Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Grüß Gott, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: ID 2010 - Politik der Bundesregierung für digitale Information und Kommunikation.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,
Michael Glos.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Innovationspolitik kommt im Zusammenhang mit Wachstum und Beschäftigung nach unserer
Auffassung sehr große Bedeutung zu. Wir wissen, dass
die Informations- und Kommunikationstechnologien
eine sehr große Rolle spielen.
Bezogen auf die Bruttowertschöpfung haben die Informations- und Kommunikationstechnologien inzwischen den Maschinenbau und den Automobilbau überholt. Als Schlüsseltechnologien einer zunehmend
wissensorientierten Wirtschaft wirken die - ich kürze
jetzt ab, weil ich mich an die fünfminütige Redezeit halten soll - IKT als Wachstumsbeschleuniger für viele andere Bereiche.
Derzeit können etwa 40 Prozent des gesamtwirtschaftlichen Wachstums auf den Einsatz dieser Technologien zurückgeführt werden, wenn wir den Berechnungen der Boston Consulting Group Glauben schenken
dürfen. Die IKT-Branche zählt mit einem Umsatz von
rund 135 Milliarden Euro zu den größten Branchen in
Deutschland. 750 000 Menschen werden in diesem Bereich beschäftigt. Weitere 650 000 Spezialisten arbeiten
in den Anwenderbereichen.
Vor diesem Hintergrund hat das Bundeskabinett heute
ein neues Aktionsprogramm „Informationsgesellschaft
Deutschland 2010“, kurz: „ID 2010“, beschlossen. Damit stellt sich die Bundesregierung auf die so genannte
zweite Generation des Internets und die neuen technischen Möglichkeiten, die die Konvergenz bietet, ein. Ich
möchte meinen Kollegen - ganz besonders Frau Kollegin Schavan und dem Innenminister, Herrn Kollegen
Dr. Schäuble - für die konstruktive Mitarbeit ihrer Häuser an der Erarbeitung dieses Programms danken.
Wir haben vier Herausforderungen für die IKT-Politik
identifiziert:
Erstens. Die Informationsgesellschaft steht derzeit
vor einem weiteren großen Sprung. Anbieter aus ehemals getrennten Märkten stehen im globalen Wettbewerb um den Zugang zum Kunden. Dieser zunehmenden
Konvergenz der elektronischen Medien müssen die
rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen Rechnung tragen. Wir brauchen deshalb einfache, schnelle
und diskriminierungsfreie Zugänge zu den Frequenzen.
Vor allen Dingen brauchen wir einen Ausbau des Schutzes geistigen Eigentums und eine bessere technische
Verzahnung der unterschiedlichen Übertragungs- und
Gerätetechniken. Damit wollen wir eine bessere wirtschaftliche Nutzung öffentlicher Informationen, zum
Beispiel seitens des Mittelstandes, erreichen. Die Bundesregierung gibt mit 25 regionalen Kompetenzzentren
Hilfestellung bei der Anwendung des E-Business in Mittelstand, Handwerk und Tourismus.
Zweitens. Informations- und Kommunikationstechnologien sind ein wichtiger Bestandteil der Verwaltungsmodernisierung. Sie helfen, Bürokratie und Kosten in
Verwaltung und Wirtschaft niedrig zu halten. Gleichzeitig werden neue Wachstumschancen für Anbieter geschaffen. Deshalb werden wir in den kommenden Jahren
das E-Government-Angebot ausbauen und die Vernetzung von Wirtschaft und Staat verbessern. Hinzu kommt
die Einführung des elektronischen Personalausweises.
Weitere Schwerpunkte bei der Integration des Staates in
die Informationsgesellschaft sind die Verkehrs- und Gesundheitstelematik sowie die Digitalisierung von Kulturgut. Beispiele sind die elektronische Gesundheitskarte
und auf der Seite der Kultur das Projekt „Europäische
Digitale Bibliothek“.
Redetext
Drittens. Weltweit steigen die Nutzung der und damit
auch die Abhängigkeit von der Informationstechnologie.
Hier stellt unser Land selbstverständlich keine Ausnahme dar. Angesichts der Vernetzung von Systemen der
Informationstechnologie kann es in kürzester Zeit zu
globalen IT-Sicherheitsvorfällen kommen. Enorme finanzielle Schäden für unsere Gesellschaft könnten die
Folge sein. Deshalb müssen die vorhandenen IT-Infrastrukturen an die immer ausgefeilteren Angriffe durch
Viren und andere Schadprogramme angepasst und neue
Sicherheitstechnologien zur Anwendung gebracht werden.
Viertens. Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, die
Spitzenstellung Deutschlands im IKT-Bereich zu festigen und auszubauen. Die Wettbewerbsfähigkeit unseres
Wirtschaftsstandortes soll durch den Einsatz von IKT
gesichert und erhöht werden. Das gilt für viele Branchen, in denen IKT angewendet wird, gleichermaßen,
zum Beispiel für den Maschinen- und Anlagenbau, die
Automobilindustrie oder die Telekommunikation.
Auch im IKT-Bereich ist die Situation im Hinblick
auf die Umsetzung von Forschungsergebnissen in
marktreife Produkte und Verfahren nach wie vor unbefriedigend. Die Erhöhung der Fördermittel allein reicht
nicht aus. Verbesserungsmöglichkeiten liegen in der gezielten Förderung von Verbundvorhaben zwischen Wirtschaft und Wissenschaft, in der mittelstandsorientierten
Kompetenz- und Clusterbildung und in der Unterstützung von Existenzgründungen, die häufig einen direkten
Technologietransfer realisieren. Multimediatechnologien
bilden die zentrale Grundlage für neue elektronische Anwendungen und Dienstleistungen in Wirtschaft, öffentlicher Verwaltung und privaten Haushalten.
Insgesamt dienen die Hightechstrategie, die die Bundesregierung eingeschlagen hat, und die Erhöhung der
Mittel für Forschung und Entwicklung in den nächsten
sechs Jahren - ({0})
- Ich meinte: in den vier Jahren dieser Legislaturperiode;
jetzt sind es also noch drei Jahre. Herr Kollege, um Ihren
Zwischenruf aufzugreifen: Wir bleiben noch länger dran.
Wir wissen nur noch nicht, mit wem wir regieren werden.
({1})
Aber die Union wird auf jeden Fall weiter große Verantwortung tragen.
In den verbleibenden drei Jahren dieser Legislaturperiode werden wir, zurückgerechnet auf das erste Jahr, zusätzlich 6 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung bereitstellen. Das hilft auch der Informations- und
Kommunikationstechnologie.
Danke schön.
Vielen Dank, Herr Minister. - Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben
berichtet wurde. Das Wort hat der Kollege Dobrindt.
Vielen Dank. - Herr Minister, Sie haben deutlich gemacht, dass mit dem Programm „ID 2010“ zusätzliche
Mittel und Angebote für den weiteren Ausbau der Informationstechnologie bereitgestellt werden sollen. Die
zwei Schwerpunkte dieses Programms haben Sie angesprochen: Es geht darum, den Bereich E-Government
auszubauen - das ist ein wichtiger Ansatzpunkt - und
die Nutzung der Gesundheitstelematik deutlich zu verstärken.
Wir Politiker werden im alltäglichen Geschäft vor Ort
immer wieder auf das Problem hingewiesen, dass diese
Technologien für einen beachtlichen Teil unserer Mitbürger nicht zugangsfrei sind. Das betrifft vor allem ältere Leute, von denen man behauptet, sie würden mit
diesen Technologien nicht mehr zurechtkommen, und
Behinderte, denen der Zugang zu diesen Technologien
oftmals verschlossen ist.
Ist im Programm „ID 2010“ vorgesehen, dass für ältere Mitbürger und für Behinderte zusätzliche Leistungen angeboten werden, damit auch diese Gruppen Erfahrungen mit dieser Technologie sammeln können, die wir
in Deutschland dringend weiterentwickeln müssen?
Herr Kollege Dobrindt, Sie haben eine Reihe von Problemen angesprochen. Im Hinblick auf das E-Government laufen sehr viele Versuche bereits in der Praxis.
Zunächst sollen die entsprechenden Verfahren natürlich
als Insellösungen eingeführt werden. Ich kann mir vorstellen, dass es sehr angenehm wäre, zum Beispiel die
Zulassung des eigenen Autos von zu Hause aus auf elektronischem Wege erledigen zu können. Für das E-Government ist allerdings in allererster Linie der Bundesinnenminister zuständig.
Auch die Gesundheitskarte haben Sie erwähnt. Die
Zuständigkeit für dieses Thema hat das Bundesgesundheitsministerium.
Ich hatte gestern Gelegenheit, mich bei der
Initiative D21 zu informieren, die noch von dem früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder ins Leben gerufen
worden ist - vielleicht steht etwas darüber in seinen Memoiren -, um vor allen Dingen das Bewusstsein dafür zu
wecken, dass wir im Zeitalter der Informationsgesellschaft leben. Inzwischen ist unsere Gesellschaft in dieser
Hinsicht weit durchdrungen. Die Jüngeren und auch die
Leute in Ihrem Alter - bis fast an die Schwelle meines
Alters - sind inzwischen firm in der Nutzung des Internets und der elektronischen Möglichkeiten. Bei den Älteren gibt es allerdings noch Probleme. Deshalb möchte
man diese Dinge durch mehr Benutzerfreundlichkeit
auch den älteren Menschen näher bringen; gerade für sie
können diese Möglichkeiten eine große Hilfe bedeuten.
Das trifft auch für Behinderte zu. Hier gibt es Modellversuche und viele Möglichkeiten, die es künftig zu nutzen gilt.
Herr Kollege Zeil, bitte.
Herr Bundesminister, Sie haben die Schwerpunkte
der Verbesserung der technologischen und rechtlichen
Rahmenbedingungen der Nutzung der Informations- und
Kommunikationstechnologien unterstrichen. Vor diesem Hintergrund habe ich die Frage: Haben Sie oder hat
die Bundesregierung ihre Möglichkeiten genutzt, Einfluss zu nehmen auf die Ministerpräsidenten? Die Ministerpräsidenten haben die Nutzung der technischen Möglichkeiten damit, dass künftig auch auf Internetrechner
und Mobiltelefone GEZ-Gebühren anfallen sollen, nicht
gerade befördert. Sehen nicht auch Sie einen Rückschlag
für das von Ihnen gerade erwähnte E-Government?
Sie wissen, dass es bei der Versorgung des ländlichen
Raums, der kleinen Gemeinden, mit Breitbandinternetanschlüssen große Probleme gibt. Was ist Ihre konkrete
Strategie, um hier schnell Verbesserungen zu erreichen?
Sie haben zu zwei Komplexen gefragt; ich versuche,
der Reihe nach zu antworten.
Erstens. Die Ministerpräsidenten der Länder haben
beschlossen, dass in Zukunft auch für internetfähige Geräte Rundfunk- und Fernsehgebühren entrichtet werden
müssen; das bedauere ich sehr. Allerdings ist die Gebühr
für Dual-Use-Geräte wie PCs oder Handys, mit denen
man auch Rundfunkprogramm empfangen kann, abgesenkt worden. Aber es ist nun einmal so, dass alle, die
Zugang zu dem Angebot der öffentlich-rechtlichen Kanäle haben, Gebühren zahlen müssen. Es ist nach Meinung der Ministerpräsidenten schwierig, diesen Benutzerkreis außen vor zu lassen. Immerhin hat man sich
entschieden, die entsprechende Gebühr abzusenken. Die
Ministerpräsidenten sagen - ich habe mich an den Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz gewandt,
die zuständig ist, an Herrn Kurt Beck -, man muss übergangsweise so verfahren, jedenfalls so lange, bis man zu
einer anderen Art von Benutzergebühr kommt.
Zweitens. In die Nutzbarmachung der Breitbandtechnologie auf dem so genannten flachen Land ist, wie ich
meine, gerade was den schnellen Zugang über VDSL angeht, bisher zu wenig investiert worden - die Investitionen beschränken sich stark auf die Ballungsgebiete. Was
die Breitbandnutzung im Allgemeinen anbelangt, haben
wir in Deutschland mittlerweile eine Durchdringung von
93 Prozent. Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, in zwei,
drei Jahren auf 98 Prozent zu kommen. Bei der Breitbandnutzung müssen wir allerdings unterscheiden zwischen herkömmlichen Anschlüssen und dem, was unter
dem Stichwort VDSL läuft.
Sie geben mir Gelegenheit - damit möchte ich meinen Beitrag abschließen -, den Marktführer auf diesem
Gebiet noch einmal aufzufordern, diese Investitionen
nicht nur in den großen Städten und Ballungszentren,
sondern auch in den kleinen Städten und ländlichen Räumen zu tätigen.
Herr Kollege Obermeier, bitte.
Herr Minister, Sie haben das, was das Kabinett heute
beschlossen hat, sehr eindrucksvoll vorgestellt.
({0})
In diesem Zusammenhang stellt sich für mich die
Frage nach den internationalen Rankings hinsichtlich der
Nutzung dieser neuen Technologieformen. International
gibt es hier sehr große Unterschiede. Sogar in unserem
eigenen Land gibt es sie. Meine Frage bezieht sich aber
auf die internationale Ebene. Wie wollen Sie die Ratspräsidentschaft im nächsten halben Jahr nutzen, um den
IKT-Bereich, den Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie, voranzubringen, damit wir in
Europa mit der weltweiten Entwicklung Schritt halten
können?
Herr Kollege Obermeier, wir werden die Ratspräsidentschaft Deutschlands in der Europäischen Union
dazu nutzen, um auf diesem Gebiet zu einheitlicheren
Standards und Regelungen zu kommen, durch die diese
wichtige Nutzung künftig erleichtert wird. Europa will
immer stärker regulieren. Ich meine, man sollte erst einmal zu möglichst gleichen Standards kommen.
Durch die Vergabe von neuen Frequenzen ergeben
sich sehr viele neue Tätigkeitsfelder, die vorangebracht
werden müssen. Das bringt auch ungeheuer viele neue
Chancen mit sich, die darin bestehen, dass zur Produktidentifikation viel mehr Elektronik angewandt werden
kann. Die Produkte können in der Verpackung mit kleinen Sendern ausgestattet werden, die im Niedrigfrequenzbereich funktionieren. Von der Speicherung und
Registrierung der Waren, um zu sehen, welche Artikel
sich noch in den Regalen befinden, bis hin zur elektronischen Kasse werden sich viele neue Geschäftsfelder ergeben.
Für all das muss eine gemeinsame und marktfähige
europäische Lösung gefunden werden, damit selbstverständlich auch eine grenzüberschreitende Nutzung möglich ist.
Frau Kollegin Bettin, bitte.
Herr Minister, mich würde interessieren, was das spezifisch Neue an Ihrem Aktionsplan ist; denn die elektronische Gesundheitskarte usw. ist ja nichts Hochinnovatives.
Daran anschließend frage ich Sie, welchen Beitrag
Sie zur Entwicklung der internationalen Informationsgesellschaft leisten wollen. Ein Stichwort war hier beispielsweise der Internationale Solidaritätsfonds. Haben
Sie in Ihrem Aktionsplan eine Unterstützung dafür vorgesehen?
In allererster Linie wollen wir die immer stärker nach
vorne drängende neue Technologie in einen vernünftigen
Rechtsrahmen stellen, die Vernetzung fördern und damit
vor allen Dingen neue Nutzerkreise und Arbeitsplätze in
der IuK-Technologie erschließen. Gerade im Bereich der
IKT befinden wir uns in einem starken Wettbewerb mit
anderen Ländern, in dem wir bisher sehr gut aufgestellt
sind.
Die von mir vorhin angesprochenen zusätzlichen Mittel für Forschung und Entwicklung fließen zum Teil natürlich in diesen Bereich. Das alles soll am 18. Dezember 2006 gemeinsam mit der anwendenden Industrie auf
einer großen ressortübergreifenden Konferenz zusammengefasst werden, für die die Bundeskanzlerin die
Schirmherrschaft übernommen hat. Hier wird in Zusammenarbeit mit der Industrie der weitere Rahmen abgesteckt. Dabei wollen wir von der Industrie wissen: Was
können wir zusätzlich tun, um zu modernen Arbeitsplätzen in Deutschland beizutragen?
Was darüber hinaus international stärker geregelt werden muss, ist der Kampf gegen Computerviren. In diesem Zusammenhang ist auch das so genannte Spam zu
nennen, die Zusendung von unerwünschten E-Mails.
Hier brauchen wir eine stärkere internationale Zusammenarbeit.
Als weiteren wichtigen Punkt - das fällt ebenfalls in
den Bereich der Technologie - möchte ich Folgendes anführen: Während unserer Ratspräsidentschaft wollen wir
zu einer Absenkung der so genannten Roaming-Gebühren bei der Nutzung von Handys kommen. Bisher gibt es
oft große Überraschungen, wenn man aufgrund von Anrufen auf sein Handy im Ausland, etwa im Urlaub, eine
sehr hohe Rechnung erhält, obwohl man selbst sein
Handy sehr wenig genutzt hat. Das muss zugunsten der
Verbraucher geändert werden. Gerade auf diesem Gebiet
drängen wir auf internationaler Ebene, insbesondere in
der Europäischen Union, auf eine Regelung. Es gibt Anzeichen, dass es unter der deutschen Ratspräsidentschaft
gelingen könnte, hier zu einer vernünftigen Lösung zu
kommen.
Herr Minister, Sie gestatten sicherlich eine Nachfrage.
Herr Minister, in meiner Frage ging es mir - Stichwort Afrika - um die digitale Spaltung der Gesellschaft.
Roaming ist sicherlich ein wichtiges Thema. Uns aber
geht es um die gesellschaftspolitische Dimension der Informationsgesellschaft. Die Förderung der Wirtschaft
- das unterstützen wir - ist in Ihrem Ministerium angesiedelt. Aber wir tragen auch international Verantwortung. Darum drehte sich meine Frage.
Ich sehe eine große Chance darin, dass man heute von
fast jedem Punkt der Welt über das Internet an Informationen gelangen kann. Das gilt - allerdings mehr in den
Zentren - gerade auch für Afrika. Dabei geht es um Informationen, die man früher nie hätte bekommen können, weder durch Reisen noch durch lebenslanges Lernen. All das ist den Menschen heute zugänglich.
Die Frage, was wir hier vonseiten der Bundesregierung tun, müssen Sie an die Adresse der Entwicklungsministerin richten. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob dafür
im Haushalt der Bundesministerin für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung Mittel vorgesehen
sind. Meine Aufgabe als Wirtschafts- und Technologieminister - das haben Sie richtig bemerkt - umfasst in allererster Linie das, was unserer Wirtschaft und damit den
Menschen in unserem Lande dient, sowie die europäische Zusammenarbeit.
Frau Kollegin Krogmann, bitte.
Herr Minister, Sie haben völlig zu Recht auf die überragende Bedeutung der IKT-Branche für unsere Volkswirtschaft hingewiesen. Deshalb begrüße ich es, dass die
Bundesregierung für diesen gesamten Bereich zum ersten Mal mit der Hightechstrategie und „ID 2010“ eine
strategische Ausrichtung entwickelt hat. Bestandteil dieser neuen Gesamtstrategie ist der IT-Gipfel am
18. Dezember dieses Jahres. Welche Erwartungen haben
Sie besonders im Hinblick auf die Unternehmen an diesen Gipfel?
Wir wollen das Ganze noch besser koordinieren, ohne
dabei den notwendigen Wettbewerb zu gefährden. Wir
müssen natürlich auch aufpassen, dass wir in bestimmten Sektoren nicht auf einen oder ganz wenige Anbieter
angewiesen sind. Die sich hier abzeichnenden Konzentrationsprozesse machen uns Sorgen. Wir wollen von der
Wirtschaft hören, welche Schnittstellen wir noch besser
vernetzen können. Wir wollen vor allen Dingen die Potenziale, die sich hier mittelständischen Firmen bieten, genau so wie die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft
weiter fördern.
Herr Kollege Otto, bitte.
Lieber Herr Minister Glos, angesichts der bevorstehenden EU-Ratspräsidentschaft - Sie haben sie mehrfach erwähnt - ist es besonders bemerkenswert, dass die
Hans-Joachim Otto ({0})
Konflikte zwischen der Wirtschaftspolitik unseres Landes und der der EU-Kommission zurzeit erheblich zunehmen. Zu dem Streit über die Europarechtswidrigkeit
des neuen Telekommunikationsgesetzes wird meine
Kollegin Kopp noch eine kluge Frage stellen.
({1})
- Sie stellt nur kluge Fragen; ich weiß das.
Ich möchte mich auf etwas anderes beziehen. Staatssekretär Bernd Pfaffenbach hat laut einem Bericht in der
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ festgestellt, dass es
einen grundsätzlichen Dissens zwischen Ihrem Hause,
der Bundesregierung und der EU-Kommission über die
Ausrichtung der Telekommunikationspolitik gebe. Ich
zitiere aus dem Artikel:
Die Bundesregierung tendiert dazu, die sektorspezifische Regulierung so schnell und weitgehend wie
möglich zugunsten der allgemeinen Wettbewerbsaufsicht zurückzufahren. Die Kommission hingegen neige zu der Auffassung, „daß im Zweifel ein
Mehr an Regulierung auch zu einem Mehr an Wettbewerb führt und dies wiederum zu höheren Investitionen“, heißt es in der Stellungnahme der Bundesregierung.
Meine konkrete Frage an Sie lautet: Plant die Bundesregierung tatsächlich - wie es Herr Pfaffenbach öffentlich erklärt hat - eine Wende in der Regulierungspolitik?
Wenn Herr Staatssekretär Pfaffenbach das so gesagt
hat, dann ist es sicherlich ernst zu nehmen. Im Übrigen
kann nach meiner Kenntnis in den Bereichen, in denen
der Wettbewerb bereits sehr stark ist, die nationale Regulierung zurückgenommen werden. Das gilt selbstverständlich nicht für Produkte, bei denen der Wettbewerb
noch nicht ausreichend entwickelt ist.
Herr Kollege Rupprecht, bitte.
Herr Minister, die IT-Branche ist sehr stark international ausgerichtet. Die Unternehmen in dieser Branche
siedeln sich dort an, wo die Know-how-Träger anzutreffen sind. Deswegen frage ich, ob wir in Deutschland ausreichend IT-Fachkräfte bzw. Know-how-Träger haben,
zumal in Asien bekanntlich hunderttausende neu ausgebildete Kräfte auf den Arbeitsmarkt drängen?
Herr Kollege Rupprecht, Sie sprechen eine Sorge an,
die derzeit in der Industrie immer stärker artikuliert
wird, nämlich dass sich bei uns zu wenige talentierte
junge Menschen für ein Ingenieur- oder Technikstudium
und die entsprechenden Ausbildungsgänge entscheiden.
Davon hängt aber unsere künftige Wettbewerbsfähigkeit
ab.
Allerdings kann die Industrie nicht oft genug aufgefordert werden, die Tatsache zu nutzen, dass aufgrund
der geburtenstarken Jahrgänge noch viele junge Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen, und für Ausbildungsberufe jenseits eines Universitätsstudiums zu werben. Ich glaube, wer in diesem Bereich jetzt nicht
ausbildet, der verschläft die Zukunft.
({0})
Wir als Politiker müssen dafür werben - das ist auch einer der Gründe für das im Dezember geplante Gipfeltreffen mit der Branche - und den jungen Menschen klar
machen, dass darin eine große Bedeutung für die Zukunft liegt.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen Hinweis. Ich
halte es für außerordentlich wichtig, dass die Schulen
entsprechend ausgestattet werden - das wird in unserem
Land leider noch sehr unterschiedlich gehandhabt - und
dass die Menschen bereits in sehr jungen Jahren an die
Nutzung der IT-Technik und die damit verbundenen
Chancen herangeführt werden. Dadurch kann ein verstärktes Interesse entstehen, was später möglicherweise
zu einem Studium oder einem Beruf in dieser Fachrichtung führt.
Frau Kollegin Kopp, bitte.
({0})
Vielen Dank. Bisher gab es nur die Ankündigung einer klugen Frage.
Herr Minister, wir sind uns sicherlich darin einig, dass
Wettbewerb die beste Voraussetzung für Innovationen
ist. Sie haben eben sehr vorsichtig und dezent darauf
hingewiesen, dass der Marktführer - Sie meinten wahrscheinlich die Deutsche Telekom - im Bereich der Breitbanddurchdringung - Stichwort: VDSL - eigentlich
schon hätte weiter sein können. Heißt das, dass wir von
einer Änderung des § 9 a des TKG dahin gehend auszugehen haben, dass dem Marktführer keine Regulierungsferien gewährt werden? Oder planen Sie hier Änderungen, die sogar eine Verschärfung bedeuten? Damit
gingen Sie schon zu Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft voll auf Konfrontationskurs zur EU-Kommission. Das interessiert mich sehr.
Verehrte Frau Kollegin, der derzeitige Stand ist, dass
die Bundesregierung den von ihr erarbeiteten Gesetzentwurf dem Parlament und dem Bundesrat zugeleitet hat.
Im Moment ist das Parlament am Zug. Entweder tritt das
Gesetz so in Kraft, wie wir es konzipiert haben, oder das
Parlament und der Bundesrat haben in eigener Zuständigkeit Änderungen vorgenommen. Was geschehen
wird, weiß ich nicht. Ich bin schließlich kein Prophet.
Nach unserer festen Überzeugung ist das Gesetz, das
als Entwurf von der Regierung beschlossen wurde, EUtauglich. Wir planen keine Lex Telekom, um den Namen
aufzugreifen, den Sie in die Debatte getragen haben. Der
vorübergehende Umstand, dass die Regulierung hier
nicht so stark ist - das bleibt Sache der Bundesnetzagentur -, betrifft aber selbstverständlich alle, die investieren.
In meinen Augen investiert nicht nur der Marktführer zu
wenig, sondern auch andere Firmen. Ich kann nur auffordern und einladen, sehr breit zu investieren; denn die
Nutzung des VDSL-Netzes, also des raschen Netzzugangs, kommt der Wirtschaftskraft unseres ganzen Landes zugute.
