Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/9/2006

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle herzlich, wünsche Ihnen einen guten Morgen und uns, wie immer, gute und konstruktive Beratungen. Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich dem Kollegen Dr. Max Lehmer herzlich zu seinem 60. Geburtstag gratulieren, den er vor wenigen Tagen begangen hat. ({0}) Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich herzlich und wünsche Ihnen alles Gute. Es stehen einige Wahlen zu Gremien an, die wir ebenfalls vor Eintritt in die Tagesordnung erledigen sollten. Am 31. Dezember enden turnusgemäß die Amtszeiten der Kollegen Ronald Pofalla und Ludwig Stiegler im Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt als neues Mitglied den Kollegen Dr. Michael Meister vor. Für die SPD-Fraktion soll der Kollege Stiegler für eine weitere Amtszeit bestellt werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die Kollegen Dr. Michael Meister und Ludwig Stiegler in den Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau gewählt. Die SPD-Fraktion hat mitgeteilt, dass die ehemalige Abgeordnete Gisela Hilbrecht als ordentliches Mitglied aus der Vergabekommission der Filmförderungsanstalt ausscheidet. Als Nachfolgerin wird die Kollegin Angelika Krüger-Leißner vorgeschlagen. Darüber hi-naus ist seitens der Fraktion der CDU/CSU vorgesehen, dass die Kollegin Dorothee Bär dem Kollegen Wolfgang Börnsen als stellvertretendes Mitglied im gleichen Gremium nachfolgt. Sind Sie auch mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall; es fängt gut an heute Morgen. Dann sind die Kolleginnen Angelika Krüger-Leißner und Dorothee Bär als ordentliches und stellvertretendes Mitglied in die Vergabekommission der Filmförderungsanstalt gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD: Neue Entwicklung am Arbeitsmarkt: Deutlicher Rückgang der Erwerbslosenzahl, mehr Beschäftigung und Entlastung der öffentlichen Haushalte ({1}) ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Roland Claus, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz - Drucksache 16/3284 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({2}) Haushaltsausschuss ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({3}) a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ ({4}) - Drucksache 16/3270 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({5}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Brähmig, Jürgen Klimke, Dr. Hans-Peter Friedrich ({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Annette Faße, Reinhold Hemker, Renate Gradistanac, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Nationale Naturlandschaften - Chancen für Naturschutz, Tourismus, Umweltbildung und nachhaltige Regionalentwicklung - Drucksache 16/3298 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus ({7}) Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Kultur und Medien Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Wissenschaftssystem zukunftsfähig gestalten - wissenschaftsadäquate Arbeitsbedingungen schaffen - Drucksache 16/3286 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({8}) Innenausschuss ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN: Zur Frage der Praxistauglichkeit der Hartz-Gesetze und der Erforderlichkeit einer Generalrevision ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Andreas Jung ({9}), Marie-Luise Dött, Katherina Reiche ({10}), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Frank Schwabe, Marco Bülow, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die Zeit nach dem Kyoto-Protokoll gestalten - entschie- den dem Klimawandel entgegentreten - Drucksache 16/3293 - ZP 6 a) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Petra Pau und der Fraktion der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes und anderer Gesetze - Drucksache 16/369 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck ({11}), Wolfgang Wieland, Claudia Roth ({12}) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes ({13}) - Drucksache 16/218 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({14}) - Drucksache 16/2563 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Hartfrid Wolff ({15}) Dr. Max Stadler Josef Philip Winkler b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({16}) zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck ({17}), Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Kettenduldungen abschaffen - Drucksachen 16/687, 16/2563 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Hartfrid Wolff ({18}) Dr. Max Stadler Josef Philip Winkler ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Behm, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Nachhaltige Ressourcennutzung durch Agroforstwirtschaft - Drucksache 16/2794 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({19}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr ({20}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Mehr Freiheit wagen - Drucksache 16/3288 ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rainer Stinner, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Neues strategisches Konzept für die NATO - Drucksache 16/3287 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({21}) Verteidigungsausschuss Entgegen der ursprünglichen Ankündigung findet jedoch die für Freitag vorgesehene Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen nicht statt. Die Tagesordnungspunkte 14, 26 und 32 werden abgesetzt. ({22}) - Wir werden nach einer Kompensationslösung suchen, Herr Kollege Westerwelle. Gewiss hatten Sie auch zum Tagesordnungspunkt 23, der nun ohne Aussprache abgehandelt werden soll, längst eine Rede vorbereitet. Er soll nun zusammen mit den Ohne-Debatte-Punkten aufgerufen werden. Es wäre aber schön, wenn Sie trotzdem da wären. Die Tagesordnungspunkte 6 und 7, 24 und 25, 33 und 34 sowie 35 und 36 werden jeweils getauscht. Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- weit erforderlich, abgewichen werden. Darf ich auch für diese vereinbarten Veränderungen mit Ihrem Einverständnis rechnen? - Das ist offensicht- lich der Fall. Dann ist das so beschlossen. Nun treten wir in die Tagesordnung ein. Ich rufe die Punkte 3 a bis 3 d sowie den Zusatzpunkt 2 auf: 3 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2006 - Drucksache 16/2870 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({23}) Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Präsident Dr. Norbert Lammert b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kretschmer, Ilse Aigner, Katherina Reiche ({24}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Swen Schulz ({25}), Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Mit Innovationsförderung den Aufbau Ost weiter voranbringen - Drucksache 16/3294 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({26}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationales Reformprogramm Deutschland Innovation forcieren - Sicherheit im Wandel fördern - Deutsche Einheit vollenden - Drucksache 16/313 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({27}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({28}) - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2005 - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Arnold Vaatz, Ulrich Adam, Peter Albach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Stephan Hilsberg, Andrea Wicklein, Ernst Bahr ({29}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2005 - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Joachim Günther ({30}), Cornelia Pieper, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2005 - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, Roland Claus, Dr. Dietmar Bartsch, Dr. Lothar Bisky und der Fraktion der LINKEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2005 - Drucksachen 15/6000, 16/650, 16/693, 16/692, 16/1200 Berichterstattung: Abgeordnete Volkmar Uwe Vogel Dr. Ilja Seifert ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Roland Claus, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz - Drucksache 16/3284 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({31}) Haushaltsausschuss Zum Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2006 liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister Wolfgang Tiefensee für die Bundesregierung. ({32})

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der 9. November ist ein geschichtsträchtiger Tag: 1918, 1938, 1989. Ich habe in der Zeit, in der ich Oberbürgermeister der Stadt Leipzig sein durfte, jedes Jahr an der Gedenkstätte in der Gottschedstraße der brennenden Synagogen in der so genannten Reichspogromnacht am 9. November 1938 gedacht. In der deutschen Geschichte bekommt aber der 9. November durch das Jahr 1989 noch eine andere Akzentsetzung: Die Mauer ist gefallen. Endlich, nach 40 Jahren Diktatur, waren die Grenzen wieder frei und die Menschen in den, wie wir heute sagen, neuen Bundesländern verfügten über alle demokratischen Rechte, die ihnen zuvor versagt waren. Ich werde diesen Tag nie vergessen. Ihm ging übrigens der 9. Oktober 1989 mit den entscheidenden Demonstrationen in Dresden, Leipzig, Zwickau und anderswo voraus. Jetzt sind wir im Jahr 2006. Mit dem Bericht zur deutschen Einheit ziehen wir wiederum, wie jedes Jahr, ein Resümee. Wir stellen fest, es ist eine Menge erreicht, aber es ist auch noch ein großes Stück Arbeit zu leisten. Deshalb scheint mir am Anfang die Feststellung wichtig, dass es ein Sowohl-als-auch gibt: Einerseits ist in unzähligen Politikfeldern, in den Städten und Gemeinden vieles gelungen; andererseits gibt es eine Reihe von schweren Sorgen, Ängsten und Herausforderungen. Wenn man diesen Bericht liest, wird man feststellen, dass schon in der Präambel auf diese Ambivalenz eingegangen wird. Diejenigen, die meinen, es sei alles gut, gehen fehl, und diejenigen, die meinen, die deutsche Einheit sei in keiner Weise vollendet, malen ein schwarzes Bild an die Wand, das ebenfalls nicht der Realität entspricht und darüber hinaus demotiviert. Wir haben in diesem Bericht in aller Offenheit sowohl das Gute, das Gelungene angesprochen als auch darüber berichtet, was noch zu tun ist. Vor Deutschland, und zwar über alle Himmelsrichtungen hinweg, steht die große Herausforderung, den wirtschaftlichen Aufschwung in den neuen Bundesländern so zu stabilisieren, dass er selbsttragend ist und spätestens im Jahr 2019 ohne Sonderzuwendungen in den großen, kleinen und mittleren Städten und Gemeinden und im ländlichen Raum eine Stabilität erzeugt, die uns in die Lage versetzt, dann im normalen Länderfinanzausgleich zu wirtschaften. Die Herausforderung ist, den Arbeitsmarkt so zu gestalten, dass die Disparität zwischen der Arbeitslosenquote West und der Arbeitslosenquote Ost beseitigt wird und dass die Menschen, die mit ihren Händen und mit ihrem Kopf das Geld selbst verdienen wollen, diese Möglichkeit erhalten und nicht auf Alimente angewiesen sind. ({0}) Wir haben ganz positive Entwicklungen zu verzeichnen. Nehmen Sie die industrielle Entwicklung: im ersten Halbjahr 2006 9,8 Prozent Zuwachs in den neuen Bundesländern; in den alten Bundesländern sind es 4,4 Prozent. Nehmen Sie die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze, die gegenwärtig im Osten leicht stärker zunimmt als im Westen. Nehmen Sie die Exportquote, die in den neuen Bundesländern stärker ansteigt, insbesondere - im Jahr 2005 18 Prozent Steigerung - beim Export in die neuen Mitgliedstaaten der EU. Wir partizipieren davon. Das sind positive Entwicklungen, die man auch an Industrieansiedlungen wie First Solar in Frankfurt/Oder und AMD, dem neuen Chipwerk in Dresden, festmachen kann. Wir haben in dem Bericht sieben zentrale Felder beschrieben, auf denen wir ganz besonders tätig werden wollen. Das erste dreht sich um die Investorenwerbung. Wir brauchen kleinere, mittlere, auch große Unternehmen aus Westeuropa, aus den USA, aus Japan, die sich von den Vorzügen Ostdeutschlands überzeugen und Unternehmen ansiedeln. Das ist bereits geschehen und muss verbessert werden. Wir brauchen ein einheitliches Bild, das wir nach außen kommunizieren. Dazu wollen wir das Industrial Investment Council, die Einrichtung für die neuen Bundesländer, mit Invest in Germany verbinden. Mit meinem Kollegen Glos haben wir die Weichen gestellt. Wir werden im nächsten Jahr, 2007, mit noch mehr Geld als zuvor - statt 11 Millionen Euro sind es 16 Millionen Euro pro anno - einen deutlichen Schub bei der Akquise von Unternehmen für die neuen Bundesländer und für Deutschland insgesamt schaffen. Das ist ein Auftritt, den wir dringend brauchen. ({1}) Wir wollen alle Wachstumskerne, die kleinen, mittleren und großen, und gleichzeitig den ländlichen Raum um diese Zentren herum entwickeln. Vor dieser Herausforderung stehen wir. Wir haben deshalb die Investitionszulage zeitlich verlängert. Dies ermöglicht es allen neuen Bundesländern, in der Breite Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich Mittelstand ansiedelt. Es gibt ferner die GA-Förderung, die ganz speziell in den Wachstumszentren und in den Wachstumsbranchen Impulse setzen wird. Ich bin stolz darauf, dass wir mit einer Fülle von Programmen, die nicht zuletzt im Wirtschaftsministerium, aber auch im Haus der Kollegin Schavan angesiedelt sind, Instrumente für die neuen Bundesländer entwickelt haben. In einer Innovationskonferenz, die die Kollegin gestern abgehalten hat, ist ein Memorandum verabschiedet worden, mit dem deutliche Akzente gesetzt werden, wie wir im Osten vorgehen wollen. Ich freue mich über dieses gemeinsame Bemühen, die neuen Bundesländer voranzubringen. Wir müssen auch über den Arbeitsmarkt reden. Dort gibt es positive Entwicklungen. Im Oktober dieses Jahres betrug die Arbeitslosenquote ungefähr 15,7 Prozent. Das ist im Vergleich zu der Quote im Vorjahresmonat in Höhe von 16,9 Prozent eine deutliche Verbesserung. Wir hoffen und wir arbeiten daran, dass sich diese Entwicklung verstetigt. Denn das Hauptproblem in den neuen Bundesländern ist eine sich zunehmend verfestigende Langzeitarbeitslosigkeit. Immer mehr Menschen sind über ein, über zwei, manche sogar drei Jahre weg vom ersten Arbeitsmarkt und finden keinen Zugang in das normale Arbeitsleben. Wer die Situation in den neuen Bundesländern kennt und sich damit beschäftigt, weiß, es geht nicht nur um die Vermittlung von Arbeit, sondern es geht auch um den Sinn des Lebens und um die Würde der betroffenen Menschen. Neben der Weiterentwicklung der Wirtschaft muss es daher unsere Hauptanstrengung sein, dass wir Menschen in der Phase, in der sie keinen Platz am ersten Arbeitsmarkt finden, eine würdevolle Beschäftigung ermöglichen, damit sie ein sinnvolles Leben führen können. ({2}) Ein weiterer wichtiger Punkt ist der demografische Wandel, von dem die neuen Bundesländer besonders betroffen sind. Auch hier gibt es ganz unterschiedliche Entwicklungen. Es gibt ländliche Regionen und kleinere Städte, die an Bevölkerung verlieren. Insbesondere die Jungen und Kreativen gehen; die Alterspyramide verBundesminister Wolfgang Tiefensee kehrt sich dort. Auf der anderen Seite gibt es Städte, in denen der Saldo nicht nur ausgeglichen ist, sondern die eine positive Bevölkerungsentwicklung aufweisen. Auch hier gilt: sowohl als auch. Wir nutzen Instrumente wie den Stadtumbau Ost - die Mittel für dieses Programm stocken wir deutlich auf -, damit die Städte und Gemeinden reagieren können. Wir nutzen das Programm „Soziale Stadt“, um einen besonderen Fokus auf die örtliche Wirtschaft zu legen. Wir wollen etwas dafür tun, dass Jugendzentren entstehen und dass ein generationenübergreifendes Wohnen möglich ist. Das alles sind Vorhaben, die besonders in den neuen Bundesländern wichtig sind. Denn hier zeigen sich wie in einem Brennglas Entwicklungen, die später in ganz Deutschland Wirkung zeigen könnten. Wir müssen die mit diesen Entwicklungen verbundenen Probleme insbesondere in den neuen Bundesländern in den Griff bekommen. Ich möchte den Bogen schlagen zum 9. November 1938. Mit großer Beunruhigung und mit Empörung sehen wir die Entwicklung in Bezug auf einen neuen Rechtsradikalismus. Es kann nicht hingenommen werden, dass besonders in einigen Regionen in den neuen Bundesländern zu bestimmten Tageszeiten Menschen mit anderer Hautfarbe sich nicht sicher fühlen und sich nicht auf die Straße trauen. ({3}) Aus diesem Grunde gilt es, insbesondere angesichts des Spannungsfeldes 9. November 1938/9. November 1989 mit allen Anstrengungen, auch mit finanzieller Unterstützung, dieser Entwicklung entgegenzutreten. Ich wünsche mir, dass wir - dies ist im Bericht der siebte Punkt - besonderen Wert auf die Förderung des zivilen Engagements, also des Engagements der Bürgerinnen und Bürger, auch in den neuen Bundesländern legen. Politik kann viel. Sie kann Rahmenbedingungen setzen und finanzielle Ressourcen bereitstellen. Der Aufschwung Ost passiert aber vor allem vor Ort. Dazu sollten wir motivieren und unsere Unterstützung geben. Vielen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich eröffne die Aussprache. Für die FDP erhält zunächst der Kollege Joachim Günther das Wort. ({0})

Joachim Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie haben auf den denkwürdigen 9. November als einen geschichtsträchtigen Tag hingewiesen. Das ist richtig, dem gibt es nichts hinzuzufügen. Wir haben heute trotzdem ein Novum, denn wir haben zum zweiten Mal in diesem Jahr den Bericht zur Einheit der Nation vor uns. Das liegt daran, dass wir im vergangenen Jahr in diesem Land überstürzt Neuwahlen durchgeführt haben. Daran muss man auch einmal erinnern! In der Zeit nach den Neuwahlen gingen auch die Bürger im Osten Deutschlands davon aus: Wir haben eine große Koalition. Diese große Koalition kann große Entscheidungen bringen. Sie hat die Macht dazu. - Diese Menschen warten heute noch auf den Ruck, der durch unser Land gehen könnte. Wo sind Sie in vielen Bereichen mit Ihren Entscheidungen geblieben? Sie haben sich in der Koalition mit sich selbst beschäftigt. Unsere Bevölkerung erwartet Entscheidungen vor Ort, damit sie merkt: Dieses Land wird regiert und wird nicht bloß verwaltet. ({0}) Auch das muss man noch einmal sagen: Ihr größter Reflex war zuerst der Griff in die Taschen der Bürger, indem Sie die höchste Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik auf den Weg gebracht haben. Das trifft alle in Deutschland und das werden im nächsten Jahr alle sehr deutlich spüren. ({1}) Unter diesen Gesichtspunkten müssen wir Arbeitslosigkeit, Steuererhöhungen, Abwanderungen und Investitionen in diesem Bericht betrachten. Die Arbeitslosenquote in Deutschland ist zwar im Moment mit 9,8 Prozent zum Glück etwas niedriger, aber sie ist im Osten mit 15,7 Prozent gegenüber 8,2 Prozent in den anderen Ländern fast doppelt so hoch. Allein diese Zahl macht deutlich, dass die Arbeitsmarktprobleme in den neuen Ländern von besonderer Bedeutung sind. Dem Ziel der Schaffung neuer Arbeitsplätze sind alle Anstrengungen unterzuordnen. ({2}) Die Kürzung von ALG II, über die Sie diskutieren, ist in dieser Situation zweitrangig. Wir als FDP werden Sie bei allen Maßnahmen unterstützen, die der Schaffung neuer Arbeitsplätze dienen. ({3}) Wir werden Ihnen helfen, auch wenn es um Regelungen geht, bei denen zur Diskussion steht, dass Arbeitsunwillige in Arbeit kommen. Wir werden Ihnen aber nicht dabei helfen, die Hilflosigkeit, die sich in vielen Ihrer Programme zeigt, auf dem Rücken der Arbeitslosen auszutragen. ({4}) Wir werden auch nicht müde werden, darauf aufmerksam zu machen, dass Arbeitsplätze eben nicht durch ABM oder durch Arbeitsmarktregulierungen entstehen. Sie entstehen dann, wenn es den Unternehmen gut geht, wenn sie Gewinne erwirtschaften können und investieren und wenn auch ausländische Unternehmen sich wieder verstärkt in Deutschland ansiedeln. Aus diesem Grund haben wir als FDP für den Osten Deutschlands immer wieder Sonderregelungen gefordert. Wir haben die Schaffung von Modellregionen gefordert. Das sind Dinge, die kein Geld kosten. Das Land Sachsen-Anhalt hat Ihnen die Schaffung von Modellregionen angeboten. Sie wollten den Modellversuch durchführen. Viele von Ihnen - auch von der SPD - haben dies damals Joachim Günther ({5}) unterstützt. Es ist nichts daraus geworden. Das sind Dinge, die wir eigentlich verschenken. Ich nenne auch den Solidarpakt. Wir als FDP haben uns dafür eingesetzt, dass der Solidarpakt nicht gekürzt wird, weil er dem Aufbau der Infrastruktur sowie innovationsfördernden Maßnahmen dient. Das sind die grundlegenden Dinge, die der Osten Deutschlands für den Aufschwung braucht. ({6}) Diese Mittel brauchen wir auch in den nächsten Jahren. Hier liegt die Betonung aber auf Investitionen. Es ist gut, dass ich hier sagen kann, dass die Solidarpaktmittel 2005 in Sachsen auch ausschließlich für Investitionen eingesetzt wurden. Auch hierüber haben wir schon öfter gesprochen. Es gibt Länder, die diese Mittel für andere Zwecke einsetzen. Seit gestern ist in der Presse nachlesbar, dass Sie scheinbar über eine neue Definition nachdenken. Zumindest der Ministerpräsident von Thüringen hat diese Definition auf den Weg gebracht. Ich bin der Meinung, wir sollten nicht über neue Definitionen nachdenken oder neue und andere Ausreden suchen. Wir sollten diese Mittel konsequent für Investitionen in den neuen Bundesländern einsetzen. ({7}) Zu Ostdeutschland als Standort für Direktinvestitionen: Herr Minister, diesen Punkt haben Sie vor kurzem in einer Studie untersuchen lassen. Sie bestätigen, dass Ostdeutschland ein idealer Standort für Investitionen aus dem Ausland ist. Auch hier kann ich Ihnen sagen: Wir haben bereits im Jahr 2004 einen Antrag eingebracht, der dieses Konzept für die neuen Bundesländer gefordert hat und der im Prinzip genau diese Standortvorteile zum Inhalt hat. Hätten wir diesen unseren Antrag schon 2004 umgesetzt, hätte man sich diesen Bericht und die inzwischen verstrichene Zeit sparen können. Wir wären dann einen großen Schritt weiter gewesen. Zu den Investitionen zählen auch Investitionen in den Straßen- und Schienenbau. „Rahmenplan für Verkehrsinvestitionen“ haben Sie Ihren so genannten Fünfjahresplan genannt. Herr Minister, Ihre Anpreisungen stehen - das muss ich offen sagen - in einem offenen Widerspruch zur Realität. ({8}) Viele wichtige Projekte sind unberücksichtigt geblieben. Nehmen wir nur einmal Sachsen - ich bin für konkrete Zahlen -: 153 Projekte waren im Bundesverkehrswegeplan 2003 aufgeführt, 106 im Vordringlichen Bedarf. Gerade einmal 36 sind jetzt im IRP übrig geblieben. Wenn man diese genauer betrachtet, stellt man fest, dass von diesen 36 Projekten bereits 31 im Bau, fertig gestellt oder in der Planung sind. Es geht noch um fünf Neubauprojekte. Das ist meines Erachtens eine Situation, die mit den Vorstellungen von vor zwei, drei Jahren nichts mehr zu tun hat. ({9}) Grund dafür ist - das muss man sagen -, dass für den Fernstraßenausbau nicht mehr Geld, wie Sie im Koalitionsvertrag angekündigt haben, zur Verfügung steht, sondern weniger. 2007 sind es knapp 4,5 Milliarden Euro. 2005 waren es 5,3 Milliarden Euro. Nun kann man lange darüber diskutieren, wie das zustande kommt. Das ist im Regelfall ein einfacher Trick: Man zieht die alte Mittelfristplanung heran; sie wurde noch von der Regierung Schröder auf den Weg gebracht und nie im Plenum beraten. Diese Zahlen nehmen Sie zur Grundlage und das ist meines Erachtens einfach unfair. Man könnte vieles zur demografischen Entwicklung und zur Stadtentwicklung sagen; Sie haben es angesprochen. Hier gibt es viele positive und viele negative Beispiele. Die Stadtumbauprogramme sind - da gebe ich Ihnen ausdrücklich Recht - erfolgreich. Sie haben uns in vielen Bereichen vorangebracht. Gestatten Sie mir, an diesem denkwürdigen 9. November zum Abschluss Folgendes zu sagen: Für die Sicherung der Arbeitsplätze haben die ostdeutschen Bürger - das möchte ich deutlich für sie feststellen - vieles auf sich genommen: weniger Urlaub, einen geringeren Verdienst und längere Arbeitszeiten. Da sie das auf sich nehmen, sollten wir Politiker ihnen zumindest das ermöglichen, was wir tun können. Schaffen wir endlich schnellere Genehmigungsverfahren, weniger Bürokratie und eine ordentliche Schulbildung! Wir sind dazu bereit. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Arnold Vaatz für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Frau Bundeskanzlerin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich heute vor 17 Jahren um 23 Uhr den Deutschlandfunk gehört hatte, packte mich plötzlich das Entsetzen. Ich war keineswegs begeistert. Denn ich konnte mir nur vorstellen, dass die Regierung der DDR, um ihre Haut zu retten, 200 000 Leute in den Westen entkommen lässt in der Vorstellung, mit dem Rest werde man leicht fertig. Das war mein erster Gedanke. ({0}) - Ich finde es zynisch, dass Sie von dieser Bank aus darüber lachen. ({1}) Dieser 9. November ist eines der glücklichsten und wirklich eines der größten Ereignisse, die die deutsche Geschichte überhaupt zu bieten hat. ({2}) Man darf keinen Jahrestag der deutschen Einheit und des Mauerfalls verstreichen lassen, ohne das zu betonen. Wir verdanken diese Entwicklung zuallererst den Menschen in Ostdeutschland. ({3}) Wir verdanken es allerdings nicht allein den Ostdeutschen. An dieser Stelle ist es notwendig, festzustellen: Hätte die Politik von Michail Gorbatschow uns nicht ermutigt, zu handeln, unsere Besorgnisse und Ängste beiseite zu lassen und zu überwinden, wäre dieses Ereignis nicht geschehen. Hätten die Solidarność, die ungarischen und die tschechischen Freunde mit ihrem ständigen Drängen nicht dafür gesorgt, dass die Situation offen bleibt, hätten wir es wahrscheinlich nicht geschafft. ({4}) Auch vor dem Hintergrund, dass eine deutsche Bundeskanzlerin, die aus Ostdeutschland stammt, im nächsten Jahr die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union übernehmen wird, ist diese Entwicklung sehr bedeutend. Sie hat Europa Frieden, Sicherheit und Integration gebracht und diejenigen nicht ausgeschlossen, die die notwendige Vorarbeit für den Mauerfall geleistet haben. ({5}) Leider gibt es auch Dinge, die uns bedenklich stimmen müssen. Ich halte es für einen Zynismus der Geschichte, dass gerade diejenigen, die sich zu DDR-Zeiten mit der Abwesenheit von Demokratie arrangierten oder sogar geholfen haben, die Diktatur zu stützen, im Allgemeinen damit rechnen konnten, dass ihnen ihre damals erworbenen Besitzstände erhalten bleiben. Das wäre nichts Schlimmes, wenn nicht auf der anderen Seite festzustellen wäre, dass diejenigen, die sich in Ostdeutschland für Demokratie und Freiheit eingesetzt und dafür schwer gebüßt haben, heute damit konfrontiert sind, ihre damaligen Besitzstände verloren zu haben. Das kann nicht der Endzustand sein. ({6}) Aus diesem Grunde haben wir eine entsprechende Regelung im Koalitionsvertrag getroffen. Wir wissen, dass wir etwas für die Opfer der Diktatur in der DDR tun müssen, insbesondere für diejenigen, die langjährige Haftstrafen auf sich nehmen mussten. Kaum jemand kann heute ermessen, was das bedeutet hat. Deshalb haben wir uns dazu bekannt, die Mittel für die Häftlingshilfestiftung aufzustocken und die Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden zu erleichtern. Wir wollen auch eine Opferpension einrichten. Das ist Inhalt unseres heute vorliegenden Entschließungsantrages. Ich finde, das ist ein Schritt nach vorn. Ein entsprechender Gesetzentwurf von einigen ostdeutschen Bundesländern liegt bereits auf dem Tisch. Lasst uns zügig handeln; die Leute werden älter. Wir sind hier schon viel zu lange in Verzug. ({7}) 17 Jahre nach dem Mauerfall ist sehr viel in Ostdeutschland geschehen. Wer davor die Augen verschließt, der lügt. Ich weiß nicht, wer von denen, die damals hilflos den allgemeinen Zerfall im Osten aufzuhalten versuchten, sich in seinen kühnsten Träumen einen Ausbau unserer Infrastruktur ausmalen konnte, wie wir ihn heute haben. Wir haben sanierte Städte, saubere Flüsse, eine sauberere Luft und ein leistungsfähiges Straßennetz. Das alles ist Ergebnis gesamtdeutscher Solidarität. Ich nutze diesen Augenblick, um dafür Dank zu sagen. ({8}) Ich halte es für eine großartige Leistung unserer Demokratie - übrigens für eine Leistung, um die uns die ganze Welt beneidet -, dass die Auflegung des Fonds „Deutsche Einheit“ möglich war, dass zwei Solidarpakte auf den Weg gebracht worden sind und dass es uns gelungen ist, eine stärkere Annäherung von Ost und West zustande zu bringen, als es in Italien in 150 Jahren gelungen ist. Das ist die Realität. ({9}) Es wird immer wieder die Frage gestellt: Kann Gesamtdeutschland aus den Erfahrungen Ostdeutschlands Nutzen ziehen? Seit letzter Woche sind wir so weit; ({10}) wir haben das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz verabschiedet. Damit ist erstmals eine Regelung, die sich in Ostdeutschland bewährt hat, weil dadurch die Bürokratie reduziert wurde, Kollege Günther, zu einer gesamtdeutschen Regelung geworden, zumindest dem Sinn nach. Das halte ich für richtig und für gut. Ergebnis unserer parlamentarischen Arbeit ist auch, dass es uns in haushaltspolitisch schwierigen Zeiten gelungen ist, die Investitionszulage zeitlich zu verlängern. Dadurch soll geholfen werden, die Arbeitsplatzdichte in Ostdeutschland zu erhöhen. Auch das halte ich für einen Erfolg. ({11}) Natürlich hat der Minister vollkommen Recht, wenn er sagt: Die Arbeitslosigkeit, insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit, bleibt in Ostdeutschland ein Kernproblem. In dieser Frage gibt es zwar noch lange keine Entwarnung. In diesem Jahr sehen wir aber zum ersten Mal ein kleines Entspannungszeichen. Wir sollten nicht darüber hinwegsehen, dass wir nun zum ersten Mal seit mehreren Monaten einen leichten Rückgang der Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland verzeichnen können. ({12}) Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass sich die Arbeitslosigkeit in Sachsen auf dem niedrigsten Stand seit zehn Jahren befindet. Das deutet darauf hin, dass unsere gemeinsame Arbeit beginnt, Früchte zu tragen. So viel Zeit muss sein, um das einmal erwähnen zu können. Das Problem haben wir aber noch lange nicht gelöst. Mit einem anderen Problem müssen wir uns ebenfalls noch befassen: mit der Haushaltslage der ostdeutschen Länder. Lassen Sie mich auch darauf kurz eingehen. Wir hören regelmäßig, dass ein Großteil der Mittel aus dem Solidarpakt falsch eingesetzt wird, nämlich zum Stopfen von Haushaltslöchern. Die ostdeutschen Länder sagten uns früher: Dann ändert doch die Kriterien. Dazu sage ich: Mit diesen degressiv ausgestalteten Mitteln kann ich keine einzige Stelle bezahlen. Auch Schuldendienst kann ich mit keinem Cent daraus leisten. Nach dem Jahr 2019 werden die Solidarpaktmittel nämlich auf null zurückgegangen sein. Demzufolge ist es gar nicht möglich, die Mittel aus dem Solidarpakt II/Korb I anders als in der beschriebenen Weise einzusetzen. ({13}) Das kann die Politik nicht wegdefinieren. Wir müssen darauf achten, dass die Gelder bestimmungsgemäß ausgegeben werden. ({14}) Es würde auch keinen Sinn ergeben, wenn sich der Bund verschuldet, um die ostdeutschen Länder zu entschulden. Es kann auch nicht sein, über die Ausgabe von Solidarpaktmitteln zur Schuldentilgung zu reden, solange sich die ostdeutschen Länder Jahr für Jahr neu verschulden. Aus diesen Gründen sollten wir es begrüßen, dass sich die Länderfinanzminister mit dem Bundesfinanzminister im Juni dieses Jahres auf eine Definition des Korbes I geeinigt und sich verpflichtet haben, die entsprechenden Mittel investiv einzusetzen. Diesen Übereinkünften müssen aber Taten folgen; auch das muss klar sein. Eine kurze Bemerkung zu dem Berlinurteil. In letzter Zeit haben sich die Gemüter sehr damit beschäftigt. Ich glaube, dass das Urteil für Berlin nicht leicht zu tragen ist. Ein Urteil, das zur Folge hätte, dass sparsame Länder für ihre Haushaltsdisziplin bestraft würden, hätte diesen Ländern jedoch jede Motivation zur Fortsetzung ihrer Politik der Haushaltsdisziplin genommen. ({15}) Aus diesem Grund sollte niemand mit diesem Urteil hadern. Wir sollten vielmehr nach vorne schauen und ausloten, welche Möglichkeiten es gibt, mit Berlin solidarisch zu sein. Dafür müssen allerdings drei Randbedingungen gelten: Das ist erstens die Absicht, Sparsamkeit nicht zu bestrafen, zweitens die Würdigung der Leistungen, die Berlin als Hauptstadt für unser Land erbringt, und drittens die Nutzung aller Sparpotenziale, die das Land Berlin hat. Lassen Sie mich zum Schluss kommen. ({16}) Ich bin der Meinung, dass wir in Ostdeutschland alle Möglichkeiten haben, vernünftige Vorkehrungen für die Zukunft zu treffen. Unsere Förderpolitik war erfolgreich. Es ist falsch, die Leuchtturmpolitik immer wieder in einen Gegensatz zur Förderung der ländlichen Räume zu bringen. Wenn die Wachstumskerne aus der ersten Liga absteigen, haben auch die ländlichen Gebiete nichts zu lachen. Das muss klar sein. Durch die harte Arbeit der Haushaltskonsolidierung und die klare Benennung der Probleme in Ostdeutschland können wir die Menschen überzeugen. Das sollten wir tun. Ich bin davon überzeugt, dass wir damit den destruktiven Kräften, insbesondere dem Rechtsradikalismus, den Boden entziehen. Vielen Dank. ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Lothar Bisky, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Lothar Bisky (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003739, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es richtig, Herr Minister, dass Sie auf die historische Bedeutung des 9. November in seiner ganzen Widersprüchlichkeit aufmerksam gemacht haben. Ich finde es gut, dass es einen leichten Rückgang der Arbeitslosigkeit im Osten gibt, aber - auch das geht aus Ihrem Bericht eindeutig hervor - die Arbeitslosigkeit ist im Osten noch immer doppelt so hoch wie im Westen und die Löhne bleiben niedriger. Lediglich die Höhe der Differenz zum Westeinkommen gestaltet sich von Branche zu Branche unterschiedlich. Ostdeutschland ist das Experiment für ein Billiglohnland. Nach neoliberalen Glaubenssätzen müsste eigentlich ein Paradies für das Kapital entstanden sein. Das Kapital kommt trotzdem nur äußerst zögerlich, wenn überhaupt. ({0}) Stattdessen wandert die Jugend in den Westen ab - eine verhängnisvolle Entwicklung. Das darf so nicht bleiben. Sie trösten sich immer wieder damit, dass es Differenzierungen im Osten gibt - völlig einverstanden, die gibt es - und dass Sie manchen Leuchtturm in der Brache ausmachen können. Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich habe nichts gegen Leuchttürme - wie könnte ich auch? Zumal auch meine Partei dort, wo sie in Regierungs- oder in kommunaler Verantwortung gestanden hat und steht, zu deren Entwicklung einen Beitrag geleistet hat und dies auch weiterhin tun wird. ({1}) Aber die Leuchttürme und die blühenden Spaßbäder ({2}) sind eben nicht das Ganze, sie sind nur ein Teil der Wahrheit und sie können nicht verschleiern, dass der seit nunmehr 16 Jahren gefahrene Regierungskurs gescheitert ist, ein Kurs, mit dem alles zu delegitimieren versucht worden ist, was einmal in der DDR gewesen war, und der Aufbau Ost schlicht und dogmatisch als Nachbau West betrieben wurde. Nun leugne ich nicht, dass es vernünftige Dinge gegeben hat, die man so übernehmen konnte - um Gottes willen! ({3}) Aber mich stört die Dogmatik. Dieser Kurs ist gescheitert und das ist längst nicht nur ein Ostproblem, sondern ein Problem des ganzen Landes, ein Einheitsproblem eben. ({4}) Denn die ganze Republik muss sich den neuen Herausforderungen der Weltwirtschaft, des Klimawandels und der Umbrüche in der Arbeitsgesellschaft stellen. Die Transformation des Ostens ist dabei nur ein Teilaspekt. Ein Umsteuern muss her, ein Neuanfang. Um diesen in Gang zu setzen, bedarf es hin und wieder eines Rückblicks. Die Bilanz in Sachen Einheit ist unter anderem deshalb teilweise so ernüchternd, weil der Kardinalfehler, der am Anfang gestanden hat, nämlich den Lebensalltag der Menschen in den alten Bundesländern nicht um die Erfahrungen aus der DDR zu bereichern, und zwar um die guten wie um die schlechten, nicht überwunden worden ist. ({5}) Denn aus beidem muss und kann die vereinigte Gesellschaft lernen. Keine Bundesregierung seit 1990 hat ernsthaft den Versuch unternommen, zu sondieren, welche der DDR-Erfahrungen interessant sein könnten. Alle wurden ohne gründliches Nachfragen als Teufelszeug ins Reich des Bösen verbannt, um das vereinfacht auszudrücken. Dabei gibt es Gutes und Bedenkenswertes; ich sage das hier ganz sachlich ({6}) - ich komme zu den Beispielen -, aber auch mit einem gewissen ostdeutschen Selbstbewusstsein. Nehmen wir etwa das Gesundheitswesen, das auf einer Art Bürgerversicherung von allen für alle basierte und mit seinen Polikliniken patientennah war. ({7}) Wenn Sie nun einwenden, dass es auch ärmer war, sage ich Ja. ({8}) Es war auch technisch nicht immer auf dem höchsten Niveau, da haben Sie Recht. Aber das lag weder an der Bürgerversicherung noch lag es an den Polikliniken, ({9}) sondern es lag an dem zu geringen Bruttoinlandsprodukt. ({10}) Was also spricht dagegen, heute, wo das Bruttoinlandsprodukt viel höher ist, eine solidarische Bürgerversicherung unter Beachtung der vielen Erfahrungen und neuen Erkenntnisse neu anzudenken ({11}) und damit eine Gesundheitsreform zustande zu bringen, die die Bezeichnung „Reform“ verdient? Nehmen Sie ferner das bis zur zehnten Klasse nicht selektierende Schulwesen, durch das die Bestenförderung und das Mitnehmen der Schwächeren miteinander verbunden wurden. Ich sehe das nicht kritiklos. Finnland hat manches davon übernommen und den Fahnenappell und andere Dinge - völlig zu Recht - weggelassen. Damit hat es PISA-Werte erreicht, die deutlich höher als die deutschen PISA-Werte liegen. ({12}) Aber auch hier dominierte der ideologisch begründete Nachbau West - koste es, was es wolle. ({13}) Wir sind uns darin einig, dass die DDR-Wirtschaft nicht effizient genug war. Niemand will sie schönreden. Natürlich war sie aber auch nicht ausschließlich Misswirtschaft. ({14}) Sie stempeln sie gerne als solche ab, weil Sie glauben, damit eine immer währende Ausrede parat zu haben, wenn heute in der Wirtschaft die Säge klemmt. Dabei vergessen Sie, welche Politik Sie in den ersten fünf Jahren der deutschen Einheit betrieben haben. ({15}) Alle Betriebe, die den westdeutschen Unternehmen Konkurrenz hätten sein können, haben Sie plattgemacht. ({16}) Das SKET Magdeburg ist ein Beispiel dafür. Ich will aber nicht zu viele Beispiele nennen. Es geht doch darum: Die komplette Delegitimierung des Ostens hat die vereinigte Gesellschaft nicht gestärkt, sondern geschwächt ({17}) und genau zu dem geführt, was Sie heute immer wieder beklagen, nämlich zu einem ostdeutschen Selbstbewusstsein, mit dem zuweilen auch DDR-Positionen verteidigt werden, die nicht zu verteidigen sind. Dies ist ein Ergebnis Ihrer Politik und nicht das Ergebnis einer wie auch immer von der Linkspartei.PDS verordneten Ostalgie. Wir sind nicht ostalgisch, aber wir sagen deutlich: Ein Umsteuern, ein Neuanfang muss her. Hören Sie auf, den Aufbau Ost allein und ausschließlich als Nachbau West betreiben zu wollen! Beenden Sie das Experiment, den Osten als Billiglohnland zu deklassieren! ({18}) Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, gleiche Renten für gleiche Lebensleistungen - das muss auf der Tagesordnung stehen, wenn man es mit der Vereinigung ernst meint. Ich freue mich, dass die Regelsätze im SGB II für die von Hartz IV Betroffenen in Ost und West nun endlich gleich sind. Sie sind in Köln und Frankfurt an der Oder zwar viel zu niedrig, aber wenigstens gleich hoch. Das sehe ich wohl. Meine Damen und Herren, wer den Leuten jeden Tag einhämmert, dass Armut und Unterschichten unabänderliches Resultat von wissenschaftlich-technischem Fortschritt und Wirtschaftsglobalisierung sind, der verfängt sich immer mehr in einer Falle der Ausweglosigkeit. Die Menschen werden demotiviert und mit ihren Zukunftsängsten allein gelassen. Beginnen Sie doch endlich einmal, darüber nachzudenken, welche Chancen es böte, die Ost-Erfahrungen auf ihren Zukunftsgehalt hin zu überprüfen. ({19}) So kann vielleicht Einheit entstehen, eine Einheit, die alle weiterbringt, die im Osten und die im Westen. Ich bedanke mich. ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Göring-Eckardt für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich glaube, es ist gut, dass wir am Tag des Mauerfalls noch einmal über die Bedeutung dieses Tages sprechen. Schließlich hat er im Leben sehr vieler - wenn auch nicht aller - sehr viel verändert. Für uns alle hier hat sich zumindest verändert, dass der Deutsche Bundestag in Berlin tagt. Für mich änderte sich, dass ich in Freiheit und in Demokratie lebe und Abgeordnete dieses Hauses sein kann. Daneben konnte ich übrigens meine mit ungefähr 15 Jahren begonnenen Sparanstrengungen für eine Reise nach New York, die ich als Rentnerin machen wollte - ich habe immer wieder 10-Mark-Scheine gespart -, etwas abkürzen. Inzwischen war ich schon in New York, obwohl ich noch nicht Rentnerin bin. ({0}) Menschen, die sich sonst vermutlich nie begegnet wären, haben sich getroffen. Mein Kollege Volker Beck hätte wohl nie seine familiären Spuren in Zwickau verfolgt, wenn die deutsche Einheit nicht Realität geworden wäre. Herr Bisky, auch den Satz „Es war nicht alles schlecht“ hätten wir ohne deutsche Einheit wahrscheinlich nicht in unseren Wortschatz übernommen. An dieser Stelle will ich etwas zu der Frage sagen: Wie war das eigentlich mit den DDR-Schulen? Ja, ich finde es richtig, noch einmal darüber nachzudenken, ob längeres gemeinsames Lernen verbunden mit stärkerer individueller Förderung tatsächlich dazu führt, dass mehr Kinder in der Schule Erfolg haben. Ich persönlich bin davon überzeugt. Das kann man auch sagen, Herr Bisky. Aber wenn man das sagt, dann muss man gleichzeitig auch darauf hinweisen, was dieses Schulsystem mit vielen Kindern in der DDR gemacht hat: Es hat sie ausgeschlossen und ihnen keine Entwicklungschance gegeben. Auch das muss in diesem Zusammenhang gesagt werden, Herr Bisky. ({1}) Im Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit müsste ein Stichwort, das darin vorkommt und auf das ich eingehen möchte, eigentlich eine viel größere Rolle spielen: der demografische Wandel. In vielen Regionen Ostdeutschlands ist ein Bevölkerungsrückgang um 30 Prozent zu verzeichnen, zum Teil sind sogar 50 Prozent prognostiziert. Diese Situation ist zu beklagen. Wolfgang Tiefensee hat darauf hingewiesen, dass es häufig gerade die Kreativen und die Leistungsträger sind, die gehen. Mir stellt sich vor diesem Hintergrund folgende Frage: Wie können wir dieser Entwicklung begegnen und dafür sorgen, dass die Menschen gerne bleiben bzw. zurückkommen? Ich glaube, dazu müssten wir das Thema Investitionen und Infrastrukturentwicklung ganz neu definieren. Hierbei geht es nämlich nicht nur um Straßen. Herr Vaatz, was die Straßen betrifft, haben wir in Ostdeutschland schon ziemlich große Fortschritte gemacht. Es geht aber um viel mehr. Es geht um den Ausbau der Bildungsinfrastruktur, es geht um die Schaffung familienfreundlicher Strukturen, damit die Menschen bleiben und Investitionen im Osten getätigt werden, und es geht - ich bin froh, dass dieses Stichwort im vorliegenden Bericht zum Stand der deutschen Einheit erwähnt wird - um die kulturelle Entwicklung, die für die Identität sehr wichtig ist. ({2}) Ich sage das vor einem ganz konkreten Hintergrund: Die thüringische Landesregierung diskutiert gerade sehr vehement darüber, die Ausgaben für Kultur im gesamten Bundesland zu reduzieren. Unternehmerinnen und Unternehmer aus Rudolstadt haben gefordert: Nehmt uns unser Orchester und unser Theater nicht weg! Warum? Weil sie sich gesagt haben: Wir brauchen Fachkräfte, die wir in unsere Region holen wollen. Wir brauchen qualifizierte Menschen, die hier bleiben sollen. Ihnen müssen wir etwas bieten können, was über den Arbeitsplatz hinausgeht. - Deswegen ist die kulturelle Infrastruktur in Ostdeutschland von so zentraler Bedeutung. ({3}) Sie ist natürlich auch dann wichtig, wenn es um die Identität und die Bindung an die eigene Region geht. Die soziale Lage in Ostdeutschland muss, wie ich glaube, noch tiefgehender beleuchtet werden. Es ist gut, dass die Arbeitslosigkeit auch in manchen Regionen Ostdeutschlands sinkt. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass von der sinkenden Arbeitslosigkeit diejenigen am wenigsten betroffen sind, die es am nötigsten hätten: die Langzeitarbeitslosen. Die Spaltung der Gesellschaft ist im Osten Deutschlands ein besonders gravierendes Problem. Ich meine die Spaltung in diejenigen, die drin sind, und diejenigen, die schon lange draußen sind und auch draußen bleiben werden. Diesen Zustand dürfen wir nicht hinnehmen. Das hat auf der einen Seite mit materieller Armut und auf der anderen Seite mit dem zu tun, was wir mit dem Begriff „Exklusion“ beschreiben. Wer nicht mitmachen und aktiv mitwirken kann, der wird sich auch nicht für seine Region einsetzen. Das, was Sie, Herr Tiefensee, in diesem Zusammenhang gesagt haben, stimmt mich ein bisschen hoffnungsvoll. Ich hoffe jedenfalls, dass wir darüber noch mehr hören werden. Ich bin davon überzeugt, dass wir für die, die seit langem draußen sind - das gilt besonders für diejenigen, von denen wir wissen, dass sie am ersten Arbeitsmarkt keine Chance mehr haben -, über kurz oder lang mithilfe eines öffentlich geförderten Sektors etwas tun müssen. ({4}) Bei den 1-Euro-Jobs hat sich eines sehr deutlich gezeigt: Die Betroffenen waren sehr froh über diese Beschäftigungsmöglichkeit, aber sie fragen sich, warum diese Jobs auf einen kurzen Zeitraum befristet sind. Ich glaube, wir tun uns als Gesellschaft einen Gefallen, wenn wir deutlich machen, dass wir diese Menschen brauchen, und wenn die vielen Möglichkeiten tatsächlich umgesetzt werden. Damit tun wir auch etwas für den Einzelnen. Zum Schluss. Der Bericht heißt ja „Bericht zum Stand der deutschen Einheit“ und nicht: Bericht zum Aufbau Ost. Es hat sicherlich auch etwas mit der Frage der Identität zu tun, dass es immer noch leichter ist, im Deutschen Bundestag Schwäbisch zu schwätzen, als im sächsischen Dialekt über Zwickau zu reden. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Andrea Wicklein, SPD-Fraktion. ({0})

Andrea Wicklein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003659, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, ich danke Ihnen für diesen klaren und ehrlichen Bericht zum Stand der deutschen Einheit. Es gibt unbestreitbar große Erfolge, aber nach wie vor stehen wir auch vor Herausforderungen, die Sie bereits konkret benannt haben. Herr Bisky, wem haben wir denn die großen Erfolge zu verdanken? Diese enorme Leistung wurde doch von den Menschen in Ostdeutschland vollbracht, die in den letzten Jahren unglaublich viel dazulernen mussten. ({0}) Sie haben aber auch ihre eigenen Erfahrungen und Kompetenzen in diesen Prozess eingebracht. Das muss in diesem Zusammenhang ebenfalls deutlich gemacht werden. Besonders erfreulich und bedeutend ist auch aus meiner Sicht das Wachstum im verarbeitenden Gewerbe, das in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres sogar 9,3 Prozent betrug und damit - das wurde bereits gesagt doppelt so hoch ist wie in den alten Ländern. Das ist aus meiner Sicht ein deutliches Zeichen dafür, dass der Strauß von Förderinstrumenten und Förderprogrammen Wirkung zeigt, sei es die Investitionszulage, die Programmfamilie „Unternehmen Region“ oder auch die Förderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Verbindet man diesen Instrumentenmix zu einem Gesamtkonzept und konzentriert man die Instrumente auf die regionalen Stärken, dann werden Erfolge sichtbar. Gerade mit der Gemeinschaftsaufgabe konnte in Ostdeutschland viel erreicht werden. Mit diesem Instrument wurden allein in den Jahren 2003 bis 2005 6,2 Milliarden Euro von Bund und Ländern zur Verfügung gestellt und damit Investitionen in Höhe von über 24 Milliarden Euro angeschoben. Damit wurden mehr als 66 000 Dauerarbeitsplätze und damit auch Ausbildungsplätze geschaffen. Viele Beispiele in Ostdeutschland zeigen, dass die Gemeinschaftsaufgabe ein wirkungsvolles Förderinstrument ist, das wir auch in Zukunft nicht weiter antasten, sondern mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausstatten sollten. In Brandenburg zum Beispiel hat sich in Schwarzheide durch die GA-Förderung ein wichtiger Chemiestandort entwickelt. Allein bei der BASF sind 2 000 Mitarbeiter beschäftigt. Ringsherum haben sich zahlreiche Dienstleistungsunternehmen mit weiteren 1 000 Beschäftigten angesiedelt. Diesen Erfolgen stehen große Herausforderungen gegenüber, die wir politisch gestalten müssen. Ich möchte etwas zu einem wichtigen Punkt anmerken, der schon mehrmals angesprochen wurde. Ob in Schwarzheide oder in Wismar: Das Hauptkriterium für die Ansiedlung, aber auch für den Fortbestand von Unternehmen sind die vorhandenen Fachkräfte. Ostdeutschland zeichnet sich durch hoch motivierte, leistungsbereite und gut qualifizierte Fachkräfte aus. Diesen Standortvorteil haben wir. ({1}) Bereits heute wird aber in einigen Regionen und Branchen ein Fachkräftemangel sichtbar. In Wismar beispielsweise, wo ich erst kürzlich war, sucht die dort ansässige Werft händeringend 20 Schweißer. Anderswo werden Ingenieure gebraucht. Durch den dramatischen Geburtenknick nach der Wende ist die Zahl der Grundschüler teilweise bis unter 50 Prozent gesunken. Hinzu kommt die anhaltende Abwanderung. Ostdeutschland hat allein in den Jahren 2001 bis 2004 jährlich 100 000 Menschen verloren. Viele Gutqualifizierte gehen, vor allem junge Menschen und Frauen. Obwohl die ostdeutschen Universitäten Fachleute ausbilden, sinkt im Osten Deutschlands der Bevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss. Das ist kein Wunder; denn die Menschen gehen natürlich dorthin, wo Arbeit ist und wo sie sich und ihre Familien von der Arbeit vernünftig ernähren können. Abwanderung und Geburtendefizite beschleunigen den Alterungsprozess der Bevölkerung. Sie gefährden den Nachwuchs an Fachkräften und damit letztendlich die wirtschaftlichen Entwicklungschancen der ostdeutschen Bundesländer. Was bedeutet das? Welche Schlussfolgerung muss die Politik aus dieser Entwicklung ziehen? Wir müssen alles daransetzen - hier gebe ich meiner Vorrednerin Recht -, dass qualifizierte Fachkräfte in den ostdeutschen Regionen bleiben oder dorthin zurückkehren. ({2}) Die Gründe für den Fachkräftemangel sind sehr vielfältig. Manche Unternehmen haben sich nicht ausreichend um ihren Nachwuchs gekümmert. ({3}) Die Unternehmen müssen begreifen, dass sie ohne Ausbildung ihre Zukunft aufs Spiel setzen. ({4}) Noch so viele Bundes- oder Länderinitiativen können die Ausbildungsverantwortung der Betriebe nicht ersetzen. In manchen Regionen brauchen wir nach wie vor eine bessere Verzahnung von Schule und Wirtschaft. Wir brauchen zudem eine bessere Verzahnung der Unternehmen mit den Arbeitsagenturen. Oftmals gehen Qualifizierung und Umschulung am regionalen Bedarf vorbei. Noch einen Punkt möchte ich in diesem Zusammenhang ansprechen. Der Einkommensabstand zwischen Ost und West ist in der Tat nach Jahren der Angleichung seit 1998 wieder größer geworden. Wir können beobachten, dass sich der vermeintliche Standortvorteil niedriger Löhne nach und nach ins Gegenteil verkehrt. ({5}) Deshalb sage ich: Qualifizierte Fachkräfte müssen auch im Osten Deutschlands gutes Geld verdienen. Auch hier appelliere ich in erster Linie an die Wirtschaft. Die Lohnzurückhaltung muss dort aufgegeben werden, wo es schon heute möglich ist, vernünftige Löhne zu zahlen. Sonst gehen uns über kurz oder lang die Fachkräfte aus. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Zeit.

Andrea Wicklein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003659, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ostdeutschland muss eine Perspektive bieten. Eine gute Infrastruktur alleine reicht nicht; das ist richtig. Neben guten Kindergärten, Schulen und Universitäten sind natürlich vernünftige Einkommen und die Lebensqualität ganz entscheidende Faktoren. Die Debatte über den Stand der deutschen Einheit heute, am 9. November, 17 Jahre nach dem Fall der Mauer, ist sicherlich ein besonderer Tagesordnungspunkt. Aber sie ist keine gesondert ostdeutsche Debatte. Gerade in einem föderalen Staat müssen wir immer das Gemeinsame in der Politik betonen, wenn wir besonderen Herausforderungen gemeinsam gerecht werden wollen. Ganz herzlichen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Cornelia Pieper ist die nächste Rednerin für die FDPFraktion. ({0})

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor 17 Jahren wurde die Mauer vom Osten her eingestoßen. Die Ostdeutschen haben enormen Mut und Zivilcourage gezeigt. Sie sind für Werte auf die Straße gegangen, die uns in Deutschland wichtig sind. ({0}) Sie sind für Freiheit und Demokratie auf die Straße gegangen. Sie haben an einen funktionierenden Rechtsstaat geglaubt und haben dafür gekämpft, dass die Einheit in Freiheit in einem demokratischen Rechtsstaat wieder hergestellt wird. Das, was wir nun, nach 17 Jahren, in einem Dresdener Gefängnis erleben, ist aber ein Justizskandal ohnegleichen. Er hat den Verlust von Vertrauen in den Rechtsstaat zur Folge. ({1}) Wenn man den Menschen den Eindruck vermittelt, dass dieser Rechtsstaat nicht mehr funktioniert, weil die Justiz in Sachsen, einem CDU-regierten Bundesland, versagt hat, dann, glaube ich, haben wir alle hier die Verantwortung, dafür zu sorgen, (Stephan Hilsberg [SPD]: Was ist denn das für ein Populismus, den Sie hier pflegen? dass nicht nur im Bund, sondern auch in den Bundesländern nicht an Personal gespart, sondern mehr in das Personal der Justizvollzugsanstalten investiert wird. ({2}) Ich darf die Damen und Herren der Regierungskoalition daran erinnern: Sie haben im Rahmen der Föderalismusreform gefordert, dass die Länder die Zuständigkeit für den Strafvollzug erhalten. Wir waren aus überzeugenden Gründen dagegen. Wenn jetzt die Länder die Zuständigkeit für den Strafvollzug haben, dann müssen Sie dort, wo Sie regieren, Ihre Verantwortung wahrnehmen. ({3}) In Sachsen, in Dresden, ist diese Verantwortung nicht wahrgenommen worden. Ich fordere die Bundeskanzlerin, die gerade nicht anwesend ist, auf, ihre CDU-Ministerpräsidenten an ihre Pflichten zu erinnern. Es ist uns als Liberale wichtig, dass das Vertrauen in die Demokratie und den Rechtsstaat bleibt und noch wächst. Alles andere wäre erschütternd, insbesondere angesichts des Falls der Mauer. Wir reden über die Zukunft Deutschlands. Wir erleben, dass die Bundesregierung zurzeit eine Innovationskonferenz Ost abhält. Ich frage mich, ob das nicht wieder eine Beruhigungspille für die neuen Bundesländer sein soll.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Pieper, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, Herr Präsident, ich möchte keine Frage beantworten. Ich kann verstehen, dass sich der Kollege aus Sachsen von meinen Worten tief beeindruckt fühlt und darauf reagieren möchte. Ich kann nur noch einmal sagen: Nehmen Sie von der CDU dort Ihre Verantwortung wahr, wo Sie regieren. Innovationspolitik ist das Herzstück des Regierungshandelns, sagt die Bundesregierung. Das ist auch gut so. Aber haben Sie die Weichen dafür wirklich gestellt? Bereits die alte, rot-grüne Bundesregierung hat eine Großforschungseinrichtung für die neuen Bundesländer verlangt. Wir als Liberale haben für die Neutronenspallationsquelle, ein europäisches Projekt, geworben. Die Bundesregierung hat nicht dafür Partei ergriffen. Wir warten auf die Entscheidung der Bundesregierung über das Biomasseforschungszentrum. Ich habe eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Die Entscheidung wird immer wieder hinausgeschoben. Was die neuen Bundesländer brauchen, ist Tempo und Prioritätensetzung bei Bildung und Forschung, aber nicht Zeitaufschub und Verschiebebahnhöfe. So kommen wir mit dem Aufbau Ost nicht voran. ({0}) Wir müssen die Prioritäten auf Investitionen in Bildung und Forschung setzen. Das sagte ich schon. Die neuen Länder müssen an dem Ziel, 3 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung auszugeben, mitarbeiten. An den Landeshaushalten ist nicht zu erkennen, dass sie das tun. Wenn ich an die Eigenkapitalschwäche insbesondere der mittelständischen Unternehmen denke, dann frage ich mich, wie diese mithelfen sollen, dass zukünftig 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden, insbesondere wenn die Bundesregierung durch Steuererhöhungen und steigende Lohnzusatzkosten die kleinen und mittelständischen Unternehmen ständig belastet. Die haben dann keine Freiräume, um zu investieren und gemeinsam mit Hochschulen in Forschungsprojekte zu investieren. ({1}) Sie haben jetzt die Forschungsprämie eingeführt. Das halte ich für richtig. Aber auch da ist Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, kein großer Wurf gelungen. Sie bauen schon wieder ein bürokratisches Monstrum auf. Sie wollen Untergrenzen und Obergrenzen festlegen. Das heißt, dass gerade kleine Unternehmen - 80 Prozent der Unternehmen im Osten Deutschlands sind Unternehmen mit fünf bis 20 Beschäftigten und haben nicht viel Eigenkapital - es sich bei der Untergrenze, die Sie festlegen, gar nicht leisten können, in Forschungsprojekte mit Hochschulen einzusteigen. Nach unseren Berechnungen werden Sie mit dieser Forschungsprämie gerade einmal 3 bis 4 Prozent der kleinen und mittelständischen Unternehmen ansprechen können. Ich kann Sie nur ermuntern, mutiger zu handeln und den großen Wurf zu wagen, anstatt die kleinen Trippelschritte zu gehen. Wir brauchen ein schnelleres Tempo, gerade in den neuen Bundesländern. Sie kennen die demografische Entwicklung. Viele junge Menschen wandern ab, die Besten gehen in den Westen. ({2}) In den Hochschulen wird es in den nächsten Jahren Überkapazitäten geben. Wir werden in den alten Bundesländern einen großen Bedarf an neuen Studienplätzen haben, in den neuen Bundesländern werden wir einen Überhang an Studienplätzen haben. Ich fordere die Bun6110 desregierung auf, beim Hochschulpakt zu handeln und einen Teil der Mittel aus dem Hochschulpakt für die neuen Länder bereitzustellen. Ich sage noch einmal, Herr Minister Tiefensee: Die Idee, die Solidarpaktmittel zukünftig auch für die Finanzierung der Hochschulen zu verwenden, ist gut. Tun Sie es doch auch endlich, und zwar in Absprache mit den Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zu einer Kurzintervention erhält Herr Kollege Kretschmer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident! - Frau Kollegin Pieper, woher haben Sie Ihre Informationen, aufgrund derer Sie sich erdreisten, vor dem Parlament dieses Thema in dieser populistischen Art aufzugreifen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie sich direkt vor Ort informiert haben und wissen, was gestern und heute Nacht dort passiert ist. Es ist unsäglich, ein so schwerwiegendes Thema hier in dieser Art und Weise zu thematisieren. ({0}) Wer mit Lotterbuben Politik macht, verlottert die parlamentarischen Sitten. Dagegen möchte ich mich verwahren. Es ist in der Tat ein schlimmer Fall gewesen, der da gestern passiert ist. ({1}) Wir werden den Fall aufklären und Konsequenzen ziehen. Aber eines ist doch klar: Diese Nacht hat die Polizei in Sachsen einen guten Job gemacht und sehr professionell gehandelt. ({2}) Nach menschlichem Ermessen gehört dieses Gefängnis zu den modernsten und sichersten in unserem Land. Es ist eine Frage des Anstands und der Seriosität, dass man erst einmal eine Überprüfung vornimmt, sich dann ein Urteil bildet und nicht sogleich hier polemisiert. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zur Erwiderung erteile ich Frau Kollegin Pieper das Wort.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Kollege Kretschmer, dieser Justizskandal ist so schwerwiegend, dass er in der Debatte angesprochen werden muss. Ich sagte bereits, dass es um das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat geht, das wir zurückgewinnen wollen. Es gibt viele Umfragen zum Thema Demokratieverlust, die nachweisen, dass der Glaube an den Rechtsstaat immer mehr verloren geht. Dort, wo Sie regieren, haben Sie eine Verpflichtung, den Rechtsstaat so zu sichern, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht den Eindruck erhalten, dass der Täter mehr Schutzmaßnahmen genießt als das Opfer selbst. Das, was das Opfer und seine Eltern empfinden, ist dramatisch. Wir als liberale Partei werden diesen Fall weiterhin beobachten. Wir werden im Hinblick auf den Rechtsstaat alles daran setzen, dass in Justizvollzugsanstalten in Personal investiert und nicht daran gespart wird. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Katherina Reiche von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Katherina Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003209, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Forschung und Innovation als Voraussetzungen für Wachstum und Wohlstand sind für Ostdeutschland vielleicht noch wichtiger als für die alten Länder. Es ist wichtig, dass wir während der Debatte zur deutschen Einheit unser besonderes Augenmerk auch auf die Aspekte Forschung und Innovation lenken und Anträge dazu beraten. Jürgen Mlynek, ehemaliger Präsident der HumboldtUniversität Berlin und jetziger Präsident der HelmholtzGemeinschaft, hat einmal gesagt: Wenn aus Erkenntnisgewinn oder einer Entdeckung eine konkrete Anwendung wird, dann ist das Innovation. Kommt diese auf den Markt und setzt sich durch, dann wächst die Wirtschaft und es entstehen Arbeitsplätze. Forschung und Innovation bedeuten für die Menschen in Ostdeutschland wirtschaftliche Hoffnung. Forschung und Innovation bedeuten für sie, in die Zukunft zu schauen. Sie bedeuten, Investitionen in den Wirtschaftsstandort Ostdeutschland zu tätigen. Forschung und Innovation bedeuten auch, der demografischen Veränderung Ostdeutschlands Paroli bieten zu können. Denn einigen ostdeutschen Regionen droht bis zum Jahr 2010 ein wahrer Aderlass. Durch Abwanderung und Geburtenrückgang könnten einigen der Regionen bis zu 60 Prozent der jungen Generation verloren gehen. Durch den Umwälzungsprozess in Hochschulen und Forschung wird auch in Zukunft eine flexible und breit angelegte Förderung notwendig sein, um die in Ostdeutschland bestehenden Strukturdefizite ausgleichen zu können. Wir haben viele effektive Maßnahmen beschlossen: die Hightech-Strategie, die Förderung von Clusterbildung, das Förderprojekt „Unternehmen Region“. Zum jetzigen Zeitpunkt findet eine große Konferenz des Bundesministeriums für Bildung und Forschung mit dem Ziel statt, die Innovationspolitik in den neuen Ländern voranzubringen. Katherina Reiche ({0}) Auch konnte mithilfe des Bundes und der Länder beispielsweise der Ausbau der Max-Planck-Institute abgeschlossen werden. Es gibt mittlerweile 18 dieser Institute, eine Forschungsstelle und ein Teilinstitut. Somit ist die Max-Planck-Gesellschaft in Ostdeutschland mit annähernd dem gleichen Potenzial an Forschungseinrichtungen wie in Westdeutschland vertreten. Ähnliches ließe sich für die anderen Forschungsorganisationen sagen. Aber was muss noch geschehen? Ich meine, Ostdeutschland sollte zur Erfolgsgeschichte werden, exemplarisch für das Motto: Das Schicksal durch Forschung und Innovation in die eigene Hand nehmen. Wir müssen die Hochschulen weiter stärken. Ich habe den Geburtenrückgang angesprochen. Gerade deswegen dürfen keine qualitativ hochwertigen Studienplätze in Ostdeutschland abgebaut werden. ({1}) Dafür zu sorgen, ist zunächst die Verantwortung der Landesregierungen. Wir brauchen - quasi komplementär - einen erfolgreichen Hochschulpakt. Ich appelliere an die alten Länder, zu helfen, zu unterstützen und solidarisch zu sein. Es ist gut, dass Annette Schavan die Universitätsstädte Greifswald, Magdeburg, Potsdam, Jena und Leipzig durch eine Kampagne in den Fokus rücken möchte, unter dem Motto „Im Osten viel Neues“ oder auch „Entdecke den Osten!“. Wir brauchen mehr Ausgründungen aus den Hochschulen. Die Hochschulen müssen Impulse in die kleinen und mittleren Unternehmen geben, um so einen besseren Technologietransfer zu erreichen. Der Nachteil der ostdeutschen Wirtschaft ist sicherlich, dass es einen Mangel an sehr großen Unternehmenseinheiten gibt, die einen Input in die Hochschulen geben. Auch der Anteil der betrieblichen Forschung in Ostdeutschland ist immer noch geringer als in Westdeutschland. Während sich die großen Unternehmen in Westdeutschland häufig selbstverständlich an die Hochschulen wenden, muss man in den neuen Ländern noch umdenken. Die Universitäten müssen den ersten Schritt machen und auf die KMUs zugehen. Nur so kann man der schwächer ausgeprägten Netzwerk- und Clusterbildung entgegenwirken. Dass es durchaus funktioniert, zeigt sich an den in den vergangenen Jahren entstandenen Branchenschwerpunkten und innovativen Kompetenzfeldern: Mikroelektronik in Dresden, Chemie in Halle oder Bitterfeld, Optoelektronik in Jena, Medizin und Biotechnologie in Berlin oder Greifswald sowie Pflanzenzucht und Gentechnik in Gatersleben und Potsdam. ({2}) All das sind Technologieschwerpunkte aus der Hightech-Strategie. Daher ist es wichtig, dass die HightechStrategie gerade in Ostdeutschland besonders erfolgreich wird. Wir brauchen eine eindeutige thematische Fokussierung auf einzelne Technologiebereiche und die Vernetzung von universitärer und außeruniversitärer Forschung. Wir können es uns durchaus leisten, regionale Schwerpunkte zu setzen, zum Beispiel in der Biotechnologie. Innovationen in der Biotechnologie schaffen nicht nur wettbewerbsfähige Produkte, sondern sie sichern vor allem zukunftssichere Arbeitsplätze. Experten rechnen damit, dass der Weltmarkt der Biotechnologieprodukte weiter im zweistelligen Prozentbereich wächst. Angesichts dessen können wir uns aus der Grünen Pflanzenbiotechnologie nicht einfach verabschieden. Wir brauchen die Forschung und die Anwendung. Beides wird durch die heutige Rechtslage behindert. Wir brauchen eine Novelle des Gentechnikgesetzes; dazu gibt es keine Alternative. Nur Lippenbekenntnisse und das Singen des Hohen Liedes auf die Forschung helfen nicht weiter. Wir haben in Potsdam und in Gatersleben Forscher. Wir haben große landwirtschaftliche Flächen und innovative Landwirte, die nur auf den Startschuss warten, um endlich loslegen zu können. Wir brauchen ein positives Bild von unserem Land und ein Klima der Freiheit und des Vertrauens. Forschung lebt von Freiheit, Neugier und Experimentierlust. Lassen Sie mich mit den Worten von Professor Winnacker enden: Nur wer heute in die Wissenschaft investiert, schlägt eine Brücke in die Zukunft! Eine solche Brücke ist auch eine Brücke hin zu einer guten Zukunft in Ostdeutschland. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Roland Claus, Fraktion Die Linke. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihnen namens meiner Fraktion im Rahmen dieser Debatte einen Antrag vorstellen, dessen Entwurf schon großes Interesse weckte. Es geht uns um die Zusammenführung der Bundesministerien in Berlin. Wir verstehen das durchaus als einen Beitrag zur Mitwirkung an der deutschen Einheit und nicht zur Behinderung der deutschen Einheit. ({0}) Seit 1994 wirkt das Berlin/Bonn-Gesetz. Es verteilt Ministerien und Ämter auf die Standorte Bonn und Berlin. Um das vorab klarzustellen: Mit diesem Antrag geht es nicht gegen die Region Köln/Bonn. Ich kann es auch etwas populärer sagen: Keinem Bonner würde es durch unseren Antrag schlechter gehen. - Das Berlin/BonnGesetz hat lange gewirkt, über zwölf Jahre. Es hat vielen genutzt. Hier argumentieren wir in der Tat biblisch, meine Damen und Herren: Ein Jegliches hat seine Zeit. Die Zeit dieses Gesetzes geht nun zu Ende. ({1}) Deswegen schlagen wir Ihnen vor, eine Änderung des Berlin/Bonn-Gesetzes zu erarbeiten; denn wir dürfen uns nicht an diese Zweiteilung gewöhnen. Ich möchte nur die Fakten sprechen lassen. Die Situation ist die, dass 54 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ministerien nach wie vor am Standort Bonn und nur 46 Prozent in Berlin arbeiten. In absoluten Zahlen sind das 10 100 in Bonn und 8 800 in Berlin. Wir sagen Ihnen: So kann man nicht regieren, jedenfalls nicht gut regieren. Deshalb muss das verändert werden. ({2}) Natürlich wissen wir, dass Umzüge Veränderung bedeuten. Aber wer hat denn Hunderttausende Ostdeutsche gefragt, die der Arbeit nachziehen mussten und diese Veränderung auf sich genommen haben? Es ist ein Antrag mit Augenmaß. Wir sagen: Das Bundeskanzleramt soll beginnen, diesen Schritt zu vollziehen. Wir nehmen Einrichtungen aus, die ausdrücklich einen regionalen Bezug haben. Einrichtungen, die mit moderner Kommunikationstechnik ihre Funktion erfüllen können, können auch am Standort Bonn bleiben. Es soll schrittweise und nach einem Stufenplan gehen. Man soll uns bitte nicht mit dem Kostenargument kommen; das ist unredlich. Man will eine Hauptstadt entweder ganz oder gar nicht. Mit der Berlinentscheidung von 1991 ist diese Entscheidung gefallen. ({3}) Nirgendwo auf der Welt finden Sie eine solche Zweiteilung der Ministerien. ({4}) Nun stellen Sie sich mal einen Moment vor, die Abstimmung 1991, die knapp genug gewesen ist, wäre für Bonn ausgefallen! Können Sie sich eine Sekunde lang vorstellen, dass 54 Prozent der Beschäftigten dann in Berlin ihren Arbeitsplatz gefunden hätten? Ich nicht, meine Damen und Herren. ({5}) Interessanterweise wurde im Landtag von Nordrhein-Westfalen vor kurzem das gleiche Thema besprochen. Da gab es doch ziemlich harsche Worte: Die Debatte sei wegen der Zusammenrottung - so wörtlich! von Hinterbänklern zur Sommerpause entstanden; das Thema sei so ähnlich bedeutend wie die Frage, ob Mallorca das 17. Bundesland sei. - Das spricht leider Bände über den Zustand der deutschen Einheit. Ich will auch die Häme im Bundestag zum Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Berlinentschuldung zur Sprache bringen. Nun haben wir durch die Föderalismusreform zwar eine Hauptstadtklausel, aber mit Ihrer Beschwörung des Wettbewerbsföderalismus helfen Sie überhaupt nicht dabei, der deutschen Einheit hier einen Impuls zu geben. ({6}) Wie immer Sie künftig mit diesem Problem umgehen: Sie werden an der Lösung nicht vorbei kommen. Eines Tages werden auch die Politologen feststellen: Die Partei der wirklichen Einheit ist die neue Linke. Vielen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Rainer Fornahl, SPD-Fraktion. ({0})

Rainer Fornahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003120, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, Herr Claus, die SED bzw. die PDS bzw. die Linke, wie auch immer Sie sich nennen, ({0}) ist nie die Partei der Einheit gewesen und wird es auch nie werden. ({1}) Ich fand es ziemlich perfide, wie Herr Bisky, der ja hier den Anspruch erhoben hatte, Vizepräsident des Hohen Hauses zu werden, bei seiner Rede zum Stand der deutschen Einheit und insbesondere zur DDR von 1949 bis 1990 die Situation eines Landes, in dem Diktatur, Totalitarismus und Indoktrination herrschten, schöngeredet hat. ({2}) Das entsprach nicht der Lebenswirklichkeit. Ich habe sie jedenfalls so in Leipzig, wo ich mein Leben lang verbracht habe, nicht empfunden. ({3}) Ich denke, die Situation, die Minister Tiefensee in einem großen Bogen von den Erfolgen bis hin zu den Problemen beschrieben hat, entspricht der Wirklichkeit. Zugleich hat er damit auch die Potenziale aufgezeigt, die wir haben, um den Rest des Weges bis hin zu dem Ziel der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland gemeinsam gehen zu können. ({4}) Drei ganz zentrale Punkte spielen eine wichtige Rolle, um das Ziel, dass Ostdeutschland ein dynamischer Wirtschaftsstandort wird und die Abwanderung von qualifizierten Leuten wie Fachkräften in andere Regionen Deutschlands gestoppt wird, zu erreichen, Notwendig ist zunächst einmal der weitere Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Hier sind als Erstes die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ zu nennen, die leider bisher nur zu zwei Dritteln realisiert sind. Darüber hinaus haben wir wichtige Projekte mit einem EFREBundesprogramm, das von Bund und Ländern gemeinsam ausgearbeitet wurde, wie überregionale Verbindungen auch in Richtung zu unseren osteuropäischen Nachbarn auf den Weg gebracht. ({5}) Aber nicht nur diese großen Projekte, also nicht nur die Autobahnen und die Eisenbahnfernverbindungen, sondern auch die vielen neuen Radwege, Fußwege und Kreisstraßen haben die Lebensverhältnisse in den neuen Ländern eindeutig verbessert. Diese sollen natürlich auch dazu dienen, solche Lebensverhältnisse zu schaffen, die es den Menschen ermöglichen, zu Hause zu bleiben und nicht abzuwandern. ({6}) Das ist ein ganz wesentlicher Faktor. Wir müssen nun aber die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“, so wie wir es in unserem Entschließungsantrag formuliert haben, möglichst zügig umsetzen. ({7}) Um das zu schaffen, sind bei den Haushaltsberatungen in den nächsten Jahren große Anstrengungen notwendig. Ich will nur ein einziges Projekt herausgreifen, auf das ja auch der Verkehrsminister immer wieder den Fokus seiner Bemühungen lenkt. Das ist das Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ 8.1 und 8.2. Dieses zentrale europäische Verkehrsprojekt möglichst bald fertigzustellen, ist wichtig und notwendig. Ich hoffe, dass mit der Entscheidung, die gestern gefallen ist, eine gute Lösung für die Zukunft der Deutschen Bahn AG, die ja dabei für uns wichtiger Partner ist, gefunden wurde und diese auch für dieses Vorhaben ein Stück weit hilfreich ist. ({8}) Ein Zweites will ich ansprechen: Die Entwicklung der regenerativen Energien in Ostdeutschland halte ich für eine ganz zentrale Aufgabe. Darin steckt viel Potenzial, weil dank moderner Technologie zum einen eine klimafreundliche, ökologisch orientierte Energiepolitik vorangetrieben werden kann und zum anderen hier neue, sichere Arbeitsplätze entstehen können. Dazu alle Anstrengungen zu unternehmen, ist des Schweißes der Edlen wert. Im Zusammenhang mit der Technologieförderung nicht nur bei Strom- und Wärmeproduktion, sondern auch für die Produktion von Kraftstoffen für neue Motorengenerationen - mehrere Kolleginnen und Kollegen haben es schon angesprochen - möchte ich den Blick auf das ins Auge gefasste deutsche Biomasseforschungszentrum richten, wo auch immer es seinen Sitz haben sollte. Ich als Leipziger verweise, wenn Sie erlauben, ganz zurückhaltend auf meine Stadt, aber eine diesbezügliche Entscheidung ist überfällig. Sie müsste endlich gefällt werden. ({9}) Die Bundesregierung hat eine Bringschuld. Ich fordere sie auf, möglichst schnell eine Entscheidung zu treffen. ({10}) Ein Drittes will ich hier ansprechen, was sehr wichtig für Ostdeutschland ist, denn daraus können sich viele Potenziale für Ostdeutschland ergeben. Das ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der ostdeutschen Regionen mit unseren Nachbarn in Polen und Tschechien. Wir haben dafür in den letzten Jahren viel Geld in die Hand genommen, viel Unterstützung gegeben und auch die Regionen und Länder haben viel getan. Aber es gibt noch mehr zu tun. Durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit, durch wirtschaftliche Kooperation, durch die Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft gibt es in diesem Gebiet noch viele Möglichkeiten, um etwas zu tun und neue Arbeitsplätze zu schaffen bzw. alte zu sichern. Dazu gibt es von uns organisiert die Bundeseinrichtung des Zentrums Mittel- und Osteuropa für Wirtschaft und Kultur, das seinen Sitz als Fraunhofer-Institut in Leipzig hat. Das sollte langsam als Zentrum eines Netzwerkes und Verbindungsglied zwischen Wissenschaft und Forschung konkret auf den Weg gebracht werden, damit die Potenziale erschlossen werden können, die wir brauchen, um das Grundziel der Schaffung von mehr Wirtschaftswachstum und mehr Arbeitsplätzen erreichen zu können. Ich glaube, wenn wir all das und vieles andere, was schon gesagt wurde, in die Hand nehmen und nach vorn schreiten, können und werden wir es schaffen. Packen wir es an; es lohnt sich! ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort Peter Hettlich, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Joachim Günther, du hast in deiner Rede eben beklagt, dass wir zweimal in diesem Jahr über einen Bericht zum Stand der deutschen Einheit debattieren. ({0}) [FDP]: Festgestellt!) Aber ich finde, dieser Bericht ist - das sollte man vorweg sagen - von der Qualität durchaus anders als seine Vorgänger. Gerade in der Analyse ist dieser Bericht - das darf man durchaus einmal lobend erwähnen - relativ realistisch und auch ehrlich. Das ist eine wichtige Feststellung. Ich habe es sehr bedauert, dass wir das in den letzten vier Jahren unter Rot-Grün nicht hinbekommen haben; das scheint hier eine neue Kultur der Ehrlichkeit zu sein. Ich will auch ausdrücklich lobend erwähnen, dass ich gesehen habe, dass das Bundeskabinett und auch die Mitglieder dieses Hauses in starker Zahl hier vertreten waren. Das war bei den Debatten über den Bericht zum Stand der deutschen Einheit nicht immer so; manchmal haben wir hier nur in kleiner Runde diskutiert. ({1}) Ich kritisiere aber, dass keiner der Ministerpräsidenten der ostdeutschen Bundesländer auf der linken Seite von mir sitzt. ({2}) Das finde ich sehr bedauerlich. In den letzten Jahren waren die Ministerpräsidenten immer hier. Das lag offensichtlich daran, dass zu den jeweiligen Zeiten Wahlen anstanden. Ich finde, dass die Anwesenheit sehr wichtig wäre; denn der Aufbau Ost ist nicht nur ein Thema des Bundes, sondern auch ein Thema der Länder. Nur zusammen können wir diese große Herausforderung bewältigen. ({3}) Meine Damen und Herren, vieles ist gesagt worden. Wir haben relativ gute Wachstumszahlen im produzierenden Gewerbe in Ostdeutschland; aber wir wissen, dass das nicht ausreicht, um die Konvergenz zu erreichen. Das Wachstum in Ostdeutschland liegt nach wie vor insgesamt hinter dem im Westen zurück. Zu einer Konvergenz bräuchte man logischerweise mehr Wachstum in Ostdeutschland als in Westdeutschland. Davon sind wir nach wie vor entfernt. Auch wenn die Zahlen des Arbeitsmarktes sich besser darstellen, müssen wir ehrlicherweise zugeben, dass viele dieser Jobs nach wie vor in Teilzeitbereichen und Niedriglohnbereichen entstanden sind. Eine Konsequenz, die daraus resultiert - die Kollegin Wicklein hat das eben noch einmal angesprochen -, ist die niedrige Kaufkraft in Deutschland. Ich habe es schon in meiner letzten Rede gesagt: Die künftige Altersarmut in Ostdeutschland ist ein zentrales Problem. Diesem können wir nicht nur mit dem Niedriglohnsektor, mit dem Argument, dass dadurch Arbeit geschaffen wird, begegnen, sondern wir müssen hier auch andere Akzente setzen. Aus unserer Sicht ist ganz klar: Wenn wir im Osten etwas schaffen wollen, dann müssen wir stärker in die Köpfe, die Bildung und die innovativen Industrien sowie die Produktionsbereiche, die tatsächlich gut bezahlte, angemessen bezahlte Jobs schaffen können, investieren. ({4}) Die Fehlverwendung ist kurz angesprochen worden. „Täglich grüßt das Murmeltier“, könnte man sagen. Wir hatten vor circa 14 Tagen eine Konferenz zum Thema „Beton oder Köpfe“, über das wir mit Herrn Sarrazin und dem Staatssekretär aus dem brandenburgischen Finanzministerium debattiert haben. Die Fehlverwendung ist Fakt; darüber brauchen wir gar nicht zu diskutieren. Es ist auch so, dass die Verwendung der Mittel des Korbes I, da sie als Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen definiert sind, letzten Endes nicht in irgendeiner Form sanktioniert werden kann. Aber ich frage an dieser Stelle auch die Bundesregierung: Was ist denn mit dem Korb II? Sie versprechen uns seit langem, uns einmal die noch nicht näher spezifizierten Mittel aufzuschlüsseln. Ich sehe an dieser Stelle durchaus eine Möglichkeit milder Sanktion, indem den Ländern gesagt wird: Wenn ihr die Mittel aus dem Korb I nicht richtig verwendet, dann werden wir beim Korb II anders verfahren; denn sonst müssen wir jedes Jahr erdulden, dass in der Presse über das Thema Fehlverwendung diskutiert wird. - Hier sind Sie aufgefordert, zu handeln. ({5}) Wir, Bündnis 90/Die Grünen, haben uns für die nächsten Jahre einen Schwerpunkt gesetzt: Wir wollen die endogenen Potenziale und vor allem die Köpfe in Ostdeutschland stärken. Wir haben nach wie vor eine Unternehmenslücke von 70 000 bis 100 000 Unternehmen. Trotz großer Anstrengungen bei der Werbung von Investoren haben wir konstatieren müssen, dass wir es nicht geschafft haben, die Lücke zu schließen. Wir haben auch gesehen, dass die Zusammenlegung von IIC und Invest in Germany sich letztendlich aus der Tatsache ergibt, dass es immer weniger Investoren aus dem Ausland und aus den westlichen Bundesländern gibt. Es ist ein Problem, dass die Betriebe in Ostdeutschland, die sich aus dem dortigen Potenzial entwickelt haben, zu klein sind und häufig genug als verlängerte Werkbänke fungieren. Das heißt, sie sind letzten Endes immer abhängig vom Wohlwollen der entsprechenden Konzerne im Westen oder im Ausland. Hier müssen wir andere Wege gehen. Gerade angesichts des demografischen Wandels und des Wegzugs junger, hoch qualifizierter Leute müssen wir neue Perspektiven bieten. Eine Perspektive kann sein, diesen jungen, talentierten Menschen die Möglichkeit zu geben, sich selbstständig zu machen. Da gibt es viele Möglichkeiten für Existenzgründungen. Wir werden dieses Thema und auch das Thema der Finanzierung von Existenzgründungen in den nächsten Jahren sehr stark in diesem Haus vorantreiben. Wir werden da nicht locker lassen. Aus unserer Sicht ist das einer der vielen Schlüssel, um die Probleme in Ostdeutschland zu lösen. Wenn wir über die Frage der Förderung in Ostdeutschland sprechen, dann kommen wir natürlich immer wieder auf die Cluster-Diskussion zurück. Hier möchte ich einen neuen Aspekt in die Diskussion bringen. Das Max-Planck-Institut für Ökonomik mit Sitz in Jena hat in einem sehr interessanten Artikel in „Technology Review“ darauf hingewiesen, dass sich Cluster etwas anders entwickeln, als wir immer gedacht haben. ({6}) Sie lassen sich nicht unbedingt von außen beeinflussen, sondern sie sind sehr stark von inneren Impulsen abhängig. Deswegen sage ich an dieser Stelle ganz klar: Wir müssen die endogenen Potenziale stärken; wir müssen uns auf die jungen, talentierten Menschen konzentrieren. Dann schaffen wir es möglicherweise, auch an anderen Stellen neue Cluster zu bilden. ({7}) Ich werde im Anschluss an die Debatte zu der Veranstaltung „Im Osten viel Neues“ gehen. Es gibt dazu einen Antrag der Koalitionsfraktionen. Da schmücken sich einige vielleicht mit fremden Federn; wir haben jedenfalls an dem Projekt „Unternehmen Region“ mitgearbeitet. Wir halten das für ein sehr gutes Projekt. Ich werde es mir jedenfalls anschauen. Frau Pieper, ich kann Ihnen nur empfehlen: Kommen Sie mit! Dann können Sie auch noch etwas lernen! Danke schön. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Michael Kretschmer. ({0})

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Aufbau Ost kann überall dort als gelungen bezeichnet werden, wo der Staat unmittelbar handeln konnte. Bei Schulen, Krankenhäusern und beim Straßenbau sind die Erfolge offenkundig und unbestritten. Sorgen machen uns der privatwirtschaftliche Bereich sowie die viel zu geringe Zahl an Unternehmen und Arbeitsplätzen. Die Koalition ist der Meinung, dass wir, um einen selbst tragenden Aufschwung zu erreichen, die Innovationspolitik stärken und zu einem Herzstück der Aufbau-Ost-Strategie weiterentwickeln müssen. Forschung und Entwicklung sind unserer Meinung nach die Motoren des Aufbaus Ost. Mit neuen Produkten und Dienstleistungen gewinnen die neuen Länder schon heute im Wettbewerb. An vielen Stellen sind Erfolge sichtbar. In der Nanoelektronik, im Automobilbau und in der Automobilzuliefererindustrie sowie in der regenerativen Medizin oder der Biotechnologie liegen die neuen Länder in der Forschung und Entwicklung nicht nur deutschlandweit, sondern auch international an der Spitze. Das macht Mut. Denn Innovation und die Einführung von neuen Technologien sind die Voraussetzungen dafür, in einer globalisierten Welt an Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen und vorne mit dabei zu sein. ({0}) Deswegen hat das Bundesforschungsministerium in dieser Woche zu einer Konferenz mit dem Titel „Im Osten viel Neues“ eingeladen. Zu dieser Stunde treffen sich Wissenschaftler, Politiker und Unternehmer in Berlin, um gemeinsam zu beraten, wie man noch viel besser die Forschung und Entwicklung zu einem Motor für den Aufbau Ost machen kann. Wir sind dankbar, dass sich gerade das Bundesforschungsministerium in diesem Prozess an die Spitze gestellt hat und dieser Tage ein Memorandum von Wirtschafts- und Wissenschaftsministern aus den Bundesländern und von der Bundesforschungsministerin unterzeichnet werden konnte. Man will diesen Prozess also gemeinsam auf den Weg bringen. ({1}) Wir wissen, dass wir Exzellenz brauchen und nicht aus der Schwäche heraus handeln dürfen. Deswegen hat das Bundesforschungsministerium vor einigen Jahren die Programmfamilie „Unternehmen Region“ auf den Weg gebracht. Das Ziel ist, vorhandene Potenziale auszubauen und sie zu Projekten mit Leuchtkraft zu entwickeln, um zu einer wirklichen Exzellenz zu gelangen. Wir können heute, nach mehreren Jahren dieses Prozesses, sagen: Es ist gelungen. Auch wenn bei diesem Exzellenzwettbewerb vor wenigen Wochen nur Dresden erfolgreich war, so sieht man doch: Bei vielen hat nicht viel gefehlt, dann wären auch sie international mit dabei gewesen. Deshalb wollen wir schauen, dass dieser Prozess weiter forciert wird und dass dieser Wettbewerb in der nächsten Zeit für die neuen Länder positiv ausgeht. Wir wissen, dass es Zeit braucht, bis diese Exzellenz und das Potenzial an wissenschaftlichen Einrichtungen auch von den Unternehmen in den Regionen genutzt werden kann. Das ist das Problem. Wir haben keine Zeit. Wir haben aufzuholen. Die Arbeitslosigkeit ist - wie beschrieben - viel zu hoch, als dass wir uns zurücklehnen könnten. Deshalb ist „Unternehmen Region“ ein Mittel, um diesen Prozess abzukürzen und die Unternehmen in den Regionen schneller an diesen Innovationen teilhaben zu lassen. ({2}) Wir werden bis zum Jahr 2008 insgesamt 570 Millionen Euro für diesen Prozess ausgeben. Ein Teil davon ist die Förderlinie Inno-Regio, bei der wir schon heute sagen können, dass 7 500 Arbeitsplätze zusätzlich geschaffen worden sind. Es gibt 143 Neugründungen. Die Exportquote der beteiligten Unternehmen ist um 30 Prozent gestiegen. Der Umsatz ist sogar um 50 Prozent gestiegen. Ich denke, das ist ein gutes Zeichen. Es zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. ({3}) Wir versuchen, die Kooperation von Universitäten und Fachhochschulen in den Regionen zu verstärken. Deswegen haben wir ein aus meiner Sicht richtiges Instrument eingeführt, nämlich die Forschungsprämie. Wir sind dabei, im Rahmen des Hochschulpakts zu organisieren, dass die Studienkapazitäten in den neuen Bundesländern nicht abgebaut, sondern erhalten werden, sodass auch Studierende aus den alten Bundesländern zunehmend in die neuen Bundesländer kommen. Das ist eine große Chance für die innere Einheit und für das Zusammenwachsen. Es ist aber auch eine große Chance für die neuen Bundesländer; denn natürlich können wir mit innovativen Produkten nur dann erfolgreich sein, wenn wir auch die klugen Köpfe und die jungen Wissenschaftler haben. Deshalb sollten wir alles daran setzen, dass diese Kapazitäten erhalten bleiben. ({4}) Ich bin der Bundesforschungsministerin dafür dankbar, dass sie sich so sehr für dieses Ziel engagiert und jetzt angekündigt hat, eine Imagekampagne für ein Studium in den neuen Bundesländern aufzulegen. Ich glaube, dass dies eine gute Möglichkeit dafür ist, für diesen Standort zu werben. ({5}) Wir wissen, es bleibt viel zu tun. Wir sind nicht am Ende eines Prozesses, sondern wir sind maximal in der Mitte. Dennoch: Das, was wir in den letzten 16 Jahren geschaffen haben, indem wir die kommunistische Missund Planwirtschaft beseitigt haben, kann sich sehen lassen. Ich bin der festen Überzeugung: Die Wiedervereinigung war und ist eine gewaltige und beispiellose patriotische Leistung der Deutschen füreinander. ({6}) Das macht mich stolz, auch wenn ich weiß, dass wir uns damit nicht zufrieden geben können. Wir müssen weiter an diesem Prozess arbeiten. Vor allem brauchen wir neue Instrumente. Darüber sollten wir in den nächsten Wochen und Monaten intensiv diskutieren, um neuen Schwung in den Aufbau Ost zu bringen. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Swen Schulz von der SPD. ({0})

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einer Debatte zum Stand der deutschen Einheit sprechen wir natürlich auch über Perspektiven. Das bedeutet, dass wir auch über Bildung und Forschung in Ostdeutschland sprechen. In den Vorlagen für diese Debatte kommt dies zur Geltung. Der Koalitionsantrag zur Innovationsförderung nimmt das Thema sogar gesondert auf. Im Bereich der Innovationsförderung sind in den letzten Jahren schon unter Rot-Grün verschiedene Programme und Maßnahmen umgesetzt worden, lieber Kollege Hettlich. Stichworte sind die Programme „Unternehmen Region“, „Inno-Regio“, „Inno-Profile“ und „Innovative regionale Wachstumskerne“ sowie die Zentren für Innovationskompetenz usw. All diese Dinge haben Ostdeutschland nach vorn gebracht. Es gibt gute Erfolge. Wir sind auf dem richtigen Weg. Die Menschen sind auf dem richtigen Weg. Dies sollte aus parteitaktischen Gründen von der Opposition nicht kleingeredet werden. ({0}) Gleichzeitig müssen wir aber auch der Versuchung widerstehen, die Lage schönzureden. Deshalb bedanke ich mich ganz besonders für den Bericht der Bundesregierung. Der Weg ist noch weit. Der Osten befindet sich mitten in einem Aufholprozess. Die erste Auswahlrunde für Spitzenuniversitäten hat gezeigt, dass der Osten noch nicht dort ist, wo er sein sollte. Damit keine Missverständnisse entstehen: Wir haben in Ostdeutschland tolle Hochschulen und eine hervorragende Forschung und haben ermutigende Ergebnisse erzielt. Aber insgesamt ist diese Region noch nicht stark genug. Da stoßen wir auf ein Problem. Wettbewerb in der Wissenschaftspolitik ist als neues Steuerungsinstrument richtig. Er belebt, bewegt und setzt Kräfte frei. Aber natürlich muss auch entsprechende Wettbewerbsfähigkeit bestehen. Wettbewerb ist nur dann sinnvoll, wenn die Teilnehmer mit Aussicht auf Erfolg konkurrieren können. ({1}) In der Forschung haben die westdeutschen Regionen einen Vorsprung von Jahrzehnten. Einige Länder haben sich zudem traditionell eher auf die Forschung konzentriert und die Lehre lieber anderen überlassen; darauf werde ich noch zurückkommen. Das bedeutet: Die politische Seite muss aufpassen. Je mehr Wettbewerb wir in diesem System erzeugen, desto größer ist die Gefahr, dass sich Unterschiede manifestieren, ({2}) dass der eine Teil dauerhaft abgehängt bleibt, statt aufzuholen. Das kann sich letztlich ganz Deutschland nicht leisten. Es liegt im vitalen Interesse aller Bundesländer, dass Ostdeutschland aufholt. ({3}) Das führt mich zum geplanten Hochschulpakt. Er hat zwei Komponenten: Die eine Komponente ist, dass für die Forschung eine so genannte Overheadfinanzierung eingerichtet wird. Das hilft forschenden Hochschulen und ist unbestritten sinnvoll. Das führt natürlich auch Swen Schulz ({4}) dazu, dass wieder die bereits forschungsstarken Hochschulen einen größeren Teil vom Kuchen abbekommen. Die zweite Komponente des Hochschulpaktes ist, dass Studienplätze finanziert werden sollen. Eine solche Finanzierung benötigen wir in ganz Deutschland dringend. Nun haben wir aber eine sehr differenzierte Situation im deutschen Hochschulwesen. Im Westen werden die Studienplätze immer knapper, während die Bevölkerungsentwicklung in Ostdeutschland dazu führt, dass es mehr Studienplätze als Studierende geben wird. Es darf nicht passieren, dass diejenigen Länder, die sich um die Lehre gekümmert haben und im Rahmen der Exzellenzinitiative durchfallen, kein Geld für Studienplätze erhalten, weil sie ja so viele davon haben, ({5}) während diejenigen Länder, die zu wenig Studienplätze haben, doppelt belohnt werden und neben den Mitteln im Rahmen der Exzellenzinitiative auch noch Geld für Studienplätze abgreifen. Man stelle sich einmal folgendes Szenario vor: Ostdeutschland geht beim Hochschulpakt leer aus und baut Studienplätze ab, während sie im Südwesten der Republik teuer neu aufgebaut werden. Einen solchen Quatsch sollten wir nicht mitmachen. ({6}) Dabei appelliere ich nicht nur an die Länder. Vielmehr ist auch der Bund, sind Bundestag und Bundesregierung gefragt. Wir müssen die Menschen anregen, in den Osten zu kommen. Darum ist es gut, dass in dem vorliegenden Antrag der Koalition deutlich gemacht wird, dass die ostdeutsche Hochschullandschaft gestärkt werden muss, einem Abbau von Studienplätzen entgegengewirkt wird und sogar Anreize zum Ausbau und zur Verbesserung der Qualität der Lehre gesetzt werden sollen. Studierende sind eine große Chance für Ostdeutschland. Doch gleichzeitig kosten Hochschulen bzw. gute, attraktive Studienplätze Geld, das häufig nicht vorhanden ist. Schaut man sich das Berlinurteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Hauptstadt erst einmal ordentlich an der Wissenschaft sparen soll, einmal genauer an, kommt man zu dem Ergebnis, dass das natürlich genau falsch ist. Wir müssen auf der politischen Ebene andere Wege beschreiten. Da ich schon beim Bundesverfassungsgerichtsurteil und beim Thema Berlin bin, will ich als Berliner Abgeordneter etwas näher darauf eingehen. Die Lasten und Anstrengungen Berlins sind in Karlsruhe nicht angemessen berücksichtigt worden. ({7}) Die Klage ist abgewiesen worden; das ist nun einmal so. Umso wichtiger ist es, dass wir alle überlegen, wie wir mit Berlin umgehen. Denn Berlin ist die Hauptstadt ganz Deutschlands. Vielen Dank. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Volkmar Vogel, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Volkmar Uwe Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003650, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte belegt es mit aller Deutlichkeit: Der Jahresbericht zur deutschen Einheit hat nichts an Bedeutung und Notwendigkeit eingebüßt - auch heute nicht, 17 Jahre, nachdem die Mauer fiel. Es ist ein schöner Tag und ich freue mich immer wieder, wenn der 9. November naht; einen Tag vorher hat mein Vater Geburtstag. Ich erinnere mich gerne an diesen Tag: An diesem Tag fiel die Mauer und seit diesem Tag geht es aufwärts im Lande. ({0}) Aus den Beiträgen meiner Vorredner, derer, die sich zur deutschen Einheit bekennen und immer dafür gekämpft haben, wird deutlich: Die Bedeutung dieses Berichts wird sich in den nächsten Jahren wandeln. Es gibt Regionen in den alten Bundesländern, die ähnliche Strukturprobleme haben, wie wir sie gerade in den neuen Bundesländern meistern. Die Lösungen für die neuen Länder können Lösungen für die Probleme in den alten Ländern sein; das wird in diesem Bericht deutlich. ({1}) Bestes Beispiel dafür sind das Infrastrukturbeschleunigungsgesetz, die Ermöglichung des Abiturs nach zwölf Schuljahren und Regelungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, damit es in ihrem Betrieb weitergeht. Es geht nicht mehr nur um die neuen Bundesländer, es geht um unser ganzes Land. Darum ist dieser Bericht kein Bericht zum Aufbau Ost, sondern - deshalb der Name ein Bericht zur deutschen Einheit. Er zeigt unstreitig die Erfolge auf, die wir erzielt haben: die überproportionale Steigerung der Wertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe und auch die hervorragende Infrastruktur in den neuen Ländern, was keiner leugnen kann. Das ist doch Beleg dafür, dass viel erreicht worden ist. ({2}) Die Menschen in den neuen Ländern können nicht nur stolz sein; nein, sie sind stolz auf das, was erreicht worden ist. Die Liebe zu ihrer Heimat prägt das wieder gewonnene Selbstbewusstsein, das sich in den letzten Jahren herausgebildet hat. Nichtsdestotrotz betrübt uns alle die nach wie vor zu hohe Arbeitslosigkeit, die Abwanderung aus den Regionen und die demografische Entwicklung. Daher muss alles, was zu Wachstum und Beschäftigung führt, oberste Priorität haben. Es geht nicht darum, wie in den letzten Jahren leider geschehen, die Mängel immer besser zu verwalten. Nein, wir müssen unsere ganze Kraft daransetzen, diese Mängel gezielt zu beseitigen. Die Tendenz der letzten Monate belegt, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind. Die Arbeitslosenquote sinkt - wenn sie auch immer noch zu hoch ist - im Westen wie im Osten in gleicher Weise. Ganz besonders wichtig ist, dass die Zahl der offenen Stellen steigt, und zwar auch im Osten. Das lässt hoffen. ({3}) Die große Koalition steht für Kontinuität und vor allem für Planungssicherheit für die Menschen. Das belegt auch der Ihnen vorliegende Entschließungsantrag. Der Strukturwandel ist noch nicht abgeschlossen. Ihn auf hohem Niveau weiter zu fördern, bleibt unser erklärtes Ziel. Es ist richtig und wichtig, dass der Solidarpakt bis zum Jahr 2019 für die neuen Länder das entscheidende Instrument ist. Ich möchte es noch einmal betonen: 156 Milliarden Euro bedeuten eine enorme Anstrengung unseres Landes. - Angesichts dessen müssen wir uns nicht verstecken. Vielmehr danken wir dafür, dass diese Mittel zur Verfügung gestellt werden. Der Jahresbericht ist auch eine Art Halbzeitbilanz. Nach 16 Jahren gibt es nicht mehr die neuen Länder. Ich bin auch kein „Neuer Länderer“, sondern Thüringer; darauf bin ich stolz. ({4}) Wir haben fünf neue Bundesländer, die sich eigenständig entwickelt und ihren eigenen Weg, weg vom kommunistischen Zentralstaat, gefunden haben. Jedes Bundesland hat seine spezifischen Stärken, aber auch seine spezifischen Schwächen und Defizite. Die besonderen Bedingungen jedes einzelnen Bundeslandes gilt es bei den derzeitigen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über die Verwendung der Mittel aus dem Korb II des Sozialpakts zu berücksichtigen. Das entbindet die Länder natürlich nicht von ihrer Verantwortung, mit diesen Mitteln sorgsam umzugehen und damit für Wachstum, Beschäftigung und Wirtschaftskraft zu sorgen. Wir müssen aber begreifen, dass sich in den jeweiligen Ländern nach 16 Jahren ganz unterschiedliche Entwicklungspotenziale und -konzepte herausgebildet haben. Wir sehen hoch entwickelte Wachstumskerne und funktionierende ländliche Räume, ebenso aber leider immer noch Industriebrachen und strukturschwache Regionen. Ein Wachstumskern - um einen Vergleich zu verwenden - braucht natürlich auch eine gesunde Schale. Die Schwerpunktförderung von Wachstumskernen und von regional spezifischen Stärken ist daher in unserer Förderstrategie festzuschreiben. Gestatten Sie mir noch einen Vergleich: Ein starker Baum kann nicht ständig mit Dünger versorgt werden. Er braucht auch ein starkes Umfeld, in das er seine Wurzeln treiben kann und aus dem er Nährstoffe ziehen kann. Denken wir daher neben der richtigen und notwendigen Förderung von Clustern in den innovativen Branchen auch an die Entwicklungspotenziale im ländlichen Raum. Nutzen wir sie künftig besser, gerade mit Blick auf die Entwicklung der Ballungsräume. Damit leisten wir einen Beitrag gegen die Landflucht und gegen die Abwanderung junger Menschen. ({5}) Hier greifen die Vorschläge der Koalition, spezielle regionale Stärken, einschließlich des Tourismus, zu fördern.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit.

