Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/27/2006

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle herzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, freue mich über die allgemeine Freude über die heutige Tagesordnung und habe heute auch keine Veränderungen der ausgedruckten Tagesordnung anzu- kündigen. Wir können gleich, wie vereinbart, zu den Tagesord- nungspunkten 22 a bis 22 f kommen: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung ({0}) - Drucksache 16/3100 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung von Fusionsprozessen von Krankenkassen - Drucksache 16/1037 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank Spieth, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Dem Gesundheitswesen eine stabile Finanzgrundlage geben - Drucksache 16/3096 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({3}) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Gutachten 2005 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen Koordination und Qualität im Gesundheitswesen - Drucksache 15/5670 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({4}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vertragsarztrechts und anderer Gesetze ({5}) - Drucksache 16/2474 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({6}) - Drucksache 16/3157 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Harald Terpe f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frank Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert Spieth, Dr. Martina Bunge, Inge Höger-Neuling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Erlass der Rechtsverordnung zum morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich gemäß § 268 Abs. 2 SGB V - Drucksachen 16/1511, 16/3153 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Carola Reimann Ich weise darauf hin, dass wir später über das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz sowie über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zum Antrag der Fraktion Die Linke betreffend Erlass der Rechtsverordnung zum morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich - ich vermute, jeder weiß ganz genau, was damit gemeint ist - namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Bundesministerin Ulla Schmidt. ({8})

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine gute Grundlage, die Gesundheitsversorgung in Deutschland auch in Zukunft sicherzustellen. ({0}) Der Gesetzentwurf macht deutlich: Die große Koalition beugt sich nicht dem Druck der Lobbygruppen. Wir bringen Reformen auf den Weg, weil wir wissen, dass Gesundheitspolitik immer Politik für 82 Millionen Menschen in diesem Land ist und sich Einzelinteressen, so berechtigt sie im einzelnen Fall sein mögen, dem Gesamtinteresse unterordnen müssen. ({1}) Wir haben in Deutschland aus guten Gründen kein staatliches und auch kein rein privates Gesundheitswesen. Der Staat ist jedoch immer gefordert, den Rahmen für einen Wettbewerb um die beste und wirtschaftlichste Versorgung an geänderte Bedingungen anzupassen. Diese Gesundheitsreform kommt in schwierigen ökonomischen Zeiten ohne Leistungseinschränkungen für die Versicherten und ohne höhere Zuzahlungen für die kranken Menschen aus. Im Gegenteil: Wo es notwendig ist, wird der Leistungskatalog erweitert, etwa bei der besseren Versorgung sterbender Menschen, das heißt in der Palliativmedizin. Ich habe kein Verständnis dafür, wenn diese Hilfe für ein Sterben in Würde von manchen Funktionären als überflüssige Leistungsausweitung kritisiert wird. ({2}) Der vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet mehrere Reformen: eine Strukturreform, eine Finanzreform, eine Organisationsreform und eine Reform der privaten Krankenversicherung. Bei der Reform der Strukturen des Gesundheitswesens gehen wir den Weg der Modernisierung konsequent weiter. Wir schaffen mehr Wahlmöglichkeiten für die Versicherten: zwischen den Kassen, zwischen unterschiedlichen Tarif- und Versorgungsangeboten sowie zwischen den Leistungserbringern. Wir setzen Anreize zu wirtschaftlichem Verhalten von Patienten und Ärzten. Wir bauen die Möglichkeiten von Krankenkassen und Leistungserbringern aus, Einzelverträge zu schließen und die Grenzen zwischen den verschiedenen Versorgungsbereichen - niedergelassene Praxis und Behandlung im Krankenhaus; Versorgung durch Ärzte und durch Vertreter nicht ärztlicher medizinischer Berufe; Krankenhaus und Rehabilitation - zu überwinden. Dem dienen die erweiterten Möglichkeiten zur integrierten Versorgung, wobei in die integrierte Versorgung in Zukunft auch die Pflege einbezogen werden soll. Damit die Bürgerinnen und Bürger Nutznießer dieser Veränderungen werden, verpflichten wir die Krankenkassen, ihren Mitgliedern Hausarzttarife anzubieten. Wir stärken die Rechtsansprüche gesetzlich Krankenversicherter zum Beispiel auf Impfungen oder auf Leistungen der medizinischen Rehabilitation auch im Alter. Wir wollen nicht, dass die Frage, ob für einen älteren Menschen, der einen Schlaganfall hatte und pflegebedürftig ist, alles getan wird, damit seine Selbstständigkeit so lange wie möglich erhalten bleibt, weiterhin im Ermessen der Krankenkassen liegt. Wir wollen, dass jeder ältere Mensch einen Rechtsanspruch darauf hat, dass alles getan wird, was zur Erhaltung seiner Selbstständigkeit und zur Wahrung seiner Würde notwendig ist. ({3}) Damit reagieren wir zugleich auf die demografische Entwicklung der Gesellschaft. Die Menschen leben länger. Wir alle haben die Chance, auch nach dem Eintritt ins Rentenalter noch 20 oder 30 Jahre ganz gut zu leben. Wir wollen, dass die Menschen, so lange es geht, in ihrer gewohnten Umgebung und so selbstständig wie möglich leben können. ({4}) Insofern geben wir mit diesem Gesetz eine Antwort auf die Herausforderung des demografischen Wandels. Wir stellen die Vergütung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte auf eine neue Grundlage. Auch dies tun wir, weil wir wollen, dass jeder Einzelne in diesem Land eine gute medizinische Versorgung erhält. Deshalb heben wir die geltenden Budgets zum 1. Januar 2009 auf. Wir wollen mit den Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds - er führt zu einer gerechteren Verteilung der Mittel, die in die gesetzliche Krankenkasse fließen erreichen, dass krankheitsbedingte Mehrlasten nicht mehr zulasten der Ärzte gehen, sondern von der Versichertengemeinschaft getragen werden, damit eine gute Versorgung überall möglich ist. ({5}) Außerdem wird die ärztliche Leistung im Rahmen bestimmter Mengen zu Preisen in Euro und Cent vergütet. Wir wollen, dass junge Ärzte und Ärztinnen planen können, wenn sie eine Praxis eröffnen. Die gut ausgebildeten Menschen in unserem Land sollen auch in die Regionen gehen, wo medizinische Versorgung nachgefragt wird. Wir wollen Anreize dafür setzen, dass die Mediziner und Medizinerinnen nicht nur nach München, Hamburg, Köln oder in andere Großstädte, sondern auch nach Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, in den Bayerischen Wald, in die Eifel und andere Regionen gehen. ({6}) Die Veränderungen im Arzneimittelbereich und bei der Versorgung mit Hilfsmitteln stehen beispielhaft für mehr Wettbewerb. Rabatte und Ausschreibungen helfen, die Kosten zu senken. Auch die neue Kosten-NutzenBewertung vermeidet künftig überflüssige Ausgaben. Es gibt viele Arzneimittel, die sehr viel Geld kosten. Wenn diese Arzneimittel tatsächlich dazu dienen, Krankheiten besser zu behandeln, dann werden die Kassen diese Preise bezahlen. Es gibt aber viele Arzneimittel, deren Wert und Nutzen nicht höher als der von anderen Mitteln ist, die heute auf dem Markt sind. Wir treffen für die Zukunft eine Regelung, nach der nur das, was mehr nutzt, mehr kosten darf. Ein Arzneimittel, das nicht mehr nutzt, darf nicht mehr als andere Mittel, die sich bereits auf dem Markt befinden, kosten. Auch das dient einer guten Versorgung der Patientinnen und Patienten. So setzen wir das Geld der Versicherten im Gesundheitswesen wirklich effizient und effektiv ein. ({7}) Wir entscheiden heute in zweiter und dritter Lesung, über Verbesserungen beim Recht der Vertragsärzte. Ärztinnen und Ärzte haben in Zukunft mehr Freiheit, zu entscheiden, wie und wo sie sich niederlassen. In Zukunft wird es möglich sein, dass ein Arzt oder eine Ärztin zum Beispiel eine Teilzulassung für eine Praxis erhält. Damit werden wir auch beim Arztberuf dem Wunsch gerecht, Familie und Beruf besser vereinbaren zu können, und wir gehen einen Schritt dahin, dass gut ausgebildete Ärztinnen in unserem Lande die Chance haben, Beruf und Kindererziehung miteinander zu vereinbaren. Denn wir wollen Ärztinnen, die in Regionen dieses Landes gehen, in denen wir eine gute Versorgung brauchen. Die Freiheit, die ärztliche Tätigkeit teilweise im Krankenhaus und teilweise in der niedergelassenen Praxis ausüben zu können, eröffnet vielen Berufseinsteigern neue Perspektiven. In Zukunft werden wir alles, was einer solchen Tätigkeit heute entgegensteht, beseitigen und alles, was hilft, die Grenze zwischen ambulanter und stationärer Tätigkeit zu überwinden, ermöglichen. Mit diesen Veränderungen bringen wir moderne Strukturen auf den Weg und wir werden den Arztberuf damit attraktiver machen. ({8}) Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang eine Anmerkung zu den Drohungen mancher Funktionäre in diesen Wochen - insbesondere aus den Facharztverbänden -, man werde aus den Kollektivverträgen austreten. Ich rate dazu, sich einen solchen Schritt gut zu überlegen. Es gibt viele, die einen solchen Schritt begrüßen würden. Deshalb sage ich allen, die die Ärzte auf die Straßen schicken wollen: Weisen Sie auch darauf hin, was die Folgen des Austritts der Ärzte aus den Kollektivverträgen sein werden! Das würde sicherlich ein schnelles Ende der im Ausland weitgehend unbekannten doppelten Facharztstruktur bedeuten. Die Kassen würden den Sicherstellungsauftrag durch die Öffnung der Krankenhäuser erfüllen. Und die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte müssten sich dann um Verträge bewerben. Das kann man wollen und das kann man auch alles organisieren. Aber ich bin dafür, den Ärzten, die man auf die Straße schickt, reinen Wein bezüglich der Konsequenzen einzuschenken. ({9}) Dann werden wir weitersehen. Das Kernstück der Reform ist die Neuordnung der Finanzierung mit der Einrichtung eines Gesundheitsfonds, der einen neuen Risikostrukturausgleich erst ermöglicht. Es wird viel von einem bürokratischen Monster geredet. ({10}) Dieser Vorwurf ist nicht berechtigt. Schon heute führt das Bundesversicherungsamt einen Finanzkraftausgleich, der unvollständig ist, und einen Risikostrukturausgleich durch, der ebenfalls unvollständig und nicht zielgenau ist. Mit dem Gesundheitsfonds werden wir das verbessern. ({11}) Wir organisieren diese Finanzströme künftig so, dass dieselben Mitarbeiter des Bundesversicherungsamtes, die heute den Risikostrukturausgleich und den Finanzkraftausgleich durchführen, in Zukunft die Gelder der Versicherten bündeln und dafür sorgen, dass diese Gelder gerecht verteilt werden, damit überall in Deutschland - auf dem Land, in der Stadt und in jeder Region - eine gute medizinische Versorgung organisiert werden kann. ({12}) - Es wundert mich sehr, dass jemand von der Linkspartei ({13}) sich dagegen ausspricht, dass wir dafür sorgen, dass in die neuen Bundesländer Geld fließt, um Ärztinnen und Ärzte zur Niederlassung in diesen Regionen zu bewegen, was die Menschen dort brauchen. Darüber sollten Sie einmal nachdenken. ({14}) Unterschiedliche Krankheitsrisiken und unterschiedliche Einkommensstrukturen werden so ausgeglichen. Die Kassen erhalten aus dem Fonds das, was sie zur durchschnittlichen Versorgung ihrer Versichertenstruktur benötigen. Dann wird sich zeigen, welche Kasse tatsächlich wirtschaftlich mit dem Geld der Versicherten umgeht. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir wollen mehr Transparenz, damit die Versicherten sehr viel besser darüber urteilen können, ob die einzelne Kasse gut wirtschaftet oder nicht, ob eine Kasse sich bemüht, zum Beispiel Zusatzbeiträge zu verhindern, gute Versorgungsangebote zu organisieren, gute Tarife anzubieten und von den neuen Möglichkeiten der Preis- und Rabattverhandlungen Gebrauch zu machen. Deswegen gehen wir diesen Weg. Viele Kassen werden damit gut zurechtkommen. Es wird viele Kassen geben, die Beiträge zurückerstatten können, und ebenso Kassen, die einen Zusatzbeitrag erheben müssen. Aber weil die Versicherten erstmals Vergleichsmöglichkeiten haben, werden sie wahrscheinlich mehr von ihrem Wechselrecht Gebrauch machen, als das heute der Fall ist. Die Versicherten werden sehen: Überall werden die gleichen Leistungen angeboten und die Risiken für die Kassen werden ausgeglichen. Deshalb können sich die Versicherten entscheiden, ob ihnen ihre Kasse einen Zusatzbeitrag wert ist oder ob sie in eine andere Kasse wechseln, in der sie keinen Zusatzbeitrag zahlen müssen. So funktioniert das. Ich glaube, das ist notwendig, damit von den Versicherten Druck auf die Kassen ausgeübt wird, vernünftig mit den Geldern umzugehen. Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich, dass ich kein Verständnis dafür habe, dass Vorsitzende von großen Kassen sagen, in Zukunft eine Politik machen zu wollen nach dem Motto: Wenn du arm bist, musst du früher sterben. - Sie sollten sich überlegen, ob sie an der Spitze einer Krankenkasse richtig sind, und sollten darüber nachdenken, dass sie ein Vielfaches des Gehalts ihrer Versicherten, die die Beiträge zahlen müssen, erhalten. Das ist nicht die Krankenkasse, wie wir sie wollen. ({15}) Krankenkassen sollen vielmehr Anwälte der Versicherten sein, ihre Vertreter, die Lobby für die versicherten Menschen, die kranken Menschen. Sie müssen sich als Dienstleister in diesem Bereich begreifen. Ich glaube, da ist eine ganze Menge an Veränderungen nötig. Dazu gehört die Entschlackung der Strukturen in den Krankenkassen. Wir brauchen weder 250 Krankenkassen noch sieben Spitzenverbände mit sieben Vorständen. Hier gilt, dass alles so durchforstet und neu organisiert werden muss, ({16}) dass dabei möglichst wenig Versichertengelder ausgegeben werden; denn wir brauchen diese Gelder für die Versorgung kranker Menschen. ({17}) Der letzte Punkt: Wir reformieren auch die private Krankenversicherung. ({18}) Erstmals wird die private Krankenversicherung sich dem Wettbewerb stellen müssen. Man sieht schon jetzt, dass die Unternehmen Furcht davor haben. Die, die immer von Wettbewerb reden, fürchten den Wettbewerb mehr als der Teufel das Weihwasser. Die privat Versicherten erhalten den Rechtsanspruch, ihre Altersrückstellungen mitzunehmen; auch sie müssen das Recht haben, zu fairen Bedingungen von einem Unternehmen in ein anderes zu wechseln. Wir werden allen nicht versicherten Menschen und allen, die originär zur privaten Krankenversicherung gehören, den Rechtsanspruch geben, ohne Ansehen ihres Krankheitsrisikos zu einem Basistarif versichert zu werden, wie es heute auch bei den gesetzlich Versicherten der Fall ist, und zwar zu bezahlbaren Preisen. Das ist einer der Punkte, über die ich besonders froh bin: dass in Zukunft in Deutschland niemand mehr ohne Krankenversicherungsschutz bleiben muss. Das ist eine der wichtigsten sozialpolitischen Errungenschaften, die wir mit diesem Gesetz auf den Weg bringen. ({19}) Viele Menschen - mehr, als wir glauben - warten darauf. Ich bitte Sie, in den kommenden Wochen mit uns dieses Gesetz zu diskutieren. Diese Reform hat ein zentrales Anliegen. Es lautet: eine gute medizinische Versorgung für 82 Millionen Menschen. Dahinter müssen alle Lobbyinteressen zurücktreten. Das ist jedenfalls das Ziel, das sich die große Koalition gesetzt hat. Vielen Dank. ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Daniel Bahr für die FDP-Fraktion. ({0})

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Was waren das für große Erwartungen an eine große Gesundheitsreform, die diese Koalition geweckt hat, ({0}) und was ist das für eine breite Ablehnungsfront, die dieser Reform entgegenschlägt! 90 Prozent der Bevölkerung lehnen die Reform ab. Sie sollten die Ablehnung nicht einfach ignorieren, meine Damen und Herren. Sie Daniel Bahr ({1}) schützen sich, indem Sie die Kritiker als Lobbyisten bezeichnen und ihnen Besitzstandswahrung vorwerfen. Aber es sollte Sie doch beeindrucken, wenn ehemalige Gegner sich gegen diese Reform verbünden: Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, ({2}) gesetzliche Krankenkassen und Privatversicherungen, Ärzte und Patientenverbände lehnen in Erklärungen diese Reform gemeinsam ab. Das ist eine Leistung, die wir uns vor einem Jahr noch nicht hätten vorstellen können. Wir hätten uns nicht vorstellen können, dass der DGB und die Arbeitgeberverbände eine gemeinsame Presseerklärung gegen diese Reform der großen Koalition abgeben. Wenn Sie schon den Betroffenen und Sachverständigen nicht glauben, Frau Schmidt, dann glauben Sie doch wenigstens Ihrem ehemaligen Kanzler. Schröder erklärte, die Gesundheitsreform sei kein großer Wurf. Das Kernstück der Gesundheitsreform, den so genannten Gesundheitsfonds, lehnt Schröder entschieden ab: Das ist ein bürokratisches Monstrum, das der Programmatik beider Parteien widerspricht und den Versicherten nicht hilft. ({3}) Das ist wortwörtlich die Formulierung, die die FDP seit Anfang dieser Reform benutzt. Frau Schmidt, Sie verhalten sich wie eine Geisterfahrerin, die ihre Mitfahrer damit beruhigen will, dass sie all die Hundert entgegenkommenden Autos als die wahren Geisterfahrer bezeichnet. Die Bundesregierung geht mit diesem Gesetz den Weg in ein staatliches und zentralistisches Gesundheitswesen. Die Politik mischt sich künftig viel mehr ein und bestimmt, wie viel Geld das Gesundheitswesen bekommt und was gute bzw. schlechte Medizin ist. Die Folgen werden Mangelverwaltung und Wartelisten sein. Die Versorgung jedenfalls wird für die Patienten schlechter. Es wird für die Versicherten und Patienten nur teurer, aber nicht besser. ({4}) Das vorliegende Gesetz löst keines der Probleme, vor denen unser Gesundheitswesen steht. Denn die eigentlichen Ziele haben Sie während der monatelangen Verhandlungen aus den Augen verloren. Die Finanzierung des Gesundheitswesens belastet weiterhin den Arbeitsmarkt. Das Problem waren steigende Beitragssätze. Was haben Sie aber für nächstes Jahr angekündigt? Steigende Beitragssätze. Sie von der Koalition sind dafür verantwortlich, wenn im nächsten Jahr die Krankenkassenbeiträge auf ein Rekordniveau steigen werden. Heute steht eine namentliche Abstimmung zum Vertragsarztrechtsänderungsgesetz an. Heute stimmen Sie von der Koalition über einen massiven Beitragsanstieg ab. Selbst bei Ausnutzung der maximalen Frist bis 2008 für die Entschuldung der Krankenkassen werden die Allgemeinen Ortskrankenkassen im Westen im Jahr 2007 ihren Beitrag um etwa 1,5 Prozentpunkte erhöhen und die im Osten sogar um 2 Prozentpunkte. Die Versicherten werden nächstes Jahr ein Rekordniveau bei den Beitragssätzen erleben. Das ist die Folge Ihrer Politik. ({5}) Diese Reform leistet überhaupt keinen Beitrag zu einer nachhaltigen Finanzierung. Sie erreicht eben nicht die nötige Abkopplung von den Arbeitskosten. Die Probleme einer alternden Bevölkerung und der dadurch steigenden Kosten, die auf das Gesundheitswesen zukommen, ignorieren Sie doch. Wir können darüber streiten, wie die steigenden Kosten verursacht durch eine alternde Gesellschaft zu bewältigen sind. Aber Sie gehen das Problem schlichtweg gar nicht an. Stattdessen werden die Lasten in diesem Umlagesystem weiter auf die Zukunft geschoben. Jetzt kommt die Forderung aus den Reihen der SPD und der CDU, es müssten mehr Steuergelder in das Gesundheitswesen gesteckt werden. Sie wollen damit nur kurzfristig die Löcher stopfen, die Sie selbst aufgerissen haben. Den Zuschuss aus der Tabaksteuer haben Sie selbst im letzten Jahr gestrichen. Mit der Mehrwertsteuererhöhung belasten Sie die Krankenkassen um 900 Millionen Euro. ({6}) Das ist alles andere als planungssicher und nachhaltig. Wenn Frau Merkel jetzt angesichts steigender Steuereinnahmen mehr Geld für die Krankenkassen fordert, aber Herr Steinbrück die Haushaltsrisiken und die Mehrausgaben für Auslandseinsätze und damit keine Möglichkeit für mehr Steuergelder für die Krankenversicherung sieht, dann können wir erkennen, worauf wir uns die nächsten Jahre einstellen müssen. Es wird einen Dauerstreit zwischen Finanzpolitik und Gesundheitspolitik geben. Die Bundesregierung entscheidet dann, wie viel Geld sie für das Gesundheitswesen zur Verfügung stellt. Es hängt vom Gutdünken des Finanzministers und Gesundheitsministers ab. Das ist Gesundheit nach Kassenlage. ({7}) Sie nennen das Gesetz Wettbewerbsstärkungsgesetz. Dabei hat das Gesetz genauso wenig mit Wettbewerb zu tun, wie ein Zitronenfalter Zitronen faltet. ({8}) Es gibt demnächst einen bundeseinheitlich festgelegten Beitragssatz. Die Bundesregierung entscheidet dann jedes Jahr, wie hoch der Beitragssatz für das nächste Jahr ist. Das ist eben keine Abkopplung von den Arbeitskosten. Daniel Bahr ({9}) ({10}) Der Faktor Arbeit wird weiter belastet. Was passiert denn, wenn der Beitragssatz erhöht werden muss? Schauen wir uns doch einmal an, wie die Diskussion aussehen wird. Die Bundesregierung wird sich jedes Jahr Landtagswahlen ausgesetzt sehen. Sie wird also jedes Jahr versprechen, die Beiträge werden sinken. So wird sie unter Druck stehen, die Beiträge nicht zu erhöhen, wenn die Kosten steigen. Das heißt, wir erleben jedes Jahr die Diskussion, wie durch eine kurzfristige Kostendämpfungspolitik oder Leistungskürzungen der Beitragsanstieg verhindert werden kann. Das macht die Finanzierung des Gesundheitswesens überhaupt nicht nachhaltig, sondern vom Gutdünken der Politik abhängig. ({11}) Was hat denn ein bundeseinheitlich festgelegter Beitragssatz mit Wettbewerb zu tun? Dann soll das Geld über einen Gesundheitsfonds den Krankenkassen zugeteilt werden. Der Fonds ist wirklich ein „Wundermittel“. Er darf 2008 nicht kommen, weil die Unions-Ministerpräsidenten Angst haben, dass dies ihre Landtagswahlkämpfe belastet. ({12}) Aber der Gesundheitsfonds soll 2009 kommen, um der Wahlkampfschlager für Ihre Wiederwahl zu sein. Diese Logik ist bestechend. ({13}) Dieser Geldtopf ist eine gigantische Geldsammelstelle, die der Umverteilung dient. Die Krankenkassen können zwar einen Zusatzbeitrag verlangen, er ist aber sehr eng begrenzt. Das wird Kassensozialismus. ({14}) - Wenn Sie mir das nicht glauben - die Bezeichnung „Fonds“ hört sich ja so gut an -: Ich habe einmal im „Duden“ nachgeschaut, was unter „Fonds“ zu verstehen ist. An und für sich geht man davon aus, dass in einem Fonds Geld für schlechte Zeiten angesammelt wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Bahr, Sie denken daran, dass Sie nur eine begrenzte Redezeit zur Verfügung haben. Sie reicht nicht aus, wenn Sie jetzt mit der Verlesung des Dudens beginnen. ({0})

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich darf trotzdem aus dem „Duden“ zitieren? - Welche Definition für „Fonds“ steht im „Duden“? Die Gesamtheit der im gesamtwirtschaftlichen Interesse verwendbaren materiellen und finanziellen Mittel eines sozialistischen Betriebes; Definition für die sozialistische Planwirtschaft. ({0}) Dieser Fonds ist der Einstieg in die Planwirtschaft. ({1}) Zum Zusatzbeitrag. Die Kasse kann einen prozentualen oder pauschalen Zusatzbeitrag verlangen. Die Zusatzbeiträge dürfen aber nicht mehr als 5 Prozent der Gesamtkosten decken. Der Zusatzbeitrag darf nicht mehr als 1 Prozent des Einkommens des Versicherten betragen. Maximal darf der Zusatzbeitrag nur etwa 35 Euro im Monat betragen. Bis zu einem Zusatzbeitrag von 8 Euro wird die Einkommenshöhe nicht überprüft. Bei einem Zusatzbeitrag von 8,10 Euro muss das Einkommen allerdings überprüft werden, sodass die Krankenkassen quasi zu Finanzämtern werden. Ist der Versicherte ein Sozialhilfeempfänger, muss die Kasse auf einen Zusatzbeitrag verzichten. Bei einem Bezieher von Arbeitslosengeld II übernimmt die Arbeitsagentur den Beitrag. Ein Arbeitsloser hingegen muss den Beitrag in voller Höhe selbst bezahlen. ({2}) Das wird den Einzug des Zusatzbeitrages so kompliziert machen, dass er überhaupt nicht mehr Wettbewerb und Transparenz schafft, sondern nur für mehr Aufwand und Bürokratie sorgt. ({3}) Zu den Leistungserbringern. Den Ärzten wurde angesichts der massiven Proteste die Abschaffung der Budgetierung versprochen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Bahr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Scholz?

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte sehr.

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben gesagt, ein Fonds sei Sozialismus. Mich würde interessieren, ob Sie schon einmal von Aktienfonds gehört haben. Ist das auch Sozialismus? ({0})