Frau Kollegin Pawelski, bitte.
Herr Minister, Sie haben vorhin ganz kurz die Versorgung Deutschlands mit dem Breitband angesprochen.
Das ist ein eminent wichtiger Punkt; denn für viele Unternehmen ist der Zugang zum Breitband ein wichtiger
Standortfaktor. Weil wir das Breitband insbesondere in
der Telematik und im Gesundheitswesen brauchen, frage
ich: Gibt es genügend Breitband in Deutschland und
wenn nein, was kann die Politik tun, um den Ausbau zu
forcieren?
Es gibt in Deutschland eigentlich viel Breitband. Es
fehlt aber an einer ausreichenden Zahl an ganz schnellen
Zugängen über VDSL, und zwar nicht über Kupferkabel,
sondern über Glasfaserkabel, was gerade in den von
Ihnen angesprochenen Bereichen notwendig ist. Da die
öffentliche Hand kein Geld hat, das zu fördern und zu investieren, haben wir die angesprochene Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht, und zwar - ich betone das
noch einmal - nicht gezielt für den Marktführer. Vielmehr stellt sie eine Einladung an alle dar, dort endlich zu
investieren. Die Aussichten, dass es einen Return of Investment gibt - das müssen alle Aktiengesellschaften ihren Aktionären beweisen, wenn sie investieren wollen;
Aktiengesellschaften sind schließlich keine karitativen
Organisationen -, sollen durch das von uns konzipierte
Gesetz etwas hoffnungsfroher erscheinen.
Weitere Fragen liegen nicht vor. Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Das ist
nicht der Fall. Damit beende ich die Themenbereiche der
heutigen Kabinettssitzung. Herr Minister, vielen Dank
für die Beantwortung der Fragen.
Gibt es sonstige Fragen an die Bundesregierung? Das ist nicht der Fall. Dann beende ich die Regierungsbefragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 16/3230 Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Frage 1
der Kollegin Cornelia Hirsch wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. Die Frage 2 der Kollegin Dr. Uschi Eid
wird ebenfalls schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin
und des Bundeskanzleramtes auf. Die Fragen beantwortet Frau Staatsministerin Professor Dr. Maria Böhmer.
Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Sevim Dagdelen
auf:
Welche konkreten Absprachen zu Deutschvorbereitungskursen in der Türkei wurden beim Treffen der Staatsministerin im Bundeskanzleramt und Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Professor
Dr. Maria Böhmer, mit der türkischen Staatsministerin für
Frauen, Kinder und Soziales der Republik Türkei, Nimet
Çubukçu, im Bundeskanzleramt am 26. Oktober 2006 getroffen ({0})?
Frau Kollegin Abgeordnete, ich beantworte Ihre
Frage wie folgt: Bei meinem Gespräch mit dem türkischen Erziehungsminister Celik in Ankara hat er mir das
Angebot unterbreitet, Vorbereitungskurse in der Türkei
durchzuführen, um insbesondere jungen Frauen, die im
Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland kommen, die Integration zu erleichtern. Bei den anschließenden Gesprächen mit Staatsministerin Çubukçu sowohl in
Ankara als auch später in Berlin wurde von deren Seite
mit Nachdruck die Notwendigkeit eines frühen Erwerbs
der deutschen Sprache schon vor Einreise nach Deutschland betont und der Vorschlag für Vorbereitungskurse erörtert.
Die Durchführung von Vorbereitungskursen in der
Türkei wurde auch bei jüngsten Gesprächen zwischen
Ministerpräsident Erdogan und Bundeskanzlerin Merkel
thematisiert. Bei ihrem Besuch im Bundeskanzleramt
hat Staatsministerin Çubukçu mich darüber informiert,
dass Ministerpräsident Erdogan Erziehungsminister
Celik angewiesen habe, die Vorbereitungskurse auf den
Weg zu bringen. Nähere Details zur Konzeption und
praktischen Ausgestaltung der Kurse wurden in den Gesprächen mit der türkischen Seite nicht erörtert. Dafür
werden weitere Gespräche erforderlich sein.
Frau Kollegin, Ihre Zusatzfragen.
Vielen Dank. - Frau Staatsministerin, laut Pressemeldungen der letzten Tage haben sich die Koalitionspartner
darüber geeinigt, dass das Beherrschen der deutschen
Sprache als eine neue Einreisevoraussetzung im Rahmen
des Ehegattennachzugs einzuführen sei. Meines Wissens
wurden diese Meldungen bis heute nicht dementiert.
Ganz im Gegenteil, vom Kollegen Wiefelspütz von der
SPD-Fraktion wurde das sogar bestätigt. Ich möchte
wissen, ob die Vermutung stimmt, dass das Angebot derartiger Deutschkurse in der Türkei - wenn dem so ist der Rechtfertigung dieser geplanten Neuregelung dienen
soll und ob es bei Ihnen diesbezüglich verfassungsrechtliche Bedenken gibt; denn in einer Ausarbeitung des
Wissenschaftlichen Dienstes vom 3. April 2006 gibt es
eine Schlussfolgerung - ich zitiere -: Gegen den Nachweis von Deutschkenntnissen als generelle Voraussetzung für den Nachzug von ausländischen Ehegatten zu
ihrem in Deutschland lebenden ausländischen Ehepartner bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.
Ich möchte wissen, ob Sie sich diesen Bedenken anschließen oder ob Sie juristisch begründen können, dass
der Familiennachzug von dem Stand der Sprachkenntnisse abhängig gemacht werden soll.
Frau Kollegin, Sie wissen, die Beratungen dauern
derzeit an. Bei Regelungen, die den Familiennachzug
betreffen, gehe ich davon aus, dass die federführenden
Ministerien die beabsichtigten Regelungen sowohl in europarechtlicher als auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht überprüft haben. Wenn es zu solchen Regelungen
kommt, ist davon auszugehen, dass entsprechende Härtefallregelungen vorgesehen werden.
Im Übrigen darf ich Ihnen sagen, dass es hier von
ganz entscheidender Bedeutung ist, dass wir nicht nur
eine nachholende Integration durchführen, sondern dass
es, gerade wenn es um die Situation der Frauen geht,
darauf ankommen wird, eine vorbereitende Integration
auf den Weg zu bringen. Diese Überlegungen stehen hinter der derzeit erörterten rechtlichen Regelung. Diese
Überlegungen sind auch tragend für den Vorschlag, den
ich von türkischer Seite erhalten habe. Sowohl der Bildungsminister als auch die Frauenministerin haben mir
in meinen Gesprächen - es war nicht nur ein Gespräch wiederholt gesagt, wie wichtig sie das Beherrschen der
Sprache oder zumindest einfache Sprachkenntnisse halten, damit der Übergang nach Deutschland besser gelingt. Deshalb trete ich persönlich nachdrücklich dafür
ein, dass wir eine solche vorbereitende Integration erreichen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Nochmals herzlichen Dank. - Es gibt seit In-KraftTreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 die
Integrationskurse. Ich habe heute in einer Tickermeldung gelesen - das möchte ich ausdrücklich hier an dieser Stelle begrüßen -, dass auch der niedersächsische Innenminister - er ist von der CDU - das fordert, was wir
hier seit Monaten auch in den Haushaltsberatungen fordern, nämlich dass die Stundenzahl für Integrationskurse
von 600 auf 900 angehoben wird. Soweit ich mich erinnern kann, ist die Erhöhung auch Ihrer Meinung nach,
Frau Ministerin, wünschenswert.
Ist es nicht vielmehr eine Auslagerung im Vorfeld?
Wie schätzen Sie das ein? Es ist zu begrüßen, dass man
sich auf das Land vorbereitet, in dem man Fuß fassen
möchte und für das man sich als neue Heimat entschieden hat. Man kann Neuzuwanderinnen und Neuzuwanderern Immigrationskurse in Verbindung mit Sprachkursen in Deutschland anbieten. Ist es nicht eher so, dass
Sie die Verantwortung in das Herkunftsland verlagern,
indem Sie die Teilnahme an den dortigen Sprachkursen
zur Bedingung für die Einreise in unser Land machen?
Sie sprachen von Härtefallregelungen und Einzelfallprüfungen. Wie möchten Sie die korrekte Umsetzung Ihres Vorhabens konkret gewährleisten, obwohl es juristisch höchst bedenklich ist? Die Bedenken gegenüber
dieser Regelung - der Familiennachzug soll von den
Sprachkenntnissen der Neuzuwanderinnen und Neuzuwanderer abhängig gemacht werden - werden auch in
einer Studie des Wissenschaftlichen Dienstes vom
13. März 2006 geäußert und sie werden von vielen Juristinnen und Juristen geteilt.
Ihre Frage enthält mehrere Ansatzpunkte. Die Frage
nach der Verfassungsmäßigkeit habe ich eben schon beantwortet. Ich verweise darauf.
Es besteht ein Zusammenhang zwischen den Integrationskursen in unserem Land, die durch das Zuwanderungsgesetz rechtlich geregelt sind, und der neuen Entwicklung, dass man sich auf den Umzug nach
Deutschland durch den Erwerb von Sprachkenntnissen
vorbereitet: Beides ergänzt sich. Wir haben es hier zum
einen mit den Integrationskursen zu tun, die im Bereich
der nachholenden Integration angesiedelt sind. Hinzu
kommt der Ansatz der vorbereitenden Integration.
Ich glaube, dass es für all diejenigen, die in unser
Land kommen, außerordentlich hilfreich sein wird, erste
Sprachkenntnisse schon zu besitzen; denn dann gelingt
es viel leichter, den Spracherwerb hier in Deutschland
fortzusetzen. Gerade für Frauen bedeutet das, dass sie
sich hier sehr viel schneller integrieren können. Wir alle
miteinander wissen, dass dies gerade für Frauen von
höchster Bedeutung ist, damit sie zu einer gleichberechtigten Teilhabe in unserem Land kommen können.
Frau Kollegin Hänsel, eine Zusatzfrage, bitte.
Mich interessiert konkret, wie diese Sprachkurse vor
Ort, also in ländlichen Regionen wie Anatolien, gewährleistet werden sollen?
Bei Ihrer Frage geht es darum, wie die türkische Seite
diese Sprachkurse durchführt. Mir liegen Informationen
darüber vor, dass der türkische Bildungsminister derzeit
ein Konzept für diese Sprachkurse erarbeiten lässt. Das
ist ein wichtiger Punkt, über den wir uns mit der türkischen Regierung austauschen werden. Es ist Aufgabe
der türkischen Regierung, diese Vorbereitungskurse anzubieten.
Vielen Dank, Frau Staatsministerin, für die Beantwortung der Fragen.
Ich schließe diesen Geschäftsbereich.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf.
Die Frage 4 der Kollegin Cornelia Hirsch wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Die Fragen beantwortet Herr
Parlamentarischer Staatssekretär Thomas Kossendey.
Ich rufe die Frage 5 der Abgeordneten Heike Hänsel
auf:
Auf welcher Entscheidung beruht es, dass, wie Entwicklungsorganisationen vor Ort kritisieren und Oberstleutnant
Norbert Falkowski auf der Anhörung des Ausschusses für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zur zivilmilitärischen Zusammenarbeit am 25. Oktober 2006 bestätigte und auf Kostengründe zurückführte, sich Bundeswehreinheiten mit zivilen Fahrzeugen - weißen Jeeps ohne ausreichende Kennzeichnung - in Kunduz und Kabul bewegen und
damit das Risiko der Verwechslung und Vermischung von ziviler und militärischer Präsenz provozieren?
Frau Hänsel, zunächst eine grundlegende Bemerkung
zu Ihrer Frage. Es gibt keine rechtliche Verpflichtung zur
Kennzeichnung militärischer Fahrzeuge, die in Afghanistan eingesetzt werden.
Die von unseren Bundeswehreinheiten in Afghanistan
genutzten Fahrzeuge sind grundsätzlich eindeutig als militärische Fahrzeuge gekennzeichnet. In Einzelfällen stehen den Soldaten aber auch zivile Fahrzeuge zur Verfügung. Eine Verwechslungsgefahr kann ich da nicht
sehen, weil die deutschen Soldaten, wenn sie die Fahrzeuge benutzen, Uniform tragen.
Darüber hinaus gibt es ungeschützte zivile Fahrzeuge.
Die kommen aber grundsätzlich nur innerhalb der Einsatzliegenschaften zum Einsatz, gehen also sozusagen
nicht nach draußen. Für diese Fahrzeuge ist daher auch
keine Kennzeichnung notwendig.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Danke schön. - Ich wurde darauf hingewiesen, dass
ich Ihnen zum Amtsantritt gratulieren soll. Ich wünsche
Ihnen viel Erfolg, vor allem im Hinblick auf eine konstruktive Zusammenarbeit auch mit der Opposition.
Es gibt sehr viele Beschwerden von Hilfsorganisationen, die vor Ort real erleben, dass eine Gefährdung besteht, weil es bezüglich der Fahrzeuge ein eindeutig getrenntes Auftreten nicht gibt und weil vor allem die
gleichen Jeeps wie bei Hilfsorganisationen verwendet
werden. Es wurde gesagt, das geschehe aus Kostengründen.
Nun zu meiner Frage. Es wird in Afghanistan sehr
viel Geld ausgegeben. Wieso ist es nicht möglich, dort
entsprechende Fahrzeuge zu besorgen? Ist die Motivation nicht zum Teil auch die, dass man, wenn man zivil
auftritt, sich mit zivilen Fahrzeugen über weite Strecken
bewegt, weniger gefährdet ist?
Frau Kollegin, Sie sprechen mir geradezu aus dem
Herzen. Auch wir hätten gern mehr Geld für geschützte
Fahrzeuge im Einsatz in Afghanistan. Das scheitert häufig an den sehr intensiven Diskussionen, die wir mit der
Opposition zum Beispiel über die Ausweitung des Verteidigungshaushalts zu führen haben.
Zweiter Punkt. Gerade das Konzept, das wir in
Afghanistan verfolgen, das Konzept mit den PRTs, ist
ein ressortübergreifendes Konzept. Unsere Soldaten sind
da, um den zivilen Aufbau sowie die Helferinnen und
Helfer aus den Hilfsorganisationen dort zu schützen und
gegebenenfalls konstruktiv mitzuarbeiten. Von daher
finde ich es zunächst nicht sehr einleuchtend, dass das
mit unterschiedlich gekennzeichneten Fahrzeugen geschehen soll. Außerdem sind alle diejenigen, die in den
nicht als militärisch zu identifizierenden Fahrzeugen sitzen, als Soldaten daran erkennbar, dass sie eine Uniform
tragen. Ich finde, das reicht.
Wir haben grundsätzlich - das will ich gern noch einmal betonen - militärisch gekennzeichnete Fahrzeuge im
Einsatz. Aber in Einzelfällen greifen wir auch deswegen
auf Zivilfahrzeuge zurück, weil zum Beispiel nicht immer militärische Fahrzeuge in ausreichender Anzahl zur
Verfügung stehen.
Dritter Punkt. Von Beschwerden der Organisationen
über eine mögliche Verwechslung ist uns im Ministerium nichts bekannt.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Danke schön. - Bezüglich der Kosten gäbe es natürlich auch die Möglichkeit, das Mandat zu beenden und
dann die Finanzmittel direkt in die zivile Aufbauhilfe in
Afghanistan zu investieren. Würden auch Sie das als
eine Möglichkeit ansehen?
Natürlich gibt es Beschwerden von vielen Hilfsorganisationen. In unserem Ausschuss wurde das sogar
schriftlich festgehalten. Es ist schon ein Problem, dass
Entwicklungshelfer - einige wurden angegriffen und sogar getötet - ganz konkret gefährdet sind, wenn sie nicht
ganz klar getrennt von einer militärischen Präsenz in
Afghanistan wahrgenommen werden. Die Truppen dort
sind Besatzungstruppen und werden von der Bevölkerung auch so wahrgenommen. Von daher möchte ich
nachfragen: Wie wollen Sie gewährleisten, dass es durch
die Truppenpräsenz keinerlei Gefährdung für den zivilen
Wiederaufbau und die Entwicklungsorganisationen vor
Ort gibt?
Das Konzept, das wir in Afghanistan haben, das dem
Parlament gerade vor zweieinhalb Monaten noch einmal
als Dokument der Bundesregierung zugänglich gemacht
worden ist, sagt sehr deutlich, dass die militärische
Komponente nur eine von vielen ist, mit denen wir
Afghanistan helfen wollen. Der Bundesinnenminister,
das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und das Auswärtige Amt arbeiten mit dem Verteidigungsministerium an diesem Aufbau. Das Zurückziehen des Militärs aus diesem Konzept würde dazu führen,
dass all diejenigen, die am zivilen Aufbau mitarbeiten,
das ungeschützt tun müssten. Das war von Anfang an
nicht das Ziel der Arbeit der Bundesregierung und das ist
auch nach wie vor nicht der Wunsch der zivilen Hilfsorganisationen.
Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Heike Hänsel auf:
Was wird das Bundesministerium der Verteidigung unternehmen, damit es zukünftig keine Vermischung ziviler und
militärischer Präsenz in Afghanistan gibt und Bundeswehreinheiten sich nur in eindeutig gekennzeichneten Fahrzeugen bewegen?
Die Antwort auf die Frage 6, Frau Kollegin Hänsel,
ergibt sich eigentlich aus dem, was wir gerade besprochen haben. Seitens des Bundesministeriums der Verteidigung sind keine zusätzlichen Maßnahmen beabsichtigt. Wir sehen eigentlich keine Verwechslungsgefahr, da
auch in den zivilen Fahrzeugen die Soldaten mit ihrer
Uniform als Soldaten erkennbar sind.
Haben Sie dazu noch Zusatzfragen?
Ja. - Wird es auch in Zukunft gängige Praxis sein,
dass das Militär in der Region dort weiße Jeeps, wie sie
häufig auch von Entwicklungshilfeorganisationen gefahren werden, benutzt?
Ich wiederhole, was ich gesagt habe: Grundsätzlich
fahren die Soldaten als Militärfahrzeuge erkennbare und
gekennzeichnete Fahrzeuge. Wenn militärische Fahrzeuge nicht in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen, kann es in Ausnahmefällen dazu kommen, dass wir
zivile Fahrzeuge, die eben nicht als Militärfahrzeuge gekennzeichnet sind, benutzen müssen. Das ergibt sich
schlichtweg aus unserem Auftrag. Deswegen sage ich:
Grundsätzlich nutzen wir militärische Fahrzeuge, aber
im Ausnahmefall kann es auch dazu kommen, dass wir
zivile Fahrzeuge benutzen.
Ich hätte noch eine Frage zu den Ausnahmefällen.
Wie hoch beziffern Sie den Anteil von zivilen Jeeps im
Verhältnis zu militärischen bzw. wie oft kommt es vor,
dass zivile Jeeps benutzt werden?
Angesichts der Lage in Afghanistan, die mittlerweile
auch im Norden nicht mehr so ruhig ist wie noch vor
zwei Jahren, legen auch die Soldaten selbst Wert darauf,
sich in militärischen, das heißt geschützten Fahrzeugen
außerhalb der Einsatzlager zu bewegen. Von daher ist es
wirklich die Ausnahme, dass zivile Fahrzeuge benutzt
werden.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Ich schließe diesen Geschäftsbereich und rufe den
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung auf. Die Fragen beantwortet
der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Rainder Steenblock
auf:
Unter welchen Bedingungen würde die Bundesregierung
von ihren Plänen abweichen, einen Tunnel unter der Elbe für
die geplante Autobahn 20 als Mautprojekt - F-Modell - zu
planen, und, wenn das Projekt nicht als Mautprojekt realisiert
wird, wie soll die Haushaltsfinanzierung für dieses Projekt gesichert werden?
Lieber Kollege Steenblock, ich schlage vor, die beiden Fragen, die Sie gestellt haben, zusammen zu bearbeiten.
Dann rufe ich auch die Frage 8 auf:
Ist es zutreffend, dass eine Haushaltsfinanzierung zulasten
der Länderquoten an den Bedarfsplanmaßnahmen der beteiligten Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen gehen
würde und damit entsprechend weniger Geld für die Fertigstellung anderer Projekte des Vordringlichen Bedarfs zur Verfügung stünde, und, wenn ja, welche Projekte wären davon
betroffen?
Die A 20 ist insgesamt wichtig für die Verkehrserschließung des Nordens. Um ein solch großes Projekt
wie einen zusätzlichen Elbtunnel in Hamburg als F-Modell umzusetzen, bedarf es einer Vielzahl von Voruntersuchungen. Erste Vorbedingung dafür ist der positive
Ausgang einer Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, also ob
sich dieses Projekt als F-Modell überhaupt wirtschaftlich
darstellen lässt. Zweite Voraussetzung ist ein abgeschlossenes Vergabeverfahren.
Wenn sich bei den Untersuchungen herausstellen
sollte, dass eine Umsetzung im Rahmen eines F-Modells
nicht infrage kommt, bleibt zur Finanzierung eines solchen Projektes die Haushaltsfinanzierung übrig. In dem
ganz konkreten Fall wäre dann der Deutsche Bundestag
gefordert, weil dieser ja beschließen müsste, dem Verkehrsministerium entsprechende Mittel zur Verfügung
zu stellen. Das hätte natürlich sofort auch Auswirkungen
auf die Gespräche, die mit den Ländern über die Quoten
geführt werden und die in der Regel jährlich stattfinden.
Die entsprechenden Ministerien stehen darüber ja in
ständigem Kontakt.
Herr Kollege, Sie haben jetzt vier Zusatzfragen.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, gestatten Sie mir
zunächst einmal eine Richtigstellung: Dieser Tunnel soll
nicht in Hamburg, sondern in Schleswig-Holstein gebaut
werden. Das ist jedenfalls mein Kenntnisstand.
Bezüglich der Finanzierung, die Sie ja schon angesprochen haben, hätte ich als Erstes eine Nachfrage zu
dem Finanzierungskonzept. Das ursprüngliche Finanzierungskonzept ging von Kosten in Höhe von ungefähr
380 Millionen Euro aus. Diese Zahl wurde der Öffentlichkeit vor Jahren auch bekannt gegeben. Mittlerweile
belaufen sich die Baukosten nach Aussagen der Landesregierung von Schleswig-Holstein auf 740 Millionen
Euro, sie haben sich also fast verdoppelt. Wird angesichts dieser Kostenexplosion ein neues Finanzierungskonzept von der Bundesregierung in Zusammenarbeit
mit dem Land Schleswig-Holstein vorgelegt und zu welchem Zeitpunkt soll das geschehen?
Vorab noch einmal der Hinweis auf das, was ich eben
gesagt habe: Es sind bei diesem Projekt bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen. Zunächst untersuchen wir die
Frage, ob der Tunnel überhaupt geeignet ist, im Rahmen
eines F-Modells finanziert zu werden. Das Ergebnis dieser Untersuchung wird uns im ersten Quartal nächsten
Jahres vorliegen. Dann folgt ein zweiter Schritt: Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie wird geprüft, ob man dieses Projekt als F-Modell wirtschaftlich darstellen kann.
Das Ergebnis dieser Studie erwarten wir zum Herbst
nächsten Jahres.
Ihre Frage bezüglich der Kostenstruktur bezieht sich
insbesondere auf Sachverhalte dieser zweiten Untersuchung, also ob man das Projekt als F-Modell wirtschaftlich darstellen kann. Wenn die entsprechenden Ergebnisse vorliegen und es um die konkrete Umsetzung geht,
wird man in einen intensiven Dialog mit den Landesregierungen und, wie ich vermute, auch mit dem Deutschen Bundestag eintreten; denn dann haben wir die nötigen Grundlagen, um entscheiden zu können, auf
welche Weise dieses Projekt finanziell dargestellt werden kann.
Herr Staatssekretär, dieser Tunnel ist in den Bundesverkehrswegeplan ja als F-Modell eingestellt worden.
Hat die damalige Bundesregierung dieses Modell dort in
völliger Unkenntnis von Finanzierungs- oder Eignungsnotwendigkeiten eingestellt oder welche neuen Erkenntnisse tauchen jetzt auf, das F-Modell an dieser Stelle infrage zu stellen?
Wir stellen das Projekt nicht als F-Modell infrage,
sondern wir wollen, da es sich um ein sehr großes Projekt handelt, die Voruntersuchungen möglichst sorgfältig
durchführen. Deswegen dieses zweistufige Verfahren.
Wir sind ja in Deutschland noch Lernende, was die
Privatfinanzierung von Verkehrsprojekten anbetrifft. Die
Geschichte dieses Tunnelprojektes reicht bis 1987 zurück; damals hat man mit der Planung begonnen. Deswegen ist der Weg, den wir jetzt vorschlagen, vernünftig: Wir wollen schauen, ob das Projekt als F-Modell
geeignet ist - das ist die erste Stufe, die im ersten Quartal nächsten Jahres umgesetzt wird -, und dann anhand
einer Wirtschaftlichkeitsüberprüfung klären, ob es sich
als F-Modell wirtschaftlich darstellen lässt. Die Umsetzung dieser zweiten Stufe erwarten wir für Ende nächsten Jahres.
Sie haben noch zwei Zusatzfragen.
Welche Auswirkungen hätten denn diese neuen, zusätzlichen Untersuchungen auf den bisherigen Zeitplan
bezüglich der Fertigstellung dieses Querungsbauwerkes, insbesondere vor dem Hintergrund, dass in Niedersachsen die Fortführung der A 20 nicht im Vordringlichen Bedarf steht?