Volkmar Uwe Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003650, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, Herr Präsident. - Darunter fällt auch die verstärkte Förderung kleinteiliger, aber krisenfester mittelständischer Unternehmen und Handwerksbetriebe. Dazu gehört aus meiner Sicht auch die Landwirtschaft, die sich in den nächsten Jahren verändern wird. Sie ist Wirtschaftsfaktor und Teil der Wirtschaft. Aufgrund der Potenziale der Landwirtschaft im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe werden die Landwirte zu Energiewirten und Werkstofflieferanten. Landwirte werden ebenso wie die Beschäftigten in allen anderen Bereichen eine hohe Qualifikation brauchen. Deswegen kann ich mich nur den Worten meiner Kollegen Katherina Reiche und Michael Kretschmer anschließen: Bildung wird in den nächsten Jahren ein Schwerpunktthema, gerade auch in den neuen Ländern, sein. Bei der Infrastruktur sind wir auf gutem Wege.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, die werden Sie jetzt aber nicht mehr erläutern können. ({0})

Volkmar Uwe Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003650, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir dürfen nicht nachlassen, damit wir das Notwendige erreichen. In Zukunft kommt es darauf an, gerade im Bereich Bildung mehr zu investieren und sie den spezifischen Bedingungen der neuen Länder anzupassen. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Stephan Hilsberg, SPD-Fraktion. ({0})

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Ende dieser Debatte sprechend ist es wichtig, so glaube ich, hervorzuheben, dass wir zu Recht über viele Leistungen gesprochen haben, die im Zuge der deutschen Einheit von dieser Regierungsbank aus von allen Regierungen getätigt wurden, auch wenn manche Fehler zu beklagen waren. Vor allen Dingen ist aber festzuhalten, dass die Erfolge der deutschen Einheit zuallererst auf der gesamtdeutschen Solidarität und der Leistungsfähigkeit der Menschen in Ostdeutschland beruhen. ({0}) Frau Pieper, die Erfolge beruhen nicht auf dem, was Sie hier vorgetragen haben. Das war billiger Populismus; auch das muss gesagt werden. Ich habe gedacht, man müsste die FDP umbenennen in „Frivoler Deutscher Populismus“. Das wäre angemessen. ({1}) Herr Bisky, zur Ostalgie, die in Ihrer Rede zum Ausdruck kam: In Ostdeutschland kann man natürlich manch ein Gefühl wecken, wenn man an die scheinbar so einfache Finanzierung des ostdeutschen Gesundheitswesens erinnert. „Die Wahrheit ist konkret“, sagt Lenin, Herr Bisky. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass meine Tochter trotz exquisiter Behandlung fast gestorben wäre, wenn wir nicht ein Medikament aus Westberlin erhalten hätten. Solidarität gibt es eben nicht erst jetzt; es gab sie auch zu Zeiten der Mauer. Das hatte mit der Leistungsfähigkeit der Ärzte nichts zu tun. Soll ich daran erinnern, dass eine der bekanntesten Schriftstellerinnen Ostdeutschlands kurz vor Ende der DDR, noch zu Mauerzeiten, fast vergiftet worden wäre, weil das Bezirkskrankenhaus nicht in der Lage war, antiseptische Wäsche und Mullbinden zu organisieren? Das war die Realität zu DDR-Zeiten. ({2}) Wenn wir heute erfreulicherweise zu verzeichnen haben, dass die Lebenserwartung in Ostdeutschland gravierend gestiegen ist, und zwar nicht, wie im Westen, in normalem Maße, sondern gewaltig, dann müssen wir feststellen, dass das kein Ergebnis des DDR-Gesundheitswesens ist, sondern eine Folge der deutschen Einheit und der Leistungsfähigkeit dieses Landes. Das gilt es bei allem, was passiert ist, hervorzuheben. ({3}) Wir müssen in diesem Zusammenhang zwar über Probleme reden, man muss an dieser Stelle aber auch sagen, dass vieles geleistet wurde und dass nicht alles so einfach ist, wie es die DDR vorgegaukelt hat. Es geht uns nicht nur um Erfolge und wir reden die Probleme nicht schön. Es ist bedrückend, wenn so viele Menschen in Ostdeutschland ihre Situation als bedrückend empfinden. Es ist bedrückend, dass die Arbeitslosigkeit nach wie vor doppelt so hoch ist. Es ist bedrückend, wenn sich so viele Menschen sozial ausgegrenzt fühlen. Darum müssen wir uns kümmern und darum kümmern wir uns auch. Deshalb ist es wichtig hervorzuheben, dass, um aus dieser Situation herauszukommen, Fördermittel eine notwendige Voraussetzung sind, aber keine hinreichende. Probleme können wir administrieren, wir können viele Rahmenbedingungen schaffen. Doch Mut, Selbstvertrauen, Kreativität kann Politik nur anregen, sie kann sie nicht verordnen, sie kann sie nicht in Gesetze schreiben. Diese Eigenschaften sind das Wichtigste, was man braucht. Die Menschen selbst sind es, von denen die Kraft ausgehen muss. Wir haben heute die Gelegenheit, an die Menschen zu appellieren, und nutzen sie. Doch es sind noch immer zu wenige, die die Chancen nutzen. ({4}) Ich möchte daran erinnern: Von allen ehemaligen COMECON-Ländern haben wir in Ostdeutschland heute den höchsten Lebensstandard. Das ist sehr schön und ein großer Erfolg. Wir haben heute in Ostdeutschland die höchste Produktivität aller ehemaligen Warschauer-Vertrag-Staaten. Doch die Messlatte für die Produktivität, dafür, dass die Betriebe existenz- und wettbewerbsfähig sind, liegt nirgendwo so hoch wie in Ostdeutschland. Deswegen reicht es nicht, nur eine nachholende Modernisierung zu machen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege!

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir müssen in Ostdeutschland Menschen, Betriebe, Wissenschaftseinrichtungen haben, die sich zum Schrittmacher der Modernisierung machen, die selber Wege gehen und Lösungen suchen, die es in ganz Deutschland noch nicht gegeben hat. Nur so werden wir die Probleme lösen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege!

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist mein letzter Punkt; gestatten Sie mir das noch! Dazu gehört, dass man sich der Werte, die dem zugrunde liegen - Freiheit, Toleranz, Selbstvertrauen, Zivilcourage -, bewusst sein muss, dass man sie ehren muss, nicht nur heute, sondern auch mit Blick auf diejenigen, die ihre Haut unter DDR-Bedingungen zu Markte getragen haben. Deswegen sehen wir uns verpflichtet, für eine angemessene Würdigung aller Opfer der SED-Diktatur einzutreten. Das gehört zur deutschen Einheit dazu. ({0}) Wir werden nicht zulassen, dass es hier zu einem Schlussstrich unter die DDR-Vergangenheit kommt. Wir werden diese Diskussion weiterführen und weiter ermöglichen. Denn Zukunftsgestaltung und die Würdigung der Vergangenheit sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Herr Bisky, man mag bedauern, dass Sie hier sitzen; aber Wahlergebnisse sind Wahlergebnisse. Einen konstruktiven Beitrag haben Sie nicht geleistet. Ihre letzte Äußerung, Sie seien im eigentlichen Sinne die Partei der deutschen Einheit, das war der schönste Witz! ({1}) Was von Ihnen kommt, ist nur Populismus, etwa Ihr Antrag, die Regierung möge komplett nach Berlin umziehen. Der nützt uns doch nur dann, wenn wir ihn mit Verwaltungsmodernisierung verbinden, wie mit dem Bundesamt für Justiz geschehen. Auf diesem Weg gehen wir weiter. Die neuen Einrichtungen, um die es geht, die Bundesstiftung „Baukultur“, die nach Potsdam gekommen ist -

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Hilsberg!

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auf diesem Weg werden wir weitergehen, im Großen wie im Kleinen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Die überragende Bedeutung, die der Deutsche Bun- destag und auch das amtierende Präsidium der Behand- lung dieses Themas unverändert beimisst, wird auch da- ran deutlich, dass aus der vereinbarten 90-minütigen Debatte eine zweistündige Debatte geworden ist. Wir alle sind uns einig, dass noch vieles hätte vorgetragen werden können, vielleicht auch müssen. Das wird bei der weiteren Beschäftigung mit den der Debatte zugrunde liegenden Unterlagen gewiss erfolgen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/2870, 16/313 und 16/3284 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/3294 zu Tages- ordnungspunkt 3 b soll zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol- genabschätzung und zur Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, an den Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie an den Haus- haltsausschuss überwiesen werden. Der Entschließungsantrag auf Drucksache 16/3310 soll an dieselben Ausschüsse wie der Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2006 überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das sieht ganz so aus. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen nun unter Tagesordnungspunkt 3 d zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 16/1200. Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Aus- schuss in Kenntnis des Jahresberichts der Bundesregie- rung zum Stand der deutschen Einheit 2005 auf Druck- sache 15/6000 die Annahme des Entschließungsantrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksa- che 16/650. Hierzu liegt mir eine Erklärung des Kolle- gen Carsten Müller nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor1). Wer stimmt für die gerade genannte Beschluss- empfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlussempfeh- lung ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen ange- nommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss in Kenntnis des genannten Jahresberichts die Ablehnung des Entschließungsantrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/693. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch diese Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei- ner Beschlussempfehlung in Kenntnis des genannten Jahresberichts die Ablehnung des Entschließungsantrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/692. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch diese Beschluss- empfehlung ist mehrheitlich angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis d auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung des Deutschen Ethikrats ({0}) - Drucksache 16/2856 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit b) Beratung des Antrags der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Einsetzung eines Ethik-Komitees des Deutschen Bundestages - Drucksache 16/3199 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2}) 1) Anlage 2 Präsident Dr. Norbert Lammert Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch, Cornelia Pieper, Uwe Barth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Einrichtung eines Parlamentarischen Beirats für Bio- und Medizinethik - Drucksache 16/3289 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Einsetzung eines Ethik-Komitees des Deutschen Bundestages - Drucksache 16/3277 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({4}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache erneut eineinhalb Stunden vorgesehen. Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst für die Bundesregierung der Bundesministerin Dr. Annette Schavan das Wort. ({5})

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die ethische Urteilsbildung ist Teil politischer Entscheidungsprozesse. ({0}) Uns, den Abgeordneten des Deutschen Bundestages und den Mitgliedern der Bundesregierung, kann es niemand abnehmen, uns gewissenhaft um eine ethische Urteilsfindung zu bemühen und politische Entscheidungen verantwortungsbewusst zu treffen. Das ist unser Königsrecht. Umso bedeutsamer ist es, dass wir den Sachverstand von Experten nutzen. Auch das gehört zu unserer Verantwortung. ({1}) Namens der Bundesregierung lege ich Ihnen heute den Entwurf eines Gesetzes zur Einrichtung des Deutschen Ethikrats vor. Sein Themenspektrum resultiert aus der dynamischen Entwicklung der Lebenswissenschaften und der Anwendung ihrer Verfahren und Ergebnisse auf den Menschen. Damit sind Grundfragen betroffen, bei denen es letztlich um unsere Pflicht zum Schutz des menschlichen Lebens geht und die auf unserer Überzeugung hinsichtlich der Unantastbarkeit und Unverwirkbarkeit der Menschenwürde basieren, die allem politischen Handeln vorgelagert ist. Die Freiheit der Forschung findet ihre Grenze genau dort, nämlich bei der Achtung vor der Unantastbarkeit der Menschenwürde. Weil sich die Lebenswissenschaften so dynamisch entwickeln und angesichts zunehmender Möglichkeiten - zum Beispiel durch medizinischtechnische Eingriffsmöglichkeiten auf menschliches Leben - werden wir in den kommenden Jahren wie in der Vergangenheit auch herausgefordert sein, die Schutzfunktion wahrzunehmen, die dem Gesetzgeber aufgegeben ist. In diesem Zusammenhang kann von uns erwartet werden, dass wir unsere Aufgabe sachkundig wahrnehmen und dass allen Abgeordneten des Deutschen Bundestages und allen Mitgliedern der Bundesregierung der gleiche Zugang zum entsprechenden Sachverstand ermöglicht wird. Uns Zugang zu diversem Sachverstand in naturwissenschaftlich-medizinischer, ethischer, rechtlicher und sozialwissenschaftlicher Hinsicht zu ermöglichen, ist Sinn und Zweck des deutschen Ethikrats. Daher soll ein Gremium eingerichtet werden, das unabhängig und in voller Souveränität gegenüber dem Parlament und der Regierung arbeitet. Für das Verhältnis zwischen dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung einerseits und dem Deutschen Ethikrat andererseits ist der Respekt vor der wechselseitigen Souveränität zentral bedeutsam: der Respekt des Parlaments und der Regierung vor dem Deutschen Ethikrat und der Respekt des Ethikrats gegenüber dem Parlament und der Regierung. Deshalb schlagen wir vor, ein reines Expertengremium einzusetzen, das die jeweils eigene Verantwortung deutlich werden lässt. Der Ethikrat kann dem Parlament und der Regierung die Debatten und Prozesse der Entscheidungsfindung nicht abnehmen. ({2}) Umgekehrt muss der Ethikrat in seinen Beratungen frei und souverän sein. Sie sind allen Parlamentsdebatten vorgelagert. Das Parlament entscheidet frei, wie es mit den Ratschlägen des Ethikrates umgeht. Deshalb halte ich eine Vermischung der Mitgliedschaften für nicht richtig. ({3}) Niemand von uns kann die eigenen Prozesse zur Bildung eines ethischen Urteils an wenige andere delegieren. Anders gesagt: Dies ist unser Königsrecht als Abgeordnete; bei diesem Thema können wir - anders als bei Fragen der Finanz-, der Familien- oder der Forschungspolitik nicht jemand anderen beauftragen, sich für uns kundig zu machen und unsere Entscheidungen vorzubereiten. Das muss jeder von uns selbst leisten. ({4}) In Fragen der Ethik sind wir alle gleichermaßen und unterschiedslos gefragt. Jede und jeder von uns ist Experte in ethischen Fragen, weil sie Teil der politischen Entscheidungsfindung sind. Allerdings halte ich es für notwendig, dass der Ethikrat durch Beschluss des Parlamentes eine Legitimation erhält. Kritik im Hinblick auf die Legitimation haben wir bereits im Zusammenhang mit der Gründung des Nationalen Ethikrates durch die Vorgängerregierung bzw. den vormaligen Bundeskanzler geübt, eine Kritik, die übrigens quer durch alle Parteien geäußert wurde. Deshalb wollen wir die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Einrichtung des Deutschen Ethikrates und seine Anbindung beim Präsidenten des Deutschen Bundestags. Die Struktur des Deutschen Ethikrates entspricht seinen Aufgaben als einem Gremium der unabhängigen wissenschaftlichen Beratung. Die Zusammensetzung stellt sicher, dass in ihm ein interdisziplinäres, plurales Spektrum sowie unterschiedliche weltanschauliche Ansätze vertreten sind. Durch die Zahl seiner Mitglieder wird einerseits ein ausreichend breites Spektrum an Fachdisziplinen und Meinungen ermöglicht, andererseits aber auch die Arbeitsfähigkeit des Gremiums gewährleistet. Die gesetzlichen Regelungen beschränken sich bewusst auf Kernelemente. Insbesondere die interne Organisation des Benennungsverfahrens, aber auch die Organisation der parlamentarischen Entscheidungsfindung über Aufträge an den Deutschen Ethikrat wird der Bundestag selbst regeln. Im vorliegenden Gesetzentwurf sind die Aufgaben des Deutschen Ethikrates beschrieben: Er berät sowohl Bundestag als auch Bundesregierung. Er beschäftigt sich mit den naturwissenschaftlichen, medizinischen, ethischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Forschung, mit den Entwicklungen bei den Lebenswissenschaften und mit der Anwendung dieser Ergebnisse auf den Menschen ergeben. Der Deutsche Ethikrat informiert die Öffentlichkeit und fördert den gesellschaftlichen Diskurs als zentrales nationales Forum. Um den Diskurs zu fördern, kann der Deutsche Ethikrat öffentliche Veranstaltungen und Anhörungen durchführen. Er ist dabei an keine vorgegebene Form gebunden, sondern kann sich verschiedener Methoden und Instrumente bedienen. Der Deutsche Ethikrat erarbeitet Stellungnahmen und Empfehlungen für Politik und Gesetzgeber und arbeitet mit vergleichbaren Gremien auf internationaler Ebene zusammen. Die Struktur des Deutschen Ethikrates, die wir in unserem Gesetzentwurf vorschlagen, entspricht internationaler Praxis. Das gilt vor allem mit Blick auf unsere europäischen Nachbarn. Es ist wichtig, dass auch Deutschland an diesem auf europäischer bzw. internationaler Ebene geführten Dialog über ethische Fragen in den Lebenswissenschaften teilnimmt. ({5}) Der Deutsche Ethikrat erarbeitet seine Stellungnahmen im Auftrag des Bundestages oder der Bundesregierung und aufgrund eigener Beschlüsse und Entscheidungen. Auch das sichert seine Unabhängigkeit. Wesentlich und konstituierend für den Deutschen Ethikrat ist, dass seine Mitglieder unabhängig von staatlicher Einflussnahme sind. Nur so können sie Entscheidungen treffen, die sie nur vor ihrem Gewissen verantworten müssen. Das verbindet die Mitglieder des Deutschen Ethikrates mit den Mitgliedern des Deutschen Bundestages und der Regierung: Sie sind in ethischen Fragen ausschließlich ihrem Gewissen verantwortlich. ({6}) - Genau das sagte ich in diesem Satz, sehr verehrter Kollege Tauss. ({7}) - Vielen Dank. - Aus diesem Grund gibt es im Gesetzentwurf nur wenige gesetzliche Vorgaben über die Arbeitsweise. Der Deutsche Ethikrat wird seine Entscheidungen als unabhängiges Sachverständigengremium nur dann glaubwürdig gegenüber der Öffentlichkeit vertreten können, wenn Parlament und Regierung als diejenigen, die beraten werden, nicht gleichzeitig die Berater sind. Diese beiden Rollen in dem Gremium zusammenbringen zu wollen, halte ich für falsch. ({8}) Das ist gemeint, wenn ich von wechselseitigem Respekt vor der jeweiligen Unabhängigkeit beider Partner in ethischen Fragen der Lebenswissenschaften rede. ({9}) Die Veröffentlichung der Stellungnahmen, Empfehlungen und Berichte gewährleistet die Information von Öffentlichkeit, Regierung und Parlament. In diesen Stellungnahmen können - wie bislang übrigens auch - abweichende Auffassungen einzelner Mitglieder aufgeführt werden. Das macht das Beratungsergebnis nach außen transparent. Mit dem Deutschen Ethikrat wollen wir auf gesetzlicher Grundlage ein ständiges und unabhängiges Sachverständigengremium zur wissenschaftsgeleiteten Politikberatung und zur Strukturierung des öffentlichen Diskurses einrichten. Das ist letztlich ein Baustein, auf den wir nach meiner Überzeugung künftig öfter zurückgreifen sollten, um in wichtigen politischen Fragen, die die Zukunft unseres Landes betreffen, stärker den wissenschaftlichen Sachverstand zu nutzen. ({10}) Der Deutsche Ethikrat soll die Bundesregierung und den Bundestag beraten. Wir sichern mit dem Gesetz eine breite demokratische Grundlage für ein unabhängiges Beratungsgremium, das den bioethischen Diskurs in der Gesellschaft auf hohem Niveau begleitet und am internationalen bioethischen Diskurs beteiligt ist. Die Unterscheidung zwischen Expertenberatung einerseits und den Debatten und der Entscheidungsfindung in Parlament und Regierung andererseits ist konstitutiv für den vorliegenden Vorschlag. Ich bitte Sie deshalb herzlich um Ihre Unterstützung für diese Grundlage zur Einrichtung eines Deutschen Ethikrates. Vielen Dank. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Uwe Barth für die FDP-Fraktion. ({0})

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem von der Ministerin vorgestellten Gesetzentwurf schlägt die Bundesregierung die Schaffung eines Deutschen Ethikrates als unabhängiges Beratungsgremium für Parlament und Regierung vor. Wir als Liberale stehen diesem Vorhaben grundsätzlich sehr positiv gegenüber. Wichtig für diese Einschätzung ist für uns vor allem die Regelung, dass die Hälfte der Mitglieder des Ethikrates vom Parlament berufen wird, wodurch der Rat im Gegensatz zu seinem Vorgängergremium durchaus eine parlamentarische und demokratische Legitimation erhält. Das ist für uns ein entscheidender Punkt. ({0}) Das bedeutet aber auch, dass das Parlament aus unserer Sicht kein Parallelgremium braucht. Der Ethikrat besetzt den Platz eines Beratungsgremiums für Parlament und Regierung. Er ist eben kein Expertengremium, das hinter verschlossenen Türen tagt, wie es von Kollegen der Linken, der Grünen, aber auch der SPD in letzter Zeit gelegentlich formuliert wurde. ({1}) Der Ethikrat kann trotzdem die qualifizierte parlamentarische Debatte nicht ersetzen. Das sage ich sehr deutlich in Richtung meines verehrten Kollegen Röspel, der leider heute nicht hier sein kann. Ich wünsche ihm an dieser Stelle gute Besserung! ({2}) Mit dem Deutschen Ethikrat werden wir ein Instrument der modernen Politikberatung an die Hand bekommen, dessen wir uns aber verantwortungsvoll bedienen müssen. Im Ethikrat selbst ist unsere Mitarbeit als Parlamentarier - das ist unsere feste Überzeugung - wenig sinnvoll. Wir müssen uns nicht selbst Empfehlungen aussprechen. Wir müssen uns nicht selbst beraten; das hat die Ministerin eben richtig ausgeführt. Wir müssen vielmehr über die gegebenen Empfehlungen entscheiden. Genau an dieser Stelle setzt unser Vorschlag an, einen parlamentarischen Beirat für Bio- und Medizinethik einzurichten. Ein solcher Beirat aus Abgeordneten des Bundestages kann aus unserer Sicht die Ansprüche, die die Ministerin in ihren Ausführungen eben formuliert hat, sehr gut erfüllen sowie die bio- und medizinethische Debatte vorantreiben. Mit dem Ethikrat als Beratungsgremium und dem parlamentarischen Beirat haben wir eine klare Trennung zwischen Politikberatung und demokratischem Zustandekommen von wichtigen und grundsätzlichen Entscheidungen. Herr Kollege Tauss, ich glaube, dafür muss der Gesetzentwurf nicht geändert werden. Wir müssen hier vielmehr entscheiden, wie wir den Beirat konstituieren und mit welchen Befugnissen wir ihn ausstatten. Auch Sie, Herr Tauss, hielten in den letzten Tagen einen solchen Beirat für durchaus denkbar. ({3}) - Wir sollten an dieser Stelle nicht über das Urheberrecht streiten. Hier geht es um die Sache. Da wir uns, wie gesagt, nicht selbst beraten müssen, ist aus unserer Sicht die Mitarbeit von Abgeordneten im Ethikrat nicht notwendig. Herr Tauss, machen Sie doch bitte Ihren Einfluss in den Koalitionsfraktionen geltend und überzeugen Sie die Kolleginnen und Kollegen von der Richtigkeit unseres Vorschlages, einen solchen parlamentarischen Beirat einzurichten. ({4}) Sie haben dann sicherlich auch Kolleginnen und Kollegen von der Union auf Ihrer Seite, die - wie Frau Aigner beispielsweise - zwar keinen Änderungsbedarf beim Gesetzentwurf sehen, sich aber einen parlamentarischen Beirat durchaus vorstellen können. Lassen Sie uns am Anfang dieser Debatte, die wir fraktionsübergreifend und im Konsens führen müssen, weil es um ethische Fragen geht, ein Zeichen setzen, dass es nicht um Regierung gegen Koalition geht, sondern darum, einen parteiübergreifenden Konsens zu finden. Ich lade Sie in diesem Sinne herzlich ein, einen interfraktionellen Antrag auf Einrichtung eines parlamentarischen Beirats zu erarbeiten. Herzlichen Dank. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Jörg Tauss für die SPD-Fraktion. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Präsident! Wir sind heute sozusagen mit Prominenz in Doppelfunktion besetzt. Ich freue mich, Herr Präsident, dass Sie das Wort in dieser Debatte ergreifen wollen. Lieber Herr Kollege Barth, recht herzlichen Dank für die freundlichen Grüße an die Adresse unseres Kollegen Röspel, der lieber hier wäre, als sich mit fürchterlichen Schmerzen im Kreuz zu plagen. Aber so ist es nun einmal. René Röspel muss man an dieser Stelle jedenfalls Dank sagen. Er hat zusammen mit der Enquete-Kommission, der er vorgesessen hat, hervorragende Arbeit geleistet. Ich glaube, die Arbeit dieser Enquete-Kommission hat den Deutschen Bundestag geehrt. Kollege Röspel hat wichtige Impulse gegeben. An dieser Stelle ist daher Dank für die Ethikkommissionen angemessen. ({0}) In ethischen Grundsatzfragen hat dieses Haus nicht nur große Erfahrung, sondern auch eine ausgesprochen hohe Diskussionskultur entwickelt. Ich erinnere an die Debatten in der jüngeren Vergangenheit, beispielsweise über Fragen der Patientenverfügung, den Hirntod, die Organspende oder die Forschung an embryonalen Stammzellen. Wenn ich mein bisheriges parlamentarisches Leben Revue passieren lasse - das sind immerhin zwölf Jahre -, dann muss ich sagen, dass es Sternstunden des Parlamentarismus waren, wie wir hierüber diskutiert haben und gemeinsam um Lösungen gerungen haben und zu Lösungen - zum Teil fraktionsübergreifend - gekommen sind. Wir hatten eine sehr diskursive Auseinandersetzung im Sinne des Streits um das beste Argument. Aber um solche Fragen geht es heute nicht. Ich habe mich gewundert, dass es im Vorfeld die eine oder andere Aufregung, ausgelöst durch bestimmte Tickermeldungen, gab. Die Bundesregierung hat heute - die Ministerin hat es bereits angesprochen - einen Gesetzentwurf eingebracht, in dem uns, dem Parlament, ein Vorschlag gemacht wird, wie künftig eine sach- und fachkundige Beratung von Regierung, Parlament und Gesellschaft in ethisch sensiblen Fragen insgesamt organisiert werden kann. Über die Form und über das Verfahren dieser Beratung - Herr Präsident und Frau Präsidentin, ich glaube, da sollten wir uns alle einig sein - entscheiden selbstverständlich wir hier im Bundestag. Das ist normaler parlamentarischer Brauch und auch nicht ungewöhnlich. ({1}) Dass ein solches Beratungsgremium wichtige Denkanstöße geben kann, hat der Nationale Ethikrat - hier danke ich den bisherigen Vorsitzenden; ich nenne ausdrücklich Herrn Simitis und Frau Weber-Hassemer - eindrucksvoll gezeigt. Zuletzt hatten wir im Juli 2006 die Veröffentlichung „Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende“, davor die Publikation „Prädiktive Gesundheitsinformationen bei Einstellungsuntersuchungen“, weitere Themen waren unter anderem die Genomuntersuchungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die Patientenverfügung, das Klonen oder die Biobanken. Aus diesem Grunde halte ich es für richtig, dass wir uns über eine sinnvolle Weiterentwicklung auf dem Hintergrund der Erfahrungen, die wir sowohl mit EnqueteKommissionen hier im Deutschen Bundestag als auch mit der Arbeit des Nationalen Ethikrates, wie er damals unter Bundeskanzler Schröder eingerichtet worden war, unterhalten. Das Verfahren ist damals von der Opposition - nicht in allen Punkten zu Unrecht - kritisiert worden. Auch wir hatten unter uns Diskussionen darüber, wo die Kommission angesiedelt sein sollte, ob beim Parlament oder anderswo. Damals aber hat sich die Bundesregierung so entschieden. Es soll uns Beratung zuteil werden und es geht darum, die Beratung von Bundesregierung und Bundestag zu höchst sensiblen ethischen Fragen zu gewährleisten. Dabei soll einerseits größtmögliche Interdisziplinarität, also die Zusammenarbeit vieler verschiedener Fachrichtungen in diesem Gremium, andererseits aber auch die hinreichende und angemessene Repräsentanz einer pluralistischen Gesellschaft sichergestellt werden. Ich will es überspitzt sagen: Ethische Fragen können wir nicht allein mit Kirchen diskutieren, aber ich kann mir in keinem Falle einen Ethikrat ohne Kirchen vorstellen. Das ist Teil des Pluralismus, von dem ich rede. ({2}) Die qualifikatorische Breite des Ethikrats muss sichergestellt werden. Der Bundestag hat zusammen mit der Regierung die wichtige Aufgabe, an der Zusammensetzung des Gremiums mitzuwirken. Wir wollen keine frei schwebende Plattform für akademische Diskurse. Dies war in der Vergangenheit nicht so und wird sicherlich auch künftig nicht so sein. In den letzten Tagen und Wochen haben wir viele Briefe in unsere Abgeordnetenbüros bekommen. Wir werden oft genug kritisiert, manchmal zu Recht, aber nicht immer. Auch ein Parlament darf kritisiert werden und unter öffentlichem Beschuss stehen, aber manche Kritik hat der Bundestag nicht verdient - hier aber keine Kritik, sondern der Ausdruck hohen Vertrauens in die ethische Kompetenz des Bundestages. Die EnqueteKommissionen hatten ein großes Verdienst daran, dass die Gesellschaft dieses hohe Vertrauen heute hat. In zahlreichen Briefen - von Behindertenverbänden bis hin zu kirchlichen Kreisen - wurde der Wunsch geäußert, dass sich der Bundestag beteiligen soll. Das ist etwas, was durchaus zur Anerkennung dieses Parlamentes beiträgt. Für dieses Vertrauen sollten wir uns an dieser Stelle recht herzlich bedanken. ({3}) Wir werden jetzt zu prüfen haben, ob die parlamentarische Beteiligung, die wir gerne wollen, im Gesetzentwurf bereits hinreichend berücksichtigt ist. Wir meinen, nein. Da gibt es Dissens; im Zusammenhang mit der Vorbereitung eines Gruppenantrags haben wir eine Diskussion darüber gehabt, ob eine direkte Mitgliedschaft von Abgeordneten infrage käme. Nachdem nach Diskussionen zu erkennen war, dass die Kolleginnen und Kollegen der Union nicht mitmachen - das ist keine Schuldzuweisung, sondern einfach ein Punkt, den man konstatieren muss -, hat meine Fraktion - das sage ich auch für René Röspel - die Auffassung vertreten, dass es keinen Sinn macht, über eine solche Frage zu diskutieren, wenn die größte Fraktion nicht zustimmt. Sie ist zwar nur vier Abgeordnete größer als unsere Fraktion, aber sie ist es; am liebsten wäre es mir natürlich, wir wären die größte Fraktion. Wir sehen in der Tat einige Probleme. Wie sieht es mit einem Rat aus, der mit Parlamentariern durchsetzt ist? Es spricht vieles dafür. Aber es stellt sich auch die Frage: In welchem Verhältnis stünde eine solche Mehrheitsentscheidung im Ethikrat beispielsweise zum Abstimmungsverhalten im Parlament? Das ist eine wichtige Frage, die entstünde: Wäre der Parlamentarier nicht mehr Gleicher unter Gleichen in diesem Ethikrat, hat er doch im Parlament die Letztentscheidungskompetenz? Es gibt eine Reihe von Diskussionen, die wir, lieber Kollege Winkler, unaufgeregt führen sollten. Es gibt Gründe, die dafür sprechen, und solche, die dagegen sprechen. Ich glaube, dass der Ethikrat einen Legitimitätstransfer durch MdB-Beteiligung eigentlich nicht nötig hätte; er wird anders als der Bundestag auch nicht allgemein verbindlich entscheiden. In Europa wird das nicht anders gehandhabt, aber wir werden sehen. Frau Präsidentin, erlauben Sie mir noch eine kurze Anmerkung zum Schluss. Wir gehen davon aus, dass der Ethikrat eine hohe ethische Kompetenz haben sollte. Es geht bei seiner Legitimität nicht um Entscheidungen allein. Die besondere Legitimität, von der wir im Hinblick auf Abgeordnete reden, ist aber eine demokratische, zu entscheiden. Und dieses muss der Ethikrat gerade nicht leisten. Es geht nicht um mehr oder weniger Unabhängigkeit, sondern um ein angemessenes Rollenverständnis sowohl für die Mitglieder eines wichtigen Beratungsgremiums als auch für die Mitglieder eines gesetzgebenden Verfassungsorgans. Es kommt darauf an, wie es letztlich gemacht wird. Diese Entscheidung trifft das Parlament. Die Anregung der FDP für ein gemeinsames Vorgehen finde ich interessant. Bei der Stammzellenforschung mussten wir das leider ohne die FDP machen, aber in ethischen Fragen haben wir uns sonst immer gefunden. Lassen Sie uns darüber diskutieren! Dies ist nicht gegen jemanden gerichtet. Es ist vielmehr das Bemühen, zu einer verantwortungsvollen Gestaltung der ethischen Debatten und der Beratungen des Parlaments und der Bundesregierung zu kommen. Herzlichen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat Frau Kollegin Petra Sitte von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einer Vorbemerkung beginnen: Ich habe über viele Jahre in Sachsen-Anhalt Wissenschaftspolitik mitgestaltet. Mein Ziel bestand dabei darin, Forscherinnen und Forschern, Lehrenden, Studierenden und anderen in diesem Bereich Beschäftigten möglichst optimale Bedingungen zu schaffen. Das hieß, um Prioritäten bei politischen Entscheidungen zu kämpfen. Das hieß auch, Perspektiven der Adressaten zu übernehmen. Das hieß aber vor allem, sich mit Inhalten von Forschung und Lehre auseinander zu setzen. Um verantwortungsbewusst langfristige Perspektiven zu konzipieren, ist es nach meinem Verständnis unabdingbar, sich mit Inhalten einzelner Wissenschaftsund Forschungsdisziplinen vertraut zu machen. Sich beraten und vor allem beraten zu lassen, ist für mich daher Voraussetzung, um in diesem Bereich Kompetenzen zu entwickeln. Erst diese Kenntnisse geben mir die Möglichkeit, Alternativen, mit denen vergleichbare Ergebnisse erzielt werden könnten, seriös zu bewerten und zu entscheiden, ob nicht die neuen Möglichkeiten genutzt werden sollten. Das ist auch der Ansatz, mit dem ich Forschungs- und Technologiepolitik betreibe. Vor diesem Hintergrund ist so manche Argumentation im Zusammenhang mit dem Ethikrat und/oder dem Ethikkomitee nur schwer nachvollziehbar. Ich kann mich nämlich nicht des Eindrucks erwehren, dass bereits mit dieser Strukturdebatte mehr oder weniger verdeckt auch eine inhaltliche Debatte stattfinden würde. Diese Gremien sollen uns aber vor allem beraten. Ausschussarbeit und Entscheidungen durch den Bundestag selbst sind durch sie nicht zu ersetzen. Bioethische Fragen sind höchst sensibel, komplex und berühren unser Leben tief. ({0}) - Genau! Es haben sich neue Entwicklungen vollzogen und es sind Ergebnisse neu zu bewerten. Manche Entscheidungen müssen erst noch getroffen werden, andere - bereits getroffene - müssen vielleicht geändert werden. Deshalb müssen wir uns mit dem aktuellen Stand vertraut machen. In jeder Legislaturperiode kommen Abgeordnete des Bundestags erstmals ins Parlament - ich zum Beispiel - und diese müssen sich teils völlig neue Kompetenzen in bioethischen Fragen erarbeiten. Jeder und jede muss dafür eine reale Chance bekommen. Deshalb brauchen wir deutlich mehr Beratung. Natürlich weiß ich, dass es auch Abgeordnete gibt, die sich mit bioethischen Problemen seit Jahren engagiert auseinander setzen. Sie haben zum Teil in EnqueteKommissionen und an gesetzlichen Entscheidungen mitgewirkt. Sie haben bereits in vielen Fragen Grundpositionen erarbeitet, die sie einbringen wollen und einbringen sollen. Wenn ich auf die Ethikkommission des Bundestages zurückschaue, dann erkenne ich, dass die Einsetzung des Nationalen Ethikrates durch Kanzler Schröder schon ein Versuch war, Einfluss auf Inhalte zu nehmen; jedenfalls habe ich das so wahrgenommen. Tatsächlich haben dann Enquete-Kommission und Nationaler Ethikrat aufeinander reagiert. Das war nicht immer spannungsfrei, klar. Aber keine der beiden Strukturen war für die eine oder die andere Grundposition letztlich zu instrumentalisieren. Beide Strukturen haben sich, wenngleich auf unterschiedliche Art und Weise, der Öffentlichkeit gestellt. Ich will Ihnen sagen, dass für mich noch nicht feststeht, wie die Struktur am Ende auszusehen hat. Ich kann mit Ethikrat und mit Ethikkomitee leben, auch wenn sie zeitgleich nebeneinander arbeiten. Ich glaube, dass die Entscheidungsfindung nicht einfacher wird, wenn zwei Institutionen beraten. ({1}) Ob für die interessierte Öffentlichkeit mehr Verständlichkeit und Transparenz dabei herauskommen, ist nicht sicher. Ich wünschte mir, uns gelänge ein Kompromiss, in dessen Folge wir zur Bildung von nur einer Struktur kommen. In anderen europäischen Ländern - das hat vorhin schon eine Rolle gespielt - ist das auf teils vorbildliche und auch auf gesellschaftlich akzeptierte Weise geschehen. Diskussionsbedarf sehe ich auch weiterhin im Hinblick auf den Modus der Besetzung: Erstens in Bezug auf die Fraktionen. Da es - außer bei der FDP - keine geschlossenen Fraktionsmeinungen gab und gibt, sollte nicht der Fraktionsproporz entscheiden. Wir sollten überlegen, wie es uns gelingen kann, dafür zu sorgen, dass auch kleinere Fraktionen ihr differenziertes Meinungsbild einbringen können. Wir haben ein solch differenziertes Meinungsbild. Zweitens ist mir unklar, warum in dem Gesetzentwurf zum Ethikrat hälftig Bundestag und Bundesregierung Besetzungsvorschläge einbringen sollen, wenn es doch letztlich darum geht, unabhängige Persönlichkeiten zu berufen. Kann man bei uns im Bundestag nicht beispielsweise auf die Poolbildung bei Expertenanhörungen zurückgreifen? Drittens ist die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines Ethikkomitees, das über eine Wahlperiode hinaus bestehen soll, zu klären. Wir binden damit immerhin auch künftige Abgeordnetengenerationen. Sollte es letztlich zur Bildung von nur einer Institution kommen, dann hätte für mich auch der Vorschlag von Vizepräsident Thierse, Abgeordneten durch beratende Stimme oder über einen parlamentarischen Beirat direkten Zugang zu den Sitzungen des Ethikrates zu ermöglichen, durchaus einen gewissen Charme. Wie kommentierte doch unlängst die „Ärzte-Zeitung“ angenehm respektlos: Wenn Parlamentarier wirklich wissen, worüber sie abstimmen, erhöht dies dramatisch die Chance für handwerklich saubere Gesetze. Danke schön. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Reinhard Loske für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über die Zukunft der bioethischen und biopolitischen Beratung in Deutschland. Wenn man das tut, dann ist es angezeigt und vernünftig, einen kurzen Blick zurückzuwerfen: Wie war es bisher? War es gut oder schlecht? Gibt es Änderungsbedarf? In den beiden hinter uns liegenden Legislaturperioden war es so, dass wir als Deutscher Bundestag jeweils eine Enquete-Kommission hatten, die zur Hälfte aus Sachverständigen und zur Hälfte aus Abgeordneten bestand. Diese beiden Enquete-Kommissionen haben sehr gut gearbeitet. Sie haben schwierige Entscheidungen zur embryonalen Stammzellenforschung, zum Forschungsklonen, zur Biopatentierung und zur Gendiagnostik vorbereitet. Weil diese Debatten so gut vorbereitet waren, gelten sie gemeinhin als sehr gut, ({0}) was sich unter anderem darin widerspiegelte, dass fast alle Entscheidungen über Fraktionsgrenzen hinweg getroffen wurden. Ich möchte von dieser Stelle den beiden Vorsitzenden, Margot von Renesse und René Röspel, und natürlich allen Mitgliedern dieser Kommission dafür danken, dass sie uns so sehr dabei geholfen haben, diese guten Entscheidungen zu treffen. Danke schön! ({1}) Die Regierung hat sich 2001 entschieden, ein eigenes Ethikgremium einzurichten: den Nationalen Ethikrat. Es ist bekannt, dass wir diesem Ethikrat immer mit Skepsis begegnet sind, natürlich nicht was die Integrität seiner Mitglieder betrifft. Im Gegenteil: Wir haben als Fraktion sowohl mit Herrn Simitis als auch mit Frau WeberHassemer einen intensiven Austausch gepflegt. Beide waren bei uns in der Fraktion zu Gast. Wir haben im Ethikrat auch unsere inhaltlichen Positionen durchaus vertreten gesehen, jedenfalls zum Teil, etwa durch Regine Kollek oder Hans-Jochen Vogel. Aber dennoch hatten und haben wir eine kritische Haltung zum Nationalen Ethikrat, im Wesentlichen aus drei Gründen: Der erste Grund ist die Sprache. Wir hielten es für vermessen, ein Ethikgremium der Regierung als „Nationalen“ Ethikrat zu bezeichnen. Da erhebt die Regierung einen Monopolanspruch, der ihr nicht zusteht. ({2}) Der zweite Grund. Die Verzahnung mit der Politik fehlte ebenso wie die demokratische Legitimation durch den Deutschen Bundestag. Das Konzept des Rates basiert nach unserer Einschätzung auf einem falschen Dualismus: hier die kundige Zunft der professionellen Ethiker, da die Rat suchende Politik, die Voten entgegennimmt und verarbeitet. ({3}) Dieser Dualismus ist falsch. Gerade in bioethischen Fragen trägt in unserer Gesellschaft auf Dauer nur das, was diskursiv, also im Dialog zwischen allen Beteiligten, erarbeitet worden ist und dann auch von allen getragen wird. Der dritte Grund - das will ich hier ganz offen gestehen; das habe ich immer gesagt; deswegen kann ich es auch hier sagen - ist natürlich die Skepsis gegenüber dem, was der damalige Bundeskanzler Schröder geäußert hat. Es fiel damals das Wort von den Scheuklappen, die der Bundestag in Sachen Gentechnik endlich abzulegen habe. So krankte der Nationale Ethikrat von Anfang an daran, obwohl die Mitglieder gar nichts dafür konnten, dass ihm große Skepsis entgegengebracht wurde, weil man vermutete, hier solle versucht werden, eine „liberalere“ Gentechnikforschung durchzusetzen, dafür Akzeptanz zu schaffen und die Enquete-Kommission zurückzudrängen. Das waren unsere drei Gründe dafür, dass wir gegenüber dem Nationalen Ethikrat skeptisch waren. Wir haben diese Politik kritisiert, aber verglichen damit, wie scharf Sie herangegangen sind, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, war das regelrecht moderat. Bei Ihnen wurde häufig so getan - das ließe sich anhand vieler Presseerklärungen nachweisen -, als sei der Ethikrat ein Gremium von Schröders Gnaden, das willfährig alles aufschreibe, was der Kanzler begehre. ({4}) Dazu muss man ganz klar sagen: Das war unfair. Das Gremium hat durchaus gut gearbeitet. In einem freilich hatte die Union Recht - das haben wir ganz genauso gesehen -: Es fehlte die demokratische Legitimation. Dazu will ich zwei Zitate bringen. Als das Gremium eingerichtet wurde, hat der Vorsitzende der Unionsfraktion, Friedrich Merz, in der Debatte gesagt: Dieses Gremium … ist eine Zumutung für den Deutschen Bundestag … Ich beobachte insbesondere bei diesem Thema mit großer Sorge eine voranschreitende Entparlamentarisierung der Politik in Deutschland. Die jetzige Kanzlerin, Frau Merkel, hat noch im Juli 2005 gesagt: Wir sollten Entscheidungen aber wieder mehr im Bundestag beraten und treffen und weniger in Kommissionen … Die Kommissionitis von RotGrün hat uns nicht weiter gebracht. Ein Beispiel: Der Nationale Ethikrat … Aber Entscheidungen über Fragen der Bioethik und der modernen Medizin gehören ins Parlament und müssen dort auch vorbereitet werden. ({5}) Das heißt, bei der Union lautete die Parole bis zur Bundestagswahl - ich vereinfache etwas -: EnqueteKommission gut, Nationaler Ethikrat schlecht. Kaum sind Sie von der Union an der Regierung, wird die Enquete-Kommission rasiert und der Nationale Ethikrat fortgeschrieben. ({6}) Das verstehe, wer will. Es ist jedenfalls nicht glaubwürdig, es ist völlig unglaubwürdig. Jetzt zum Entwurf von Frau Schavan für den deutschen Ethikrat. Zunächst einmal möchte ich etwas zur Stilfrage sagen. Sie als Bundesregierung wollen jetzt dem Parlament vorschreiben, wie es sich in Zukunft in Sachen Bioethik beraten lassen soll. Das steht Ihnen aber gar nicht zu, weil wir das selbst entscheiden. ({7}) Das Mindeste wäre gewesen, dass Sie in dieser Sache einmal das Gespräch mit der Opposition gesucht hätten. Aber nichts davon! Wir erfahren die Sache aus der Zeitung. Das ist einfach schlechter Stil. Ich bin auch darauf gespannt, ob sich die SPD-Fraktion, der es ja ähnlich gegangen sein soll, das - wenn ich einmal so sagen darf gefallen lässt. ({8}) Dann zur Frage der Öffentlichkeit. Der Rat soll in Zukunft im Regelfall hinter verschlossenen Türen tagen. Das ist ein deutlicher Rückschritt gegenüber dem bisherigen Standard des Ethikrats. ({9}) Wie da eine gesellschaftliche Debatte angestoßen werden soll, ist mir völlig schleierhaft. Das ist ein Thema, das dringend Transparenz braucht. Bei einem solchen Thema ist es wirklich nicht angemessen, die Tür zuzumachen und nur die Experten unter sich zu lassen. Das lehnen wir ab. Zur Zusammensetzung des Gremiums. Sie sagen, dass Sie dem Gremium eine demokratische Legitimation verschaffen und es beim Bundestag ansiedeln wollen. Das war praktisch das Hauptargument, das Sie hier vorgetragen haben. Faktisch tun Sie aber etwas ganz anderes. Sie sichern sich praktisch eine doppelte Mehrheit. ({10}) Die Hälfte der 24 Mitglieder soll von der Regierung, die andere Hälfte vom Parlament benannt werden. Faktisch würde das unter den gegebenen Bedingungen bedeuten, dass die große Koalition 21 von 24 Sachverständigen, also fast 90 Prozent, benennen würde. Das ist eine krasse Verletzung von Oppositionsrechten und zeugt auch von einem Mangel an Respekt vor dem Souverän. ({11}) Jetzt zum Punkt der Einbindung der Abgeordneten. Wir schlagen in unserem Antrag, der Ihnen heute auch vorliegt, vor, dauerhaft ein Ethikkomitee des Deutschen Bundestages einzurichten, das zur Hälfte aus Sachverständigen und zur anderen Hälfte aus Abgeordneten besteht. Die Mehrheit der Linksfraktion - daran zweifele ich allerdings nach der eben gehaltenen Rede ({12}) und große Teile der SPD-Fraktion sehen das genauso. Ich weiß auch, dass das viele Kolleginnen und Kollegen aus der Union - jetzt bitte nicht klatschen - genauso sehen. Sie, Frau Ministerin, sagen dagegen, Abgeordnete und die Politik insgesamt hätten im Ethikrat nichts zu suchen, schließlich sollten ja gerade diese beraten werden. Der geschätzte Kollege Röttgen, der leider derzeit nicht da ist - ich wollte ihn direkt ansprechen -, gefällt sich darin, ironisch festzustellen, es wäre doch wohl ein schlechter Witz, wenn Abgeordnete Abgeordnete beraten. Dazu kann ich nur sagen: Ha, ha! Wenn man dieser seiner Logik folgt, könnten wir ab sofort sämtliche Enquete-Kommissionen und im Prinzip auch die Ausschussarbeit abschaffen. ({13}) Natürlich bin ich froh, wenn mich sachkundige Leute zum Beispiel über haushaltspolitische Fragen, von denen ich selber nicht viel verstehe, informieren. Von vielen Abgeordnetenkollegen fühle ich mich gut beraten. Es bringt, wie ich finde, auch überhaupt nichts, sich selber nach dem Motto kleinzureden: Wenn Abgeordnete Abgeordnete beraten, dann kann dabei nichts Vernünftiges herauskommen. Wenn man sich selber so schlecht macht, beeindruckt das niemanden, ganz im Gegenteil: Das führt nur zu weiterer Politikverdrossenheit. ({14}) Jetzt kommt noch etwas ganz Besonderes; ich habe nämlich ein wenig recherchiert. Wie wenig glaubwürdig Ihre Argumente, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, sind, sieht man besonders gut daran, wenn man sich einmal die Mitgliedschaften in den verschiedenen Räten anschaut. Damals, als Sie die Regierungsverantwortung übernahmen, haben Sie gesagt, die ganze Kommissionitis von Rot-Grün müsse verschwinden und das müsse alles ganz anders gemacht werden. Was passiert jetzt? Es wird ein Rat nach dem anderen gebildet: der Ethikrat, der Forschungsrat, der Innovationsrat. Den Innovationsrat habe ich mir einmal ganz genau angeschaut. Wer sitzt da einträchtig neben den üblichen Verdächtigen dieser Welt, wie den Heinrich von Pierers, die überall dabei sind? Raten Sie einmal, wer da sitzt! Die Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel und die Bundesministerin Frau Dr. Schavan. Frau Schavan berät Frau Schavan und Frau Merkel berät Frau Merkel. Daran sieht man doch, dass Ihre ganze Argumentation in sich zusammenfällt wie ein Kartenhaus. ({15}) Solch ein Gerede ist wirklich nicht glaubwürdig. Beim Ethikrat versuchen Sie mit hoher Tonlage es so zu drehen, während Sie es beim Innovationsrat ganz anders machen. Sie machen es, wie es Ihnen gerade passt. Das merken die Leute aber. Wir brauchen also - das ist die Position von uns Grünen - ein Ethikkomitee des Bundestages, in dem sowohl Abgeordnete als auch Sachverständige zusammenarbeiten. Wir brauchen dies erstens, weil die bioethische Debatte zerfranst, wenn sie mal im Gesundheitsausschuss, mal im Forschungsausschuss und mal im Rechtsausschuss beraten wird. Wir brauchen also einen zentralen Ort für diese Debatte. Zweitens brauchen wir dies auch, weil es nicht in erster Linie darum geht - das sage ich als jemand, der selber viel Zeit in der Wissenschaft verbracht hat -, von irgendwelchen Profis dicke Berichte entgegenzunehmen, sondern vor allem darum, tragfähige gesellschaftliche Konsense in Fragen der Bioethik zu erarbeiten. Wir sind für Beratung, aber gegen Outsourcing. Das möchte ich ganz klar sagen. ({16}) Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, liebe Frau Schavan, dieser Gesetzentwurf kann so nicht bleiben. Sorgen wir für mehr Öffentlichkeit, sorgen wir für eine angemessene Beteiligung des Parlaments und sorgen wir gemeinsam dafür, dass bioethische Fragen nicht wieder zurückgepresst werden in einen falsch verstandenen Fraktionszwang. Danke schön. ({17})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich erteile nun dem Präsidenten des Hauses, unserem Kollegen Dr. Norbert Lammert, das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Grundlage des Gesetzentwurfs der Bundesregierung wie aller Anträge der Fraktionen, die der heutigen Debatte zugrunde liegen, ist nach meinem Eindruck die offenkundig gemeinsame Überzeugung, dass die Berücksichtigung ethischer Ansprüche und Anforderungen überragende Bedeutung beim Herbeiführen politischer Entscheidungen und ganz gewiss gesetzlicher Regelungen hat. Deswegen gehört bei der Sortierung dessen, was uns eint und was uns vielleicht trennt, an den Beginn dieser ganz wichtige große Konsens: Wir sind uns alle darin einig, dass dies ein überragendes Kriterium unserer Arbeit ist. Im Vergleich zu dieser Grundsatzposition ist die zweifellos wichtige Frage, wie man diese notwendige Berücksichtigung organisiert, nun ganz gewiss keine Frage des Prinzips, sondern eine Frage der Zweckmäßigkeit. Sie ist deswegen nicht unwichtig; aber wir sollten sie nicht auf die Höhe eines Prinzipienstreites rücken, sondern uns - wie das auch von mehreren Rednern in dieser Debatte ausdrücklich angeregt worden ist - gemeinsam darum bemühen, hier möglichst eine gemeinsame Regelung zu finden. ({0}) Nun gibt es, wie wiederum die vorliegenden Texte deutlich machen, dazu unterschiedliche Vorstellungen. Das finde ich nicht weiter Besorgnis erregend. ({1}) Es wäre fast ein bisschen merkwürdig, wenn es, jedenfalls am Beginn einer solchen Debatte, anders wäre. Nach dem bisherigen Verlauf der Debatte schließe ich keineswegs aus, dass es gelingen kann, eine gemeinsame Regelung herbeizuführen. ({2}) Dass ich mich an dieser Debatte beteilige, hat diese zwei Gründe: Erstens halte ich den Gesetzentwurf der Bundesregierung für eine sehr geeignete Grundlage, diese Klärung herbeizuführen, und zweitens möchte ich ausdrücklich um den Konsens werben, den ich mir selber am Ende eines Beratungsprozesses dringend wünsche. Denn wenn wir uns hoffentlich darüber einig sind, dass wir hier nicht nur über eine prinzipielle, sondern über eine wichtige organisatorisch-technische Frage reden, dann sollte es möglich sein, dazu eine Übereinkunft herbeizuführen, ({3}) zumal offenkundig - Herr Kollege Loske, mich hat Ihr Beitrag nicht nur wegen der temperamentvollen Darbietung sehr beeindruckt - eine relativ breite Übereinstimmung über die Defizite der ersten Konstruktion, des Nationalen Ethikrates, besteht. Auch bei kritischen Anmerkungen zum Gesetzentwurf, die ich nachvollziehen kann, muss eine faire Würdigung doch einräumen, dass es drei ganz wesentliche Fortschritte gegenüber dem Status quo ante gibt: Erstens wird Politikberatung hier nun nicht auf Regierungsberatung reduziert. Es wird sorgfältig, zu Recht und unverzichtbar der Eindruck vermieden, das Parlament sei einer Beratung in ethischen Fragen nicht bedürftig oder eine solche Beratung finde exklusiv für die Bundesregierung statt. Das ist ein ganz wichtiger Fortschritt. ({4}) Zweitens wird eine völlig unnötige und im Ergebnis wohl auch kontraproduktive Konkurrenz zwischen Regierung und Parlament vermieden und jedenfalls der ernsthafte Versuch unternommen, in geeigneter Weise eine Zusammenführung und Bündelung zu erreichen. ({5}) Drittens. Herr Kollege Loske, da fühle ich mich Ihnen ganz nah. Sie haben vorhin eine etwas flapsige Bemerkung zum früheren Bundeskanzler gemacht, die ich mir in dieser Formulierung ausdrücklich nicht zu Eigen mache. ({6}) - Der Kollege Tauss offenkundig auch nicht. ({7}) Aber Sie haben einen in der Sache unstreitig wichtigen Punkt angesprochen. Der damalige Bundeskanzler hat zur Erläuterung der Aufgaben des damaligen Nationalen Ethikrates ausdrücklich ausgeführt: Wir dürfen uns in der Bio- und Gentechnik nicht vom Fortschritt in der internationalen Forschung abkoppeln. Das ist im Übrigen, wiederum für sich betrachtet, ein zweifellos nicht nur legitimes, sondern wichtiges Ziel, aber es kann ganz sicher nicht die erschöpfende Aufgabe eines Ethikrates sein. ({8}) Denn wir wollen uns doch gerade in die Lage versetzen, sicherzustellen, dass wir nicht der Eigendynamik der Wissenschaft zum Opfer fallen und dass die Logik des Fortschritts sich jedenfalls nicht alleine nach den Gesetzmäßigkeiten von Wissenschaft oder von Märkten vollzieht. ({9}) Unter diesem Gesichtspunkt haben wir - ich bedanke mich ausdrücklich für die deutliche Zustimmung - offenkundig einen Fortschritt in unserer bisherigen Debatte. Es ist eine wesentliche Grundlage für die künftige Organisation unserer Arbeit, wenn alle drei Punkte sichergestellt werden. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Dr. Lammert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ilja Seifert?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Natürlich.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

- oder mit „Herr Kollege“? ({0}) Lieber Herr Kollege Lammert, da Exekutive und Legislative unterschiedliche Aufgaben haben und es damit für beide einen unterschiedlichen Beratungsbedarf gibt, steht das, was Sie gerade im Zusammenhang mit dem zweiten Punkt als großen Fortschritt bezeichnet haben, vielleicht doch etwas auf wackligen Füßen. Nebenbei bemerkt: Wenn wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier unsere eigene Position vertreten sollen, dann brauchen wir vielleicht doch andere Beratungsmechanismen als die Regierung, die in einer ganz anderen Situation ist. Stimmen Sie mit mir darin überein?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Seifert, ich akzeptiere ausdrücklich, dass das ein wichtiger Punkt ist, den man bedenken muss, wenn man sich um die zweckmäßige Organisation einer solchen Beratung bemüht. Ich komme für mich zu der Schlussfolgerung, dass die Risiken, dass es möglicherweise zu einer Verdoppelung der Beratung kommt, höher sind als die erhofften Vorzüge. Denn nach meinem und offenkundig auch nach breitem Verständnis im Hause soll ein solches Gremium bzw. sollen zwei solcher Gremien nicht operative Vorschläge machen, sondern sie sollen uns, der Regierung wie dem Parlament, helfen, in diesen ungewöhnlich komplexen Materien ein bisschen sicherer in der eigenen und am Ende unverzichtbaren individuellen Urteilsbildung zu werden. Ich glaube nicht, dass dieser Prozess dadurch erleichtert würde, dass wir auf der einen Seite ein Beratungsgremium für die Regierung und auf der anderen Seite ein zweites Beratungsgremium für das Parlament haben. ({0}) Ein weiterer ernst zu nehmender Punkt ist der Hinweis auf die vorgesehene Trennung zwischen Beratung und Entscheidung, also den Verzicht auf die Beteiligung von Parlamentariern an diesem Gremium. Ich räume ausdrücklich ein, dass es eine Reihe von beachtlichen Argumenten gibt, die für eine solche Verbindung sprechen. Aber ich finde, man muss genauso nüchtern einräumen, dass es auch beachtliche Argumente gibt, die dagegen sprechen. Niemand sollte vernünftigerweise den Anspruch erheben, nur der eine bzw. der andere Weg sei richtig. ({1}) Ich persönlich spreche mich für die im Gesetzentwurf vorgesehene Lösung aus - ich spreche ausdrücklich nicht für die Bundesregierung; ich rede als Mitglied dieses Hauses -, weil ich davon überzeugt bin, dass auch an dieser Stelle die Vorzüge einer Trennung, soweit die Trennung überhaupt möglich ist, größer sind als die erhofften Vorzüge bei der anderen Lösung. Ich will zwei praktische Gründe und einen prinzipiellen Grund dafür nennen. Der erste praktische Grund ist: Würden wir dem Vorschlag folgen, ein auf Dauer eingesetztes Gremium aus berufenen externen Beratern und Parlamentariern mit dieser Aufgabe zu betrauen, würden wir zum ersten Mal in der Geschichte des Deutschen Bundestages eine Enquete-Kommission auf Dauer einsetzen. Ich will darauf aufmerksam machen: Das hat der Deutsche Bundestag bisher immer sorgfältig vermieden. ({2}) Ich denke, das ist aus guten Gründen der Fall gewesen. Wenn wir von dieser bisherigen Tradition abweichen wollten, dann müssten wir schon bessere Gründe haben als die, die genannt wurden und deren Stichhaltigkeit ich eigentlich nicht sehe. Der zweite praktische Grund ist: Wenn eine solche Beratungsstruktur, die wir aufbauen wollen, nicht so eng, sondern so breit wie möglich angelegt werden soll, dann müssen wir die Möglichkeit aufrechterhalten, mit dem Instrument der Enquete-Kommission zu begrenzten Fragestellungen in den dafür vorgesehenen bewährten Strukturen der Verbindung von externem Sachverstand und beteiligten Kollegen Entscheidungsgrundlagen vorzubereiten. Ich habe die ernsthafte Besorgnis: Würde man jetzt - durchaus mit sehr ehrenwerten Motiven - in dem Ethikrat Parlamentarier und Sachverständige zusammenführen, dann würde das Instrument der EnqueteKommission im Endergebnis für solche Zwecke verbraucht werden. Ich denke, daran können wir kein Interesse haben. ({3}) Ich komme nun zu dem prinzipiellen Punkt. Wir können alle miteinander kein Interesse daran haben, dass der Eindruck entsteht, es gebe im Deutschen Bundestag eine kleine Anzahl von Ethikexperten, aber der große Rest sei bei ethischen Fragen entweder nicht interessiert oder indifferent. Im Übrigen wäre dies nicht nur ein verheerender, sondern auch ein falscher Eindruck, der insbesondere in dieser Kombination kaum akzeptabel wäre. ({4}) Nimmt man das alles zusammen, dann spricht schon manches für die Grundannahme des Konzeptes, die in dem Gesetzentwurf zum Ausdruck kommt. Das schließt keineswegs aus, dass man über manche der vorgesehenen Formulierungen und Festlegungen noch einmal gemeinsam nachdenkt. Dazu will ich gern drei Anregungen geben: Ich weiß nicht, ob es notwendig ist, und habe gewisse Zweifel, ob es klug ist, gleich in § 1 des Gesetzentwurfs, „Bildung des Ethikrates“, zu schreiben: „Es wird ein unabhängiger Sachverständigenrat zur Bewertung ethischer Fragestellungen in den Lebenswissenschaften gebildet.“ Ich halte das für eine unnötige Verengung, weil es hier nach meinem Verständnis weder allein um Wissenschaft noch im Kontext der Wissenschaften allein um Lebenswissenschaften geht, auch wenn wir alle miteinander darin übereinstimmen, dass hier in der vorhersehbaren Zukunft besonders spannende Fragen liegen. Ich glaube, dass das, was in § 2 des Gesetzentwurfes, „Aufgaben“, beschrieben wird, die Intention besser klar macht, als es mit dieser Verengung jedenfalls in der Überschrift angedeutet wird. Wir sollten uns gemeinsam noch einmal die Öffentlichkeitsregelung ansehen, wenngleich ich dazu sofort sagen will: Der Vorwurf der Geheimhaltung ist nicht fair. Das, was im Gesetzentwurf vorgesehen ist, ist ziemlich präzise die Regelung, die der Deutsche Bundestag für seine eigene Arbeit im Verhältnis von Ausschüssen zum Plenum für bewährt und unverzichtbar hält. Wenn wir das für angemessen für unsere eigene Arbeit halten und wenn wir uns gewiss gegen den Vorwurf der Geheimhaltung parlamentarischer Beratungen wehren würden, dann sollte man einen solchen Vorwurf aus Gründen der Redlichkeit für einen analogen Vorschlag nicht erheben. ({5}) - Na ja, Herr Kollege, ich glaube, das bedarf jetzt keines besonderen Kommentars. - Die jeweilige Struktur ist analog. Wir haben allerdings eine unterschiedliche Besetzung der Gremien. Ich wollte nur diese Anregung geben. ({6}) - Ja, aber das gilt doch für das Verhältnis, das wir untereinander für den abschließenden Entscheidungsprozess haben, in der gleichen Weise. Wir alle können nicht an all diesen Beratungen beteiligt sein. Gleichwohl erlaube ich mir die Anregung, noch einmal darüber nachzudenken, ob man nicht statt der offenkundig etwas missverständlichen Formulierung: „Die Beratungen … sind nicht öffentlich“ schlicht und ergreifend mit dem zweiten Satz beginnt, der dann heißt: „Der Deutsche Ethikrat kann öffentlich beraten oder die Ergebnisse nichtöffentlicher Beratungen veröffentlichen.“ Damit hätte man, so finde ich, den Verdacht besser vermieden, der im Verlauf der bisherigen Diskussion deutlich geworden ist. Schließlich nenne ich noch einen praktischen Aspekt, bei dem ich denke, dass wir uns auf diesen sofort verständigen können: Die Geschäftsstelle soll nach diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung beim Bundestag angesiedelt werden. Das macht auf das Schönste klar, dass auch die Bundesregierung einsieht, Herr Loske, dass die Verteilung der Zuständigkeiten mit Blick auf die zu treffenden Entscheidungen so ist, wie Sie sich und wir alle uns das vorstellen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Dr. Lammert, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, wenn ich noch diesen einen Satz sagen darf: Bei der Formulierung zur Einrichtung der Geschäftsstelle müssen wir allerdings sicherstellen, dass wir sie nicht in der Weise in die Organisation der Bundestagsverwaltung integrieren, dass wir am Ende für die Besetzung solcher Kommissionen mit Mitarbeitern - sowohl was die Berufung als auch was deren Verbleib angeht - die gesamte Palette des öffentlichen Dienstrechts unter besonderer Berücksichtigung der Mitwirkung des Personalrats zur selbst organisierten Folge haben. ({0}) Deshalb erlaube ich mir, den Kolleginnen und Kollegen des federführenden Ausschusses dazu den zweckdienlichen Hinweis zu geben, so zu formulieren, dass wir in die Lage versetzt werden, mit dieser Regelung den angestrebten Zweck möglichst wirkungsvoll zu erreichen. Bitte schön, Herr Kollege Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Lammert, würden Sie mir, da Sie gerade eine Analogie zu Bundestagsausschüssen hergestellt haben, darin zustimmen, dass die Mitglieder dieses Hohen Hauses in Bezug auf Bundestagsausschüsse zumindest immer das Recht haben - wenn auch ohne Melde-, Antrags- und Abstimmungsrecht -, einer Ausschusssitzung bei Interesse an dem Verhandlungsgegenstand beizuwohnen, und dass insofern, führt man diese Analogie weiter, immer dann, wenn es sich um ein Parlamentsberatungsgremium mit ausschussgleichem Charakter handelt, zumindest für die Mitglieder des Hohen Hauses jederzeit Öffentlichkeit hergestellt sein muss? ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Beck, der erste Teil Ihrer Frage ist natürlich rhetorisch. Wie sollte ich bestreiten, dass es so ist, wie Sie gerade referiert haben? Was den zweiten Teil, nämlich die Implikation, angeht, gehört sie zu einem der Punkte, von denen ich meine, dass man darüber in Ruhe nachdenken können muss. ({0}) Warum sollte man nicht beispielsweise die Regelung vorsehen, dass für Mitglieder des Bundestages und der Bundesregierung ein Zutrittsrecht zu einer nicht öffentlichen Beratung besteht? Ich halte das für einen Punkt, der das gemeinsame Nachdenken lohnt. ({1}) Überhaupt möchte ich mit Nachdruck dafür werben - damit komme ich in den verbleibenden Sekunden zum Schluss -, dass wir uns bei diesem Thema, das uns offenkundig alle in gleicher Weise umtreibt und bei dem wir alle in gleicher Weise nach einer angemessenen Lösung eines überragenden Problems suchen, mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten darum bemühen, eine gemeinsame Lösung zu finden. Denn über eines besteht doch Konsens: Die Zuständigkeit für ethische Fragen lässt sich nicht delegieren - an welches Gremium auch immer, weder an einen Ethikrat noch an eine Enquete-Kommission noch an parlamentarische Beiräte. Am Ende ist die Entscheidung immer eine ganz individuelle. Jeder muss dafür mit seinem Namen, mit seiner Person geradestehen. Die Entscheidung trifft mit Rechtswirkung dieses Parlament und niemand anderes. Wenn das die gemeinsame Grundlage für die Arbeit an diesem Gesetzentwurf ist, würde es mich sehr enttäuschen, wenn es uns nicht gelänge, dazu ein gemeinsames Ergebnis zu finden. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Michael Kauch für die FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Anders als meine Vorredner gehörte ich der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ an, war der Obmann der FDP-Fraktion in diesem Gremium und möchte deshalb einen kurzen Blick darauf werfen, womit sich diese Enquete-Kommission eigentlich befasst hat. Wir haben uns mit der Palliativ- und Hospizversorgung, mit Organtransplantationen und der Forschung an Kindern und nicht einwilligungsfähigen Personen befasst. Zu diesen Themen haben wir Zwischenberichte vorgelegt. Wir haben über die Sterbehilfe und Allokation im Gesundheitswesen diskutiert. Man muss ganz deutlich sagen: Aufgrund der Neuwahlen hat die EnqueteKommission ihre Arbeit beispielsweise an diesen beiden Fragen nicht beenden können. Auch der Nationale Ethikrat hat sich zuletzt mit der Rationierung im Gesundheitswesen und dem Umgang mit Demenzkranken beschäftigt. Nach Durchsicht des vorliegenden Gesetzentwurfes stelle ich mir die Frage, ob diese Themen nach In-Kraft-Treten dieses Gesetzes überhaupt im Deutschen Ethikrat diskutiert werden dürften. Denn im jetzigen Gesetzentwurf werden dadurch, dass die Federführung jetzt neu beim Forschungsministerium liegt, Aufgabenstellungen formuliert, die extrem forschungslastig sind. Aus meiner Sicht ist das eine Verengung, die der ethischen Debatte in Deutschland nicht gut tut. ({0}) Deshalb bitte ich Sie, in den Ausschussberatungen darauf zu achten, ob es nicht notwendig ist, die Aufgabenstellung des Deutschen Ethikrates zu verbreitern, um nicht nur die Anwendung der Forschung am Menschen an sich, sondern beispielsweise auch Fragen, wie die Finanzierung der Anwendung dieser Forschung erfolgen soll, einzubeziehen. Denn was nützt es den Menschen, wenn bestimmte Forschungsergebnisse zwar existieren, das Gesundheitswesen deren Anwendung aber nicht ermöglicht? Mein Petitum an dieser Stelle lautet deshalb, dass wir den Gesetzentwurf nachbessern sollten. Grundsätzlich halte ich die Konstruktion des Deutschen Ethikrates für einen Fortschritt im Vergleich zu der des Nationalen Ethikrates, und zwar deshalb, weil vorgesehen ist, dass der Deutsche Bundestag eine Mitgestaltungsmöglichkeit bei der Berufung seiner Mitglieder hat. Für die Diskussion über die Öffentlichkeit von Beratungen, die gerade stattgefunden hat, habe ich wenig Verständnis. Denn was ist das Ziel der Debatte in diesem Gremium? Das Ziel ist doch, dass sich Menschen zusammensetzen, aus unterschiedlichen Positionen heraus Dinge entwickeln und miteinander kritisch darüber diskutieren. Es soll keine Veranstaltung sein, die auf offener Bühne stattfindet. Das würde aus meiner Sicht der Qualität des Diskussionsprozesses schaden; denn dann würde bei einer Live-Übertragung im Fernsehen jeder Sachverständige überlegen, ob er eine Formulierung benutzt, die dem Mainstream oder der Political Correctness möglicherweise nicht entspricht. Das darf in einem wissenschaftlich orientierten Gremium nicht sein. Deshalb müssen die Sitzungen wie bei einer Enquete-Kommission nicht öffentlich sein. ({1}) Lassen Sie mich jetzt zu der Frage kommen, warum es notwendig ist, ein politisches Gremium zu haben, das sich im Parlament mit Ethik beschäftigt. Ein gutes Beispiel für den Bereich Ethik steht heute auf der Tagesordnung. Bei dem letzten Tagesordnungspunkt am heutigen Tag geht es um die erste Beratung des Entwurfs eines Gewebegesetzes. Nach der von den Parlamentarischen Geschäftsführern abgestimmten Tagesordnung war dieser Tagesordnungspunkt für 3.20 Uhr morgens vorgesehen. Das hat natürlich die Folge, dass alle Kolleginnen und Kollegen ihre Reden zu Protokoll geben werden. Dabei geht es in diesem Gesetzentwurf um viele ethisch schwierige Fragestellungen. Zum Beispiel haben wir den Organhandel bewusst verboten. Auf der anderen Seite müssen wir aufgrund der Weiterverarbeitungsmöglichkeiten des Gewebes Handelsstufen ansetzen. Die Frage ist, wo wir sie ansetzen. Das ist nicht nur eine rein wirtschaftliche, sondern auch eine ethische Frage. Diese aber wird heute nicht im Parlament diskutiert. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, gerne.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege, ungeachtet der Tatsache, dass mir eine spannende Debatte wert wäre, sie auch um 3.20 Uhr zu führen - wir haben ja schon um 2 Uhr morgens, dann allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit, getagt -, möchte ich Ihnen eine Frage stellen, damit hier keine Missverständnisse entstehen. Sind Sie wirklich der Auffassung, dass uns in dem von Ihnen genannten Punkt eine Enquete-Kommission weitergeholfen hätte? Enquete-Kommissionen haben ja nicht die Aufgabe, ein aktuelles Gesetzgebungsverfahren vorzubereiten - das sollte unverändert den Ausschüssen vorbehalten sein -, sondern beschäftigen sich langfristig mit den Grundlagen. Würden Sie das bitte klarstellen, weil ein Missverständnis möglicherweise auch draußen zu Irritationen führt?

