es keiner!
Ich will auf das eingehen, was aus meiner Sicht in der
Arbeit des abgelaufenen Jahres bemerkenswert war. Zuerst haben wir eine ganze Reihe von Steuervergünstigungen abgebaut. Das finde ich deshalb bemerkenswert,
weil die Wirklichkeit unseres Landes ja wie folgt aussieht: Diejenigen, die sich länger damit beschäftigen,
wissen, dass es ein ganzes Bündel von Steuervergünstigungen gibt, die - so wird es von allen ständig gefordert - abgeschafft werden müssten. Aber die politische
Wirklichkeit in diesem Land, das Zusammenspiel von
Bundestag und Bundesrat sowie das Zusammenspiel von
Regierung und Opposition, hat dazu geführt, dass tiefere
Einsichten, die parteiübergreifend in diesem Hause vorhanden sind, nicht Gesetzeswirklichkeit werden konnten. Der ehemalige Finanzminister Eichel kann ein Lied
davon singen, wie viele seiner Initiativen gescheitert,
nun aber Gesetzesrealität sind. Dieses Beispiel ist ein
Beleg dafür, dass es doch einen weit über parteipolitische Auseinandersetzungen hinausgehenden Konsens
gibt. Eine Aufgabe der großen Koalition ist, die Gelegenheit zu nutzen und manche Dinge endgültig außer
Streit zu stellen.
Ich will das an einem Einzelbeispiel aus dem Themenbereich Steuervergünstigungen belegen.
Es gibt kaum Fachleute außer sehr interessierten Lobbyisten, die sich nicht schon seit Jahren darüber einig
waren, dass die Eigenheimzulage eine teure und überflüssige Subvention war. Es hat aber wahrscheinlich in
diesem Hause kaum einen Politiker und kaum eine Politikerin gegeben, die geglaubt haben, dass man sie jemals
abschaffen kann. Dieses fatalistische Gefühl, das die Politikerinnen und Politiker, die Journalisten, aber auch die
Wählerinnen und Wähler begleitet, nämlich dass es eigentlich richtig wäre, etwas zu tun, das aber nicht geschieht, weil sich etwas verhakt, ist nicht gut für die demokratische Entwicklung und für den Fortschritt in
unserem Land. Insofern bin ich sehr froh, dass wir so
eine Maßnahme zustande gebracht haben, und ich bin
sehr froh darüber, dass wir das mit der großen Koalition
bewältigt haben.
Dieser Abbau von Steuervergünstigungen wird auch
weiter einen Beitrag dazu leisten, dass wir mit unserem
Haushalt besser zurechtkommen. Auch das zeichnet sich
ab.
Zu den Dingen, die wir bereits gemacht haben, gehören auch eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Belebung der Wirtschaftstätigkeit.
({6})
Da gibt es sehr viel. Eine Maßnahme, die sich als großer
Renner erwiesen hat, will ich herausgreifen: die Möglichkeit der steuerlichen Absetzbarkeit von Handwerkerdienstleistungen in Privathaushalten. Das ist
aus meiner Sicht eine gute Unterstützung. Damit kommen wir weg von der Schwarzarbeit und hin zu einer regulären Tätigkeit und tragen zur Belebung der wirtschaftlichen Entwicklung bei. Ich bin viel skeptischer
gegenüber Subventionen eingestellt als mancher in der
FDP.
({7})
Aber ich bin fest davon überzeugt, dass man in bestimmten Situationen durch einen Anreiz eine Entwicklung auf
den Weg bringen kann, die weit über die direkt dafür
eingesetzten Mittel hinaus wirkt. Hier geht es darum,
vielen Leuten deutlich zu machen, dass es möglich, richtig und sinnvoll ist, Handwerker mit regulären Arbeiten
zu beauftragen, anstatt Schwarzarbeiter zu beschäftigen.
Damit ist nicht nur ein Lerneffekt, sondern auch ein
wirtschaftlicher Effekt verbunden. Beide Effekte gehen
weit über die unmittelbare Unterstützung hinaus. Ich
hoffe für das deutsche Handwerk und für den deutschen
Mittelstand, dass das diese Auswirkungen hat. Ich lerne
übrigens auch jeden Tag, dass mancher Handwerker bei
Gelegenheit eines Auftrages nun beweisen kann, dass
seine Arbeit so teuer, wie manche Politiker es darstellen,
gar nicht ist und dass man sie sich eigentlich auch ohne
Subventionen leisten könnte.
Das Gleiche gilt für die Maßnahmen zur Gebäudesanierung, die wir unterstützt haben. Auch die gehen in
die richtige Richtung und haben einen Effekt, der weit
über die unmittelbare Unterstützung hinausgeht. Das
trägt dazu bei, dass die Menschen in ihr unmittelbares
Lebensumfeld und in ihr Eigentum etwas investieren,
was für die Zukunft unseres ganzen Landes von zentraler
Bedeutung ist. „Richtig gemacht“, das ist ein guter Bericht über die Arbeit der großen Koalition.
Ein anderes Thema, anhand dessen ich exemplarisch
zeigen kann, dass wir etwas zustande bringen, ist die
Einführung des Elterngelds.
({8})
Ich will das deshalb sagen, weil auch damit der Erfolg
dieser Koalition bewiesen worden ist. Es geht ja bei vielen Themen nicht nur darum, etwas technisch richtig zu
machen und eine kluge Regelung zu finden.
({9})
Das haben wir getan. Es geht manchmal auch darum,
ideologische Gräben, Gegensätze, die gar nicht sachlich
begründet sind und die verhindern, dass man das Notwendige tut, zu überwinden. So sehr es dem einen oder
anderen in meiner Partei schwer fällt, zu erleben, dass
gute Vorschläge, die in unserer Partei schon lange diskutiert worden sind, nun auch von einer Ministerin unseres
Koalitionspartners richtig gefunden werden, so sehr ist
das ein großer Erfolg, und zwar nicht für die SPD, sondern für unser Land. Denn es wäre hinderlich, wenn es
wegen eines vermuteten und eigentlich 20 Jahre alten
parteipolitischen Konflikts nicht gelänge, Erfolge für die
Menschen und für die Familien zu erreichen, die sich der
modernen Lebenswirklichkeit unseres Landes anpassen. Das ist uns gelungen und wir haben da manche
Grenzen überschritten. Unabhängig von dieser konkreten Reformleistung wird das bei den Menschen darüber
hinaus dazu beitragen, dass sie sich auf die neue Lebenswirklichkeit einstellen. Wir sind mittlerweile von Nord
bis Süd bereit, die Lebenswirklichkeit moderner Familien zu akzeptieren. Da geht es nicht nur um Elterngeld,
sondern auch um Krippen, um Kindergärten, Ganztagsschulen usw. Das wird jetzt ganz anders diskutiert als
noch vor zehn Jahren. Da hat die Koalition für das Land
inhaltlich und konzeptionell einen Fortschritt über das
hinaus erreicht, was wir technisch getan haben.
({10})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Ja.
Herr Scholz, Sie haben gerade von den Krippenplätzen gesprochen. Meine Frage betrifft das Elterngeld, das
jetzt nur für ein Jahr gezahlt wird - ohne die Anschlussbetreuung von Kindern. Diese durch den Bund mitzufinanzieren, lehnen Sie permanent - da sind Sie sich einig in der Koalition - ab. Denn die 1,5 Milliarden Euro
aus der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, die den Kommunen zur Verfügung stehen sollten,
haben Sie bisher nicht den Kommunen gegeben. Insofern vermisse ich, dass der, der die Musik bestellt, auch
bezahlt.
Sie sprechen vom Erfolg des Elterngeldes. Ich höre
aber Frauen, die fragen, wo die Anschlussbetreuung
bleibt, da ohne sie das Elterngeld nur ein nettes Starterpaket für Familien sein würde. Den Erfolg, den wir alle
- auch die FDP - mit dem Elterngeld erreichen wollen,
werden Sie dann nicht haben. Es wird Sie wie ein Bumerang treffen, wenn Sie den Kommunen nicht sehr schnell
Geld geben, um diese Anschlussbetreuung zu organisieren. Und sagen Sie mir jetzt bitte nicht, das sei nur eine
Aufgabe der Kommunen.
Verehrte Frau Kollegin, die Musik bestellen nicht der
Bund, die Länder oder die Kommunen, sondern - gestatten Sie mir den Hinweis auf unsere Staatsverfassung die Wählerinnen und Wähler. Die haben eine andere Politik in diesem Land bestellt, und zwar mit einer sehr klaren Perspektive. Ihnen ist es nämlich völlig egal, ob nun
gerade die Gemeinden oder die beiden Staatsebenen
- also die deutschen Länder oder der Bundesstaat - zuständig sind. Sie sagen: Ihr müsst das gemeinsam hinkriegen.
Was wir nach der Föderalismusreform noch verstehen
und hinbekommen müssen, ist, dass es nationale Debatten zu Fragen, die uns alle angehen und bei denen wir
alle etwas Richtiges und Neues für das Land machen
müssen, gibt, die aber nicht von der einen Ebene auf
Kosten der anderen Ebene gelöst werden können. Bei
diesen Aufgaben ist vielmehr eine gemeinsame Anstrengung, ein Zusammenarbeiten notwendig, nicht aber, mit
dem Finger auf andere zu zeigen.
Deshalb ist es ein sehr guter Einfall des Bundes - der
letzten Regierung sowie der jetzigen, die daran festhält gewesen, den Gemeinden 1,5 Milliarden Euro zu geben,
damit sie eine ihrer originären Aufgaben neu beginnen
können. Aber es bleibt dabei, dass nicht die bösen Bundestagsabgeordneten oder die Ministerpräsidenten, sonOlaf Scholz
dern die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen, die gewählt werden wollen, von den Wählerinnen und
Wählern in Zukunft mit anderen Fragen als früher konfrontiert werden. Die Wähler werden fragen, wieso es
nicht längst so ist, wie es sein sollte, nämlich dass wir
eine flächendeckende Kinderbetreuung in den Gemeinden, so wie Eltern sie wollen, haben. Das ist meine
Antwort auf Ihre Frage.
({0})
Meine Damen und Herren, wir haben - das ist eine
gute Anknüpfung an dieses Thema - eine Föderalismusreform zustande gebracht, an die viele nicht mehr
geglaubt haben. Ich will das deshalb beschreiben, weil
ich meine, dass sie viel erfolgreicher ist, als es in dem
Diskussionsprozess und in den angestrengten Debatten
zu der Zeit, als sie beschlossen wurde, wahrgenommen
worden ist. Der Bund kann mittlerweile viele Gesetze in
eigener Verantwortung machen. Das erleben wir jetzt
etwa bei der Diskussion um die Gesundheitsreform. Es
ist nicht der Bundesrat, der die Regierung aufhalten
kann. Es sind höchstens Politiker, die in Parteivorständen Einfluss haben. Das hat eine andere Qualität, als
wenn sie auf die institutionelle Macht in einem Verfassungsorgan verweisen könnten.
({1})
Das Gleiche gilt für viele andere Dinge. Sowohl das anfangs der letzten Regierungsperiode auf den Weg gebrachte Staatsbürgerschaftsrecht als auch die Gesundheitsreformen der letzten Legislaturperiode könnten
nach der Reform der Staatsverfassung vom Bund allein
beschlossen werden, ohne dass ihn jemand dabei aufhalten könnte.
Insofern glaube ich, dass wir das erreicht haben, was
die Bürgerinnen und Bürger von uns erwarten. Sie erwarten nicht, dass wir uns das Leben leichter machen,
dass wir mit weniger Leuten verhandeln müssen und
dass die Nächte nicht mehr so lang werden. Das klappt ja
- wie man sieht - ohnehin nicht. Sie erwarten, dass wir
einen Weg aus der Situation finden, in der man nicht
mehr überschauen kann, wer es überhaupt war, der da etwas richtig oder falsch gemacht hat, und in der keiner
von uns mehr erklären kann, wer von der Regierung, der
Opposition, den Ländern und dem Bundestag eigentlich
welchen Anteil an Gesetzen hat.
Das ist anders geworden. Das ist ein großer Fortschritt. Langfristig werden die Auswirkungen noch viel
größer sein als das, was durch die Reform der Institutionen selber erreicht worden ist. Darüber hinaus wird die
Politik verständlicher und damit akzeptabler sein. Das
sind wir als Demokraten der Demokratie und den Menschen in unserem Lande schuldig.
({2})
Es ist wichtig, dass wir die Föderalismusreform II
- sie betrifft die Finanzverfassung von Bund und Ländern - durchführen. Wir werden dazu demnächst eine
Arbeitsgruppe von Bund und Ländern einsetzen. Ich will
Ihnen sagen: Ich möchte, dass diese Arbeitsgruppe erfolgreich ist. Diese Koalition hat in diesem Parlament
eine Mehrheit, die Verfassungsänderungen möglich macht.
Auch aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat
sind Verfassungsänderungen möglich. Dies sollte genutzt
werden, um eine Reform zustande zu bringen, durch die
den Ländern mehr Verantwortung für das, wofür sie selber zuständig sind, zukommt, ohne dass die in der deutschen Finanzverfassung verankerte Solidarität zwischen
Bund und Ländern und den Längern untereinander aufgegeben wird. Diese Aufgabe ist schwierig, aber lösbar. Wir
wollen sie jetzt anpacken.
({3})
Die letzte größere, schon auf den Weg gebrachte Reform, die ich ansprechen will, ist die Reform des Gesundheitswesens.
({4})
Es läuft auch da anders, als Ihre Große Anfrage - Stichwort „Prüfplanung“ - nahe legt. Schaut man sich Ihre
Große Anfrage an, stellt man fest, dass ein großer Teil
der Fragen die Gesundheitsreform betrifft. Um Ihre Fragen beantwortet zu finden, brauchen Sie nur den Gesetzentwurf zu lesen. Das heißt, dieser Koalition ist es gelungen, Lösungen für eine ganze Zahl von schwierigen
Problemen zu finden.
Ich will nicht behaupten, dass diese Lösungen identisch mit den möglichen Beschlüssen eines SPD-Parteitages sind. Auch behauptet niemand, dass diese Lösungen identisch mit den möglichen Beschlüssen eines
CDU- oder eines CSU-Parteitages sind. Das kann man
nicht behaupten. Aber das erwartet auch niemand von
uns. Vielleicht ist es gut, dass wir die Wahrheit ausplaudern: Es ist nicht so, dass sich die Parteien in diesem
Lande immer ähnlicher werden und dass sie gar nicht
mehr unterscheidbar sind. Das wird im Hinblick auf die
FDP, die Union, die Grünen, uns und gelegentlich sogar
die PDS behauptet. Über alle wird gleichmacherisch sozusagen ein und dieselbe Soße gegossen. Wer das tut,
wird der Wirklichkeit nicht gerecht.
Dass es so nicht ist, heißt aber nicht, dass wir wegen
unterschiedlicher Ausgangspunkte keine gemeinsamen
Ergebnisse erzielen könnten. Das zu glauben, ist eine völlig undemokratische Vermutung. Es gibt nichts, was im
Geheimen vorab als richtig gilt. Es gibt nicht irgendeinen
richtigen Geheimplan, den irgendjemand versteckt. Koalitionsentscheidungen sind immer das Ergebnis einer demokratischen Debatte, einer Auseinandersetzung und eines Konsenses. Einen solchen Konsens haben wir erzielt,
im Übrigen gegen den heftigen Widerstand der anfragenden FDP.
Gerade unsere Lösung bedeutet mehr Markt, mehr
Wettbewerb unter den Leistungsanbietern und damit
günstigere Preise für das, was die Versicherten brauchen.
Eine der interessantesten Beobachtungen, die man auf
diesem Feld macht, ist, dass diejenigen, die das Wort
„Wettbewerb“ im Munde führen, immer den Wettbewerb
der Versicherten untereinander meinen. Allerdings sollte
es im Gesundheitswesen nicht um diesen Wettbewerb
gehen, sondern um den Wettbewerb um die besten Leistungen für die Versicherten, und das bei vernünftigen
Preisen.
Da sind wir einen ganz erheblichen Schritt vorangekommen. Auch das ist eine Leistung dieser Koalition.
Ich denke, die vorzulegende Bilanz ist gut. Die Anzahl
der Koalitionsredner in dieser Debatte wird nicht ausreichen, auf alle Einzelheiten einzugehen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Matthias Berninger
für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn
man den Rednern der großen Koalition in dieser Debatte
aufmerksam gelauscht hat, dann hat man festgestellt,
dass sie reden, als befänden sie sich im letzten Regierungsjahr: Heute waren eine ganze Menge Durchhalteparolen zu hören.
Die Große Anfrage der FDP, die zu der heutigen Debatte geführt hat, zeigt - wenn man sich die Prüfaufträge
anschaut, die die große Koalition sich selbst ins Stammbuch geschrieben hat -, dass diese große Koalition nicht
nur eine schwere Prüfung für unser Land, sondern auch
für die Ministerien ist. Zwei Drittel der Prüfaufträge sind
alles andere als abgearbeitet. Da gibt es noch reihenweise offene Fragen. Ich fürchte, dass Ihnen auch vor
dem Hintergrund der Wahlen im Jahr 2008 die Zeit ein
wenig davonläuft, wenn es darum geht, auf Basis der
Prüfergebnisse noch Reformen voranzubringen. Angesichts Ihrer Bilanz ist das aber eher eine hoffnungsfrohe
Nachricht für die Bürgerinnen und Bürger in diesem
Land.
({0})
Der Kollege Meister, der einen anderen Termin hat
und deswegen den Saal verlassen musste, hat davon geredet, wie erfolgreich die große Koalition in der Finanzpolitik ist. Eine solche Rede hätte er in der Opposition
nicht nur nicht gehalten, sondern sogar mit heftigsten
Zwischenrufen kritisiert.
Die große Koalition hat es geschafft, im Rahmen der
Bereinigungssitzung am gestrigen Abend die Nettoneuverschuldung um sage und schreibe 11 Milliarden Euro
zurückzuführen. Das ist eine gute Nachricht; darüber hat
Herr Meister geredet.
({1})
Dummerweise hat er das Zweite zu sagen vergessen,
nämlich dass dem fast 18 Milliarden an Privatisierungserlösen und zusätzlichen Steuereinnahmen gegenüberstehen. Ich bin zwar nur nordhessischer Gesamtschüler,
aber ich sehe darin, wenn ich das zusammenrechne, ein
erhebliches Ausgabenwachstum.
Das ist das eigentliche Problem von Ihnen in der großen Koalition: Sie können Steuern erhöhen, Sie können
die Ausgaben wachsen lassen; wenn dann zusätzlich
Geld in die Kasse kommt, geben Sie auch das noch aus.
Sie machen das Gegenteil von nachhaltiger Finanzpolitik. - Die Union hätte das in ihren besten Zeiten heftig
kritisiert.
({2})
In die gleiche Richtung geht Folgendes: Es herrscht
Konsens darüber, dass die Arbeitskosten in Deutschland
zu hoch sind und die zu hohen Arbeitskosten, vor allem
im Bereich der schlechter bezahlten Jobs, in dem Bereich also, wo die Arbeitslosigkeit in Deutschland am
größten ist, eines der Haupthindernisse dafür sind, dass
neue Arbeit entsteht. Da prahlt man, wie schön man es
geschafft habe, den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung zu senken. Ja, das haben Sie geschafft, finanziert teilweise durch eine Mehrwertsteuererhöhung und
teilweise dadurch, dass aufgrund der guten konjunkturellen Lage sich die Einnahmebasis der Arbeitslosenversicherung gebessert hat. Ich finde aber, dass eine große
Koalition groß genug sein müsste, hier zu sagen, dass sie
den Beitragssatz zur Rentenversicherung erhöht und
dass sie trotz der ach so tollen Gesundheitsreform auch
den Beitragssatz zur Krankenversicherung erhöht, während gleichzeitig die Leistungen für die Bürgerinnen und
Bürger zurückgehen. Das wäre redlicher.
Sie haben es mitnichten geschafft, das Problem der
hohen Lohnnebenkosten zu lösen, und damit haben Sie
eine der Schlüsselbedingungen für die Schaffung neuer
Arbeit in Deutschland bisher nicht erreicht. Reden Sie
sich die Sache nicht schöner, als sie ist! Schlimm wäre es
nämlich, wenn Sie an das, was Sie hier an tollen Botschaften von sich gegeben haben, auch tatsächlich glauben würden.
Ich bin sehr dankbar dafür, dass das Thema „Wettbewerb im Gesundheitswesen“ angesprochen wurde. Die
große Koalition hat da in manchen Bereichen etwas geschafft. Sie von der großen Koalition haben es aber nicht
geschafft, das Thema „Kassenärztliche Vereinigung“ in
den Griff zu bekommen. Das liegt weniger an der SPD
als an der CDU/CSU, wenn ich mich an die Koalitionsverhandlungen richtig erinnere. Sie haben es nicht geschafft, die Stelle, wo „Mittelalter“ und „Mittelstand“
miteinander verwechselt werden, im Sinne von „Mehr
Freiheit wagen“ in den Griff zu bekommen, nämlich die
Privilegien der Apothekerinnen und Apotheker abzubauen. Es ist doch ein Irrsinn, dass wir in Deutschland
im Jahr 2006 vorschreiben, man dürfe nicht mehr als
vier Apotheken besitzen und Apotheken dürften auch
nicht in Fremdbesitz sein.
({3})
Das ist übrigens auch die Stelle, wo ich von der FDP
immer eine Lektion in Marktwirtschaft bekomme nach
dem Motto: Wir kennen uns mit der Marktwirtschaft aus.
Deswegen sind wir an der Stelle gegen Wettbewerb. Matthias Berninger
Ich glaube auch, dass das ein Problem Ihres Antrags ist;
darüber müssen wir ebenfalls reden.
({4})
Die Lösungen, die Sie in Ihrem Antrag präsentieren,
muten den Menschen etwas zu. Sie sagen: Der Kündigungsschutz muss weg.
({5})
Sie sagen: Wir müssen generell in vielen Bereichen den
Menschen mehr zumuten. - Was mir auffällt, ist, dass
Sie Ihre recht lange Zeit in der Opposition bisher nicht
dazu genutzt haben, auch an den Stellen, wo die Privilegien Ihrer Klientel betroffen sind, Wettbewerb mit dem
gleichen Impetus einzufordern, wie Sie das bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in schöner Regelmäßigkeit tun.
({6})
Das ist auch ein Punkt, wo die FDP überlegen sollte, ob
das der Glaubwürdigkeit ihrer Position zuträglich ist.
In dem FDP-Antrag gibt es einen Hinweis, den ich
sehr positiv finde. Er hat etwas mit der aktuellen Diskussion in der Union zu tun. Zwei Ministerpräsidenten haben sich in die sozialpolitische Debatte eingemischt: Der
eine, Herr Rüttgers, ist sozusagen dabei, die schlechten
Tugenden der alten SPD auf die nordrhein-westfälische
CDU und möglicherweise auf die Bundes-CDU zu übertragen. Sein Sozialstaatskonzept orientiert sich an dem
dauerhaft beschäftigten, 40 Jahre Beiträge in die Versicherung einzahlenden männlichen Normalerwerbstätigen. Wir wissen, dass es viele Jahre gedauert hat, die
Grundpfeiler der deutschen Sozialpolitik von dieser Vorstellung hin zu einer stärkeren Abbildung der Realität in
unserem Lande, die geprägt ist von einer Vielfalt der sozialen Probleme, zu verschieben. Herr Rüttgers dagegen
hält an der alten Vorstellung fest und setzt sich deswegen
heftig dafür ein, dass das Arbeitslosengeld I der beschriebenen Gruppe länger gewährt wird. Wenn die
Union nun beschließen sollte, diesen Vorschlag aufkommensneutral umzusetzen, dann muss sie ehrlicherweise
auch sagen, dass anderen entsprechend Geld weggenommen wird. Ich bin froh, dass die SPD diesen Populismus
nicht mitmacht; ich hoffe, dass sie das auch durchhält.
Ich bin aber sehr verwundert, wie weit die Sozialdemokratisierung der Union - im schlechten Sinne - schon
vorangeschritten ist. Das sieht man daran, dass es gegen
die Vorschläge von Herrn Rüttgers wenig Widerstand
gibt.
Der andere Ministerpräsident, den ich meine, ist Herr
Althaus. Er hat für meine Begriffe den mutigsten sozialpolitischen Vorschlag der letzten Jahre in die sozialpolitische Debatte eingebracht, indem er für die Einführung
eines Grundeinkommens, eines Bürgergeldes oder wie
man dies auch nennen mag, eingetreten ist,
({7})
das heißt für eine enorme Vereinfachung der Gewährung
von Sozialleistungen und für Bürokratieabbau. Er gibt
damit eine Antwort auf die Frage, wie wir es schaffen,
für Menschen, die auf die Unterstützung des Staates angewiesen sind, eine ausreichende Grundsicherung zu
gewährleisten, die gleichzeitig genügend Anreize zur
Arbeitsaufnahme enthält. Heute muss jemand, der Arbeitslosengeld II bekommt, von jedem Euro, den er dazuverdient, 80 bis 90 Cent an den Staat abliefern. Wenn
das jemand von uns machen müsste, hätte er sofort Verständnis für Schwarzarbeit. Es ist doch klar, dass ein solches System den Leuten keinen ausreichenden Anreiz
gibt, etwas hinzuzuverdienen.
({8})
Was mich ärgert, ist, dass es die große Koalition nicht
schafft, eine sozialpolitische Diskussion über diese
Frage zu führen.
Auch im Bereich des Niedriglohns kommt sie nicht
voran. Wenn man da etwas machen wollte, müsste man
das ehrlicherweise mit der Einführung von Mindestlöhnen verbinden. Wenn der Staat den Menschen mit
niedrigen Einkommen durch Aufstockung der staatlichen Hilfe Beschäftigung leichter ermöglichen will,
dann muss er auch dafür Sorge tragen, dass nicht einige
Arbeitgeber, nämlich die unverantwortlich handelnden,
über ein entsprechendes Dumping die Löhne immer weiter nach unten treiben. Deshalb hängt eine Diskussion
über Mindestlöhne eng zusammen mit der Diskussion,
wie im Niedriglohnbereich neue Jobs geschaffen werden
können. Die große Koalition schafft es nicht, hierfür einen konsistenten Vorschlag zu machen. Ich finde, die
Union sollte ihre Blockadehaltung gegenüber Mindestlöhnen überdenken; denn ohne diese wird man einen
Niedriglohnbereich nicht vernünftig unterstützen können.
Zum Abschluss möchte ich auf einen Punkt hinweisen, der von der großen Koalition sang- und klanglos beerdigt wurde, wodurch diesem Land erhebliches Zukunftspotenzial geraubt werden wird: Im Jahr 2005 sind
in Deutschland über 150 000 Menschen mit hoher Qualifikation ausgewandert und ganze 900 Menschen, also
weniger als 1 000, mit hoher Qualifikation eingewandert. Die Koalition hat sich ja zum Ziel gesetzt, die Bedingungen für die Einwanderung von Hochqualifizierten zu verbessern. Aber die Arbeitsmarktprotektionisten
auf der einen Seite, also die alten Kader im Arbeitsministerium, und die nicht ganz so für Einwanderung eingestellten Teile der Unionsfraktion auf der anderen Seite
haben dieses Projekt sang- und klanglos beerdigt und
fordern stattdessen, dass dafür gesorgt werden muss,
dass nicht so viele Menschen auswandern. Viele junge,
aber auch viele ältere Leute mit hoher Qualifikation arbeiten wegen der Globalisierung und Europäisierung unserer Wirtschaft zeitweise im Ausland und nicht deswegen, weil es ihnen hier so schlecht gefällt. Unser
Problem ist also vielmehr, dass wir zu wenige Hochqualifizierte aus anderen Ländern dazu bewegen, in unserem
Land zu arbeiten. Daran könnte die große Koalition etwas ändern, wenn sie das Problem beherzt anginge.
Stattdessen hat sie entsprechende Vorhaben in Form von
Formelkompromissen beerdigt. Das wird dem Land
langfristig schaden.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Hans-Peter
Friedrich für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind, Herr Brüderle, immer gerne bereit, Anregungen, konstruktive Kritik, Vorschläge und Argumente
der Opposition aufzugreifen. Leider war heute in Ihren
Redebeiträgen nicht viel Konstruktives feststellbar.
Eine Kritik, Herr Brüderle, will ich besonders zurückweisen, nämlich dass unsere Entscheidungsprozesse zu
lang dauerten, zu zäh und zu umständlich seien. Das unterscheidet uns, die Volksparteien CDU, CSU und SPD,
eben von Klientelparteien. Jeder, der sich in seiner
Nachbarschaft, seinem Freundes- und Bekanntenkreis
umschaut, weiß und spürt, dass es viele verschiedene Interessen in diesem Lande gibt, die sich häufig widersprechen. Wir als Volksparteien haben die Aufgabe, eine
große Integrationsleistung zu erbringen und all diese
Gruppen zusammenzuführen und die Konflikte, die sich
in der Gesellschaft auftun, zu lösen. Demokratie ist mühsam; aber die Mühe lohnt sich und wir stellen uns ihr.
Deswegen akzeptiere ich die Kritik, dass alles zu lange
dauere, überhaupt nicht. Es geht darum, soziale Spannungen auch innerhalb der Gesellschaft zu vermeiden.
({0})
Sie haben vorhin dazwischengerufen, der Staat
schaffe keine Arbeitsplätze. Richtig. Ebenfalls richtig ist
die Analyse, die Sie in Ihrem Antrag aufgegriffen haben
- und die schon seit Jahrzehnten in diesem Land von allen gepredigt wird -, dass wir eine strukturelle Beschäftigungskrise haben. Es ist Aufgabe des Staates und der
Politik, diese strukturelle Beschäftigungskrise zu beseitigen. Aber auch das ist nicht mit einem Federstrich möglich, sondern das muss ganz mühsam Schritt für Schritt
mit vielen kleinen Stellschrauben bewältigt werden.