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Scholz, im „Duden“ stehen in der Tat zwei Definitionen für „Fonds“. ({0}) Ich würde Ihnen vollkommen zustimmen, wenn Sie den Gesundheitsfonds so anlegen würden, wie wir es vorschlagen, nämlich wie einen Aktienfonds, damit mit dem angelegten Geld die im Alter steigenden Kosten beglichen werden können. Daniel Bahr ({1}) ({2}) Sie nehmen aber nur eine Umverteilung vor. Sie verschieben die Lasten auf die kommenden Generationen. Sie betreiben doch gar keine Vorsorge für die alternde Bevölkerung. Sie legen doch gar keine Reserven an. ({3}) Den Ärzten wurde versprochen - Frau Schmidt hat das eben gesagt -, die Budgetierung abzuschaffen. Was steht aber in diesem über 500 Seiten schweren Gesetzentwurf? Das Geld wird zwar nicht länger budgetiert, aber die Leistung wird budgetiert. Sobald der Arzt mehr Leistung erbringt, als er erbringen darf, greift die Abstaffelung. Die Budgetierung ist de facto also überhaupt nicht abgeschafft. Es bleibt weiterhin bei der Budgetierung. ({4}) - Frau Widmann-Mauz, in dem Gesetz schreiben Sie eine kostenneutrale Umsetzung vor. Das heißt de facto, dass Sie bei der Budgetierung bleiben. ({5}) - Regen Sie sich nicht so auf. Gehen Sie einmal in ein Krankenhaus in Ihrem Wahlkreis. Reden Sie einmal mit den Verantwortlichen über das, was ihnen bevorsteht. Fragen Sie nach, wie sich das Gesetz auf die Versorgung in den Krankenhäusern in Ihren Wahlkreisen auswirkt. Pauschal kürzen Sie um 500 Millionen Euro. Sie kürzen de facto, indem Sie weniger Geld für hoch spezialisierte Leistungen und für die integrierte Versorgung ausgeben; es fließt möglicherweise später zurück. Sie belasten die Krankenhäuser durch die Mehrwertsteuererhöhung mit weiteren 500 Millionen Euro. Sie belasten sie dadurch - das wollten wir alle -, dass die Krankenhäuser die neue Arbeitszeitregelung umsetzen müssen, durch die neue Tarifeinigung und durch die Umstellung der Fallpauschalensysteme. Wenn Sie die Krankenhäuser durch weitere Kürzungen belasten, wird die Versorgung in den Wahlkreisen vor Ort - bei Ihnen und bei uns - massiv verschlechtert. Reden Sie mit den Verantwortlichen in den Krankenhäusern. Sie werden Ihnen ihr Leid klagen. Sie werden Ihnen sagen, dass diese Reform die Krankenhäuser massiv belastet. Planungssicherheit bringt sie auf jeden Fall nicht. ({6}) Zur privaten Krankenversicherung. Die Union hat es als Erfolg verkauft, dass die private Krankenversicherung nicht abgeschafft wird. Das Ziel der SPD wird mit diesem Gesetz aber schrittweise erreicht: Wir werden private und gesetzliche Krankenversicherungen vereinheitlicht sehen. Die private Krankenversicherung erhält über den zwangsweise verordneten Basistarif wieder das Sachleistungsprinzip. Die private Krankenversicherung wird infolge vieler Teile dieses Gesetzentwurfs quasi zu einer gesetzlichen Krankenkasse. Demnächst muss ein Versicherter erst drei Jahre lang in der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen sein und mehr als 4 000 Euro pro Monat verdient haben, bis er in eine private Krankenversicherung wechseln kann. Bedeutet das mehr Freiheit wagen? Führt das zu mehr Wahlfreiheit für die Versicherten? Für die Versicherten hat das zur Folge, dass sie, wenn sie drei Jahre später als bisher in eine private Krankenversicherung einsteigen, um 10 Prozent höhere Prämien zahlen müssen. Nichtversicherte sollen das Recht auf Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung bekommen. Ich als junger Mensch würde mir sagen: Ich steige aus der privaten Krankenversicherung aus. Wenn ich aber im Alter Gesundheitskosten verursache, weil ich zum Beispiel eine Krankheit habe, dann steige ich wieder in die private Krankenversicherung ein. ({7}) Ist das ein Beitrag zur nachhaltigen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung? Es ist alles andere als das. ({8}) Die Gesundheitspolitik ist und bleibt die Sollbruchstelle dieser Koalition. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, geben Sie Ihre Sturheit auf und beenden Sie den Weg in ein staatliches und zentralistisches Gesundheitswesen! Werden Sie einsichtig: Lieber keine Reform als eine solch schlechte Reform. Vielen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Zöller, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Grüß Gott, Herr Präsident und liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute einen Gesetzentwurf, der wesentlich besser ist als von vielen behauptet. ({0}) Ich möchte nur auf vier wichtige Punkte hinweisen. Erstens. Dieses Gesetz bringt Verbesserungen für Patienten und Versicherte. Zweitens. Es führt zu mehr Wettbewerb zwischen den im Gesundheitswesen Beteiligten. Drittens. Es führt zu einer leistungsgerechteren Vergütung der Ärzte. Viertens. Es wird die Lohnzusatzkosten in Deutschland mittelfristig entlasten. ({1}) Lassen Sie mich die einzelnen Punkte erläutern. Erstens. Das Gesetz ist gut für die Patienten. Zum ersten Mal wird es im Rahmen einer Gesundheitsreform nicht zu neuen oder höheren Zuzahlungen kommen. ({2}) Zum ersten Mal wird es auch nahezu keine Leistungsausgrenzungen geben. Nur an den Folgekosten von Schönheitsoperationen und ähnlichen Maßnahmen werden sich die Krankenkassen künftig in geringerem Umfang beteiligen. Das ist, wie ich meine, eine vernünftige Regelung. Denn wir können die Solidargemeinschaft nicht mit den Kosten selbst verschuldeter Risiken belasten. ({3}) Es gibt also keine Leistungskürzungen. Vielmehr erbringen die gesetzlichen Krankenversicherungen in bestimmten Bereichen künftig mehr Leistungen. ({4}) Als Beispiel nenne ich nur die Palliativversorgung, die Mutter/Vater-Kind-Kuren, Impfungen und die Erstattung der Kosten einer geriatrischen Rehabilitation. ({5}) Wir setzen damit nicht nur an den gesundheitspolitisch, sondern auch an den gesellschaftspolitisch richtigen Stellen an. Die Verbesserung der Versorgung von Sterbenden nicht nur durch eine Schmerztherapie, sondern auch in Form von Sterbebegleitung ist eine humanere und ethisch vernünftigere Antwort als aktive Sterbehilfe, über die immer wieder diskutiert wird. ({6}) Eine Verbesserung der Voraussetzungen für die Teilnahme an Mutter/Vater-Kind-Kuren ist ein Beitrag zur Entlastung der Familien und ein wichtiger Bestandteil der aktuellen Diskussion über die Fälle von Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern in zerrütteten Familien. ({7}) Zweitens. Das Gesetz ist gut für die Versicherten. Künftig werden alle Nichtversicherten von den gesetzlichen oder privaten Krankenversicherungen wieder aufgenommen. Niemand muss ohne Versicherungsschutz bleiben. Ein selbstständiger Handwerker zum Beispiel wird seinen Versicherungsschutz in Zukunft nicht verlieren, nur weil er vorübergehend Liquiditätsprobleme hat. Darüber hinaus erhalten die Versicherten eine Vielzahl neuer Wahlrechte. In der gesetzlichen Krankenversicherung wird es Tarife mit Kostenerstattung und Selbstbehalten geben. Dadurch können die Versicherten den Umfang ihrer Leistungen stärker als bisher selbst bestimmen. Eine weitere wichtige Wahlmöglichkeit, die geschaffen wird, ist, dass die Patienten ihre Vorsorgeund Rehabilitationseinrichtungen eigenständig auswählen können. Auch in der privaten Krankenversicherung wird es künftig mehr Wettbewerb und Wahlrechte geben. Nichtversicherte müssen zu einem bezahlbaren Basistarif wieder in die PKV aufgenommen werden. Personen, die bisher wegen Risiken nicht versichert wurden, müssen ebenfalls ohne Zuschläge zum Basistarif versichert werden. Wir werden auch das Recht der Privatversicherten auf einen nachteilsfreien Wechsel des Krankenversicherungsunternehmens verbessern, indem wir die Altersrückstellungen übertragbar machen. All dies wird frischen Wind auch in die PKV bringen, ohne die Beitragszahler zu überfordern oder die PKV als bewährtes System der Vollversicherung zu zerstören. ({8}) Unser Gesetz wird die Zusammenarbeit der Leistungserbringer verbessern. Stärker als bisher wird sich die medizinische Versorgung künftig am Bedarf und an den Interessen der Versicherten orientieren. Insbesondere an den Schnittstellen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung wird es Verbesserungen geben. Die wichtigste Voraussetzung für Wettbewerb bleibt erhalten: die freie Arzt- und Krankenhauswahl. Ambulanter und stationärer Bereich werden stärker in Wettbewerb treten und sich besser miteinander abstimmen müssen. Alle Beteiligten werden zu einem Versorgungsmanagement verpflichtet. Dem Patienten soll ein reibungsloser Übergang zwischen Akutversorgung, Rehabilitation und Pflege ermöglicht werden - ohne unnötige Wartezeiten und Pausen der Behandlung. Dadurch wird es künftig weniger unnötige Liegezeiten im Krankenhaus geben. Die Patienten werden dort versorgt, wo es ihren Bedürfnissen am besten entspricht. ({9}) Unser Gesetz wird zu mehr Wettbewerb führen. Die Krankenkassen erhalten neue Möglichkeiten, mit Arzneimittelherstellern, mit Apothekern Vereinbarungen über Arzneimittelpreise zu treffen. Damit erreichen wir mehr Flexibilität, mehr Effizienz, mehr Qualität. Für neue Arzneimittel sollen die Mehrkosten nicht höher sein als ihr zusätzlicher Nutzen. Daher wird eine Kosten-Nutzen-Bewertung eingeführt. Dabei sollen auch Behandlungsalternativen berücksichtigt werden. Wir haben sichergestellt, dass sich die Kosten-Nutzen-Bewertung an internationalen Standards orientiert und die Hersteller somit nicht überfordert. Insbesondere wird die Kosten-Nutzen-Bewertung keine zusätzliche Voraussetzung für die Zulassung sein. Innovative Arzneimittel, die einen nachweisbaren Zusatznutzen haben, werden keinen Preisminderungen unterliegen. Deshalb wird der Anreiz, in Deutschland innovative Arzneimittel zu entwickeln, so erhalten bleiben. Die Verordnung von kostenintensiven bzw. speziellen Arzneimitteln muss künftig in Abstimmung mit fachlich besonders ausgewiesenen Ärzten erfolgen. Die verordnenden Ärzte erhalten dadurch nicht nur eine fachliche Bestätigung ihrer Therapieentscheidung, sondern sind bei diesen Verordnungen künftig auch von Wirtschaftlichkeitsprüfungen befreit. Die freie Arztwahl und die freie Wahl der Therapie bleiben also erhalten. Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Dr. Hess, hat erklärt, er erwartet einen weiteren positiven Effekt. Das Hin- und Hergeschiebe von Patienten zwischen Arztpraxen wird nicht mehr stattfinden. ({10}) Unser Gesetz entlastet die Ärzte von Bürokratie und schafft leistungsgerechtere Vergütung. ({11}) Wirtschaftlichkeitsprüfungen werden auf besonders eklatante Fälle von Unwirtschaftlichkeit konzentriert. Damit wird nur noch eine ganz eng begrenzte Zahl von Ärzten geprüft werden müssen. In der ärztlichen Versorgung werden erste Schritte zur Abschaffung der Bedarfszulassung eingeleitet. In der zahnärztlichen Versorgung wird die Bedarfszulassung bereits mit diesem Gesetz abgeschafft. Wir werden auch die ärztliche Vergütung von Bürokratie entlasten und für die Ärzte kalkulierbarer gestalten. Deshalb wird die bisher von Budgets und sinkenden Punktwerten geprägte Vergütung durch eine EuroGebührenordnung abgelöst. ({12}) In dieser werden vor allem Pauschalvergütungen vorgesehen. Für die Erbringung besonders qualifizierter Leistungen gibt es Honorarzuschläge. ({13}) Wichtig ist: Die bisherige Budgetierung, mit der an die Grundlohnsumme angeknüpft wurde, wird abgeschafft. Die Höhe der finanziellen Mittel hängt künftig von der Morbidität der Versicherten ab. Das heißt, bei einem Anstieg des Behandlungsbedarfs der Versicherten müssen die Krankenkassen mehr Honorar für die Ärzte zur Verfügung stellen. Mit dem Gesundheitsfonds leisten wir einen Beitrag für eine nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung. ({14}) Die Finanzierungsstrukturen der gesetzlichen Krankenversicherung werden mit diesem Gesetz auf eine neue Grundlage gestellt. Durch den Gesundheitsfonds wird eine wirtschaftliche Verwendung von Beitrags- und Steuermitteln garantiert und der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen wird deutlich intensiviert. Die Versicherten verfügen künftig über klare Informationen zur Leistungsfähigkeit ihrer Krankenkasse. Die Einführung des Gesundheitsfonds führt nicht zu einem bürokratischen Mehraufwand. ({15}) Die Beiträge werden weiterhin von den Krankenkassen eingezogen und an den Fonds weitergeleitet. Hierzu werden die bestehenden Strukturen beim Bundesversicherungsamt genutzt. Damit entstehen weder neue Behörden noch verlieren Mitarbeiter der Krankenkassen ihre Stellen. ({16}) Die Arbeitgeber haben ab dem Jahr 2011 die Möglichkeit, ihren Verwaltungsaufwand zu reduzieren, indem sie sämtliche Sozialversicherungsbeiträge für ihre Mitarbeiter an eine Stelle ihrer Wahl entrichten können. Die Beiträge der Arbeitgeber und der Mitglieder der Krankenkassen werden per Rechtsverordnung festgelegt. Damit werden die Belastungen der Arbeitgeber durch die GKV-Beiträge besser kalkulierbar. Der Arbeitnehmerbeitrag enthält weiterhin den heutigen Sonderbeitrag von 0,9 Prozent. ({17}) Außerdem können die Krankenkassen bei einem zusätzlichen Finanzbedarf von ihren Versicherten Zusatzbeiträge von bis zu 1 Prozent des Einkommens erheben. ({18}) Umgekehrt können die Krankenkassen künftig auch Überschüsse an ihre Versicherten auszahlen. ({19}) Letztlich wird der Gesundheitsfonds zusätzlich durch Steuermittel finanziert. Damit erfolgt eine teilweise Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben - insbesondere die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern über Steuermittel. ({20}) Mit diesen Elementen, der gesetzlichen Festschreibung der Beiträge, dem zusätzlichen Beitragsanteil der Versicherten und einer neuen Steuerfinanzierung, gelingt ein Einstieg in eine teilweise Entkopplung der Arbeitsvon den Gesundheitskosten. Die gesetzliche Krankenversicherung wird auf eine langfristig stabilere, gerechtere und beschäftigungsfördernde Basis gestellt. Noch ein Hinweis zu der Länderklausel. Um unverhältnismäßige regionale Belastungssprünge zu vermeiden, werden wir eine Konvergenzphase einführen. Unterschiedliche Einnahme- und Ausgabenstrukturen der Kassen werden in Schritten von maximal 100 Millionen Euro angeglichen. Diese Regelung ist wichtig; denn wir können regionale Besonderheiten und gewachsene Strukturen nicht gänzlich außer Acht lassen. ({21}) Ich bin deshalb froh, dass wir die Bedenken der Länder mit dieser Regelung zunächst einmal aufgefangen haben. ({22}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich mit einem Zitat von Albert Einstein schließen: ({23}) Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert. Vielen Dank. ({24})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Gregor Gysi, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe Ihnen genau zugehört, Kollege Bahr von der FDP. Wenn Sie ernsthaft versuchen, über den Duden zu begreifen, was Sozialismus ist, dann haben Sie gar keine Chance. ({0}) Obwohl ich wenig Zeit habe, biete ich Ihnen an, Sie einmal in Ihrer Fraktion zu besuchen, um Ihnen zu erklären, was demokratischer Sozialismus ist.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ihr freundliches Angebot setzt aber voraus, dass Sie wissen, was Sozialismus ist. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, selbstverständlich, Herr Präsident. Das klingt vielleicht ein bisschen anmaßend. Aber ich habe bewusst nicht von Sozialismus gesprochen, sondern ich habe „demokratischer Sozialismus“ gesagt. Das ist eine wichtige Einschränkung. Ich hoffe, dass diese Bemerkungen nicht auf meine Redezeit angerechnet werden. Denn eigentlich geht es um die Gesundheitsreform. Es stimmt: Nur dann, wenn man etwas tut, ändert sich etwas. Insofern hatte Einstein völlig Recht. Aber die von Ihnen vorgesehenen Änderungen wirken sich von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen zum Nachteil der Versicherten und im Übrigen auch der Unternehmen sowie der Ärztinnen und Ärzte aus. Oder glauben Sie im Ernst, dass - wenn Sie Recht hätten und die Änderungen tatsächlich positiv wären - sie alle zu dämlich sind, um das zu begreifen? Sie alle stellen sich gegen Ihr Vorhaben, weil sie genau wissen, dass das nicht der Fall ist. ({0}) Übrigens ist die Pharmaindustrie die einzige Seite, die keine Kritik übt. Sie sollten einmal darüber nachdenken, welche Gründe das hat. Ich glaube, das hat seine Ursachen. Sie haben viele Versuche gestartet, zu einer Gesundheitsreform zu kommen. Erst wurde mit Herrn Stoiber etwas verabredet. Am nächsten Tag hat ihm das, was gerade beschlossen worden war, aber nicht mehr gefallen. Dann wurde wieder etwas Neues vereinbart. So folgte Versuch auf Versuch. Herausgekommen ist keine Reform, sondern Gemurkse. ({1}) Sie haben allerdings das Denken hinsichtlich der Versicherung verändert. Das macht mir Sorgen; denn solche Veränderungen bleiben. Sie machen aus der Gesundheitsversicherung eine Autoversicherung. ({2}) - Ich werde es Ihnen erklären. Beim Auto ist es etwas anderes; da ist die bestehende Versicherungsform gerechtfertigt. Die Gesundheitsversicherung muss aber eine solidarische Versicherung sein. ({3}) Lassen Sie mich das an zwei Beispielen verdeutlichen. Zum einen sagen Sie: Wenn ein Versicherter kaum Versicherungsleistungen in Anspruch nimmt, dann kann er im nächsten Jahr Beiträge zurückbekommen. Zum anderen sagen Sie, man könne eine Teilkaskoversicherung abschließen. Das heißt, man zahlt zum Beispiel 500 Euro im Jahr selbst; die Versicherung soll nur die Kosten tragen, die diesen Betrag überschreiten. Auch in dem Fall sind geringere Beiträge zu zahlen. Die Kosten im Gesundheitswesen nehmen aber nicht ab. Welche Aussage steht hinter Ihrem Vorhaben? Sie sagen: Jung und Gesund soll nicht länger für Alt und Krank haften. ({4}) Das ist aber ganz klar die Aufgabe der solidarischen Versicherung. Was glauben Sie denn, was Ihre Änderungen bedeuten? Der Gesunde erhält Beiträge zurück und der Versicherung fehlt dann das Geld zur Finanzierung der Kosten. ({5}) Das ist das Prinzip einer Autoversicherung; es ist aber kein geeignetes Prinzip für eine Gesundheitsversicherung. Damit verändern Sie den Geist dieser Versicherung. Das lehnen wir ab. ({6}) Sie sehen des Weiteren Strafaktionen vor, die völlig falsch sind. Ich nenne ein Beispiel. Für chronisch Kranke sollen die Zuzahlungen auf 1 Prozent ihres Jahreseinkommens beschränkt werden; für andere Kranke sind es 2 Prozent. Des Weiteren sehen Sie vor, dass jemand, der keine regelmäßige Krebsvorsorge betrieben hat und der an Krebs erkrankt, bestraft werden soll, indem er nicht mehr als chronisch krank anerkannt wird und deshalb Zuzahlungen bis zu 2 Prozent des Jahreseinkommens leisten muss. ({7}) Einem Menschen, der so leidet, diese zusätzliche Strafe aufzubürden, ist unmenschlich und indiskutabel. ({8}) Deshalb verstehe ich auch nicht, warum die FDP so unzufrieden ist. Eine unsolidarische Versicherung müsste doch eigentlich in Ihrem Sinne sein. Insofern verstehe ich den Ansatz Ihrer Kritik nicht. ({9}) - Das kann ich durchaus belegen. ({10}) Jetzt komme ich zum Gesundheitsfonds, den Sie zum 1. Januar 2009 einführen wollen. Sie thematisieren aber kaum, Frau Bundesgesundheitsministerin, dass alle gesetzlichen Krankenkassen, die sich diesem Fonds anschließen müssen, entschuldet sein müssen. Es gibt aber Krankenkassen mit erheblichen Altschulden. Wie sollen sie diese Schulden tilgen? Dafür gibt es nur einen Weg: die Erhöhung der Beiträge, und zwar sowohl für die Versicherten als auch für die Unternehmen. Das betrifft die so genannten Lohnnebenkosten, die in Wirklichkeit eine Abgabe der Unternehmen für die sozialen Sicherungssysteme sind. ({11}) Bis zum 1. Januar 2009 werden die Versicherungsbeiträge erheblich steigen. Das haben Sie mit keinem Satz erwähnt, Frau Bundesgesundheitsministerin. Das ist nicht in Ordnung; denn diese Belastung kommt auf die Unternehmen und die Versicherten zu. ({12}) Des Weiteren frieren Sie die Beiträge der Unternehmen ab 2009 ein, nicht aber die der Versicherten. Nach der von Ihnen geplanten Regelung haben die gesetzlichen Krankenkassen das Recht, von den Versicherten einen Zusatzbeitrag zu fordern, wenn die Mittel aus dem Gesundheitsfonds nicht ausreichen. Hier kommt wieder die alte Kopfpauschale der Union zum Vorschein. Sie haben aber die Menschen mit zwei Regelungen verwirrt. Alle denken, der monatliche Zusatzbeitrag dürfe nur 8 Euro betragen. Das ist aber ein Irrtum. Bei 8 Euro muss lediglich nicht darauf geachtet werden, ob die Grenze von 1 Prozent des Haushaltseinkommens überschritten wird. ({13}) Wenn die gesetzlichen Krankenkassen einen höheren Zusatzbeitrag von den Versicherten verlangen, dann muss die Grenze von 1 Prozent des Haushaltseinkommens berücksichtigt werden. Der Zusatzbeitrag kann also sehr viel höher als 8 Euro betragen. Wenn das alles nicht reicht, dann haben Sie geregelt - Frau Bundesgesundheitsministerin, das haben Sie falsch dargestellt -, dass die Regierung die Beiträge erneut festsetzen darf, und zwar sowohl für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch für die Arbeitgeber. Sie sagen, dass das Gesetz nicht zu Leistungseinschränkungen und Beitragserhöhungen führen werde. Entweder haben Sie Ihren eigenen Gesetzentwurf nicht richtig gelesen oder Sie sagen nicht die Wahrheit; denn das Gegenteil ist richtig. ({14}) Wenn eine gesetzliche Krankenkasse in Zukunft vor der Entscheidung steht, ob sie die Beiträge für die Versicherten erhöhen soll, dann muss sie dabei berücksichtigen, dass viele Versicherte nach einer angekündigten Erhöhung austreten und zu einer anderen gesetzlichen Krankenkasse wechseln werden. Die Krankenkasse wird deshalb in der Regel aber einen anderen Weg gehen: Sie wird die Leistungen einschränken. So haben Sie dann mit Ihrer Reform einen ständigen Leistungsrückgang bei der medizinischen Versorgung der Bevölkerung organisiert. Damit verschärft sich die Tendenz hin zur Zweiklassenmedizin. Die Kluft zwischen der ersten und der zweiten Klasse wird so nicht geringer, sondern größer werden. ({15}) - Sicher, manches schon, vieles nicht. ({16}) - Die Gesundheitszentren sind nichts anderes als ein schlechtes Plagiat der Polikliniken; die Idee haben Sie geklaut. ({17}) Der Vorteil der Poliklinik bestand darin, dass hier alle Fachärzte zusammen waren und die Patienten die Möglichkeit hatten, in einem Haus komplett versorgt zu werden. Sie behaupten nun, drei Ärzte seien ein Gesundheitszentrum. Sie sollten sich das Modell der Poliklinik einmal genau anschauen. Dann käme auch etwas Vernünftiges heraus. ({18}) Andere Sachen in der DDR waren viel schlechter. Ich bin ja nicht so beschränkt, dass ich immer nur in eine Richtung denken kann; ich kann differenzieren. Das ist ein großer Vorteil meines Werdeganges. ({19}) Lassen Sie uns doch eine vernünftige Gesundheitsreform machen! Man kann durchaus etwas verändern. Wir fordern in unserem Antrag eine Bürgerinnen- und Bürgerversicherung, die auf zwei Grundsätzen basiert. Der erste Grundsatz ist: Die Beitragsbemessungsgrenze darf nicht bei 3 652,50 Euro festgelegt werden. Wer mehr verdient, muss auch höhere Beiträge zahlen. Wäre es denn so katastrophal, wenn wir die Beitragsbemessungsgrenze schrittweise erhöhten? ({20}) Der zweite Grundsatz ist: Alle Einkommen müssen zur Beitragserhebung herangezogen werden. Alle, wir, die Abgeordneten sowie Anwälte und Ärzte, müssen in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen. Dann wäre das Ganze leicht zu finanzieren; denn dann hätte es so gut wie keine Auswirkungen mehr, wenn die Zahl der abhängig Beschäftigten abnähme und die Zahl der Selbstständigen zunähme. Alle müssen in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen, unabhängig von der Einkommensart. Dann hätten wir genügend Geld. ({21}) Wenn wir zudem die Lohnnebenkosten durch eine Wertschöpfungsabgabe für die Unternehmen ersetzten, dann sind wir deutlich weiter. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Ein Gemüsehändler beschäftigt zwei Verkäuferinnen. Die Stadt reißt die Straße vor seinem Laden auf. Sein Umsatz halbiert sich. Solange er keine Verkäuferin entlässt, bleiben die zu entrichtenden Lohnnebenkosten unverändert. Nach unserem Vorschlag sinken seine Abgaben aber, weil seine Wertschöpfung abnimmt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bin sofort fertig, Herr Präsident. Wenn die Deutsche Bank aber einen riesengroßen Gewinn macht und 8 000 Leute entlässt und damit 8 000mal Lohn spart, aber noch immer die gleiche Wertschöpfung hat, dann muss sie nach unserem Modell genauso viel in die sozialen Sicherungssysteme einzahlen wie zuvor. Das wäre sinnvoll. ({0}) Man kann das Gesundheitswesen solidarisch organisieren. Wir brauchen eine Bürgerversicherung. Ihre Reform wird aber leider dazu führen, dass der Grundsatz „Arm stirbt früher“ zur Realität wird. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Gesundheitsreform verdient schon deshalb den Namen „Gesundheitsreform“ nicht, weil sich mindestens die halbe Republik krank fühlte, als sie anschauen musste, wie Sie diese Reform verhandeln. Das Gezerre zwischen Bund und Ländern und die nächtlichen Verhandlungen machten schon beim Zuschauen krank. Herr Zöller heischte auf dem außerordentlichen Ärztetag auch noch um Mitleid, als er sagte: Letzte Nacht waren wir schon wieder bis 3 Uhr zugange. Ich kann Ihnen sagen: Alle Anwesenden hatten Mitleid mit ihm, sie hatten aber auch Mitleid mit der Republik; denn es wäre besser gewesen, Sie hätten nächtens nicht noch einmal Hand angelegt. ({0}) Es fiel einmal der Satz vom klaren Durchregieren. Die Ministerpräsidenten der Bundesländer, zum Beispiel Herr Stoiber und andere, waren ja gar nicht an der Geschichte beteiligt? Hier hat uns die so genannte große Koalition ein so genanntes Reformwerk vorgelegt. Ich kann Ihnen sagen: Die Formel von der großen Koalition als großer Reformkraft geht an dieser Stelle definitiv wieder nicht auf. Das Gegenteil ist der Fall. Ihnen fehlt es an der Kraft zu mutigen und stimmigen Gesamtkonzepten. Schauen wir uns einmal an, was Sie angeboten haben! Sie haben gesagt, es solle ein Konzept für nachhaltige und gerechte Finanzierung geben, der Wettbewerb solle intensiviert und die Lohnnebenkosten sollten dauerhaft auf unter 40 Prozent gesenkt werden. Herausgekommen ist wieder nur Merkel-Murks. Dieses Wort kann man jedes Mal benutzen. ({1}) Schauen wir uns die Finanzierung an! Sie haben sich nicht an die Kernprobleme herangetraut. Draußen verändert sich die Welt, es verändert sich das Erwerbsleben und es gibt unstete Lebensläufe. Es gibt genug MenRenate Künast schen, deren Einnahmen nicht aus dem klassischen Erwerbseinkommen stammen, sondern aus Aktienfonds, was auch die FDP heute endlich gelernt hat, aus Mieteinnahmen usw. Sie aber ändern nichts an der erwerbsorientierten Finanzierung der GKV. Das heißt, dass dieses definitiv keine große Reform ist. Das wäre vielleicht eine Reform für das letzte Jahrhundert gewesen, aber angesichts der heutigen Lebensläufe und Einkommenssituationen keine für das 21. Jahrhundert. ({2}) Die Privatversicherten bleiben weiter unter sich. Wir werden künftig nicht mehr, sondern weniger Solidarität haben. Herr Zöller, was mich bei Ihnen verwundert hat, ist der Satz, es könne doch nicht sein, dass man in der Krankenkasse bei selbst verschuldeten Krankheiten solidarisch sein müsse. Ich wäre noch bereit, mich diesem Gedanken zu nähern, wenn Sie ihn logisch zu Ende denken würden. Wenn Sie schon sagen, jeder müsse beispielsweise Krebsvorsorgeuntersuchungen durchführen lassen, um nachher nicht finanziell belastet zu werden, dann denken Sie das als Gesundheitspolitiker einmal zu Ende. Dann müssen Sie dafür sorgen, dass zum Beispiel die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Gaststätten und Restaurants nicht zwangsweise passiv rauchen müssen. ({3}) Wir sehen, wie damit umgegangen wird. Dann müssten Sie aus Fürsorge gegenüber den Mitarbeitern sagen, dass Sie nicht mit dem Zentimeterband messen, wie groß die Kneipen sind, und dann müssten Sie klare Maßnahmen zum Arbeitsschutz ergreifen. Prävention gehört auch zur Gesundheitsreform. ({4}) - Frau Widmann-Mauz, Sie krähen fröhlich dazwischen. Ich weiß, wie Sie gekräht haben, als wir die Inhaltsstoffe von Tabak öffentlich gemacht haben. Ich weiß auch, wie Sie gekräht haben, als wir über das Tabakwerbeverbot geredet haben und es endlich umsetzen wollten. ({5}) Aber Sie haben die Chance, eine konsistente Politik zu machen. Sie haben angekündigt, den Anstieg des steuerfinanzierten Anteils des Gesundheitsfonds zum 1. Januar 2010 zu regeln, weil Sie sich erst einmal bis 2009 retten wollen. Das glaubt Ihnen ehrlich gesagt kein Mensch. Was Sie heute, anderthalb Jahre vor den Landtagswahlen, nicht regeln, werden Sie drei Monate vor der Bundestagswahl definitiv auch nicht regeln. Das werden zumindest Herr Stoiber oder die Mitglieder des Andenpaktes zu verhindern wissen. Damit betuppen Sie uns und die Republik schon wieder. Warum? Weil Sie es logischerweise nicht schaffen werden - Sie schaffen es ja schon jetzt nicht -, kurz vor dem Jahr 2010 die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern für die Jahre 2010 und danach zu regeln. Kein Mensch glaubt dies. ({6}) - Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Beitrag! Ich weiß, dass Sie alle neuerdings gemeinsam hier Ihre Nächte verbringen. Vielleicht wussten Sie damals, als die entsprechende Entscheidung anstand, wo der Bundesrat tagt. Ich habe das dumpfe Gefühl, dass ich damals auch Sie gesehen habe. ({7}) Meine These ist: Sie gehörten im Zweifelsfalle schon bei den Bundesratsverhandlungen zu denjenigen, die gebremst haben, Herr Zöller. ({8}) Ändern wird sich die Art und Weise der Beitragsfestsetzung. Künftig machen das nicht mehr die Krankenkassen, sondern der Staat. Damit haben Sie die Möglichkeit, Beitragssatzanhebungen administrativ zu verhindern. Auch ich meine, dass die Bundesministerin einige Reformmöglichkeiten hat - das ist richtig -, und zwar in Bezug auf die Höhe der Overheadkosten, die man sich leistet. Trotzdem haben Sie die Ausgabenentwicklung nicht im Griff. Der Umfang des Gesundheitsfonds wird - vorausgesetzt, er wird eingerichtet - nicht ausreichen. Ich glaube nicht daran, dass dieses bürokratische Monster kommen wird. Auch die Einrichtung dieses Fonds werden Sie noch vertagen. ({9}) Die logische Lösung wird am Ende darin liegen, dass eine immer stärkere Privatisierung der Gesundheitsrisiken erfolgt. Es wird also nicht mehr Solidarität, sondern mehr Privatisierung geben. Am Ende werden nur die Versicherten und nicht mehr die Arbeitgeber, nur diejenigen mit einem Erwerbseinkommen und nicht diejenigen, die über andere Einkommen verfügen, hinzuzahlen müssen. Das halten wir definitiv für keine solidarische Entwicklung. ({10}) Sie haben wie bei der Mehrwertsteuer zu dem Lösungstrick gegriffen, dass Sie sagen: Wenn wir als große Koalition es selber nicht wissen und auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner nicht weiterkommen, dann fassen wir lieber dem kleinen Mann in die Tasche. - Das wurde bei der Mehrwertsteuer so gemacht und nun bei der so genannten Gesundheitsreform schon wieder. ({11}) Sie haben das Ganze „Wettbewerbsstärkungsgesetz“ genannt. Ich sage Ihnen dazu ganz ehrlich: Ich traue zwar Ulla Schmidt zu, dass sie das einmal wollte. Aber das Ziel, die Stärkung des Wettbewerbs, ist Ihnen mittlerweile im wahrsten Sinne des Wortes abhanden gekommen. Was ist denn das für ein Wettbewerb, dem sich zum Beispiel die AOK Berlin, bei der viele Arbeitslose und chronisch Kranke versichert sind, demnächst aussetzen muss? Sie lassen die Krankenkassen und die Versicherten allein. ({12}) Wechseln werden diejenigen, die Geld haben. Frau Merkel, diese Reform dient am Ende nicht den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Patientinnen und Patienten. Sie ist nur Ausdruck eines starken Lobbyismus und der Macht der Landesfürsten. Die Beantwortung der Steuerfrage, der Frage, wie wir die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern finanzieren - diesen Aspekt werden wir nicht vergessen -, haben Sie in Wahrheit auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. An dieser Stelle hat die Gesundheitsreform versagt. An dieser Stelle hat Frau Merkel verloren, weil sie ihre Macht an Herrn Stoiber und andere in der Nacht abgegeben hat, als sie einknickte. ({13}) Dass dies am Ende bei den meisten Verbänden einen Boykott ausgelöst hat, verstehe ich. Denn Sie können niemandem ernsthaft zumuten, etwas, woran Sie nächteund monatelang gearbeitet haben, in zwei, drei Tagen durchzurechnen. Niemand glaubt daran, dass dies eine gute Gesundheitsreform ist. Ich habe keinen gehört, der für diese Geldsammelstelle, für dieses bürokratische Monster, das Sie einrichten wollen, ({14}) ein gutes Wort einlegt. Das ist eine Reformattrappe, ein bürokratisches Monster. Jeder Handwerksbetrieb, bei dem so viele Fehler geschehen sind und so viele Nachbesserungen notwendig werden wie bei Ihnen, wäre längst insolvent. Sie sollten bei der Gesundheitsreform zurück auf null gehen und noch einmal neu anfangen. ({15})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Carola Reimann ist die nächste Rednerin für die SPDFraktion. ({0})