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Tauss, da stimme ich Ihnen völlig zu. Wir brauchen dafür gerade keine Enquete-Kommission. Bei vielen Fragestellungen haben wir kein Erkenntnisproblem, sondern ein Entscheidungsproblem. Ethische Themen, die eigentlich auf der Hand liegen, werden nicht vorangetrieben und vor allen Dingen nicht interdisziplinär diskutiert. Nehmen wir als Beispiel die Sterbehilfe. Wir haben hier die Situation, dass Sachverständige, beispielsweise vom Deutschen Juristentag und der Bundesärztekammer, aufgrund ihrer Fachmotivation eine ganz unterschiedliche Herangehensweise an diese Themen haben. Deshalb müssen wir diese Themen ausschussübergreifend diskutieren. Wir wollen keine EnqueteKommission. Deshalb lehnen wir die Anträge der Grünen und der Linken ab, die im Prinzip auf eine EnqueteKommission ad infinitum hinausliefen. ({0}) Lassen Sie mich noch auf einige andere Inhalte eingehen, weil es wichtig ist, nach außen hin deutlich zu machen, worum es bei dieser institutionellen Frage, über die wir hier diskutieren, inhaltlich geht. Wir beschäftigen uns beispielsweise - ich habe das bereits angesprochen - mit Fragen, die sich auf das Lebensende beziehen. Hier gibt es eine große Agenda. Das Thema Patientenverfügung zum Beispiel ist federführend beim Rechtsausschuss angesiedelt. Der Rechtsausschuss befasst sich aber natürlich auch mit vielen anderen Themen. Seit es die angesprochene Enquete-Kommission nicht mehr gibt und sich kein Gremium im Parlament um ethische Fragen kümmert, ist eine Diskussion über ethische Fragen im Parlament viel schwieriger geworden, ein weiterer Grund aus meiner Sicht, hier zu einer interdisziplinären Verankerung im Parlament zu kommen. Ein anderes Thema, das insbesondere Kollege Wodarg sehr stark in die Arbeit der Enquete-Kommission eingebracht hat, befasst sich mit der Rationierung und Priorisierung im Gesundheitswesen. Wir müssen erkennen, dass wir im Gesundheitswesen knappe Ressourcen haben und dies Prioritäten erfordert. Die Frage ist, wer über die Prioritäten entscheidet. Momentan entscheidet nicht der Deutsche Bundestag. Die Rationierung findet im Wesentlichen in den Arztpraxen statt. Mit dem Gesetzentwurf der Kollegin Ulla Schmidt zur Gesundheitsreform wird das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen beauftragt, nicht nur die Effektivität und Wirtschaftlichkeit bei gleicher Wirkung zu untersuchen, sondern auch Kosten-Nutzen-Analysen neuer Therapien durchzuführen. Die Frage ist: Wofür machen wir diese Analysen? Diese Analysen machen doch nur dann Sinn, wenn man hinterher Entscheidungen darauf aufbaut. Da stellt sich die Frage: Wer trifft die Entscheidung, wenn Therapie A besser als Therapie B ist, aber mehr kostet? In England hat man die Regelung, dass ein Lebensjahr zusätzlich nicht mehr als 30 000 Pfund kosten darf. ({1}) - Ja. Die Frage ist aber, wer entscheidet, wenn man diese Prozesse weiterführt. Entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss, das Ministerium oder im Rahmen einer offenen, fairen Debatte in diesem Parlament der Gesetzgeber, wie das in anderen Ländern der Fall ist? Das muss man sich gut überlegen. Auch ich habe noch keine abschließende Antwort auf diese Frage. Das sind aber Fragen, die in einen Ethikbeirat gehören. Dort muss darüber diskutiert werden, wie mit diesen ethischen Fragen nicht nur in der Forschung, sondern auch im Gesundheitswesen umgegangen wird. ({2}) Ich möchte noch einen Hinweis zur Biomedizinkonvention des Europarates geben. Deutschland hat sie, was der Auffassung der FDP widerspricht, nicht ratifiziert. Das enthebt den Deutschen Bundestag aber nicht der Aufgabe, die Weiterentwicklung dieser Konvention im Europarat parlamentarisch zu begleiten. Auch hier ist ein interdisziplinäres Vorgehen notwendig. Zum Abschluss eine herzliche Einladung seitens der FDP-Fraktion. Wir haben Ihnen ein Modell vorgeschlagen, das geschäftsordnungsmäßig exakt dem Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung entspricht. Wir haben ein übergreifendes, interdisziplinäres Gremium vorgeschlagen, das nur aus Abgeordneten besteht. Es handelt sich dabei nicht um eine Enquete ad infinitum. Es ist auch keine Vermischung mit dem Deutschen Ethikrat, der aus unserer Sicht einen Fortschritt gegenüber dem Nationalen Ethikrat darstellt. Man kann beides beschließen. Man muss die Instrumente nicht gegeneinander ausspielen. Ohne parlamentarische Begleitung bleibt der Ethikrat aber ein Torso. Vielen Dank. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun die Kollegin Ulla Burchardt für die SPD-Fraktion. ({0})

Ulla Burchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000306, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Lammert, ich bin Ihnen ausgesprochen dankbar - ich glaube, das im Namen aller Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion sagen zu können -, dass Sie den Weg für einen Konsens gewiesen haben. Das ist ein großer Fortschritt in der Debatte. ({0}) Wir haben folgende Sachlage: Seit Januar gibt es Bemühungen, einen interfraktionellen Gruppenantrag vorzulegen, der der Tradition des Umgangs mit solchen Themen in diesem Hause entsprechen würde. Seit Oktober liegt ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor. Eigentlich wird die Bundesregierung vom Bundestag beauftragt, etwas zu tun. Jetzt hat sie von sich aus dem Bundestag Vorschläge gemacht, wie er sich beraten lassen soll. ({1}) Das ist ein bisschen ungewöhnlich. Herr Lammert, Sie haben den Weg gewiesen und gezeigt, wie wir alle Vorlagen nutzen können, um in guter alter Tradition dieses Hauses zu einem Konsens zu kommen. Ich will nicht verhehlen, dass eine ganze Reihe meiner Kollegen ein wenig unglücklich darüber sind, dass der Gruppenantrag keine Chance hatte, in diesem Hause geprüft und debattiert zu werden, weil er keine Aussicht auf Mehrheitsfähigkeit hatte. Das hatte mit Interventionen von außen auf die Fraktionsspitzen zu tun. Man muss keinen Hehl daraus machen, dass Mitglieder der Bundesregierung, aber auch Mitglieder des Nationalen Ethikrates Einfluss genommen haben. Ich glaube, man muss in Zukunft etwas vorsichtiger miteinander umgehen. Es gibt immer außerhalb der Sachlogik liegende Gründe, warum man bestimmte Dinge nicht weitertreibt. Wir Sozialdemokraten sind an dieser Stelle überhaupt nicht dogmatisch. Deswegen machen wir andere Vorschläge, wie wir zu einem Konsens kommen können. Die Kollegen nach mir werden im Detail darauf eingehen. Ich will darauf hinweisen, dass wir bis heute keine wirklich sachlichen, rationalen Argumente gehört haben, warum Mitglieder des Deutschen Bundestages nicht Mitglieder einer Ethikkommission sein können, ob beratend oder mitbestimmend, sei dahingestellt. ({2}) Der Haupteinwand, der gebracht wird, lautet - wir haben es heute wieder gehört; ich möchte darauf etwas ausführlicher eingehen -: Ethische Beratung braucht unabhängigen Sachverstand. Mit anderen Worten: Über den verfügen Mitglieder des Bundestages nicht; das ist es doch, was impliziert wird. Es fällt schwer, muss ich als langjährige und selbstbewusste Abgeordnete sagen, diese Einschätzung nicht als populistische Pflege antiparlamentarischer Ressentiments zu werten. ({3}) Ich will zwei sachliche Hinweise geben, die die Absurdität dieses Einwands aufzeigen: Erstens. Jeder Abgeordnete ist dank der Verhaltensregeln des Deutschen Bundestags allemal transparenter als ein Wissenschaftler, von dem nicht bekannt ist, auf wessen Payroll er steht. Zweitens. Frau Weber-Hassemer als Vorsitzende des Nationalen Ethikrates ist ehemalige Richterin und beamtete Staatssekretärin. Warum soll sie in ethisch-moralischen Fragen sachverständiger sein als beispielsweise der Mediziner Wolfgang Wodarg, unser ehemaliger Sprecher in der Enquete-Kommission zu diesem Thema? Mein drittes Argument kommt von einem Mitglied des Ethikrates selbst. So sagte, was den Sachverstand betrifft, der Wissenschaftler van den Daele: „Unter Ethik verstehen die Mitglieder das diskursive Ausbreiten und Klären von Positionen und Argumenten; in diesem Sinne sind auch die Wissenschaftler in den jeweiligen Gremien Laien.“ Ich glaube, wir sollten uns das wechselseitige Hin und Her betreffend Sachverstand zukünftig ersparen. ({4}) Ich will aber noch anmerken, dass es schon einen gewissen Hautgout hat, wenn der Einwand „mangelnder Sachverstand“ von Abgeordneten zur Diskreditierung der Positionen anderer Abgeordneter benutzt wird, gerade in dieser Frage. Ich greife damit die Äußerungen des Abgeordneten Röttgen auf, der jüngst mit Blick auf meinen Kollegen Röspel festgestellt hat, dieser wolle sich als Abgeordneter nur selber beraten, dabei brauchten wir unabhängigen Sachverstand. Ich will im Namen der gesamten SPD-Bundestagsfraktion Folgendes klarstellen: Der Kollege Röspel hat Sachverstand; das hat er mit seiner Arbeit hier im Deutschen Bundestag bewiesen. Er kommt zudem aus der biologischen Forschung. Mehr kann man in einer Person vereint kaum erwarten. Er ist zu hundert Prozent unabhängig, er steht auf niemandes Payroll, er bezieht nur die Diäten, die die deutschen Steuerzahler aufbringen. Er besitzt die Fähigkeit, kritisch und hartnäckig zu hinterfragen; das stört manche, das wissen wir. Vor allen Dingen besitzt er den Mut, zu zweifeln, und das schließt Selbstzweifel, Zweifel an der eigenen Position, ein. Das macht die hohe moralisch-ethische Integrität seiner Person aus. Deswegen ist der Kollege Röspel in den vergangenen Jahren über die Grenzen unserer Fraktion hinaus im ganzen Bundestag, aber auch in der deutschen Öffentlichkeit ein anerkannter Gesprächspartner geworden und genießt einen exzellenten Ruf. Das sollten diejenigen wissen, die sich so über ihn äußern. ({5}) Ganz abgesehen davon, dass für Herrn Röttgen das alte biblische Wort gilt: Wenn man mit einem Finger auf jemanden zeigt, muss man sich immer im Klaren sein, dass drei Finger auf einen selber zurückzeigen. ({6}) - Das wollten wir nicht ansprechen? Okay, dann streichen wir das aus dem Protokoll. ({7}) Was den Gesetzentwurf der Bundesregierung betrifft, gibt es in mehrerlei Hinsicht Klärungsbedarf. Ich glaube, die Kollegen Tauss, Loske und auch Herr Lammert haben mit ihren Hinweisen schon Etliches zusammengetragen. Ich möchte noch einige Fragen aufwerfen: Wenn man auf Unabhängigkeit so großen Wert legt, wie sieht es dann mit der Prüfung der Unabhängigkeit der Mitglieder des Ethikrates aus? Im Ethikrat sollen nicht nur Wissenschaftler vertreten sein, sondern auch sachverständige Persönlichkeiten. Es sollen nicht nur Wissenschaftsthemen behandelt werden, sondern auch andere Themen. Da fragt man sich natürlich: Wer repräsentiert die ökonomischen Belange in biomedizinischen Fragen? Ein Vertreter des BDI, der BDA oder der Branche? Das sollten wir im Gesetzgebungsverfahren klären, damit Transparenz und Unabhängigkeit nicht nur im Hinblick auf Abgeordnete, sondern auch im Hinblick auf Experten diskutiert wird. ({8}) Meine nächste Frage betrifft die Finanzierung. „Für den Bund entstehen keine Mehrkosten“, heißt es lapidar. Aber: Aus welchem Einzelplan werden diese beglichen? Und wenn die Kosten zu hundert Prozent vom Bundestag getragen werden, warum sollen wir nicht zu hundert Prozent bestimmen? Es ist ja interessant, Herr Lammert, dass ein Externer die Fachaufsicht über die Geschäftsstelle ausüben soll. Da sage ich als Ausschussvorsitzende: Warum sollen dann nicht wir die Fachaufsicht über die entsprechenden Sekretariate des Deutschen Bundestages haben? Da haben Sie ein ganz neues Fass aufgemacht. ({9}) Der letzte Punkt ist die Frage, wie Beratung als kontinuierlicher Diskursprozess organisiert werden und funktionieren soll. In dem Gesetzentwurf der Bundesregierung sind leider keine ausreichenden Hinweise dafür enthalten. Erfolgreiche Beratung kann nur als diskursiver Prozess angelegt werden. Kollege Loske hat darauf hingewiesen. Jeder, der diesem Parlament angehört, weiß, wie die Zuweisung von Vorlagen normalerweise vonstatten geht. Neben den Hunderten von Berichten, die dem Bundestag jährlich zugehen, erhalten wir dann noch einen weiteren und zwischendurch noch einige Stellungnahmen. Diese werden dann an einzelne Ausschüsse weitergeleitet. Dort wird die Beratung darüber neben weiteren 20 Punkten auf die Tagesordnung gesetzt. Jeder Ausschuss behandelt das Thema für sich alleine und gibt hinterher eine Empfehlung ab oder nimmt die Vorlage nur zur Kenntnis. Im Plenum werden dann Entscheidungen mit Mehrheit getroffen. Das kann doch wohl kein vernünftiger Beratungsprozess für dieses Thema sein. So können Entscheidungen des Deutschen Bundestages in biomedizinischen Fragen nicht vorbereitet werden. ({10}) Insofern setzen wir von der SPD darauf, zu einem wirklich ganz ernsthaften und normalen Beratungsverfahren über den Gesetzentwurf zu kommen. Es verbietet sich dabei, in parteipolitische Schubladen einsortiert zu werden, aber auch die Koalitionsdisziplin kann an dieser Stelle nicht angeführt werden. Wie der Kollege Lammert es formuliert hat, gehen auch wir davon aus, dass wir durch ein zeitlich anspruchsvolles und von allen akzeptiertes geregeltes Verfahren, das bei Gesetzgebungen ansonsten üblich ist, zu einem Konsens kommen. Ich bitte, das Ganze ohne Druck und ohne den Hinweis darauf, dass Entscheidungen schnell exekutiert werden müssen, zu beraten. Alles andere wäre die schlechteste Voraussetzung für Vertrauen. Vertrauen brauchen wir aber dringend, wenn unsere Zusammenarbeit mit dem Deutschen Ethikrat in Zukunft im Interesse aller erfolgreich sein soll. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun erteile ich der Kollegin Monika Knoche für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine werten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Ich darf heute für 46 Abgeordnete der Fraktion Die Linke zu Ihnen sprechen, die es für notwendig halten, dass der Deutsche Bundestag ein Ethikkomitee einrichtet. Diese Idee fußt auf der Erfahrung, dass die EnqueteKommissionen des Deutschen Bundestages nicht nur herausragende Leistungen erbracht haben, die es dem Parlament ermöglicht haben, fundierte Entscheidungen zu treffen, die jedoch nicht immer den Empfehlungen der Enquete-Kommissionen entsprachen, sondern dass sie darüber hinaus auch etwas geleistet haben, was wir als Parlamentarier und als Politiker würdigen sollten: Die Bevölkerung fühlte sich im deutschen Parlament vertreten. Sie hat sich mit ihren Sorgen, Anliegen, Erwartungen und Hoffnungen, die mit den modernen biomedizinischen Fragen und mit dem Recht und der Ethik in der modernen Medizin und Forschung verbunden sind, bei ihren Parlamentarierinnen und Parlamentariern aufgehoben gefühlt. Das partizipative Verfahren war außerordentlich ausgeprägt. Behindertenverbände haben sich zusammengefunden und an den Debatten beteiligt. Ich sehe überhaupt keinen Grund dafür, auf diese hervorragende Art von parlamentarischen Gremien zu verzichten. ({0}) Ethik geht alle an. Die Debatte über ethische Fragen kann an niemanden und an kein Gremium delegiert werden. Wir wissen, dass wir als Abgeordnete in der Pflicht sind, diese hohen und anspruchsvollen Aufgaben zu erfüllen und selbst Expertinnen und Experten in diesen Fragen zu werden. Ich muss wirklich sagen, dass ich den Diskussionsprozess zur Herausbildung dieses Gesetzentwurfs mit Erstaunen beobachtet habe. Ich fand das eigentümlich paternalistische Verständnis der Ministerin Schavan gegenüber dem Parlament sehr erstaunlich. ({1}) Das Parlament braucht kein Beratungsgremium, das ihm nahe bringt, um welche Dimension und Entscheidungstiefe es sich handelt. Schauen wir uns doch die Tradition hier im Deutschen Bundestag an. Seit dem Veto gegen das so genannte Hirntodkonzept hat der Deutsche Bundestag hoch qualifizierte und interdisziplinäre parlamentarisch-partizipative Debatten geführt, ({2}) durch die der Bevölkerung die Möglichkeit gegeben wurde, sich hier wiederzufinden. Es haben Veranstaltungen stattgefunden: Kirchen, Behinderten- und Frauenverbände haben Veranstaltungen von hoher Qualität durchgeführt, um weit reichende Fragen wie die der Weiterentwicklung und der Ausgestaltung der Grundrechtsprinzipien, der Menschenwürde und des Schutzes des Lebens in eine neue Gestalt und in eine Gesetzesform zu bringen. Was haben wir als Abgeordnete erlebt? Wir haben erlebt, dass die Expertinnen und Experten aus dem Bereich der Wissenschaft - ob es Human- oder Geisteswissenschaftler oder auch andere waren - die Erfordernisse des Gesetzgebers gar nicht so genau kennen. Wir als Abgeordnete sind und bleiben die letzte Instanz, wenn es darum geht, die Fragen zu entscheiden, die uns als Gesetzgeber aufgegeben sind. Wir müssen uns vor Augen führen, dass wir eine grundrechtsdogmatische Entscheidung zu treffen haben. Wir müssen herausfinden: Wie kann die Forschung weiterentwickelt und gleichzeitig die Menschenwürde gewahrt werden? Das sind die Herausforderungen, vor denen das Parlament in all diesen Fragen steht. Schauen wir uns einmal an, wie weit reichend, gut und tragfähig die bisherigen Entscheidungen waren. Ich betone: Nicht alle Empfehlungen der Enquete-Kommission wurden Gesetzesrealität. Aber die Vorschläge, die sie als Ergebnis ihrer Arbeit vorgelegt hat, waren qualitativ um Welten besser als das, was zuvor Realität war; das gilt sowohl für das Organtransplantationsgesetz als auch für das Stammzellforschungsgesetz. Das wird auch dann der Fall sein, wenn es um den Umgang mit genetischen Daten und ähnliche Themen geht. Warum also sollte das deutsche Parlament hinter einer solchen Erfolgsgeschichte zurücktreten? Wir haben uns auf internationaler Ebene ein sehr gutes Renommee erarbeitet, vor allem aufgrund der Art und Weise, wie wir dieses Thema in diesem Hohen Hause, dem deutschen Parlament, behandelt haben. Ich habe, ebenso wie die vielen Unterzeichnerinnen und Unterzeichner unseres Antrags, nichts dagegen, dass die Regierung ein Expertengremium einsetzt. Das ist ihr gutes Recht. Das ist auch richtig und wichtig. Aber das Parlament ist der Souverän. Das Parlament selbst muss über die Kompetenz verfügen, darüber zu entscheiden, wie diese hoch interessanten Fragen beraten werden sollen. ({3}) Ich denke, wir würden gut daran tun, uns an die Erfolge vorangegangener Enquete-Kommissionen zu halten und uns für ein Gremium zu entscheiden, dessen Einrichtung uns die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ermöglicht. Wir sind frei zu entscheiden, wie wir die Geschäftsordnung des Bundestages ausgestalten. Ich bitte Sie, im Rahmen unseres Diskussionsprozesses zurückzufinden zu der Ehre, die wir gespürt haben, und dem Stolz, den wir empfunden haben, als es uns gelungen ist, die als „Sternstunden des Parlaments“ bezeichneten Entscheidungen zu treffen. Führen wir diese Tradition fort! Die Linke unterstützt dieses Ziel mit ihrem vorliegenden Antrag. Ich danke Ihnen. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Norbert Geis für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Skandal um den südkoreanischen Klonforscher Hwang hat gezeigt, dass seriöse Politikberatung auf dem Gebiet der Lebenswissenschaften dringend notwendig ist. Solche Politikberatung findet in allen Staaten der westlichen Welt statt. Es handelt sich dabei immer um unabhängige, wissenschaftliche Gremien, die das Parlament und die Regierung beraten. Auch bei uns gab es in der letzten Legislaturperiode ein solches Gremium. Es ist nicht ganz fair, dass die Grünen der Regierung jetzt vorwerfen, sie würde ein neues Gremium installieren, das nicht so stark legitimiert ist, wie Sie sich das vorstellen, und ihr Vorgehen sei nicht gerade parlamentarisch. Denn Sie selbst haben in der letzten Legislaturperiode die Einsetzung des parlamentarisch überhaupt nicht legitimierten Nationalen Ethikrates mitgetragen. ({0}) Sie waren an der letzten Regierung doch selbst beteiligt. Deswegen ist das, was Sie jetzt sagen, nicht fair. Ich weise Ihren Vorwurf zurück. ({1}) Auch ist es nicht fair, der Regierung vorzuwerfen, sie hätte ihren Gesetzentwurf nicht rechtzeitig vorgelegt bzw. das Parlament nicht früh genug darüber informiert. Unser Gesetzentwurf ist der SPD-Fraktion noch vor der Sommerpause zugegangen. Die Regierung hat ihn beschlossen und an den Bundesrat weitergeleitet. ({2}) Der Bundesrat hat dazu Stellung genommen. Es war also genug Zeit, darüber zu diskutieren. ({3}) Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme keinerlei Einwendungen vorgetragen, weder von SPD-regierten Ländern noch von Ländern, in denen die FDP mitregiert. ({4}) Der Bundesrat hat unserem Gesetzentwurf also zugestimmt. Das bedeutet, dass im Grunde genommen dasselbe Gesetzgebungsverfahren stattfand, wie es auch sonst immer der Fall ist. ({5}) Deswegen verstehe ich die Aufregung nicht, dass Sie nun behaupten, unser Gesetzentwurf sei sozusagen vom Himmel gefallen und nicht rechtzeitig vorbereitet worden. ({6}) Ich glaube aber, für uns kann kein Zweifel daran bestehen, dass wir ein solches Gremium brauchen. ({7}) - Ich bedanke mich für die Zustimmung, Herr Tauss. Wir brauchen ein solches Gremium - dessen Zuständigkeitsbereiche aber nicht zu umfangreich sein dürfen, weil es dann uferlos würde - für die Entwicklung in den Lebenswissenschaften, weil sich in diesem Bereich das Wissen sozusagen überschlägt. Dieses Wissen muss transformiert werden, damit Regierung und Parlament eines rationalen, modernen Staates es nutzen können, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wir brauchen das Wissen aus der Forschung und der Gesellschaft, um auf staatlicher Ebene die richtigen Entscheidungen zu fällen. Das ist unbestritten. Dem stimmt jeder zu. Deshalb ist es auch völlig richtig, dieses Gremium jetzt einzurichten und es durch das Parlament zu legitimieren. Je stärker die Legitimation durch das Parlament ist, desto höher ist das Ansehen dieses Gremiums. Auch wenn im Einzelnen über die im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Regelungen diskutiert werden kann - die weitere Beratung kann in den Ausschüssen stattfinden -: Alles in allem halte ich den Gesetzentwurf für richtig und zustimmungsfähig. Wir brauchen das vorhandene Wissen, um auf staatlicher Ebene richtige Entscheidungen zu fällen. Es geht aber nicht allein um das Wissen. Der Staat dient nicht nur der Wahrung der inneren und äußeren Sicherheit und der Schaffung eines sozialen Ausgleichs. Der Staat ist nicht nur eine pluralistische Funktionsgemeinschaft, sondern er muss seine Entscheidungen - weil es sich in der Regel um Wertentscheidungen handelt - immer auch ethisch begründen. Das ist zwar auch aus der Mitte des Parlamentes und vonseiten der Regierung möglich - das will ich nicht absprechen -, aber es ist auch richtig, das vorhandene Wissen zu nutzen und über die ethischen Grundlagen Rat von außen einzuholen, nämlich von Wissenschaftlern, die sich täglich von morgens bis abends damit beschäftigen. Der Staat muss diese Möglichkeiten nutzen; um nichts anderes geht es. ({8}) Es geht nicht darum, dass der Staat irgendwelche Zwecke verfolgt, und es geht auch nicht um einfache Entscheidungen. Vielmehr hat der Staat, wie gesagt, in der Regel Wertentscheidungen zu treffen. Der Staat ist nicht nur ein Wissensstaat, sondern auch - wie Böckenförde festgestellt hat - ein sittlicher Staat. Insofern ist nicht nur die Transformation des Wissens, sondern auch die Übermittlung der ethischen Grundlagen notwendig. Das ist die Aufgabe des Ethikrates. Ich meine, dass wir dem Gesetzentwurf zustimmen sollten. Danke schön. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte erinnert mich an die große Ernsthaftigkeit und den Respekt vor den verschiedensten Positionen, als in diesem Parlament seinerzeit über die Stammzellforschung debattiert worden ist. ({0}) Darauf müssen wir uns auch deshalb beziehen, weil sich in der Debatte um die Stammzellforschung in der deutschen Öffentlichkeit beispielhaft und auch zur Ehre des Parlamentarismus und der Abgeordneten eine große Souveränität in der Sache gezeigt hat. Daraus haben sich eine starke Legitimation der seinerzeit verabschiedeten Regelungen und eine gute Balance im politischen Entscheidungsprozess ergeben. Ohne jemanden abwerten zu wollen, möchte ich mit diesem Punkt an die Ausführungen von Herrn Lammert anknüpfen. Sie sind zwar als Abgeordneter ans Rednerpult getreten, aber Sie haben gesprochen wie ein Präsident. Ich glaube, dass damit auch in diese Debatte Souveränität, Legitimation und Balance eingebracht worden sind, an die wir anknüpfen können. ({1}) Wir haben eine gemeinsame Überzeugung: Nach unserem Verfassungsverständnis der Gewaltenteilung ist es völlig legitim, dass die Regierung einen Gesetzentwurf einbringt. Er wird deshalb im Parlament beschlossen, weil es die höchste Legitimation hat, die ein Gremium in Deutschland, in einer Demokratie haben kann. Es herrscht daher breiter Konsens darüber, dass eine parlamentarische Einsetzung und Legitimierung zu einer Aufwertung des Gremiums, aber auch der Anliegen beitragen, die in einem solchen Rat behandelt werden. Herr Lammert, es ist bemerkenswert, dass Sie die Fragen betreffend die Lebenswissenschaften in den Mittelpunkt Ihrer Ausführungen gestellt haben. Angesichts des Dualismus aus Ethikrat und Enquete-Kommission haben wir durchaus registriert, dass dort keineswegs nur Fragen betreffend die Lebenswissenschaften, sondern - um es einfach auszudrücken - Lebensfragen erörtert werden. ({2}) Das mag zwar ein zu einfacher Begriff sein, aber er umfasst das, was Sie intendiert haben und was sich hinter der ethischen Aufgabenstellung verbirgt. Trotz aller Übereinstimmung möchte ich die Zeit für souveräne, eigene Gedanken nutzen. Erstens. Wir haben eben festgestellt, dass die Debatte nicht entlang der Fraktionsgrenzen verläuft, sondern die gleiche Qualität hat wie die damalige Stammzelldebatte. Passt es zu einem durch Parlamentsbeschluss aufgewerteten und sozusagen ins höchste Recht gesetzten Gremium - und das in einer Konstanz, was ebenfalls zur Aufwertung beiträgt -, dass es zwei Delegationen gibt, nämlich die durch das Parlament und die durch die Regierung? Sicherlich trägt es zur Aufwertung bei, wenn die Regierung delegiert und das Parlament legitimiert. Angesichts dieser zwei Wege sollte man aber vielleicht darüber nachdenken, ob nicht alle Mitglieder, die in diesem Gremium gleichberechtigt diskutieren sollen, in gleicher Weise durch das Parlament legitimiert werden müssen. Bislang ist vorgesehen, dass die Mitglieder quasi durch zwei Gewalten zusammengeführt werden. ({3}) In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob nicht in einem aus der Breite und mit der Souveränität des Parlaments delegierten Sachverständigenrates eine bessere Repräsentanz aller vorhanden sein muss. Es handelt sich hier um eine Dopplung; denn das Parlament soll die Delegation der Regierung absichern. Das harmoniert aber nicht miteinander. Die zweite Frage ist: Die Stammzelldiskussion hat beispielhaft verdeutlicht, dass sich Abgeordnete nicht über den Sachverstand und die Erkenntnisse der Wissenschaft erheben, sondern im Dialog offen sind und dies aufnehmen und verarbeiten. Dies muss auch hier unser Anliegen sein. Herr Loske, Chapeau vor Ihrer Rede, in der Sie das Outsourcing hart kritisiert haben. Aber wo verknüpfen wir dies? Nur im Dialog ist ein Konsens über ethische Fragen möglich. Ethik gründet sich nie nur auf Entscheidungen, sondern immer auch auf Konsens in der Gesellschaft. Die Verknüpfung dieser beiden Punkte ist aber in dem Vorschlag der Regierung noch nicht hinreichend berücksichtigt, insbesondere nicht bei der Institutionalisierung, um es positiv zu formulieren. Ich frage daher: Kann ein unterstützender parlamentarischer Beirat aus Abgeordneten parallel zu einem Sachverständigenrat einen institutionalisierten Dialog führen? Dieser Punkt lässt sich auch in den Anträgen der drei Oppositionsfraktionen finden. Es darf doch nicht verboten sein, darüber nachzudenken, ob nicht nur dem Sachverständigrat ein Entscheidungsrecht, sondern auch den Abgeordneten ein Rede- und Debattierrecht eingeräumt werden sollte. Das würde sinnfällig machen, wie der Dialog dort geführt und beispielhaft für die Gesellschaft organisiert werden kann. Dies mag man bedenken, wenn es um die Weiterentwicklung des Vorschlags geht. Frau Sitte, ich meine aus Ihrer Rede herausgehört zu haben, dass Sie sich durchaus ein Teilnahmerecht sowie ein Rede- und Diskussionsrecht vorstellen können. Es stellt sich schließlich drittens noch die Frage nach der Öffentlichkeit. Natürlich kann man hier unterschiedliche Perspektiven aufzeigen. Die Regierung empfiehlt in ihrem Gesetzentwurf im Prinzip, nicht öffentlich zu tagen. Aber man kann auch der Meinung sein, dass grundsätzlich öffentlich getagt werden soll. Das Gremium sollte jedenfalls die Souveränität haben, zu entscheiden, über welche Fragen es nicht öffentlich diskutieren will. Diese Perspektive dürfen wir nicht verloDr. Ernst Dieter Rossmann ren gehen lassen, nämlich dass Ethikfragen an die Gesellschaft gerichtet sind und diese nicht nur aus der Gesellschaft aufgenommen und in einem Kreis stellvertretend für die Gesellschaft debattiert werden. Ich will mit etwas enden, was mich beeindruckt hat. Als der erste Ethikrat eingerichtet wurde und der designierte Vorsitzende, Herr Simitis, gefragt wurde, was ihn eigentlich in besonderer Weise zum Vorsitz des Ethikrats qualifiziere, hätte er seine ganze wissenschaftlich-juristische Reputation anführen können. Herr Simitis sagte aber: Fachlich nichts, aber vom Gestus, von der Haltung her, die Offenheit, die Souveränität, das Bemühen um ethische Grundfragen. Er hätte es auch einfacher sagen können: die Klugheit in der Sache. ({4}) Das ist es, was im Ethikrat zusammengebracht werden muss: Klugheit in der Sache. Man kann das auch auf die Politik beziehen. Herr Präsident Lammert, Sie haben Klugheit von uns eingefordert. Aber Klugheit sortiert sich nicht nach Mehrheiten, schon gar nicht in diesem Fall. ({5}) Klugheit organisiert sich nach Beteiligung und nach Konsens. Das wünschen wir uns. Vielen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin Nicolette Kressl für die SPD-Fraktion. ({0})

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in diesem Hause, wie ich finde, eine lange und gute Tradition der inhaltlichen Diskussion über ethische, bioethische Fragen. Mich freut - mein Kollege Rossmann hat es schon angesprochen -, dass wir auch mit dieser Debatte, in der es ausdrücklich „nur“ um Strukturfragen geht, eine gute Debatte begonnen haben. Wenn wir uns überlegen, wo wir in den letzten Jahren einen Diskurs über solche Fragen führen konnten, dann müssen wir feststellen, dass es drei institutionalisierte Orte gab - wenn diese auch nicht miteinander zu vergleichen sind -, nämlich die Enquete-Kommissionen, den Nationalen Ethikrat und in ganz besonderem Maße den Deutschen Bundestag. Wichtig ist, deutlich zu machen, dass die Entscheidung über solche Fragen, wenn auch Diskurs- und Beratungsmöglichkeiten in diesen Institutionen vorhanden waren, immer beim Deutschen Bundestag lag und sie auch immer beim Bundestag liegen wird. ({0}) Deshalb ist es mir auch wichtig, auf Sie, Frau Knoche, einzugehen. Mein Selbstbewusstsein wird nicht deswegen geringer, weil wir eine Beratungsinstitution haben. ({1}) Unsere Entscheidung ist deswegen souverän, weil vorher der Diskurs geführt worden ist und wir auf dessen Basis selbstständig im Parlament entscheiden. Ich kann nicht verstehen, dass gesagt wird, unser Selbstbewusstsein würde dadurch geringer. Ich finde eher, dass das Gegenteil richtig ist und wir souveräner werden, wenn wir vorher die Möglichkeit haben, mit Sachverständigen zu beraten. Die erste Lesung, die wir heute haben, muss der Auftakt für eine Debatte darüber sein, wie in Zukunft der Diskurs fortgesetzt werden kann, gerade weil wir veränderte Rahmenbedingungen haben. So besteht eine veränderte Rahmenbedingung darin, dass es diese EnqueteKommission nicht mehr gibt. Das heißt, es besteht Anlass, darüber nachzudenken, wo wir in Zukunft diesen Diskurs verorten können und - das halte ich für die entscheidende Frage, über die wir noch ausführlich werden sprechen müssen - wie wir die Sachverständigenberatung mit der parlamentarischen Beratung verzahnen können. Darauf müssen wir bei der ausführlichen Beratung des Gesetzentwurfes genauer schauen. Es macht Sinn, die bisherigen Stärken dieser Beratungsinstitutionen, die es gab, aufzugreifen. Bei aller Kritik an der Frage, wie der Nationale Ethikrat zustande kam, muss man doch auch sehen, dass die Entscheidungen, die er für sich selbst getroffen hat, und die Beratungen, die er geführt hat - das ist ganz deutlich in jedem Bericht zu spüren -, überhaupt nicht beeinflusst waren. Es gab sehr ausführliche Minderheitenvoten. Da hat sich die Souveränität der Institution gezeigt. Diese Stärke sollten wir jetzt aufgreifen. ({2}) Auch die interdisziplinäre Zusammensetzung - diese betrifft nicht nur die verschiedenen Wissenschaften, sondern auch die ganz unterschiedlichen Erfahrungshintergründe, die die Mitglieder dieses Ethikrats hatten - sollten wir unbedingt wieder aufgreifen, nutzen und einbringen. Diese sollten wir mit dem verbinden, was ich als Stärke der Enquete-Kommission empfunden habe. Deren Spezifikum ist die Zusammenfügung der Sachverständigenberatung mit dem Diskurs der Parlamentarier. Wir sollten noch einmal gemeinsam überlegen, wie wir diese Stärke aufgreifen und in das Gesetz, das wir zum Schluss verabschieden wollen, einbringen können. Wenn wir diesen Gesetzentwurf beraten, müssen wir Folgendes bedenken: Erstens. Wie entsteht dieses Gremium? Wie wird es benannt und in welcher Verantwortung benennen wir es? Es macht natürlich Sinn, noch einmal über die schwierige Frage zu diskutieren, ob wir die Mitglieder des Gremiums hälftig benennen oder ob wir die Legitimation aller Experten in diesem Gremium auf die gleiche Art und Weise verankern. Meine Vorredner haben das auch schon angesprochen. Wir sollten auch überlegen, welche Brücke wir bauen müssen, um den Diskurs zwischen denen, die zum Schluss parlamentarisch beraten und entscheiden werden, und den Sachverständigen zu ermöglichen. Ich will noch einmal betonen: Es geht nicht um Machtstrukturen. Für mich geht es vielmehr darum, dass wir den besten Weg finden, um den Austausch zwischen Parlamentariern und Sachverständigen institutionell möglichst gut zu verankern. ({3}) Es lässt sich über die Frage eines Beirats durchaus miteinander diskutieren. Wir haben überhaupt noch nicht festgelegt, wie er aussehen könnte. Mir ist es aber schon wichtig, nicht zu sagen, wir wollen zwei Parallelgremien, aber auch nicht zu sagen, wir wollen nur eines alleine. Wir wollen eine möglichst gute Zusammenarbeit zwischen der Institution, die zum Schluss entscheidet, und der Institution, die berät, hinbekommen. Ich freue mich, dass heute angeklungen ist, dass wir ausreichend Zeit und Möglichkeiten haben werden, uns Gedanken darüber zu machen, wo es hingehen soll. Ich bin der Überzeugung - das möchte ich abschließend sagen -, dass wir eine möglichst große Akzeptanz dieses Deutschen Ethikrats erreichen werden, wenn wir eine möglichst breite, konsensuale Verankerung dieser Institution erreichen. Dabei stellt sich auch die Frage, wie breit diese hier im Parlament getragen wird. Die möglichst hohe und breite Akzeptanz des Deutschen Ethikrats wird nicht nur symbolisch sein, sondern wird - da bin ich mir sicher - die atmosphärische und tatsächliche Grundlage dafür legen, dass er seine Aufgaben bestmöglich wahrnehmen kann. Deshalb sollten wir diese erste Lesung als Auftakt dafür nutzen, um den besten Weg zu ringen. Wir sollten dabei immer daran denken - darin möchte ich Herrn Lammert unterstützen -, dass wir ein gemeinsames Ziel haben und es darum geht, für die besten Wege zu diesem gemeinsamen Ziel zu streiten. Vielen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 16/2856, 16/3199 und 16/3289 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/3277 - Tagesordnungs- punkt 4 d - soll an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf Drucksache 16/3199 - Tagesordnungspunkt 4 b - überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 39 a bis 39 f sowie die Zusatzpunkte 3 a bis 3 d auf: 39 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Anerkennungs- und Vollstreckungs- ausführungsgesetzes - Drucksache 16/2857 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Budapester Übereinkommen vom 22. Juni 2001 über den Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt ({0}) - Drucksache 16/3225 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({1}) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes - Drucksache 16/3226 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({2}) Ausschuss für Gesundheit d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Haager Übereinkommen vom 13. Januar 2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen - Drucksache 16/3250 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({3}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Haager Übereinkommens vom 13. Januar 2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen - Drucksache 16/3251 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({4}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Reinhard Grindel, Wolfgang Börnsen ({5}), Peter Albach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Jörg Tauss, Monika Griefahn, Martin Dörmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die Schaffung eines kohärenten europäischen Rechtsrahmens für audiovisuelle Dienste zu einem Schwerpunkt deutscher Medien- und Kommunikationspolitik in Europa machen - Drucksache 16/3297 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({6}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt ZP 3 a)Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ ({7}) - Drucksache 16/3270 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({8}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss b) Erste Beratung des von dem Abgeordneten Jerzy Montag und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung von Befristungsregelungen im Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege und im Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung ({9}) - Drucksache 16/3282 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({10}) Innenausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Brähmig, Jürgen Klimke, Dr. Hans-Peter Friedrich ({11}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Annette Faße, Reinhold Hemker, Renate Gradistanac, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Nationale Naturlandschaften - Chancen für Naturschutz, Tourismus, Umweltbildung und nachhaltige Regionalentwicklung - Drucksache 16/3298 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus ({12}) Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Kultur und Medien d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Wissenschaftssystem zukunftsfähig gestalten wissenschaftsadäquate Arbeitsbedingungen schaffen - Drucksache 16/3286 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({13}) Innenausschuss Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 40 a bis 40 o und zu Tagesordnungspunkt 23. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 40 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Tierzuchtrechts sowie zur Änderung des Tierseuchengesetzes und des Tierschutzgesetzes - Drucksache 16/2292 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({14}) - Drucksache 16/3299 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Wilhelm Priesmeier Hans-Michael Goldmann Dr. Kirsten Tackmann Bärbel Höhn Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3299, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Tagesordnungspunkt 40 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Versorgungsrücklagegesetzes - Drucksache 16/2855 - Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({15}) - Drucksache 16/3319 Berichterstattung: Abgeordnete Clemens Binninger Siegmund Ehrmann Dr. Max Stadler Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Silke Stokar von Neuforn - Bericht des Haushaltsausschusses ({16}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/3323 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Luther Bettina Hagedorn Jürgen Koppelin Alexander Bonde Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3319, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit ebenfalls einstimmig angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/ 3328. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der FDP und Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen abgelehnt. Tagesordnungspunkt 40 c: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. März 2006 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Bau einer Eisenbahnbrücke über den Rhein bei Kehl - Drucksache 16/2860 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({17}) - Drucksache 16/3224 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Anton Hofreiter Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt auf Drucksache 16/3224, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 40 d: - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2005 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Jemen über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 16/2861 - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. Juni 2005 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Arabischen Republik Ägypten über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 16/2862 - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 19. und 20. April 2005 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Islamischen Republik Afghanistan über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 16/2863 - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 10. August 2005 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Demokratischen Republik Timor-Leste über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 16/2864 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({18}) - Drucksache 16/3304 Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Hempelmann Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/ 3304, die Gesetzentwürfe anzunehmen. Wenn Sie damit einverstanden sind, können wir über die vier Gesetzentwürfe gemeinsam abstimmen. - Ich sehe, das ist der Fall. Dann können wir so verfahren. Ich bitte diejenigen, die den Gesetzentwürfen zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Dann sind diese vier Gesetzentwürfe mit den Stimmen aller Fraktionen mit Ausnahme der Fraktion Die Linke - sie hat dagegen gestimmt - angenommen.

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Eichgesetzes - Drucksache 16/2920 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) - Drucksache 16/3305 Berichterstattung: Abgeordneter Albert Rupprecht ({1}) Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3305, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDPFraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 40 f: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen - Drucksachen 16/2951, 16/3285 - Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2}) - Drucksache 16/3306 Berichterstattung: Abgeordnete Patricia Lips - Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/3317 Berichterstattung: Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Carsten Schneider ({4}) Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Anja Hajduk Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3306, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der Fraktionen der FDP und des Bündnisses 90/ Die Grünen angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Tagesordnungspunkt 40 g: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Transparenzrichtlinie-Gesetzes - Drucksache 16/2952 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({5}) - Drucksache 16/3261 Berichterstattung: Abgeordneter Eckhardt Rehberg Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/ 3261, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkte 40 h bis 40 o: Dabei geht es um die Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 40 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 118 zu Petitionen - Drucksache 16/3127 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 118 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 40 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 119 zu Petitionen - Drucksache 16/3128 6144 Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Wer ist dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? Die Sammelübersicht 119 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 40 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 120 zu Petitionen - Drucksache 16/3129 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 120 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 40 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 121 zu Petitionen - Drucksache 16/3130 Wer ist dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 121 ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Zustimmung aller anderen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 40 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10}) Sammelübersicht 122 zu Petitionen - Drucksache 16/3131 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 122 ist bei Gegenstimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit den Stimmen aller anderen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 40 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11}) Sammelübersicht 123 zu Petitionen - Drucksache 16/3132 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 123 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 40 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12}) Sammelübersicht 124 zu Petitionen - Drucksache 16/3133 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 124 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der Fraktionen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 40 o: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13}) Sammelübersicht 125 zu Petitionen - Drucksache 16/3134 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 125 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen bei Ablehnung durch die Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze bei innergemeinschaftlichen Verstößen - Drucksache 16/2930 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({14}) - Drucksache 16/3307 Berichterstattung: Abgeordnete Julia Klöckner Elvira Drobinski-Weiß Hans-Michael Goldmann Dr. Kirsten Tackmann Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3307, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Nun rufe ich den Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN Zur Frage der Praxistauglichkeit der HartzGesetze und der Erforderlichkeit einer Generalrevision Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt ({15})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gegenwärtig geistern ja einige Debatten durch die Republik, die durch Herrn Rüttgers angestoßen wurden und die es wert sind, dass man darüber nachdenkt. Das macht es notwendig, den einen oder anderen Punkt deutlich anzusprechen. Es geht vor allen Dingen um die Frage: Waren die Hartz-Gesetze erfolgreich oder nicht? ({0}) Die Frage ist sehr einfach zu beantworten, wenn man sich einmal überlegt, mit welchem Ziel man angetreten ist. Ich möchte hier an das erinnern, was Herr Hartz am 16. August 2002 im Französischen Dom zu Berlin gesagt hat: Heute ist ein schöner Tag für die Arbeitslosen. Unser Ziel ist es, die Zahl der Arbeitslosen in drei Jahren um 2 Millionen zu reduzieren. - Die Realität kennen wir alle: Das war die größte politische Scharlatanerie, die wir in den letzten Jahren in diesem Land erlebt haben. ({1}) Ich sage Ihnen: Das Gegenteil ist eingetreten. Die Arbeitslosigkeit ist gestiegen, Billigjobs verdrängen reguläre Arbeitsverhältnisse, versicherungspflichtige Beschäftigung ist zurückgegangen. ({2}) Diese Reform ist gescheitert, meine Damen und Herren. ({3}) Deshalb ist eine Generalrevision von Hartz IV richtig. Natürlich muss man das Arbeitslosengeld I länger zahlen. Das sage ich ganz bewusst in Richtung SPD. Jeder weiß, dass jemand, der älter als 50 ist und seinen Job verliert, eher das Bundesverdienstkreuz bekommt, als noch einmal einen neuen Job zu finden. ({4}) Ich weiß überhaupt nicht, warum gerade in Ihrer Fraktion Aufregung entsteht, wenn nun das Arbeitslosengeld I wieder einigermaßen vernünftig gezahlt werden soll, sodass man nicht direkt nach einem Jahr beim Arbeitslosengeld II mit 345 Euro Regelsatz landet. Wo da die Logik sein soll, wenn Sie als Sozialdemokraten dagegen sind, verstehe ich nicht. Ich weiß auch nicht, warum Sie Angst haben, einen Fehler zuzugeben. Herr Hartz ist weg wegen unredlichen Lebenswandels. Herr Schröder hat inzwischen ein Buch geschrieben. Sie brauchen keine Angst mehr zu haben, als unredlich darin vorzukommen. ({5}) Sie können einfach wieder sozialdemokratische Politik machen. Fangen Sie doch mal damit an! ({6}) Auf etwas möchte ich dabei deutlich hinweisen: ({7}) Es ist an dieser Stelle natürlich Vorsicht geboten. Es ist sinnvoller, das Arbeitslosengeld I nicht nur danach zu bemessen, wie lange ein Arbeitnehmer eingezahlt hat, sondern auch danach, wie alt jemand ist. Das war die alte Regelung, die wir beim Arbeitslosengeld I hatten. Die war vernünftig, weil die Arbeitslosenversicherung eine Risikoversicherung ist und weil es einfach so ist, dass man im Alter ein höheres Risiko hat. ({8}) Das ist das eine. Das Zweite ist etwas ganz anderes, nämlich die Vorschläge, die mit den Rüttgers-Positionen verbunden sind. Da muss man genau hinschauen. Es gibt keinen Grund, über eine Gegenfinanzierung nachzudenken, wenn die Bundesagentur 10 Milliarden Euro Gewinn macht. ({9}) Warum muss man eigentlich bei anderen sparen, wenn offensichtlich das Geld sprudelt, und zwar auf Kosten der Arbeitslosen, bei denen man eingespart hat? Deshalb sage ich Ihnen, meine Damen und Herren: Das, was Ihr zweiter Vorschlag beinhaltet, ist eigentlich - da hat Müntefering Recht - eine Sauerei. Sie wollen wieder einführen, dass beim Arbeitslosengeld-II-Bezug sozusagen die Alten für die Jungen sowie die Jungen für die Alten in der Familie einstehen sollen; nur vor diesem Hintergrund soll Geld gezahlt werden. Ich will Ihnen sagen, wo Sie da abgeschrieben haben. Ich zitiere aus dem Antrag der CDU-Landesverbände. Dort heißt es, im Gegenzug zu Ihren Vorschlägen werden die alten Regelungen der Sozialhilfe „zur gegenseitigen Einstandspflicht von Eltern für ihre Kinder, auch von Kindern für ihre Eltern“ wieder eingeführt. Sie wollen also beim Arbeitslosengeld II dafür sorgen, dass der Streit wieder in die Familien kommt. Sie wollen dafür sorgen, dass die Sozialpolitik letztendlich abgeschafft und ihre Aufgabe wieder in die Familien verlagert wird. Das ist Ihr Vorschlag und das ist ein politischer Skandal, meine Damen und Herren. ({10}) Was Sie hier vorschlagen, ist nichts Neues und ist relativ einfallslos. Wir wissen ja, dass es in der CDU enge Verbindungen zur Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände gibt; ich erwähne Herrn Göhner. Nun heißt es in dem BDA-Papier „Konsequente Reform von ‚Hartz IV‘ - 10-Punkte-Plan der BDA“ vom 31. Juli - ich zitiere -: Im Sinne des Subsidiaritätsprinzips muss die gegenseitige Unterstützung von Eltern und Kindern wie bei der früheren Sozialhilfe wieder Vorrang vor staatlicher Unterstützung erhalten. Sie haben ja nicht einmal etwas Neues geschrieben, meine Damen und Herren von der CDU/CSU! ({11}) Sie haben schlichtweg nur das BDA-Papier abgeschrieben. Dieser sozialpolitische Vorschlag ist ein Trojanisches Pferd: Sie tun so, als würden Sie das Arbeitslosengeld I sinnvollerweise erhöhen wollen; eigentlich wollen Sie aber beim Arbeitslosengeld II, bei den Ärmsten der Armen, weiter sparen. ({12}) Ein weiterer Skandal ist, dass Sie hier bei der Armutsdebatte so tun, als hätten Sie mit der Armut in dieser Republik nichts zu tun. Sie sind nicht ursächlich dafür verantwortlich; aber mit Ihren Hartz-Gesetzen haben Sie maßgeblich zur Armut, auch zur Kinderarmut, in diesem Lande beigetragen. Diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen. ({13}) Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Meckelburg von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, Herr Ernst, Ihnen fehlen die Auftritte auf sozialdemokratischen Parteitagen. Auch bei der IG Metall ist es ein bisschen schwierig geworden, nachdem Sie in eine Partei gegangen sind, die zumindest nicht bei allen im DGB hoffähig ist. Ich habe mir ein bisschen Sorgen gemacht, als ich den Titel dieser Aktuellen Stunde gelesen habe: „Zur Frage der Praxistauglichkeit der Hartz-Gesetze und der Erforderlichkeit einer Generalrevision“. Ich habe den Titel extra mitgenommen; das kann man kaum auswendig lernen. Das ist doch eher der Titel einer Doktorarbeit an einer marxistisch-leninistischen Institution. ({0}) Sie können uns nicht erklären, warum dieses Thema jetzt aktuell sein soll. Was Sie von der Linken/PDS eigentlich wollen, ist doch klar: Sie wollen jede Woche im Bundestag mit abgegriffenen sozialistischen Winkelementen durchs Plenum laufen und den Leuten etwas vorgaukeln. ({1}) Wir werden dagegenhalten. Sie können jede Woche wiederholen, was Sie jetzt machen. Ihre Rezepte sind abgegriffen. Das Modell - es hatte einen Namen: DDR - hat überall dort, wo es ausprobiert wurde, versagt. Denn die DDR ist untergegangen. ({2}) Am Ende hatten nicht alle mehr, sondern alle nichts mehr gehabt. Danach folgte die größte friedliche Revolution gegen genau das Modell, das Sie nun ständig neu in die Debatte zu bringen versuchen. Wir halten aber dagegen. ({3}) Sie betreiben eine Art Populismusolympiade - auch Herr Gysi wird gleich seinen Auftritt haben ({4}) - ja, ich freue mich schon darauf -: schneller, besser, weiter. Sie wollen die Besten sein, indem Sie allen etwas versprechen. Am Ende werden Sie aber Ihre Versprechen nicht halten können. Ich will ein paar Beispiele nennen. Was machen Sie im Rahmen der Haushaltsberatungen? Sie fordern, die Regelsätze für das Arbeitslosengeld II von 345 auf 420 Euro zu erhöhen. ({5}) Das ist ein altes Thema. Sie wollen damit locker die Ausgaben um 5,8 Milliarden Euro auf 27,2 Milliarden Euro erhöhen. Wenn man Sie dann fragt, woher Sie das Geld nehmen wollen, dann kommen Sie mit den alten Hüten, die kein Mensch mehr hören kann. Bei den Leistungen für die Unterkunft, über die es zwischen Bund und Ländern Verhandlungen gegeben hat - das Ergebnis ist ein Bundeszuschuss in Höhe von 4,3 Milliarden Euro -, fordern Sie eine Erhöhung auf 5,7 Milliarden Euro. Das ist alles nicht mehr nachvollziehbar. Sie wollen locker 10 Milliarden Euro draufsatteln, sagen aber keinem Menschen, woher Sie das Geld nehmen wollen. ({6}) Mit Ihrer Politik der Mehrausgaben werden Sie aber scheitern. Denn das Geld ist nicht da. Wir müssen eine Politik für den Arbeitsmarkt machen und dürfen nicht einfach nur immer mehr Geld ausgeben. ({7}) Was fällt Ihnen zum Thema Überschuss bei der Bundesagentur für Arbeit ein? Da fällt Ihnen nichts anderes ein, als das Geld zu nehmen und für irgendein Programm auszugeben. ({8}) Wir müssen aber das Geld den Menschen zurückgeben, die es einbezahlt haben. Damit schaffen wir Raum für die Senkung der Lohnnebenkosten und für die Schaffung von Arbeitsplätzen. ({9}) Jetzt werde ich ruhiger; denn die Veränderungen finden längst statt. Die Oktoberzahlen belegen, dass es einen Rückgang der Zahl der Arbeitslosen um fast 500 000 auf jetzt 4 Millionen gibt. Wir haben vor allen Dingen im Bereich der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung eine Trendumkehr; Sie haben vorhin falsche Zahlen genannt. Seit September 2000 ging im Bereich der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung - unter diesen Bereich fallen die Menschen, die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen - die Zahl der Stellen in einem Zeitraum von 65 Monaten um 1,7 Millionen zurück. Aber seit Mai dieses Jahres ist es der neuen Koalition gelungen, eine Trendwende herbeizuführen. Im Vergleich zum Vorjahr gibt es 260 000 neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Das führt zu positiven Effekten wie Wirtschaftswachstum und Mehreinnahmen der Sozialkassen. Diesen Weg müssen wir gehen. Er ist die konsequente Alternative zu dem, was Sie hier ständig in Aktuellen Stunden vorleiern. ({10}) Sie fordern, dass es eine totale Hartz-Revision geben muss. Ich sage Ihnen: Seit es die neue Koalition gibt, sind wir ständig dabei, an den Stellen konsequent zu Veränderungen zu kommen, an denen etwas nicht funktioniert. ({11}) Wir haben Veränderungen an mehreren Stellen durchgeführt. Sie wissen das; denn Sie waren in den meisten Fällen dagegen. Sie interessiert eben nicht, ob eine Maßnahme bezahlbar und sinnvoll ist. Nach Ihrer Meinung ist es immer besser, Geld für Maßnahmen auszugeben, egal ob sie sinnvoll sind oder nicht. Ihr Weg ist aber falsch. ({12}) Wir wollen an weiteren Stellen, die nicht funktionieren, konsequent zu Veränderungen kommen. Wir sind zurzeit dabei, in einer Arbeitsgruppe der Koalition konstruktiv über das Thema Arbeitsmarkt zu diskutieren. Wir sind voll im Plan und werden Ihnen entsprechende Vorschläge vorlegen. Ich vermute, dass sie Ihnen nicht gefallen werden. Wir sind auch dabei, alle Maßnahmen, die es im Bereich der Hartz-Gesetzgebung gibt, zu bewerten und gegebenenfalls zu einer Bündelung zu gelangen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin sofort fertig. - Wenn Sie also etwas Neues wollen, dann fangen Sie neu an zu denken, und kehren Sie nicht zu den alten gescheiterten Dingen zurück, die wir alle erlebt haben; gerade Sie, Herr Gysi! ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dirk Niebel von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist jetzt ungefähr vier Jahre her, dass die Feierstunde zu den Hartz-Gesetzen im Französischen Dom auf dem Gendarmenmarkt stattgefunden hat. Damals hat Herr Hartz, der übrigens ebenso wie Sie, Herr Ernst, IGMetall-Mitglied ist, weshalb Sie vielleicht etwas netter zu ihm sein sollten, ({0}) gesagt, dass die Arbeitslosigkeit mit dem von ihm vorgelegten Konzept innerhalb von zwei Jahren halbiert werden könne. Jetzt stellen wir fest, dass die Bundesregierung die Trendwende am Arbeitsmarkt verkündet. Der Kollege Meckelburg hat eben mit Begeisterung festgestellt, dass fast 300 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mehr da sind. Das finde auch ich gut. Wenn man allerdings zur Kenntnis nimmt, dass zwischen 2001 und 2005 1,5 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse verloren gegangen sind, dann ist das eine leichte Besserung, es ist aber noch lange keine Trendwende. Da brauchen wir uns nichts vorzumachen! ({1}) Politik hat etwas mit der Wahrnehmung der Realität zu tun. Die Hartz-Gesetzgebungen bestehen nicht nur aus Hartz IV. Dazu gehört noch mehr. Vielleicht erinnert sich manch einer von Ihnen noch an schöne Dinge wie den Jobfloater oder den virtuellen Arbeitsmarkt, der einmal 65 Millionen Euro kosten sollte, dann aber bei 233 Millionen Euro endete. So muss diese gesamte Gesetzgebung auf die Details und auf die Frage, was sie gebracht hat, abgeklopft werden. Die öffentliche Diskussion kümmert sich nur um Hartz IV. Es ist aber weit mehr damit verbunden. Insgesamt muss man sagen: Die Reformen sind nicht gescheitert, aber sie sind auf dem besten Wege dazu. Man kann allerdings noch etwas ändern. Ein Kardinalfehler dieser Reform bestand in der Mischzuständigkeit. Hier waren wir, Herr Kollege Meckelburg, im Vermittlungsausschuss übrigens immer einer Meinung. Wenn jemand tatsächlich glauben sollte, dass man dann, wenn man aus zwei Behörden - der Bundesagentur und der Kommunalverwaltung - noch eine dritte Behörde, die Arbeitsgemeinschaft, schafft, Geld sparen kann, dann ist das jemand, der sich garantiert auch die Hose mit der Kneifzange anzieht oder mit dem Klammerbeutel gepudert ist. Es ist eine einfache Lebenswahrheit: Wer zu zwei Behörden eine dritte gesellt, der gibt in aller Regel mehr Geld aus und spart nichts ein. Das war der erste Kardinalfehler. ({2}) Die inhaltliche Begründung für die Kommunalisierung, die wir immer gefordert haben, ist vom Bundes6148 sozialgericht noch einmal deutlich dargestellt worden. Man kann zum Beispiel bei den Kosten für Wohnungen keine bundesweite Tabelle zugrunde legen, weil die Lebenshaltungskosten an den verschiedenen Orten unterschiedlich sind. Natürlich sind die Kommunen dichter an den Bedürfnissen und den Problemen der Menschen dran. Deshalb sollte man diesen Kardinalfehler auch endlich korrigieren. Ich will noch einmal deutlich festhalten: Die FDP-Bundestagsfraktion war - ich glaube, neben der Fraktion Die Linke - die einzige, die das so genannte Optionsgesetz wegen nachgewiesenen Unsinns abgelehnt hat. ({3}) Wir haben andere Vorschläge dazu gemacht, wie man zu einer besseren Betreuung der Arbeitsuchenden kommen kann. Immerhin gibt die Bundesrepublik Deutschland mit allen betroffenen Haushalten pro Jahr 696 Milliarden Euro für Soziales aus. Man kann nicht behaupten, dass das wenig Geld wäre. Offenkundig kommt es nicht dort an, wo es hingehört. Wenn wir aber jetzt die Möglichkeiten nutzen würden, die Arbeitsvermittlung in kommunaler Trägerschaft zu organisieren und mit einem Budgetsystem für den Bund einen Anreiz, vernünftige Gesetze zu machen, und für die Kommunen einen Anreiz, die Menschen schnell und sachgerecht zu betreuen, zu schaffen, dann hätten wir für die betroffenen Bürger deutlich günstigere Bedingungen und Einsparungen in den öffentlichen Haushalten. Wir haben ein zukunftsweisendes Konzept zur Auflösung der Bundesagentur für Arbeit. Selbst wenn deren Vorstandsvorsitzender sagt, er sei der erfolgreiche Manager eines Großunternehmens, so muss man doch zur Kenntnis nehmen, dass die meisten Kunden mit den Leistungen der BA nicht zufrieden sind. Im Rahmen dieses Auflösungskonzeptes ist ein Budgetkonzept vorgesehen, in dem die Finanzierung organisiert ist. Der Bund gibt den Trägern der Arbeitsagenturen vor Ort ein den regionalen Bedingungen des Arbeitsmarktes entsprechendes Budget an die Hand. Sie haben dann den Anreiz, gut zu sein, weil sie die Hälfte des nicht verbrauchten Budgets behalten können. Der Bund hat dann den Anreiz für gute Gesetze, weil er die andere Hälfte des eingesparten Geldes zurückbekommt. Sie können Menschen mit Anreizen integrieren. Mit Anreizen können Sie dafür sorgen, dass Verschiebebahnhöfe endlich aufgelöst werden. ({4}) Wir sollten uns ganz genau überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre, auch das Schonvermögen der betroffenen älteren Menschen noch einmal zu überdenken. Ich erinnere mich sehr genau daran, wie ich im Vermittlungsverfahren mehrfach dafür geworben habe, dass wir das Schonvermögen für Ältere größer ausgestalten. Es kann wirklich kaum jemand nachvollziehen, dass die Politik die Bürgerinnen und Bürger völlig zu Recht auffordert, Eigenvorsorge für das Alter zu betreiben, und dass derjenige, der das nicht tut, staatliche Unterstützungsleistungen bekommt, derjenige aber, der gespart hat, diese Ersparnisse erst einmal zum wesentlichen Teil aufbrauchen muss, ehe er unterstützt wird. Da ist der Anreiz, das Geld vorher auszugeben und zu konsumieren, natürlich wirtschaftlich nachvollziehbar und deutlich größer. Deswegen sollte man hier neue Wege gehen. Sie haben unsere Unterstützung, wenn Sie das tun wollen. Der letzte Punkt, den ich in meiner kurzen Redezeit ansprechen möchte - er ist mir sehr wichtig -, sind die so genannten Überschüsse bei der Bundesagentur; wir haben es schon gestern thematisiert. Alle, vor allem die Bundesregierung, aber auch die PDS, tun so, als wenn dort jetzt unheimlich viel Geld verdient würde. Lassen Sie mich eines ganz deutlich festhalten: All das Geld, was dort übrig ist, ist den Arbeitnehmern und Arbeitgebern vorher zu viel weggenommen worden. Deswegen muss man jeden Beitragssenkungsspielraum nutzen, um das Geld zurückzugeben. ({5}) Das gilt auch für die anderen sozialen Sicherungssysteme, zum Beispiel für die Rentenversicherung. Sie haben angekündigt, die Rentenbeiträge im kommenden Jahr auf 19,9 Prozent zu erhöhen. Aber Sie wissen selbst, dass ein Beitrag von 19,7 Prozent ausreichen würde. Dass Sie diesen Beitragssenkungsspielraum nicht voll auszunutzen, begründen Sie nur mit dem Argument, die Planungssicherheit für die Betriebe und die betroffenen Menschen erhalten zu wollen. So werden Sie den Faktor Arbeit nicht entlasten. Im Gegenteil: Sie ernten auf der einen Seite Unverständnis bei den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern und auf der anderen Seite machen Sie es immer schwerer, Arbeit in Deutschland zu schaffen. Aber von mehr Beschäftigung profitieren Sie doch im Augenblick.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Niebel, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin bei meinem letzten Gedanken, Herr Präsident. Mehr Beschäftigung führt zu mehr Steuerzahlern und mehr Beitragszahlern, was Sie im Endeffekt strahlend auf der Regierungsbank sitzen lassen kann und den Menschen in diesem Land ein Stück weit mehr Perspektive bietet. Kehren Sie um zu mehr Freiheit! Machen Sie das, was die Bundeskanzlerin zu Beginn ihrer Regierungszeit in ihrer Regierungserklärung gefordert hat: Wagen Sie mehr Freiheit! ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Bundesregierung hat jetzt das Wort der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres. ({0})

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es stimmt: In den letzten vier Jahren haben wir die Grundlagen der Arbeitsmarktpolitik deutlich veränParl. Staatssekretär Gerd Andres dert. Mit den ersten drei Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt - im Volksmund „Hartz I“ bis „Hartz IV“ genannt - hat die frühere Bundesregierung die Bundesagentur für Arbeit zu einem modernen Dienstleistungsunternehmen umgestaltet. Statt Arbeitslosigkeit weiterhin vorwiegend zu verwalten, stehen mittlerweile die Stärkung der Vermittlung in Arbeit und die Einsetzung effizienter, kostengünstiger Methoden und Ansätze im Mittelpunkt. Wir haben in der Arbeitsmarktpolitik eine Menge umgekrempelt. Ich füge ganz gelassen hinzu: Diese Reformen zeigen jetzt Erfolge. ({0}) Neben dieser Reform der Organisation haben wir mit der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für Erwerbsfähige eine echte Strukturreform durchgeführt. Es gibt jetzt die einheitliche, bedarfsabhängige staatliche Fürsorgeleistung der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Ihre Einführung war richtig; niemand außer den Linken bezweifelt das. Diese Reform war völlig richtig und wir haben sie umgesetzt. ({1}) Diese Leistungen bringen uns allen Vorteile. Die Maßnahmen zur Eingliederung der Hilfesuchenden übernimmt jetzt eine Stelle. Es wird nicht mehr wie früher unterschieden, wer Kunde des Sozialamtes, des Arbeitsamtes oder des Wohnungsamtes ist. Diese Veränderung ist sehr bedeutsam. Denn mittlerweile werden die Energien darauf verwendet, Hilfebedürftigkeit zu überwinden, nicht mehr darauf, zu klären, welches Amt für wen zuständig ist. Für die Hilfesuchenden liegt der Vorteil darin, dass sie die Leistungen nun aus einer Hand erhalten. Sie müssen nicht mehr von Amt zu Amt, von Pontius zu Pilatus laufen. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende besteht nunmehr seit etwas mehr als 23 Monaten. In der Einführungsphase gab es Reibungsverluste; wer würde das bestreiten. Das kann aber nicht verwundern; denn schließlich galt es, eine der größten Sozialreformen der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland umzusetzen und ins Laufen zu bringen. Dass dies nicht von heute auf morgen funktioniert, zeigt uns der Blick ins Ausland. Dort hat es bis zu fünf Jahre gedauert, bis vergleichbar tiefe Reformen wirklich mit Leben erfüllt waren und ihre Wirkung entfalten konnten. Die Anfangsphase ist mittlerweile geschafft. Jetzt werden alle Energien und Ressourcen auf die Überwindung von Hilfebedürftigkeit konzentriert. Aufgabe der Politik ist es, die Rahmenbedingungen dafür so optimal wie möglich zu gestalten. Wir haben in kurzer Zeit zwei umfassende Gesetze zur Revision des SGB II, also des Arbeitslosengeldes II, umgesetzt. Wir haben aus den Anfangsfehlern gelernt. Wir haben immer gesagt: Hierbei handelt es sich um ein „lernendes“ Gesetzgebungsverfahren; wir müssen nachsteuern und nachjustieren. Das haben wir gemacht. Alle Fachleute sagen uns - zuletzt bei einer Sachverständigenanhörung am 26. Oktober -: Die Reform braucht Zeit, damit sie wirken kann. Verändert nicht schon wieder die Tatbestände! Lasst den Menschen in den Agenturen und den Arbeitsgemeinschaften Zeit, dies jetzt richtig umzusetzen. - Uns wird gesagt, so die Sachverständigen, das geltende Recht enthalte ausreichende Handlungsmöglichkeiten für die Akteure vor Ort. Rechtliche Veränderungen sollten auf ein Mindestmaß reduziert werden. Das Allerletzte, was die Praxis jetzt gebrauchen könne, seien ständig neue öffentlichkeitswirksame Forderungen - nach Gesetzesänderungen, nach Leistungskürzungen, nach einer Generalrevision. Wenn uns die Praktiker sagen: „Wir haben, was wir brauchen; jetzt lasst es uns auch anwenden“, dann sind wir gut beraten, dies ernst zu nehmen und danach zu handeln. Deshalb macht es auch keinen Sinn, zum jetzigen Zeitpunkt die Zuständigkeit für die Umsetzung des SGB II infrage zu stellen. Damit sind zum einen die Arbeitsgemeinschaften befasst, die aus kommunalen Trägern und der Agentur für Arbeit gebildet wurden, und zum anderen die 69 Optionskommunen, die das SGB II alleine umsetzen. Diese Aufgabenverteilung hat der Gesetzgeber bewusst als Experiment bis 2010 zugelassen, um zu sehen, wer es besser macht. Wir werden die Ergebnisse evaluieren und Bundestag und Bundesrat bis Ende 2008 einen Bericht darüber vorlegen. Dann wird Bilanz gezogen und entschieden, wie es weitergeht. So ist der Fahrplan. Zusammengefasst: Die Forderung nach Generalrevision ist blanker Populismus. Ich denke, der Gesetzgeber sollte sich zurückhalten und die getroffenen Maßnahmen wirken lassen. Ich will aber nicht verschweigen, dass es auf der Ebene der Verwaltung durchaus Handlungsbedarf gibt. Wir werden sorgfältig prüfen und zu entscheiden haben, welche Rahmenbedingungen besser werden müssen; denn das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure läuft noch nicht optimal. An der Umsetzung des SGB II sind der Bund, die Bundesagentur für Arbeit, die Kommunen, die zugelassenen kommunalen Träger und die Bundesländer beteiligt. ({2}) Ich denke, es ist wichtig, dass jeder der Beteiligten seine Aufgaben und seine Rolle genauso kennt wie deren Grenzen. Die Finanzierung der Grundsicherung nach dem SGB II ist überwiegend Sache des Bundes; er trägt etwa 80 Prozent der Kosten. Niemand will das ändern. Dieses finanzielle Engagement muss aber praktische Konsequenzen haben, und die hat es auch. Es muss der Grundsatz gelten: Die Kompetenzen folgen der Finanzierung. - Das bedeutet schlicht und einfach, dass diejenigen, die die finanzielle Verantwortung haben, auch die Durchführungsverantwortung haben und sie entsprechend wahrnehmen. ({3}) Der Bund - niemand sonst - trägt den größten Teil der Kosten. Beide Träger, die Kommunen und wir, haben dafür auch die Durchführungsverantwortung. Aus diesem Grundsatz ergeben sich konkrete Fragen, die wir klären müssen: Welche Rolle hat die Bundesagentur für Arbeit? Was dürfen die Kommunen und die zugelassenen kommunalen Träger? Wie weit dürfen die Länder Einfluss nehmen? - Wenn es gelingt, dass alle Beteiligten ihre Rolle und die Rolle der anderen akzeptieren, dann sind wir auf dem Weg zu mehr Effizienz beim SGB II ein großes Stück vorangekommen. Klärungsbedarf gibt es übrigens auch beim Personal, das die Grundsicherung der Arbeitssuchenden vor Ort umsetzt. Ich will nur drei Punkte nennen: die Wahl von Personalräten, die Qualifizierung von Mitarbeitern und die Klärung der tariflichen Situation. Ziel muss nach meiner Überzeugung sein, dass gleicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt wird, ({4}) egal ob der Mitarbeiter von der Kommune oder von der Arbeitsagentur kommt. Das alles klingt nach Arbeit im Detail. Ich sage ganz deutlich: Das ist es auch. Es gilt jetzt, das zu tun, was für ein besseres Funktionieren der Reform noch notwendig ist. Diese Arbeit ist anstrengend, aber sie lohnt sich, weil sie den Menschen, die händeringend nach Arbeit suchen, in ihrer schwierigen Situation weiterhelfen wird. Ständige Forderungen nach einer Generalrevision - das sage ich in Richtung derer, die diese Aktuelle Stunde beantragt haben - oder die Ablehnung der Hartz-Gesetze helfen nicht weiter, gleich von welcher Seite sie kommen. ({5}) Das Schönste an den Reden von Herrn Niebel ist, dass er vorschlagen kann, was er will; da er in der Opposition ist, werden alle Vorschläge und Forderungen, die er formuliert, nicht gesellschaftliche Wirklichkeit. Sie werden sich nicht durchsetzen. ({6}) Umgekehrt gilt das natürlich auch für diejenigen, die diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer von Bündnis 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss gestehen, dass ich diese Aktuelle Stunde etwas merkwürdig finde. Ich bin nämlich immer davon ausgegangen, dass in einer Aktuellen Stunde auch die aktuellen politischen Debatten geführt werden. ({0}) Weder vonseiten der CDU/CSU noch von Herrn Andres fiel ein Wort zu dem, was hier inszeniert wird. Nach „Deutschland - ein Sommermärchen“ inszeniert die CDU jetzt offensichtlich ein Wintermärchen. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen fordert die Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I. Dann geht er in die Umkleidekabine und fragt den Spiegel: Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der So-zialste im ganzen Land? Der Spiegel antwortet ihm tatsächlich, sagt aber zu seinem Missvergnügen: ({1}) Herr Rüttgers, Ihr seid der Sozialste hier, aber Oskar Lafontaine, hinter den roten Bergen, bei den roten Zwergen, ist noch tausendmal sozialer als Ihr! ({2}) Was lernen wir daraus? Die Frage, wer soziale Politik macht und wer nicht, ist nicht durch einen Blick in den Spiegel zu beantworten. Dafür muss man die Konzepte, die hinter diesen Vorschlägen stehen, genau ansehen. Herr Meckelburg, dabei entzaubert sich das holde Spiegelbild doch sehr schnell. Dann sieht man, dass es sich eben nicht um ein Märchen handelt, sondern um ein scheinheiliges Politikmanöver, das das Etikett „sozial“ wahrlich nicht verdient. Dieser Plan hat nämlich eine derbe soziale Schieflage. Davon sind übrigens nicht nur die Jungen, die Frauen und diejenigen betroffen, die unterbrochene Erwerbsbiografien haben. Dass die alle zu Verlierern werden, ist ganz offensichtlich. Dieses Konzept ist auch für diejenigen eine Mogelpackung, für die Sie vorgeblich etwas tun wollen, nämlich für die älteren Arbeitslosen. Für die allermeisten der betroffenen Älteren würde diese Regelung zu einer krassen Verschlechterung führen. Derzeit erhalten über 55-Jährige 18 Monate lang Arbeitslosengeld I, wofür sie nur drei Jahre lang in die Arbeitslosenversicherung einzahlen müssen. Der Vorschlag von Herrn Rüttgers, der ganz offensichtlich von vielen von Ihnen getragen wird, würde zwar zugegebenermaßen dazu führen, dass die Bezugsdauer um sechs Monate angehoben würde. Dafür müssten sie aber 40 Jahre lang ununterbrochen einzahlen. ({3}) Mit anderen Worten: Ein 55-Jähriger müsste ab dem 15. Lebensjahr ununterbrochen einzahlen, damit er zwei Jahre lang Arbeitslosengeld I beziehen kann. Was ist daran fortschrittlich? Was ist daran sozial? ({4}) Die Fehlanreize in Richtung Frühverrentung kommen noch hinzu. Sie reden immer von einer Lebensarbeitszeitverlängerung, machen aber eine Politik, die in eine ganz andere Richtung zielt. ({5}) Dieser Vorschlag stellt den Charakter der Arbeitslosenversicherung auf den Kopf. Er zielt in die völlig falsche Richtung. Genau umgekehrt wird ein Schuh daraus. Die Erwerbsbiografien werden immer diskontinuierlicher. Es gibt immer mehr Unterbrechungen in den Erwerbsbiografien. Daher müssen wir die sozialen Sicherungssysteme in genau die andere Richtung reformieren. ({6}) Dieser Vorschlag ist eine Fahrkarte in die Vergangenheit. Rüttgers segelt unter der Fahne der Gerechtigkeit, aber dieses Schiff hat eine starke soziale Schlagseite. ({7}) Heute Morgen habe ich in der „Süddeutschen Zeitung“ gelesen, Herr Müntefering habe den Kampfruf ausgegeben: Auf sie mit Gebrüll! ({8}) Ich kann nur sagen: Gut gebrüllt, Löwe Müntefering. Doch jetzt wollen wir mal sehen, ob der Vizekanzler ordentlich zubeißen kann. Danke schön. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Maria Michalk von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn die SED/PDS und ihre Gefolgschaft in der heutigen Aktuellen Stunde am 17. Jahrestag des Falls der Mauer die Frage nach der Praxistauglichkeit der HartzGesetzgebung stellen und eine Generalrevision fordern, kann man sich die Antwort sehr leicht machen. Ich zitiere Herrn Dr. Klaus von Dohnanyi, einen Mann, der sich von Anfang an, seit 1990, mit den sozialpolitischen und strukturpolitischen Herausforderungen des Umbaus der neuen Bundesländer beschäftigt: Wenn wir die vorliegenden Prognosen über die Altersentwicklung, die Folgen der Geburtenlücken und die Vorausschätzungen der Kosten, die beide Tendenzen verursachen werden, berücksichtigen, dann führt jede ehrliche Rechnung zu zwei Ergebnissen: Erstens: Wir werden für diese Aufgabenfelder zukünftig einen größeren Teil von unseren privaten Einkommen abgeben müssen. Zweitens: Es wird zwangsläufig für die Bürger unterschiedliche Niveaus der Versorgung geben, je nachdem, wie viel jeder Einzelne für die Versorgung zusätzlich einbringen kann oder einzubringen bereit ist. Zusammenfassen kann man das so: Mehr Hilfe zur Selbsthilfe, mehr Eigenverantwortung, mehr Flexibilisierung in allen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens, stärkere Bündelung aller Kräfte. Diesem Anspruch sind wir vor reichlich drei Jahren nachgekommen. Erinnern wir uns: Das Nebeneinander zweier staatlicher steuerfinanzierter Fürsorgesysteme - der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe - war ineffizient und intransparent, ja auch ungerecht. Trotz vergleichbarer Leistungen gab es für die Bezieher von Arbeitslosenhilfe und für erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger keine arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen aus einer Hand. Für die Teilnahme an einer Qualifizierungs- oder Beschäftigungsmaßnahme war weniger die Zweckmäßigkeit der Maßnahme entscheidend als vielmehr die Art des Leistungsbezuges. Darüber hinaus stand in der Praxis in beiden Systemen zu oft die Leistung zum Lebensunterhalt im Vordergrund und nicht die Überwindung der Arbeitslosigkeit. Natürlich waren und sind die Akzente in den neuen Bundesländern explizit differenzierter, weil es große strukturelle Veränderungen in den Griff zu bekommen gilt. Die Sozialhilfe orientierte sich - das müssen wir uns vergegenwärtigen - am soziokulturellen Existenzminimum, die Arbeitslosenhilfe am zuletzt erzielten Einkommen. Die Niveauunterschiede beider Systeme wurden noch verstärkt dadurch, dass bei der Bedürftigkeitsprüfung unterschiedliche Einkommens- und Vermögensgrenzen, unterschiedliche Freibeträge für Erwerbseinkommen, so genannte Hinzuverdienstgrenzen, und unterschiedliche Regelungen für die Zumutbarkeit einer aufzunehmenden Erwerbstätigkeit galten. Hieraus resultierte eine Vielzahl von Problemen. Leistungsbezieher aus den beiden Systemen wurden bei den Integrationsbemühungen der Träger unterschiedlich behandelt; auch das müssen wir uns vergegenwärtigen. Es entstand die Tendenz, die finanziellen Lasten zwischen Sozialhilfeträgern und Bundesagentur zu verschieben. Deswegen war das Zusammenlegen von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe richtig, ja alternativlos. ({0}) Natürlich kann niemand mit der Grundsicherung, die wir jetzt auf einen in West und Ost einheitlichen Betrag festgelegt haben, große Sprünge machen; das sehen wir auch. Natürlich sind wir zum Handeln aufgefordert, wenn in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit die Bemühungen des Einzelnen um einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt mangels Angeboten wiederholt ohne Erfolg bleiben. Wir kennen diese Herausforderung und wir kümmern uns darum. Deshalb ist es richtig, dass wir uns auf die Senkung der Lohnnebenkosten konzentrieren, weil wir dadurch auch den Beziehern unterer Einkommen helfen, indem wir ihre Kaufkraft stärken. ({1}) Natürlich macht es betroffen, dass vor allem Alleinerziehende mit Kindern ihr Monatseinkommen mit sehr viel Kreativität einteilen müssen, um über die Runden zu kommen. Die Wahrheit ist aber auch, dass es schon immer soziale Konstanten gegeben hat, die durch Einkommensunterschiede geprägt waren. Ich möchte ganz ausdrücklich darauf hinweisen, dass das auch in der DDR der Fall war. Da die Redezeit in der Aktuellen Stunde kurz bemessen ist, will ich nur noch sagen: Es ist wichtig, dass wir uns den Problemen des Arbeitsmarktes stellen. Dadurch wird die in den Hartz-Gesetzen vorgenommene Gewichtung anders aussehen. Deshalb sind wir in der großen Koalition auf dem richtigen Weg. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Gregor Gysi von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Michalk, mich wundert es ein wenig, dass Ihnen am Tag der Öffnung der Mauer nur die SED einfällt. Ich finde, Ihnen sollten auch die CDU und die Bauernpartei der DDR einfallen, mit denen Sie sich so erfolgreich vereinigt haben, ohne das je aufgearbeitet zu haben. ({0}) Herr Meckelburg, Sie haben darauf hingewiesen, dass wir jede Woche zum gleichen Thema mit Winkelementen durchs Haus gehen. ({1}) Ich darf Ihnen etwas erklären: Es handelt sich um eine Aktuelle Stunde, für die Herr Rüttgers thematisch gesorgt hat, nicht wir. Das sollten Sie bei dieser Gelegenheit nicht vergessen. ({2}) Herr Meckelburg, Sie haben dann gesagt, dass aufgrund der entsprechenden Instrumente bereits die DDR gescheitert ist. Ich will Ihnen selbst das einmal erklären. ({3}) Die private Wirtschaftsmacht wurde in der DDR gebrochen und es entstand eine Mangelwirtschaft mit geringer Produktivität. Die staatliche Macht wurde nicht gebrochen, sondern geradezu zur Absolution hochgetrieben. ({4}) Die Folge waren Produktivitätsmängel und vor allen Dingen große Einschränkungen bei Demokratie und Freiheit. Daran und nicht an der Arbeitslosigkeit ist die DDR gescheitert. Selbst das bringen Sie durcheinander. Es tut mir furchtbar Leid, Herr Meckelburg. ({5}) Ich komme zu Rüttgers zurück. Er hat einen vernünftigen Vorschlag unterbreitet - zumindest laut den Medien -, dass nämlich ältere Arbeitslose länger Arbeitslosengeld I erhalten sollen. Das klingt gut. Dass Herr Beck als Vorsitzender der SPD dem gleich widerspricht, will mir wirklich nicht in die Birne. ({6}) Es tut mir wirklich Leid. Als Vorsitzender der SPD müsste man doch sagen, dass die Idee erst einmal richtig ist. Wenn man das aber selber gekürzt hat, will man natürlich nicht dazu stehen. Herr Rüttgers hat allerdings Vorschläge dazu gemacht, wie andere Arbeitslose das finanzieren sollen. Es ist wirklich sozial unerträglich, zu sagen: Die einen sollen etwas mehr erhalten, dafür erhalten die anderen Arbeitslosen deutlich weniger. - So kann eine soziale Lösung dieser Probleme nicht aussehen. ({7}) Das würde natürlich zum Nachteil der Bezieher von ALG II und von Eltern in ihrem Verhältnis zu bereits erwachsenen Kindern geschehen. Ich sage Ihnen eines: Das alles kann man machen. Man kann sagen, dass die einen für die anderen haften. Damit helfen Sie aber nur einer Berufsgruppe, nämlich meiner, den Rechtsanwälten, weil es viele Prozesse geben wird. Die Familien zerstören Sie damit aber. Das kann unmöglich der Weg sein, den wir hier einschlagen. ({8}) Herr Meckelburg, auch Ihr nächstes Argument fand ich interessant. Sie sprachen davon: Es gibt kein Geld. Gleichzeitig machten Sie aber keinen Vorschlag, wie man das bezahlen soll. Das sagen Sie im November 2006 im Ernst. Die erwarteten Steuermehreinnahmen des Bundes liegen in diesem Jahr bei 9 Milliarden Euro. ({9}) Die Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit, die die Beiträge für die Arbeitslosenversicherung erhält, liegen bei etwa 10 Milliarden Euro. Sie wollen jetzt eine Unternehmensteuerreform durchführen, ({10}) durch die Sie den Konzernen schon wieder Steuern in Höhe von 8 Milliarden Euro schenken. Gleichzeitig sagen Sie, dass die Empfänger von 345 Euro die längere Zahlungsdauer des Arbeitslosengeldes I finanzieren sollen. Das ist doch einfach indiskutabel. Wir haben das Geld doch, wir müssen es nur anders verteilen. ({11}) Sie haben in dieser Gesellschaft eine breite Armut organisiert. Aber Sie haben auch Reichtum organisiert. Das geht seit Jahren so. Das behaupte nicht nur ich. Es gibt wissenschaftliche Studien und andere Untersuchungen, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Jeden Tag kann man in den Zeitungen lesen - übrigens setzen sich auch rechte bzw. konservative Autoren mit dieser Frage auseinander -: Wenn die Armut weiter in diesem Maße zunimmt und der Reichtum gleichzeitig so stark wächst, ist das gesellschaftszerstörerisch. Es gibt zwar ein paar verblendete Linke, die denken, dass das zu einer Stärkung der politischen Linken führt. Ich sehe aber die große Gefahr, dass diese Entwicklung, wenn wir so weitermachen, eine Stärkung der Rechten zur Folge haben wird. ({12}) Wir brauchen eine Gesellschaft, die wesentlich mehr Solidarität beweist. Das muss man organisieren. ({13}) Solange die Menschen uns wählen, sollten Sie noch zufrieden sein. ({14}) Das könnte auch ganz anders aussehen. Das sage ich insbesondere in Richtung SPD. Sie haben in den letzten sieben Jahren schließlich mit dazu beigetragen, dass der Reichtum gestärkt und die Armut organisiert wurde. Das werden Sie nicht los. Werden Sie endlich wieder sozialdemokratisch! ({15}) Ich frage Sie - ich bleibe bei Ihrem Argument: kein Geld -: Sind Sie bereit, eine Vermögensteuer einzuführen? Sagen Sie doch einmal: Die Vermögenden in unserer Gesellschaft sollen entsprechend Art. 14 Abs. 2 unseres Grundgesetzes ihren Beitrag leisten. Dort steht immer noch: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. ({16}) Ich bitte Sie: Es gibt in Deutschland Milliardäre! Sind sie den ganzen Tag damit beschäftigt, sich eine Birne darüber zu machen, wie sie ihre Milliarde so einsetzen, dass sie dem Allgemeinwohl dient? ({17}) Wir schlagen vor, dass sie einen Teil ihres Geldes abgeben und wir dieses Geld gleich im Interesse des Allgemeinwohls einsetzen. Das wäre der Situation angemessen. ({18}) Der Spitzensteuersatz der Einkommensteuer ist um 11 Prozentpunkte gesenkt worden. Wollen Sie daran etwas ändern? Nein, Sie wollen daran nichts ändern. Ihre Politik trifft immer die gleiche Gruppe. Immer sind es die Arbeitslosen, die Kranken und die Rentnerinnen und Rentner, die die Kosten unserer Gesellschaft zahlen sollen. ({19}) Deutschland ist die einzige Industriegesellschaft, in der ein Rückgang der Löhne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu verzeichnen ist. Die USA, Großbritannien, Frankreich und weitere EU-Länder gehen andere Wege. Bei uns ist die Entwicklung der Löhne negativ. ({20}) Das ist nicht gut und das darf nicht so bleiben. Deshalb brauchen wir eine Generalrevision von Hartz IV. Dieses Gesetz hat sich nicht bewährt. ({21})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Grotthaus von der SPD. ({0})

Wolfgang Grotthaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003137, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Gysi, es war ganz nett, dass Sie zumindest zum Schluss Ihrer Rede - ich glaube, es war die drittletzte Bemerkung, die Sie gemacht haben - auf das Thema der heutigen von Ihnen beantragten Aktuellen Stunde hingewiesen haben. ({0}) Ansonsten haben Sie wieder einmal eine sehr populistische Rede gehalten, die uns mittlerweile schon bekannt ist. ({1}) Ich komme noch darauf zu sprechen, was Populismus in einer Gesellschaft bewirken kann. Lassen Sie mich bitte etwas zu den Vorschlägen von Herrn Rüttgers sagen. ({2}) Es ist das gute Recht der CDU, auf ihren Parteitagen Anträge zu beschließen; darüber wollen wir nicht richten. ({3}) Aber, Frau Pothmer, es gibt einen Koalitionsvertrag. Dieser Koalitionsvertrag gilt. ({4}) Ihn werden wir abarbeiten. Darin steht aber nichts davon, dass wir den Antrag, der demnächst vielleicht auf dem CDU-Parteitag beschlossen wird, ebenfalls abzuarbeiten haben. Vielleicht werden wir uns einmal über ihn unterhalten. Aber zurzeit ist er für uns nicht diskutabel. ({5}) - Herr Niebel, Sie zeichnen sich immer durch qualifizierte Reden und Zwischenrufe aus. ({6}) Unter einem Mangel an Selbstbewusstsein haben Sie ja sowieso noch nie gelitten. ({7}) Lassen Sie mich jetzt einige Anmerkungen zum Thema der heutigen Aktuellen Stunde machen. Ja, ich stimme den Linken zu, dass einige Korrekturen der Hartz-Gesetze notwendig sind. Das gilt insbesondere im Hinblick auf Hartz IV. Ja, es muss nachjustiert werden, aber nicht so, wie Sie es wollen. Es muss dort nachjustiert werden, wo bürokratische Hemmnisse abzubauen sind, wo Schnittstellenprobleme aufgetreten sind und wo technische Möglichkeiten besser genutzt werden könnten, aber auch dort, wo es zu Fehlanreizen gekommen ist. Sie haben überhaupt nicht davon gesprochen, welche Probleme die Menschen haben, die in der Vermittlung tätig sind, die sich mit diesen Problemen auseinander zu setzen haben und die in den letzten zwei, drei Jahren gute Arbeit gemacht haben. Diese Menschen klammern Sie aus. Wir wissen, dass in den Argen zum Teil einiges im Argen liegt und die Arbeitsweise der Beschäftigten verbessert werden muss. Es ist nicht hinnehmbar - das sage ich dem gesamten Haus sehr deutlich -, dass in den Argen Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter beschäftigt sind, die eine halbe Stunde benötigen, um einen Arbeitsuchenden per PC zu erfassen. Es ist nicht hinnehmbar, dass das Personalvertretungsrecht dort nicht gewährleistet ist und es unterschiedliche Ebenen der Mitbestimmung gibt. Es ist nicht hinnehmbar, dass dort über das Direktionsrecht gestritten wird, und es ist auch nicht hinnehmbar, dass in den Argen eine Vielzahl befristeter Einstellungen vorgenommen worden ist. Wir wollen dafür sorgen, dass klare Arbeitsverhältnisse geschaffen werden. ({8}) Trotzdem - dies gilt es festzuhalten - haben die Argen und die Optionsgemeinschaften bzw. die Optionskommunen und die Arbeitsagenturen sehr gute Arbeit geleistet. Zum ersten Mal seit fünf Jahren liegt die Arbeitslosenquote wieder unter 10 Prozent. Das hängt zwar mit der Konjunkturentwicklung zusammen, aber auch mit den Gesetzen, die die Vorgängerregierung und diese Koalitionsregierung auf den Weg gebracht haben. ({9}) Lassen Sie mich einige Zahlen nennen. Wir haben 471 000 Arbeitslose weniger als vor einem Jahr. Davon sind 101 000 Arbeitslose unter 25 Jahren und 86 000 über 50; 82 000 beziehen nicht länger ALG II. Wir haben fast 300 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze mehr als vor einem Jahr. ({10}) - Wenn Sie fragen, woher diese Zahlen stammen, dann sollten Sie einen Blick in die statistischen Angaben der Bundesagentur für Arbeit werfen. Auch uns reichen diese Zahlen nicht aus. Wir müssen mehr tun. Wir müssen Jobs, Jobs und noch mehr Jobs schaffen, damit wir mehr Menschen in Arbeit bringen. Wir haben zurzeit noch über 800 000 Arbeitsplätze zur Verfügung - die Zahl wurde bereits genannt -, die es zu besetzen gilt. ({11}) - Die Wirtschaft; das ist richtig. Sie von den Linken fordern hingegen immer nur die Erhöhung der finanziellen Transferleistungen für die Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Sie erwecken den Eindruck, dass mit finanziellen Transferleistungen alles zu regeln ist. Damit produzieren Sie aber auch soziale Kälte. ({12}) Das ist gefährlich; denn die populistischen Illusionen, die Sie mit Ihren Reden erzeugt haben, ({13}) sind so gefährlich, wie soziale Kälte unmenschlich ist. Beide sind im Kern unmoralisch und helfen den Menschen nicht. Sie führen vielmehr in die Sackgasse und machen unfrei. Das gebe ich Ihnen mit auf den Weg. Herr Kollege Ernst, ich habe selbst 36 Jahre in der Industrie gearbeitet. Die Kolleginnen und Kollegen in der Industrie wissen Ihre Beiträge zu schätzen. Besuchen Sie sie doch in den Betrieben und erzählen Sie ihnen dasWolfgang Grotthaus selbe wie hier! Dann werden Sie schon die entsprechenden Antworten gekommen. ({14}) Wir werden die Hartz-Gesetze zu gegebener Zeit evaluieren. Das ist 2008 vorgesehen. Bis dahin werden wir an den Stellen nachjustieren, an denen organisatorische Probleme auftreten, aber auch erkennbare Fehlanreize entstanden sind.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Wolfgang Grotthaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003137, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Einer Generalrevision in Ihrem Sinne, Herr Kollege Ernst, werden wir nicht zustimmen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Franz Romer von der CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Franz Romer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001879, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Gysi, wenn ich mich richtig erinnere, waren Sie im Berliner Senat doch in einer verantwortlichen Position. Was aber haben Sie gemacht? Sie haben sich in die Büsche geschlagen, ({0}) nach dem Motto „Die Ratten verlassen das sinkende Schiff“. ({1}) Liebe Kollegin Pothmer, wenn Sie Rüttgers zitieren, muss ich Ihnen entgegenhalten, dass sich meine Erwerbsbiografie ohne Unterbrechung über mehr als 40 Jahre erstreckt. Bei Ihnen oder bei den Linken gibt es sicherlich Leute, die 20 Jahre Politologie studiert haben, um sich anschließend mit dem Vorruhestand zu beschäftigen. ({2}) Wir sprechen heute auf Verlangen der Linken über die Praxistauglichkeit der Hartz-Gesetze. Die aktuellen Arbeitsmarktzahlen belegen, dass die gewünschten Effekte langsam eintreten. Die Zahl der Arbeitslosen ist gesunken und - das ist noch viel wichtiger - die Zahl der versicherungspflichtig Beschäftigten ist wieder gestiegen. Die Arbeitslosenquote liegt zum ersten Mal seit 2002 wieder unter der magischen 10-Prozent-Marke. Man kann nicht sagen, dass damit das Problem der Arbeitslosigkeit in unserem Land gelöst ist. Dennoch ist eine Verbesserung spürbar. Auch die Hartz-Gesetze unterstützen mit der Strategie „Fördern und Fordern“ die Erholung des Arbeitsmarktes. Bevor wir über die Praxistauglichkeit der Reform sprechen, müssen wir feststellen, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe von allen Seiten befürwortet wurde. Der Erfolg, der heute offensichtlich ist, spricht für sich. Es war eine richtige Entscheidung. Nach einiger Erfahrung mit dem Gesetz haben wir in dieser Legislaturperiode die Reform noch einmal optimiert. Wir haben es geschafft, dass ehemalige Sozialhilfeempfänger wieder in die Vermittlung gelangen und es nicht zu einer lebenslangen Sozialhilfekarriere kommt. Der Schwerpunkt wurde von der bloßen Zahlung des Lebensunterhalts auf die Wiedereingliederung der erwerbsfähigen Hilfebezieher verlagert. Ich will nicht verschweigen, dass die Bedingungen für die Arbeitslosenhilfeempfänger schwieriger geworden sind. Jedoch gibt es nur so genügend Anreize, um eine Integration in den Arbeitsmarkt zu gewähren. ({3}) Ich kann aus meinem Wahlkreis Biberach auf ganz besondere Erfahrungen mit Hartz IV zurückgreifen. Der Landkreis Biberach ist eine der wenigen Optionskommunen, ({4}) die die Grundsicherung für Arbeitsuchende in Eigenregie durchführen. ({5}) Dabei ist der Landkreis sehr erfolgreich. In den letzten anderthalb Jahren, also seit der Einführung des Arbeitslosengeldes II, konnte der Landkreis Biberach die Zahl der Langzeitarbeitslosen fast halbieren. Allein im ersten Halbjahr 2006 betrug der Rückgang ein Drittel. Diese Zahlen zeigen, dass es gegen den Bundestrend möglich ist, Langzeitarbeitslose an der wirtschaftlichen Erholung teilhaben zu lassen. Für mich liegen die Vorteile des Optionsmodells auf der Hand - das haben wir von der Union immer gesagt -: Die Kommunen können vor Ort schnelle und flexible Entscheidungen treffen. Probleme bei der Zusammenarbeit zwischen der Bundesagentur für Arbeit und den Kommunen oder Kompetenzgerangel und Zuständigkeitsprobleme gibt es hier nicht. Im Landkreis Biberach konnten zudem Wohlfahrtsverbände, freie Träger und die einzelnen Kommunen für die Integration von Langzeitarbeitslosen gewonnen werden. ({6}) Die heute stattfindende Debatte halte ich für unangebracht. Wir haben die Reform gerade verbessert und sehen nun erste Erfolge. Aber schon wird die Praxistauglichkeit von der Linksfraktion in Zweifel gezogen. Ich frage mich, was Sie eigentlich wollen, etwa einen weiteren Anstieg der Zahl der Langzeitarbeitslosen? Man kann sicherlich über die eine oder andere Regelung sprechen, genauso wie über die Ausführung vor Ort durch die Arbeitsgemeinschaften oder die Optionskommunen, wie sie von mir vorgestellt wurde. Grundsätzlich ist aber das Arbeitslosengeld II der richtige Weg. Die Zahlen sprechen dafür. ({7}) Die Übernahme der Unterbringungskosten konnte aufgrund der Steuermehreinnahmen des Bundes großzügig geregelt werden. Auch im Allgemeinen gibt es Grund zu Optimismus. Die Konjunktur zieht endlich an. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Die Steuereinnahmen steigen. Für die Sozialkassen gibt es endlich wieder Mehreinnahmen. Die Bundesagentur für Arbeit bildet Überschüsse, die es eventuell erlauben, den Beitragsatz in der Arbeitslosenversicherung um weitere 0,5 Prozentpunkte im nächsten Jahr zu senken. Ich versuche schon seit Frühjahr dieses Jahres, diesen Vorschlag in die Diskussion einzubringen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Romer, kommen Sie bitte zum Schluss.