Darüber ist viel geredet worden, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Frage, ob es im Wandel von der Industriegesellschaft zu einer Dienstleistungsgesellschaft
nicht genügend Beschäftigungsmöglichkeiten im Dienstleistungsbereich gibt, in Privathaushalten beispielsweise,
bei der Kinderbetreuung. Wir reden nicht nur darüber;
seit dem 1. Januar dieses Jahres sind die Betreuungskosten für Kleinkinder von der Steuer absetzbar,
({1})
natürlich nur teilweise, gedeckelt, weil die finanziellen
Möglichkeiten begrenzt sind. Aber der Einstieg in eine
Beschäftigungsmöglichkeit in diesem Bereich ist geschafft; darum geht es. Wir entlasten die Bürger von
Kosten, wir schaffen neue Arbeitsplätze in diesem Bereich und wir tun etwas für die Familien. Das ist eine
hervorragende Möglichkeit.
Kollege Scholz hat es schon angesprochen: Jahrelang
ist in diesem Land darüber diskutiert worden, was wir
gegen die Schwarzarbeit tun können. 16 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes werden in der Schwarzarbeit,
vorbei an den Sozialkassen, erwirtschaftet. Gefordert
wurde, dass die Handwerkerrechnungen absetzbar gemacht werden. Jetzt ist das unter der Regierung der großen Koalition vollbracht worden. Wir haben den Einstieg in die Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen,
von Arbeitskosten im Handwerkerbereich für die Beschäftigung im eigenen Haus und in der eigenen Wohnung geschafft. Das ist natürlich - ich verstehe Ihre Aufregung - teilweise gedeckelt; aber der Einstieg ist
geschafft. Es geht um das Prinzip.
Ich glaube daher, dass es gerechtfertigt ist, zu sagen,
dass hier ein Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen
in diesem Lande geleistet worden ist. Wir stellen fest,
dass die Bauwirtschaft das erste Mal seit vielen Jahren
wieder einen Aufschwung zu verzeichnen hat. Das ist
eine Trendwende. Wir wissen, dass das immer ein Zeichen für Optimismus ist; denn die Bauwirtschaft ist die
Konjunkturlokomotive. Wenn gebaut wird, spiegelt das
auch einen gewissen Optimismus der Menschen, eine
Zukunftshoffnung wider, die auch auf den politischen
Verhältnissen und den politischen Perspektiven beruht.
Wir haben als große Koalition auch diesen Prozess
aktiv begleitet. Die allererste Maßnahme der großen
Koalition vor einem Jahr war, zu beschließen, dass die
Entscheidung der Vorgängerregierung, die Kosten der
Unterkunft für die Gemeinden nicht zu ersetzen, zurückgenommen wird. Die große Koalition hat im letzten
Jahr entschieden, 3 Milliarden Euro der Kosten der
Kommunen für die Unterkunft zu übernehmen; das sind
29,1 Prozent. Wir stellen fest, dass in diesem Jahr, 2006,
der Rückgang der Investitionen bei den Kommunen das
erste Mal gestoppt werden konnte. Die kommunalen
Spitzenverbände sagen uns, dass die Kommunen in diesem Jahr zum ersten Mal wieder vielleicht einen Aufwuchs an Investitionen im öffentlichen Bereich zu verzeichnen haben. Das ist ganz wichtig; denn 70 Prozent
aller öffentlichen Aufträge werden von den Kommunen
vergeben.
Auch das ist ein Beitrag zur Beschäftigung in diesem
Lande, mit dem in den Kommunen die Auftragsbücher
des Bauhandwerks gefüllt werden.
Wir haben in diesem Jahr sogar noch eines draufgesetzt: Im neuen Bundeshaushalt werden nicht 3 Milliarden Euro, sondern 4,3 Milliarden Euro - das entspricht
einem Anteil von 31,8 Prozent - für die Kosten der Unterkunft, die den Kommunen entstehen, vom Bund übernommen. Das schafft Spielräume für die Kommunen,
den Investitionsstau, der sich über viele Jahre aufgebaut
hat, aufzulösen. Wir werden die Einnahmen im kommunalen Bereich stabilisieren. Ein Beitrag, der in diese
Richtung geht, ist die Unternehmensteuerreform, die
jetzt auf den Weg gebracht wurde.
Dr. Hans-Peter Friedrich ({2})
Vorhin ist schon einmal das CO2-Gebäudesanierungsprogramm erwähnt worden. Im ersten Jahr der
großen Koalition wurde das CO2-Gebäudesanierungsprogramm mit einem Milliardenbetrag ausgestattet. Wir
können jetzt eine beispiellose Mobilisierung privaten
Kapitals in Investitionen feststellen. Privates Kapital in
Höhe von 8 Milliarden bis 9 Milliarden Euro wird in den
Baubereich investiert mit dem Ziel, die Bausubstanz zu
verbessern, den Wohnungsbestand wertvoller zu machen
und Energie einzusparen. Das hat gleichzeitig einen
positiven Effekt auf die Beschäftigung; denn mit einem
Investitionsvolumen von 1 Milliarde Euro können etwa
25 000 Arbeitsplätze gesichert werden.
({3})
Das ist eine aktive Politik für Beschäftigung in diesem
Lande, die die große Koalition betreibt.
Ich habe auch eine gute Nachricht für die Bürgermeister im ganzen Lande. Ab dem 1. Januar des neuen Jahres
werden auch die Gemeinden in der Lage sein, im Rahmen des CO2-Gebäudesanierungsprogramms kommunale Gebäude zu modernisieren. Die Bedingungen werden noch in diesem Jahr allen Gemeinden rechtzeitig
bekannt gegeben. Ich glaube, dass das ein wirklich positiver Beitrag ist.
Wir leisten auch einen Beitrag durch die Bereitstellung
von umfangreichen Städtebaufördermitteln. Diese Mittel sind sehr flexibel einsetzbar; denn in den neuen Bundesländern bestehen zum Teil völlig andere Probleme als
in den alten Bundesländern. Diese Städtebaufördermittel
können sehr gezielt in den Bereichen eingesetzt werden,
in denen sich die demografische Veränderung brutal auswirkt, nämlich in den ballungsfernen Gebieten in den
neuen wie in den alten Ländern.
Das Besondere an diesen Städtebauförderprogrammen ist, dass wir versuchen, die Bürger in die Prozesse
vor Ort einzubeziehen. Mit dem Umbau ihrer Städte und
Gemeinden soll ihre Lebensqualität gesteigert werden.
Der Weg in die Bürgergesellschaft bedeutet: Wir müssen
die Bürger dazu animieren, bei der Gestaltung ihres unmittelbaren sozialen Umfeldes mitzuwirken und sich für
ihre Heimat einzusetzen. Diese Botschaft in Richtung
Bürgergesellschaft wollen wir aussenden.
Mit dem Programm „Soziale Stadt“ wollen wir, verknüpft mit sozialpolitischen Maßnahmen, das schwierige soziale Umfeld in Großstädten, aber auch in kleineren Städten verbessern. Damit ebnen wir den Menschen,
die dort zum Teil am Rande der Gesellschaft leben, den
Weg zurück in die Gesellschaft.
({4})
Ich glaube, dass die große Koalition in diesem Jahr
gezeigt hat, dass eine breite Basis für die Bewältigung
von Aufgaben geschaffen wurde. Es wurde außerdem
die Voraussetzung dafür geschaffen, das Potenzial dieses
Volkes für das Land, für die Gesellschaft und für die
Volkswirtschaft zu nutzen.
Junge Menschen haben nun Hoffnung auf einen Ausbildungsplatz. Ich erinnere in diesem Zusammenhang
an die Initiative des Bundeswirtschaftsministers, der sich
engagiert für den Ausbildungspakt eingesetzt hat. Ich erinnere auch daran, dass viele Abgeordnete mit Unternehmen gesprochen haben, um sie davon zu überzeugen,
Einstiegsqualifizierungen für junge Menschen durchzuführen. Wir dürfen keinen einzigen jungen Menschen in
diesem Lande verloren geben. Wir müssen ihnen sagen:
Unser deutsches Vaterland, also unsere Gesellschaft und
unsere Volkswirtschaft, braucht jeden von euch. Das ist
die Botschaft, die die große Koalition aussendet.
({5})
Wir probieren neue Möglichkeiten des Miteinanders
aus. Ich erinnere an die Initiative der Bundesfamilienministerin, Mehrgenerationenhäuser einzurichten, also
das Zusammenleben in einer veränderten Gesellschaft
neu zu organisieren. Das alles wollen wir ausprobieren.
Wir werden mit einer Hochtechnologieoffensive dafür sorgen, dass, lieber Kollege Berninger, die hoch qualifizierten jungen Menschen, die heute das Land verlassen, zurückkommen und in diesem Land eine Chance
haben, sich zu betätigen und einzubringen.
Diese Koalition ist auf einem guten Weg. Wir sind in
einer neuen Zeit dabei, zur alten Kraft dieses Landes zurückzufinden. Dafür stehen wir, die CDU/CSU und die
SPD.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat nun der Kollege Carl-Ludwig Thiele für
die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich:
Hier wird über die Bilanz der einjährigen Regierung
durch die große Koalition diskutiert und kein Bundesminister ist anwesend. Bei der SPD ist nicht einmal ein halbes Dutzend Abgeordnete anwesend; es sind lediglich
fünf. Das bedeutet doch, dass der Erfolg, der in unserem
Land momentan zu verzeichnen ist, auch von der großen
Koalition selbst nicht als Erfolg der Regierung wahrgenommen wird. Denn ansonsten könnte sie ganz anders
dastehen und mögliche Erfolge ganz anders verkaufen,
als das heute der Fall ist.
({0})
Fast ein Jahr nach Abgabe der Regierungserklärung
von Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die FDP einen
Antrag unter der Überschrift „Mehr Freiheit wagen“ eingebracht. Exakt das war das Leitmotiv, unter welchem
die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin stand. Ein
Jahr nach der Regierungserklärung fordern wir, die FDP,
dazu auf, den Gedanken „Mehr Freiheit wagen“ tatsächlich umzusetzen.
Selbstverständlich freuen wir, die FDP-Fraktion, uns
darüber, dass das Wachstum in unserem Land gestiegen
und die Arbeitslosigkeit gesunken ist und die öffentliche
Hand schon in diesem Jahr erheblich mehr Steuern einnimmt, als noch im Frühjahr geschätzt. Die Entwicklung
sieht positiv aus und wird von uns, der FDP, überhaupt
nicht schlechtgeredet. Manch einer glaubt allerdings,
dass aus dieser positiven Entwicklung der Schluss zu
ziehen sei, Reformen könnten letztlich überflüssig sein.
Die schlichte Argumentation lautet: Nun haben wir den
Aufschwung. Wozu dann noch Reformen? Es geht doch
auch so. - Das war schon das Motto von Gerhard
Schröder; er bezeichnete dieses Vorgehen als „ruhige
Hand“. Ähnlich ist leider das Motto der derzeitigen Bundeskanzlerin, die es „Politik der kleinen Schritte“ nennt.
Das reicht nicht für unser Land. Hier muss mehr geschehen; denn man kann sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen, die momentan zu ernten sind.
({1})
Wer so denkt und handelt, übersieht, dass es nicht die
Anstrengungen der Politik, sondern insbesondere die
Anstrengungen der Wirtschaft sowie der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land sind, die dazu
beitragen, dass die Entwicklung positiver ist, als sie zuvor war. Die Unternehmen und ihre Mitarbeiter konnten
nicht darauf warten, dass sich die Politik bewegt. Sie haben vielmehr selbst eine Menge unternommen. Die
Wettbewerbsfähigkeit ist erheblich gesteigert worden.
Die Entwicklung bei den Lohnstückkosten ist ausgesprochen günstig. Hier schlagen inzwischen Lohnzurückhaltung und Rationalisierungsbemühungen kräftig positiv
zu Buche. Die Unternehmen verdienen wieder, zum Teil
sogar kräftig. Sie zahlen mehr Steuern und haben - vor
allem das ist wichtig - deutlich an Substanz gewonnen.
Sie können wieder investieren und Arbeitsplätze schaffen. Die Arbeitsplätze, die jetzt geschaffen werden, sind
nicht durch die Bundesregierung geschaffen worden,
sondern von den Unternehmerinnen und Unternehmern
in unserem Lande.
({2})
Aufgabe der Politik ist, dafür Sorge zu tragen, dass
wir weiter Wachstum haben, weiter Arbeitsplätze geschaffen werden, die Arbeitslosigkeit abgebaut und die
Neuverschuldung gesenkt wird. Deutschland befindet
sich in einem verschärften globalen Wettbewerb. Es gibt
diesen Wettbewerb. Die anderen Staaten warten nicht
darauf, bis wir uns ändern und wettbewerbsfähiger werden, sondern handeln jetzt. Deshalb sind wir aufgefordert, Deutschland wettbewerbsfähiger zu machen. Das
geht nur durch entschlossenes Handeln.
Die Politik ist in der Pflicht, die Rahmenbedingungen
für Deutschland zu verbessern. Wir freuen uns, dass in
diesem Jahr ein Wachstum von gut 2 Prozent erreicht
wird. Wir müssen aber leider feststellen, dass auch dieses Wachstum nur halb so groß ist wie das Wachstum der
Weltwirtschaft und im nächsten Jahr schon wieder unter
2 Prozent liegen wird.
Wir haben durch die große Koalition im Deutschen
Bundestag eine veränderte politische Konstellation.
Viele Bürger in unserem Land haben gehofft, dass eine
große Koalition in der Lage wäre, mit großen Reformen
zu großen Lösungen zu gelangen. Sie müssen allerdings
feststellen, dass - wie bei der Gesundheitsreform - die
größte Gemeinsamkeit der großen Koalition im Suchen
des kleinsten gemeinsamen Nenners besteht. Grundsätzliche Reformen fehlen. Vorgestern hat der Sachverständigenrat der Bundeskanzlerin sein Jahresgutachten mit
den Worten übergeben: Frau Bundeskanzlerin, die ungenutzten Chancen! Hier müssen wir ansetzen. Wir können
beim Wirtschaftswachstum, bei der Arbeitslosenzahl
und beim Gesundheitswesen besser dastehen. Insofern
muss hier mehr geschehen.
Gestern Nacht hat der Haushaltsausschuss seine Beratungen zum Haushalt für das Jahr 2007 abgeschlossen.
Trotz der durch die Steuerschätzung für das nächste Jahr
prognostizierten Steuermehreinnahmen in Höhe von
8,5 Milliarden Euro wird die Neuverschuldung nur um
2,5 Milliarden Euro reduziert. Das ist viel zu wenig; das
ist viel zu mutlos. Hier müsste mehr geschehen; denn die
Neuverschuldung belastet nach wie vor zukünftige Etats
und die zukünftige Politik.
Ich komme zum Schluss. Wir wissen, dass ein höheres Wachstum die Voraussetzung für mehr Beschäftigung, höhere Steuereinnahmen und sinkende Sozialausgaben darstellt. Deshalb muss die Regierung alles
unterlassen, was das Wachstum gefährdet, und alles unternehmen, was das Wachstum fördert. Daher appellieren wir an die Bundesregierung, aber auch an die Abgeordneten der großen Koalition: Nutzen Sie - dem
Auftrag des Sachverständigenratgutachtens entsprechend - die Chancen! Wagen Sie endlich mehr Freiheit!
In den Bereichen wird die FDP Sie unterstützen.
Herzlichen Dank.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Carsten Schneider
für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Kollege Thiele hat eben zu „Mehr Freiheit wagen“
aufgerufen. Ich will die Gelegenheit nutzen und mir die
Freiheit nehmen, nach einem Jahr großer Koalition eine
Bilanz zu ziehen. Das war ja auch Anlass Ihrer Großen
Anfrage.
Ich glaube, dass der Zeitpunkt sehr gut gewählt ist.
Sie haben eben den Abschluss der Haushaltsberatungen
in der letzten Nacht erwähnt. Wir haben im Haushaltsausschuss ein, wie ich meine, sehr gutes Ergebnis erzielt.
Die Finanzpolitik ist der Stabilitätsanker dieser Regierung. Wir hatten das Ziel, das strukturelle Defizit im
Bundeshaushalt, das 60 Milliarden Euro betragen hat,
bis zum Ende der Legislaturperiode zu halbieren. Der
Kollege Scholz hat bereits darauf hingewiesen, dass wir
nun in der Situation sind, durch eine konsequente Politik
des Abbaus von Steuervergünstigungen - das ist für
Carsten Schneider ({0})
mich auch eine Frage der Gerechtigkeit -, durch eine
klare Struktur im Bundeshaushalt und durch eine Überprüfung der Ausgaben deutliche Einsparungen erreicht
zu haben. Dadurch können wir das Ziel der Halbierung
des strukturellen Defizits, dessen Erreichung wir uns für
2010 vorgenommen haben, bereits im Jahr 2007 erreichen.
Für das Haushaltsjahr 2006 war eine Neuverschuldung von 38 Milliarden Euro geplant. Wahrscheinlich
werden wir dieses Jahr mit 30 Milliarden Euro abschließen. Der Grund der Einsparung von 8 Milliarden Euro
ist ein besseres Wirtschaftswachstum. Dieses bessere
Wirtschaftswachstum kommt nicht von irgendwoher. Ich
behaupte nicht, dass es in Gänze auf die Initiativen dieser Bundesregierung zurückgeht. Ich denke aber doch,
dass die vom Kollegen Meister angesprochenen Maßnahmen - zum Beispiel die Hightechstrategie und das
CO2-Gebäudesanierungsprogramm, die auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere im Baubereich, für einen Kapazitätsaufbau gesorgt haben - dazu geführt haben, dass
sich das Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik erhöht hat.
Ich bin mit unserer Bilanz sehr zufrieden. Unser
Wirtschaftswachstum wird in diesem Jahr deutlich
über 2 Prozent liegen, wahrscheinlich bei 2,6 Prozent.
Damit geht eine bessere Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt einher. Wir haben eine halbe Million Arbeitslose
weniger und viele freie Stellen, was wir in vielen Branchen in den vergangenen Jahren leider nicht in diesem
Maße zu verzeichnen hatten. Außerdem haben wir eine
deutlich bessere Situation, was die Steuereinnahmen betrifft. All das unterstützt uns bei unserer Aufgabe, dieses
Land nach vorne zu bringen.
Mit diesem Haushalt können wir insgesamt sehr zufrieden sein. Der Bundesfinanzminister Peer Steinbrück
ist seine Aufgaben nicht nur als Fiskalist angegangen,
sondern er hat auch seinen wirtschaftspolitischen Anspruch deutlich gemacht.
Allein in der vergangenen Woche wurden von dieser
Koalition - Stichwort: Unternehmensteuerreform - so
viele offene Punkte abgearbeitet, wie viele von uns nicht
zu träumen gewagt haben. Von daher sage ich: Die Finanzpolitik ist Stabilitätsanker und Motor dieser Regierung.
Ich komme auf den Haushaltsentwurf zu sprechen,
den wir gestern im Ausschuss beraten haben. Im Plenum
werden wir ihn zwar erst in der nächsten Sitzungswoche
beraten, ich möchte aber schon heute einige Schlaglichter setzen: Auf der Seite des Bundes betragen die Mehreinnahmen zwar 8 Milliarden Euro, im Etat waren aber
bereits Einnahmen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro eingeplant, sodass der Verteilungsspielraum nur noch circa
6 Milliarden Euro beträgt. Mit diesem Haushalt werden
wir die positive Entwicklung verstärken. Wir haben uns
nach eingehender Beratung entschlossen, mit den Steuermehreinnahmen erkennbare Risiken abzudecken. Risiken bestehen beispielsweise bei den Kosten der Unterkunft im kommunalen Bereich - Herr Friedrich hat das
schon angesprochen -, für den wir Mehrausgaben in
Höhe von 2,3 Milliarden Euro veranschlagt haben, und
bei der Bundesagentur für Arbeit, bei der wir uns höhere
Einnahmen erhofft haben. Wir haben es geschafft, diese
Risiken abzudecken.
Trotzdem ist es uns gelungen, den größten Teil der
Steuermehreinnahmen zur Senkung der Nettokreditaufnahme zu verwenden. Sie sinkt von den geplanten
22 Milliarden Euro auf 19,5 Milliarden Euro. Das ist der
niedrigste Stand seit der Wiedervereinigung. Das ist ein
großer Erfolg dieser großen Koalition. Das sage ich insbesondere vor dem Hintergrund der Beteiligung der FDP
an früheren Regierungen. Ich denke, dass es ein deutliches Signal für die mittelfristige Finanzplanung ist, dass
die Nettokreditaufnahme deutlich unter den geplanten
22 Milliarden Euro liegt; denn die Regierung wird bei
der Aufstellung des Haushalts 2008 nicht darüber hinausgehen können. Diese Linie wird also fortgeführt
werden. Ich hoffe, dass wir am Ende dieser Legislaturperiode - ich sehe diesbezüglich Einvernehmen zwischen
den Regierungsfraktionen - bei einem deutlich niedrigeren Neuverschuldungswert ankommen werden als geplant.
Das alles ist enorm wichtig, um das Vertrauen der
Bürger in den Staat zu stärken. Allein die Verringerung
der Neuverschuldung im Jahr 2006 um 8 Milliarden Euro bietet uns im nächsten Jahr einen Spielraum
von 300 Millionen Euro, der sich aus geringeren Zinszahlungen ergibt. Deswegen ist jede Reduzierung der
Verschuldung gut für dieses Land, gut für künftige Generationen und gut für die wirtschaftliche Entwicklung.
({1})
Daneben nehmen wir die Reformen der Sozialversicherungssysteme in Angriff. Bezüglich der Gesundheitsreform haben wir zwar grundsätzliche politische Beschlüsse gefasst; wir werden sie im Bundestag allerdings
noch beraten müssen. Im Bereich der Arbeitslosenversicherung erreichen wir eine Absenkung der Lohnnebenkosten um 2,3 Prozent. Das hat es seit Bestehen dieser
Bundesrepublik noch nie gegeben. Es ist richtig, dass
wir - Herr Berninger, ich gehe auf Ihre Äußerungen
ein - bei der Rentenversicherung eine Erhöhung der
Lohnnebenkosten verzeichnen müssen. Netto handelt es
sich trotzdem um eine Entlastung.
({2})
- Wir werden sehen, wie die Situation bei den Krankenkassen nach der Reform aussehen wird. Im Bundeshaushalt haben wir Vorsorge getroffen und den Steuerzuschuss um 1 Milliarde Euro erhöht. Ich persönlich war
an den Beratungen über die Gegenfinanzierung beteiligt.
Wenn man in diesem Bereich weitere Aufbauschritte
machen will, dann ist klar, dass man die mittelfristige Finanzplanung für die Jahre 2008 und 2009 überarbeiten
muss. Wir müssen die Vorhaben auf ihre Gegenfinanzierung prüfen.
Die Notwendigkeit dafür resultiert aus zwei Ursachen.
Zum einen sind das die von mir benannten Risiken, die
auch 2008 fortbestehen werden. Die Entlastung der Kommunen für Investitionen ist bis 2010 durchgeschrieben.
Carsten Schneider ({3})
Wir haben uns aber auch darauf zu verständigen, wie sich
der Steuerzuschuss für die gesetzliche Krankenversicherung entwickeln soll. Den werden wir nicht aus konjunkturellen Steuermehreinnahmen bestreiten können, weil
konjunkturelle Mehreinnahmen nicht dauerhaft sind. Ein
guter Kaufmann und guter Sachwalter des Bundeshaushalts und damit der Interessen der Steuerzahler muss dafür eine dauerhafte Finanzierung finden. Das wird eine
Aufgabe für Mitte nächsten Jahres sein.
Damit bin ich nicht mehr nur bei der Bilanz, sondern
auch beim Ausblick. Ich glaube, die Bilanz von einem
Jahr großer Koalition ist sehr gut, vor allen Dingen in
dem Bereich, den ich hier zu vertreten habe. Bei der
Festlegung der Prioritäten für die nächsten Jahre wird
uns vieles beschäftigen: das Entwicklungshilfeziel, das
wir erreichen wollen - die Bundeskanzlerin hat das zugesagt; es geht um Milliardenbeträge, die bisher nicht
gegenfinanziert sind -, die Krankenversicherung, aber
auch die Maßnahmen zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung. Ich bin angesichts der erfolgreichen
Politik dieses Jahres guter Dinge, dass es uns gelingen
wird, in dieser Kontinuität auch in den nächsten drei Jahren sehr gute Ergebnisse für dieses Land zu erzielen.
Vielen Dank.
({4})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Ulrich Maurer für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Was mich erschreckt, ist, wie wenig diese Debatten
die Lebenswirklichkeit der Menschen in diesem Land
widerspiegeln. Sie legen einen Antrag vor mit dem Titel
„Mehr Freiheit wagen“. Ich frage mich immer: Wessen
Freiheit meinen Sie eigentlich? Sie meinen, wenn ich
das richtig verstehe, die Freiheit des Wettbewerbs und
die Freiheit des Marktes.
({0})
Es ist unstreitig, dass die Freiheit des Wettbewerbs und
die Freiheit des Marktes dazu führen, dass die Stärkeren stärker und die Schwächeren schwächer werden. Das
ist eine Freiheit, die wir nicht meinen. Ich sage Ihnen:
Sie blenden die Lebenswirklichkeit der Menschen aus.
Uns geht es um die Freiheit der Millionen in diesem
Land, die überschuldet sind. Was ist mit der Freiheit der
Armen in Deutschland, was ist mit der Freiheit der
2,5 Millionen armen Kinder in Deutschland? Was ist mit
der Freiheit der Menschen, die hart arbeiten und am
Ende feststellen, dass es gerade für Nahrung, das Nötigste an Kleidung und die Bezahlung der Wohnung ausreicht? Über deren Freiheit müsste debattiert werden in
diesem Land!
({1})
Doch über diese Freiheit haben Sie nicht diskutiert.
Sie reden von Ihrer Bilanz. Ich finde, man muss die
Bilanz an der Veränderung der Lebenswirklichkeit der
Menschen messen. Das werden die, die uns zuhören,
auch so sehen. Dann sehe ich, dass die Erfahrung der
Menschen ist, dass man mit harter Arbeit in diesem Land
keinen Wohlstand erreicht. Harte Arbeit und qualifizierte
Arbeit werden besteuert, mit Sozialabgaben belegt, Kapitaleinkünfte hingegen privilegieren Sie. Ich habe lange
nachgedacht - das finde ich das spannende Thema, wenn
wir hier schon über die Bilanz reden -, was die volkswirtschaftliche Rationalität dessen, was Sie machen, ist.
Ich sehe bei der großen Koalition ein Bündnis zwischen
Neoliberalismus und Fiskalismus. Ich weiß nicht, ob Sie
sich über die Lage des Landes im nächsten Jahr im Klaren sind: Sie werden diesem Land durch die verschiedenen steuerpolitischen Beschlüsse, die Sie gefasst haben,
38 Milliarden Euro Kaufkraft entziehen. Die Mehrwertsteuererhöhung ist der größte Brocken, aber es kommen
andere hinzu. 9 Milliarden Euro davon schenken Sie den
großen Unternehmen durch die Senkung der Unternehmensteuern. Das ist eine Mischung von Einnahmen erhöhen auf Kosten der breiten Masse der Bevölkerung
und gleichzeitiger Begünstigung derer, die vor Kraft
kaum mehr laufen können.
({2})
Das ist nicht gerecht, aber auch volkswirtschaftlich
nicht rational. Alle Welt - da können Sie jeden Wirtschaftsteil aufschlagen - spricht davon, dass die Weltkonjunktur abkühlt. Die USA diskutieren die Frage,
wie tief es in die Rezession geht oder ob es noch für eine
halbwegs weiche Landung reicht. In dieser weltwirtschaftlichen Situation des Jahres 2007 privilegieren Sie
mit Ihren steuerpolitischen Beschlüssen erneut einseitig
die Exportindustrie, setzen Sie erneut auf die Begünstigung von Kapitalanlagen, würgen Sie die ohnehin seit
Jahren schwache Binnennachfrage noch weiter ab. Was
soll das werden? Was ist die volkswirtschaftliche Rationalität einer solchen Politik?
Sie feiern sich im Moment für etwas über 200 000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Kennen Sie die Zahlen in anderen westlichen
Ländern? Kennen Sie die Zahlen in Europa? Da ist ja
kein herausragender Beitrag sichtbar, im Gegenteil. Sie
setzen eine Politik fort, mit der Sie den Brotkorb für den
kleinen Mann immer höher hängen und diejenigen begünstigen, die Sie immer begünstigt haben. Das ist nicht
nur ungerecht, vielmehr wird das im Ergebnis auch dazu
führen, dass die Zahl der Arbeitslosen nicht zurückgehen
wird und dass sich die Armutsproblematik und die Verteilungskämpfe verschärfen werden. Wer in eine sich anbahnende weltwirtschaftliche Abkühlung und in eine rezessive Situation in anderen Ländern hinein die eigene
Binnenkonjunktur, die er ohnehin schon jahrelang kaputtgemacht hat, noch weiter belastet, der ist auf einem
völlig falschen Weg.
({3})
Feiern Sie sich deswegen nicht. Bei dem, was Sie hier
heute gefeiert haben, könnte es sich nämlich um etwas
Ähnliches wie bei Schillers „Räubern“ handeln. Dort
gibt es den Satz: Noch ein letztes Zucken, dann ist es
vorüber. - Im nächsten Jahr reden wir darüber.
({4})
Das Wort zu einer Kurzintervention auf die Rede des
Kollegen Schneider erteile ich nun dem Kollegen
Koppelin. Seine Wortmeldung wurde vorhin übersehen.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Ich will es kurz
machen. Die Haushaltsberatungen werden wir ja noch
durchführen.