Dr. Carola Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach den nicht immer einfachen Verhandlungen zu den Eckpunkten liegt nun der Gesetzentwurf zur Gesundheitsreform zur ersten Lesung hier im Bundestag vor. In den nun folgenden Ausschusssitzungen und vielfältigen Anhörungen werden wir uns als Fachpolitiker nicht nur mit den großen Linien beschäftigen, sondern auch in die Details gehen. Dann werden neben Fonds und möglichen Zusatzbeiträgen andere wichtige Inhalte dieser Reform stärker im Vordergrund stehen, nämlich die Maßnahmen, die vor allem die Versicherten betreffen und die bislang viel zu selten Erwähnung gefunden haben - zu Unrecht, wie ich finde; denn wir machen Reformen in erster Linie für die Versicherten, nicht für die Akteure und Interessengruppen im Gesundheitssystem. ({0}) Lassen Sie mich kurz auf einige dieser Punkte eingehen. Da ist zunächst und in allererster Linie der Umfang des Leistungskatalogs zu nennen. Man kann es gar nicht oft genug sagen: Dies ist seit langem die erste Reform, bei der der Leistungskatalog ausgebaut wird. Aufgenommen werden als Pflichtleistungen die Palliativmedizin - Herr Kollege Zöller hat das ausgeführt -, die geriatrische Reha, eine spezialisierte Rehabilitation, die es älteren Patienten ermöglicht, ihre Selbstständigkeit nach einer schweren Erkrankung zurückzuerhalten. Außerdem werden wir die empfohlenen Schutzimpfungen sowie Mutter/Vater-Kind-Kuren von Satzungs- und Ermessensleistungen zu Pflichtleistungen der Krankenkassen machen. Das alles sind ganz konkrete Maßnahmen, die sich für die Versicherten positiv auswirken. ({1}) Ausgebaut werden auch die Wahlmöglichkeiten für die Versicherten. Sie können künftig zwischen mehr Versorgungsformen wählen, aber auch zwischen mehr Versicherungs-, Selbstbehalt- und Kostenerstattungstarifen. Ich möchte an dieser Stelle, weil das hier angesprochen wurde, noch kurz auf die Debatte zu den Vorsorgeuntersuchungen eingehen. Zur Klarstellung: Ziel der Regelung ist es, die Bereitschaft zur Wahrnehmung von Vorsorgeuntersuchungen auch durch finanzielle Anreize zu erhöhen. Wir wollen, dass Krankheiten frühzeitig erkannt und behandelt werden können. Das ist auch im Interesse der Versicherten. Wir wollen nicht, dass Menschen zusätzlich belastet werden, die bereits jetzt krank sind oder die die Vorsorgeuntersuchungen aufgrund ihres Alters nicht mehr in Anspruch nehmen können, Herr Gysi. ({2}) Es wird niemand rückwirkend verantwortlich gemacht. Dafür sieht der Gesetzentwurf klare Altersgrenzen vor. Von einigen Stellen wurde hier dennoch wider besseres Wissen der Eindruck erweckt, es sollten Menschen bestraft werden, die durch ihre Krebserkrankung ohnehin schon schwer getroffen sind. ({3}) Natürlich hat jeder das Recht zur Kritik an unserem Entwurf. Ich verstehe auch, dass versucht wird, die eigenen Interessen so gut es geht - auch mithilfe öffentlichen Drucks - durchzusetzen. Dafür aber mit den Ängsten der Menschen zu spielen und gezielt Verunsicherung zu streuen, halte ich für verantwortungslos; dafür habe ich kein Verständnis. ({4}) Darüber hinaus werden die Patientinnen und Patienten von den Strukturreformen profitieren, beispielsweise von der besseren Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung. Hier ist vor allen Dingen die Öffnung der Krankenhäuser für die spezialärztliche Behandlung im ambulanten Bereich zu nennen. Das hilft vor allem Menschen mit schweren oder seltenen Erkrankungen, für die eine gute Versorgung ganz besonders wichtig ist. Weitere wichtige Maßnahmen im Strukturbereich sind die Erweiterung der integrierten Versorgung - wir werden die Pflege darin aufnehmen; diese Maßnahme wird von allen Seiten begrüßt -, die Weiterentwicklung der Programme für chronisch kranke Menschen, eine Kosten-Nutzen-Bewertung für Arzneimittel und vieles mehr. Besonders hervorheben möchte ich die erweiterten Vertragsmöglichkeiten, die für die Krankenkassen geschaffen werden. Dazu gehört zum Beispiel die Ausschreibung von Arzneimittelwirkstoffen und von Hilfsmitteln. Die Krankenkassen erhalten damit mehr Möglichkeiten, durch Verträge mit Leistungserbringern die Versorgung ihrer Versicherten optimal zu gestalten. Dazu gehören auch Preisverhandlungen mit der Pharmaindustrie. Mit den Strukturreformen, den erweiterten Wahlmöglichkeiten und der Ausweitung des Leistungskataloges sind nur einige Inhalte dieser Reform genannt, von denen die Versicherten und Patienten konkret profitieren werden. Natürlich will ich an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, dass das nicht zum Nulltarif zu haben ist. Leistungskürzungen sind jedoch keine Lösung, weil sie vor allem die Schwachen und die Kranken treffen. Deshalb kommen sie für uns Sozialdemokraten nicht infrage. ({5}) Das haben wir bei dieser Reform durchgesetzt. Daran werden wir auch in Zukunft festhalten. Betrachtet man aber die Finanzsituation der gesetzlichen Krankenversicherung, so fällt auf, dass die Probleme in erster Linie nicht nur auf der Ausgabenseite zu suchen sind. Die gesetzliche Krankenversicherung leidet vielmehr auch unter einem Einnahmeproblem. Das liegt nicht nur an sinkenden Beitragseinnahmen aufgrund von Arbeitslosigkeit, sondern auch am unterproportionalen Wachstum der Löhne und Gehälter und an der Erosion der normalen Arbeitsverhältnisse. Aus genau diesem Grund wollen wir Sozialdemokraten die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung durch eine stärkere Steuerfinanzierung auf eine solidere und gerechter finanzierte Basis stellen. Die mit der Reform vorgesehene Steuerfinanzierung kann nur ein Einstieg sein. Sie ist bei weitem nicht so umfassend, wie wir uns das vorgestellt hatten; hier besteht nach wie vor Handlungsbedarf. Ich bin der Meinung, dass wir dieses Thema auch vor dem Hintergrund der positiven Prognose für die Steuereinnahmen möglichst bald wieder aufgreifen sollten. ({6}) Lassen Sie mich kurz auf die Situation der Ärzteschaft zu sprechen kommen. Entgegen dem Eindruck, der in den letzten Tagen durch einige Ärztefunktionäre erweckt wurde, enthält der vorliegende Gesetzentwurf für Medizinerinnen und Mediziner in unserem Gesundheitssystem Verbesserungen. Leider bleibt zurzeit wenig Raum für eine sachliche Auseinandersetzung, sodass ich hier die Gelegenheit nutzen will, einige der neuen Regelungen anzusprechen. Wir werden mit der Reform das vor allem von den Ärzten so oft kritisierte Honorarsystem in der ambulanten Versorgung von Punktwerten auf Euro- und Centbeträge umstellen. Damit weiß in Zukunft jeder Mediziner, wie viel seine Leistung wert ist. Das entspricht einem seit langem vorgetragenen Wunsch der Ärztinnen und Ärzte im ambulanten Bereich. ({7}) Auch die Qualität erhält eine größere Bedeutung. So sind für die Erbringung besonders qualifizierter Leistungen in der Euro-Gebührenordnung Honorarzuschläge vorgesehen. Zukünftig werden die gesetzlichen Krankenkassen und nicht mehr die Ärzte das Risiko zunehmender Behandlungsbedürftigkeit der Patienten tragen. Weiterhin werden wir die Leistungserbringer von unnötiger Bürokratie entlasten. So werden überflüssige Kontrollen entfallen, Abrechnungsverfahren und Prüfverfahren vereinfacht und entschlackt. Das sind im Übrigen alles Vorschläge, die Ärztinnen und Ärzte in einer Arbeitsgruppe des Ministeriums selbst erarbeitet haben und die wir aufgreifen und umsetzen. ({8}) Die jüngsten Forderungen aus der Ärzteschaft nach höheren Honoraren halte ich jedoch für unrealistisch. Es geht nicht an, dass aus den Reihen der Ärzteschaft selbst kritisiert wird, die Reform löse auf der einen Seite die Finanzierungsprobleme nicht, auf der anderen Seite aber für die eigene Berufsgruppe munter höhere Honorare gefordert werden. Dann müssen die Ärztevertreter auch ehrlich sagen, welche Konsequenzen ihre Forderungen haben. Wir reden hier von Mehrbelastungen in einer Höhe von 7 Milliarden Euro. Diese 7 Milliarden Euro müssten die Versicherten bezahlen. Das geht nicht. ({9}) Ich appelliere an dieser Stelle nachdrücklich an alle, auch an die Ärztevertreter, zu einer sachlichen Debatte zurückzukehren. Wir sind nach wie vor zu einem sachlichen Dialog mit allen verantwortungsbewussten Ärztinnen und Ärzten und ihren Vertretern bereit. Zusammen mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz beraten wir heute abschließend das Vertragsarzt5982 rechtsänderungsgesetz. Dies flexibilisiert das Arztrecht so, dass die Situation der Ärzte im niedergelassenen Bereich verbessert wird. Nehmen Sie deshalb bitte zur Kenntnis, dass es uns mit der Verbesserung der Situation der Ärzte entgegen aller Polemik sehr ernst ist. Mit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz werden wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die vertragsärztliche und die vertragszahnärztliche Leistungserbringung flexibilisieren und liberalisieren. Unseren Vorstellungen entsprechend soll ein Arzt bzw. eine Ärztin mehr Entscheidungsfreiheit darüber haben, wie er bzw. sie sich niederlässt und Leistungen anbietet. So wird es künftig möglich sein, wenn man beispielhaft von Berlin ausgeht, über die KV-Grenzen hinweg in Brandenburg eine Praxiszweigstelle einzurichten. Die Anstellungsmöglichkeiten von Ärzten und Zahnärzten werden erleichtert. Wir werden es ermöglichen, dass Vertragsärzte gleichzeitig auch als angestellte Ärzte in Krankenhäusern arbeiten können. Wir heben die Altersgrenze von 55 Jahren für den Zugang generell auf, in unterversorgten Gebieten auch die Altersgrenze von 68 Jahren für das Ende der vertragsärztlichen Tätigkeit. Damit ermöglichen wir den älteren Arztkolleginnen und Arztkollegen länger den Zugang in die Niederlassung und wir schaffen Entlastung für die unterversorgten Gebiete. Mit dem Gesetz eröffnen wir darüber hinaus zusätzlich finanzielle Anreize für Ärzte, sich in solchen unterversorgten Gebieten niederzulassen. Kolleginnen und Kollegen, ich kann Sie alle deshalb nur aufrufen, dem Gesetzentwurf zur Änderung des Vertragsarztrechts zuzustimmen und in eine konstruktive und sachliche Beratung der Gesundheitsreform einzutreten. Herzlichen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Heinz Lanfermann für die FDP-Fraktion. ({0})

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man könnte ja über manche Regelung im Vertragsarztrechtsänderungsgesetz reden, wenn Sie dieses Gesetz nicht durch einen Zusatz vergiftet hätten, den Sie noch hineingebracht haben und der die Entschuldung der Krankenkassen betrifft. ({0}) Weil Sie in den nächsten Wochen das Vergnügen haben werden, dies Ihren Wählern in den Wahlkreisen zu erklären, will ich jetzt wenigstens einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass Sie wissen, worüber Sie gleich, in etwa einer Dreiviertelstunde, abstimmen werden. Krankenkassen dürfen grundsätzlich keine Schulden machen - das ist bekannt -, haben sie aber getan, und zwar im Umfang von mehreren Milliarden Euro, was die Aufsichtsbehörden pflichtwidrig zugelassen haben. ({1}) Die Kassen schieben den Schuldenberg vor sich her. Jetzt ist die Gemeinschaftspraxis „Schmidt und Merkel“ auf die Schnapsidee gekommen, diesen Gesundheitsfonds einzurichten, der voraussetzt, dass die Kassen schuldenfrei sind. Also soll in maximal zwei Jahren eine Entschuldung im Umfang von 3,5 Milliarden Euro durchgeführt werden, was seriös nicht möglich ist. ({2}) Die scheinbare Lösung dieses Problems hat uns die Koalition im Hauruckverfahren auf den Tisch des Gesundheitsausschusses gelegt. Im Gesetz ist zusätzlich eine Neufassung des § 265 a SGB V - das ist in Art. 1 des Gesetzentwurfs - vorgesehen; das müssen Sie sich merken. In diesem Paragrafen ist bisher ein freiwilliges Verfahren dafür vorgesehen, wie sich Kassen in Notlagen gegenseitig helfen können. Man hat die erste Lesung im Plenum umgangen, weil man die öffentliche Debatte scheute. ({3}) Die Neufassung des Paragrafen wird am Mittwochmorgen vorgelegt. Dann wird die Anhörung am Montag durchgesetzt. ({4}) Am Mittwoch wird beraten oder auch nicht. Heute, am Freitag, wird verabschiedet - mit Ihren Stimmen. Neun Tage für ein Gesetzgebungsverfahren, mit dem 3,5 Milliarden Euro verschoben werden! Was die Anhörung betrifft, so hatten die Betroffenen und Sachverständigen gerade mal knapp zwei Werktage Zeit für die Erarbeitung ihrer Stellungnahmen. So viel, Frau Merkel, zu Ihrem Motto: Gründlichkeit vor Schnelligkeit. ({5}) In Wahrheit ist das eine Zumutung für alle Beteiligten und eine Blamage für das Parlament, verursacht durch die rot-schwarze Gesundheitskoalition. Der Inhalt des Paragrafen ist ebenso unseriös wie das Verfahren. Mehrere Milliarden Euro werden per Gesetz verschoben mit dem schlichten Hinweis auf die notwendige Solidarität. Dabei spielt bei den Kassen, die Geld, zum Teil viel Geld, erhalten sollen, rechtlich keine Rolle, ob sie jahrelang schlecht gewirtschaftet, Beitragssatzerhöhungen bewusst unterlassen, zu viel Personal beschäftigt oder - das soll ja auch vorkommen - zu hohe Vorstandsgehälter gezahlt haben. Bei den Kassen, die verpflichtet werden, zu zahlen, wird nach Abs. 3 dieses Paragrafen die unterschiedliche Leistungsfähigkeit berücksichtigt; das betrifft insbesondere Beitragssatz und Höhe der Finanzreserven. Das sind Augenblicksaufnahmen aus 2007. Nicht erwähnt und damit auch nicht der gesetzliche Maßstab ist die Vorgeschichte, also das Finanzverhalten in den letzten Jahren. Das heißt konkret: Auch oder gerade Kassen, die genauso verschuldet waren, aber die Zeit seit 2003 genutzt haben, ihre Schulden abzubauen - durch Beitragssatzerhöhungen, schmerzliche Einschnitte beim Personal, bei den Gehältern oder bei den Leistungen für die Versicherten -, ({6}) die jetzt also ordentlich dastehen, werden zu Zahlungen verpflichtet. Sie zahlen also im Prinzip doppelt - und Sie erklären das mit „Solidarität“. ({7}) Man kann über Solidarität reden, wenn es darum geht, freiwillige Hilfen zu organisieren. Wenn man als Gesetzgeber aber sagt: „Ihr müsst zahlen und fremde Schulden tilgen“, dann braucht es schon einen Rechtsgrund und der muss ein wenig konkret sein. Dass man sich einfach da bedient, wo noch etwas zu holen ist, finden wir zwar in bestimmten Parteiprogrammen, aber vor der Verfassung hat das noch keinen Bestand. ({8}) Dieser Paragraf ist eine Zumutung und die Begründung ist eine Anhäufung von Worthülsen. Dem Bundestag wird zugemutet, ein Gesetz zu erlassen, das es ohne konkrete Vorgaben den Bundesverbänden erlaubt, Kassen mit Sonderopfern - da geht es um mehrere Milliarden Euro - zu belegen. Mit einer untauglichen Vorschrift - schauen Sie einmal in Abs. 6 nach! - wird versucht, den gerichtlichen Rechtsschutz auszuhebeln. ({9}) Zudem wird ein fragwürdiges Verfahren der Abstimmung eingeführt. Als noch über die freiwillige Hilfe abgestimmt wurde, hing das Gewicht eines Verbandes bei der Mehrheitsbildung von der Höhe seiner Mitgliederzahl ab. Jetzt genügt eine Mehrheit der anwesenden Verbände - unabhängig von der Größe -, um mit einfacher Mehrheit Beschlüsse zu fassen. Wenn also die Vertreter einiger Verbände im Stau stehen, ist es möglich, dass Saarland, Hamburg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern beschließen, dass Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern ihnen Geld zu zahlen haben. Gemäß diesem Paragrafen ist ein solcher Beschluss rechtswirksam. So machen Sie Gesetze. ({10}) Es wird auch nicht beachtet, welche Selbsthilfemöglichkeiten es eigentlich gibt. Vielleicht lesen Sie einmal das Urteil aus Karlsruhe zu den Berliner Finanzen. Muss man sich nicht zunächst selbst helfen - Immobilien veräußern, Vorstandsgehälter senken -, bevor man auf die Hilfe anderer zugreift? Das Schlimmste ist: Wir wissen nicht einmal, wie viele Schulden die einzelnen Kassen haben. Man sagt, es handele sich hierbei um geschützte Sozialdaten. Uns liegen nur generelle Auskünfte vor. Anderen erlauben Sie aber, Geld hin- und herzuschieben. Es gibt einen Bestimmtheitsgrundsatz und einen Wesentlichkeitsgrundsatz. Ein Parlament muss schon selbst Regelungen treffen können. Man kann das nicht auf die Verbände abwälzen. Im Übrigen führt das nach aller Erfahrung dazu, dass Frau Schmidt nachher sagt: Ihr hättet das besser regeln können. Es ist eure Schuld, wenn das nicht läuft. Dieses Gesetzgebungsverfahren und der neue § 265 a SGB V sind wirklich eine Blamage für dieses Parlament. Wenn ich mir die Gespräche der letzten Wochen vor Augen führe, stelle ich fest, dass sich die Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU vollkommen einig darüber sind, dass die ganze Reform Murks ist und die Regelungen abzulehnen sind. Der einzige Unterschied ist: Wir sagen es öffentlich. - Durch Ihren Umgang mit diesem Thema laufen Sie, die CDU/CSU-Fraktion, wirklich Gefahr, sich wie Lemminge zu verhalten. Sie sollten stattdessen einmal offen Ihre Meinung sagen. Denken Sie an Leipzig; stoppen Sie dieses Gesetz! Danke schön. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Annette WidmannMauz, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn ich mir heute anhöre, was die FDP von sich gibt, ({0}) und verfolge, was Ihr Partner in der Opposition, die PDS - Sie stimmen mittlerweile oft gemeinschaftlich ab -, zu erkennen gibt, ({1}) kann ich nur sagen: Es sollte eigentlich Ihren Wählern zu denken geben, in was für einer Koalition Sie sich in der Opposition befinden. Ich möchte Ihnen folgende Auskunft nicht ersparen - Sie sollten sie an Ihre Wählerinnen und Wähler weitergeben -: Die Umsetzung der Vorschläge, die Sie, Herr Bahr, heute im Rahmen dieser Reform unterbreitet haben - mit Mehrausgaben für die Honorierung der Ärzte und für die Umsetzung der Beschlüsse des Marburger Bundes in Bezug auf die Krankenhäuser -, würde zu einer Mehrbelastung der gesetzlichen Krankenversicherung führen, die eine Erhöhung der Beiträge um mehr als einen Prozentpunkt nötig machen würde. So viel zum Thema der Beitragssatzerhöhungen, zur Senkung der Lohnnebenkosten und zur FDP. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Widmann-Mauz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, natürlich.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, da Sie wiederholt - nun auch coram publico im Hohen Hause - davon gesprochen haben, es gebe in der Opposition eine Koalition zwischen FDP und PDS, erlauben Sie mir folgende Frage: Ist Ihnen bekannt, dass in diesem Hause nur eine einzige Partei - Ihr Koalitionspartner, die SPD - vertreten ist, die sich in einer Koalition mit der Linkspartei befindet? ({0})

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Westerwelle, ich kenne die Parteienlandschaft in Deutschland. Mir ist bewusst, welche Landesregierungen in rot-roter Hand sind. Wir sind uns auch einig, dass wir nicht mit der Linkspartei koalieren wollen. Bezogen auf Ihre Frage können wir uns aber auch anschauen, was dort, wo die FDP bis vor wenigen Monaten mit der SPD koaliert hat - in Rheinland-Pfalz -, bei der Schuldenaufsicht in Bezug auf die Beiträge der AOK gemacht wurde. ({0}) Sie sollten einmal vor der eigenen Haustüre kehren und mit Ihren Koalitionspartnern gute Politik machen. Dann wären wir schon ein gutes Stück weiter. ({1}) Diese Gesundheitsreform ist eine gute Investition; denn sie ist eine Investition in die Zukunftsfähigkeit unseres Gesundheitswesens. Das hat auch sehr viel mit Gerechtigkeit zu tun. Ich spreche von der Gerechtigkeit, die noch immer die besten Zinsen bringt, der Generationengerechtigkeit. Das heißt nichts anderes, als dass wir die Zukunft nicht im Heute verbrauchen dürfen. Das gilt für die Umweltpolitik und für die Staatsfinanzen, das heißt für den Bundeshaushalt. Es gilt aber eben auch für die Sozialhaushalte und für die gesetzliche Krankenversicherung; denn die Schulden in den gesetzlichen Krankenversicherungen sind die Beitragssatzerhöhungen von morgen. ({2}) Die Schulden in der gesetzlichen Krankenversicherung sind auch Maastricht-relevant. Deshalb ist es unsere Pflicht, die Schulden der Krankenkassen endlich abzubauen und die Bürden daraus nicht den späteren Generationen aufzuerlegen. Wir müssen den Schuldenabbau zielstrebig zu Ende bringen. Es gab nie Kritik daran, dass wir das bis zum Ende des nächsten Jahres schaffen wollen. ({3}) Dass es einzelne Kassen dabei nicht immer leicht haben werden, darauf werde ich noch eingehen. Frau Kollegin Künast, Sie waren als ehemaliges Regierungsmitglied ({4}) mit verantwortlich für die Kabinettsbeschlüsse in rotgrünen Zeiten. Sie haben den Kassen verboten, die Beitragssätze anzuheben, obwohl das richtig gewesen wäre. ({5}) Sie haben sie in die Schulden getrieben. Heute aber lenken Sie in jeder Hinsicht von Ihren Versäumnissen ab und arbeiten nur mit bösartigen Unterstellungen. Das ist unseriös, bestätigt aber das, was Sie in der Vergangenheit in der Regierung getan haben. ({6}) Der Schuldenabbau ist nicht einfacher geworden, seitdem der Steuerzufluss aus dem Bundeshaushalt ebenfalls rückläufig ist. Das Stichwort Tabaksteuer ist bereits gefallen. Es muss deshalb klar sein, dass wir uns in dem Moment, in dem wir Spielraum im Bundeshaushalt haben, um die gesetzliche Krankenversicherung kümmern müssen, insbesondere um gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie die beitragsfreie Versicherung der Kinder. Das ist richtig und notwendig. ({7}) Aber allein diese Erkenntnis entbindet uns nicht von der Verantwortung dafür, den Schuldenabbau voranzubringen. Deshalb werden wir den Verschuldungszeitraum für die Kassen strecken, die das in einem Kassenverband in der kurzen Zeit bis Ende 2007 alleine nicht schaffen können. Das geht aber nur, wenn ein schlüssiges Entschuldungskonzept vorgelegt wird. Bei aller Generationengerechtigkeit - da stimme ich den Kollegen zu - darf natürlich die Leistungsgerechtigkeit nicht auf der Strecke bleiben. Warum sollten Kassen, die in der Vergangenheit die Beiträge angehoben haben, weil sie ihre Verschuldung abbauen mussten, jetzt anderen Kassen, die diesen Verpflichtungen nicht nachgekommen sind, helfen müssen, wenn sie dadurch selbst in eine Notlage kommen könnten? Deshalb muss trotz aller Solidarität im Rahmen der Entschuldungsaktionen die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Zahlerkasse erhalten bleiben. Klar ist, dass eine Kasse die Entschuldung in zwei Jahren aus eigener Kraft eher schafft, als wenn wir den Zeitraum so kurz bemessen, wie es von uns ursprünglich angedacht war. ({8}) Ich habe Verständnis für jede Krankenkasse, die sich in der nächsten Zeit solidarisch zeigen muss. Ich denke da zum Beispiel an die Situation der AOK in Sachsen. Aber die gesetzliche Krankenversicherung ist eine Solidargemeinschaft. Das galt und gilt in Gesamtdeutschland seit der Einführung des Risikostrukturausgleichs und seit den milliardenschweren Zahlungen im Rahmen der West-Ost-Transfers. Jetzt muss das auch für den Schuldenabbau gelten, und zwar auch, wenn es in der Bundesrepublik einmal in die andere Richtung geht; denn Solidarität ist keine Einbahnstraße. ({9}) Was für die Schulden der Krankenkassen gilt, gilt an anderer Stelle auch für die Honorarsituation bei der Ärzteschaft. Ich habe großes Verständnis, wenn die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte nach 15 Jahren Budgetierung endlich eine verlässliche und leistungsgerechte Vergütung in Euro und Cent erhalten wollen. Wie sonst soll das Problem, in Ostdeutschland bzw. allgemein in unterversorgten Gebieten, sei es in ländlichen Gebieten, sei es in Gebieten mit Überalterung und hoher Arbeitslosigkeit, Menschen für den Arztberuf überhaupt noch zu motivieren und zu begeistern, auf Dauer gelöst werden? Deshalb beenden wir die Budgetierung und führen ein neues Vergütungssystem ein. In Zukunft wird es eine bundeseinheitliche vertragliche Gebührenordnung in Euro und Cent geben. Was heißt das? Es heißt, Leistung in MecklenburgVorpommern wird in Zukunft genauso vergütet wie in Stuttgart oder München. Schauen Sie sich doch an, wie stark heute die rechnerischen Werte für die Punkte - man bezahlt die Ärzte ja bisher in Punkten - in Deutschland differieren: zwischen 36 Cent in Sachsen und 44 Cent pro Punkt in der KV Trier. Diese Schwankungsbreite ist überhaupt nicht darstellbar. Sie resultiert aus der unterschiedlichen Finanzkraft in den Bundesländern; je nach Kassenart und Honorarverteilung ist sie in Wirklichkeit manchmal noch größer. Das ist ungerecht und diese Ungerechtigkeit müssen wir beseitigen. ({10}) Wir wollen, dass der Arzt in Brandenburg für den Ultraschall in Zukunft genauso viel Geld bekommt wie sein Kollege in Rheinhessen. Deshalb habe ich auch nur wenig Verständnis für manche Aussagen, die ich derzeit auf Ärztetagen und Ärztedemos höre, ({11}) nach dem Motto: „Was geht mich mein Kollege in Mecklenburg-Vorpommern an? Der Bundesdurchschnitt ist für mich zu wenig.“ - Dazu fällt mir eigentlich nur ein Zitat unseres ehemaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer ein: ({12}) Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber nicht jeder hat den gleichen Horizont. Erstens verkennen all diese Stimmen, dass auch für andere freie Heilberufe wie zum Beispiel Apotheker seit langem ein gleiches, bundeseinheitliches Honorar gilt, egal ob die Apotheke auf dem Kudamm oder in meinem Heimatdorf liegt. Zweitens nehmen wir insbesondere auf die unterschiedliche Kostensituation Rücksicht. Ärzte in besonders teuren Regionen wie München, Hamburg, Frankfurt oder Stuttgart mit hohen Mieten und höheren Personalkosten erhalten in Zukunft Zuschläge. Übrigens wird es auch Zuschläge für Ärzte in unterversorgten Gegenden geben. Drittens wird es über eine Konvergenzländerklausel zusätzliche Anpassungsregeln geben, um Sprünge zu vermeiden. Dass die FDP das neue Honorarsystem noch nicht ganz verstanden hat, mag vielleicht auch daran liegen, dass es zugegebenermaßen ein anspruchsvoller Text ist. ({13}) Meine Damen, meine Herren, es geht uns um neue Perspektiven für die Ärzteschaft und für ihre wirtschaftliche Existenz. Die Budgets müssen ein Ende haben. Aber wir müssen realistisch bleiben; denn die finanziellen Dimensionen und die Möglichkeiten, die wir haben, sind nun einmal begrenzt. Solidarität innerhalb der Ärzteschaft ist etwas, worauf auch wir bauen und was wir brauchen. Die Honorierung des Arztes - und damit die Sicherheit der Versorgung, die Sicherheit, dass sich überhaupt noch ein Arzt findet, der bereit ist, Leistungen in unattraktiven Gebieten anzubieten - darf in Zukunft nicht vom Anteil der privat Versicherten und der Gutverdiener in einer Region abhängen, sondern muss bundeseinheitlich geregelt sein. ({14}) Jetzt komme ich zu einem Punkt, der mich wirklich sehr beschäftigt. Wenn ich sehe, womit die Menschen derzeit konfrontiert werden, nämlich mit Information und am heutigen Morgen auch mit einem hohen Maß an Desinformation, dann kann ich manche Ängste in der Bevölkerung durchaus verstehen. Ich dachte, der Ausfall des DAK-Chefs in der letzten Woche, der zur Verunsicherung von Krebspatienten geführt hat, sei der einzige dieser Art. Aber Sie, Herr Gysi, haben das heute Morgen noch gesteigert. Da muss ich wirklich sagen: Nicht die Regelung ist unverantwortlich oder zynisch; im Gegenteil: Wir wollen, dass Menschen früher zur Früherkennung gehen, damit sie überhaupt nicht schwer an Krebs erkranken. ({15}) Nein, Ihre Polemik ist unverantwortlich und zynisch. ({16}) Sie verunsichern damit die Menschen, die Patientinnen und Patienten in unserem Land. Die Menschen haben Sorge, ob die medizinische Versorgung in Zukunft bezahlbar bleibt, ob die Qualität gesichert ist und ob medizinischer Fortschritt auch in Zukunft allen zur Verfügung steht. Die Reform eröffnet erstens neue Leistungen. Die Kollegen sind darauf eingegangen. Die Stichworte Palliativversorgung, Impfungen, Mutter-und-Kind-Kuren und geriatrische Rehabilitation sind schon gefallen. Es gibt zweitens keine Leistungsausgrenzung, mit Ausnahme der Folgekosten von Schönheits-OPs und Piercings. Ich denke, wir sind uns in diesem Haus einig, dass dieses in Zukunft von der Solidargemeinschaft nicht mehr finanziert werden soll. ({17}) Wir werden drittens die Unterversorgung durch einheitliche Beitragszuweisungen aus dem Fonds, durch ein neues Honorarsystem und durch die Flexibilisierung des Arztrechtes abbauen. Wir werden viertens darüber hinaus die Wahlmöglichkeiten für die Versicherten erweitern. Ich nenne hier spezifische Versorgungstarife in der hausärztlichen Versorgung, für chronisch Kranke, Tarife mit Selbstbehalten und Kostenerstattung. Wir werden vor allen Dingen fünftens die Vergleichbarkeit der Kassen untereinander verbessern. Denn das ist das eigentlich Wichtige an dieser Reform. Der künftige Beitrag besteht eben nicht nur aus dem bundeseinheitlichen Beitrag, der vom beitragspflichtigen Einkommen erhoben wird. Er besteht aus zwei Bestandteilen: dem gerade genannten prozentualen Beitrag und dem Zusatzbeitrag, der in der Regel eine Pauschale sein wird. Jetzt werden die Menschen in Zukunft leichter durch Vergleichen erkennen können, ob die Leistung der Kasse den Preis in Euro und Cent auch wert ist. Ich gebe durchaus zu, ich hätte mir die Preissignale durch diesen Zusatzbeitrag noch stärker gewünscht. Denn sozial Schwache sind ja von der Zahlung ausgenommen. Die Träger werden ihren Beitrag übernehmen. Ich kann verstehen, dass die Kassen vor so viel Transparenz Angst haben. Früher konnten sie hinter ihren Beitragssätzen viel verstecken, etwa solche Dinge wie eine Präventionswoche in einem Viersternehotel. Das wird in Zukunft nicht mehr finanzierbar sein. Dies ist richtig und gut. Denn wir brauchen das Geld für die notwendige gute medizinische Versorgung. ({18}) Erlauben Sie mir zum Schluss noch ein persönliches Wort. Verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, schwere Wochen und Monate liegen hinter uns. Es gab harte Verhandlungen, in der keine Seite der anderen etwas geschenkt hat. Unter dem Strich hat die Koalition ihre Arbeit gemacht. Es hat sich gelohnt. Wir sind gemeinsam mehr aufgestanden, als man uns umwerfen wollte. ({19}) Wir legen heute ein gutes Reformwerk vor. Es lohnt sich, dass man es gründlich betrachtet und darüber diskutiert. Das werden wir tun. Am Ende will ich nur noch sagen: Der einzige Mist, auf dem nichts wächst, ist der Pessimist. Wir gehen zuversichtlich in die konkreten Beratungen im Ausschuss. Darauf freuen wir uns. Herzlichen Dank. ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Frank Spieth, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0}) - Entschuldigung, Fraktion Die Linke.