Franz Romer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001879, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Alles in allem gibt es nach knapp einem Jahr Regierungspolitik unter Führung der Union positive Impulse. Dies gilt nach anfänglichen Startschwierigkeiten auch bei Hartz IV. Ich bedanke mich. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Anton Schaaf von der SPDFraktion. ({0})

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer würde bezweifeln, dass es in unserem Land Armut gibt? Das ist nicht zu bezweifeln. Die Frage, wie man Armut sinnvoll nachhaltig bekämpfen kann, wird aus unserer Sicht nicht durch die Höhe der Alimentierungen beantwortet, sondern dadurch, welche Chancen und Möglichkeiten wir den Menschen bieten, sich aus ihrer Situation mithilfe des Staates zu befreien. Das ist die entscheidende Frage. ({0}) Sie sagen, Hartz habe Armut geschaffen. Ich sage in aller Deutlichkeit: Armut hat es in diesem Land immer gegeben. Sie war nur versteckt, in der Sozialhilfe, und wir haben - das ist der eigentliche Skandal - die Menschen alleine gelassen. Wir haben sie ignoriert und ihnen keine Chancen geboten. Ein großes Ziel der Hartz-Gesetzgebung war, die Menschen aus der Anonymität und Chancenlosigkeit herauszuholen. Das zumindest ist uns gelungen. ({1}) Niemand bezweifelt - ich schon gar nicht -, dass es notwendig ist, das, was wir mit dieser großen Reform auf den Weg gebracht haben, immer wieder auf seine Wirksamkeit zu überprüfen und gegebenenfalls nachzubessern. Die große Koalition hat in der Koalitionsvereinbarung dazu Punkte benannt. Ich gehe noch darüber hinaus. Sozialdemokraten haben verschiedentlich gesagt, dass wir über einen öffentlichen Beschäftigungssektor nachdenken müssen, aber nicht über die klassischen Instrumente wie ABM, die keine Chance geboten haben, sondern nur Warteschleifen waren, sondern über einen wirklichen öffentlichen Beschäftigungssektor, der den Chancenlosen die Möglichkeit der Teilhabe an der gesellschaftlichen Entwicklung eröffnet. Um Teilhabe geht es. Armut bemisst sich nicht nur nach der Höhe der Alimentierung, sondern auch über Teilhabechancen. Das unterscheidet uns in der Tat; denn Sie von der Linken sagen zur Teilhabe von Menschen an der Gesellschaft nichts. Sie reden über die Höhe der Alimentierung. ({2}) Die Frage, ob man eine Generalrevision braucht, will ich mit einer Aussage des Chefs der Bundesagentur für Arbeit, Weise, beantworten, der sagt: Die Politik sollte den Mut haben, an beschlossenen Reformen mindestens drei Jahre festzuhalten. Erfahrungen mit vergleichbaren Reformen im Ausland zeigen, dass es sogar bis zu fünf Jahre dauern kann, bevor sie wirken. Wir sollten das weiterentwickeln, was wir haben. Abrupte Wechsel wären fahrlässig. Verlässlichkeit ist gefragt. Die Menschen wollen wissen, woran sie sind. - Ich finde, er hat völlig Recht. Die Erfahrungen im Ausland zeigen genau, dass solche großen Reformen, solche Paradigmenwechsel Zeit zur Wirkung brauchen. Wir sollten alles dazu tun, uns nicht auf eine Diskussion wie die von Niebel und anderen einzulassen, die sagen, das sei das Schönere und Bessere, und wir sollten Herrn Niebel nicht bei seinem persönlichen Rachefeldzug gegen seinen alten Arbeitgeber unterstützen. Wir sollten schauen, wo die besten und wirksamsten Elemente sind. Wir sollten die Best-Practise-Beispiele heraussuchen und anhand dieser vor Ort die Arbeit organisieren und strukturieren. Ich gebe unumwunden zu, dass es bei uns eine Diskussion über die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I gegeben hat. Wir hatten damals im Rahmen der Einführung der Hartz-Gesetzgebung insbesondere für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine längere Übergangsfrist gefordert. Das ist an den Ministerpräsidenten der CDU-geführten Länder gescheitert. Das muss man so sagen. Man schafft Vertrauen aus meiner Sicht nicht damit, dass man die Frage des Bezugs von Arbeitslosengeld I aufwirft, sondern damit, dass man darüber nachdenkt, welche Chancen Menschen haben, die arbeitslos werden. Ich will mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten aus einer Pressemitteilung vom 9. November, freigegeben ab 10.30 Uhr, zitieren: Zu alt für den Job, zu jung für die Rente - das ist für viele Menschen heute bittere Realität. Wir konnten aber mit vielen Projekten modellhaft zeigen, dass es auch anders geht, dass selbst ältere Arbeitslose bei entsprechender Unterstützung durchaus Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben Weiter heißt es: Es muss verhindert werden, dass ältere Beschäftigte bereits beim Bekanntwerden von Betriebseinschränkungen jeden Mut und Elan fallen lassen, eine neue Arbeit zu finden. Die Projekte zeigen erfolgreiche Wege für Ältere in den Arbeitsmarkt. Diese Beispiele geben nicht nur Hoffnung, sie machen stärker. Ein Stück weiter heißt es dann: Menschen resignieren, wenn ihnen das gesellschaftliche Umfeld falsche Signale setzt. Die Politik hat in den vergangenen Jahren mit einem Abbau der Anreize zur Frühverrentung die Herausforderungen des demografischen Wandels intensiv aufgegriffen. Diesen Weg heißt es jetzt gemeinsam konsequent fortzuführen. Das sage ich zu der aktuellen Debatte, die mein Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen ausgelöst hat. Die Aussagen stammen aus einer Pressemitteilung des Arbeitsministers Karl-Josef Laumann und der Chefin der Regionaldirektion NRW der BA, Christiane Schönefeld. Vor diesem Hintergrund sage ich: Wo Herr Laumann recht hat, hat er recht. Er hat die Prioritäten richtig benannt. In erster Linie geht es nicht darum, den Chancenlosen eine höhere Alimentierung oder einen längeren Arbeitslosengeldbezug einzuräumen, sondern darum, ihnen Chancen einzuräumen. Herr Laumann hat an dieser Stelle völlig Recht. ({3}) Übrigens: Wer in der Union angesichts der Äußerungen von Herrn Rüttgers Angst vor einer Sozialdemokratisierung der Partei hat - das möchte ich auch Herrn Gysi sagen -, dem kann ich alle Zweifel nehmen. Die Forderungen von Herrn Rüttgers haben mit Sozialdemokratie gar nichts zu tun. Sozialdemokraten würden niemals Generationen gegeneinander ausspielen oder die Sippenhaft wieder einführen. Danke für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Max Straubinger von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Linkspartei, die eigentlich mehr mit immer neuen Namensgebungen als mit politischen Inhalten beschäftigt ist - man hat das heute wieder gemerkt -, hat eine Aktuelle Stunde zur Frage der Praxistauglichkeit der HartzGesetze und der Erforderlichkeit einer Generalrevision beantragt. Leider muss man feststellen, dass dazu keine Vorschläge gemacht wurden; es wurde lediglich gesagt, man solle darüber nachdenken. Zudem wurde dieses Mal auf den alten Spruch der Linken verzichtet: Hartz muss weg. Möglicherweise hat sich die Linke mittlerweile doch besonnen und erkannt, dass Änderungen notwendig sind. Man muss der Fraktion der Linken sagen, dass unsere Sozialpolitik auf der Grundlage der Hartz-Reformen, die zu einer Neuordnung der Sozialpolitik geführt haben, gut ist. ({0}) Die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe wurde von allen Fraktionen getragen. Sie war eine gute Idee, die gemeinsam umgesetzt wurde. ({1}) Wie bei allen bedeutenden Maßnahmen in der Gesetzgebung ist es auch hier entscheidend, genügend Zeit für die Umstellung einzuräumen. Es wurden neue Verwaltungen, neue Zuständigkeiten und neue Leistungen geschaffen. Die Bürgerinnen und Bürger werden durch die neuen Leistungsgesetze besser gestellt; insbesondere die Bürgerinnen und Bürger im Osten Deutschlands werden gegenüber früheren Jahren, insbesondere gegenüber der Situation bis vor 17 Jahren, als das bankrotte SED-Regime zusammenbrach, besser gestellt. Sie von der Linksfraktion stehen heute in der Tradition dieser Sozialpolitik: Sie rufen wieder nur nach höheren Leistungen, ohne zu klären, wer das bezahlen soll. Sie wollen zur Finanzierung der Sozialpolitik neue Schulden aufnehmen und diese den künftigen Generationen auflasten. ({2}) Ich glaube, dass sich die neue Bundesregierung nach einem Jahr angesichts ihrer Erfolge nicht verstecken muss. Die Arbeitslosigkeit ist gesunken. Ich gebe zu, dass sie immer noch zu hoch ist. Jeder Arbeitslose ist einer zu viel. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse ist im Vergleich zum Vorjahr um 270 000 gestiegen. Dadurch hat sich die Finanzausstattung unserer sozialen Sicherungssysteme verbessert. Es ist auch eine Anerkennung wert, dass letztes Jahr im Rahmen dieser Sozialgesetzgebung, der Hartz-Reformen, über 40 Milliarden Euro für die soziale Absicherung der Menschen ausgegeben wurden, und zwar für ALG II, die Kosten der Unterkunft, für Eingliederungsmaßnahmen und für 1-Euro-Jobs. Das ist die großartige Leistung einer Volkswirtschaft, einer sozialen Marktwirtschaft. Sie versetzt uns in die Lage, die Haushaltspolitik in Zukunft so zu gestalten, dass soziale Leistungen stärker mit erwirtschaftetem Geld untermauert werden und weniger neue Schulden zur Finanzierung der Sozialpolitik aufgenommen werden müssen. Dies ist der Erfolg dieser Bundesregierung. Wir können jetzt vor allen Dingen feststellen - nachdem Kollege Gysi in seiner Rede darauf hingewiesen hat, dass es in Deutschland ungerecht zugeht, ist er weggegangen; jetzt nimmt er einen anderen Termin wahr -, dass unsere Steuereinnahmen sprudeln. Das bedeutet, dass uns aufgrund gestiegener Körperschaft- und Gewerbesteuereinnahmen - beide Steuern werden von Unternehmen gezahlt - sowie gestiegener Einkommensteuereinnahmen mehr Steuermittel zur Verfügung stehen. Diese Mittel sind das Fundament der Wirtschaftspolitik der neuen Bundesregierung. Diese Politik zielt auf mehr wirtschaftliche Dynamik. Mehr wirtschaftliche Dynamik bedeutet für die Menschen in unserem Land letztendlich mehr Arbeitsplätze und mehr soziale Sicherheit. Deshalb ist die Arbeit dieser Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen darauf ausgerichtet, mehr Arbeitsplätze zu schaffen und nicht über eine höhere Alimentierung von Arbeitslosen zu streiten. ({3}) Dies ist unser Auftrag und an ihn werden wir uns auch weiterhin halten. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Angelika KrügerLeißner von der SPD-Fraktion. ({0})

Angelika Krüger-Leißner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, zum wievielten Male wir eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema durchführen. Fest steht schon - ich als vorletzte Rednerin kann dies sagen -: Was wir von Ihnen heute gehört haben, waren die immer gleichen Argumente; ernsthafte Lösungsansätze waren wieder nicht dabei. Diese Aktuelle Stunde bringt uns keinen Millimeter weiter. Neu war allerdings die sprachliche Akrobatik, mit der Sie von der Linken immer wieder versucht haben, zu verschleiern, dass Sie hier immer wieder die gleichen Reden halten wollen. Auch ich habe gestutzt, als ich von diesem Thema erfahren habe. Ich dachte, das hört sich nach einer sehr zähen wissenschaftlichen Abhandlung an aber weit gefehlt! Alles, was wir von der Linken heute gehört haben, hatte weder etwas mit Wissenschaft noch mit wirtschaftlicher, arbeitsmarktpolitischer oder sozialpolitischer Vernunft zu tun. ({0}) Weder nehmen Sie eine ehrliche und genaue Analyse der tatsächlichen Situation vor noch eine realistische Einschätzung der Entwicklung der letzten Jahre. Sie ziehen auch keine Schlussfolgerung für politisches Handeln. Ich muss feststellen: Es geht Ihnen nicht um ein ernsthaftes Bemühen, sondern wieder einmal um ein bisschen Krawall. Ich muss zum wiederholten Male auch feststellen: Alle Botschaften, die Sie hier verkünden, sind so beschränkt, ({1}) so knapp und simpel, dass sie auf ein Plakat passen. Mehr haben Sie nicht zu bieten. Das Wort „Generalrevision“ heißt, wenn ich es richtig einschätze, doch so viel wie „allgemeine Rückschau“. Genau das ist es, was Sie tun: Sie schauen zurück und Sie wollen in der Entwicklung zurückgehen. Das zeigen Ihre populistischen Forderungen. ({2}) Das ist ökonomisch wie auch arbeitsmarktpolitisch vollkommen kontraproduktiv. Vor allen Dingen hilft es den Menschen nicht, die darauf hoffen, dass wir ihnen Chancen für gesellschaftliche Teilhabe und Beschäftigung eröffnen. Haben Sie sich schon einmal ernsthaft gefragt, was es für die ehemaligen 600 000 Sozialhilfeempfänger bedeuten würde, wenn wir ihnen die Möglichkeiten der Förderung und Vermittlung, die Hartz IV nun eröffnet hat, nehmen würden? Auch ich bin etwas ungeduldig, was die Entwicklung betrifft. Ich wünschte mir, dass sie schneller vonstatten geht. Fakt ist doch auch, dass in diesem Jahr die ersten Erfolge erkennbar sind: Es gibt 122 000 Vermittlungen von Langzeitarbeitslosen mehr als im letzten Jahr. Die Zahl der Arbeitslosen ist im Vorjahresvergleich zurückgegangen; die Quote liegt nun bei unter 10 Prozent. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ist gestiegen, auch in den neuen Ländern. All das ignorieren Sie. Das dürfen wir doch nicht einfach kleinreden; denn an diesen ersten Erfolgen waren ganz viele Menschen beteiligt. ({3}) Dass die Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Hartz IV größer sind als die bei der Umsetzung von Hartz I bis Hartz III, bestreitet auch keiner. Wir sind dabei, die größte Sozialreform in der Bundesrepublik durchzuführen. Dazu gehört, dass man immer wieder überprüft, verbessert und optimiert. Das tut die große Koalition. Wir tun das angestrengter und intensiver als je zuvor. Ich darf Sie daran erinnern, dass wir in diesem Jahr die Regelsätze in Ost und West angeglichen haben. Wir haben Fehlanreize abgeschafft. Wir haben Qualifizierungsmöglichkeiten für Jugendliche verbessert und Verwaltungsabläufe vereinfacht. Alles das ist in diesem Jahr schon passiert und es wird weitergehen. Es gibt noch eine Reihe von Punkten im SGB II, die wir verbessern können, bessere Förderung von einigen Zielgruppen wie den älteren und den jugendlichen Arbeitslosen, verbesserte Weiterbildung, Schaffung des dritten Arbeitsmarkts und - ich will das erwähnen, weil es meine Position ist - die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. An all diesen Dingen arbeiten wir. Das bedeutet doch aber nicht, dass das SGB II praxisuntauglich ist. ({4}) Gehen Sie vor Ort! Überzeugen Sie sich! Reden Sie mit den Menschen! Dann werden Sie feststellen, dass wir in diesem Jahr höhere Integrationszahlen haben. Es gibt differenziertere und mehr Maßnahmen als im letzten Jahr. Wir haben vor allem hoch motivierte Mitarbeiter, die mit dem SGB II auch immer besser umgehen können und Synergieeffekte nutzen. Den anfänglichen Problemen zum Trotz können wir feststellen: Die Argen und die Optionskommunen funktionieren immer besser. Von einer geringen Praxistauglichkeit kann keine Rede sein. Es geht auch nicht um Generalrevision. Es geht darum, jede mögliche Verbesserung der Hartz-Gesetze zu erkennen und umzusetzen - und das mit dem Blick nach vorn. Ziel all unserer Bemühungen im Interesse der Menschen muss die Integration in Arbeit sein; denn das hilft den Menschen wirklich. Daran sollten Sie sich beteiligen! Danke. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner in der Aktuellen Stunde erteile ich das Wort dem Kollegen Andreas Steppuhn von der SPDFraktion. ({0})

Andreas Steppuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003850, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Mein sehr geehrten Damen und Herren! Die Vorredner aus meiner Fraktion haben schon deutlich gemacht, was wir von dieser Debatte halten. Ich verzichte jetzt auf Wiederholung. Schon bei der gestrigen Aktuellen Stunde zu den Erfolgen der Arbeitsmarktpolitik ist sehr deutlich geworden: Wir können uns darüber freuen, dass es auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland beschäftigungspolitisch vorwärts geht, und das ist gut so. Die jüngsten Arbeitsmarktzahlen sprechen eine sehr deutliche Sprache. Dennoch ist es wichtig, darüber nachzudenken, was eine Weiterentwicklung von Arbeitsmarktpolitik zukünftig leisten kann und soll, welche Rahmenbedingungen für einen Beschäftigungszuwachs verbessert werden müssen, damit weitere positive beschäftigungspolitische Effekte erzielt werden können. Die von Bundesarbeitsminister Franz Müntefering in den vergangenen Wochen durchgeführten fünf Anhörungen zu den verschiedenen Komplexen der Arbeitsmarktpolitik haben zum Ziel gehabt, unter Einbeziehung von Experten zu eruieren, was wir besser machen können und sollten. Solche Anhörungen werden nicht als Selbstzweck durchgeführt, sondern um die richtigen Weichenstellungen für die Zukunft vorzunehmen. Daher plädiere ich an dieser Stelle dafür, die Ergebnisse der Anhörungen sorgsam zu analysieren, auszuwerten und dann zu entscheiden, welche Schritte in der Zukunft eingeleitet werden müssen. Einfach nur pauschal zu formulieren „Hartz IV muss weg“ oder „Wir brauchen eine Generalrevision der Arbeitsmarktpolitik“, wie Sie es hin und wieder gern tun, meine Damen und Herren von der Linkspartei, ist schlichtweg zu wenig. ({0}) So etwas in den Raum zu stellen, ohne gleichzeitig Lösungen für die Zukunft aufzuzeigen, ist meines Erachtens, ehrlich gesagt, zu wenig. Es kommt darauf an, dass wir Arbeitsmarktpolitik sorgsam fortentwickeln und hierbei handwerkliche Fehler möglichst vermeiden. Im Übrigen sagen uns all diejenigen, die tagtäglich vor Ort mit der Arbeitsmarktpolitik zu tun haben - damit meine ich zum Beispiel die Vertreter von Argen oder optierenden Kommunen -, dass es besser ist, den bislang eingeschlagenen Weg beizubehalten, die damit verbundenen Maßnahmen wirken zu lassen und sie in einem überschaubaren zeitlichen Rahmen zu bewerten, anstatt immer wieder Veränderungen vorzunehmen. Bedenken müssen wir auch den Verwaltungsaufwand, den wir mit jeder Veränderung auslösen. Sicherlich ist an dieser Stelle auch kritisch zu überprüfen, wie wir eine stärkere Vernetzung von kommunalem Know-how und lokalen Ressourcen mit der nach wie vor zentralistisch organisierten Bundesagentur und ihrer nicht immer überschaubaren Regelorientierung hinbekommen. ({1}) Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wir können in den Medien immer wieder Forderungen von Ihrer Seite vernehmen, die im Grunde nichts anderes besagen als: Wir müssen bei der Arbeitsmarktpolitik weiter sparen, und zwar deutlich, und am besten auch noch gleich über weitere Leistungskürzungen nachdenken. Immer wieder taucht ja diese Diskussion in den Medien auf. Ich sage sehr deutlich: Leistungskürzungen werden mit uns Sozialdemokraten nicht machbar sein. ({2}) Zu den Vorschlägen von Herrn Rüttgers, dem selbst ernannten Arbeiterführer von Nordrhein-Westfalen, ist ja schon einiges gesagt worden. Ich halte es für unredlich, von einer längeren Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für einige Bezieher zu sprechen, was ja an sich nicht schlecht ist, gleichzeitig aber die Sauereien, die für andere damit verbunden sind, nicht zu nennen. Damit gaukelt man den Menschen etwas vor. Ich halte das für einen Akt der Volksverdummung. Vielleicht sagen Sie ihm das einmal. ({3}) Statt bei den Menschen zu sparen, gilt es mehr denn je, die Arbeitsmarktpolitik so effektiv wie möglich zu gestalten. Lassen Sie uns unsere Kraft darauf verwenden, gemeinsam zu überlegen, wo und wie wir Deutschland beschäftigungspolitisch voranbringen können. ({4}) Drei wesentliche Aspekte sind hierbei wichtig: Es muss uns erstens gelingen, jungen Menschen früh einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zur stellen und ihnen damit eine berufliche Perspektive zu geben. Das tun wir. Wir müssen alle jungen Menschen in Arbeit bringen. Der Ansatz, insbesondere unter 25-jährige junge Menschen gezielt zu fördern, ist daher der richtige Weg. Der zweite Aspekt ist, das man vom bisherigen Prinzip beim Hinzuverdienst abgeht. Wir fördern damit zukünftig mehr Leistungsbereitschaft und Arbeitswillen und verhindern zugleich Schwarzarbeit. Auch ich glaube, dass es nach der Ausweitung des Entsendegesetzes und der damit verbundenen Schaffung von Mindestlöhnen für das Gebäudereinigerhandwerk unsere nächste Aufgabe sein muss, die Mindestlöhne auf weitere Branchen auszudehnen, auch wenn Angela Merkel das zurzeit nicht will. ({5}) Hierüber sind wir Sozialdemokraten uns übrigens mit den Gewerkschaften einig wie lange nicht mehr. Dieses dient auch dazu, den Abstand zwischen dem, was man bei Arbeitslosigkeit erhält, und dem, was man für die tagtägliche Arbeit bekommt, wieder größer werden zu lassen, damit sich Arbeit zukünftig wieder mehr lohnt. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer, der so genannten Generation 50 plus. Hier müssen wir Sozialdemokraten ehrlich und kritisch anmerken: Die Beschäftigungssituation bei den Arbeitnehmern über 50 Jahren ist unbefriedigend. Hier müssen wir etwas tun, indem wir zum Beispiel verstärkt dafür Sorge tragen, dass sich der Beschäftigungsanteil älterer Arbeitnehmer erhöht. Meine Damen und Herren, man kann über Arbeitsmarktpolitik trefflich streiten. Das haben wir heute getan. Das muss auch so sein. Deshalb appelliere ich an Sie, gemeinsam und konstruktiv nach den besten Lösungen zu suchen. Genau dieses erwarten die Menschen von uns. Scheindebatten helfen uns und den Menschen in keiner Weise auch nur annähernd ein Stück weiter. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Dr. Barbara Höll, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Steuerflucht wirksam bekämpfen - Drucksache 16/2524 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Gemäß einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Gregor Gysi von der Fraktion Die Linke das Wort. ({1})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Jahren beschäftigt uns im Zusammenhang mit der Höhe der Einkommensteuer eine Frage. Es wird nämlich behauptet, dass bei hohen Einkommensteuersätzen die Gefahr zur Steuerflucht bestünde, weil sich gerade dann die Best- und Besserverdienenden einen anderen Wohnsitz suchten, an dem sie geringere Steuern bezahlen. Als Begründung für eine Senkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer musste immer wieder die Behauptung herhalten, nur so könne diesem Begehren Einhalt geboten werden. Wir glauben, dass das falsch ist und man das Problem anders lösen kann. Es war im Wahlkampf 2005, wie ich glaube, als sich Herr Müntefering überall gegen Michael Schumacher wandte und sagte, es sei ein starkes Stück, dass dieser seinen Wohnsitz in der Schweiz nehme, wo er eine Vereinbarung über die Höhe seiner Steuer treffen konnte, und somit als deutscher Staatsangehöriger keine Steuern in Deutschland bezahle. ({0}) Wir alle haben auch erlebt, dass es zu einem Strafverfahren gegen Boris Becker kam, weil er zu viele Tage in Deutschland war und deshalb sein Wohnsitz in Monte Carlo nicht anerkannt werden konnte. Ich kenne noch eine nette Geschichte. Bei einem Empfang von Herrn Stoiber war einmal jemand - ich nenne hier einmal keinen Namen -, der kurz vor 24 Uhr sagte, er müsse jetzt gehen, weil er sonst noch einen Tag mehr Aufenthalt in Deutschland habe, was zur Steuerpflicht führen könne. So haben sich die Zustände in diesem Lande verändert. Also muss man darüber nachdenken, was man dagegen macht. Wir haben einen Antrag eingebracht, der das Problem für Deutschland lösen würde. Mit diesem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, ein Gesetz vorzulegen, wonach deutsche Staatsangehörige mit ihrem Welteinkommen in Deutschland haften, unabhängig davon, wo sie ihren Wohnsitz haben. ({1}) Es soll aber keine Doppelbesteuerung geben, sondern die Steuern, die sie in einem anderen Land bezahlen, werden selbstverständlich angerechnet; sie müssen nur die Differenz bezahlen. Nun können Sie natürlich sagen, das Ganze sei wieder ein wahnsinnig sozialistisches Projekt und deshalb nicht realisierbar. Dagegen spricht, dass es geltendes Recht in den USA ist. Die sind ja vieler Dinge verdächtig, aber nicht, sozialistisch zu sein. Insofern glaube ich, dass dieses Argument nicht zieht. Aber es wäre ein großer Vorteil und es wäre auch moralisch gerechtfertigt. Ich möchte kurz darauf eingehen. Die meisten deutschen Staatsangehörigen, die ihren Wohnsitz in einem anderen Land nehmen, vor allen Dingen in Monaco oder Luxemburg, weil sie möglichst geringe Steuern zahlen wollen, haben Steuergelder in Deutschland in Anspruch genommen. Sie sind in der Regel hier zur Schule gegangen und haben in der Regel hier studiert, und zwar zu einer Zeit, als es noch keine Studiengebühren gab. Das heißt, sie haben Steuergelder anderer Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Anspruch genommen. Nun verdienen sie selbst gut und suchen sich einen Wohnsitz in einem anderen Land, um möglichst keine Steuern in Deutschland zu zahlen. Das darf einen nicht nur ärgern, sondern dagegen muss man etwas tun. ({2}) Das Zweite ist: Sie bleiben ja deutsche Staatsangehörige. Dafür haben sie gute Gründe, ganz unterschiedliche: kulturelle, politische, aber auch juristische. Dadurch dass sie deutsche Staatsangehörige bleiben, bleiben wir ihnen gegenüber verpflichtet. Das finde ich richtig; damit hier kein Missverständnis aufkommt. Wenn ein solcher deutscher Staatsangehöriger in Untersuchungshaft kommt oder entführt wird oder ein anderes schweres Schicksal erleidet, kümmert sich die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland um ihn. Das ist richtig; dazu sind wir gegenüber deutschen Staatsangehörigen nach unserem Grundgesetz auch verpflichtet. Aber wenn das alles richtig ist - wenn sie als Kinder und Jugendliche und zum Teil auch für ihre Kinder die Steuergelder in Deutschland in Anspruch genommen haben, wenn sie die Hilfe der Bundesregierung in Anspruch nehmen, sobald sie in Gefahr kommen -, dann muss es auch eine Selbstverständlichkeit sein, dass sie selbst ihrer Steuerpflicht in Deutschland nachkommen. Man kann nicht nur von den anderen leben, ohne etwas zu geben. Das müssen wir ihnen sagen. ({3}) Deshalb ist unser Antrag fair. Sie müssen ja nicht mehr bezahlen. Die Steuern, die sie in Luxemburg, Monaco, der Schweiz oder Österreich bezahlen, werden voll angerechnet; das ist ganz klar. Aber die Differenz müssen sie bezahlen. Damit stehen sie nicht schlechter und nicht besser da als die deutschen Staatsangehörigen, die in Deutschland wohnen und leben. Ich finde das absolut gerecht. Was die Kostenunterschiede zwischen den einzelnen Ländern angeht, sind sie frei in ihrer Entscheidung, wo sie ihren Wohnsitz nehmen. Natürlich können Sie sagen, es besteht die Möglichkeit, die deutsche Staatsangehörigkeit abzugeben. Das ist richtig. Dann sind sie nicht mehr steuerpflichtig. Dann sind wir ihnen gegenüber in bestimmten Situationen aber auch nicht mehr verpflichtet. Das wird jedoch ein ganz kleiner Teil sein. In den USA hat sich übrigens nach kurzer Zeit herausgestellt, dass schon 30 Prozent der US-Bürgerinnen und -Bürger im Ausland diese Steuerdifferenz bezahlen. Die USA sind also einen guten Schritt weitergekommen; das macht ziemlich viele Millionen Dollar aus, die das Land zusätzlich erhält. Auch wir brauchen dieses Geld. Ich fände es richtig, den sehr gut Verdienenden und den Reichen zu signalisieren: Zieht hin, wohin ihr wollt, bleibt deutsche Staatsangehörige, ihr habt eure Rechte in Anspruch genommen, ihr habt von den Steuergeldern anderer gelebt, auch das ist in Ordnung. Aber wir verlangen von euch die Differenz, nicht mehr und nicht weniger. - Dann sind wir bei der Bestimmung des Spitzensteuersatzes viel eigenständiger, weil wir auf das Argument der Steuerflucht diesbezüglich keine Rücksicht mehr zu nehmen brauchen. Danke. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Antje Tillmann von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Gysi, Sie haben sehr ausführlich eine Selbstverständlichkeit beschrieben. Denn Sie haben gesagt, dass Sie es gerecht finden, wenn Gutverdienende, die den deutschen Staat während ihrer Ausbildung in Anspruch genommen haben, ihm einen Teil der Kosten erstatten sollten. Dieser Selbstverständlichkeit können alle Kolleginnen und Kollegen zustimmen. Diesen Punkt stellt keiner infrage. ({0}) In Ihrem Antrag mit dem Titel „Steuerflucht wirksam bekämpfen“ gehen Sie ähnlich vor. Darin erwecken Sie den Eindruck, als könne man durch die schlichte Umstellung bei der Besteuerung vom Wohnsitzprinzip auf das Staatsangehörigkeitsprinzip die reichen, abzockenden Steuerpflichtigen, die durch deutsche Steuergelder groß geworden sind, zur Besteuerung im Inland zwingen. Anderthalb Seiten widmen Sie diesem Thema. Leider haben Sie der Frage der Umstellung in Ihrer Rede nicht eine Minute gewidmet. ({1}) In dem ersten Teil der Begründung Ihres Antrages beschäftigen Sie sich ausschließlich mit solchen Personen, die schon jetzt mit ihrem Welteinkommen in Deutschland einkommensteuerpflichtig sind. Sie beschreiben nämlich nur Fälle von Steuerhinterziehung. Dass Steuerhinterziehung keiner von uns akzeptiert, ist auch völlig klar. Woraus ziehen Sie also den Optimismus, dass die, die schon heute unter dem bestehenden System Steuern hinterziehen, es bei einem Systemwechsel künftig nicht mehr tun? Ich glaube, da spielt die Hoffnung bei Ihnen eine größere Rolle als das Gesetz, das Sie heute verabschieden wollen. ({2}) Sie wollen Deutsche im Ausland zu einem Wohnortwechsel mit der Begründung veranlassen, sie hätten schließlich das Schul- und Hochschulsystem in Deutschland in Anspruch genommen. Ein besseres Plädoyer für Studiengebühren kann ich mir kaum vorstellen. In diesem Fall würde nämlich jeder, der diese Leistung in Anspruch nimmt, dafür zahlen. ({3}) Aber nun zu den einzelnen Gründen, warum ich diesen Systemwechsel trotz der ärgerlichen Fälle von Umzügen von Großverdienern in so genannte Steueroasen für nicht sinnvoll halte. Der Systemwechsel ist nicht Ihre Idee. Denn darüber wird schon diskutiert, seitdem wir über das Steuerrecht reden. ({4}) Ganz viele Diskussionen haben das Ergebnis hervorgebracht, dass ein solches Vorgehen nicht sinnvoll ist. Ich will Ihnen einige wenige Argumente dazu sagen. Sie werden wohl nicht annehmen, dass die deutsche Seite einseitig einen solchen Wechsel vollziehen kann. Auch Sie werden völkerrechtliche Verträge nicht missachten wollen; auch Sie kennen die Doppelbesteuerungsabkommen. ({5}) - Es geht gar nicht um die Frage, ob es erlaubt ist, sondern darum, ob es sinnvoll ist. Ich werde Ihnen darlegen, warum es nicht sinnvoll ist. Wenn wir es tatsächlich schaffen sollten, in der EU diesen Vorstoß zur Harmonisierung, den wir im Moment im Bereich der Unternehmensteuer versuchen - damit hat auch die Frage zu tun, ob die Besteuerung an das Staatsbürgerschaftsrecht geknüpft werden sollte -, mit Erfolg durchzusetzen, dann gäbe es auf einen Schlag mehr als 3,8 Millionen zusätzliche Steuer- und Anrechnungsfälle in den deutschen Finanzbehörden. Denn all diejenigen europäischen Ausländerinnen und Ausländer, die in Deutschland wohnen und hier ihre Steuern zahlen, hätten dann ein Recht darauf, dass die Steuern, die sie in Deutschland zahlen, auf die Steuern in ihrer Heimat angerechnet werden. ({6}) Die meisten dieser Fälle sind Lohnsteuerfälle. Das heißt, es gibt zusätzliche 3,8 Millionen Akten in den Finanzämtern, in denen entsprechende Bescheinigungen für die Finanzämter in den Heimatländern ausgestellt werden müssen. ({7}) Selbst wenn man der Meinung ist, dass es Sinn ergibt, 3,8 Millionen zusätzliche Steuerfälle zu schaffen, dann muss man aber berücksichtigen, dass zu diesen 3,8 Millionen Fällen noch 1,5 Millionen Fälle hinzukommen, in denen Deutsche ihren Wohnsitz im Ausland haben. Diese Menschen können wir zurzeit, da sie keine Einkünfte in Deutschland haben, auch nicht als beschränkt Steuerpflichtige führen. Damit wären wir schon bei 5,3 Millionen zusätzlichen Fällen, die von Finanzverwaltungen bearbeitet werden müssen. Wenn es sich dabei nur um deutsche Vorgänge handeln würde, wäre es schon ein bürokratischer Hammer. Über die internationalen Probleme in diesem Zusammenhang will ich erst gar nicht sprechen. ({8}) Aber damit nicht genug. Sie sprechen nicht nur von europäischen Ländern, in denen Sie Deutsche besteuern wollen, sondern Sie sprechen auch von Drittländern. Wenn es uns innerhalb der nächsten Jahre tatsächlich gelingen sollte, über 90 Doppelbesteuerungsabkommen so zu verändern, dass das Staatsangehörigkeitsprinzip in diese Abkommen aufgenommen wird, dann kämen zu den 5,3 Millionen neuen Steuerfällen, die ich gerade genannt habe, sehr schnell weitere 3 Millionen Fälle hinzu, die aus allen Ländern der Welt kommen und die bis jetzt einkommensteuerpflichtig waren, aber künftig die Anrechnung deutscher Steuern im Ausland begehren. Damit sind wir dann bei 8,3 Millionen zusätzlichen Steuerfällen. Die armen Finanzbeamten bearbeiten diese Fälle - wir müssten einmal die dadurch entstehenden Kosten gegenrechnen -, ohne dass es in den meisten Fällen zu steuerlichen Mehreinnahmen kommen würde. Denn aufgrund der Steuern, die im Wohnsitzland gezahlt werden, werden keine Steuern in Deutschland anfallen. ({9}) - Herr Spieth, Sie können sich gerne melden. Dann kann ich Ihnen zuhören. Während ich rede, kann ich Sie aber nur schwer verstehen. ({10}) Nun zum Bürokratieaufwand. Sie haben das Beispiel USA genannt. Bei dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und den USA fällt auf, dass der Passus, der sich mit Amtshilfe beschäftigt, der längste Passus ist. Ich will nur wenige Zitate aus diesem Abkommen anführen: Auf entsprechendes Ersuchen der zuständigen Behörde eines Vertragsstaates stellt die zuständige Behörde des anderen Vertragsstaates, - jetzt kommt es wenn möglich, Informationen … in Form von … Büchern, Kontoauszügen und Schriftstücken … zur Verfügung. Oder: Jeder der Vertragsstaaten bemüht sich, für den anderen Vertragsstaat … Steuerbeträge zu erheben. Absolut am besten finde ich: Ersucht ein Vertragsstaat … um Informationen, so beschafft der andere Vertragsstaat die Informationen … auf die gleiche Weise und im gleichen Umfang, als handele es sich bei der Steuer des erstgenannten Staates um eine Steuer des anderen Staates. Liebe Kollegen, diese Regelungen stehen in einem DBA mit den USA. Das ist ein Staat, der mit seiner Bürokratie und mit seinen Steuerflucht- und Steuerhinterziehungsproblemen mit der Bundesrepublik einigermaßen vergleichbar ist. Ich stelle mir gerade ein DBA mit einem Staat vor, der ganz offen für sich als Steueroase wirbt, und welches die Formulierung enthält: Der Staat zieht die Steuern genauso ein wie bei eigenen steuerpflichtigen Bürgern. Ja, dann können wir nicht mit vielen Steuereinnahmen rechnen; denn genau damit werben diese Staaten. ({11}) Ich erinnere noch einmal an die Zielgruppe, die wir alle gemeinsam zur Steuerzahlung bringen wollen. Wir wollen nicht den ehrlichen Familienvater, der aus beruflichen Gründen ins Ausland zieht, knebeln und mit zusätzlichen Bürokratiekosten belasten. Ich nehme an, das wollen Sie auch nicht. Wir meinen auch nicht die freundliche Studentin, die sich im Studium verliebt und dann im Ausland bleibt. Wir reden von denen, die sich überall auf der Welt die Rosinen aus dem Kuchen picken und die Solidarität nicht einmal buchstabieren können. Wie Sie gegen Steuerhinterziehungen vor allem angesichts der Doppelbesteuerungsabkommen vorgehen wollen, bleibt die Frage. Meiner Meinung nach ist das mit Ihrem System nicht möglich. Selbst wenn wir es trotz all der bürokratischen Schwierigkeiten, die ich eben angesprochen habe, schaffen, einen Steuerbescheid zu erlassen - in den meisten Fällen ist es sehr unwahrscheinlich, dass dann tatsächlich für den deutschen Fiskus noch Steuern dabei herauskommen -, so bleibt die Durchsetzung des Steueranspruchs verdammt schwer. Ich zitiere hierzu Professor Dr. Peter Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, aus der Anhörung zum SEStEG zur Frage Amtshilfe im Ausland: Was dies bedeutet, wird klar, wenn man allein daran denkt, dass das Verfolgen eines Steueranspruchs ins Ausland bereits daran scheitern könnte, dass wir in den einzelnen EU-Staaten über den diplomatischen Verkehr Finanzverwaltungsakte schicken müssen. Im Verhältnis zu Polen dauert das zwei Jahre. Hier geht es nur um die Zusendung der Bescheide. Man kann sich vorstellen, wie viel schwieriger es ist, eine Vollstreckung im Ausland durchzuführen. In ganz vielen Fällen werden wir hier keine weiteren Möglichkeiten haben. Wir alle haben das gleiche Ziel. Wir wollen, dass Leistungsfähige in dieser Gesellschaft ihren Beitrag leisten. Wir wollen, dass sie dieser Gemeinschaft ein bisschen von dem, was der Staat ihnen an Rechtssicherheit, Freiheit, Gesundheitsfürsorge oder Bildung gegeben hat, in dem Augenblick, in dem sie selber leistungsfähig sind, wieder zurückgeben. Lassen Sie uns gemeinsam mit allen rechtsstaatlichen Mitteln, die uns das Steuerrecht gibt, gegen die Unbelehrbaren vorgehen. Wir sind aktuell dabei. Wir sind dabei, im Rahmen des SEStEG Wegzugsbesteuerungen einzuführen. Wir sind im Außensteuerrecht dabei, auf das deutsche Besteuerungsrecht zu achten. Wir werden mithilfe der durch die neue Unternehmensteuerreform eingeführten Zinsschranke Gewinnverlagerungen ins Ausland verhindern und wir werden auf EU-Ebene weiter versuchen, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Wir haben Mittel. Der Rechtsstaat braucht nicht zu kapitulieren. Lassen Sie mich aber an diejenigen, die im Grunde zu diesem Sozialsystem Deutschland stehen, sagen: In der Regel sind Reiche nicht die Tennis spielenden Erben, die nicht wissen, was Arbeit ist. In den meisten Fällen sind Reiche und Gutverdiener die, die viel arbeiten, häufig hohe Risiken eingehen und unsere Gesellschaft noch ein ganzes Stück weiterbringen können. Wenn wir diesen Menschen - wie Sie es vorhaben - dauerhaft 50 bis 60 Prozent ihres Einkommens wegnehmen, dann brauchen wir uns - so glaube ich - auch nicht zu wundern, wenn sie diesem Rechtsstaat den Rücken kehren. ({12}) Leistung und das, was man behalten darf, müssen im Gleichgewicht stehen. ({13}) Deshalb sollten wir uns auf die Missbrauchstatbestände konzentrieren, die Sie eben so schön im Einzelnen dargestellt haben. Wir haben die rechtlichen Möglichkeiten. Durch die von Ihnen gezeigten Verfahren wird deutlich, dass wir das Handwerkszeug dazu haben. Lassen Sie uns nicht den Weg einschlagen, den Sie vorgestellt haben. Dieser wird nicht zu mehr Steuereinnahmen, sondern nur zu mehr Bürokratiekosten führen. Deshalb halten wir das nicht für sinnvoll. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat der Kollege Carl-Ludwig Thiele von der FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem von der Fraktion Die Linke eingebrachten Antrag soll die Bundesregierung aufgefordert werden, das Außensteuerrecht so zu reformieren, dass deutsche Staatsangehörige unabhängig von ihrem Wohnsitz oder ihrem gewöhnlichen Aufenthalt mit ihrem gesamten Einkommen - also mit ihrem Welteinkommen - unbeschränkt steuerpflichtig sind. Zur Begründung Ihres Antrages kann ich Ihnen, Herr Gysi, nur sagen: Es stimmt, dass vor allem einige besonders gut verdienende Sportlerinnen und Sportler, Künstlerinnen und Künstler, Unternehmerinnen und Unternehmer sowie andere Personen die Bundesrepublik Deutschland verlassen, um sich zum Beispiel in der Schweiz, in Liechtenstein oder Monaco niederzulassen. Aus Sicht der FDP kann ich nur anmerken: Österreich sollten Sie in Ihren Antrag noch aufnehmen; dieses Land haben Sie wahrscheinlich übersehen. ({0}) Da die Linkspartei in der Begründung ihres Antrages hervorhebt, dass es sich bei dem angegebenen Wohnsitz nicht selten um einen Scheinwohnsitz handelt, und insofern auf einen erfolgreichen deutschen Tennisspieler hinweist, der in 2002 für Schlagzeilen sorgte, darf festgestellt werden, dass es sich in diesem Fall wohl um Missbrauch handelte ({1}) und dieser Missbrauch als Steuerhinterziehung angeklagt und geahndet wurde. Insofern sollten Sie auch diesen Passus Ihres Antrages überprüfen; denn in diesem Fall wurde das Recht falsch genutzt und der Fiskus hatte entsprechende Zugriffsmöglichkeiten. Der Missbrauch wurde geahndet. Dies ist also aus meiner Sicht kein Argument für Ihr Anliegen. Wenn jemand gegen Gesetze verstößt, dann hat der Staat die Möglichkeit, gegenüber demjenigen, der gegen Gesetze verstoßen hat, tätig zu werden. ({2}) Für den Geltungsbereich des Einkommensteuergesetzes gilt der fundamentale Unterschied zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht. Unbeschränkt steuerpflichtig sind diejenigen Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. Anknüpfungspunkt für die unbeschränkte Steuerpflicht ist also die Ansässigkeit in der Bundesrepublik Deutschland und nicht die Staatsangehörigkeit. Besteuert werden die inländischen und die ausländischen Einkünfte. Das heißt, Deutschland legt bei der Besteuerung schon derzeit das Welteinkommen zugrunde. Im Rahmen von Doppelbesteuerungsabkommen verzichtet Deutschland jedoch in weitem Umfang auf die Belastung der kompletten Beträge, sodass das Welteinkommensprinzip wesentliche Durchbrechungen erfährt. Es gibt aber zum Beispiel den Progressionsvorbehalt. Das heißt, die in anderen Ländern gezahlten Steuern werden freigestellt und diese Einkünfte müssen hier nicht mehr versteuert werden. Aber dieses im Ausland erzielte Einkommen wird bei der Ermittlung des Steuersatzes zur deutschen Bemessungsgrundlage addiert. Der Bürger wird dann in Deutschland mit einem höheren Steuersatz, also nach seiner tatsächlichen Leistungsfähigkeit, besteuert. So ist das derzeitige Recht. Eine Anknüpfung der unbeschränkten Steuerpflicht an die Staatsangehörigkeit ist allerdings, auch wenn Sie das Beispiel Amerika zu Recht erwähnen, die absolute Ausnahme auf dieser Welt. Nur in den Vereinigten Staaten und in Liberia gilt das Staatsangehörigkeitsprinzip. Liberia als Beispiel für die von Ihnen in Ihrer Rede dargestellten etwas populistischen Forderungen heranzuziehen, ist etwas zweifelhaft. Denn ich weiß nicht, wie stark die diplomatische Kraft Liberias ist, für seine Staatsbürger tätig zu werden. Die USA und Liberia wenden dieses Prinzip also an. Sie agieren anders als wir. Wir agieren im europäischen Gesamtkontext. Würden wir so vorgehen, wie Sie es vorgeschlagen haben, würde dies dazu führen, dass man an dieser Stelle einen enormen Verwaltungsaufwand hätte. Alle Doppelbesteuerungsabkommen müssten neu verhandelt werden, wobei ich sage: Wenn das prinzipiell überall gelten soll, könnte man darüber reden. Aber man sollte sich natürlich über die Konsequenzen im Klaren sein; deshalb spreche ich diese an. Es wäre also verwaltungsmäßig sehr schwierig. Es wäre auch schwierig, ein solches Prinzip gegenüber anderen Ländern durchzusetzen. Denn andere Länder müssten dem deutschen Fiskus entsprechende Mitteilungen machen, wenn der Steuerpflichtige selbst dies nicht macht. Aber da er keinen Wohnsitz in Deutschland hat, wird er dies vermutlich auch nicht tun. Sie hätten keine vernünftige Sanktionsmöglichkeit. Angesichts der Tatsache, dass ein Recht entwickelt werden soll, das dann gar nicht genutzt werden kann, müssten auch Ihnen als Jurist - wir tragen eine ähnliche Frisur, Herr Kollege Gysi die Haare zu Berge stehen. ({3}) Denn wir Juristen finden es nie gut, wenn ein Recht entwickelt wird, das dann überhaupt nicht angewandt werden kann. Zumindest dieses Argument müsste Sie überzeugen. Ich bin der Auffassung - das ist der politisch wichtige Punkt -, dass man nicht wieder den Weg, der in den letzten Jahren beschritten wurde und auch derzeit wieder beschritten wird, gehen kann, nämlich zu schauen, wo es Missbrauch gibt, und dann den Missbrauch zu beschränken, weil das System an sich gut ist. Wir müssen feststellen, dass es im internationalen Wettbewerb Systeme gibt, die auch im Steuerrecht wettbewerbsfähiger sind als wir. Deshalb brauchen wir eine Vereinfachung und Verschlankung des Steuerrechtes sowie eine Senkung der Steuersätze bei Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Warum sind denn die anderen Länder interessanter geworden? Weil sie Reformen durchgeführt haben. Ich möchte nicht, dass Menschen aus rein steuerlichen Gründen Deutschland verlassen. Ich möchte, dass sie in Deutschland bleiben. Ich möchte sogar, dass mehr Menschen nach Deutschland kommen. Dies dürfen sogar Österreicher, Schweizer und auch Luxemburger sein. Sie sollen ruhig nach Deutschland kommen. Wenn sie ihren Wohnsitz hier haben, werden sie hier steuerpflichtig. Das setzt aber voraus, dass wir unser Land ein bisschen attraktiver machen. Denn unser Land ist schön, wir haben eine Superinfrastruktur und eine tolle Bevölkerung. Wir sollten viel mehr Menschen dazu bringen, ihren Wohnsitz nach Deutschland zu verlegen. Das aber setzt Reformen in unserem Lande voraus. Ihr Antrag ist leider eher dazu angetan, diese Reformen aufzuschieben, als ihnen zum Durchbruch zu verhelfen. Wir müssen die Menschen und auch Kapital in unser Land locken. Deshalb begrüßen wir als FDP, dass die schwarz-rote Koalition jetzt die Abgeltungssteuer in die Diskussion eingebracht hat. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Thiele!

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir dürfen dem Kapitalabfluss aus Deutschland nicht zusehen, sondern müssen Kapital nach Deutschland holen, damit es hier versteuert wird und zu einer Erhöhung des Steueraufkommens beiträgt. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Simone Violka von der SPD-Fraktion.

Simone Violka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003250, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Herr Gysi, Sie haben ein Problem angesprochen, das jedem Parlamentarier, der Wahlkreisarbeit macht, immer wieder begegnet. In großflächigen Schlagzeilen in mehr oder weniger bekannten Zeitungen wird immer wieder auf solche ungerechten und unsozialen Fälle hingewiesen und gesagt, der Staat müsse etwas machen. So etwas kommt natürlich immer gut an. Das ist auch Kern Ihres Antrages. Sie beschreiben das zugrunde liegende Problem sehr ausführlich und sagen, der Staat müsse etwas tun, wie Sie es bei vielen politischen Themen machen. Sie versäumen es aber in Ihrer etwas populistischen Art, die sich sehr einfach liest, einen vernünftigen Vorschlag zu machen, wie das Problem beseitigt werden kann, ohne in einen bürokratischen Wust zu verfallen, in politische Reflexe, die dem Kernproblem überhaupt nicht dienlich sind. Natürlich ist das, was Sie in Ihrem Antrag beschrieben haben, ein Problem. Tatsächlich leiden viele nicht darunter, dass das geltende Steuerrecht in diesen Fällen nicht anwendbar ist - Herr Thiele ist gerade darauf eingegangen -, sondern darunter, dass ein solches Verhalten illegal ist. Von staatlicher Seite werden Verfahren wegen Steuernachzahlungen eingeleitet, weil sich diese Menschen nicht nach deutschem Steuerrecht verhalten haben. Dieses Problem wird aber auch durch ein solches Gesetz nicht gelöst. Sie haben die USA als Beispiel angeführt. Ich kann Ihnen nur raten, sich einmal mit dem IRS in Verbindung zu setzen und zu fragen, welche Probleme die USA mit Steuerflüchtlingen haben, obwohl es dort ein derartiges Gesetz gibt. Ein solches Gesetz hält die Menschen doch nicht davon ab, Geld aus dem Land zu bringen, wenn sie irgendwo eine Nische entdecken, egal ob sie sich dadurch illegal verhalten oder nicht. Hier müssen Sie gründlich trennen, Herr Gysi. ({0}) Es gibt Menschen, die sich illegal verhalten, und Menschen, die sich auf moralische Art und Weise nicht legal verhalten. Menschen, die gut verdienen, stehlen sich aus der Gesellschaft heraus, während sie sich gleichzeitig von unserer Gesellschaft hochjubeln lassen. Das ist ein gesellschaftliches Problem. ({1}) Ich möchte dieses Problem einfach einmal aufzeigen. Kann es sein, dass jemand, auch wenn er nicht gegen Recht und Gesetz verstößt, sich aber in eine gewisse moralische Verfehlung begibt, hier zu einem Idol, zum Ehrenbürger seiner Heimatstadt wird und ihn die ganze Gesellschaft bejubelt? ({2}) Das kann doch nicht sein. Wir alle sind verantwortlich dafür, eine gesellschaftliche Debatte darüber zu führen. ({3}) Wir sollten auch unser Verbraucherverhalten auf das Verhalten der Unternehmen abstimmen. Die Verbraucher sind gefragt, ob sie das Verhalten der Unternehmen mit ihrem Verbraucherverhalten unterstützen oder sanktionieren. Die Gesellschaft muss endlich wieder breitflächiger denken, weg von den großen Überschriften in Zeitungen, und sich einmal anschauen, was im Land passiert. Sie dürfen nicht auf der einen Seite kritisieren, aber auf der anderen Seite die entsprechenden Fanartikel kaufen, damit derjenige, der sein Geld im Ausland versteuert, noch mehr Einkommen zur Verfügung hat. ({4}) Darüber müssen wir einmal ehrlich reden. Noch ein Punkt ist mir sehr wichtig. Nicht alle Menschen, die in diesem Land gut verdienen, sind Steuerflüchtige. Es gibt eine große Anzahl von Menschen in unserem Land, egal ob sie selbstständig sind, ob sie Sportler oder Künstler sind, ob sie vielleicht auch reiche Erben sind, die hier ihren Wohnsitz haben, hier Steuern zahlen und nicht wenig Geld ausgeben, in diesem Staat als Mäzen, als Sponsor, als Spender oder als Stiftungsgründer sehr viel Gutes zu tun. Ich finde es nicht in Ordnung, wenn in einer solchen Debatte immer wieder Menschen, die viel Geld haben, automatisch irgendwelchen Gruppen zugeordnet werden. Damit tut man nämlich den Menschen, die sich in diesem Lande sehr vielseitig engagieren, unglaublich Unrecht. Ich glaube, darüber sollte man in unserer Gesellschaft einmal diskutieren. ({5}) Zu Ihrem Antrag. Ich sehe darin keine praktikable Lösung. Außer den USA - das wurde gerade angesprochen praktizieren nicht viele Länder diese Regelung. Auch wenn es in den USA praktiziert wird, heißt das nicht, dass dadurch das Problem hundertprozentig gelöst würde. Herr Thiele, es hilft auch nicht, die Steuern immer stärker zu senken, um Steuerflucht immer unattraktiver zu machen. Wenn ein Mensch keinen moralischen Anspruch hat, dann sind selbst 5 Prozent Steuern zuviel für ihn, weil er diese 5 Prozent woanders sparen könnte. Wir müssen endlich einmal an das Selbstverständnis und an die Moral der Menschen appellieren. Wir müssen wahrnehmen, dass in diesem Staat jeder sein Säckchen zu tragen hat. Derjenige, der viel verdient, hat vielleicht ein größeres zu tragen als derjenige, der wenig hat. Wir müssen aber endlich einmal lernen, dass wir alle zu diesem Staat gehören. ({6}) Die Doppelbesteuerungsabkommen, die wir haben, funktionieren sehr gut. Ich stelle es mir gruselig vor, mit über 90 Staaten in neue Verhandlungen einzutreten. Diese Staaten haben nämlich ihre eigenen Interessen und warten nicht darauf, dass Deutschland mit solchen Ideen kommt. Sie werden nicht mit offenen Armen dastehen und sagen: Endlich, daran haben wir schon lange gedacht. Diese Regelung würde das ganze System verkomplizieren. Mich würde auch persönlich interessieren, wie Sie sich das vorgestellt haben. Deutsche Staatsbürger, egal wo sie wohnen, versteuern ihr Einkommen. Wenn sie es im Ausland verdienen und dort versteuern, wird das angerechnet. Die Differenz müssen sie in Deutschland zahlen. Was ist denn, wenn die Steuerpflicht im Ausland höher ist? Zahlt Deutschland die Differenz dann zurück? ({7}) - Dann ist es halt nur Norwegen. Sagen Sie mir doch einmal, wo Sie diesen Fall in Ihrem Gesetzentwurf untergebracht haben. ({8}) - Herr Gysi, das glaube ich nicht. Das wird schwierig werden, weil Sie nicht in unserem Ausschuss sind. Um genau solche Fälle geht es. Auch andere Länder werden ihre Besteuerung verändern. Was ist denn mit den vielen Bürgerinnen und Bürgern, die in Deutschland leben, aber keine deutsche Staatsbürgerschaft haben? Was ist denn, wenn sie in ihrem Heimatland deutlich weniger Steuern zahlen müssen? Zahlt Deutschland dann etwas zurück? Was machen Sie mit diesen Fällen? Herr Gysi, das ist die Realität, mit der Sie sich auseinander setzen müssen. Das sind die Probleme der Bürgerinnen und Bürger, die Sie mit Ihrem Gesetzentwurf mit ins Boot nehmen. Davon gibt es in Deutschland nicht nur einige, sondern verdammt viele. Damit muss man sich einmal auseinander setzen. Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich bewundere Ihr Gespür für „unbürokratische“ Gesetzesideen. Dieser Vorschlag ist ein Beispiel dafür, wie man Gesetze so unbürokratisch wie möglich entwickeln und anwenden kann. ({9}) - Sie haben Recht. Damit kennen die sich aus -. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir eine Statistik vorlegen könnten, aus der sich auf den Cent genau ergibt, mit welchem bürokratischen Aufwand Sie rechnen. ({10}) Welche Einnahmen planen Sie ein? Das würde mich interessieren. Ich glaube nämlich nicht, dass es unserem deutschen Steuersystem besonders gut zu Gesicht stünde, wenn wir unsere Beamtinnen und Beamten um Zigtausende aufstocken müssten, um zu schauen, wie viele Steuern in allen anderen Ländern der Welt gezahlt werden. ({11}) Die rechtliche Ausgestaltung würde mich ebenfalls interessieren. Soll Deutschland dann per Strafbefehl in der Schweiz oder in Liechtenstein Steuern einziehen? Das Problem ist: Recht zu haben, ist schön; Recht zu bekommen, ist aber etwas anderes. ({12}) Ich weiß, was jetzt kommt: Die Menschen sind fällig, wenn sie wieder nach Deutschland zurückkommen. Ich glaube nur nicht, dass viele wiederkommen werden, Herr Gysi. Das ist das Problem. Frau Tillmann hat gefragt, ob Sie die Studentin, die sich in Frankreich verliebt hat, bestrafen wollen. Herr Gysi sagte hinter mir: „Nein, die meinen wir nicht!“ Genau diese Studentin ist aber betroffen, weil sie in Frankreich lebt. Herr Gysi, ob Sie das nun wollten oder nicht: Von diesem Gesetz wäre sie betroffen. Meine Fraktion hat kein Verständnis für eine so unpraktikable Lösung. Ich plädiere dafür, dass wir das Problem und vor allem den gesellschaftlichen Aspekt in der Öffentlichkeit diskutieren. Bestimmte Dinge dürfen einfach nicht mehr passieren und sollten nicht mehr passieren können. Wir müssen mit unseren bestehenden Möglichkeiten die vorhandenen Fälle konsequent verfolgen. Wir dürfen sie nicht unter den Teppich kehren oder Amnestien vornehmen. Ich glaube, das sind wir den Menschen, die ihre Steuern in Deutschland regulär zahlen, schuldig. Wir sollten nicht in politische Reflexe verfallen und glauben, dass wir ein Problem einfach per Gesetz lösen könnten und die Welt dann in Ordnung wäre. Herr Gysi, Sie wissen genau, wie ein anderer Staat, den Sie sehr gut kennen, das Problem der Abwanderung von Fachkräften zu lösen versucht hat. Doch auch die Mauer hat nicht geholfen. Genauso wenig hilft Ihr heutiger Vorschlag Deutschland, seine Steuerflüchtigen in den Griff zu bekommen. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Gerhard Schick von Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, die meisten hier im Raum sind sich einig, dass der vorliegende Vorschlag nichts taugt. ({0}) Was vorgeschlagen wird, ist nicht administrierbar, und wir bekommen genau dasselbe Problem wie an anderer Stelle auch: dass im Gesetz etwas steht, was nicht durchsetzbar ist. Das widerspricht dem Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung und hätte deshalb vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand. Solche Gesetze zu machen, gibt keinen Sinn, sondern führt nur zu noch mehr Frustration. Sie beklagen zu Recht, dass viele, besonders reiche Menschen sich aus unserem Land verabschieden und ihren Wohnsitz der Steuer wegen verlegen. Das ist natürlich eine moralische Frage. Aber, Frau Violka, mit einem Appell unsererseits ist es nicht getan. Wenn wir der Empörung in unserer Gesellschaft gerecht werden wollen, müssen wir konkrete Veränderungen in unserem Land vornehmen. So weit würde ich auch Herrn Thiele zustimmen, der gesagt hat, man kann nicht bloß zuschauen und warme Worte verlieren, sondern man sollte auch etwas tun. Aus der großen Koalition war an konkreten Vorschlägen nicht viel und nichts Substanzielles zu hören. Ich würde deswegen gern ein paar konkrete Vorschläge machen, was man tun könnte: Stichwort Anrechnung. Wir sind für den Wechsel zur Anrechnungsmethode, aber nur bei Menschen, die ihren Wohnsitz in Deutschland haben; hier ist es administrierbar. Wenn wir den Progressionsvorbehalt berücksichtigen können, können wir auch eine Anrechnung vorsehen. Das wäre schon etwas, um Steuerflucht zu bekämpfen. Zweitens müssen wir auf der Ebene der Europäischen Union darauf hinarbeiten, das Erfordernis der Einstimmigkeit in Steuerfragen zu überwinden, damit wir die Steueroasen, die sich in der Europäischen Union befinden, sinnvoll bekämpfen und die Amtshilfe verbessern können. Das müssen wir dringend tun. Denn das Legitimationsdefizit der Europäischen Union hat auch damit zu tun, dass die Menschen sie nicht als einen Ort der Lösung solcher Gerechtigkeitsfragen, wie wir sie gerade diskutieren, empfinden. In diese Richtung muss gerade während der Präsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland im Europäischen Rat Entscheidendes passieren. Frau Tillmann, Sie haben im Hinblick auf die Vorschläge der Linkspartei von einem bürokratischen Hammer gesprochen. Ich stimme Ihnen zu: Das geht so nicht. Aber es gibt einen weiteren bürokratischen Hammer, den insbesondere Ihre Partei ständig verteidigt und der ein Grund dafür ist, dass wir unser Steuerrecht auch bei Auslandssachverhalten nicht richtig durchsetzen können: der Riesenapparat von 16 Landessteuerverwaltungen. Auch deshalb können wir den inländischen Bezug von Auslandssachverhalten nicht richtig ermitteln. Wir sollten in dieser Richtung weiterkommen, wir sollten in Deutschland verändern, was wir in Deutschland verändern können, ({1}) um nicht beim Appell zu bleiben, sondern in der Substanz weiterzukommen. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Schick, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Tillmann?

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Frau Tillmann.

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schick, teilen Sie mit mir die Auffassung, dass in Deutschland für jedes ausländische Land bereits eine Steuerbehörde zuständig ist und dass eine mögliche Zersplitterung der Zuständigkeit auf die 16 Steuerverwaltungen mit dem Föderalismusbegleitgesetz schon erheblich eingeschränkt wurde? Teilen Sie mit mir darüber hinaus die Auffassung, dass der Bund die Kosten für eine bundeseinheitliche Steuerverwaltung - Bundespensionen und IT-Kosten - im Moment gar nicht schultern kann? ({0})

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zum zweiten Punkt zuerst: Natürlich muss man die Frage, wie der Übergang zu gestalten ist, ausdiskutieren. Solche Praktikabilitätsprobleme haben wir auch bei anderen Bund-Länder-Angelegenheiten lösen können. ({0}) Hinsichtlich Ihrer ersten Frage ist es so: Auch wenn es eine jeweilige Zuständigkeit gibt, schaffen es die Steuerbehörden doch nicht einmal bei Umzügen im Inland, rechtzeitig zu koordinieren; das werden Ihnen alle bestätigen, die in der Steuerverwaltung arbeiten. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass wir auch bei Auslandssachverhalten nicht richtig ermitteln können. ({1}) - Richtig, es geht aber immer um einen inländischen Bezug. Wenn Sie eine Wegzugsbesteuerung einführen wollen, dann brauchen Sie eine entsprechende inländische Basis. Das gilt auch, wenn Sie das Anrechnungsverfahren durchsetzen wollen und insbesondere bei allen Fällen von Steuerhinterziehung. ({2}) Ich fordere die Linkspartei auf, nicht nur populistische Anträge ins Plenum einzubringen, ({3}) sondern Änderungsanträge, die konkrete Probleme lösen. Heute diskutieren wir zum Beispiel noch einmal über das SEStEG, in dem es um die Wegzugsbesteuerung geht, und auch bei der Befassung mit den Doppelbesteuerungsabkommen haben Sie dazu die Möglichkeit. Ich würde mich freuen, wenn es dann Substantiierteres von Ihnen gäbe. Danke. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/2524 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Vorläufigen Tabakgesetzes - Drucksache 16/1940 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ulrike Höfken, Birgitt Bender, Dr. Harald Terpe, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Vorläufigen Tabakgesetzes - Drucksache 16/1068 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) - Drucksache 16/3201 ({1}) Berichterstattung: Abgeordnete Kurt Segner Hans-Michael Goldmann Dr. Kirsten Tackmann Ich weise darauf hin, dass ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vorliegt, der sich auf beide genannten Gesetzentwürfe bezieht. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht jetzt um ein möglicherweise tödliches Thema; denn „Rauchen kann tödlich sein“. ({0}) Das steht auf den Packungen und das sollten wir ernst nehmen. Mit dieser Thematik beschäftigen sich nicht nur die Bundesregierung und dieses Parlament, sondern auch die Europäische Union. Heute geht es unter anderem um die Umsetzung der Tabakwerberichtlinie - das ist der aktuelle Anlass -, welche die EU-Kommission bis zum 31. Juli 2006 von uns gefordert hat. Die Bundesregierung hat beim EuGH Klage gegen die Tabakwerberichtlinie erhoben; denn wir bestreiten die Rechtskompetenz der Europäischen Union, in diesem Sektor tätig zu werden. Bei dieser Rechtsauffassung bleiben wir nach wie vor. ({1}) Es zeigt sich immer mehr, dass die Europäische Union - dabei ist der Europäische Gerichtshof das Machtzentrum - Regelungskompetenzen an sich zieht, ohne dass es dafür eine Rechtsgrundlage gibt. Natürlich müssen wir uns aber dem Spruch des EuGH unterwerfen. Nachdem nun der Schlussantrag des Generalanwalts vorliegt, müssen wir von einer Abweisung der Klage ausgehen. Deshalb schlagen wir vor, die EU-Richtlinie eins zu eins umzusetzen. Wir müssen dabei beachten, dass die Tabakwerberichtlinie das grundsätzliche Werbeverbot für Tabakerzeugnisse in Presse, Internet und Rundfunk sowie ein Sponsoringverbot enthält. Dies ist das eine Thema. Rauchen bewegt uns in Deutschland und in diesem Parlament aber auch an anderer Stelle - dies ist ein davon unabhängiges Thema -, nämlich dann, wenn es um den Nichtraucherschutz geht. Ich habe mir in meinem Büro vorhin noch eine andere Zigarettenschachtel angeschaut. Auf der steht: Rauchen fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu. ({2}) Das ist ein Warnhinweis an Sie. Wir leben in einem freien Land und es stellt sich natürlich die grundsätzliche Frage nach der Eigenverantwortung. ({3}) Wo endet die Freiheit des Einzelnen? Natürlich bestreitet niemand dem Raucher das Recht, zu rauchen. Das soll auch in Zukunft so sein. Aber die Freiheit des Rauchers endet dort, wo sie die Gesundheit des anderen tangiert. Deshalb arbeiten die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung an einem Nichtraucherschutzgesetz. Wir sind der Meinung - davon sind wir ausgegangen -, dass beim Nichtraucherschutz die Selbsteinsicht, die Eigenverantwortung und die Freiwilligkeit die ersten, die richtigen und die wichtigsten Schritte wären. ({4}) - Ja. An die Selbsteinsicht glaubt der Deutsche Bundestag seit 1994. Jedes Jahr führen wir erneut eine solche Debatte und treffen eine Entschließung. ({5}) Heute, im Jahr 2006, müssen wir allerdings feststellen: Selbsteinsicht und freiwillige Selbstbeschränkung zum Schutz der Nichtraucher funktionieren nicht. ({6}) Nun ist Handeln angesagt. Ich bestätige, was Kollege Binding von der SPD-Fraktion heute an die Öffentlichkeit gebracht hat. Dazu möchte ich kurz Stellung nehmen. Wie also sehen die Eckpunkte dieses in den nächsten Wochen und Monaten in den Fraktionen zu beratenden Entwurfs eines Gesetzes zum Nichtraucherschutz aus? Unser Ziel ist kein generelles Rauchverbot, sondern ein wirksamer Nichtraucherschutz: Dein Rauch darf nicht mein Rauch sein und meine Gesundheit tangieren. Die Koalitionsfraktionen orientieren sich bei ihrer Arbeit an folgenden Eckpunkten - wir werben um Ihre Zustimmung; denn letztlich sind wir auf die Zustimmung dieses Hauses angewiesen -: Erstens. Wir werden ein Rauchverbot in allen öffentlichen Einrichtungen des Bundes, der Länder und der Kommunen vorschlagen. ({7}) Auch in öffentlichen Verkehrsmitteln soll ein generelles Rauchverbot gelten, ({8}) es sei denn - diese Regelung muss für den Bürger nachvollziehbar sein -, es gibt abgetrennte und für das Rauchen ausgewiesene Räume. Ich glaube, das ist eine klare Botschaft für Raucher und betroffene Nichtraucher. Der zweite Punkt betrifft die gastronomischen Betriebe. Das ist brisant und darüber wird in der Öffentlichkeit breit diskutiert. In Deutschland gibt es 250 000 gastronomische Betriebe. Selbstverständlich streben wir gemeinsam mit ihnen eine praktikable und unbürokratische Lösung an, auch im Interesse der 1 Million Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der vielen Millionen Gäste in der Gastronomie. In Speisewirtschaften soll ein Rauchverbot gelten, nicht jedoch in Schankwirtschaften. Eine solche Abgrenzung, die sich auch im Gaststättenrecht findet, streben wir gemeinsam an. Die Regel soll in Speisewirtschaften das Rauchverbot sein; eine Ausnahme ist dann zu machen, wenn dafür vorgesehene, abgetrennte Räume bestehen. Das ist auch eine klare Botschaft an die Gastronomie. Diese Eckpunkte werden wir in den nächsten Wochen und Monaten gemeinsam weiterentwickeln und darüber insbesondere mit der Gastronomie diskutieren müssen; denn wir streben, wie gesagt, eine praktikable Lösung an. Für die Bundesregierung bzw. die Koalitionsfraktionen stelle ich fest: Eine praktikable Lösung muss auch eine wirksame Lösung sein. Im Mittelpunkt unserer Bemühungen steht das Ziel eines effektiven Nichtraucherschutzes. Es muss etwas passieren. Wir dürfen kein Gesetz auf den Weg bringen, in dem nur Andeutungen gemacht werden. Wir wollen einen effektiven Nichtraucher- bzw. Gesundheitsschutz. Es ist unbestritten, dass Rauchen tödlich sein kann und dadurch auch Nichtraucher gefährdet werden. Ich lade Sie ein, diesen Weg in den nächsten Wochen gemeinsam mit uns zu beschreiten. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Edmund Peter Geisen, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit acht Jahren bezweifeln die Bundesregierung und der Bundestag die Rechtmäßigkeit der EU-Richtlinie zum Tabakwerbeverbot. Nun - wenige Wochen vor dem entscheidenden EuGH-Urteil - geht die Bundesregierung in die Knie und lässt im vorauseilenden Gehorsam ein Gesetz beschließen. Ich frage Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition: Warum dies? - Die angeblich drohenden Strafzahlungen können es wohl nicht sein. Die haben Sie schließlich in Ihrer Begründung zum Gesetzentwurf explizit herausgestrichen; alle anderen Punkte sind wortgleich mit dem Antrag des Bündnisses 90/Die Grünen. Die Bundesregierung muss sich fragen lassen, warum sie mit der Klage damals nicht auch die Aussetzung des Vollzugs beantragt hat. Verehrter Herr Staatssekretär Müller, ich halte es auch nicht für legitim, wenn Sie nun versuchen, von Ihrer 180-Grad-Drehung in der Sache abzulenken, indem Sie die Umsetzung der Richtlinie mit dem Nichtraucherschutzgesetz begründen. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. ({0}) Kann es sein, dass Sie damit gewisse Kreise in Ihrer Koalition ruhig stellen wollen? ({1}) Oder bedienen Sie sich etwa - wie viele andere auch des hochsensiblen Themas des Nichtraucherschutzes, um populistisch über Ihren schlechten Gesetzentwurf hinwegzutäuschen? ({2}) Wir sprechen heute über den Gesetzentwurf zur Änderung des Vorläufigen Tabakgesetzes; wir reden nicht über ein Nichtraucherschutzgesetz. Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es um Werbeverbote und die Kompetenzabgrenzung zwischen der EU und den Nationalstaaten. Das ist der Grund, warum die damalige Bundesregierung Klage vor dem EuGH erhoben hat. Wissen Sie eigentlich, welche Konsequenzen Ihre Gesetzesinitiative hat? Der Bundesrat hat dies in seiner ablehnenden Stellungnahme sehr deutlich gemacht: Erstens wecken Sie Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Klage und schmälern ihre Erfolgsaussichten. Zweitens verzichten Sie ohne Not auf die Klärung einer Reihe von Zweifelsfragen durch die Urteilsbegründung. Das Urteil des EuGH bzw. dessen Hinweise sollen also für Sie keine Rolle spielen. Das nenne ich paradox. ({3}) Die Eile, mit der diese Gesetzesänderung verabschiedet wird, steht im krassen Widerspruch zu früheren Aussagen des Agrarministers. Sie ist juristisch höchst zweifelhaft und hat nicht überschaubare Konsequenzen. Hatte Minister Seehofer nicht noch Ende letzten Jahres verkündet, man werde das Urteil des EuGH abwarten, bevor man die strittige Tabakwerberichtlinie in Gesetzesform gießt, und dies mit dem Subsidiaritätsprinzip begründet? Hatte nicht Ihre Bundesregierung, meine Damen und Herren der SPD, die Klagen selber eingereicht, übrigens mit Rückendeckung der grünen Ministerin? Lieber Peter Bleser, hatte nicht die damalige Oppositionsfraktion der CDU/CSU 2003 einen Antrag eingebracht, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, zu klagen? Jetzt plötzlich scheinen regierungsinterne Gründe all diese berechtigten Bedenken vom Tisch zu wischen. Die FDP wendet sich grundsätzlich gegen EU-Werbeverbote für legale Produkte. Die Gründe dafür sind erstens die Verbraucherbevormundung und zweitens das Subsidiaritätsprinzip. Eine Wirtschaft ohne Werbung ist eine tote Wirtschaft. Dazu gibt es viele Beispiele aus der Vergangenheit. ({4}) Das Tabakwerbeverbot ist unserer Meinung nach nur der Beginn für Werbeverbote in anderen Bereichen. Ich denke dabei an Alkohol, Süßwaren und Automobile. Das ist kein Verbraucherschutz; das ist Verbraucherbevormundung. ({5}) Wir gehen stattdessen vom mündigen Verbraucher aus, den man nicht vor sich selber schützen muss. Natürlich gelten für Kinder und Jugendliche andere Regeln. ({6}) Hier ist aber auch die Wirtschaft in der Pflicht. In diesem Zusammenhang werden wir auch noch über das Nichtraucherschutzgesetz diskutieren. Im Kern geht es bei der Umsetzung des Tabakwerbeverbots um die grundsätzliche Kompetenzabgrenzung in der EU nach dem Subsidiaritätsprinzip. Es geht um die Brüsseler Regelungswut. Auch das Bundesverfassungsgericht verfolgt diese Entwicklung aufmerksam. Sie werden noch davon hören. Die FDP hat sich immer dagegen gewehrt, unsere Gesellschaft bis ins Detail durchzuregeln und zu bevormunden. Auch Aufklärungskampagnen und gesellschaftlicher Druck zeigen Wirkung, wie Sie wissen, und führen immer häufiger zu freiwilligen Einschränkungen und Selbstverpflichtungen. Aus all diesen Gründen lehnt die FDP-Fraktion den Gesetzentwurf der Bundesregierung sowie den de facto identischen Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen ab. Wir bitten Sie, meine Damen und Herren des Deutschen Bundestages, eindringlich um Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Dr. Marlies Volkmer, SPDFraktion. ({0})

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die meisten Zwölfjährigen rauchen. Der Rest ist bereits zu betrunken, um die Packung zu öffnen.“ ({0}) Dies ist ein „echter Harald Schmidt“ und beleuchtet schlaglichtartig das Problem. Zunehmend mehr Kinder und Jugendliche rauchen viel früher. Viel zu viele Kinder und Jugendliche rauchen. Sie rauchen nicht eine Zigarette irgendwo hinter einer Hecke, sondern mehr oder weniger öffentlich und regelmäßig. Das Rauchen von Kindern und Jugendlichen wird dadurch begünstigt, dass sie tagtäglich rauchenden Erwachsenen und Zigarettenwerbung begegnen und dass sie bislang ungehindert Zugang zu Zigarettenautomaten haben. Das muss bei Kindern und Jugendlichen den Eindruck erwecken: Rauchen ist etwas Normales, vielleicht sogar etwas Erstrebenswertes. Dem müssen wir entgegentreten. Wir können gar nicht oft genug sagen, dass Tabak, auch wenn er eine legale Droge ist, Sucht erzeugt. Zigarettenrauchen ist heute das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko. Insbesondere Zigarettenrauch führt zu schwerwiegenden Erkrankungen wie Krebserkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Atemwegserkrankungen. Es ist nicht zu rechtfertigen, dass man Werbung für ein solches Produkt macht. Daher begrüßen wir es außerordentlich, dass nun die europäische Tabakwerberichtlinie auch in Deutschland umgesetzt wird. Ich möchte einige Punkte erwähnen, die in der Tabakwerberichtlinie geregelt sind. Diese Richtlinie verbietet, für Tabakerzeugnisse in der Presse oder anderen gedruckten Erzeugnissen zu werben. In dem Umfang, in dem Werbung in der Presse verboten ist, ist sie auch im Internet verboten. Unternehmen, deren Haupttätigkeit Herstellung oder Verkauf von Tabakerzeugnissen ist, ist es untersagt, ein Hörfunkprogramm zu sponsern. Es ist der Tabakindustrie des Weiteren verboten, eine Veranstaltung oder Aktivität zu sponsern, die grenzüberschreitende Wirkung hat, zum Beispiel die Formel 1. Hörfunk- und Fernsehwerbung sind in Deutschland schon seit 1975 verboten. Das Gesetz wird dazu beitragen - ich gehe mit Sicherheit davon aus, dass wir den Gesetzentwurf heute beschließen -, dass wir das Rauchen in Deutschland eindämmen und die schädlichen Folgen des Passivrauchens zurückdrängen. Der Tabakrauch enthält über 4 800 verschiedene Substanzen. Bei über 70 Substanzen ist nachgewiesen, dass sie krebserregend sind oder in Verdacht stehen, Krebs zu erzeugen. Die chemische Zusammensetzung des Passivrauchs, also des Nebenstroms der Zigarette, gleicht qualitativ der des Tabakrauchs. ({1}) - Herr Parr, das stimmt sehr wohl. Sie ignorieren typischerweise wieder Tatsachen. ({2}) Für die im Passivrauch enthaltenen Kanzerogene können keine Wirkungsschwellen definiert werden, unterhalb deren keine Gesundheitsgefährdung zu erwarten wäre.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Parr?

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte meinen Satz gerne zu Ende bringen. Auch kleinste Belastungen durch Tabakrauch können zur Entwicklung von Tumoren beitragen. Bitte schön, Herr Parr.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Volkmer, wie beurteilen Sie denn die neuesten Ergebnisse einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, in der festgestellt wird, dass sich der Trend in Deutschland, nicht zu rauchen, permanent fortsetzt, dass mittlerweile nur noch 26 Prozent der Bevölkerung rauchen und dass die Zahl der Jugendlichen, die nie eine Zigarette in der Hand gehabt haben, auf mittlerweile weit über 60 Prozent gestiegen ist? Diese Ergebnisse beruhen auf Aufklärungsmaßnahmen, die auf Einsicht und Überzeugung statt auf gesetzliche Maßnahmen setzen.

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Parr, das, was Sie gerade gesagt haben, ist eine einseitige Darstellung. ({0}) Es ist tatsächlich so, dass die Zahl der Jugendlichen, die nie eine Zigarette in die Hand genommen haben, steigt. Aber 40 Prozent nehmen eben doch eine Zigarette in die Hand. Diese Gruppe wird immer jünger - auch im jugendlichen Alter wird schon regelmäßig geraucht - und sie raucht immer öfter. ({1}) Sie werden mir sicher Recht geben - das ist auch das Ziel der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung -, wenn ich sage: Kampagnen und Aufklärung sind richtig und wichtig. Aber ebenso wichtig ist eine Unterstützung für das Nichtrauchen dadurch, dass Werbung für Zigaretten verboten wird. ({2}) Es ist vorhin schon darauf hingewiesen worden, dass Deutschland gegen die EU-Tabakwerberichtlinie geklagt hat. Das habe ich stets für falsch gehalten. Auch wenn der Hintergrund dieser Klage juristischer Art ist, ist dieses Vorgehen als mangelnder Wille verstanden worden, das Rauchen einzudämmen. Ich begrüße es, dass die Bundesregierung diesen Verdacht nun ausräumt, auch wenn die Klage offiziell nicht zurückgezogen ist. Als Ärztin lege ich besonderen Wert auf Prävention. ({3}) Dabei kann man feststellen: Rauchen ist ansteckend. Die Auswertung der Angaben von 22 000 Studienteilnehmern aus Regionen in ganz Deutschland ergab: Besonders viel wird in den Großstädten geraucht, wo die Dichte an Zigarettenwerbung und Zigarettenautomaten sehr hoch ist. ({4}) In einer epidemiologischen Studie der Universität Greifswald kommt man zu folgendem Ergebnis - ich zitiere -: Viele Raucher im Bekanntenkreis oder im Stadtbild regen zur Nachahmung an. Wir wissen jetzt, wo Prävention am nötigsten ist, und fordern eine stärkere Ächtung von Tabakwerbung und Rauchen in öffentlichen Räumen. Werbung für Tabakwaren ist auch nach dem InKraft-Treten dieses Gesetzes leider immer noch möglich, da wir die Umsetzung der EU-Richtlinie eins zu eins vornehmen. Davon bleiben aber nationale Regelungen unberührt. Nach wie vor kann mit Plakaten im gesamten öffentlichen Raum für Zigaretten geworben werden. Kinder und Jugendliche können dem nicht entgehen. Auf dem Weg zum Kindergarten, in der Schule, in den Jugendklubs oder in der Disco werden rauchende Menschen vorgeführt, die schön, jung, reich, fröhlich und cool sind. Dagegen kommt die Erziehung im Elternhaus und in den Institutionen sehr schwer an. ({5}) Aus meiner Sicht ist es deshalb unabdingbar, dass dieses Haus in einem nächsten Schritt die Plakatwerbung für Tabakwaren verbietet. Das liegt allein in der nationalen Gesetzgebungskompetenz, das nimmt uns keiner ab. Ich bleibe trotzdem dabei: Die Änderung des bestehenden Vorläufigen Tabakgesetzes, die wir heute beraten, unterstützt die Aktivitäten dieses Hauses zum Zurückdrängen des Rauchens in der Öffentlichkeit und damit auch den Schutz vor den Folgen des Passivrauchens. Dieses Gesetz leistet gerade für Jugendliche einen Beitrag, Rauchen eine Absage zu erteilen und Nein zu sagen, wenn ihnen eine Zigarette angeboten wird. Wenn für das Rauchen nicht mehr geworben werden darf, ist ein Rauchverbot leichter umzusetzen. ({6}) Schon Johann Wolfgang von Goethe wollte nicht passivrauchen. Ohne von der Gefahr wissen zu können, schrieb er - ich zitiere -: Wer ist denn imstande, in das Zimmer eines Rauchers zu treten, ohne Übelkeit zu empfinden? Leider bleiben die Raucher nicht in ihren Zimmern. Stattdessen tragen sie neben dem üblen Geruch zahllose die Gesundheit schädigende Feinstaubpartikel in die Atemluft ihrer Mitmenschen. ({7}) Ich trete deshalb mit vielen Kolleginnen und Kollegen dafür ein, dass öffentliche Gebäude und öffentliche Verkehrsmittel rauchfrei werden. ({8}) Es darf niemand gezwungen sein, passiv rauchen zu müssen, um am öffentlichen Leben in allen Facetten teilnehmen zu können. - Herr Parr, ich weiß nicht, ob im Bundestag nicht noch geraucht wird. Ich persönlich finde immer noch Räume - auch im Reichstagsgebäude -, in denen geraucht wird. Wir sind also noch weit davon entfernt, dass in allen öffentlichen Räumen nicht geraucht wird. ({9}) Das gilt auch, wenn man im Zug fährt. Auf der Strecke zwischen Dresden und Berlin, die ich regelmäßig nutze, verkehren Züge mit Großraumwagen, in denen es ein paar Raucherplätze und daneben auch Nichtraucherplätze gibt. Sie glauben doch nicht, dass der Rauch nicht auch zu den Nichtrauchern zieht. Das ist doch lächerlich! ({10}) Wir - das heißt viele Kolleginnen und Kollegen hier im Bundestag - sind der Meinung, dass wir nicht nur ein Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden brauchen, sondern dass wir auch ein Rauchverbot in Gaststätten brauchen. ({11}) Wir müssen auch in Deutschland zur Kenntnis nehmen, dass Beschäftigte in der Gastronomie tagtäglich extrem gefährlicher Schadstoffbelastung ausgesetzt sind. Diesen Zustand als Arbeitnehmer zweiter Klasse können wir nicht verantworten. Von einem Rauchverbot in Gaststätten würden übrigens alle profitieren, sowohl die Nichtraucher als auch die Raucher. Viele Raucher unterstützen inzwischen unsere Aktivitäten. Von einem Rauchverbot würden - das zeigen die Erfahrungen in den europäischen Nachbarländern deutlich - letztlich sogar die Gastronomen profitieren. Hinzu kommt, dass, perspektivisch gesehen, die Aufwendungen des Gesundheitswesens für die Folgen des Passivrauchens sinken werden. Das ist ein hoch erwünschter Nebeneffekt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin!

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Erste Gesetz zur Änderung des Vorläufigen Tabakgesetzes ist ein Schritt von mehreren, die getan werden müssen. Es schränkt die Tabakwerbung deutlich ein. Ich bitte Sie alle um Ihre Zustimmung. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Monika Knoche von der Fraktion Die Linke. ({0})

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine sehr geehrten Herren und Damen! Bei der Frage des Tabakkonsums herrscht eine recht unübersichtliche, teilweise auch etwas paradoxe Situation; ich nenne nur wenige Beispiele: Der Verbraucherschutzminister Seehofer initiiert eine Nichtraucherschutzkampagne, klagt aber gleichzeitig vor dem EuGH gegen das Tabakwerbeverbot. ({0}) Die Regierungskoalition lehnt Anträge zu einem nationalen Werbeverbot ab. Dann legt die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf vor - aber nur, um einer Klage der Europäischen Kommission zuvorzukommen -, hält jedoch gleichzeitig ihre eigene Klage beim EuGH aufrecht. Das alles ist recht unübersichtlich seitens der Regierung. Andererseits erhebt und erhöht sie die Tabaksteuer angeblich, um die Krankenkassen zu finanzieren. ({1}) Dann verteilt sie das Geld wieder im Bundeshaushalt. Die Rauchenden sind es letztlich, die den Staat durch Steuern mitfinanzieren. Aus diesen Mitteln werden dann aber noch immer Steuersubventionen für den Tabakanbau finanziert. ({2}) Die FDP ist gänzlich gegen ein Tabakwerbeverbot, weil - und das ist interessant - sie keine Klassifizierung des Staates akzeptiert, die Produkte in gute und böse einteilt. Sie vergisst dabei aber offenbar, dass die völkerrechtsverbindliche Drogenbekämpfung die strikte Trennung in legale und illegale Drogen vorsieht. Damit wird das FDP-Postulat von der Selbstverantwortung des mündigen Menschen doch etwas unglaubwürdig und darüber hinaus dazu beigetragen, dass eine beträchtliche Kriminalitätsrate in der Bevölkerung existiert. ({3}) Es stellt sich also genauso die Frage: Was will die FDP? Wir Linke sagen: Trotz der bekannten beträchtlichen individuellen gesundheitlichen Folgen, die auftreten können, ist das Rauchen eine kulturell integrierte Droge. Verbieten werden wir das Rauchen deshalb nie. ({4}) Was unserer Meinung nach jedoch verboten werden muss, ist die Werbung für den Konsum eines offenkundig gesundheitsschädigenden Stoffes. Mehr noch: Wir wollen vor allem auch Kinder und Jugendliche dadurch schützen, dass ein unbefristetes Verbot der Werbung in allen Printmedien und Kinos greift. Auch Großveranstaltungen sollen nicht gesponsert werden dürfen. Ebenso muss verboten sein, dass Tabakerzeugnisse kostenlos abgegeben werden. Auch ich selber bin der Meinung, dass es schöner ist, in einem Tabakfachgeschäft einzukaufen, als überall auf Zigarettenautomaten zu stoßen. Darüber hinaus wäre das ein guter Präventionseffekt. Wir alle machen uns bewusst, wie gesundheitsschädlich das Rauchen ist. Wir wissen auch, dass den Zigaretten nach wie vor Krebs und Sucht erzeugende Stoffe beigemengt werden, was vor allen Dingen darauf abzielt, Kinder und Jugendliche abhängig zu machen. Nach Betrachtung der Vorgänge hier im politischen Raum finde ich, dass man sich schon für ein konsequentes Werbeverbot aussprechen muss. Nur ein konsequentes Werbeverbot korrespondiert wirklich sinnhaft mit einem Gesetz zum Schutz Nichtrauchender, das von einigen hier im Haus präferiert wird. Ein Verbraucherschutzminister, der gegen das Tabakwerbeverbot auf EU-Ebene klagt und hier nur wegen drohender Regresszahlungen ein Gesetz vorlegt, ist nicht glaubwürdig und auch nicht konsequent. Ich bin der Meinung, der Staat muss immer - auch in der Tabakpolitik - Stimmigkeit und Sinnhaftigkeit für sein Tun beanspruchen können. Die Eingriffstiefe einer gesetzlichen Verbotsregelung muss ihre Rechtfertigung finden. Diese Rechtfertigung kann hier darin bestehen, dass es sich um Gesundheitsschutzmaßnahmen handelt. Wie dem auch sei, der vorliegende Gesetzentwurf findet unsere Unterstützung. Ich möchte im Übrigen empfehlen, dass die Regierung in Bezug auf ihr Verhalten gegenüber der Kommission einmal darüber nachdenkt, ob sie mehr oder weniger Regelungskompetenz in Brüssel angesiedelt sehen möchte. Schaut man sich ihr vehementes Eintreten für den gescheiterten Verfassungsentwurf - in Deutschland ist er übrigens noch nicht ratifiziert - an, dann muss man schon sagen, dass sie auf europäischer Ebene eine stimmige Verbraucherschutzpolitik bisher nicht entwickelt hat. Danke. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist bis heute für die Tabakindustrie die Insel der Seligen. Man muss sagen: Dieser Bundesregierung muss jede fortschrittliche Maßnahme zum Mindestschutz der Bürgerinnen und Bürger, insbesondere der Jugendlichen, vor dem Passivrauchen abgerungen werden. ({0}) Ich danke natürlich auch den Kolleginnen und Kollegen, die sich dafür einsetzen. Die FDP und gerade diese Bundesregierung stellen die gesundheitspolitische Forderung auf, dass diejenigen stärker belastet werden, die an Krebs erkrankt sind und sich nicht ausreichend geschützt haben. ({1}) Außerdem fordern Sie mehr Selbstverantwortung. Gleichzeitig verhindern Sie mit Ihrer Weigerung, Schutzmaßnahmen zu beschließen, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Selbstverantwortung auch wahrnehmen können. Das ist ein unglaublicher Zynismus, der da betrieben wird. ({2}) Sie, die Bundesregierung, die Koalitionsfraktionen, aber auch die FDP, sind in der Pflicht, solche Maßnahmen zu ergreifen, die diesen Selbstschutz ermöglichen. Das bedeutet insbesondere die Einschränkung von Werbung. Wir diskutieren hier über die Umsetzung der EU-Tabakwerberichtlinie; der Gesetzentwurf soll heute verabschiedet werden. Ich meine, das ist allenfalls ein erster Schritt. ({3}) Dass Jugendliche Opfer der Werbung sind und zum Rauchen verführt werden, ist inzwischen erwiesen. Die Wirksamkeit der Werbung belegen zum Beispiel die vorgelegten Studien. Die Tabakindustrie hat in den 90er-Jahren eine halbe Milliarde D-Mark in Tabakwerbung investiert. Dieses Geld hat sie nicht investiert, damit die Werbung nicht wirkt, sondern damit sie erfolgreich ist. Das war sie auch. Was sind dagegen die 2,5 Millionen Euro für Aufklärungsmaßnahmen, die dann bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ausgegeben wurden? ({4}) Das ist doch alles lächerlich. Gegen eine Industrie, die Milliarden massiv für die Tabakwerbung einsetzt, können Sie nicht auf Aufklärung setzen. ({5}) Im Übrigen werden nicht nur Jugendliche von den Aktivitäten der Tabakindustrie und dem Lobbyismus gefangen, sondern auch die Abgeordneten. Wir werden uns die Formulierungen im Gesetz zum Schutz vor Passivrauchen, die Sie uns vorlegen wollen, genau ansehen. Aber man muss ganz klar sagen: Für den Bereich der Gastronomie ist das fast eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Forderungen des Verbandes der Zigarettenindustrie. Unsere Motivation, hier tätig zu werden - das gilt für viele Abgeordnete -, sind die Arbeitnehmerinnen in der Gastronomie. Da arbeiten etwa 8 000 schwangere Frauen, die vom Zigarettenrauch betroffen sind. Viele dieser Frauen arbeiten in den Bereichen, die Sie nun ausgerechnet nicht schützen wollen. ({6}) Wie wollen Sie auch unter Berücksichtigung Ihrer Gesundheitspolitik verantworten, dass diese Frauen unter solchen Bedingungen arbeiten müssen? In anderen Bereichen dürfte kein Mensch unter solchen Bedingungen arbeiten. Deswegen ist das, was Sie da vorlegen, wie ich finde, nicht ausreichend. ({7}) Noch ein letztes Wort zur Tabakwerbung. Da gebe ich dem Staatssekretär Müller ausdrücklich Recht. Das gilt auch für Herrn Minister Seehofer, der gesagt hat: Wir hatten über viele Jahre den Versuch mit der Selbstverpflichtung der Tabakindustrie. All das hat keinen Erfolg gezeigt. Das haben wir auch bei der Selbstverpflichtung der Tabakindustrie gesehen, keine Werbung vor Jugendeinrichtungen zu platzieren; das „Forum Rauchfrei“ hat mehrmals darauf hingewiesen. Gerade gestern hat es wieder einmal Beschwerde gegen die Werbung von Philip Morris vor einer Grundschule in der Urbanstraße in Kreuzberg eingelegt. - So viel zur Selbstverpflichtung. Wir müssen dazu kommen, dass das, was jetzt EUweit gilt, auch national umgesetzt wird. Es gilt also, national zusätzlich das Verbot von Werbung auf Plakaten zu erlassen, eine Begrenzung in Kinos einzuführen

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin!