Der Kollege Schneider ist auf den Haushalt 2007 eingegangen, den der Haushaltsausschuss heute Nacht mit
der Mehrheit der Koalition verabschiedet hat. Er hat
natürlich einiges vergessen. Trotz der hohen Einnahmen
durch die Mehrwertsteuererhöhung, die wir als FDP ablehnen - er hat sie mit über 10 Milliarden Euro beziffert -, und trotz weiterer Steuermehreinnahmen von weit
über 10 Milliarden Euro - das bezieht sich immer nur
auf den Bund - ist die Neuverschuldung im Haushalt
nur um 2,5 Milliarden Euro gesunken. Das ist keine Erfolgsgeschichte.
({0})
Kollege Schneider, Sie müssen Folgendes feststellen:
Aufgrund der hohen Einnahmen, die die große Koalition
erzielt, steigt der Schuldenberg zwar langsamer, aber Sie
bauen ihn nicht ab und Sie verringern die Schulden im
nächsten Bundeshaushalt nicht auf null. Die Chance hätten Sie gehabt. Auf der Ausgabenseite haben sie aber
überhaupt nichts getan.
({1})
Insofern ist dieser Haushalt 2007 keine Erfolgsgeschichte.
Noch einmal: Der Schuldenberg steigt zwar langsamer, aber er steigt. Das müssen unsere Kinder und Kindeskinder eines Tages bezahlen. Der eine entscheidende
Punkt ist, dass Sie bei den Ausgaben nichts getan haben;
der andere - die große Koalition geht darauf überhaupt
nicht ein -, dass all diese Gelder, die Sie einnehmen, von
den Bürgern stammen. Sie kassieren bei den Bürgern
schamlos ab. Darauf sollten Sie einmal achten und eingehen.
Kollege Schneider, Sie gehören der sozialdemokratischen Fraktion an. Ich erkenne an, dass Ihr Parteivorsitzender Beck durchaus die richtigen Akzente gesetzt hat
- auch der Finanzminister hat dies manchmal getan -,
indem er gesagt hat, dass wir die Schulden stärker abbauen müssen. Diese Auffassung teilen wir. Leider haben Sie einen Koalitionspartner, der fleißig ausgibt.
Diese Rolle haben Sie als SPD früher eher gehabt. Die
SPD übernimmt jetzt die Rolle, die früher die CDU/CSU
hatte. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass Ihr Koalitionspartner zurzeit keinen aktiven Wirtschafts- oder
Finanzpolitiker in seinen Reihen hat, der darauf achtet,
dass die Schulden stärker abgebaut werden.
Ich hoffe, dass Sie von den Sozialdemokraten stärker
darauf achten - wir tun das allemal -, dass diese Einnahmen zum Schuldenabbau genutzt werden. Die Botschaft,
die Sie hier senden, ist falsch: Der Schuldenberg steigt
weiter.
({2})
Herr Kollege Schneider, wollen Sie antworten?
Herr Kollege Koppelin, Ihre Einschätzung von SPDFinanzpolitik und Stabilität teile ich voll und ganz. Das
kann ich unterschreiben. Hier befinden wir als SPD uns
in einer großen Kontinuität.
Ich will auf den Haushalt 2007 eingehen. Er wird uns
ja auch noch beschäftigen.
({0})
Bei den Beratungen konnten wir den Abstand zwischen
den Investitionen und der Kreditaufnahme, der für die
Einhaltung des Art. 115 Grundgesetz maßgeblich ist,
deutlich erhöhen. Nach den Beratungen ist klar, dass die
Investitionen des Bundes um 500 Millionen Euro steigen.
({1})
Die Nettokreditaufnahme sinkt auf 19,5 Milliarden
Euro. Damit ist sie die niedrigste seit der Wiedervereinigung. Das heißt, wir haben Spielraum gewonnen. Durch
die Mittel, die wir letztendlich auch durch die bessere
Konjunktur eingenommen haben, haben wir die Nettokreditaufnahme abgesenkt.
Sie haben die Mehrwertsteuererhöhung angesprochen. Sie wissen, dass nur 1 Prozentpunkt davon - das
sind 6,5 bis 7 Milliarden Euro - tatsächlich beim Bund
verbleibt. Wenn wir diese nicht hätten, dann könnten wir
Art. 115 Grundgesetz nicht einhalten.
Das heißt, wenn Sie diese Maßnahme ablehnen, dann
verletzen Sie die Vorgaben des Grundgesetzes. Das führt
zu einem verfassungswidrigen Haushalt. Wir brauchen
aber einen Abbau des strukturellen Defizits. Diesen Weg
werden wir weitergehen.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Zusatzpunkt 8. Wir kommen zur Abstimmung über
den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/
3288 mit dem Titel „Mehr Freiheit wagen“. Wer stimmt
für diesen Antrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? -
Damit ist der Antrag mit den Stimmen aller Fraktionen
mit Ausnahme der FDP-Fraktion, die dafür gestimmt
hat, abgelehnt.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b so-
wie Zusatzpunkt 9 auf:
31 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eckart
von Klaeden, Dr. Andreas Schockenhoff, Bernd
Siebert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Markus
Meckel, Niels Annen, Rainer Arnold, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Die NATO vor dem Gipfel in Riga vom 28. bis
29. November 2006
- Drucksache 16/3296 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul
Schäfer ({0}), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan
Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der LINKEN
NATO-Gipfel in Riga für Abrüstungsinitiativen nutzen
- Drucksache 16/3280 ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Rainer Stinner, Jens Ackermann, Dr. Karl
Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Neues strategisches Konzept für die NATO
- Drucksache 16/3287 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({1})
Verteidigungsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe
dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Eckart von Klaeden für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({2})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Wir debattieren heute über den NATO-Gipfel in
Riga, der am 28. und 29. November dieses Jahres stattfinden wird. Die wesentlichen Themen dieses Gipfels
werden die Operationen der NATO sein. Dabei wird es
vor allem um die Lage in Afghanistan gehen. Möglicherweise wird auch über die Lage im Kosovo gesprochen,
insbesondere für den Fall, dass die Statusverhandlungen
im nächsten Jahr zu einem Ende kommen werden.
Auch die Lage in Darfur wird möglicherweise angesprochen. Ich rechne allerdings nicht damit, dass die
NATO eine Mission in Darfur plant. Vielmehr wird es
um die Frage gehen, wie die NATO, falls die Mission der
Afrikanischen Union den Vereinten Nationen übertragen
wird, wie bisher logistische und andere Unterstützung
für diese Mission leisten kann.
Der Gipfel wird sich mit den globalen Gefahren befassen, denen wir uns ausgesetzt sehen. Wir wissen, dass
Gefahren heutzutage nicht mehr an unseren, sondern außerhalb unserer Grenzen entstehen. Wir wissen, dass
Globalisierung Komplexität bedeutet und dass durch die
dunkle Seite der Globalisierung die Gefahren, die sich
durch sie ergeben können, komplexer werden. Massenvernichtungswaffen, transnationaler Terrorismus, Failing
States, Energie als eine strategische Waffe: All das sind
Herauforderungen, mit denen wir uns auseinander zu
setzen haben.
Die eigentliche Herausforderung, die auf uns zukommen wird, ist, dass diese Gefahren nicht allein auftreten,
sondern sich miteinander verbinden können. Die Debatte
über den Iran zeigt, dass sich diese Gefahren zu einer
neuen größeren Gefahr kombinieren können. Es gibt
ernsthafte Hinweise darauf, dass der Iran den Besitz von
Massenvernichtungswaffen anstrebt und den Terrorismus unterstützt, wie etwa die Hisbollah, die Hamas und
den globalen Dschihad. Er setzt seine Energiereserven
strategisch ein, um im Weltsicherheitsrat die anderen
Länder zu Wohlverhalten aus seiner Sicht zu zwingen.
Wir stehen vor der Herausforderung, den Konsultationsmechanismus innerhalb der NATO mit neuem Leben zu erfüllen. Wir sehen, dass die Vereinigten Staaten
in der zweiten Amtsperiode von Präsident Bush ihre
Politik gegenüber den Bündnispartnern geändert haben
und stärker auf multilaterale Zusammenarbeit setzen.
Heute wird ganz anders über das Bündnis und seinen
Wert gesprochen, als das - darüber haben wir schon
heute Vormittag gesprochen - vor einigen Jahren der
Fall gewesen ist.
Umgekehrt bekennen wir uns als große Koalition in
unserem Koalitionsvertrag zu dem Prinzip des effektiven Multilateralismus. Vor allem die Vereinigten
Staaten sind zu Multilateralismus verpflichtet. Es gibt
- im Sinne eines Werkzeugkastens der NATO - keine
„Coalition of the Willing“ mehr. Zunächst wird konsultiert, gemeinsam beraten und gemeinsam entschieden.
Aber dann wird - diese Anforderung richtet sich an
uns - auch gemeinsam gehandelt. Die Amerikaner müssen für den Multilateralismus sorgen. Wir aber müssen
für die Effizienz dieses Multilateralismus sorgen.
({0})
Das zeigt sich insbesondere bei der größten Operation,
die die NATO zurzeit durchführt, nämlich in Afghanistan. Ich will die Afghanistandebatte, die wir heute Morgen und auch in den letzten Wochen geführt haben, nicht
wiederholen. Dazu fehlt mir auch die Redezeit. Ich will
aber darauf hinweisen, dass im Hinblick auf Afghanistan
vor allem vonseiten der Vereinigten Staaten immer wieder die nationalen „caveats“, wie es im NATO-Deutsch
heißt, also die nationalen Vorbehalte der Mitgliedstaaten
bezüglich des Einsatzes ihrer Truppen, kritisiert werden.
Ich meine, dass sich diese Kritik nicht an Deutschland
richten kann. Wir leisten in Afghanistan einen veritablen, einen wichtigen Beitrag. Es macht auch keinen
Sinn, den Norden zu destabilisieren, um im Süden UnEckart von Klaeden
terstützung leisten zu können. Ich habe schon heute Vormittag auf die Kombination und gegenseitige Ergänzung
von Enduring Freedom und dem ISAF-Mandat hingewiesen.
Klar ist aber auch, dass wir, wenn wir uns der Forderung nach Effizienz stellen, akzeptieren müssen, dass
nationale Vorbehalte das gemeinsame Handeln einschränken und wir in Zukunft - wenn wir ein multilaterales Vorgehen der Amerikaner, aber auch anderer wollen - von solchen nationalen Vorbehalten schrittweise
Abschied nehmen müssen.
Gleichzeitig richtet sich an die Amerikaner die Aufforderung, bei den Rahmenbedingungen gemeinsamer
Einsätze auch gemeinsame Grundlagen zu akzeptieren.
Es ist richtig, dass nationale Vorbehalte dafür sorgen
können, dass die Solidarität im Bündnis unterminiert
wird, weil die Gefahr besteht, dass schwierige Aufgaben
von den einen und Stabilisierungsaufgaben von den anderen übernommen werden sollen. Das wird am Ende
nicht funktionieren.
Umgekehrt jedoch unterminieren Sonderregelungen,
die einzelne Staaten für sich in Anspruch nehmen, zum
Beispiel bei der Behandlung von Kriegsgefangenen oder
so genannten unlawful combattants, auch die Bündnissolidarität, weil das dafür sorgt, dass die notwendige Unterstützung für das gemeinsame multilaterale Vorgehen
in den Mitgliedstaaten verloren geht. Auch das ist nicht
im Sinne des Bündnisses.
({1})
Es wird auch um die Erweiterung der NATO gehen,
wobei aus den bekannten Gründen, die ich jetzt aufgrund
der begrenzten Redezeit nicht weiter erläutern kann, ein
Membership-Action-Plan, also ein Aufnahmeverfahren
für die Ukraine und für Georgien, zurzeit nicht auf der
Tagesordnung steht. Von den Staaten in Europa, die sich
derzeit um eine Aufnahme bemühen, hat Kroatien die
meisten Fortschritte gemacht und ist am ehesten in der
Lage, NATO-Mitglied zu werden.
Wir werden aber auch über die Frage der so genannten Global Partnerships oder Contact Countries sprechen. Es ist völlig klar, dass es dabei nicht um die Erweiterung der NATO nach Ostasien geht. Es wird also auch
nicht um eine Erweiterung der Beistandsverpflichtung
aus Art. 5 des NATO-Vertrages gehen. Eine solche Erweiterung ist allein schon aufgrund Art. 10 des NATOVertrages, der das Mitgliedsgebiet der NATO geografisch definiert, ausgeschlossen.
Wir haben aber ein Interesse daran, dass die Kooperation mit den Staaten Ostasiens, die unsere Werte teilen,
intensiviert wird. Ich denke dabei vor allem an Japan
und Südkorea, aber auch an Australien und Neuseeland,
auch wenn diese geografisch nicht zu Ostasien gehören.
All diese Staaten leisten einen wichtigen Beitrag. Man
muss sich einmal vor Augen führen, wie stark Australien
und Neuseeland in Afghanistan engagiert sind, weil sie
erkennen, dass der globale islamistische Terrorismus
auch die Sicherheit ihrer Länder bedroht. Dies macht
deutlich, dass wir ein Interesse daran haben, dass sich
Staaten wie zum Beispiel Indonesien oder Malaysia demokratisch entwickeln. Das heißt nicht, dass wir uns
dort militärisch engagieren wollen. Aber Entwicklungen
in diesen Staaten haben Konsequenzen auch für die Sicherheitslage bei uns. Wir müssen ein Interesse daran
haben, dass sich solche Staaten positiv entwickeln und
ein Vorbild in der muslimischen Welt für demokratische
und rechtsstaatliche Entwicklung werden können. Deswegen sage ich Ja zu einer stärkeren Kooperation mit
diesen Staaten.
Ich will sechs Kriterien nennen, nach denen die Partnerstaaten der NATO ausgesucht werden sollten:
Erstens. Es müssen demokratische Staaten sein.
Zweitens. Sie müssen einen veritablen Beitrag zu unserem gemeinsamen Auftrag leisten können. Sowohl bei
der Wahl der Partnerstaaten der NATO als auch im Rahmen zukünftiger Erweiterungen muss geprüft werden,
ob die Staaten, um die es geht, für die NATO einen Vorteil bieten.
Drittens. Sie müssen die wichtigen internationalen
Verträge einhalten, zum Beispiel den Vertrag über die
Nichtverbreitung nuklearer Waffen.
Viertens. Sie dürfen den Terrorismus nicht unterstützen.
Fünftens. Sie müssen sich klar darüber sein, dass mit
der Kooperation kein Recht auf ein Veto gegen NATOEntscheidungen verbunden sein kann und dass sechstens
Art. 5 des NATO-Vertrages nicht gilt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rainer Stinner
für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben auf den letzten beiden Münchener
Konferenzen für Sicherheitspolitik zwei sehr interessante Reden zum Thema NATO gehört: im Jahre 2005
eine des damaligen Bundeskanzlers und im Jahre 2006
eine der Bundeskanzlerin. Die im Jahre 2005 von Herrn
Schröder geschriebene Rede ist von Herrn Struck aber
wohl nicht verstanden und daher völlig lustlos vorgetragen worden.
({0})
- Etwas anderes ist nicht möglich. Herr Struck ist doch
ein intelligenter Mensch.
({1})
- Selbstverständlich war ich dabei. Wetten wir doch,
Herr Kolbow!
({2})
Diese Rede ist so lustlos vorgetragen worden - Herr
Kolbow, auch Sie waren anwesend -, dass sie im weiteren Verlauf der Münchener Sicherheitskonferenz sogar
erhebliche Aufmerksamkeit erregt hat.
({3})
- Wenn Sie mir nicht glauben, lesen Sie es nach.
Auch die Frau Bundeskanzlerin hat sich in ihrer Rede,
die sie in diesem Jahr in München gehalten hat, sehr
stark der NATO zugewandt. Wir haben gedacht: Donnerwetter! Da kommt frischer Wind. Das ist toll. - Sie hat
Ankündigungen gemacht, die wir sehr begrüßen. Zum
Beispiel hat sie darauf hingewiesen, dass sie den Prozess
der Entwicklung eines neuen strategischen Konzepts der
NATO anstoßen möchte. Wir dachten erneut: Donnerwetter, das ist toll! - Aber was haben wir seit dieser Tagung Anfang Februar dieses Jahres erlebt? Eine Einlösung dieses Versprechens ist bisher nur in Ansätzen oder
gar nicht erfolgt. Das fordern wir natürlich ein.
({4})
Ich denke, gerade jetzt, auf dem anstehenden Rigagipfel, hätte man die Zeit, dieses Versprechen einzulösen. Denn auf dem Rigagipfel gibt es kein alles andere
überragendes Thema, wie es bei den vorigen Gipfeltreffen der NATO der Fall war, als die Situation in Afghanistan im Vordergrund stand; darauf haben Sie hingewiesen, Herr von Klaeden. Umso wichtiger ist es, dass wir
uns jetzt im Hinblick auf die NATO mit den grundsätzlichen, konzeptionellen Themen beschäftigen.
Ich will aus dem gesamten Bündel möglicher Themen
nur drei ansprechen: Das erste ist die regionale Dimension der NATO, das zweite ist das Verhältnis der EU zur
NATO und das dritte ist die sehr umstrittene Frage, ob
die NATO ein Werkzeugkasten sein soll.
Zum Thema der regionalen Dimension der NATO
haben Sie, Herr von Klaeden, Ausführungen gemacht.
Ich kann jedes Ihrer Worte unterschreiben. Ich finde das,
was Sie gesagt haben, gut. Aber von der Bundesregierung haben wir dazu bisher nichts gehört. Daher möchte
ich die Regierung bitten, das zu bestätigen, was Herr von
Klaeden gesagt hat
({5})
- vielleicht haben Sie ja Einfluss auf die Regierung -,
oder aber selbst Initiativen zu ergreifen.
({6})
- Wie ich sehe, nickt der Minister. Das ist der kurze
Dienstweg.
Herr von Klaeden, wir müssen noch einen Schritt
weiter gehen. Die NATO hat mit Russland eine strategische Partnerschaft. Aber es stellen sich die Fragen: Was
heißt das? Ist unser Verhältnis zu den Ländern, die Sie
genannt haben - Südkorea, Japan und Australien -, ähnlich oder anders gelagert? Gibt es hier einen qualitativen
Unterschied?
({7})
- Sehr richtig. Darüber müssen wir diskutieren. Ich bin
Ihrer Meinung. Zunächst einmal sollten wir aber die
Antwort der Regierung abwarten.
Meiner Meinung nach gibt es einen erheblichen Unterschied zwischen solchen Ländern, deren Wertegerüst
verlässlich ist und die die Bedingungen erfüllen, und solchen Ländern, mit denen wir eng zusammenarbeiten
müssen, weil wir zum Beispiel gemeinsame Ziele verfolgen. Auch hierzu erwarte ich Vorlagen der Bundesregierung. Herr von Klaeden, Ihre Einlassung zu diesem
Thema begrüße ich außerordentlich.
Darüber hinaus bin ich der Auffassung, dass es keine
Entgrenzung der NATO geben darf; das betrifft auch
Art. 5 des NATO-Vertrages. Hier sind wir völlig einer
Meinung. Unter organisatorischen Gesichtspunkten wäre
eine NATO mit 50 Staaten, unabhängig von den rechtlichen Bedingungen, nicht schlagkräftiger als eine NATO
mit 26 und demnächst vielleicht 27 Mitgliedstaaten.
Auch hier sind wir einer Meinung.
Ich komme zum zweiten Thema, das ich genannt
habe: dem Verhältnis zwischen der EU und der
NATO. Wir müssen feststellen: Das Verhältnis zwischen
EU und NATO ist schlecht bzw. zerrüttet. Sie dürfen das
als Regierung nicht so offen sagen; das verstehe ich.
Aber wir als Parlamentarier müssen der Realität ins
Auge schauen. Das Verhältnis zwischen diesen beiden
Organisationen ist zerrüttet.
({8})
Das behindert uns sehr stark.
Das mag zum Teil sicherlich in personellen Inkompatibilitäten zwischen den beiden Spitzenvertretern dieser
Organisationen begründet sein.
Ich sehe die Hauptgründe darin, dass wir ein unterschiedliches Verständnis der NATO haben. Das ist ein
Problem innerhalb der EU. So hat unser guter Freund
und wichtiger Partner Frankreich offensichtlich völlig
andere Vorstellungen über die politische Dimension der
NATO als wir. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, gerade im ersten Halbjahr des nächsten Jahres als Führungsmacht in Europa in diesen Fragen für Klarheit zu
sorgen und sie gegenüber Frankreich deutlich anzusprechen.
({9})
Frankreich weigert sich zum Beispiel, Herr Minister, das
Thema Energie im Zusammenhang mit der NATO anzusprechen. Aber spätestens seit letztem Jahr wissen wir
alle, dass dieses Thema erhebliche sicherheitspolitische
Komponenten hat. Deshalb muss es innerhalb der NATO
besprochen werden.
Der letzte Punkt betrifft die NATO als Werkzeugkasten. Wir sind mit der amerikanischen Sicht konfrontiert worden und haben uns vehement dagegen ausgesprochen. Ich bitte, diese Einstellung zu überdenken.
Schließlich gilt nach wie vor das alte Motto „Wenn du
nur einen Hammer hast, dann ist für dich alles ein
Nagel.“ In diesem Sinne würde ich es begrüßen, wenn
die NATO nicht nur einen Hammer, sondern auch einige
andere Werkzeuge zur Verfügung hätte. Wir alle sind uns
darin einig, dass auch im Rahmen der NATO neben der
militärischen Komponente die Politik eine größere Rolle
spielen muss. Insofern würde ich es begrüßen, wenn sie
über ein breites Bündel von Werkzeugen verfügen
würde.
Entscheidend ist aber nicht, ob wir ein Werkzeug oder
mehrere haben. Es geht vielmehr darum, wer über den
Einsatz welcher Werkzeuge wo und wann entscheidet.
Das ist eine eminent politische Frage. Es ist auch Kredo
der Bundeskanzlerin - ich bitte sie, dieses Kredo auch in
Riga einzulösen -, dass diese politische Frage dort entschieden wird, wo sie hingehört, nämlich im Rahmen der
NATO.
Ich danke Ihnen.
({10})
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Markus
Meckel für die SPD-Fraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die zentralen Fragen, die in Riga und noch
weit darüber hinaus zur Debatte stehen, sind angesprochen worden. Lieber Herr Stinner, Sie haben die beiden
Reden in München erwähnt. Dabei haben Sie aber vergessen, mitzuteilen, was Herr Struck, der die Rede von
Herrn Schröder stellvertretend vorgetragen hat, inhaltlich gesagt hat. Er hat kritisiert, dass in der NATO nicht
über die Fragen diskutiert würde, über die im transatlantischen Raum dringend diskutiert werden müsste. Das
müsse erreicht werden. Damit hat er übrigens Recht, unabhängig davon, wer die Rede vorgetragen hat.
Insofern ist es zu begrüßen, dass es bei dem früheren
Bundeskanzler und der Bundeskanzlerin in dieser Frage
Kontinuität gibt. Inzwischen ist in der NATO einiges
passiert, wenngleich wir abwarten müssen, inwieweit
diese Entwicklung in Zukunft fortgesetzt werden kann.
Der Forderung nach einem neuen strategischen Konzept stimme ich grundsätzlich zu; die Frage ist nur,
wann man damit beginnt. Ich bin nicht sicher, ob jetzt
der richtige Zeitpunkt dafür ist. Denn ein Konzept wird
dann erstellt, wenn ungefähr klar ist, wohin die Reise gehen soll. Das scheint mir zurzeit aber nicht ganz klar zu
sein. Das heißt, wir brauchen einen längeren Diskussionsprozess innerhalb der NATO, um die angesprochenen Fragen zu klären und zu konsensfähigen Antworten
zu kommen. Davon sind wir in vielen Punkten noch weit
entfernt.
Ich bin der festen Überzeugung, dass es in der Frage
des Scheidewegs, ob die NATO ein lockeres Forum unter Führung der USA sein soll - dem möglichst viele angehören, die den USA in einer „Coalition of the Willing“
folgen - oder eine verbindliche Allianz, in der gemeinsam analysiert, entschieden und gehandelt wird, für uns
Europäer wichtig ist, dass die zweite Variante realisiert
wird, soweit dies möglich ist. Tendenziell war dies in der
Vergangenheit bereits der Fall, wenngleich die bereits
angesprochenen Auflösungserscheinungen immer wieder sichtbar wurden. Insofern steht diese Debatte nach
wie vor zu Recht auf der Tagesordnung.
Ich glaube, dass die kontroverse Diskussion über die
Sicherheitspolitik im NATO-Rat intensiver fortgesetzt
werden muss. Schon in diesem Punkt gibt es unter den
NATO-Partnern oft keine Einigkeit. So besteht noch
nicht einmal Einigkeit über die Tagesordnung, weil etwa
unser Verbündeter Frankreich, mit dem wir sonst viel zusammenarbeiten, sagt: Wir verstehen die NATO ausschließlich als militärisches Instrument und wollen dort
keinen politischen Dialog führen. Ich bin dagegen der
Meinung, dass es sehr wichtig ist, den Dialog fortzuführen und insbesondere nach der Präsidentschaftswahl in
Frankreich im nächsten Jahr zu klaren Positionen zu
kommen.
Das betrifft den gesamten Bereich der Zusammenarbeit zwischen NATO und EU. Er wird in Zukunft von
eminenter Bedeutung sein. Ich bin sogar der festen
Überzeugung, dass die Zukunft der NATO wesentlich
von uns Europäern abhängen wird, von unserer Fähigkeit, nicht nur in der Europäischen Union, sondern auch
in der NATO mit einer Stimme zu sprechen. Es ist bislang gewissermaßen ein Fauxpas, wenn man im Zusammenhang mit der NATO von einem europäischen Caucus
spricht. Ich halte das aber in Zukunft für notwendig. Es
ist doch absurd, dass Staaten, die Mitglied der EU und
der NATO sind, in der EU gemeinsame Positionen finden - hoffentlich haben wir in Zukunft öfter welche -,
aber im NATO-Rat so tun, als gäbe es solche Positionen
nicht. Es muss aber in Zukunft möglich sein, sowohl in
der EU als auch in der NATO gemeinsame Positionen zu
vertreten. Auch wenn unser amerikanischer Partner das
nicht gerne sieht, ist es wichtig, dass wir, die Europäer,
künftig im Rahmen der NATO verstärkt mit gemeinsamer Stimme sprechen.
({0})
Das wird uns als Europäer partnerschaftsfähig machen.
Bislang hat man manchmal den Eindruck, dass wir nur
gefolgschaftsfähig sind. Die einen sind willig, die anderen nicht. Dann kommt es zu Schwierigkeiten wie beim
Irakkrieg.
Die Bewältigung der zentralen Herausforderungen,
vor denen wir stehen, hängt wesentlich davon ab, ob wir
Europäer die Fähigkeit und den politischen Willen haben, sicherheitspolitisch gemeinsam zu handeln. Dafür
sind entsprechende Ressourcen notwendig. Hier müssen
wir, glaube ich, noch einiges tun. Die Amerikaner reduzieren dies auf die Frage nach dem Budget. Auch ich
glaube, dass beim Budget noch einiges getan werden
muss. Aber viel wichtiger erscheint mir im Augenblick
die Frage, wie wir unsere Ressourcen nutzen. Entsprechen alle Beschaffungen, die im Augenblick auf der Tagesordnung stehen und im Plan sind, zielgenau dem
künftigen Einsatz der Bundeswehr? Dies betrifft nicht
nur uns Deutsche, sondern alle Europäer. Insofern ist die
Frage nach der Rüstungsagentur und ihrer Rolle - diese
sollten wir in Europa stärken - ausgesprochen wichtig.
Wenn wir sowohl in der NATO als auch in der Europäischen Union arbeitsteilig vorgehen wollen, dann
muss man darauf vertrauen können, dass andere die Ressourcen, die man selbst nicht hat, zur Verfügung stellen.
Wir müssen uns in diesem Zusammenhang selbstkritisch
fragen, welche verbindlichen Zusagen wir unseren Partnern eigentlich geben können. Das betrifft uns alle; denn
wir entscheiden im Bundestag über den Einsatz der Bundeswehr. Verbindliche Zusagen sind wichtig, damit unsere Partner nicht jede Waffe selbst haben müssen und
die europäischen Staaten sowohl in der NATO als auch
in der Europäischen Union verstärkt arbeitsteilig agieren
können. Ich glaube, hier sind einige Fragen in unserem
Diskurs noch offen.
Ich gehöre übrigens zu denjenigen, die der Meinung
sind, dass wir es in Zukunft dann, wenn wir uns nicht
selbst beteiligen wollen, ermöglichen bzw. verbindlich
zusagen sollten, dass deutsche Offiziere in den Stäben
bleiben. Wenn wir dies nicht tun, werden wir unsere Verlässlichkeit in Bezug auf die Handlungsfähigkeit integrierter Strukturen auf Dauer nicht stärken können bzw.
keine ausreichend verlässlichen Partner sein können. Die
Frage nach „civic caveats“ wurde bereits gestellt. Dies
gehört, wie ich finde, wesentlich dazu. Wenn wir die
Verbindlichkeit integrierter Strukturen stärken und
arbeitsteilig vorgehen wollen, um es billiger und effektiver zu machen, dann müssen wir diese Fragen gemeinsam beantworten.
Die Zusammenarbeit von EU und NATO ist angesprochen worden, auch die Schwierigkeiten und die Blockade, die wir faktisch haben, weil die Türkei wegen
der ungelösten Zypernfrage alles, was über die konkreten Operationen hinausgeht, blockiert. Es ist auch angesprochen worden, dass unser Partner Frankreich sich im
Grunde freut, dass die Türkei blockiert, weil Frankreich
dann diese Gespräche nicht führen muss. Insofern
glaube ich, dass wir auf parlamentarischer Ebene mit unseren französischen und türkischen Freunden stärker ins
Gespräch kommen müssen.