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Da war wohl der Wunsch Vater des Gedankens.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Da bin ich mir nicht so sicher. ({0}) Wir haben es ja rechtzeitig für das Protokoll korrigiert.

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat haben Sie sich in der großen Koalition nichts geschenkt. Aber vor allen Dingen werden Sie den Menschen, den Versicherten und den Patienten in diesem Land nichts schenken. ({0}) Mit dem heute hier zu behandelnden Vertragsarztrechtsänderungsgesetz will die Regierung unter anderem dem Ärztemangel, der sich insbesondere in großen Teilen der neuen Bundesländer weiter zu verschlimmern droht, begegnen und gleichzeitig bessere Voraussetzungen für die Gründung medizinischer Versorgungszentren schaffen. Diese Ziele und die dafür vorgeschlagenen Instrumente werden von uns in weiten Teilen begrüßt, wobei ich nicht verhehle, dass wir uns gewünscht hätten, wenn Sie unseren Änderungsanträgen im Ausschuss zugestimmt hätten. Die von Ihnen jetzt vorgeschlagene Flexibilisierung und Liberalisierung bei der Zulassung von Ärzten ergibt nach unserer Auffassung doch nur als Ausnahmeregelung für unterversorgte Gebiete einen Sinn. Bei Ihrem Vorschlag besteht die Gefahr, dass dort, wo viele Ärzte sind, noch mehr Ärzte hinzukommen, aber dort, wo Ärzte fehlen, keine wesentliche Verbesserung erreicht wird und die Wege- und Wartezeiten der Patienten zum bzw. beim Arzt noch länger werden. ({1}) Deshalb wünschte ich mir, Sie hätten der von uns vorgeschlagenen Begrenzung auf die unterversorgten Gebiete zugestimmt. ({2}) Leider konnten Sie unserem Vorschlag nicht folgen. Trotz der geäußerten Bedenken hätten wir gerne zugestimmt, und zwar gerade wegen der wichtigen berufsrechtlichen Verbesserungen für Ärzte, der Verlängerung der integrierten Versorgung sowie der Absicht, weitere medizinische Versorgungszentren zu errichten. Sie haben uns diese Zustimmung unmöglich gemacht, weil Sie am vergangenen Mittwoch im Hauruckverfahren Änderungsanträge zur Entschuldung der Krankenkassen eingebracht haben, die mit dem Inhalt des vorgelegten Gesetzes überhaupt nichts zu tun haben. ({3}) Es drängt sich der Verdacht auf, dass Sie diese brisante Angelegenheit mit möglichst wenigen Debatten durchpeitschen wollen, ({4}) damit Sie Ihren Gesundheitsfonds am 1. Januar 2009 starten können. Sie wollen die Entschuldung der Krankenkassen innerhalb eines Jahres erreichen. Wir von der Opposition konnten auf der von uns durchgesetzten Anhörung am Montag gemeinsam mit den Krankenkassen und den Verbänden deutlich machen, dass dadurch bei einzelnen AOK - beispielsweise bei der AOK in Berlin oder bei der AOK im Saarland - Beitragssätze von über 21 Prozent erforderlich würden. In Mecklenburg-Vorpommern und in Rheinland-Pfalz würden Beitragssätze von knapp 18 Prozent erforderlich. Diese Beitragssätze würden das sofortige Aus der jeweiligen AOK bedeuten; denn jeder Versicherte, der die Grundrechenarten beherrscht, würde sofort zu einer anderen Krankenkasse wechseln. Sie wollen die extremen Beitragssprünge dadurch vermeiden, dass Sie die Entschuldungszeit in Ausnahmefällen bis 2008 strecken und gleichzeitig Umlagen in der jeweiligen Kassenart erheben. Dieses Verfahren ist schon im jetzigen Recht vorgesehen, aber nur in Ausnahmefällen zur Anwendung gekommen. Jetzt wird es zur Regel; mit der Folge, dass alle AOK die Beitragssätze um 1 bis 2,5 Prozent erhöhen. Wenn Sie wollen, dass AOK geschlossen werden, dann sagen Sie das den Menschen offen. ({5}) Wenn eine Reduktion der Kassen Ziel Ihrer Politik ist, dann sollten Sie es hier, im deutschen Parlament, auch sagen. ({6}) Sie haben die Absicht, 2008 die Insolvenzfähigkeit von Krankenkassen einzuführen. Die dramatischen Konsequenzen dieser Regelung sind Ihnen offenkundig überhaupt nicht klar. Allein durch die Altersversorgungszusagen entstehen milliardenschwere Forderungen. Diese müssten in Zukunft in der Bilanz einer Krankenkasse ausgewiesen werden. Für den Großteil der Versorgerkassen würde das die sofortige Zahlungsunfähigkeit bedeuten. Das würde bei den betroffenen Kassen und bei allen anderen Beteiligten zu einer Katastrophe führen. Ich frage Sie: Wer zahlt im Konkursfall die verbleibenden Rechnungen von Ärzten, Apothekern, Orthopädieschuhmachermeistern und anderen Leistungserbringern? Wollen Sie alle Beteiligten mit in diesen Konkursstrudel reißen? Die Versicherten und Patienten können zwar in anderen Krankenkassen untergebracht werden; welche Folgen mit diesem Gesetz verbunden sind, scheint Ihnen aber vollkommen egal zu sein. Ich halte diese Form der Entschuldung für unverantwortlich. Ich bin dafür, dass wir konsequent auf eine Entschuldung der Krankenkassen hinarbeiten; aber mit einem Entschuldungskonzept, in das Anstrengungen der Krankenkassen, der Kassenart, aber auch Leistungen des Bundes einbezogen werden. Die Verschuldung der Kassen ist doch nicht auf deren unwirtschaftliches Verhalten zurückzuführen, sondern durch politische Vorgaben mitverursacht. Sie haben 1996 den Risikostrukturausgleich eingeführt. Dadurch werden aber nicht alle Belastungen ausgeglichen. Die Mitglieder einiger AOK machen 35 Prozent der Bevölkerung eines Bundeslandes aus; diese Kassen tragen aber 60 Prozent der Krankenhauskosten. Dafür kann man die Kassen doch nicht verantwortlich machen. Wie sollen sie aus der Schuldenfalle herauskommen? Frau Ministerin Schmidt, Sie haben diese Entwicklung sehenden Auges zugelassen. Sie haben den im Jahr 2004 im Bundestag beschlossenen krankheitsorientierten Risikostrukturausgleich dadurch, dass Sie die betreffende Rechtsverordnung nicht erlassen haben, nicht in Kraft gesetzt. Damit tragen Sie einen ganz erheblichen Teil der politischen Verantwortung. ({7}) Sie haben der Öffentlichkeit noch im März dieses Jahres suggeriert, dass die Verschuldungsprobleme in der GKV gelöst seien. Sie sagten wörtlich: Die gesetzliche Krankenversicherung hat einen Überschuss von rd. 1,78 Mrd. Euro erzielt. Das sind 800 Mio. Euro mehr, als nach voreiligen Spekulationen in der vergangenen Woche vermutet wurde. Damit konnte die Nettoverschuldung des Gesamtsystems der gesetzlichen Krankenversicherung bis Ende 2005 vollständig abgebaut werden. Diesen Unsinn kann man kaum noch überbieten. Es ist unverantwortlich, die Öffentlichkeit auf diese Art zu täuschen. ({8}) Ich meine, das geht weit über die berühmte Hutschnur hinaus. Sie sollten endlich selbigen Hut nehmen. Das wäre eine vernünftige Lösung für dieses Land. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, das wäre ein guter Schlusssatz gewesen. ({0})

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Wir schlagen dem Deutschen Bundestag vor, die Entschuldung unter anderem über Steuern vorzunehmen. Die Mittel dafür sind vorhanden. Im Jahre 2007 wollen Sie den Krankenkassen den Zuschuss aus den Einnahmen aus der Tabaksteuer in Höhe von 2,7 Milliarden Euro wegnehmen. Zur Entschuldung wäre dieser Betrag völlig ausreichend. Schönen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgitt Bender, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalition wirft Nebelkerzen. Sie loben sich für die Verbesserung einzelner Leistungen, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorsehen und die man durchaus begrüßen kann. Aber über den Gesamtkontext der Reform reden Sie gar nicht, weil er Ihnen selbst peinlich ist. ({0}) Deswegen kann man nur sagen: Gehen Sie zurück auf Los, ziehen Sie kein Geld ein und fangen Sie von vorne an! Denn es ist doch so: Die Koalition ist gescheitert, sogar an ihren selbst gesetzten Zielen. ({1}) Wie hießen sie noch? Erstens war von der Abkopplung der Beiträge vom Faktor Arbeit die Rede. ({2}) Was geschieht jetzt? ({3}) Jedes Jahr wird von der Bundesregierung ein staatlicher Einheitsbeitrag festgesetzt. Das ist keine Abkopplung. Das ist Abhängigkeit vom Faktor Arbeit. ({4}) Den Faktor Ärger, den Sie sich dadurch jeden Herbst mit den Gewerkschaften auf der einen Seite und mit den Arbeitgebern auf der anderen Seite einhandeln, unterschätzen Sie, wie ich glaube, erheblich. Zweitens hatten Sie versprochen, die Beitragssätze zu stabilisieren oder sie sogar zu senken. Stattdessen ist festzustellen: Noch nie waren die Beitragssätze so hoch wie im nächsten und übernächsten Jahr. Auch was die Erreichung dieses Ziels betrifft, gilt: Fehlanzeige. ({5}) Drittens wurde von beiden Seiten der Koalition eine verstärkte Steuerfinanzierung versprochen. Stattdessen werden sich die Zuschüsse an die Kassen nicht erhöhen, sondern sich sogar verringern. Sie reißen ein Milliardenloch in die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherungen. Ihre Luftbuchung im Zusammenhang mit dem Versprechen, in der nächsten Legislaturperiode mehr Steuereinnahmen dafür bereitzustellen, rettet Sie nicht. ({6}) Viertens hatte zumindest eine Seite der Koalition versprochen, die Solidarität zu stärken. Da war von der Bürgerversicherung die Rede. Was haben wir jetzt? Die privat Versicherten bleiben unter sich. Eine Stärkung der Solidarität findet nicht statt. Vielmehr werden die gesetzlich Versicherten noch mehr belastet, und zwar nur sie. Es gibt also weniger Solidarität als vorher. Auch dieses Ziel haben Sie also nicht erreicht. ({7}) Sie haben bereits einige Teilrückzüge angetreten: Der staatliche Einheitsverband der Krankenkassen soll nicht mehr auf Landesebene, sondern nur noch auf Bundesebene installiert werden. ({8}) Der Gesundheitsfonds soll keine Riesenbehörde mehr sein, ({9}) die die Beiträge einzieht, sondern nur noch eine Geldsammelstelle. ({10}) Aber davon wird es nicht besser. ({11}) Denn was soll der Fonds bewirken? Er soll vor allem dazu dienen, die Krankenkassen auf finanzielle Hungerkur zu setzen. ({12}) Sie wollen, dass die Krankenkassen von dem Geld, das sie eingenommen und an den Fonds bezahlt haben, weniger zurückbekommen, als sie zur Deckung ihrer Ausgaben brauchen. Den Rest sollen sie sich bei ihren Versicherten holen, und zwar über den Zusatzbeitrag, die Kopfpauschale. ({13}) Die Kopfpauschale ist für die Versicherten, insbesondere für die gering Verdienenden, eine soziale Drohung. ({14}) Für die Krankenkassen ist sie genau deshalb ein Folterinstrument. Das nennen Sie Wettbewerb. Es ist aber kein Wettbewerb, wenn man den Kassen zu wenig Geld in die Hand gibt. Was wird passieren? Die Krankenkassen werden zunächst einmal alles tun, um die Erhebung des Zusatzbeitrags zu vermeiden: zum einen aufgrund des damit verBirgitt Bender bundenen Verwaltungsaufwandes, zum anderen, weil keine Krankenkasse ihre Versicherten in die Flucht schlagen will. Wo werden sich die Krankenkassen das Geld, das ihnen fehlt, holen? Sie werden freiwillige Leistungen streichen und versuchen, bei der Versorgung Kranker zu sparen. Hier wird der Weg in die Rationierung gegangen. ({15}) Das geht zulasten der Patienten. ({16}) Sie loben sich immer dafür, diesmal habe es keine zusätzlichen Belastungen der Patienten gegeben. ({17}) Das ist doch nicht wahr! Die Versorgung wird sich verschlechtern. ({18}) Was Sie hier mit dem Fonds und dem Zusatzbeitrag machen, das ist kein Wettbewerb, das ist Wettlauf mit Fußfesseln. Wenn das Ziel nicht erreicht wird, dann sind die Patienten die Gekniffenen. Das muss man Ihnen vorwerfen. ({19}) Sie haben sich eine Hintertür offen gelassen - auch dieses ein Teilrückzug -: ({20}) Der Fonds soll nicht sofort kommen, sondern erst zum 1. Januar 2009. Es glaubt niemand hier im Haus - Sie selber eingeschlossen -, ({21}) dass Sie zu diesem Zeitpunkt die Chuzpe haben werden, eine solche Reformattrappe tatsächlich in Kraft zu setzen. Nur, bis dahin vergehen zwei Jahre, bis dahin vergeht wertvolle Zeit für eine echte Reform, die wir bräuchten. Stattdessen werden die Beiträge steigen und eine echte Reform wird es nicht geben. ({22}) Das ist Politikversagen. ({23}) Deswegen kann ich nur wiederholen: Gehen Sie zurück auf Los, fangen Sie von vorne an! ({24})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun das Wort der Kollege Hans Georg Faust. ({0})

Dr. Hans Georg Faust (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Blick ins Gesetz erleichtert nicht nur die Rechtsfindung, sondern hilft auch in der politischen Diskussion, besonders wenn die Wogen der Kritik hochgehen und die Gischt die Ziele von Reformen zu vernebeln droht. Daher zitiere ich aus § 12 SGB V: Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. ({0}) Des Weiteren ist § 72 SGB V zu entnehmen - das ist besonders im Zusammenhang mit den Ärzteprotesten hervorzuheben -, dass die ärztlichen Leistungen „angemessen vergütet“ werden sollen. Damit sind die wesentlichen Rahmenbedingungen, nach denen Patienten Leistungen beanspruchen können und in denen Ärzte arbeiten, dargelegt. Die gefühlte Wirklichkeit scheint, was Patienten und Ärzte betrifft, eine vollkommen andere zu sein. Im Mittelpunkt unserer politischen Bemühungen steht auch jetzt der kranke Mensch, der sich in seiner Not an seinen Arzt wendet. Also ist die Arzt-Patienten-Beziehung die wichtigste Beziehung in unserem Gesundheitssystem. Sie verdient allen Schutz, sie darf aber auch nicht missbraucht werden, um einseitige Interessenlagen unangemessen - ich betone: unangemessen - durchzusetzen. Wir ringen gemeinsam um eine Neuordnung des Systems, das diese sensible Arzt-Patienten-Beziehung trägt und bewahrt. Allen, die sich darum bemühen, den politischen Parteien, den Krankenkassen, den Leistungserbringern, der Gemeinschaft der Versicherten - dazu zähle ich auch und gerade die in einer privaten Krankenkasse Versicherten -, all denen darf man den ehrlichen Willen, zu einem guten Ergebnis zu kommen, nicht absprechen. 82 Millionen Menschen in Deutschland brauchen jetzt, bei einer immer älter werdenden Bevölkerung und rasantem medizinischen Fortschritt, zukunftsfähige Lösungen. Ob der heute in erster Lesung eingebrachte Entwurf eines GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes in all seinen Einzelheiten wesentliche Änderungen erfahren wird, wie er am Ende verabschiedet wird, wird der Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zeigen. Aber auch als Arzt halte ich es nach reiflicher Überlegung und vielen Gesprächen mit Betroffenen für richtig, mit dem parlamentarischen Verfahren zu beginnen. Den Gesetzentwurf jetzt in die Hand des Parlaments zu geben, war richtig. Richtig sind vor allem die Ziele dieser Gesundheitsreform: Die Entkopplung der Arbeitskosten von den Gesundheitskosten, die Stärkung des Wettbewerbs zwischen den Krankenversicherungen, die Stärkung der Eigenverantwortung und der Wahlmöglichkeiten der Versicherten und der Erhalt eines differenzierten Versicherungssystems. Noch einmal: Die Leistungserbringung soll ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein sowie das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Die Leistungserbringung soll aber auch unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse erfolgen. Das ist allen Unkenrufen zum Trotz in Deutschland immer noch so. Das gilt auch im Verhältnis zu den Leistungen, die Privatpatienten bekommen. ({1}) Ja, es gibt Unterschiede bei den Wartezeiten, die auf dem Problem der alten Budgets beruhen. Ja, es gibt Leistungen, die im Rahmen der individuellen Gesundheitsleistungen vom Patienten bezahlt werden müssen. Ja, es gibt in den Krankenhäusern neben Dreibettzimmern auch noch Einbettzimmer als Wahlleistung. Dass Kassenpatienten bei der medizinischen Versorgung im Vergleich zu den Privatpatienten generell benachteiligt werden, stimmt aber einfach nicht. ({2}) Dass das so ist, ist ein Verdienst der Ärzte in den Praxen und Krankenhäusern. Dafür haben sie eine angemessene Vergütung verdient und sie brauchen flexiblere und modernere Arbeitsbedingungen. Ich weiß, dass den Kolleginnen und Kollegen das Wohl der Patienten am Herzen liegt. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass den Ärztinnen und Ärzten Überlegungen zur Finanzierung des Gesundheitssystems in der akuten Behandlungssituation nachrangig erscheinen. Forderungen nach einer maximalen Gesundheitsversorgung können aber leider nicht erfüllt werden. Auch die Illusion unbegrenzter Ressourcen gehört einer anderen, einer heileren Welt an. Es ist kein Zufall, dass neben der ersten Lesung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes heute auch die abschließende Lesung des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes erfolgt. Mit diesem Gesetz schaffen wir Hand in Hand mit der Ärzteschaft die erforderlichen berufsrechtlichen Rahmenbedingungen. So werden Ärzte ohne Begrenzung andere Ärzte anstellen und neben ihrer Vertragsarzttätigkeit auch als angestellte Ärzte im Krankenhaus arbeiten können. Darüber hinaus wird es Ärzten nun erlaubt sein, auch an weiteren Orten außerhalb ihres Sitzes vertragsärztlich tätig zu sein. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit diesem Gesetz einen richtigen Weg beschreiten. ({3}) Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz lassen wir die Versicherten entscheiden, welche unterschiedlichen, auf sie zugeschnittenen Versorgungsformen sie wählen wollen. Neben den Wahltarifen gibt es in Zukunft die hausarztzentrierte Versorgung, die besondere ambulante ärztliche Versorgung oder die Möglichkeit, sich in integrierten Versorgungsformen behandeln zu lassen. Wettbewerb bedeutet aber auch, dass auf der Seite der Krankenkassen und insbesondere auf der Seite der Ärzte alle Leistungsfähigen und -willigen - einzeln oder gemeinsam, organisiert in Hausarztverbänden oder in Kassenärztlichen Vereinigungen - die gleichen Chancen bekommen. Meine Damen und Herren, die Gesundheitspolitik ist selten vor Aufgaben in dieser Dimension gestellt worden. Am Ende unserer Operation müssen sich Finanzierung und Struktur unseres Gesundheitssystems aber auf dem Weg der Genesung befinden. Noch ein Satz zu Ihnen, Frau Bender. Zur Ehrlichkeit gehört auch, zu sagen, dass die jetzt notwendigen Beitragssatzerhöhungen ({4}) - Frau Bender, ich habe Sie gerade angesprochen - mit unserer Reform nichts zu tun haben. Das wissen Sie auch. ({5}) - Zu diesen Beitragssatzerhöhungen wäre es auch so gekommen. Sie sind Folge Ihrer sieben Jahre langen gemeinsamen Gesundheitspolitik in einer anderen Koalition. ({6}) Es ist einfach unehrlich, die jetzt anstehenden Beitragssatzerhöhungen mit der Reform zu verbinden. ({7}) Das bringt uns in der Diskussion, mit der wir hier gemeinsam um das Ziel ringen, nicht weiter. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich bitte um Nachsicht, aber nach Überschreiten der Redezeit kann ich keine Zwischenfrage mehr zulassen, weil die Redezeit dadurch verlängert würde. Das Wort hat jetzt die Kollegin Elke Ferner für die SPD-Fraktion. ({0})