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- ja - und das Sponsoring im Inland genauso zu verbieten wie auf der Europaebene. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Vorläufigen Tabakgesetzes, Drucksache 16/1940. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt unter Nr. I seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3201 ({0}), den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in der zweiten Beratung mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der GesetzentVizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner wurf ist damit mit demselben Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3329. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist mit der Mehrheit der Stimmen des Hauses bei Gegenstimmen der FDP abgelehnt. Unter Nr. II seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, den Gesetzentwurf der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen zur Änderung des Vorläufigen Tabakgesetzes auf Drucksache 16/1068 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Regelungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten - Drucksache 16/2922 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({1}) - Drucksache 16/3320 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Ralf Brauksiepe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Anette Kramme, SPD-Fraktion.

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Es ist wirklich ein Jammer, nicht nach FDP- und PDS-Rednern sprechen zu dürfen. Sie liefern einem immer noch Steilvorlagen. Schade, das entfällt heute. ({0}) Die Aktionäre deutscher Unternehmen sollten sich glücklich schätzen, dass es hier Aufsichtsräte gibt. Sie sollten auch die Mitbestimmung lieben lernen. Gewiss sind Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaftsfunktionäre in den Aufsichtsräten lästig. Sie bieten aber auch Schutz gegen die allzu große Selbstherrlichkeit der Chefs. Das war in der „Financial Times Deutschland“ vom 14. Januar 2003 zu lesen, also in einer Zeitung, der Arbeitnehmernähe sicherlich nicht zugeschrieben werden kann. Es sind wahrlich kluge Sätze, die da niedergelegt sind. Die Auseinandersetzungen um die Unternehmensmitbestimmung halten seit Jahren an. Zuletzt wurde dies beim Deutschen Juristentag im September deutlich. Pround Kontrapositionen standen sich hier so vehement gegenüber, dass es zu keiner Beschlussfassung kam. Die Beteiligung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen an Unternehmensorganen ist kein auf Deutschland begrenztes Phänomen. In zahlreichen EU-Ländern finden sich Vertretungsmodelle. Von den 25 EU-Ländern haben elf eine starke Grundlage für Unternehmensmitbestimmung mit mindestens einer Drittelbeteiligung von Arbeitnehmern im höchsten Unternehmensorgan. In weiteren sieben Ländern gibt es ein mittleres Niveau an Unternehmensmitbestimmung. Diese erleichtern zum Teil, wie beispielsweise Frankreich, die Vertretung von Belegschaftsaktionären. Auch von den neuen Mitgliedstaaten kennen lediglich vier Länder keine oder nur schwache Mitbestimmungsrechte. Die Mitbestimmung ist also keinesfalls ein Sondermodell Deutschlands, wie so oft behauptet wird. ({1}) In der Tat ist allerdings die paritätische Unternehmensmitbestimmung nur in Deutschland und Slowenien weit verbreitet, ({2}) Aber auch andere Länder kennen eine starke Unternehmensmitbestimmung. Nur ein Beispiel: In Deutschland gilt die paritätische Mitbestimmung für Unternehmen mit mehr als 2 000 Beschäftigten und die Drittelbeteiligung für Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten. In Dänemark dagegen gilt die Drittelbeteiligung bereits für Unternehmen mit mehr als 35 Arbeitnehmern, in Schweden liegt der Schwellenwert bei sage und schreibe 25 Arbeitnehmern. Den hohen Stellenwert einer Mitbestimmungskultur hat auch der europäische Gesetzgeber erkannt. Dies schlägt sich in der Verschmelzungsrichtlinie nieder, die wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eins zu eins in deutsches Recht übertragen. Mit der bei der Europäischen Gesellschaft gefundenen Kombination aus Verhandlungslösung und flankierender Auffangregelung ist ein entscheidender Schritt zu einem sozialen Europa gelungen. Grundprinzip ist und bleibt das Vorher-Nachher-Prinzip. Damit werden die bestehenden Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weitgehend gesichert. Es wird deutlich, dass Europa keine Veränderung der nationalen Mitbestimmungsmodelle verlangt, sondern sie im Gegenteil akzeptiert und schützen will. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht nachvollziehbar, warum die BDA fordert, bei der Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie von der Umsetzung der SE-Richtlinie abzuweichen. ({3}) Das Modell ist erfolgreich und es wird auch bei der Verschmelzung von Kapitalgesellschaften erfolgreich sein. ({4}) Der Verzicht auf eine Auffanglösung, wie von der BDA gefordert, käme einem Ausverkauf der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gleich. Wir würden die Mitbestimmung durch die Hintertür abschaffen. ({5}) Erste positive Erfahrungen bei der Neugründung von SEs sind bereits zu verzeichnen. Bei Allianz, MAN Diesel, Plansee und Elcoteq wurden Verhandlungen über die neue Form der Mitbestimmung schnell und im Sinne beider Parteien - also sowohl im Sinne des Managements als auch im Sinne der Arbeitnehmerseite - abgeschlossen. Die meisten großen SE-Gründungen haben bislang in Ländern mit starken Mitbestimmungstraditionen stattgefunden. Das beweist doch, dass starke Mitbestimmungsrechte einer effizienten Unternehmensreorganisation nicht im Wege stehen. ({6}) Liebe Kollegen und Kolleginnen, die Unsäglichkeit Guido Westerwelle ({7}) hat erklärt, er wolle die Gewerkschaftsfunktionäre entmachten; sie seien die wahre Plage in Deutschland. Guido Westerwelle will keine Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat; von Fremdbestimmung ist die Rede. Das ist blanker Unsinn. ({8}) Renommierte Arbeitgeber bekennen sich zu Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat. Ich zitiere den Telekom-Personalvorstand, Heinz Klinkhammer: Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat „halte ich für unverzichtbar. Die haben einen Blick von außen und können vermittelndes Element sein“. ({9}) Auch mögliche Interessenkonflikte der Gewerkschaftsvertreter werden als weiteres Gegenargument ins Feld geführt. Interessenkonflikte bestehen aber auch bei anderen Aufsichtsratsmitgliedern. Die Großbanken beispielsweise sind in den meisten Aufsichtsräten vertreten. Wer garantiert, dass die Banken ihr Interesse zum Wohle des jeweiligen Unternehmens hintanstellen? Das Bundesverfassungsgericht hat im Übrigen 1979 das Mitbestimmungsgesetz klar als verfassungsgemäß anerkannt, auch die Externenregelung in § 7. Meine Damen und Herren der FDP, für Sie ist das Einprügeln auf die Mitbestimmung doch geradezu ein Steckenpferd geworden. ({10}) Eins kann man Ihnen nicht vorwerfen, nämlich dass Ihre Feindbilder nicht klar aufgebaut sind. Entgegen einer landläufigen Annahme gibt es jedoch keine empirisch nachweisbare Erforderlichkeit, Regelungsinstrumente der deutschen Mitbestimmung zu überarbeiten. Die neuesten internationalen Untersuchungen zeigen vielmehr, dass Deutschland aus Investorensicht der attraktivste Investitionsstandort in Europa ist. Weltweit rangiert Deutschland nach den USA und China an dritter Stelle. So die Ergebnisse der aktuellen Umfrage „Kennzeichen D: Standortanalyse 2006“, die Ernst & Young durchgeführt haben. Amerikanische Unternehmer halten Deutschland für den bevorzugten Holdingstandort. Das zeigt das aktuelle Businessbarometer der amerikanischen Handelskammer. Gerade die hohe Bewertung Deutschlands als Standort von Verwaltungszentralen spricht gegen einen negativen Einfluss der Unternehmensmitbestimmung bei der Standortwahl. ({11}) Meine Damen und Herren der FDP, Sie, die die paritätische Mitbestimmung als Irrweg bezeichnen und ihr den Garaus machen wollen, führen regelmäßig die Studie der Federal Reserve Bank of St. Louis aus dem Jahr 2002 an. Danach soll die Unternehmensmitbestimmung die Kapitalbeschaffung hemmen und den Aktienkurs senken. Im Gegensatz zu dieser Studie ziehen einige neuere Studien den Schluss, dass es keine „Börsen-Discount-Wirkung“ der Unternehmensmitbestimmung gibt. ({12}) Frick kommt in einer Untersuchung von 2004 - wir hatten ihn im Übrigen hier bei der Sachverständigenanhörung - zu dem Ergebnis: Einzelne Gerichtsurteile zur Mitbestimmung im Aufsichtsrat beeinflussen den Kurs börsennotierter Aktiengesellschaften ebenso wenig wie die Einführung und die höchstrichterliche Bestätigung des Mitbestimmungsgesetzes die Kapitalmarktperformance der davon besonders betroffenen Branchen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, für die SPD sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die wichtigste Ressource eines Unternehmens. ({13}) Arbeitnehmer wollen qualifiziert, motiviert und eigenverantwortlich arbeiten. Nachhaltiges Wachstum ist eher zu erreichen, wenn die Menschen an den grundsätzlichen Unternehmensentscheidungen beteiligt sind. Die vereinbarte Regelung zur Verschmelzungsrichtlinie ist ein wichtiger Schritt, um Mitbestimmungsrechte zu siAnette Kramme chern. Sie ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einem sozialen Europa. In diesem Sinne herzlichen Dank. ({14})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Heinz-Peter Haustein, FDP-Fraktion.

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen! Werte Gäste! Ich beginne mit einem Zitat: Es gibt keine … Grundlage dafür, zu glauben, wir wären eine Insel in Europa und könnten noch etwas regeln. Das wird nicht der Fall sein. Verantwortlich handelt der, der der Unternehmensmitbestimmung eine europäische Perspektive bietet. So weit - man beachte - die Worte von Herrn Röttgen, CDU, am 29. Oktober 2004. Recht hat er. Jetzt müssten Sie nur noch danach handeln. ({0}) Aber wie Sie handeln, kennen wir schon von Ihrem Wahlversprechen bezüglich der Merkel-Steuer. Die FDP-Fraktion hält es nach wie vor für falsch, die Ergebnisse der Biedenkopf-Kommission zum Ende des Jahres abzuwarten. Diese Kommission befasst sich mit der Zukunft der Mitbestimmung vor dem Hintergrund der Globalisierung. Der Sachverständige Professor Dr. Nagel meinte, dass dies nationale Fragen seien, während wir heute über grenzüberschreitende Sachverhalte reden, und dass deshalb der vorliegende Gesetzentwurf unabhängig von den Ergebnissen der Biedenkopf-Kommission schnell beschlossen werden sollte. Heute kann man um die ganze Welt fliegen. Ostsee-Shrimps werden zum Pulen nach Thailand verschifft. Da kann man nicht mehr zwischen nationalen und internationalen Bezügen unterscheiden. Es geht schließlich um die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen. Einstimmig hörten wir von den Sachverständigen in der Anhörung, dass im Grunde alle wissenschaftlichen Studien zu dem Ergebnis kommen, dass die Mitbestimmung positive Auswirkungen hat. So weit die Wissenschaft. Erst gestern haben wir hingegen vom Institut der deutschen Wirtschaft gehört, dass die paritätische Mitbestimmung die Unternehmen im internationalen Vergleich und bezüglich des Wettbewerbs benachteiligt. Laut einer Umfrage des IW sieht die Hälfte der befragten Firmen durch die Mitbestimmung Investitionsentscheidungen verzögert. Das ist die Realität in den Unternehmen. ({1}) Der Sachverständige Professor Dr. Frick äußerte die Auffassung, dass paritätisch mitbestimmte Unternehmen nicht schlechter seien als drittelparitätisch bestimmte. Doch wo liegt dann der Nutzen der paritätischen Mitbestimmung? Das kann doch kein Selbstzweck sein. Wenn wir hier diskutieren, welche Studien mitbestimmte, nicht mitbestimmte und drittelmitbestimmte Unternehmen negativ oder positiv bewerten, dann muss man fragen: Was hilft das den Menschen, die keine Arbeit haben? ({2}) An diesem Punkt gilt dasselbe, was auch beim Kündigungsschutz gilt: Ihr Fehler ist, dass Sie sich nicht in die Lage der ausländischen Investoren versetzen. Für den ausländischen Investor ist es egal, ob er in Spanien, in der Tschechischen Republik oder in Deutschland investiert. Lassen Sie mich an dieser Stelle den Sachverständigen Professor Dr. Thüsing zitieren: Meine Vorstellung, dass ein englischer Fusionskandidat ein deutsches Unternehmen und vielleicht ein französisches Unternehmen mit gleichen Bedingungen wählen kann und sich dann aus Liebe zur deutschen Mitbestimmung für Deutschland entscheidet, entspricht nicht meinen Erfahrungen. Von den Gralshütern der Mitbestimmung wird immer wieder angeführt, dass sich durch die paritätische Mitbestimmung die Arbeitnehmer mit dem Betrieb identifizieren können. Das stimmt. Aber ich sage Ihnen: Eine Drittelmitbestimmung mindert den Grad dieser Identifikation mit dem eigenen Betrieb nicht. ({3}) Dass sich die Mitarbeiter mit ihrer Arbeit identifizieren können, hängt von vielen Dingen ab, auch davon, dass ihre Meinung gehört wird - aber nicht nur. Auch wenn es alle anderen Fraktionen in diesem Haus gerne so darstellen, weil es ein schönes Feindbild ist: Wir, die FDP, sind für Mitbestimmung. ({4}) Wir sind Befürworter der Mitbestimmung. Aber wir sehen auch die Realität. Wir wollen weder dem Arbeitnehmer die Mitsprache streitig machen noch glauben wir, dass sich damit alle Probleme lösen ließen. Wir wollen Deutschland zukunftsfest und wettbewerbsfähig machen. Jedes Gesetz, das auch nur einen Arbeitsplatz verhindert - wie ebendieses -, darf eigentlich nicht beschlossen werden. ({5}) Zur Auffangregelung. Solange die Auffangregelung in dem geplanten Umfang vorgesehen ist, werden Verhandlungen kaum Erfolg bringen. Wie brachte es der Sachverständige Professor Thüsing auf den Punkt: Welchen Verhandlungsanreiz hat derjenige noch, der das Maximum schon erreicht hat? Wenn ein Scheitern der Verhandlungen bedeutet, dass wieder die deutsche paritätische Mitbestimmung greift: Wo liegt dann der Anreiz, zu verhandeln? CDU, CSU und SPD haben im Koalitionsvertrag festgelegt, sie wollten sich dafür einsetzen, dass das europäische Gesellschaftsrecht durch eine zügige Verabschiedung der Richtlinie über die grenzüberschreitenden Sitzverlegungen von Kapitalgesellschaften weiterentwickelt wird. Diesen Anspruch erfüllt das vorliegende Gesetz nicht. Der Sachverständige Wolf meinte: Die Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie wäre dann gelungen, wenn man die Flexibilitätsreserven, die in der Verschmel6178 zungsrichtlinie vorhanden sind, umsetzt. - Das machen Sie an vielen Punkten nicht. ({6}) Ich habe schon im ersten parlamentarischen Durchgang gesagt, dass die gegebenen Flexibilitätsspielräume hätten genutzt werden müssen, um bei der Verschmelzung Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen zu verhindern. Sonst verhindert man die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Der vorliegende Gesetzentwurf zeigt: Sie denken, alle Welt warte nur auf unsere deutsche Mitbestimmung. Das ist aber nicht so. Sie meinen, Sie könnten die deutsche Mitbestimmung in alle Welt exportieren, obwohl sich die Welt um uns herum ändert. Für diejenigen, die darauf nicht reagieren, gibt es einen Satz: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. In diesem Sinne ein freundliches Glückauf aus dem Erzgebirge. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Der Kollege Paul Lehrieder von der CDU/CSU-Fraktion hat das Wort. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem der Kollege Haustein mit einem freundlichen Glückauf aus dem Erzgebirge geschlossen hat, will ich mit einem freundlichen „Grüß Gott“ aus dem fränkischen Weinland beginnen. ({0}) - Nein, ich habe keinen Wein mitgebracht. Mitbestimmung ist in diesem Hohen Hause konsensfähig. Das entnehme ich allen Äußerungen, die ich bisher von der SPD, von den Grünen, von uns sowieso, aber auch von der FDP und von der Linkspartei ohnedies gehört habe. Herr Kolb, die Frage ist nur: Wie? Da haben Sie völlig Recht. Europas Wirtschafts- und Arbeitswelt befindet sich mitten in einem tief greifenden Wandlungsprozess, der auch Deutschlands Unternehmen seit geraumer Zeit voll erfasst hat. Hier werden Sie mir Recht geben. Das Stichwort ist Internationalisierung. Großunternehmen fusionieren über die Grenzen, deutsche Unternehmen wie MAN Diesel und Allianz wandeln sich in Europäische Gesellschaften um. In den Sog der Wandlung gerät zwangsläufig auch die Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Entwicklungen von einer solchen Dynamik und Tragweite erfordern somit grenzübergreifende Beobachtung und Regelung, damit in vielen Jahren Erworbenes nicht unter die Räder gerät. Herr Ernst, bei Mitbestimmung sollten Sie aufpassen. Das ist Ihr Thema. Ich weiß, Sie sprechen nach mir. Hier setzt die EU-Richtlinie 2005/56/EG an. Sie soll - auf deutsches Recht übertragen - die grenzüberschreitende Verschmelzung deutscher Kapitalgesellschaften mit Kapitalgesellschaften anderer EU-Mitgliedstaaten regeln. Die Richtlinie normiert damit erstmals gemeinsame Rahmenbedingungen für diesen Vorgang und schafft - was rechtliche und tatsächliche Hindernisse betrifft - Abhilfe. Sie enthält die gesellschaftsrechtlichen Grundregeln über Verfahren, Wirksamwerden und Rechtsfolgen einer grenzüberschreitenden Verschmelzung und für die daraus hervorgehende nationale Gesellschaft. Ich begrüße außerordentlich, dass die Bundesregierung Art. 16 der Richtlinie in einen gesonderten Gesetzentwurf übertragen hat. Er regelt die Auswirkungen grenzüberschreitender Verschmelzungen auf die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer und wird so seiner Bedeutung entsprechend herausgestellt. Die betriebliche Mitbestimmung wird, wie schon die erste BiedenkopfKommission 1972 in ihrem Sachverständigenbericht vorgelegt hat, durch vier zentrale Zwecke gerechtfertigt: die Menschenwürde, das Verhältnis von Kapital und Arbeit, die Demokratisierung und die Machtbindung. Diese Grundsätze gelten weiter und sind Teil unseres Sozialstaatprinzips. Die Union hat die betriebliche Mitbestimmung mit auf den Weg gebracht. Sie fühlt sich dieser Tradition auch weiterhin verpflichtet. ({1}) - Die FDP darf auch klatschen, sie war dabei. ({2}) - Herr Kolb, hier können Sie ruhig mitklatschen. Mitbestimmung gehört zu einem sozialen und wirtschaftlich erfolgreichen Europa. Es ist deshalb ganz in unserem Sinne, wenn dieses Europa die nationalen Mitbestimmungsmodelle anerkennt und sichern will. Es ist gut, wenn die europäische Verschmelzungsrichtlinie nun zügig umgesetzt wird. Zu deren Inhalt ist grundsätzlich zu sagen, dass aus einer grenzüberschreitenden Verschmelzung keine europäische, sondern eine nationale Rechtsform hervorgeht. Das unterscheidet sie von der Europäischen Gesellschaft oder der Europäischen Genossenschaft. Da in den Mitgliedstaaten der EU unterschiedliche Mitbestimmungsregeln gelten, kann es geschehen, dass die Mitbestimmung der Arbeitnehmer einer der beteiligten Gesellschaften bei Anwendung des jeweiligen nationalen Rechts eingeschränkt wird. Der europäische Gesetzgeber will dem mit seiner Richtlinie vorbeugen, indem er die Mitbestimmung im Fall einer Verschmelzung auf dem Verhandlungsweg sichern will. Für die Mitbestimmungsverhandlungen gelten die folgenden Voraussetzungen: Erstens. Eine der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften ist mitbestimmt und hat in den sechs Monaten vor der Verschmelzung mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt. Zweitens. Das innerstaatliche Recht, das für die aus der Verschmelzung entstandene Gesellschaft maßgeblich ist, gewährleistet nicht mindestens den gleichen Umfang an Mitbestimmung, wie er in den beteiligten GesellPaul Lehrieder schaften bestand. Grundlegend ist das Vorher-nachherPrinzip, nach dem sich die vorhandenen Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer auch in der aus der Verschmelzung hervorgegangenen Gesellschaft wiederfinden müssen. Eingeleitet werden die Mitbestimmungsverhandlungen mit den Arbeitnehmern von der Unternehmerseite. Sie informiert die betroffenen Arbeitnehmervertretungen über das Verschmelzungsvorhaben sowie über die Identität der beteiligten Gesellschaften und die Zahl der Beschäftigten. Auf Unternehmensseite werden die Verhandlungen von den Leitungsorganen der beteiligten Gesellschaften geführt. Auf Arbeitnehmerseite ist ein besonderes Verhandlungsgremium zu errichten. Dabei sollen alle Arbeitnehmer der betreffenden Gesellschaften im Verhandlungsgremium repräsentiert sein. Praxisnahe Verhandlungslösungen haben immer Vorrang vor gesetzlich vorgeschriebenen Regelungen. Da die zugrunde liegende Richtlinie lediglich Mindestvorgaben aufstellt, ist es in den Verhandlungen möglich, praxisnah auf die spezielle Situation der geplanten Gesellschaft einzugehen. Auf diese Weise können neben bewährten Mitbestimmungssystemen, die auch schon bisher flexible Lösungen im Sinne der Arbeitnehmer ermöglichten, gegebenenfalls Mischformen oder neue Konzepte und Verfahren entwickelt werden. Sollte eine Verringerung bestehender Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer beschlossen werden, sieht die Richtlinie besondere Abstimmungsregelungen im Verhandlungsverfahren vor. Erforderlich ist dann eine qualifizierte Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums, die wiederum zwei Drittel der Arbeitnehmer vertreten und aus mindestens zwei Mitgliedstaaten kommen. Der Grundgedanke des Schutzes erworbener Rechte bleibt somit gewahrt. In der schriftlichen Vereinbarung zwischen den Unternehmensleitungen und dem Verhandlungsgremium soll erstens der Geltungsbereich der Vereinbarung, zweitens der Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Vereinbarung und ihre Laufzeit, drittens die Zahl der Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans, viertens das Verfahren, nach dem die Arbeitnehmer diese Mitglieder wählen, und fünftens die Rechte dieser Mitglieder festgelegt werden. Erst nachdem das Verfahren über die Mitbestimmung abgeschlossen ist, kann eine aus der Verschmelzung hervorgegangene Gesellschaft registriert werden. Scheitert der Verhandlungsprozess, der bis zu sechs Monate dauern kann, tritt eine Auffangregelung zur Sicherung der Mitbestimmungsrechte in Kraft. Bei innerstaatlichen Verschmelzungen, die einer grenzüberschreitenden Verschmelzung folgen, richtet sich die Mitbestimmung primär nach den nationalen Regelungen, also in Deutschland nach den Mitbestimmungsgesetzen. Nur wenn diese den Mitbestimmungsumfang nicht hinreichend sichern, gilt die Mitbestimmung kraft Vereinbarung oder Auffangregelung - Frau Kollegin Kramme hat hierauf bereits hingewiesen -, die in der aus der Verschmelzung entstandenen neuen Gesellschaft besteht, und zwar für einen Zeitraum von drei Jahren nach deren Eintragung. Noch kurz etwas zu den Kosten des Gesetzes. Die für Kapitalgesellschaften anfallenden Kosten, zum Beispiel für die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat, entstehen auch bei einer innerstaatlichen Verschmelzung. Wie hoch diese letztlich sind, hängt vom konkreten Einzelfall ab. Eine Rolle spielt zum Beispiel, wie viele Gesellschaften an einer Verschmelzung beteiligt und wie groß diese sind. Darüber hinaus baut die Wahl von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat, die aus dem Inland kommen, auf bestehende Arbeitnehmerstrukturen auf und ist auch deshalb kostengünstig. Sicher ist an der vorgesehenen Umsetzung der so genannten Verschmelzungsrichtlinie noch nicht alles optimal. Einiges, gerade was die Mitbestimmung betrifft, wird weiter beobachtet und reguliert werden müssen. Ich denke hier zum Beispiel an mittelfristige Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen im nationalen Bereich und an die Tarifautonomie. Alles in allem ist der vorliegende Entwurf ein gelungener Schritt, Mitbestimmung auch unter sich verändernden Rahmenbedingungen und in internationalem Rahmen zu gewährleisten. ({3}) Gerade aus dem Ziel der Rechtssicherheit heraus ist es deshalb geboten, diesem Gesetz zuzustimmen. Danke schön. - Frau Präsidentin, nachdem Sie als Fränkin ({4}) die Uhr wegen meiner freundlichen Begrüßung zwei Minuten später eingestellt haben, beende ich meine Rede etwas eher. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, wir sehen hier natürlich, dass Sie keine Redezeit übrig gelassen haben. ({0}) Nächster Redner ist der Kollege Klaus Ernst, Fraktion Die Linke. ({1})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Mitbestimmung ist ein elementarer Baustein unserer Demokratie und der Wirtschaft. Ich möchte aber hier auf einen kleinen Etikettenschwindel, den wir auch beim Kündigungsschutz haben, aufmerksam machen. Jeder, der von Mitbestimmung ein wenig versteht, weiß, dass es sich dabei nicht um eine echte Mitbestimmung im Sinne von Parität handelt. Jeder, der wirklich etwas davon versteht, weiß vielmehr, dass der Vorsitzende nach dem Mitbestimmungsrecht immer von der Arbeit6180 geberseite kommt, damit ein Zweitstimmrecht hat und die Arbeitnehmerseite, selbst wenn sie sich einig wäre, obwohl ein leitender Angestellter dazugehört, immer überstimmen kann. Es gibt also keine Mitbestimmung, sondern nur ein Informationsrecht. Es ist dringend notwendig, dass ein solches Recht eingeräumt wird. Eigentlich wäre es noch viel notwendiger, für echte Mitbestimmung zu sorgen, indem man eine echte Parität schafft. Die Gegner der Mitbestimmung sollten sich überlegen, ob nicht die Abschaffung oder das Schleifen des Mitredens im Betrieb, selbst wenn es heute keinen echten Einfluss garantiert, zu einer Situation führt, in der sich nur der Herr im Hause mit seinem Standpunkt durchsetzt. Wäre es tatsächlich modern, wenn der Eigentümer eines Betriebs oder seine Vertreter sagen könnten, wo es langgeht, ohne dass die Arbeitnehmer Einfluss haben und sich wehren können?

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr gerne.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Ernst, Sie stellen die Parität infrage und bezweifeln, dass sie eine echte Mitbestimmung gewährleistet. Können Sie mir erklären, welchen Unterschied es dann macht, ob es eine Drittelparität und eine Vollparität gibt?

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das erkläre ich Ihnen gerne. Wenn mehr Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sitzen - die Mitbestimmung im Aufsichtsrat gewährleistet eine formale, nicht aber eine echte Parität -, können natürlich auch mehr Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat mitentscheiden. ({0}) - Wenn Sie eine Antwort von mir wollen, müssen Sie zuhören. - Damit wird vermieden, dass sich Politik in kleinen Zirkeln abspielt, wie es bei den Arbeitgebern in der Regel der Fall ist. Wenn wir die Mitbestimmung an dieser Stelle ausweiteten, würden wir den Arbeitnehmern im Aufsichtsrat, insbesondere wenn es um den Abbau von Arbeitsplätzen geht, mehr Möglichkeiten geben. Dann würden Vorgänge wie jene bei BenQ und bei anderen Unternehmen in dieser Republik nicht derart negative Folgen haben. Wenn die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat die Möglichkeit zur echten Mitbestimmung hätten, würden sie kaum wie die Kapitaleigner für eine Verlagerung der Arbeitsplätze ins Ausland stimmen, um mehr Rendite einzufahren. ({1}) - BenQ ist in Insolvenz gegangen, weil zum Beispiel die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei Siemens nicht ausreichte, um so etwas zu verhindern. ({2}) Ich verstehe Ihre Frage so, dass Sie mit mir dafür kämpfen wollen, dass sich etwas ändert. Das können wir machen. Wie beim Kündigungsschutz stellen sich bei der Mitbestimmung die Verhältnisse anders dar, als der Titel des Gesetzentwurfs vermuten lässt. Bereits in erster Lesung haben wir daran erinnert, dass der hohe Anteil ausländischer Konzerne, die in Deutschland tätig sind und dem Mitbestimmungsrecht unterliegen, dafür spricht, dass das deutsche Modell der Mitbestimmung, wie es sich momentan darstellt, erfolgreich ist. Von den 767 Unternehmen, die dem deutschen Mitbestimmungsgesetz unterliegen, gehören rund 30 Prozent zu ausländischen Konzernen. Nach einem Gutachten von Professor Kempen zeigen zudem aktuelle Untersuchungen, dass Deutschland aus Investorensicht der attraktivste Investitionsstandort in Europa ist, weltweit rangiert er an dritter Stelle, nach den USA und China. Wir haben also nicht das Problem, dass wir uns zurückhalten müssen. Die Linke begrüßt die Zielsetzung des Gesetzentwurfs, die Interessenvertretung der Beschäftigten auch im Verschmelzungsfall sicherzustellen. Zur vollständigen Einlösung dieses Anspruchs sollten einige Regelungen noch präziser gefasst werden. Insbesondere ist die Festlegung notwendig, dass dem nach einer Verschmelzung fortbestehenden Gesamtbetriebsrat ein autorisierter Gesprächs- und Verhandlungspartner gegenübersteht. Geschieht dies nämlich nicht, läuft die im Gesetzentwurf vorgesehene Bewahrung der Arbeitnehmervertretung unter Umständen darauf hinaus, dass zwar die Arbeitnehmervertretung fortbesteht, aber auf der Unternehmerseite kein Verhandlungspartner existiert. Daher sollte das Gesetz sicherstellen, dass auch die Leitung eines europäischen Unternehmens den rechtlichen Verpflichtungen eines Arbeitgebers aus der deutschen Gesetzgebung nachkommt. Dies hat der Gutachter Hawreliuk in der Anhörung vorgeschlagen. Die Bundesregierung ist nicht nur gefordert, die Mitbestimmung auf europäische Unternehmen auszuweiten, sondern auch, das deutsche Mitbestimmungsrecht europafest zu machen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Derzeit ist es deutschen Unternehmen möglich, eine GmbH & Co KG in eine britische Limited umzuwandeln und damit das deutsche Mitbestimmungsrecht zu umgehen. Ein solches Mitbestimmungsdumping schadet der europäischen Idee und den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern; es sollte unverzüglich durch den Gesetzgeber abgestellt werden. Wir müssen nicht nur Mitbestimmungslücken schließen, sondern auch dafür Sorge tragen, dass zukünftig die durch Beschäftigungsabbau und Unternehmensverlagerung entstehenden Risiken für die Beschäftigten stärker als bisher zum Gegenstand der Mitbestimmung werden. Die zunehmende Finanzmarktorientierung von UnterKlaus Ernst nehmen bringt es mit sich, dass dem Ziel einer hohen Eigenkapitalrendite gute Arbeitsbedingungen und die Arbeitsplatzsicherheit geopfert werden. Ein Beispiel für diese Politik habe ich Ihnen gerade gegeben. Aus Sicht der Beschäftigten kann die Antwort auf diese Entwicklung nur in einem Ausbau der Mitbestimmung bei Standort- und Investitionsentscheidungen liegen. Unser Fazit ist: Mitbestimmung ist gut für Beschäftigte und Unternehmen. Damit das so bleibt, muss die Mitbestimmung weiterentwickelt werden. Dafür wird die Linke gemeinsam mit den Gewerkschaften konkrete Vorschläge entwickeln. Ich danke Ihnen fürs Zuhören. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Matthias Berninger, Bündnis 90/Die Grünen.

Matthias Berninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002627, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Häufige Folge neuer europäischer Regelungen ist, dass sich die Standards nicht im oberen Bereich ansiedeln, sondern es zu so etwas wie einem Rennen nach unten kommt und entsprechende Errungenschaften abgebaut werden. Bei der Verschmelzungsrichtlinie und dem heute zu beratenden Gesetzentwurf zur Umsetzung der Regelungen - ich sage das ausdrücklich - ist das nicht der Fall. Ich finde, es ist eine gute und richtige Entscheidung - mehrere Vorrednerinnen und Vorredner haben das bereits gesagt -, dass man sich an dem Land orientiert, in dem die Mitbestimmung auf dem höchsten Niveau ist. Ich finde es gut, dass die Mitbestimmung nicht über die Verschmelzungsrichtlinie ausgehebelt wird. Das halte ich persönlich für eine richtige und gute Entwicklung. ({0}) Auf europäischer Ebene sollte das häufiger einmal der Fall sein. Herr Ernst hat gesagt, Mitbestimmung sei für die Arbeitnehmerseite heute so etwas wie Mitreden, ohne Einfluss nehmen zu können. Ich halte dieses Argument in der Sache für völlig falsch. Herr Kollege Ernst, wir müssen doch gerade die Stärke des Mitbestimmungsrechts besser in den Vordergrund rücken. Denn der Grund dafür, dass mitbestimmte Unternehmen in Deutschland keine Standortnachteile und nachweislich keine schlechtere, sondern häufig eine bessere Performance als andere Unternehmen haben, ist, dass eine ganze Reihe von Problemen infolge der Einbindung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den Aufsichtsräten einer vernünftigen Lösung zugeführt werden können, was in anderen Ländern so nicht der Fall ist. Mitbestimmung ist einer der Gründe, warum das Risiko für Streiks in Deutschland weit geringer ist als in anderen Ländern. ({1}) Insofern halte ich Mitbestimmung anders als die FDP nicht für einen Standortnachteil, sondern für einen Standortvorteil. ({2}) Darüber hinaus sollten wir uns abgewöhnen, den Aufsichtsrat in ein Arbeitgeberlager und ein Arbeitnehmerlager zu unterteilen. Wir haben die Regelungen für Corporate Governance in den letzten Jahren ganz bewusst geändert. Jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied als solches hat - auch das sollte man deutlich sagen - eine Verantwortung für das Unternehmen. Wenn man ein bisschen aus diesem Lagerdenken herauskommt, dann kann ein Aufsichtsrat in der Regel auch besser funktionieren. Im Extremfall kann man auch einmal vor Gericht stehen, weil man im Aufsichtsrat eine nicht ganz so vernünftige Entscheidung getroffen hat, wie im Falle des Kollegen Zwickel, der zurzeit in Düsseldorf vor Gericht steht. Auf der Anklagebank sitzt nicht nur Herr Ackermann. Nicht nur er hat sich wegen der sehr hohen Abfindung bei der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone zu rechtfertigen. ({3}) Ich finde es bemerkenswert, dass die FDP die Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als zentrales Problem der Aufsichtsratsarbeit ansieht, ihr eine ganze Reihe anderer Punkte aber offensichtlich ziemlich egal ist. Ich finde, dass es ein Problem unserer Aufsichtsratsstruktur ist, dass 18 Manager allein 160 Aufsichtsratsmandate in der Hand haben. Das heißt, dass sich in der Hand von wenigen, im Übrigen sehr alten Männern ein erhebliches Entscheidungs- und Machtpotenzial ballt. Dass sie nicht immer sachgerechte und vernünftige Entscheidungen treffen, sondern manchmal auch nach Gutsherrenart entscheiden, kann man zurzeit bei Herrn Piëch, bei VW, beobachten. Man kann es aber auch bei dem einen oder anderen „Kleinfeld-Spieler“ in der deutschen Wirtschaft ganz gut erkennen. Ich meine, dass diese aus der Tradition der Deutschland AG, die sich längst aufgelöst hat, abgeleitete Machtballung in den Händen weniger Aufsichtsratsmitglieder - im Grunde genommen bildet sich so etwas wie ein Methusalem-Aufsichtsrat heraus - ein größeres Problem für die deutsche Wirtschaft ist und eher angegangen werden sollte. ({4}) Ich meine, dass wir den Einfluss der Manager auch hier zurückdrängen können, indem wir die Zahl der Aufsichtsratsmandate, die jemand übernimmt, limitieren. Das wäre eine Reform, die Standortvorteile mit sich bringen würde. ({5}) Deutschland ist das Land, in dessen Wirtschaft Frauen - im Verhältnis zu vergleichbaren Ländern - den geringsten Anteil an Führungspositionen haben. Wir sind im Hinblick auf die großen Unternehmen sogar schlechter als Saudi-Arabien. Die einzige Ausnahme stellen die Aufsichtsräte dar - weil wir gesetzlich geregelt haben, dass sich die Zahl der Arbeitnehmervertreterinnen an der Zahl der weiblichen Beschäftigten des Unternehmens orientieren muss. Diese Regelung sollte man auf die Arbeitgeberseite ausdehnen. ({6}) Es würde den Unternehmen nutzen, wenn mehr Frauen in den Aufsichtsräten wären, insbesondere weil die alten Männer, die heute das Sagen haben und viel Unfug machen, dann in den wohlverdienten Ruhestand geschickt würden. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Michael Hennrich, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Hennrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003551, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Wir beraten heute abschließend über das Gesetz zur Umsetzung der Regelungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten. Ich hatte das besondere Vergnügen, in der ersten Lesung die Vor- und Nachteile dieses Gesetzes ausführlich darlegen zu dürfen. Ich will mich heute darauf beschränken, die Inhalte der Anhörung sowie die Beratungen im Ausschuss zu bewerten, und die Kernpunkte herausarbeiten. Bevor ich das tue, möchte ich einen Aspekt vorab nennen, der in der Debatte bisher viel zu kurz gekommen ist. Wir bemängeln immer wieder, dass auf der europäischen Ebene die soziale Dimension nicht genügend berücksichtigt wird - ein Urteil, das quer durch alle Parteien immer wieder geäußert wird. Man muss sich einmal fragen, warum das so ist, woran das liegt. Einer der Gründe ist darin zu sehen, dass die Mitgliedstaaten die ihnen eigene Zuständigkeit für die Sozialpolitik behalten wollen. Damit geben wir der Europäischen Union wenig Spielraum, sich in sozialpolitischen Angelegenheiten zu profilieren. Die Richtlinie, die wir in nationales Recht umsetzen, ist ein gelungenes Beispiel dafür, dass sich die Europäische Union, wenn sie die Möglichkeit bekommt, sehr wohl um die Belange der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kümmert. In dieser Richtlinie wurde nicht nur im Interesse der Gesellschafter bzw. der Aktionäre eine Lücke im europäischen Gesellschaftsrecht geschlossen. Die Europäische Union hat sich dabei ganz bewusst den Interessen der Arbeitnehmer und deren Vertretung angenommen. Diesen ganz zentralen Aspekt hat in der ganzen Debatte kein einziger Redner angesprochen. ({0}) Als jemand, der auch für europapolitische Fragen zuständig ist, möchte ich noch einen anderen Aspekt aufgreifen: Es heißt immer wieder, die Europäische Union ziehe Kompetenzen an sich, ohne den Grundsatz der Subsidiarität zu beherzigen. Auch diese umzusetzende Richtlinie zeigt, dass die Subsidiarität von der europäischen Ebene sehr wohl ernst genommen wird und dass die Europäische Union dem nationalen Gesetzgeber oft Handlungsspielräume lässt. Es war ja genau die Kritik der FDP, wir hätten diese Handlungsspielräume nicht konsequent genutzt. Die Diskussion, die wir geführt haben, war insgesamt sehr ideologiefrei. Die Partei Die Linke hat sogar selbst eingeräumt - Kollege Dreibus hat das gestern in der Ausschusssitzung deutlich gemacht -, dass sie in der Anhörung von den Vorzügen der Mitbestimmung überzeugt werden konnte. Insofern hat sich die Anhörung für Sie gelohnt. Ich dachte bisher, dass Sie schon vorher davon überzeugt gewesen wären, dass die Mitbestimmung in Deutschland sinnvoll ist. Wenn diese Anhörung dazu beigetragen hat, Sie zu überzeugen, dann war sie sicherlich sinnvoll. Sie alle kennen die Debatten, die wir darüber geführt haben, ob nicht unnötig Steuergelder verschwendet worden sind. Ich möchte einen Punkt herausgreifen, den die FDP kritisiert hat. Sie haben gesagt, dass Sie nicht glauben, dass es innerhalb der Betriebe zu sinnvollen Lösungen kommen wird, weil es die so genannte Auffanglösung gibt. Wenn nach den Verhandlungen also kein Ergebnis erzielt worden ist, dann greift diese ein und es gilt das Vorher-nachher-Prinzip. - Damit stellen Sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und insbesondere auch den Betriebsräten in den Unternehmen ein schlechtes Zeugnis aus. Gerade in der Vergangenheit hat sich nämlich deutlich gezeigt, dass sich die Betriebsräte sehr bewusst auch für die Interessen der Betriebe einsetzen und dass sie für vernünftige Lösungen offen sind. Das haben Sie den Betriebsräten mit Ihrer Kritik abgesprochen. ({1}) Ich glaube, wir sollten das Gesetz einfach einmal auf uns wirken lassen. An dem Thema Mitbestimmung wird der Standort Deutschland weder scheitern noch genesen. Das ist ein Baustein von vielen. Mit diesem Gesetz haben wir letztendlich sichergestellt, dass deutsche Unternehmen in Europa wettbewerbsfähig bleiben. Jetzt sollten wir zunächst einmal abwarten, wie dieses Gesetz wirkt, bevor wir weitere Dinge auf den Weg bringen. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umset- zung der Regelungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer Verschmelzung von Kapitalge- sellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, Druck- sache 16/2922. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/3320, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- len, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Ent- haltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be- ratung mit den Stimmen der Fraktionen der Linken, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/CSU bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist damit in dritter Beratung mit dem gleichen Stim- menergebnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis e sowie Zusatzpunkt 5 auf: 8 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Für eine radikale und konsequente Klimapolitik - Drucksache 16/3283 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Lutz Heilmann, Hans-Kurt Hill, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Klares Signal für die Kyoto-II-Verhandlungen auf der UN-Klimakonferenz in Nairobi setzen - Drucksache 16/3026 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch, Gudrun Kopp, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Klimapolitischen Zertifikatehandel in Deutschland nachhaltig und verantwortungsvoll gestalten - Nationalen Allokationsplan grundlegend überarbeiten - Drucksache 16/3051 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Klimaschutz-Offensive 2006 - zu dem Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Den Klimawandel wirksam bekämpfen Deutschland muss Vorreiter bleiben - Drucksachen 16/242, 16/59, 16/898 Berichterstattung: Abgeordnete Andreas Jung ({4}) Michael Kauch Undine Kurth ({5}) e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Kerstin Andreae, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Kfz-Steuer klimafreundlich reformieren CO2-Ausstoß und Verbrauch als Bemessungsgrundlage - Drucksachen 16/2073, 16/3197 Berichterstattung: Abgeordnete Patricia Lips ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Andreas Jung ({7}), Marie-Luise Dött, Katherina Reiche ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Frank Schwabe, Marco Bülow, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die Zeit nach dem Kyoto-Protokoll gestalten entschieden dem Klimawandel entgegentreten - Drucksache 16/3293 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben im Moment eine enorme Verdichtung klimawissenschaftlicher und klimapolitischer Nachrichten und Neuigkeiten. Im Februar nächsten Jahres wird das Gremium der Klimawissenschaftler der Vereinten Nationen seinen neuen Bericht vorlegen. Man darf vielleicht salopp sagen: Dieser Bericht lässt befürchten, dass alles noch schlimmer als bislang angenommen wird, wenn wir nicht vorsorgend handeln. Vor wenigen Tagen ist der so genannte Stern-Bericht erschienen. Der ehemalige Chefökonom der Weltbank, Nicholas Stern, hat systematisch untersucht, was die Klimavorsorge und die Anpassung an Klimaveränderungen kosten würden. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Klimavorsorge um ein Vielfaches günstiger als die Anpassung an Klimaveränderungen ist. Zur Vorsorge kommt es aber nicht von selbst, sondern sie muss politisch promoviert und tatsächlich betrieben werden. Daran hapert es im Moment noch. Die Kosten der Anpassung an Klimaveränderungen können um den Faktor 20 über den Kosten der Klimavorsorge liegen. Deswegen ist das ein weiteres dringendes Plädoyer dafür, zu handeln. ({0}) In den letzten Tagen und Wochen ist an die Öffentlichkeit gelangt, dass das Sekretariat der Vereinten Nationen und auch die EU-Kommission die nationalen Emissionsberichte systematisch durchgegangen sind. Man muss leider sagen, dass sie zu dem Ergebnis kommen, dass viele EU-Staaten ihre Klimaschutzziele, ihre Kioto-Ziele, zu verfehlen drohen. Es ist noch nicht zu spät. Sie können noch erreicht werden. Aber in vielen Fällen sieht es nicht gut aus. Deswegen muss die EUKommission jetzt Druck machen. Das ist für die Glaubwürdigkeit der europäischen Klimapolitik sehr wichtig. ({1}) In genau dieser Zeit findet nun die Nairobikonferenz statt, an der in der nächsten Woche der Herr Minister und eine Parlamentarierdelegation teilnehmen werden. Meine politische Einschätzung dieses Themas lautet: Es wäre wirklich verheerend, wenn sich der Eindruck verfestigen würde, dass zwar die Signale aus der Wissenschaft immer alarmierender werden, die Konferenzkarawane aber unbeeindruckt weiter zieht. Die neuen Kenntnisse, die wir jetzt haben, müssen sich auch in der Art und Weise niederschlagen, wie in Nairobi vorgegangen wird. Der Ernst der Lage muss erkannt werden. ({2}) In diesen Prozess müssen wir jetzt eintreten, um im nächsten, spätestens aber im übernächsten Jahr verbindliche Ziele für die Zeit nach dem Jahr 2012 zu vereinbaren. Dabei müssen wir mehr Staaten einbeziehen - vor allen Dingen China und Indien -, allerdings noch nicht unbedingt mit absoluten Reduktionszielen, wohl aber in Form von Sektorzielen für bestimmte Bereiche, etwa für die erneuerbaren Energien, oder in Form von Effizienzzielen. Wir müssen darauf hinwirken, dass die positiven Signale, die gegenwärtig aus den Vereinigten Staaten, insbesondere aus dem Nordosten des Landes und aus Kalifornien, zu vernehmen sind, endlich dazu führen, dass die USA ihrer internationalen Verantwortung gerecht werden. Denn Unilateralismus ist nicht nur in Sachen Militär ein Problem, sondern auch und ganz besonders in Sachen Klimaschutz. ({3}) Darüber hinaus müssen wir den armen Ländern dabei helfen, sich an die Klimaveränderungen anzupassen. Insofern fügt es sich vielleicht ganz gut, dass die Klimakonferenz in Nairobi stattfindet. Denn Afrika ist ein Kontinent, der, obwohl er nur einen Bruchteil zur Verursachung des Problems beiträgt, in ganz besonderer Weise von den Folgen des Klimawandels betroffen ist. Hier müssen wir unserer Verantwortung nachkommen. Ich möchte die Bundesregierung gerne auffordern, die beiden im nächsten Jahr anstehenden Präsidentschaften Deutschlands - die EU-Ratspräsidentschaft und die Präsidentschaft der G 8 - zu nutzen, um die Themen Klimaschutz und Energiesicherheit verstärkt in den Mittelpunkt der Diskussion zu rücken. Wir Grüne glauben, die wichtigste Maßnahme in diesem Zusammenhang wäre, dass sich Deutschland auf nationaler Ebene endlich verbindlich die Erreichung des 40-Prozent-Ziels bis zum Jahre 2020 vornimmt, um einen Beitrag dazu zu leisten, dass sich dann auch die Europäische Union zu einem Klimaschutzziel von 30 Prozent bis zum Jahr 2020 wird durchringen können. Diese Vorreiterrolle Deutschlands ist sehr wichtig. ({4}) Nun möchte ich von den Höhen der Weltpolitik und der europäischen Politik noch kurz in die Niederungen der nationalen Politik hinabsteigen und feststellen: Für uns Grüne ist der Umgang mit dem Emissionshandel, der uns in den nächsten Wochen und Monaten beschäftigen wird, der entscheidende Lackmustest für die Glaubwürdigkeit der Regierung. ({5}) Unsere Kritik am jetzigen Allokationsplan ist: Erstens. Die darin aufgeführten Ziele sind nicht anspruchsvoll genug. Sie verlangen von den Energieversorgungsunternehmen und von der Energie verbrauchenden Industrie, bis zum Jahr 2012 Ziele zu erreichen, die sie bereits im Jahr 2005 erreicht haben. Das kann nicht richtig sein. Das ist zu anspruchslos. ({6}) Zweitens. Im Allokationsplan betreiben Sie im Rahmen des Emissionshandels eine viel zu starke Bevorzugung der Kohle. Für Kohle und Erdgas gelten die gleichen Emissionsrechte. Das kann nicht richtig sein. Am schlimmsten aber ist die 14 Jahre lang andauernde Garantie für bereits gebaute Kraftwerke, dass sie keinen Beitrag zur Emissionsreduktion leisten müssen. Das würde bedeuten, dass Kraftwerke, die erst 2012 ans Netz gehen, bis zum Jahr 2026 in Sachen Emissionsreduktion nichts unternehmen müssten. Auch das kann nicht richtig sein. ({7}) Deswegen fordern wir die Einführung eines brennstoffunabhängigen Benchmarks und die deutliche Kürzung der Frist von 14 Jahren. Ich komme zu meinem letzten Punkt, Frau Präsidentin. Ich glaube, es ist ein großer Fehler, dass die Bundesregierung die Möglichkeit, 10 Prozent der Emissionszertifikate zu versteigern - diese Möglichkeit ist in der EU-Richtlinie ausdrücklich vorgesehen -, nicht nutzt. Andere Länder tun das. Bei einer Größenordnung von 50 Millionen Tonnen und einem Zertifikatepreis von 10 Euro pro Tonne würde das Einnahmen von ungefähr 500 Millionen Euro generieren. Dieses Geld könnten wir für die Auflegung eines Effizienzprogramms gut verwenden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie müssen Ihren letzten Punkt etwas kürzen.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin sofort fertig. Ich wäre sogar schon fertig, wenn Sie mich nicht unterbrochen hätten. Entschuldigung! ({0}) Wenn wir auf der Lernkurve nach oben kommen wollen, müssen wir dieses Instrument endlich anwenden. Dafür werden wir uns im Rahmen der parlamentarischen Beratungen einsetzen. Danke schön. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Josef Göppel, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Josef Göppel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003537, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist gut auf seine beiden Präsidentschaften und auf die Konferenz in Nairobi vorbereitet. Es ist schön, wenn die Opposition mehr fordert als die Koalition in dem sehr ambitionierten Antrag, den sie heute vorgelegt hat. Auf diesen Antrag wird mein Kollege Andreas Jung noch eingehen. Ich möchte an dieser Stelle meinen persönlichen Eindruck schildern, den ich bei meiner Teilnahme an zwei Konferenzen in Buenos Aires und Montreal gewonnen habe. Seit der Zeit ist mir immer stärker bewusst geworden, dass der Erfolg entscheidend davon abhängt, wie die Entwicklungsländer in den Prozess des Klimaschutzes einbezogen werden. Am Ende dieses Weges muss zweifellos jedem Menschen auf der Erde dasselbe Recht zugestanden werden, die Atmosphäre zu nutzen. ({0}) Insofern gehen wir auf der Konferenz das Thema an, indem die europäischen Delegationen versuchen, ein Bündnis mit den Entwicklungsländern zu schließen. Ich denke, dass wir damit weiterkommen. Man könnte zwar einwenden, dass Nairobi weit von Berlin entfernt ist, aber ich habe bei den beiden anderen Konferenzen erlebt, dass sehr genau zugehört und beobachtet wird, was wir in Deutschland machen. Es hat sich gezeigt, dass sich die konkreten Maßnahmen, die die große Koalition auf den Weg gebracht hat, im Vergleich zu vielen anderen Ländern durchaus sehen lassen können. ({1}) Ich möchte an dieser Stelle unserer Bundeskanzlerin ausdrücklich dafür danken, dass sie sich so klar positioniert hat. ({2}) Ich verweise zum Beispiel auf die Verdoppelung der Energieproduktivität bis 2020. Das ist ein entscheidender Punkt. Was die Bereiche Wärme, Strom und Verkehr angeht, ist festzustellen, dass die gewaltige Aufstockung der Mittel für das Gebäudesanierungsprogramm durch die große Koalition in Bezug auf den deutschen Altbaubestand einen der größten Beiträge zum Thema Klimaschutz darstellt. ({3}) Auch dass es gelungen ist, mit dem Marktanreizprogramm finanziell einen entscheidenden Schritt nach vorne zu kommen, ist ein Beleg für unsere Ernsthaftigkeit. ({4}) Ich halte das deshalb für wichtig, weil man - ähnlich wie im Familienleben - andere nur überzeugen kann, indem man mit eigenem Beispiel vorangeht. Hinsichtlich der Stromerzeugung bin ich davon überzeugt, dass wir von den zentralen Großkraftwerken wegkommen müssen, weil dabei die Abwärme nicht ausreichend nutzbar ist. ({5}) - Beifall ist immer schön. ({6}) Wir werden - wie der Präsident des Umweltbundesamtes gestern im Umweltausschuss festgestellt hat - zunehmend zu dezentralen Kraftwerken mit KraftWärme-Kopplung übergehen, weil wir damit die Wärme näher an die Verbraucher heranbringen und sie dadurch nutzbar machen. Das ist ein großer Maßnahmenblock. Ich denke, dass die Maßnahmen, die mit dem Aktionsplan - zum Beispiel mit dem europäischen Programm „Energy Star“ zur Kennzeichnung von Haushaltsgeräten - eingeleitet worden sind, einen weiteren Beitrag leisten. Im Verkehrsbereich bieten uns sicherlich auch die Initiativen unserer Kollegen im Europäischen Parlament im Zusammenhang mit den Verbrauchsobergrenzen für Autos eine Richtschnur für die Zukunft. Denn derzeit zeigen die Analysen über das Tempo des Klimawandels, dass man mit freiwilligen Vereinbarungen nur einen begrenzten Zeitraum überbrücken kann. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass die konkreten Maßnahmen, die die Koalition eingeleitet hat, wichtige Voraussetzungen für die Verhandlungsposition der deutschen Delegation in Nairobi sind. Einige Parlamentarier werden unseren Minister begleiten. Unser Ziel ist, dass in Nairobi eine Nachfolgeregelung für das jetzige Abkommen nach dem Jahr 2012 vereinbart wird. Herr Minister Gabriel, Sie haben bei der Vertretung der deutschen Interessen, unsere volle Unterstützung, aber auch bei dem Versuch, den Entwicklungsländern deutlich zu machen, dass der Einsatz energiesparender Technologien auch für sie der Weg zu mehr Wohlstand und weg von Armut bedeutet und ihnen eine Zukunftsperspektive in der Welt eröffnet. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Michael Kauch, FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zuerst danke ich Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, dafür, dass künftig den Oppositionsfraktionen offenbar immer mitgeteilt wird, wie die Verhandlungen in der Koalition abgelaufen sind. Sie haben uns freundlicherweise Ihren Antrag im Änderungsmodus zugesandt. Dem konnten wir entnehmen, dass die Koalition ihre Ankündigung, die EEG-Fördersätze 2007 zu überprüfen, gestrichen hat. Das ist eine interessante Information auch für die Kollegen von der Union, die nicht dem Umweltausschuss angehören. ({0}) Kommen wir aber zum eigentlichen Thema, zu den Anträgen, die die FDP und die Grünen eingebracht haben. Nach der aktuellen Studie der Internationalen Energie-Agentur werden die CO2-Emissionen bis 2050 global um 137 Prozent steigen - von einer Minderung kann also keine Rede mehr sein -, wenn wir nicht umsteuern. Das Zeitfenster für ein Umsteuern wird zunehmend kleiner, wenn wir die Zwei-Grad-Ziele einhalten wollen. Die Internationale Energie-Agentur stellt zudem fest, dass vor allem bei der Energieeffizienz und der CO2-Abscheidung bei entsprechenden Technologien das größte globale Einsparpotenzial vorhanden ist, und das noch vor den in Deutschland immer sehr streitig diskutierten Technologien Kernkraft und erneuerbare Energien. Der Grund dafür liegt insbesondere in China. Die dort vorhandene Kohle wird verbrannt werden, egal ob wir das gut oder schlecht finden. Die Frage ist nur, mit welcher Technologie. Wir als Liberale sind der Meinung, dass den Technologien zur Verringerung der CO2-Abscheidung eine Schlüsselrolle beim Klimaschutz zukommt. ({1}) Eine Hauptaufgabe der deutschen Präsidentschaft in der EU und der G 8 wird sein, Indien, China und die Vereinigten Staaten für ein neues Klimaschutzprogramm zu gewinnen. Viel zu lange hat die Bundeskanzlerin dem britischen Premierminister Tony Blair die alleinige Führung in der Klimapolitik überlassen, obwohl Deutschland im nächsten Jahr die Präsidentschaften innehat. Wer ist denn zu Arnold Schwarzenegger gefahren und hat in den USA für Klimaschutz geworben? Das war Tony Blair und nicht Angela Merkel. Wer hat denn den „Stern“-Report über die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels in Auftrag gegeben? Das war Tony Blair und nicht Angela Merkel. Es ist gut, dass die Kanzlerin in der letzten Woche aufgewacht ist und entsprechende Signale gesandt hat. Aber Signale sind noch kein Programm für die Präsidentschaften. ({2}) Die Bundesregierung muss dringend ein Konzept für eine internationale Klimaoffensive vorlegen. Insbesondere der Emissionshandel bedarf neuer Impulse. Er muss auf alle klimarelevanten Wirtschaftssektoren ausgedehnt werden, auch auf den Luftverkehr. Zudem sollten einzelne Bundesstaaten der USA am internationalen Emissionshandel teilnehmen können. Aber was tut denn die Bundesregierung im Bereich der Technologiekooperation? Der Umweltminister fährt durch die Welt und wirbt richtigerweise für den Einsatz erneuerbarer Energien. Ich stelle aber fest, dass er eigentlich gar nicht dafür zuständig ist. Zuständig für die Exportförderung erneuerbarer Energien ist Ihr Parteifreund Glos, Herr Göppel. Herr Glos verschläft alle Chancen, die sich in diesem Bereich bieten. Wo ist denn Herr Glos unterwegs? Er verschläft dieses Thema. Ich bitte Sie, Herr Göppel, wecken Sie ihn auf. ({3}) Im Entwicklungshilfeministerium sieht es auch nicht besser aus. Ich bin Mitglied der Parlamentariergruppe für das südliche Afrika. Wenn man durch die afrikanischen Länder fährt, dann fragt man sich, warum mitten in der Wüste ein Dieselgenerator läuft. Warum erzeugen die Länder, die uns besonders nahe stehen, keine Sonnenenergie? ({4}) In Sachen Klimaschutz liegt es schon auf nationaler Ebene im Argen. Man kann nicht, Herr Gabriel, das Ziel, den Ausstoß von Treibhausgasen um 80 Prozent zu mindern, ausrufen und in der Zeitung glänzen, aber gleichzeitig einen Nationalen Allokationsplan vorlegen, in dem die Minderungsziele, wie Herr Loske schon gesagt hat, zu niedrig sind. Es fehlen bei der Reserve für Neuanlagen 18 Millionen Tonnen CO2, die Sie für den Atomausstieg, den auch diese Regierung nicht rückgängig machen will, brauchen. Neuanlagen werden für 14 Jahre privilegiert, womit die Technologie, die bis 2012 eingesetzt wird, für die nächsten Jahre festgeschrieben wird. Das ist ein Anreizprogramm für die Kohleverstromung, wie wir sie heute haben. Es ist kein Anreiz, neue Technologien zu entwickeln, die uns vielleicht ab 2020 mit der CO2-Abscheidung zur Verfügung stehen. Der Nationale Allokationsplan ist völlig kontraproduktiv. ({5}) Ein entscheidender Fehler dieser Regierung ist aber die Weigerung der Kollegen Glos und Gabriel, die Emissionsrechte zu versteigern. Es tut mir Leid: Sie werden gleich wieder erzählen, der Strommarkt sei noch vermachtet und es gebe noch keinen Wettbewerb. Deshalb werden die Stromkonzerne den Verbrauchern erzählen, dass sie noch einmal die Preise erhöhen müssen. Herr Gabriel, das glauben Sie doch selbst nicht. Sie glauben doch nicht, dass nach der Diskussion, die wir in den vergangenen Monaten geführt haben, noch irgendein Verbraucher dies den Stromkonzernen durchgehen ließe. Ich freue mich darüber, dass sowohl in der SPD als auch in der CDU/CSU Stimmen laut werden, diese Entscheidung zu korrigieren. Ich muss zum Beispiel Frau Reiche, die sich damit brüstet, die Versteigerung voranzutreiben, sagen, dass sie das in der Koalition durchsetzen muss und das nicht den Kollegen Glos und Gabriel überlassen darf. ({6}) Wir haben mit der Versteigerung die große Chance, die Stromkonzerne von ihren Windfall Profits zu befreien und eine Umverteilung herbeizuführen. Das müsste doch eigentlich der SPD gut gefallen. Diese Umverteilung erfolgt von den Stromkonzernen zu den Verbrauchern, wenn Sie das Aufkommen nutzen, um die Stromsteuer zu senken. Genau das will die FDP. Wir laden Sie herzlich ein, diesen Weg mit uns zu gehen. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel. ({0})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kauch, wenn Sie mich richtig zitieren würden, dann ginge es ja. Ich habe immer gesagt - das ist auch die Position der Bundesregierung -, dass wir nicht für die Versteigerung von Emissionszertifikaten sind, solange wir nicht sicherstellen können, dass das Geld am Ende nicht von den Verbrauchern geholt wird. Bei Ihnen herrscht sozusagen das Prinzip Hoffnung. Sie haben große Reden gehalten und gefordert, dass wir die Zertifikate versteigern sollen. Sie sagen, die Verbraucher werden sich das nicht bieten lassen. Wenn diese am Ende die Zeche zahlen, sind Sie der Erste, der hier steht und uns beschimpft, dass wir nichts gegen steigende Strompreise unternommen haben. ({0}) Das können Sie machen und das ist Ihr gutes Recht, es hat aber mit der Realität wenig zu tun. Wir bekommen hoffentlich in diesem Jahr - das ist auch meine Antwort an Herrn Loske - eine Entscheidung des Bundeskartellamts. Diese wird uns dann Auskunft über die Frage geben, ob wir etwas gegen die kostenlose Einpreisung unternehmen können. Wenn das der Fall sein sollte, wird sich in der Bundesregierung bestimmt eine völlig andere Haltung zum Thema Auktionierung entwickeln. Nur um mehr Geld im Haushalt einnehmen zu können, machen wir die Auktionierung nicht mit. Denn wir wollen vorher wissen, von wem das Geld kommt. Es gibt einige Menschen in Deutschland, die weniger als ein Bundestagsabgeordneter verdienen. Für die ist die Frage, wie hoch die Energiepreise sind, eine Frage, die etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun hat. Darum geht es in dieser Diskussion auch. ({1}) - Sie verstehen von der Frage, wie es den Menschen, die ein niedrigeres Einkommen als Sie haben, nicht sehr viel. Das weiß ich. ({2}) - Frechheit hin oder her, Sie müssen hier das Recht der freien Rede akzeptieren. ({3}) - Sie haben in der Vergangenheit der Bundesrepublik Deutschland mehr Mehrwertsteuererhöhungen mitgemacht, als diese Regierung das jemals könnte. Dafür ist die FDP verantwortlich. ({4}) Ich möchte Ihnen noch etwas zu Frau Merkel sagen. Sie sprechen hier davon, was Tony Blair alles Tolles gemacht hat. Dass es aber überhaupt zum Kiotoprotokoll gekommen ist, lag in der Verantwortung der damaligen Umweltministerin und heutigen Bundeskanzlerin. Das sollten Sie der Wahrheit gemäß dann auch sagen. ({5}) Herr Glos und ich haben manche Meinungsverschiedenheit. Aber bei der Exportförderung erneuerbarer Energien gibt es überhaupt keine Meinungsverschiedenheiten in der Bundesregierung. Im Hinblick auf dieses Thema können Sie beobachten, dass wir inzwischen 75 Prozent der Windenergieanlagen, die in Deutschland hergestellt werden, ins Ausland verkaufen. Das ist eine Realität der Politik der Bundesregierung und kein Sprücheklopfen im Plenum. ({6}) Ich möchte noch zu ein paar Details etwas sagen. Ich stimme dem Kollegen Loske ausdrücklich darin zu, dass es das Ziel der Politik der Bundesregierung und Europas sein muss, nach der 8-Prozent-Reduktion des CO2-Ausstoßes bis 2012 im Jahr 2020 europaweit bei 30 Prozent Reduktion zu landen. Das ist die Position, die wir in den europäischen Gremien vertreten und es ist auch die Position im Rat der Regierungschefs. Sie wissen, dass die logische Konsequenz ist, dass Deutschland den Ausstoß um 40 Prozent reduzieren muss, weil es andere Länder in Europa mit einem schwächeren wirtschaftlichen Entwicklungsstand gibt, die nicht so stark reduzieren können. Wenn wir im Durchschnitt 30 Prozent erreichen wollen, gilt Burden-Sharing und wir werden 40 Prozent davon tragen müssen. Da gibt es überhaupt keinen Streit in der Sache. Es ist übrigens auch Bestandteil der Koalitionsvereinbarung, dass wir 30 Prozent erreichen wollen. ({7}) Was mich stört, ist nicht die Tatsache, dass Sie schreiben, dass wir noch mehr machen müssen. Was mich stört, sind Aussagen wie die von Ihrem Kollegen Fell in der Pressemitteilung von gestern. Er schrieb, in Nairobi gebe sich der Umweltminister als Klimaschützer und hierzulande bediene er nur die SPD-Industrieklientel. Es stört mich nicht, dass Sie mich damit angreifen. ({8}) Mich stört vielmehr, dass damit eine Gefahr beschrieben wird, die Herr Loske selbst genannt hat, nämlich die Enttäuschung darüber, dass nicht alle Probleme gelöst worden sind, wenn man aus Nairobi zurückkommt. Wenn Sie Leuten Mut machen wollen, beim Kampf um Klimaschutz mitzumachen, dann dürfen Sie nicht die realen Erfolge, die es gibt, kaputt- und schlechtreden. Ich nenne Ihnen ein paar Erfolge, die Sie bewusst verschweigen. Es ist diese Bundesregierung, die jedes Jahr 1,4 Milliarden Euro für die energetische Gebäudesanierung zur Senkung des CO2-Ausstoßes einsetzt. ({9}) Sie haben sich bei Ihren Forderungen nicht einmal getraut, die Hälfte von 1,4 Milliarden Euro einzuklagen. ({10}) - Wo sind denn Ihre Haushaltsanträge in Höhe von 1,4 Milliarden Euro? Ich sage Ihnen, was Sie beantragt haben. Sie haben im Haushaltsausschuss gerade beantragt, 25 Millionen Euro mehr in Marktanreizprogramme für erneuerbare Wärmeenergien zu investieren. Angenommen wurde aber der Antrag der Koalitionsfraktionen in Höhe von zusätzlichen 40 Millionen Euro im Bereich der erneuerbaren Energien. ({11}) Herr Fell hat doch schon Pressemitteilungen über das Versagen der Koalitionsfraktionen vorbereitet, bevor es überhaupt im Haushaltsausschuss zu Beratungen des Koalitionsantrages gekommen ist. Sie schreiben Papier voll. Wir sorgen dafür, dass wir im Haushalt Geld für aktive Klimaschutzpolitik haben. Das ist der Unterschied zwischen uns beiden. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fell?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Ausnahmsweise nicht, weil die Redezeit ohnehin fast zu Ende ist. Ich will nur noch einige wenige Punkte nennen. Im Gegensatz zu Ihnen haben wir die Mittel für Forschung und Entwicklung im Bereich erneuerbare Energien im Haushalt fast verdoppelt. Wir sind am Ende dieser Legislaturperiode bei fast 100 Millionen Euro. Sie haben vorher das Geld abfließen lassen bei der Förderung der erneuerbaren Wärme in die Forschung und Entwicklung. Wir haben in dem Bereich der Förderung erneuerbarer Wärmeenergie im Jahr 2006 insgesamt 50 Millionen Euro mehr als in Ihrer Regierungszeit gehabt. Wir satteln jetzt 40 Millionen Euro drauf und verdoppeln die Zahl der Anträge, die wir genehmigen können. Sie erklären hier aber, die Regierungskoalition tue nichts für den Klimaschutz. Ich finde, das ist ein Armutszeugnis, das Sie sich hier selbst ausstellen. ({0}) Wir setzen um, was im Hinblick auf die Ausrüstung von Offshore-Windenergieanlagen geplant war. Sie haben das alles vorher debattiert; wir setzen das um. ({1}) Anstatt zu sagen, gut, dass ihr das macht, erklären Sie öffentlich, wir brächten nichts zustande. Ich finde, Sie sollten froh sein, dass wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Ihre Versprechen von uns eingelöst werden können. ({2}) Sie haben nämlich vergessen, diese Voraussetzungen zu schaffen. Zum Thema Nationaler Allokationsplan. Sie haben gemeinsam mit Sozialdemokraten dafür gesorgt, dass der CO2-Ausstoß in der ersten Phase des Emissionshandels um 2 Millionen Tonnen gesunken ist. Wahrscheinlich war mehr nicht möglich. Dank unserer Politik wird der CO2-Ausstoß pro Jahr um mindestens 15 Millionen Tonnen sinken. Dennoch stellen Sie sich hierhin und sagen: Es ist aber schlimm, dass der CO2-Ausstoß in eurer Regierungszeit um mehr als das Siebenfache, verglichen mit unserer Regierungszeit, gesenkt wird. Wo bleibt in dieser Debatte eigentlich die Glaubwürdigkeit? ({3}) - Frau Künast, dadurch, dass Sie dazwischenrufen, wird das, was Sie gesagt haben, nicht besser. ({4}) Frau Künast, ich kann gut damit leben, dass sich ein grüner Abgeordneter hierhin stellt und sagt: Uns reicht das alles nicht; ihr müsst mehr schaffen, als ihr euch bisher vorgenommen habt. Das kann ich gut verstehen. Ich finde nicht in Ordnung, dass Sie sich nicht trauen, zu sagen, dass für den Klimaschutz in elf Monaten dieser Regierungskoalition mehr erreicht wurde als jemals zuvor in der Bundesrepublik Deutschland. ({5}) Ich finde, mindestens das sollten Sie sagen, und zwar nicht deshalb, weil wir so besonders gut sind, sondern deshalb, weil die Daten, die Herr Loske genannt hat, natürlich dazu führen, dass der politische Druck zur Veränderung in diesem Bereich heute wesentlich stärker als früher ist. Sie sollten denjenigen, die sehr dafür kämpfen, dass es in Deutschland eine bessere Klimaschutzpolitik gibt, nicht dadurch in den Rücken fallen, dass Sie alles schlechtreden, was hier gemacht wird. Ich finde, die Bilanz nach elf Monaten kann sich wirklich sehen lassen. Wir sind noch lange nicht am Ende des Weges. Wir müssen deutlich mehr schaffen; aber wir haben eine Menge erreicht. Man kann von Ihnen nur verlangen, dass Sie, bevor Sie solche Pressemitteilungen schreiben, wenigstens einmal die Realitäten des Bundeshaushalts zur Kenntnis nehmen. Ein Blick ins Gesetzbuch - auch das Haushaltsgesetz ist eines - erleichtert gelegentlich die Rechtskenntnis. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Hans-Josef Fell.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, Sie haben soeben behauptet, dass Ihre Koalition mehr für den Klimaschutz mache, als es in den Zeiten der rot-grünen Koalition der Fall gewesen sei. ({0}) Ich kann das nur zurückweisen. Es ist unter der rot-grünen Regierung und vor allem durch die gemeinsame Arbeit im rot-grünen Parlament nämlich sehr viel für den Klimaschutz auf den Weg gebracht worden. Ich verweise nur auf die gemeinsame Arbeit mit der SPD. ({1}) - Die Gesetze wurden im Parlament beschlossen; deswegen hat das Parlament einen sehr großen Beitrag dazu geleistet. Auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz muss ich nicht hinweisen. Es wirkt und deswegen sind die Ausbauraten so hoch. Ich möchte auf Ihren Vorwurf in Bezug auf das Marktanreizprogramm eingehen. Die große Koalition hat gestern im Umweltausschuss einen Aufstockungsantrag zum Marktanreizprogramm abgelehnt, der von Bündnis 90/Die Grünen gestellt wurde. Im Umweltausschuss lag dazu kein Antrag der großen Koalition vor. Das habe ich kritisiert und daran halte ich fest. Ich begrüße, dass im Haushaltsausschuss heute eine Aufstockung dieser Mittel beschlossen wurde. Dies tut Not. Ich möchte aber betonen, dass wir eine Aufstockung um 25 Millionen Euro immer unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit eines Wärmegesetzes befürwortet haben. Durch ein solches Wärmegesetz könnte die Ablösung des in immer größere Finanznöte kommenden Marktanreizprogramms geregelt werden. Auf diese Weise können neue Technologien, zum Beispiel durch Erdwärme, Bioenergien und solare Energien - Stichwort „solare Großspeicher“ -, unterstützt werden. Das Marktanreizprogramm ist bereits seit diesem Sommer gestoppt, obwohl es mit etwa 200 Millionen Euro ausgestattet ist. Nun haben Sie da um einige zig Millionen erhöht - die Zahl ist mir noch nicht genau bekannt -; aber dies wird nicht ausreichen, um im kommenden Jahr den Wünschen der Bevölkerung nach Wärme aus erneuerbaren Energien entsprechen zu können. Andererseits haben Sie verkündet - das ist sehr bedauerlich -, dass Sie kein Gesetz für Wärme aus erneuerbaren Energien auf den Weg bringen wollen. Genau das ist das Problem. Sie weigern sich, mit einem neuen Wärmegesetz einen starken Ausbau dieses Bereichs auf den Weg zu bringen. Sie schaffen es mit dem heutigen Beschluss noch nicht einmal, im Marktanreizprogramm genügend Geld für die Unterstützung der Bürger beim Ausbau der erneuerbaren Energien zur Verfügung zu stellen. Ich möchte noch etwas zu der Unterstützung sagen, die Sie über den Zertifikatehandel geben. So wie der Nationale Allokationsplan nach Ihrem Vorschlag aussieht, ist das eine klare Unterstützung - ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Fell, Ihre drei Minuten für die Kurzintervention sind um.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. - Nachdem Sie das so auf den Weg gebracht haben - so geschieht das im Moment auch schon -, finden wir landauf, landab neue Ankündigungen für neue Kohlekraftwerke. Alle berufen sich auf den Vorschlag zum Nationalen Allokationsplan, wie er von Ihnen vorgelegt wurde. Wie Kohlekraftwerke zum Klimaschutz beitragen sollen, ist mir ein Rätsel.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Fell, Ihre drei Minuten sind um. Herr Minister, Sie haben die Möglichkeit, zu antworten.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will gern auf die angesprochenen Positionen eingehen. Erstens. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass ich nicht gesagt habe, unter Rot-Grün sei nichts passiert. Ich habe vielmehr gesagt: In elf Monaten hat diese Koalition in Sachen Klimaschutz mehr auf den Weg gebracht, als das jemals zuvor geschehen ist. Das lag nicht daran - auch das habe ich erwähnt -, dass wir an dem Thema sozusagen intellektuell näher dran sind, sondern daran, dass die politische Lage - Herr Loske hat die Berichte zitiert - dazu geführt hat, dass die gesellschaftliche Dynamik deutlich zugenommen hat. Das ist der Grund dafür, dass sich die Koalition diesem Thema wesentlich stärker gewidmet hat als die Vorgängerregierungen. Ich weiß doch auch, dass vorher andere Konstellationen verantwortlich dafür waren, dass nicht mehr getan werden konnte. ({0}) - Frau Künast, Ihr Kollege hat ein paar Positionen vorgestellt. Lassen Sie doch einfach zu, dass jemand antwortet. ({1}) Sie haben offensichtlich ein massives Problem damit, dort zu sitzen, wo Sie sitzen. Das verstehe ich. Aber lassen Sie mich ihm doch wenigstens antworten. Das ist eine Frage der Fairness. ({2}) Ich nenne Ihnen dazu ein paar Zahlen, Herr Kollege Fell. Allein im ERP-Förderkreditprogramm des Jahres 2005 standen unter den Umweltschutzprogrammen bis zum Monat Oktober 2005 rund 1 Milliarde Euro zur Verfügung. Im gleichen Zeitraum dieses Jahres sind unter dieser Bundesregierung 1,7 Milliarden Euro dafür ausgegeben worden. Das können wir so fortführen. Es ist schlicht und ergreifend eine Tatsache - wir reden hier, wie Sie auch, über Haushaltsmittel -, dass wir wesentlich mehr Geld für den Klimaschutz zur Verfügung stellen. Sie können sagen, das reiche Ihnen nicht, aber tun Sie in Ihren Pressemitteilungen doch nicht so - da finden sich Beschimpfungen, die wir sprachlich von Ihnen sonst gar nicht gewöhnt sind -, als würde hier überhaupt nichts passieren. Sie machen Menschen, die sich um den Klimaschutz kümmern, auch dadurch mutlos, dass Sie nicht bereit sind, zu akzeptieren, dass hier eine Menge passiert ist, dass sich die Anstrengung lohnt, dass sich Bürgerinitiativen bilden, dass in den Parteien debattiert wird, dass wir eine öffentliche Diskussion haben und dass das Wirkung zeigt, auch in der Regierungspolitik, auch in der Politik der großen Koalition. Sie sollten die Menschen also nicht mutlos machen, sondern ihnen eher sagen: Wir dürfen bei den Anstrengungen im Klimaschutz nicht nachlassen und müssen weitermachen. Sie sollten nicht alles das, was hier in Deutschland schon passiert ist, kaputtreden. ({3}) Zweitens. Ich sage Ihnen noch einmal, was Sie beim Marktanreizprogramm für Wärme aus regenerativen Quellen zugelassen haben. Am Ende sind 2005 131 Millionen Euro für Wärme aus erneuerbaren Energien ausgegeben worden. Wenn der Haushaltsausschuss so beschließt, wie die Koalitionsfraktionen das beantragt haben - ich gehe davon aus, dass das geschieht -, werden es nun 214 Millionen Euro. Das ist eine Differenz von 83 Millionen Euro. Es ist nicht ganz wenig, was da zur Verfügung gestellt wird. Wir werden vermutlich mehr als doppelt so viele Anträge wie im Vorjahr fördern können. Sie sollten einmal sagen: Das ist eine gute Sache, vielen Dank; das habt ihr gut gemacht, wir haben es nicht so gut hinbekommen, weil die Sozis - vielleicht - nicht mitmachen wollten. Wenn das Ihre Auffassung ist, können Sie das doch ruhig sagen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Minister, auch Ihre drei Minuten für die Beantwortung sind zu Ende.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Frau Präsidentin, letzter Satz: Zur Frage des Emissionshandels sage ich Ihnen das, was auch der Kollege Kauch vorgebracht hat; da bin ich seiner Auffassung. Sie können zwar die Augen davor verschließen, aber es wird Nationen in der Welt geben,

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Minister!

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

- die Steinkohle nutzen. Dafür müssen wir Technologien mit höheren Wirkungsgraden und CO2-Abscheidung entwickeln;

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Minister!