Uns geht Gründlichkeit immer vor Schnelligkeit, weil
die Projekte sonst möglicherweise nicht gut durchdacht
sind. Deswegen haben wir dieses Verfahren vorgeschlagen. Prinzipiell kann man davon ausgehen, dass, wenn
man in einem solchen Voruntersuchungsprozess auf
Schwierigkeiten stößt, sich daraus Verzögerungen ergeben. Bei großen Verkehrsprojekten wie der A 20 oder
anderen Autobahnen ist es ohnehin so, dass man die
Projekte in Abschnitte unterteilt und sie abschnittsweise
realisiert. Was konkret den Tunnel anbetrifft, sind wir,
denke ich, auf dem richtigen Weg, wenn wir sehr sorgfältig zweistufig vorgehen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Meine letzte Frage ist: Können Sie die im Augenblick
zirkulierende Zahl von 740 Millionen Euro als Kostenrahmen für das Querungsbauwerk bestätigen - ist das ein
Erkenntnisstand, auf den sich die Bundesregierung berufen will - oder wird es, bevor die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung startet - man muss ja, wenn man über Mauthöhen redet, auch wissen, was das Bauwerk kosten soll -,
noch eine neue Kostenschätzung geben?
Wenn man zu der Erkenntnis kommt, dass das Projekt
als F-Modell geeignet ist und sich wirtschaftlich darstellen lässt, dann muss man in dem Zusammenhang beispielsweise die Frage nach der Tunnellänge beantworten. Da gibt es unterschiedliche Denkansätze und
Untersuchungsansätze. Von dieser technischen Voraussetzung hängen die Kosten ab. Das ist der erste Punkt.
Das heißt, die Frage, wie hoch die Kosten am Ende tatsächlich sein werden, wird sich im Zuge der Untersuchungen zeigen.
Das Zweite. Sie sind lange genug Verkehrspolitiker,
um zu wissen, dass Projekte selten billiger werden, als
sie geplant wurden. Das ist ein gängiger Erfahrungswert.
Deswegen kann man realistischerweise davon ausgehen,
dass wir noch gewisse Spielräume haben, wenn es um
die Frage geht, mit welcher Endsumme wir kalkulieren
müssen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Zu diesem Geschäftsbereich liegen keine weiteren
Fragen vor. Deswegen schließe ich ihn.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf.
Die Frage 9 der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann
wird aufgrund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet.
Die Frage 10 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wird
ebenfalls schriftlich beantwortet.
Auch die Fragen 11 und 12 der Kollegin Brigitte
Pothmer werden schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Die Fragen beantwortet Herr Staatsminister Günter Gloser.
Ich rufe die Frage 13 des Kollegen Wolfgang Gehrcke
auf:
Welche Auswirkungen auf den angestrebten Friedensprozess im Nahen Osten sieht die Bundesregierung durch die
Aufnahme von Avigdor Lieberman in die israelische Regierung, die von dem zurückgetretenen Minister Ofir Pines-Pas
als ein „moralischer Schandfleck“ bezeichnet wurde ({0})?
Ich darf wie folgt antworten: Die Richtlinien der
31. israelischen Regierung unter Premierminister Olmert
haben sich durch den Beitritt der Partei „Yisrael Beitenu“ unter Lieberman nicht geändert. Im Übrigen, Herr
Kollege, darf ich Ihnen sagen, dass die Bundesregierung
zu Regierungsumbildungen in anderen Staaten keine
Stellung nimmt.
Ihre Zusatzfragen, Herr Kollege.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung darauf
eingestellt, dass sich durch die Aufnahme von Herrn
Lieberman in die israelische Regierung der Konflikt
zwischen Israel und den Palästinensern dramatisch verschärfen kann? Ich will einmal zitieren, was Herr
Lieberman unter anderem gesagt hat:
Wir müssen die Motivation der Palästinenser vernichten. Wenn es nach mir ginge, würde ich ihnen
mitteilen, dass wir ab morgen früh um zehn die Geschäftszentren in ihren Städten und drei Stunden
später alle Tankstellen bombardieren.
Glauben Sie nicht, dass die Aufnahme von Herrn
Lieberman in die israelische Regierung zu weiteren
schärferen Auseinandersetzungen führen wird?
Herr Kollege Gehrcke, natürlich ist sich die Bundesregierung dessen bewusst, wie schwierig gegenwärtig
das Verhältnis zwischen Palästinensern und Israelis ist.
Ich komme auf meine erste Bewertung zurück, nämlich
dass die Richtlinien der israelischen Politik durch Herrn
Olmert bestimmt werden und nicht durch Herrn Lieberman.
Ich darf auch darauf hinweisen - das ist der Kenntnisstand der Bundesregierung -, dass auch innerhalb der israelischen Regierung Kritik an den Äußerungen von
Herrn Lieberman laut geworden ist. Ich denke daher, es
ist klar, dass seine Äußerungen nicht der offizielle Kurs
der israelischen Regierung sind.
Ihre weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ausgerechnet Herr Lieberman ist
als Minister für strategische Fragen für die Behandlung
des Konflikts mit dem Iran verantwortlich. Meinen Sie
daher nicht auch, dass das auf der iranischen Seite zu
neuen Ängsten, Sorgen und Verhärtungen führen kann?
Herr Kollege Gehrcke, Sie wissen genauso gut wie
ich, dass wir keinen Einfluss auf die Besetzung von Ministerposten in ausländischen Regierungen haben.
Die israelische Regierung ist sicherlich darüber unterrichtet, wie stark die drei EU-Staaten Großbritannien,
Frankreich und Deutschland im Benehmen mit den
Vereinigten Staaten von Amerika, Russland und China
an einer Lösung arbeiten, um eine Bedrohung Israels
auszuschließen. Ich kann also keinen Grund für eine negative Entwicklung sehen.
Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Wolfgang Gehrcke
auf:
Sieht die Bundesregierung in den ungenehmigten israelischen Militärflügen über libanesisches Territorium eine Verletzung des Waffenstillstands und der UNO-Resolution 1701?
Ich darf wie folgt Stellung nehmen: Der Generalsekretär der Vereinten Nationen unterstreicht in seinem
jüngsten Bericht vom 19. Oktober 2006 zur Umsetzung
der Resolution 1559 seine Erwartung, dass diese Flüge,
die eine Verletzung der libanesischen Souveränität darstellen und im Widerspruch zu den Resolutionen 425,
1559 und 1701 des Sicherheitsrates stehen, vollständig
eingestellt werden. Aus Sicht der Bundesregierung ist
die vollständige Umsetzung und Respektierung der VNResolution 1701 unabdingbare Grundlage zur Stabilisierung der Lage im Libanon.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Ich kann nur ausdrücklich das bekräftigen, was der
Generalsekretär der Vereinten Nationen gesagt hat. Hat
Herr Minister Jung, der als letzter Minister direkte Gespräche mit der israelischen Regierung geführt hat, den
Protest der Bundesregierung, die an UNIFIL beteiligt ist,
gegen diese Flüge der israelischen Regierung direkt
übermittelt?
Die Bundesregierung hat gerade in den letzten Wochen immer deutlich gemacht, dass es im Hinblick auf
die Waffenruhe, die glücklicherweise mithilfe der Resolution der Vereinten Nationen geschaffen werden konnte,
engste Gespräche und auch den Austausch von Informationen geben muss, um mögliche Missverständnisse zwischen Israel und den Vereinten Nationen, insbesondere
den Ländern, die an der Mission UNIFIL beteiligt sind,
auszuräumen.
Ihre weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie haben auf eine Frage geantwortet, die ich überhaupt nicht gestellt habe. Ich versuche es also noch einmal: Ich möchte wissen, ob die Bundesregierung als Teil dieser Mission ihren Protest der
israelischen Regierung direkt übermittelt hat.
Herr Kollege Gehrcke, ich möchte darauf hinweisen,
dass die Bundeswehr nur ein Teil dieser Mission der Vereinten Nationen ist. Wie Kofi Annan schon dargelegt
hat, verletzten diese Flüge die Resolution der Vereinten
Nationen. Es muss daher alles Mögliche getan werden,
damit es nicht zu neuen Konflikten kommt.
Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Alexander Ulrich
auf:
Mit welchen konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung während ihrer EU-Ratspräsidentschaft den Nahostfriedensprozess voranzutreiben?
Herr Kollege Ulrich, ich darf wie folgt antworten: Die
Bundesregierung wird gemeinsam mit den Partnern in
der Europäischen Union und im Nahostquartett intensiv
nach Möglichkeiten suchen, den Nahostkonflikt einer
umfassenden Friedenslösung näher zu bringen. Der Bundesminister des Auswärtigen hat sich für die Wiederbelebung und mögliche Erweiterung des Aufgabenbereichs
des Nahostquartetts ausgesprochen. Gegenwärtig führt
er mit den Partnern des Quartetts Gespräche, in denen
die in der Quartetterklärung vom 20. September 2006
geäußerte Bereitschaft thematisiert wird, über eine Erweiterung des Aufgabenbereiches nachzudenken, und
dies nicht nur beschränkt auf den Kernkonflikt Israel-Palästina, sondern auch die Regionalkonflikte in Bezug auf
Libanon und Syrien einbeziehend. In Gesprächen mit
den Partnern hat der Bundesminister des Auswärtigen
für diese Haltung geworben.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatsminister, gibt es im Rahmen der Ratspräsidentschaft und damit als Teil des Kleeblatts eine Initiative der Bundesregierung, auf die Durchführung einer
Nahostfriedenskonferenz zu drängen?
Herr Kollege Ulrich, nach Verabschiedung der entsprechenden Resolution in den Vereinten Nationen
wurde deutlich gemacht, dass wir nicht nur Entscheidungen, sondern endlich auch eine politische Lösung benötigen. Angesichts der Entwicklung haben wir vorgeschlagen, den Bereich Libanon und Syrien mit einzubeziehen.
Ich glaube, Sie werden mir darin zustimmen, dass
eine solche Konferenz zum Erfolg führen muss. Wir
können nicht wieder eine Niederlage gebrauchen. Deshalb führt die Bundesregierung derzeit in Abstimmung
mit der finnischen Ratspräsidentschaft Gespräche darüber. Wir werden dieses Thema während der deutschen
EU-Ratspräsidentschaft auf die Agenda setzen. Aber ich
bitte um Nachsicht, dass wir ein solch umfassendes Projekt nicht von heute auf morgen in Gang setzen können.
Dazu bedarf es der Abstimmung im Rahmen des Nahostquartetts, aber auch der Einbeziehung der KonfliktparStaatsminister Günter Gloser
teien. Ob dazu sechs Monate ausreichen werden, bezweifle ich. Aber dieses Thema steht während der
deutschen Ratspräsidentschaft ganz oben auf der Tagesordnung.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wie beurteilt dann die Bundesregierung die Debatte im Europaparlament, dass das EUParlament selbst initiativ werden und Abgeordnete der
Konfliktparteien zu Beratungen einladen will?
Herr Kollege Ulrich, natürlich hat die Bundesregierung vor dem Europäischen Parlament Respekt. Wir sind
nicht dazu da, diese Initiativen zu kommentieren. Natürlich muss es entsprechende Gespräche geben.
In der Europäischen Union haben wir uns aber zum
einen darauf verständigt, dass in der jetzigen Phase eine
Reihe von Kontakten notwendig ist und mit den Bündnispartnern, im Nahostquartett - ich wiederhole das und natürlich auch mit den Vereinten Nationen die Situation ausgelotet werden muss. Zum anderen müssen wir
sehen, wie die Konfliktparteien in einen solchen Prozess
einbezogen werden können. Darüber hinausgehende Initiativen liegen in der Autonomie der jeweiligen Bereiche, im konkreten Fall in der des Europaparlaments.
Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Ulrich auf:
Wie erklärt die Bundesregierung die Tatsache, dass der
Presse ({0}) der Entwurf des
Arbeitsprogramms der deutschen EU-Ratspräsidentschaft bekannt ist und den Abgeordneten und Mitgliedern des EU-Ausschusses, die täglich damit arbeiten müssten, nicht?
Den Abgeordneten des Deutschen Bundestages wird
das Programm der deutschen EU-Präsidentschaft nach
Billigung durch das Bundeskabinett, die voraussichtlich
Ende November erfolgen wird, übermittelt. Dem Vorsitzenden des Europaausschusses wurde aufgrund dessen
hervorgehobener Stellung in EU-Angelegenheiten bereits ein Entwurf des Arbeitsprogramms nach Kenntnisnahme durch das Kabinett zur persönlichen Unterrichtung und vertraulichen Behandlung übersandt.
Herr Kollege, Ihre Fragen bitte.
Wäre es vor dem Hintergrund der Tatsache, dass
schon eher Informationen aus dem Ministerium an die
Presse weitergeleitet wurden, nicht notwendig, von diesem Zeitplan abzuweichen und dieses Haus über die
Maßnahmen und Pläne zu informieren?
Herr Kollege Ulrich, wir wissen nicht, aus welcher
Quelle - ich stelle hier keine Vermutungen an - die
Presse diese Informationen erhalten hat. Ich wiederhole
die Bewertung der Bundesregierung, die ich bereits in
einer früheren Fragestunde dargestellt habe: Bis jetzt
wurde kein Beschluss zum Präsidentschaftsprogramm
gefasst. Dies geschah zum einen deshalb, weil immer
noch abgewartet werden muss, wie die Entwicklung innerhalb der Europäischen Union verläuft und was aktuell
in das Programm einbezogen werden muss. Zum anderen warnen wir vor einer zu frühen Bekanntgabe, nicht
deswegen, weil wir nicht informieren wollen, sondern in
Respekt vor der finnischen Präsidentschaft. Vergleichbare EU-Staaten haben ihr Programm circa vier, fünf
Wochen vor Beginn ihrer Präsidentschaft vorgestellt.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Können wir als Abgeordnete aufgrund dieser negativen Erfahrung davon ausgehen, dass die zwischen Bundestag und Bundesregierung in diesem Zusammenhang
getroffene Vereinbarung gerade im Vorfeld der EU-Ratspräsidentschaft offensiv gelebt wird?
Sie wissen um unsere Debatte aufgrund einer einstimmig beschlossenen Vereinbarung des Deutschen Bundestages mit der Bundesregierung. Ich bin überzeugt, dass
Sie von allen Ressorts und der Bundesregierung früh in
den Prozess einbezogen werden. Ich bitte aber um Rücksichtnahme, da es bisher keinen Beschluss der Bundesregierung gibt. Es macht schließlich keinen Sinn, ein Papier, das jede Woche verändert wird, der Öffentlichkeit
oder auch den Parlamentariern zu unterbreiten.
Die Bundeskanzlerin hat vor wenigen Wochen im
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union die Schwerpunkte dargestellt, an denen sich die
EU-Ratspräsidentschaft orientieren wird. Wenn wir im
Kabinett entsprechende Beschlüsse gefasst haben - voraussichtlich Ende November -, werden sie Ihnen unmittelbar zugeleitet.
Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Dr. Norman Paech
auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass die US-Regierung
in einem Militärlager in Jericho im Westjordanland ein Trainingsprogramm durchführt, mit dem die Präsidentengarde der
palästinensischen Autonomiebehörde für einen bewaffneten
Kampf gegen die Hamas gerüstet werden soll ({0}), und, wenn ja, hält die Bundesregierung dies für einen konstruktiven Beitrag zu einer
Friedensregelung im Nahen Osten?
Herr Kollege Paech, der Bundesregierung sind entsprechende Presseberichte bekannt. Nach Kenntnis der
Bundesregierung trifft es nicht zu, dass in Jericho Trainingsmaßnahmen durchgeführt werden, mit denen die
dem Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde unterstehenden Sicherheitskräfte für einen bewaffneten Kampf gegen die Hamas gerüstet werden.
Bekannt ist der Bundesregierung, dass es im Rahmen
der Mission des US-Sicherheitskoordinators Generalleutnant Dayton konkrete Überlegungen gibt, die Präsidialgarde für Einsätze an Grenzübergängen auszubilden.
Nach Kenntnis der Bundesregierung ist mit entsprechenden Ausbildungsmaßnahmen nicht vor Beginn des
nächsten Jahres zu rechnen.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, dann ist Ihnen wohl auch bekannt, dass nach Presseberichten, ähnliche Lager im
Gazastreifen eingerichtet werden sollen?
Herr Kollege Dr. Paech, es gibt Pressemeldungen,
aber eine solche Situation ist der Bundesregierung nicht
bekannt.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Das ist insofern etwas seltsam, als mir diese Berichte
von der Deutschen Botschaft in Tel Aviv zugesandt worden sind. Kann ich davon ausgehen, dass Sie diesen
Berichten intensiv nachgehen werden und uns dann,
eventuell auch schriftlich, über Ihre Konsequenzen informieren?
Selbstverständlich. Sollte es ein solches Dokument
geben, werde ich dem nachgehen und Sie dann entsprechend unterrichten.
Ich rufe die Frage 18 des Kollegen Dr. Norman Paech
auf:
Ist der Bundesregierung die Einschätzung der US-Regierung bekannt, wonach die Isolierung der von der Hamas geführten palästinensischen Regierung zu einer bewaffneten
Auseinandersetzung zwischen der Hamas und der Fatah führen werde ({0}), und,
wenn ja, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung
daraus für ihre eigene Nahostpolitik?
Der Bundesregierung sind entsprechende Presseberichte bekannt. Vor dem Hintergrund der Bemühungen
von Präsident Abbas zur Bildung einer palästinensischen
Regierung auf der Grundlage seiner eigenen Friedensagenda bereiten gerade die jüngsten bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Fatah-nahen und Hamasnahen Milizen der Bundesregierung Sorge. Bedauerlicherweise finden diese Auseinandersetzungen zwischen
Mitgliedern der Fatah und der Hamas bereits seit Gründung der Hamas statt. Die Bundesregierung teilt daher
nicht die Einschätzung, dass Ursache dieser Auseinandersetzungen die Isolierung der Hamas-geführten Regierung ist.
Ihre erste Zusatzfrage.
Sie gehen aber ebenfalls davon aus, dass die Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Fatah militärisch geführt werden. Meine Frage dazu: Was gedenkt
die Bundesregierung im Rahmen einer neuen Strategie
zur Friedenslösung zu unternehmen? Ist sie bereit, die
Blockade gegenüber der Hamas aufzugeben und sich mit
der gewählten Regierung, dem gewählten Parlament in
Bezug auf eine Friedenslösung auseinander zu setzen?
Herr Kollege, Sie wissen, dass es diesbezüglich von
Anfang an eine Position der Europäischen Union gegeben hat. Voraussetzung für die Aufnahme der Kontakte
zwischen der Europäischen Union - damit auch die jeweils bilateralen Kontakte - und der Hamas-geführten
Regierung war ein deutliches Signal. Die Bedingungen
waren: die Anerkennung des Staates Israel, das Eintreten
in die Roadmap und der Verzicht jeglicher Gewalt. Wenn ich die jüngsten Meldungen richtig deute, gibt es
Bewegung zwischen den beiden Parteien, der Hamas
und der Fatah, innerhalb Palästinas. Es ist zu hoffen,
dass es hier letztendlich zu einer Lösung kommt und ein
deutliches Signal ausgesendet wird, dass die Bedingungen erfüllt sind, damit die Kontakte zwischen der Europäischen Union und der Hamas-geführten Regierung in
den palästinensischen Gebieten aufgenommen werden
können.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Nach jüngsten Meldungen - entsprechende Meldungen gab es auch heute Morgen - hat die israelische Regierung heftige militärische Interventionen im Gazastreifen unternommen, verbunden mit vielen Zerstörungen
und vielen Toten. Ist die Bundesregierung bereit, um den
Friedensprozess zu fördern, intensiv auf die israelische
Regierung einzuwirken, um diese militärischen Aktionen im Gazastreifen zu beenden?
Kollege Paech, Sie kennen den Ausgangspunkt: Die
Konflikte zwischen Israelis und Palästinensern haben
sich wiederum verschärft. Bis heute haben wir noch keines der Probleme gelöst. Die entführten israelischen Soldaten wurden noch nicht freigelassen.
Es wird deutlich gemacht, dass sich die Situation
nicht weiter verschärfen darf. Wir nehmen Einfluss und
machen deutlich: Es gibt gewisse Rechte, auch das
Selbstverteidigungsrecht des israelischen Staates; bei ihrer Durchsetzung ist aber auf die Verhältnismäßigkeit
der Mittel zu achten.
Ich rufe die Frage 19 der Kollegin Sevim Dagdelen
auf:
Werden die getroffenen Absprachen Auswirkungen auf
die Praxis der Visumerteilung für türkische Staatsangehörige
im Rahmen von Familienzusammenführung haben und, wenn
ja, welche?
Sehr geehrte Frau Kollegin, wenn ich es richtig verstanden habe, wurde ein Teil Ihrer Frage von Frau
Staatsministerin Böhmer schon beantwortet. Auch ich
gebe Ihnen aber gern eine Antwort.
Die Gespräche zwischen der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration
und der türkischen Seite bezogen sich allein auf den Bereich des Ehegattennachzugs, also nicht auf den umfassenden Familiennachzug nach Deutschland. Auswirkungen des angedachten Kooperationsansatzes auf den
Ehegattennachzug können sich ergeben, wenn das geltende Aufenthaltsgesetz die Erteilung des Visums bzw.
der Aufenthaltserlaubnis von Kenntnissen der deutschen
Sprache des Nachziehenden abhängig macht. Beim Ehegattennachzug zu in Deutschland lebenden Ausländern
sind Kenntnisse der deutschen Sprache nach geltender
Rechtslage grundsätzlich keine Nachzugsvoraussetzung.
Etwas anderes gilt lediglich, wenn der in Deutschland
lebende Ehegatte seit weniger als zwei Jahren im Besitz
einer Aufenthaltserlaubnis ist und die Ehe erst nach ihrer
Erteilung geschlossen wurde. In diesen Fällen wird auf
dem Ermessenswege über den Ehegattennachzug entschieden. Insoweit können - ich hoffe, wir sind uns
darüber einig - Sprachkenntnisse des nachziehenden
Ehegatten als Ermessensgesichtspunkt bei der Visumserteilung Berücksichtigung finden. In diesen Fällen sind
positive Auswirkungen durch vorbereitende Sprachkurse
im Hinblick auf die Erteilung eines Visums zu erwarten.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, danke für die teilweise Beantwortung meiner Frage. - Sie meinten, dass Sprachkenntnisse aller Voraussicht nach entscheidend im Rahmen
der Ermessensentscheidung bei der Visumserteilung
werden könnten. Etwa 55 000 Menschen, rund ein Viertel davon aus der Türkei, sind im vergangenen Jahr über
den so genannten Familiennachzug - Sie haben zwischen Ehegattennachzug und Familiennachzug unterschieden - hierher gekommen. Ich möchte wissen, was
die bestimmten Voraussetzungen sind. Inwieweit können
Sie vor dem Hintergrund, dass die Familienzusammenführung und entsprechend der Ehegattennachzug nach
Art. 6 Grundgesetz geschützt sind, dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit gerecht werden?
Frau Kollegin, ich habe gerade in meiner Antwort
ausdrücklich gesagt, dass die Teilnahme an Sprachkursen keine Voraussetzung für den Ehegattennachzug ist.
Ich weise hierbei noch einmal auf die Ausführungen von
Frau Kollegin Böhmer hin. Wenn es davon abweichende
Überlegungen gäbe, müssten die europarechtlichen und
verfassungsrechtlichen Aspekte berücksichtigt werden.
In diesem Fall ist aber noch keine Richtlinie umgesetzt
worden. Man befindet sich hierbei in einer Debatte. Wir
müssen die Debatte, auch hier im Deutschen Bundestag,
abwarten.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
({0})
- Sie haben also keine Zusatzfrage mehr.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Vielen Dank, Herr Staatsminister, für die Beantwortung
der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Die Fragen beantwortet Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks.
Die Frage 20 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 21 des Kollegen Dr. Gerhard
Schick auf:
Wie verändert sich durch die so genannte Exit-Tax, mit der
die Einbringung von Immobilien in REITs erleichtert werden
soll, die Interessenlage ausländischer Finanzinvestoren bezüglich der Übernahme deutscher Unternehmen in Abhängigkeit
von deren Größe, der Höhe ihrer Substanzwerte in Immobilien und deren Gesellschaftsform, zum Beispiel börsennotierte bzw. nicht börsennotierte Aktiengesellschaft, GmbH
etc.?
Herr Kollege Schick, völlig unabhängig von der Einführung deutscher REITs und der steuerlichen Begünstigung durch die Exit-Tax können in- und ausländische Finanzinvestoren deutsche Unternehmen übernehmen, um
diese später in einzelne Unternehmensteile aufzuspalten
und einzeln zu verkaufen. Durch die Exit-Tax kann ein
Unternehmensteil, nämlich die Immobilien, steuererleichtert an REITs und offene Immobilienfonds verkauft
werden.
Gleichwohl erscheint es unwahrscheinlich, dass die
zeitlich befristete Exit-Tax die Gefahr für deutsche Unternehmen erhöht, von in- und ausländischen Finanzinvestoren mit dem Ziel der Zerschlagung übernommen zu
werden.
Die Interessenlage in- und ausländischer Finanzinvestoren bezüglich der Übernahme deutscher Unternehmen
dürfte, unabhängig von ihrer Rechtsform und Größe,
durch die Möglichkeit der steuerbegünstigten Veräußerung der Unternehmensimmobilien durch die Exit-Tax
aus folgenden Gründen in keinem nennenswerten Umfang beeinflusst werden:
Die Investitionsentscheidung internationaler Finanzinvestoren hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab,
zum Beispiel von der wirtschaftlichen Lage des
Portfoliounternehmens, von stillen Reserven in den einzelnen Wirtschaftsgütern, einschließlich Grund und
Boden sowie Gebäuden, oder von Belastungen der
Grundstücke mit Grundpfandrechten. Daher dürfte eine
einzelne steuerliche Regelung wie der vorgesehene § 3
Nr. 70 des Einkommensteuergesetzes nicht den Ausschlag für die Entscheidung solcher Investoren geben.
Ein Finanzinvestor mit Zerschlagungsinteresse wird
ein Unternehmen nur dann kaufen, wenn die Unternehmensteile einzeln mehr wert sind als in der Gesamtheit.
Hierbei wird es auf den Wert des jeweiligen operativen
Geschäftsfeldes, zum Beispiel Finanzen oder Maschinenbau, ankommen. Der Wert des Immobilienbesitzes
sollte gegenüber dem Wert des Geschäftes eher eine
Randgröße sein. Dementsprechend ist die Frage der Verwertungsmöglichkeiten von Immobilien zwar ein, jedoch nicht der maßgebliche Aspekt bei der Entscheidung, ob ein Finanzinvestor ein Unternehmen kauft oder
nicht.