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Die Einwürfe, die heute von der FDP gekommen sind, waren irgendwie nicht neu. ({0}) - Es ist merkwürdig: Immer dann, wenn ich rede, werden Sie ganz aufgeregt. ({1}) Ich möchte ein paar Zitate nennen: Es war von wachsenden planwirtschaftlichen und dirigistischen Eingriffen im Gesundheitswesen die Rede. ({2}) - Das war 1992, als die FDP in der Regierung war! Ich könnte noch mehr Zitate anführen. Von vielen Akteuren im Gesundheitswesen wurden immer wieder - auch in Ihrer Regierungszeit - ähnliche Behauptungen wie heute vorgebracht. Aber siehe da: Das Gesundheitswesen funktioniert immer noch. Es ist entgegen Ihren Unkenrufen immer wieder deutlich geworden, dass es nicht um Staatsmedizin oder Gängelung geht. Was Ihnen seinerzeit in Ihrer Regierungszeit vorgehalten worden ist, wird nicht dadurch besser, dass Sie es jetzt wiederholen. ({3}) Aus meiner Sicht gibt es keine Alternative zur solidarischen Krankenversicherung. Über 70 Millionen Menschen sind bei den gesetzlichen Krankenkassen, über 8 Millionen Menschen bei den privaten Krankenkassen versichert. Ich halte die gesetzliche Krankenversicherung für das beste soziale System, das wir haben, weil in diesem System so solidarisch wie möglich geregelt wurde, wer für wen einsteht: die Jungen für die Alten, die Gesunden für die Kranken und die Einkommensstärkeren für die Einkommensschwächeren. ({4}) Das wird auch in Zukunft so bleiben, auch wenn insbesondere die FDP die Totalprivatisierung des Gesundheitswesens und damit auch der Risiken vorziehen würde. Ich möchte hinzufügen, dass es sich im Deutschen Bundestag ähnlich verhält wie bei den Akteuren im Gesundheitswesen: Die Opposition ist sich einig in dem, was sie nicht will. Das gilt auch für die Kritik, die derzeit von zahlreichen Verbänden im Gesundheitswesen vorgebracht wird. ({5}) Aber weder aufseiten der Oppositionsfraktionen noch bei den Akteuren im Gesundheitswesen besteht Einigkeit darüber, was sie wollen. ({6}) - Zu Ihnen komme ich noch, Herr Lanfermann. ({7}) Inwieweit Sie sich zur Sache geäußert haben, ist eine andere Frage. Zu den Zielen der Gesundheitsreform gehört, dass in Zukunft alle Menschen Versicherungsschutz haben und - unabhängig davon, wo sie versichert sind - Zugang zu medizinisch notwendigen Behandlungen und zum medizinischen Fortschritt erhalten sollen, dass die Effizienzreserven, die im System ohne Zweifel noch vorhanden sind, endlich gehoben werden - das hätten wir in großen Teilen schon mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz erreichen können -, dass die Institutionen reformiert werden und der Bürokratieabbau fortgesetzt wird. Vor diesem Hintergrund frage ich mich, warum Sie sich nicht auch an den Bemühungen beteiligen, dies alles zu verbessern, statt das Vorhaben generell abzulehnen. ({8}) Herr Gysi hat den vorgesehenen Selbstbehalt als die schlechteste Lösung bezeichnet. Dabei hilft ein Blick in den Gesetzentwurf. Ihnen als Jurist sollte das nicht schwer fallen, Herr Gysi. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Kassen Tarife mit Selbstbehalt anbieten können. ({9}) Die Versicherten können sich dafür entscheiden. Des Weiteren sieht der Gesetzentwurf vor, dass keine Quersubventionierung zulässig ist und dass der GKV keine Mittel entzogen werden dürfen. ({10}) Die Tarife müssen entsprechend ausgestaltet werden. Das entspricht unserer Auffassung: Wir haben bewusst darauf geachtet, dass sich Junge und Gesunde der Solidargemeinschaft nicht entziehen können. ({11}) Ein weiterer Punkt, den Herr Lanfermann angesprochen hat, betrifft die Entschuldung der Kassen. Angenommen, die gegenwärtige Regelung würde unverändert bleiben. Dann müssten die Kassen nach geltender Rechtslage bis zum Ende des nächsten Jahres schuldenfrei sein. Mit den Regelungen, die wir nun beschließen wollen, werden die Kassen zwölf Monate mehr Zeit haben. Das betrifft insbesondere diejenigen, die die Entschuldung nicht aus eigener Kraft schaffen. In dem Zusammenhang möchte ich etwas anmerken. Heute Morgen war in den Tickermeldungen zu lesen, dass sächsische Unionsabgeordnete dem Gesetzentwurf nicht zustimmen wollen; denn wenn es zum Auffangen von schwächeren AOKen durch den AOK-Bundesverband kommen sollte, wäre die AOK Sachsen möglicherweise nicht bereit, dazu ihren Beitrag zu leisten. Wenn wir ständig nach dem Motto „Sachsen zuerst“ oder „Bayern zuerst“ verfahren, dann hat das mit Solidarität nichts zu tun. ({12}) Solidarität bedeutet, dass man sich nicht nur beim Nehmen, sondern auch beim Geben solidarisch verhält. Es verwundert mich, eine solche Forderung gerade aus den Reihen der ostdeutschen Abgeordneten zu vernehmen. Schließlich hat die Bevölkerung im Westen Deutschlands seit der Wiedervereinigung sehr viel Solidarität gegenüber der Bevölkerung im Osten geleistet, und zwar nicht nur in den Sozialversicherungssystemen, sondern auch über den Solidaritätszuschlag; das muss so bleiben. Aber man muss auch bereit sein, etwas zurückzugeben, und darf nicht die Position vertreten: Wir nehmen nur und geben nichts. ({13}) Ich möchte jetzt auf die private Krankenversicherung eingehen; das ist ein beliebtes Thema. Ich habe heute Morgen den Tickermeldungen entnehmen dürfen, dass der Verband der privaten Krankenversicherung befürchtet, dass die Versicherten aufgrund der Tatsache, dass es nur das Recht gibt, in den Basistarif einzusteigen, nicht aber eine entsprechende Pflicht, erst dann wechseln, wenn sie krank sind. Wir haben nichts dagegen, eine Versicherungspflicht - ähnlich der für die gesetzlich Krankenversicherten - für diejenigen zu formulieren, die dem Rechtskreis der privaten Krankenversicherung zugehören. Es ist sicherlich nicht in Ordnung, wenn man nur bei Bedarf eine Krankenkasse wählt und sonst Beiträge spart. Aber es lag nicht an uns. Meine Damen und Herren von der Union, ich erneuere das Angebot, das wir bereits in den vorangegangenen Verhandlungen gemacht haben: Wenn Sie möchten, können wir das gerne machen. Dann gäbe es zumindest eine Versicherungspflicht für alle, egal ob gesetzlich oder privat krankenversichert. ({14}) Was in diesem Zusammenhang kolportiert wird, ist zum Teil nicht nachzuvollziehen. Die privaten Krankenversicherer behaupten, die Prämien müssten angehoben werden, weil die Altersrückstellungen im System portabel gemacht würden. Ich frage mich, womit sie rechnen. Warum sollen die Prämien steigen, wenn das Geld doch im System bleibt? Oder wird hier vielleicht eine ohnehin notwendige Anhebung in den nächsten Jahren vorbereitet - man muss sich nur die Ausgabensituation und insbesondere die Ausgabensteigerungen in der privaten Krankenversicherung anschauen -, um sie anschließend auf eine Reform zu schieben, die damit gar nichts zu tun hat? ({15}) Ich möchte noch in einem weiteren Punkt Sachaufklärung betreiben. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung behauptet, durch den Basistarif gingen den Ärzten Honorare der privaten Krankenversicherung in Höhe von 2 Milliarden Euro verloren. Wenn man sieht, dass die Gesamtausgaben der privaten Krankenversicherung inklusive der Kosten für Krankenhausbehandlungen im Jahr 2004 gerade einmal 16,4 Milliarden Euro betragen haben, dann muss man annehmen, dass 50 Prozent der PKV-Versicherten in den Basistarif wechseln. Das ist aber absurd. ({16}) Ich bitte deshalb wirklich, uns keine Briefe mehr zu schicken - ob mit oder ohne Unterschrift -, in denen so getan wird, als ob man im Namen der Menschen spräche, sondern endlich zu einer sachlichen Diskussion zurückzukehren. Des Weiteren wird behauptet, dass wir auf dem Weg in die Staatsmedizin seien. Bislang konnte mir aber niemand erklären, warum es zu mehr Regulierung führt, wenn zukünftig ein Spitzenverband weniger Aufgaben wahrnimmt als bislang die sieben Spitzenverbände. Die geplante Umschichtung der Aufgaben von oben nach unten, also die Übertragung von Aufgaben an die Krankenkassen, führt eigentlich nicht zu weniger, sondern zu mehr Wettbewerb. Offensichtlich ist aber niemand bereit, die Gesetzentwürfe richtig zu lesen. Ich möchte auf den Wettbewerb und die dafür notwendigen Rahmenbedingungen zurückkommen. Wir werden mit Start des Fonds nicht nur die gesetzlichen Krankenkassen entschuldet haben. Vielmehr muss zeitgleich auch ein zielgenauer Risikostrukturausgleich eingeführt werden. Das ist die zwingende Voraussetzung dafür, dass es funktioniert. Es ist auch sichergestellt, dass der Fonds am Anfang zu 100 Prozent die Ausgaben der Kassen deckt. Leider ist nicht gelungen - das sage ich auch ganz kritisch -, beim Zusatzbeitrag, soweit er erforderlich ist, einen Grundlohnausgleich einzuführen. Das konnten wir leider nicht vereinbaren. Ich bitte die Union, noch einmal darüber nachzudenken, ob man wirklich will, dass ausgerechnet die Kassen mit den einkommensschwachen Mitgliedern einen höheren prozentualen Zusatzbeitrag von ihren Mitgliedern erheben müssen als die grundlohnstarken Kassen. Das drückt nicht die unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit aus, sondern die unterschiedliche Einkommenssituation der Mitglieder. Das kann nicht im Interesse der Union sein. Auch möchte ich noch einmal deutlich machen, dass der Zusatzbeitrag auf 1 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens gedeckelt ist. Was die Frage betrifft, wie das bei denen gehandhabt wird, die Transferleistungen in Anspruch nehmen, so ist zu sagen, dass bei Leistungsempfängern nach SGB XII der Grundleistungsträger die Zusatzbeiträge übernimmt. ({17}) Im Rahmen des SGB II ist eine entsprechende Regelung vorgesehen. Letzter Punkt. Wir als SPD hätten uns gewünscht, in eine wirklich nachhaltige Finanzierungsreform einsteigen zu können. Es hat nicht an uns gelegen, dass jetzt die Beitragssätze angehoben werden. Die Anhebung wäre aber ohne die Reform deutlich höher ausgefallen als jetzt. Auch das muss man dazu sagen. Wir werden nicht aufhören, dafür zu kämpfen, dass die Finanzierungsbasis der gesetzlichen Krankenversicherung auf breitere Schultern und eine gerechtere Basis gestellt wird, als das heute der Fall ist. ({18}) In diesem Sinne freue ich mich schon auf die Beratungen, die in den kommenden Wochen vor uns liegen. Ich möchte mich ausdrücklich bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Gesundheitsministeriums bedanken, die wirklich über das Maß dessen, was einem eigentlich zuzumuten ist, die Abgeordneten in den Verhandlungen unterstützt haben. Diese Unterstützung ist für das Haus auch jetzt noch nicht beendet. Herzlichen Dank. ({19})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Jens Spahn. ({0})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die öffentliche Debatte verfolgt und den Gesetzentwurf nicht gelesen hat - man gewinnt an der einen oder anderen Stelle den Eindruck, dass es auch hier einige an der Debatte Beteiligte gibt, die ihn noch nicht gelesen haben -, der könnte einen falschen Eindruck von diesem Gesetz bekommen, weil fast nur über Überschriften diskutiert wird, aber weniger über Inhalte, auf die viele der Vorredner, was Wettbewerb, Effizienz und auch eine bessere Versorgung angeht, schon hingewiesen haben. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, möchte ich kurz auf das eine oder andere eingehen, was Sie gesagt haben. Sie haben schön öfter den Anspruch formuliert, eine kritische, aber konstruktive Opposition zu sein. Dazu würde auch gehören, die Bestandteile des Gesetzes anzuerkennen, die in die Richtung gehen, die Sie doch eigentlich wollen und immer gefordert haben, zum Beispiel Wahltarife, Selbstbehalttarife, Kostenerstattungstarife oder auch spezielle Versorgungstarife. Das anzuerkennen und mit zu diskutieren, gehörte hier dazu, nicht einfach nur pauschal Kritik zu üben. ({0}) Das Gleiche gilt für die Frage der Entschuldung. Sie sind doch eine der Parteien, die immer für Generationengerechtigkeit kämpfen. Dann müssten Sie eigentlich auch eine Partei sein, die nicht bereit ist, zu akzeptieren, dass die gesetzlichen Krankenkassen widerrechtlich Milliardenschulden aufgetürmt haben. Jetzt weigern Sie sich, einem Gesetz zuzustimmen, das genau diesem Schuldenmachen ein Ende setzt. Das ist heuchlerisch. ({1}) Daher kann ich - zumindest was diesen Bereich angeht nur feststellen, dass die FDP nicht konstruktiv ist, sondern dass sie, was die platten Überschriften und den Populismus angeht, in einen Duktus fällt, den wir eigentlich von der anderen Seite gewohnt sind. Sie machen mit den Kollegen mit, wenn es um Praxisgebühr und die Rente ab 67 geht. Auch jetzt bei den Überschriften zur allgemeinen Gesundheitsreform ist es das Gleiche wie bei den linken Kollegen hier im Parlament. ({2}) Lieber Herr Gysi, ich muss ganz ehrlich sagen, wenn ich mir von jemandem nicht Zweiklassenmedizin vorwerfen lassen möchte, dann von einem Mitglied Ihrer Partei, die die direkte Nachfolgepartei der SED ist. ({3}) - Sie als PDS sind Rechtsnachfolgerin der SED. - Angesichts dessen, dass in der DDR nicht einmal 50 Prozent der Dialysepatienten vernünftig versorgt worden sind, weil die entsprechenden Medikamente nicht vorhanden waren, und es eine Nomenklatura, einen Kader, gab - das müssten Sie doch wissen -, die für sich westliche Medizin vorgesehen hat und für den Rest nicht, können Sie hier nicht von einer Zweiklassenmedizin reden. ({4}) Frau Kollegin Künast - ich weiß nicht, ob sie noch anwesend ist -, Sie haben für den kleinen Mann und wahlweise für die kleine Frau in einer Art und Weise und mit einem Geschrei gekämpft, wie wir es eher von der populistischen Linkspartei gewohnt sind, haben sich aber nur bedingt fachlich-konstruktiv in die Debatte eingebracht. Ich wünsche mir für den parlamentarischen Prozess, den wir heute beginnen und den wir mit Anhörungen in großem Umfang und Beratungen im Gesundheitsausschuss begleiten werden, schlicht und ergreifend, dass die Opposition diesen Entwurf kritisch - das ist ihr gutes Recht -, aber konstruktiv mitgestaltet. Ich habe zum Beispiel nicht besonders viele Gegenvorschläge zu den Regelungen gehört, die wir angesichts der Beitragssatzentwicklung, die nun einmal so ist, wie sie ist, vorschlagen. ({5}) Ich kann Sie nur einladen, mitzudiskutieren. Angesichts dessen, was wir aus den Beratungen und den Anhörungen mitnehmen, werden wir darüber nachdenken, an der einen oder anderen Stelle Formulierungen oder Vorhaben zu ändern. Aber eines ist klar: Die Ziele und die Richtung des Weges, den wir beschreiten, sind korrekt. Wir können jetzt konstruktiv-kritisch darüber reden, wie man das alles auf richtige Art und Weise umsetzen kann. Danke schön. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 16/3100 und 16/3096 zur federführen- den Beratung an den Ausschuss für Gesundheit und zur Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Mitberatung an den Innenausschuss, den Rechtsaus- schuss, den Finanzausschuss, den Ausschuss für Wirt- schaft und Technologie, den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, den Ausschuss für Arbeit und Soziales, den Verteidigungsausschuss, den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju- gend, den Ausschuss für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung sowie - betreffend die Druck- sache 16/3096 - an den Haushaltsausschuss zu überweisen. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 16/3100 soll ausschließlich gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Die Vorla- gen auf den Drucksachen 16/1037 und 15/5670 sollen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse über- wiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Tagesordnungspunkt 22 e. Bevor wir zur Abstim- mung kommen, weise ich darauf hin, dass etliche Kolle- ginnen und Kollegen zu diesem Tagesordnungspunkt eine persönliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsord- nung schriftlich abgegeben haben.1) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Vertragsarzt- rechtsänderungsgesetzes, Drucksache 16/2474. Der Aus- schuss für Gesundheit empfiehlt unter Ziffer I seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3157, den Ge- setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss- fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Die Fraktion Die Linke ver- langt namentliche Abstimmung. Ich weise darauf hin, dass es im Anschluss daran noch eine namentliche Ab- stimmung gibt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er- gebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege- ben.2) Wir möchten gerne die Abstimmungen fortsetzen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze einzunehmen. Ich möchte die Abstimmungsergebnisse überblicken können. Deswegen wäre es auch hilfreich, wenn die Minister zur Regierungsbank gehen würden. ({0}) 1) Anlage 3 2) Ergebnis Seite 5996 D Wir setzen die Abstimmungen fort. Wir kommen nun zur Ziffer II der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 16/3157. Der Ausschuss empfiehlt, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposi- tion angenommen. Tagesordnungspunkt 22 f. Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 16/3153 zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Erlass der Rechtsverordnung zum morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich gemäß § 268 Abs. 2 SGB V“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/1511 abzulehnen. Die Frak- tion Die Linke verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge- sehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Ur- nen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstim- mung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Ich frage vorsichts- halber noch einmal: Haben alle Kolleginnen und Kolle- gen ihre Stimme abgegeben? - Das ist der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be- kannt gegeben.3) Wir setzen unsere Beratungen fort. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben - Drucksache 16/54 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung von Zulassungsverfahren für Verkehrsprojekte - Drucksache 16/1338 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jan Mücke, Horst Friedrich ({1}), Patrick Döring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung von Zulassungsverfahren für Verkehrsprojekte - Drucksache 16/3008 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({2}) - Drucksache 16/3158 - Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Joachim Hacker Lutz Heilmann 3) Ergebnis Seite 5998 B Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen ein Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke sowie der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth.

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Eine gut funktionierende Infrastruktur ist eine existenzielle Voraussetzung für die Sicherung nachhaltiger Mobilität als Grundlage für Wirtschaft, Arbeit und Wohlstand. Auch benötigt Deutschland als zentrales Transitland ein modernes, zukunftsweisendes und leistungsfähiges Infrastrukturnetz, das im europäischen Vergleich herausragt. Wir wollen dafür sorgen, dass vorhandene Finanzierungsmittel effizient eingesetzt werden. Dies lässt sich vor allem mit einer Verkürzung der Planungszeiten erreichen. Deshalb hat sich die Koalition vorgenommen, die Planungen zu vereinfachen und zu beschleunigen, und das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben auf den Weg gebracht. Das Infrastrukturbeschleunigungsgesetz soll für das gesamte Bundesgebiet ein noch weiter vereinfachtes Planungsrecht in den Bereichen Bau und Änderung von Bundesfernstraßen, Betriebsanlagen der Eisenbahn, Bundeswasserstraßen und Flughäfen sowie bei den Energieversorgungsleitungen ermöglichen. Das Gesetz soll Planungssicherheit schaffen und beschleunigte, entbürokratisierte Entscheidungsprozesse ermöglichen. Mit der zweiten und dritten Lesung des Entwurfs eines Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes der Bundesregierung werden wir heute die parlamentarischen Beratungen zu einem wichtigen Vorhaben der großen Koalition erfolgreich abschließen und damit ein Reformversprechen einlösen. ({0}) Die Regierungsfraktionen haben den Gesetzentwurf der Bundesregierung, der bereits ein Beschleunigungspotenzial von über zwei Jahren im Vergleich zu heute enthielt, noch um weitere Verfahrenserleichterungen ergänzt. Entsprechend der Koalitionsvereinbarung wurden dabei auch die Vorschläge der Länder berücksichtigt. Ich bin daher zuversichtlich, dass der Bundesrat der Version des Gesetzentwurfs, die heute im Plenum verabschiedet wird, zustimmen wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will die wichtigsten Maßnahmen des Entwurfs des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes in der Fassung der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zusammenfassen: Erstens. Festlegung der Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts in erster und letzter Instanz für ausdrücklich benannte Verkehrsprojekte. Die Verkürzung des Rechtswegs wird für Projekte genutzt, die zur Herstellung der deutschen Einheit, als Hinterlandanbindung der deutschen Seehäfen, als Vorhaben mit internationalem Bezug, als europäische Erweiterung, oder zur Beseitigung gravierender Verkehrsengpässe von besonderer Bedeutung sind. Im Ergebnis geht es bei dieser Regelung um 22 Schienen-, 57 Straßen- und sechs Wasserstraßenvorhaben und sie wird einen Beschleunigungseffekt von etwa anderthalb Jahren zur Folge haben. Davon profitieren die ausgewiesenen Projekte. Die Bundesregierung wird der Aufforderung zur Vorlage eines Erfahrungsberichts und zur Überprüfung bzw. Aktualisierung der Festlegungskriterien der Vorhabenliste, wie in der Beschlussempfehlung vorgesehen, selbstverständlich nachkommen. Zweitens. Einführung der fristgebundenen Beteiligung von Natur- und Umweltschutzvereinigungen, der so genannten Präklusion. Das heißt, auch diese Vereinigungen müssen fortan, wie schon heute jeder von einer Planung betroffene Eigentümer, ihre Stellungnahmen innerhalb von zwei Wochen nach Ende der einmonatigen Auslegungsfrist für die Pläne vorbringen. Damit wird für die Infrastrukturplanung endlich die längst fällige Beseitigung einer nicht begründbaren Besserstellung dieser Vereinigungen gegenüber unmittelbar Betroffenen vorgenommen. Drittens. Ausweitung der gesetzlichen Pflicht zur Duldung von Vorarbeiten. Bislang war diese Verpflichtung auf die Vorbereitung der Planung beschränkt. Künftig müssen Grundstückseigentümer und andere Berechtigte auch nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses oder der Plangenehmigung zum Beispiel Boden- und Grundwasseruntersuchungen, Vermessungen oder vorübergehende Markierungen dulden, soweit diese Maßnahmen zur Vorbereitung der Baudurchführung dienen. In der Praxis aufgetretene Probleme bei nicht sofort vollziehbaren Planfeststellungsbeschlüssen werden durch diese Ergänzung beseitigt. Viertens. Verankerung von Ermittlungserleichterungen im Falle ortsabwesender Grundeigentümer. Künftig muss die Behörde über die Prüfung von Grundbuch und Grundsteuertabelle hinaus keine weiteren zeitraubenden Ermittlungsvorhaben durchführen. Das ist wichtig, weil das wirklich zeitraubend war. ({1}) Wichtig ist bei dieser Änderung vor allem die Erhöhung der Planungssicherheit für alle Beteiligten; denn bisher konnten die mit der Planung befassten Stellen nie sicher sein, ob und, wenn ja, wann ihre Ermittlungsbemühungen vor Gericht als ausreichend angesehen werden. ({2}) Fünftens. Festlegung einer einheitlichen Geltungsdauer der Planungsbeschlüsse. Das heißt, Beschlüsse haben eine primäre Geltungsdauer von zehn Jahren; auf Antrag des Vorhabenträgers ist eine Verlängerung um fünf Jahre möglich. Sechstens. Verankerung des gesetzlichen Sofortvollzugs bei Betriebsgenehmigungen für Verkehrsflughäfen und bei Planfeststellungsbeschlüssen zu besonders wichtigen Wasserstraßenprojekten. Siebtens. Die Durchführung eines Raumordnungsverfahrens kann künftig durch Landesrecht geregelt werden. Hier waren die Ergebnisse der Föderalismusreform entscheidend. Wir haben sie berücksichtigt und im Gesetzentwurf verankert. Achtens. Die Durchführung eines Erörterungstermins wird ins pflichtgemäße Ermessen der Behörde gestellt. Hier denke ich vor allem an die Fälle, in denen weder Einwendungen noch Stellungnahmen von Betroffenen, Vereinen und Verbänden abgegeben wurden, und an Großvorhaben, bei denen angesichts der Vielzahl eingegangener unterschiedlicher Eingaben von vornherein feststeht, dass ein Erörterungstermin nicht zu einer Einigung führen kann. In diesem Bereich können nicht nur Zeit-, sondern auch erhebliche Kosteneinsparungen erreicht werden. Neuntens. Im Fernstraßenausbaugesetz wird die so genannte Ökostern-Regelung für die Dringlichkeitsstufen „vordringlicher Bedarf“ und „weiterer Bedarf“ praxistauglich gestaltet. ({3}) In der Praxis waren Rechtsunsicherheiten aufgetreten, die durch die Änderung beseitigt werden. Zehntens. Eine Benachrichtigung von Natur- und Umweltschutzvereinigungen über das Auslegen der Planungsunterlagen erfolgt im Wege der ortsüblichen Bekanntmachung. Das heißt, es wird kein besonderes Anschreiben mehr verschickt. Dies trägt ebenfalls zu einer Erleichterung des Verfahrens bei. Das Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit kann sich sehen lassen: Wir erreichen eine Entbürokratisierung beim Zulassungsverfahren für Infrastrukturvorhaben, ohne dass dies - ich möchte das hier betonen - zu einer einseitigen Einschränkung der Öffentlichkeitsbeteiligung oder des Umweltschutzes führt. Lassen Sie uns deshalb dieses Reformvorhaben im Bereich des Planungsrechts gemeinsam parlamentarisch abschließen, damit das vorwiegend auf die ostdeutschen Bundesländer beschränkte Sonderplanungsrecht für Verkehrswege - es wurde immer allseits gelobt - nun in ganz Deutschland Anwendung finden kann. ({4}) Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung in der durch die Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung fortgeschriebenen Fassung. ({5}) Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich komme zum Tagesordnungspunkt 22 e zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes bekannt: Abgegebene Stimmen 540. Mit Ja haben gestimmt 385, mit Nein haben gestimmt 111, Enthaltungen 44. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 540; davon ja: 385 nein: 111 enthalten: 44 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Ernst-Reinhard Beck ({0}) Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Michael Brand Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Georg Fahrenschon Ilse Falk Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Dr. Maria Flachsbarth Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({4}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Hans-Heinrich Jordan Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Andreas Jung ({5}) Dr. Franz Josef Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Siegfried Kauder ({6}) Volker Kauder Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({7}) Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl Lamers ({8}) Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Patricia Lips Stephan Mayer ({9}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer ({10}) Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({11}) Stefan Müller ({12}) Dr. Gerd Müller Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({13}) Klaus Riegert Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({14}) Anita Schäfer ({15}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({16}) Andreas Schmidt ({17}) Ingo Schmitt ({18}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Andrea Astrid Voßhoff Marcus Weinberg Peter Weiß ({19}) Gerald Weiß ({20}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({21}) Elisabeth WinkelmeierBecker Matthias Wissmann Dagmar Wöhrl Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({22}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({23}) Volker Blumentritt Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({24}) Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Angelika Graf ({25}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({26}) Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Gerd Höfer Iris Hoffmann ({27}) Frank Hofmann ({28}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung ({29}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({30}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({31}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({32}) Michael Müller ({33}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({34}) Maik Reichel Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix René Röspel Karin Roth ({35}) Michael Roth ({36}) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({37}) Axel Schäfer ({38}) Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder Otto Schily Ulla Schmidt ({39}) Silvia Schmidt ({40}) Renate Schmidt ({41}) Heinz Schmitt ({42}) Carsten Schneider ({43}) Swen Schulz ({44}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. h. c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein CDU/CSU Günter Baumann Veronika Bellmann Klaus Brähmig Robert Hochbaum Dr. Peter Jahr Manfred Kolbe Michael Kretschmer Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Michael Luther Maria Michalk Henry Nitzsche Beatrix Philipp Marco Wanderwitz FDP Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({45}) Uwe Barth Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({46}) Dr. Edmund Peter Geisen Miriam Gruß Joachim Günther ({47}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Michael Link ({48}) Markus Löning Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Detlef Parr Gisela Piltz Jörg Rohde Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({49}) Martin Zeil DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Sevim Dagdelen Dr. Diether Dehm Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Diana Golze Heike Hänsel Cornelia Hirsch Inge Höger-Neuling Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Jan Korte Katrin Kunert Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Dorothée Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({50}) Volker Schneider ({51}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Jörn Wunderlich fraktionslos Gert Winkelmeier Enthalten CDU/CSU Karl Schiewerling BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({52}) Volker Beck ({53}) Cornelia Behm Matthias Berninger Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Winfried Hermann Priska Hinz ({54}) Dr. Anton Hofreiter Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Undine Kurth ({55}) Markus Kurth Monika Lazar Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Kerstin Müller ({56}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Josef Philip Winkler Tagesordnungspunkt 22 f. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zum Antrag der Linken mit dem Titel „Erlass der Rechtsverordnung zum morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich gemäß § 268 Abs. 2 SGB V“ bekannt: Abgegebene Stimmen 542. Mit Ja haben gestimmt 450, mit Nein haben gestimmt 91, eine Enthaltung. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 542; davon ja: 450 nein: 91 enthalten: 1 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({57}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({58}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Georg Fahrenschon Ilse Falk Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({59}) Dirk Fischer ({60}) Dr. Maria Flachsbarth Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({61}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({62}) Dr. Franz Josef Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Siegfried Kauder ({63}) Volker Kauder Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({64}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl Lamers ({65}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({66}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer ({67}) Maria Michalk Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({68}) Stefan Müller ({69}) Dr. Gerd Müller Henry Nitzsche Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({70}) Klaus Riegert Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({71}) Anita Schäfer ({72}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({73}) Andreas Schmidt ({74}) Ingo Schmitt ({75}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Marcus Weinberg Peter Weiß ({76}) Gerald Weiß ({77}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({78}) Elisabeth WinkelmeierBecker Matthias Wissmann Dagmar Wöhrl Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({79}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({80}) Volker Blumentritt Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({81}) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Angelika Graf ({82}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({83}) Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Gerd Höfer Iris Hoffmann ({84}) Frank Hofmann ({85}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung ({86}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({87}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({88}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({89}) Michael Müller ({90}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({91}) Maik Reichel Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix René Röspel Karin Roth ({92}) Michael Roth ({93}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({94}) Axel Schäfer ({95}) Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder Otto Schily Ulla Schmidt ({96}) Silvia Schmidt ({97}) Renate Schmidt ({98}) Heinz Schmitt ({99}) Carsten Schneider ({100}) Swen Schulz ({101}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. h. c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({102}) Uwe Barth Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({103}) Dr. Edmund Peter Geisen Miriam Gruß Joachim Günther ({104}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Michael Link ({105}) Markus Löning Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Detlef Parr Gisela Piltz Jörg Rohde Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({106}) Martin Zeil Nein DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Sevim Dagdelen Dr. Diether Dehm Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Diana Golze Heike Hänsel Cornelia Hirsch Inge Höger-Neuling Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Jan Korte Katrin Kunert Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Dorothée Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({107}) Volker Schneider ({108}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({109}) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Volker Beck ({110}) Cornelia Behm Matthias Berninger Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Winfried Hermann Priska Hinz ({111}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Undine Kurth ({112}) Markus Kurth Monika Lazar Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Kerstin Müller ({113}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Josef Philip Winkler fraktionslos Gert Winkelmeier Enthalten CDU/CSU Dr. Georg Nüßlein Nächster Redner in unserer Debatte ist der Kollege Jan Mücke, FDP-Fraktion. ({114})

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben einen eigenen Gesetzentwurf zur Abstimmung vorgelegt, weil auch wir, die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, das Ziel verfolgen, Vorhaben im Verkehrsbereich schneller zu planen, damit Investitionen in unsere Verkehrsinfrastruktur schneller möglich sind. Über die Fraktionen hinweg haben wir das gemeinsame Ziel formuliert, ein einheitliches und beschleunigtes Planungsrecht für ganz Deutschland zu erreichen. Mit dem Entwurf, den die große Koalition vorlegt, wird dieses Ziel nicht erreicht. ({0}) An einigen Punkten, die ich hier im Einzelnen aufzählen möchte, unterscheiden sich unsere Auffassungen sehr gravierend. Ich möchte mit einem Punkt anfangen, der insbesondere bei der Anhörung zu den Gesetzentwürfen eine sehr große Rolle gespielt hat. Es geht um die Frage der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts. Der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts hat dazu sehr klar Stellung bezogen. Denn er hat sowohl über die Medien als auch in der Anhörung selbst davor gewarnt, dass man wieder ein zweigeteiltes Planungsrecht schafft, indem man für bestimmte Vorhaben mit einer besonderen verkehrlichen Bedeutung, die Sie in den einzelnen Planungsgesetzen enumerativ aufgeführt haben, die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts festsetzt. Das kann dazu führen, dass das Bundesverwaltungsgericht verstopft wird. Er hat das damit umschrieben, dass ein Flaschenhalseffekt auftreten könnte. Dieser Verstopfungseffekt ist aber nicht das eigentliche Kriterium, das für uns eine Rolle spielt. Für uns sind vielmehr die Fragen wesentlich, die Herr Hien im Zusammenhang mit der möglichen Verfassungswidrigkeit einer solchen Regelung aufgeworfen hat. Herr Dr. Hien hat darauf verwiesen, dass das Bundesverwaltungsgericht im Regelfall keine Tatsacheninstanz ist, sondern ein Rechtsmittelgericht. Das haben Sie im Übrigen selber erwähnt. Es widerspricht dem Sinn der Gerichtsorganisation, dass das Bundesverwaltungsgericht in diesen Fällen als Tatsacheninstanz angesehen werden soll. ({1}) Er hat dazu ausgeführt, dass es problematisch ist, dass ein Bundesgericht erst- und letztinstanzlich in erheblichem Umfang über die Anwendung von Landesrecht entscheidet und es keinerlei Konfliktausgleich mit den Landesgerichten gibt. Ich zitiere aus dem Protokoll: Das ist nach unserer verfassungsrechtlichen Lage eigentlich nicht vorgesehen. ({2}) Die große Koalition geht also sehenden Auges das Risiko ein, dass, wenn der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts das Gesetz für verfassungswidrig hält, das Bundesverwaltungsgericht möglicherweise selbst nach Karlsruhe gehen und ein Normenkontrollverfahren anstreben wird. ({3}) Dann sind möglicherweise alle Verfahren, die Sie im Entwurf des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes aufgeführt haben, blockiert. Das ist das Gegenteil von dem, was wir erreichen wollen. Wir wollen ja, dass es schneller vorangeht. Das ist aber mit der Regelung, die Sie vorschlagen, unter Umständen nicht der Fall. ({4}) Das Problem ist auch, dass der Bundespräsident bei Gesetzen, die aus dem Verkehrsbereich kommen, offensichtlich etwas genauer hinsieht. Möglicherweise könnte man auch diesbezüglich das eine oder andere Problem vermeiden. Wir sind als FDP-Fraktion einen anderen Weg gegangen. Ich möchte noch auf ein weiteres Argument in diesem Zusammenhang eingehen. Es betrifft die Frage, ob wirklich eine längere Verfahrensdauer zustande kommt, wenn das Bundesverwaltungsgericht nicht erste Instanz ist. Die Begründung dafür, dass man das in den neuen Bundesländern damals so gemacht hat war ja, dass es keine Oberverwaltungsgerichte mit ausreichend vielen Senaten gab, die hätten entscheiden können. Das Problem ist mittlerweile behoben. Die Oberverwaltungsgerichte sind aufgebaut und sehr kompetent ausgestattet. Deshalb gibt es für eine weitere Sonderregelung in diesem Bereich eigentlich keinen Raum. Ich möchte zu einem weiteren Punkt kommen, der aus unserer Sicht sehr problematisch ist. Er betrifft die Frage der Verlängerung der Geltungsdauer von Planfeststellungsbeschlüssen. Das wird auf unseren entschiedenen Widerstand treffen, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen ist es der Öffentlichkeit gegenüber unehrlich, die ganze Zeit zu erzählen, Sie wollten Planungsverfahren verkürzen und schneller umsetzen, wenn Sie nicht auch die Planfeststellungsbeschlüsse, wie wir es wollen, nach zehn Jahren auslaufen lassen, was den Druck auf den Vorhabensträger erhöhen würde, endlich zu bauen und seine Verkehrsprojekte umzusetzen. Wenn hier sozusagen noch fünf Jahre zugegeben werden und ein Eigentümer im Einzelfall insgesamt 15 Jahre die Einschränkung seines Eigentums hinnehmen muss, halten wir das für außerordentlich problematisch. ({5}) Zum anderen suggerieren Sie der Öffentlichkeit, dass Sie ein schnelleres Planungsrecht befürworten und damit unser Land auch in wirtschaftlicher Hinsicht schneller voranbringen wollen. Die Wahrheit ist aber, dass Sie zwar Planungsverfahren so weit verkürzen können, wie es geht; wenn Sie nicht das Geld haben, die Planung auch umzusetzen, ({6}) dann können Sie sich die ganze Planungsbeschleunigung schenken. Was Sie mit der Beschleunigung erreichen, zeigt sich im aktuellen Haushaltsentwurf für 2007: Dort sind für den Bundesfernstraßenbau 700 Millionen Euro weniger als im letzten Haushalt von Rot-Grün angesetzt, die ja bekanntermaßen keine großen Straßenfreunde gewesen sind. Das ist aus meiner Sicht bemerkenswert. Um eine weitere Zahl zu nennen: Für Fernstraßen werden im Entwurf des Bundeshaushalts 51,9 Prozent der Gesamtinvestitionen für Bundesverkehrswege vorgesehen. Im Haushalt des Jahres 2005, dem letzten rotgrünen Haushalt, waren es noch 57 Prozent der Gesamtinvestitionen. Das schönste Planungsrecht nützt nichts, wenn kein Geld zur Verfügung steht, diese Planung auch umzusetzen. Wenn Sie an Ihrer Finanzplanung festhalten, dann wird das dazu führen, dass die deutschen Autobahnen weiter verrotten. ({7}) Es gibt auch Punkte, an denen wir uns einig sind, ({8}) beispielsweise die Regelung zum Erörterungstermin. Wir denken, dass man im Einzelfall durchaus darauf verzichten könnte. Wir haben eine ähnliche Regelung beim Raumordnungsverfahren vorgesehen. Wir meinen, dass ein Raumordnungsverfahren generell überflüssig ist und man es durch eine landesplanerische Stellungnahme ersetzen könnte. Das deckt sich mit den Aussagen von Professor Ronellenfitsch, der in der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf ausgeführt hat, dass das Raumordnungsverfahren im Kontext mit dem Planfeststellungsverfahren so unnötig wie ein Kropf ist. Damit hat er völlig Recht. Deshalb haben wir eine solche Regelung vorgeschlagen. Dummerweise ist nach der Föderalismusreform der Ball nun bei den Ländern, eine entsprechende Regelung zu schaffen. Ich kann nur darauf setzen, dass die Länder hier eine vernünftige Regelung finden werden. Ein gravierendes Problem des Gesetzentwurfes der großen Koalition ist, dass Einzelgesetze geregelt werden, wodurch aus meiner Sicht einige sachfremde Punkte mitgeregelt werden, beispielsweise die Erdkabelproblematik. Es wäre sinnvoller gewesen, das in einem gesonderten Gesetzgebungsverfahren zu regeln. ({9}) Jetzt sind Regelungen zur Umsetzung der Erdkabeltechnik in den Gesetzentwurf eingefügt, was insbesondere unter Kostengesichtspunkten für die deutsche Wirtschaft ein Problem sein wird; denn jeder weiß, dass die Erdkabeltechnik sechs- bis siebenmal teurer ist als die traditionelle Übertragungstechnik. ({10}) Das wird dazu führen, dass die Netzbetreiber die Kosten umlegen werden, was wiederum einen weiteren Anstieg der Strompreise zur Folge haben wird. Das heißt, der Zuwachs, den wir in diesem Bereich erzielen, wird sich dahin gehend auswirken, dass die Energie in Deutschland teurer wird. ({11}) Ich hätte mir gewünscht, dass man diesen Punkt in einem gesonderten Gesetzgebungsverfahren geregelt hätte. Letzter Punkt. Sie haben bei der Änderung von Einzelgesetzen ein Einzelgesetz komplett vergessen, nämlich das Personenbeförderungsgesetz, in dem beispielsweise Planfeststellungsverfahren für Straßenbahnen geregelt werden. Darunter zählt zum Beispiel die Berliner U-Bahn, die im Sinne dieses Gesetzes Straßenbahn ist. Es ist keinem Menschen zu erklären, warum die S-Bahn in Berlin jetzt nach dem Allgemeinen Eisenbahngesetz von einem verkürzten Planungsverfahren profitieren soll, die U-Bahn aber nach dem Planungsrecht von 1993 geplant wird. Das ist ein Fehler des Gesetzes. Daran sehen Sie, dass es richtiger gewesen wäre, beim Verwaltungsverfahrensgesetz anzusetzen, um dort die Änderung und Verkürzung des Planungsrechts einheitlich zu regeln. ({12}) - Sie haben das in einem Entschließungsantrag angeführt; aber richtiger wäre doch gewesen, das von vornherein umfassend zu klären, statt es auf Einzelgesetze zu verteilen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dirk Fischer, CDU/CSUFraktion. ({0})