In Riga stehen die globalen Partnerschaften auf der
Tagesordnung. Herr Kollege von Klaeden, dazu haben
Sie das Nötige gesagt. Ich teile völlig die Kriterien, die
angesprochen worden sind. Wir sollten vorsichtig sein
und erst einmal die Fragen der Truppensteller, der Effektivität und des gemeinsamen Verhaltens klären.
Britische, amerikanische oder auch deutsche Soldaten
kommen aus verschiedenen Traditionen und verhalten
sich vor Ort unterschiedlich. Auch über solche Dinge
sollten wir im Rahmen der NATO sehr viel intensiver reden. Wir sollten die Frage stellen, ob das jeweilige Verhalten unseren Zielen entspricht, die Herzen und Köpfe
der Menschen in den Einsatzorten zu gewinnen.
Lassen Sie mich damit schließen - auch das ist angesprochen worden -, wie es mit Südosteuropa nach den
Statusverhandlungen im Kosovo weitergehen soll. Ich
bin der festen Überzeugung, dass wir, die NATO, bisher
selbst ein Problem sind, da wir den Staaten des westlichen Balkans bisher die Partnerschaft für den Frieden vorenthalten haben. Ich halte die Zusammenarbeit
mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag für dringend notwendig.
Ich halte es aber für falsch, daraus ein Bedingungsgefüge zu konstruieren. Wir erhalten die Chance, mit der
Partnerschaft für den Frieden auf die Sicherheitsstrukturen dieser Länder Einfluss auszuüben. Ich bin der festen
Überzeugung, dass wir das tun sollten. Deshalb ist meine
Erwartung an Riga, dass man diese Schritte geht, genauso übrigens, wie wir das mit Belarus tun. Wenn ich
sehe, dass wir mit diesem Diktator die Partnerschaft für
den Frieden implementieren - übrigens aus guten Gründen, nämlich um dort etwas sicherheitspolitisch zu tun -,
dann frage ich mich, wo der Unterschied zu Serbien,
Montenegro und den Staaten des westlichen Balkans ist.
Diese sind es mit Sicherheit wert, dass wir diesen Schritt
gehen, wobei die Forderung nach einer Zusammenarbeit
mit dem Internationalen Strafgerichtshof aufrechterhalten bleiben muss.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat nun der Kollege Paul Schäfer, Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach dem Ende des Kalten Krieges stellte sich die
Frage: Was passiert mit den hoch gerüsteten Militärbündnissen, wenn der jeweilige Feind abhanden gekommen ist? Kann man sie auflösen oder nicht? Weil nicht
sein kann, was nicht sein darf, kam schnell das geflügelte Wort für die NATO auf: out of area oder out of
business. Nun ist die NATO out of area, sie ist weltweit
im Geschäft. „We are very busy“, hat uns der NATO-Generalsekretär kürzlich gesagt. Man geht dabei von einem
Sicherheitsbegriff aus, der bei der organisierten Kriminalität anfängt und über die Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen bis hin zur unkontrollierten Bewegung einer
großen Zahl von Menschen - das steht in NATO-Dokumenten - reicht. Das alles kann unsere Sicherheit bedrohen. Gleichzeitig hat man sich 1999 im Jugoslawienkrieg selbst zu Militärintervention und Krieg ermächtigt
und hat das in die Doktrin hineingeschrieben. Mit anderen Worten: Die NATO verpflichtet sich zu nichts, ermächtigt sich aber zu allem.
({0})
Paul Schäfer ({1})
Ich finde, 15 Jahre nach dem Gipfel von Rom müsste
eine kritische Bilanz darüber gezogen werden, was man
erreicht hat und was nicht. Auf der Agenda steht seit
1991 der Kampf gegen den Terrorismus. Das steht mit
wachsendem Gewicht auf der Agenda der NATO. Haben
wir in den Folgejahren weniger Terrorismus gehabt oder
mehr Terrorismus? War diese Politik von Erfolg gekrönt? Seit 1991 steht in den Dokumenten, die Nichtverbreitung von Atomwaffen, Rüstungskontrolle und Abrüstung hätten größte Bedeutung für die NATO. Hat man
hier etwas erreicht? Wir haben inzwischen de facto mehr
Atommächte. Wir haben wieder steigende Rüstungsausgaben und auch die globalen Waffenströme wachsen an.
Das ist keine Erfolgsstory. Ob das Kosovo als Beispiel
dafür taugt, dass die NATO ein Instrument der Krisenreaktion ist, ist sehr in Zweifel zu ziehen. Diese Intervention war mit einem Völkerrechtsbruch verbunden. Das
Ziel eines multiethnischen Kosovo ist inzwischen Schall
und Rauch.
Beim Thema Afghanistan sind wir inzwischen bei
Durchhalteparolen angelangt, die lauten: Wir dürfen
nicht verlieren. Die NATO findet keinen Weg aus Krieg
und Gewalt. Das hängt nach unserer Überzeugung als
Linke damit zusammen, dass die NATO ganz überwiegend eine Militärallianz geblieben ist, dass sie überwiegend von den USA dominiert wird und dass sie der
Mobilisierung neuer Ressourcen für eine Entwicklungspolitik im Wege steht.
({2})
Die französische Verteidigungsministerin hat kürzlich
bekräftigt, Frankreich sei nur für ein reines Militärbündnis zu haben, weil man sonst falsche politische Botschaften übermittelt, nämlich die einer Kampagne auf Initiative des Westens gegen diejenigen, die seine Auffassung
nicht teilen. Sie fragte weiter: Welch einen Vorwand
würden wir damit denen liefern, die die These vom Konflikt der Kulturen vertreten?
Da wurde wenigstens einmal kritisch darüber nachgedacht, ob wirklich alles gut ist und ob wir, weil der Westen gut ist, über die militärische Stärkung und Handlungsfähigkeit des Westens reden können. Das ist zwar
auf französischer Seite nicht konsequent durchdekliniert,
ich möchte es aber einmal zuspitzen.
Ich habe noch ein anderes Zitat:
Der Westen gewann die Welt nicht durch die Überlegenheit seiner Ideen oder Werte oder der Religion, vielmehr durch seine Überlegenheit, organisierte Gewalt anzuwenden. Die Euro-Amerikaner
vergessen oft diese Tatsache, der Rest der Welt
nicht.
- Das hat kein Linker gesagt, sondern Samuel
Huntington. Damit hat er einen Punkt problematisiert,
den Sie vielleicht auch einmal problematisieren sollten,
statt - wie im Antrag der Regierungskoalitionen - einfach zu sagen, wir müssten jetzt die militärische Handlungsfähigkeit der NATO stärken und schon seien wir
auf dem Weg zu einer friedlichen Welt. Nein, das wird
so nicht funktionieren.
Unser Antrag weist in die richtige Richtung. Wir
müssen eine konsequente Politik der Zivilisierung verfolgen. Das heißt aber auch, dass wir kritisch reflektieren
müssen, dass die NATO nun einmal das größte Aufrüstungsbündnis ist, das im Moment existiert. Deshalb wiederholen wir unseren Vorschlag. Am Ende des Kalten
Krieges hieß es: Wer mehr hat, soll mehr geben. Heute
müssen wir sagen: Wer so viel hat wie die NATO, sollte
wenigstens einmal anfangen mit der Abrüstung. Das ist
der entscheidende Punkt.
({3})
Wir reden über die Krise der nuklearen Nichtverbreitung. Auch diesbezüglich kann und muss die NATO ein
positives Signal setzen; dafür könnte einiges getan werden. Unter dem Strich brauchen wir nach unserer Auffassung als Fraktion Die Linke die NATO nicht als globales Ordnungsbündnis und als Weltpolizist. Gegen eine
NATO out of business haben wir nichts.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Der letzte Redner in dieser Debatte ist Herr Kollege
Winfried Nachtwei für die Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In Riga wird der bisherige US-Verteidigungsminister
Rumsfeld nicht mehr dabei sein. Ich denke, ich spreche
sehr vielen aus dem Herzen, wenn ich feststelle, dass das
ein Gewinn für die NATO und für die internationale Sicherheit ist.
({0})
Als Erstes möchte ich etwas zur NATO im Einsatz,
und zwar nicht pauschal zur NATO im Einsatz, sondern
zur NATO im Friedenseinsatz sagen: Vor zwei Jahren
beim NATO-Gipfel in Istanbul gab es zum einen den
KFOR-Einsatz im Kosovo und zum anderen hatte die
NATO ein Jahr zuvor die ISAF in Afghanistan übernommen. Viele von uns erinnern sich noch sehr deutlich daran, wie das damals war. Man war darauf gekommen,
dass Kabul allein nicht ausreicht, sondern dass man auch
in die Provinzen gehen muss. Es hat aber im Jahr 2004
unter den NATO-Partnern und Verbündeten enorme Mühen gekostet, auf ausreichend Kräfte für die regionalen
Wiederaufbauteams in den Provinzen zu kommen. Es
gab eine enorme Zögerlichkeit, die auch wesentlich mit
dem Irakkrieg zu tun hatte. Damals ist entscheidende
Zeit verloren gegangen. Inzwischen gibt es die Vollausweitung der NATO-geführten ISAF nach Süd- und
Ostafghanistan. Seit etlichen Wochen stehen ISAF/
NATO-Truppen erstmalig in der Geschichte der NATO
in Bodenkämpfen, die inzwischen sehr viele Opfer auf
allen Seiten gefordert haben.
Selbstverständlich wird in Riga das Thema „Lastenverteilung im Bündnis“ eine erhebliche Rolle spielen. Im
Süden und im Osten Afghanistans ist der Doppelauftrag
- auf der einen Seite Sicherheit zu schaffen und auf der
anderen Seite Aufbau und Entwicklung zu fördern - besonders kompliziert. Für die dort nicht beteiligten ISAFNationen ist die Situation im Süden und Osten nach meinem Eindruck kaum durchschaubar.
In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich
darauf hinweisen, dass es meiner Meinung nach falsch
ist, die Arbeit, die im Norden gemacht wird, als so genannten leichten Job abzutun. Wer da war, weiß, wie
kompliziert und riskant die Situation ist. Bisher war man
dort aber relativ erfolgreich. Es wäre völlig falsch, die
Kräfte dort zu schwächen. Auf der anderen Seite muss
auch klar sein, dass sich der relativ erfolgreiche Weg im
Norden ohne eine Stabilisierung im Süden nicht fortsetzen lässt.
({1})
Nun möchte ich noch auf den Punkt „Kooperation
und Partnerschaften“ zu sprechen kommen. Ich meine,
dies war in der Vergangenheit eine regelrechte Erfolgsgeschichte. Was vor allem amerikanische Vorschläge zu
einer Global Partnership angeht - ich brauche nicht zu
wiederholen, was meine Vorredner gesagt haben -: Eine
solche Entgrenzung des Bündnisses wäre eine völlige
Überforderung. Dies ist in der Tat abzulehnen. Andere
Konsultations- und Kooperationsmöglichkeiten gibt es
selbstverständlich.
Zum Verhältnis NATO/Europäische Union ist schon
einiges Richtige gesagt worden. Dieses Nebeneinander
reicht absolut nicht. Wir werden das im Kosovo besonders deutlich sehen. Wenn die UN abziehen, dann muss
man zusammenarbeiten. Dasselbe gilt für das Verhältnis
zwischen zivilen Organisationen und NATO. Notwendig
ist eine Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe.
Der Gipfel in Riga ist der erste NATO-Gipfel in einem ehemaligen Staat der Sowjetunion. Hinzu kommt,
dass dieser Gipfel an einem ganz besonderen, an einem
historischen Ort stattfindet. Den meisten ist wahrscheinlich gar nicht bewusst: Vor 66 Jahren befand sich
Lettland seit sechs Monaten unter sowjetischer Besatzung. Vor 65 Jahren, am 29. November 1941, wurde in
Riga die Erschießung von mehr als 15 000 Rigenser Juden vorbereitet. Diese Erschießung wurde von der SS
am 30. November 1941 vollzogen. Anlässlich des Rigaer NATO-Gipfels an diesem historischen Ort sollte daran erinnert werden, wofür Militär notwendig sein kann,
nämlich zum Schutz des Völkerrechts, zum Schutz vor
schwersten Menschenrechtsverletzungen. Herr Minister,
es wäre gut, wenn Sie zusammen mit der Kanzlerin in
Riga die Gedenkstätte Rumbula besuchten.
Ich danke Ihnen.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Tagesordnungspunkt 31 a. Abstimmung über den An-
trag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem
Titel „Die NATO vor dem Gipfel in Riga vom 28. bis
29. November 2006“. Wer stimmt für den Antrag auf
Drucksache 16/3296? - Wer ist dagegen? - Enthaltun-
gen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen
angenommen.
Tagesordnungspunkt 31 b. Abstimmung über den An-
trag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „NATO-Gipfel
in Riga für Abrüstungsinitiativen nutzen“. Wer stimmt
für den Antrag auf Drucksache 16/3280? - Wer ist dage-
gen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen
aller Fraktionen mit Ausnahme der Fraktion Die Linke
abgelehnt.
Zusatzpunkt 9. Interfraktionell wird die Überweisung
der Vorlage auf Drucksache 16/3287 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a und 34 b auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches
Sozialgesetzbuch und des Finanzausgleichsgesetzes
- Drucksache 16/3269 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Bundesweite Mindeststandards für angemessenen Wohnraum und Wohnkosten für Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II
- Drucksache 16/3302 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist auch
für diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Karl Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion.
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verlässlichkeit ist einer der Grundpfeiler von politischem Handeln - Verlässlichkeit der Politik und Verlässlichkeit zwischen den staatlichen Ebenen, zwischen
Bund, Ländern und Gemeinden. Diese Verlässlichkeit ist
eine der Grundvoraussetzungen für unsere Demokratie.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des
Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und des Finanzausgleichsgesetzes beweist der Bund, dass er verlässlich ist.
Zugegeben: Bei der Verabschiedung der Hartz-Reformen war die Regelung der Übernahme der Kosten der
Unterkunft eines der größten Probleme. Hierbei gab es
sehr unterschiedliche Bewertungen dazu, wie hoch die
Einsparungen beim Wegfall der Sozialhilfe sein würden
und wie viel Bedarfsgemeinschaften überhaupt zugrunde
zu legen sind. Wir hatten zu dieser Zeit keine gesicherte
Datenbasis.
Letztlich verständigte man sich darauf, dass sich der
Bund mit 29,1 Prozent an den von den Kommunen zu
tragenden Unterkunftskosten beteiligt. Es gab bis zuletzt
Streitigkeiten hinsichtlich der Berechung der Unterkunftskosten. Der Bund ging nach der horizontalen Berechungsweise vor, während die Kommunen mit der vertikalen Berechnungsweise auf ihre Zahlen kamen. Wir
haben es im SGB-II-Fortentwicklungsgesetz geregelt.
Nicht übersehen werden darf, dass mit der Einführung
von Hartz IV viele Städte finanziell entlastet wurden,
während viele ländliche Kommunen belastet wurden.
Auch nicht von der Hand zu weisen ist, dass diejenigen,
die vorher Sozialhilfe bezogen haben, nun mehr Geld
bekommen, weil die Regelsätze angehoben wurden. Allerdings sind Sonderbedarfe weggefallen. Aber das wollten wir auch. Wir wollten pauschalieren und die Eigenverantwortung stärken.
Der Bund hat dabei stets seine klare Intention betont:
Die Kommunen sollen eine verlässliche Entlastung bei
den Kosten für Unterkunft und Heizung für die Bedarfsgemeinschaften erhalten, die Arbeitslosengeld II bekommen.
({0})
Mit dem im vorliegenden Gesetzentwurf gefundenen
Kompromiss erreichen wir dieses Ziel für das kommende Jahr und für den überschaubaren Zeitraum bis
2010.
({1})
2008 wird der Bundesanteil auf dieser Grundlage
zwischen Bund und Ländern neu abgesteckt. Hartz IV
unterliegt nun einmal keinen statischen Regeln, sondern
muss jetzt und in Zukunft den tatsächlichen Entwicklungen angepasst werden. In dem Kompromiss ist auch berücksichtigt, dass die Kommunen aus Eigeninteresse alle
Anstrengungen unternehmen, um die Kosten selbst im
Griff zu behalten.
Der Blick auf die Zahlen zeigt, dass die These von
der Verlässlichkeit allein schon vom Volumen her in
Euro und Cent umgesetzt wurde. Der Bund erhöht seinen Anteil an den in den Kommunen anfallenden Unterbringungskosten - für das nächste Jahr werden
14,3 Milliarden Euro angenommen - von ursprünglich
2 Milliarden Euro auf 4,3 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil von 31,8 Prozent der Kosten; bislang waren es nur 29,1 Prozent
({2})
Wir haben somit eine Regelung zu den Kosten gefunden, mit der sich der Bund an den höheren Unterkunftskosten beteiligt und damit die kommunalen Haushalte
entlastet. Die Aufteilung der Mittel ist Sache der Länder.
Sie müssen das für sich selbst regeln.
Die Kommunen erhalten diese Entlastung ebenso in
den Folgejahren. Der Bund bleibt auch insofern ein verlässlicher Partner. Beide Seiten haben sich auf eine
Gleitklausel verständigt: Steigt die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften, dann steigt auch der Anteil, den der
Bund an den Kosten der Unterkunft trägt; sinkt aber die
Zahl der Bedarfsgemeinschaften, dann sinkt auch die
Beteiligungsquote des Bundes.
({3})
Mit dieser Gleitklausel passen wir den Bundesanteil
künftig der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und den
jeweils tatsächlich entstehenden Unterbringungskosten
an.
({4})
Ich finde das fair. Das verstehe ich auch unter Verlässlichkeit. Indem wir diese Verlässlichkeit zeigen, beweisen wir, dass wir uns mit den Kommunen bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in einem Boot sehen.
Der Kompromiss zeigt auch, dass wir die Probleme,
die sich aus Langzeitarbeitslosigkeit ergeben, nur gemeinsam lösen können. Ziel muss es sein, dass die Betroffenen weiterhin Hilfe aus einer Hand bekommen.
Wir können es uns nicht erlauben, Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen politischen Ebenen,
zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, auf dem
Rücken der Langzeitarbeitslosen auszutragen. Die fast
24 Monate, seitdem Hartz IV in Kraft ist, haben manche
Veränderungen mit sich gebracht. Wir haben diese aufgegriffen und in Gesetzesform gegossen. Ich bin sicher,
dass wir damit noch nicht am Ende sind. Wir lernen und
wir handeln.
({5})
Meine Damen und Herren, die Grundsicherung ist
eine Herausforderung für alle staatlichen Ebenen: Bund,
Länder und Kommunen. Die Kommunen tragen dabei in
hohem Maße zum Gelingen bei, da sie die Menschen vor
Ort direkt erreichen. Die Arbeit der Kommunen entscheidet ganz wesentlich darüber, wie erfolgreich die
Prinzipien der neuen Grundsicherung für die Menschen
in die Praxis umgesetzt werden. Das gilt für die Arbeit in
den Argen, in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur,
ebenso wie in den optierenden Kommunen.
Die aktuellen Arbeitsmarktzahlen belegen, dass immer mehr Menschen aus dem SGB-II-Bezug herauskom6358
men - zu unserer großen Freude auch verstärkt Langzeitarbeitslose. Allein 88 000 haben im letzten Monat
den Sprung aus dem ALG-II-Bezug geschafft. Das ist,
wie ich meine, ein großer Erfolg.
({6})
Endlich steigt die Zahl sozialversicherungspflichtiger
Beschäftigungsverhältnisse. Gegenüber dem Vorjahr gab
es einen Anstieg um 258 000 auf nunmehr 26,56 Millionen. Dieser positive Trend macht sich auch an der finanziellen Lage der Sozialkassen bemerkbar. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der von der großen Koalition
eingeschlagene Weg ist richtig.
({7})
Sozial ist es eben nicht, wenn man den Erwerbslosen
die Regelleistungen weiter erhöht, sondern, wenn man
ihnen Perspektiven aufzeigt, wie sie aus dem staatlichen
Transfersystem herauskommen und den Lebensunterhalt
für sich und ihre Familien aus eigener Kraft erwirtschaften können. Zugegeben: Es gibt viele Regionen in
Deutschland, wo sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt
schwierig darstellt, und in manchen Teilen Deutschlands
ist die Arbeitslosigkeit immens. Dennoch war es nie
Aufgabe von Hartz IV, neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Hartz IV ist und bleibt eine Grundsicherung. Der Staat
kann nun mal nur die Rahmenbedingungen setzen, während die Wirtschaft die Arbeitsplätze schaffen muss.
({8})
Das, was Sie von den Linken in Ihrem Antrag als angemessen und sozial beschreiben, passiert in der Praxis
schon längst. Umzugskosten werden bereits erstattet,
Kautionen werden als Darlehen gezahlt. Wenn ein Erwerbsloser umziehen muss, bekommt er auch die Kosten
für einen Bulli bezahlt.
({9})
In meinen Augen ist Ihr Antrag eine weitere Instrumentalisierung - ich sage Ihnen das sehr deutlich - der Langzeitarbeitslosen für Ihre parteipolitischen Interessen.
({10})
Sie machen Ihrer vermeintlichen Wählerklientel Hoffnungen auf mehr Geld, das die Steuerzahler erst einmal
erwirtschaften müssen.
({11})
Das führt nicht zu mehr, sondern zu weniger sozialer Gerechtigkeit.
({12})
Meine Damen und Herren, Verlässlichkeit und Planbarkeit - danach sehnen sich die Menschen in unserem
Land. Deshalb freue ich mich sehr über die Kommentare
und Stellungnahmen der Repräsentanten der kommunalen Spitzenverbände aus den vergangenen Tagen, die
zeigen, dass dieser Kompromiss auch für sie ein tragfähiges und verantwortbares Werk darstellt und dass auch
sie die Verlässlichkeit des Bundes nicht infrage stellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde mich
freuen, wenn der Bundesanteil in diesem und im kommenden Jahr weiter sinkt. Das wäre nämlich der Indikator dafür, dass immer mehr Menschen wieder in Lohn
und Brot stehen, für sich selbst sorgen können und keiner Hilfe der Gemeinschaft bedürfen. Es muss die verlässliche Kernaufgabe unseres politischen Handelns
sein, genau dafür zu sorgen, dass mehr Menschen eine
Erwerbsarbeit finden - egal ob mit oder ohne die Hilfestellung des SGB II. Dass wir an diesem großen Ziel erfolgreich arbeiten, darauf verlassen sich die Bürgerinnen
und Bürger. Diese Verlässlichkeit müssen wir in diesem
Hause, in den Ländern und auch im Zusammenspiel von
Bund und Ländern praktizieren und beweisen, indem wir
- ich sage es sehr deutlich - wie bei diesem Gesetzentwurf gemeinsam zielorientiert arbeiten.
Ich danke Ihnen.
({13})
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Jörg Rohde das
Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Nachdem mittlerweile drei Nachbesserungsgesetze zu Hartz IV verabschiedet wurden, beraten wir
heute die nunmehr vierte Korrektur des unsäglichen rotgrünen Hartz-Murkses.
({0})
Die Kollegen von CDU und CSU schaffen es lediglich,
einige schwarze Tupfer in das Gesetz einzubringen. Da
wir auf die Generalrevision der so genannten Hartz-IVGesetze wohl noch länger warten müssen - als Erstes
würde ich übrigens gerne den Namen dieser Gesetze ändern -, wird dies nicht der letzte Versuch einer Hartz-IVKorrektur sein.
Kernpunkt der Fortschreibung des Gesetzes, um die
es heute geht, sind die Unterkunftskosten, die zu einem
großen Teil von den Kommunen zu tragen sind. Diese so
genannten KdU - die Kosten der Unterkunft - sind aber
nur die Symptome in diesem System. Die Ursache für
die steigenden Kosten in diesem Bereich ist doch die
steigende Anzahl der Bedarfsgemeinschaften. Diese Anzahl wiederum ist so stark gestiegen, weil im Gesetz der
damals faktisch großen Koalition im Vermittlungsausschuss viele Lücken waren, die von einigen Bürgern genutzt wurden, für die das Gesetz gar nicht gedacht war.
({1})
Das war kein Missbrauch - diese Diskussion haben wir
heute schon geführt -, sondern schlicht handwerklicher
Dilettantismus bei der Gesetzgebung;
({2})
die Bürger haben nur den Spielraum der Gesetze voll
ausgenutzt.
Zusätzlich versäumt es die Bundesregierung derzeit,
durch eine bessere Wirtschaftspolitik und eine aktive Arbeitsmarktspolitik, die Grundlagen für ein Sinken der
Anzahl der Bedarfsgemeinschaften zu schaffen.
Die Unterkunftskosten schnüren vielen Kommunen
mittlerweile die Kehle zu. Es ist nichts als blanker Hohn,
wenn gerade die Kolleginnen und Kollegen der SPD
jetzt in ihren Kommunen fragen, wie es denn mit dem
Ausbau der Kinderbetreuung aussehe, und meinen, da
müssten doch 2,5 Milliarden Euro sein. Davon kann
keine Rede sein. Die kommunalen Spitzenverbände haben einen Bedarf von 5,8 Milliarden Euro ausgerechnet,
wenn nach Abzug der Unterkunftskosten noch eine
finanzielle Entlastung der Kommunen von 2,5 Milliarden Euro übrig bleiben soll. Ich frage Sie: Nehmen Sie
in Kauf, dass die Kommunen, die bei den KdU verhältnismäßig gut abschneiden, in die Kinderbetreuung investieren, und die Kommunen, bei denen es mit den
KdU nicht so gut läuft, eben nicht? Das kann doch nicht
Ziel Ihrer Politik sein.
({3})
Von Handlungsfähigkeit und Planungssicherheit für
die Kommunen kann jedenfalls keine Rede sein, wenn
Herr Müntefering jetzt eine Kompromisssumme von
4,3 Milliarden Euro überweist. Die Hartz-Gesetze sind
kläglich gescheitert.
Optionskommunen, die bei der Vermittlung in Arbeit
beträchtliche Erfolge erzielen, können die Früchte ihrer
Arbeit nicht ernten, weil die ungedeckten Mehrausgaben
bei den Kosten der Unterkunft jeden eingesparten Sozialhilfeeuro wieder auffressen.
Positiv möchte ich aber zu der geplanten Gesetzesänderung feststellen, dass zukünftig eine gute Arbeit der
Kommunen vor Ort auch kleine finanzielle Vorteile
bringt. Durch die vorgeschlagene Formel zur Berechnung der Beteiligung des Bundes an den KdU wird zum
Beispiel eine Optionskommune mehr von dem eingesparten Geld behalten können, wenn die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften sinkt, das heißt, wenn vor Ort
Langzeitarbeitslose in Arbeit vermittelt werden. Erst im
Folgejahr wird dann der Verteilungsschlüssel angepasst.
Bei sinkender Anzahl der Bedarfsgemeinschaften sinkt
dann auch der prozentuale Anteil des Bundes an den
KdU.
Umgekehrt wirkt die Formel genauso: Wenn in vielen
Argen nur unzureichend Langzeitarbeitslose in Jobs vermittelt werden, dann steigt die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften, die entsprechende Kommune muss mehr
Geld für die KdU aufbringen - dann kann sie nicht in
Kinderbetreuung investieren - und der Bund würde erst
im Folgejahr seinen Anteil an den Kosten prozentual erhöhen.
Die Anreize zur Arbeit vor Ort gehen meines Erachtens in die richtige Richtung, reichen aber noch nicht
aus. Jetzt müssen Sie auch konsequent sein, meine Damen und Herren von der Koalition: Erlauben Sie den
Kommunen, sich aus einer Arge zu lösen und für die Zukunft die Option zu wählen!
({4})
Nach den Erfahrungen der ersten beiden Jahre gibt es bereits etliche Kommunen, die gerne optieren würden. Die
damalige gesetzliche Festlegung auf maximal 69 Optionskommunen in Deutschland war doch willkürlich; sicher erinnern Sie sich noch daran. Geben Sie den Kommunen die Freiheit, sich für die Option zu entscheiden,
wenn sie das wünschen!
Noch wichtiger als dieser Punkt wären die überfällige
Reform der Finanzbeziehungen im föderalen System
und die Entflechtung der finanziellen Zahlungsströme
zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Wenn die
Kommunen für die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen und gleichzeitig für die Finanzierung der KdU verantwortlich wären, dann wäre man vor Ort noch motivierter, das Richtige zu tun, um diese Kosten in den Griff
zu bekommen.
({5})
Da kann die Formel, die ich eben gelobt habe, noch so
schön sein: Ein Leben ohne komplizierte Formeln, aber
dafür mit klaren Zuständigkeiten wäre eben viel einfacher.
({6})
Die Regierung könnte also noch bessere Gesetze als
das jetzt vorliegende auf den Weg bringen. Es macht
mich daher wütend, dass wir heute zum x-ten Mal hier
den Mangel verwalten, anstatt endlich eine grundlegend
andere Arbeitsmarktpolitik auf den Weg zu bringen.
Wenn alle Menschen einen Job hätten, dann müssten wir
diese leidige Diskussion heute gar nicht führen. Aber die
große Koalition macht keine Politik für mehr Arbeit,
sondern steht der nachhaltigen Schaffung von Arbeitsplätzen im Weg.
({7})
Zu Hartz IV wurde eine Vielzahl der im Koalitionsvertrag angeführten Nachbesserungen im Rahmen von
mittlerweile drei Nachbesserungsgesetzen beschlossen.
Eine Optimierung sehe ich indes noch nicht. Unter dem
Strich müssen wir Arbeitsplätze schaffen, damit die Zahl
der Bedarfsgemeinschaften sinkt und die KdU bei Bund
und Ländern zurückgehen.
Wir brauchen ein zeitgemäßes Kündigungsschutzrecht, ein der Zeit angepasstes Tarifvertragsrecht, betriebliche Bündnisse für Arbeit und vieles andere mehr.
Damit schaffen wir Arbeitsplätze. Ich sehe aber schwarz,
dass die Bundesregierung das schafft.