Eine Exit-Tax dürfte zwar bei Unternehmen, in deren
Besitz sich Immobilien mit stillen Reserven befinden,
grundsätzlich wertsteigernd wirken; von dieser Wertsteigerung profitieren aber nur die aktuellen Eigentümer und
nicht die potenziellen Erwerber, da die Wertsteigerung
bei den zu erzielenden Verkaufserlösen naturgemäß eingepreist werden müsste. Vor allem bereits jetzt marktgängige, veräußerungsfähige und damit für Finanzinvestoren interessante Unternehmensimmobilien weisen
stille Reserven auf und fallen damit unter den Anwendungsbereich der Exit-Tax.
Unternehmensspezifische Immobilien werden lediglich dann Verkehrswerte über den Buchwerten aufweisen,
wenn von einer langfristigen Nutzung gleichbedeutend
mit einer langfristigen Betriebsfortführung ausgegangen
werden kann. Wertsteigerungen bei Unvermietbarkeit der
Immobilien erscheinen nicht plausibel. Bislang unattraktive Immobilien werden für Finanzinvestoren auch durch
die Exit-Tax nicht attraktiv.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, verstehe ich Sie richtig, dass
Sie nicht ausschließen können, dass Finanzinvestoren
von der erleichterten Veräußerung von Immobilien und
deren Einbringen in REITs Gebrauch machen und insoweit von der Steuervergünstigung, die die Exit-Tax darstellt, profitieren?
Es ist selbstverständlich nicht auszuschließen, dass Finanzinvestoren ein Unternehmen erwerben und anschließend Immobilien veräußern. Ihre Frage richtete sich aber
darauf, ob Finanzinvestoren durch die Exit-Tax angeregt
würden, vermehrt Unternehmensbesitz in Deutschland
zu erwerben. Das ist aufgrund des eben von mir Dargestellten eher unwahrscheinlich.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Zwischen der Zielsetzung der Exit-Tax, dass Firmenimmobilien leichter an die Börse gebracht werden
können, und der Zielsetzung von Unternehmensübernehmern, Substanzwerte aus einem Unternehmen herauszuziehen und an den Kapitalmärkten zu vermarkten, besteht eine gewisse Parallelität. Diese Parallelität - darauf
zielte meine Frage - würden Sie nicht ausschließen?
Herr Kollege, ich muss noch einmal differenzieren.
Zum einen gibt es bestehende Unternehmen, die in ihren
Portfolios stille Reserven in Form von Immobilien haben, die dem Betriebsvermögen zwar zugeordnet sind,
die aber nicht mit dem gemeinen Wert, sondern mit dem
Buchwert bewertet sind. Ein bestehendes Unternehmen,
welches auch immer, kann seine Immobilien unter den
günstigeren Bedingungen der Exit-Tax veräußern, wenn
der Rechtsrahmen das im Laufe des nächsten Jahres ermöglicht. Damit würde das Unternehmen aber seine Kapitalisierung stärken, weil die Finanzmittel dann zum gemeinen Wert als Eigenkapital verbucht würden. Das
Eigenkapital würde durch die Veräußerung der eigenen
Immobilien also in Höhe der Differenz zwischen dem
bisherigen Buchwert der Immobilien und deren Kapitalwert gestärkt. Für Finanzinvestoren ist es zunächst einmal schwieriger, ein solches Unternehmen zu übernehmen, weil die Höhe des Eigenkapitals gestiegen ist.
Für sie stellt das also keine Erleichterung dar, sondern
eher ein Hindernis. Denn das Eigenkapital müsste, wie
ich schon sagte, in den Kaufpreis eingepreist werden.
Darüber hinaus fragten Sie, ob Finanzinvestoren durch
die Exit-Tax angezogen werden. Nach meinem Dafürhalten ist das eher unwahrscheinlich.
Eine andere Frage, die Sie gestellt haben, lautet:
Wenn ein Finanzinvestor ein deutsches Unternehmen erworben hat, kann dann solch ein neuer Besitzer zum Beispiel die Immobilien des Unternehmens veräußern? Ja,
das ist nicht ausgeschlossen. Handelt es sich aber um
Immobilien, die für die Fortführung des Unternehmens
notwendig sind, so müsste auch ein neuer Besitzer die
Immobilien wieder zurückmieten, um seinen Betrieb
überhaupt fortführen zu können; das hätte allerdings
auch für den vorherigen Besitzer gegolten.
Ich rufe die Frage 22 der Kollegin Dr. Barbara Höll
auf:
Wie haben sich seit 2004 die Kosten der Unterkunft, Heizund Energiekosten, Kosten der Warmwasserbereitung in den
einzelnen Jahren entwickelt und wie müssen sich nach Ansicht der Bundesregierung diese Kostenentwicklungen sowie
die Anhebung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte in
2007 auf die Höhe des Existenzminimums für Erwachsene
und Kinder auswirken?
Frau Kollegin Höll, die vom Statistischen Bundesamt
im Rahmen der Verbraucherpreisstatistik veröffentlichten Indizes bilden lediglich die Preisentwicklung ab. Sie
liefern aber keine Aussagen über tatsächlich anfallende
Ausgaben. So steht beispielsweise kein separater Index
zur Entwicklung der Heizkosten zur Verfügung.
Nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom
2. Juni 1995 berichtet die Bundesregierung regelmäßig,
alle zwei Jahre, im Rahmen einer Prognoserechnung
über die Entwicklung des von der Einkommensteuer zu
verschonenden Existenzminimums von Erwachsenen
und Kindern. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2006
wurde dem Präsidenten des Deutschen Bundestages und
dem Vorsitzenden des Finanzausschusses des Deutschen
Bundestages der Sechste Existenzminimumbericht, der
das Berichtsjahr 2008 betrifft, zugeleitet.
Ergebnis dieses Berichts ist, dass die steuerlichen
Freibeträge nach derzeitigem Sachstand noch bis einschließlich 2008 ausreichend bemessen sind. Bei der Ermittlung der steuerfrei zu stellenden Beträge für die
Komponenten der Sozialhilfe - Regelsatz sowie Unterkunfts- und Heizkosten - werden feststehende Erhöhungsfaktoren berücksichtigt. Die Prognose zur Entwicklung der Unterkunfts- und Heizkosten umfasst
daher auch die Erhöhung des allgemeinen Umsatzsteuersatzes ab dem 1. Januar 2007. Ob und in welcher Höhe
eine Überwälzung der Umsatzsteuererhöhung auf die
Verbrauchsausgaben erfolgt, lässt sich zurzeit nicht abschätzen.
Im Übrigen ist im Hinblick auf die Erhöhung der Umsatzsteuer zu berücksichtigen, dass ab dem 1. Januar 2007 nur der allgemeine, nicht aber der ermäßigte Umsatzsteuersatz angehoben wird. Daher erhöht sich die
Umsatzsteuer, die auf eine Reihe von Gütern und Dienstleistungen, die zum notwendigen Bedarf gehören, gezahlt
werden muss, nicht. Das gilt zum Beispiel für Lebensmittel, den Personennahverkehr, Bücher und Zeitschriften.
Die tatsächlichen Auswirkungen der Umsatzsteuererhöhung und anderer Preisveränderungen auf die Verbrauchsausgaben fließen in die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 ein, sodass diese dann bei der
Neubemessung der Regelsätze berücksichtigt werden.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Danke, Frau Staatssekretärin. - Wir haben gestern zur
Kenntnis nehmen können, dass in einem Urteil des Bundessozialgerichts angeordnet wurde, die regionalen Unterschiede der Wohn- und Heizkosten im Hinblick auf
ALG II und Grundsicherung zukünftig stärker zu berücksichtigen. Inwieweit wird sich das auf die Berechnungsgrundlagen der Höhe des steuerfreien Existenzminimums auswirken?
Frau Kollegin Höll, zur Umsetzung dieses Urteils des
Bundessozialgerichts kann ich noch keine abschließenden Aussagen treffen. Dies fällt in die Zuständigkeit des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Selbstverständlich wird die höchstrichterliche Rechtsprechung in
diesem Zusammenhang Berücksichtigung finden. Wie
und auf welche Weise dies der Fall sein wird, dazu vermag ich heute noch keine Ausführungen zu machen. Allerdings ist nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, vor deren Hintergrund wir dem Parlament den
Existenzminimumbericht zuleiten, keine Regionalisierung der Kosten, was das steuerliche Existenzminimum
anbelangt, vorgesehen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, was das Vorgehen zur Berechnung des steuerfreien Existenzminimums betrifft, haben
Sie mündlich darauf hingewiesen, dass es hierfür verschiedene Grundlagen gibt: sowohl gesetzliche als auch
statistische, unter anderem die Wohngeldstatistik des
Jahres 2004, die bis 2008 und sogar darüber hinaus fortgeschrieben wird. Inwieweit wurden diese Berechnungsgrundlagen in der Vergangenheit mit der realen Entwicklung daraufhin abgeglichen, ob die angenommene
Steigerung, die Sie zugrunde gelegt haben, tatsächlich
der Realität entsprach? Inwiefern wird dies in der Zukunft geschehen? Oder basiert die Berechnung ausschließlich auf der Wohngeldstatistik?
Nein, die Basierung erfolgt nicht nur auf der Wohngeldstatistik, sondern auch auf der Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe, also nach einem umfassenden
Ansatz, bei dem neben den Wohnkosten und den Wohnnebenkosten selbstverständlich auch die Entwicklung
der Kosten aller erdenklichen Güter des täglichen Bedarfs berücksichtigt wird. Die Modalitäten für die Berechnung des Existenzminimums sind vom Bundesverfassungsgericht bereits als nicht zu beanstanden bewertet
worden.
Ich rufe die Frage 23 der Kollegin Dr. Barbara Höll
auf:
Wie wird sich nach Berechnungen der Bundesregierung in
den Jahren 2007, 2008 und 2009 das Existenzminimum für
Erwachsene und Kinder entwickeln und wo liegen die Ursachen für die - laut Presseberichten - unterschiedlichen Berechnungen des Existenzminimums seitens des Bundesministeriums der Finanzen einerseits und seitens des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend andererseits?
Wie bereits ausgeführt, hat die Bundesregierung aktuell den Sechsten Existenzminimumbericht, der im Einvernehmen mit allen Ressorts erstellt wurde, vorgelegt.
Demnach ergibt sich für das Berichtsjahr 2008 kein Bedarf, die Steuerfreibeträge für das Existenzminimum von
Erwachsenen und Kindern zu erhöhen. Nach derzeitigem Stand ist allerdings mit einer Anpassung des Kinderfreibetrags ab 2009 zu rechnen. In welchem Umfang
eine Erhöhung erforderlich wird, ist rechtzeitig - im
vierten Quartal 2007, also in einem Jahr - anhand aktualisierter Werte abzuschätzen.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Danke. - Bei der Festlegung des Steuerfreibetrags für
das Existenzminimum von Kindern haben wir neben den
Sachkosten weitere Kosten zu berücksichtigen, die Kinder verursachen. In der typisierenden Betrachtung gibt
es nur eine Gruppe: Kinder von 0 bis 18 Jahren. Jugendliche über 18 Jahren, die ALG II beziehen, können nach
der Änderung von diesem Jahr nicht mehr aus dem elterlichen Haushalt ausziehen und eine eigene Bedarfsgemeinschaft bilden. Halten Sie es vor diesem Hintergrund
für gerechtfertigt, sie weiter wie Kinder einzustufen?
Müsste hier nicht die Typisierung verändert werden?
Nein, Frau Kollegin Höll. Es ist richtig: Die jungen
Menschen, denen der Einstieg ins Berufsleben bisher
noch nicht geglückt ist und die infolgedessen weiter bei
ihren Eltern leben, haben, solange sie unter 25 Jahre alt
sind, keinen Anspruch mehr auf Arbeitslosengeld II in
einem eigenen Haushalt. Doch auch bei den jungen
Menschen zwischen 18 und 25 Jahren, die sich in Ausbildung befinden und für die die Eltern Kindergeld beziehen, sind wir mit der Typisierung zufrieden. Was für
diejenigen gilt, die in Ausbildung sind, kann genauso
gelten für diejenigen, die den Einstieg ins Berufsleben
leider noch nicht gefunden haben.
Das reicht mir; danke.
Frau Staatssekretärin, vielen Dank für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
auf. Die Fragen beantwortet Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Astrid Klug.
Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Hans-Josef Fell
auf:
Welche Strategie hat die Bundesregierung im Sinne des
durch den Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel, in seiner Rede „Innovativ
für Wirtschaft und Umwelt“ am 30. Oktober 2006 vorgebrachten Ziels, „Vorreitermärkte zu schaffen“, für den Wärmemarkt bei erneuerbaren Energien, nachdem Bundesminister Sigmar Gabriel noch am gleichen Tag ein Wärmegesetz
aus Kostengründen auf unabsehbare Zeit verschoben hat?
Sehr geehrter Herr Kollege Fell, Ihre Frage nach dem
Vorreitermarkt Wärme im Bereich der erneuerbaren
Energien beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung
hat mit dem Marktanreizprogramm ein bewährtes Instrument, mit dem sowohl der Ausbau der erneuerbaren
Energien im Wärmemarkt als auch die Entwicklung von
innovativen Technologien in diesem Bereich wirksam
gefördert werden. Seit dem Jahr 2000 wurde mit der
Förderung ein Investitionsvolumen von insgesamt
5,8 Milliarden Euro ausgelöst. Die Bundesregierung hat
mit dem Wärmemarkt somit bereits einen wichtigen Vorreitermarkt im Sinne der Rede von Minister Gabriel, auf
die Sie sich beziehen, geschaffen. Sie beabsichtigt, diesen durch eine Neuausrichtung des Marktanreizprogramms weiter auszubauen.
Die Absage von Minister Gabriel an ein Wärmegesetz
bezieht sich dagegen lediglich auf ein konkretes Instrument, das eine Finanzierung über die Verbraucher im
Wege des Umlageverfahrens nach dem Vorbild des
EEGs vorsieht. Eine solche zusätzliche Belastung kann
angesichts der ohnehin schon hohen Kosten für Heizenergie und der Belastungen durch die Erhöhung der
Mehrwertsteuer den Bürgerinnen und Bürgern nicht zugemutet werden. Das bedeutet aber nicht, dass sich der
Staat aus seinem Engagement für den Ausbau der erneuerbaren Energien im Wärmemarkt zurückzieht. Ganz im
Gegenteil, wir wollen den Ausbau der erneuerbaren
Energien im Wärmemarkt über das Marktanreizprogramm weiter ermöglichen und damit den Vorreitermarkt im Wärmebereich weiter ausbauen.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Ich teile Ihre
Einschätzung, dass das Marktanreizprogramm ein bewährtes Instrument ist. Allerdings wissen Sie genauso
gut wie wir, dass es in diesem Bereich seit Mitte dieses
Jahres eine Haushaltssperre gibt, weil entsprechend der
Nachfrage nicht genügend Mittel bereitgestellt werden
können. Die momentane Haushaltsberatung lässt befürchten, dass diese Mittel sogar noch gekürzt werden.
Wir hatten im Ausschuss gerade Gelegenheit, gemeinsam darüber zu debattieren.
Insofern frage ich Sie erneut, warum ausgerechnet bei
diesem, wie Sie selbst sagen, innovativen Instrument gekürzt werden soll; denn der Markt verträgt das nicht. Daneben will Bundesminister Gabriel auch kein neues Gesetz auf den Weg bringen, obwohl es Diskussionen
darüber gibt, in einem solchen Gesetz eben keine Umlage nach dem Vorbild des Erneuerbare-Energien-Gesetzes vorzusehen, sondern andere Möglichkeiten zu eröffnen. Eine klare Absage an ein Wärmegesetz an sich lässt
diese Option nicht mehr zu.
Herr Kollege Fell, Sie haben in Ihren Ausführungen
deutlich gemacht, dass die Nachfrage nach dem Marktanreizprogramm riesengroß ist. Das heißt, es ist ein bewährtes Instrument, das von denjenigen angenommen
wird, die sich in den Bereichen der erneuerbaren Energien und der Wärmetechnik engagieren und in diese investieren wollen.
In diesem Jahr gab es 65 000 Anträge mehr, als wir
aufgrund des Finanzvolumens, das für das Marktanreizprogramm zur Verfügung steht, bewilligen konnten. Das
zeigt, dass das ein sinnvolles und nachgefragtes Instrument ist. Sie wissen, dass es derzeit Verhandlungen mit
dem Haushaltsausschuss darüber gibt, die Mittel für das
nächste Jahr aufzustocken, um die Anträge, die in diesem Jahr nicht abgewickelt werden konnten, in das
nächste Jahr übernehmen und nachträglich bescheiden
zu können und um genügend finanziellen Spielraum zu
haben, damit die Nachfrage im nächsten Jahr befriedigt
werden kann.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, mit diesem Marktanreizprogramm beziehen Sie sich nur auf Technologien, die sich
bereits im Markt befinden: Sonnenkollektoren, Holzpelletsheizungen und einige andere mehr. Gerade im Wärmemarkt gibt es aber auch Optionen für zukünftige innovative Technologien. Bundesminister Gabriel betont
immer wieder, dass er genau dafür Anreize schaffen will.
Welche Möglichkeiten sehen Sie angesichts des
Rückgangs der Mittel und eines nicht in Angriff genommenen Wärmegesetzes, neue Technologien auf den
Markt zu bringen? Die Unternehmen harren seit Jahren
und sind technologisch so weit. Wenn es nicht mehr Mittel und kein Wärmegesetz gibt, dann sehe ich keine
Chance dafür, hier voranzukommen.
Herr Kollege Fell, ich habe eben betont, dass wir derzeit intensiv daran arbeiten, das Marktanreizprogramm
finanziell auszubauen, um mehr Mittel zur Verfügung zu
haben, und die Förderkriterien weiterzuentwickeln, damit über das Marktanreizprogramm Anreize für die Entwicklung neuer und innovativer Technologien gesetzt
werden.
Sie wissen, dass wir für dieses Programm auch Mittel
aus dem Bereich Forschung und Entwicklung zur Verfügung stellen. In der Rede des Ministers auf der Konferenz, die Sie in Ihrer Frage angesprochen haben, war es
ein ganz wichtiges Thema, dass wir in diesen Bereichen
neuen Technologien mit einem intelligenten Mix aus Innovationsförderung und Markteinführungsprogrammen
bis hin zur Forschungs- und Exportförderung, flankiert
durch das Ordnungsrecht und regulierende Maßnahmen,
zum Durchbruch verhelfen wollen.
Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Hans-Josef Fell
auf:
Welche konkreten Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung, um die CCS-Technik - CO2-Abscheidung und -Speicherung - spätestens ab 2020 zum Standard für alle neuen fossilen Kraftwerke zu machen, wie dies im „Memorandum für
einen ,New Deal’ von Wirtschaft, Umwelt und Beschäftigung“ durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit gefordert wird, und sind damit auch die
neuen Kraftwerke gemeint, die bis 2020 gebaut werden?
Herr Kollege Fell, Sie fragen nach der CCS-Technik.
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Die Bundesregierung hält die CCS-Technologie für
eine interessante Option. Es geht um die CO2-Abscheidung und -Speicherung. Deswegen ist sie Bestandteil der
Forschungsprogramme des Bundes. Ob und wann die
CCS-Technologie marktreif werden kann, kann derzeit
allerdings noch nicht beantwortet werden. Hierfür ist
noch eine Vielzahl von Fragen zu klären, die unter anderem im Rahmen der Forschungsprogramme des Bundes
untersucht werden.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Staatssekretärin, Ihre Antwort ging nicht ganz in
Richtung meiner Frage; denn ich habe deutlich gefragt,
welche Maßnahmen die Bundesregierung ergreifen will,
um die CCS-Technik ab 2020 zum Standard zu machen.
Ein solcher Standard ist notwendig - das wurde von der
Bundesregierung in verschiedenen Veröffentlichungen
auch dokumentiert -, weil ansonsten die Kohlendioxidemissionen aufgrund der steigenden Anzahl an Kohlekraftwerken weiterhin zunehmen. Momentan gibt es lediglich die Hoffnung, dass diese CCS-Technik
irgendwann einmal zum Standard wird. Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um die Unternehmen schon
heute dazu zu bringen, wenigstens bis 2020 nachzurüsten?
Herr Kollege Fell, ich ergänze meine Antwort gerne
um konkrete Angaben. Die Bundesregierung fördert die
Erforschung der CCS-Technik sowohl in der Frage der
Kraftwerkstechnologie - diese Aufgabe übernimmt das
Bundeswirtschaftsministerium - als auch in der Frage
der sicheren Speicherung. Diese Mittel werden aus dem
Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
zur Verfügung gestellt. Derzeit sind in Deutschland auf
dem Gebiet des CO2-freien Kraftwerks zwei Pilotprojekte avisiert: ein 30-Megawatt-Kraftwerk von
Vattenfall, das 2008 in Betrieb gehen soll, sowie ein 450Megawatt-Großkraftwerk von RWE, das 2014 ans Netz
gehen soll.
Darüber hinaus - das darf ich noch ergänzen - engagiert sich Deutschland auch auf europäischer Ebene auf
dem Gebiet der Erforschung und Weiterentwicklung dieser Technologie. Die von der EU-Kommission unterstützte Plattform „Zero Emission“ ist ein Zusammenschluss der beteiligten Akteure in Europa, welche das
Ziel verfolgt, das CO2-freie Kohlekraftwerk bis 2020
EU-weit als Standard zu etablieren. Auch diese Arbeit
findet unsere volle Unterstützung.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, gestatten Sie mir, erneut darauf
hinzuweisen, dass es mir nicht, wie Sie gerade ausgeführt haben, um Pilotprojekte und Fördermaßnahmen
geht, sondern darum - wie dies auch in dem „Memorandum für einen ‚New Deal’ von Wirtschaft, Umwelt und
Beschäftigung“ durch das Bundesministerium für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gefordert
wird -, schon heute Standards dafür festzulegen, die
CCS-Technologie spätestens ab 2020 zu implementieren? Das ist eine andere Maßnahme als die Unterstützung von Forschung, Entwicklung und Pilotprojekten.
Wenn man glaubt, dass diese Technologie kommen
wird, ist es wichtig, Kraftwerksbetreiber schon heute
darauf hinzuweisen, ihre Anlagen nachzurüsten. Eine
andere Möglichkeit ist es, Genehmigungen für neue
Kraftwerke daran zu binden, dass die Anlagen mit dieser
Technologie, sofern sie dann vorhanden ist, tatsächlich
ausgestattet werden. Das vermisse ich in Ihrer Antwort;
denn genau darum geht es in meiner Frage.
Herr Kollege, ich glaube, ich habe ziemlich deutlich
gemacht, dass bei der CCS-Technik noch sehr viele offene Fragen erforscht werden müssen. Schließlich geht
es nicht nur um die Frage der Abscheidung, sondern es
geht auch um die Frage der Speicherung. Eine der offenen Fragen ist, wo eine Speicherung erfolgen kann. Sie
wissen, dass die Bundesregierung die Speicherung in der
Tiefsee aus ökologischen Gründen ablehnt. Also muss
hier investiert und geforscht werden, um zu alternativen
Lösungen zu kommen und diese Technologie anwendungsreif zu machen. Wenn diese Fragen beantwortet
sind, dann werden wir uns über die Standards und den
Zeitpunkt ihrer Einführung sowohl für neue Kraftwerke
als auch für die Nachrüstung unterhalten können.
In einem Punkt sind wir uns völlig einig: Wir brauchen diese Technologie. Wir haben im Bereich des Klimaschutzes das Zwei-Grad-Ziel vor Augen und verfolgen in diesem Zusammenhang sehr ambitioniert eine
Doppelstrategie: die Förderung der erneuerbaren Energien und die Einführung von Effizienztechnologien.
Trotzdem werden wir auch in der Zukunft national wie
international auf die Nutzung der Kohle angewiesen
sein. Also brauchen wir in diesem Bereich eine entsprechende Technologie. Wir unterstützen alle Anstrengungen, diese Technologie im Bereich der CO2-Abscheidung anwendungs- und marktreif zu machen, um sie
dann in neuen Kraftwerken einsetzen zu können.
({0})
Hierzu eine weitere Zusatzfrage der Kollegin
Kotting-Uhl.
Ich möchte zuerst von meinem Kollegen Fell übermitteln, dass er mit der Antwort nicht ganz einverstanden ist. Aber ich glaube, diese Frage müssen Sie bilateral
klären.
Ich möchte dieses Thema noch weiter vorantreiben.
Uns geht es auch um die Frage der Genehmigungspraxis.
Sie haben eben selber ausgeführt, dass es nicht nur darum gehen kann, ob die Technologie funktioniert oder
nicht, sondern es wird vor allem auch um die Möglichkeit der Speicherung, also um ein sicheres Endlager gehen.
Sie haben sicherlich genauso wie ich von der aktuellen Studie der Forscher der Universität Austin gehört.
Darin wurde festgestellt, dass die 1 600 Tonnen CO2, die
vor zwei Jahren vor der Küste von Texas unter das Meer
in Sandsteinformationen geleerter Ölfelder gepumpt
wurden - das war eine der Optionen -, dazu geführt haben, dass der pH-Wert in den fraglichen Reservoirs in
ganz kurzer Zeit von nahezu neutralen 6,5 auf 3 gefallen
ist. Die Zeitschrift „New Scientist“ schreibt, das sei so,
als wenn Milch zu Essig werde. Konsequenz sind ungeheure ökologische Folgeschäden.
Ich will damit sagen: Sie als Bundesregierung vertrauen sehr stark auf eine Technologie, die zu einem bestimmten Zeitpunkt einsatzfähig sein soll, wobei aber
noch nicht feststeht, ob sie - auch im Sinne ökologischer
Nachhaltigkeit - jemals einsatzfähig sein wird. Ich
glaube, wir sind uns darin einig, dass wir die ökologische Nachhaltigkeit an dieser Stelle nicht vernachlässigen dürfen.