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Deutschland hat sich durch seine geografische Lage nicht nur zum Transitland Nummer eins in Europa, sondern auch zu einem bevorzugten Standort für Logistikdienstleister entwickelt. Gott sei Dank, die Logistikbranche in Deutschland boomt. Rund 2,7 Millionen Menschen sind gegenwärtig in diesem Wirtschaftszweig beschäftigt und ihre Zahl wächst stetig. Eine gute Verkehrsinfrastruktur in unserem Lande ist also eine wesentliche Grundvoraussetzung dafür, dass sich diese Branche mit ihrer enormen Bedeutung für Wachstum und Beschäftigung erfolgreich weiterentwickeln kann. Unser dichtes Verkehrsnetz trägt also entscheidend zur Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes auch im internationalen Standortvergleich bei. Um auch weiterhin den Herausforderungen gewachsen zu sein, müssen wir die Planung und den Bau unserer Verkehrsinfrastruktur zügig an die Anforderungen der Wirtschaft und des zunehmenden Personen- und Güterverkehrs anpassen. Die heute geltenden Vorschriften werden aber den Anforderungen, die man an zügige Entscheidungsprozesse stellen muss, in keiner Weise mehr gerecht. Um die Planung von Infrastrukturprojekten künftig effizienter, transparenter und schneller zu machen, hat die große Koalition den rot-grünen Gesetzentwurf grundlegend überarbeitet und nun den Entwurf eines effizienten Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes vorgelegt. Dies ist ein wahrlich langer Name für erhoffte kurze Planungszeiten. Der vorliegende Gesetzentwurf packt zugleich zahlreiche von der Planungspraxis aufgeworfene Probleme an und setzt entsprechende Detaillösungen zur Vereinfachung, Beschleunigung und Stabilisierung der Planungsprozesse um. Durch die Berücksichtigung der guten Anregungen aus dem Bundesrat konnte dieser Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren weitgehend mit den Bundesländern abgestimmt werden. Ich darf an dieser Stelle den Berichterstattern der Fraktionen, die hier eine sorgfältige und langfristig angelegte Detailarbeit zusammen mit den zuständigen Bundesministerien geleistet haben, ein herzliches Wort des Dankes sagen. ({0}) Ein bereits erwähntes Kernelement des Gesetzentwurfes ist, dass die etwaige gerichtliche Überprüfung dringlicher Verkehrsvorhaben auf das Bundesverwaltungsgericht konzentriert wird. Dabei wird die erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes mittels einer Liste auf einzelne Vorhaben mit überragender verkehrlicher Bedeutung im Bereich der Straße, Schiene und Wasserstraßen sowie bei Betriebsanlagen einer Magnetschwebebahn begrenzt. Die Bundesregierung soll - das ist unser ausdrücklicher Wunsch - die Aktualität der Vorhabensliste im Zuge der Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplanes und der Ausbaugesetze überprüfen. Damit erfolgt die Zuweisung an das Bundesverwaltungsgericht von vornherein projektbezogen, also zeitlich und sachlich begrenzt. 85 Großprojekte der verschiedenen Verkehrsträger können also sehr viel schneller durchgesetzt werden. Das sind wichtige Projekte im Zuge der Vollendung der deutschen Einheit, Hinterlandanbindungen der deutschen Seehäfen, Vorhaben mit einem besonderen internationalen Bezug - beispielsweise die bessere Vernetzung Europas, die durch die EU-Erweiterung erforderlich ist und Vorhaben zur Beseitigung gravierender Verkehrsengpässe. Wir erhoffen uns hier einen Beschleunigungseffekt von etwa einem bis eineinhalb Jahren. Für die Beteiligungsrechte der anerkannten Naturschutzvereinigungen werden Präklusionsfristen eingeführt. Dabei werden die Vereinigungen den privaten Einwendern gleichgestellt. Das heißt, sie müssen ihre Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen nach Ende der einmonatigen Auslegungsfrist der Pläne vorbringen. Dies vereinfacht das Anhörungsverfahren, vergrößert dessen Transparenz, beschleunigt seinen Abschluss und entspricht dem Gebot von frühzeitiger und effektiver Interessenvertretung. Wir erhoffen uns hier einen Beschleunigungseffekt von zwei bis drei Monaten. Auch erfolgt eine Benachrichtigung von Natur- und Umweltschutzvereinigungen künftig im Wege der ortsüblichen Bekanntmachung über die Auslegung der Planunterlagen. Auf ein gesondertes Anschreiben wird verzichtet. Das Raumordnungsgesetz wird dahin gehend geändert, dass es dem Landesgesetzgeber überlassen wird, im Einzelfall von der Durchführung eines Raumordnungsverfahrens abzusehen. Die Regelung räumt einerseits dem Landesgesetzgeber die Möglichkeit flexibler Regelungen ein, andererseits bleibt aber das Raumordnungsverfahren grundsätzlich erhalten. Der gesetzliche Sofortvollzug von Betriebsgenehmigungen von Verkehrsflughäfen und von Planfeststellungsbeschlüssen bei besonders wichtigen Wasserstraßenprojekten wird verankert. Im Fernstraßenausbaugesetz wird die so genannte Ökostern-Regelung für die Dringlichkeitsstufen „vordringlicher Bedarf“ und „weiterer Bedarf“ praxistauglich gestaltet. Bestehende Rechtsunsicherheiten werden beseitigt, Verfahren vereinfacht und beschleunigt. Die Anhörungsbehörde kann zukünftig nach pflichtgemäßem Ermessen auf die Erörterung innerhalb des Anhörungsverfahrens verzichten. Hierbei ist insbesondere an die Fälle zu Dirk Fischer ({1}) denken, in denen fristgerecht keine Einwendungen oder Stellungnahmen eingegangen sind oder in denen von vornherein absehbar ist, dass beim Erörterungstermin wegen unterschiedlichster Interessenlagen keine Chance besteht, einen Konsens zu finden. Die gesetzliche Pflicht des Grundstückseigentümers zur Duldung von Vorarbeiten zur Baudurchführung wird ausgeweitet. Der Aufwand der Anhörungsbehörde zur Ermittlung von ortsabwesenden Grundstücksbetroffenen wird verringert. Die Geltungsdauer von Planfeststellungsbeschlüssen wird auf zehn Jahre, mit einer Verlängerungsoption von weiteren fünf Jahren, erhöht. Hier haben wir einen Wunsch, der im Bundesrat ausdrücklich vorgetragen worden ist, berücksichtigt. Durch diese Änderung wird der Verwaltungsaufwand erheblich verringert, da das vormals nach fünf Jahren erforderliche Verwaltungsverfahren zur Entscheidung über den Verlängerungsantrag künftig erst nach zehn Jahren und damit voraussichtlich nur noch in Ausnahmefällen durchzuführen sein wird. Dadurch wird sichergestellt, dass mit erheblichen öffentlichen Mitteln erworbene Planungsrechte nicht verfallen und bereits aufgebrachte Mittel vollständig verloren gehen. ({2}) Mit diesem Gesetz werden die teilweise verkrusteten Strukturen im Planungsrecht aufgebrochen. Wir ermöglichen einen bedarfsgerechten und vor allem zeitnahen Ausbau der Infrastruktur und leisten gleichzeitig einen großen Beitrag zum Bürokratieabbau und zur zügigen Schaffung von Planungssicherheit. Mit diesem Gesetz verbessern wir die Investitionsbedingungen am Standort Deutschland und geben einen weiteren deutlichen Impuls für mehr Wirtschaftswachstum und Beschäftigung in unserem Lande. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Lutz Heilmann, Fraktion Die Linke. ({0})

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Frau Staatssekretärin, wiederholt muss ich feststellen, dass Ökologie und Umweltschutz im Hause Tiefensee überhaupt keinen Stellenwert haben. Wieder beziehen Sie sich auf Wirtschaft, Arbeit und Wohlstand, was löblich ist, erwähnen in Ihrer Rede aber leider nicht die Umwelt. Herr Kollege Fischer, durch Ihre Rede zog sich das Prinzip Hoffnung. Das ist offensichtlich das Prinzip dieser Regierungskoalition, dem sie vermutlich auch noch die nächsten drei Jahre treu bleiben wird. Herr Kollege Fischer, Sie bezeichnen Bürgerbeteiligung als „verkrustete Strukturen“. Das macht deutlich, welchen Stellenwert die Bürgerinnen und Bürger sowie die Verbände in diesem Land bei Ihnen einnehmen. ({0}) Doch nun zu dem Gesetzentwurf selbst. Der Titel Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz ist ebenso monströs wie sein Inhalt. Kein Planungsverfahren wird dadurch wesentlich verkürzt; denn Sie setzen vor allen Dingen auf die Verkürzung von Fristen bei der Beteiligung von Verbänden und auf eine Einschränkung hinsichtlich des Rechtsweges. Eine Beschleunigung per se ist nicht notwendig. Kollege Mücke von der FDP hat das deutlich gemacht. Im Sommer dieses Jahres stellte ich eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung. Sie ergab, dass allein im Bereich des Straßenbaus zu Ende geplante Projekte mit einem Volumen von 4,8 Milliarden Euro auf Halde liegen. Warum wollen Sie auf Teufel komm raus durch die Einschränkung von Bürgerbeteiligungen eine Beschleunigung der Verfahren erreichen. Diese Summe von 4,8 Milliarden Euro ist mehr als das Doppelte von dem, was für Neubau- und Ausbaumaßnahmen in diesem Bereich jährlich zur Verfügung steht. ({1}) - Nehmen Sie doch einmal die Antwort auf die Kleine Anfrage zur Hand und lesen Sie nach. Vielleicht können Sie ja einen Erkenntnisgewinn daraus ziehen. ({2}) Im Bau befindliche Projekte sind in dieser Summe noch nicht einmal enthalten. Deshalb setzen Sie auf die Verlängerung der Gültigkeit der Planfeststellungsbeschlüsse. Meinen Sie denn tatsächlich, dass wir in 15 Jahren noch den gleichen Bedarf wie heute haben? Am Mittwoch dieser Woche haben wir im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung eine Anhörung zum Thema Demografie und Infrastruktur durchgeführt. Vielleicht hätten Sie daran teilnehmen und mit den Sachverständigen sprechen sollen. Dann hätten Sie vielleicht etwas dazugelernt. ({3}) Das, was Sie im vorliegenden Gesetzentwurf beschreiben, hat mit nachhaltiger Entwicklung gar nichts zu tun. ({4}) - Ich gehöre ja auch der Opposition an. ({5}) Ich komme auf einen weiteren Punkt zu sprechen. Gestern stand die Debatte zur Århus-Konvention auf der Tagesordnung. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass der von der Regierungskoalition eingebrachte Entwurf eines Gesetzes über die Öffentlichkeitsbeteiligung einige vernünftige Vorschläge enthält. ({6}) - Ja. Die Århus-Konvention zielt bekanntlich darauf, die Rechte der Bürgerinnen und Bürger und der Verbände auszuweiten; hier sind wir uns bestimmt einig. Allerdings müssen Sie mir erklären, wie Sie Ihren Entwurf eines Gesetzes über die Öffentlichkeitsbeteiligung mit dem Inhalt des Gesetzentwurfes, den wir gerade beraten und den Sie heute verabschieden wollen, vereinbaren wollen. ({7}) Haben Sie diesen Punkt vielleicht von der gestrigen Tagesordnung gestrichen, um diesen Widerspruch nicht deutlich werden zu lassen? Denn andernfalls hätten Sie gestern eine Ausweitung und heute eine Einschränkung der Rechte der Bürgerinnen und Bürger beschlossen. ({8}) Mir können Sie das nicht erklären. Aber den Menschen im Land sollten Sie erklären, was das soll. ({9}) Zurück zu Ihrem Gesetzentwurf. Er geht an den Problemen, die wir im Hinblick auf die Planungsverfahren haben, vorbei. Es gibt Schwierigkeiten bei der Durchführung, aber auch im Hinblick auf die Struktur des Planungsverfahrens. Diese Probleme haben Sie allerdings überhaupt nicht benannt. Sie beachten sie gar nicht und gehen einen verkrusteten Weg, anstatt sich endlich einmal über neue und bessere Maßnahmen Gedanken zu machen. ({10}) All die großen und kleinen Ferkeleien, die Ihr Gesetzentwurf enthält, wurden vom Kollegen Mücke bereits recht ausführlich angesprochen; das möchte ich nicht wiederholen. Besonders wichtig ist aber Folgendes: Sie behaupten immer, die Liste der Vorhaben sei abschließend. Das ist sie aber nicht. Es gibt eine Öffnungsklausel. ({11}) Das heißt, dass Sie jederzeit beispielsweise eine neue Autobahn in die Liste aufnehmen können. ({12}) Erzählen Sie also nicht, die Liste sei abschließend. Sagen Sie die Wahrheit und machen Sie deutlich, was Sie wirklich vorhaben. Gibt es Alternativen? Wir sagen Ja. Erlauben Sie mir dazu einige ganz kurze Bemerkungen. Wie entsteht heutzutage eine Autobahn? Wie sieht der Weg der Planung ganz konkret aus? Meistens ist es so, dass die Bundesländer Bedarf anmelden. Dann werden der Bundesverkehrswegeplan erstellt und die entsprechenden Ausbaugesetze erlassen. ({13}) Das alles erfolgt ohne Beteiligung der Öffentlichkeit. ({14}) Die wichtigen Entscheidungen treffen Sie, ohne jemanden in diesem Land zu fragen. Das gilt zum Beispiel für die Erarbeitung der Ausbaugesetze, in denen festgelegt wird, dass von A nach B eine vierspurige Straße gebaut wird. Können Sie mir das erklären? ({15}) - Nein, das können Sie mir nicht erklären. Jedenfalls ist die Erklärung, die Sie mir anbieten, für mich nicht ausreichend. ({16}) Nachdem Sie festgelegt haben, dass eine Straße gebaut wird, wird das Raumordnungsverfahren durchgeführt. In diesem Rahmen fragen Sie zum ersten Mal die Menschen in diesem Land, ob sie überhaupt ein Interesse an der geplanten Straße haben. ({17}) Ich denke, das spricht Bände. Daran werden die bestehenden Mängel deutlich. Im Anschluss an das Raumordnungsverfahren erfolgt die Linienfeststellung, danach das konkrete Planfeststellungsverfahren. Ganz am Ende dieses Prozesses dürfen die Bürgerinnen und Bürger sowie die Verbände erneut ihre Meinung äußern. Ich habe sehr wohl Verständnis dafür, dass es die Behörden nicht gerne sehen, wenn ihre Planungen, die sie im Laufe mehrerer Jahre entwickelt haben, unter Umständen im Papierkorb landen. Aber das darf kein Grund dafür sein, die Beteiligungsrechte der Menschen einzuschränken. Lassen Sie uns deshalb die strukturellen Mängel des Planungsverfahrens angehen. Wir werden Ihrem Gesetzentwurf heute nicht zustimmen, ({18}) da er an den Problemen, die wir haben, vorbeigeht und da durch ihn die Rechte der Bürgerinnen und Bürger eingeschränkt werden. Die große Koalition ist ja dafür bekannt, wie sie mit den Menschen umgeht; ich will in diesem Zusammenhang nur Hartz IV erwähnen. Sie schicken lieber unsere Soldaten in Einsätze überall auf der Welt. ({19}) Deswegen: Lehnen Sie diesen Gesetzentwurf bitte ab und lassen Sie uns das Planungsverfahren daraufhin überprüfen, was wir besser machen können! Wir als Linke haben da ein paar Vorschläge zu machen: ({20}) Als Erstes zu den Ausbaugesetzen: Wenn wir Alternativen von vornherein per Gesetz ausschließen, brauchen wir eigentlich nicht weiter darüber zu reden. Deswegen müssen wir die Ausbaugesetze vom Tisch wischen. ({21}) Als Zweites möchte ich vorschlagen, die Fristen für die Verbände an die Fristen anzugleichen, die für Behörden gelten. Das Bundesverwaltungsgericht spricht zu Recht davon, dass die Verbände Verwaltungshelfer sind. Sie sollen die Planung mit ihrem Sachverstand unterstützen, man soll sie nicht als Gegner darstellen. Das ist der große Unterschied zu einem möglicherweise betroffenen Bürger. Die Verbände sollen als Verwaltungshelfer ihren Sachverstand einbringen. Deswegen ist eine Gleichstellung mit den Behörden gerechtfertigt. Als Drittes schlagen wir vor, das Raumordnungsverfahren deutlich aufzuwerten, das heißt, dass wirklich Alternativen gegeneinander abgewogen werden, dass man sich ehrlich überlegt, ob man eine Straße oder eine Schienenanbindung baut - unbeeinflusst von Lobbygruppen. ({22}) Erforderlich ist, innerhalb des Raumordnungsverfahrens eine breite öffentliche Beteiligung herzustellen. Das erhöht die Akzeptanz der Entscheidungen, die getroffen werden, und die Menschen kommen besser damit klar. Was machen wir denn in diesem Hohen Hause, wenn wir einen Gesetzentwurf auf den Tisch bekommen? Er geht in die erste Lesung, dann wird er an den Ausschuss überwiesen, wo wir regelmäßig Anhörungen durchführen und wo wir in einen Dialog mit den Menschen eintreten. Das ist auch bei Planungsvorhaben erforderlich. In diesem Sinne werden wir als Linke uns noch einbringen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. ({23})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Peter Hettlich, Bündnis 90/ Die Grünen.

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Blank, gestern haben Sie in Ihrer Rede gesagt: Was lange währt, wird endlich gut. Das galt allerdings dem Gesetz zur Errichtung einer „Bundesstiftung Baukultur“. Über den Gesetzentwurf, über den wir heute diskutieren, kann ich das leider nicht sagen. ({0}) Ich kann allenfalls sagen: Der Berg kreißte und gebar eine Maus. ({1}) Denn dieses Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz ist wirklich ein Mäuschen geworden, ein ganz trauriges Mäuschen angesichts der hohen Ansprüche, die die Kanzlerin und Bundesminister Tiefensee in ihren ersten Regierungserklärungen an dieses Gesetz gestellt haben, ({2}) und angesichts seiner weit reichenden Auswirkungen. Mit dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, das 1991 als Vorläufer des heutigen Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes in Kraft getreten war, sollten ganz andere Probleme gelöst werden. Es ging damals um das Problem - das hat der Kollege Mücke gesagt -, dass es in Ostdeutschland keine Verwaltungsgerichtsbarkeit gab. Es fehlten Verwaltungsstrukturen und die Eigentumsverhältnisse waren vielfach nicht geklärt. Deswegen musste man über eine Sonderlösung nachdenken. Das haben wir auch anerkannt. Diese Sondersituation hat das Bundesverwaltungsgericht 2004 ausdrücklich beschrieben. Es hat ausdrücklich gesagt, dass in außergewöhnlichen Situationen außergewöhnliche Maßnahmen erlaubt sind - aber nicht generell. In der Tat, einige Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ konnten in Ostdeutschland relativ schnell fertig gestellt werden; der Kollege Hacker erzählt immer von der A 20. Andere Projekte sind trotz Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz bis heute nicht fertig gestellt: die A 38 zwischen Göttingen und Halle; VDE Nr. 1, die Schienenstrecke Lübeck-Stralsund; auch der Ausbau der A 9 zwischen Berlin und Nürnberg ist immer noch nicht abgeschlossen. Selbst das Renommierprojekt der großen Koalition, das VDE Nr. 8.1, der Neu- und Ausbau der Schienenstrecke Erfurt-Nürnberg, kommt nicht voran ({3}) und es gibt noch nicht einmal eine Perspektive, wann dieses Projekt jemals abgeschlossen sein wird. ({4}) Mittlerweile scheint selbst das Ministerium nicht mehr an die segensreiche Wirkung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes in Bezug auf den Aufbau Ost zu glauben. Denn im aktuellen Bericht zum Stand der Deutschen Einheit taucht dieser Begriff nicht mehr auf. Ich erinnere mich noch, wie Herr Stolpe an dieser Stelle gelobt hat, wie segensreich dieses Gesetz für den Aufbau Ost gewirkt habe. Aber wir sollten so ehrlich sein, zuzugeben: Der wahre Beschleuniger war die überproportionale Finanzausstattung der ostdeutschen Verkehrsprojekte. ({5}) Denn auch trotz dieses Gesetzes gilt: Ohne Moos nichts los. ({6}) Über diesem Gesetzentwurf lag vom ersten Tag an kein Segen. Die frühe Lancierung des unabgestimmten Referentenentwurfs in die Öffentlichkeit war ein gezielter Affront unseres damaligen Koalitionspartners. Deswegen haben wir uns auch geweigert, dieses Gesetz am Ende der letzten Legislaturperiode im Schweinsgalopp noch zu verabschieden. ({7}) Seitdem sind viele Monate ins Land gegangen. Zwischenzeitlich gab es eine Anhörung und mehrere Debatten. Letztendlich diskutieren wir heute aber doch über den Stolpe-Entwurf mit ein paar kleinen Änderungen. Er enthält sogar noch ein paar Verschlechterungen. Denken Sie beispielsweise an die Verlängerung der Gültigkeit von Planfeststellungsbeschlüssen. ({8}) Von Beschleunigung konnte man bei diesem Gesetzesvorhaben überhaupt nicht sprechen. Wir haben in der Opposition schon immer gefrotzelt, dass man ein Gesetz zur Beschleunigung des Gesetzesvorhabens zur Umsetzung des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes bräuchte. ({9}) - Du hast vielleicht das Originalrecht, aber ich habe es gerne übernommen. - Dieses Verfahren war und ist ein wahres Armutszeugnis für die große Koalition. ({10}) Unsere zentralen Kritikpunkte sind unverändert. Der Kollege Mücke hat eben zum Thema Eininstanzlichkeit des Bundesverwaltungsgerichts sehr viel gesagt. Ich erinnere noch einmal daran, mit welcher Süffisanz er aus den Stellungnahmen von Dr. Hien, dem Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts, zitiert hat. Ich kann eigentlich nur sagen: Genau das ist das Kernproblem dieses Verfahrens. Wir lehnen die Eininstanzlichkeit ab und wir werden den Bundespräsidenten diesbezüglich bitten, sich dieses Gesetz etwas näher anzuschauen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mücke?

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne.

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Hettlich, Sie haben mich gerade freundlicherweise zitiert und auf eine Äußerung des Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts verwiesen. Ist Ihnen die Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem Punkt bekannt? Mit Erlaubnis der Frau Präsidentin möchte ich kurz aus einer Kleinen Anfrage zitieren: Die Sonderregelung der erst- und letztinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für Streitigkeiten über bestimmte Planfeststellungs- und Plangenehmigungsverfahren in den neuen Bundesländern war in einer Ausnahmesituation notwendig, um den schnellen Aufbau einer ausreichenden Infrastruktur im Beitrittsgebiet zu ermöglichen. Vergleichbare Probleme bestehen heute und insbesondere im übrigen Bundesgebiet nicht. Eine dauerhafte Ausweitung der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts auf eine Vielzahl von Planfeststellungs- und Genehmigungsverfahren widerspricht dessen Charakter als Revisionsgericht. Ist Ihnen diese Äußerung der Bundesregierung bekannt?