Ich befürchte vielmehr, dass wir uns weiterhin Gedanken über steigende KdU machen müssen, vielleicht schon
bei den Haushaltsberatungen in der nächsten Sitzungswoche. Aber das werden Ihnen die Sachverständigen bei der
Anhörung zu diesem Gesetz, die wir nachher beschließen
wollen, sicher sagen. Auf den Rat der FDP hören Sie leider nicht so gerne.
Vielen Dank.
({8})
Für die Bundesregierung hat der Parlamentarische
Staatssekretär Gerd Andres das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das Sozialgesetzbuch II sieht vor, dass die
Kommunen im Zuge der Umsetzung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt um
insgesamt 2,5 Milliarden Euro entlastet werden. Um dies
sicherzustellen, haben Bundestag und Bundesrat 2004
im Vermittlungsverfahren vereinbart, dass sich der Bund
an den Kosten der Unterkunft von Arbeitslosengeld-IIEmpfängern beteiligt. Im Dezember des vergangenen
Jahres wurde im ersten SGB-II-Änderungsgesetzes festgelegt, dass für die Jahre 2005 und 2006 diese Beteiligung jeweils 29,1 Prozent beträgt.
Um es an dieser Stelle klar zu sagen: Der Bund steht
zu der Zusage, die Kommunen um 2,5 Milliarden Euro
pro Jahr zu entlasten. Zwei Bemerkungen sind in diesem
Zusammenhang aber unbedingt notwendig.
Erstens. Die Bundesregierung verbindet mit ihrer Zusage an die Kommunen die klare Erwartung, dass diese
Entlastungen zumindest teilweise - im Verfahren war die
Rede von rund 1,5 Milliarden Euro - für den Ausbau
der Kinderbetreuung eingesetzt werden. Ich weiß, dass
einige aufseiten der Länder und Kommunen das nicht
gerne hören. Herr Kollege Rohde, als jemand, der dabei
gewesen ist, weiß ich, was verabredet worden ist. Es
geht um nicht mehr oder weniger als darum, dass auch
die kommunale Seite ihre Zusagen einhält.
Für die Bundesregierung bestehen eindeutige politische Absprachen. Wir werden ihre Erfüllung gerade vor
dem Hintergrund, dass entsprechendes Handeln der
Kommunen gegenwärtig nicht in ausreichendem Umfang erkennbar ist, auch einfordern.
Zweitens. Der Bund kann sicherstellen, dass die
Kommunen insgesamt um 2,5 Milliarden Euro entlastet
werden. Er kann aber nicht die Entlastung jeder einzelnen Kommune garantieren. Das lässt unsere Finanzverfassung nicht zu.
Nun wünschen sich manche, der Bund würde auch lokal für einen Ausgleich sorgen, weil die eigentlich Verantwortlichen es nicht tun. Aber hier sind eindeutig die
Länder gefragt. Sie müssen im Wege des kommunalen
Finanzausgleichs für den angemessenen Ausgleich sorgen. Das kann nicht Aufgabe des Bundes sein.
Das Jahr 2006 neigt sich dem Ende zu. Wir brauchen
dringend eine neue Vereinbarung darüber, wie sich die
Bundesbeteiligung ab 2007 darstellt. Die Gespräche mit
den Ländern haben leider weder auf Fach- noch auf politischer Ebene zu einer ausreichenden Annährung der
Positionen geführt. Ich will die unterschiedlichen
Standpunkte noch einmal kurz skizzieren.
Der Bund ging auf Basis der vom Bundesministerium
für Arbeit und Soziales im Juni 2006 erstellten Berechnungen für das Jahr 2007 zunächst von einer Bundesbeteiligung in Höhe von 15,5 Prozent oder rund
2 Milliarden Euro aus. Diese Annahme bildete auch die
Grundlage für den entsprechenden Ansatz im Entwurf
des Bundeshaushaltes 2007. Die Länder hingegen forderten einen Bundesanteil in Höhe von 43,2 Prozent
oder 5,8 Milliarden Euro. Das ist schon ein ganz schöner
Batzen Geld, der da dem Bund abverlangt wird.
Ich will kurz darstellen, welche Annahmen hinter den
jeweiligen Argumentationen stehen. Für den Bund ist
klar, dass sowohl der Entlastungsbetrag der Kommunen
aufgrund weggefallener Ausgaben für erwerbsfähige Sozialhilfebezieher als auch der Entlastungsbetrag der Länder infolge der Änderung des Wohngeldgesetzes auf die
Folgejahre fortgeschrieben werden muss. Nur so können
die Be- und Entlastungen des alten und des neuen Leistungsrechts miteinander verglichen werden. Die Länder
hingegen lehnten eine Fortschreibung auf der Entlastungsseite ab.
Neben diesem Konflikt bestehen Differenzen hinsichtlich der Aufteilung der so genannten dritten
Gruppe. Mit Einführung des neuen Leistungsrechts kamen Menschen in dieses Leistungssystem, die vorher
weder Arbeitslosenhilfe bezogen haben noch Sozialhilfeempfänger waren. Länder und Kommunen fordern hier
eine vollständige Kostenübernahme durch den Bund.
Das aber ist aus meiner Sicht völlig unakzeptabel. Die finanziellen Auswirkungen der von Bundestag und Bundesrat gemeinsam beschlossenen Reform würden damit
vollständig vom Bund getragen. Dieser Anspruch der
Länder ist weder sachgerecht noch realitätsnah, insbesondere vor dem Hintergrund, dass es noch immer einzelne Länder gibt, die Leistungsausweitungen in diesem
System fordern.
Angesichts der auch nach mehreren Verhandlungsrunden weiterhin gegensätzlichen Positionen wurden
nun im Rahmen eines politischen Spitzengesprächs am
2. November folgende Kompromisslösungen vereinbart:
Erstens. Der Beteiligungssatz für das Jahr 2007 wird
im Vergleich zu 2006 auf 31,8 Prozent angehoben.
Zweitens. Der Beteiligungssatz wird in den Jahren
2008 bis 2010 nach Maßgabe der Entwicklung der Zahl
der Bedarfsgemeinschaften jeweils durch Bundesgesetz
angepasst. - Herr Rohde, das bedeutet, wir werden uns
auch in den kommenden Jahren immer wieder mit Gesetzen befassen. Das ist aber nichts Neues und darf einen
Abgeordneten eigentlich nicht so erschrecken, wie Sie
das hier dargestellt haben. - Die Grundlage dafür bietet
eine im Gesetz festgelegte Formel.
Drittens. Der so genannte Ausgleich Ost wird über
Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen um ein
Jahr und damit ebenfalls bis 2010 verlängert.
Für den Bund hat dieser Kompromiss erhebliche
finanzielle Auswirkungen. Eine Bundesbeteiligung an
den Kosten der Unterkunft in Höhe von 31,8 Prozent
führt zu einer Belastung in Höhe von 4,3 Milliarden
Euro. Die Mehrausgaben im Vergleich zum Ansatz im
Haushalt 2007 belaufen sich damit auf die stolze Summe
von 2,3 Milliarden Euro. Wer sich diese Zahlen vor Augen führt, kann nur zu der Einschätzung kommen, dass
dies ein guter Kompromiss für die Kommunen ist. Sie
erhalten Planungssicherheit bis 2010, was die Beteiligung des Bundes an den Leistungen der Unterkunft angeht, und sie werden - das ist meine feste Überzeugung in den nächsten Jahren um deutlich mehr als die zugesagten 2,5 Milliarden Euro entlastet werden.
Denn man muss berücksichtigen - das will ich abschließend anmerken -, dass die kommunalen Finanzierungsdefizite seit 2004 deutlich geringer geworden sind
und dass die Perspektiven bei den Steuereinnahmen so
schlecht nicht sind. Im Gegenteil: Laut aktueller Steuerschätzung ist für 2006 insgesamt sogar ein Überschuss
denkbar. Demnach werden die Steuereinnahmen aller
Gemeinden in 2006 bei rund 67 Milliarden Euro und in
2007 bei fast 68 Milliarden Euro liegen. Das sind jeweils
rund 4 Milliarden mehr als im Mai geschätzt. Darüber
hinaus muss man berücksichtigen, dass die Entwicklung
der Steuereinnahmen aller Gemeinden in den Jahren
2005 und 2006 deutlich dynamischer ist als bei Bund
und Ländern. Die Experten erwarten, dass sich diese
Tendenz bis 2010 fortsetzen kann.
Den Einwand der Kommunen, dass der Zuwachs der
Einnahmen aus kommunalen Steuern unter anderem wegen der Mehrwertsteuererhöhung im Jahr 2007 vermutlich geringer ausfallen wird als bei Bund und Ländern,
lasse ich nicht gelten. Denn die Kommunen sind über
den kommunalen Finanzausgleich mittelbar an den
Mehreinnahmen der Länder, die sich aus der Erhöhung
der Mehrwertsteuer ergeben, beteiligt. Sie werden deshalb nicht von der positiven Steuerentwicklung abgekoppelt.
Wenn man dies in einen Zusammenhang mit der deutlichen Entlastung auf der Ausgabenseite, die wir für die
Kommunen mit dem heute diskutierten Gesetzentwurf
vorsehen, stellt, dann bedeutet das: Die Kommunen verfügen über eine solide Basis für die fortgesetzte Erholung ihrer Finanzen. Damit verfügen Sie über genügend
Spielraum, um die notwendigen Investitionen in die Infrastruktur der Kinderbetreuung nun endlich in Angriff
zu nehmen.
Der Bund geht davon aus, dass die Kommunen sich
beim Ausbau der Kinderbetreuung an die Absprachen
halten. Gleichzeitig weisen wir die übertriebenen Forderungen der Länder und Kommunen entschieden zurück.
Wer dem Bund immer noch vorwirft, er komme bei den
Kosten der Unterkunft seiner Verantwortung nicht nach
und lasse die Kommunen finanziell im Stich, der handelt
unredlich und unfair.
Herzlichen Dank.
({0})
Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Katrin
Kunert das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Werte Gäste! Die Linke lehnt Hartz IV nach wie vor ab.
Hartz IV ist Armut per Gesetz. Ihre Reformen haben
nicht dazu beigetragen, dass die Armut entschärft wird.
Vielmehr ist sie weiter verschärft worden.
({0})
Das zeigt sich insbesondere bei der Frage: Was ist für
einen ALG-II-Beziehenden ein angemessener Wohnraum? Unsere Hauptkritik bezüglich der Kosten der Unterkunft richtet sich auf zwei Punkte:
Erstens. Die Mehrfachdiskriminierungen der Menschen ohne Arbeit werden um einen Punkt erweitert,
nämlich dadurch, dass ihre Wohnungen - also ihr ureigener Lebensraum - infrage gestellt werden. Ihnen wird
per Gesetz die Möglichkeit genommen, selbst über ihre
Wohnung zu bestimmen. Dem hat das Bundessozialgericht mit seiner Entscheidung am Mittwoch nun widersprochen. Wir wollen ein Grundrecht auf Wohnen für
alle Menschen!
({1})
Ich meine, daraus ergibt sich für den Bund in jedem
Fall ein akuter Handlungsbedarf. Die Bandbreite der bisherigen Praxis in den Kommunen bei der Festlegung von
angemessenem Wohnraum lässt auch willkürliche Entscheidungen der Verwaltung erkennen.
({2})
- Herr Küster, hören Sie doch erst einmal zu!
({3})
Wie sieht die Praxis in den Kommunen aus? Einige
Kommunen verzichten völlig auf die Festlegung von
Wohnungsgrößen und bestimmen die Angemessenheit
nur nach Kosten. Andere legen die Zimmeranzahl und
die Fläche als Richtgröße fest. Einige haben für bestimmte Personengruppen, die besonderen Schutz benötigen, Ausnahmeregelungen getroffen. Ein Großteil der
Kommunen verzichtet jedoch darauf. Dann gibt es Kommunen, die die gesetzliche Frist von sechs Monaten zur
Übernahme der zu hohen Unterkunftskosten unterschreiten. Das ist gesetzwidrig.
({4})
Es gibt sogar Kommunen, die für junge Menschen unter
25 Jahren generell die Möglichkeit auf eigenen Wohnraum ausschließen. Auch das ist gesetzwidrig.
({5})
- Herr Kollege, es ist Ihre Pflicht, die Einhaltung dieser
Gesetze zu kontrollieren, das will ich Ihnen einmal sagen!
({6})
Es werden Unterschiede zwischen Bestands- und Zuzugshaushalten gemacht, indem Höchstmieten für neu
bezogene Wohnungen festgelegt werden, die bis zu
10 Prozent unter der üblichen Grenze der Angemessenheit liegen.
({7})
- Herr Kollege, vergleichen Sie doch einmal die Richtlinien in den Kommunen!
Ein weiteres Problem ist das Verhältnis zwischen der
Angemessenheit in den Kommunen und den realen
Wohnungsmarktbedingungen. So liegt die durchschnittliche Kaltmiete in Freiburg pro Quadratmeter um gut
3 Euro über dem Satz von 5,62 Euro pro Quadratmeter,
der einem ALG-II-Beziehenden zusteht. Sieht man sich
die Richtlinie an, so sagt die Vorgabe, dass ein allein lebender Erwerbsloser höchstens 45 Quadratmeter bewohnen kann. Diese Wohnung darf maximal 253 Euro kosten. Diese Wohnungen gibt es aber in Freiburg auf dem
freien Wohnungsmarkt nicht! Sie wissen, dass es zu dieser Frage bereits eine Reihe von Urteilen der Sozialgerichte gibt. Es ist also an der Zeit, bundesweite Standards einzuführen, die mehr Einheitlichkeit, mehr
Objektivität und mehr Gerechtigkeit schaffen.
({8})
Dies haben wir in unserem Antrag beschrieben. Unser
Antrag stützt sich auf die Berliner Richtlinie zu den Kosten der Unterkunft. Was wir hier vorschlagen, wurde
vom rot-roten Senat - also von SPD und Linkspartei - in
Berlin nicht nur beschlossen, sondern auch umgesetzt.
({9})
Im Ergebnis muss ich sagen: In Berlin erhielten lediglich 1,8 Prozent der Bedarfsgemeinschaften die Aufforderung zur Senkung der Kosten der Unterkunft. Von
circa 350 000 Bedarfsgemeinschaften mussten nur
103 Bedarfsgemeinschaften aus ihrer Wohnung ausziehen. Das sind 0,03 Prozent! Für uns ist am wichtigsten:
Menschen ohne Arbeit können in der Frage der Wohnung weitestgehend selbst bestimmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir
noch zwei Anmerkungen zum vorliegenden Gesetzentwurf bezüglich des Anteils des Bundes an den Kosten
der Unterkunft. Das ist unser zweiter Hauptkritikpunkt.
Erstens. Der Bundesanteil in Höhe von 4,3 Milliarden
Euro wird nicht zur Entlastung der Kommunen beitragen. Ihre Berechnung ist unsolide. In meinem Landkreis
wird sich die Belastung um 1,4 Millionen Euro erhöhen.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die unsägliche Mehrwertsteuererhöhung auswirken wird. Wir werden beantragen,
5,8 Milliarden Euro - wie von den kommunalen Spitzenverbänden gefordert - in den Haushalt einzustellen.
Zweitens. Herr Andres, wir fordern Sie erneut auf, einen anderen Umgang mit den Kommunen zu pflegen.
Wenn es um die Belange der Kommunen geht, gehören
Sie an den Verhandlungstisch. Wir müssen den Kommunen ein verbindliches Mitwirkungsrecht sichern.
Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Frau Kunert, die Zeit reicht nicht, um intensiv auf Sie
einzugehen; deshalb nur eine Bemerkung: Sie verkürzen
das Armutsthema auf „Hartz IV ist Armut per Gesetz!
Wir sind dagegen!“ Die Höhe der staatlichen Zuwendungen im Zusammenhang mit Hartz IV, gleich ob es um die
Höhe der Zuschüsse für Unterkunftskosten oder um andere Bereiche geht, stehen in einem deutlichen Widerspruch zu dieser platten Äußerung.
({0})
Wenn Sie Armutsbekämpfung darauf reduzieren, dass
der Staat mehr Geld ausschütten soll, dann zeigt das,
dass Sie die Ursachen von Armut nicht vernünftig analysiert haben. Eine linke Partei sollte auf das Armutsproblem eine bessere Antwort haben als die, die Sie uns hier
vorlegen.
({1})
Ich möchte jetzt auf die Kosten für die Unterkunft zu
sprechen kommen. Die Entlastung der Kommunen um
2,5 Milliarden Euro - Herr Andres hat das vorgetragen;
der Redner von der CDU hat das bestätigt - steht in der
Tradition dessen, worauf man sich zur Zeit der rot-grünen Regierung und im Bundesrat geeinigt hat. Das heißt
Verlässlichkeit. Ich sage ausdrücklich, dass wir zu der
Entlastung der Kommunen um 2,5 Milliarden Euro stehen.
Frau Kollegin Hajduk, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kunert?
Ja.
Kollegin Kunert, bitte.
Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass unser Antrag einen Mindeststandard für die
Betroffenen festlegen will, um eine ungerechte Behandlung der Betroffenen zu verhindern? Ich habe das Beispiel aus Freiburg genannt. Es kann doch nicht im Ermessen der einzelnen Kommunen liegen, wie viel die
Betroffenen für die Kosten der Unterkunft bekommen.
Was den Wohnraum angeht, herrschen in den einzelnen
Kommunen höchst unterschiedliche Bedingungen vor.
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass unser Antrag gar nicht unbedingt höhere Ausgaben zur Folge hat?
In Berlin wird diese Regelung bereits umgesetzt. Die
Betriebskosten hat man dort zusammen mit den Mieterbünden überprüft und ist so zu Einsparungen gekommen. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass unsere Anträge sehr differenziert sind und wir uns immer
in die Situation der Betroffenen hineinversetzen, mit
dem Ziel, ihre Situation zu verbessern?
({0})
Frau Kollegin Kunert, ich habe mit meiner Eingangsbemerkung gar nicht so sehr auf Ihren Antrag abgehoben. Sie haben zu Recht auf die Differenzierungen hingewiesen. Dass die Wohnkosten in den einzelnen
Kommunen unterschiedlich hoch sind, muss berücksichtigt werden. Wir Grünen kritisieren im Zusammenhang
mit Hartz IV selbst, wie Hamburg die Regelung zu den
Wohnkosten auslegt. Diese Probleme will ich gar nicht
leugnen. Ihre Bemerkung zu den Armutsursachen und
zur Armutsbekämpfung fand ich für eine linke Partei
aber nicht differenziert genug. Das habe ich gesagt. Auf
Ihren Antrag bin ich gar nicht eingegangen.
({0})
Jetzt möchte ich mit meiner Rede fortfahren. Wir sind
uns eh nicht einig. Das ist mir schon klar.
({1})
So klar wir Grünen für die festgelegte Entlastung
der Kommunen um 2,5 Milliarden Euro sind - Herr
Andres hat deutlich gemacht, wie schwer das zu berechnen ist -, so sehr sind wir aber auch dafür, den alten
Begründungszusammenhang aufrechtzuerhalten: Wir
erwarten, dass die Kommunen mehr Kinderbetreuungsplätze schaffen. Ich fordere die große Koalition auf, an
diesem Punkt nicht nachzulassen.
Die Kommunen konnten in den letzten Jahren, um das
ganz klar zu sagen, erfreulicherweise eine Stärkung ihrer
Einnahmeseite verzeichnen, und zwar insbesondere auf
der steuerlichen Seite. Das hat auch mit steuerlichen
Maßnahmen zu tun, die sich zum Beispiel bei der Gewerbesteuer erheblich auswirken. Von daher muss man
sagen: Die Zielsetzung, die Kommunen zu entlasten, ist
richtig. Es ist aber auch richtig, darauf hinzuweisen, dass
die Aufwendungen für die Kinderbetreuung von den
Kommunen gestärkt werden müssen.
Ich möchte nicht versäumen, in der heutigen Debatte
deutlich auf Folgendes hinzuweisen: Die Situation, die
zu diesem Gesetzentwurf geführt hat, beruht auf einem
ziemlich unsystematischen Verhandlungshickhack. Ich
sehe durchaus, wie schwierig es für den Bund war, einen
Ausgleich mit den Kommunen zu finden. Hinzu kommt,
dass die Länder, die bei den Verhandlungen gewissermaßen in der Mitte stehen, nicht immer optimale und ehrliche Verhandlungspartner waren. Denn es gibt, wie wir
wissen, Gewinnergemeinden. So ist meine Heimatstadt
Hamburg mit Sicherheit überproportional entlastet und
bräuchte von der Unterstützung bei den Unterkunftskosten gar nicht so zu profitieren. Doch wir wissen ebenso
- darauf ist hingewiesen worden -, dass es Gemeinden
in der Fläche gibt, die davon nicht so profitieren. Genau
hier sind die Länder in der Pflicht, über den eigenen Finanzausgleich sicherzustellen, dass es in Zukunft fair zugeht.
Es kann nicht sein, dass sich die Gesamtbelastung
des Bundes immer danach bemisst, dass es noch irgendwo im Lande eine Gemeinde gibt, der es anderen
gegenüber schlechter geht. Hierfür muss es einen fairen
Ausgleich auf der kommunalen Ebene geben. Denn
- das möchte ich deutlich sagen - der Bund leistet hier
bereits Unterstützung in einem Volumen, das im Verhältnis zum Gesamthaushalt erheblich ist: Dieses Jahr steuern wir allein für die Kosten der Unterkunft knapp
4 Milliarden Euro bei. Dabei rede ich noch gar nicht von
den 27 Milliarden Euro für das Arbeitslosengeld II. Wir
haben dieses Jahr allein für die Kosten der Unterkunft
wieder außerplanmäßige Mehrausgaben von 450 Millionen Euro. Vor diesem Hintergrund muss ich denjenigen,
die argumentieren, dass die Kommunen eine verlässliche
finanzielle Basis brauchen, entgegnen: Auch der Bund
braucht finanzielle Verlässlichkeit. Deswegen sind die
Forderungen, wir sollten die Kommunen doch mit
5,8 Milliarden Euro unterstützen, so nicht haltbar gewesen. Wir müssen an dieser Stelle verantwortungsvoll
handeln und gerade als Mitglieder des Bundestages um
Verständnis dafür werben, dass auch der Bund in einer
Zwickmühle sitzt, was die Kosten angeht.
Damit komme ich zum Schluss. Für meine Fraktion
möchte ich sagen: Dieses Gesetz stellt keine Dauerlösung dar. Zu dem Zeitpunkt, wo wir Hartz IV überprüfen, werden wir auch diesen Finanzierungsmechanismus
überprüfen müssen. Kurzfristig tragen wir es mit, zulasten des Bundes die Finanzierung für die Kommunen sicherzustellen. Wir haben dies gestern im Haushaltsausschuss mitgetragen. Doch spätestens ab 2010 werden wir
eine klügere Lösung brauchen.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf
Drucksachen 16/3269 und 16/3302 zur federführenden
Beratung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales und
zur Mitberatung an den Innenausschuss, den Rechtsausschuss, den Finanzausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie und den Ausschuss für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung sowie an den Haushaltsausschuss zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion
der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes
- Drucksache 16/1736 6364
Vizepräsidentin Petra Pau
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0})
- Drucksache 16/3207 Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff
Christine Lambrecht
Jörn Wunderlich
Jerzy Montag
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weise darauf
hin, dass wir später über den Gesetzentwurf namentlich
abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort hat der Kollege Hans-Joachim Hacker für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir behandeln heute noch einmal ein Problem, dessen
Wurzeln in der deutschen Teilung liegen. Wir haben es
allerdings bereits 1994 bzw. 2002 abschließend geregelt.
Um es vorweg zu sagen: Die PDS greift ein Thema
auf, bei dem kein Regelungsbedarf, aber auch keine Gestaltungsmöglichkeit im Sinne des Gesetzentwurfes besteht. Natürlich ist es verführerisch, mit den diffusen
Ängsten der Menschen zu spielen, insbesondere wenn in
den Köpfen Unklarheit über die bestehende Rechtslage
herrscht. Das ist aber keine gute Position.
({0})
Ich will hier für die SPD-Bundestagsfraktion ganz
klar sagen: In den Kommunen der neuen Länder muss
Klarheit geschaffen werden, wie es mit den Garagenpachtverträgen weitergehen soll. Der Bundesgesetzgeber, wir, sind in dieser Frage nicht der richtige Adressat.
Worum geht es? Mit dem Schuldrechtsanpassungsgesetz, das bereits am 1. Januar 1995 in Kraft getreten ist,
sind die Nutzungsverträge zur Freizeitgestaltung und
Erholung - so hieß das im ZGB der DDR - in bundesdeutsches Recht überführt worden. Dabei handelte es
sich insbesondere um Verträge über die so genannten
Datschen und über Garagengrundstücke, die heute
hier auf der Tagesordnung stehen.
Bei der damaligen Gesetzgebung war allen Beteiligten klar, dass es sozialverträgliche Übergangsregelungen
geben und dass ein entsprechender Kündigungsschutz
für die Nutzer geregelt werden muss. Ich finde, der Gesetzgeber hat damals tatsächlich einen Interessenausgleich zwischen dem Nutzer und dem Grundstückseigentümer hergestellt, der einen weitgehenden
Kündigungsschutz, eine Begrenzung der Nutzungsentgelte und eine differenzierte Regelung über die Entschädigung bei der Vertragsbeendigung enthielt. Diese Regelungen gelten noch heute.
Ich erinnere daran, dass die zeitlichen Schutzregelungen noch im Gesetzgebungsverfahren deutlich ausgedehnt worden sind. Frau Leutheusser-Schnarrenberger,
Sie werden sich bestimmt daran erinnern. Der FDP-Parteitag in Rostock hatte dafür eine gute Vorlage geliefert.
Wichtig ist auch, anzumerken, dass das Bundesverfassungsgericht über die Punkte, die die PDS mit ihrem
Gesetzentwurf in die Diskussion einbringt, bereits 1999
entschieden hat.
({1})
Das Gericht hat die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
ganz überwiegend bestätigt, zugleich aber auch den Zeitraum des generellen Kündigungsschutzes für Garagen
auf den 31. Dezember 1999 beschränkt. Wir reden hier
heute über den Investitionsschutz, der am 31. Dezember
2006 ausläuft.
In der Begründung ihres Gesetzentwurfes spricht die
PDS von „neuerlichen entschädigungslosen Enteignungen der im Geltungsbereich des Rechts der Deutschen
Demokratischen Republik erworbenen Eigentümerrechte“. Ich stelle daher die Frage: Durch welches Gesetz hat der Gesetzgeber nach der Wiedervereinigung
Bürger in den neuen Ländern entschädigungslos enteignet? Das möge die PDS beantworten.
Der Gesetzgeber hat nach der Wiedervereinigung die
Diskrepanzen zwischen den zivilrechtlichen Regelungen
des ZGB und des BGB in sozialverträglicher Weise ausgeglichen. Ich erinnere an das Sachenrechtsbereinigungsgesetz, mit dem wir ein Problem gelöst haben, mit
dem Zehntausende, vielleicht sogar Hunderttausende Familien in den neuen Ländern konfrontiert waren, indem
wir getrenntes Wohngebäudeeigentum und Grundstückseigentum zusammengeführt haben. Wir haben die Nutzungsrechte für Grundstücke, die Wohnzwecken dienten
und für die Nutzungsurkunden ausgegeben waren, ganz
klar von Restitutionsansprüchen ausgeschlossen. Das ist
in der Öffentlichkeit jahrelang anders dargestellt worden. Lesen Sie das in § 4 Abs. 2 des Vermögensgesetzes
nach. Dort ist das noch vor der Wiedervereinigung völlig
klar geregelt worden.
({2})
- Ich kann Ihnen das Gesetz bringen, wenn es Ihnen
fehlt. - Wer die Debatte hierzu in den Jahren nach der
Wiedervereinigung verfolgt hat, der weiß, wer mit den
Sorgen und Ängsten der Häuslebauer, wie ich finde, verantwortungslos umgegangen ist.
({3})
Dort, wo keine klaren Rechtspositionen zur Zeit der
DDR bestanden, konnte und durfte der Bundesgesetzgeber auch keine Bevorteilungen zulasten der anderen
Seite vornehmen.
Im PDS-Gesetzentwurf ist die Rede von entschädigungslosen Enteignungen im Geltungsbereich des Rechts
der DDR. Ich hatte das schon einmal angesprochen. Mir
fallen hier allerdings andere Eigentumseingriffe ein.
Diese liegen in der Zeit zwischen 1949 und 1989. Ich
will Ihnen nur zwei Begriffe nennen, die dafür stehen:
Zwangskollektivierung und Zwangsaussiedlung in der
DDR.
Um das noch einmal auf den Punkt zu bringen:
Würde der Bundestag diesem Gesetzentwurf zustimmen,
dann gäbe er den Nutzern von Garagengrundstücken
Steine statt Brot. Wir würden das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Juli 1999 sehenden Auges negieren. Für die PDS-Fraktion im Deutschen Bundestag
schein das aber kein Problem zu sein. Ich sage Ihnen das
ganz offen: Das ist kein Ruhmesblatt für die Rechtspolitiker in der PDS-Bundestagsfraktion.
({4})
Sie hatten hier schon einmal bessere Vertreter.
In keinem Punkt hat das Bundesverfassungsgericht
eine ungerechtfertige Benachteiligung der Nutzer von
Garagengrundstücken gesehen. Diese Aussage trifft
auch voll auf die Entschädigungsregelung zu. Es ist
seit mehr als zehn Jahren bekannt - das ist richtig -, dass
der Investitionsschutz für die Garagennutzer am
31. Dezember 2006 ausläuft. Das ist nicht zu bestreiten,
das ist damals so geregelt worden ist. Im Falle der Aufhebung der Verträge - am 3. Oktober 2022 trifft das
dann auch auf die so genannten Datschen zu - ist durch
den Grundstückseigentümer die Entschädigung in Höhe
des Verkehrswertes und nicht mehr des Zeitwertes vorzunehmen. Das ist eine entscheidende Änderung, was
keiner bestreitet.