Vor dem Hintergrund, dass wir noch nicht wissen, ob
die Technologie tatsächlich einsatzfähig sein wird, frage
ich Sie: Werden Genehmigungen mit der Auflage erteilt,
dass 2020 die Nachrüstung auf diese neue Technologie
erfolgt - so habe ich Herrn Bundesminister Gabriel verstanden -, oder wird die Genehmigung nur dann erteilt,
wenn die Technologie bereits einsatzfähig ist? Das wäre
der nächste Schritt, der aber meiner Ansicht nach konsequent wäre, wenn man es mit dem Vermeiden weiterer
Emissionssteigerungen ernst meint. Werden dann nur
noch Kohlekraftwerke genehmigt, die bereits mit dieser
Technologie ausgestattet und damit garantiert CO2-frei
sind, statt Genehmigungen im Hinblick auf eine derzeit
noch völlig in den Sternen stehende Option zu erteilen?
Um eine Technologie zum Gegenstand eines Genehmigungsverfahrens zu machen, muss man über diese
Technologie verfügen und sie muss verantwortbar sein.
Wir vertrauen in diese Technologie, aber wir haben sie
noch nicht. Wir sind der Meinung, dass alle Anstrengungen unternommen werden müssen, um eine Lösung im
Sinne von Clean Coal zu finden, weil wir genau wissen,
dass wir nicht nur bei uns in Deutschland, sondern vor
allem auch weltweit zumindest mittelfristig auf die Nutzung der Kohle angewiesen sein werden. Wir brauchen
dafür saubere Kohletechnologien und deshalb engagieren wir uns in diesem Bereich. Aber man kann, wie gesagt, diese Technologie erst dann zum Gegenstand konkreter Genehmigungsverfahren machen, wenn man
darüber verfügt und wenn sie verantwortbar ist.
Ich rufe die Frage 26 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl
auf:
Wird sich die Bundesregierung nach der Vorlage des „Memorandums für einen ,New Deal‘ von Wirtschaft, Umwelt
und Beschäftigung“ durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit dafür einsetzen, dass
auch in der Chemie- und Kunststoffindustrie der Wechsel vom
Erdöl hin zu nachwachsenden Rohstoffen vollzogen wird, und
welche Maßnahmen sind konkret dazu geplant?
Ihre Frage, die sich auf die nachwachsenden Rohstoffe im Bereich der Chemie- und Kunststoffindustrie
bezieht, beantworte ich wie folgt: Selbstverständlich
wird sich die Bundesregierung weiterhin dafür einsetzen, dass auch in der Chemieindustrie in zunehmendem
Maße nachwachsende Rohstoffe als Grundstoffbasis dienen. Dazu soll die notwendige Grundlagenforschung
weiter gefördert werden, um neben den bekannten ökologischen Vorteilen der CO2-Neutralität und der potenziell
besseren Energieeffizienz auch die Ablösung risikoreicher herkömmlicher Basischemikalien durch neuartige
Synthesen zu erreichen.
Weiterhin sollen die Bedingungen für die nachhaltige
Bereitstellung von Biomasse - das heißt für die sichere
Verfügbarkeit großer Mengen zur Herstellung von neuen
Massengrundstoffen - wissenschaftlich geklärt werden.
Dazu hat das BMU unter anderem im September 2006,
also vor kurzem, ein wissenschaftliches Fachgespräch
durchgeführt und die erste Internationale IUPAC-Tagung
für grüne und nachhaltige Chemie vom 10. bis 15. September dieses Jahres in Dresden finanziell gefördert.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Danke schön, Frau Staatssekretärin. - Das ist das eine
Standbein, aber uns geht es auch um das andere, nämlich
um konkrete Maßnahmen. Ich zitiere den Herrn Bundesminister, der in dem relativ kurzen Absatz über Bioplastik und Bioraffinerie feststellt:
Die amerikanische Umweltschutzbehörde EPA
schätzt, dass kompostierbares Bioplastik bis zu
94 Prozent jene Plastikprodukte der Endkonsumenten vermindern könnte, die heute noch im Abfall
landen.
Insofern scheinen auch das Kreislaufwirtschafts- und
Abfallgesetz und die Verpackungsverordnung eine Rolle
zu spielen. Gibt es konkrete Überlegungen in Bezug auf
entsprechende Änderungen, damit die Biokunststoffe
eine reelle Chance erhalten?
Auch in diesem Bereich investieren wir in die Forschung. Das ist einer der von uns identifizierten Zukunftsmärkte. Wir haben das Memorandum „Ökologische Industriepolitik“ vorgelegt, weil wir in diesem
Bereich Handlungsbedarf und enorme Potenziale auch
für die hiesige Wirtschaft - gerade der Chemie- und der
Kunststoffindustrie - sehen.
Mit diesem Memorandum geben wir eine erste Antwort. Darauf aufbauend wollen wir die Leitmärkte der
Zukunft ausbauen und herausfinden, in welchen Bereichen wir welche Antwort geben müssen. Diese reichen
vom Ordnungsrecht und entsprechenden Gesetzesänderungen über Anreize im Bereich Top Runner bzw. der
Markteinführung bis hin zum Ausbau von Forschung
und Entwicklung. In diesem Zusammenhang haben wir
mit der Hightechstrategie der Bundesregierung für viele
Bereiche bereits eine Antwort gegeben, wohl wissend,
dass es die erste Antwort ist.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, ich danke Ihnen und Ihrem Ministerium für diese
Initiative. Aber um beim Abfallgesetz bzw. der Verpackungsverordnung zu bleiben, deren Novellierung demnächst ansteht: Wird zum Beispiel daran gedacht, die
Verpackungsverordnung dahin gehend zu ändern, dass
zum einen Verpackungen auf Basis nachwachsender
Rohstoffe wie Biokunststoffe in Zukunft einen fairen
Marktzugang bekommen und zum anderen die Verwendung nachwachsender Rohstoffe für Verpackungskunststoffe als eine Form der Produktverantwortung ausdrücklich anerkannt wird?
Eine zweite Möglichkeit - als Zusatz, nicht als Alternative gedacht - wäre, neben der Verpackungsverordnung die Biomasseverordnung und die Düngemittelverordnung so zu überarbeiten, dass biologisch abbaubare
Biokunststoffe über die Biotonne entsorgt und verwertet
werden können. Die bisherigen gesetzlichen Defizite
verhindern, dass Biokunststoffe zur Marktreife oder
breiten Marktanwendung kommen. Ist an solche Maßnahmen gedacht?
Das sind Fragen, über die wir gerne diskutieren können. Sie wissen, dass es bei der nun anstehenden Änderung der Verpackungsverordnung um eine andere Frage
geht, nämlich wie wir Trittbrettfahrer ausschalten können. Diese Frage werden wir mit der nun anstehenden
Änderung der Verpackungsverordnung beantworten.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Fell.
Frau Staatssekretärin, wenn die Verpackungsverordnung novelliert wird, um Trittbrettfahrer auszuschließen,
ist das, denke ich, eine gute Gelegenheit, weitere Maßnahmen zur Unterstützung der Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen zu implementieren. Das darf nicht
auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden. Vor
diesem Hintergrund möchte ich Sie fragen, ob die mühsam erreichten Vorteile der Verpackungsverordnung,
zum Beispiel die Befreiung der Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen von den DSD-Gebühren, durch die
Novelle gefährdet sind.
Ich beantworte Ihnen Ihre Frage wie folgt ganz deutlich: Wir haben im Bereich der haushaltsnahen Erfassung von Wertstoffen ein Problem mit Trittbrettfahrern.
Dieses Problem wird mit der nun anstehenden Novellierung der Verpackungsverordnung gelöst. Wir haben
schon genug damit zu tun, dafür einen vernünftigen,
mehrheitsfähigen Vorschlag vorzulegen; daran arbeiten
wir. Darauf wird es eine Antwort geben.
Die Frage 27 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl wird
aufgrund Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde und für die schriftlichen Einzelfragen schriftlich
beantwortet.
Ich rufe die Frage 28 der Kollegin Bärbel Höhn auf:
In welchen Bereichen plant die Bundesregierung konkret
die Festlegung von neuen ökologischen Grenzwerten, um die
vom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel, in seinem „Memorandum für einen ,New Deal‘ von Wirtschaft, Umwelt und Beschäftigung“
formulierte Zielvorgabe umzusetzen, mit „ambitionierten
Grenzwerten ... gezielt Innovationsanreize“ auszulösen, und
bis wann ist mit der Festsetung dieser Grenzwerte jeweils zu
rechnen?
Bitte, Frau Staatssekretärin Klug.
Frau Höhn, Ihre Frage nach ambitionierten Grenzwerten als Innovationsanreize beantworte ich wie folgt: Umweltpolitik ist eine hochgradig europäisch integrierte
Politik. Nahezu sämtliche Bereiche der Umweltpolitik in
Deutschland werden heute europäisch beeinflusst, also
auch die Grenzwerte. Das gilt insbesondere für ökologische Grenzwerte und Standards. Die Politik der Bundesregierung zielt deshalb darauf, ihre politischen Vorstellungen in den Prozess der europäischen Gesetzgebung
erfolgreich einzubringen und umzusetzen.
Ihre Zusatzfrage, bitte, Frau Höhn.
Bundesminister Gabriel hat konkret gesagt, dass er
die Grenzwerte auch deshalb hochsetzen will, um mehr
Innovation zu erreichen. Nun höre ich, dass eigentlich
die EU dafür zuständig ist. Das heißt, er hat in seinem
„Memorandum für einen ,New Deal‘ von Wirtschaft,
Umwelt und Beschäftigung“ etwas festgeschrieben, was
er gar nicht tun kann. In welchen Bereichen wollen Sie
auf EU-Ebene Initiativen ergreifen, um die Grenzwerte
im Sinne des Bundesministers und seines „New Deals“
zu verschärfen und damit mehr Innovation zu erreichen?
Frau Kollegin Höhn, ich möchte darauf hinweisen,
dass Deutschland Mitglied der EU ist und dass wir die
europäische Politik beeinflussen und mitgestalten, insbesondere im Hinblick auf unsere Ratspräsidentschaft im
nächsten Jahr. Ich möchte betonen, dass wir in den
Grenzwerten sehr wohl ein wichtiges Instrument für Innovationsanreize sehen. Deutschland ist nicht ohne
Grund Weltmarktführer in vielen Bereichen der Umwelttechnologien. Das hat unter anderem damit zu tun, dass
wir in den letzten Jahrzehnten und Jahren in Deutschland
eine sehr ambitionierte Umweltpolitik mit ambitionierten Grenzwerten verfolgt haben. Dadurch sind Technologien entstanden, die wir weltweit anbieten können,
weil andere Länder ähnliche Probleme haben. Wir sehen
in den Grenzwerten einen wichtigen Innovationsanreiz,
nicht nur um unsere umweltpolitische und ökologische
Situation in Deutschland zu verbessern, sondern auch
um Technologien zu entwickeln, die auf dem Weltmarkt,
dem Leitmarkt Umwelt, eine Chance haben. Wir bringen
uns daher auf europäischer Ebene sehr konkret und direkt ein.
Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Wir
diskutieren zurzeit über die Weiterentwicklung der europäischen Abgasnormen für PKWs und LKWs. Wir machen uns in den Bereichen Euro 5 und Euro 6 für ambitionierte Grenzwerte für PKWs stark. Dabei geht es
darum, die Feinstaubgrenzwerte und insbesondere die
Stickoxidgrenzwerte ambitioniert weiterzuentwickeln.
Das Gleiche gilt für die neuen Grenzwerte für schwere
Nutzfahrzeuge im Euro-6-Bereich. Das ist ein konkretes
Beispiel für einen Bereich, für den wir uns auf europäischer Ebene stark machen. Darin sehen wir einen wichtigen Innovationsanreiz, weil sich daraus neue Technologien für den Kraftfahrzeugbereich entwickeln.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, darf ich Ihre Antwort so verstehen, dass sich die groß angekündigte Aussage des Ministers, mit ambitionierten Grenzwerten - rechtzeitig und
planungssicher angekündigt - löse die Politik gezielt Innovationsanreize aus, allein auf die europäische Ebene
und allein auf den Verkehrsbereich bezieht oder gibt es
konkrete weitere Pläne?
Frau Kollegin Höhn, Sie vermitteln den Eindruck, als
ob Grenzwerte etwas Neues wären. Wir haben seit vielen
Jahren Grenzwerte. Es geht darum, dass wir dieses Instrument auch in der Zukunft nutzen. Sie wissen, dass
diese Debatte im Umweltbereich in erster Linie auf europäischer Ebene geführt werden muss, weil von dort die
entsprechenden Verordnungen und Richtlinien ausgehen, die wir dann national umsetzen müssen. Genau dort
bringen wir uns in diese Diskussion ein. Deutschland
war bei der Weiterentwicklung von Grenzwerten immer
ein Motor. Der Verkehrsbereich ist dafür nur ein Beispiel.
Ich rufe die Frage 29 der Kollegin Bärbel Höhn auf:
Welche Maßnahmen bereitet die Bundesregierung in Umsetzung des „Memorandums für einen ,New Deal‘ von Wirtschaft, Umwelt und Beschäftigung“ für den Fall vor, dass die
Automobilindustrie das Ziel ihrer Selbstverpflichtung, die
CO2-Emissionen von neu zugelassenen PKW bis 2008 auf
höchstens 140 Gramm pro Kilometer zu senken, verfehlt?
Ich beantworte Ihre Frage nach der Selbstverpflichtung im Bereich der CO2-Emissionen der Automobilindustrie wie folgt: Bei der von Ihnen angesprochenen
Selbstverpflichtung handelt es sich um eine Vereinbarung der Dachverbände der internationalen Automobilindustrie mit der EU-Kommission. Ziel der bisherigen
Selbstverpflichtung ist die Senkung der CO2-Emissionen
aller Neuwagen im Mittel auf 140 Gramm pro Kilometer. Die EU-Kommission hat angekündigt, bis Ende dieses Jahres eine Mitteilung an den EU-Rat vorzulegen,
die sich mit dem weiteren Vorgehen bei der CO2-Minderung der PKW in der EU auseinander setzt. Die Bundesregierung wird sich im Rat dafür einsetzen, dass die
CO2-Emissionen von PKW weiter reduziert werden und
dass sichergestellt ist, dass dieses Ziel tatsächlich erreicht wird. National ist es das Ziel der Bundesregierung,
durch Umstellung der Kfz-Besteuerung die Einführung
verbrauchsarmer PKW zu fördern.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Staatssekretärin, wir wissen, dass diese Selbstverpflichtung der Automobilhersteller bisher de facto an
diesem Ziel weit vorbei geht. Es bedürfte schon einer
großen Kraftanstrengung, um das in den letzten Jährchen
zu erreichen. Anstatt der Reduktion um 25 Prozent gibt
es im Moment nur eine Reduktion von 12,4 Prozent. Das
ist gerade einmal die Hälfte dessen, was angestrebt wird.
Nun hat der Umweltkommissar Stavros Dimas vor wenigen Tagen angekündigt, dass er eine gesetzliche Regelung vorlegen wird, weil die Selbstverpflichtung nach
den jetzigen Zahlen nicht greift. Wird die Bundesregierung diesen Vorstoß des Umweltkommissars unterstützen?
Ich habe eben gesagt, dass die EU-Kommission zum
Ende dieses Jahres eine Mitteilung angekündigt hat, in
der genau diese Frage beantwortet werden soll, nämlich
wie es mit der Verringerung weitergehen soll und was
die europäische Strategie bei der Verringerung der CO2Emissionen, die aus dem Verkehr resultieren, sein soll.
Wir haben immer gesagt, dass wir von der Automobilindustrie erwarten, dass sie die Selbstverpflichtung, die sie
eingegangen ist, einhält. Das ist sie ihrer eigenen Glaubwürdigkeit schuldig und wir sind es unserer politischen
Glaubwürdigkeit schuldig, dass wir mit anderen Instrumenten reagieren, wenn die Automobilindustrie ihre
Selbstverpflichtung nicht einhält. Kommissar Dimas hat
genauso wie Kommissar Verheugen mehrfach angekündigt, dass die EU-Kommission darauf antworten wird,
man aber der Automobilindustrie die Zeit geben muss,
bis zum Auslaufen der Frist, die sie hat, nämlich 2008,
das Ziel zu erreichen. Wir erwarten von der Automobilindustrie, dass sie allen Ehrgeiz entwickelt, das Versprechen, das sie gegeben hat, einzuhalten. Wir werden eine
Antwort geben, wenn die Automobilindustrie das nicht
schafft.
Frau Kollegin Höhn, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Gerne, danke schön. - Frau Staatssekretärin, die Automobilindustrie gibt an, dass immer größere Autos auf
dem Markt seien und deshalb dieses Ziel durch den
Automobilbestand konterkariert werde. Man hat aufgrund dieser Aussagen den Eindruck, dass sie selber
nicht mehr daran glaubt, dass sie das Reduktionsziel bis
2008 noch erreicht. Deshalb würde mich interessieren,
wie die Bundesregierung das einschätzt. Glaubt die Bundesregierung daran, dass die Automobilindustrie dieses
Ziel erreicht? Ich bitte um eine klare Antwort: Ja oder
nein?
Wir erwarten von der Automobilindustrie, dass sie
dieses Ziel erreicht und ihr Versprechen einhält. Wir sehen an den aktuell vorliegenden Zahlen natürlich, dass
es Automobilunternehmen gibt, die ganz gut im Rennen
liegen, ihr Versprechen einzuhalten, und dass es andere
gibt, die von dem Erreichen dieses Ziels noch ziemlich
weit weg sind. Wir erwarten von der Automobilindustrie, dass sie alle Anstrengungen unternimmt, dieses Ziel
über entsprechende technologische Innovationen zu erreichen.
Sie haben Recht: Es gibt einen Trend hin zu großen,
schweren Fahrzeugen. Das erleichtert es der Automobilindustrie nicht, diesen Weg erfolgreich zu beschreiten.
An das Versprechen, das die Automobilindustrie gegeben hat, war keinerlei Bedingung geknüpft; es hieß
nicht, man könne dieses Ziel nur erreichen, wenn irgendwelche Voraussetzungen erfüllt seien. Wir erwarten also,
dass sie auch auf die mit diesem Trend verbundenen Fragen eine entsprechende technologische Antwort geben
kann.
Wir arbeiten parallel an der Umstellung der KfzSteuer auf eine Steuer auf CO2-Basis, um auch über dieses Instrument für die Automobilindustrie und insbesondere für den Verbraucher Innovationsanreize zu geben,
sich für verbrauchsarme und damit weniger CO2-emittierende Fahrzeuge zu entscheiden.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Fell.
Frau Staatssekretärin, aufgrund der neuesten Meldun-
gen von Klimaforschern über die Klimaentwicklung ist
ein Grenzwert von 140 Gramm pro Kilometer - wenn er
überhaupt erreicht wird - eigentlich ein Wert, durch den
noch viel zu viele CO2-Emissionen in die Atmosphäre
zugelassen werden. Ich möchte Sie deswegen fragen, ob
die Bundesregierung a) auch Strategien unterstützt, die
darauf abzielen, diesen Grenzwert deutlich weiter zu
senken, und ob die Bundesregierung b) auch Technologien unterstützt, die Autos ohne jeglichen CO2-Ausstoß
ermöglichen.
Japanische Firmen - ich erwähne ausdrücklich Toyota - arbeiten an diesem Konzept und werden bald mit
entsprechenden Automobilen auf den Markt kommen.
Ich weiß, dass die deutsche Automobilindustrie daran
nicht arbeitet, abgesehen von einem Wasserstoffauto,
das irgendwann einmal - vielleicht 2020 - auf den Markt
kommen soll. Aber es gibt in Deutschland kein Bestreben, Nullemissionsautos, beispielsweise mit den neuen,
bald auf den Markt kommenden Batterien, zu entwickeln. Deswegen meine Frage an die Bundesregierung:
Haben Sie vor, politische Strategien zu verfolgen, die
darauf abzielen, die deutsche Automobilindustrie dahin
gehend zu beeinflussen, dass sie diesen Weg endlich
geht?
Herr Kollege Fell, Sie wissen, dass wir auch im Bereich Forschung und Entwicklung engagiert sind, um
emissionsarme und möglichst emissionsneutrale Technologien zu fördern. Sie wissen auch, dass man EU-weit
das Vorhaben verfolgt, über das 140-Gramm-Ziel hinauszugehen: Das Ziel ist, bis zum Jahr 2012, bezogen
auf die PKW-Neufahrzeuge, durchschnittlich 120 Gramm
CO2-Emissionen pro Kilometer zu erreichen. Daran wird
sich die Strategie der EU-Kommission orientieren. Sie
wird im Rahmen unserer Präsidentschaft entsprechend
diskutiert werden.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin für die engagierte
Beantwortung der Fragen.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung des Deutschen Bundestages bis zum Beginn der Aktuellen Stunde um 15.30 Uhr.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD
Neue Entwicklung am Arbeitsmarkt: Deutlicher Rückgang der Erwerbslosenzahl, mehr
Beschäftigung und Entlastung der öffentlichen
Haushalte
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesminister für Arbeit und Soziales, Herrn Franz
Müntefering.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als wir mit dieser Koalition begonnen haben, haben wir
uns entschieden, 2006 einen Weg zu gehen, den nicht
alle erwartet hatten. Wir haben nämlich nicht weiter an
der Sparspirale gedreht, sondern haben in die Zukunftsfähigkeit des Landes investiert.
Wir haben, aufsetzend auf den Änderungen im Steuerrecht der vergangenen Jahre, ein 25-Milliarden-EuroProgramm angeschoben, das von erheblicher Bedeutung
für den privaten investiven Bereich sein sollte. Diese Erwartungen sind in Erfüllung gegangen: Die Menschen
investieren auf dem Gebiet der energetischen Gebäudesanierung, der Modernisierung und der Verbesserung
von Wohnungen und Häusern. Sie investieren so viel,
dass wir haben nachlegen müssen. Das konnten wir auch
leisten. Der Bundesfinanzminister hat im Vorgriff auf
das kommende Jahr schon in diesem Jahr zusätzlich
360 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, damit diese
Investitionen weitergeführt werden können. Das ist etwas, was ganz besonders dem Handwerk, den kleinen
und mittleren Unternehmen vor Ort zugute kommt. Es
kann schnell ausgeschrieben werden. Es muss nicht europäisch ausgeschrieben werden. Das ist etwas, das den
kleinen Firmen ganz besonders gut tut.
Dies ist einer der Aspekte gewesen - wir wissen, es
war nicht der einzige; der Export war auch sehr gut; der
Maschinenbau lief sehr, sehr gut -, die im Verlaufe des
Jahres dazu geführt haben, dass sich die Dinge deutlich
zum Guten gewandt haben.
Wir haben heute das Gutachten vom Sachverständigenrat bekommen. Ich habe dort zurückgefragt: Was war
denn eigentlich die Schätzung vor einem Jahr? Was
wurde uns für dieses Jahr prognostiziert und was ist daraus geworden? - Darauf hat der Sachverständigenrat
geantwortet, man habe nicht voraussehen können, wie
gut es laufen würde. Auch wir konnten es nicht voraussehen, aber wir haben darauf gehofft und wir haben als
Koalition dafür gearbeitet. Dieses Jahr hat sich gelohnt.
Wir haben in der Koalition auf eines abgestellt, nämlich darauf, etwas für den Arbeitsmarkt zu tun, weil wir
wissen: Das ist die entscheidende Voraussetzung dafür,
dass die Menschen mehr Zuversicht gewinnen, dass sie
mehr Sicherheit für die Zukunft bekommen, dass mehr
Geld in die Steuerkasse und in die Kassen der sozialen
Sicherungssysteme fließt. Dieses Ergebnis am Arbeitsmarkt, das wir heute haben, ist ein Erfolg. Ein Jahr große
Koalition - darauf sind wir miteinander stolz.
({0})
Das Ergebnis der letzten Zählung war: Es gibt
471 000 Arbeitslose weniger als vor einem Jahr. Das
sind 10,3 Prozent weniger.
({1})
Das ist eine kleine Großstadt oder eine große Kleinstadt.
Daran kommt auch die FDP nicht vorbei.
({2})
Ganz viele Menschen in Deutschland, die vor einem Jahr
keine Arbeit hatten, haben jetzt Arbeit.
({3})
Zum ersten Mal seit vielen Jahren liegt die Quote
wieder unter 10 Prozent. Es sind 4,085 Millionen Arbeitslose. Es sind zu viele; dazu sage ich gleich noch ein
Wort. Wir geben uns damit nicht zufrieden. Aber Tatsache ist: Zum Beispiel 101 000 unter 25-Jährige weniger
sind arbeitslos. 86 000 Ältere, über 50-Jährige, weniger
sind arbeitslos. Das ist auch ein Zeichen dafür, dass das
insgesamt in den Generationen gut verteilt ist. Ostdeutschland ist im Übrigen ganz ordentlich mit dabei.
Was noch interessant ist: In den letzten beiden Monaten sind zum ersten Mal in nennenswertem Umfang - im
letzten Monat waren es 82 000 - Menschen, die
Arbeitslosengeld II bezogen haben, in Beschäftigung gekommen. Das sind solche, die bei der Zahlung des
Arbeitslosengeldes I herausgefallen sind und dann
Arbeitslosengeld II erhalten, die meist lange arbeitslos
gewesen sind. Sie haben jetzt wieder eine Chance, im
Arbeitsmarkt anzukommen. Darauf richtet sich unser
Bemühen natürlich in ganz besonderer Weise.
Die Bundesagentur hat Anfang des Jahres, im Februar, angedeutet, sie könne in diesem Jahr vielleicht ein
Plus machen. Das wäre dann zum ersten Mal seit 1987
der Fall. Seit 1988 hat man da in jedem Jahr einen Zuschuss gebraucht.