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bekenne, dass ich die Kleine Anfrage offensichtlich nicht gelesen habe. Ich kann nur sagen: Dem ist hier nichts hinzuzufügen. Wo die Bundesregierung Recht hat, hat sie einfach Recht. ({0}) Ich kann nur noch einmal darauf hinweisen, dass das Bundesverfassungsgericht bereits 1958 in einem Urteil darauf hingewiesen hat, dass von der Norm, dass die Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte im Wesentlichen erstinstanzlich sind, nur in besonderen Ausnahmefällen abgewichen werden darf. Ich hatte eben ja schon gesagt, dass wir Herrn Bundespräsidenten Köhler ganz sicher darum bitten werden, sich dieses Gesetz - Sie haben eben ja so schön auf das Gesetz zur Privatisierung der Flugsicherung hingewiesen - noch einmal genauer anzuschauen. Interessant ist übrigens, dass Herr Hien von der SPD als Sachverständiger benannt wurde. ({1}) Das wollte ich an dieser Stelle doch einmal sagen. Er war nicht der Sachverständige der FDP und er war auch nicht der Sachverständige von uns Grünen. ({2}) - Ja. Sie scheinen ja nicht einmal selber daran zu glauben; denn wenn Sie wirklich meinen würden, dass das die Ultima Ratio ist, dann hätten Sie keinen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem Sie geschrieben haben, dass Sie diese Passage nach zwei Jahren evaluieren wollen. Erklären Sie mir doch bitte einmal, was Sie in zwei Jahren eigentlich evaluieren wollen. Bis dahin ist ja noch nicht einmal eine erste Verfassungsklage eingereicht, geschweige denn abgeschlossen worden. Über was wollen wir uns in zwei Jahren eigentlich unterhalten? Ich bin sehr gespannt. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, für uns Grüne ist die erhebliche Einschränkung der Beteiligungsrechte ein wesentliches Problem. Das ist ein schwerwiegender Webfehler in diesem Gesetz. Die demokratischen Rechte der Verfahrensbeteiligten dürfen nicht eingeschränkt werden. Aus unserer Sicht ist es vielmehr wichtig, zum Beispiel durch die frühzeitige Beteiligung Betroffener neue Wege der Öffentlichkeitsbeteiligung sicherzustellen. Hier stimme ich dem Kollegen Heilmann ausdrücklich zu; denn dadurch könnten wir Konflikte vermindern und Planungen wirklich beschleunigen. Es ist ein Mythos, dass die Verfahren in erster Linie durch die Beteiligungsrechte Betroffener unnötig in die Länge gezogen werden; denn die Öffentlichkeitsbeteiligung beispielsweise bei der Straßenplanung macht nur etwa 5 Prozent des gesamten Projektierungszeitraums aus. Die wirklichen Gründe für Verzögerungen - oberflächliche Planung, Planungsmängel, Verfahrensfehler, mangelhafte Beteiligung und Vergabefehler - werden dadurch lediglich verschleiert. Gerade das Recht der Betroffenen, Projektplanungen zu prüfen, ist ein präventives Instrument zur Sicherung hoher Qualitätsstandards bei der Planung. Bekanntlich wird in der Praxis erst bei besonders gravierenden Planungsmängeln und daher hohen Erfolgsaussichten gerichtlich geklagt. Wir halten diese Gesetzespassage für einen eklatanten Verstoß gegen die Árhus-Konvention und das EURecht und sind sehr gespannt, ob sich der Europäische Gerichtshof auch für diesen Teil des Gesetzes interessieren wird. Der Kollege Kelber - er ist gerade nicht anwesend - wird noch zu diesem Tagesordnungspunkt sprechen. Vielleicht wird er darauf eingehen, was die Umweltpolitiker bei den Sozialdemokraten zu diesem Thema meinen. ({4}) Die Verlängerung der Gültigkeit von Planfeststellungsbeschlüssen möchte ich nicht weiter kommentieren; darauf ist der Kollege Mücke bereits in epischer Länge und Breite eingegangen. Dem kann ich nur zustimmen. Ich frage Sie allerdings, was Sie von der Verlängerung auf zehn plus fünf Jahre - also 15 Jahre - erwarten, wenn dadurch insgesamt - vom Beginn der Planung bis zur Fertigstellung des Projektes - locker 20 bis 30 Jahre vergehen können? Wie wollen Sie neue Erkenntnisse - beispielsweise in der Sicherheitsforschung bei Tunneln - berücksichtigen, wenn Sie dadurch das Planfeststellungsverfahren im Grunde neu aufrollen müssten? Das würde mich brennend interessieren. Auch dieser Teil ist Murks. Damit ist er allerdings ein würdiger Bestandteil des Gesetzentwurfs. ({5}) Die Projektvorrangliste ist schon fast mein Lieblingsthema geworden; denn sie treibt die Absurditäten auf die Spitze. Nur 57 - in Wahrheit sind es weit über 100 - Straßenprojekte von hervorragender Bedeutung für den Verkehr ({6}) sollen an den Segnungen dieses Gesetzes teilhaben können. Bei manchen Projekten wie der Verbreiterung der A 1 zwischen Hamburg und Bremen von vier auf sechs Spuren kann ich noch eine überragende Bedeutung erkennen. Aber bei bestimmten aufgeführten Bundesstraßenprojekten - übrigens fast ausschließlich in Ostdeutschland - wird sich die überragende bundesdeutsche Bedeutung manchem westdeutschen Kollegen nicht erschließen. ({7}) Die Ortsumfahrung Beeskow mag durchaus regionale Bedeutung haben - das will ich nicht bestreiten -, aber wenn sie tatsächlich nur von regionaler Bedeutung ist, dann gehört sie nicht auf die Liste. Worin liegt die überragende bundesdeutsche Bedeutung dieses Projekts? ({8}) Ein Schelm ist, wer Böses darüber denkt, dass eine Vielzahl der Bundesstraßenprojekte aus dem Bundesland stammt, dem der ehemalige Bundesminister Stolpe viele Jahre als Ministerpräsident vorgestanden hat. ({9}) Das ist pure Kleinstaaterei. Ihrem selbst formulierten Anspruch werden Sie damit nicht gerecht. Ich bin - das habe ich bereits am Mittwoch im Ausschuss festgestellt - sehr gespannt, wie viele dieser Projekte tatsächlich in Ihrer Fünfjahresliste auftauchen werden. Darüber werden wir sicherlich auch im Ausschuss noch intensiv diskutieren. ({10}) Das Gesetz wird uns in keiner Weise voranbringen. Es geht völlig am Ziel vorbei und wird die Verfahren eher noch verlangsamen, und das zu einem hohen Preis. Diesen hohen Preis werden wir vom Bündnis 90/Die Grünen nicht zahlen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Hans-Joachim Hacker, SPD-Fraktion. ({0})

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist Transitland Nummer eins in Europa. Mit der EU-Osterweiterung, deren wirtschaftliche Dynamik sich in den nächsten Jahren noch verstärken wird, hat die Bedeutung einer optimalen Verkehrsinfrastruktur in Deutschland weiter zugenommen. Der Logistikstandort Deutschland in der Mitte Europas muss sich im Wettbewerb der Wirtschaft und des Handels so aufstellen, dass er im internationalen Wettbewerb vorne liegt. Das bedeutet auch, dass wir bei den Entscheidungen über die Planung und den Bau von Infrastrukturprojekten in den Bereichen Straße, Schiene und Binnenschifffahrt schneller werden müssen. Die Bürokratie muss auch in diesen Bereichen abgebaut werden, ohne dass - das will ich unterstreichen - berechtigte Bürgerinteressen beschnitten werden. Für die SPD-Bundestagsfraktion stellt sich die Frage des Standortwettbewerbs für Deutschland in der Konkurrenz mit den Partnerländern in Europa. Eine leistungsfähige Infrastruktur, die durch die Verkürzung von Planungszeiten wettbewerbsfähig gestaltet wird, schafft die Voraussetzungen für neue Arbeitsplätze in Deutschland. ({0}) Mit dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz geben wir in der Bundespolitik eine konkrete Antwort auf die Frage, wie die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen ist. ({1}) - Herr Heilmann, Ihre Zwischenrufe zeugen von wenig Sachkenntnis. Schauen Sie sich doch einmal die Infrastrukturmaßnahmen in den neuen Bundesländern an! In meinem Wahlkreis Ludwigslust liegt die Stadt Wittenburg. Sie liegt an der A 24. Dort haben sich verschiedene Industriezweige angesiedelt. Die Region um das Autobahnkreuz Neustadt-Glewe/Grabow/Ludwigslust wird zu einem aufblühenden Industriebereich werden. Das sollten Sie sich einmal ansehen. Das hat etwas mit Infrastruktur zu tun. Sie reden viel über die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern. Dass sie viel zu hoch ist, bezweifelt keiner. Wir müssen aber helfen, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Das ist eine konkrete Aufgabe der Infrastrukturpolitik in den neuen Bundesländern. Das sollten Sie endlich zur Kenntnis nehmen. ({2}) Mit dem Gesetz verfolgen wir gleichzeitig den Grundansatz, Bürokratie zu verringern, besser zu regulieren und vorhandene Finanzmittel effizienter einzusetzen. Auf genau diese Herausforderung reagiert die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf. Herr Hettlich, Ihre kritischen Anmerkungen zu einzelnen Punkten kann ich gut verstehen. Aber Ihre globale Aburteilung des Gesetzentwurfs ist für mich nicht ganz nachzuvollziehen. Sie saßen schließlich einmal mit im Boot. Wir haben das gemeinsam auf den Weg gebracht. ({3}) Die Koalition unterstützt - ich spreche hier sicherlich auch für die Kolleginnen und Kollegen von der Union den Gesetzentwurf in Punkt und Komma. Da wir bei einzelnen Regelungen nach besseren Lösungen suchen, haben wir uns in den Berichterstatterberatungen mit dem Gesetzentwurf gründlich auseinander gesetzt. Wir haben dieses Gesetzgebungsverfahren im Koalitionsvertrag vereinbart. Wir haben nach praktischen Wegen zur Beschleunigung der Verkehrsplanung gesucht. Wer nach Ergebnissen fragt, der soll sich einmal das Projekt A 20 anschauen. Warum wird argumentiert, es sei zu wenig Geld da und deswegen müssten wir schlechter und langsamer planen? Das sind doch widersprüchliche Argumente. Natürlich könnten wir noch mehr Mittel einstellen. Aber Fakt ist, dass der Verkehrshaushalt, den wir, die Parlamentarier, beschließen, im Investitionsbereich den größten Anteil aufweist. Die Mittel könnten sicherlich aufgestockt werden. Aber wir müssen dann ehrlich sagen, woher die Mittel kommen sollen: aus dem Etat für Arbeit und Soziales, dem Bildungsetat oder dem Verteidigungsetat. ({4}) - Sicherlich dürfen sie nicht aus dem Verteidigungsetat kommen; denn die Menschen, die im Verteidigungsbereich tätig sind, haben einen Anspruch darauf, ordentlich bezahlt zu werden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Hacker, die Kollegin Enkelmann möchte eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie sie zu?

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ausnahmsweise.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Bitte, Frau Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Hacker, ich danke ausdrücklich für Ihre Großzügigkeit. - Stimmen Sie Herrn Klaus von Dohnanyi, SPD-Mitglied und ehemaliges Mitglied des Gesprächskreises „Ost“, der in einem Interview Folgendes gesagt hat, zu: Die Infrastruktur ist für die Standortentscheidung der Unternehmen nicht mehr der ausschlaggebende Punkt. Er sagte weiter: Damit sind wir jetzt fertig, sollten nicht weitere Großprojekte anfallen, die entbehrlich sind. Die knappen Mittel sollten eher für den Ausbau der Industrie verwendet werden.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das eine schließt doch das andere nicht aus. Wir haben im Haushalt gerade auf Fragen betreffend Wissenschaft und Forschung sowie den Industrieausbau konkrete Antworten gegeben. Wir bauen doch nicht flächendeckend Autobahnen in Deutschland, Frau Enkelmann. Schauen Sie sich einmal die Landkarte von Deutschland an! Sie werden feststellen, dass sie einen großen weißen Fleck zwischen Schwerin und Magdeburg aufweist. Dieser wird durch die A 14 ausgefüllt. Damit haben wir eine wichtige Entscheidung getroffen. ({0}) - Deswegen haben wir in den Bereichen Forschung und Bildung entsprechende Akzente gesetzt, Frau Enkelmann. Wir haben ein 4-Milliarden-Euro-Programm für die Ganztagsschulen aufgelegt. Davon dürften auch die Schülerinnen und Schüler in Ihrem Wahlkreis profitiert haben. Seien Sie zuversichtlich! Die Koalition ist auf einem guten Weg. Wir setzen die richtigen Prämissen, auch im Infrastrukturbereich. - Danke schön für Ihre Frage. ({1}) Wir sind uns mit dem Bundesrat einig, dass der vorliegende Gesetzentwurf verabschiedet werden soll. Der Bundesrat hat in seinem Gesetzentwurf im Wesentlichen Regelungsbereiche aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung aufgegriffen. Ich bin optimistisch, dass der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden werden, auf große bzw. vollständige Zustimmung im Bundesrat stößt. Ich möchte an dieser Stelle auf die Kernelemente des Gesetzentwurfs nicht ausführlich eingehen; denn diese wurden bereits von Frau Staatssekretärin Karin Roth und Herrn Dirk Fischer dargelegt. Ich nenne nur zwei Punkte: frühzeitige und effiziente Beteiligung von Umweltschutzvereinigungen im Wege der Einführung von Präklusionsfristen - was Sie, meine Damen und Herren von der PDS, gesagt haben, stimmt also so nicht - und Erweiterung der Möglichkeiten des Verzichts auf Erörterungstermine im Anhörungsverfahren. Die Problematik von nicht ortsansässigen Grundstückseigentümern wurde bereits angesprochen. Ich will an der Stelle all die Punkte, die im Gesetz stehen, nicht noch einmal aufgreifen, weil wir sie im Ausschuss ausführlich diskutiert haben. Insofern wurde uns das schon einmal vorgestellt. Wir haben einen Gesetzentwurf, der komplexe Regelungen enthält. Es geht nicht nur um die Verkehrsinfrastruktur, also Straße, Bahn und Wasser, sondern auch um den Luftverkehrsbereich, das Magnetschwebebahnplanungsgesetz, es geht um Energiewirtschaftsrecht und Umweltrecht und nicht zuletzt um die Verwaltungsgerichtsordnung. Wir haben das ausführlich in einer Anhörung erörtert. Diese Anhörungsergebnisse haben wir in den Berichterstattergesprächen ausgewertet und wir haben die berechtigten Forderungen des Bundesrats einfließen lassen. Ich räume ein, dass es in der Anhörung unterschiedliche Argumente gegeben hat. Aber eines ist völlig sicher: Wir haben eine breite Zustimmung zum Gesetzentwurf bekommen. Das Meinungsbild zu der Erstinstanzlichkeit des Bundesverwaltungsgerichts war geteilt. Es wird immer Herr Präsident Hien angeführt, der dort kritische Bemerkungen gemacht hat. Das ist richtig. ({2}) - Herr Hien hat das auch schriftlich niedergelegt - das bezweifele ich doch gar nicht -, aber das war nicht die einheitliche Meinung. ({3}) Ich beziehe diese Aussage ausdrücklich auf die Frage der Erstinstanzlichkeit des Bundesverwaltungsgerichts. Jetzt wollen wir doch einmal hören, was Herr Hien gesagt hat. Von der Opposition wird diese Regelung massiv kritisiert. Bleiben wir einmal bei den Fakten. Richtig ist, dass die Sachverständigen hierzu unterschiedliche Auffassungen vertreten haben. Es gab kein einheitliches Meinungsbild. Das stimmt. Mit der Begrenzung der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts auf wichtige und ausdrücklich ausgewiesene Verkehrsvorhaben hat der Gesetzentwurf aber schon Bedenken ausgeräumt. Es geht hier nur um die Erstinstanzlichkeit, nicht um eine Veränderung des Planungsrechts im Allgemeinen. Wir haben die Liste formuliert, um die Regelung der Erstinstanzlichkeit verfassungsrechtlich zu untersetzen. Ich zitiere jetzt Herrn Präsidenten Hien, der ausführte: Die allgemeine Belastungssituation ließe es daher grundsätzlich zu, dem BVerwG zusätzliche Aufgaben zu übertragen. Zu seinen verfassungsrechtlichen Bedenken erklärte

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Diese Bedenken werden ganz klar minimiert, vermindert, wenn der Gesetzgeber selbst sagt, was er für verkehrspolitisch so bedeutsam hält. Das tun wir, Herr Hettlich. ({0}) Das tun wir mit der Liste ganz eindeutig. Ich könnte Ihnen noch einen Vortrag darüber halten, wenn ich nicht sehen würde, dass die Zeit langsam abläuft. So viel nur, um der Legendenbildung entgegenzuwirken. Wir haben auch deswegen eine Liste eingeführt, um die Anwendbarkeit des erstinstanzlichen Verfahrens zu beschränken. Wir werden uns nach zwei Jahren berichten lassen. Es liegt dann in der Macht unseres Hauses, die Liste zu präzisieren. Was ist eigentlich dagegen einzuwenden, dass sich dieses Haus das Recht vorbehält, diese Liste zu überarbeiten? Es gibt keinen besseren Vorschlag als den, dass das Recht, über diese Liste zu entscheiden, von diesem Haus ausgeübt wird. Deswegen ist es auch richtig, dass wir die drei Entschließungsanträge eingebracht haben, auf die ich wegen der Kürze der Zeit nicht näher eingehen kann.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, es gibt keine Kürze der Zeit mehr. Sie sind über der Zeit.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich habe das zu meinem Erschrecken selber festgestellt. ({0}) Ich möchte deswegen an dieser Stelle enden. ({1}) Ich bedanke mich für die Unterstützung der Bundesregierung, für die netten Gespräche in den Berichterstatterrunden mit Kollegin Blank und ich bedanke mich bei all jenen Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss, die sich durch sachgerechte Argumente in die Diskussion eingebracht haben. Vielen Dank, auch Ihnen, Frau Präsidentin. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Renate Blank, CDU/CSUFraktion. ({0})

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann nur feststellen, dass diese große Koalition Wort hält ({0}) und den Koalitionsvertrag umsetzt, in dem wir festgelegt hatten, dass im Rahmen eines Planungsbeschleunigungsgesetzes die Voraussetzung für eine bundesweit einheitliche Straffung, Vereinfachung und Verkürzung der Planungsprozesse zu schaffen ist. Es geht also nicht nur um die Beschleunigung, liebe Kollegen von der Opposition, sondern auch um eine bundesweit einheitliche Straffung und Vereinfachung. ({1}) Auch wenn du mich, Kollege Hettlich, gestern gelobt hast, muss ich heute etwas gegen die Grünen sagen. Bereits im Jahr 2005 hat der damalige Verkehrsminister den Entwurf eines Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes vorgelegt. Ihr wart damals die Bremser. ({2}) Aus heutiger Sicht war es gut, dass ihr gebremst habt; denn jetzt verabschieden wir ein Gesetz, das die große Zustimmung der CDU/CSU und der SPD sowie - darauf kommt es vor allen Dingen an - die des Bundesrates findet. ({3}) Denn während der intensiven Beratungen haben wir auch die Wünsche und Anregungen des Bundesrates mit aufnehmen können. Wir stehen bei diesem Gesetz unter Zeitdruck; denn das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz läuft am 31. Dezember dieses Jahres aus. Wir mussten also handeln. Mein Dank gilt natürlich meinem Berichterstatterkollegen von der SPD, Herrn Kollegen Hacker. Die geräuschlose Zusammenarbeit war sehr gut, effektiv und effizient. Mein Dank gilt auch Frau Leue und Herrn Rinke vom Verkehrsministerium - diesen Dank sollte man einmal deutlich formulieren -, die neben uns buchstäblich in letzter Minute die Einigung zwischen dem Wirtschaftsministerium und dem Umweltministerium zum Bereich Energiewirtschaft zu bewältigen hatten. Ich bin allerdings der Meinung, dass die für Erdkabel und Offshoreanlagen gefundene Lösung von allen zu tragen ist. ({4}) Da hat sich die Beratungszeit gelohnt. Kollege Hettlich, welche Beschwer hatten die Grünen, dass sie dem damaligen Gesetzentwurf ihre Zustimmung verweigerten und dass sie auch dem heutigen Gesetzentwurf ihre Zustimmung verweigern? Sie waren gegen die Einführung von Präklusionsfristen für anerkannte Naturschutzvereine. Das bedeutet, dass anerkannte Vereine das gleiche Recht wie ein Eigentümer eines Grundstückes haben. Aus meiner Sicht war diese Gleichstellung von Eigentümern und Vereinen längst überfällig. ({5}) Denn bisher konnten Umweltverbände Vorhaben durch Widersprüche bis zum Genehmigungsverfahren aufhalten. Ich bin die Leidtragende eines solchen früheren Planungsrechtes. 30 Jahre lang haben Grüne ({6}) mit dem Ankauf eines Sperrgrundstücks den Bau einer Bundesstraße in meinem Wahlkreis verhindert, den sie letztendlich im Rahmen des Bundesverkehrswegeplanes zu Fall gebracht haben. Heute stehen die Bürger ohne diese Straße da; ich verweise sie in Zukunft auf die Grünen. Für mich ist diese Einführung von Präklusionsfristen ein unerhört wichtiger Punkt, um zur Vereinfachung und Beschleunigung von Zulassungsverfahren für Verkehrsprojekte zu kommen. Auch der Wegfall der Ökosternregelung ist wichtig. Denn es ist nicht so, dass wir bei Straßenplanungen die Umwelt vernachlässigen würden. Es ist doch selbstverständlich, dass die Umwelt dabei berücksichtigt wird. Der Faktor Zeit nimmt im internationalen Wettbewerb in einer Gesellschaft, die auf Knopfdruck Milliardenbeträge in Sekundenbruchteilen rund um den Globus schicken kann, stetig an Bedeutung zu. Deshalb stellen verkrustete Strukturen gerade im Planungsrecht ein Investitionshemmnis erster Kategorie dar, wodurch ein bedarfsgerechter und vor allem zeitnaher Ausbau der Infrastruktur behindert wird. ({7}) Eine leistungsfähige Verkehrs- und Energieinfrastruktur ist dabei ein wichtiger Standortfaktor und Voraussetzung für ein produktives, wachstumsorientiertes Deutschland. Ein Beschleunigungseffekt tritt natürlich auch durch die gesetzliche Zulassung von Vorarbeiten zur Bauvorbereitung nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses ein; Frau Staatssekretärin hat bereits darauf hingewiesen. Jetzt komme ich zum Thema Erstinstanzlichkeit bei den 85 dringlichen Verkehrsprojekten. Es ist nicht so, dass der Präsident des Bundesverwaltungsgerichtes gesagt hat, eine Verkürzung des Rechtsweges sei nicht möglich. Allerdings hat er darauf hingewiesen, dass er, würden bei allen Projekten sofort entsprechende Rechtsmittel eingelegt, in Personalschwierigkeiten geraten würde; das muss man anerkennen. Es gab zwei Anhörungen zu diesem Bereich. Viele Gutachter waren der Meinung, dass eine solche Liste verfassungsgemäß ist - die Verfassungsmäßigkeit war bei unseren Fragestellungen in den entsprechenden Anhörungen ein wichtiger Aspekt -, da die Vereinfachung und Beschleunigung nicht nur für diese 85 dringlichen Verkehrsprojekte - hier geht es lediglich um die Erstinstanzlichkeit -, sondern für alle Verkehrsprojekte gilt. Das Parlament hat in einem Entschließungsantrag bekundet, dass wir einen Erfahrungsbericht nach zwei Jahren wollen; ({8}) denn wir wollen Einfluss - das Parlament ist der Handelnde - auf den Fortbestand dieser Liste nehmen. Ein Projekt ist zum Beispiel schon gestrichen worden, weil die Planfeststellung schon gegeben ist. Wir wollen über den Fortbestand und die Weiterentwicklung des Kriterienkatalogs und der Vorhabenliste befinden können. Es ist daher parlamentarische Aufgabe, zu prüfen und zu kontrollieren, ob das Erforderliche passiert. ({9}) Wir müssen uns natürlich selbstkritisch fragen, weshalb wir Planungsrechte geschaffen haben, die zu Verfahren führten, die so langwierig waren, dass sie am Ende nicht mehr beherrschbar blieben. Ich kann Ihnen nur aus Bayern berichten: Im Jahr 1958 haben Planungen für wirklich schwierige Bundesstraßen nach sieben bis acht Monaten zum Vollzug, also zum Bau geführt; jetzt dauert die Planung teilweise zehn, 15 oder 20 Jahre. Das ist doch nicht mehr hinnehmbar. ({10}) - Ich weiß nicht, ob im Jahr 1958 so viel Geld da war. Natürlich können wir für die Verkehrsinfrastruktur ständig mehr Geld brauchen, das ist klar. Aber wenn der Haushalt nicht mehr hergibt, dann geht es eben nicht. Wir müssen jetzt alle vorhandenen Ressourcen nutzen, denn das ist in Zeiten knapper Kassen ein wichtiger Beitrag zum Aufschwung. Wohlstand und Wohlergehen in Deutschland erfordern Mobilität, und zwar geistige und physische. ({11}) Zur Erinnerung: Die tatsächlichen Kosten eines Kilometers Autobahn belaufen sich auf circa 26 Millionen Euro. Davon entfallen nur rund 25 Prozent auf die reinen Investitionskosten. 19 Prozent werden für begleitende Investitionen wie Lärmschutz, Telematik usw. aufgewandt. Allein die Verwaltungskosten während der Genehmigungsphase sind für 35 Prozent der Kosten verantwortlich. Auf weitere Behörden und Verbände mit Kostenerstattung sowie weitere von öffentlichen Körperschaften getragene Gutachterkosten entfallen 21 Prozent der Kosten. Das kann doch so nicht weitergehen! Hier müssen wir eine Änderung in Angriff nehmen. ({12}) Kolleginnen und Kollegen, das Gesetz wird entscheidend dazu beitragen, dass die Planung von Infrastrukturprojekten transparenter, zeitlich schneller und insgesamt effizienter wird. Höhere Planungssicherheit und beschleunigte Entscheidungsprozesse sind auch entscheidende Kriterien für private Investoren, um Kapital für Infrastrukturvorhaben zur Verfügung zu stellen. Damit ist der Gesetzentwurf ein wichtiges Signal zur Verbesserung der Investitionsbedingungen am Standort DeutschRenate Blank land, mit allen positiven Auswirkungen für Wachstum und Beschäftigung. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Ulrich Kelber, SPD-Fraktion. ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die meisten meiner Vorrednerinnen und Vorredner haben zu Recht betont, dass eine moderne Dienstleistungsgesellschaft auch eine moderne Infrastruktur benötigt. Ich sage als Umweltpolitiker: Dazu gehören Straßen und Schienenstrecken. Dazu gehören aber genauso moderne Energienetze und eine nachhaltige Energieversorgung. Unsere Energienetze müssen ausfallsicher und aufnahmefähig für neue Wettbewerber sein, um endlich zu Modernisierung und zu fairen Strompreisen zu kommen. Ein solcher Ansatz, über neue Wettbewerber mehr Wettbewerb in die Energieerzeugung zu bekommen, ist aus meiner Sicht vielversprechender als der Versuch, in Zeiten einer europäischen Strombörse wieder eine staatliche Preisregulierung einzuführen. ({0}) Unsere Energienetze müssen auch fit gemacht werden für den wegen erfolgreicher Fördergesetze zum Glück immer rasanter ansteigenden Anteil erneuerbarer Energien in Deutschland. Sie müssen so modernisiert werden, dass sie für neue Steuerungsmodelle, wie zum Beispiel virtuelle Kraftwerke, fit sind. Das heute zu beschließende Gesetz enthält einen wichtigen Bestandteil, bei dem es um die Energienetze geht. Er ist ein weiterer entscheidender Durchbruch bei der Modernisierung unserer Energieerzeugung und dem Umbau unserer Energienetze hin zu einem größeren Anteil erneuerbarer Energien und mehr Wettbewerbern. Mein besonderer Dank gilt auch den Verkehrspolitikern der Koalition: Ihr habt es ermöglicht, uns mit diesem Anteil an das Gesetz anzuhängen. Auch dieser Teil hat etwas mit Planungsbeschleunigung zu tun. Deswegen ist er an dieser Stelle gut aufgehoben. Freundlicherweise habt ihr aber auf uns gewartet, bis wir zu der richtigen Lösung gekommen sind. ({1}) Mit dem vorliegenden Gesetz schaffen wir die Grundlage, um Planung und Umsetzung der benötigten neuen Höchst- und Hochspannungsleitungen vor allem im Norden und Osten unseres Landes zu beschleunigen. Mit diesem Gesetz verschaffen wir den Offshorewindparks einen neuen massiven Schub, weil wir für diese besonders effizienten Windenergieanlagen auf hoher See endlich die Finanzierung des Netzanschlusses sicherstellen. Damit gibt es erstmals eine Gleichberechtigung: Alle anderen Kraftwerke wurden schon bisher von den Netzbetreibern angeschlossen. Diese Regelungen gelten jetzt auch für die Offshoreanlagen. ({2}) Die Reaktionen aus der Branche sind vielversprechend. In den nächsten Jahren werden große Milliardensummen investiert. ({3}) Ich gehe davon aus, dass von nun an ein Anteil an erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung in Deutschland bis 2020 von über 30 Prozent möglich wird. ({4}) Einige, die diese Debatte verfolgen, werden die vollständige Ablösung der Stromerzeugung durch erneuerbare Energien persönlich erleben. ({5}) Damit geht ein deutsches Wirtschaftswunder weiter; denn in den wenigen Jahren, in denen eine intensive Förderung der erneuerbaren Energien stattfand, sind in diesem Bereich bereits 170 000 Arbeitsplätze in unserem Land entstanden. ({6}) Bis 2020 können es mindestens 300 000, vielleicht sogar 500 000 Arbeitsplätze sein, die Hälfte davon vermutlich in den neuen Bundesländern. ({7}) Der Weltmarktführer Deutschland - das sind wir in den sechs Jahren seit dem In-Kraft-Treten des ErneuerbareEnergien-Gesetzes geworden - wird durch die Exportstärke, die er schon entwickelt hat, einen Großteil der für das Jahr 2020 jährlich erwarteten Investitionen von 250 Milliarden Euro weltweit durch Exporte erwirtschaften. ({8}) Ich habe die Einwände der FDP-Abgeordneten, die mir leider keine Zwischenfrage stellen wollen, nach dem Preis durchaus gehört. ({9}) Nicht zuletzt führt gerade die Einspeisung von Windstrom zu einer Strompreisminderung. ({10}) Das müssen Sie nicht nur den wissenschaftlichen Gutachten glauben. Vielmehr hat selbst Eon im letzten Monat bekannt gegeben, ohne die Kapazitäten durch Windstrom gebe es an der Börse wesentlich höhere Strompreise. Das Unternehmen hat in einer Studie ausrechnen lassen, dass diese Kapazitäten bereits eine Preisminderung von über 1 Milliarde Euro pro Jahr für die Verbraucherinnen und Verbraucher bedeutet. ({11}) So viel zu der Frage: Woher kommt das Geld und wem helfen diese Investitionen? Man darf nicht statisch rechnen, Herr Mücke. Wer in einer hochkomplexen Dienstleistungs- und Industriegesellschaft lebt, muss zu dynamischen Rechnungen und dynamischen Betrachtungen von komplexen Vorgängen in der Lage sein. ({12}) Mit dem heute zu beschließenden Gesetz stellen wir die Offshorewindparks anderen Kraftwerken gleich, die durch die Netzbetreiber angeschlossen werden müssen. Für alle neuen Offshorewindparks wird dies zu einer völlig neuen Situation führen. Ich freue mich, dass auch im Ausschuss klar gestellt wurde, dass für die Offshorewindparks, die schon angeschlossen werden können, die getroffenen Vereinbarungen weiterhin gelten können, wie man am Beispiel Norderney sehen kann. ({13}) Wir ermöglichen auch die Nutzung von Erdkabeln statt Freileitungen in der Nähe von Siedlungen und ökologisch sensiblen Bereichen und verkürzen so die Planungsverfahren. ({14}) Ich glaube, dieses Gesetz ist eine gute Entscheidung für die Zukunft unseres Landes, eine Entscheidung für ein nachhaltiges Wachstum, für mehr Jobs und für mehr Klimaschutz. Trotz aller Kritik von Umweltpolitikern, zum Beispiel der Grünen, an bestimmten Teilen kann ich nur sagen: Dieser Teil des Gesetzes ist nun wirklich über jede Kritik erhaben. Ich bitte um breite Zustimmung zum Gesamtgesetz. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Volkmar Vogel, CDU/CSUFraktion. ({0})