({5})
Da in der aktuellen Diskussion oftmals Unklarheit besteht oder auch Unklarheit verbreitet wird, will ich in
dieser Frage noch einmal auf den Kern eingehen. Die
Frage der Entschädigung für das Bauwerk stellt sich erst
dann, wenn der Vertrag tatsächlich beendet wird. Mit
dem Gesetzentwurf wird bewusst oder unbewusst der
Eindruck erweckt, dass die Nutzer mit Ablauf des
31. Dezember 2006 in jedem Fall ihr Eigentum verlieren. Auf die dies betreffende Aussage in der Gesetzesbegründung, nämlich „entschädigungslose Enteignung“,
bin ich bereits eingegangen.
Bevor ich zu den tatsächlichen Handlungsempfehlungen komme, will ich noch auf eine aus meiner Sicht
nicht unwichtige Passage im Gesetzentwurf der PDS
hinweisen. Unter dem Punkt „Kosten“ steht unter
„Haushaltsausgaben“:
Kosten entstehen keine, da mit Entschädigungsleistung sich
- man höre und staune der Vermögenshaushalt der betroffenen Kommunen
entsprechend erhöht.
Unter dem Punkt „Vollzugsaufwand“ findet sich natürlich: „Keine Kosten“.
Ich kann Ihnen nur empfehlen: Gehen Sie doch mal in
die Kommunen der neuen Länder!
({6})
Sprechen Sie doch einmal mit den Kämmerern und den
Liegenschaftsverwaltern in den neuen Ländern! Die dortigen Kommunalpolitiker würden sich die Haare raufen,
wenn das, was Sie vorgeschlagen haben, Gesetz würde.
({7})
Wenn es ein kommunales Interesse geben sollte, die
Nutzungsrechtsverhältnisse bei den Garagengrundstücken aufzuheben, müsste damit verbunden die Bereitschaft bestehen, ganze Garagenkomplexe in die Verwaltung zu übernehmen. Natürlich wäre damit ein riesiger
Streit zwischen den Kommunen und den Pächtern verbunden. Allein aus diesem Grund würden viele Kommunen von einem solchen Schritt Abstand nehmen.
Auf der anderen Seite ist auch klar, dass diese Pachtverhältnisse in bestimmten Fällen in Zukunft nicht weitergeführt werden können, beispielsweise wegen Wohnbebauung oder in den Fällen, in denen die Garagen nicht
bestimmungsgemäß genutzt werden. Das war im Übrigen schon zu DDR-Zeiten so. Das ist also keine neue Situation.
({8})
Das ist auch nicht das Kardinalproblem. Das eigentliche
Problem und deren Lösung liegt darin, dass die Kommunen in ihrer eigenen hoheitlichen Verantwortung Regelungen finden müssen. Automatisch - das hatte ich gesagt - passiert am 1. Januar 2007 überhaupt nichts, wenn
der Pachtvertrag nicht gekündigt wird.
Wer sich mit der Materie befasst, der wird feststellen,
dass ein Verein, der Verband Deutscher Grundstücksnutzer, diese Frage seit Jahren kritisch verfolgt. Dieser Verein ist nicht verdächtig, Sprachrohr der Koalition zu
sein. Der Verein hat jüngst in seiner Zeitschrift „Das
Grundstück“ hierzu Stellung genommen und auf zahlreiche Fälle verwiesen, in denen in den neuen Ländern genau derartige Vereinbarungen zwischen den Kommunen und den Garagengrundstücksnutzern getroffen
worden sind.
Kollege Hacker, ich glaube, die Kolleginnen und Kollegen müssen dies in der Zeitschrift des Vereins nachlesen. Das können Sie hier nicht mehr darstellen.
Das ist leider nicht mehr darzustellen. Ich hätte gerne
einige Vereinbarungen der Kommunen zitiert. Aber ich
komme zum Schluss.
Den Gesetzentwurf, den Sie heute vorlegen, kann
man nur mit einem abgewandelten Spruch Ihres früheren
Generalsekretärs bewerten: Rückwärts immer, vorwärts
nimmer! - Aus diesem Grunde lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab.
({0})
Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dies ist eine besondere Situation;
denn, Herr Hacker, ich kann Ihren Ausführungen wirklich nur uneingeschränkt zustimmen.
({0})
Sie haben völlig richtig die Diskussion wiedergegeben,
die wir seit 1990/91 und dann im Gesetzgebungsverfahren 1994 geführt haben. Damals hat sich der Gesetzgeber erstmals der schwierigen Aufgabe gestellt, die sozialistische Eigentumsordnung der ehemaligen DDR in das
Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland zu überführen und dabei einen gerechten Ausgleich zwischen
den widerstreitenden Interessen von Nutzern und Eigentümern herzustellen.
Das ist mit dem Schuldrechtsanpassungsgesetz gelungen.
({1})
Dabei ist nicht zuletzt auf Druck der FDP im Interesse
der Nutzer die Überführung zeitlich deutlich gestreckt
- wir reden hier von Sachverhalten, die 16 Jahre zurückliegen - und durch eine Begrenzung der Nutzungsentgelte sozial abgefedert worden.
Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Gesetz im
Jahre 1999 im Wesentlichen bestätigt. Das hat mich auch
persönlich sehr gefreut, da ich als Justizministerin für
dieses Gesetz Verantwortung getragen habe. Soweit das
Bundesverfassungsgericht einzelne Regelungen beanstandet hat, hat es dies mit einem Verstoß gegen die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes begründet.
({2})
Das Gesetz war also nicht zu eigentümerfreundlich, es
war vielmehr in einigen Punkten zu nutzerfreundlich.
({3})
Hierzu zählte auch die Entschädigungspflicht des Eigentümers bei vorzeitiger Kündigung.
({4})
Insoweit hat Karlsruhe festgestellt, dass eine Entschädigung des Nutzers nur in Betracht komme, wenn die Vertragsbeendigung dem Grundstückseigentümer erhebliche wirtschaftliche Vorteile bringe.
Mit diesen Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichtsurteils ist Ihre Forderung in diesem Gesetzentwurf,
dem Nutzer stets eine Entschädigung nach dem Zeitwert
des Bauwerks zukommen zu lassen, nicht vereinbar. In
vielen Fällen wird das Bauwerk für den Grundstückeigentümer keinerlei wirtschaftlichen Wert haben, zum
Beispiel weil es anderweitig baulich genutzt werden soll.
Es ist sachgerecht, dass der Nutzer bei einer Eigenkündigung oder bei einer Kündigung nach Ablauf der Investitionsschutzfrist eine Entschädigung nur erhält, wenn der
Verkehrswert des Grundstücks durch das Bauwerk noch
erhöht ist, zum Beispiel bei Fortsetzung einer Garagennutzung. Allein diese Lösung hält sich im Bereich des
verfassungsrechtlich Zulässigen und Möglichen.
Alle Nutzer - Herr Hacker hat die Fristen genannt hatten und haben ausreichend Zeit, sich auf diese
Rechtslage einzustellen.
({5}))
Wer Gerechtigkeit will, darf nicht auf einem Auge blind
sein. Diesen Vorwurf kann ich Ihnen, Fraktion Die
Linke, im Hinblick auf diesen Gesetzentwurf leider nicht
ersparen.
({6})
Ihre Initiative ist einseitig, sie ist populistisch und verkennt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Für die FDP ist sie nicht zustimmungsfähig.
Vielen Dank.
({7})
Für die Unionsfraktion spricht nun die Kollegin
Andrea Voßhoff.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Nach dem Einstieg durch Herrn Dr. Hacker und
Frau Leutheusser-Schnarrenberger kann ich mir einen
Teil meiner Ausführungen sparen. Ich werde versuchen,
meine Redezeit nicht auszuschöpfen und an den Stellen
zu begrenzen, wo das rechtlich Notwendige schon gesagt ist.
Nicht zum ersten Mal sage ich zu dem Thema Schuldrechtsanpassung an dieser Stelle - ich glaube, das wissen
alle, die damit zu tun haben -, dass die Regelungen der
Rechtsverhältnisse zwischen Grundstückseigentümern
und Nutzern von Erholungs- und Garagengrundstücken
in den neuen Ländern zu den schwierigsten und sensibelsten Rechtsfragen im Einigungsrecht gehören. Jeder
von uns, der sich auch in vielen Bürgergesprächen im
Wahlkreis damit auseinander setzt, weiß das.
Nicht zum ersten Mal sage ich an dieser Stelle, dass
die mit dem Schuldrechtsanpassungsgesetz zu regelnden
Rechtsfragen von zwei völlig gegenläufigen und sehr
emotionalen Interessenlagen geprägt sind. Da ist die Betroffenheit der Nutzer von Freizeit- und GaragenAndrea Astrid Voßhoff
grundstücken auf der einen Seite. Sie haben zu DDRZeiten mit viel Mühe in Zeiten von Materialknappheit,
mit Herzblut und Entbehrungen oftmals ein Datschengrundstück überhaupt erst urbar gemacht oder mit viel
Einsatz eine Garage errichtet. Beides waren eben nicht
nur Baulichkeiten aus Holz oder Stein, für viele Betroffene war es auch ein Stückchen eigener Lebensleistung.
Wer könnte diese Menschen nicht verstehen, die sich für
den Erhalt und die dauerhafte Nutzung des von ihnen
Geschaffenen einsetzen?
Diese Bauten, meine Damen und Herren, wurden aber
nun einmal auf fremdem Grund und Boden errichtet. Damit kommen wir zu der anderen Seite, und zwar der Interessenlage der Grundstückseigentümer, denen aus
sozialistischer Ideologie heraus mit einem Federstrich
das Eigentum und damit eben auch ein Stück Lebensleistung schlicht entzogen wurde.
({0})
Meine Damen und Herren von der Fraktion Die Linke,
für diese Ausgangslage war eine 40-jährige SED-Diktatur verantwortlich - das muss man Ihnen immer wieder
ins Stammbuch schreiben - und nicht das Wiedervereinigungsrecht.
({1})
Ausgehend von dieser gegenläufigen Interessenlage
galt es, die Nutzungsverhältnisse im Zuge der Wiedervereinigung in das Miet- und Pachtrecht zu überführen.
Mit dem Schuldrechtsanpassungsgesetz - es ist bereits
angesprochen worden - und den im Jahre 2002 durchgeführten Änderungen ist das im Wesentlichen gelungen.
Die Fraktion Die Linke startet den erneuten Versuch,
die Entschädigungsregelungen einseitig zugunsten der
Nutzer auszuweiten. Das verkünden Sie mit emotionaler
Begleitmusik, wie ich das nennen möchte, auch in Ihrer
Pressemitteilung, die populistisch ist, in unzulässiger
Weise einseitig emotionalisiert und die Bürger instrumentalisiert.
Durch die Wortwahl in Ihren Pressemitteilungen auf
Bundesebene und auf Länderebene erwecken Sie bei den
Betroffenen den Eindruck, als würden die Nutzer von
Garagengrundstücken allein durch die zum Jahresende
ablaufende Frist über Nacht enteignet. Sie sprechen von
beispiellosen Enteignungsaktionen zum Jahresende und
bezeichnen es als skandalös, dass die Enteignung de
facto entschädigungslos erfolge. Das stimmt so nicht,
meine Damen und Herren von der Fraktion Die Linke,
und das wissen Sie.
({2})
Richtig ist vielmehr, dass das Eigentum an einem
Bauwerk so lange beim Nutzer verbleibt, bis das Vertragsverhältnis beendet wird. Das hat nichts mit dem
Fristablauf zu tun. Zum Schutz der Nutzer - das ist ausgeführt worden - findet ein Prozess der sozialen Abfederung statt. Ich denke, angesichts aller berechtigten
Interessen, auch der Interessen der Nutzer, ist dieses Ergebnis akzeptabel. Nicht nur das Bundesverfassungsgericht hat uns das ins Stammbuch geschrieben, sondern
auch die Realität zeigt uns das.
Den Garageneigentümern wurde eine Zeitspanne von
16 Jahren eingeräumt - auch das ist schon gesagt worden -, den Datscheneigentümern, wenn es sich um Erholungsgrundstücke handelt, eine Zeitspanne von 33 Jahren, um sich auf die neuen Herausforderungen und damit
auf einen im Ausnahmefall gegebenenfalls möglichen
entschädigungslosen Eigentumswechsel bei Beendigung des Vertrages einzustellen.
Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass dem
Grundstückseigentümer 16 bzw. 33 Jahre nach der Wiedervereinigung erstmals überhaupt die freie Verfügungsgewalt
({3})
und damit die uneingeschränkte wirtschaftliche Verwertbarkeit des ihm nach Art. 14 des Grundgesetzes ebenfalls zustehenden Grundeigentums eingeräumt wird.
({4})
Das ist, wie ich denke, im Sinne des Ausgleichs beider
Interessen eine sinnvolle Regelung.
Der Kollege Hacker hatte vorhin keine Zeit mehr, einige Aussagen des VDGN zu zitieren. Weil uns der
VDGN in der Vergangenheit immer sehr kritisch begleitet hat, habe ich seine Zeitschriften nicht nur aufbewahrt,
sondern gelegentlich schaue ich sogar hinein. Darin geht
es unter anderem um die Frage: Wie wird ab dem
1. Januar 2007 in den Kommunen mit den Garagengrundstücken umgegangen? Oftmals sind ja die Kommunen der Eigentümer eines Grundstücks.
Der Verband Deutscher Grundstücksnutzer hat sämtliche Zeitungsartikel, die zu diesem Thema veröffentlicht wurden, zusammengestellt. In der „Schweriner
Volkszeitung“ vom 1. März dieses Jahres wird aus Gadebusch in Mecklenburg-Vorpommern berichtet:
Besitzer von 692 Garagen, die auf städtischem
Grund und Boden stehen, können aufatmen. Wer es
wünscht, kann einen Ergänzungsvertrag bis Ende 2016 abschließen.
In der „Märkischen Oderzeitung“ vom 9. März dieses
Jahres hieß es zur Situation in Frankfurt/Oder:
Hier stehen auf städtischem Grund 413 Eigentumsgaragen sowie 4 108 Garagen in 39 Garagengemeinschaften. „Das Schuldrechtsanpassungsgesetz eröffnet uns die Möglichkeit, im Interesse der
Bürger über die mögliche Kündigungsfrist hinaus
die bestehenden Pachtverträge zu verlängern. Wir
denken in keinem einzigen Fall daran, an den bestehenden Verhältnissen etwas zu ändern“, erklärt die
Leiterin des Zentralen Immobilienmanagements.
Aus dem thüringischen Mühlhausen berichtet die
„Thüringische Landeszeitung“:
„Unsere Kommune hat ein Interesse daran, dass die
Eigentümer ihre Garagen weiterhin nutzen können“, so der dortige Leiter des Sachgebiets Liegenschaften. Und es sind nicht wenige Garagen schätzungsweise 2 800 …
Durch Ihren Gesetzentwurf - aber nicht nur durch
ihn, sondern auch durch seine Begleitung - wollen Sie
den Eindruck erwecken, als komme es über Nacht zu einer Enteignung und als drohe nun entweder der Abriss
oder eine höhere Pacht. In der Realität ist die Situation
aber ganz anders. Die Kommunen gehen sehr verantwortungsvoll mit ihrer Verfügungsgewalt als Grundstückseigentümer um.
({5})
Nehmen Sie das zur Kenntnis, informieren Sie sich und
stellen Sie nicht solche populistischen Anträge!
({6})
Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele, keine Frage.
Auch sie hat der VDGN genannt.
Ich appelliere an die Grundstückseigentümer und an
die Wohnungsbaugenossenschaften, die Garagennutzer
nicht darüber im Ungewissen zu lassen, was sie mit den
betroffenen Grundstücken planen. Wie Sie wissen, ist es
aber oftmals so, dass ein Baurecht auf dem Garagengrundstück gar nicht besteht und seine wirtschaftliche
Verwertung nicht möglich ist. Diese Fakten, meine Damen und Herren von der Linksfraktion, sollten Sie zur
Kenntnis nehmen, statt die Realität immer auszublenden.
Ein zweites Argument gegen Ihren Gesetzentwurf
- eigentlich kann ich es mir ersparen - ist, dass Sie das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts schlicht ausblenden. Nicht mit einer einzigen Silbe gehen Sie darauf
ein.
({7})
Sie erklären auch nicht, warum der Tenor des Bundesverfassungsgerichts, der genau in die entgegengesetzte
Richtung zielt, von Ihnen nicht beachtet wird. Meinem
Anspruch in der Rechtspolitik entspricht es, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ernst zu nehmen,
statt sie nicht zu berücksichtigen und einfach einen Gesetzentwurf einzubringen.
({8})
Ich weiß, wie emotional die Diskussion auch in den
Wahlkreisen geführt wird, aber wie der Kollege Hacker
schon festgestellt hat, tun Sie den Garagennutzern damit
keinen Gefallen. Wenn Ihr Gesetzentwurf beschlossen
würde, dann wären Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht vorprogrammiert. Dann würde sich die Situation
wiederholen und das Bundesverfassungsgericht würde
wahrscheinlich ähnlich entscheiden.
Einem offenkundig verfassungswidrigen Gesetzentwurf können wir nicht zustimmen.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist zwar sehr
schön, dass Sie so zahlreich die Debatte verfolgen, um
dann sach- und fachkundig abstimmen zu können. Ich
bitte Sie aber, Ihre Gespräche draußen zu führen, um den
beiden folgenden Rednern die Möglichkeit zu geben,
dass ihr Debattenbeitrag Gehör findet.
({0})
Das Wort hat der Kollege Jörn Wunderlich von der
Fraktion Die Linke.
({1})
Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe
Kollegen! Ich will nicht bei der SED-Diktatur anfangen;
({0})
ich will auch nicht mit dem Jahr 1949 beginnen. Ich
fange mit dem Punkt an, der rechtlich relevant ist: der
Beitritt der DDR zur Bundesrepublik 1990.
({1})
Dieser bescherte den Bürgern der DDR nämlich einen
eklatanten Umbruch in ihren gewohnten Eigentumsverhältnissen, und zwar fast immer zu ihrem Nachteil. Ich
erinnere in diesem Zusammenhang nur an den Grundsatz
„Rückgabe vor Entschädigung“, wodurch zehntausende ostdeutsche Familien im Kampf von Haus und
Hof vertrieben wurden. Diesen Kampf haben viele verloren.
({2})
Ich begrüße es, dass jetzt jemand aus den ostdeutschen Ländern zu dieser Thematik spricht.
({3})
Die Berichterstatter im Ausschuss sind nämlich Westdeutsche, die sich in diese Problematik möglicherweise
nicht hineindenken können.
({4})
Ende dieses Jahres droht es jedenfalls auch den Garagenbesitzern an den Kragen zu gehen. Davon sind etwa
eine halbe Million Menschen betroffen. Angesichts dieser Tatsache finde ich die Lautstärke in diesem Hause
verwunderlich. Das Thema scheint nicht viele zu interessieren.
Nach den Regelungen des Einigungsvertrags bestanden jedenfalls die Rechtsverhältnisse der Nutzer und
Grundstückseigentümer, auf deren Grundstücken Gebäude errichtet waren, nach den Vorschriften des ZGB
der DDR fort.
({5})
- Werfen Sie einen Blick auf die Landkarte! Ich setze
mich hier nur mit den Problemen auseinander, was Sie
offensichtlich nicht tun.
({6})
Dieses Recht wurde aber schon bald aufgeweicht. Im
Schuldrechtsanpassungsgesetz wurde formuliert, dass
mit der Beendigung der Vertragsverhältnisse das nach
dem Recht der DDR begründete und fortgeltende Eigentum an Baulichkeiten an die Grundstückseigentümer
übergeht.
({7})
Immerhin sah das Gesetz einen Kündigungsschutz vor,
der durch die besagte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bei Garagen verkürzt wurde. Die so genannte Investitionsschutzfrist galt noch sieben Jahre
nach Ende der Kündigungsschutzfrist und endet am
31. Dezember dieses Jahres. Die Kündigungsbeschränkungen, die in der auslaufenden Frist noch galten, fallen
zum 1. Januar weg.
Aber es kommt noch dicker: Ab 1. Januar gibt es eine
Entschädigung bei Beendigung der Vertragsverhältnisse
nur noch in Höhe der festgestellten Verkehrswerterhöhung, aber auch nur dann, wenn die Verkehrswerterhöhung auf die Baulichkeit, also auf die Garagen, zurückzuführen ist. Inzwischen liegen sie aber zum Teil in
attraktiven Gewerbelagen. Wenn ein Investor dort ein
Bürogebäude errichtet, um statt der 40 Euro Jahresmiete
für die Garagen 40 Euro pro Quadratmeter im Monat für
Büroraum zu erzielen, dann ist es zwar verständlich,
dass er mit seinen Investitionen den Gewinn verzigfachen will, aber weil die Verkehrswerterhöhung nicht auf
die Garagen zurückzuführen ist, haben die Nutzer in diesem Fall keinen Anspruch auf Entschädigung und werden eventuell noch an den Abrisskosten beteiligt.
({8})
- Hören Sie doch einmal zu, Mensch! Beschäftigen Sie
sich doch einmal mit den Problemen vor Ort!
({9})
In Frankfurt/Oder sollen die Garagennutzer nach Vorgabe der Stadt schon jetzt im Hinblick auf mögliche Abrisskosten Kautionen zahlen. Es ist doch klar, dass das
zu Unsicherheit führt. Dass es aber auch Gemeinden gibt
- zum Beispiel Bernau -, in denen zugesichert wird, dass
die Verträge weiterlaufen, ist ebenfalls bekannt. Was
aber sagt die kommunale Aufsichtsbehörde dazu? Sie
wird sicherlich einschreiten.
({10})
Die sächsische Staatsregierung sieht ihrerseits keine
Veranlassung, auf die Kommunalaufsicht einzuwirken.
Die wirtschaftliche Nutzung steht dabei im Vordergrund.
Diese Schieflage soll mit dem Gesetzentwurf beseitigt
werden. Mehr verlangt dieser Entwurf nicht.
({11})
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben das
Bundesverfassungsgericht falsch zitiert. Tatsächlich bezeichnet das Bundesverfassungsgericht eine Entschädigung nach dem Zeitwert als sachgerecht und eine Entschädigung nach dem Verkehrswert als angemessen.
Was hindert uns denn daran, eine sachgerechte Entschädigung in allen Fällen vorzunehmen? Wenn man sich auf
den Standpunkt stellt, dass Gesetze, die verfassungskonform sind, nicht geändert werden dürfen, dann muss ich
mich fragen: Was macht denn die große Koalition ständig?
({12})
Für uns ist das Gesetz eine Geste des gerechten Ausgleichs - dazu bedarf es nur des politischen Willens -,
damit nicht wieder Tausende Menschen im Osten
Deutschlands auf der Strecke bleiben.
Ich danke für Ihre „tolle“ Aufmerksamkeit.
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wiederhole
meine Bitte, allen Rednerinnen und Rednern die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken. Das gilt auch für die
letzte Rednerin in dieser Debatte.
Das Wort hat die Kollegin Silke Stokar von Neuforn
für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werter
Herr Kollege Wunderlich, ich finde, es ist nicht verwunderlich, dass Sie im Jahre 1990 beginnen wollen. Ich
sage Ihnen allerdings: So geht es nicht. 1990 hatten wir,
der Bundesgesetzgeber, erst begonnen, das komplexe
Thema der Bodenreform aufzugreifen und das SED-Unrecht zu bereinigen. Wir hatten begonnen, unrechtmäßige Enteignungen wieder gutzumachen sowie die Folgen von Zwangsausbürgerung und Zwangsaussiedlung
- die Menschen wurden nicht wieder in die DDR hineingelassen - und des Mauerbaus zu bereinigen. Das ist der
Ausgangspunkt.
({0})
Ich möchte zwar keine Rechtsbewertung - ich finde,
Herr Hacker und Frau Leutheusser-Schnarrenberger haben das bereits sehr gut dargelegt -, wohl aber eine politische Bewertung vornehmen. Wir reden hier über Gerechtigkeit. Das bedeutet für mich, dass man die
Interessen der betroffenen Seiten gegeneinander abwägt.
Wir haben es mit der Situation zu tun, dass Alteigentümern das Recht auf ihre Grundstücke zugesprochen
wurde, auf denen Nutzer aus der ehemaligen DDR Datschen und Garagen gebaut haben. Beide haben aufgrund
der teilungsbedingten Entwicklung Rechtsansprüche erworben: die einen auf das Grundstück, die anderen auf
das Gebäude. Ich denke, dass der Bundesgesetzgeber in
seiner Verantwortung eine gute Ausgleichsregelung gefunden hat. Diese Regelung wurde 1999 vom Bundesverfassungsgericht bestätigt.
Meine Damen und Herren von der Linksfraktion, Ihr
populistischer Gesetzentwurf zeigt, dass Sie diese Regelung offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen haben,
dass sie nicht Grundlage Ihrer Politik ist. Sie versuchen
17 Jahre nach dem Mauerfall, die vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Ausgleichsregelung außer Kraft
zu setzen und die alte Auseinandersetzung zwischen Alteigentümern und Bewohnern der ehemaligen DDR wieder zu emotionalisieren und erneut Grabenkämpfe zu
führen, und das alles auf einer verfassungswidrigen
Grundlage.
({1})
Wir haben es als Bundesgesetzgeber nicht immer geschafft, für Einzelfallgerechtigkeit zu sorgen. Das ist
auch nicht möglich; das können wir nicht. Ich habe aber
die Hoffnung - ich sehe gute Erfolge -, dass die Menschen in den Kommunen weiter sind als die Politik.
Wenn wir verantwortlich handeln wollen, sollten wir den
Betroffenen vor Ort vielleicht empfehlen, selber eine
einvernehmliche Regelung zu finden. In vielen Fällen ist
das möglich.
Versuchen Sie, mithilfe der Kommunen vor Ort zwischen den Menschen, die sich kennen und die miteinander zu tun haben, zu einem Ausgleich zu kommen. Das
ist verantwortungsbewusste Politik. Das ist eine Politik,
die sich nicht nur auf eine Seite stellt. Das ist eine Politik, die nicht mit dem Instrument der namentlichen Abstimmung arbeitet. Sie tun so, als seien die einen in der
Folge der Wiedervereinigung die Guten und die Gerechten und die anderen die Bösen.
({2})
Das ist ein Missbrauch des Instruments der namentlichen
Abstimmung. Wir lehnen Ihren Antrag ab und wir lehnen auch Ihr Verhalten hier im Parlament ab.
Danke schön.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Frak-
tion Die Linke eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes auf der Druck-
sache 16/1736. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3207, den Ge-
setzentwurf abzulehnen. Die Fraktion Die Linke ver-
langt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze
einzunehmen. Sind alle Plätze besetzt? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.1)
Wir setzen die Beratungen fort. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die der nächsten spannenden Debatte
nicht folgen können, den Saal zu verlassen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes über die Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung
und der Beiträge und Beitragszuschüsse in der
Alterssicherung der Landwirte für das Jahr
- Drucksache 16/3268 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Deutschland befindet sich im Aufschwung, die
Wirtschaft wächst und die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten steigt. Das ist gut für die Menschen, die wieder Arbeit finden, und es ist auch gut für
die öffentlichen Haushalte und für die Kassen der Sozialversicherungen.
({0})
Die Beitragseinnahmen in der gesetzlichen Renten-
versicherung haben sich in diesem Jahr sehr positiv ent-
wickelt. Alle Prognosen sagen uns eine Fortsetzung der
wirtschaftlichen Dynamik auch im Jahr 2007 voraus.
1) Ergebnis Seite 6378 C
({1})
Wir dürfen also damit rechnen, dass die gesetzliche
Rentenversicherung weiter gute Einnahmen erzielt. Die
Regierungsparteien CDU, CSU und SPD haben bereits
im Koalitionsvertrag vom November 2005 festgelegt,
dass der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung zum 1. Januar 2007 von 19,5 Prozent auf
19,9 Prozent angehoben werden soll. Dies war der aus
damaliger Sicht notwendige Beitragssatz. Nun haben wir
die Situation, dass aufgrund der guten Einnahmen eine
Erhöhung um lediglich 0,2 Prozentpunkte kurzfristig
ausreichend wäre.
({2})
Viele verlangen deshalb, dass wir den Beitragssatz
nicht auf 19,9 Prozent, sondern nur auf 19,7 Prozent heraufsetzen sollen. Ungeachtet dieser Forderungen wird
die Bundesregierung ihre im Koalitionsvertrag niedergeschriebene Festlegung umsetzen und den Beitrag auf
19,9 Prozent anheben. Ich will Ihnen auch gern erklären,
warum wir das tun.
({3})
Die Politik der Bundesregierung ist geprägt von den
Prinzipien der Nachhaltigkeit und der Berechenbarkeit.
Im Gegensatz zu den lauten Kritikern schauen wir über
das Jahr hinaus und wollen mit konstanten und verlässlichen Entscheidungen das Vertrauen der Menschen in die
Sozialversicherungen stärken. Würden wir den Beitragssatz nur auf 19,7 Prozent anheben, dann kämen wir spätestens im Jahr 2008 in Schwierigkeiten.
({4})
Nach derzeitiger Einschätzung müssten wir ihn dann
nämlich noch über die jetzt geplanten 19,9 Prozent hinaus erhöhen. Wir würden damit unser selbst gestecktes
Ziel, bis zum Jahr 2009 den Beitrag stabil unter
20 Prozent zu halten, leichtfertig aufs Spiel setzen. Vielmehr müssten erhebliche Finanzmittel aufgewendet werden, um dieses Ziel überhaupt noch erreichen zu können.
Das aber hätte mit Verantwortung, mit Vertrauen und mit
Verlässlichkeit nichts zu tun. Deshalb halten wir an der
moderaten Anhebung auf 19,9 Prozent fest.