({4})
Im Februar hat uns die Bundesagentur gesagt, sie werde
in diesem Jahr 1,8 Milliarden Euro übrig behalten. Das
wird sich tatsächlich auf rund 9,8 Milliarden Euro belaufen. Niemand weiß es ganz genau. Das wird in der Größenordnung von 9 bis 10 Milliarden Euro liegen.
Die Frage ist: Wie kommt das? Natürlich spielt die
13. Zahlung der Beiträge eine Rolle, die man hier nicht
vertieft zu erläutern braucht. Aber wichtig ist vor allen
Dingen: Es werden weniger Menschen arbeitslos und
die, die arbeitslos sind, kommen schneller wieder in Arbeit. Die Bundesagentur nimmt bei den Arbeitslosenversicherungsbeiträgen zusätzliches Geld ein. Es sind mehr
Menschen beschäftigt. Es wird mehr Lohn gezahlt. Es
gibt mehr Beiträge, übrigens nicht nur bei der Arbeitslosenversicherung, sondern auch bei der Krankenversicherung und der Rentenversicherung.
Für die Rentenversicherung gibt es zum ersten Mal
wieder eine positive Perspektive. So können wir hoffen,
dass wir für sie im Jahr 2008 keine zusätzlichen Anstrengungen im Bundeshaushalt unternehmen müssen und
dass auch die Beiträge stabil bleiben. Angesichts dieser
Perspektive schlafe ich ein wenig ruhiger als noch vor
einem Dreivierteljahr.
({5})
Ich hoffe, dass wir diese positive Entwicklung fortschreiben können.
Wir haben ja inzwischen entschieden, dass der Beitragssatz zur Bundesagentur von 6,5 Prozent auf
4,2 Prozent sinkt.
({6})
Das macht ein Volumen von 16,6 bis 17 Milliarden Euro
aus, jeweils hälftig zugunsten von Arbeitnehmern und
Arbeitgebern. Durch das Senken des Beitragssatzes zur
Arbeitslosenversicherung wird eine Entlastung von
8,3 bis 8,5 Milliarden Euro bei den Arbeitnehmern ausgelöst.
({7})
Ehrlicherweise muss man die Erhöhungen, die in anderen Bereichen vorgenommen werden, gegenrechnen.
Aber das, was am 1. Januar nächsten Jahres stattfindet,
stellt eine deutliche Entlastung für die Arbeitnehmer dar.
Das kann außerdem auch dazu beitragen, dass neue
Kaufkraft entsteht und es zusätzlich neue Impulse gibt.
({8})
Der Sachverständigenrat hat am heutigen Tag den
Blick nach vorne gerichtet, über den 1. Januar 2007 hinaus. Entgegen dem, was uns viele kluge Leute in den
vergangenen Monaten gesagt haben, sagt er nun: Die negativen Folgen der Mehrwertsteuererhöhung, die die
FDP und andere immer wieder beschrien haben, könnten
doch etwas geringer ausfallen.
({9})
Die FDP wurde natürlich nicht explizit erwähnt; ich kam
darauf, weil ich, während ich das sagte, zu Herrn Niebel
schaute. Gerade Ihnen, Herr Niebel, möchte ich sagen:
Alle, die Katastrophen prophezeit haben, werden erleben, dass wir relativ ruhig über den 1. Januar kommen
und auch im nächsten Jahr ein relativ hohes Wachstum
haben werden. Damit wird es uns gelingen, die Arbeitslosigkeit noch weiter zu reduzieren.
Eines hat sich die Koalition nämlich fest vorgenommen: Wir wollen den Menschen mehr Chancen auf dem
Arbeitsmarkt eröffnen und insbesondere den Jungen eine
Chance auf Ausbildung geben, damit sie in das Erwerbsleben hereinwachsen können. Bei all dem, was wir tun,
haben wir genau dies als oberstes Ziel im Blick. Wir wissen nämlich ganz genau - dieses Jahr beweist das -:
Wenn man die Arbeitslosigkeit in Deutschland verringert, gibt man damit einen entscheidenden Impuls zur
Lösung all der Probleme, die wir haben.
({10})
- Da klatscht die FDP mit; wir tun aber etwas dafür,
({11})
zum Beispiel mit der Mehrwertsteuererhöhung, die Sie
nicht wollen. Von den 3 Prozentpunkten Erhöhung fließt
1 Prozentpunkt unmittelbar an die Menschen zurück,
nämlich dank der Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. 1 Prozentpunkt fließt in die Kasse des
Bundes und 1 Prozentpunkt in die Kasse der Länder.
({12})
Nun kommt es darauf an, ob wir mit diesem Geld etwas
Vernünftiges machen. Das tun wir, indem wir unser
25-Milliarden-Euro-Programm fortsetzen. Hiervon werden auch im Jahr 2007 wieder etwa 6 bis 6,5 Milliarden
Euro zur Verfügung stehen, um kleine und mittlere Investitionen vor Ort, in den Häusern und an Grundstücken, weiterhin anzustoßen.
Alles in allem kann man zwar angesichts der derzeitigen Situation nicht jubeln, weil es, wie wir wissen, noch
viel Arbeit gibt - da sind wir nicht blauäugig -, aber es
gibt guten Grund, sich über die 471 000 Menschen, die
nicht mehr arbeitslos sind, zu freuen. Ein bisschen stolz
dürfen wir als Koalition darauf doch wohl sein.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({13})
Das Wort hat nun der Kollege Dirk Niebel, FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte es von vornherein klarstellen: Wir
freuen uns über jeden Menschen, der in diesem Land
nicht mehr arbeitslos ist. Aber die Bürgerinnen und Bürger, die diese Aktuelle Stunde verfolgen, sollten ungefähr einordnen können, welcher Zweck mir ihr verbunden ist. Hans-Ulrich Jörges hat es in seinem
wöchentlichen Zwischenruf im „Stern“ sehr deutlich auf
den Punkt gebracht.
({0})
- Herr Brandner, das war im Ausschuss, also nicht öffentlich. - Man sollte es schon richtig einordnen, was die
Regierung hier macht. Im „Stern“ von morgen steht folgender Ausspruch von Jörges:
Die Koalition feiert „Wohlfühlwochen“ im Stile einer Hamburger-Braterei - und das Volk kotzt ab.
Ich zitiere weiter:
Die Patienten,
- damit sind Sie von der Bundesregierung gemeint die keinen Arzt an sich heranlassen, sind kenntlich
durch chronisch verzückte Minen und eine Wenderethorik, die Glück für alle verheißt.
So weit der „Stern“ morgen.
({1})
Das zeigt: Diese Aktuelle Stunde hat nur einen einzigen
Hintergrund, nämlich eine populistische Selbstbeweihräucherung.
Vielmehr ist es doch so, dass es die Wirtschaft trotz
mittlerweile acht Jahren rot-grüner Politik in Deutschland geschafft hat, ein kleines Jobwunder zustande zu
bringen, welches aber noch lange nicht ausreicht, um die
Probleme der Menschen in Deutschland zu lösen.
({2})
Fakt ist, dass immer noch über 4 Millionen Menschen
Arbeit suchen. Fakt ist, dass diese Bundesregierung immer noch vor allem auf Abkassieren setzt statt darauf,
den Menschen das Geld zurückzugeben. Das konnte
man heute deutlich in der Sitzung des Ausschusses für
Arbeit und Soziales merken, als der Kollege Weiß von
der CDU/CSU sagte: Die schlechte Nachricht für die
Bürger war die Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge auf 19,9 Punkte. Die gute Nachricht ist, dass wir
einen „Beitragssenkungsspielraum“ haben und auf
19,7 Punkte kommen könnten. Aber weil wir die Leute
nicht verunsichern wollen, nutzen wir diesen Beitragssenkungsspielraum nicht, damit sie nicht auf die Idee
kommen, es könnte irgendwann einmal wieder nach
oben gehen.
({3})
Das ist eine Art von Politik, die genau das Prinzip,
das der Kollege Müntefering im Zusammenhang mit seinem Investitionsprogramm genannt hat, widerspiegelt:
Man nimmt den Menschen das selbst verdiente Geld
weg, katalysiert es durch einen teuren Verwaltungsapparat, zieht die Verwaltungskosten ab und gibt es den Menschen quasi wie einem Taschengeldempfänger und vorzugsweise auch noch zweckgebunden an anderer Stelle
wieder zurück. Das ist nicht unsere Vorstellung vom
mündigen Bürger. Die Menschen können mit dem Geld,
das sie selbst verdienen, Besseres machen als Sie in Ihrer
großen Koalition.
({4})
Sie haben davon gesprochen, wie schön alles sei. Die
Bundeskanzlerin hat vor knapp einem Jahr ihre Regierungserklärung unter die Überschrift „Freiheit wagen“
gesetzt. Welche Freiheit meinen Sie eigentlich? Sie stellen fest, dass - das finde ich einen bemerkenswerten
Lernfortschritt - Steuermehreinnahmen dazu dienen
können, die Haushalte zu konsolidieren. Das ist gut; das
ist auch unsere Ansicht. Aber Sie haben nicht festgestellt, dass die Steuermehreinnahmen nicht das Ergebnis
staatsorientierter Politik, sondern das Ergebnis einer
wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik gewesen sind,
die unter der letzten Bundesregierung ihren Ausdruck in
einem Steuersenkungskonzept gefunden hat, das ohne
das Zutun der FDP im Land Rheinland-Pfalz im Bundesrat niemals Gesetz geworden wäre.
({5})
- Es wäre nicht durchgekommen; es wäre an der Blockadehaltung der Union im Bundesrat gescheitert. Die
Rheinland-Pfälzer unter Ihnen wissen das.
Das zeigt eines ganz deutlich: Ein wachstumsorientierter wirtschaftspolitischer Pfad, eine Steuersenkungspolitik, die Menschen und Betrieben in diesem Land
mehr vom selbst Verdienten übrig lässt, ist immer noch
besser als staatsdirigistische Programme. Insofern müssen wir einfordern, was die Bundeskanzlerin gesagt hat:
mehr Freiheit wagen! Das ist das Entscheidende.
Sie tun so, als wenn die Bundesagentur jetzt richtig
Geld verdienen würde und als sei es ein Goodwill seitens
der Bundesregierung, den Bürgern von diesem zu viel
weggenommenen Geld etwas zurückzugeben. Die Bundesagentur kann alles Mögliche, aber Überschüsse erwirtschaften kann sie bestimmt nicht; sie kann gar nichts
erwirtschaften. Alles, was sie zu viel hat, hat sie Arbeitnehmern und Arbeitgebern weggenommen. Es ist nur logisch, dass man es diesen zurückgibt.
({6})
Aber dann seien Sie doch auch hier konsequent, Herr
Müntefering.
({7})
- Frau Präsidentin, was ist denn das für ein Parlamentsverständnis?
({8})
Der Herr Minister hört Ihnen zu.
Der Kollege Müntefering ist offenkundig nicht in der
Lage, die Ergebnisse des Evaluierungsberichts seiner eigenen Bundesregierung zur Kenntnis zu nehmen, die
schon Mitte des Jahres deutlich gemacht haben, welche
arbeitsmarktpolitischen Instrumente nicht zur Integration in den ersten Arbeitsmarkt dienen, sondern pure
Geldverschwendung sind. Aber das sind Ihre sozialdemokratischen Steckenpferde, die Sie weiter reiten mögen. Optisch möge man sich das einmal vorstellen;
wahrscheinlich brechen Sie sich dann das nächste Bein,
wenn Sie das tatsächlich bis zum Ende durchführen.
({0})
- Der Kollege hat „Schwein“ zu mir gesagt. Ich halte das
nicht für parlamentarisch, aber das ändert nichts. Es ordnet Sie ungefähr da ein, wo Sie politisch hingehören. Sie
haben sich da selbst ein Zeugnis ausgestellt.
({1})
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ja, Frau Präsidentin. - Nutzen Sie die Beitragssenkungsspielräume, die sich bieten, indem Sie eine vernünftige Arbeitsmarktpolitik durchführen und den Menschen das Geld zurückgeben, das ihnen unnötigerweise
weggenommen worden ist, damit sie die Chance haben,
mitmachen zu dürfen. Außerdem überlegen Sie sich, ob
es vielleicht hilfreich und sinnvoll wäre, das Parlament
irgendwann einmal zur Kenntnis zu nehmen, oder ob die
Arroganz der Macht sich in ihren „Wohlfühlwochen“
eingenistet hat, sodass Herr Jörges im Endeffekt wahrscheinlich doch Recht hat.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Oktober 2005 war der letzte Monat vor der Wahl
von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin. Aktuell liegen
die Arbeitsmarktzahlen für den Oktober 2006 vor. Das
ist eine gute Gelegenheit, Bilanz zu ziehen. Was ist passiert, seit die Wählerinnen und Wähler die CDU/CSU
zur stärksten und die Grünen zur schwächsten Kraft in
diesem Hohen Hause gewählt haben?
({0})
Ein paar Ergebnisse in Stichworten: 471 000 Arbeitslose weniger als vor einem Jahr. Erstmals seit vier Jahren
liegt die Arbeitslosenquote unter 10 Prozent. Was hätten
Sie von den Grünen darum gegeben, wenn Sie solche
Zahlen hätten präsentieren können! Das ist ein Erfolg
der großen Koalition.
({1})
Ich fahre fort: 153 000 Arbeitslose weniger als im
September. 82 000 Menschen aus dem Bereich des
Arbeitslosengeldes II sind wieder in Beschäftigung gekommen. Das letzte Hilfsargument der Opposition war,
die Langzeitarbeitslosigkeit sei gestiegen. Es ist in der
Tat richtig: Die Kurzzeitarbeitslosigkeit abzubauen ist
einfacher. Wenn die Kurzzeitarbeitslosigkeit stark und
die Langzeitarbeitslosigkeit nicht ganz so stark abgebaut
werden, dann ist der Anteil der Langzeitarbeitslosen höher. Aber nehmen Sie zur Kenntnis: Auch im Bereich
des Arbeitslosengeldes II haben wir Erfolge. Denn auch
die Langzeitarbeitslosigkeit geht in Deutschland zurück.
Auch das ist ein Erfolg der großen Koalition.
({2})
Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten nimmt unverändert zu. Zuvor war sie jahrelang rapide gesunken. Heute gibt es 258 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr als vor einem Jahr. Wir
liegen wieder bei fast 27 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Das ist gut für
das Land und für die Wirtschaft und ein Riesenerfolg für
die große Koalition.
({3})
Nächstes Thema: Zahl der offenen Stellen. Die BA
hat bekannt gegeben, dass bei ihr 626 000 offene Stellen
gemeldet sind. Nimmt man noch die Stellen von privaten
Arbeitsvermittlern und von Internetstellenbörsen hinzu,
kommt man sogar auf 825 000 offene Stellen. Jeder
weiß: Nicht jede offene Stelle ist tatsächlich gemeldet.
Wir können davon ausgehen, dass wir über 1 Million offene Stellen haben, die zu besetzen sind. Das spornt uns
an, mit unserer Arbeitsmarktpolitik weiterzumachen und
dafür zu sorgen, dass sich das wirtschaftliche Wachstum,
das wir zurzeit haben, in neue Arbeitsplätze niederschlägt und dass arbeitslose Menschen in diese Stellen
vermittelt werden. Wir werden uns weiterhin darum
kümmern, dass dieses Potenzial genutzt wird. Auch
diese große Zahl an offenen Stellen ist ein Riesenerfolg
dieser Koalition.
({4})
Auch in den neuen Ländern ist die Situation deutlich
besser geworden. Dort ist die Zahl der offenen Stellen
gegenüber dem Vorjahr um 45 000 auf 153 000 angestiegen. Wir werden mit den Instrumenten, die wir entwickelt haben, weitermachen und wir werden weiter daran
arbeiten, dass sich wirtschaftliches Wachstum verstärkt
in Arbeitsplätze umsetzen lässt. Wir sind dabei noch
lange nicht am Ziel. Aber nach einem Jahr kann man sagen, dass wir eine hervorragende Zwischenbilanz für
den Arbeitsmarkt vorlegen können.
({5})
Diese Erfolge schlagen sich auch in einer Verbesserung der Lage für die Sozialversicherungssysteme nieder. Erinnern wir uns daran, wie die Situation der Rentenversicherung vor einem Jahr war. Erstmals in der
Geschichte unseres Landes brauchte die Rentenversicherung einen Kassenkredit des Bundesfinanzministers, um
über die Runden zu kommen. Die Lage ist immer noch
angespannt; das ist wahr. Aber wir haben die Rentenfinanzen konsolidiert und stabilisiert. Wir werden auf diesem Weg weitergehen. Das ist ein großer Fortschritt gegenüber der Situation vor zwölf Monaten und ein
Riesenerfolg der großen Koalition und der Bundesregierung.
({6})
Was wir an Steuermehreinnahmen und an Beitragsmehreinnahmen haben, geben wir an die Menschen weiter. Der Minister hat entsprechende Beitragssenkungen
angekündigt.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch sagen: Die Grünen hatten ursprünglich eine Aktuelle
Stunde beantragt, in der das „Infragestellen der Sozialversicherungsreformen“ behandelt werden sollte. Als sie
erfahren haben, dass diese Aktuelle Stunde erst am Freitagnachmittag auf die Tagesordnung kommt, war ihnen
dieses Thema nicht mehr so wichtig. Aber diese Aktuelle Stunde wäre auch in der Sache unsinnig gewesen.
({7})
Seien Sie ganz unbesorgt: Uns von der CDU/CSU liegen Menschen mit einer großen Lebensleistung und einer großen Beitragsleistung sehr am Herzen. Das ist
nichts Neues. Solche Lebens- und Beitragsleistungen zu
würdigen, ist uns ein Anliegen.
({8})
Das gilt für die Rentenversicherung: Wir werden bei
der Rente bis 67 Jahre Ausnahmen für Menschen, die
eine entsprechend lange Zeit Beiträge geleistet haben,
einführen. Wir werden auch bei der Arbeitslosenversicherung darüber reden, wie man eine lange Zeit der Beitragsleistung entsprechend berücksichtigen kann.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Sie können auch in diesem Punkt unbesorgt sein - wir
haben heute einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt -:
Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung sinkt auf
4,2 Prozent. Wir senken die Beiträge weiter, nachdem
die zuvor beschlossene Senkung noch nicht einmal in
Kraft getreten ist. Das ist ein Rekordtempo. Wir sind auf
dem richtigen Weg. Nörgeln Sie nicht! Gehen Sie auf
diesem Weg mit!
Herzlichen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Axel Troost für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir leben in einem Wirtschaftssystem - die einen nennen es
„Marktwirtschaft“, die anderen „Kapitalismus“ -, das
seit 150 Jahren nach zyklischen Entwicklungen verläuft.
In der Tat, nach Jahren der Stagnation haben wir 2006
das erste Mal seit langem wieder wirtschaftliches
Wachstum. Ein Wachstum von 2,2 bis 2,4 Prozent führt
zu einem deutlichen Beschäftigungszuwachs.
Schauen wir einmal, woher die Wachstumsbeiträge
kommen. Das ist zum einen der Außenbeitrag und da
sind zum anderen die privaten Investitionen festzustellen, die nach Jahren der Stagnation endlich angesprungen sind. Dies ist im Wesentlichen auf Nachholbedarf
zurückzuführen. Dabei handelt es sich nicht um Erweiterungs-, sondern in erster Linie um Rationalisierungsinvestitionen. Es gibt keinen Beitrag vom Staat
({0})
und so gut wie keinen Beitrag durch den privaten Konsum zum Wachstum. Das ist auch nicht verwunderlich,
wenn man sich die Entwicklung der Verteilung der Einkommen in den letzten Jahren anschaut: Fast der gesamte Zuwachs der Einkommen stammt aus Unternehmertätigkeit und Vermögen.
Neben dem Export und den Ausrüstungsinvestitionen
ist sonst nichts vorhanden, was zum Wachstum beiträgt.
Insofern kann man sagen: In diesem Jahr hat die große
Koalition mit ihrer Politik nicht zum Aufschwung beigetragen.
({1})
Aber sie hat ihn auch nicht verhindert.
Das wird in 2007 in der Tat ganz anders aussehen.
({2})
Neben der Erhöhung der Mehrwert- und der Versicherungsteuer gibt es Kürzungen bei der Beschäftigung im
öffentlichen Dienst und bei Hartz IV, die Streichung der
Eigenheimzulage, die Versteuerung von Abfindungen,
Kürzungen beim Kindergeld und bei der Pendlerpauschale, die Halbierung des Sparerfreibetrages und die
Einschränkung der steuerlichen Abzugsfähigkeit des
häuslichen Arbeitszimmers. Alles in allem summiert
sich dies - so hat das Institut für Makroökonomie und
Konjunkturforschung herausgefunden - im nächsten
Jahr auf eine Wachstumsbremse von über 28 Milliarden
Euro.
Dies ist die größte Konjunkturbremse, die es jemals in
der Geschichte der Bundesrepublik gegeben hat. Da der
private Verbrauch und der Staat keinen Beitrag leisten
werden, gehe ich davon aus, dass wir im nächsten Jahr
ein Wachstum haben werden, das so gering ist, dass es
wieder zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit kommen
wird.
Auf dem Arbeitsmarkt ist derzeit ein Rückgang der
Zahl der registrierten Arbeitslosen um 470 000 zu verzeichnen. Es gibt erstmals wieder einen Zuwachs bei den
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und den Minijobs. Trotz allem wird es im Jahresdurchschnitt weiterhin 4,8 Millionen registrierte Arbeitslose geben und die
Beschäftigungslücke wird von 6,33 Millionen fehlenden
Arbeitsplätzen nur auf 6,2 Millionen sinken. Gleichzeitig stellen wir während des derzeitigen Aufschwungs
eine Erhöhung und Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit fest.
Kurzum, wir haben einen zyklischen Aufschwung.
Das führt zu einer Verbesserung der Situation auf dem
Arbeitsmarkt. Aber das ist keine Wende im Bereich der
Arbeitsmarktentwicklung. Wir werden vielmehr steigende Probleme mit Massen- und Langzeitarbeitslosigkeit haben.
Es kommt noch viel schlimmer: Seit Jahrzehnten gab
es den gesellschaftlichen Konsens, dass, wenn man es
schon nicht schafft, wesentlich zum Abbau der Arbeitslosigkeit beizutragen, zumindest eine aktive Arbeitsmarktpolitik betrieben und gesagt wird: Wir wollen gemeinwohlorientierte Arbeit statt Arbeitslosigkeit. Mit
diesem Konsens haben Sie gebrochen. Mit der HartzGesetzgebung sind faktisch alle Instrumente der aktiven
Arbeitsmarktpolitik abgeschafft worden. Es gab einmal
Instrumente wie den § 249 h AFG und SAM, um Arbeit
statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Jetzt gibt es nur
noch die 1-Euro-Jobs. Das ist perspektivlos und ohne irgendwelche Chancen für die davon Betroffenen.
Insofern hat sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt
aus meiner Sicht drastisch verändert. Arbeitslos zu sein,
führt zu Ausgrenzung und zu einer Verstärkung der Armut. Ich war in der letzten Woche auf einer großen
Arbeitsmarktkonferenz in Erfurt. Einer meiner Mitreferenten hat nur gesagt: Die Exportwirtschaft hat kein Interesse am Abbau der Arbeitslosigkeit. Dazu kann ich nur
sagen: wie wahr. Die Exportwirtschaft nutzt eine hohe
Arbeitslosenquote aufgrund der Schwächung der Gewerkschaften zur Senkung der Lohnstückkosten.
({3})
Für sie ist dies die beste Basis für eine weitere Expansion. Für die Menschen in diesem Lande ist dies keine
gute Basis. Insofern gibt es nichts zu beschönigen. Wir
brauchen eine andere Politik, eine Politik, die wirklich
zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit beiträgt.
Danke schön.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Klaus Brandner für
die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die SPD hat es sich zum Ziel gesetzt, mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Der Bundesminister hat die eindrucksvollen Zahlen genannt: Wir
haben einen kontinuierlichen Rückgang der Arbeitslosenzahl und eine kontinuierliche Zunahme der Erwerbstätigkeit zu verzeichnen. Die Zahl der offenen Stellen hat
zugenommen; sie liegt mittlerweile bei mehr als
800 000. Besonders erfreulich aber ist, dass die Zahl der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im August
dieses Jahres gegenüber dem Vorjahr um mehr als
258 000 gestiegen ist. Auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist zurückgegangen; im Oktober dieses Jahres
waren, verglichen mit dem Vorjahr, 122 000 Menschen
weniger langzeitarbeitslos. - Diese Zahlen machen deutlich, dass die Chancen für die Menschen in diesem Land
besser geworden sind.
({0})
122 000 ehemalige Langzeitarbeitslose haben wieder
Boden unter den Füßen. Sie haben wieder Chancen für
sich und ihre Familien. Das ist aller Ehren wert.
Uns, der großen Koalition, ist das - wie in der Vergangenheit auch der rot-grünen Koalition - nicht genug.
Es ist aber ermutigend, dass die Arbeitsmarktzahlen
deutlich besser sind; das muss uns ein Ansporn sein.
Diese Entwicklung zeigt im Übrigen, dass die Politik,
die wir verfolgen, richtig ist und wirkt.
({1})
Die Opposition mag sagen, dass in dieser Aktuellen
Stunde nur ein Schulterklopfen stattfindet.
({2})
Für mich ist dies kein Schulterklopfen angesichts der
Tatsache, dass innerhalb von zwei Jahren mehr als
600 000 Menschen aus der Arbeitslosigkeit in Arbeit geführt wurden. Herr Niebel, Sie haben von einer populistischen Selbstbeweihräucherung gesprochen. Ich finde,
es ist eine Schande, dass Sie vor dem Hintergrund, dass
viele Menschen wieder eine Chance erhalten haben, mit
solchen Worten in diesem Parlament auftreten.
({3})
Wir haben aufgrund des Wirtschaftswachstums, das
wir auch in den kommenden Jahren erwarten, größere
Chancen, das Beschäftigungsniveau zu stabilisieren.