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

- sonst zerstören sie das Klima. Vielen Dank, Frau Präsidentin, für Ihre Geduld. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Klimaschutz rechnet sich - diese Nachricht ist nicht wirklich neu. Der Bericht von Nicholas Stern lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig und auch keinen Zweifel daran, dass verhinderter Klimaschutz irgendwann Volkswirtschaften erdrosseln kann. Falls es noch ein paar langfristig denkende Manager in Deutschland geben sollte, dann sollte dieser Bericht diese Herren, wie ich meine, eigentlich beunruhigen. Schließlich tritt die Klimaschutzpolitik in der Bundesrepublik seit Jahren auf der Stelle, abgesehen vom EEG und vom Wärmesanierungsprogramm. Ich will damit nicht sagen, dass nichts passiert ist. Aber wenn Sie sich unseren Antrag anschauen, stellen Sie fest, dass wir die Ziele wesentlich höher gesteckt haben. Ich denke, es könnte noch wesentlich mehr passieren. Das würde im Übrigen auch Arbeitsplätze schaffen. In diesem Bereich wünschen wir uns jedenfalls mehr. ({0}) Wo hakt es denn? Denken wir an die Verkehrspolitik oder an das Desaster beim Emissionshandel - wieder einmal. Hier muss noch mehr passieren, übrigens auch dann, wenn das dazu führte, dass sich Klimaschutz nicht rechnete; denn Nichtstun zerstört die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen in anderen Teilen der Welt. Klaus Töpfer - ich denke, er ist nicht Mitglied unserer Partei ({1}) nennt so etwas „ökologischen Rassismus“. Die Bundesregierung will mehr Klimaschutz; dies hat sie jedenfalls vielfach erklärt. Das wird sie sicherlich auf der ab Montag in Nairobi stattfindenden Klimakonferenz auch wieder erklären. Doch wer international punkten will, sollte auch daheim seine Hausaufgaben machen - Herr Göppel hat das schon ausgeführt -; denn so etwas stärkt die Verhandlungsposition. Im Zusammenhang mit Nairobi müssen wir natürlich auch über die Vorbereitung der neuen Verpflichtungsperiode ab 2012 reden. Hier wäre es hilfreich, wenn Sie, Herr Minister, für das Ministersegment vom Bundestag in der nächsten Woche ein wegweisendes Mandat für eine ambitionierte Klimapolitik daheim bekämen. Das würde für Sie von Nutzen sein. ({2}) Ambitionierte Klimapolitik kann für Deutschland allerdings nicht bedeuten, bis 2020 lediglich 30 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 ausstoßen zu wollen. ({3}) Das ist vielleicht für die Europäische Union ein anspruchsvolles Ziel, nicht aber für uns. Schließlich ist der Bundesrepublik fast die Hälfte der bisherigen Einsparungen durch den Zusammenbruch der energieintensiven ostdeutschen Industrie in den Schoß gefallen. Den anderen europäischen Staaten dürfte das nicht entgangen sein. Die logische Kette ist doch so: Anspruchsvolle Ziele im Kiotoprozess durchzusetzen kann nur gelingen, wenn Europa eine vernünftige Vorgabe macht. Weil die Bundesrepublik mit der kommenden Übernahme der EURatspräsidentschaft eine besondere Rolle in der EU-Delegation spielt, haben Sie, Herr Minister, tatsächlich die Chance, hier etwas voranzutreiben. Dafür braucht es jedoch eine Verpflichtung Deutschlands, eine Reduktion in Höhe von mindestens 40 Prozent zu erreichen, so wie wir es in unserem Antrag fordern. Dies erleichtert es den anderen Staaten Europas, sich auf das gemeinsame Ziel einer Verringerung um 30 Prozent einzulassen. Eine solche Verpflichtung erfordert einen grundlegenden Wandel in der Klimapolitik der Bundesrepublik. So kann es nicht sein, dass der Emissionshandel zwar als Hauptinstrument der deutschen Klimapolitik gepriesen wird, aber es in der konkreten Ausgestaltung so aussieht, dass jeder Kohleverstromer bei Neuinvestitionen bekommt, was er will und angeblich auch braucht. Das darf einfach nicht sein. ({4}) Wie sollen so die Preise wirken? Für einen Wechsel bei den Brennstoffen hin zu emissionsärmeren Technologien gibt es da wenig Anreize. Zudem - das haben wir ja bereits in unserem Emissionshandelsantrag im Frühsom6192 mer gefordert - müssen die Zertifikate versteigert werden und dürfen eben nicht verschenkt werden; denn wer den Energieversorgern zusätzliche Milliardengewinne zuschustert - wir sprechen, nicht zu vergessen, über 5 Milliarden Euro -, kann auf die Lenkungswirkung von Marktpreisen beim Emissionshandel lange warten. Wir hoffen, dass Sie, Herr Umweltminister, Ihre Position ändern und nunmehr wenigstens die Versteigerung jener 10 Prozent der Zertifikate zulassen. Noch einmal zum Thema „soziale Preise“, wie Sie es nennen. Hier sind wir natürlich anderer Meinung als die FDP. Wir haben Anträge eingebracht. Darin fordern wir unter anderem, dass die Gewinne in Höhe von 5 Milliarden Euro abgeschöpft werden. Außerdem wollen wir, dass sozial Schwache unterstützt werden, weil die Energiepreise so hoch sind. Wir wollen eben nicht, dass in diesem Jahr zum ersten Mal Menschen in ihren kalten Wohnungen sitzen, weil sie die Preise nicht bezahlen können. Sie sollten sich überlegen, was Sie hier tun. Das ist nicht ökologisch und vor allem nicht sozial. ({5}) Doch noch einmal zurück zu Nairobi. Der Klimawandel ist mittlerweile Realität. Millionen Menschen leiden bereits unter den Folgen der globalen Erwärmung. Deutschland muss daher in Nairobi die zugesagten Mittel für den UN-Fonds zur Anpassung an den Klimawandel verdoppeln. Zudem würden schon ein paar Hunderttausend Euro es vielen Ländern ermöglichen, mit am Verhandlungstisch zu sitzen. Wir - und ich denke, auch Sie - wollen diesen Menschen die gleichen Chancen geben. Die Zahlungen in den Fonds für die Unterstützung der Teilnahme von Verhandlern aus den ärmsten Ländern der Welt müssen also deutlich erhöht werden, damit auch von dort Fachleute und Dolmetscher anreisen können. Das ist unsere Art von Solidarität. Wir haben nur eine Welt; das muss uns immer bewusst sein. Schützen wir sie! Darum stimmen Sie unserem Antrag zu! ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Frank Schwabe von der SPD-Fraktion. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Ich bin sehr dankbar, dass wir diese Debatte heute hier so führen können. Eigentlich wollte ich an dieser Stelle sagen, dass ich auch dankbar bin für die recht hohe Übereinstimmung, die ich in den heute vorliegenden Anträgen gefunden habe. Ich habe allerdings den Eindruck, dass die Rhetorik hier und der Kern der Anträge ein bisschen voneinander abweichen und dass entweder der eine oder die andere aus der Opposition den Koalitionsantrag ({0}) nicht richtig gelesen hat oder dass Sie nicht richtig glauben wollen, was in dem Antrag steht. ({1}) Ich glaube, es ist ein sehr guter Antrag. Ich sage das ausdrücklich an die Unionsfraktion: Es ist ein Antrag, mit dem wir die Vorreiterrolle, die wir europaweit und weltweit einnehmen und einnehmen wollen, noch einmal deutlich unterstreichen. Gerade ist von einigen wieder deutlich formuliert worden, dass wir uns in Deutschland zum 40-ProzentZiel bekennen sollten. Wir bekennen uns in unserem Antrag zu diesem Ziel. Wir beziehen uns nämlich auf die Forderung der Energie-Enquete-Kommission und haben sie uns zu Eigen gemacht. Das steht in dem Antrag; lesen Sie es bitte nach. Wir sagen: Wenn Europa die Emissionen bis 2020 um 30 Prozent reduziert, dann sind wir bereit, sie um 40 Prozent zu reduzieren. Ich glaube, das ist eine gute Position, die die Vorreiterrolle unterstreicht und dem Minister und auch der Kanzlerin Rückendeckung für die internationalen Verhandlungen gibt. ({2}) Wir erleben in der Tat gerade eine neue Dimension in der internationalen Klimaschutzdebatte, weil es eben nicht nur - das wäre schon Grund genug - um ökologische Aspekte geht, sondern viel stärker - der Stern-Bericht ist angesprochen worden - auch um ökonomische und soziale Auswirkungen. Ich will noch einmal unterstützen, was der Minister gesagt hat: Wir müssen darauf achten, dass wir nicht einen gewissen Fatalismus in die Debatte bringen. Wir müssen uns sehr ambitionierte Ziele setzen; aber wir müssen aufpassen, dass wir den Menschen keine Angst machen. Wir müssen ihnen deutlich machen, dass das, was wir vorhaben, auch erreichbar ist. Was wir im Bereich des Klimaschutzes vorhaben, geht an die wirtschaftlichen Grundlagen; das ist richtig. Aber es gibt Möglichkeiten, unsere Wirtschafts- und Lebensweise entsprechend zu verändern, sodass die hohe Lebensqualität gewahrt bleibt. Es ist unsere Aufgabe - in Deutschland und in Europa -, ein Stück weit einen Weg aufzuzeigen, wie man unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes Entwicklungen organisieren kann. Die Entscheidungen, die zu treffen sind, haben unsere Generationen zu treffen, die, die auch hier im Deutschen Bundestag versammelt sind; denn alle sind sich einig, dass wir noch zehn bis 15 Jahre Zeit haben, einen anderen Weg einzuschlagen. Die Rolle Deutschlands dabei ist eine zentrale; das wird uns bei Gesprächen mit internationalen Partnern immer wieder gesagt. Es ist nicht so, dass wir das weltweite Klimaproblem durch die Reduktion der Emissionen in Deutschland lösen könnten; das ist schon richtig. Aber wir haben die Vorreiterrolle. Es gibt einen Dominoeffekt. Wenn wir wollen, dass China, Indien und andere Schwellen- und Entwicklungsländer mit dazu kommen, dann muss es uns gelingen, die USA ins Protokoll einzubeziehen. Um das zu erreichen, muss es uns gelingen, Europas Vorreiterrolle zu stabilisieren. Dazu ist es notwendig, dass sich Deutschland ambitioniert verhält. Deswegen ist es notwendig, dass wir uns zum 40-Prozent-Ziel bekennen. Der Minister hat eine ganze Menge zu der sehr spannenden Debatte und Auseinandersetzung mit den Grünen gesagt. Deshalb muss ich das an dieser Stelle abkürzen. Ich will nur noch einmal ausdrücklich betonen, dass ich diese Debatte und die Anträge gut finde. Ich kann viele meiner Positionen darin wiederfinden. Eine Bemerkung zur Debatte um den NAP. Man muss zumindest zur Kenntnis nehmen, dass der NAP II besser ist als der NAP I. ({3}) Das sagen uns auch die Fachleute, die die Grünen beraten. Die Forderungen, die vonseiten der FDP gestellt werden, sind sehr interessant. Ich frage mich aber, ob die FDP auch nur die Hälfte dieser sehr mutigen Positionen vertreten würde, wenn sie in der Regierung wäre. ({4}) Ich glaube, das ist nicht der Fall. ({5}) Man muss schon darauf achten, aus welcher Position Forderungen, manchmal populistische Forderungen, gestellt werden. Das soll aber nicht heißen - auch das will ich betonen -, dass es keine Debatten im Rahmen des ZuG geben soll. Wir werden eine entsprechende Diskussion führen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Andreas Jung von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es sind im Laufe der Debatte schon etliche Klimakonferenzen genannt worden. Dazu gehört natürlich die Konferenz von Kioto. Josef Göppel hat auf seine Teilnahme an den Konferenzen von Montreal und Buenos Aires hingewiesen. Die erste Konferenz, die der Ausgangspunkt für diese Entwicklung gewesen ist, war die Konferenz von Rio im Jahre 1992, also vor 14 Jahren. Dort ist es zum ersten Mal gelungen, einen weltweiten umweltpolitischen Konsens herzustellen und für die Erreichung der Ziele Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Umweltentwicklung einen konkreten Handlungsrahmen vorzugeben. Die Teilnehmer an dieser Konferenz sagten - ich habe heute noch mit meinem Vorgänger als Abgeordneter für den Wahlkreis Konstanz, Hans-Peter Repnik, gesprochen, der der stellvertretende Leiter der deutschen Delegation war -, beeindruckender als die Fakten und die konkreten Ergebnisse sei etwas Unsichtbares gewesen, nämlich die Ernsthaftigkeit und die Überzeugung, mit der alle Teilnehmer ans Werk gegangen sind. Man hat das damals den Geist von Rio genannt. Mit diesem Geist wurden Dinge möglich, die für lange Zeit unerreichbar schienen. Ich glaube, an diesen Geist müssen wir in Nairobi anknüpfen. Ich bin der Überzeugung: Die Chance dafür ist so groß wie schon lange nicht mehr; denn es gibt - auch das ist schon gesagt worden - ein neues Bewusstsein auf diesem Gebiet. Die neuen Studien, die über die ökologischen Entwicklungen Auskunft geben, aber auch die Studien, die die ökonomische Tragweite des Klimawandels zeigen, führen in breiten Bevölkerungsschichten und in vielen Ländern der Welt zu der Erkenntnis: Es muss gehandelt werden. - Ich glaube, das muss der Ausgangspunkt sein. Was haben wir in den letzten 14 Jahren erreicht? Es gab sicherlich Fortschritte; wir sind Schritt für Schritt vorangekommen. Trotzdem muss auch heute gelten: Es müssen Dinge möglich werden, die bisher unmöglich schienen; denn eines ist noch nicht gelungen: der Durchbruch. Wenn man die Zahlen nüchtern betrachtet, dann kann man feststellen, dass es einen Anstieg der Treibhausgasemissionen gibt und dass sich die Temperaturerwärmung beschleunigt. Jetzt ist die Zeit, zu handeln. Wir müssen den Rückenwind nutzen, indem wir die Erkenntnisse, die wir in der Zeit nach Rio gesammelt haben, verwerten. Welches sind diese Erkenntnisse? Heute ist völlig unbestritten - das war lange Zeit unter Wissenschaftlern ein Streitpunkt -: Erstens. Es gibt einen Klimawandel. Zweitens. Dieser Klimawandel ist von Menschen gemacht. Drittens. Dieser Klimawandel spielt sich nicht weit weg von uns ab. Es sind nicht nur die Südseeinseln und andere ferne Regionen betroffen. Der Klimawandel ist bei uns angekommen. ({0}) Ich kann das sehr direkt verfolgen. Für meine Heimat, die Bodenseeregion, gibt es neue Studien, die belegen, dass diese Region besonders betroffen sein wird. Es wird neue Tier- und Pflanzenarten geben, die das Ökosystem gefährden. Landwirte und speziell Obstbauern werden auf neue Sorten, die dürreresistenter sind, umsteigen müssen, wenn der Klimawandel fortschreitet. Auch die Hochwassergefahr wird drastisch steigen. All das zeigt uns: Wir müssen jetzt handeln; die Zeit drängt. Wenn wir das Zwei-Grad-Ziel erreichen wollen - das ist schon genannt worden -, nämlich keine Erwärmung, die höher liegt als 2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau, dann schließt sich das Zeitfenster in zehn bis 15 Jahren. Deshalb müssen wir handeln, bevor es zu spät ist. Ich finde es daher ausgesprochen gut, dass wir uns in unserem Koalitionsantrag, der - da stimme ich dem Kollegen Schwabe zu - ausgesprochen ambitioniert ist, dazu bekennen, dass dieses Ziel international verbindlich werden muss. ({1}) Andreas Jung ({2}) Aus all diesen Gründen kommt der Konferenz von Nairobi eine entscheidende Bedeutung zu. Wir müssen den Grundstein für ein anspruchsvolles und ehrgeiziges Klimaregime für die Zeit nach 2012 legen. Auch hier müssen wir sagen: Die Zeit drängt. Wir müssen jetzt handeln, damit dies rechtzeitig gelingt. Ich halte es für ausgesprochen wichtig, dass die Bundesregierung den Klimaschutz im Rahmen der Präsidentschaften in der G 8 und im Europäischen Rat als herausragendes Thema bezeichnet. Auch dazu bekennen wir uns in dem Antrag. Ich begrüße ausdrücklich, dass sich sowohl die Bundeskanzlerin als auch Minister Gabriel immer dazu bekannt haben. Herr Kollege Kauch, es ist sicherlich ein netter Versuch, es so darzustellen, als wäre Blair der Treiber und Merkel die Getriebene. Minister Gabriel hat das Notwendige dazu gesagt. Im Übrigen kann es mich nicht wirklich überzeugen, wenn Sie in Ehrfurcht darauf verweisen, dass Tony Blair zu Schwarzenegger gefahren sei, um ihn von der Notwendigkeit des Klimaschutzes zu überzeugen. Ich denke, wenn wir etwas erreichen wollen, dann wird man wohl zu Bush fahren müssen, und das wird Angela Merkel tun. ({3}) Die entscheidende Aufgabe für die Zeit nach 2012 wird es sein, Lösungen für diese Fragen zu finden: Wie gelingt es, die USA und Schwellen- und Entwicklungsländer in diesen Prozess einzubeziehen? Wie gelingt es, diejenigen zum Mitmachen zu bewegen, die bisher außen vor stehen? - Dabei kommt den USA als größtem Emittenten, auch mit dem weltweit höchsten Pro-KopfAusstoß an Treibhausgasen die Schlüsselrolle zu. Es muss gelingen, deutlich zu machen, dass es hier vielleicht um die entscheidende Herausforderung des 21. Jahrhunderts geht, und zwar ökologisch, ökonomisch und humanitär betrachtet. Meine persönliche Auffassung ist die: Es muss vermittelt werden, dass kein Staat der Welt auf Dauer als globale Führungsmacht akzeptiert werden kann, der sich in der Frage des Klimaschutzes verweigert. ({4}) Ich meine, das ist die Aufgabe des Klimaschutzprozesses unter deutscher Präsidentschaft. Der zweite Schritt ist, Schwellen- und Entwicklungsländer einzubeziehen. Ich nenne hier China, Indien, Brasilien, Mexiko, Südafrika und andere Länder, die wirtschaftlich aufschließen. Wir müssen diese Länder in Sachen Umweltschutz an Bord holen; sonst wird es nicht gelingen, den Anstieg der Treibhausgasemissionen aufzuhalten. Aber, ich bekenne mich hier ausdrücklich dazu und ich bin dankbar, dass wir dies in unserem gemeinsamen Antrag ebenfalls getan haben: Andere zu überzeugen und mit ins Boot zu holen wird nicht gelingen, wenn wir uns selber auf Erreichtem ausruhen und sagen: Wir waren in der Vergangenheit gut. Wir waren vielleicht Vorreiter, jetzt aber sind die anderen dran. Deshalb ist es richtig, wenn wir fordern, dass die Europäische Union ihre Zielvorgabe einer 30-prozentigen Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2020 einhalten muss. Dann aber müssen wir selber bereit sein, mehr zu erreichen. Wir bekennen uns in unserem Antrag ganz ausdrücklich zu unseren Enquete-Kommissionen zu den Themen Energie und Klima, die zu dem Schluss gekommen sind, dass wir in Deutschland erheblich über die Vorgabe der EU hinausgehen müssen. Als Hausnummer wurde ein Prozentsatz genannt, der von allen Rednern hier als richtig empfunden wurde: eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 40 Prozent. ({5}) Ich glaube, in diese Richtung muss es gehen. Wir müssen Vorreiter bleiben. Wir wissen, dass der Weg dahin nicht einfach sein wird; wir müssen uns anstrengen. Ich beziehe mich dabei auf die Maßnahmen im Inland, die Josef Göppel genannt hat, auf die Effizienzrevolution. Hier haben wir sicherlich viel geleistet; Minister Gabriel, Josef Göppel und andere haben darauf hingewiesen. Wir müssen aber noch mehr machen. Ich glaube, wir sind hier auf einem guten Weg. Ich wünsche mir, dass wir uns in Deutschland, aber auch im internationalen Prozess auf das zurückbesinnen, was ich zu Beginn genannt habe: den Geist, der Unmögliches möglich macht. Darauf zähle ich. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich dem Kollegen Marco Bülow von der SPDFraktion das Wort. ({0})

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich will mit einem Auszug aus einer französischen Kindergeschichte beginnen, die zeigt, wie die Situation im Augenblick ist: In einem Gartenteich wächst eine Lilie, die jeden Tag auf die doppelte Größe wächst. Innerhalb von dreißig Tagen kann die Lilie den ganzen Teich bedecken und alles andere Leben in dem Wasser ersticken. Aber ehe sie nicht mindestens die Hälfte der Wasseroberfläche einnimmt, erscheint ihr Wachstum nicht beängstigend; es gibt ja noch genügend Platz, und niemand denkt daran, sie zurückzuschneiden, auch nicht am 29. Tag; noch ist ja die Hälfte des Teiches frei. Aber schon am nächsten Tag ist kein Wasser mehr zu sehen. Ich glaube, das verdeutlicht die Situation, die derzeit in Bezug auf den Klimawandel besteht. Viele denken, wir haben noch genug Zeit und noch sind die Auswirkungen nicht so schlimm, dass man in dieser Welt nicht mehr leben kann. Deswegen glauben wir, dies gehe so weiter. Ich weiß zwar, dass das Gott sei Dank nicht mehr alle glauben; das zeigen die vorliegenden ambitionierten Anträge. Aber wir haben diese Diskussion auch auf internationaler Ebene zu bestehen. Täglich gibt es neue Meldungen und Studien, die bestätigen, wie schlimm die Situation ist. Es gibt eine wachsende Erkenntnis. Jetzt ist es höchste Zeit, diese wachsende Erkenntnis auf nationaler und internationaler Ebene in konkrete Handlung umzusetzen. Das muss an vorderster Stelle stehen. ({0}) Ich bin sehr froh - das ist deutlich gemacht worden -, feststellen zu können, dass wir an manchen Stellen vorangekommen sind. Ich meine das Gebäudesanierungsprogramm und das Marktanreizprogramm. Ich glaube, dass das der richtige Weg ist und dass weitere Programme in anderen Bereichen folgen müssen. Aber wir müssen auch auf internationaler Ebene vorankommen; denn wir wissen, dass wir nur so eine Chance haben. Herr Kauch, Sie haben hier zwar großes Engagement an den Tag gelegt; ich nehme es Ihnen auch ab. Aber nehmen wir einmal an - Gott sei Dank ist es nicht so gekommen -, Westerwelle wäre Außenminister geworden. Ich sehe schon, wie er als Erstes in die USA gereist wäre und für den Klimaschutz gekämpft hätte. Das wäre sicherlich ein Außenminister gewesen, der alles in die Waagschale geworfen hätte, damit wir in Deutschland den Klimaschutz vorantreiben können. Ehrlich gesagt, ich kann dies kaum glauben und wahrscheinlich glauben es die meisten draußen auch nicht. ({1}) Aber es ist ja schön, wenn die FDP uns ein bisschen treibt. Ich habe nichts dagegen. Es gibt immer noch Dinosaurier, die es zu überzeugen gilt. Einer wurde genannt - Bush -, aber es gibt noch mehr. Deswegen geht es jetzt nicht darum, dass er nicht mehr den Einfluss hat, den er noch vor den Kongresswahlen hatte. Es gibt aber nicht nur Dinosaurier, sondern auch Faultiere, und zwar diejenigen, die wissen, dass ein Klimawandel kommt, dies aber verschweigen oder verdrängen wollen. Auch diese müssen wir überzeugen oder, falls dies nicht gelingt, zumindest an den Rand drängen und unser Engagement in den Mittelpunkt stellen. Die Debatte, die wir hier führen, ist keine Umweltdebatte mehr, auch wenn sie im Umweltbereich geführt wird. Es handelt sich längst um eine ökonomische und soziale Debatte. In diesen Mittelpunkt müssen wir sie stellen; denn die ökonomischen Auswirkungen sind frappant. Sie werden uns einholen. Die Wirtschaft wird unter hohen Energiepreisen und den Katastrophen, die in einzelnen Bereichen über uns hereinbrechen werden, zu leiden haben. Sie wird zahlen müssen. Nicht nur die Versicherer, sondern mittlerweile auch immer mehr Beratungsagenturen - man sieht daran, wie wichtig dieses Thema wird - warnen vor dem Klimawandel und weisen darauf hin, wie sich die Situation entwickeln wird, wenn wir heute investieren. Deutschland und Europa müssen nicht nur eine Führungsrolle übernehmen, weil es wichtig ist, die anderen Staaten mitzuziehen, sondern auch deswegen, weil sich dies ökonomisch auszahlen wird. Denn diejenigen, die im Rahmen der Klimadebatte vorangehen werden, werden diejenigen sein, die die Vorteile einheimsen. Diejenige Volkswirtschaft, die sich auf den Klimawandel einstellt und nicht nur die entsprechende Technologie verkauft, wird die wenigsten Auswirkungen ökonomischer Art zu erwarten haben. Wir müssen deshalb die Vorreiterrolle übernehmen und vor dem 29. Tag am Gartenteich handeln, sodass wir den 30. Tag noch erleben und dieser Gartenteich sowohl Lilien hat als auch Fische in ihm herumschwimmen und wir ökonomisch weiter handlungsfähig bleiben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/3026 und 16/3051 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/3283 zu Tagesordnungspunkt 8 a soll zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, den Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, zur Drucksache 16/898. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/ 242 mit dem Titel „Klimaschutz-Offensive 2006“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Linken bei Enthaltung des Bündnisses 90/ Die Grünen und Gegenstimmen der FDP-Fraktion. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/59 mit dem Titel „Den Klimawandel wirksam bekämpfen Deutschland muss Vorreiter bleiben“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDPFraktion. Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 16/3197 zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Kfz-Steuer klimafreundlich reformieren - CO2-Ausstoß und Verbrauch als Bemessungsgrundlage“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/2073 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der FDP bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke. Zusatzpunkt 5. Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/3293 mit dem Titel „Die Zeit nach dem Kyoto-Protokoll gestalten - entschieden dem Klimawandel entgegentreten“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und des Bündnisses 90/ Die Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte - Drucksachen 16/2496, 16/2932 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) - Drucksache 16/3308 Berichterstattung: Abgeordnete Heidrun Bluhm Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und bitte diejenigen, die an der Aussprache nicht teilnehmen wollen, den Saal zu verlassen, damit die anderen den Ausführungen folgen können. - Als erstem Redner erteile ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Achim Großmann für die Bundesregierung das Wort. ({1})

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf, über den wir heute entscheiden, ist ein wichtiger Beitrag zur Stärkung der Städte als Wirtschaftsstandorte und als Orte des Wohnens, des Lebens und des Arbeitens. Insbesondere in den Städten und Gemeinden konzentrieren sich die Herausforderungen, die sich aus dem wirtschaftlichen und demografischen Wandel ergeben. Die Siedlungsentwicklung muss sich deshalb wieder stärker auf die Innenstädte, auf die Wiederherstellung und Sicherung funktionsfähiger, urbaner Stadtzentren und Stadtquartiere konzentrieren. ({0}) Auch der Arbeitsmarkt profitiert von einer weiteren Erleichterung von Investitionen. Dieses Gesetz ist für die Planung in den rund 13 000 Städten und Gemeinden in unserem Land von großer Bedeutung. Die Planungspraxis wird durch die neuen Regelungen spürbar erleichtert und vor allen Dingen beschleunigt. Investitionen werden zunehmend in die Innenstädte gelenkt. Die Formel für das Städtebaurecht lautet künftig: schnelle und konzentrierte Verfahren bei Investitionsvorhaben zur Stärkung der Innenentwicklung, Verfahren nach den allgemeinen Anforderungen und mit förmlicher Umweltprüfung dagegen insbesondere bei Vorhaben auf der grünen Wiese. Das vereinfacht Investitionen innerhalb der Städte und Gemeinden und vermeidet Flächenverbrauch - und das ist gut so. ({1}) Kernpunkt ist, dass es jetzt ein Verfahren zur beschleunigten Bebauungsplanung gibt. Dafür sorgen eine konzentrierte Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung, der Verzicht auf eine förmliche Umweltprüfung mit umfangreichen Formalien und die Möglichkeit, gegebenenfalls auch ohne vorhergehende Prüfung, Änderungen des Flächennutzungsplanes vorzunehmen. Was die Berücksichtigung der Belange der Umwelt angeht: Es bleibt dabei, dass die Umweltauswirkungen eines Vorhabens zu berücksichtigen sind. Außerdem ist es wohl unbestritten, dass es der Umwelt nutzt, wenn wir im Innen- und nicht im Außenbereich bauen. Es gibt weitere Verbesserungen durch dieses Gesetz: die Schaffung und Sicherung der für die verbrauchernahe Versorgung bedeutsamen zentralen Versorgungsbereiche; das ist auch im Interesse einer Stärkung der Innenstädte. Darüber hinaus soll die Sicherung und Entwicklung der zentralen Versorgungsbereiche jetzt ausdrücklich in den bei der planerischen Abwägung zu berücksichtigenden Belangekatalog aufgenommen werden. Das ist übrigens ein Ergebnis des Praxistests, auf den ich gleich noch zu sprechen komme. Der Abschluss von Sanierungsverfahren wird erleichtert und beschleunigt. Die Praktikabilität des Vorhaben- und Erschließungsplans wird zur Stärkung der Innenentwicklung erhöht. Im Interesse der Rechtssicherheit werden schließlich die Fristen zur Geltendmachung von Fehlern der Bebauungspläne und die Fristen für Normenkontrollverfahren generell auf ein Jahr verkürzt. In den Ausschussberatungen ist eine allgemeine Öffnungsklausel für Business-Improvement-Districts hinzugekommen. Grundlage der BIDs, wie man sie abgekürzt nennt, sind Eigeninitiative und Selbstverpflichtung der Grundeigentümer und Gewerbetreibenden mit dem Ziel, den lokalen Standort aufzuwerten. In einigen Bundesländern bestehen hierzu bereits gesetzliche Regelungen. Wir stellen im Städtebaurecht des Bundes klar, dass solchen Aktivitäten der Landesgesetzgeber nichts entgegensteht. Ich möchte mich angesichts meiner Stimmlage - Sie hören schon: Ich krächze ein wenig - ein bisschen kürzer fassen. Wir haben uns schon in der ersten Lesung sehr sachbezogen unterhalten. Ich bedanke mich bei allen, die mitgearbeitet haben, bei Frau Weis und Herrn Götz. Aber auch Herr Döring, Herr Hettlich und Frau Bluhm haben sich redlich Mühe gegeben. Wir haben in vielen Fällen Konsens hergestellt. Auch wenn wir heute keinen einstimmigen Beschluss bekommen werden, glaube ich, es hat sich gelohnt. Ich bedanke mich natürlich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines Hauses und ganz besonders bei den Städten Bocholt, Bochum, Forst, Freising, Leipzig und Reutlingen, die im Rahmen des vom Deutschen Institut für Urbanistik betreuten Praxistests einen sehr wichtigen Beitrag geleistet haben. Die kommunalen Spitzenverbände haben dieses Gesetz ausdrücklich begrüßt. Auch Anregungen von ihnen und vonseiten der Länder sind in das Gesetzgebungsverfahren eingeflossen. Ich muss noch erläutern, warum meine Anwesenheit auf der Regierungsbank nur noch Minuten dauern kann: Als ich zum Rednerpult gekommen bin, habe ich gehört, dass ausgerechnet jetzt - nachdem ich ungefähr sieben Stunden gewartet habe - im Haushaltsausschuss der Einzelplan 12 aufgerufen wird. Das heißt, andere Stellen des Parlaments sind der Meinung, ich solle schnell herüberkommen. Hier sitzen aber auch Staatssekretär Lütke Daldrup, der sehr intensiv an diesem Verfahren mitgearbeitet hat, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Hauses. Sie können also sicher sein, dass wir Anregungen und Kritik, aber hoffentlich auch Lob von Ihnen sehr wohl zur Kenntnis nehmen werden. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatssekretär, es bleibt zu erwähnen, dass das Plenum auch vor dem hohen Haushaltsausschuss Vorrang hat. Wenn Sie hier vonnöten sind, können Sie natürlich nicht in den Haushaltsausschuss gehen. ({0}) Das Wort hat jetzt der Kollege Patrick Döring von der FDP-Fraktion. ({1})

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich, ich denke, im Namen aller Kollegen des Hauses, sagen: Herr Kollege Großmann, nach einer etwas längeren Auszeit sind Sie wieder voll im Gefecht und halbwegs auf dem Damm. Gute Besserung weiterhin! Schön, dass Sie wieder mit uns streiten und diskutieren können, auch im Haushaltsausschuss dann. ({0}) Wenn man Bauen und Planen im Innenbereich einer Stadt oder einer Gemeinde beschleunigen und verbessern will, muss man den Innenbereich gegenüber dem Außenbereich privilegieren. Das wird mit diesem Gesetz für Planungsvorhaben bis 20 000 Quadratmeter und, in einem zweiten Schritt, bis 70 000 Quadratmeter möglich. Das ist gut für die betroffenen Kommunen. Deshalb findet dieses Gesetz die Unterstützung der FDP-Fraktion. Wir haben in den Diskussionen und in der Berichterstatterrunde einige Nachbesserungen erreichen können, insbesondere was die zentralen Versorgungsbereiche betrifft. Damit können auch hierfür zusätzliche beschleunigte Planungen vorgenommen werden. Das ist ein gutes Signal für all diejenigen, die wissen, dass Menschen sich nur dann in den Innenbereichen unserer Kommunen ansiedeln, wenn sie nicht auf die grüne Wiese fahren müssen, um eine Kiste Wasser oder ein Pfund Butter zu kaufen, sondern diese Versorgung auch in ihrer unmittelbaren Nähe sicherstellen können. ({1}) Wer vitale Städte haben will, der muss vermeiden, dass die Städte ausfransen. Den Ausfransungstendenzen wird mit diesem Gesetz begegnet. Das ist gut und auch das unterstützen wir. Deshalb ist der Bürokratieabbau, die Verfahrensverschlankung, die hier vorgeschlagen wird, ein richtiger Schritt. Es war bemerkenswert, dass die Kommunen, die das in dem Planspiel vorbereitet haben, das weitestgehend unterstützen. Ich will nicht verhehlen, dass wir als Freie Demokraten uns an einer Stelle noch mehr gewünscht hätten. Ursprünglich hatte die Bundesregierung vorgesehen, mithilfe einer so genannten Genehmigungsfiktion Bauanträge, die aufgrund eines beschleunigt erstellten B-Planes gestellt werden, nach Ablauf einer Frist als genehmigt anzusehen, wenn die Kommune nicht widerspricht. Es war nicht verwunderlich, dass die Kommunen diese Regelung im Planspiel nicht schön fanden. Bauverwaltungen finden es in der Regel nicht gut, wenn sie nicht mehr genehmigen müssen und etwas automatisch genehmigt wird. Das liegt in der Natur der Sache. Da denken sie auch in Stellenkegeln. Ich glaube aber, dass wir die Idee der Genehmigungsfiktion auch bei anderen Themen noch einmal stärker aufgreifen sollten. Lassen Sie uns gemeinsam überlegen, ob wir es im Rahmen des Bürokratieabbaus nicht auch in diesem Bereich schaffen können, bei Anträgen, die auf der Grundlage geltenden Rechts gestellt werden, zu einer automatischen Genehmigung zu kommen. Ich denke, das wäre ein Bürokratieabbau, der den Namen auch verdient hätte. ({2}) Dieser eine Aspekt, der sich nicht durchsetzen ließ, weil die Beteiligten noch nicht so weit sind, führt aber nicht dazu, dass wir das Gesetz ablehnen. Wir werden es unterstützen. Von dieser Stelle aus sage ich auch ganz deutlich: Die Städte und Gemeinden, die Kommunen, sind jetzt am Zug. Sie müssen beschleunigt planen wollen. Ich wäre dankbar, wenn wir in vielleicht zwei oder drei Jahren einen Bericht von der Bundesregierung erhalten könnten, aus dem hervorgeht, wie oft dieses beschleunigte Planen im Innenbereich der Städte Anwendung gefunden hat, ob es Schwerpunkte in gewissen Kommunen gibt ({3}) - die Motte fühlt sich hier bei uns auch ganz wohl ({4}) und ob diejenigen, die beschleunigt geplant haben, bei der Umsetzung wichtiger infrastruktureller Vorhaben in ihrer Stadt am Ende tatsächlich auch den Beschleunigungseffekt erzielt haben, den wir uns von diesem Gesetz versprechen. Vielleicht ist das dann ein weiterer Einstieg, um auch andere Maßnahmen des Bürokratieabbaus im Baubereich anzugehen. - So weit zu dem Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte. Theodor Heuss hat einmal gesagt: Ohne starke Städte ist kein Staat zu machen. ({5}) Wir haben uns an diesem Wort orientiert. Recht hat er. Deshalb geht es in diesem Bereich weitestgehend Hand in Hand weiter. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Götz von der CDU/CSU-Fraktion.

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung abschließend über das Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte und entscheiden nachher darüber. Damit haben wir ein weiteres wichtiges Ziel dieser Koalition erreicht. Im Koalitionsvertrag steht unter der Überschrift „Stadtentwicklung als Zukunftsaufgabe“ unter anderem - ich zitiere -: Zur Verminderung der Flächeninanspruchnahme und zur Beschleunigung wichtiger Planungsvorhaben, vor allem in den Bereichen Arbeitsplätze, Wohnbedarf und Infrastrukturausstattung, werden wir das Bau- und Planungsrecht für entsprechende Vorhaben zur Stärkung der Innenentwicklung vereinfachen und beschleunigen. Wir werden die gesetzlichen Rahmenbedingungen erhalten und wenn nötig ausbauen, um die Innenstädte als Einzelhandelsstandorte zu erhalten sowie um die lokale Ökonomie und die Nutzungsvielfalt zu stärken. Heute können wir Vollzug melden. Wir haben unser Ziel bereits im ersten Regierungsjahr dieser Koalition erreicht. Lassen Sie mich Ihnen, den Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause, im Namen meiner Fraktion Danke sagen. Auch danke ich den Planspielgemeinden. Sie haben durch ihre Mitwirkung einen maßgeblichen Anteil an der zügigen Beratung und an der Qualität dieses Gesetzentwurfes. So war es möglich, frühzeitig und in enger Zusammenarbeit mit den Kommunen Probleme zu lösen und Defizite auszuräumen. Uns allen empfehle ich, die im Bau- und Planungsrecht seit Jahrzehnten bewährte Tradition der vorbereitenden Planspiele auch in Zukunft fortzuführen. Schließlich danke ich auch Ihnen, Herr Staatssekretär Großmann - schön, dass Sie noch hier sind -, Ihrem Kollegen, Herrn Lütke Daldrup, und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihres Hauses für die sehr konstruktive Zusammenarbeit bei den verschiedenen Beratungen bis zum heutigen Tage. ({0}) Wir schaffen mit diesem Gesetz neue Handlungsspielräume für die Länder, für die Kommunen und für private Investoren. Wir schützen durch Stärkung der Innenentwicklung den Außenbereich und damit Natur und Umwelt. Wir bauen massiv Bürokratie ab. Wir erleichtern Investitionen, vor allem wenn es um die Schaffung von Arbeitsplätzen und innerstädtischem Wohnraum oder um die Infrastrukturausstattung geht. Wir stärken die Urbanität der Städte und Gemeinden. Und wir geben den Kommunen neue Instrumente an die Hand, damit sie sich mit ihren Planungen verstärkt und leichter als bisher auf die Innenstädte konzentrieren und damit Flächen außerhalb der Siedlungen schonen können. Wir alle wissen: Es ist wesentlich einfacher, auf der grünen Wiese ein neues Baugebiet auszuweisen, als im Innenbereich zusammen mit sehr vielen anderen Beteiligten Planungen anzugehen. Deshalb war und ist es richtig, dass wir es den Gemeinden künftig ermöglichen, für die Innenentwicklung Bebauungspläne zu schaffen, die in einem vereinfachten und beschleunigten Verfahren aufgestellt werden können. Schnelle, unbürokratische Verfahren im innerstädtischen Bereich müssen in Zukunft im Wettbewerb mit Bebauungsplanverfahren auf der grünen Wiese die Gewinner von Investitionsentscheidungen sein. ({1}) So verbessern wir die Möglichkeit zur schnellen Schaffung von Arbeitsplätzen und schützen gleichzeitig die Umwelt. Deshalb ist es verantwortbar und richtig, dass wir bei der Innenentwicklung auf eine formelle Umweltverträglichkeitsprüfung mit dem damit verbundenen aufwendigen Verfahren einschließlich der Erstellung eines Umweltberichts verzichten, zumal europarechtlich dazu keinerlei Notwendigkeit besteht. Es ist auch richtig, bei innerörtlichen Projekten unter bestimmten Voraussetzungen auf einen naturschutzrechtlichen Ausgleich zu verzichten. Ein naturschutzrechtlicher Ausgleich macht im Außenbereich Sinn. Aber innerörtlich ist diese Forderung schwer nachvollziehbar. Wir sollten alles tun, um unsere Innenstädte und Ortskerne zu stärken. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung müssen wir uns mehr denn je auf die Belebung der innerörtlichen Brachflächen - ob Industrie-, Bahn-, Post- oder Konversionsbrachen - konzentrieren. Wir wollen, dass eine Renaissance pro Innenstadt entsteht. Innenentwicklung und Nachverdichtung durch kleinteilige Ergänzungen im Siedlungsbestand bieten erhebliche Kostenvorteile gegenüber Siedlungsentwicklungen und sind ökologisch und ökonomisch sinnvoller. Die Kunst besteht darin, Antworten auf die folgenden Fragen zu finden: Wie können wir ohne Geld des Steuerzahlers die Innenstädte, aber auch Stadtteilzentren und Dörfer als Orte sozialer und kultureller Begegnungen stärken und so die Lebensqualität der dort lebenden Menschen erhöhen? Wie schaffen wir eine nachhaltige Investitionspolitik, durch die die Ökonomie und die Ökologie der Stadtentwicklung miteinander vereint werden? Ich will einen weiteren Aspekt ansprechen - der Herr Staatssekretär hat dieses Thema auch angerissen -: Wir haben lange darüber diskutiert, wie wir private Initiativen bei der Stadtentwicklung rechtlich einbinden. Private Initiativen entstehen in Deutschland vermehrt, ob zur Errichtung von Kinderspielplätzen, Gewerbeparks oder Wohnungen. Diesem aus dem angelsächsischen Raum kommenden berechtigten Anliegen, das in der Fachwelt unter dem schönen Namen „Business-Improvement-Districts“ bekannt ist, wollen wir Rechnung tragen. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir im Baugesetzbuch keine detaillierten Regelungen treffen sollten, die einheitlich von Flensburg bis Berchtesgaden gelten. Die Ansichten zu diesem Thema und die damit verbundenen Ansprüche sind zu differenziert und unterschiedlich. Ganz im Sinne des Föderalismus und im Geiste der Föderalismusreform wird die Ausgestaltung des neuen § 171 f des Baugesetzbuches daher Aufgabe der Länder werden. Der Vorschlag ist ein Angebot an die Kommunen und Investoren, einvernehmlich Lösungen zu finden. Wir schaffen die Option. Ob und wie die Länder und Kommunen damit umgehen, ist ihre Sache. Damit wird unser Ziel erreicht, dass Bürgerschaft und Immobilienwirtschaft in die städtebaulichen Entscheidungen der Kommunen stärker einbezogen werden können. Lassen Sie mich noch einige Punkte ansprechen, die uns wichtig sind. Wir haben eine weitere Anregung aus dem durchgeführten Praxistest aufgegriffen und die Erhaltung und Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche neu als Belang der Bauleitplanung benannt. Die Verbesserung einer verbrauchernahen Versorgung ist vor allem für ältere Menschen von Bedeutung. Wir schaffen für die Kommunen wesentliche Erleichterungen beim Abschluss und der Abrechnung von Sanierungsverfahren. Vereinfachte Abrechnungsregelungen befreien die Städte und Gemeinden von überflüssiger Bürokratie. Die im bestehenden Recht vorhandene Pflicht der Gemeinden, ihre Flächennutzungspläne alle 15 Jahre überprüfen zu lassen, wird ersatzlos gestrichen. Wir sind der festen Überzeugung, dass die Kommunen sehr wohl in der Lage sind, eigenverantwortlich zu beurteilen, ob und wann sich ihre Stadtentwicklung verändert. Sie können das mit Sicherheit besser beurteilen als wir von Berlin aus. Dazu bedarf es keiner gesetzlichen Regelung und Gängelung. Mit der Streichung der Überprüfungspflicht für Flächennutzungspläne werden den Kommunen unnötige Kosten erspart. Gleichzeitig wird auch hier überflüssige Bürokratie abgebaut. Lassen Sie mich abschließend feststellen: Wir schaffen heute ein Gesetz für eine moderne Stadtentwicklung, das im Sinne der Subsidiarität den Ländern und Kommunen vielfältige Möglichkeiten eröffnet, unserem Anspruch „Vorfahrt für Arbeit“ gerecht wird, neuen privaten Initiativen der Bürgerinnen und Bürger und der Immobilienwirtschaft eine rechtliche Basis schafft und gleichzeitig neue Perspektiven für die Innenentwicklung unserer Städte und Gemeinden eröffnet. Wir schaffen ein Gesetz, das Natur und Umwelt schützt und damit auch einen Beitrag zum Klimaschutz - wir haben vorhin eine Debatte zu diesem Thema geführt - leistet, Verfahren vereinfacht und beschleunigt, Bürokratie vor allem in den Rathäusern abbaut und damit Zeit und Steuergelder spart. Wir leisten damit nach unserer Auffassung einen wichtigen Zukunftsbeitrag im Hinblick auf den wirtschaftlichen und demografischen Wandel in unserer Gesellschaft. ({2}) Die Städte und Gemeinden haben es in der Hand, den großen Instrumentenkasten, den das Baugesetzbuch bietet, zu nutzen und das Instrument herauszugreifen, das für ihren Patienten Innenstadt am besten geeignet erscheint. Die erste Beratung des Gesetzentwurfs fand vor eineinhalb Monaten statt. Wir haben es geschafft, unseren ehrgeizig gesteckten Zeitplan einzuhalten, innerhalb weniger Wochen die parlamentarischen Beratungen abzuschließen und ein gutes Gesetz auf den Weg zu bringen. Es kann nach der erwarteten Zustimmung des Bundesrates am 1. Januar kommenden Jahres in Kraft treten. Ich bin sicher, dass die Kommunen die neuen Möglichkeiten, die wir heute beschließen, sehr schnell aufgreifen werden, Herr Kollege Döring, damit in Deutschland zügig investiert werden kann, neue Arbeitsplätze entstehen und die Qualität unserer Innenstädte weiter verbessert wird. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Heidrun Bluhm von der Fraktion Die Linke. ({0})

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich einmal vor, Sie wohnen in einer Stadt und schauen von Ihrem Balkon auf einen begrünten Platz und vielleicht sogar auf einen See. Plötzlich kommt ein Investor, der dort ein Einkaufszentrum bauen, Handel ansiedeln, Arbeitsplätze und Umsätze schaffen will. Damit er das Vorhaben durchführt, wird ihm ein schnelleres Verfahren ermöglicht und er wird von der Verpflichtung zum Grünausgleich in der Innenstadt befreit. Dann verändert sich nicht nur Ihre Aussicht aus dem Fenster, sondern Ihre Immobilie ist vielleicht nur noch die Hälfte wert. Wenn wir also selbst betroffen sind, sehen wir vieles egoistisch. Wenn Sie dann im Planverfahren der Verwaltung Ihre Bedenken schriftlich mitteilen, müssen Sie feststellen, dass diese in dem beschleunigten Verfahren kein Gewicht haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Bluhm, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Döring?

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Döring.

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Bluhm, was halten Sie von dem Fall aus der Landeshauptstadt Hannover, in dem es nach einer Bebauung, einer Versiegelung eines zentralen städtischen Platzes, zum Abbruch von 14 Kilometern geteertem Radweg im Stadtwald kommt? Halten Sie einen solchen Grünausgleich tatsächlich für das Mittel der Wahl, um die Erfüllung der von Ihnen zu Recht angesprochenen Belange sicherzustellen?

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Im gegebenen Fall gibt man der Natur eine Ausgleichsfläche im außerhalb der Stadt gelegenen Speckgürtel zurück. Die Erfüllung von Umweltbelangen darf nicht als lokaler oder regionaler, sondern muss als globaler Prozess betrachtet werden. Insofern bin ich in jedem Fall dafür, dass dann, wenn an einer Stelle Flächen versiegelt werden, an anderer Stelle Flächen entsiegelt werden. Darauf, ob sie so weit entfernt sein müssen wie in dem von Ihnen geschilderten Fall, komme ich gleich in meiner Rede zurück. Nur so viel: In der Innenstadt muss Grün erhalten bleiben. Das Gesetz wird aber letztendlich dazu führen, dass es irgendwann keinen Baum mehr in der Stadt gibt, es sei denn, wir pflanzen uns welche auf die Dachterrasse. ({0}) Mit dem Gesetz, das als Entwurf vorliegt, wird die demokratische Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger sowie vor allem der Naturschutzverbände und anderer Träger öffentlicher Belange wesentlich eingeschränkt. Innerstädtische Grünzüge und Freiräume sind wichtige Elemente der Wohn- und Wohnumfeldqualität, Herr Döring, und bedürfen erfahrungsgemäß des besonderen Schutzes vor konkurrierenden Ansprüchen. Auch die Innenentwicklung hat ihre Grenzen, nämlich dann, wenn Lebensqualität auf der Strecke bleibt, wenn Verdichtung und Vernichtung von Natur und Umwelt stattfinden und damit Erstickung droht. In den Kommunen, in denen es aktuelle Umweltkataster gibt, kann auch ein „normales“ Planverfahren zügig realisiert werden. Durch die mangelhafte Berücksichtigung der Umweltbelange wird in der Praxis nicht ein Beschleunigungseffekt, sondern ein Verzögerungseffekt eintreten; denn der Gesetzentwurf widerspricht dem Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuches an EURichtlinien. Erst 2004 wurde die Umweltprüfung in Deutschland auf das Niveau der europäischen Norm angehoben. Heute, zwei Jahre später, schaffen wir diese teilweise wieder ab. Der EuGH stellt heraus, dass die Festsetzung von Schwellenwerten gerade nicht auf der Grundlage von Grundstücksgrößen geschehen darf. Auch wenn es noch keine Urteile dazu gibt, ist nach InKraft-Treten des Gesetzes genau damit verstärkt zu rechnen. Dann ist jede Verfahrensbeschleunigung dahin. Zielführend wäre die bessere Ausnutzung bestehender Spielräume im Verfahren selbst oder die Aufhebung der Trennung bei der Beteiligung von Öffentlichkeit und Trägern öffentlicher Belange. Dann ließe sich eine wirkliche Verfahrensbeschleunigung ohne Preisgabe inhaltlicher Standards erreichen. ({1}) Der Naturschutzbund fasst in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf - aus meiner Sicht: kurz und richtig - zusammen: Das geplante Gesetz wird seine Zielsetzung kaum erreichen, weil sich die damit angestrebten so genannten Verfahrensbeschleunigungen regelmäßig als Verfahrensbremsen erweisen. Denn gerade umfangreichere Vorhaben der Innenentwicklung stoßen in der Öffentlichkeit auf ein reges Beteiligungsinteresse. Eine wie von der Bundesregierung jetzt vorgesehene rudimentäre Beteiligung der ÖffentHeidrun Bluhm lichkeit würde den politischen Unmut weiter befördern. Meine Redezeit erlaubt leider nicht, Herrn Großmann ausführlich für die Zusammenarbeit zu loben. Aber eines möchte ich an dieser Stelle noch sagen: Herr Döring, wenn Sie so hocherfreut über dieses Gesetz sind und es befürworten, dann macht das uns noch skeptischer. ({2}) Mein Fazit: Das Gesetz ist nicht geeignet, Entbürokratisierung und nachhaltige Stadtentwicklung in Einklang zu bringen, den Flächenverbrauch zu reduzieren und die Verfahren zur Festsetzung von Bebauungsplänen zu beschleunigen. Das Gesetz schränkt demokratische Mitbestimmung und Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger zugunsten innerstädtischer Verdichtung ohne Umweltausgleich weiter ein. Aus diesen Gründen habe ich meiner Fraktion empfohlen, dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen. Danke schön. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Hettlich vom Bündnis 90/Die Grünen.

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der demografische Wandel wird einen erheblichen Einfluss auf unsere Siedlungsstrukturen haben. Wenn man sich die Prognosen beispielsweise vom BBR anschaut, dann sieht man, dass sich darüber hinaus ein Widerspruch auftut. Wir werden weniger Menschen und wir werden trotzdem mehr Siedlungsflächen in Anspruch nehmen. Siedlungsflächen bedeuten zusätzliche Verkehrsflächen. Damit wären wir bei dem Thema, über das im Rahmen des vorherigen Tagesordnungspunktes diskutiert wurde, dem Klimaschutz. Wir Grüne hatten vor drei Wochen eine Veranstaltung zum ökologischen Bauen. Unsere Experten aus verschiedenen Instituten haben deutlich gemacht, dass die klimaschädlichen Entwicklungen, die sich daraus ergeben können, möglicherweise alle Bemühungen, die wir im Augenblick bei der energetischen Gebäudesanierung machen, konterkarieren. Deswegen ist es dringend notwendig, den Flächenverbrauch zu reduzieren und gezielte Maßnahmen zu ergreifen, die dem entgegenwirken. Die Strategie, die Innenentwicklung der Städte zu fördern, ist grundsätzlich richtig. Da stimmen wir mit allen überein. Wir sind aber der Meinung, dass die Maßnahmen, insbesondere die Novellierung des Baugesetzbuches, die gerade einmal zwei Jahre nach der letzten Novellierung stattfindet, untauglich sind und damit dieses Ziel nicht erreicht wird. Wir sind auch der Meinung, dass diese Gesetzesänderung zusätzlich zu einer Verunsicherung der betroffenen Kommunen führt; denn die Behauptung, die Kommunen könnten selber entscheiden, ob sie nach dem beschleunigten Verfahren vorgehen wollen oder nicht, trifft nicht zu. ({0}) Wir wissen, dass dies nicht greift, weil viele Kommunen in einem mörderischen Wettbewerb mit anderen Kommunen stehen. Die Kannibalisierungstendenzen gerade in diesem Bereich sind weithin bekannt. Deswegen verbessern wir ihre Situation durch diese Gesetzgebung nicht. ({1}) Ich will auch noch eines zu den Kollegen der ehemaligen Koalition sagen. Liebe Kollegen, Sie räumen eine Menge der Positionen, die wir in den letzten sieben Jahren gemeinsam eingenommen haben. Ich finde es sehr bedauerlich, dass Sie immer wieder davon sprechen, dass Umweltschutz in diesem Bereich ein Hemmnis ist, und dass Umweltverbände als Bedrohung der wirtschaftlichen Entwicklung angesehen werden. ({2}) Wir haben beim Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben genau dieses Problem diskutiert. Die Beschneidung von Beteiligungsrechten ist aus meiner Sicht ein ganz gravierendes Manko des komischen Stils, der sich jetzt Bahn bricht. Heute Abend werden wir noch über das Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz diskutieren. Ich möchte gerne wissen, wie Sie erklären, wie Sie das, was wir hier beschließen, mit der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie der EU kompatibel machen wollen. Darauf bin ich wirklich gespannt. ({3}) Wesentliche Kritikpunkte unserer Fraktion an dem Gesetz betreffen das Verfahren. Viele Verbände haben uns geschrieben, dass es absurd sei, dass im Juli die letzten Überleitungsfristen endeten, aber jetzt schon wieder ein neues Gesetz auf den Weg gebracht werde. Wir im Verkehrsausschuss haben die letzten Änderungen einen halben Tag vor den Beratungen bekommen. Das zeigt, dass offensichtlich hinter den Kulissen eine ganze Menge Druck geherrscht hat, bestimmte Dinge zu ändern. In einem ordnungsgemäßen Verfahren hätten wir dafür genügend Zeit haben müssen. Es hat zwar einige begrüßenswerte Änderungen gegeben, aber der zentrale Kritikpunkt ist die Abschaffung der Umweltverträglichkeitsprüfung und die Abschaffung des Umweltberichts in § 13 a. Die Kollegin Bluhm hat das sehr deutlich gemacht. Wir haben das erst vor zwei Jahren in das Baugesetzbuch eingeführt. Jetzt nehmen wir es wieder heraus. Das ist aus unserer Sicht ein echter Schwachpunkt dieses Gesetzes. Deswegen werden wir dem Gesetz nicht zustimmen. ({4}) Wir haben in den Berichterstattergesprächen ausdrücklich nachgefragt, wie man auf die Schwellenwerte gekommen ist. Man hat versucht, das aus dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz herzuleiten. Wir haben uns das noch einmal angeschaut. Wir können nur feststellen: Größe ist nicht das alleinige Kriterium. Es geht auch um die qualitative Seite bei der Inanspruchnahme von Flächen. Dem wird mit diesem Gesetz überhaupt nicht Rechnung getragen. Das Gesetz verstößt nach unserer Sicht gegen das Umweltrechtsbehelfsgesetz. Wir werden sehr gespannt darauf sein, was die Rechtsprechung dazu sagen wird. Wir finden, dass dieses Gesetz keine Rechtssicherheit für die Kommunen schafft und möglicherweise kein Beschleunigungs-, sondern eher ein Verlangsamungsgesetz ist. Deswegen werden wir diesem Gesetz nicht zustimmen. Danke schön. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat die Kollegin Petra Weis von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Petra Weis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003657, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der heute von uns zu beschließende Gesetzentwurf zur Erleichterung von Planungen für die Innenentwicklung der Städte ist nicht nur Bestandteil des Koalitionsvertrages, sondern auch des Programms der Bundesregierung zum Bürokratieabbau. Ich glaube, die Kollegen Götz und Döring hatten schon darauf hingewiesen. Das allein würde diesem Gesetzentwurf, zumindest aus der Sicht einer Koalitionsparlamentarierin, schon seine eigene Legitimation verleihen. Mir ist aber viel wichtiger, zu betonen, dass wir mit diesem Gesetz einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung gehen, und zwar deswegen, weil wir unserem obersten Ziel näher kommen, den Städten und Gemeinden bei der Bewältigung des strukturellen Wandels, in dem sich fast alle von ihnen in der einen oder anderen Weise befinden, zu helfen. Es geht uns darum, den Städten und Gemeinden darüber hinaus ein weiteres Stück Verantwortung für ihre eigene Entwicklung zu geben. Aber im Gegensatz zu meinem Vorredner bin ich aufgrund meines anthropologischen Optimismus’ der Auffassung, dass die Kolleginnen und Kollegen vor Ort mit dieser Verantwortung auch sorgfältig umgehen werden. Gerade vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung müssen wir dem Grundsatz „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ absolute Priorität beimessen. Es sind vor allen Dingen die älteren Menschen, die freiwillig oder unfreiwillig allein Lebenden und nicht zuletzt die jungen Familien, die auf ein adäquates Wohnraumangebot und eine umfassende Infrastruktur in den Zentren - nicht nur der großen Städte - angewiesen sind. Mit diesem Gesetz haben wir nicht nur die Sicherung der Zentralität und damit auch der Urbanität unserer Städte im Blick. Durch die zügige Nutzung von Brachflächen und ungenutztem Bauland im Sinne einer Nachverdichtung tragen wir auch zur Reduzierung des Flächenverbrauchs bei. Das ist eine ganz wichtige Zielsetzung. Nicht zu vergessen ist der dritte gewünschte Aspekt, der den beiden anderen in seiner Bedeutung natürlich in nichts nachsteht. Es geht um die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen durch Investitionen. ({0}) Wenn wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Gesetz die Möglichkeit flexiblerer und damit im Endeffekt auch zügigerer Planungs- und Genehmigungsverfahren schaffen, dann tun wir das im ureigenen Interesse der Städte und Gemeinden. Diese wiederum müssen die ihnen übertragenen Möglichkeiten in der Zukunft verantwortungsvoll nutzen. Sie - die Städte und Gemeinden - müssen natürlich ein frühzeitiges Gespür für mögliche Konflikte entwickeln und müssen versuchen, einen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen herzustellen. Das müssen sie gerade angesichts beschleunigter Verfahrensschritte, die ich aber nachdrücklich unterstütze. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben die Zeit seit der ersten Lesung des Gesetzentwurfes dafür genutzt, uns mit den Ergebnissen des Praxistests durch das Deutsche Institut für Urbanistik auseinanderzusetzen. Wir haben zahlreiche Korrekturwünsche der am Test beteiligten Städte, die das Gesetz als solches übrigens unisono begrüßt haben, in den Gesetzentwurf integriert. Dasselbe gilt natürlich für die vielfältigen Anregungen des Bundesrats und der kommunalen Spitzenverbände. Wir haben darüber hinaus - das ist schon angesprochen worden - Regelungen aufgenommen, wie beispielsweise die Möglichkeit für die Länder, rechtliche Regelungen für die Einrichtung so genannter HIDs oder BIDs zu erlassen. Diese Öffnungsklausel hilft hoffentlich, an die innerstädtischen Grundstückseigentümer zu appellieren, ihr Engagement vor dem Hintergrund einer gar nicht mehr so selbstverständlichen Wertsteigerung ihrer Grundstücke und Immobilien in innerstädtischen Problemlagen tatsächlich zu verstärken. Jetzt habe ich noch gar nicht davon gesprochen, dass es neben dem rechtlichen Handlungsbedarf vor allen Dingen die in den Innenstädten lebenden Menschen selbst sind, die ihren Städten neuen Glanz verleihen werden. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob die Städte und Gemeinden mit diesem Angebot, das wir ihnen hiermit unterbreiten, sorgsam umgehen werden und ob die Zielsetzung des Gesetzes, die wir bei allen Unterschieden in der Bewertung und gleich im Abstimmungsverhalten miteinander teilen, tatsächlich erreicht werden wird. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die neuen Planungsinstrumente, die wir den Städten und Gemeinden nun an die Hand geben, ein zusätzliches Angebot neben den vorhandenen Verfahren darstellen. Diejenigen Städte und Gemeinden, die vor entsprechenden Herausforderungen stehen, werden es mit entsprechender Verantwortung nutzen. Bei den anderen wird es nach dem Motto laufen: Alles wie gehabt. Ich bin daher wie schon in meinem Redebeitrag im September durchaus zuversichtlich, dass sich das Gesetz als praxistauglich im Sinne der Erfinderinnen und Erfinder erweisen wird. Ich darf mich dem Dank an alle Beteiligten, an unser Haus und an die Kolleginnen und Kollegen Berichterstatterinnen und Berichterstatter in den Fraktionen anschließen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir in den kommenden Jahren einen sorgsamen Blick auf die Umsetzung des Gesetzes haben werden. Ich bin mir aber auch sicher, dass wir damit der nachhaltigen Stadtentwicklung deutlichen Vorschub leisten. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte, Drucksachen 16/2496 und 16/2932. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3308, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der FDP bei Gegenstimmen von den Fraktionen Die Linke und des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie zuvor angenommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3330. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Zustimmung der Fraktionen Die Linke und des Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Zeil, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP ERP-Vermögen ungeschmälert für Mittelstandsförderung erhalten - zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Matthias Berninger, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ERP-Sondervermögen in seiner Vermögenssubstanz erhalten - Drucksachen 16/382, 16/548, 16/1018 Berichterstattung: Abgeordnete Sabine Zimmermann Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Parlamentarischen Staatssekretär Hartmut Schauerte für die Bundesregierung das Wort.

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden heute im Rahmen einer Debatte über Anträge der Grünen und der FDP über das ERP-Vermögen. Ich möchte daran erinnern, wie das European Recovery Program überhaupt entstanden ist. 1949 gab es ein Entschuldungsabkommen über bis dahin von den Amerikanern erbrachte Hilfsleistungen für das zerstörte Deutschland. Dieses Entschuldungsabkommen ist so geregelt worden, dass Deutschland einen Grundstock an Vermögen bilden musste, statt Rückzahlungen zu tätigen. Mit diesem Vermögen wurde Wirtschaftsförderung betrieben. Interessant ist, dass das damalige Vermögen nach heutigen Preisen einen Wert von etwa 3,5 Milliarden Euro gehabt hätte. Heute hat es einen Wert von etwa 12,5 Milliarden Euro. Es ist also im Laufe der Jahre gewachsen. Der Inflationsprozess wurde ausgeglichen, das heißt, seine Substanz ist erhalten worden. Ich möchte in diesem Zusammenhang eine zweite historische Bemerkung machen. Dieses Vermögen war zunächst für ganz andere Zwecke - Förderung von Grundstoffindustrien, Energieversorgung - gedacht. Erst 1996 wurde durch Erträge dieses Vermögens erstmals die Innovationsförderung von kleinen und mittelständischen Unternehmen betrieben. Erst 1997 wurde durch Erträge dieses Vermögens erstmals Eigenkapitalhilfe gezahlt. In den Folgejahren ist es immer stärker zum zentralen Instrument der Finanzierung des Mittelstandes geworden. Uns eint die Sorge: Was wird daraus? Wie können wir es möglichst für diejenigen Zwecke erhalten, denen wir es gewidmet sehen wollen? Dieses Vermögen selbst - auch das muss hinzugefügt werden - ist nie angetastet worden; vielmehr hat man immer nur die Zinserträge verwendet, um Förderprogramme zu verbilligen. Dieses Vermögen war also angelegt. Die Erträge aus diesem Vermögen wurden genutzt, um Kredite zu verbilligen. Dabei kommt ein ganz inte6204 ressantes Volumen heraus: Damit wurden jährlich Kredite in Höhe von etwa 3 bis 4 Milliarden Euro finanziert. Der Gesamtwert des an mittelständische und Umwelttechnologien verwendende Unternehmen geliehenen Vermögens dürfte sich zurzeit auf etwa 18 Milliarden Euro belaufen. Das ist schon eine beachtenswerte Größe. FDP und Grüne haben zu diesem Programm Anträge vorgelegt. Mit diesen Anträgen werden im Wesentlichen Positionen bezogen, die von der Union und von der SPD, aber auch vom Bundeswirtschaftsminister und von der Regierung für wichtig gehalten werden. Es geht um die Erhaltung des Sondervermögens, um das Fördervolumen, um die Selbstständigkeit des Vermögens und um Effizienzgewinne. Ein allzu großer Widerspruch scheint nicht zu bestehen. Ich hoffe, dass wir mithilfe der aktuellen Entwicklungen eine gewisse Grundübereinstimmung erzielen. Wir hatten sie in der Vergangenheit und können sie möglicherweise auch in der Zukunft haben. Was ist passiert? Wir haben uns entschieden, hier nicht drum herumzureden, sondern einmal den aktuellen Stand zu liefern, den wir jetzt auch in der Regierungsverhandlung haben; das verlangt der Respekt vor dem Hohen Hause. Das alles ist noch nicht fertig; wir sind mitten in dem Prozess. Die Öffentlichkeit ist zum Teil informiert. Ein paar Dinge bedürfen noch der Feinabstimmung. Ich gehe auch aus dieser Runde gleich noch in eine weitere Abstimmung. Insofern gibt es eine Reihe von Dingen, die noch unter einem gewissen Vorbehalt stehen. Das ist also noch nicht ganz fertig. Im Übrigen gibt es dann einen parlamentarischen Prozess, in dem wir miteinander intensiv beraten müssen, was wir denn für vernünftig halten. Ich will einmal einige Eckpunkte vortragen: Erstens. Das ERP-Sondervermögen bleibt nach der Einbringung in die KfW als zweckgebundenes Sondervermögen ausschließlich der Mittelstandsförderung gewidmet. Dieser Grundsatz bleibt. Zweitens. Die Ausgestaltung der Förderung erfolgt wie bisher durch ein ERP-Wirtschaftsplangesetz in der Zuständigkeit des BMWi und natürlich in der Zuständigkeit des Parlaments - wie bisher, ungeschmälert, nicht reduziert. Sie wissen, dass wir in der Koalitionsvereinbarung und in den Genshagener Beschlüssen verabredet haben, dass 2 Milliarden Euro aus diesem ERP-Vermögen zur Haushaltskonsolidierung herausgenommen werden sollen und dass etwa 14 Milliarden Euro - aus Forderungen aus Krediten und den Gegenfinanzierungsverbindlichkeiten, die sich in etwa die Waage halten - ebenfalls zur Liquiditätsverbesserung an den Bundeshaushalt abfließen sollen. Vor diesem Hintergrund haben wir versucht, eine Vereinbarung zu erzielen. Wir haben Gutachter damit beauftragt, das einmal zu berechnen und zu ermitteln, wie das gehen kann. Das alles wissen Sie. Wir sind nun zu folgendem Ergebnis gekommen: Wir nehmen die 2 Milliarden Euro, wie im Koalitionsvertrag vereinbart - nichts anderes wird eine große Koalition verabreden -, heraus und stellen sie dem Finanzminister zur Haushaltskonsolidierung zur Verfügung. Dann gab es lange die Frage: Können wir trotz der Herausnahme dieser 2 Milliarden Euro, also der Schmälerung des Sondervermögens, durch intelligentere, optimierte, effizientere Anlagestrategien dennoch die Zinsen erwirtschaften, die notwendig sind, um das Fördervolumen beizubehalten? Wir haben zunächst gedacht, dass das möglich ist. Aber das ist ausgesprochen schwierig. Denn wir hätten, wenn wir dieses Zinsvolumen hätten erreichen wollen, möglicherweise Unsicherheit, also Risiko, in Kauf nehmen müssen. Sie kennen den alten kapitalistischen oder marktwirtschaftlichen Grundsatz: Je höher der Ertrag sein soll, desto größer ist das Risiko, das man in Kauf nehmen muss. - Wenn wir die Zinsen aus diesen 2 Milliarden Euro hätten zusätzlich erwirtschaften wollen, hätten wir riskantere Anlagestrategien als bisher nicht ausschließen können. Deswegen sind wir zu dem Ergebnis gekommen, einen anderen Weg zu suchen. Der Weg ist gefunden worden: Die 2 Milliarden Euro, die wir zu Haushaltszwecken an den Finanzminister abgeben, werden dem ERPSondervermögen wieder zugeführt, und zwar durch Auflösung von Rücklagen und dadurch, dass Rückstellungen von ihrem Risiko befreit werden, sodass wir auch in Zukunft von einem ungeschmälerten Umfang des ERPSondervermögens ausgehen können. Dieses ungeschmälerte Vermögen wird angelegt. Es ist ja auch in der Vergangenheit angelegt worden. Die Frage ist, wie wir es anlegen. Wir hätten es, wie gesagt, den allgemeinen wettbewerblichen Anlagestrategien von Globalplayern oder großen Banken überantworten können. Wir haben uns aber dazu entschieden, es in die KfW einzubringen, mit einer Hälfte ins Eigenkapital und mit der anderen Hälfte ins Nachrangkapital. Aus diesem Eigenkapital und Nachrangkapital erwächst die Verpflichtung, mindestens 590 Millionen Euro pro Jahr an Zinsen zu erzielen. Das ist auch der Ertrag, den die Gutachter ermittelt hatten. Wenn man die Inflationsrate herausrechnet, ist das der Ertrag, den wir auch in der Vergangenheit im Jahr durchschnittlich erzielt haben, sodass wir auf das gleiche Zinsvolumen zurückgreifen können, um weiterhin Mittelstandsförderung wie in der Vergangenheit betreiben zu können. ({0}) Das ist eine wichtige Voraussetzung für dieses Projekt. Damit erreichen wir sogar - das ist ein ganz interessanter Aspekt -, dass wir das Problem bei den Gesprächen mit den Amerikanern über die Frage: „Was passiert denn mit dem Vermögen?“ relativ leicht lösen können. Wir können den Amerikanern nämlich mit Fug und Recht sagen: Das Vermögen ist nicht geschmälert; das, was sich ändert, ist die Anlagestrategie. Bereits bisher war ein Teil des Vermögens in der KfW angelegt; dort fielen auch die Erträge an. Ein weiterer Teil war auf dem Markt angelegt. Nun haben wir uns entschieden, auch um Doppeleffekte zu erreichen, diesen zweiten Teil ebenfalls im Vermögen der KfW anzulegen und die ErParl. Staatssekretär Hartmut Schauerte träge daraus weiterhin ungeschmälert der Mittelstandsund Wirtschaftsförderung zufließen zu lassen. Das bedeutet, dass das Sondervermögen erhalten bleibt und dass die Zuständigkeiten für das Sondervermögen erhalten bleiben, es aber nicht mehr so disponibel wie in der Vergangenheit ist, wo man einfach an die Substanz gehen konnte, um ein Sonderprogramm zu fahren. Jetzt ist es durch den Eigenkapitalcharakter stärker geschützt. Das stellt zum einen eine Erschwernis dar, aber zum anderen auch eine Verbesserung bezüglich der Substanzerhaltung. Wir verlieren bei dieser Operation etwas Freiheit bei der Gestaltung, aber gewinnen an Stabilität. Deswegen glaube ich, dass man dieses Vorhaben vertreten und diesen Weg gehen kann. Wenn sich die Dinge weiter in diese Richtung verfestigen, wie ich es zum gegenwärtigen Zeitpunkt besten Wissens und Gewissens vortrage, lade ich Sie alle herzlich ein, gemeinsam zu überlegen, wie wir die parlamentarische Begleitung ausgestalten, und über die Zukunftsperspektiven der Kreditanstalt für Wiederaufbau und darüber zu reden, was es für die Politik der KfW bedeutet, einen so großen Batzen zusätzlich an Kapital zu bekommen. All das muss geklärt werden. Gemeinsame Aufgabe ist jetzt, all das zu klären, sowohl zwischen den beteiligten Häusern wie auch im parlamentarischen Beratungsverfahren. Ich glaube, gemeinsam können wir das schaffen. Es geht schließlich um einen wichtigen Baustein der Mittelstandsfinanzierung in Deutschland. Diesen möchten wir auch für die Zukunft ungeschmälert sichern. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Martin Zeil von der FDP-Fraktion.

Martin Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003868, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute hat dieses Parlament die Gelegenheit, den Anschlag des Finanzministers auf ein bewährtes Förderinstrument des Mittelstandes abzuwehren. Herr Schauerte hat ja etwas zurückhaltend den Streit zwischen seinem Ministerium und dem Finanzministerium um die so genannte Neuordnung wiedergegeben. Seit gestern kennen wir ja zumindest anhand von Agenturmeldungen die Umrisse der daraufhin erzielten Einigung. Trotz aller Formulierungskunst konnten Sie mich, Herr Schauerte, nicht überzeugen. Ich fürchte, es wird so sein wie oft bei dieser Regierung: Es kommt noch schlimmer als befürchtet. ({0}) Wir sollten einmal festhalten, was Sie gesagt haben, Herr Schauerte: Es bleibt bei der Abführung von 2 Milliarden Euro aus dem Treuhandvermögen des Mittelstandes; diese wird also nicht zurückgenommen. Sie handeln dann im Grunde nach der Devise: Der Appetit kommt beim Essen. Das übrige Vermögen wird nämlich der KfW als Eigen- und Nachrangkapital übertragen. Dazu haben Sie zwar nicht sehr viel gesagt, aber es wird deutlich, dass das im Grunde das Ende der Trennung des ERP-Sondervermögens von dem Vermögen des Bundes ist, wie es seit 1953 durch das Gesetz über die Verwaltung des ERP-Sondervermögens vorgesehen war. ({1}) Auch alle Koalitionskosmetik kann darüber nicht hinwegtäuschen. Auf dem Papier mag es ja so sein, dass das Wirtschaftsministerium weiterhin für die Ausgestaltung der Förderung zuständig ist. Rechtlich und faktisch wird aber künftig die KfW das Sagen haben. Derjenige nämlich, in dessen Bilanz das Vermögen steht, hat künftig das Sagen. ({2}) Die Zielrichtung dieser Geldverschiebung hat mit Mittelstandsförderung nicht mehr sehr viel zu tun. Das ist ja in den Meldungen auch angedeutet worden. Sie wollen die Staatsbank KfW zum einen in die Lage versetzen, Bundesanteile an ehemaligen Bundesunternehmen wie der Telekom zu übernehmen, also Akte der Scheinprivatisierung zu setzen, zum anderen soll eine mögliche Beteiligung an EADS vorbereitet werden. ({3}) Das ist Staatswirtschaft statt Marktwirtschaft, und das auch noch mit dem Geld des Mittelstandes. ({4}) Ebenso bemerkenswert ist: Ausgerechnet ein Minister der Heuschreckenbekämpfungspartei SPD will 14,4 Milliarden Euro Forderungen des ERP am Kapitalmarkt platzieren. Das ist turbokapitalistische Bilanzakrobatik zulasten des Mittelstandes, meine Damen und Herren. ({5}) Der Wirtschaftsminister hat sich erneut als mittelstandspolitischer Leichtmatrose erwiesen. Wenn es darauf ankommt, gibt er klein bei; viel Wind und wenig Energie. ({6}) Im Übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es weder zwingend noch außenpolitisch ratsam, wenn Deutschland so tut, als könnte es seine Haushaltsprobleme nur mit fremder Leute Geld lösen. Sie haben sich ja selber überboten im Schulterklopfen, wie gut die Haushaltslage ist. Aus haushalterischer Sicht ist es doch überhaupt nicht zwingend, zu einer solchen Konstruktion zu greifen. Außenpolitisch gesehen ist Ihre Vorgehensweise mindestens peinlich und, wenn man an das Beihilferecht denkt, europarechtlich möglicherweise auch gar nicht wirksam. Dazu haben Sie noch gar nichts gesagt. Sie haben zwar betont, dass Sie mit den Amerikanern Gespräche über das ERP-Vermögen geführt haben; aber man kann nur ahnen - ich erinnere an den Brief des Botschafters -, was die amerikanische Seite dazu sagen wird, wenn aus der verharmlosenden Neuordnung nun doch eine Komplettauflösung wird. Der Beschluss der Regierung ist im Übrigen auch eine Missachtung der einstimmigen Entschließungen des ERP-Unterausschusses. Meine Damen und Herren von der Koalition, mit der faktischen Auflösung des Sondervermögens, mit der Abführung der 2 Milliarden Euro, der Aufgabe der bewährten Verwaltung des Vermögens und möglicherweise - das war noch nicht ganz klar - der parlamentarischen Kontrolle wird eines der ältesten Instrumente der Mittelstandsförderung zerschlagen. Was Sie an dessen Stelle setzen wollen, bleibt nebulös. Eine Verbesserung für den Mittelstand bedeutet dies sicher nicht. Ich appelliere an dieses Parlament, unseren Antrag anzunehmen. Sorgen Sie dafür, dass das Sondervermögen nicht angegriffen wird und uns außenpolitische Peinlichkeiten erspart bleiben! ({7}) Es ist ja schon schlimm genug, meine Damen und Herren von der Koalition, wenn Sie das Geld von Steuerund Beitragszahlern als beliebige Verfügungsmasse betrachten, anstatt es an sie zurückzugeben. Aber hier, bei der Plünderung des Treuhandvermögens des Mittelstandes, sollten Sie von der Fortsetzung dieses staatswirtschaftlichen Ansatzes absehen. Heute ist die letzte Chance vor den Haushaltsberatungen, dies zu verhindern. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Christian Lange von der SPD-Fraktion.