({5})
Dafür senken wir an anderer Stelle umso mehr. Ich
freue mich, dass ich Ihnen aufgrund der guten wirtschaftlichen Entwicklung bereits heute einen Änderungsantrag
zum vorliegenden Gesetzentwurf ankündigen kann. Wie
Sie wissen, haben wir die Senkung des Beitragssatzes
zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 Prozent auf
4,5 Prozent zum 1. Januar 2007 bereits mit dem Haushaltsbegleitgesetz beschlossen.
Der unerwartet hohe Überschuss, den die Bundesagentur für Arbeit erwirtschaftet hat, gibt uns aber
weiteren Handlungsspielraum. Ich will ausdrücklich
wiederholen: Ohne die aktive Arbeitsmarktpolitik einzuschränken, werden wir den Beitragssatz zum 1. Januar
2007 um weitere 0,3 Prozentpunkte auf dann 4,2 Prozent
absenken.
({6})
Die Versicherten werden damit bei der Arbeitslosenversicherung um weitere 2,2 Milliarden Euro entlastet. Das
Entlastungsvolumen insgesamt beträgt nunmehr rund
17 Milliarden Euro.
Die stärkere Anhebung der Beiträge zur Rentenversicherung wird bei der Arbeitslosenversicherung also
mehr als kompensiert. Die Bundesregierung setzt mit ihrer Politik ein eindrucksvolles Signal für mehr Wachstum und mehr Beschäftigung in Deutschland. Wir senken die Lohnnebenkosten und wir verbessern die
Rahmenbedingungen, damit noch mehr neue sozialversicherungspflichtige Arbeit entstehen kann. Das ist gut für
die Einnahmen der Sozialkassen und damit gut für verlässliche und stabile Sozialversicherungssysteme. Ich
füge hinzu: Es ist gut für die Menschen in unserem
Land, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und
für die Arbeitgeber. Es wird möglicherweise weitere
Auswirkungen, was die wirtschaftliche Dynamik angeht,
haben.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Heinrich
Kolb das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will bereits zu Beginn meiner Rede feststellen: Die
FDP-Bundestagsfraktion lehnt die von der Koalition geplante Anhebung des Rentenversicherungsbeitrags auf
19,9 Prozent ab.
({0})
Eine solche Erhöhung ist nach den jüngsten Ergebnissen
des Schätzerkreises nicht mehr erforderlich. Selbst Vertreter der großen Koalition räumen inzwischen ein, dass
im kommenden Jahr ein Beitrag von 19,7 Prozent ausreichend wäre.
({1})
- Das ist nicht deswegen so, weil Sie gut regieren.
({2})
Das ist nicht überraschend; schließlich haben Sie
schon zu Beginn dieses Jahres kräftig Kasse gemacht:
Sie haben den Unternehmen mit dem Vorziehen der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge mehr als
22 Milliarden Euro abgenommen, um den Sozialversicherungen damit mehr Liquidität zukommen zu lassen.
Rund 10,5 Milliarden Euro davon sind in der Rentenkasse angekommen. Das entspricht einer Beitragssatzer6372
höhung von 1 Prozentpunkt. Deswegen ist es in hohem
Maße unvernünftig und konjunkturschädlich, wenn Sie
den Rentenbeitragszahlern - diesmal den Arbeitgebern
und den Arbeitnehmern gleichermaßen - nun schon wieder in die Tasche greifen.
({3})
Der Erhöhungsbedarf, den Sie sehen, ist zu einem guten Teil hausgemacht. Wenn die große Koalition auf die
Belastungen der Rentenkasse aufgrund der geplanten
Absenkung der Rentenversicherungsbeiträge der Empfänger von Arbeitslosengeld II verzichten würde - wir
reden hier über rund 2 Milliarden Euro; das entspricht
0,2 Beitragssatzpunkten -, dann könnte der Beitragssatz
sogar konstant bei 19,5 Prozent gehalten werden.
Jetzt sagen Sie nicht, das Geld dafür sei nicht da. Dieses Geld war offensichtlich da, wie die Bereitschaft des
Bundes, sich mit zusätzlichen 2,3 Milliarden Euro an
den Kosten der Unterkunft zu beteiligen, zeigt. Aber Sie
haben bei der Verteilung der unerwarteten Steuermehreinnahmen andere Prioritäten gesetzt. Ich stelle fest:
Bleibt es bei der Absenkung der Rentenbeiträge von
Hartz-IV-Empfängern bei gleichzeitiger Erhöhung des
Rentenbeitrags auf 19,9 Prozent, ist das Haushaltssanierung auf Kosten der Beitragszahler.
({4})
Ich fordere die Koalition auf, den sich bietenden
Spielraum für möglichst niedrige Beiträge in allen Zweigen der Sozialversicherung konsequent zu nutzen. Wenn
der rentenpolitische Sprecher der Union, Peter Weiß, das
Festhalten an der Rentenbeitragserhöhung damit begründet, dass man den Unternehmen Planungssicherheit geben wolle,
({5})
dann ist das zynisch. Herr Weiß, das Motiv Ihres Handelns ist viel einfacher. Wie bei dem Festhalten an der
Mehrwertsteuererhöhung handeln Sie nach dem Motto:
Den politischen Ärger für die Erhöhung haben wir gehabt, jetzt wollen wir auch die Kohle sehen. So läuft das
bei Ihnen.
({6})
Der federführende Minister, Arbeitsminister Franz
Müntefering, hat der staunenden Öffentlichkeit vor kurzem erklärt, er wolle sich nicht an seinen Aussagen im
Wahlkampf messen lassen. Aber man wird doch noch
einmal nachfragen dürfen, ob wenigstens die Aussagen
im Koalitionsvertrag ernst zu nehmen sind, ob man
sich als Bürger dieses Landes wenigstens darauf verlassen darf.
({7})
Dort heißt es im Abschnitt 2.1, Senkung von Lohnzusatzkosten:
CDU, CSU und SPD stellen sicher, dass die Lohnzusatzkosten ({8}) dauerhaft unter 40 % gesenkt werden.
Ich frage Sie: Wann, wenn nicht jetzt, wollen Sie die
Grenze von 40 Prozent in dieser Legislaturperiode überhaupt noch einmal ernsthaft anvisieren? Wenn für Union
und SPD das Ziel, die Lohnnebenkosten unter
40 Prozent zu senken, unverändert gilt, dann darf bei
vorhandenem Spielraum der Beitragssatz zur Rentenversicherung nicht ohne Not erhöht werden und muss im
Übrigen angesichts einer absehbaren Erhöhung des
durchschnittlichen Krankenversicherungsbeitrags um
0,5 bis 0,7 Punkte im nächsten Jahr auch der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung noch stärker reduziert
werden, als zuletzt beschlossen und von Ihnen hier vorgetragen, Herr Staatssekretär.
({9})
Nun versprechen Sie nach bewährtem Muster als
Trostpflaster für die Nichtausnutzung von Spielräumen
im Hier und Jetzt, dass es dann aber mittelfristig Beitragssatzsenkungen geben soll. Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Koalition und insbesondere von der
SPD, wer soll Ihnen das noch glauben?
({10})
Es ist noch keine drei Jahre her, dass Sie im RV-Nachhaltigkeitsgesetz die Absenkung des Beitragssatzes zur
Rentenversicherung auf 18,6 Prozent im Jahr 2010 angekündigt haben. Und jetzt sollen wir froh sein, dass es bei
19,9 Prozent in 2010 bleibt? Wer so handelt, hat seinen
Ruf ruiniert und darf nicht mehr erwarten, dass seine
Ankündigungen noch einmal ernst genommen werden.
({11})
Was Sie heute hier mit der mutwilligen Erhöhung von
Lohnnebenkosten einleiten, taugt als neues Kapitel in
dem Buch „Wie man eine Volkswirtschaft ruinieren
kann“. Die konsequente Absenkung der Lohnnebenkosten - das will ich hier noch einmal feststellen - ist
die beste Möglichkeit, die konjunkturelle Entwicklung
im kommenden Jahr zu stützen. Wer wie die Koalition
aus Angst davor, den Beitragssatz in einem Wahljahr
eventuell wieder erhöhen zu müssen, auf mögliche Absenkungen verzichtet, beschädigt von vornherein die
Chancen für eine dauerhafte konjunkturelle Erholung
({12})
und wird, Herr Weiß, die Probleme am Ende in verschärfter Form vorfinden.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Peter Weiß
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Man kann mit Reden auch alles vernebeln. Aber Fakt ist,
die gute Nachricht ist: Diese große Koalition hält Wort.
Wir senken die Lohnnebenkosten. Wir senken die Sozialversicherungsbeiträge.
({0})
Wir entlasten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
in diesem Land und die Wirtschaft. Gleichzeitig - das ist
genauso wichtig - sorgen wir für Verlässlichkeit und Solidität unserer sozialen Sicherungssysteme mit ihren Beitragssätzen.
({1})
Herr Kollege Dr. Kolb, was die FDP macht, ist
({2})
in höchstem Maße unsolide und unseriös. Man kann übrigens auch in der Opposition seine politische Glaubwürdigkeit verlieren. Auf dem Weg dahin ist die FDP, die
hier Vorschläge unterbreitet, bei denen sie ganz genau
weiß - das haben Sie zum Schluss sogar zugegeben -,
dass sie nicht für eine dauerhafte Entlastung sorgen, sondern dass auf das einmalige Senken wieder eine Erhöhung folgt.
({3})
Solch ein Zickzackkurs ist nicht gut für die deutsche
Wirtschaft, sondern ist Gift für die Wirtschaft.
({4})
Das muss man einmal sagen: Die Giftmischer für die
deutsche Wirtschaft sitzen heute hier bei der FDP.
({5})
Die große Koalition hat bereits vor einem Jahr in der
Koalitionsvereinbarung angekündigt, dass sie den Beitragssatz zur Rentenversicherung in diesem Jahr und
damit für die gesamte Dauer der Legislaturperiode auf
19,9 Prozent festsetzt. Nun ist es eine erfreuliche Tatsache - darüber sollten wir uns alle eigentlich freuen und
sollten nicht darüber schimpfen -, dass die Einnahmen
bei der Rentenversicherung hervorragend sind, dass wir
nicht über Löcher in der Rentenkasse reden müssen, sondern Gott sei Dank über genügend Geld in der Rentenkasse reden können. Das ist doch eine gute Nachricht.
({6})
Deswegen könnten wir - das ist richtig - im kommenden Jahr den Beitragssatz zur Rentenversicherung auch
auf 19,7 Prozent festsetzen.
({7})
Aber
({8})
Politik macht man nicht nur für ein Jahr;
({9})
Politik muss auch eine längere Perspektive im Auge haben und auf Nachhaltigkeit setzen.
({10})
Alle Experten, auch der Schätzerkreis - die müssen es
wissen -, sagen uns: Wenn ihr für nächstes Jahr den Beitragssatz zur Rentenversicherung auf 19,7 Prozent festlegt, dann ist es so sicher wie das Amen in der Kirche,
dass ihr ihn bereits im Jahr 2008 und dann auch für 2009
auf über 20 Prozent erhöhen müsst.
({11})
Das heißt, wir würden bei der Rentenversicherung einen
Zickzackkurs fahren. Andererseits sagen sie: Wenn ihr
aber bereits 2007 auf 19,9 Prozent geht, könnt ihr euch
einigermaßen darauf verlassen, dass die deutsche Rentenversicherung bis in das Jahr 2012 mit einem Beitragssatz von 19,9 Prozent auskommt und die Rente solide
und sicher finanziert ist.
Kollege Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Weiß, ich unterstelle einmal, das ist alles so richtig, wie Sie es hier vortragen.
Haben Sie ein Gegenargument, Herr Kolb?
Könnten Sie mir vor diesem Hintergrund dann einmal
erklären, wann und wie Sie das auch im Koalitionsvertrag festgelegte Ziel umsetzen wollen, die Lohnnebenkosten, sprich die Sozialversicherungsbeiträge, dauerhaft unter 40 Prozent zu senken? Wann fangen Sie damit
an? In welchen Bereichen sind Senkungen zu erwarten?
Ist das, was Sie als Ziel formuliert haben, auf Dauer
wirklich verlässlich? Könnten Sie mir dazu bitte einmal
etwas sagen?
({0})
Herr Kollege Kolb, die FDP schlägt uns vor, wir sollten den Beitragssatz zur Rentenversicherung nächstes
Jahr auf 19,7 Prozent festlegen. Auch Sie wissen - das
haben Sie hier nicht widerlegt -, dass der Schätzerkreis
uns eindeutig gesagt hat, dass der Beitragssatz dann
2008 und 2009 bei 20,1 Prozent liegt.
({0})
Das heißt, mit der Umsetzung Ihrer Forderung würde
man in den Folgejahren eine Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge auslösen. Sie würden sich also von
dem Ziel, die Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent zu
drücken, weiter weg bewegen. Das wäre die Folge Ihres
Vorschlages, Herr Kolb.
({1})
- Sehr richtig, auch davon hängt es ab.
Unser Vorschlag ist, die Beiträge auf 19,9 Prozent
festzulegen und damit die Sicherheit zu gewinnen, dass
wir bis zum Jahre 2012 keine Erhöhung der Beiträge
über diese 19,9 Prozent hinaus brauchen werden.
({2})
Auf diesem Fundament steht die Operation, über die wir
noch reden werden und auf die ich noch zu sprechen
komme, angesichts der jetzt hervorragend laufenden
Konjunktur und der Verbesserung der Lage auf dem Arbeitsmarkt den Arbeitslosenbeitrag sogar stärker zu senken als in der Koalitionsvereinbarung vereinbart,
({3})
nämlich nicht nur um 2, sondern um 2,3 Prozentpunkte.
({4})
Das ist der Einstieg in das Vorhaben, zu Lohnnebenkosten von weniger als 40 Prozent zu kommen. Die von Ihnen vorgeschlagene Operation würde diese langfristig
steigen lassen, mit unserer senken wir sie. Deshalb sind
wir auf dem richtigen Weg. Herr Kolb, sehen Sie das
doch endlich ein.
({5})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben zwei
Alternativen: Entweder wir legen die Rentenversicherungsbeiträge für nächstes Jahr auf 19,9 Prozent fest und
können dann nicht nur in dieser Legislaturperiode, sondern auch in der nächsten Legislaturperiode eine sichere
und solide Finanzierung der Rente gewährleisten,
({6})
oder wir folgen dem Vorschlag der FDP, legen sie auf
19,7 Prozent fest und haben dann in den Jahren darauf
die Wahl, sie auf über 20 Prozent anzuheben oder mehr
Geld aus dem Bundeshaushalt, den wir ja gemeinsam sanieren wollen, bereitzustellen oder die Renten zu kürzen.
({7})
Vor diese Wahl gestellt, gibt es meines Erachtens politisch und auch wirtschaftlich nur einen richtigen Weg,
nämlich die von uns vorgeschlagene Festsetzung auf
19,9 Prozent, was dann auf Dauer zu einer soliden Finanzierung der Rentenversicherung beiträgt.
({8})
Nach den aktuellen Steuerschätzungen werden die
Steuereinnahmen im Jahr 2007 voraussichtlich um
20,1 Milliarden Euro höher ausfallen, als in der Steuerschätzung vom Mai 2006 prognostiziert. Diese Mehreinnahmen und die außergewöhnlich gute Entwicklung am
Arbeitsmarkt geben uns die Chance, die Beitragssätze
zur Arbeitslosenversicherung nicht nur wie geplant
von 6,5 auf 4,5 Prozent, sondern um mehr als ein Drittel
auf 4,2 Prozent des Bruttolohns zu senken.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ein Beitragssatz
von 4,2 Prozent zur Arbeitslosenversicherung ist der seit
1986, also seit 20 Jahren, historisch tiefste Beitragssatz
zur Arbeitslosenversicherung.
({9})
Ich finde, diese Zahl macht wie nur wenig andere Zahlen
deutlich, dass wir in Deutschland tatsächlich eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt geschafft haben. Das ist
die beste Nachricht für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land sowie für die vielen Arbeitslosen in Deutschland, die auf Arbeit hoffen.
({10})
Kollege Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Fricke?
Bitte schön.
({0})
Ja, wissbegierig sind wir; denn - das wissen auch Sie Wissen ist Macht.
Deswegen frage ich den Kollegen Weiß: Habe ich gerade richtig verstanden, dass Sie gesagt haben, dass die
Steuermehreinnahmen zu dieser Absenkung geführt haben? Ist es nicht vielmehr so, dass die Steuermehrzahlungen der Bürger im nächsten Jahr - das betrifft insbesondere die Erhöhung der Mehrwertsteuer, jedenfalls zu
1 Prozentpunkt - zu der wesentlichen Absenkung führen?
Selbstverständlich bin ich auch für die Wissbegierde
des Vorsitzenden des Haushaltsausschusses dankbar, der
offensichtlich auch nach dem Abschluss der Bereinigungssitzung gestern noch Fragebedarf bezüglich des
Haushalts hat.
Die Koalition hat in der Koalitionsvereinbarung unter
anderem die Erhöhung der Mehrwertsteuer zum
1. Januar 2007 geplant, um den Arbeitslosenversicherungsbeitrag zu senken und den Haushalt zu konsolidieren. Das Erfreuliche, Herr Fricke, ist, dass wir nun zusätzlichen Handlungsspielraum gewonnen haben, weil
die gute Konjunktur uns mehr Steuereinnahmen beschert, als wir ursprünglich gedacht haben. Deswegen
machen wir zwei wichtige Dinge: Wir senken den Arbeitslosenversicherungsbeitrag noch weiter und wir senken vor allem - das müsste den Haushälter doch eigentlich freuen - die Nettokreditaufnahme des Bundes auf
den historisch tiefsten Stand seit der Wiedervereinigung.
({0})
Das sind beides positive Nachrichten für unser Land, für
die Bürgerinnen und Bürger und auch für die Wirtschaft.
({1})
Beides gehört zusammen und beides ist, wie ich finde,
ein großartiger Erfolg der großen Koalition.
({2})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch wenn es im
Bereich der Gesundheit und der Finanzierung der gesetzlichen Krankenkasse im kommenden Jahr noch einmal
zu Beitragserhöhungen kommt, bleibt unter dem Strich
- das ist das Wichtige - für die Bürgerinnen und Bürger
in unserem Land Geld, das ihnen dadurch direkt zugute
kommt, da wir die Lohnnebenkosten, die Beiträge zur
Sozialversicherung, um mindestens 1,4 Prozentpunkte
senken. Das kann jeder an seinem Geldbeutel bemerken.
Deswegen beschließen wir heute ein Gesetz, das, in
Zahlen ausgedrückt, eine Entlastung von rund
17 Milliarden Euro für die Bürgerinnen und Bürger, für
die Beitragszahler in unserem Land bringt. Ich finde, es
gibt kein besseres Rezept, die konjunkturelle Entwicklung in den nächsten Jahren zu unterstützen und mehr
Chancen für Beschäftigung zu schaffen, als das, was die
große Koalition mit diesem Beitragsgesetz - Senkung
der Arbeitslosenversicherungsbeiträge, Sicherung eines
stabilen Niveaus der Rente - heute in Gang setzt.
({3})
Meine Damen und Herren, wir wollen Stabilität und
Verlässlichkeit. Beide Beitragssätze - 4,2 Prozent bei
der Arbeitslosenversicherung, 19,9 Prozent bei der Rentenversicherung - werden, wie uns die Experten sagen,
nicht nur für ein Jahr Gültigkeit haben, sondern voraussichtlich auf viele Jahre eine stabile Finanzierung der
Arbeitslosenversicherung und der Rentenversicherung
gewährleisten.
({4})
Was die FDP vorschlägt, ist eine Berg- und Talfahrt,
die an Unseriosität kaum zu überbieten ist. Weil Sie dafür wirtschaftlichen Sachverstand, der angeblich bei Ihnen vorhanden ist, reklamieren, will ich Ihnen sagen:
Walter Eucken, der Begründer der Freiburger Schule der
Nationalökonomie
({5})
- er war kein Neoliberaler -,
({6})
hat in seinen erstmals im Jahr 1952 erschienenen
„Grundsätzen der Wirtschaftspolitik“ Folgendes geschrieben - ich zitiere -:
({7})
Die nervöse Unrast der Wirtschaftspolitik, die oft
heute verwirft, was gestern galt, schafft ein großes
Maß an Unsicherheit und verhindert ... viele Investitionen. Es fehlt die Atmosphäre des Vertrauens.
Das Vertrauen kann erst wiederhergestellt werden,
wenn bei wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidungen wieder Konstanz und Verlässlichkeit an die erste
Stelle treten. Genau das machen wir mit unserem Beitragsgesetz. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung. Wir
schaffen für die Wirtschaft wie auch für die Bürgerinnen
und Bürger in diesem Land verlässliche Rahmenbedingungen. Das ist das, was uns Walter Eucken ins Stammbuch geschrieben hat. Die Union und Koalition handeln
danach.
Vielen Dank.
({8})
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Volker
Schneider das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Fußball-WM ist zu Ende und die Party geht weiter.
Das ist jedenfalls der Eindruck, den man haben kann,
wenn man sieht, wie die große Koalition versucht, sich
zu feiern und die breite Bevölkerung in diese GuteLaune-Stimmung einzubeziehen.
({0})
Fassungslos beobachtet dieselbe Koalition, dass weite
Teile der Bevölkerung partout nicht mitfeiern wollen.
Aber hallo, die Rentenbeiträge werden doch nur maßvoll
erhöht und die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung
sollen in fast demselben Umfang sinken. Ist das denn
nicht - wie die alemannische Frohnatur Peter Weiß nicht
müde wird zu verkünden; wir haben das gerade erlebt eine erfreuliche Nachricht?
({1})
Ist das denn kein Grund zu feiern? Ich fürchte, meine
Damen und Herren von der großen Koalition, Sie haben
immer noch nicht die Sorgen und Nöte der Menschen in
unserem Land verstanden und Sie werden sie auch nicht
verstehen.
({2})
Die Menschen, so sie denn nicht Arbeitgeber sind, interessiert nicht so sehr, ob sie denn nun die Hälfte von
19,5 oder 19,9 Prozent ihres Bruttolohnes in die Rentenversicherung zahlen müssen. Die Menschen interessiert
vielmehr, ob sie im Alter für die von ihnen eingezahlten
Leistungen ein auskömmliches Leben erwarten dürfen
oder nicht. Da ist nicht erst in dieser Koalition von der
Politik erheblicher Kredit verspielt worden.
({3})
Die Menschen interessiert auch nicht in erster Linie,
ob der Beitragssatz in der Arbeitslosenversicherung bei
4,2 oder 4,5 Prozent liegt. Wenn Unternehmen, die dicke
Gewinne einstreichen, Jobs streichen, haben Arbeitnehmer schlicht Angst vor der Zukunft. Sie fragen sich,
wie gut sie für den leider nicht mehr so unwahrscheinlichen schlimmsten aller Fälle abgesichert sind. Sie sehen
sich am Anfang einer steilen Rutsche, die selbst den 50jährigen Ingenieur nach 25 Arbeitsjahren innerhalb nur
eines Jahres auf das Sozialhilfeniveau hinunterbefördert.
Damit beginnt bereits das Prekariat und nicht erst dann,
wenn man abgehängt ist. Davor haben diese Menschen
Angst.
({4})
Die Menschen interessiert auch, auf welche sonstigen
Hilfen sie hoffen dürfen, wenn der schlimmste aller
Fälle eintritt. Da müssen sie es fast wie Hohn empfinden,
wenn in Ihrem Änderungsantrag steht: „Die aktive Arbeitsmarktförderung wird auf hohem Niveau stabilisiert.“ Im Konzept des Forderns und Förderns kann ich
ein hohes Niveau allenfalls in Bezug auf das Fordern erkennen. Spätestens mit den Sanktionen der letzten Gesetzesänderung haben Sie hier wahrlich Champions-League-Format erreicht.
({5})
Im Fördern verharren Sie dagegen maximal - ich will
einmal gnädig sein und nicht vom Kreisklassenniveau
sprechen - auf dem Niveau der Bezirksklasse.
({6})
Während Sie all diese Probleme einfach nicht wahrnehmen können oder wollen, führen Sie auch noch mit
der FDP einen aus unserer Sicht ebenso überflüssigen
wie einigermaßen abstrusen Streit über die Frage, ob die
Koalition ihr im Koalitionsvertrag gesetztes Ziel, die Sozialversicherungsbeiträge auf unter 40 Prozent zu senken, nun erreicht hat oder nicht.
An dieser Stelle hat uns der Herr Kollege Brandner
- jetzt ist er nicht mehr anwesend - eine tolle Erklärung
im Ausschuss für Arbeit und Soziales geliefert. Er hat
dort zwar eingeräumt, dass die Beiträge bei 40,3 Prozent
liegen. Er meinte dann aber, feststellen zu müssen, dass
durch den Verzicht auf einen Urlaubstag
({7})
0,5 Prozentpunkte eingespart werden könnten und wir
damit tatsächlich bei unter 40 Prozent ankommen würden.
({8})
- Lassen Sie mich erst einmal zu Ende ausführen; dann
verstehen Sie es vielleicht. - Herr Brandner kam so jedenfalls auf 39,8 Prozent. Das verschlägt einem schon
die Sprache.
({9})
Herr Kollege, diese krude Logik bewirkt, dass es zu einer Ersparnis für die Arbeitgeber kommt. Aber die Arbeitnehmer müssen eine zusätzliche Leistung erbringen.
({10})
Der Sachverhalt ist also folgendermaßen: 19,9 Prozent der Lohnnebenkosten tragen künftig die Arbeitgeber und 20,4 Prozent die Arbeitnehmer.
({11})
Das macht in der Addition - Volksschule Sauerland wieder 40,3 Prozent.
({12})
Erstaunlich, dass eine solche Aushöhlung des Solidarprinzips von einem Bevollmächtigten der IG Metall zur
Rechtfertigung der eigenen Politik herangezogen wird!
Volker Schneider ({13})
({14})
So scheint der Zustand der SPD insgesamt heutzutage zu
sein.
Zusammengefasst: Diese Politik geht an den Interessen der Menschen in unserem Land vorbei. Auf unsere
Unterstützung werden Sie nicht hoffen können.
Besten Dank.
({15})
Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk
für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Im Windschatten des wirtschaftlichen Aufschwungs und
weitgehend unbemerkt, Herr Weiß, greift die große Koalition in die Tasche der Versicherten.
({0})
Sie will die Rentenversicherungsbeiträge im kommenden Jahr von 19,5 auf 19,9 Prozentpunkte erhöhen und
spült damit 3,4 Milliarden Euro der Versicherten in die
Rentenkassen, und zwar in die Rentenkassen, die sie
selbst zuvor geplündert hat. So wurden die Beitragszahlungen des Bundes für Langzeitarbeitslose halbiert. Dadurch fehlen der Rentenkasse jetzt jährlich 2 Milliarden
Euro.
({1})
Die Mentalität des Staates, den Bundeshaushalt zulasten
der Versicherten zu entlasten, lehnen wir ausdrücklich
ab.
({2})
Damit stehen wir nicht allein. Der Sozialbeirat hat vor
kurzem die Erhöhung der Sozialbeiträge mit dem ausdrücklichen Ziel, den Bundeshaushalt zu entlasten, als
verfassungsrechtlich bedenklich kritisiert. Der wirtschaftliche Aufschwung lässt ohne ein Zutun der Regierung - ich erinnere an die Rürup-Kommission - Mehreinnahmen von 19,4 Milliarden Euro in den
Staatshaushalt fließen. Davon stehen dem Bund knapp
9 Milliarden Euro zur Verfügung. Auch die Rentenkassen profitieren von diesen Mehreinnahmen.
Umso irritierender ist es, dass das Vorhaben der Regierung, die Beiträge zu erhöhen, durchgesetzt werden
soll. Denn in der Vorlage zur Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge wird ohne Scham zugegeben - ich zitiere -, dass ein Beitragssatz von 19,7 Prozent im kommenden Jahr eigentlich ausreiche, um die gesetzlichen
Verpflichtungen einzuhalten.
({3})
In der Begründung finden wir die meines Erachtens
dreiste Aussage: Durch die Erhöhung des Beitragssatzes
im kommenden Jahr würden die Beitragszahler und der
Bundeshaushalt in den Jahren 2008 bis 2010 entlastet,
({4})
indem „die Beitragssatzanhebung im Jahre 2007 überkompensiert“ werde.
({5})
Mit anderen Worten: Der Minister sagt: Ich meine es
doch nur gut mit euch Versicherten. Ich nehme euch jetzt
mehr weg,
({6})
damit ich euch später nicht noch einmal etwas wegnehmen muss. Dann verschone ich euch. - Das ist schon
eine besondere Logik, die meine Fraktion so nicht teilt.
({7})
Wer glaubt denn eigentlich an einen Zufall, wenn gerade gestern der Finanzminister erneut ankündigt, er
wolle den Bundeszuschuss langfristig auf dem jetzigen
Niveau einfrieren, und das, obwohl der Bundeszuschuss
nach eigenen Berechnungen der Regierung in den nächsten Jahren um weitere 2 Milliarden Euro steigen müsste.
Dazu sage ich: Nachtigall, ich hör dir trapsen! Der Bundeszuschuss wird nicht mehr erhöht. Stattdessen werden
dann Beitragsatzerhöhungen herangezogen.
({8})
Also kassieren Sie hier schon wieder 2 Milliarden Euro
ein.
Das macht deutlich: Die große Koalition entlastet den
Bundeshaushalt auf Kosten der Beitragszahler. Das ist
bereits in Ihrem Koalitionsvertrag festgelegt worden;
dies wollen Sie offensichtlich fortsetzen. Die Halbierung
der Rentenbeiträge für die Langzeitarbeitslosen - das
habe ich vorhin schon gesagt - führt dazu, dass der Rentenkasse 2 Milliarden Euro fehlen. Die Angleichung der
Beitragssätze in der Alterssicherung der Landwirte hat
eine ähnliche Wirkung. Hier entlastet sich der Bund um
14 Millionen Euro. Die CDU/CSU hat einige weitere
Kürzungsvorschläge in petto, wie man weiß. Da passt es
gut, sich schon einmal ein gutes Polster anzulegen, ähnlich der Aktion Eichhörnchen, passend zu dieser Jahreszeit.