Trotz des hohen Ölpreises werden Verbesserungen am
Arbeitsmarkt sichtbar werden, werden mehr Menschen
eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Diese Chance
haben sie wegen einer verlässlichen Politik.
In diesem Zusammenhang möchte ich, an meinen
Kollegen Brauksiepe gerichtet, sagen, dass wir nicht
wollen, dass die Verunsicherung in diesem Land durch
Sozialpopulimus ein Stück weit vergrößert wird.
({4})
Was Herr Rüttgers seit einigen Wochen betreibt, ist Sozialpopulismus. Es ist derselbe Sozialpopulismus, den
wir gerade von der Linksfraktion gehört haben, die bestreitet, dass die Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau
fortgesetzt worden ist.
({5})
Ich will klar sagen: Wir wollen keine Politik für Ältere auf dem Rücken der Jüngeren.
({6})
Das spaltet die Gesellschaft. Wir haben das Risiko „Alter“ bei der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes berücksichtigt, indem diejenigen, die 55 Jahre oder älter sind,
18 Monate Arbeitslosengeld erhalten. Wir wollen kein
Abschieben in die Arbeitslosigkeit. Wir wollen einen
Mentalitätswechsel in den Betrieben und in der Gesellschaft. Wir wollen keinen Rückschritt in die Frühverrentung.
({7})
Wir nehmen die Sorgen der Menschen ernst. Wir wollen
keine Politik der Verunsicherung; das habe ich deutlich
gemacht. In diesem Zusammenhang ist für uns eine Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes um
sechs Monate bei einer durchgängigen Beitragszahlung
über 40 Jahre nicht banal. Was die Menschen aber tatsächlich brauchen, ist Beschäftigung. Die gibt es nicht
durch größere Verunsicherung in diesem Land.
({8})
Es bleibt dabei: Arbeitslosen ist nicht geholfen, wenn
sie möglichst lang Lohnersatzleistungen erhalten. Die
Vorstellung, dies würde helfen, geht an der Realität vorbei. Je länger man aus dem Erwerbsleben raus ist, desto
schwieriger ist es, in das Erwerbsleben wieder einzusteigen. Unser erster Grundsatz lautet - dafür stehen wir gemeinsam -: Wir setzen auf die schnelle Vermittlung in
Arbeit.
({9})
Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kolb, wollen wir nicht,
dass der Vorschlag von Herrn Rüttgers umgesetzt wird:
Er möchte die Kinder für die langzeitarbeitslosen Eltern
in Haftung nehmen.
({10})
Wir wollen nicht, dass diejenigen, die sich im Alter von
etwa 30 Jahren in der Aufbauphase befinden, die eine
Familie gründen und Geld für den Bau eines Eigenheims
zurücklegen, zu Leistungen für ihre Eltern verpflichtet
werden, wenn diese im Alter von vielleicht 55 Jahren
langzeitarbeitslos werden.
({11})
Wir wollen ein Miteinander, nicht ein Gegeneinander der
Generationen.
Wir müssen über den Kündigungsschutz reden. Wir
müssen auch einen Trend am Arbeitsmarkt im Blick
behalten: Trotz der positiven Arbeitsmarktentwicklung
gibt es nach wie vor einige Hunderttausend Menschen,
die dauerhaft keine Chance auf dem so genannten ersten
Arbeitsmarkt haben. Diese Menschen dürfen nicht ausgeschlossen werden. Sie brauchen eine Chance auf Teilhabe. Wir werden sie nicht abschieben. Deshalb treten
wir für eine öffentlich geförderte Beschäftigung ein; das
ist Programm der SPD.
({12})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Thea Dückert
für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Koalitionsfraktionen, herzlichen Glückwunsch
zu Ihrer Inszenierung eines Eigenlobs in dieser Aktuellen Stunde!
({0})
Sie scheinen das nötig zu haben - ich verstehe das -,
weil die Bevölkerung nach einem Jahr Schwarz-Rot sehr
enttäuscht ist; das schlägt sich in den Umfragewerten
nieder.
Nicht nur die Bevölkerung, sondern auch der Sachverständigenrat ist enttäuscht. Er spricht im heute veröffentlichten Jahresgutachten 2006/07 von einem „ZickZack-Kurs“, umschreibt die Streitkultur und geht auf die
„Selbstblockade“ ein. Er hat deutlich gemacht, dass die
gute wirtschaftliche Entwicklung mit einer schlechten
Regierung gepaart ist.
({1})
Wir haben einen Aufschwung. Das ist gut. Ich sage
Ihnen für die Grünen: Wir wissen, dass dieser Aufschwung zum einen mit der positiven Weltkonjunktur zu
tun hat, zum anderen aber auch eine Frucht vieler mühsamer Reformen von Rot-Grün in der Vergangenheit ist.
Wir freuen uns, dass die Arbeitslosigkeit im Oktober unter 10 Prozent gesunken ist. Das ist für jeden Arbeitslosen, der eine Beschäftigung gefunden hat, gut.
Sie müssen aber genau hinschauen. Im Oktober gab
es 470 000 Arbeitslose weniger, aber 60 000 Langzeitarbeitslose mehr als im selben Monat des Vorjahres. Ich sehe, dass wieder mit dem Kopf geschüttelt wird. Ich
nenne aber die realen Zahlen; das hat mit Relativität
nichts zu tun. In der Tat schreitet eine Entwicklung
voran, bei der die Langzeitarbeitslosigkeit langsam abgebaut wird.
Sie von der Koalition fahren aber ein hohes Risiko;
das wird von vielen bestätigt. In 53 Tagen wird die
Mehrwertsteuererhöhung kommen. Sie wird mit dem
Zickzackkurs, den Sie vorgelegt haben, gepaart. Sie dürfen Ihre Augen vor dem Problem der Langzeitarbeitslosigkeit nicht verschließen; Sie müssen die Langzeitarbeitslosen fördern. Sie müssen endlich auf das, was
vor Ort passiert, reagieren: Beispielsweise werden die
für die Förderung von Langzeitarbeitslosen zur Verfügung gestellten Mittel von den Arbeitsagenturen nicht
ausgeschöpft. Wir müssen eine Debatte darüber vorantreiben, wie man das ändern kann.
({2})
Eine solche Debatte muss im Vordergrund stehen, nicht
die populistische sozialpolitische Debatte, die Sie, Herr
Brauksiepe, in dieses Haus hineingetragen haben.
Herr Rüttgers hat eine billige Sozialpopulismusdebatte vom Zaune gebrochen. Auf seinem Paket steht
zwar „Gerechtigkeit“, es enthält aber soziale Unverschämtheiten.
({3})
Ich werde Ihnen belegen, dass dieses Paket die Älteren
wieder in die Frühverrentung führen würde und dass es
ganz klar gegen die Jüngeren gerichtet ist.
({4})
Ich habe gestern ein Machtwort der Kanzlerin vermisst. Sie hatte die Chance, vor den Vertretern der BDA
einem sich am Horizont abzeichnenden Kurs Einhalt zu
gebieten, der wieder zu mehr Frühverrentungen in
Deutschland führen kann. In den 90er-Jahren waren wir
schon einmal auf dieser schiefen Bahn. Die geringe Erwerbsquote älterer Menschen am Arbeitsmarkt - das ist
ein Desaster - und die hohe Quote langzeitarbeitsloser
älterer Erwerbspersonen sind auf diese miserable Frühverrentungspraxis zurückzuführen. Und Sie reden ihr
das Wort!
Es wird noch schlimmer. Wenn man sich diesen arbeitsmarktpolitischen Irrweg zu Gemüte führt, stellt man
fest, dass er nicht nur - heuchlerisch - gegen die Alten
gerichtet ist. Ein 55-Jähriger muss nach den Plänen von
Rüttgers mehr als 15 Jahre gearbeitet haben, um das zu
erhalten, was er heute nach drei Jahren Beschäftigung
erhält, nämlich 18 Monate Arbeitslosengeld.
({5})
Nach diesen Vorschlägen müsste man zehn Jahre arbeiten, um ein Jahr lang Arbeitslosengeld zu bekommen.
Nach geltendem Recht muss man nur zwei Jahre dafür
arbeiten. Diese Regelung trifft die Jungen, die Frauen
und diejenigen, die diskontinuierliche Erwerbsbiografien haben. Diese Regelung ist in hohem Maße sozial
ungerecht und arbeitsmarktpolitisch problematisch, weil
auf unserem Arbeitsmarkt diskontinuierliche Erwerbsbiografien vorausgesetzt werden.
Herr Glos will auch noch den Kündigungsschutz lockern. Auch das trifft die jungen Leute aus der so genannten Praktikumsgeneration, die gar keine Chance haben, früh in den Arbeitsmarkt zu kommen. Sie sind
doppelt betroffen, weil sie gleichzeitig für ihre Eltern
aufkommen sollen, wenn sie arbeitslos werden.
Hören Sie auf, die Langzeitarbeitslosigkeit wegzureden! Kümmern Sie sich darum! Fördern Sie! Hören Sie
auf, die Weichen für eine Arbeitsmarktpolitik zu stellen,
die Arbeitsplätze für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gefährdet, die wieder zu mehr Frühverrentungen führt, die uns ins Desaster führt!
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. - Nehmen Sie die Senkung
der Lohnnebenkosten, die Sie zum Beispiel im Bereich
der Arbeitslosenversicherung vorhaben, zum Anlass, um
die Lohnnebenkosten für gering Qualifizierte und für die
Bezieher kleiner Einkommen zu senken. Damit tun Sie
etwas für den Arbeitsmarkt! Hören Sie auf, den konjunkturellen Aufwärtstrend durch Maßnahmen wie die Mehrwertsteuererhöhung oder einen Zickzackkurs bei den Sozialreformen zu bremsen!
Danke schön.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Stefan Müller für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die bisherigen Reden der Vertreter der Oppositionsfraktionen waren auf der einen Seite geprägt von einem gewissen Maß an Realitätsverweigerung, von dem Kummer, nicht in der Regierung zu sein, und auf der anderen
Seite von dem Kummer, nicht mehr in der Regierung zu
sein.
({0})
Anders kann ich die Reden, die Sie hier gehalten haben,
wirklich nicht interpretieren.
({1})
Liebe Frau Kollegin Dückert, ich habe mir während
Ihrer Rede überlegt, welche Rede Sie wohl gehalten hätten, wenn Sie noch in der Regierungsverantwortung
stünden. Welche Zahlen hätten Sie präsentiert? Welche
Erklärung hätten Sie dafür vorgelegt?
({2})
Im Zweifel hätten Sie gesagt: Die Zahlen sind so gut,
weil die Grünen mit in der Regierung sind. Sie haben
Ihre Ausführungen zu einem guten Maße dazu genutzt,
die Aktuelle Stunde, die Sie beantragt, aber wieder zurückgezogen haben, hierher zu verlegen. Sie werden
aber gestatten, dass ich auf das eigentliche Thema dieser
Aktuellen Stunde zu sprechen komme.
Manchmal, insbesondere bei der Opposition, hat man
den Eindruck, in den vergangenen zwölf Monaten wäre
nichts passiert, wir hätten zwölf Monate lang Däumchen
gedreht.
({3})
Ich will auf das hinweisen, was in den vergangenen
zwölf Monaten tatsächlich passiert ist. Ich erinnere an
die Föderalismusreform, die wir unter einer anderen Regierungskoalition unter Umständen gar nicht zustande
gebracht hätten. Wir haben unser Staatswesen neu geordnet. Wir haben es wieder vom Kopf auf die Füße gestellt und dafür gesorgt, dass der Bund größere Handlungsfähigkeit bekommt. Ich finde, das ist ein Gewinn
für unser Land.
({4})
Wir haben nicht nur über Bürokratieabbau geredet,
sondern wir haben damit begonnen, Bürokratieabbau zu
betreiben. Wir haben ein erstes Mittelstands-Entlastungs-Gesetz auf den Weg gebracht, ein zweites ist in
Vorbereitung. Und wir haben einen Normenkontrollrat
eingerichtet. Nach vielen Jahren des Redens über den
Bürokratieabbau wird jetzt endlich etwas getan.
Nun zur Arbeitsmarktpolitik. Wir haben Fehlentwicklungen bei Hartz IV korrigiert. Wir haben drei Reformgesetze auf den Weg gebracht, um zum einen Einsparungen zu erzielen und zum anderen die nach wie vor
knappen finanziellen Ressourcen denjenigen zukommen
Stefan Müller ({5})
zu lassen, die wirklich hilfsbedürftig sind, nicht aber
denjenigen, die es nicht sind.
Die Zahlen - sie sind schon angesprochen worden sprechen eine eindeutige Sprache: Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen ging zurück. Die Arbeitsmarktdaten haben sich verbessert. Im EU-Herbstgutachten wird
vorhergesagt, dass Deutschland das Defizitkriterium
spätestens im Jahr 2008 weit unterschreiten kann und
dann wahrscheinlich eine Verschuldung in Höhe von nur
noch 1,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aufweist.
({6})
Das gibt wirklich Anlass zur Freude.
({7})
Wenn ich mir die Ergebnisse des Ifo-Konjunkturtests
ansehe, stelle ich fest, dass sich auch die Einschätzung
der Betriebe verbessert hat. All das wird dazu beitragen,
dass zum Beispiel die Auswirkungen der Mehrwertsteuererhöhung nicht in der Art und Weise eintreten werden,
wie Sie sie vorhergesagt haben. Das Ifo-Institut jedenfalls geht davon aus, dass die dämpfenden Wirkungen
der Mehrwertsteuererhöhung nicht in dem Maße stattfinden werden, wie Sie es vermuten.
({8})
- Herr Niebel, ich möchte einmal wissen, wo Sie Ihre
Glaskugel versteckt haben. Sie nehmen für sich in Anspruch, genau vorhersagen zu können, wie die wirtschaftliche Entwicklung im nächsten Jahr verlaufen
wird.
({9})
Vielleicht warten wir einfach einmal ab, wie sich die Situation im nächsten Jahr tatsächlich darstellt.
Wir sind froh darüber, dass die positive wirtschaftliche Entwicklung auch den Arbeitsmarkt erreicht; diese
Daten sind schon angesprochen worden. Natürlich hat
der deutliche Rückgang der Arbeitslosigkeit etwas damit
zu tun, dass die wirtschaftliche Dynamik zugenommen
hat. Allerdings hat sich auch die Vermittlungstätigkeit
der Bundesagentur für Arbeit verbessert.
({10})
Deshalb verstehe ich auch Ihre Initiativen nicht, die darauf zielen, die Bundesagentur jetzt, da wir den Eindruck
haben und es tatsächlich so ist, dass sich ihre Vermittlungstätigkeit verbessert
({11})
- nein -, aufzulösen. Von tatsächlicher Innovationsfähigkeit und neuen Ideen zeugt dieser Vorschlag weiß Gott
nicht.
({12})
Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt hat auch
Rückwirkungen auf die Finanzlage der Bundesagentur.
Ich gebe Ihnen Recht, dass die BA kein Geld erwirtschaftet hat.
({13})
Vielmehr nimmt sie von den Beitragszahlern mehr Geld
ein und gibt, weil sich die Vermittlung verbessert hat,
weniger Geld aus. Ich bin sofort bei Ihnen, wenn es darum geht, dass dieses Geld den Menschen zurückgegeben werden muss, die es zuvor aufgebracht haben, nämlich den Beitragszahlern.
In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass wir uns heute früh in der Sitzung des Arbeitsund Sozialausschusses darauf geeinigt haben, den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung nicht nur um
2 Prozentpunkte zu senken, wie wir es im Übrigen schon
beschlossen hatten, sondern um 2,3 Prozentpunkte.
Denn die Sozialabgaben sind in diesem Land ein wesentliches Einstellungshemmnis.
({14})
Ich finde, wir sind auf einem guten Weg.
Weil Sie ständig unterschiedliche Rechnungen aufmachen, will ich eines festhalten: Selbst wenn man alle Erhöhungen, die an anderen Stellen durchgeführt werden,
gegenrechnet, wird am 1. Januar 2007 eine Senkung der
Lohnnebenkosten bzw. der Sozialabgaben zu verzeichnen sein.
({15})
Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.
Die Daten zur wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklung machen erstens deutlich, dass eine Wende zum
Besseren erkennbar ist.
({16})
Zweitens können wir ein Jahr nach dem Regierungswechsel feststellen, dass die Richtung, die die große Koalition eingeschlagen hat, stimmt.
({17})
Nun hat für die SPD-Fraktion der Kollege
Dr. Hermann Scheer das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind es gewohnt, im Zusammenhang mit der
Arbeitsmarktpolitik fast nur noch über Konjunkturpolitik und Arbeitsmarktorganisation zu reden. Beides ist
sicher wichtig. Aber ich denke, das Augenmerk sollte in
sehr viel stärkerem Maße auf die strukturpolitischen Effekte gelenkt werden. Denn auf dem Gebiet der Strukturpolitik haben wir in den letzten Jahren sehr wichtige
Grundlagen geschaffen, die nun zur Entfaltung kommen.
Ich bin mir relativ sicher, dass vieles an der Wende auf
dem Arbeitsmarkt weniger auf die Aktivitäten von Globalplayern zurückgeht - deutschen Globalplayern - als
auf die Stimulierung der Aktivitäten von Regionalplayern.
Das, was in den letzten Jahren unter Rot-Grün begonnen worden ist, verspricht nun von der großen Koalition
fortgesetzt zu werden. Dies ist vor allem bei der Mobilisierung des neuen Industriezweiges der Energietechnologien und hier insbesondere auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien der Fall. Wir hatten und haben hier
jährliche Wachstumsraten von 30 Prozent, immer noch.
Das Investitionsaufkommen geht überwiegend in binnenwirtschaftliche Aktivitäten und ist allein auf dem
Stromsektor mittlerweile größer als das Investitionsaufkommen der vier großen deutschen Stromkonzerne zusammen. Neue Industriezweige entstehen und sind auf
dem Weg, große Exportchancen zu nutzen. Auf dem
Sektor der Anlagentechnologien haben wir die Chance,
zum Weltmarktführer zu werden.
Das heißt, hierin stecken Chancen, wie sie vor vielen
Jahrzehnten von dem berühmten Ökonomen Kondratjew
beschrieben worden sind. Er sprach von langen Wellen
einer neuen Konjunktur, die strukturpolitisch ausgelöst
worden ist. Eine solche lange Welle kam etwa durch die
Eisenbahn zustande, durch die Elektrifizierung, durch
das Automobil, durch das Fernsehen, durch die Weiße
Ware. Eine ähnliche Entwicklung, nur nicht mit Arbeitsplatzeffekten in weltweitem Maßstab - denn wir müssen
in der Kategorie einer fortgeschrittenen Industrienation
denken -, haben wir auf dem Gebiet der Informationstechnologien. Mit den vorigen langen Wellen vergleichbare Arbeitsplatzeffekte gehen mit diesen Technologien allerdings nicht einher. Das liegt daran, dass ihr
Charakter - ohne dass dies gegen sie spräche - in einem
umfassenden Strukturwandel besteht, der mit Arbeitsplatzabbau, im Dienstleistungsbereich und im Produktionsbereich, verbunden ist. Konjunktureffekte haben
diese Technologien durchaus, aber eben keine entsprechenden Arbeitsplatzeffekte.
Doch auf dem Gebiet der Energietechnologien haben
wir wieder die Chance auf Arbeitsplatzeffekte. Wenn wir
diesen Kurs halten und uns nicht selber bremsen, wenn
wir nicht zu viel Bedenkenträgerei zeigen, können hier
Industriezweige entstehen, können Technologien hergestellt werden, die gleichzeitig helfen, die Umwelt zu sanieren und Sozial- und Umweltfolgen negativer Art zu
vermeiden. Diese Industriezweige können so groß werden wie heute die Automobilindustrie. Vor allem können
sie traditionelle Energiezweige wieder befruchten, etwa
die Stahlindustrie. Die Automobilindustrie werden sie
befruchten müssen. Wenn die Automobilindustrie diesen
Weg nicht kompetent und mutig mitgeht, bestehen große
Gefahren für unsere Volkswirtschaft. Denn jeder weiß,
welche Rolle die Automobilindustrie spielt und nur spielen kann, wenn sie diese technologische Entwicklung,
die eine tiefe ökologische und soziale Komponente hat,
federführend mitgestaltet.
Das sind die Ansätze. Wenn wir die Wende auf dem
Arbeitsmarkt, die spürbaren Aktivitäten im zurückliegenden Jahr betrachten, sehen wir, dass die größte Rolle
spielt, was wir mit der Vervierfachung der Mittel für das
Programm für die ökologische Altbausanierung erreicht
haben. Ich wundere mich, dass das so selten genannt
wird.
Die Summe der neu geschaffenen Arbeitsplätze wurde
statistisch noch nicht genau erfasst. Angesichts der Investitionsmittel, die hier geflossen sind - sie haben sich
vervierfacht -, können wir damit rechnen, dass alleine in
diesem Sektor im letzten Jahr eine sechsstellige Zahl an
neuen Arbeitsplätzen geschaffen werden konnte.
({0})
Herr Kollege, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.
Ich glaube, durch die verstärkte Aufmerksamkeit darauf wurden zusätzliche politische Aktivitäten stimuliert
und manche letztlich fruchtlosen Auseinandersetzungen
über diese Frage zum Wohle von uns allen beendet.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Laurenz Meyer für die
CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Zahlen und Ergebnisse, die vor uns liegen und über
die wir heute sprechen, sind sicher allemal viel besser,
als wir sie uns für dieses Jahr erhofft haben.
Ich muss ganz offen sagen, dass ich es zu Beginn dieses Jahres nicht für möglich gehalten habe, dass wir innerhalb eines Jahres den Prozess, in dem über Jahre hinweg 400 000 bis 500 000 sozialversicherungspflichtige
Arbeitsplätze verloren gegangen sind,
({0})
Laurenz Meyer ({1})
umdrehen und 200 000 und mehr zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse schaffen
können. Ich habe es für eine wirklich sehr anspruchsvolle
und ambitionierte Zielsetzung gehalten, als das in den
Koalitionsverhandlungen besprochen worden ist.
Dass uns das in diesem Jahr gelungen ist, ist Voraussetzung für vieles, über das wir zurzeit diskutieren. Das
ist allerdings auch das Ergebnis der Regierungspolitik.
Herr Müntefering hat zu Recht auf das 25-MilliardenEuro-Programm hingewiesen, das eben kein Investitionsprogramm im alten schmidtschen Sinne, sondern
zielgerichtet ist. Denken Sie nur an die mit der Effizienzsteigerung in den Häusern verbundene Senkung des
CO2-Ausstoßes. Dies ist der günstigste Weg, um eine
CO2-Minderung zu erreichen - viel günstiger, als irgendwo auf dem platten Land noch zusätzliche Windräder zu subventionieren.
({2})
Das ist die Situation.
Das, was Herr Scheer eben gesagt hat, ist völlig richtig, aber wir müssen uns auf die Teilbereiche konzentrieren, in denen das wirklich etwas bringt. Mit der Anschubfinanzierung für die Offshore-Anlagen gemäß dem
Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz und Ähnlichem mehr haben wir das jetzt wieder getan. Das muss
dort geschehen, wo das Sinn macht.
Bei den Menschen in Deutschland hat sich auch viel
getan. Vor wenigen Wochen war ich bei Rolls-Royce in
Brandenburg,
({3})
wo ich mir die Produktion der Flugzeugturbinen angesehen habe. Ein weiterer Teil der Produktion von Flugzeugturbinen für Airbus wird jetzt nach Deutschland
verlegt.
({4})
- Herr Niebel, hören Sie jetzt gut zu: Es tut sich hier
viel. Das müsste Sie eigentlich freuen und das müssten
auch Sie bejubeln. - Das haben übrigens auch die Arbeitnehmer bewirkt. Es geht nicht nur um die Fertigung
der Turbinen, sondern auch um das neue Instandhaltungswerk, das jetzt in Thüringen gebaut wird.
Zum Schluss gab es einen Wettbewerb zwischen Arnstadt in Thüringen und Tschechien. Nach Meinung der
Verantwortlichen in Großbritannien, die den Auftrag
nach Thüringen gegeben haben, wurde der Wettbewerb
dadurch entschieden, dass die Menschen in Thüringen
bei den Abmachungen über die Arbeitszeiten flexibler
waren als die Menschen in Tschechien. Das war auch
notwendig: Wenn eine Turbine zur Überholung angeliefert wird, dann muss gearbeitet werden, wenn keine da
ist, dann vielleicht nicht. Die thüringischen Arbeitnehmer waren flexibler und haben sich darauf eingelassen.
Dass der Auftrag nach Thüringen vergeben wurde, ist
bei einem Gehaltsgefüge, das unverändert gegen Thüringen gesprochen hätte, bemerkenswert und zeigt die Veränderung in den Köpfen. Die Flexibilität in den Betrieben ist größer geworden. Das wurde sicherlich auch
durch viele politische Diskussionen bewirkt, bei denen
die Kollegen von der SPD sich zunächst übrigens relativ
schwer getan haben.
({5})
Das, was Frau Dückert angesprochen hat, halte ich für
ein ernstes Thema. Gerade in diesen Wochen beschäftigen wir uns - Herr Müntefering, genau das machen wir
gerade - mit dem harten Kern der Arbeitslosen. Die
Frage ist: Was können wir für die weniger Qualifizierten
tun, die selbst in dieser Phase der Strukturveränderungen, in der zusätzliche Arbeitsplätze entstehen, keinen
Arbeitsplatz finden, weil diese Arbeitsplätze aufgrund
der Produktivität und des Lohngefüges in Deutschland
kaum noch angeboten werden? Das ist der Punkt. Da
müssen wir ansetzen. Sie werden das nie einsehen. Deswegen werde ich nicht weiter darauf eingehen. Wir müssen uns um diejenigen kümmern, die anders keinen
neuen Arbeitsplatz finden. Das werden wir auch tun. Sie
werden sehen: Wir kümmern uns auch um diejenigen,
die unter normalen wirtschaftlichen Bedingungen keine
neue Stelle finden.