Christian Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003168, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin Ihnen, Herr Staatssekretär, dankbar, dass wir uns nicht bei den Anträgen der Opposition aufhalten, sondern dass Sie die Chance ergriffen haben, hier gleich den Zwischenstand der Verhandlungen frank und frei zu schildern, wenngleich ich trotzdem sagen möchte, dass wir in der SPD-Fraktion uns alle, denke ich, ein anderes Vorgehen gewünscht hätten. ({0}) Denn es ist ohne Zweifel so, dass wir, getrieben durch die Tickermeldungen von gestern, jetzt hier einen Zwischenstand zu erörtern haben, der vielleicht Wirklichkeit wird, vielleicht aber auch nicht. Die Schuld an diesem Vorgehen freilich liegt weniger bei der Regierung - so hoffe ich mal; wer auch immer das durchgestochen haben mag. Meine Damen und Herren, wie ist die Ausgangslage? Die Koalitionsfraktionen hatten sich erstens darauf verständig, das ERP-Programm zu erhalten und zugleich 2 Milliarden Euro an den Bundeshaushalt abzuführen. Von daher, Herr Zeil, kann keine Rede davon sein, dass wir jetzt überraschenderweise 2 Milliarden Euro von dem Programm abzwacken würden. Das war von vornherein klar; Haushaltskonsolidierung in Höhe von 2 Milliarden Euro war unser Ziel und das setzen wir jetzt um. Zweitens. Im Unterschied zu Ihnen habe ich bereits in meiner ersten Rede, die ich in diesem Zusammenhang gehalten habe, zu Ihrem Antrag gesagt, dass wir als Sozialdemokraten die haushalterische Zuordnung des ERPVermögens nicht für den zentralen Punkt halten, sondern für uns ist der zentrale Punkt, wie die Mittel verwandt werden: Werden sie der Mittelstandsförderung zugeführt oder nicht? Das ist für uns das Kriterium; das sage ich ausdrücklich. Deshalb meine ich, dass „Zerschlagung von Mittelstandsförderung“ hier etwas zu starker Tobak ist. So viel muss doch der Gerechtigkeit halber gesagt werden. Drittens. Ich habe mir die Ergebnisse des ERP-Unterausschusses und den Beschluss angeschaut. Da ist in der Tat die zentrale Anforderung, dass die Förderkraft des Sondervermögens ungeschmälert erhalten bleibt. Das ist das, worauf sich auch das Parlament verständigt hat, auch Sie und alle hier; das war einstimmig. Jetzt stellt sich die Frage, ob diese Vorhaben unter Anwendung des Modells, das hier vorgestellt worden ist, gelingt. Ich will nicht verschweigen, dass auch ich noch die eine oder andere Frage dazu habe. Zum Ersten werden 2 Milliarden Euro aus dem ERPSondervermögen an den Bundeshaushalt abgeführt. Als Kompensation hierfür überträgt das Bundesfinanzministerium Rücklagen in Höhe von rund 1 Milliarde Euro auf das ERP-Sondervermögen. Zugleich werden risikofreie Rückstellungen in Höhe von 1 Milliarde Euro beim ERP-Sondervermögen aktiviert. Zum Zweiten übernimmt der Bund Forderungen und Verbindlichkeiten des ERP-Sondervermögens in Höhe von 14,4 Milliarden Euro. Die eine Hälfte des disponiblen ERP-Sondervermögens in Höhe von 9,3 Milliarden Euro wird der KfW als Eigenkapital, die andere Hälfte als Nachrangkapital zur Verfügung gestellt. Die KfW verwendet das ERP-Sondervermögen so - das ist das Ziel dieses Vorgehens -, dass die Substanz und die Ertragskraft des Vermögens erhalten bleiben. Wenn dies so ist - ich sage ausdrücklich: wenn dies so ist -, dann wird die Hürde USA in der Tat genommen. Denn die Befürchtung der Vereinigten Staaten von Amerika war, dass dies möglicherweise nicht der Fall sein könnte. Wir werden im parlamentarischen Verfahren darauf zu achten haben, ob das wirklich so eintritt. Wir alle sind uns einig - dazu gibt es einen einstimmigen Beschluss -, dass wir darauf achten müssen. Für mich ist eine wichtige Frage, ob es gelingt, den Einfluss des Deutschen Bundestages auf das Vermögen sicherzustellen, wenn dieses Geld zur KfW gewandert ist. Das ist für mich ein ganz zentraler Punkt. Ich sage Ihnen, Herr Staatssekretär, dass wir darauf achten werden. Denn wir wollen, dass der parlamentarische Einfluss nach wie vor erhalten bleibt. Wenn die Mittelstandsförderung ungeschmälert erhalten bleibt und wenn unser Einfluss sichergestellt ist - ich sage Ihnen ausdrücklich, dass ich das augenblicklich Christian Lange ({1}) noch nicht abschließend beurteilen kann -, dann können wir einem solchen Kompromiss zustimmen. In diesem Sinne herzlichen Dank für die Diskussion und die Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Sabine Zimmermann von der Fraktion Die Linke. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Bundesregierung hat sich auf die Fahne geschrieben, den Haushalt zu sanieren und den Mittelstand zu fördern. Hätten Sie sich auf die Fahne geschrieben, den Sozialstaat auszubauen: Kein Mensch würde Ihnen glauben. Hätten Sie gesagt, wir machen eine Politik für die Rentnerinnen und Rentner in diesem Land: Kein Mensch würde Ihnen glauben. Denn die Mehrheit der Menschen weiß inzwischen, dass jede Reform der Bundesregierung einen Griff ins Portemonnaie für jeden Einzelnen bedeutet. Das gilt auch für die Neuordnung des ERP-Sondervermögens. Wie sieht es aber nun mit der Haushaltssanierung und der Mittelstandsförderung aus? Wenn wir uns den Umgang mit dem ERP-Sondervermögen ansehen, wissen wir, wie es um die zentralen Ziele der Bundesregierung bestellt ist. Die Regierung plant, das ERP-Sondervermögen, das für die direkte Wirtschaftsförderung speziell kleiner und mittlerer Unternehmen bestimmt ist, für einen haushaltspolitischen Taschenspielertrick zu missbrauchen, damit die Neuverschuldung des Bundes besser aussieht, als sie tatsächlich ist. Das Bundeswirtschaftsministerium behauptet, das ERPSondervermögen und die parlamentarische Kontrolle darüber könnten bei dieser Operation erhalten werden. Wenn das stimmen würde, hätten wir es also mit einer reinen Verschleierungsaktion bezüglich der Neuverschuldung zu tun. Dann sollte man eigentlich ehrlicherweise auf sie verzichten. Es ist jedoch nicht so einfach, das Sondervermögen formal zur Haushaltssanierung einzusetzen, es gleichzeitig in seiner Substanz zu erhalten und die parlamentarische Kontrolle zu sichern, die auch Herr Zeil und Herr Lange angesprochen haben. Es scheint sogar so kompliziert zu sein, dass die Regierung einer Aufforderung des ERP-Unterausschusses, bis zum 8. September ein Konzept vorzulegen, bis heute noch nicht nachgekommen ist. Die Links-Fraktion befürchtet daher, dass genau das passieren wird, was der gesunde Menschenverstand nahe legt, nämlich: Das ERP-Sondervermögen wird nicht nur auf dem Papier, sondern tatsächlich zur Haushaltssanierung eingesetzt. Genau darauf läuft auch die Einigung zwischen den Ministern Glos und Steinbrück hinaus. Das war heute auch in den Medien zu lesen. Der Finanzminister sagt gern, Deutschland dürfe nicht länger von der Substanz leben. Seine Art der Haushaltskonsolidierung ist es aber, gerade diese Substanz zu verscherbeln. Der Umgang mit dem ERP-Vermögen ist ein Beispiel dafür. Minister Steinbrücks Finanzplanung sieht vor, dass die Verschuldungsziele in den nächsten Jahren durch Einmalerlöse, also durch Privatisierungen, erreicht werden sollen. Privatisierungen bringen aber nur kurzfristige Einnahmen, die mit dauerhaften Einnahmeausfällen bezahlt werden. Ich denke, das weiß jeder hier im Saal. Das ist aus unserer Sicht keine Haushaltskonsolidierung. ({0}) Privatisierungen sind nicht nur langfristig ein Verlustgeschäft, sie kosten auch wirtschaftspolitische Handlungsmöglichkeiten. Deswegen muss das ERP-Sondervermögen in seiner bisherigen Form erhalten bleiben. Es ist unfassbar, dass Sie jetzt das ERP-Sondervermögen plündern wollen und gleichzeitig die Besteuerung von Kapitalgesellschaften senken. Das zeigt, worum es Ihnen wirklich geht. Ich komme zum Schluss. Haushaltssanierung und Mittelstandsförderung sind bei Ihnen nur Worthülsen, die einzig dazu dienen, eine Politik zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und zugunsten des Großkapitals zu rechtfertigen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat die Kollegin Christine Scheel vom Bündnis 90/ Die Grünen das Wort.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach dem vorangegangenen Redebeitrag möchte ich wieder auf den Kern des Themas kommen. Herr Staatssekretär Schauerte hat die historischen Hintergründe genannt. Er hat auch darauf hingewiesen, welche Entwicklung das ERP-Sondervermögen genommen hat. Das ist eine sehr positive Entwicklung. Wir sehen, dass allein im Jahr 2006 über 4 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Das ist ein großer Erfolg für unsere mittelständischen und kleinen innovativen Unternehmen in der Bundesrepublik. Wir wissen auch, dass das ERP-Sondervermögen mit das wichtigste Instrument der Innovations-, der Mittelstands- und zunehmend auch der Umwelttechnologieförderung geworden ist. Der Bundestag ist seit Jahrzehnten der Hüter dieses Vermögens. Deswegen meinen wir, dass auch jetzt bei dieser Auseinandersetzung der Mut des ganzen Hauses gefragt ist, sich hier klar aufzustellen. ({0}) Wir haben gehört, dass die Ziele des Substanzerhaltungsgebots, des Erhalts der Förderkraft und der fortwährenden Verfügungsgewalt des Bundestags wohl mit Ihren Zielen übereinstimmen. Zumindest hat das in Ihrem Redebeitrag so geklungen. Wir haben auch gesehen, dass sich der Unterausschuss sehr einmütig hinter das alternativ vom Bundeswirtschaftsministerium vorgeschlagene Modell gestellt hat, sodass diese drei genannten Ziele auch umgesetzt werden. Darüber haben wir hier schon diskutiert. Bundeswirtschaftsminister Glos hat sich erst kürzlich - ich glaube, in den letzten ein, zwei Tagen - gegen Haushaltstricksereien ausgesprochen. Er hat in diesem Zusammenhang interessanterweise das ERP-Sondervermögen als besonders schutzwürdig hervorgehoben. Deshalb waren wir ganz zuversichtlich und dachten: Gut, das läuft in die richtige Richtung. Jetzt gibt es diese angebliche Einigung, die bei genauerem Hinsehen aber verschiedene Fragen aufwirft. Ich möchte drei Fragen ansprechen: Erstens. Bleibt die Vermögenssubstanz erhalten? Im Eckpunktepapier steht, dass der Substanzverlust nur durch eine Rücklagenübertragung in Höhe von 1 Milliarde Euro kompensiert werden soll. Die Auflösung von Rückstellungen ist nur eine Kompensation, wenn dem ERP gleichzeitig Lasten in dieser Höhe abgenommen werden. Herr Staatssekretär, ohne Entlastung des ERP werden die USA dieser Substanzentnahme ganz sicher widersprechen. Davon ist wohl auszugehen. Zweitens. Bleibt die Förderkraft des ERP erhalten? Hierzu sagen die unabhängigen Gutachter der Bundesregierung, dass nur bei einer Anlage auf dem Kapitalmarkt und einer Mindestverzinsung von 590 Millionen Euro im Jahr die Förderkraft des ERP-Sondervermögens erhalten bleibt. Aber diese 590 Millionen Euro stehen nicht mehr in Ihrem Konsenspapier. ({1}) - Sie haben sie zwar genannt; aber sie stehen nicht mehr im Konsenspapier. Sie wurden auch nicht an die Presse weitergegeben. Das heißt, wir haben auch hier, was die Summe der Mittelstandsförderung anbelangt, viele Fragezeichen. Drittens. Wer hat die Verfügungsgewalt über das Vermögen? Das ist mit der wichtigste Punkt. Ein Teil des Vermögens geht als Eigenkapital an die KfW. Das KfWGesetz regelt eindeutig, dass der KfW-Vorstand die alleinige Verfügungsgewalt über das KfW-Eigenkapital hat. ({2}) Durch den Einbringungsvertrag und möglichst auch durch eine Änderung des KfW-Gesetzes muss sichergestellt werden, dass das Verfügungsrecht des KfW-Vorstandes nicht für das ERP-Kapital gelten darf. Das steht noch aus. Auch hier gibt es also viele offene Fragen. ({3}) Auch ich meine, dass die Spekulationen, die im Zusammenhang mit der Telekom-Aktie angestellt worden sind, Quatsch sind. Die KfW kann das Ganze aus eigenen Mitteln bestreiten; diese Argumentation braucht man nicht heranzuziehen. Aber die Spekulation, die im Zusammenhang mit dem ERP-Eigenkapital und der EADS-Beteiligung angestellt wurde, ist nicht ganz abzuweisen. Sie steht im Raum. Ich hoffe nur, dass wir hier bald Klarheit bekommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, es gibt eine Reihe offener Fragen. Wir sehen, dass sich Herr Glos zum Thema Haushalt klar aufgestellt hat. Er brüllt ja neuerdings ein bisschen wie ein Bär ({4}) und wird hier und da ein bisschen gestoppt. Aber wenn es passieren sollte, dass er die Verfügungsgewalt verliert und die Förderkraft beschnitten wird, dann wird ihm - so kann man nur sagen - das Fell über die Ohren gezogen. Ich hoffe, wir verhindern das gemeinsam. Danke schön. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 16/1018. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/382 mit dem Titel „ERP-Vermögen ungeschmälert für Mittelstandsförderung erhalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/548 mit dem Titel „ERP-Sondervermögen in seiner Vermögenssubstanz erhalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Auch diese Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften ({0}) - Drucksachen 16/2710, 16/2934 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1}) - Drucksachen 16/3315, 16/3369 Berichterstattung: Abgeordnete Peter Rzepka Lothar Binding ({2}) Dr. Gerhard Schick Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. ({3}) - Darf ich die Kollegen, die der Debatte nicht folgen wollen, bitten, den Saal zu verlassen oder die Plätze einzunehmen. - Danke schön. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks für die Bundesregierung.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das zur Beschlussfassung anstehende Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften, in der Kurzform „SEStEG“ genannt - auch das versteht man eigentlich nicht; aber es ist zumindest kürzer - passt das deutsche Steuerrecht an neuere EUrechtliche Entwicklungen im Gesellschaftsrecht und im Steuerrecht an. Die Fusionsrichtlinie wird umfassend in nationales Recht umgesetzt, die so genannte Wegzugsbesteuerung für natürliche Personen an die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs angepasst und die Europäische Gesellschaft, SE, und die Europäische Genossenschaft, SCE, werden im deutschen Steuerrecht verankert. Dieses Gesetz leistet einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Es erhöht seine Attraktivität. Deutschland verfolgt diese Linie offensiv, indem es erstmals EU-weit grenzüberschreitende Umwandlungen ermöglicht und die EU-Fusionsrichtlinie komplett umsetzt. Die Unternehmen können so ohne steuerliche Hemmnisse die Rechtsform von Kapitalgesellschaften annehmen und sich ganz nach ihren betriebswirtschaftlichen Bedürfnissen grenzüberschreitend strukturieren. Vor allem die Neukonzeption des Einbringungsteils des Umwandlungssteuergesetzes, der die Umwandlung von Personengesellschaften in Kapitalgesellschaften regelt, eröffnet den Steuerpflichtigen diese Möglichkeiten. Aber auch zahlreiche andere Umwandlungsformen sind nunmehr ohne Rücksicht auf die Staatsgrenzen möglich. Besonders zu erwähnen ist - ich verweise auf die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses -, dass die steuerneutrale Sacheinbringung von inländischem Vermögen, die Einbringung von Anteilen an Kapitalgesellschaften aus Drittstaaten und die Einbringung in Personengesellschaften nicht davon abhängig gemacht werden, ob an den Unternehmen nicht in der EU ansässige Personen beteiligt sind. Die Beseitigung steuerlicher Hemmnisse ist aber damit verbunden, dass Deutschland von den ihm zustehenden Besteuerungsrechten klar und eindeutig in angemessenem Umfang Gebrauch macht. In diesem Gesetz kommt das klassische do ut des, Geben und Nehmen, zum Tragen. Mit dieser Sicherung deutscher Besteuerungsrechte unterstützt das Gesetz das Anliegen der Unternehmensteuerreform, dass Unternehmen ihre in Deutschland erwirtschafteten Gewinne auch hier versteuern. ({0}) Gerade im Hinblick auf die erweiterten Möglichkeiten zur grenzüberschreitenden Umwandlung muss sichergestellt werden, dass in Deutschland geschaffene Werte auch in Deutschland versteuert werden. Deshalb werden die Regelungen zur Entstrickung in diesem Gesetzentwurf systematisch zusammengefasst und fortentwickelt. Zur effektiven Sicherung unserer Besteuerungsrechte sieht der Regierungsentwurf in Fällen der Verlagerung von Vermögen ins Ausland grundsätzlich eine sofortige Besteuerung der stillen Reserven vor. Etwas anderes wäre zu gestaltungsanfällig und kaum administrierbar. In Fällen, in denen Wirtschaftsgüter in eine Betriebsstätte innerhalb der Europäischen Union verbracht werden, wird die Besteuerung allerdings auf fünf Jahre zeitlich gestreckt, und zwar mittels der so genannten Ausgleichspostenmethode. Nach eingehender Diskussion empfiehlt der Finanzausschuss auch, die im Regierungsentwurf vorgesehene Missbrauchsklausel zu streichen. In der Expertenanhörung wurde die Streichung unter Hinweis auf den allgemein bekannten § 42 der Abgabenordnung gefordert. Allerdings ist die Überzeugungskraft dieses Arguments bisher leider sehr begrenzt; denn wir alle wissen, wie der Bundesfinanzhof zu § 42 der Abgabenordnung steht. Mir jedenfalls ist kein Fall aus dem Unternehmensteuerrecht bekannt, in dem unser oberstes Finanzgericht diese Vorschrift zur Anwendung gebracht hätte. Ich möchte deshalb nochmals mit Nachdruck darauf hinweisen, dass es auch ohne den § 26 des Umwandlungssteuergesetzes nicht Sinn des Umwandlungssteuerrechts ist, ausschließlich steuerlich motivierte Umwandlungen zu fördern. Diese Vorgänge haben nichts mit einer betriebswirtschaftlich sinnvollen Neustrukturierung von Unternehmen zu tun. ({1}) Es bleibt zu hoffen, dass dieses deutliche Signal des Gesetzgebers verstanden wird und dem § 42 der Abgabenordnung zukünftig ein gebührender Platz in unserer Rechtsordnung zuteil wird. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gehen wir ins Offene, sehen wir die Chance des Risikos. Wecken wir die Kraft der Freiheit … - so die Worte der Bundeskanzlerin zum Tag der Deutschen Einheit. Die Bundeskanzlerin wird damit zur Kronzeugin gegen diesen Gesetzentwurf. Mit Ihrem Gesetzentwurf wollen Sie nämlich genau das Gegenteil erreichen: Sie versuchen, Investoren in Deutschland festzuhalten. Das hat nichts, aber auch rein gar nichts mit „Mehr Freiheit wagen“ oder „Ins Offene gehen“ zu tun. Ihre Politik ist Ausdruck einer Verzagtheit und - das ist besonders bedauerlich - Ausdruck eines fehlenden Vertrauens in den Standort Deutschland. Niemand hier im Hohen Haus findet es begrüßenswert, wenn Unternehmen Wirtschaftsgüter ins Ausland verlagern. Es ist gut, dass die Bundesregierung dieses Thema ernst nimmt. Um das Problem zu lösen, schlagen Sie aber einen völlig falschen Weg ein. Sie fragen nicht, welches die Ursachen für das Problem sind. Sie fragen nicht, warum Unternehmen Betriebsstätten im Ausland unterstützen und Wirtschaftsgüter ins Ausland verlagern. Sie beschränken sich darauf, die Unternehmen in ihrer Flexibilität einzuschränken. Sie bekämpfen damit nicht die Ursachen. Sie agieren nicht, sondern reagieren nur. ({0}) Im Grunde genommen, Frau Staatssekretärin Hendricks, verhalten Sie sich wie ein Hotelier, der feststellt, dass ihm die Kunden davonlaufen, und auf die glorreiche Idee kommt, einfach die Zimmer abzusperren. Das ist eine Politik, von der kein positives Signal ausgeht. Mit dieser Politik werden Sie keine neuen Investoren für unser Land begeistern. Wo sollen die positiven Anreize für die Wirtschaft sein, die von diesem Gesetz ausgehen? Glauben Sie wirklich, dass Deutschland so schlecht ist, dass Sie die Unternehmen hier anketten müssen? Ist es nicht Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass unser Standort von den Rahmenbedingungen her so attraktiv ausgestaltet wird, dass Unternehmen gerne zu uns kommen? Verstehen Sie Deutschland nicht als offenes Land, als Wirtschaftsnation, die selbstbewusst Investoren anwerben kann? Brauchen wir wirklich Steuerschranken, Steuermauern? Das Problem ist doch vor allem, dass die Rahmenbedingungen in unserem Land nicht stimmen. Sie sprechen von Chancen, die man über Risiken stellen sollte, von der Kraft der Freiheit, die es zu wecken gilt; so etwas hören wir immer wieder von Frau Merkel. Man fragt sich, wie diese Finanzpolitik dazu passen kann. ({1}) Sie machen sich mit diesem Gesetzentwurf einen schlanken Fuß, Sie ignorieren die Ursachen und behandeln nur Symptome. Sie werden damit nichts erreichen. Wenn Sie versuchen, Unternehmen hier festzuhalten, ist die Konsequenz, dass Neuinvestoren diesen Standort künftig meiden werden. Was daran verantwortliche Politik sein soll, Politik zur Stärkung der Unternehmenslandschaft in Deutschland und vor allen Dingen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in unserem Land, diese Erklärung bleiben Sie schuldig. ({2}) Die Einschränkung der Verlustvorträge spricht doch eine deutliche Sprache: Wer keine Verluste akzeptiert, der akzeptiert auch keine Risiken. Und wer keine Risiken akzeptiert, hat auf Dauer keine Chancen. So einfach ist das, so deutlich wurde das auch in der Anhörung ausgesprochen und so deutlich kann man auf den Punkt bringen, warum dieser Gesetzentwurf traurig stimmt. Frau Merkel hat einmal gesagt: Sehen wir doch die Chancen vor dem Risiko! Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der großen Koalition: Wenn Ihre Kanzlerin Ihnen eine solche Vorgabe macht, warum handeln Sie nicht danach? Warum wagen Sie nicht mehr Freiheit? Warum führen Sie unser Land nicht ins Offene? Das Gleiche gilt für die Streckung der Besteuerung von verlagerten Wirtschaftsgütern auf fünf Jahre. ({3}) Im ursprünglichen Entwurf der Regierung war es noch katastrophaler. Sie haben das etwas verbessert. Die Beratungen im Finanzausschuss waren an dieser Stelle durchaus sinnvoll und hilfreich. ({4}) Nur, am Ende ist immer noch nichts Gutes herausgekommen. Wir alle reden von Bürokratieabbau und halten das hoch. Doch jetzt machen Sie eine Ausnahme, eine Sonderregelung: Über fünf Jahre hinweg soll verfolgt werden, was mit dem Bagger geschieht, der in eine Betriebsstätte ins Ausland verbracht worden ist. Was das mit Vereinfachung, mit Bürokratieabbau zu tun hat, das müssen Sie uns erklären! Eine solche Regelung schränkt die Flexibilität der Unternehmen ein. Dabei geht es den Unternehmen schon nicht gut. Es wird ihnen mit diesem Gesetz noch schlechter gehen. ({5}) Dieses Gesetz ist für den Wirtschaftsstandort Deutschland, der an einer erheblichen Fehlausrichtung leidet, insgesamt ein falsches Signal. Was falsch ist, wird nicht dadurch besser, dass man es auf fünf Jahre verteilt. Ich kann Sie nur auffordern: Gehen Sie ins Offene! Sehen Sie die Chancen vor dem Risiko und wagen Sie mehr Freiheit! Überarbeiten Sie Ihren Gesetzentwurf! Legen Sie etwas vor, was dem Selbstbewusstsein der Deutschen und ihrem Vertrauen in den Wirtschaftsstandort gerecht wird! Wir können stolz sein auf das, was Deutschland leisten kann, und haben es nicht nötig, Investoren einzusperren, Schranken aufzubauen. Das ist nicht das, was die FDP unter Deutschland versteht, und nicht das, was Sie als Bundesregierung als Bild von Deutschland zeichnen sollten. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Rzepka von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Rzepka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundestag berät heute in zweiter und dritter Lesung das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft. Damit werden der steuerliche Rahmen für die Europäische Gesellschaft und die Europäische Genossenschaft geschaffen und die Richtlinie des Rates vom Februar 2005 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, in nationales Recht umgesetzt. Mit dem Gesetz wollen wir steuerliche Hemmnisse für grenzüberschreitende Umstrukturierungen von Unternehmen beseitigen und die Möglichkeiten zur freien Wahl der Rechtsform verbessern. Künftig sollen europaweit die gleichen Grundsätze für inländische und für grenzüberschreitende Umstrukturierungen von Unternehmen gelten. Außerdem wollen wir die steuerlichen Regelungen für die Einbringung von Betrieben, Teilbetrieben und Anteilen neu gestalten. Der Gesetzentwurf soll ein weiterer Schritt zur Herstellung des gemeinsamen Marktes in der Europäischen Union sein. Auch das Steuerrecht muss den fortschreitenden internationalen wirtschaftlichen Verflechtungen Rechnung tragen. Vor allem geht es uns aber um die Stärkung des Standortes Deutschland für Investitionen, Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD Dabei verkennen wir nicht, dass es notwendig ist, die deutschen Besteuerungsrechte und das deutsche Steueraufkommen zu sichern; denn durch EU-weite Umstrukturierungen und die Verlagerung von Vermögenswerten über die Grenze kann der Zugriff des deutschen Fiskus auf das Steuersubstrat erschwert oder sogar unmöglich gemacht werden. Zielsetzung für uns in der Union war es aber auch, die Normen so auszugestalten, dass wir die europäischen Vorgaben umsetzen, ohne die Unternehmen mit zusätzlichen Steuern zu belasten; denn vor dem Hintergrund der vergleichsweise hohen nominalen und effektiven Steuerbelastung der deutschen Unternehmen schwächen Steuererhöhungen den Standort. Außerdem stehen sie im Gegensatz zu dem Ziel der geplanten Unternehmensteuerreform, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu stärken. In der Anhörung der Sachverständigen am 18. Oktober 2006 sind wesentliche Regelungen des Gesetzentwurfes der Bundesregierung auf nahezu einhellige Kritik gestoßen. Die Union hat aus dieser Kritik Konsequenzen gezogen und gemeinsam mit dem Koalitionspartner den Entwurf in wesentlichen Punkten geändert. ({0}) So haben wir erstens die Sofortversteuerung stiller Reserven bei Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu einer im Ausland gelegenen Betriebsstätte aus dem ursprünglichen Entwurf gestrichen. Das hätte bei den Unternehmen einen sofortigen Liquiditätsabfluss bedeutet, ohne dass diesen durch Abschreibungen der verbrachten Wirtschaftsgüter oder durch Veräußerungen Liquidität zugeflossen wäre. Stattdessen werden wir in solchen Fällen der Entstrickung die über einen Zeitraum von fünf Jahren gestreckte Besteuerung der stillen Reserven ermöglichen. Das ist eine wesentliche Erleichterung für die Unternehmen. ({1}) Zweitens konnten wir eine massive Schlechterstellung deutscher Personengesellschaften mit Gesellschaftern in Drittstaaten verhindern. Sie waren aufgrund des Umwandlungssteuergesetzes bislang in der Lage, Unternehmensteile unterhalb der Obergesellschaft steuerneutral in Tochterkapitalgesellschaften oder Tochterpersonengesellschaften einzubringen. Diese Möglichkeit sollte ihnen gemäß dem ursprünglichen Gesetzentwurf selbst dann genommen werden, wenn deutsches Steuersubstrat durch den Umwandlungsvorgang in keiner Weise gefährdet worden wäre. Aufgrund unserer Initiative wird es aber bei der bisherigen Rechtslage bleiben. Herr Kollege Wissing, ich wünschte mir, dass Sie sich in Ihrer Rede und vor allen Dingen auch im Finanzausschuss etwas intensiver mit diesen Verbesserungen auseinander gesetzt hätten und dass Sie, wie wir das getan haben, durch Eigeninitiative mehr Beiträge zur Verbesserung des Gesetzentwurfs in den Finanzausschuss eingebracht hätten. ({2}) Drittens konnten wir durchsetzen, dass bei Einbringungsvorgängen Zuzahlungen bzw. sonstige Gegenleistungen bis zur Höhe der Buchwerte steuerlich nicht als Veräußerung behandelt werden. Die geplante Veräußerungsfiktion hätte bedeutet, dass es zu einer anteiligen Gewinnrealisierung gekommen wäre. Dies wäre insofern nicht sachgerecht gewesen, als sich nicht jeder Einbringungsvorgang mit der Gewährung von Gesellschaftsanteilen an der aufnehmenden Gesellschaft vollständig ausgleichen lässt. Viertens haben wir erreicht, dass die Regelungen des Umwandlungssteuergesetzes auf Fälle der Hinzurechnungsbesteuerung nach dem Außensteuergesetz angewendet werden, allerdings mit Ausnahme der Verschmelzung so genannter passiver Gesellschaften. Eine Hinzurechnungsbesteuerung findet nicht statt, wenn in Inlandsfällen das Umwandlungssteuerrecht gelten würde. Fünftens entfällt - Frau Staatssekretärin Hendricks hat das schon erwähnt - die Einführung einer allgemeinen Missbrauchsklausel in das Umwandlungssteuergesetz. Mit § 42 der Abgabenordnung haben wir bereits ein Instrumentarium zur Bekämpfung von Missbrauchsfällen zur Hand. Die Einfügung eines weiteren Missbrauchstatbestandes mit zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffen hätte das Risiko bei notwendigen Umstrukturierungen erhöht und damit den Zielsetzungen des Gesetzentwurfes geschadet. Trotz des Erreichten finden sich auch jetzt noch Regelungen im Gesetzentwurf, die besser unterblieben wären: Verlustvorträge sollen bei Vermögensübertragungen und Verschmelzungen zwischen Kapitalgesellschaften nicht übergehen können, auch nicht bei Inlandsfällen. Dies stellt eine Verschlechterung und in der Praxis eine erhebliche Behinderung dar. In der öffentlichen Anhörung zum SEStEG - Herr Kollege Wissing, Sie haben darauf hingewiesen - haben mehrere Experten bestätigt, dass die erfolgreiche Umstrukturierung und Restrukturierung eines Unternehmens in der Krise davon abhängig sein kann, ob die Möglichkeit besteht, einen Verlust zu nutzen. Als Grund für die Versagung der Nutzung von Verlustvorträgen wurde angeführt, dass nur so die so genannte Hineinverschmelzung europäischer bzw. ausländischer Verluste nach Deutschland verhindert werden könne. Ich hingegen meine, dass dies in Anlehnung an die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs auch dadurch hätte geregelt werden können, dass solche Verlustvorträge nicht im Inland, sondern nur in ausländischen Betriebsstätten genutzt werden dürfen. Auch in Art. 6 der steuerlichen Fusionsrichtlinie wird lediglich verlangt, dass der Verlustvortrag im Rahmen der Besteuerung der verbleibenden Betriebsstätte zu berücksichtigen ist. Die bei Umwandlung einer Kapitalgesellschaft in eine andere Kapitalgesellschaft anfallenden Übernahmegewinne und Übernahmeverluste sollen grundsätzlich steuerlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings werden, sofern Übernahmegewinne anfallen, 5 Prozent dieser Gewinne für die übernehmende Körperschaft steuerpflichtig. Bei Weiterausschüttung wird erneut besteuert, sodass es sogar zu Doppelbesteuerungen kommen kann, die grundsätzlich vermieden werden sollten. Darüber hinaus ist die Einlagenrückgewähr aus Drittstaatengesellschaften als Dividende zu besteuern, was aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar ist. Der vorliegende Gesetzentwurf ist trotz dieser Mängel ein weiterer Schritt zur Herstellung des Binnenmarktes der Europäischen Union und zur Stärkung des Standortes Deutschland im Sinne von Investitionen, Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen. Der ursprünglich vorgelegte Gesetzentwurf ist durch die Koalitionsfraktionen im Finanzausschuss deutlich verbessert worden. In Anbetracht des Erreichten und vor dem Hintergrund der Notwendigkeit von Kompromissen in einer Koalition bitte ich Sie deshalb um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Weitere Verbesserungen zur Ausweitung der Regelungen über die EU hinaus mit der Folge der Stärkung unserer im internationalen Wettbewerb stehenden Unternehmen bleiben dessen ungeachtet auf der Tagesordnung der Steuerpolitik. Abschließend möchte ich mich bei den Kolleginnen und Kollegen, insbesondere beim Berichterstatter der SPD, Herrn Lothar Binding, für das sachorientierte und wirklich gute Klima in den Verhandlungen bedanken. ({3}) Mein Dank gilt auch den Fachleuten des Bundesfinanzministeriums für die konstruktive und sachliche Begleitung dieses Gesetzgebungsprozesses. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Axel Troost von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Axel Troost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003857, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Entwurf eines Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften hat das Finanzministerium ordentliche Arbeit geleistet. Das ist wirklich ein Schritt in die richtige Richtung. ({0}) Das muss man, wie ich meine, auch dann sagen, wenn man in der Opposition ist. ({1}) In Zukunft wird es für Unternehmen schwerer, durch Verlagerungen und Fusionen die Zahlung von Steuern zu umgehen, und das ist auch gut so. Aber leider bleiben Sie mit Ihrer Politik auf halbem Wege stehen. Vieles von dem, was Sie jetzt im Zusammenhang mit Verlagerungen innerhalb Europas vorschlagen, muss konsequent zu Ende gebracht werden. Vieles davon muss auch in nationales Steuerrecht umgesetzt werden. Vieles davon würde zu mehr Steuergerechtigkeit führen. Ich will nur zwei Beispiele nennen: Ein Unternehmen wird innerhalb Europas in einen Staat mit niedrigeren Unternehmensteuersätzen verlagert. ({2}) Bislang konnte das Unternehmen die stillen Reserven mitnehmen und am neuen Unternehmenssitz zu den niedrigeren Steuersätzen versteuern. Das geht in Zukunft nicht mehr. In Zukunft müssen Unternehmen stille Reserven vor einer Verlagerung aufdecken und versteuern. Damit werden die stillen Reserven dort besteuert, wo sie entstanden sind. Das ist ohne Frage eine sinnvolle Änderung. Aber warum machen Sie eine solche Besteuerung der stillen Reserven nicht zur Regel, und zwar auch für Unternehmen, die in Deutschland bleiben? Es wäre zum Beispiel durch eine Reform des Bewertungsgesetzes möglich, stille Reserven erst gar nicht entstehen zu lassen. Allein die stillen Reserven, die in den Immobilien der Unternehmen versteckt sind, würden mittelfristig 10 Milliarden Euro jährlich mehr in die Kassen bringen. Warum haben Sie nicht den Mut, das anzugehen? Warum verzichten Sie auf diese SteuereinDr. Axel Troost nahmen, statt sie im Rahmen der Unternehmensteuerreform zu erschließen? Ein zweites Beispiel. In Zukunft ist es unmöglich, dass bei einer Fusion ein Unternehmen die Verlustvorträge des anderen übernimmt und so langfristig Steuern spart. Dieses Verbot ist sinnvoll, weil Fusionen oft wegen dieses Steuervorteils stattgefunden haben. Das war eine Strategie, um systematisch Steuern zu minimieren. Aber warum schränken wir die Möglichkeiten für Verlustvorträge und Verlustrückträge nicht grundsätzlich ein, sondern nur bei Fusionen? Auch das würde Milliarden in die Kassen bringen. Ich will in diesem Zusammenhang nur eine Zahl anführen, die allerdings schon etwas älter ist - sie geht auf unsere Kleine Anfrage zu diesem Thema zurück -: Ende 2001 hatten die Kapitalgesellschaften Verluste in Höhe von fast 400 Milliarden Euro zu verzeichnen, die die Unternehmen in die nächsten Jahre mitnehmen mussten. Das sind 400 Milliarden Euro weniger, die versteuert werden. Lassen Sie uns dieses Steuergeschenk in Milliardenhöhe angehen. ({3}) Lassen Sie uns nicht auf halbem Weg stehen bleiben. Lassen Sie uns Verlustrückträge grundsätzlich abschaffen und Verlustvorträge wie in den meisten anderen europäischen Ländern auf maximal fünf bis sechs Jahre begrenzen. Das alles würde Mehreinnahmen in Milliardenhöhe bringen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der SPD. Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu und hoffen, dass er ein Ansporn für die anstehende Unternehmensteuerreform ist. Wir hoffen, dass Sie viele der Grundsätze, die zur Reduzierung der Steuervermeidung und Steuerhinterziehung führen, in nationales Recht umsetzen und dafür sorgen, dass die Unternehmensteuerreform möglichst aufkommensneutral erfolgt, um weitere Verluste zu vermeiden. Danke schön. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gerhard Schick für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen wird diesem Gesetzentwurf zustimmen. Wir glauben, dass er ein wichtiger Schritt zur Europatauglichkeit unseres Steuersystems ist, und er steht im Einklang mit unserer allgemeinen steuerpolitischen Position. Denn wir halten es für sehr wichtig, die steuerlichen Grundlagen des Binnenmarktes so auszugestalten, dass keine weiteren Hürden entstehen, damit die Unternehmen den Binnenmarkt tatsächlich nutzen können. Es ist zu begrüßen, dass wir die Einführung der Europäischen Gesellschaft und der Europäischen Genossenschaft auch steuerrechtlich begleiten. Selbstverständlich sollen nicht alle Tore geöffnet werden; es geht zunächst darum, dass die in Deutschland entstandenen Werte auch in Deutschland besteuert werden können. Deswegen ist es richtig, dass im Falle eines Rechtsträgerwechsels oder dann, wenn Vermögen aus einem Betrieb abgezogen wird, die Aufdeckung und damit die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt wird. Wir reagieren mit dem Gesetzentwurf auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, in dem die französische Wegzugsbesteuerung als nicht europarechtskonform bewertet wurde. Die deutsche Wegzugsbesteuerung war immer etwas anders ausgestaltet. Aber es ist sinnvoll, dies in diesem Zusammenhang richtig zu regeln. Wir setzen außerdem die geänderte EU-Fusionsrichtlinie um und bringen so unser Steuerrecht europarechtlich voran. Ich finde, der Entwurf ist insgesamt ausgewogen. Herr Wissing, ich hätte mir gewünscht - es wäre schön, wenn Sie zuhören würden -, ({0}) dass Sie die Abwägungen in der Diskussion über den Gesetzentwurf zur Kenntnis nehmen. Ich glaube jedenfalls, dass dem Gesetz einige schwierige Abwägungen zwischen der Administrierbarkeit und dem Europarecht zugrunde liegen. Wir haben über die Abwägungen in der einen oder anderen Weise entschieden. In der Anhörung wurde deutlich, dass es schwierige Entscheidungsprozesse sind. Angesichts dessen man kann nicht einfach sagen, dass hier Unternehmen angekettet werden. Vielmehr muss man entsprechend den Abwägungen berücksichtigen, welche Alternativen vorhanden sind. Man kann sich sicherlich anders entscheiden. Aber man sollte nicht so tun, als handele es sich hier um ein „Ankettgesetz“. Ich finde, Sie sind in Ihrer Rede der Qualität des Gesetzentwurfs und des Diskussionsprozesses nicht gerecht geworden. ({1}) Ich möchte noch zwei Punkte ansprechen, die für uns wichtig sind und die wir im Ausschuss thematisiert haben. Der erste Punkt war, dass Personengesellschaften Umstrukturierungen auch mit Gesellschaften aus Drittländern auf einfache Weise vornehmen können. Uns war wichtig, dass der europäische Binnenmarkt auch für die mittelständische Wirtschaft erschlossen wird. - Dazu hatten wir einen Antrag eingebracht. Wie Sie wissen, hat sich dieser im Verfahren erledigt, weil wir uns einig waren. Beim zweiten Punkt, nämlich der Missbrauchsbekämpfung, waren wir uns nicht einig; Frau Staatssekretärin hat diesen Punkt bereits angesprochen. In der Anhörung gab es nämlich nicht nur ein, sondern zwei Positionen. Die einen haben die Streichung des § 26 Umwandlungssteuergesetz, der auf Art. 11 der EU-Fu6214 sionsrichtlinie basiert, gefordert. Die anderen verlangten hingegen eine präzisere Fassung dieses Paragrafen. Ich glaube, es hätte durchaus die Möglichkeit gegeben, eine Präzisierung vorzunehmen und eine Sicherung gegen Missbrauch einzuführen; denn aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu Cadbury Schweppes ist nicht eindeutig abzuleiten, ob diese Regelung unbedingt gestrichen werden muss. Es ist sicherlich extrem wichtig, wirtschaftlich motivierte Umstrukturierungen zu erleichtern; das wollen wir. Aber wir dürfen der Steuergestaltung nicht gleichzeitig Tür und Tor öffnen. Wir hätten uns eine Präzisierung gewünscht, die auf überzeugende Weise Rechtsklarheit schafft und § 42 der Abgabenordnung noch eine ergänzende Spezialnorm hinzufügt. Sie sind einen anderen Weg gegangen. Da das Gesetz insgesamt ein wichtiger Schritt hin zu einem europatauglichen Steuersystem ist, stimmen wir trotz dieses Kritikpunktes zu. Danke. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich nun das Wort dem Kollegen Lothar Binding für die SPDFraktion.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da wir es mit einem relativ komplizierten Gesetz zu tun haben, möchte ich mich dem Dank von Herrn Rzepka für die sehr gute Kooperation anschließen. Ich glaube, man sieht am Ergebnis, dass hier sachorientiert diskutiert wurde. Das ist nicht ganz selbstverständlich, insbesondere wenn man bedenkt, dass wir in sechs bis acht Punkten nicht einer Meinung waren. Trotzdem haben wir nun einen für beide Seiten mehr oder weniger erträglichen Kompromiss erzielt. Ich möchte außerdem dem Bundesfinanzministerium danken, insbesondere den Herren Möhlenbrock, Rennings und Scheuerle und last, but not least Frau Staatssekretärin Hendricks. Nach meiner Meinung hat uns das Bundesfinanzministerium sehr gut unterstützt. Das war sicherlich keine einfache Aufgabe. Zudem möchte ich mich bei Joachim Poß für eine Bemerkung bedanken. Er hat gesagt, die Überschrift der Rede, die Herr Wissing gehalten hat, könnte etwa „Freiheit für Steuerhinterzieher“ lauten. Das Besondere war dabei die Physiognomie von Herrn Wissing: Er hat so wissend gelächelt; vielleicht dachte er, dass daran etwas Wahres ist. ({0}) Herr Troost, Ihre Idee einer kontinuierlichen Besteuerung der stillen Reserven ist sicherlich verlockend. Aber man darf nicht vergessen, was das für die Liquidität der Unternehmen und die Bewertung der Grundstücke bedeutet und - last, but not least - welchen Verwaltungsaufwand das zur Folge hat, wenn man das kontinuierlich macht. Das muss man in den Blick nehmen, um zu erkennen, dass Ihr Vorschlag theoretisch vielleicht nicht schlecht ist, aber in der praktischen Anwendung sicher auf große Schwierigkeiten stößt. Zum Stichwort Anketten möchte ich nur Folgendes sagen: Herr Wissing, das SEStEG ist meines Erachtens das glatte Gegenteil dessen, was Sie sagen; denn das SEStEG ermöglicht es, das europäisch und weltweit operierende Unternehmen zum ersten Mal auch steuerlich europäisch denken können. Kein Unternehmen muss mehr ökonomisch sinnvolle Zusammenschlüsse daraufhin prüfen, ob es Steuern bezahlen muss oder nicht. Ich nenne ein ganz konkretes Beispiel. Die Handysparte eines Unternehmens - bei dem ich gelernt habe - hätte vielleicht gar nicht verkauft werden müssen, wenn die entsprechende Möglichkeit in Europa, die wir jetzt mit dem SEStEG schaffen, damals schon bestanden hätte. Die Sparte nach Korea oder Japan zu verkaufen, ist etwas anderes, als einen Zusammenschluss in Europa zu organisieren, der dazu führt, dass ein Unternehmen entsteht, das aufgrund seiner Größe auf dem internationalen Markt konkurrenzfähig ist. ({1}) - Seien Sie so nett und fragen Sie, wenn ich fertig bin? Ich bin jetzt gerade so schön im Fluss. Ich bin Schwimmer; Sie wissen, dass das deshalb für mich kein Problem ist. ({2}) - Mit Bauklötzen kann ich auch gut umgehen, ebenso mit einem Zollstock. Hier sind Handwerker unter sich. Es ist ganz wichtig, zu wissen, dass das SEStEG diese Möglichkeiten in Europa eröffnet. Wir haben ein gutes Beispiel: Allianz hat eine Holding-SE gegründet. Sie wissen, dass das zumindest die Sicherheit gibt, vor einer Übernahme in einer ganz anderen Weise geschützt zu sein, als wenn es diese Möglichkeit nicht gäbe. Dass die Allianz das machen konnte, hängt mit der speziellen Situation, in der sie sich befindet, zusammen; aber künftig haben diese Möglichkeit auch viele andere. Eine bessere Werbung kann es für den Standort Deutschland im Moment nicht geben. Wir tun mit diesem Gesetz einen großen Schritt zu einer Rechtskonformität in Europa, über die sich letztendlich auch die Gerichtsbarkeit freut, weil die Klageanfälligkeit sinken wird. Es ist wichtig, das zu erwähnen, weil damit deutlich wird, in welchen Rahmenbedingungen wir uns überhaupt bewegen. Wir bewegen uns auf dem Boden der vier Grundfreiheiten, nämlich der Kapitalverkehrsfreiheit, der Warenverkehrsfreiheit, der Dienstleistungsfreiheit und der Niederlassungsfreiheit. Das sind Freiheiten für international agierende Unternehmen. Aber die Freiheit des deutschen Staates, europaweit Steuern zu erheben, gibt es nicht. Wir erkennen hier also eine Asymmetrie. Auf diese Asymmetrie reagiert dieses Gesetz auf eine sehr konstruktive Weise. Es sorgt für faire Besteuerung, aber lässt europäische Gestaltungen zu. Das ist doch immer unser Dilemma: dass sich unsere GesetzgeLothar Binding ({3}) bung im Wesentlichen auf deutsches Staatsgebiet beschränkt, die Konzerne aber international agieren können! Deshalb ist dieses Gesetz so wertvoll. Es hat genau für dieses Dilemma einen Lösungsvorschlag entwickelt. Ich glaube, das war sehr gut. Der Öffnung des Umwandlungsteuerrechts für den europäischen Raum musste natürlich die Sicherung deutscher Steueransprüche gegenüberstehen; denn wir machen auch Politik für unsere Gesellschaft. Die Unternehmen, die in Europa Gewinne erzielen und in Deutschland ansässig sind, machen die Gewinne auf der Basis der Bedingungen, die in Deutschland herrschen, und sie machen sie deshalb, weil sie in unserer Gesellschaft Rückhalt haben. Ich gratuliere jedem Unternehmen, das gute Gewinne macht, und ich glaube, dass ein faires Unternehmen gern Steuern zahlt, um die günstigen Bedingungen für sich in Deutschland zu sichern. Deshalb ist das SEStEG eine sehr gute Basis für die Zukunft. Wenn es uns im zweiten Schritt noch gelingt, das Gesetz zu globalisieren, dann wird es sehr viel einfacher. Darüber müssen wir mit den Ländern reden. Das Bundesministerium und der Bundestag wollten eine Globalisierung. Leider sind die Länder diesen Schritt noch nicht mitgegangen. Ich bin aber guter Hoffnung, dass wir sie überzeugen. Schönen Dank und alles Gute. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, Sie haben zwar Ihre Rede schon beendet, aber wenn Sie die vorher angemeldete Zwischenfrage noch gestatten, dann kann sie jetzt gestellt werden. Bitte, Herr Dr. Wissing.

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Binding, teilen Sie meine Auffassung, dass es nichts mit Steuerhinterziehung zu tun hat, wenn Unternehmen Verluste vortragen können, und teilen Sie meine Auffassung, dass dieses Gesetz die Flexibilität und Mobilität von Unternehmen verringert und nicht erhöht?

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben völlig Recht. Deshalb ist der Verlustvortrag extra erwähnt worden. Das Besondere ist aber, dass man den Verlustvortrag auch grenzüberschreitend nutzen kann, indem man Zwischenwerte bildet, sodass der höhere Wert eines grenzüberschreitenden Guts in der aufnehmenden Bilanz zu höheren Abschreibungen führt und damit der Verlustvortrag sehr wohl genutzt werden kann. Das zeigt wiederum, dass das Gesetz einfach genial ist. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften auf den Drucksachen 16/2710 und 16/2934. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3315, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktionen des Bündnisses 90/Die Grünen und der Linken bei Gegenstimmen der FDP angenommen. Wir kommen zur Dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3362 ({0}). Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und den Stimmen der Fraktionen Die Linke und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP abgelehnt. Damit kommen wir zum Tagesordnungspunkt 12: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Sevim Dagdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Entwicklung der extremen Rechten und die Maßnahmen der Bundesregierung - Drucksache 16/1009 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. - Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin in dieser Debatte der Kollegin Ulla Jelpke von der Fraktion Die Linke das Wort. ({1})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Diese Bundesregierung muss leider zum Jagen getragen werden, wenn es um die Bekämpfung des Neofaschismus geht. Die erschreckende Konzeptionslosigkeit nicht nur dieser Regierung trägt ihren Teil dazu bei, dass Neofaschisten in Deutschland sich leider pudelwohl fühlen können. Die gestern vorgelegte Studie der Friedrich-EbertStiftung belegt das mit erschreckenden Fakten: 8,6 Prozent der Deutschen haben ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild. 15 Prozent sehnen sich nach einem Führer. 15,8 Prozent der West- und 6,1 Prozent der Ostdeutschen zeigen einen manifesten Antisemitismus. Die Zustimmung zu rassistischen Meinungen geht darüber noch weit hinaus: Sie liegt laut Studie bei 44 Prozent bei den Ost- und bei 35 Prozent bei den Westdeutschen. Es ist traurig genug, dass erst die Wahlerfolge der NPD in Mecklenburg-Vorpommern zur Weiterfinanzierung der Strukturprojekte gegen Rechts geführt haben. Aber die Millionen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie sollen eine Entwicklung aufhalten, die mit dem massiven Sozialkahlschlag nach 1990 in Ostdeutschland begann. ({0}) Denn genau diese Politik haben Neonazis genutzt. Wo Jugendklubs und andere soziale Projekte geschlossen wurden, hat die NPD ihre Chancen gewittert, um ihre menschenverachtende Ideologie unter die Leute zu bringen. Wir richten vierteljährlich eine kleine Anfrage an die Bundesregierung und fragen danach, wie viele Hassmusikkonzerte und Nazigroßveranstaltungen stattgefunden haben. Die erste Antwort liegt uns vor. Allein im zweiten Quartal dieses Jahres - das muss man sich einmal vorstellen - haben 40 Großveranstaltungen stattgefunden. Der VS verschweigt uns darüber hinaus noch einige Zahlen, weil er nicht bekannt machen will, dass er möglicherweise Informanten dort hat. Überhaupt zeigt ein Blick in den Verfassungsschutzbericht, wie verharmlost und bagatellisiert wird. Insbesondere nach dem gescheiterten Verbotsverfahren gegen die NPD wurden Schily und sein Ministerium nicht müde, zu betonen, dass die NPD dennoch geschwächt worden sei - eine fatale Fehleinschätzung. Dass die NPD zunehmend zur ersten Wahl junger Menschen geworden ist und sich längst eine Stammwählerschaft aufgebaut hat, spiegelt sich weder in einem Bericht eines der Landesämter für Verfassungsschutz noch im Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz wider. Umso dringlicher ist es, fundierte Analysen - wie die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung -, wissenschaftlichen Sachverstand und Erfahrungen aus der antifaschistischen Praxis heranzuziehen, um endlich politische Gesamtstrategien gegen Neofaschisten und ihre Politik zu entwickeln. ({1}) Ein geeigneter Nährboden für die Neonazis sind leider auch die Ansichten und Haltungen in der so genannten Mitte der Gesellschaft. Ich zitiere aus der oben genannten Rechtsextremismusstudie: Wir haben festgestellt, dass der Begriff „Rechtsextremismus“ irreführend ist, weil er das Problem als ein Randphänomen beschreibt. Rechtsextremismus ist aber ein politisches Problem in der Mitte der Gesellschaft. Das kann nicht ausdrücklich genug betont werden. Dazu nur einige Beispiele aus den letzten Wochen: In der Zuwanderungsdebatte blieb die Äußerung von Beckstein „Wir brauchen mehr Ausländer, die uns nützen, und weniger, die uns ausnützen“ in der Union weitgehend unwidersprochen. In der Zeitschrift „Die Bundeswehr“ des BundeswehrVerbandes wurden - gerade in der letzten Ausgabe Bücher des Ex-KSK-Generals Günzel beworben, der von seinen Soldaten „Disziplin wie in der Waffen-SS“ gefordert und Martin Hohmann nach seinen antisemitischen Äußerungen unterstützt hat. In den letzten Wochen haben die Äußerungen verschiedener Unionsinnenminister gezielt den Eindruck erweckt, dass Flüchtlinge nur nach Deutschland kommen, um Sozialleistungen zu beziehen und zu schmarotzen. Man könnte diese Liste noch endlos fortsetzen. Ich will aber vor allem auf Folgendes hinweisen: Wenn Jugendliche ein rechtsradikales Weltbild für normal halten, dann hat das auch mit diesen geistigen Brandstiftungen aus der so genannten Mitte der Gesellschaft zu tun. ({2}) All das gehört endlich einmal gründlich aufgerollt. Mit unserer Großen Anfrage, deren Beantwortung durch die Bundesregierung offensichtlich lange Zeit braucht - wir haben sie vor fast einem Dreivierteljahr eingebracht, aber sie soll erst im März beantwortet werden; deswegen führen wir zwischenzeitlich diese Debatte -, wollen wir Antworten erzwingen, um das bisherige Versagen der Politik im Kampf gegen Neofaschismus zu thematisieren und darauf hinzuwirken, dass weitere Maßnahmen zu seiner Bekämpfung entwickelt werden. Danke schön. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier für die Bundesregierung.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung nimmt Wahlerfolge rechtsextremer Parteien und extremistische Tendenzen jeder Art sehr ernst. Sie ist entschlossen, einen wirksamen Beitrag zu ihrer Bekämpfung zu leisten. Frau Kollegin Jelpke, Sie haben die Große Anfrage angesprochen. Wir haben angekündigt, dass sie, wie es sich gehört, nach einem überschaubaren Zeitraum beantwortet wird. Seit März 2006 haben wir insgesamt zwölf Kleine Anfragen zu diesem Thema, davon allein elf von der Linken, ({0}) mit 184 Fragen beantwortet. Die jetzige Große Anfrage umfasst 286 Fragen, mit Unterfragen sind es 380. Wir werden unser Bestes tun, um auch diese Fragen zu beantworten. Aber Sie dürfen nicht der Illusion unterliegen, dass man den Rechtsextremismus in Deutschland nur mit Kleinen und Großen Anfragen bekämpfen kann. ({1}) Wenn wir eine wirksame Strategie gegen den Rechtsextremismus und gegen den Extremismus insgesamt entwickeln wollen, dann brauchen wir ein vernünftiges und ausgewogenes Konzept repressiver und präventiver Maßnahmen. Beispielsweise ist es so, dass in deutschen Fußballstadien nicht nur Gewalt stattfindet, sondern auch rechtsextreme und zum Teil antisemitische Parolen gerufen werden. Daher muss der Rechtsstaat seinen Strafanspruch auch in den Fußballstadien durchsetzen. Deshalb sind wir sehr dankbar dafür, dass der Deutsche Fußball-Bund gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium dieses Problem jetzt angeht und konkrete Maßnahmen ergreift. ({2}) Wir haben bereits im Jahr 2005 wichtige Änderungen des Straf- und Versammlungsrechts beschlossen, die auch in Kraft getreten sind und die Möglichkeiten der Behörden verbessern, rechtsextremistische Versammlungen zu verbieten. Wir werden die Beobachtung dieser Organisationen durch den Verfassungsschutz unvermindert fortführen und durch die Strafverfolgungsbehörden einen hohen Verfolgungsdruck aufrechterhalten. Wenn es richtig ist, dass wir auch repressive Maßnahmen brauchen, dann würde ich mir insbesondere auf Ihrer Seite des Hauses, meine Damen und Herren von der Linken, aber auch von manchen Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen mehr Offenheit wünschen, wenn es darum geht, der Polizei und den Nachrichtendiensten die Mittel an die Hand zu geben, die sie zur wirksamen Bekämpfung extremistischer Tendenzen auch tatsächlich brauchen. ({3}) Darüber hinaus brauchen wir auch Prävention. Wir müssen mit diesen Themen sensibel umgehen. Deshalb ist es richtig, dass die Innenminister von Bund und Ländern bereits zu Beginn dieses Jahres eine breit angelegte Aufklärungskampagne über den Rechtsextremismus beschlossen haben. Wir werden in den Schulen mit einem Medienpaket, das den Titel „Wölfe im Schafspelz“ trägt, darüber informieren. Wir werden vonseiten des Innenministeriums in einem ganz konkreten Programm mit sehr genauen und spezifischen Maßnahmen, etwa über das Technische Hilfswerk, in den neuen Bundesländern insbesondere dort, wo junge Menschen dem Werben und der Ideologie der NPD und anderer derartiger Parteien ausgesetzt sind, dafür sorgen, dass es gerade im Bereich der Jugendarbeit Angebote gibt, die jungen Menschen eine Perspektive bieten, sich auch jenseits rechtsextremer Organisationen zu betätigen. Wir werden mit dem THW, mit der Bundespolizei und mit den Strukturen vor Ort in den Ländern und in den Kommunen dafür sorgen, dass solche Angebote entstehen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dagdelen?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Bitte sehr.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär Altmaier, natürlich muss der Extremismus mit Taten bekämpft werden. Aber stimmen Sie mit mir nicht auch darin überein, ({0}) dass es der Sache dienlich ist, wenn Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund ins Licht der Öffentlichkeit gerückt werden, indem Anfragen an die Bundesregierung gestellt und von dieser beantwortet werden? Eine zweite Frage: Sie sagen, Sie hätten Kampagnen gegen Rechtsextremismus und unternähmen viel. Es gab in Durban in Afrika 2001 eine Weltkonferenz, auf der die Bundesregierung - damals übrigens noch rot-grün ({1}) versprochen hat, einen nationalen Aktionsplan gegen Rassismus vorzulegen und umzusetzen. Auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion ist von der Bundesregierung geantwortet worden, dass man es nicht geschafft habe, einen nationalen Aktionsplan zu entwerfen, weil es so schwierig sei, alle Ressorts mit einzubinden. Daraufhin hat der Interkulturelle Rat 2003 einen Vorschlag für einen Aktionsplan vorgelegt - als Hilfestellung für die damalige rot-grüne Bundesregierung.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, ich darf Sie bitten, sich kurz zu fassen. Sie sind fertig?

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte fragen, ob es zu den Handlungen der Bundesregierung gegen Rechtsextremismus gehört, dass dieser nationale Aktionsplan gegen Rassismus, der schon 2001 versprochen wurde, 2006 noch immer nicht auf dem Tisch liegt.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Kollegin Dagdelen, ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, dass wir extremistische Vorfälle offen ansprechen und auch in der Öffentlichkeit thematisieren. Aber das müssen wir mit Verantwortung und Augenmaß tun. Ich erinnere mich daran, in welch aufgeregter Atmosphäre vor der Fußballweltmeisterschaft über angebliche No-go-Areas in den neuen Bundesländern gesprochen worden ist. ({0}) Dann hatten wir einen friedlichen Verlauf der FußballWM und auch seither ist dieses Thema in der öffentlichen Debatte nicht mehr aufgetaucht. Ich glaube, dass man Rechtsextremismus nicht dadurch bekämpft, dass man künstlich eine aufgeheizte Debatte erzeugt, die dann eher solchen Tendenzen Vorschub leistet, als einen wirksamen Beitrag zu ihrer Behebung leistet. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Jelpke? ({0})

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Ja.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, auf Ihre Ausführungen zu den Kleinen Anfragen will ich gar nicht eingehen. Es ist unser gutes Recht als Fraktion in diesem Parlament, Anfragen zu stellen. ({0}) Ich glaube, das war auch sehr nützlich, insbesondere was die beständige Veröffentlichung von Gewalt- und Straftaten von Neofaschisten angeht. Meine Frage bezieht sich auf das NPD-Verbot. Sie wissen, dass das NPD-Verbotsverfahren gescheitert ist, weil Ihr Ministerium nicht bereit war, die V-Leute aus der NPD abzuziehen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, würden Sie sich auf die Frage konzentrieren.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sind Sie bereit, diesbezügliche Schritte zu unternehmen? Zwei Verfassungsrichter haben gesagt, dass man, wenn die Bundesregierung ihre V-Leute abzieht, ein neues Verfahren durchführen könne. Sind Sie dazu bereit? ({0}) - Wieso? Das ist doch bekannt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort zur Antwort.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Kollegin Jelpke, zum einen war das damals nicht mein Ministerium, sondern es handelte sich um das Innenministerium der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben mit dem besagten Verfahren mit Sicherheit keinen Beitrag dazu geleistet, der NPD wirksam entgegenzutreten. Deshalb gilt - diese Haltung wird vom Bundesinnenministerium und von der großen Mehrzahl der Innenminister und Innenministerinnen der Länder geteilt -, dass wir solche Maßnahmen so lange nicht ergreifen, bis sichergestellt ist, dass sie auch zum Erfolg führen. Ich glaube, auch das gehört zu einem verantwortlichen Umgang mit diesem Problem. ({0}) Meine Damen und Herren, ich frage mich schon, wie es kommt, dass die PDS bzw. die Linkspartei so engagiert diese Themen anspricht, aber in den wenigen Ländern, wo sie mitregiert, die Situation vor Ort um keinen Deut besser ist als in anderen Regionen unseres Landes. ({1}) Ich würde mir wünschen, dass jeder in seinem Bereich das tut, was notwendig ist, damit ein gemeinsames Vorgehen von Bund, Ländern und Kommunen möglich wird. Das sind wir diesem Problem und seiner Bedeutung schuldig. Vielen Dank. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Ernst Burgbacher für die FDP-Fraktion. ({0})

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden über ein ernstes Problem, nämlich darüber, dass der Rechtsextremismus offenbar zunimmt. Wir kennen die Wahlergebnisse. Wir kennen auch andere Zahlen. So stellt etwa der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2005 fest, dass die Zahl der Gewalttaten um über 23 Prozent angestiegen ist. Wir reden also über etwas, was wir ernst zu nehmen haben. Ich bezweifele aber, ob solche populistischen Aktionen wie heute irgendeinen Beitrag zur Lösung des Problems leisten. ({0}) Am 20. September dieses Jahres fand hier eine Aktuelle Stunde zu genau demselben Thema statt. Diese war sicherlich auch gerechtfertigt. Jetzt liegt eine Große Anfrage der Linken vor, deren Beantwortung noch nicht erfolgt ist. Ich frage mich, was die heutige Debatte bringen soll. Wenn sie irgendwelche neuen Ansätze aufzeigt, wenn sie irgendwo mehr Klarheit bringt, dann wäre sie angemessen. Ich kann aber Ihren Reden keinen einzigen Punkt entnehmen, der uns weiterbringen würde. ({1}) Ich sage noch einmal deutlich: Die FDP hat es begrüßt, dass die Bundesregierung nun endlich die Mittel für Programme gegen Rechtsextremismus erhöht hat. Wir haben das immer gefordert. Das ist auch gut so. Wir wissen aber auch, dass der Staat hier nicht alleine handeln kann, sondern wir eine ganze Menge privater Initiativen brauchen. Wir müssen allerdings auch überprüfen, was dort getan wird. Ohne die privaten Initiativen vor Ort wird das Problem sicherlich nicht zu lösen sein. Deshalb begrüßen wir diese ausdrücklich. Wir sagen aber genauso - diesen Bereich haben auch Sie, Herr Staatssekretär Altmaier, angesprochen -, wir brauchen eine deutliche Präsenz des Staates, wenn Gewalt bekämpft werden soll. Wir wissen, dass die Präsenz von Polizei vor Ort vieles im Ansatz verhindern kann. Deshalb gilt auch hier: Wir müssen alles tun, damit eine hohe Polizeipräsenz vor Ort gewährleistet werden kann. Hierfür die Mittel herunterzufahren, wäre auch angesichts dieses Problems sträflich. ({2}) Nun ist, meine Damen und Herren, die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die gestern veröffentlicht wurde, schon angesprochen worden. Ich will auf einige wenige Punkte aus dieser Studie eingehen. Ich glaube aber, niemand von uns ist heute in der Lage, Antworten zu geben. Interessant finde ich die Studie aber schon. Da heißt es zum Beispiel: Die Rechtsextremen fühlen sich weniger akzeptiert und in ihrer Umgebung weniger wohl und sicher. Des Weiteren schätzen sie ihre eigene subjektive wirtschaftliche Situation schlechter ein … Zudem schätzten Rechtsextreme im Vergleich zu Nichtrechtsextremen die aktuelle wirtschaftliche Situation Deutschlands als schlechter ein. Wenn wir uns das vor Augen führen, stellen wir fest, dass Lösungsansätze ganz woanders liegen müssen. Wir müssen alles versuchen, dass die wirtschaftliche Situation in diesem Lande wieder so wird, dass die Arbeitslosigkeit sinkt und insbesondere dass die Menschen, auch die jungen Menschen, wieder eine Perspektive für sich selbst sehen, dass sie sehen, dass sie selbst etwas in die Hand nehmen können und die Chance haben, aus ihrer momentanen Situation wieder herauszukommen. Das ist das Allerwichtigste und da gibt es eine Menge zu tun, was wir augenblicklich in diesem Land leider nicht tun. ({3}) Ein Zweites sind die Lebensumstände. Ich erinnere an das Ergebnis der Studie: „Die Rechtsextremen fühlen sich weniger akzeptiert“. Wovon hängt es denn eigentlich ab, ob ich mich akzeptiert fühle? Es hängt sehr stark vom Arbeitsplatz ab, aber in hohem Maße auch davon, ob ich einen Familienverbund um mich herum habe, ob ich in einem Bildungssystem groß geworden bin, das mir nicht nur Wissen einpfropft, sondern auch Selbstbewusstsein vermittelt. Das sind doch die Fragen, die wir heute stellen müssen: Was ist mit unserem Bildungssystem? Wo sind die gesellschaftlichen Strukturen, die den Menschen erlauben, sich selbst zu verwirklichen und zu fühlen, dass sie wieder akzeptiert werden? Offenbar sind das entscheidende Punkte. Es ist sicher richtig, es hängt nicht nur von den wirtschaftlichen Gegebenheiten ab. Das zeigt die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, das wussten wir aber auch schon vorher. Es ist viel zu plump, zu sagen, dort, wo die wirtschaftlichen Verhältnisse ganz schlecht sind, ist der Rechtsextremismus hoch. Aber ganz wesentlich sind die Fragen - ich fasse zusammen -: Wo sind die Strukturen so in Ordnung, dass junge Menschen sich geborgen und akzeptiert fühlen? Wo sind die Strukturen im Bildungssystem so, dass junge Menschen Werte vermittelt bekommen, mit denen sie lebenstüchtig werden? Außerdem müssen die wirtschaftlichen Voraussetzungen den Menschen eine Perspektive geben, die es ihnen erlaubt, an die eigene Zukunft zu glauben. Wenn wir in diese Richtung weitergehen, dann machen wir einen wirklichen Schritt, Rechtsextremismus zu bekämpfen. Herzlichen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun erteile ich das Wort der Kollegin Gabriele Fograscher für die SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Fograscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Rechtsextremismus unserer Zeit hat viele Erscheinungsformen. Neben den Parteien NPD, DVU und den Reps existiert eine Vielzahl von Organisationen, Zusammenschlüssen und Kameradschaften. Sie agieren in den unterschiedlichsten Bereichen des politischen und gesellschaftlichen Lebens. Was sie eint, sind eine Ideologie der Fremdenfeindlichkeit, des Rassismus, des Antisemitismus, des Geschichtsrevisionismus und eine generelle Demokratiekritik. Ihr Ziel ist es, Demokratie zu überwinden. Dabei schrecken sie vor Gewalt nicht zurück. Das belegen die aktuellen Zahlen, die heute schon genannt worden sind: 15 361 rechtsextremistische Straftaten im Jahr 2005; das ist ein Anstieg um 27 Prozent. Aber nicht nur die Straftaten belegen ein Anwachsen des Rechtsextremismus. Es sind die fremdenfeindlichen Übergriffe, die Aufmärsche neonazistischer Organisationen, die Wahlerfolge der rechtsextremen Parteien, eine Vielzahl von Konzerten, Internetseiten, eine Flut von Schriften, CDs mit rechter Musik und Symbolen. All das sind sichtbare Aspekte dieses Phänomens. Dabei verfolgt die NPD eine gezielte Strategie. Sie versucht in den ländlichen Räumen in Vereinen, Bürgerinitiativen und Kommunalparlamenten Einfluss zu ge6220 winnen und das gesellschaftliche Klima zu bestimmen. Leider gelingt ihr das auch. Der Einfluss junger Rechtsextremer in der Partei ist gewachsen. Das schlägt sich auch in der neuen programmatischen Ausrichtung nieder. Während sich die NPD früher als konservativ-antikommunistische Partei sah, versteht sie sich heute als revolutionär-antikapitalistisch. Ihr Ziel ist es, nicht eine Partei unter vielen, sondern eine grundsätzliche Alternative und übergreifende Bewegung zu sein, die vor allem die Alltagskultur durchdringt. Rechtsextremismus ist keine Randerscheinung, sondern ein massives gesellschaftliches Problem. Weder wir als Abgeordnete noch die Bürgerinnen und Bürger dürfen wegschauen. Wir müssen handeln, die Zivilgesellschaft stärken, Demokratie leben und Respekt gegenüber anderen zeigen. Immer wieder wird behauptet, Linksextremismus und islamistischer Extremismus würden unsere Demokratie und unser Land in gleichem Maße gefährden. Doch diese Aussage ist falsch. Denn die Zahlen, die die Grundlage für unsere Politik bilden, sprechen eine eindeutige Sprache: 15 361 rechtsextremistisch motivierten Straftaten stehen 2 305 linksextremistisch und 644 islamistisch motivierte Straftaten gegenüber. Damit ist für mich eindeutig, dass der Rechtsextremismus das größte Problem darstellt, dem wir uns stellen müssen. Rechtsextremismus ist ein Problem in der Mitte der Gesellschaft. Er ist kein Jugendproblem allein. Rechte Einstellungen sind in allen Altersgruppen, in allen Bundesländern und in allen gesellschaftlichen Gruppen vorhanden. Die gestern veröffentlichte Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung belegt, dass jeder zehnte Deutsche rechten Einstellungen und vor allem ausgesprochen ausländerfeindlichen und antisemitistischen Aussagen zustimmt. Das ist besorgniserregend. Der Herr Staatssekretär hat vorhin schon auf die Maßnahmen hingewiesen, die wir ergriffen haben. Wir brauchen die repressiven Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Versammlungsrecht, das wir in der letzten Legislaturperiode beschlossen haben. Die Möglichkeiten, Versammlungsverbote auszusprechen, sind erweitert worden. Damals hatte sich die PDS verweigert und dem Gesetz nicht zugestimmt. Wer sich aber über den Rechtsextremismus empört, der muss ihn auch mit rechtsstaatlichen Mitteln bekämpfen. Die Maßnahmen zeigen Wirkung. Das Verwaltungsgericht Bayreuth hat im Juli 2005 auf Grundlage des neuen Versammlungsrechts den Aufmarsch zum Gedenken an Rudolf Heß in Wunsiedel verboten. Auch am heutigen Tag ist der in München angemeldete Aufmarsch der Rechten aus Anlass der Einweihung der Synagoge verhindert worden. Allerdings - auch das ist Realität in unserem Land - können die Feierlichkeiten in München nur unter sehr großen Sicherheitsvorkehrungen stattfinden. Auch das Strafrecht wurde geändert, um der Verherrlichung der NS-Gewalt- und Willkürherrschaft besser entgegentreten zu können. In diesem Zusammenhang möchte ich mein Unverständnis gegenüber der Staatsanwaltschaft Stuttgart und dem Stuttgarter Oberlandesgericht zum Ausdruck bringen. Hier wurden Menschen angeklagt, die eindeutig ihre antifaschistische Einstellung zum Beispiel durch das Tragen von Buttons mit durchgestrichenen Hakenkreuzen zeigen. Falls das Urteil rechtskräftig werden sollte, muss eine Klarstellung durch ein Gesetz erfolgen. Die Bundesjustizministerin hat dies auch angekündigt. ({0}) Repressive Maßnahmen allein reichen nicht aus. Selbst wenn es uns gelänge, die NPD zu verbieten, müssen wir trotzdem die politische Auseinandersetzung mit dem rechten Gedankengut führen. Die Bundesprogramme, die 2001 durch die rot-grüne Bundesregierung ins Leben gerufen wurden, haben Erfolge erzielt. Es wurden 4 500 Projekte mit insgesamt 192 Millionen Euro gefördert. Ziel dieser Projekte war es, die Zivilgesellschaft zu stärken, Opfern rechtsextremer Gewalt zu helfen und Netzwerke zu schaffen. Es ist gut und richtig, dass die Bundesregierung diese Programme gegen Rechts weiterführt und weiterentwickelt. Es stehen 2007 wiederum 19 Millionen Euro dafür zur Verfügung. Ich will hier noch einmal unseren Berichterstattern Kerstin Griese und Frank Schmidt dafür danken, dass es gelungen ist, weitere 5 Millionen Euro in dem Programm zu verankern, um die Mobilen Beratungsteams und die Opferberatungen weiterführen und auch auf das Bundesgebiet ausdehnen zu können. ({1}) Auch im Bereich der Bundeszentrale für politische Bildung kommt es im kommenden Jahr zu keiner Kürzung der Mittel. Auch die Arbeit des „Bündnis für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt“, das im Jahr 2000 vom BMI und vom BMJ gegründet wurde, ist finanziell abgesichert. Mit dem heutigen Beschluss des Haushaltsausschusses werden die Mittel in Höhe von 700 000 Euro auch hier auf 1 Million Euro aufgestockt. Auch das ist ein gutes Signal. Ich will hier unserer Berichterstatterin Bettina Hagedorn ganz herzlich für ihren Einsatz danken. ({2}) Das Bündnis sammelt und bündelt derzeit circa 1 300 Gruppen und Initiativen. Es zeichnet vorbildliche Projekte aus und empfiehlt diese zur Nachahmung. Wenn Sie bei der Verleihung des Victor-Klemperer-Preises für Demokratie und Toleranz anwesend waren, dann wissen Sie, dass es Mut macht, wenn man sieht, was junge Leute in den Schulen und in den Initiativen auf die Füße stellen, um sich für Toleranz und Demokratie einzusetzen. Allerdings kann der Bund mit seinen Möglichkeiten die Aufgabe nicht allein schultern. Bundesländer und Kommunen müssen sich stärker engagieren. Hier spielt nicht nur die Bildung eine wesentliche Rolle, sondern auch die Unterstützung von lokalen Initiativen in den Kommunen. Hier haben wir ein Problem, denn viele Kommunen schauen immer noch weg und wollen das Problem nicht wahrhaben. Zum Teil behindern sie auch Projekte und Initiativen vor Ort. Deshalb brauchen wir im neuen Programm auch die Möglichkeit, dass örtliche Initiativen ohne Zustimmung der Kommunen Mittel beantragen können, um ihre Arbeit fortführen zu können. ({3}) Es ist und bleibt notwendig, dass sich der Bundestag immer wieder mit dem Thema Rechtsextremismus auseinander setzt. Am 20. November haben wir eine Anhörung zu diesem Thema. Dazu liegen Anträge der Oppositionsparteien vor. Ich appelliere in diesem Zusammenhang auch an den Koalitionspartner, dass es uns bis dahin gelingt, einen gemeinsamen Antrag zu formulieren. Das Thema ist uns zu wichtig, als dass die große Koalition dabei sprachlos bleiben kann. ({4}) Ich komme zum Schluss. Die aktuelle Umfrage ist heute schon mehrfach zitiert worden. Ich glaube, wir alle müssen sie noch einmal genauer lesen und studieren und auch unsere Schlüsse daraus ziehen. Eine aktuelle Umfrage von Infratest dimap zeigt, dass die Zustimmung zur Demokratie sinkt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, ich muss Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

Gabriele Fograscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Im Osten sind nur noch 32 Prozent der Bevölkerung mit der Demokratie zufrieden. Im Westen sind die Werte etwas höher. Auch diese Zahlen müssen für uns Demokratinnen und Demokraten Anlass sein, im Werben um die Demokratie und im Kampf gegen den Rechtsextremismus nicht nachzulassen. Vielen Dank. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Lazar für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Große Anfrage der Linksfraktion spricht an, was auch wir Grünen seit langem immer wieder betonen: Rechtsextremismus wirkt heute in viele Bereiche der Gesellschaft hinein. Dies wird auch durch die aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung bestätigt. Die Bundesregierung sollte deshalb diese umfangreiche Anfrage nicht als lästige Fleißarbeit betrachten, sondern für eine inhaltliche Auseinandersetzung nutzen. Das Klischee eines typischen Rechtsextremisten: jung, männlich, ungebildet, der wieder „normal“ wird, wenn er Freundin und Kinder hat, stimmt so nicht. Zunehmend kommt es zur Gründung „nationaler Familien“, in denen die rechtsextremen Einstellungen weiter gelebt und in die Kindererziehung eingebracht werden. Auch Frauen engagieren sich zunehmend in rechten Parteien und Gruppierungen. Es gibt mittlerweile viele, die im Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus Selbstverwirklichung suchen und sich zunehmend organisieren. Nicht nur die Grenzen zwischen den Geschlechtern werden durchlässiger. Auch Ländergrenzen verwischen immer mehr. Die Strukturen vernetzen sich international. Aber auch in der näheren Umgebung kann jeder Einzelne genügend Probleme erkennen. Einige Beispiele dazu: Am vergangenen Wochenende wird die Journalistin Andrea Röpke in Brandenburg in einem Supermarkt von Rechtsextremen angegriffen; aber niemand half ihr bzw. steht für Zeugenaussagen bereit. In Parey wird Mitte Oktober ein Schüler mit einem antisemitischen Schild um den Hals von Mitschülern über den Schulhof geschickt. In Pretzien wird Mitte Juni bei einer so genannten Sonnenwendfeier das „Tagebuch der Anne Frank“ verbrannt und niemand der Anwesenden findet etwas dabei. In Ratingen kann ein Rentner eine Woche lang eine selbst gebastelte Hakenkreuzfahne von seinem Balkon hängen lassen, bevor Anwohner die Polizei verständigen. Selbst die Polizei ist vor rechtsextremen Angriffen nicht mehr sicher, wie der Vorfall am letzten Wochenende in Gerwisch, wo einem Polizisten die Nase gebrochen wurde, oder der Übergriff aus dem Naziladen „Werwolf“ in Wismar, bei dem die Polizei mit Baseballschlägern bedroht wurde, zeigt. Auch bei Fußballspielen kommt es immer wieder zu rassistischen und antisemitischen Hetzparolen und Übergriffen in und um die Stadien. Es ist beunruhigend, wie oft rechtsextreme, rassistische und antisemitische Ideologie in den Köpfen scheinbar ganz normaler Menschen zu finden ist. Die Ergebnisse von Studien und Umfragen sind meist ernüchternd; die Ergebnisse der aktuell vorliegenden Studie wurden heute schon mehrfach erwähnt. Solche Einstellungen sind aber sozialer und politischer Zündstoff. Die Frage ist nun: Wie können wir dieser gefährlichen Entwicklung entgegenwirken? Zum einen brauchen wir Schadensbegrenzung. Das heißt, wir müssen verhindern, dass sich das Problem ausweitet. ({0}) Zum Zweiten brauchen wir - das ist die eigentliche Aufgabe, wenn wir langfristig Erfolg haben wollen - präventive Ansätze. Wir müssen deshalb Initiativen stärken, die sich für mehr Demokratie vor Ort einsetzen. Das neue Bundesprogramm soll dazu beitragen. Leider hat es einen entscheidenden Fehler: Es verwehrt lokalen freien Trägern, Anträge auf Bundesförderung zu stellen. Vielmehr müssen sie bei den Kommunen betteln gehen. Die Kommunen sind meist überfordert und selbst Teil des Problems. Wir fordern daher von der großen Koalition ein gleichberechtigtes Antragsrecht für freie Träger und Kommunen. ({1}) Ein wichtiger Baustein der Prävention ist eine Bildungspolitik, die, angefangen von der Kita bis hin zur Erwachsenenbildung, auf die Vermittlung demokratischer Kompetenzen setzt. Basis dafür ist ein Menschenbild, das von Anerkennung, Toleranz und Gleichberechtigung geprägt ist. Viele Jugendliche geraten über Angebote im vorpolitischen Raum in die Neonaziszene. Hier sind die Länder und Kommunen in der Pflicht, Orte zu schaffen und zu erhalten, die jungen Menschen gemeinschaftliches Engagement ermöglichen. Die Mittel für Jugend-, Sozialund Kulturarbeit dürfen nicht weiter gekürzt werden. Sie sind eine Investition in die demokratische Zukunft unseres Landes. ({2}) Wir dürfen uns nicht damit herausreden, dass der Bund nicht zuständig ist; denn hier ist jeder gesellschaftliche Bereich gefragt. Aber auch jeder Einzelne in seinem Alltag ist verantwortlich. Für uns Politikerinnen und Politiker gilt das ebenso. Wir müssen die Sorgen der Leute ernst nehmen und uns glaubwürdig um deren Probleme kümmern. Wenn die demokratische Politik das nicht schafft, dann tun das andere. Ich wünsche mir, dass wir der Bevölkerung ein gutes Beispiel geben und in diesem Punkt einen gemeinsamen demokratischen Konsens finden. Vielen Dank. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Gert Winkelmeier. ({0})

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie notwendig die Debatte zum Rechtsextremismus ist und wie notwendig es ist, dass die Bundesregierung Maßnahmen ergreift, zeigen die Zahlen, die gestern veröffentlicht wurden; meine Kollegin Ulla Jelpke hat bereits darauf hingewiesen. Wenn wir heute in der Bevölkerung eine gestiegene Akzeptanz der NPD und anderer faschistischer Parteien feststellen, dann hat das sehr viel mit der Politik des Sozialabbaus dieser und früherer Bundesregierungen zu tun. Erinnern möchte ich deshalb an eine verpasste Chance aus dem Jahre 2003. Das damalige NPD-Verbotsverfahren ist kläglich gescheitert, weil die Richter nicht mehr erkennen konnten, ob die NPD von ihren eigenen Leuten oder von staatlich bezahlten V-Männern des Verfassungsschutzes geführt wurde. ({0}) Auf Führungsebenen der NPD arbeiteten diese V-Leute Hetzkampagnen gegen Minderheiten und die demokratische Verfasstheit dieses Staates aus. Das ist der eigentliche Skandal des damals gescheiterten Verbotsverfahrens. ({1}) Dieses Scheitern hatte böse politische Folgen. Die NPD ist aus dem Verfahren gestärkt herausgekommen, hat mehr Mitglieder, Wähler und Mandate als vor der Einleitung des Verfahrens. Die NPD kann heute unangefochten als Speerspitze den organisierten Rechtsextremismus führen. Es ist sogar so, dass das gescheiterte Verfahren der NPD eine gewisse Legitimierung gebracht hat und dadurch Distanz zu bürgerlichen Kreisen abgebaut wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat mit der Verfahrenseinstellung ein vernichtendes Urteil über die V-MannPraxis der Geheimdienste gefällt. Es hat die Messlatte für ein erneutes NPD-Verbotsverfahren keinesfalls unendlich hoch gelegt. Es hat lediglich zu Recht verlangt, dass diese V-Leute an verantwortlicher Stelle abgeschaltet werden. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Silke Stokar von Neuforn ({2}) Wenn dieser Formfehler der unzulässigen Beweisführung gegen die NPD mittels Zitaten aus Dokumenten und Äußerungen, die die V-Leute selbst verfasst haben, beseitigt wird, dann steht einem neuen Verbotsverfahren nichts mehr im Wege. Leider waren bis jetzt weder der Bundesinnenminister noch seine Länderkollegen bereit, diese Konsequenzen zu ziehen. Es ist also ein Versäumnis der Regierung, dass das Verfahren bis heute noch nicht wieder auf die politische Tagesordnung gesetzt werden konnte. Herr Altmaier, auch Ihre Worte ändern daran nichts. Die vielen Gewalt- und Straftaten, die von Neonazis täglich verübt werden, sind parteipolitisch motiviert und werden unter anderem von der NPD und ihr nahe stehenden Organisationen organisiert. Diese Tatsache findet sich in der Losung „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!“ wieder. ({3}) Verbrechen müssen verfolgt und geahndet werden. Deshalb muss das Nachdenken über ein NPD-Verbot und selbstverständlich auch über ein Verbot der Bildung etwaiger Nachfolgeorganisationen erneut beginnen. Vielen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin Kristina Köhler für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Kristina Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rassismus und Nationalismus widersprechen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Sie haben in Deutschland keinen Platz. Die Bekämpfung des menschenfeindlichen Rechtsextremismus ist deshalb eine unserer zentralen innen- und gesellschaftspolitischen Aufgaben. Daran besteht kein Zweifel. Seien wir aber ehrlich: So einig wir uns über das Ziel sind, so umstritten ist der Weg dorthin. Für die CDU/ CSU gilt bei der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus eine Prämisse: Gegen blinden Hass muss man sehenden Auges kämpfen. Was meine ich damit? „Sehenden Auges“ heißt zunächst einmal, die Realität in den Blick zu nehmen. Frau Kollegen Fograscher, Sie sprachen eben die etwa 15 000 rechtsextremistischen Straftaten an, die es laut Verfassungsschutzbericht 2005 gab, und leiteten daraus die These ab, dass der Rechtsextremismus wesentlich gefährlicher ist als der Linksextremismus und der Islamismus. Sie müssen aber schon genauer hinschauen: Von diesen 15 000 Straftaten sind nur 6 Prozent Gewalttaten. Der Rest sind vor allen Dingen Propagandadelikte, zum Beispiel Hakenkreuzschmierereien. ({0}) - Herr Edathy, damit will ich auf keinen Fall sagen, falls Sie das befürchten, dass Propagandadelikte weniger schlimm sind. Wenn Sie vergleichen, müssen Sie aber zur Kenntnis nehmen, dass es auf der linksextremistischen Seite derartige Propagandadelikte überhaupt nicht gibt. So etwas wie „Deutschland verrecke!“ steht in Deutschland nicht unter Strafe. Deswegen können Sie die Zahlen nicht einfach vergleichen. Sie vergleichen sonst Äpfel mit Birnen. Wenn Sie vergleichen, müssen Sie schon das Gleiche miteinander vergleichen, zum Beispiel die Gewalttaten selbst. Dann finden Sie: 958 rechtsextremen Gewalttaten im Jahr 2005 standen 896 linksextreme Gewalttaten gegenüber. ({1}) Da können Sie doch nicht zu der Conclusio kommen, dass der Rechtsextremismus das deutlich gefährlichere Phänomen ist. Beide Phänomene sind gefährlich, beide widersprechen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, gegen beide müssen wir vorgehen! ({2}) Aus den Zahlen geht hervor, dass seit 2002 die Zahl der fremdenfeindlichen Gewalttaten gesunken ist - das können wir einmal positiv feststellen -, auch wenn sie immer noch auf einem erschreckend hohen Niveau ist. Interessant ist, dass ein Drittel der rechtsextremistischen Gewalttaten mit Auseinandersetzungen mit Linksextremisten zusammenhängt. ({3}) Dieses gegenseitige Sichhochschaukeln von rechts- und linksextremistischen Gewalttaten, ein Anstieg um 111 Prozent seit 2002, müssen wir in den Blick nehmen, wenn wir uns sehenden Auges mit diesem Phänomen auseinander setzen wollen. ({4}) Sehenden Auges zu handeln, heißt aber auch, dass wir nicht ständig ein und denselben Fehler machen dürfen, nämlich die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Menschen in diesem Lande schwachreden und den Extremismus stark. ({5}) Das versucht etwa die Linkspartei, wie wir erkennen, wenn wir uns den Text ihrer Großen Anfrage durchlesen. Sie versucht, den Begriff „rechtsextrem“ so weit auszudehnen, dass ein Großteil der Menschen in diesem Lande auf das Übelste verunglimpft wird. Von den Grünen bis zur CDU gibt die Linkspartei in ihrem Text allen die Schuld am Anwachsen des Rechtsextremismus, ({6}) die Mehrheitsbevölkerung in Deutschland sei voll von Ressentiments, Rechtsextremismus sei in der Mitte der Gesellschaft zu finden. ({7}) Das beginnt bereits bei der Terminologie. Frau Kollegin Jelpke, Sie haben eben wieder vom „Kampf gegen rechts“ gesprochen. ({8}) Es geht hier aber nicht um einen „Kampf gegen rechts“, es geht hier um den Kampf gegen Rechtsextremismus. (Volker Schneider ({9}) Denn rechts ist alles, was nicht links ist. Ich bin nicht links und auch die CDU/CSU-Fraktion ist nicht links. Sie wollen uns in diesen Kampf mit einbeziehen. Wegen dieses linkspopulistischen Getöses warnen wir davor, den Weg gegen den Rechtsextremismus mit linksradikalen oder gar linksextremistischen Gruppierungen zusammen zu beschreiten. Denn sie haben oft gar nicht den Rechtsextremismus im Fokus, sondern die bürgerliche Mitte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin Köhler, gestatten Sie eine Zwischenfrage? ({0})

Dr. Kristina Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne. Von wem denn?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Von der Kollegin Jelpke.

Dr. Kristina Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gut.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Köhler, ist Ihnen bekannt, dass es in der letzten Legislaturperiode einen gemeinsamen Antrag von allen Fraktionen außer CDU/CSU gab, mit dem Maßnahmen gegen den Rechtsextremismus beschlossen wurden, gegen solche Verbände, gegen solches Gedankengut usw.? Ist Ihnen bekannt, dass sich Ihre Fraktion an diesem Antrag nicht beteiligt hat?

Dr. Kristina Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, wir haben uns an diesem Antrag nicht beteiligt, weil bei diesem Antrag wieder genau das geschehen ist, was ich eben angeprangert habe, dass nämlich einseitig der Rechtsextremismus herausgegriffen wird, ({0}) anstatt gegen jeden Extremismus vorzugehen: Rechtsextremismus, Linksextremismus und Islamismus, alles drei gefährliche, menschenfeindliche Phänomene, die gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung stehen. ({1}) Oft wird nicht nur die bürgerliche politische Mitte angegriffen, sondern auch unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung als solche. Frau Kollegin Jelpke, da Sie mir gerade eine Frage gestellt haben, möchte ich mit Folgendem schließen: Sie haben in einer Rundmail vom 19. Oktober Ihre Ablehnung der Bitte um Unterstützung gegen den antisemitischen al-Quds-Tag wie folgt begründet: Erstens. In Deutschland sei es mit den Frauenrechten auch nicht viel anders als im Iran. Zweitens. Nicht jeder Mensch sehne sich nach Demokratie und Menschenrechten. Und drittens - ich zitiere wörtlich -: Es gibt, um einen weiteren Kritikpunkt zu nennen, keine Universalität der Menschenrechte. Liebe Abgeordnete der Linken, die Rechtsextremen werden sich freuen, so etwas zu hören. Wir tun das aber nicht. Wir werden den Rechtsextremismus und dessen kranke Ideologie bekämpfen, indem wir unsere Demokratie stärken - sei es mit Ihnen oder ohne Sie. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Jahressteuergesetzes 2007 ({0}) - Drucksachen 16/2712, 16/3036 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1}) - Drucksachen 16/3325, 16/3368 Berichterstattung: Abgeordnete Olav Gutting Carl-Ludwig Thiele Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/3326 Berichterstattung: Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Carsten Schneider ({3}) Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Anja Hajduk Es liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Gabriele Frechen das Wort. ({4})

Gabriele Frechen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003529, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute abschließend über das Jahressteuergesetz 2007. 30 Minuten werden wir über die Ergebnisse von stundenlangen Beratungen, ({0}) Anhörungen, Gesprächen der Berichterstatter und Besprechungen der Obleute debattieren. Als kleinen Schritt kann man das Gesetz sicherlich nicht bezeichnen; denn es umfasst immerhin elf Steuergesetze, sieben Verordnungen und das Baugesetzbuch. Wir greifen mit diesem Gesetzentwurf sowohl redaktionelle und klarstellende Änderungen als auch Änderungen und Anpassungen auf, die aufgrund der EuGH-Rechtsprechung, der BFH-Rechtsprechung und der Empfehlungen des Rechungsprüfungsausschusses umzusetzen sind. Steuerpflichtige und deren Vertreter fordern seit vielen Jahren, zeitig ein Jahressteuergesetz zu erlassen, in dem alle anstehenden Änderungen vorgenommen werden, statt viele einzelne Änderungen in Raten vorzunehmen. Liebe Kollegin Dr. Höll, deshalb ist der Begriff „Omnibusgesetz“ auch überhaupt kein Schimpfwort für dieses Gesetz, sondern in Wirklichkeit eine sehr zutreffende Bezeichnung für ein sehr arbeitsintensives Gesetz. Die Ausschussberatungen und die Anzahl der Änderungsanträge der Oppositionsfraktionen haben gezeigt, dass der Gesetzentwurf in großen Teilen unstrittig ist. ({1}) - Bei so wenigen Änderungsanträgen ist das wohl so. ({2}) Zum Teil waren wir uns sogar bei Vorschriften einig, die wir aus diesem Gesetzentwurf wieder herausgenommen haben. Hierzu gehören das Prüfungsrecht bei Jahressteuerbescheinigungen, der Abgabezeitraum für zusammenfassende Meldungen der Umsatzsteuer, die Veränderung der Regelungen über die elektronische Signatur und die Behandlung von Steuern im vorläufigen Insolvenzverfahren. Dieses Thema ist für uns allerdings noch nicht vom Tisch. Gemeinsam mit den Rechtspolitikern werden wir erörtern, ob sich das Insolvenzrecht so entwickelt, wie sich der Gesetzgeber das vorgestellt hat. Vor allem die hohe Anzahl der so genannten schwachen Insolvenzverwalter und die daraus resultierenden Folgen für die Einnahmen des Staates und der Sozialversicherungssysteme müssen nach unserem Dafürhalten dringend evaluiert werden. Der eine oder andere Oppositionskollege wird auch hier wieder die alte Platte von den Steuererhöhungen auflegen. ({3}) Glauben Sie ihnen kein Wort. ({4}) Steuereinnahmen wird es durch dieses Gesetz nicht geben. ({5}) - Sie können gleich das Tableau mit den Mehreinnahmen vorstellen, wenn Sie welche finden, Herr Kollege. Auf einige wenige Änderungen möchte ich kurz eingehen. Durch die Systemumstellung bei der Körperschaftsteuer konnte es vereinzelt zu Doppelbesteuerungen kommen. Diese doppelte Belastung durch die Körperschaftsteuer und die Einkommensteuer heben wir mit diesem Gesetz auf. Zu den materiellen Änderungen gehört die Verbesserung der Absetzbarkeit von Rentenversicherungsbeiträgen für die Basisrente. Wir folgen damit unserem Weg, Menschen dabei zu helfen, steuerlich entlastet zu werden und Vorsorge für ihr eigenes Alter zu treffen. Gleichzeitig erweitern wir den Kreis der Anbieter begünstigter Produkte. ({6}) Mit diesem Gesetz wird darüber hinaus der Einstieg in die nachgelagerte Besteuerung umlagefinanzierter Versorgungssysteme vollzogen. Damit wird die Gleichbehandlung mit der kapitalgedeckten betrieblichen Altersvorsorge erreicht. Zuwendungen an Geschäftsfreunde können künftig pauschal mit 30 Prozent versteuert werden, was zu einer deutlichen Vereinfachung führen wird. Diese Forderung wurde von Verbänden an uns herangetragen. Ich erinnere hier beispielhaft an die VIPKarten bei der Fußball-WM. Mit diesem Gesetz wirken wir auch Steuervermeidungsstrategien entgegen. So wird durch die Einführung einer neuen Regelung die Abwicklung von bestimmten Aktiengeschäften, in der Regel von Leerverkäufen, verhindert, ({7}) damit keine Kapitalertragsteuer mehr bescheinigt wird, die nicht abgeführt wurde, Herr Kollege. Eine Änderung des Umsatzsteuergesetzes betrifft die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf bestimmte Zweckbetriebe. Die Erfahrung hat gezeigt: Das ist für die Vereine, die Wohlfahrtsverbände und die Integrationsbetriebe bedeutend. ({8}) Machen Sie die Arbeit dieser Menschen bitte nicht lächerlich. Die Erfahrung hat auch gezeigt, dass die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes in sehr wenigen Fällen für unerwünschte Gestaltungsmodelle genutzt wurde. Wir sind uns mit den Wohlfahrtsverbänden einig, dass die schwarzen Schafe aussortiert werden müssen. Der Sinn und Zweck eines Zweckbetriebs besteht nicht darin, Steuervorteile zu erhalten, sondern in der Arbeit für die Menschen und mit den Menschen, die diese Hilfe brauchen. Ich bin sicher, dass wir mit dieser Gesetzesänderung und dem dazugehörigen BMF-Schreiben unserem gemeinsamen Anliegen, die gute und wertvolle Arbeit von Wohlfahrtsverbänden, Hilfsorganisationen, Integrationsprojekten und Arbeitsloseninitiativen durch die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes zu unterstützen, gerecht werden und dass wir die wenigen, die wir aussortieren wollen, wirklich treffen. ({9}) Der letzte Punkt, auf den ich eingehen möchte, ist die rückwirkende Verhinderung neu kreierter Steuerstundungsmodelle. Wenn wir darauf nicht reagieren, kostet uns das allein in diesem Jahr 700 Millionen Euro. ({10}) Frei nach dem Motto „Ein Geschäft wird erst dann ein Geschäft, wenn man dem Finanzamt nachweisen kann, dass es keines war“ wurden solche Modelle teilweise bis zum April 2006 aufgelegt. Wir haben als Gesetzgeber Ende 2005 unmissverständlich klargemacht, dass wir hier keinen Spaß verstehen. ({11}) Das Schließen von Steuerschlupflöchern gehört für uns zum Programm. Jeder, der nach diesem Zeitpunkt ein neues Modell gestrickt oder in ein solches investiert hat, wusste genau, worauf er sich einlässt. ({12}) Das Bundesverfassungsgericht erkennt die unechte Rückwirkung als verfassungskonform an, wenn es dabei nicht um eine Rücknahme staatlicher Verhaltensanreize geht, sondern wie hier um die steuerliche Erfassung von Sachverhalten, die auf Steuervermeidung oder Steuerumgehung angelegt sind. ({13}) - Herr Kollege, Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund: Der Vertrauensschutz kann nicht angeführt werden. Alle Anleger wurden auf die Gefahr der Rückwirkung hingewiesen. Für alle Anleger wurde für diesen Fall die Rückabwicklung vereinbart. Künftig wollen wir lieber vorbeugen als rückwirken. Deshalb haben wir die Bundesregierung beauftragt, zu prüfen, wie es uns durch die Einführung einer Pflicht zur Anzeige solcher Modelle, die es auch in anderen Ländern, zum Beispiel im Vereinigten Königreich, gibt, ermöglicht werden kann, besser zu agieren. Trotzdem - hier bin ich mir ganz sicher - wird es auch in Zukunft Fälle geben, in denen wir nicht agieren können, sondern reagieren müssen. Das erinnert ein bisschen an den Wettlauf zwischen Hase und Igel. Doch auch wenn die beiden Meckis noch so sympathisch sind, darf man nicht vergessen: Sie haben das Rennen nur deshalb gewonnen, weil sie mit unfairen Tricks gearbeitet haben. Das soll bitte nur im Märchen so sein. ({14}) Ich bedanke mich ausdrücklich bei allen Kolleginnen und Kollegen für die konstruktive, lebhafte Diskussion, die wir im Rahmen der Beratungen dieses Gesetzentwurfes geführt haben. Natürlich bedanke ich mich auch bei den helfenden Köpfen im Ministerium für ihren Sachverstand, den sie uns immer sehr wohlwollend zur Verfügung gestellt haben. ({15}) - Herr Thiele, wir wollen dieses Gesetz. ({16}) Haben Sie immer noch nicht verstanden, dass das Parlament der Gesetzgeber ist? Ich muss das in jeder meiner Reden wiederholen. Irgendwann werden aber auch Sie das lernen. ({17}) Mark Twain hat einmal gesagt: Gesetzeslücken lassen sich durch beständigen Gebrauch beträchtlich erweitern. Versuchen wir doch gemeinsam, möglichst lückenlose Gesetze zu machen! Vielen Dank. ({18})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Carl-Ludwig Thiele hat für die FDPFraktion das Wort.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich Ihnen, Frau Frechen, auch von unserer Seite herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit aussprechen, ({0}) die wir, glaube ich, im Finanzausschuss haben, auch wenn es Kontroversen in der Sache gibt und die eine oder andere möglicherweise unbedachte Bemerkung einzelner Kollegen fällt, die aber mitunter wieder relativiert oder zurückgenommen wird, wie wir es gerade in der letzten Sitzung des Finanzausschusses erleben durften. Mit dem vorliegenden Entwurf eines Jahressteuergesetzes sollen mehr als 230 Änderungen in 19 unterschiedlichen Gesetzen beschlossen werden. Es ist ein Riesenpaket, das wir zu wälzen hatten. Das erinnert mich an das Omnibusgesetz, das ich von früher kenne. Danach heißt es auf den Fluren der Verwaltung: Der Omnibus fährt. Wer will noch einsteigen? Wer hat noch Interesse an einem bestimmten Punkt, der in den Gesetzentwurf aufgenommen werden soll? - Damit hat der Gesetzgeber nach wie vor Probleme. Ich habe Zweifel, Frau Kollegin Frechen, ob jede dieser Regelungen zwingend erforderlich ist. Denn wir hatten im letzten Jahr kein Jahressteuergesetz und es gab noch weitere Jahre ohne ein solches Gesetz. In keinem der Folgejahre ist Deutschland untergegangen. Es gab weiter Steuern. Die Steuern wurden weiter eingetrieben und es gab auch weiter ein Steuerrecht. Insofern sollten wir uns mit Rücksicht auf die Deregulierungsbemühungen fragen, ob tatsächlich alles geregelt werden soll. ({1}) Ich möchte kurz auf das Verfahren eingehen. Wir halten es für schwierig - insbesondere für die Opposition ist es eine Zumutung -, wenn wir erst Dienstagabend die Umdrucke zu den komplexen Sachverhalten bekommen, die am Mittwoch erörtert werden sollen. Lassen Sie uns doch versuchen, den Zeitplan so zu gestalten, dass die Beratung in Ruhe erfolgen kann, statt ihn so auszurichCarl-Ludwig Thiele ten, wie es vom BMF vorgegeben wird. Die Änderungsanträge der FDP lagen Ihnen Montagmorgen vor. Es wäre schön, wenn das umgekehrt auch der Fall wäre. ({2}) Ich komme zur Sache. Der Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2007 ist aus meiner Sicht kein Beitrag zur Vereinfachung des Steuerrechts; vielmehr bringt er viele neue komplizierte Regelungen mit sich. Er ist kein Beitrag zur Entlastung der Bürger; denn mit diesem Gesetz wird in vielen Fällen die steuerliche Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zulasten der Bürger ausgehebelt. Er ist auch kein Beitrag zu einem planbaren und verlässlichen Steuerrecht. ({3}) Denn bestimmte steuerliche Fälle werden rückwirkend ab dem 1. Januar 2006 außer Kraft gesetzt. ({4}) Auch wenn wir über manche Punkte streiten und in anderen Punkten einig sind, meine ich, dass das Steuerrecht alles in allem planbar und verlässlich sein sollte. Das wurde von der Union zu Oppositionszeiten auch eingefordert. Dagegen wurde allerdings zum wiederholten Male verstoßen, auch wenn ich persönlich anerkenne, dass zwei Kollegen der Union damit Probleme hatten und unserem Änderungsantrag zugestimmt haben. ({5}) Ich möchte noch auf einige Punkte eingehen. Es soll eine neue Gebühr für Steuerpflichtige eingeführt werden, die in komplexen Sachverhalten eine verbindliche Auskunft des Finanzamtes einholen möchten. Das halte ich für ziemlich abenteuerlich. Der Staat besteuert den Bürger. Der Bürger ist verpflichtet, seine Steuererklärung abzugeben. Wenn er dann aufgrund dieser Verpflichtung gegenüber dem Fiskus, der auch an Rechtssicherheit interessiert ist, ein Interesse daran hat, einen Sachverhalt verbindlich klären zu können, soll ihm mit dem Gesetzentwurf eine Gebühr berechnet werden. Das halte ich für einen Fehler. Denn er wird zusätzlich belastet, obwohl es ihm nur um Rechtssicherheit für sich und den Fiskus geht. ({6}) Insofern halte ich es dem Steuerbürger gegenüber für eine Frechheit, eine solche Gebühr zu erheben. Aber wie schon beim Wegfall der Abzugsfähigkeit der Steuerberatungskosten als Sonderausgaben zeigt die schwarz-rote Koalition noch einmal, welchen Stellenwert der Steuerbürger für sie hat. Bei der Besteuerung von Sachzuwendungen war eine Regelung vorgesehen, nach der der Zuwendende die Sachzuwendung mit 45 Prozent versteuern sollte. Dieser Steuersatz ist zwar auf 30 Prozent abgesenkt worden - das ist zu begrüßen -, aber zu den 30 Prozent ist anzumerken, dass ein Unternehmen die Geschenke wegen der Nichtabzugsfähigkeit aus dem Ertrag erwirtschaften muss und deshalb faktisch ein viel höherer Steuersatz darauf lastet. Wir haben dann nachgefragt, wie mit dem Miles-andMore-Programm der Lufthansa verfahren wird. Seitens des Finanzministeriums wurde uns von Frau Staatssekretärin Dr. Hendricks mitgeteilt, dass die Sachzuwendung mit 2,25 Prozent versteuert wird. Das war der Grund, warum wir diesen Punkt ausklammern und separat betrachten wollten. Wir wollten klären, warum bei der Zuwendung durch die Lufthansa ein Steuersatz von 2,25 Prozent gilt und der Steuersatz für andere 30 Prozent beträgt. Das wird noch zu klären sein. Ich harre der Erklärung und der Aufklärung. Ich vermute, dass das nicht so einfach wird. Da wir auf unsere Fragen nach den Ungereimtheiten keine abschließenden Antworten erhalten haben, stimmen wir dem Gesetzentwurf nicht zu. Wir bedanken uns gleichwohl für die Beratungen und werden uns weiterhin - genauso wie bei diesem Gesetzentwurf - konstruktiv einbringen. Herzlichen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat der Kollege Olav Gutting das Wort. ({0})

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beim Jahressteuergesetz 2007 sprechen wir von einem so genannten Omnibusgesetz mit über 200 Änderungen. Dabei werden fast alle zentralen Steuergesetze berührt. „Omnibus“ heißt auf Lateinisch „für alle“. Es ist also für jeden etwas dabei. ({0}) Omnibus ist nicht negativ zu sehen. Es handelt sich schließlich um ein sinnvolles Transportmittel, zumindest dort, wo es keine Schienen gibt. Überwiegend sind die Änderungen klarstellend oder redaktionell. Manch einer hält nun diese Änderungen und Anpassungen für eine Verkomplizierung des Steuerrechts. Dem ist aber nicht so. Die Anpassung von Gesetzen an die Realität ist schlicht notwendig; denn die Welt dreht sich weiter. So werden immer wieder Korrekturen, Klarstellungen und Änderungen unserer Gesetze notwendig sein. Dass die vielen kleinen Änderungen im Gesetzentwurf schwer zu lesen sind, gebe ich gerne zu. Das ist bei der Steuergesetzgebung leider meistens der Fall. Wer aber nun aus Frust über die Komplexität des Gesetzes und die viele Arbeit, die wir damit in den Beratungen hatten, die notwendigen Änderungen als hektische Nachbesserungsversuche geißelt, der handelt populistisch und verkennt schlicht die Realität. ({1}) Der Gesetzentwurf hat sich während der Beratungen in einigen zentralen Bereichen im Vergleich zur Ur6228 sprungsfassung verändert und verbessert. Ich darf an dieser Stelle den Koberichterstattern aus meiner Fraktion, aber auch unseren Kollegen aus den Koalitionsfraktionen genauso wie allen anderen für die konstruktiven Beratungen ein herzliches Dankeschön sagen. Wir haben es geschafft, beispielsweise § 5 Abs. 4 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung aus dem Gesetzentwurf herauszunehmen. Hier ging es um die Pflicht zur Aufbewahrung von Unterlagen bei Rentenanwartschaften. Es ist ein guter Schritt, diesen Paragrafen zu streichen; denn dies ist ein Beitrag zu weniger Bürokratie und hilft insbesondere, zusätzliche administrative Belastungen zu vermeiden. Beim Prüfungsrecht hinsichtlich der Jahresbescheinigungen bei den Banken haben wir darauf geachtet, dass das Bankgeheimnis nicht ausgehöhlt wird. Es ist festgehalten, dass dieses Prüfungsrecht lediglich die Systemprüfung umfasst. Dies wird zusätzlich durch ein BMF-Schreiben sichergestellt. ({2}) Die Banken und insbesondere ihre Kunden müssen also in diesem Zusammenhang keine individuelle Überprüfung der jeweiligen Jahresbescheinigung bei der Bank befürchten. Von der Wirtschaft wurde ständig eine Möglichkeit zur Pauschalierung der Einkommensteuer bei Geschenken gefordert. In der Tat bestand hier Handlungsbedarf. Ein Bedürfnis nach einer vereinfachten Pauschalierung gibt es nicht erst seit der Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land, als diese Problematik bei der Besteuerung von VIP-Logentickets einem breiteren Publikum offenbar wurde. Vielmehr gibt es dieses Bedürfnis schon länger. Uns war es wichtig, die nun angebotene gesetzliche Pauschalierung der Einkommensteuer in diesem Bereich praxistauglich zu machen. Das ist vollumfänglich gelungen. Mit dem pauschalierten Steuersatz in Höhe von 30 Prozent haben wir es geschafft, die richtige Balance zwischen angemessener Besteuerung auf der einen Seite und der notwendigen Anreizfunktion auf der anderen Seite zu finden. Mit dem Steuersatz in Höhe von 30 Prozent wird es zukünftig mehr Unternehmen geben, die die Geschenke für die Beschenkten gleich mitversteuern. Damit bauen wir quasi eine Brücke in die Steuerlegalität; denn aus der Lebenserfahrung wissen wir, dass viele Beschenkte die Zuwendungen - zumeist aus Unwissenheit über die Steuerpflicht - in der Steuererklärung nicht aufführen. Ich bin überzeugt, dass diese Regelung unter dem Strich zu mehr Steuerehrlichkeit, einer erheblichen Vereinfachung für die Unternehmen und gleichzeitig zu Steuermehreinnahmen führt. Für Schenkende und Beschenkte bietet diese Regelung zudem mehr Rechtssicherheit. ({3}) Mehr Rechtssicherheit wollen wir auch im Zusammenhang mit der immer wieder auftauchenden Diskussion über verschiedene unerwünschte Steuergestaltungsmodelle. Mit dem Jahressteuergesetz 2007 wird die letzte Lücke im Zusammenhang mit den Steuersparbzw. Steuerstundungsmodellen beim § 15 b des Einkommensteuergesetzes geschlossen. ({4}) Leider ist es so, dass der Gesetzgeber - wir haben das schon vorhin von der Kollegin gehört - wie im Wettlauf zwischen Hase und Igel den Entwicklungen im Bereich dieser aggressiven Steuergestaltungsmodelle hinterherhechelt. Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass einige andere Staaten deshalb eine Anzeigepflicht bei Steuergestaltungsmodellen eingeführt haben. Durch diese Anzeigepflicht soll die Verwaltung über missbräuchliche unerwünschte Gestaltungen im Vorfeld unterrichtet werden. Damit wären dann der Gesetzgeber und die Steuerverwaltung frühzeitig in der Lage, gegebenenfalls gesetzgeberische oder verwaltungsmäßige Maßnahmen zu treffen. Natürlich sehe ich auch in diesem Bereich das Spannungsverhältnis zwischen einer festen Zusage der Verwaltung auf der einen Seite und der Politik und dem Parlament auf der anderen Seite, die handlungsfähig bleiben wollen. Es kann nicht sein, dass eine Zusage der Verwaltung hinsichtlich eines Steuersparmodells einen Zeithorizont von mehreren Jahrzehnten hat und die Politik für diese lange Zeit an diese Zusage gebunden ist. Die Handlungsfähigkeit des Gesetzgebers muss auch hier sichergestellt bleiben. Der Finanzausschuss hat deshalb die Bundesregierung gebeten, bis Mitte des Jahres 2007 Vorschläge zur Einführung einer gesetzlichen Anzeigepflicht bei Steuergestaltungsmodellen vorzulegen. Wir sind gespannt, was da kommt. Wenn es gelingt, eine vertretbare Anzeigepflicht bei Steuergestaltungsmodellen zu erreichen, dann wäre das ein echtes Novum im deutschen Steuerrecht. Die Folge wäre ein weiterer Schritt hin zu mehr Steuergerechtigkeit. ({5}) Mehr Steuergerechtigkeit ist ein Ziel, das wir alle nicht aus den Augen verlieren dürfen; denn Steuergerechtigkeit und ein planbares verlässliches Steuerrecht sind ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor im internationalen Ringen um Investitionen. ({6}) Nach einem Jahr Regierung Angela Merkel kann man bereits erkennen, dass wir auf einem guten Weg sind. Die Steuereinnahmen ziehen kräftig an, die Neuverschuldung wird erheblich gesenkt und der Arbeitsmarkt zeigt eine erfreuliche Belebung. ({7}) Wir stehen ein Jahr nach Amtsantritt der großen Koalition zwar immer noch ganz am Anfang einer sicherlich noch langen Wegstrecke; aber so viel Lob darf sein: Wir haben einen guten Anfang gemacht und das sollte uns Mut für mehr machen. ({8}) Das deutsche Steuerrecht muss mutig entrümpelt werden, Schritt für Schritt. Es wäre wirklich ein Meilenstein, wenn es gelänge, das Steuerrecht so zu vereinfachen, dass es jedem normalen Steuerbürger möglich wäre, ohne große Hilfsmittel seine Steuererklärung eigenhändig zu Papier zu bringen. ({9}) Das geht aber nicht mit Nichtstun. Die notwendigen Änderungen, Korrekturen und Anpassungen, die wir jetzt mit dem Jahressteuergesetz 2007 vorgenommen haben, bedeuten keinesfalls eine Verkomplizierung des Steuerrechts. ({10}) Im Gegenteil: Wir erhalten mehr Klarheit in vielen Bereichen und in einigen Bereichen sogar eine Vereinfachung. Ich habe schon vorhin das Beispiel der Pauschalierung der Einkommensteuer bei den Geschenken genannt. Geben wir deshalb dem Omnibus Jahressteuergesetz 2007 freie Fahrt. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Dr. Barbara Höll das Wort. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu später Stunde eine fast harmonische Debatte! Aber, Herr Kollege Gutting, dieses Selbstlob war doch ein bisschen zu viel. ({0}) Wenn wir über das Jahressteuergesetz sprechen, dann müssen Sie sich an dem messen lassen, was Sie in Ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben, nämlich - ich zitiere - „das deutsche Steuerrecht zu vereinfachen und international wettbewerbsfähig zu gestalten“. Diesem Anspruch tun Sie mit diesem Gesetz keinesfalls Genüge. ({1}) Liebe Kollegin Frechen, es ist ein Omnibusgesetz. Dagegen ist nichts zu sagen, wenn in dem Omnibus alle Passagiere - so wie Sie es vorhin angesprochen haben - ein Schild tragen, auf dem steht: In diesem Omnibus reisen redaktionelle Änderungen und Anpassungen. Wenn aber in dem Omnibus auf einmal blinde Passagiere auftauchen, die substanzielle Änderungen im Steuerrecht beinhalten, dann wird es gefährlich. Das sind die Dinge, auf die die Opposition sehr aufmerksam geschaut hat. Wir sind - sicherlich gemeinsam - froh, dass es auf unser Wirken hin gelungen ist, diese Dinge aus dem Gesetz herauszubekommen und die blinden Passagiere wieder aus dem Omnibus hinausbefördert zu haben. Ich möchte nur das Insolvenzrecht ansprechen. Das ist ein kompliziertes Thema. Mit der Änderung des Insolvenzrechtes im Jahre 1999 wurde der Versuch unternommen, ein modernes Insolvenzrecht zu installieren, welches vor allem gewährleistet, dass Unternehmen im Falle der Insolvenz eine Chance haben, weiter zu existieren. Auf einmal tauchte in dem Gesetz eine Änderung der Abgabenordnung auf, durch die der Fiskus ein Vorgriffsrecht erhalten sollte, zu dem alle Experten sagen, dass es dazu führen würde, dass Unternehmen eine wesentlich schlechtere Chance hätten, überhaupt zu überleben. Da wird es dann wirklich gefährlich. In diesem Sinne sind wir wirklich sehr froh, dass es uns durch unsere Arbeit im Rechtsausschuss und im Finanzausschuss gelungen ist, dass das herausgenommen wurde und wir in Ruhe und ehrlich über diesen Punkt diskutieren können. Ich nehme an, Frau Scheel wird nachher noch die Verlängerung des Bewertungsgesetzes ansprechen, die im Referentenentwurf überhaupt nicht enthalten war und dann im Gesetz auftauchte. ({2}) Da fragte man sich schon, woher das auf einmal kam. Das sind Dinge, die in ihren Folgen noch nicht ganz klar abzusehen sind, gerade im Hinblick auf das Bewertungsgesetz. So sollten wir hier nicht arbeiten. Wir sind aber froh, dass es gelungen ist, zum Beispiel auch noch die Pauschalbesteuerung von Sanierungsgeldern im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge herauszunehmen. Auch das ist etwas, bei dem es dank der guten Arbeit und der Einsicht der Kolleginnen und Kollegen der Koalition gelungen ist, gegenüber dem Gesetzentwurf etwas zu verändern. Das ist ein beredtes Beispiel dafür, dass auch Oppositionspolitikerinnen und Oppositionspolitiker durch ihre Arbeit etwas bewirken können. Bei der vorgeschlagenen Regelung zur Besteuerung der Geschenke ist es auch gelungen, gegenüber dem ursprünglichen Entwurf eine Änderung herbeizuführen. Wir haben eben nicht mehr die pauschale Besteuerung in Höhe von 45 Prozent, sondern nur noch in Höhe von 30 Prozent. Damit ist es Ihnen insgesamt gelungen, ein Gesetz vorzulegen, welches redaktionelle Änderungen und Anpassungen beinhaltet, aber bei weitem nicht dazu führen wird, dass das Steuerrecht tatsächlich vereinfacht wird. Ob die Regelung zur Rückwirkung zum 1. Januar dieses Jahres tatsächlich Bestand haben wird, wird zu sehen sein. Wir stehen zu dem Gesetz nicht in völliger Ablehnung. Das ist der Unterschied zur FDP. ({3}) Wir werden uns enthalten, da mit diesen vorgeschlagenen Regelungen dem selbst gestellten Anspruch von Transparenz und Vereinfachung nicht Genüge getan wurde und einige Dinge in ihrer Wirkung doch recht zweifelhaft sind. Deshalb gibt es von unserer Seite ein Enthaltung. ({4}) Die Art der Beratung - abgesehen von dem späten Einreichen der Änderungsanträge Ihrerseits - könnte vielleicht für die Zukunft ein Beispiel dafür sein, dass es möglich ist, auf den Sachverstand aller Kolleginnen und Kollegen zu hören. Ich danke Ihnen. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Kollegin Christine Scheel das Wort.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Gutting, ich habe schon ein gewisses Verständnis dafür, dass man hier einen solchen Selbstbeweihräucherungsakt vollziehen muss, um sich ein wenig aufzubauen, wenn man gleichzeitig weiß, dass der Anspruch, den man formuliert, mit der Realität überhaupt nichts zu tun hat. ({0}) Deshalb muss man einmal fragen, was im Koalitionsvertrag steht. Frau Kollegin Höll hat bereits darauf hingewiesen, dass darin die Priorität der Steuervereinfachung in den Vordergrund gestellt worden ist. Es hat eine Übereinstimmung zwischen den beiden Koalitionsfraktionen gegeben, dass man mehr Transparenz, Effizienz und Gerechtigkeit erreichen möchte. Man sieht dann aber doch, dass das schöne Worte sind, die Realität aber ganz anders aussieht. Man muss auch Folgendes sehen: Seit diese Koalition gemeinsam Gesetze verabschiedet, ist von Vereinfachung nicht mehr die Rede. Für mich ist es keine Vereinfachung, wenn man lediglich die Höhe eines Pauschalbetrages ändert. Pauschalen sind gut. Wenn man einen Pauschalbetrag von 40 Prozent auf 25 Prozent absenkt, dann ist das nicht automatisch eine Vereinfachung, sondern eine Änderung im Gesetz und sonst gar nichts. ({1}) Ich bitte darum, auf dem Boden zu bleiben und nicht mit solchen Argumenten zu kommen. Wir meinen, dass sich das Jahressteuergesetz in diese Entwicklung - eine zunehmende Anzahl an Verkomplizierungen - einreiht. Ihre steuerpolitischen Entscheidungen in verschiedenen Bereichen waren von Anfang an verfehlt. Diese Entwicklung hält an: Sie nehmen weitere Verschlimmbesserungen vor. Man sieht das an Ihren ausgefeilten Formulierungen, beispielsweise was die Herausnahme der Kosten für die Fahrt zur Arbeit anbelangt. Ihre Entscheidung war, dass diese Kosten nicht mehr den Werbungskosten zugerechnet werden. Dann haben Sie festgestellt, dass man den Flugreisenden - Stichwort „Sammelbeförderungen“ - so nicht gerecht wird. Daraufhin wurde die Entscheidung getroffen, dass diese Kosten doch weiterhin den Werbungskosten zuzurechnen seien. Es ist einfach absurd. Wie Sie selbst wissen, ist die hochkomplizierte Entlastung bei Gewinneinkünften im Zusammenhang mit der Reichensteuer absolut gaga. Wir haben hier immer wieder gesagt: Außer einem hochkomplizierten Gesetz bleibt fast nichts. Erreicht wird dadurch fast gar nichts. ({2}) Im Paragrafenwirrwarr gibt es - auch das muss man einmal sagen - noch einige hochproblematische Regelungen, die sehr weit reichende Auswirkungen für die Steuerpflichtigen haben. Das Insolvenzverfahren ist angesprochen worden. Auch wir sind der Auffassung, dass Sanierungschancen von Betrieben, denen die Insolvenz droht, erheblich gemindert und dass Arbeitsplätze gefährdet würden. Wir haben diesen Ansatz abgelehnt. Ich bin sehr froh, dass Sie lernfähig sind und dass Sie in der Lage sind, auf Vorschläge der Opposition einzugehen. Glücklicherweise ist dieser Plan gestrichen worden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Scheel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Olaf Scholz? ({0})

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Scholz, bitte.