({9})
Dieser Weg ist für Sie offenbar der bequemste. Dabei
führt die Mehrwertsteuererhöhung im kommenden Jahr
zu Steuermehreinnahmen von mehr als 20 Milliarden
Euro. Herr Weiß, vorhin haben Sie gesagt, die Umsetzung des vorliegenden Gesetzentwurfes führe zu einer
Entlastung von 17 Milliarden Euro und die Steuererhöhung zu Mehreinnahmen von 20 Milliarden Euro. Die
Differenz lässt sich leicht ausrechnen. Sie aber feiern es
als generöse Geste, einen Teil dieser Differenz für die
Senkung der Arbeitslosenbeiträge zu verwenden. Stellt
man allerdings dieser Senkung die Erhöhung der Krankenversicherungs- und der Rentenversicherungsbeiträge
gegenüber, kommt man zu dem Ergebnis, dass eine Familie mit einem Jahreseinkommen von 20 000 Euro
ganze 40 Euro weniger an Beiträgen jährlich zahlt.
({10})
Rechnet man die Mehrwertsteuererhöhung hinzu,
kommt man zu dem Ergebnis, dass das verfügbare Einkommen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
sinkt. Sie sollten sich einmal die diesbezügliche Untersuchung des DIW anschauen.
Das sind ungefähr 0,5 Prozent, die die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten an verfügbarem Einkommen jetzt weniger haben. Sie verkaufen das als große
Wohltat. Es ist keine Wohltat. Herr Müntefering ist leider nicht da. Wenn morgen Sankt-Martins-Tag ist, dann
nimmt Ihnen keiner diese Rolle ab. Wir lehnen das ab.
Herr Weiß, vorhin sagten Sie, die Opposition gehe im
Zickzackkurs. Herr Kollege Weiß, hier müssen Sie irgendetwas verwechselt haben. Der Zickzackkurs ist Ihnen von den fünf Wirtschaftsweisen bescheinigt worden.
Sie sollten einmal überlegen, ob Sie die vielleicht absetzen, weil die Ihnen immer so unangenehme Nachrichten
bringen. Darüber haben Sie ja schon nachgedacht.
Vielen Dank.
({11})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 16/3268 zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Arbeit und Soziales und zur Mitberatung an den Finanzausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, den Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz, den Ausschuss
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Ausschuss für Gesundheit sowie den Haushaltsausschuss zu
überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich komme zurück zum Tagesordnungspunkt 33 und
gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über den von der Fraktion Die Linke eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes, Drucksachen 16/1736 und 16/3207, bekannt:
Abgegebene Stimmen 497. Mit Ja haben gestimmt
46 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt
450 Kolleginnen und Kollegen, eine Enthaltung. Damit
ist der Gesetzentwurf abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 497;
davon
ja: 46
nein: 450
enthalten: 1
Ja
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger-Neuling
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Katrin Kunert
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothee Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Petra Pau
Elke Reinke
Paul Schäfer ({0})
({1})
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Sabine Zimmermann
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({2})
Veronika Bellmann
Clemens Binninger
Carl-Eduard von Bismarck
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({3})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({4})
Dirk Fischer ({5})
Axel E. Fischer ({6})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Vizepräsidentin Petra Pau
Herbert Frankenhauser
({7})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({8})
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({9})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({10})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({11})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({12})
Wolfgang Meckelburg
Friedrich Merz
Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Stefan Müller ({13})
Bernward Müller ({14})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({15})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({16})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({17})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Andreas Schmidt ({18})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({19})
Lena Strothmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Uwe Vogel
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Peter Weiß ({20})
Gerald Weiß ({21})
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({22})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({23})
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({24})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({25})
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({26})
Frank Hofmann ({27})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({28})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({29})
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({30})
Michael Müller ({31})
Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Vizepräsidentin Petra Pau
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({32})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({33})
Michael Roth ({34})
Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({35})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({36})
Silvia Schmidt ({37})
Heinz Schmitt ({38})
Carsten Schneider ({39})
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({40})
Swen Schulz ({41})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Andreas Weigel
Petra Weis
Gert Weisskirchen
({42})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({43})
Uwe Barth
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({44})
Miriam Gruß
Joachim Günther ({45})
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Martin Zeil
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({46})
Volker Beck ({47})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({48})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Undine Kurth ({49})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({50})
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({51})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({52})
Enthalten
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Hans-Christian Ströbele
Somit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 35 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck ({53}), Monika Lazar, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Zivilgesellschaftliches Engagement gegen
Rechtsextremismus gesetzlich schützen Rechtsprechung zur Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen
auswerten
- Drucksache 16/3202 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({54})
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. - Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Volker Beck das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das
Landgericht Stuttgart hat in seiner Entscheidung vom
29. September 2006 entschieden, den Vertrieb von
Antinazisymbolen wie durchgestrichene Hakenkreuze
auf Buttons oder T-Shirts als Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach § 86 a
des Strafgesetzbuches zu bestrafen. Laut Presseberichten
hat das Gericht unter anderem erklärt, bei Verwendung
Volker Beck ({0})
des Hakenkreuzes bestehe unabhängig vom Kontext die
Gefahr, sich an das Symbol zu gewöhnen.
Ich glaube, dieses Urteil ist ein Schildbürgerstreich
der Justiz, der gerade diejenigen kriminalisiert, die sich
im öffentlichen Raum mit Zivilcourage gegen den erstarkten Rechtsextremismus wenden wollen. Wir finden,
das ist ein Skandal.
({1})
- Herr van Essen, Sie haben zu Recht bemerkt, dass das
Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Deshalb sagen wir
ebenso wie die Justizministerin, man soll die weitere
Rechtsprechung prüfen.
Wir wollen hier und heute aber als Deutscher Bundestag zum Ausdruck bringen, was die Intention des Gesetzgebers war.
({2})
- Richtig, Herr Danckert, wir als Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen wollen zum Ausdruck bringen, dass die Intention des Gesetzgebers darin bestand, die Verwendung
entsprechender Symbole nicht mit dem Anschein zuzulassen, verfassungswidrige Organisationen könnten trotz
ihres Verbots ungehindert ihre Wiederbelebung betreiben. Nicht beabsichtigt ist dagegen, die Strafverfolgung
auch für solche Fälle zu eröffnen, in denen Personen demonstrativ ihre Ablehnung einer verfasswidrigen Organisation zum Ausdruck bringen wollen. Das entspricht
der herrschenden Meinung. Die Kommentarliteratur
stellt eindeutig fest: „Bestraft wird die abstrakte Gefahr
einer inhaltlichen Identifizierung mit dem Bedeutungsgehalt symbolträchtiger Kennzeichen, deren Verbreitung
oder Verwendung den Anschein erwecken kann, verfassungswidrige Organisationen könnten trotz ihres Verbots
ungehindert ihre Wiederbelebung betreiben.“ So heißt es
bei Tröndle entsprechend.
Herr Kollege van Essen, Sie haben gesagt, wir brauchen diese Debatte nicht.
({3})
- Ja. Ich respektiere Ihre Meinung. - Ich glaube, wir
brauchen diese Debatte, weil die Polizei des Deutschen
Bundestages auf Anweisung des Direktors - wir haben
im Ältestenrat darüber diskutiert - dieses Urteil zur
Grundlage polizeilichen Handelns macht. Es ist völlig
klar, dass man im Plenum weder für den Erhalt der Wale
in den Weltmeeren werben noch mit Banderolen gegen
den Nationalsozialismus agieren darf. Außerhalb des
Plenarsaals, auf den Wandelgängen, auf den Fluren dürfen Parlamentarier aber natürlich, wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger auch, Erlaubtes zum Ausdruck
bringen.
Gegenwärtig ist es im Hohen Haus Praxis, dass man
mit einem Button am Revers, auf dem ein durchgestrichenes Hakenkreuz zu sehen ist, nicht hereingelassen
wird. Ich finde, diese Praxis ist falsch. Das Urteil ist
({4})
nicht rechtskräftig, muss in den Räumlichkeiten des
Deutschen Bundestages deshalb auch nicht umgesetzt
werden. Darüber müssen wir reden. Das darf in Zukunft
nicht mehr der Fall sein.
({5})
Die Berliner Staatsanwaltschaft handelt völlig richtig.
Sie hat gesagt, durchgestrichene Hakenkreuze sind für
sie kein Anlass für strafrechtliche Ermittlungsverfahren.
Ich habe einen Button auf meiner Homepage. Von mir
hat noch kein Staatsanwalt deswegen etwas gewollt.
({6})
Am Platz vor dem Neuen Tor hängt dieses Plakat, auf
dem zu sehen ist, wie ein Hakenkreuz in den Papierkorb
geworfen wird - wie es sich gehört. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat zu Recht gesagt: Das ist keine Verletzung des § 86 a StGB.
({7})
Ich wünschte, das würde auch von der Polizei des Deutschen Bundestages so gesehen und das wäre einheitliche
Meinung in diesem Hause.
({8})
Statt uns über durchgestrichene Hakenkreuze aufzuregen, sollten wir uns lieber darüber aufregen, dass gestern, am Tag der Reichspogromnacht, in Brandenburg
ein Gedenkstein von Neonazis geschändet wurde. Das
ist ein Grund, um sich aufzuregen.
({9})
Es gibt jedoch keinen Grund, gegen irgendwelche Antifaschisten vorzugehen.
Ein weiterer Grund, sich aufzuregen, ist der NPDParteitag, der morgen in Berlin stattfinden soll. Ich rufe
alle Bürgerinnen und Bürger auf, die in Berlin sind, sich
dem Allparteienbündnis anzuschließen und um 10 Uhr
an der Trabrennbahn in Berlin-Mariendorf für ein weltoffenes Berlin zu demonstrieren, Flagge zu zeigen und
vielleicht auch durchgestrichene Hakenkreuze zu zeigen.
({10})
Ich bin Kölner. Ich bin morgen nicht in Berlin. Wir
haben am 11.11. etwas anderes zu feiern. Aber auch das
hat mit antifaschistischer Gesinnung zu tun.
({11})
Deshalb möchte ich mit Erlaubnis der Präsidentin zum
Schluss ein Karnevalslied
({12})
Volker Beck ({13})
vortragen, das auf dieses Thema Bezug nimmt:
Ich bin ene klene Mann,
der nicht alles verstann.
Eines han auch ich kapiert:
Bei den braune Funke wird nit mitmarschiert.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine fröhliche
Zeit und antifaschistisches Engagement.
({14})
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Dr. Jürgen
Gehb das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Anlass für die heutige Debatte ist schon genannt worden.
Herr Beck, Sie haben Ihre Rede mit einer Büttenrede beendet. So ist auch der ganze Antrag zu verstehen.
Man mag dieses Urteil des Landgerichts Stuttgart als
Schildbürgerstreich ansehen. Nur, wenn wir jeden
Freitag eine Debatte darüber führen würden, ob man Urteile des Amtsgerichts Dinkelsbühl bis zum Bundesfinanzhof in München für einen Schildbürgerstreich hält,
dann könnte man sicher wochenlang darüber debattieren.
({0})
Wo kommt eigentlich Ihr Misstrauen gegen die Justiz
her? Wie wollen Sie diesem vermeintlichen Fehlurteil
begegnen? Sie stellen einen Antrag im Bundestag mit
dem Petitum, dass der Bundestag feststellen möge, welches Rechtsgut in § 86 a des Strafgesetzbuches geschützt
ist und welches nicht. Sie alle kennen Montesquieu. Herr
Beck, er ist nicht mit dem Grafen von Monte Christo, einer Romanfigur, zu verwechseln. Er ist auch nicht irgendein Kochkünstler oder ein Modezar. Er ist einer der
Erfinder des Gewaltenteilungsprinzips.
({1})
Wenn eine Entscheidung dem Unterlegenen nicht gefällt, hat er bei uns in Deutschland die Möglichkeit,
Rechtsmittel einzulegen. Genau das ist hier passiert;
denn der Verurteilte hat Rechtsmittel eingelegt.
Ich selber habe in meiner ersten Presseerklärung gesagt, dass ich durch das Urteil prima facie irritiert war,
aber dass ich Vertrauen habe in unsere Rechtsprechung.
Es kann doch nicht nach jeder tatsächlichen oder auch
nur vermeintlichen Fehlentscheidung des Gerichts der
Gesetzgeber aufgefordert werden, darzulegen, wie die
Bestimmungen auszulegen sind. Herr Beck, dann müssen Sie einen Gesetzentwurf einbringen - darüber kann
man reden. Aber dass der Bundestag feststellen soll, was
de lege lata geschützt ist, das ist intellektuell unterbelichtet, das ist handwerklich so dilettantisch, dass man
nur sagen kann: Mit Ihrer Büttenrede haben Sie dem
auch sprachlich den richtigen Rahmen gegeben. So ist
das: Non multum, sed multa.
({2})
Das zum Ersten, was Sie in Ihrem Antrag fordern.
Das Zweite ist noch viel schlimmer: Da fordern Sie
den Bundestag auf, er soll die Bundesregierung auffordern, für den Fall, dass der Bundesgerichtshof das Urteil
bestätigt, gesetzlich darzustellen, was mit § 86 a StGB
nicht gemeint ist. Dass wir hier einen konditionierten
Beschluss fassen sollen, das ist wirklich ein Unikat. Herr
Beck, ehrlich gesagt, ich verstehe schon, dass sich heute
kein Rechtskundiger von Ihnen hierhin gestellt hat, sondern dass man Sie vorgeschickt hat: Ihnen nimmt man es
nicht so übel,
({3})
wenn Sie Paragrafenschlüssel und Notenschlüssel einmal nicht auseinander halten können.
({4})
Ihre zweite Forderung geht, wie wir feststellen, auch
nicht.
Was bleibt? Wir wollen jetzt einmal schön abwarten,
wie das in den Instanzen weitergeht. Ich will Ihnen eines
sagen: Es ist gar nicht so, dass sich die höchstrichterliche
Rechtsprechung mit so etwas noch nicht befasst hätte.
Der Bundesgerichtshof hat bereits mit Entscheidung
vom 14. Februar 1973 - in dem Band BGHSt 25,
Seite 133 - etwa Folgendes festgestellt: Der Tatbestand
von § 86 a Strafgesetzbuch ist nicht erfüllt, wenn das
Symbol karikierenden Charakter hat und für jeden erkennbar ist, dass der Schutzzweck der Norm nicht verletzt wird. Insofern haben wir hier vielleicht ähnliche
Sachverhalte.
({5})
Warten wir einmal in aller Ruhe ab, Herr Beck, wie
der Bundesgerichtshof über das Rechtsmittel des Verurteilten entscheidet! Dann können wir uns überlegen, ob
gesetzgeberische Maßnahmen nötig sind. Das wird dann
allerdings nicht bei Feststellungen bleiben können, sondern dann müssen Sie, wie gesagt, einen entsprechenden
Gesetzentwurf einbringen.
({6})
Aber das zivilgesellschaftliche Engagement einfach in
der Weise gesetzlich zu schützen, wie Sie das wollen, ist,
wie gesagt, aus mehreren Gründen nicht möglich.
Dass die Bundesregierung die Rechtsprechung beobachten soll, dazu noch eine kleine Belehrung, Herr
Beck: Damit stiften Sie gewissermaßen jemanden an,
der ohnehin tatgeneigt ist. Den nennt man den omni
modo facturus; der ohnehin Tatgeneigte.
({7})
Außerdem hat die Bundesjustizministerin zugesagt,
das zu beobachten. Wir beobachten täglich die Rechtsprechung. Nicht nur die Bundesregierung beobachtet
die Rechtsprechung, sondern auch die Abgeordneten beobachten sie, die Presse beobachtet sie. Was soll also Ihr
Schaufensterantrag? Irgendwann stellen wir hier noch
fest, dass der Mensch den aufrechten Gang beherrscht!
Ein Allerletztes, Herr Beck: Selbst wenn diese Entscheidung nicht richtig war, ist zu überlegen, ob das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Rechtsextremismus tatsächlich nur dadurch erreicht werden kann,
({8})
dass man solche Symbole zeigt, von denen man genauso
gut meinen kann, dass dieser Schund hier generell nichts
zu suchen hat, dass man nicht erst prüfen muss, welchen
Beweggrund derjenige hat, der ein solches Symbol zeigt.
Nun mag es im vorliegenden Fall evident gewesen sein.
Doch schon wenn ich so ein Symbol tragen würde, würden Sie sagen: Na, was macht denn der Herr Gehb da?
({9})
Was, wenn jemand mit kurzen Haaren und Stiefeln so etwas trägt?
({10})
Ich sage nur eins: Man muss auch vermeiden, dass
selbst durch solche karikierenden Kennzeichen objektiv
der Eindruck erweckt wird, es gebe noch solche Parteien. Also vorsichtig mit Ihrem zivilgesellschaftlichen
Engagement gegen Rechtsextremismus! Immer schön
aufpassen, ob der gesetzliche Schutz nur so erreicht werden kann, wie Sie es fordern.
Ich bin der Meinung, dass er so nicht gefordert werden kann. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse heute in
diesem Hause wird Ihnen der Erfolg auch versagt bleiben.
Ich wünsche Ihnen allen und auch den Zuhörern auf
der Tribüne ein schönes Wochenende. Dort oben sitzen
ja fast mehr als hier unten im Deutschen Bundestag. Sie
sehen, mit was wir uns alles beschäftigen müssen. Kommen Sie gut nach Hause!
({11})
Das Wort hat der Kollege Jörg van Essen für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe sehr lange überlegt, ob ich heute hier tatsächlich reden oder meine Rede zu Protokoll geben sollte,
weil ich finde, dass die Grünen mit ihrem Antrag all denjenigen, die den Kampf gegen rechts führen wollen, einen Bärendienst erwiesen haben,
({0})
weil es doch vollkommen klar ist, dass zur Demokratie,
die wir schützen wollen, auch der Respekt der Gewalten untereinander gehört.
Hier geht es um ein laufendes Gerichtsverfahren.
Wir alle haben wahrscheinlich das gleiche Gefühl hinsichtlich der Frage, wie es ausgehen wird. Als jemand,
der in der Justiz als Staatsanwalt und Oberstaatsanwalt
in der politischen Abteilung solche Verfahren sehr lange
führen musste, darf ich jedenfalls sagen, dass ich solche
Verfahren immer eingestellt habe.
({1})
Deswegen habe ich eine Ahnung davon, wie das Ganze
ausgehen wird. Ich finde aber, wir sollten hier zeigen,
dass wir Vertrauen in die Justiz haben.
({2})
Es geht hier um ein laufendes Verfahren und es ist doch
geradezu ungewöhnlich, dass sich der Bundestag - genötigt durch einen Antrag der Grünen - in dieses laufende Verfahren einmischen soll. Ich warne uns davor,
das zu tun.
({3})
Der Kollege Gehb hat alle Dinge angesprochen, die
aus meiner Sicht hier anzusprechen sind. Ich unterstütze
das, was er gesagt hat, mit Nachdruck. Ich habe in dieser
Angelegenheit volles Vertrauen in die Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofes. Nach meiner Auffassung werden wir uns deshalb auch mit keinerlei Neufassung des
§ 86 a StGB zu befassen haben.
Falls es anders ausgehen sollte, haben wir das zu respektieren. Dann müssten wir darüber sprechen. So hat
das auch die Bundesjustizministerin gesagt. Das ist nach
meiner Auffassung die Antwort, die wir heute hier zu
geben haben - nicht mehr und nicht weniger.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Peter Danckert für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich glaube, das Bündnis 90/Die Grünen hat hier
wirklich eine Premiere veranstaltet: In einem laufenden
Strafverfahren ist ein Urteil ergangen, das noch nicht
rechtskräftig ist. Dies wird in den Blickpunkt unserer
parlamentarischen Diskussion gerückt. - Das ist wirklich ein sehr bemerkenswerter Vorgang, auch unter dem
Gesichtspunkt der Gewaltenteilung.
({0})
Wenn wir das getan hätten, dann hätten Sie sofort eingegriffen, nach dem Motto: Was passiert denn hier? Die
Regierungskoalition mischt sich in laufende Verfahren
ein.
({1})
Lieber Kollege Beck, ich glaube, Sie haben sich, Ihrer
Fraktion und unserem Parlament einen Bärendienst erwiesen.
({2})
Ich weiß nicht, wie es draußen bewertet wird, wenn wir
damit anfangen, uns in gerichtliche Verfahren einzumischen. Wenn ich mich recht erinnere, sprachen Sie davon, die Rechtsprechung zu beobachten. Diesen Duktus
halte ich für sehr problematisch.
({3})
Wir fangen im Parlament jetzt damit an, uns die Entscheidungen in allen möglichen Rechtsgebieten - nicht
nur im Strafrecht - auf den Tisch zu legen und die
Rechtsprechung zu beobachten, um nicht zu sagen, zu
kontrollieren.
({4})
Dieser Vorgang wäre besser unterblieben.
({5})
Ich habe mir das Urteil, das man aufmerksam durchlesen muss, besorgt. Zu diesem Urteil sage ich: Ich bin
der festen Überzeugung, dass das beim Dritten Strafsenat des BGH gut aufgehoben ist. Seit 1972 gibt es dort
eine durchgehend klare Rechtsprechung bezüglich der
Frage, was strafbar ist und was nicht.
({6})
An dieser Stelle kann man gut davon ausgehen, dass dieses Urteil keinen Bestand haben wird.
({7})
Ich weiß, dass ich mich damit auf ein schwieriges
Terrain begebe, aber weil das noch nicht erwähnt worden ist, möchte ich noch einen Gesichtspunkt ansprechen, den man bei dieser gut gemeinten Aktion - das unterstelle ich dem Angeklagten einmal - auch im
Hinterkopf haben muss: Durchgestrichene Hakenkreuze
können als massenhafte Werbung durchaus auch negative Effekte haben,
({8})
weil sie geeignet sind, missbräuchlich verwendet zu
werden.
({9})
Was machen wir denn, wenn schwarz gekleidete und
Stiefel tragende Menschen mit einem solchen Emblem,
das möglicherweise nicht eindeutig zu identifizieren ist,
durch unsere Straßen laufen?
({10})
Ich bitte darum, dass wir uns diesen Gedanken einmal in
aller Ruhe und ohne Emotionen durch den Kopf gehen
lassen.
Einige dieser Buttons und Aufkleber aus dem Internet
- sie sind nicht so gut erkennbar - sind, unabhängig von
dem, was der Betroffene damit bezweckt hat, durchaus
geeignet, Missverständnisse hervorzurufen.
(Josef Philip Winkler ({11}): Bei wem denn?
Auch das müssen wir im Auge haben. Es geht nicht nur
- ich glaube, darin sind wir uns alle in diesem Raum
einig - um die eindeutige Bekämpfung des Rechtsradikalismus und der Neonazis. Ich bin froh, dass es die
Neonazis nicht geschafft haben, in dieses Parlament einzuziehen. In einigen Bundesländern ist das ja leider der
Fall.
Wir sollten davon absehen, missverständliche Werbung entstehen zu lassen. Der Träger eines solchen Buttons will damit zum Ausdruck bringen - seine Gesinnung ist ja ehrenwert -, dass er gegen jede Form von
Rechtsradikalismus und gegen die Nazis ist. Aber ein
kurzer Blick auf einen solchen Button könnte möglicherweise den Eindruck hervorrufen, dass er eine andere
Tendenz verfolgt.
Herr Beck, das, was Sie eben mit dem Naziplakat gemacht haben, fand ich gar nicht gut. Die Absicht, die mit
diesem Plakat verfolgt wird, ist erkennbar. Aber müssen
wir dieses Symbol überall in der Öffentlichkeit verbreiten? Ich halte das für einen schwierigen Vorgang.
({12})
Mir wäre eine verbale Auseinandersetzung, eine eindeutige Erklärung der Beteiligten viel lieber, als indirekt
Werbung für die Nazis zu betreiben, auch wenn das nicht
gewollt ist.
({13})
In diesem Sinne ist alles gesagt worden. Ich muss hier
meine Redezeit nicht voll ausnutzen. Wir sollten solche
Urteile nicht zum Anlass nehmen, eine Debatte darüber
zu führen, was alles möglich ist.
Ich möchte Sie alle an dieser Stelle einladen - einige
haben sich schon entschuldigt -, nächste Woche nach
Halbe zu kommen. Dort ist am 18. November, am Tag
der Demokraten, eine geeignete Gelegenheit, Farbe zu
bekennen, ohne Button präsent zu sein und den Nazis,
wenn sie durch Halbe marschieren, Einhalt zu gebieten.
Das ist mein Wunsch an alle, die das hier zur Kenntnis
genommen haben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Das Wort hat der Kollege Jan Korte für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Es ist völlig legitim, dass sich der Bundestag mit einem offensichtlich gesellschaftlichen Prozess und einer
aktuellen Diskussion auseinander setzt. Was ist das Problem?
({0})
Es leuchtet mir nicht ein, dass man in diesem Hause
nicht auch über die Justiz diskutieren kann. Warum
sollte man das nicht tun können? Dieses komische Politikverständnis teile ich nicht.
Ich will Ihnen sagen, warum ich diesen Antrag der
Grünen ausnahmsweise für wirklich gut halte. Fragen
Sie einmal die Kids, die mit einem solchen Button durch
so genannte No-Go-Areas marschieren. Das ist überhaupt nicht missverständlich. Die Annahme, dass durch
ein wirklich klares antifaschistisches Symbol der Faschismus irgendwie hoffähig gemacht wird, ist völlig absurd.
({1})
Gerade die jungen Leute nutzen diese Buttons, um unmissverständlich deutlich zu machen: Wir haben mit
dem Faschismus und vor allem mit der NS-Vergangenheit nichts zu schaffen! Wir machen da nicht mit! Wir
stellen uns dem entgegen!
({2})
Die CDU/CSU sollte heute etwas bescheidener sein,
nachdem sie gestern Abend in der Debatte nichts anderes
zu tun hatte, als Linke mit rechten Mördern und Totschlägern gleichzusetzen.
({3})
Deswegen würde ich heute etwas bescheidener auftreten; das will ich noch einmal deutlich sagen.
({4})
Ich will zu diesem Punkt auch noch sagen, dass das
Urteil aus Stuttgart ziemlich einmalig ist. Dieses Urteil
sehen alle anderen - darauf ist heute zu Recht hingewiesen worden - etwas kritischer. Das sieht selbst der sächsische Verfassungsschutz ein wenig anders, mit dem wir
ansonsten nicht sehr viel gemeinsam haben.
({5})
- Ja genau, in Osnabrück, wo ich herkomme.
({6})
Ich finde, der Bundestag hat die Aufgabe, dann, wenn
es offensichtlich eine solche Problematik und dann eine
entsprechende Debatte darüber gibt, auch ein politisches
Zeichen zu setzen, egal, wie er dieses Urteil bewertet.
Wenn er dazu nichts sagen möchte, gibt es auch dafür
- da haben Sie Recht - gute Gründe. Trotzdem haben,
wie ich finde, der Bundestag und die hier Anwesenden
gerade jetzt in dieser Situation - ich verweise noch einmal auf die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung - die
Aufgabe und die Pflicht, denjenigen jungen Menschen
und denjenigen älteren Antifaschisten, die tagtäglich in
den Kommunen versuchen, sich dem braunen Mob entgegenzustellen, Anerkennung und Respekt zu zollen.
Natürlich schließt das auch diese Symbole ein. Nur zivilgesellschaftliches Engagement zu fordern, ist schön und
gut, reicht aber nicht.
({7})
Das bedeutet vor allem, dass man beim Kampf gegen
rechts keine Vorsicht walten lassen kann. Ganz im Gegenteil! Man muss hier in die Offensive gehen, und zwar
mit Symbolen, ohne Symbole, auf der Straße und auch
hier im Bundestag. Deshalb unterstützen wir den Antrag.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/3202 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Vizepräsidentin Petra Pau
Ich rufe Tagesordnungspunkt 37 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Patrick
Meinhardt, Cornelia Pieper, Uwe Barth, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Offensive Weiterbildung - Weiterbildung als
4. Säule des Bildungswesens ernst nehmen
- Drucksache 16/2702 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({0})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten sollte.
Ich eröffne die Aussprache und wir nehmen die Bei-
träge des Kollegen Schummer für die Union, des Kolle-
gen Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPD, des Kolle-
gen Patrick Meinhardt für die FDP, des Kollegen Volker
Schneider für die Fraktion Die Linke und der Kollegin
Priska Hinz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu
Protokoll.1)
Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/2702
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 38 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra
Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider ({1}) und der Fraktion der LINKEN
Die Zukunft der Lehre und Forschung an
Hochschulen mit Hilfe der Juniorprofessur
stärken
- Drucksache 16/3192 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
1) Anlage 5
Auch hier wollten wir eine halbe Stunde debattieren.
Ich eröffne die Aussprache und nehme die Reden der
Kollegin Professor Monika Grütters für die Unionsfrak-
tion, des Kollegen Dr. Ernst Dieter Rossmann für die
SPD-Fraktion, des Kollegen Uwe Barth für die FDP-
Fraktion, der Kollegin Petra Sitte für die Fraktion Die
Linke und des Kollegen Kai Gehring für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen zu Protokoll.2)
Wir schließen damit die Aussprache. Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/3192
an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Eine Information muss ich Ihnen noch geben: Der Ältestenrat hat in seiner gestrigen Sitzung vereinbart, dass
während der Haushaltsberatungen ab dem 21. November
2006 keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und auch keine Aktuellen Stunden stattfinden
sollen.
({2})
Sind Sie damit einverstanden?
({3})
- Ich höre keinen Widerspruch, sondern ausdrückliche
Zustimmung aus den Fraktionen. Dann ist das so beschlossen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 21. November 2006, 10 Uhr,
ein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen
ein schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.