Herr Brandner, lassen Sie mich auf einen Punkt eingehen, damit das ganz klar ist. Ich sage Ihnen ganz offen: Mit der Diskussion um links, rechts und Populismus
kann ich überhaupt nichts anfangen. Es wird Sie fürchterlich enttäuschen, wenn ich Ihnen sage, dass ich die
Forderung von Jürgen Rüttgers in den entsprechenden
Antrag für den Düsseldorfer Parteitag hineingeschrieben
habe. Spätestens jetzt müssten Sie die Sache mit dem
Linkspopulismus vergessen. Ich sehe das ganz anders.
({6})
- Lassen Sie mich doch wenigstens ausreden. - Es geht
nicht nur um das Gerechtigkeitsgefühl der Menschen.
Ich finde es besser, sich nach der Lebensarbeitszeit zu
richten, und zwar auch in der Rente, als nach dem Alter.
({7})
Nur das Alter zu nehmen, halte ich für das falsche Kriterium. Die Arbeitslosenversicherung ist auch heute keine
reine Schadensfallversicherung. Für junge Menschen
oder solche, die nur ganz kurz gearbeitet haben, gilt eine
andere Regelung als für diejenigen, die schon viele Jahre
gearbeitet haben. Für die älteren Menschen gilt wiederum eine andere Regelung. Dass das stringent ist, kann
heute keiner behaupten. Darüber sollte man in Ruhe reden.
Einen anderen Punkt halte ich aber für noch viel
wichtiger. Den Ausdruck „Schonvermögen bei Rentenersparnissen“ finde ich falsch.
Herr Kollege, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.
Ich bin beim letzten Punkt und möchte dazu nur noch
zwei Sätze sagen. - Es ist nämlich so, dass der Staat jeden Euro, den er in Zeiten von Arbeitslosengeld II einspart, hinterher erneut zahlen muss, wenn die Menschen
im Alter in Rente gehen.
({0})
- Nein, das habe ich in der Vergangenheit nie abgelehnt. Hier kann es ausschließlich um Beiträge gehen.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist überschritten.
Ich komme kaum dazu, meinen Satz zu Ende zu bringen.
Das hilft aber leider nichts.
({0})
Es geht ausschließlich um Rentenansprüche, nicht um
eine Lebensversicherung, also um Beiträge, die mit
65 Jahren ausgezahlt werden.
({0})
Das sollten wir in Erinnerung behalten. Das werden wir
in aller Ruhe miteinander besprechen, und zwar so, wie
es die Menschen von uns erwarten.
({1})
Das Wort hat nun die Kollegin Doris Barnett für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eigentlich dreht sich doch die Debatte um die Wende am
Arbeitsmarkt. Da können wir uns seit langer Zeit wieder
freuen: Wir haben etwas erreicht. Lassen Sie uns das
doch nicht wieder mit tausend Nichtigkeiten aus anderen
Ressorts kleinreden.
({0})
Wir freuen uns darüber, dass es wieder mehr Arbeitsplätze gibt. Die Menschen sind wieder zuversichtlich
und können für sich und ihre Familien den Lebensunterhalt verdienen.
Ich komme zu diesen „tollen“ Statistiken, die es manchen Leuten angetan haben. Aber sie sind in Wirklichkeit wie Wegweiser für einen Betrunkenen: Er weiß den
Weg, aber er geht ihn nicht. Deswegen sind die Wegweiser hin und wieder falsch. - Schauen wir uns einmal die
Statistiken zum Wirtschaftswachstum an, die immer
wieder vorgetragen werden. Vor ganz kurzer Zeit hat uns
die OECD noch gesagt, dass das Wirtschaftswachstum
in diesem Jahr 1,8 und im nächsten Jahr 1,2 Prozent betragen wird. Der Sachverständigenrat hat am 2. November, also zwei Monate später, von einem Wachstum von
2,3 in diesem und von 1,4 Prozent im nächsten Jahr gesprochen. Die Bundesregierung geht mittlerweile etwas
zuversichtlicher von einem Wirtschaftswachstum von in
diesem Jahr 2,4 und im nächsten Jahr von 1,5 Prozent
aus.
({1})
Ich würde sagen: Es ist an der Zeit, dass wir uns aufgrund dieser kurzen Halbwertszeiten der Statistiken eher
mit den echten Zahlen befassen und uns über diese Entwicklung freuen.
({2})
Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass uns
prognostiziert worden ist, wir würden erst im nächsten
Jahr die kritische Marke von 10 Prozent Arbeitslosigkeit
unterschreiten. Jetzt haben wir es schon im Oktober geschafft.
({3})
Dabei muss man auch berücksichtigen, von welcher
Lage wir ausgegangen sind. Wir haben es geschafft, die
Zahl der 5,2 Millionen Leistungsempfänger um 1,2 Millionen Menschen - darunter mehr als 600 000 Sozialhilfeempfänger - zu senken.
({4})
Die Zahl der Selbstständigen - das freut mich, weil
wir auch darauf immer wieder drängen - hat sich allein
im dritten Quartal dieses Jahres um 40 000 erhöht. Das
ist doch ein Erfolg. Dieses Jobwunder hat seine Ursachen und es hat auch eine relativ lange Vorlaufzeit gehabt. Aufbauend auf der Lissabonstrategie, die wir im
Jahr 2000 vereinbart haben, haben wir vor einigen Jahren die Agenda 2010 mit vielen Gesetzen beschlossen,
die dazu geführt haben, dass wir allmählich die Ernte unseres Erfolges einfahren können.
({5})
Wir haben auch den Mittelstand gefördert und eine
Unternehmensteuerreform vorgelegt. Das alles wird sich
entsprechend auswirken.
An dieser Stelle sollten wir auch dankbar zur Kenntnis nehmen - ich freue mich sehr darüber -, dass die
Arbeitnehmerschaft und allen voran ihre Gewerkschaften über Jahre mit moderaten Lohnabschlüssen dafür gesorgt haben, dass der Standort Deutschland wieder interessant wird. Heute Morgen hat uns der Kollege
Hofbauer von der CSU im Ausschuss mitgeteilt, dass ein
Betrieb aus seinem Wahlkreis, der über die Grenze nach
Tschechien verlagert worden ist, wieder nach Deutschland zurückkehrt, weil die Arbeitsbedingungen insbesondere für qualifizierte Kräfte in seinem Wahlkreis besser sind.
({6})
Angesichts des Mangels an Fachkräften gibt das Anlass
zur Hoffnung und zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg
sind.
Herr Meyer, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen,
dass wir zum Beispiel mit dem KfW-Programm mit einem Volumen von 1,4 Milliarden Euro viel angestoßen
haben. Die Mittel aus diesem Programm, mit dessen
Hilfe zum Beispiel Häuser energetisch saniert werden
können, waren schon im Mai ausgeschöpft. Das hat sich
auch auf das Handwerk ausgewirkt: Zurzeit sind unter
anderem 21 000 Elektrikerstellen, 18 000 Schlosserstellen, 14 000 Installateurstellen, je 8 000 Maurer- und Malerstellen sowie je 6 000 Zimmerer- und Dachdeckerstellen offen. Das zeigt, dass unsere Maßnahmen Wirkung
haben. Jetzt brauchen wir Menschen, die diese Arbeiten
verrichten können. Den Handwerker, der das eigene
Häuschen sanieren soll, sucht man nicht mit einer europaweiten Ausschreibung; den sucht man sich vor Ort
und man braucht ihn auch vor Ort.
Insofern besteht ein entsprechender Bedarf an Ausund Weiterbildung. Deutschland ist ein attraktiver Standort. Hier kann Geld verdient werden und es wird viel
Geld verdient. Die Wirtschaft hat sich auf den Weg gemacht, und zwar so erfolgreich, dass viele Tausend neue
Arbeitsplätze geschaffen wurden. Diese Entwicklung
soll auch im Januar 2007 anhalten. Insofern ist noch gar
nicht gesagt, dass der durch die Mehrwertsteuererhöhung befürchtete Knick tatsächlich eintritt.
({7})
Vielleicht geht er wie ein laues Lüftchen an uns vorbei.
Drücken Sie uns besser die Daumen, statt alles mies zu
machen!
({8})
Es geht um die Menschen, die wir vertreten. Wir können doch nicht so tun, als wäre alles schlecht, was hier
gemacht wird. Wir machen es schließlich für die Menschen in unseren Wahlkreisen.
({9})
Deswegen wäre es wichtig, dass wir zusammenarbeiten
und alles unternehmen, um die Arbeitsbedingungen für
die Menschen weiter zu verbessern, statt sie mies zu machen.
Ich hoffe, dass es künftig zu mehr Einstellungen
kommt, dass die Entlassungswelle endlich gebremst
wird und dass wir vielleicht zu der Einsicht kommen,
dass es hin und wieder zu Managementfehlern kommt,
die insbesondere für die Existenz der Arbeitnehmer wesentlich gravierender sind als das Kündigungsschutzgesetz, das zwar vielleicht die eine oder andere Einstellung
verhindern mag, aber letztlich ein Segen für die Menschen in unserem Land ist.
Vielen Dank.
({10})
Nun hat der Kollege Peter Rauen für die CDU/CSUFraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Barnett hat Recht: Man sollte hier gelegentlich
auch über gute Nachrichten sprechen; denn bei dem, was
sich im Land entwickelt, spielt die Psychologie ebenfalls
eine große Rolle.
Es steht außer Frage: Die Steuerschätzungen dieses
Herbstes und die Arbeitsmarktzahlen im Oktober waren
gute Nachrichten. Das wird sich meiner Meinung nach
fortsetzen. Deutlicher als mit den Arbeitsmarktzahlen
lässt sich die stattgefundene Trendwende nicht beschreiben. Deshalb möchte ich auf diese Zahlen genauer eingehen.
Wir hatten im September 2000 mit über 28 Millionen
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten den Höchststand und im Februar dieses Jahres den Tiefstpunkt - damals gab es im Vergleich zu 2000 rund 2,5 Millionen
sozialversicherungspflichtig Beschäftigte weniger - erreicht. Im Jahresschnitt haben wir von 2000 bis 2005
rund 1,7 Millionen bis 1,8 Millionen ordentliche Beschäftigungsverhältnisse verloren. Bedenken Sie: Fünfeinhalb Jahre, 65 Monate hintereinander, war die Zahl
der Beschäftigten, die Beiträge zahlen, geringer als im
Vorjahresmonat.
Dieser Trend wurde im April dieses Jahres mit einem
Plus von 18 204 ordentlich Beschäftigten endgültig gebrochen. Im Mai gab es ein Plus von rund 104 000, im
Juni ein Plus von rund 153 000, im Juli ein Plus von
233 896 und im August ein Plus von 258 016. Der Aufwuchs ist zwar langsam, aber sehr stabil. Er findet ausnahmslos in allen Bundesländern statt. In den neuen
Bundesländern ist der Zuwachs prozentual sogar etwas
stärker als in den alten Bundesländern; das ist aus meiner
Sicht sehr erfreulich. Ich gehe davon aus, dass sich diese
Entwicklung im September und im Oktober dieses Jahres fortgesetzt hat - die entsprechenden Zahlen werden
wir erst zwei Monate später erhalten - und dass es darüber hinaus weitergeht.
Die positive Entwicklung der Zahl der ordentlich Beschäftigten und der Anstieg bei den Steuereinnahmen
sind für mich zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Das eine hängt mit dem anderen zusammen. Wenn im
Schnitt - wie in den letzten fünf Jahren geschehen 1,8 Millionen sozialversicherungspflichtige Stellen abgebaut werden und wenn wir von einem Durchschnittsverdienst in Höhe von 2 500 Euro im Monat ausgehen,
dann bedeutet das, dass den Sozialkassen 24 Milliarden
Euro im Jahr fehlen, dass die dadurch verursachte Arbeitslosigkeit den Staat - unterstellt, dass das durchschnittliche Arbeitslosengeld bei 1 000 Euro liegt - rund
23 Milliarden Euro kostet und dass dem Fiskus - unterstellt, dass bei einem Durchschnittsverdienst von
2 500 Euro rund 200 Euro Steuern im Monat gezahlt
werden - 4,5 Milliarden Euro fehlen, genauso wie den
Sozialkassen. Das heißt, allein dieser Rückgang macht
50 Milliarden Euro pro Jahr aus. Nun haben wir endlich
die Trendwende geschafft; das ist unglaublich wichtig.
Es ist daher richtig, darüber zu sprechen. Diese Aktuelle
Stunde ist keine Showveranstaltung.
({0})
Ich bin fest überzeugt davon: Damit die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt anhält, ist es zwingend
geboten, dass zu viel gezahlte Beiträge an die Arbeitnehmer und die Firmen zurückgezahlt werden. Die von der
Regierung beschlossene Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags um 2,3 Prozentpunkte ist daher richtig,
genauso wie die Entscheidung, die Steuermehreinnahmen für eine Verringerung der Nettokreditaufnahme und
für einen Einstieg in die Steuerfinanzierung der Krankenversicherung zu nutzen, um die Beiträge zu stabilisieren.
({1})
Ich bin überzeugt, dass wir, wenn wir diesen Weg
konsequent weitergehen - indem wir jeden Spielraum,
der durch mehr Leistung entsteht, nutzen, um die Lohnnebenkosten zu reduzieren mit dem Ziel, dass die Menschen, die Arbeit haben, netto mehr in der Tasche haben
und dass die Arbeitskosten sinken -, erfolgreich sein
werden und so mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung schaffen werden. Nur so werden wir letztendlich die Probleme auf dem Arbeitsmarkt lösen können.
({2})
Diesen Weg konsequent weiterzugehen und nicht
neuen sozialen Populismus zu betreiben, ist für den Arbeitsmarkt wesentlich wichtiger, als wir uns alle vorstellen. Das Ganze dient dem Wohl unserer Gesellschaft,
dem Funktionieren der sozialen Sicherungssysteme und
letztlich der Sanierung der Staatsfinanzen und ist daher
im Sinne unserer Kinder und Enkel.
Schönen Dank.
({3})
Nun hat das Wort die Kollegin Silvia Schmidt für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Gestatten Sie mir, für die ständigen Schwarzseher und Jammerer vom Dienst deutliche Zahlen zu
nennen, die wir mit unserer positiven, aktiv betriebenen
Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik insbesondere in
den neuen Bundesländern erreicht haben. Diese Zahlen
kann niemand leugnen.
Wir sehen, die Arbeitsmarktsituation in Deutschland
hat sich deutlich verbessert, ganz besonders in den neuen
Bundesländern, nur redet keiner darüber.
({0})
Über den anderen Punkt redet auch niemand - der
wird immer verdrängt -: Wirtschaft schafft Arbeitsplätze, Politik kann nur Rahmenbedingungen setzen. Die
Tatsache, dass sich bereits 56 000 Menschen weniger in
der Arbeitslosigkeit befinden, ist ein positives Zeichen.
Das sollte man verdammt noch einmal zur Kenntnis nehmen.
Wir haben in die neuen Länder investiert und das
zahlt sich nun aus. Der Bund hat für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ in den neuen Ländern von 2003 bis 2005
6,2 Milliarden Euro bereitgestellt. Mit den Fördermitteln
wurde ein Investitionsvolumen von rund 24 Milliarden
Euro angestoßen. Die gewerbliche Wirtschaft konnte so
66 000 zusätzliche Dauerarbeitsplätze in den neuen Bundesländern schaffen. 189 000 Arbeitsplätze wurden
allein dadurch gesichert. Kleine und mittlere Unternehmen haben hiervon profitiert, zum Beispiel die Meyenburger Möbel GmbH in Brandenburg. Da sind es
269 Arbeitsplätze und 13 Ausbildungsplätze. Das ist die
eine Seite der Medaille.
Die andere Seite ist natürlich die aktive Arbeitsmarktpolitik seit dem Jahr 2005. 5,9 Milliarden Euro wurden
von der Bundesagentur für Arbeit allein in die neuen
Länder investiert. Trotz des Rückgangs von Maßnahmen
der aktiven Arbeitsförderung in den letzten Jahren, der
in den neuen Ländern um die 20 Prozent betrug, ist die
Arbeitsmarktpolitik auf einem hohen Niveau weitergeführt worden.
({1})
Ich nenne Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation
und zur beruflichen Weiterbildung. Es gab insgesamt
500 000 Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik
und das waren nicht nur solche zur Schaffung von 1-EuroJobs. Es ist richtig, in die Zukunft, also in junge Menschen zu investieren.
({2})
Sie haben jetzt einen Rechtsanspruch. Für diese Integration wurden alleine seit 2005 rund 5,1 Milliarden Euro
Silvia Schmidt ({3})
ausgegeben, davon 2,1 Milliarden Euro in den neuen
Bundesländern. Das sind alleine schon 40 Prozent. Bundesweit wurden über 600 000 Jugendliche unterstützt,
260 000 in den neuen Ländern. Das am 1. September gestartete Bund-Länder-Programm im Rahmen des Ausbildungspaktes verpflichtet den Bund, bis 2009 zusätzlich
88 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen.
Das Ergebnis all dieser Maßnahmen ist: Die Zahl der
Arbeitslosen im Alter von 15 bis 24 Jahren in den neuen
Ländern ist um über 24 000 Personen gesunken. Das
sind immerhin 13 Prozent. Das ist gut, wir kennen aber
durchaus noch die Zahlen der jugendlichen Arbeitslosen.
Wir haben dafür gesorgt, dass sich die jungen Leute qualifizieren können. Das ist gerade in den neuen Bundesländern wichtig; denn hier herrscht ein akuter Fachkräftemangel.
Wir haben auch noch folgende Programme für Langzeitarbeitslose bzw. für die älteren Arbeitslosen gerade
in den neuen Bundesländern angeschoben: Das Bundesprogramm „Perspektive 50 plus - Beschäftigungspakte
für Ältere in den Regionen“ fördert 62 Regionalprojekte,
davon allein 23 Regionalprojekte in den neuen Bundesländern. Das sind immerhin 40 Prozent der zur Verfügung stehenden Mittel. Das heißt, hier wurden zusätzlich
über 1 100 Arbeitsplätze geschaffen. Daran kann man
nicht vorbeigehen. Das muss man einfach wahrnehmen.
Sonst fragt man sich, wie Arbeitsmarktpolitik in Zukunft
noch aussehen soll. Mit dem Projekt „30 000 Zusatzjobs
für Ältere ab 58 Jahren“ wurden weitere 7 300 Menschen in den neuen Ländern gefördert.
({4})
Das sind Ergebnisse, die sich sehen lassen können.
Ich fordere alle auf, besonders die Linkspartei, das zur
Kenntnis zu nehmen und zu sagen: Ja, das ist ein Schritt
in die richtige Richtung.
({5})
Rund 19 400 ältere Arbeitslose weniger in den neuen
Bundesländern - das ist ein Zeichen. Das sind immerhin
5 Prozent. Der Arbeitsmarkt in den neuen Ländern ist
ein guter Indikator für einen stabilen und nachhaltigen
Aufschwung. 47 000 neue sozialversicherungspflichtige
Beschäftigungsverhältnisse gibt es jetzt in den neuen
Bundesländern. Das ist genau wie in den alten Bundesländern ein Zuwachs um 1 Prozent. Dieses Zeichen sollten wir nicht missachten.
Wir verschließen die Augen vor den noch anstehenden Problemen nicht. Wir kennen die bedrückenden
Zahlen und wir werden auch reagieren. Das zeigen wir
- Klaus Brandner hat es vorhin deutlich gemacht -: Wir
wollen den dritten Arbeitsmarkt entwickeln.
({6})
Aber verschließen Sie die Augen vor der Trendwende
nicht! Sie wollen Hoffnungslosigkeit pflegen. Das passt
zu Ihrem Image; das ist Ihr Weltbild. Sie wollen Stillstand, aber die Welt dreht sich weiter.
Vielen Dank.
({7})
Als letzter Redner in dieser Debatte hat nun der Kollege Norbert Barthle für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die heutige Aktuelle Stunde beschäftigt
sich auch mit dem Zusammenhang zwischen der Situation auf dem Arbeitsmarkt und den öffentlichen Haushalten. Lassen Sie mich auf diesen Aspekt noch etwas
eingehen.
Ich will zuallererst sagen: Die Wende auf dem Arbeitsmarkt wirkt sich auf die Situation unserer öffentlichen Haushalte ausgesprochen positiv aus. Das tut uns
allen gut.
({0})
Wie gut uns das tut, will ich denjenigen, die immer
von „Schönreden“ sprechen - Herr Kollege Niebel von
der FDP, Frau Dückert von den Grünen, Linke sowieso -,
kurz vor Augen führen, indem ich einen kurzen Blick auf
die Situation vor eineinhalb Jahren werfe. Noch im
Jahre 2005 haben wir jeden Tag 1 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse verloren, Frau
Dückert. Im Sommer des Jahres 2005 wurde ein Bundeshaushalt für das Jahr 2006 aufgestellt, der das Bundeskabinett vor ein finanzielles Desaster gestellt hat. Dieser
Haushalt sah so schlimm aus, dass das Kabinett ihn noch
nicht einmal zur Kenntnis genommen hat.
({1})
Die heutige Situation ist fundamental anders und
- wohl wahr - ein Grund zur Freude.
({2})
In dieser Situation besteht tatsächlich die Perspektive auf
eine nachhaltig positive Entwicklung. In diesen Tagen
war in der „Stuttgarter Zeitung“ ein Kommentar zu lesen, der in etwa lautete: Wäre Altbundeskanzler
Schröder noch im Kanzleramt, würde er dort mit Sicherheit jede Woche ein Feuerwerk zünden. Das ist wohl
wahr.
Es ist richtig - ich stimme Minister Müntefering voll
und ganz zu -: Der Schlüssel für die Sanierung unserer
Haushalte, für die Konsolidierung des Bundeshaushalts,
für die Aufrechterhaltung unserer sozialen Sicherungssysteme ist der Arbeitsmarkt.
({3})
Wenn es uns gelingt, dafür zu sorgen, dass diese positive
Entwicklung anhält, dann werden alle unsere Probleme
wesentlich leichter zu lösen sein.
({4})
Der beste Beleg dafür ist tatsächlich die Steuerschätzung, die uns vor wenigen Tagen vorgelegt wurde. Diese
Steuerschätzung verspricht uns für die Jahre 2006 und
2007 Steuermehreinnahmen von nahezu 40 Milliarden
Euro. Das ist der größte Anstieg seit der deutschen Wiedervereinigung. Das versetzt uns in die gute Situation,
beim Haushalt 2006 - wie wir immer sagen, ein Übergangshaushalt - deutlich nachsteuern zu können.
Auch wenn von den annähernd 40 Milliarden nur
knapp 19 Milliarden Euro beim Bund ankommen - vom
Rest profitieren Gott sei Dank die Länder und die Gemeinden, die somit wieder mehr investieren können -, so
muss man festhalten, dass wir den größten Teil der fast
9 Milliarden Euro Mehreinnahmen für das Jahr 2006
dazu verwenden, die Nettokreditaufnahme deutlich abzusenken: Statt 38,3 Milliarden Euro werden wir bei
etwa 30 Milliarden Euro landen, vielleicht sogar darunter. Das wäre trotz dieser hohen Kreditaufnahme immerhin ein positives Zeichen. Wir würden die Maastrichtkriterien dann nicht mehr reißen, sondern bei 2,2 Prozent
landen. Damit würden wir einen Konsolidierungspfad
einschlagen, den wir hoffentlich weiterhin beschreiten
können.
Wie sieht die Situation im Jahr 2007 aus? Gerade jetzt
führen wir im Haushaltsausschuss die abschließenden
Beratungen zum Haushalt 2007 durch. Wir werden auch
dort die knapp 9 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen
sinnvoll verwenden. 3 Milliarden Euro davon sind schon
etatisiert. Von den restlichen 6 Milliarden Euro fließen
etwa 4 Milliarden Euro in den Bereich Haushaltsrisiken
auf dem Gebiet des Arbeitsmarktes. Die restlichen gut
2 Milliarden Euro werden wir zur Absenkung der Nettokreditaufnahme verwenden. Das heißt, wir senken die
Neuverschuldung, und zwar auf voraussichtlich etwa
19,6 Milliarden Euro. Das wäre die geringste Neuverschuldung seit der deutschen Wiedervereinigung.
Wenn als Botschaft aus dieser Aktuellen Stunde und
aus den Beratungen im Hohen Hause in diesen Tagen
von uns nach außen getragen wird, dass die große Koalition, die Koalition aus SPD und CDU/CSU, ein Synonym für Haushaltskonsolidierung ist, dass dies das neue
Branding, das neue Markenzeichen dieser Koalition
wird,
({5})
dann haben wir Großartiges geleistet. Es ist ein Riesenerfolg für diese Koalition.
({6})
Wie wichtig das ist, wissen wir nicht nur deshalb,
weil ein konsolidierter Bundeshaushalt Voraussetzung
ist für solide Politik, für einen handlungsfähigen Staat
und auch für die immer wichtiger werdende Generationengerechtigkeit. Das, Kollegin Dückert, ist auch Nachhaltigkeit im besten Sinne des Wortes. Sie hätten lange
genug Zeit gehabt, das zu realisieren. Jetzt dürfen Sie es
wenigstens beklatschen.
({7})
Wie wichtig das ist, vermittle ich meinen Wählerinnen und Wählern im Wahlkreis immer so: Nur 1 Milliarde neue Schulden bedeuten 30 Millionen neue Zinsen
Jahr für Jahr. 30 Millionen Zinsen bedeuten: Eine Ortsumfahrung im Wahlkreis kann nicht gebaut werden. Das
gilt Jahr für Jahr. Bei 20 Milliarden neuen Schulden sind
es Jahr für Jahr 20 Ortsumfahrungen, die nicht gebaut
werden können. Deshalb müssen wir gemeinsam diesen
Weg weiter beschreiten.
Diese große Koalition hat die Kraft, die Neuverschuldung noch weiter herunterzufahren. Die Situation auf
dem Arbeitsmarkt gibt uns dazu die notwendigen Voraussetzungen.
Herzlichen Dank.
({8})
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 9. November 2006,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.