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Kollegin, ich möchte nur eine kurze Frage stellen: Ist die Auffassung, die zusätzliche Besteuerung von Personen mit einem Einkommen von mehr als 250 000 Euro bzw. bei Verheirateten 500 000 Euro in Höhe von 3 Prozent sei „gaga“, Ihre Position oder die Ihrer Partei?

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Scholz, wir haben das von Anfang an als eine Maßnahme begriffen, die den Menschen suggestiv vermitteln soll, man erreiche damit eine gerechte Besteuerung der Reichen in diesem Land. Sie machen Reichtum an einem - wohlgemerkt - zu versteuernden Einkommen in Höhe von 250 000 Euro bzw. bei Verheirateten 500 000 Euro fest. Das Bruttoeinkommen dieser Personen liegt ja wesentlich höher. Dann haben Sie festgestellt: Wir wollen die Unternehmen und die Selbstständigen mit dieser Steuer gar nicht belasten. Also werden Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieben, aus selbstständiger Tätigkeit oder bestimmte im Ausland erzielte Einkünfte gar nicht berücksichtigt. Das heißt, diese Besteuerung betrifft lediglich einige wenige Personen, die ein sehr hohes Einkommen haben, zum Beispiel weil sie für bestimmte größere Unternehmen in diesem Land arbeiten. Diese Personen können ihr zu versteuerndes Einkommen allerdings über Unternehmensbeteiligungen so weit reduzieren, dass sie die Einkommensgrenze von 250 000 Euro mit Sicherheit unterschreiten. ({0}) Das heißt, übrig bleiben etwa ein Dutzend Bürger in diesem Land, die diese Steuer zahlen müssen. Man suggeriert, Gerechtigkeit geschaffen zu haben, obwohl in Wirklichkeit nur einige wenige betroffen sind. Das sieht man auch bei den Steuereinnahmen. Sie werden in den nächsten Jahren erleben, wer zusätzlich zu dieser Personengruppe gehören wird. ({1}) Wir prognostizieren Ihnen, dass von dieser Regelung sehr viele aufgrund Ihrer Formulierung dieses Paragrafen nicht betroffen sind. Ich kann Ihnen sagen - auch Sie wissen das -: Alle Personen, auf die Sie es abgesehen haben, haben schlaue Steuerberater. Ihre Maßnahme ist Augenwischerei und keine professionelle Steuerpolitik. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? ({0}) Dialoge gibt es hier nicht, Kollege Scholz. Die Kollegin Scheel muss Ihre Zwischenfrage erst einmal gestatten. Wenn das geschehen ist, erteile ich Ihnen das Wort.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann mir vorstellen, was er noch sagen will. ({0}) - Olaf Scholz, ist ja in Ordnung. Die Position unserer Partei ist die - das ist richtig -, dass diejenigen mit starken Schultern auch stärker zum Gemeinwohl beitragen sollen. ({1}) Aber mit einer solch halbseidenen Steuergesetzgebung wollen wir nichts zu tun haben. Deswegen hat meine Fraktion diesen Vorschlag auch geschlossen abgelehnt. Aus! ({2}) Wir haben im Finanzausschuss auch über das Thema Integrationsprojekte intensiv diskutiert. Ich bin sehr froh darüber, dass es noch zu einer Veränderung in der Frage des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für die Integrationsprojekte gekommen ist. Ich weiß jetzt noch nicht, wie das Anwendungsschreiben des Finanzministeriums aussehen wird. ({3}) Ich hoffe, dass es keine bösen Überraschungen enthält. Ich bin zuversichtlich, dass Sie das hinbekommen. Ich gehe davon aus, dass das vernünftig gelöst wird. Wir werden uns das dann anschauen. Zur Frage der Bewertungsvorschriften. Die Bewertungsvorschriften bei Erbschaften und Schenkungen sind seit langem verfassungswidrig. Wir haben uns sehr darüber geärgert, dass das Thema „Entfristung des Bewertungsgesetzes“ nicht einmal im Inhaltsverzeichnis des Jahressteuergesetzes aufgetaucht ist. ({4}) Es stand unter Anpassungen, die sich auf das Baugesetzbuch bezogen haben. Man hat also versucht, das irgendwie unterzujubeln. Von der politischen Dimension her steckt jedoch Etliches darin. Wir hoffen, dass Sie im nächsten Jahr eine solche Bewertung vorlegen, was Immobilien und Sachvermögen anbelangt, damit wir eine verfassungskonforme Lösung bekommen. Letzter Punkt, Frau Präsidentin; ein Gedanke noch.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ein Satz noch.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin der Meinung, dass wir als Grüne, was die Steuergestaltungsmodelle anbelangt, durchaus etwas erreicht haben. Wir haben den Vorschlag gemacht: Kümmert euch darum, dass einmal geschaut wird, wie man in der Perspektive dieses Problem löst, damit das heute schon öfter beschriebene Hase-und-Igel-Spiel ein Ende hat und Sicherheit erreicht wird, sowohl für diejenigen, die die Fonds auflegen, als auch für diejenigen, die da einsteigen. Wir brauchen Rechtssicherheit in diesem Land. Wir brauchen Vertrauen in den Finanzplatz, gerade in der Steuergesetzgebung. Deswegen ist es gut, dass Sie signalisiert haben, etwas zu tun. Die Grünen fordern einen grundlegenden Kulturwandel in dieser Frage.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin, der Kollege Scholz ist nicht so lieb, jetzt noch eine Zwischenfrage zu stellen. ({0})

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich hoffe, dass die große Koalition sich diesem Ansinnen anschließen kann und wir in der Zukunft eine Finanz- und Steuerpolitik haben, auf die sich die Menschen verlassen können. Danke schön. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Jahressteuer- gesetzes 2007, Drucksachen 16/2712 und 16/3036. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 16/3325, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera- tung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der FDP und des Bündnisses 90/Die Grü- nen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenom- men. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion des Bünd- nisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- ßungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3367? - Die Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Entschließungs- antrag ist gegen die Stimmen der Fraktionen der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt. Der Voll- ständigkeit halber füge ich hinzu: Die Fraktion Die Linke hat sich enthalten. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3363? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungs- antrag ist abgelehnt. Ich rufe die Zusatzpunkte 6 a und 6 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Petra Pau und der Fraktion der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes und anderer Gesetze - Drucksache 16/369 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck ({0}), Wolfgang Wieland, Claudia Roth ({1}) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes ({2}) - Drucksache 16/218 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({3}) - Drucksache 16/2563 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Hartfrid Wolff ({4}) Dr. Max Stadler Josef Philip Winkler b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck ({6}), Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Kettenduldungen abschaffen - Drucksachen 16/687, 16/2563 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Hartfrid Wolff ({7}) Dr. Max Stadler Josef Philip Winkler Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Für die Unionsfraktion hat der Kollege Reinhard Grindel das Wort. ({8})

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einem Gedanken beginnen, der im Zusammenhang mit Fragen des Bleiberechts leicht übersehen wird. Am Beginn jeder Bleiberechtsregelung steht eine unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht unproblematische Botschaft. Ausländern, die als abgelehnte Asylbewerber oder ehemalige Bürgerkriegsflüchtlinge ihrer Pflicht zur Ausreise nachgekommen sind und unter schwierigsten Bedingungen, etwa auf dem Balkan, ihre Existenz wieder aufgebaut haben, die nicht durch Tricks und Täuschungen ihre Abschiebung verhindert haben, sagen wir im Grunde genommen: Eigentlich wart ihr dumm; ihr hättet nur lange genug euren Aufenthalt in Deutschland herauszögern müssen, dann hättet ihr jetzt eine Bleibeperspektive. ({0}) Insofern kann schon aus Gründen der Einheitlichkeit unserer Rechtsordnung eine Bleiberechtsregelung nur für besonders schwerwiegende Fälle infrage kommen, bei denen vor allem aus humanitären Gründen eine Rückführung ins Heimatland nicht vertretbar erscheint. Es geht hier also um schwierige Abwägungsprozesse. Von solchen rechtsstaatlich gebotenen Abwägungsprozessen ist in den Anträgen der Opposition nichts zu lesen. Die Grünen und die Linke wollen im Grunde vielmehr, dass jeder Ausländer ein Bleiberecht erhält, der es geschafft hat, sich fünf Jahre rechtmäßig in Deutschland aufzuhalten. Ich sage in aller Deutlichkeit: Das ist nichts anderes als ungesteuerte Zuwanderung durch die Hintertür. Dahinter steht verstaubtes und vor allen Dingen gescheitertes Multikultidenken. Das hat mit einer modernen Integrationspolitik nichts zu tun. Deshalb lehnen wir die Einführung eines solchen nahezu schrankenlosen Bleiberechts ab, meine Damen und Herren. ({1}) Bemerkenswert an Ihren Anträgen ist vor allem, was nicht drinsteht, zum Beispiel, welche Bedingungen Sie, lieber Kollege Winkler, an Ausländer nicht stellen, bevor sie sich auf ein Bleiberecht berufen können. Sie verlangen nicht, dass Ausländer hinreichende Deutschkenntnisse besitzen. Sie verlangen nicht, dass die Ausländer ihre Kinder auf die Schule schicken und die Kinder diese erfolgreich besuchen. Sie verlangen nicht, dass sie über ausreichenden Wohnraum verfügen. ({2}) Sie schließen nicht einmal ein Bleiberecht bei solchen Ausländern aus, die schwere Straftaten begangen haben oder Bezüge zu extremistischen Organisationen aufweisen. ({3}) Mit anderen Worten: Ihnen ist es völlig egal, ob die Ausländer, denen Sie ein Bleiberecht geben wollen, in Deutschland integriert sind oder ob sie in einer völlig abgeschotteten Parallelwelt leben oder ob sie vielleicht sogar eine Gefahr für unsere Sicherheit darstellen. Das ist völlig verantwortungslose Politik. ({4}) Der Antrag der Fraktion Die Linke beschränkt sich noch nicht einmal auf eine Altfallregelung. Sie von der Linken verzichten völlig auf einen Stichtag, zu dem sich der Ausländer eine bestimmte Anzahl von Jahren in unserem Land aufgehalten haben muss. Sie wollen eine dauerhafte gesetzliche Bleiberechtsregelung. ({5}) - Da Sie gerade „Zu Recht!“ dazwischengerufen haben, können wir Ihnen nur sagen - vielleicht denken Sie einmal darüber nach -: Die Beispiele von Spanien, Portugal oder auch Italien zeigen doch, dass solche Regelungen einen gefährlichen Sogeffekt entwickeln. Wer die unerträglichen Bilder von Flüchtlingen vor den Küsten Spaniens und Italiens betrachtet, der kommt doch zu einer klaren Schlussfolgerung: Wir müssen Fluchtursachen bekämpfen, aber wir dürfen nicht falsche Anreize schaffen, die dazu führen, dass sich Flüchtlinge, oftmals missbraucht von Schleppern und Schleusern, auf den Weg in unser Land machen, weil sie glauben, hier auf Dauer bleiben zu können. Mit einer solchen Art von Bleiberechtsregelung senden Sie doch völlig falsche Signale aus. ({6}) Ein Bleiberecht - ich sage das mit Bedacht - kann es doch nur in solchen Fällen geben, in denen schwerwiegende humanitäre Gründe dafür sprechen, eigentlich ausreisepflichtigen Ausländern eine Aufenthaltsperspektive in Deutschland zu geben. Voraussetzung für ein Bleiberecht muss eine Verwurzelung in unserem Land sein, die aus Gründen entstanden ist, die der betroffene Ausländer eben gerade nicht selbst zu verantworten hat. Die Einräumung eines Bleiberechts ist allenfalls denkbar bei langjährig in Deutschland aufhältigen Ausländern, denen die Rückkehr in ihre eigentliche Heimat verwehrt war. Es ist vor allem dann denkbar, wenn diese Ausländer Kinder haben, die hier schon lange leben oder sogar geboren sind, die keinerlei Perspektive in ihrem eigentlichen Heimatland haben, die aber eine gute Perspektive in unserem Land besitzen. Dagegen verlangen die Grünen und die Linke noch nicht einmal, dass die Ausländer, die in den Genuss des Bleiberechts kommen wollen, eine Beschäftigung nachweisen müssen. Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Ein Bleiberecht kann es nicht geben, wenn dies zu einer Zuwanderung in die Sozialsysteme führt. ({7}) Ein Bleiberecht kann es nur für Ausländer geben, die einer dauerhaften Beschäftigung nachgehen und eben nicht die Sozialkassen belasten. ({8}) Wir wollen auch nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Ausländer ein Bleiberecht bekommen, die ihren langfristigen Aufenthalt vorsätzlich selbst verschuldet haben, durch Täuschung über ihre Identität oder Behinderung bei Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung. Es kann nicht sein, dass wir diejenigen auch noch mit einem Bleiberecht belohnen, die beharrlich gegen unsere Rechtsordnung verstoßen haben, und das auch noch auf Kosten von Sozialleistungen, die manchmal höher sind als reguläre Einkommen von rechtschaffenen Arbeitnehmern in unserem Land. Wir müssen auch daran denken, dass wir mit einer Bleiberechtsregelung die Aufnahmebereitschaft und Aufnahmefähigkeit unserer Bürger nicht überfordern. ({9}) Falsch ist es auch, Herr Kollege Winkler, wenn die Grünen mit ihrem Antrag zum Thema Kettenduldungen den Eindruck erwecken, als ob diese mit dem Zuwanderungsgesetz generell abgeschafft werden sollten. Gemäß § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes kann Ausländern aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis dann erteilt werden, wenn ihre Ausreise auf absehbare Zeit „aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist“. Hier geht es also um ein Aufenthaltsrecht für Geduldete, die unser Land nicht verlassen können, und nicht für solche, die unser Land nicht verlassen wollen. Es kommt also auf objektive Gründe für die Frage der Unmöglichkeit der Ausreise und nicht auf den subjektiven Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit der Ausreise an. Diese Interpretation des § 25 Abs. 5 ist, wie Sie wissen, durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt worden. Falsch ist es auch, wenn die Grünen in ihrem Antrag behaupten, die bisherige Anwendung dieses § 25 Abs. 5 habe nur in wenigen Einzelfällen zur Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen geführt. In Wahrheit sind nach dem Evaluierungsbericht des Bundesinnenministeriums in über 25 000 Fällen entsprechende Aufenthaltserlaubnisse erteilt worden. Die tatsächliche Zahl liegt wegen statistischer Unvollständigkeiten noch höher. Der Zweck der Vorschrift ist also durchaus erfüllt. ({10}) Würde man bei § 25 Abs. 5 den Gesichtspunkt der subjektiven Zumutbarkeit mit aufnehmen, dann - das ist unsere Sorge als CDU/CSU - hätte man auch hier ein Bleiberecht durch die Hintertür und könnte somit auf die anderen Vorschriften, die hier beantragt wurden, eigentlich gleich verzichten. Dann sollte man so ehrlich sein und sagen, wir wollen eine Regelung, bei der jeder bleiben kann, der will; wir schalten jede objektive Prüfung aus. Das wollen wir als CDU/CSU aber nicht. ({11}) Sie wissen, die Koalitionsfraktionen und die Innenminister der Länder beraten über die Frage, ob wir zu einer Bleiberechtsregelung kommen wollen, die ihren Namen auch tatsächlich verdient, ({12}) und, wenn ja, wie diese dann ausgestaltet sein sollte. Es wird zur Stunde verhandelt. Deshalb ist meine herzliche Bitte, dass Sie dafür Verständnis haben, dass wir - ich habe es Ihnen gesagt - uns schon vor Ende der Debatte - zumindest gilt das für mich und den Kollegen Veit, wie ich denke - auf den Weg machen. Es ist für einen guten Zweck, Kollege Winkler. ({13}) Beschimpfungen nehme ich dann gerne aus dem Protokoll entgegen. Wenn überhaupt - auch das sage ich mit Bedacht -, dann müssen wir eine Bleiberechtsregelung schaffen, die Integration fördert und nicht zu einer ungesteuerten Zuwanderung führt, eine Regelung, die eine Perspektive für die Menschen auf dem Arbeitsmarkt eröffnet und die nicht in die Sozialkassen führt. Für CDU und CSU kommt nur eine Bleiberechtsregelung in Betracht, die Humanität und Rechtsstaatlichkeit miteinander verbindet. ({14}) Ich darf Ihnen versichern: Daran arbeiten wir in der Koalition sehr zielorientiert und vor allem verantwortungsbewusst jeden Tag, auch heute. Herzlichen Dank. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Hartfrid Wolff für die FDPFraktion. ({0})

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass die Bundesregierung das Bleiberecht laut Presseberichten nun offenbar reformieren will - die IMK berät intensiv darüber -, ist ein längst überfälliger Schritt. Ich begrüße ihn ausdrücklich. ({0}) Lieber Herr Kollege Grindel, ich bin mir nicht ganz sicher, ob Sie immer die gleichen Vorlagen wie ich gelesen haben. Wir haben in diesem Hause die Bundesregierung immer wieder aufgefordert, sich endlich an die Lösung des Problems zu machen. Schon beim Zuwanderungskompromiss bestand eigentlich Einvernehmen, die Kettenduldungen abzuschaffen. ({1}) Es wird Zeit, dass das Gezerre - zuletzt leider die Blockadehaltung von Arbeitsminister Müntefering; Herr Veit, reden Sie noch einmal mit ihm - ein Ende findet. ({2}) Der FDP-Entwurf zum Zuwanderungsgesetz enthielt bereits eine Regelung, die mit den vorliegenden Gesetzentwürfen vergleichbar ist. Wir sind uns in vielen Punkten einig: Wenn bei lange geduldeten, gut integrierten Ausländern eine Abschiebung nicht mehr vertretbar ist, muss dieser Tatsache durch eine vernünftige und unbürokratische Regelung Rechnung getragen werden. ({3}) Die Integrationsbereitschaft von Migranten hängt von ihrer persönlichen Perspektive in Deutschland ab. Wenn ein gesicherter Aufenthaltsstatus fehlt, wird selbst bei einer längeren Aufenthaltsdauer die Motivation für Integrationsbemühungen erschwert. ({4}) Hartfrid Wolff ({5}) Wer Integration fördern will, muss die Perspektiven für den Aufenthalt verbessern. Integrationsleistungen müssen auch belohnt werden. ({6}) Arbeit ist ein entscheidender Integrationsfaktor. Der Zusammenhang von Arbeitserlaubnis und Aufenthaltsrecht muss deshalb eine besondere Aufmerksamkeit finden. Arbeit ermöglicht den Zuwanderern, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen, und fördert dadurch das Selbstwertgefühl nicht nur des Berufstätigen, sondern auch seiner Familienangehörigen. Sie ermöglicht soziale Kontakte und schafft Akzeptanz in der Bevölkerung. Das ist im Interesse der gesamten Gesellschaft. ({7}) Ohne gleichberechtigten Arbeitsmarktzugang können Zuwanderer sich nicht aus ihrer ökonomischen Abhängigkeit befreien. Erwerbstätigkeit ist die Grundlage für wirtschaftliche Eigenständigkeit. ({8}) Deshalb ist es notwendig, dass eine Aufenthaltserlaubnis vorgesehen wird, die automatisch auch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ermöglicht. Besonderer Handlungsbedarf besteht darin, eine gesicherte Lebensperspektive für die in Deutschland aufgewachsenen Kinder und Jugendlichen zu schaffen. Für ausländische Kinder und Jugendliche muss in Deutschland der Zugang zum Bildungssystem bestehen. Es kann nicht sein, dass Jugendliche, die in Deutschland eine Schullaufbahn beginnen, diese nicht abschließen dürfen. ({9}) Wir sind in einigen Punkten gegenüber Einzelregelungen in den vorliegenden Gesetzentwürfen zugegebenermaßen durchaus skeptisch. So findet die von uns geforderte Mitwirkungspflicht im Vorschlag der Grünen keine Berücksichtigung. Es ist aber sehr wohl relevant, dass geduldete Ausländer die Behörden nicht täuschen oder behindern, was ihren aufenthaltsrechtlichen Status anbelangt. Wir hatten in unserem Vorschlag auch einen seit mindestens sechs Jahren ununterbrochenen Aufenthalt in Deutschland als Bedingung vorgesehen. Schließlich ist es berechtigt, auch die Frage nach der Perspektive eines gesicherten Lebensunterhaltes zu stellen. Die große Schwierigkeit einer sinnvollen Bleiberechtsregelung besteht darin, einerseits den unhaltbaren Zustand der Kettenduldungen abzuschaffen, andererseits die Zuwanderung nach Deutschland so zu steuern, dass diese auch nachhaltige Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern findet. Auch hier muss die Integration die Leitlinie sein. Eine klare, nachvollziehbare Anwendung unseres Aufenthaltsrechtes ist Bedingung für eine Integration und Akzeptanz von Migranten. Gerade in diesem Zusammenhang müssen wir endlich auch beim Problem der so genannten Altfälle den Tatsachen ehrlich ins Auge schauen. Aus Sicht der FDP muss die tatsächliche Integration das entscheidende Kriterium sein, nachgewiesen durch eigenständigen Lebensunterhalt, deutsche Sprachkompetenz und Akzeptanz im persönlichen sozialen Umfeld - auch außerhalb der Migrantengesellschaft. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Wolff, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dagdelen?

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, gestern hieß es in einer Tickermeldung - auch Sie haben das gerade erwähnt -, dass eine Bleiberechtsregelung von Kriterien wie einem gesicherten Lebensunterhalt abhängig gemacht werden muss. Wie sollen aber Flüchtlinge, die nach § 39 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz oder nach § 11 Beschäftigungsverfahrensverordnung nur einen nachrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, einen gesicherten Lebensunterhalt vorweisen können, wenn sie einem faktischen Arbeitsverbot unterliegen?

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Eine Antwort darauf ist schnell gegeben: Das ist einer der wesentlichen Punkte, die jetzt mit verhandelt werden müssen. Wir müssen zu einer Abschaffung dieser Regelung kommen. Aus meiner Sicht brauchen wir eine vernünftige Regelung für eine Arbeitsmöglichkeit. Ich komme zum Schluss. Die FDP stimmt den vorliegenden Anträgen - auch denen der Linken - zu. ({0}) Wir möchten damit vor allem das klare Signal setzen, dass die Bundesregierung schnellstmöglich handeln und endlich eine sinnvolle Bleiberechtsregelung einbringen muss. Frau Staatsministerin Böhmer, ich gehe davon aus, dass dies bald der Fall sein wird. Ich hoffe dies jedenfalls. Ich danke Ihnen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Rüdiger Veit das Wort.

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst sowohl bei der Kollegin Ulla Jelpke als auch bei dem Kollegen Josef Winkler entschuldigen. Dass wir wegen der bereits seit 20.30 Uhr unter anderem zu diesem Thema laufenden Verhandlungen im Innenministerium den Saal verlassen müssen, bevor Sie geredet haben, ist sicherlich eine extreme Ausnahme. Ich bitte um Verständnis. ({0}) - So wollen wir es halten. Sie haben mit Ihrem Bestehen darauf, Ihre Anträge heute zu beraten, zugleich den geeignetsten - weil akutesten - und den ungeeignetsten Augenblick gewählt, weil wir als Koalitionspartner angesichts der in der Tat sowohl auf Bundesebene als auch im Rahmen der Vorbereitung der Innenministerkonferenz intensiv geführten Verhandlungen über das, was dabei vielleicht herauskommt, nur wenig mehr sagen können als das, was Sie ohnehin in den Medien schon haben nachlesen können. Nun hat mir, anders als ich es gedacht hatte, der Redebeitrag des Kollegen Grindel ein wenig die Möglichkeit genommen, ganz einschränkungslos die konstruktive Atmosphäre der geführten Verhandlungen sowohl mit den Politikern auf Berliner Ebene als auch mit den Innenministern zu loben. Deshalb will ich das ein wenig selektiver tun und sagen: Ich bin dankbar dafür, dass sowohl der Herr Innenminister Wolfgang Schäuble als auch sein Staatssekretär und natürlich Frau Böhmer in sehr kollegialer, sehr ehrlicher und sehr engagierter Weise an dieses Thema herangehen. ({1}) Ich habe gesagt, dass Sie auch den denkbar geeignetsten Zeitpunkt gewählt haben; denn diese sehr schwierige Problematik steht gerade im Fokus der Öffentlichkeit. Sie steht nicht nur im Fokus der Politik, sondern auch im Fokus der Nichtregierungsorganisationen und der Kirchen. Ich persönlich bin froh darüber, dass wir uns diesem Thema in dieser Klarheit und Deutlichkeit widmen. Vielleicht kommen wir ja noch zu einem Ergebnis, das von allen Fraktionen hier im Haus mehr oder weniger begrüßt wird. Worum geht es? Wir haben in Deutschland circa 180 000 geduldete Menschen, die ausreisepflichtig sind. Die Zahl ist deshalb nicht genau, weil viele, die in der Statistik geführt werden, Deutschland bereits verlassen haben. Auf der anderen Seite ist den Registervorschriften und leider auch der Praxis eigen, dass häufig nur das Familienoberhaupt als Geduldeter erscheint, während alle Familienangehörigen nicht gezählt werden. Sie können also davon ausgehen, dass bei diesen Angaben ehrlicherweise Schwankungen von plus/minus 20 000 Menschen in Rede stehen. Nach der Statistik hatten wir es hier zum Ende des Jahres 2005 mit 47 522 Kindern im Alter bis 15 Jahren - sind fast 50 000 - und 11 183 Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 18 Jahren zu tun. Wir reden also auch - das sollte die Herangehensweise an diese Problematik befruchten - über die Perspektive und das Schicksal von mindestens einer mittelgroßen deutschen Stadt voller Kinder und Jugendlicher. Sie haben jetzt keine Perspektive; sie sitzen mit ihren Eltern auf den Koffern. Sie können nicht ohne weiteres eine Lehrstelle antreten. Möglicherweise können sie ihren Schulabschluss nicht vernünftig zu Ende bringen. Warum ist es dazu gekommen? Wir hatten nach altem Recht die in meinen Augen nicht einleuchtende Regelung, dass jeder, der in Deutschland geboren wird, bzw. die Eltern für einen heranwachsenden Jugendlichen Anträge auf Anerkennung als Flüchtling oder Asylberechtigten stellen können, selbst wenn sie keinerlei Aussicht auf Erfolg haben. Das hat natürlich dazu geführt, dass Familien, wenn sie nicht auseinander gerissen wurden, so lange hier geblieben sind, bis alle Verfahren abgearbeitet waren. Diesen auch nach meiner Ansicht eigentlich unsinnigen Zustand haben wir mit In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 endlich beseitigt. Wir dürfen den Betreffenden jetzt aber bitte schön nicht vorhalten, dass sie ein ihnen vorher von uns, nämlich dem Gesetzgeber, eingeräumtes Recht missbraucht hätten. Nein, sie haben es richtigerweise und verantwortungsvoll gebraucht, was man ihnen nicht vorwerfen darf. Es wäre eigentlich unsere Pflicht gewesen - da stimme ich mit einigen Vorrednern überein -, im Rahmen des Zuwanderungskompromisses eine Altfall- oder Übergangsregelung zu schaffen, um ein für alle Mal klarzustellen: Wer aufgrund unseres Rechts so lange hier geblieben ist, hat die Chance und die Berechtigung, dass sein weiterer Verbleib und der seiner Familie in Deutschland geprüft wird. Dazu ist es leider nicht gekommen. Ich könnte Ihnen die Ursachen nennen; ich will das aber jetzt bewusst nicht tun, und dies nicht nur aus Gründen der Redezeit. Nicht immer ist die Verantwortung ganz klar zwischen den Parteien verteilt. Richtig ist auch, dass wir mit der Neufassung des § 25 des Aufenthaltsgesetzes das Elend der Kettenduldungen weitestgehend abschaffen wollten. Wir wollten dafür sorgen, dass die betroffenen Menschen und ihre Familien in Deutschland eine klare Perspektive haben, hier arbeiten und ihre Familie ernähren und die Kinder die Schulausbildung abschließen und dergleichen Dinge mehr tun können. ({2}) Das ist leider nicht in dem Maße gelungen, wie das der Gesetzgeber gewollt hat. Auch die Ursachen hierfür sind vielfältig. Ich meine daher, dass es jetzt wirklich allerhöchste Zeit ist, sich dieses Themas anzunehmen. Da gibt es im Prinzip unter anderem den Weg über einen Beschluss der Innenministerkonferenz, die bekanntermaßen am Donnerstag und Freitag nächster Woche tagt. Dazu sage ich: Nach all dem, was ich bisher darüber weiß, sind nach dem Prinzip „kleinster gemeinsamer Nenner“ die Siebe so eng gestellt, dass kein großer Wurf mehr gelingen kann, weil von vornherein klar ist: Die Mehrheit der Betroffenen wird sicherlich nicht einmal annähernd potenziell begünstigt werden können. Wenn man sich jetzt vor Augen führt, dass selbst die Länderinnenminister von der Union und andere CDU/ CSU-Kollegen sagen, dass wir von den über 200 000 Geduldeten allenfalls 10 Prozent oder, wenn wir Glück haben - ich habe es noch wörtlich im Ohr -, 20 Prozent mittelfristig auf Dauer aus Deutschland abschieben können, dann wird doch klar, dass wir uns dieRüdiger Veit ses Problems endlich annehmen müssen, und zwar in einer Weise, dass dieser Schwebezustand, der für alle Beteiligten unbefriedigend und vor allen Dingen unter dem humanitären Gesichtspunkt in höchster Weise angreifbar ist, beseitigt wird. ({3}) Wenn jetzt beispielsweise Bischof Huber und Kardinal Lehmann an die Innenminister appellieren, es müssten Kriterien gefunden werden, die von den Betroffenen auch erfüllt werden können, Staatsangehörige bestimmter Länder dürften nicht ausgenommen werden und ganze Familien dürften nicht deswegen abgeschoben werden, weil sich vielleicht einzelne Teile dieser Familie - und seien es die Eltern - falsch verhalten hätten, und sie darüber hinaus fordern, über eine Änderung des § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes sei für die Zukunft möglichst eine Beseitigung der Kettenduldungen zu erreichen, dann kann ich ihnen darin nur allumfänglich zustimmen. Ich will auf ein Problem zu sprechen kommen, das Herr Wolff angesprochen hat; denn da gerät die Verantwortung durcheinander. - Herr Kollege Wolff, ich unterbreche Sie ungerne in Ihrem Dialog mit dem Kollegen Thiele; aber ich möchte versuchen, Ihnen eine Aufklärung zu geben. - Es ist fälschlicherweise der Eindruck erweckt worden, es sei der sozialdemokratische Arbeitsminister, der einer großzügigen Bleiberechtsregelung wegen seiner nicht verständlichen Hartherzigkeit entgegenstehe. Das ist so nicht richtig. In jeder entsprechenden Altfallregelung der Vergangenheit wurde davon gesprochen, dass die Betroffenen eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Daraus folgt dann nach § 9 der Beschäftigungsverfahrensverordnung automatisch ihr unbeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt. Jetzt waren es leider die Länderinnenminister von der Union, die gesagt haben: Wir wollen aber denjenigen, die heute noch keine Arbeit haben, keine Aufenthaltserlaubnis für zwölf Monate geben. ({4}) - Sprechen Sie mich bitte nicht auf die SPD-Innenminister und -Senatoren an! ({5}) Dann müsste ich ein überparteilich unfreundliches Wort sagen. Diese Andeutung soll ausreichen. ({6}) Seit ungefähr zwölf Wochen sind wir dabei, festzulegen, dass die Duldung für zwölf Monate erst einmal ausreichen muss. In dieser Zeit sollen sich die Betroffenen eine Arbeit suchen. Dafür brauchen sie dann eine Sonderregelung des Arbeitsministers im Rahmen der Beschäftigungsverfahrensverordnung. Das haben nicht wir erfunden. Ich sage es noch einmal: Ich bin überhaupt nicht begeistert. Denn derjenige, der aufgrund seiner Unterqualifikation sowieso Schwierigkeiten hat, auf dem deutschen Arbeitsmarkt einen Job zu finden, der hat natürlich noch größere Schwierigkeiten, wenn er seinem Arbeitgeber nur eine Duldung und keine Aufenthaltserlaubnis vorweisen kann. Das ist eine ganz große Schwachstelle, die jetzt allerdings von allen Länderinnenministern erkannt worden ist. ({7}) Das ist ein großes Problem und das haben wir jetzt geklärt. Aber zufrieden bin ich damit nicht. ({8}) Ich bin auch mit einer ganzen Reihe anderer Regelungen, die vorgesehen sind, überhaupt nicht zufrieden. So sind die Mindestverweildauern von sechs Jahren für Familien und von acht Jahren für Alleinstehende viel zu hoch. Man sollte sich vor Augen führen, welche Situation eintreten kann, wenn man bei der Frage der Bestreitung des Lebensunterhalts keine Ausnahmen zulässt: Ein Familienvater, der hoch motiviert, fleißig und zu Überstunden bereit ist, aber keinen gut qualifizierten Job hat, weil er einen solchen Job gar nicht bekommen kann, und vielleicht nur 1 400 oder 1 500 Euro im Monat nach Hause bringt, ist gar nicht in der Lage, allein davon den Familienunterhalt für sich und seine zwei, drei oder vier Kinder zu bestreiten. Daraus folgt: Wenn die Regelung tatsächlich wirken soll, muss sichergestellt werden, dass der Bezug ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt oder von ALG II einen Verbleib in der Bundesrepublik nicht gefährdet. Es gäbe noch sehr viel zu sagen. Es ist zu erwarten, dass die Innenministerkonferenz die Siebe zu eng stellt; meine Kritik daran habe ich verdeutlicht. Sie können sicher sein: Die Sozialdemokraten werden sich redlich bemühen, den IMK-Beschluss zu beeinflussen, und sich weiterhin bei der Klärung der Frage, wie man eine vernünftige Altfall- und Bleiberechtsregelung gesetzlich fixieren kann - das ist eine Alternative, die verschiedentlich angesprochen wurde -, engagieren. Damit wir das gleich tun können, begeben wir uns nun zum Kollegen Schäuble in den Sitzungssaal. Ich bitte um Verständnis.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich bedanke mich für Ihre Geduld. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Gern geschehen. Ich rufe die Kollegin Ulla Jelpke von der Fraktion Die Linke auf. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein weiteres Mal diskutieren wir hier im Bundestag über Vorschläge zur Abschaffung der Kettenduldungen. Spätestens die diskutierten Eckpunkte für eine so genannte Bleiberechtsregelung - Kollege Veit hat sie schon angesprochen - offenbaren, dass es wohl ein weiteres Mal zu keiner Lösung kommt. Die Hoffnungen von fast 200 000 betroffenen Flüchtlingen und Migranten, von denen übrigens mehr als 50 000 seit zehn Jahren oder länger in Deutschland leben, werden wieder einmal bitter enttäuscht. Schon der Titel des Tagesordnungspunktes der Innenministerkonferenz verrät alles: Bleiberecht für im Bundesgebiet wirtschaftlich und sozial integrierte ausreisepflichtige ausländische Staatsangehörige Der bayerische Innenminister Beckstein hat schon angekündigt, dass höchstens 50 000 unter diese Regelung fallen werden. Diese Zahl ist meiner Meinung nach sehr geschönt; auch Pro Asyl vertritt diese Meinung. Bisher konnte nicht einmal die Bundesregierung die Anfrage, wie viele Menschen mit Duldung eine Arbeitserlaubnis besitzen, beantworten. Mit anderen Worten: Erst legt man diesen Menschen alle möglichen Steine in den Weg und erschwert damit ihre Integration; dann schiebt man sie mit der Begründung, dass sie sich nicht integriert hätten, ab. Was ist das für eine Logik? Die Hardliner in der Union tun sich immer wieder mit Äußerungen hervor, die an Zynismus nicht zu überbieten sind. Kollege Grindel hat nicht nur im Ausschuss, sondern soeben auch hier gesagt, ein Bleiberecht müsse mit erbrachten Integrationsleistungen erkauft werden. Doch wie soll soziale Integration aussehen, wenn über Arbeitsverbote und eine Residenzpflicht der Weg in den Arbeitsmarkt systematisch verbaut wird? Wie sollen Sprachkenntnisse erworben werden, wenn es für viele keine entsprechenden Angebote, sondern vor allen Dingen Ausgrenzung gibt? Ich frage Sie: Würden Sie sich in eine Gesellschaft integrieren, deren führende Politiker Sie immer wieder als Sozialschmarotzer, als Kriminelle und als Bedrohung darstellen? - Das würden Sie doch wohl nicht tun! Es geht den Innenministern nicht wirklich um die Abschaffung der Kettenduldung; von Bleiberecht kann gar keine Rede sein. Es geht um eine Altfallregelung, zu der viele der Betroffenen gar keinen Zugang haben. Sie besitzen sogar noch die Frechheit, in Ergänzung zu einer völlig inhumanen Regelung weitere Verschärfungen auf den Weg zu bringen. So soll die Abschiebepraxis weiter verschärft werden: Gesetzlich legitimiert sollen Menschen demnächst ohne Vorankündigung nachts von der Polizei aus den Betten gezerrt und zum Flughafen verschleppt werden können. - Die Befristung für den Bezug der eh schon reduzierten Sozialleistungen soll aufgehoben werden. Demnach werden Menschen in diesem Land demnächst zehn oder 15 Jahre lang mit Leistungen auskommen müssen, die weit unter dem Existenzminimum liegen. Umso erstaunlicher ist, welche Integrationsleistungen Migranten dennoch erbringen. Damit Sie von der Union mir folgen können, stelle ich Ihnen beispielhaft die Brüder Kalanawi vor - Sie können dies der „FAZ“ vom Dienstag entnehmen -: Die beiden leben seit acht Jahren in Deutschland. Einer ist Schulsprecher an seinem Gymnasium. Er wird durch die Altfallregelung der IMK fallen. Er macht gerade sein Abitur und möchte danach Medizin studieren. Da er seinen Lebensunterhalt nicht finanzieren kann, wird dieser Mensch von Ihnen abgeschoben. Ein anderes Beispiel ist ein 18-jähriger Kosovo-Albaner, der mit sechs Jahren nach Deutschland kam. Er pflegt seinen Vater, für den er gerichtlich bestellter Betreuer ist. Nun soll er in ein Land abgeschoben werden, dessen Sprache er nicht spricht. Was für eine Politik machen Sie? Das sind Menschen, die schon lange hier leben. Ich finde, das ist ein Skandal. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Diese Politik ist menschenunwürdig und inhuman. Dieses seit Jahren andauernde Geschachere der Innenminister muss meines Erachtens ein Ende haben. ({0}) Deswegen haben wir keine Altfallregelung vorgelegt, sondern einen Gesetzentwurf, aufgrund dessen den Menschen, die mindestens fünf Jahre in Deutschland leben, ein Bleiberecht eingeräumt wird. Es bietet ihnen die Möglichkeit, sich hier mit ihren Familien wirklich niederzulassen. Danke schön. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat Josef Winkler für Bündnis 90/Die Grünen.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Da Herr Grindel schon gehen musste, will ich nicht alle seine Falschinformationen einzeln aufgreifen. ({0}) Auf eine, die mich besonders geärgert hat, will ich am Anfang meiner Rede aber doch kurz eingehen. Von unserer gesetzlichen Regelung sind - darauf habe ich schon im Ausschuss hingewiesen - keine Ausländer betroffen, die schwerste Straftaten begangen haben. ({1}) Das hat er hier am Rednerpult eben behauptet. Im Gesetzentwurf ist klar enthalten, dass Menschen, bei denen Ausweisungstatbestände vorliegen, nicht unter diese Regelung fallen. Das war ein Fall von Desinformation. ({2}) Herr Grindel hat viele Fehler vorgetragen. Scheinbar hat er nicht den Gesetzentwurf, sondern irgendeine Pressemitteilung von Otto Schily aus dem Jahre 1986 gelesen. ({3}) - Das weiß ich. Ich bin froh, dass Sie mir zuhören. Offensichtlich kommen meine Scherze hier gut an. ({4}) Das Vorgehen der Länderinnenminister ist bei weitem nicht so amüsant wie die Stimmung in diesem Raum. Offensichtlich überbieten sie sich gegenseitig darin, so wenig Menschen wie möglich von der Bleiberechtsregelung profitieren zu lassen. Das ist, wie ich finde, ein Skandal. ({5}) Werte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, es liegt schon eine gewisse Ulkigkeit darin, wenn ausgerechnet Sie dem Arbeitsminister Müntefering vorwerfen, er wäre derjenige, der eine sinnvolle Regelung zum Bleiberecht verhindere. Er fordert von Ihnen die Durchsetzung der Regelung, die Minister Schäuble und andere Innenminister von der Union in den zurückliegenden Jahrzehnten praktiziert haben. Er sagt nämlich: Die Duldung soll nicht verlängert werden - das ist auch nicht sinnvoll, weil es sich nicht um einen rechtmäßigen Aufenthalt handelt -, vielmehr soll ein rechtmäßiger Aufenthaltsstatus mit gleichrangigem Arbeitsmarktzugang gewährt werden. Was Sie Herrn Müntefering jetzt vorwerfen, müssten Sie Herrn Schäuble nachträglich für das vorwerfen, was er 1990 gemacht hat. Deswegen sage ich in diesem Zusammenhang aus ganzem Herzen: Müntefering, wir stehen an deiner Seite! ({6}) Kardinal Karl Lehmann und Bischof Huber haben heute die Unionsparteien, insbesondere die Länderinnenminister, noch einmal mit Verve aufgefordert - das ist eben schon gesagt worden; das ist richtig -, ihre Blockadehaltung aufzugeben. Sie haben in aller Schärfe darauf hingewiesen, dass es hier um Menschenschicksale geht. Es geht nicht darum, dass irgendwelche Verbrecher nicht abgeschoben werden können. ({7}) Es sind meist Familien, es sind fast 100 000 Kinder und Jugendliche. Da kann man nicht immer mit der Sozialmissbrauchskeule kommen. Die Kinder und Jugendlichen können noch nicht arbeiten und die Eltern haben in der Regel keine Arbeitserlaubnis. Also bitte, hören Sie auf mit dieser Propaganda und machen Sie etwas für diese Menschen! ({8}) Wir fordern, dass die Begünstigten keine Verlängerung ihrer Duldung bekommen, sondern eine Aufenthaltserlaubnis. Wir finden, dass ein Bleiberecht nicht davon abhängig gemacht werden soll, dass die Begünstigten dieser Regelung in einem dauerhaften Beschäftigungsverhältnis stehen, wie es vonseiten einiger Unionsinnenminister vorgetragen wird. Das macht keinen Sinn. Sie wissen genau: Wenn man geduldet wird, hat man Residenzpflicht, man darf seinen Landkreis bzw. Ausländeramtsbezirk nicht verlassen. Es ist deshalb gar nicht möglich, als Fahrer bei einer Spedition zu arbeiten oder als Bauarbeiter. Frau Jelpke hat es bereits gesagt: Erst tut man alles, um Hürden aufzustellen, die eine Arbeitsaufnahme verhindern, und dann sagt man: Ihr habt nicht gearbeitet und bezieht Sozialleistungen. Jetzt müsst ihr raus hier. - So geht es nicht, meine Damen und Herren. Das Gleiche gilt für die Deutschkenntnisse. Als Geduldeter hat man keinen Anspruch auf Deutschkurse. Sollen diese Leute von ihrem Geld - Sozialhilfesatz minus ein Drittel minus 15 Jahre fehlende Erhöhungen für 100 Euro aus eigener Tasche bei der Volkshochschule einen Deutschkurs belegen? Wenn ich jeden Tag von Abschiebung bedroht wäre und damit rechnen müsste, dass die Polizei vor der Tür steht und mich nebst Kindern in mein womöglich im Bürgerkrieg befindliches Heimatland abschiebt, hätte ich Besseres zu tun, als mich zu integrieren, indem ich bei der Volkshochschule einen Deutschkurs belege, den ich auch noch selbst bezahlen muss. Ich komme zum Schluss. Was schon gar nicht geht, ist, dass man sagt: Ihr dürft bleiben, aber dann wird das Asylbewerberleistungsgesetz dauerhaft für euch gelten. Das heißt, ihr bekommt ein Drittel weniger als der letzte Sozialhilfeempfänger in diesem Land, und das lebenslänglich. - So etwas, Herr Schäuble, machen wir nicht mit. Wenn Sie einer solchen Regelung zustimmen, finde ich das überhaupt nicht christlich. Sie wissen, wie die Lage im Irak ist. Herrn Beckstein ist es ja besonders wichtig, dafür zu sorgen, dass alle Menschen, die aus dem Irak kommen, generell von dieser Regelung ausgeschlossen werden. Das haben heute die katholische und die evangelische Kirche

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- ich bin beim letzten Satz - und der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge heftig abgelehnt. Wir schließen uns dem an. Danke. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Fraktion Die Linke eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes und anderer Gesetze auf Drucksache 16/369. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2563, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und der FDP bei Enthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes ({0}) auf Drucksache 16/218. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2563, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktionen des Bündnisses 90/Die Grünen, der FDP und der Linken. Nach unserer Geschäftsordnung entfällt auch hier die weitere Beratung. Zusatzpunkt 6 b. Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 16/2563 zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Kettenduldungen abschaffen“. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 16/687 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 15 auf: - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung kraftfahrzeugsteuerlicher Vorschriften auch hinsichtlich der Wohnmobilbesteuerung - Drucksache 16/519 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Horst Friedrich ({1}), Carl-Ludwig Thiele, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes - Drucksache 16/473 - a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2}) - Drucksache 16/3314 - Berichterstattung: Abgeordnete Patricia Lips Frank Schäffler b) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/3316 Berichterstattung: Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Carsten Schneider ({4}) Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Anja Hajduk Hierfür ist zwischen den Fraktionen eine Debatte von einer halben Stunde verabredet worden. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat der Kollege Florian Pronold das Wort.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heutigen Beschluss beenden wir eine Hängepartie von eineinhalb Jahren für die Besitzerinnen und Besitzer von Wohnmobilen. Seit langem wissen die Betroffenen, dass es zu einer Änderung der Besteuerung kommen wird. Es ist wichtig, dass sie jetzt Rechtssicherheit bekommen. ({0}) Nach langen Debatten zwischen Bund und Ländern haben wir einen tragfähigen Kompromiss gefunden, auch wenn wir von der SPD-Fraktion uns anderes gewünscht haben. Zu Beginn dieser Debatte haben wir und übrigens auch das damals noch SPD-regierte Land Nordrhein-Westfalen Anträge eingebracht, mit denen wir auf keinerlei Steuererhöhungen für die Wohnmobilbesitzer abgezielt haben. ({1}) Als wir unter Rot-Grün einen Gesetzentwurf eingebracht haben, um die Luxusgeländewagen höher zu besteuern, haben uns die Länder unter der Führung des Freistaates Bayern zugesagt, eine Ausnahmeregelung zu schaffen, damit es zu keiner höheren Besteuerung der Wohnmobile kommt. ({2}) Zu dieser Regelung kam es nicht. Damit gibt es seit eineinhalb Jahren ein gültiges Recht, das von den Ländern nicht angewendet worden ist. Stattdessen wurden vorläufige Steuerbescheide auf Basis des ganz alten Rechts erlassen. Das hat für die Verhandlungen hier zu einer sehr schwierigen Situation geführt. Gemessen an dem, was im Gesetz normiert ist, haben wir es geschafft, eine Reduzierung der Steuerlast um 20 Millionen Euro zu vereinbaren. Gleichwohl kommt es zu einer deutlichen Steuererhöhung für die Wohnmobilbesitzer. ({3}) - Es ist schön, dass insbesondere die FDP das kritisiert. ({4}) Warum? Das Land Nordrhein-Westfalen hat, als es noch SPD-regiert war, im Bundesrat einen Antrag eingebracht, um diese zusätzliche Besteuerung zu verhindern. Als die Regierung in Nordrhein-Westfalen gewechselt hat - wenn mich nicht alles täuscht, sind Sie an der neuen Regierung beteiligt -, ({5}) haben Sie umgeschwenkt und wollten die Besitzer von Wohnmobilen zur Kasse bitten. ({6}) Deswegen ist es besonders verlogen, wenn Sie sich hier als Retter der Wohnmobilbesitzer aufspielen, während Sie sich in Nordrhein-Westfalen als Raubritter betätigen. Das muss man hier in aller Deutlichkeit sagen. ({7}) Wir haben uns bemüht, auf Basis des Vorschlags des ADAC eine vernünftige Lösung zu finden. Dies endete in einem eigenen Wohnmobiltarif. Bei der Besteuerung von Wohnmobilen bis zu 2,8 Tonnen wurde so eine deutliche Verbesserung erreicht; das kann man hier einmal festhalten. Trotzdem bleibt es dabei - das kann man nicht leugnen -, dass es durch die Komponenten Gewichtsklasse und Schadstoffausstoß für viele Wohnmobilbesitzer zu Steuererhöhungen kommt, die wir so nicht wollten. Im politischen Geschäft ist es aber oft so, dass man sich zum Schluss auf einen Kompromiss einigen muss. In diesem Zusammenhang kann man aber darauf hinweisen, dass es für die Betroffenen eine Möglichkeit gibt, diesen Steuererhöhungen aus dem Weg zu gehen - das ist von vielen auch schon angekündigt worden -, indem man die Wohnmobile nur noch für den Zeitraum anmeldet, in dem man sie nutzt. Dadurch werden die Steuereinnahmen vielleicht nicht so hoch ausfallen, wie es diejenigen erwarten, die diese Regelung miteinander verhandelt haben. Ich glaube trotz allem, dass die Eckpunkte des gefundenen Kompromisses richtig sind. Nun gibt es einen einheitlichen Wohnmobiltarif, der auf die Kriterien Gewicht und Schadstoffausstoß zielt. Damit schlagen wir den richtigen Weg ein. Wir haben eine dauerhafte und vernünftige Regelung gefunden, die auch vom ADAC vorgeschlagen worden ist. ({8}) - Herr Schäffler, Sie können Ihre Frage gerne am Ende meiner Rede stellen. Ich komme zum Schluss. Wir wollten eine bessere Regelung für die Wohnmobilbesitzer schaffen. Das war in der Situation, in der wir uns befunden haben, nicht möglich. Dass sich jetzt aber gerade die FDP zu Wort meldet und sich als Retter aufspielt, wundert mich. Denn es wäre schön gewesen, wenn sie in den Landesregierungen, an denen sie beteiligt ist, tatsächlich etwas in diese Richtung unternommen hätte.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, ich nehme an, dass das nicht bereits Ihre Antwort auf die noch zu stellende Zwischenfrage war, sondern dass Sie die Frage gern zulassen möchten.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich wollte heute eigentlich früher fertig werden. ({0}) Aber bitte schön.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön, Herr Kollege Schäffler.

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kollege Pronold, Sie haben gesagt, dass es sich bei der von Ihnen getroffenen Regelung um einen Kompromiss handelt. Wer hat diese Steuererhöhungen im Rahmen Ihrer Diskussionen denn befürwortet?

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wie ich Ihnen geschildert habe, waren die Wohnmobile in der bestehenden Rechtslage nicht ausgenommen. Wir haben versucht, das zu ändern. Darüber haben wir mit den Ländern lange Verhandlungen geführt. Wir haben es geschafft, die ursprüngliche Größenordnung der Steuererhöhungen von 70 Millionen Euro auf 50 Millionen Euro zu reduzieren. Wir wollten zwar mehr erreichen, aber das ist uns nicht gelungen. Wenn uns die FDP im Bundesrat unterstützt hätte, würden wir heute vielleicht über ein anderes Ergebnis reden. ({0}) Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und freue mich auf die anstehenden Debatten. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Schäffler für die FDP-Fraktion. ({0})

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion ist gegen die von der Koalition vorgeschlagene drastische Steuererhöhung bei Wohnmobilen. Wir haben deshalb bereits im Januar dieses Jahres den vorliegenden Gesetzentwurf eingebracht, in dem klargestellt wird, dass es im Hinblick auf Wohnmobile bei der Besteuerung nach Gewicht bleibt. Das war in diesem Hause immer unsere Haltung, ({0}) die wir schon in der letzten Wahlperiode in einem entsprechenden Antrag deutlich gemacht haben. Dies ist im Sinne des Vertrauensschutzes für die Bürger die einzig sinnvolle Regelung. ({1}) Ausgangspunkt war - das haben Sie richtigerweise gesagt -, dass die Privilegien für schwere Geländewagen abgeschafft werden sollten. Der rot-grüne Gesetzgebungsmurks hat allerdings dazu geführt, dass auch die Besteuerung von Wohnmobilen in die Diskussion geriet. Schwarz-Rot greift diesen Faden nun auf und will zusätzliche Einnahmen in Höhe von 50 Millionen Euro durch Steuererhöhungen für Wohnmobile erzielen. ({2}) Dies tun Sie allerdings, wie üblich, nicht zu publikumswirksamer Zeit, sondern kurz vor 22 Uhr. Aber auch die späte Stunde wird Sie nicht von der Aufmerksamkeit der Wohnmobilisten verschonen. Wir alle haben zahlreiche Zuschriften erhalten und die entsprechenden Internetseiten gelesen. In den Schlagzeilen heißt es: „Wir werden diesen Steuerwucher nicht mitmachen!“ oder: „Letzter Urlaub mit dem Wohnmobil?“. Diese Äußerungen - das wird Sie nicht wundern - stammen von unserem Kollegen Florian Pronold. ({3}) Er hat auch erklärt: Ich hoffe, dass sich die Union im Bundestag von ihren raffgierigen Kollegen Faltlhauser und Co. distanziert und mit uns gemeinsam die Wohnmobile von Steuererhöhungen ausnimmt. ({4}) Dieses Zitat stammt vom 17. März 2006. Das ist also noch gar nicht so lange her. Ich will Florian Pronold noch einmal zitieren - dieses Zitat liegt allerdings schon etwas länger zurück; es stammt vom 8. Juli 2005 -: ({5}) Nach der Bundestagswahl wollen Faltlhauser und seine Kollegen dann bei den Wohnmobilen abkassieren - mit bis zu zehnmal höheren Steuern. In seinem steuerpolitischen Raubrittertum nimmt Faltlhauser dabei weder auf die Camper Rücksicht noch auf den Tourismus in Bayern. Die Wohnmobilbesitzer verbringen einen Sommer der Ungewissheit, im Herbst folgt dann das böse Erwachen. ({6}) Das müssen Sie sich heute vorhalten lassen. Wer sich über Jahre populistisch als Verteidiger der Wohnmobilisten darstellt, der muss an dieser Stelle Farbe bekennen und kann sich nicht in die Furche zurückziehen. ({7}) Das lassen wir Ihnen auch nicht durchgehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie unterbrechen schon Ihre Rede. Möchten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Pronold zulassen? ({0})

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe noch einige Zitate. Insofern kann ich meine Rede noch ergänzen.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gern. - Sind Sie erstens bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in dem ursprünglichen Gesetzentwurf, der heute nicht mehr Gegenstand der Beratung ist, Erhöhungen der Kfz-Steuer für Wohnmobile bis zu 1 000 Prozent vorgesehen waren, dass sich dieser Rahmen deutlich vermindert hat und dass wir eine gerechtere Besteuerung hinbekommen haben?

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, das nehme ich nicht zur Kenntnis. ({0}) Denn Sie wollen mit dem Gesetzentwurf über 200 000 Wohnmobilisten mit einer Steuererhöhung von bis zu 150 Prozent belasten. Es hat für mich nichts mit Gerechtigkeit zu tun, wenn jemand zwei Wochen im Jahr sein Wohnmobil durch die Lande fährt und trotzdem künftig mehr als doppelt so hohe Steuern zahlen soll. Damit werden Sie die Betroffenen, von denen vielleicht der eine oder andere zu Ihren Wählern gehört, nicht überzeugen können. Ich glaube, dass Sie letztlich das Gegenteil erreichen werden. Deshalb stimme ich Ihnen in diesem Punkt nicht zu. Lassen Sie mich noch ein Zitat von Ihnen bringen. Sie haben schließlich danach gefragt. Ich zitiere: Da die Kfz-Steuer eine reine Ländersteuer ist, wurde im Bundesrat eine Arbeitsgruppe unter der Federführung Bayerns gebildet, um eine Mehrbelastung der Wohnmobile zu vermeiden. Sie haben des Weiteren festgestellt: Die SPD bedauert sehr, dass die Steuererhöhung nicht generell verhindert werden konnte. ({1}) Diese Zitate müssen Sie sich heute vorwerfen lassen. Sie müssen sich fragen, inwieweit Sie sich in dieser Frage tatsächlich durchgesetzt haben. ({2}) Sie belasten die Bürger mit zusätzlichen Steuern in Höhe von 50 Millionen Euro. Das halte ich für skandalös.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Pronold, warten Sie immer noch auf die Antwort Ihrer Frage? ({0}) Ich möchte nicht, dass es in Vergessenheit gerät und sich die Redezeit unendlich verlängert.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich wollte zweitens fragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Kfz-Steuer für Wohnmobile nicht in den Bundeshaushalt fließt, sondern zum Beispiel auch den Länderregierungen von Hessen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen zugute kommt, wo die FDP mitregiert. ({0}) - Verzeihung. Drittens frage ich Sie, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf die von Ihnen ignorierten Steuererhöhungen bis zu 1 000 Prozent betragen hätten und dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Rechtslage für die Betroffenen wesentlich verbessern, selbst wenn ich - wie Sie zu Recht zitiert haben - damit nicht zufrieden bin, weil ich keine Steuererhöhung wollte.

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das gestehe ich Ihnen gerne zu und fordere Sie auf, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. Wir wollen keine Steuererhöhungen für Wohnmobile. Sie müssen nur unserem Gesetzentwurf zustimmen. Darüber wird heute entschieden. ({0}) Deshalb können Sie an dieser Stelle Ihre Meinung deutlich zum Ausdruck bringen. Wie es inzwischen üblich geworden ist - das möchte ich abschließend feststellen -, soll die Steuererhöhung rückwirkend zum 1. Januar 2006 in Kraft treten. Sie missbrauchen damit innerhalb eines Tages gleich bei zwei Gesetzen, dem Jahressteuergesetz 2007 und dem jetzt beratenen Gesetz, das Vertrauen der Bürger in die bestehenden gesetzlichen Regelungen. Sie müssen sich nicht wundern, wenn dadurch das Vertrauen in die Politik und ihre Entscheidungsträger weiter abnimmt. Ich darf mich bedanken. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat die Kollegin Patricia Lips für die CDU/ CSU. ({0})

Patricia Lips (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach der Stimmungslage in den letzten Minuten zu urteilen, sind wir offensichtlich beim Highlight des heutigen Abends angekommen. ({0}) Gestatten Sie mir, zu Beginn meiner Rede zwei Dinge zu sagen. Herr Pronold, es ist vielleicht nicht sachgemäß, einen Kompromiss mit einer Schelte zu beginnen, um von eigenen Ankündigungen abzulenken. Herr Schäffler, abgesehen von den Zitaten, aus denen Ihre Rede zu zwei Dritteln bestand, enthielt Ihre Rede nur bedingt Substanzielles. ({1}) Die Diskussion, die wir heute zu Ende bringen, begann bereits in der letzten Legislaturperiode. Seit geraumer Zeit entfiel der Begriff der Kombinationskraftwagen bei der Kraftfahrzeugsteuer, ein Sammelbegriff insbesondere für Geländewagen, Großraumlimousinen, viele andere Fahrzeugtypen und auch für Wohnmobile mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 Tonnen; das wurde vorhin angesprochen. Ich erinnere daran, dass der Besitzer eines Geländewagens teilweise weniger zahlte als ein Besitzer eines regulären PKWs älterer Bauart. Darüber wurde vor etwa zwei Jahren diskutiert. Diese Kraftwagen unterlagen einer im Vergleich zu Personenkraftwagen günstigeren Besteuerung, vergleichbar mit der von Lastkraftwagen. Teilweise wurde dort noch einmal - je nach Gewicht - unterschieden, ob nun Emissionen zusätzliche Berücksichtigung fanden oder nicht. Die Auseinandersetzung über dieses Thema wurde zwar noch von dem damaligen Umweltminister Trittin in Gang gesetzt, jedoch nicht beendet. Sie hinterließ Lücken und sorgte für Verunsicherung der Betroffenen an anderer Stelle. Was sich für Geländewagen eindeutig und eher unstrittig umsetzen ließ - sie dienen vornehmlich der Personenbeförderung -, sorgte im Bereich der Wohnmobile für erhebliche Unruhe, da gravierende Mehrbelastungen erwartet wurden. Im April dieses Jahres hatten wir die erste Debatte über dieses Thema im Plenum. Ich stellte bereits damals folgende Fragen: Wann ist ein Wohnmobil eigentlich ein PKW, wann ein LKW und vor allen Dingen warum diese Unterscheidung, wenn es sich doch objektiv und nach Ansicht der Halter selbst in beiden Fällen in Gebrauch und Charakter um einen identischen Fahrzeugtyp handelt? ({2}) Warum unterliegt nach bisher geltender Regelung ein Halter eines Wohnmobils unterhalb einer bestimmten Gewichtsgrenze einer anderen Steuerart als jemand, dessen Fahrzeug darüber liegt? Warum werden beim einen Emissionen berücksichtigt, beim anderen nicht? Nach steuerlicher Behandlung und streng nach Gesetzeslage war dies zwar in den Steuersätzen geregelt. Aber eine Antwort auf die Frage nach der Steuersystematik konnte nicht gegeben werden. Punkt eins: Es galt eine sachgerechte Anpassung sowohl im Vergleich mit anderen Fahrzeuggattungen als auch innerhalb der Kategorie selber vorzunehmen. ({3}) Es lag in der Tat ein Vorschlag vor, nach dem zunächst die Kombinationsfahrzeuge, sofern sie objektiv und vorrangig der Personenbeförderung dienen, schrittweise in eine PKW-Besteuerung überführt werden sollten, an deren Ende jedoch - anders als bei PKW - für Wohnmobile ein dauerhafter Abschlag vorzusehen ist. Halter von Wohnmobilen wie Verbände befürchteten - wir alle haben entsprechende Schreiben bekommen - unzumutbare Härten und brachten eigene Vorschläge ein. Bund und Länder erarbeiteten daraufhin in den vergangenen Monaten - die Kfz-Steuer ist eine Ländersteuer - ein neues Konzept, das in den Grundzügen darauf basiert und das heute zur Abstimmung steht. Lassen Sie mich an dieser Stelle erwähnen, dass seit dieser Zeit allen bewusst ist, dass die bisherigen Regeln nicht mehr gelten. Damit komme ich zu Punkt zwei. Zu einem wichtigen Aspekt, um zu einer größeren Transparenz zu gelangen, und im Übrigen passend zu aktuellen Diskussionen an anderer Stelle - ich erinnere an heute Nachmittag wurde das Stichwort „umweltpolitisches Lenkungsprinzip“, das heißt die stärkere Berücksichtigung nach Schadstoffklassen auch bei Wohnmobilen. Dies wird, Kollege Schäffler, im Übrigen auch von namhaften Verbänden ausdrücklich unterstützt und vorgeschlagen. Wir sind da nicht allein. ({4}) In den vergangenen Jahren hat eine positive Entwicklung beim Schadstoffausstoß stattgefunden, die es verstärkt zu berücksichtigen gilt. Gleichzeitig ist jedoch das Spektrum der Gewichtsklassen sehr groß und eine Berücksichtigung auch hier ausdrücklich gewünscht. Aber die Diskussion bis zu diesem Punkt heute zeigt natürlich auch, dass das deutsche Steuerrecht auch an dieser Stelle vielfältig bleibt. Zum einen geschieht dies durch die Vielfalt der Modelle und individuellen Lebensumstände der Halter, ({5}) zum anderen durch das Bestreben, Wünsche und Anregungen mit steuerlichen und haushaltspolitischen Notwendigkeiten in Einklang zu bringen. Gegebenenfalls hat der eine oder andere Kollege in NRW dies so gesehen. Das Ergebnis: Erstens. Es wird eine eigene Kategorie für Wohnmobile geschaffen, unabhängig von den weiteren Kombinationsfahrzeugen. Bei aller zusätzlichen Differenziertheit des Systems muss man diesem Weg zugute halten, dass durch diese Umstrukturierung eine vergleichbare Darstellung innerhalb der Kategorie „Wohnmobile“ gefunden werden konnte. Ein Vergleich mit anderen Fahrzeugtypen und damit eine an sich ungerechtfertigte Ungleichheit entfallen. ({6}) Zweitens. Es wurde auch aus Gründen der Rechtssicherheit genau definiert, was eigentlich ein Wohnmobil ist, und zwar unter Berücksichtigung von Wohnanteil an der Gesamtnutzfläche, Stehhöhe, Kochgelegenheit und anderem mehr. Auch dieser Punkt sollte eigentlich unstrittig sein. Drittens - jetzt kommt der Kerngedanke -: Es wurden abgestufte Kategorien nach Schadstoffklassen für alle Wohnmobile gebildet, nochmals unterteilt nach Gewichtsgrößen. Ich möchte nicht verhehlen, dass außer Ihrem Vorschlag noch ein Vorschlag der Grünen auf dem Tisch liegt, einzig nach Schadstoffausstoß zu besteuern. Hier stellt sich aber nicht nur die Frage nach der Härte beispielsweise bei älteren Modellen oder einem erzielbaren Wiederverkaufswert. Das wirkliche Leben holt einen spätestens an dieser Stelle wieder ein. Auch Sie müssten differenzieren. Über Ihren Vorschlag wurde bereits ausführlich gesprochen. Ich stelle aber die Frage, warum bei einer Fahrzeugkategorie bei Erwerb des Fahrzeugs nicht auch die Frage nach der Emission des Fahrzeugs gestellt werden soll. Oder: Weshalb soll der Halter eines schweren Fahrzeugs neuerer Bauart in der Systematik und im Verhältnis mehr zahlen als einer, der ein leichteres Fahrzeug hat, das jedoch einen höheren Schadstoffausstoß hat? Sie sehen, dass Sie da nicht stringent sind. Es ist mit Sicherheit sehr populär, sich diesen Anstrich zu geben, aber man darf nicht näher nachfragen. ({7}) Im Ergebnis liegt die Jahressteuer für Wohnmobile nun über der für Lastkraftwagen und im Normalfall unterhalb der für Personenkraftwagen, in einer eigenen Kategorie, differenziert nach Schadstoff und Gewicht. Es wird Fahrzeuge geben, die aufgrund der früheren PKWBesteuerung nun weniger zahlen, ({8}) es wird aber auch solche geben, die mehr zahlen, insbesondere wenn sie nicht schadstoffreduziert sind. Wir wollen es nicht verschweigen. Am Ende steht jedoch auch hier eine Deckelung der Beträge, die nicht überschritten wird. Ich sage dies ausdrücklich. Es galt bei diesem Punkt, das Spannungsfeld zwischen einer Belastung auf der einen Seite und der umweltpolitischen Komponente auf der anderen Seite zu überbrücken. Mit dem vorliegenden Kompromiss soll die eingangs erwähnte Lücke endlich geschlossen und Klarheit geschaffen werden. Wir sind uns bewusst, dass wir wie bei vielen politischen Entscheidungen nicht überall auf Zustimmung stoßen werden. ({9}) Wir sind jedoch unter Berücksichtigung aller Belange, der Vielfalt der Modelle und zahlreicher Gespräche der Ansicht, in den vergangenen Monaten eine tragfähige Lösung gefunden zu haben. Zugunsten dieses Kompromisses, der über eine breite Mehrheit in Bundestag und Bundesrat verfügt, werden die anderen Diskussionsvorschläge der Vergangenheit zurückgestellt. Wir bitten deshalb um Zustimmung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll, Die Linke. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden dieses Gesetzesvorhaben nicht unterstützen. Wir werden aber auch nicht den Vorschlag der FDP unterstützen. Richtig ist es, dass wir derzeit eine Gesetzeslücke haben, die geschlossen werden muss. Alle Fahrzeughalterinnen und -halter haben natürlich Anspruch auf Rechtssicherheit. Richtig und wichtig ist es ebenfalls, in dem Gesetzgebungsverfahren auf Entwicklungen zu reagieren. Es war doch interessant, dass von den Haltern und Halterinnen der so genannten Pick-up-Fahrzeuge keine Proteste zu hören waren. Vielmehr wurde von ihnen die Umstellung und Klarstellung akzeptiert, dass ihre Fahrzeuge wie PKW behandelt werden. Es ist ein richtiger und wichtiger Schritt, dass eine hubraumund emissionsbezogene Besteuerung erfolgt. Denn gerade diese Pick-up-Fahrzeuge, die oftmals eine enorme Gefährdung im Stadtverkehr darstellen, sind gleichzeitig Spritfresser mit einem Verbrauch von 20 Litern auf 100 Kilometer im Stadtverkehr und ökologisch gesehen das Schlechteste, was man einsetzen kann. Die Halterinnen und Halter dieser Fahrzeuge sind sich im Klaren darüber, dass sie sich einen ökologisch schlechten Luxus leisten. Der Übergang allerdings von der reinen Besteuerung nach dem Gewicht zur PKW-Besteuerung von Wohnmobilen - auch in ihrer vorgeschlagenen abgeschwächten Form - ist doch etwas anderes. Uns allen ist klar, dass Wohnmobile oftmals sehr langlebige Konsumgüter sind und dass sie gewährleisten, dass viele Familien noch auf eine preiswerte Art und Weise Urlaub - Kurzurlaube mehrmals im Jahr oder einen größeren - machen können. Sie werden gehegt und gepflegt. Auf einmal sollen sie wesentlich stärker besteuert werden. Ich finde es nicht richtig, wenn die Bundesregierung und die sie tragende Koalition jetzt von ihren eigenen Bedenken abweichen, die sie noch in der Stellungnahme ausgedrückt haben. Ich zitiere aus der Stellungnahme der Bundesregierung: Das Gesetz soll rückwirkend zum 1. Mai 2005 in Kraft treten. Es erscheint fraglich, ob es sich - wie in der Begründung angegeben - um einen Fall der unechten Rückwirkung handelt. Wenn Sie sich schon selbst nicht sicher sind, ob es eine unechte Rückwirkung ist oder nicht - das ist als solches schon eine vage Begründung, um eine solche Rückwirkung zu rechtfertigen -, warum haben Sie dann nicht wenigstens darauf gedrungen, dass der von Ihnen gefundene Kompromiss frühestens ab 1. Januar 2007 gelten kann? ({0}) Eine Stichtagsregelung wäre eine wesentlich gerechtere Lösung gewesen. Es ist klar, dass es bei dem vorgeschlagenen Verfahren für viele Fahrzeughalterinnen und Fahrzeughalter äußerst schwierig ist, eine wesentlich höhere Steuerbelastung - und diese auch noch rückwirkend - zu tragen und vielleicht zu versuchen, ihre Fahrzeuge nachzurüsten, damit sie in den Folgejahren nicht ebenfalls noch hohe Steuern zahlen müssen. Aus diesem Grunde halten wir den von Ihnen gepriesenen Kompromiss für nicht richtig. Wir meinen allerdings auch - das richtet sich an die FDP -, dass Wohnmobile in Zukunft - wie eigentlich alle anderen Fahrzeuge auch - so besteuert werden sollten, dass ökologische Belange eine wesentliche stärkere Rolle spielen. ({1}) Dazu gehört eben eine emissions- und hubraumbezogene Besteuerung. Es ist zu wenig, es einfach so belassen zu wollen, wie es ist. Man hätte für dieses Jahr die geltende Regelung beibehalten können und müssen und im nächsten Jahr - das wäre dann jetzt unsere Aufgabe gewesen - eine Übergangsregelung, die tatsächlich in diese Richtung zielt, vornehmen müssen. Aus diesem Grunde werden wir sowohl den von Ihnen verteidigten Kompromiss als auch den Entwurf der FDP ablehnen. Bei beiden ist die Zielrichtung verfehlt. Beide werden nur zu einer Mehrbelastung der Halterinnen und Halter von Wohnmobilen führen. Das lehnen wir ab. Danke. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Christine Scheel.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man muss an dieser Stelle vielleicht einmal klar machen, worum es eigentlich gegangen ist: Es ging uns darum, dass wir hier eine vernünftige Besteuerung von schweren und umweltschädlichen Geländewagen auf den Weg bringen. Nicht akzeptabel war nämlich, wie diese Fahrzeuge früher steuerlich veranlagt waren. ({0}) Die Länder haben gesagt - da hat Kollege Pronold völlig Recht -: Gut, wir regeln das. Bayern - es bemüht sich schließlich immer, schnell und vorne dabei zu sein hat diese Steuer gar nicht erhoben. Die anderen Länder haben ziemlich herumgeeiert. Jetzt sehen wir, dass der Umgang mit der gesamten Frage Wohnmobilbesteuerung völlig aus dem Ruder gelaufen ist. Der Bundesrat hat einen Vorschlag gemacht: Übergangsfristen und ein Abschlag in Höhe von 20 Prozent ab dem Jahr 2011. Dann hat die große Koalition gesagt: Das gefällt uns auch nicht; wir wollen jetzt selbst eine Lösung finden. Das ist, wohlgemerkt, nach eineinhalb Jahren Diskussion. Man hat eineinhalb Jahre lang diejenigen, die ein Wohnmobil besitzen, in einem Schwebezustand belassen. Sie wussten nicht, was auf sie überhaupt zukommt. Die Aufregung im Land war groß. Sie haben gesagt, es gebe hier in der Bundesrepublik Deutschland 200 000 Besitzer und Besitzerinnen von Wohnmobilen. Sehr viele von ihnen haben sich an uns gewandt. Wir, die politische Seite, haben gesagt: Ihr seid überhaupt nicht diejenigen, die davon betroffen sein sollen. Jetzt kommt die große Koalition - das ist der Hammer in dieser Geschichte - und schlägt etwas vor, was auch noch rückwirkend gelten soll. Man knöpft diesen Menschen zum 1. Januar 2006 50 Millionen Euro ab. Diese Gesetzgebung hat mit ökologischer Ausrichtung nichts zu tun. ({1}) An dieser Stelle muss man wirklich einmal sagen: So geht es nicht. Sie können von den Steuerbürgern und Steuerbürgerinnen jetzt keine Nachzahlungen verlangen, indem Sie dieses Gesetz so ausgestalten, wie Sie es ausgestaltet haben. Wir lehnen dieses Gesetz deswegen ab. Wir haben heute bereits darüber diskutiert, wie wir uns die künftige Kfz-Besteuerung vorstellen können. Wir haben klar gesagt: Wir möchten, dass hier der CO2-Ausstoß berücksichtigt wird. Die Ausgestaltung der Kfz-Steuer muss verbessert werden. Dies ist ein Ziel Ihrer Koalitionsvereinbarung. Allerdings ist davon nicht mehr viel zu merken. Ich kann nur sagen: Wenn man etwas für das Klima tun möchte, dann muss man sich auch dementsprechend verständigen. Aus unserer Sicht wäre es sauberer gewesen, wenn die große Koalition gesagt hätte: Die Kfz-Besteuerung wird nach neuen Kriterien gestaltet, die für alle gelten. Das wäre vernünftiger gewesen, als jetzt eine systematisch unsaubere Zwischenlösung zu finden. Das ist nicht in Ordnung, verärgert die Menschen und wird nicht lange taugen. Danke schön. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundes- rat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung kraft- fahrzeugsteuerlicher Vorschriften auch hinsichtlich der Wohnmobilbesteuerung auf Drucksache 16/519. Hierzu gibt es mehrere Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung.1) Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3314, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögen sich bitte erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf auch in dritter Beratung angenommen. Wir stimmen über den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes auf Drucksache 16/473 ab. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3314, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf bei Zustimmung der FDP gegen die Stimmen des Hauses im Übrigen abgelehnt. Nach unserer Geschäftsordnung entfällt damit die weitere Beratung. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Meierhofer, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Fairen Wettbewerb in der Entsorgungswirtschaft ermöglichen - Steuerprivilegien öffentlich-rechtlicher Unternehmen abschaffen - Drucksache 16/2657 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({0}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss fürWirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Interfraktionell war hierzu eine halbe Stunde Debatte verabredet worden. Die Reden des Kollegen Flosbach, der Kollegin Westrich sowie der Kollegen Meierhofer, Troost und Berninger sind zu Protokoll gegeben.2) Von den Fraktionen wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/2657 an die in der Tagesordnung auf- geführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Vorlage federführend vom Finanzausschuss beraten werden soll. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist so beschlossen. 1) Anlagen 3 bis 5 2) Anlage 7 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 c auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG ({2}) - Drucksachen 16/2494, 16/2933 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3}) - Drucksache 16/3311 Berichterstattung: Abgeordnete Andreas Jung ({4}) Dr. Matthias Miersch Horst Meierhofer Lutz Heilmann Sylvia Kotting-Uhl b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EGRichtlinie 2003/35/EG ({5}) - Drucksachen 16/2495, 16/2931 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6}) - Drucksache 16/3312 Berichterstattung: Abgeordnete Andreas Jung ({7}) Dr. Matthias Miersch Horst Meierhofer Lutz Heilmann Sylvia Kotting-Uhl c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten ({8}) - Drucksachen 16/2497, 16/2865 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({9}) - Drucksache 16/3313 Berichterstattung: Abgeordnete Andreas Jung ({10}) Dr. Matthias Miersch Horst Meierhofer Lutz Heilmann Sylvia Kotting-Uhl Zum Entwurf eines Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetzes liegen uns ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Zum Entwurf eines Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes liegen ein Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen und ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Zu diesem Punkt war ebenfalls eine halbe Stunde Debatte vereinbart. Die Kollegen Jung ({11}), Miersch, Meierhofer, Heilmann und die Kollegin Kot- ting-Uhl geben ihre Reden zu Protokoll.1) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetzes auf den Druck- sachen 16/2494 und 16/2933. Der Ausschuss für Um- welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3311, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzuneh- men. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf der Drucksache 16/3364 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für die- sen Änderungsantrag? - Die Gegenstimmen? - Enthal- tungen? - Damit ist der Änderungsantrag bei Zustim- mung der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke bei Ablehnung durch das übrige Haus abge- lehnt. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. - Gegenstimmen? -Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf bei Zustimmung der Koalitionsfrak- tionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und der FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetz- entwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Ergebnis wie vorher angenommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3360. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? - Die Gegen- probe! - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungs- antrag bei Zustimmung der Fraktionen des Bünd- nisses 90/Die Grünen und Die Linke und Ablehnung durch den Rest des Hauses abgelehnt. Tagesordnungspunkt 17 b: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Um- welt-Rechtsbehelfsgesetzes, Drucksachen 16/2495 und 16/2931. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 16/3312, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3365 vor, 1) Anlage 8 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag bei Zustimmung der Fraktionen des Bündnisses 90/Die Grünen und Die Linke und Ablehnung durch die übrigen Mitglieder des Hauses abgelehnt. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustimmung der Koalition und Ablehnung durch die Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem Ergebnis wie vorher angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3361. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung der Fraktionen Die Linke und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Ablehnung der übrigen Mitglieder des Hauses abgelehnt. Tagesordnungspunkt 17 c: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Aarhus-Übereinkommen, Drucksachen 16/2497 und 16/2865. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3313, den Gesetzentwurf anzunehmen. Wir kommen gleich zur zweiten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Ulla Lötzer, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Für solidarische und entwicklungspolitisch kohärente Wirtschaftspartnerschaftsabkommen - Drucksache 16/3193 Überweisungsvorschlag: Ausschuss fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({12}) Ausschuss fürWirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Hier war eine halbe Stunde Debatte vorgesehen. Ihre Reden zu Protokoll geben die Kollegen und Kolleginnen Hübinger, Raabe, Königshaus, Hänsel und Koczy.1) 1) Anlage 9 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/3193 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik der Verdienste und Arbeitskosten ({13}) - Drucksache 16/2918 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({14}) - Drucksache 16/3241({15}) - Berichterstattung: Abgeordnete Doris Barnett Hier war ebenfalls eine halbe Stunde Debatte vorgesehen. Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben die Kolleginnen und Kollegen Fuchs, Barnett, Zeil, Zim- mermann und Pothmer.2) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die Statistik der Verdienste und Arbeitskosten auf Drucksache 16/2918. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3241({16}), den Gesetzentwurf in der Ausschuss- fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthal- tungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Ergebnis wie vorher angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 c auf: 20 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Krista Sager, Priska Hinz ({17}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Hochschulpakt 2020 zum Erfolg bringen Studienplätze bedarfsgerecht und zügig ausbauen - Drucksache 16/3281 Überweisungsvorschlag: Ausschuss fürBildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({18}) Ausschuss fürWirtschaft und Technologie Ausschuss fürFamilie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss 2) Anlage 10 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Barth, Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Die Qualität der Hochschullehre sichern - den Hochschulpakt 2020 erfolgreich abschließen und weiterentwickeln - Drucksache 16/3290 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss fürBildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider ({19}) und der Fraktion der LINKEN Hochschulpakt 2020 - Kapazitätsausbau und soziale Öffnung - Drucksache 16/3278 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss fürBildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Hierfür war ebenfalls eine halbe Stunde Beratung vor- gesehen. Ihre Reden zu Protokoll haben die Kolleginnen und Kollegen Grütters, Rossmann, Barth, Hirsch und Gehring.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/3290 und 16/3278 an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/3281 zum Tagesordnungspunkt 20 a soll zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und zur Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Personenstandsrechts ({20}) - Drucksache 16/1831 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({21}) - Drucksache 16/3309 Berichterstattung: Abgeordnete Stephan Mayer ({22}) Gisela Piltz Silke Stokar von Neuforn Hier war ebenfalls eine halbe Stunde Debatte vorgesehen. Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben die 1) Anlage 11 Kolleginnen und Kollegen Mayer ({23}), Fograscher, Piltz, Jelpke und Stokar von Neuforn.2) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Reform des Personenstandsrechts auf Drucksache 16/1831. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 16/3309, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen von Bünd- nis 90/Die Grünen und der Fraktion der Linken sowie Enthaltung der FDP in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenergebnis wie zuvor angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, teile ich Ihnen mit, dass sich die Fraktionen verständigt haben, den Tagesordnungspunkt 22 - Eigentumsrechte und For- schungsfreiheit schützen - Entschiedenes Vorgehen ge- gen Zerstörungen von Wertprüfungs- und Sortenversu- chen sowie von Feldern mit gentechnisch veränderten Pflanzen - von der heutigen Tagesordnung abzusetzen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 c auf: 25 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingbert Liebing, Marie-Luise Dött, Katherina Reiche ({24}), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Marco Bülow, Dirk Becker, Petra Bierwirth, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD REACH - den gemeinsamen Standpunkt wei- ter verfolgen - Drucksache 16/3295 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN REACH - letzte Chance zur Verbesserung des Umwelt- und Verbraucherschutzes im euro- päischen Chemikalienrecht nutzen - Drucksache 16/1888 - c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva Bul- ling-Schröter, Lutz Heilmann, Hans-Kurt Hill, 2) Anlage 12 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN REACH - Chance für eine fortschrittliche Chemikalienpolitik nutzen - Drucksache 16/3279 Hier haben die Kolleginnen und Kollegen Liebing, Schmitt ({25}), Kauch, Bulling-Schröter und Kotting- Uhl ihre Reden zu Protokoll gegeben. 1) Wir kommen zu den Abstimmungen. Tagesordnungspunkt 25 a: Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/3295 mit dem Titel „REACH - den gemeinsamen Standpunkt weiter verfolgen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist bei Zustimmung durch die Koalition und die FDP und Ablehnung durch Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 25 b: Abstimmung über den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1888 mit dem Titel „REACH - letzte Chance zur Verbesserung des Umwelt- und Verbraucherschutzes im europäischen Chemikalienrecht nutzen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen gibt es keine. Der Antrag ist bei Zustimmung der Fraktionen der Linken und des Bündnisses 90/ Die Grünen durch das übrige Haus abgelehnt. Tagesordnungspunkt 25 c: Abstimmung über den Antrag der Fraktion der Linken auf Drucksache 16/3279 mit dem Titel „REACH - Chance für eine fortschrittliche Chemikalienpolitik nutzen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Der Antrag ist mit dem gleichen Stimmenergebnis wie der vorherige Antrag abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({26}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Petra Pau, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Bundesweiter Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Togo - Drucksachen 16/2627, 16/3061 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Hartfrid Wolff ({27}) Josef Philip Winkler Hier haben die Kolleginnen und Kollegen Grindel, Veit, Wolff ({28}), Dagdelen und Winkler ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) 1) Anlage 13 2) Anlage 14 Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf der Drucksache 16/3061 zu dem Antrag der Fraktion der Linken mit dem Titel „Bundesweiter Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Togo“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/2627 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der FDP gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes - Drucksache 16/3064 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({29}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Hier haben die Kolleginnen und Kollegen Connemann, Kramme, Kolb, Dreibus, Pothmer und An- dres ihre Reden zu Protokoll gegeben.3) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/3064 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe keine weiteren Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Behm, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Nachhaltige Ressourcennutzung durch Agroforstwirtschaft - Drucksache 16/2794 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({30}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Hier haben die Kolleginnen und Kollegen Heller, Botz, Happach-Kasan, Tackmann und Behm ihre Reden zu Protokoll gegeben.4) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/2794 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie ein- verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: 3) Anlage 15 4) Anlage 16 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Qualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen ({31}) - Drucksache 16/3146 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({32}) Rechtsausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Hier haben die Kolleginnen und Kollegen Hüppe, Wodarg, Kauch, Spieth, Terpe und Schwanitz ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) 1) Anlage 17 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/3146 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Dazu gibt es keine weiteren Vorschläge. Dann ist so beschlossen. Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 10. November 2006, 9 Uhr, ein. Genießen Sie die gewonnenen Einsichten und den restlichen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.