Volkmar Uwe Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003650, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das vorliegende Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben ist ein gutes Gesetz. ({0}) Es knüpft an das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz an und findet deswegen die Zustimmung unserer Fraktion. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes schaffen wir über den 31. Dezember 2006 hinaus Planungssicherheit - das ist ganz wichtig - in den neuen Ländern. ({1}) Gleichzeitig - das ist mindestens genauso wichtig - erreichen wir Planungsbeschleunigung im gesamten Land. Ich habe es bereits gesagt: Am 31. Dezember läuft das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz aus. Es galt 15 Jahre, in denen wir in den neuen Ländern die Möglichkeit hatten, von bundesgesetzlichen Regelungen abzuweichen, ({2}) und zwar für Planung, Genehmigung, Ausführungsplanung und Bau. Es waren 15 Jahre, in denen wir die Herausforderungen des enormen Nachholbedarfs im Osten de facto gemeistert haben. Mittlerweile sind die meisten Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ abgeschlossen. Einige sind noch im Bau, aber zumindest der überwiegende Teil ist planfestgestellt. Der Nutzen aus der besseren Infrastruktur in den neuen Bundesländern wird dem gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland helfen. Einige Beispiele dafür: Die A 20 - das wurde heute schon angesprochen - verbindet den norddeutschen Raum um Hamburg und SchleswigHolstein mit Mecklenburg-Vorpommern. Ich nenne die A 14. Wie schnell gelangt man jetzt von Hannover in den Wirtschaftsraum Leipzig/Halle! Die A 9 verbindet Bayern mit Berlin. ({3}) Die A 71/73, zum Teil noch im Bau, lässt Nordbayern näher an Thüringen heranrücken. Autobahn- und Gleisanschluss sind Standortfaktoren. Gewerbeansiedlungen entlang der Trassen sorgen für neue, innovative Arbeitsplätze, vor allem in den neuen Ländern. Schnelles Genehmigen ermöglicht zügiges Bauen. Das bedeutet Arbeitsplätze für unsere Bauleute vor Ort und aus vielen anderen Regionen, bedeutet auch schnelle Nutzbarkeit von Anlagen und bedeutet letztlich Standortvorteile. Man kann heute mit Fug und Recht sagen: Der Großfeldversuch Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz war ein voller Erfolg. ({4}) Auch die Kritiker, die heute gesprochen haben, müssen doch erkennen: ({5}) Planungsvereinfachung geht mitnichten zulasten der Umwelt. Die Projekte, die jetzt verwirklicht sind, die jetzt abgeschlossen sind, entsprechen allesamt den heutigen Umweltstandards. Sie halten auch jedem Vergleich stand, allemal dem mit dem Zustand, wie er zur DDRZeit vorhanden war. Auch die Bürger- und Eigentümerinteressen wurden in all diesen Verfahren gewahrt. Das hat natürlich etwas damit zu tun, dass das Können und die Erfahrungen der Planer und der Behörden eine frühzeitige Beteiligung sicherten. Sicherlich war bei der Beschleunigung die Eininstanzlichkeit der Gerichtsverfahren - auch das ist heute schon angesprochen worden - von wesentlicher Bedeutung. Aber das war es nicht allein, sondern es waren auch die klaren Regelungen zu den Fristen bei der Anhörung und zur Beteiligung der Betroffenen. Das ist mitnichten bürgerfeindlich; im Gegenteil. Es ist für den Bürger wichtiger, genau und eindeutig zu wissen, bis wann er bei wem seine Bedenken anmelden muss. Das erreichen wir auch mit dem neuen Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz. Darum ist es allerhöchste Zeit, dass wir die guten Erfahrungen, die wir in den letzten 15 Jahren mit dem Beschleunigungsgesetz im Osten gesammelt haben, für das gesamte Bundesgebiet wirken lassen. Es ist aus meiner Sicht unverständlich, warum es doch so lange gedauert hat. Die Vorgängerregierung hätte eher handeln müssen. Die für Sommer 2004 angekündigte Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes wurde leider mehrmals verschoben. Nach dem 1. Januar 2007 kann der Genehmigungsstau in Deutschland bei Straße, Schiene, Wasserstraße und vielleicht zukünftig auch bei der Magnetschwebebahn endlich abgebaut werden. Durch die Ausdehnung der Planungserleichterung auf ganz Deutschland entfällt für die neuen Bundesländer natürlich der bisherige Beschleunigungsvorsprung. Durch diesen Vorteil konnte der Osten zu den alten Bundesländern aufschließen. Trotzdem muss man sehen: Die neuen Länder müssen weiter aufholen. Das Instrument der Vereinfachung und Entbürokratisierung hat sich dort am Beispiel Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz bewährt - und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne zusätzliche Kosten; im Gegenteil. Es wurden durch die kürzeren Genehmigungsverfahren sogar Kosten eingespart. Das macht Mut für weitere Projekte, so wie sie auch in der Koalitionsvereinbarung verabredet worden sind. Wir sollten überlegen, ob wir strukturschwachen Bundesländern ermöglichen, zumindest zeitweise von den ausgefeilten Bundesgesetzen abzuweichen. Möglichkeiten dazu ergeben sich im Vergaberecht, im Steuerrecht und im Arbeitsrecht. Auch das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz, das wir heute fortschreiben, bietet einen Ansatzpunkt. Die Entschließungsanträge der großen Koalition zum Gesetz werden uns dabei helfen. Auswahlkriterien, bei denen das Beschleunigungsgesetz Anwendung findet, und Vorhaben, die diesem zugeordnet werden, gilt es fortzuschreiben; denn man muss eines sehen: Das Leben geht weiter. Im vorliegenden Gesetzentwurf geht es richtigerweise im Wesentlichen um die nationalen Verbindungen, die von herausragender Bedeutung für die Wirtschaftsräume und für die einzelnen Handelsströme sind. Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass in Zukunft - insbesondere in den nächsten Jahren in den neuen Bundesländern - andere Faktoren von herausragender Bedeutung sein werden. Veränderte Verkehrsströme werden uns dazu zwingen, Beschleunigungen bei der Planung wichtiger Umgehungsstraßen durchzusetzen sowie neue Anbindungen und Schnittstellen zwischen einzelnen Verkehrsträgern, beispielsweise zwischen Straße, Schiene, Wasserstraßen und Seehäfen, herzustellen. Wir brauchen veränderte Bedingungen nicht nur für die Wirtschaft - das möchte ich betonen -, sondern auch für die Menschen, die Umwelt und den Erhalt unserer Lebensqualität. Hierfür ist eine enge Zusammenarbeit der zuständigen Planungs- und Genehmigungsbehörden in den Ländern unerlässlich. Die Länder benötigen Spielraum bei der Vereinfachung ihrer Verwaltungsgesetze. Der Erfolg des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes ist in hohem Maße auch ein Verdienst derjenigen Planer, die die berechtigten Anliegen von Mensch, Natur und Wirtschaft vorausschauend in Einklang brachten, und jener Behörden, die die Verfahren praxisnah und kompetent begleiteten; diese Behörden nutzten die Möglichkeiten im bisherigen gesetzlichen Rahmen immer effektiv. Wo solche Planer und Behörden zusammenkommen, werden Projekte schnell realisiert. Wir müssen uns aber auch über eines im Klaren sein: Wo dies nicht der Fall ist, wird es trotz Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes hier und da zu lange dauern. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben, Drucksache 16/54. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Ziffer I seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3158, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Abstimmung über den Änderungsantrag des Bündnisses 90/Die Grünen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/3175? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition und der FDP - ({0}) - Entschuldigung. - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP und bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand6016 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung und Schlussabstimmung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3177? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3176? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wir setzen die Abstimmungen zu den Beschlussempfehlungen auf Drucksache 16/3158 fort: Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Vereinfachung und Beschleunigung von Zulassungsverfahren für Verkehrsprojekte, Drucksache 16/1338. Der Ausschuss empfiehlt unter Ziffer II seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3158, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Abstimmung über den von der Fraktion der FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Vereinfachung und Beschleunigung von Zulassungsverfahren für Verkehrsprojekte, Drucksache 16/3008. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Ziffer III seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3158, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und der Linken bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der FDP abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Unter Ziffer IV seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3158 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Unter Ziffer V seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, eine weitere Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und FDP bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Unter Ziffer VI seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, noch eine weitere Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 24: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt und weiterer Abgeordneter Ergänzung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersuchungsausschusses - Drucksachen 16/3028, 16/3191 Berichterstattung: Abgeordnete Bernhard Kaster Christine Lambrecht Dr. Dagmar Enkelmann Volker Beck ({2}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Jörg van Essen von der FDP-Fraktion.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über die Erweiterung des Auftrags für den 1. Untersuchungsausschuss. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie wir vor etwa einem halben Jahr heftig darüber diskutiert haben, ob dieser Untersuchungsausschuss überhaupt notwendig ist. Ich erinnere mich insbesondere noch an die Ausführungen des Kollegen Stünker. Er ist heute nicht da, was ich auch verstehen kann. Denn nach all dem, was er uns damals dazu erzählt hat, wie überflüssig dieser Ausschuss ist und wie wenig wir ihn brauchen, hätte ich an seiner Stelle heute auch nicht an dieser Debatte teilgenommen. ({0}) Ich glaube, wir alle in diesem Hause wissen heute, dass der Antrag, der damals von den Oppositionsfraktionen eingebracht worden ist, richtig war. Dieser Ausschuss war notwendig. Heute bin ich froh über das, was wir in den letzten Wochen innerhalb der Oppositionsfraktionen verhandelt haben. Ich will nicht verschweigen, dass diese Verhandlungen nicht immer leicht waren. Aber das, was wir in den letzten Wochen verhandelt haben und was jetzt in einen Erweiterungsauftrag für den Untersuchungsausschuss fließt, war ebenfalls notwendig. ({1}) Denn in den letzten Wochen und Monaten hat sich gezeigt, dass es Vorwürfe gegen den Bundesnachrichtendienst wegen der Bespitzelung von Journalisten und der Beschäftigung von Journalisten gibt. Dem muss natürlich nachgegangen werden. Eine Frage, die sich stellt, ist: Passt das zu den übrigen Themen, die der Untersuchungsausschuss zu bearbeiten hat? Es bestand aber allgemein Übereinstimmung, dass es sinnvoll ist, das Thema in dem schon bestehenden Untersuchungsausschuss mit zu behandeln, was wir als FDP ausdrücklich begrüßen, weil es dann nicht eines weiteren Ausschusssekretariats und vieler anderer Dinge bedarf. Es ist eine Frage der Vernunft, dass man verwandte Themen in einem bereits bestehenden Untersuchungsausschuss mit behandelt. ({2}) Wir sind als Oppositionsfraktionen der Auffassung, dass die heutige Erweiterung des Untersuchungsauftrages des Ausschusses - dessen Einsetzung ist ja von den Oppositionsfraktionen als Minderheit beantragt worden aufgrund unseres Minderheitenrechts erfolgt. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass wir als Oppositionsfraktionen großen Wert darauf gelegt haben, bei dem Erweiterungsantrag das notwendige Quorum zu erfüllen, das wir erfüllen müssten, wenn wir einen neuen Untersuchungsausschuss einsetzen wollten. So wie es für die Oppositionsfraktionen selbstverständlich möglich gewesen wäre, einen neuen Untersuchungsausschuss zu beantragen, so können sie aufgrund ihres Minderheitenrechts auch eine Erweiterung des Auftrages des Untersuchungsausschusses, der auf ihren Antrag eingesetzt worden ist, hier im Deutschen Bundestag beantragen. Aber ich finde es gut, dass - ich war selbst daran beteiligt - die Erweiterung des Untersuchungsauftrages heute nicht nur auf Antrag der Oppositionsfraktionen erfolgt, sondern von allen Stimmen dieses Hauses befürwortet wird, worauf wir uns in den letzten Tagen verständigen konnten. Ich finde das ganz bemerkenswert. Deshalb sollte man das heute in der Debatte auch ansprechen. Untersuchungsausschüsse sorgen immer für Konfrontationen zwischen den verschiedenen Fraktionen, weil natürlich der eine dem anderen Fehler nachweisen will, während der andere nachzuweisen versucht, dass er alles richtig gemacht hat. Von daher läuft das Ganze kontrovers ab. Aber ich denke, dass es ein Zeichen der Stärke der Demokratie ist, wenn es gelingt, Fragen wie die Erweiterung des Untersuchungsauftrages im Konsens zwischen den Fraktionen des Deutschen Bundestages gemeinsam zu verabschieden. ({3}) Das erwähne ich hier ausdrücklich, weil ich diesen Umstand außerordentlich positiv finde. Meine Fraktion hat bisher konstruktiv mit dem Kollegen Max Stadler, dem ich an dieser Stelle ganz besonders dafür danke, an den Beratungen des Ausschusses mitgearbeitet. Unser Interesse als FDP-Bundestagsfraktion bleibt weiterhin, das Ganze nicht ausfasern zu lassen, sondern die Dinge konzentriert aufzuklären. Nur dann hat der Ausschuss Sinn. Unser Hauptziel bleibt - das will ich auch in dieser Debatte sagen -, dass wir aus möglicherweise gemachten Fehlern lernen, dass der Ausschuss einen Schwerpunkt seiner Arbeit darin sieht, uns gegebenenfalls Vorschläge zu machen, wo Dinge zu verändern und zu verbessern sind. Für uns ist ganz wichtig, dass die Kontrolle in diesem Bereich verbessert wird. Wir haben deshalb Vorschläge gemacht. Es zeigt sich, dass da, wo Macht ausgeübt wird, Kontrolle besonders wichtig ist. Das wird in diesen Tagen übrigens auch angesichts der Bilder, die veröffentlicht worden sind, deutlich. Dienstaufsicht ist wichtig. Sie muss effektiv sein. Das wird für uns ein ganz wichtiges Thema bei der Arbeit des Untersuchungsausschusses sein. Wir werden als Oppositionsfraktion FDP den Ausschuss weiter konstruktiv begleiten. Ich denke, dass das, was wir heute auf den Weg bringen, eine gute Ergänzung ist und die Arbeit des Ausschusses ganz sicherlich erleichtern wird. Wir stimmen deshalb zu. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Bernhard Kaster von der CDU/CSU-Fraktion.

Bernhard Kaster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003562, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im März dieses Jahres haben wir die Einsetzung des 1. Untersuchungsausschusses zu im Wesentlichen vier Themenkomplexen aus der vorangegangenen Legislaturperiode hier im Bundestag beschlossen: Ich nenne die Stichworte CIA-Flüge und CIA-Gefängnisse, die Entführung von Khaled el-Masri, Vernehmungen in Syrien und Libanon sowie den Einsatz von BND-Mitarbeitern während des Irakkrieges. Bereits bei der Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses haben wir als Union wie auch als Koalitionsfraktion deutlich gemacht, dass wir das schwerwiegende parlamentarische Kontrollinstrument des Untersuchungsausschusses nicht nur respektieren, sondern in einem solchen Ausschuss auch sachlich und konstruktiv mitarbeiten. Genau das haben wir in den vergangenen Wochen und Monaten getan; dies wird und kann keiner bestreiten. Das wird auch bei den nunmehr anstehenden Erweiterungen des Untersuchungsauftrages in gleicher Weise gelten. Es ist sicherlich zu begrüßen, dass wir uns nach der Einbringung des Antrages der Opposition gestern im Geschäftsordnungsausschuss auf einen gemeinsamen Beschlusstext verständigen konnten. Wir werden daher der heutigen Ergänzung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersuchungsausschusses zustimmen. Der Fall des in Pakistan in der Nähe zur afghanischen Grenze festgenommenen Bremer Türken Murat Kurnaz und seine Inhaftierung in Guantanamo werden den Untersuchungsausschuss richtigerweise beschäftigen, insbesondere im Hinblick auf die Frage einer möglichen frühzeitigeren Freilassung. An dieser Stelle sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es die Bundeskanzlerin persönlich war, die in diesem Fall sehr frühzeitig zugunsten einer unverzüglichen Freilassung intervenierte. Wir, die Union, und die gesamte Koalition haben nach Bekanntwerden von Anschuldigungen in diesem Fall gegen Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan sofort darauf gedrängt - und die entsprechenden Beschlüsse gefasst -, dass gemäß Art. 45 a des Grundgesetzes der Verteidigungsausschuss als Untersuchungsausschuss für diesen Teil der Fragen tätig wird. Das ist nicht nur von der Sache her vernünftig, sondern das gebietet unser Grundgesetz. Die persönliche Intervention der Bundeskanzlerin im Fall Kurnaz hat für alle deutlich gemacht: Es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, dass im Rahmen der Terrorismusbekämpfung kein Unrecht und auch keine Menschenrechtsverletzungen zugelassen werden dürfen. ({0}) Der Zweck heiligt auch hier nicht die Mittel. ({1}) Dies ist die eine wichtige Seite. Die andere wichtige Seite, die andere Botschaft ist - dies sollte in die Arbeit und in die Arbeitsweise des Untersuchungsausschusses immer mit einfließen -, dass wir alles nur Erdenkliche tun, um die Sicherheit unseres Landes und unserer Bürger zu gewährleisten. Hierzu brauchen wir heute mehr denn je funktionierende Geheimdienste. Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass unsere Sicherheitsbehörden jedem begründeten Verdacht, jeder Verdächtigung, jeder verdächtigen oder sich verdächtig machenden Person ohne Wenn und Aber nachgehen. Auch unter diesen Gesichtspunkten sind Sachverhalte und Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses zu beleuchten und zu bewerten. Die von den britischen Sicherheitsbehörden vereitelten Anschläge auf mehrere Flugzeuge im Sommer dieses Jahres, denen monatelange verdeckte Ermittlungen vorangegangen waren, zeigen uns zum einen die Bedrohungslage, die wir in Europa haben, aber auch die Wichtigkeit funktions- wie kooperationsfähiger Geheimdienste. Der neu hinzukommende Untersuchungskomplex, nämlich die Überwachung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst, hat uns auch gezeigt, wie umfassend und konsequent sowohl die Bundesregierung wie auch das Parlament durch das Parlamentarische Kontrollgremium auf das erstmalige Bekanntwerden dieser Sachverhalte durch die Presse im November 2005 reagiert haben. Bereits unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorwürfe und Einzelheiten hat das Parlamentarische Kontrollgremium am 30. November 2005 die Beauftragung des Sachverständigen Dr. Schäfer beschlossen. Die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung haben zudem direkt disziplinarische bzw. arbeitsrechtliche Maßnahmen, organisatorische Konsequenzen und die Bearbeitung von Dienstvorschriften in Angriff genommen und umgesetzt. Das Gutachten sollte den Vorwurf aufklären, ob der Bundesnachrichtendienst Journalisten rechtswidrig mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht hat, um so deren Informanten aus dem Bundesnachrichtendienst zu enttarnen. Die Sachverhalte berühren vor allem das hohe Gut der Medien- und Pressefreiheit. Daher ist es richtig, dass umgehend und schnell Konsequenzen in dem Sinne gezogen worden sind, wie ich es eben beschrieben habe. Der Untersuchungsausschuss hat nunmehr letztlich fünf große Themenkomplexe abzuarbeiten. Die besondere Sensibilität der Sachverhalte und die besondere Sensibilität bezüglich der Funktionsfähigkeit unserer Sicherheitsdienste erfordern eine sachlich und fachlich seriöse Abarbeitung offener Fragen. In diesem Sinne wird die Union die Arbeit des Ausschusses unterstützen und begleiten. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegen Petra Pau von der Fraktion Die Linke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit einem halben Jahr versucht ein parlamentarischer Ausschuss, Licht ins Dunkel zu bringen. Es geht um die Frage, ob auch deutsche Dienste im so genannten Antiterrorkampf Menschenrechte verletzt haben und, wenn ja, wer davon wusste und wer dies politisch zu verantworten hat. Salopp ist häufig vom BND-Ausschuss die Rede. Es geht aber nicht nur um den BND, auch nicht nur um Geheimdienste, sondern um schwerwiegende Vorwürfe wie Kidnapping und Folter, die mit unserem Rechtsstaat und dem Grundgesetz unvereinbar sind. ({0}) Es geht um viele Instanzen der Bundesrepublik: von der Gebirgsjägerkaserne bis zum Bundeskanzleramt. Seit vorgestern befasst sich ein zweiter Untersuchungsausschuss mit Menschenrechtsverletzungen im Antiterrorkampf. Im Fokus stehen das KSK und sein Agieren in Afghanistan. Der Verteidigungsausschuss hat sich dieser Sache angenommen. Die Fraktion Die Linke wird sich auch in diesem Ausschuss um größtmögliche Aufklärung bemühen. Allerdings sollte niemand glauben, zwei Untersuchungsausschüsse würden doppelt so schnell und doppelt so viel aufklären. Das Gegenteil könnte sogar der Fall sein; denn der Verteidigungsausschuss bzw. dieser Untersuchungsausschuss tagt geheim hinter geschlossenen Türen. Geheim ist nun einmal das Gegenteil von transparent. ({1}) Gemessen daran tagt der 1. Untersuchungsausschuss zumindest hinter Milchglasscheiben, also semiöffentlich, was nichts daran ändert, dass die Bundesregierung zum Teil auch hier eine absurde Geheimniskrämerei ins Absolute treibt. Deshalb bereitet meine Fraktion, mein Kollege Nešković, rechtliche Schritte gegen diese Geheimniskrämerei der Bundesregierung vor. ({2}) Ungeachtet dessen geht es heute darum, den Untersuchungsauftrag des ersten Ausschusses zu präzisieren und zu ergänzen; denn seit dem Frühjahr sind neue Vorwürfe aufgetaucht, die natürlich ebenfalls zu untersuchen sind. Ich wäre froh, wenn wir diese Vorwürfe entkräften könnten. Dazu müsste die Bundesregierung aber - auch das sage ich hier - endlich aus der Deckung kommen. ({3}) Auch deshalb begrüße ich die zarten Signale, wonach Frank-Walter Steinmeier - bei Rot-Grün Kanzleramtsminister und nunmehr Außenminister - gehört werden soll. Ebenso gefragt sind natürlich der damalige Außenminister Joseph Fischer und der damalige Innenminister Otto Schily, zumal sich die nötige Untersuchung nicht nur um die bisher bekannten Fälle Zammar oder Kurnaz dreht. Die Bespitzelung von Journalisten wie im Fall „Cicero“ harrt ebenso der Aufklärung. Deshalb der heutige Antrag auf Erweiterung des Untersuchungsauftrages. Die Pressefreiheit ist nicht nur nach Einschätzung der „Reporter ohne Grenzen“ bedroht. Die Fraktion der Linken ist der Auffassung, dass das den Bundestag aufrütteln sollte. ({4}) Nun möchte ich noch einmal auf den Vorwurf zurückkommen, der Bremer Kurnaz sei in Afghanistan von deutschen KSK-Soldaten misshandelt worden. Die Rede ist von Ende 2001 und Anfang 2002. Der Verteidigungsausschuss will das untersuchen. Darüber hinausgehend mahne ich: Etwas stimmt grundsätzlich nicht, womit ich wieder uns, den Bundestag, meine. In den letzten Tagen habe ich selbst bei gestandenen, regierungsgläubigen Abgeordneten den Eindruck gewonnen, dass sie sich hintergangen fühlen. Sie hatten darauf vertraut, dass das KSK ausschließlich im Rahmen von Recht und Gesetz agiert, allemal im Ausland. Nun stellen sie fest, dass sie viel weniger wissen, als sie eigentlich wissen müssten. Das liegt an einem Konstruktionsfehler in unserem parlamentarischen Betrieb: Das KSK ist Bestandteil der Bundeswehr, also keine Geheimarmee. Die Bundeswehr wiederum gilt als Parlamentsarmee. Wenn dem so ist, dann müsste das KSK logischerweise auch vom Bundestag kontrolliert werden. ({5}) Genau das passiert aber nicht, weil es nicht gewollt ist. Das Argument, bei dem KSK könnte etwas aus dem Ruder gelaufen sein, wendet sich folglich auch gegen dem Bundestag. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, dieses Problem wird dadurch verschlimmert, dass aus Ihren Reihen gefordert wird, einen Geheimausschuss zur Kontrolle des KSK einzurichten, der ähnlich wie das Parlamentarische Kontrollgremium, das für die Kontrolle der Geheimdienste zuständig ist, fungieren soll. Geheim bleibt nun einmal das Gegenteil von Aufklärung und Demokratie. Deshalb bleibe ich und deshalb bleibt die Fraktion Die Linke dabei: Wir brauchen mehr Aufklärung, mehr Transparenz und mehr Demokratie. In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zur Erweiterung des Auftrags des Untersuchungsausschusses. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Thomas Oppermann von der SPD-Fraktion.

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Erweiterung des Auftrags des 1. Untersuchungsausschusses wird von uns mitgetragen. Dabei geht es zum einen um die Präzisierung und zum anderen um die Erweiterung des Untersuchungsgegenstands. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, etwas zur Arbeitsweise dieses Ausschusses zu sagen. Ich bin neu im Deutschen Bundestag. Dennoch handelt es sich nicht um den ersten Untersuchungsausschuss, den ich erlebe, wohl aber um den ersten im Bundestag, dem ich angehöre. Gegenwärtig mache ich die Erfahrung, dass die Vernehmung von Zeugen dort anders als ursprünglich vorgesehen verläuft: Einem Zeugen wird eine Frage nicht ein einziges Mal gestellt, wie es in einem gerichtlichen Verfahren der Fall ist, sondern drei- bis fünfmal. Ihm wird immer wieder die gleiche Frage gestellt. Nur selten gibt ein Zeuge eine abweichende Antwort. Ein Untersuchungsausschuss, in dem auf diese Art und Weise gearbeitet wird, ist natürlich eine gewaltige Zeitvernichtungsmaschine. Das ist vielleicht auch der Grund dafür, dass wir mit unseren Untersuchungen bisher noch nicht sehr weit gekommen sind. Fleißig war der Ausschuss durchaus: Es wurden bereits 237 Beweisanträge gestellt ({0}) und über 200 Beweisbeschlüsse gefasst. 36 davon stammen von Ihnen, Herr Ströbele. Sie alle waren unergiebig. ({1}) Wir sind keinen Schritt vorangekommen. ({2}) Wir haben 36 von Ihnen benannte Zeugen verhört. Bisher konnte kein einziger von ihnen den belastbaren Beweis erbringen, dass der Bericht der Bundesregierung vom Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums abweicht. ({3}) - Herr Ströbele, Sie sind ja der Generalbevollmächtigte des Bündnisses 90/Die Grünen für Verdachtschöpfung. ({4}) Sie sind also der oberste Verdachtschöpfer in unserer Republik. Auch diese Rolle muss es geben. Aber Ihre permanente Verdachtschöpfung lässt sich durch die Tatsachenfeststellungen des Ausschusses nicht untermauern. Die Aufgabe eines Untersuchungsausschusses besteht nicht darin, immer nur Verdacht zu schöpfen - das ist der Anlass für die Einsetzung eines Untersuchungsausschuss -, sondern darin, Tatsachenfeststellungen zu treffen. Die Tatsachen, die wir bisher festgestellt haben, sind eindeutig. ({5}) Sie belegen, dass die Bundesregierung von den Verschleppungen keine vorzeitige, sondern nur nachträgliche Kenntnis hatte. Erst recht belegen die Aussagen aller Zeugen, die wir bisher vernommen haben, und alle Dokumente, die wir bisher zur Kenntnis genommen haben, dass die Bundesregierung an keiner Verschleppung aktiv beteiligt war, dass sie also nicht kooperiert hat. ({6}) - Ich weiß nicht, wovon Sie gerade reden: Der Untersuchungsausschuss hat den Auftrag, zu untersuchen, ob Reisedaten weitergegeben worden sind und ob sich die Bundesregierung in irgendeiner Weise an rechtswidrigen Handlungen beteiligt hat. ({7}) Natürlich müssen wir ernst nehmen, dass es Unrecht gegeben hat. Den Personen el-Masri und Kurnaz ist Unrecht widerfahren. Wie gelegentlich gesagt wird - zumindest gilt das im Fall Kurnaz -, waren sie zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Aber das rechtfertigt nicht, dass sie monatelang bzw. jahrelang festgehalten und misshandelt wurden. ({8}) Diese Vorfälle nehmen wir ernst. Wir wollen diese Vorwürfe aufklären. Allerdings ist es Aufgabe - ({9}) - Entschuldigung. ({10}) Allerdings ist es die Aufgabe des Ausschusses, festzustellen, ob die Bundesregierung an diesen Vorgängen in irgendeiner Weise beteiligt war. Wir haben nicht die Möglichkeit, inneramerikanische Vorgänge aufzuklären. Das muss das Parlament in den Vereinigten Staaten machen. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Oppermann, jetzt würde ich doch das Handy ausschalten.

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin dabei, Herr Präsident. Das ist mir beim ersten Mal nicht gelungen. Ich bitte um Nachsicht. Auch der Verdacht, dass deutsche Beamte sozusagen in Kumpanei mit den Betreibern illegaler Foltergefängnisse verstrickt werden - ({0}) - Es tut mir wirklich Leid. Jetzt ist es endlich ausgegangen. Olaf, kannst du es mir bitte abnehmen? Das ist mir noch nie passiert, dass jemand mein Handy bändigen muss. ({1}) - Herr Ströbele, über solche Kontakte verfüge ich nicht. Wir können feststellen, dass sich die Mitarbeiter deutscher Sicherheitsbehörden so verhalten haben, wie man das von ihnen in einer demokratischen Gesellschaft erwarten muss. Das jüngste Beispiel ist die Geschichte, die der „Stern“ gerade gebracht hat: dass Beamte des BKA in Tuzla, die einen Gefangenen hätten vernehmen können, diese Gelegenheit nicht wahrgenommen haben, weil dieser Gefangene offenkundig nicht unter rechtsstaatlichen Bedingungen gefangen gehalten wurde, sondern abgereist sind. ({2}) Das sollte man einmal herausstellen. ({3}) Die Erkenntnisse, die wir bisher haben, bestätigen, dass der deutsche Rechtsstaat funktioniert. Obwohl wir keine so lange demokratische Tradition haben wie der eine oder andere Verbündete, ist das im Großen und Ganzen sehr gut gelaufen. ({4}) Ich halte es für falsch, Herr Ströbele, wenn Sie unbelegte Behauptungen immer wieder in dieser Weise gegenüber der Öffentlichkeit formulieren. Dass fanatisierte Leute daraus eines Tages falsche Schlussfolgerungen ziehen, das ist eine ernste Gefahr, die ich nicht gering schätzen würde. Ich wünsche Ihnen nicht, dass so etwas passiert, aber es ist nicht ausgeschlossen. Deshalb sollten wir die Aufgabe des Ausschusses, Tatsachen festzustellen, sehr ernst nehmen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Oppermann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte, Herr Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Oppermann, wenn es einen Sachverhalt wie den, von dem Sie jetzt gesprochen haben - nach dem Artikel im „Stern“, aus dem auch Sie Ihre Schlussfolgerungen gezogen haben -, aufzuklären gilt, hielten Sie es da nicht für richtig, die Aufklärung - gerade aus den Gründen, die Sie genannt haben - in öffentlicher Sitzung des Untersuchungsausschusses vorzunehmen? ({0}) So könnte die ganze Welt miterleben, wie aufgeklärt wird, und ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen aus dem, was dabei herauskommt. ({1}) Wenn Sie das für richtig halten, warum haben Sie gestern dagegen gestimmt, dass wir über diesen Teil unserer Untersuchungen öffentlich verhandeln, und warum haben Sie anschließend gegen meinen Antrag gestimmt, wenigstens die VS-Vertraulich-Qualifizierung nachträglich aufzuheben, damit die Ergebnisse der Arbeit des Untersuchungsausschusses der Öffentlichkeit mitgeteilt werden können? ({2})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Ströbele, das ist nicht ganz zutreffend. Ich habe im Ausschuss lediglich festgestellt, dass der Ausschuss ein Protokoll, das auf der Vernehmung eines Zeugen, der nur für eine nicht öffentliche Sitzung eine Aussagegenehmigung hatte, und auf der Vorhaltung von Akten, die als „Geheim“ eingestuft sind, beruht, nicht im Nachhinein öffentlich machen kann. Durch diesen „Trick“ würde man die Einstufung als „Geheim“ umgehen. Das geht nicht. Ich habe im Ausschuss, wie Sie wissen, die Bundesregierung gebeten, zu prüfen, ob nicht eine Herabstufung der Einstufung dieser Akten möglich ist. Ich habe gebeten, noch einmal zu überdenken, ob sie wirklich geheimhaltungsbedürftig sind. Wir wissen aus der Untersuchung dieses Falles, dass die Beamten in dem fraglichen Vorfall die möglichen Gefangenen überhaupt nicht zu Gesicht bekommen haben, weil sie sozusagen das Feld vorher verlassen haben. Wenn Sie dann gegenüber den Zeitungen verlautbaren, dass deutsche Beamte bei dieser Gelegenheit tiefe Einblicke in Foltergefängnisse bekommen hätten, dann ist das eine unzutreffende, verfälschende Darstellung des Sachverhalts. Diese wollte ich kritisieren, Herr Ströbele. ({0}) - Herr Ströbele, ich bin für ein Höchstmaß an Öffentlichkeit im Ausschuss. ({1}) Ich glaube auch, dass die Geheimhaltung nicht viel nützt. Denn die Geheimhaltung ist im Grunde nur ein Beschleunigungsfaktor, derart eingestufte Unterlagen zu publizieren. Das mussten wir bisher feststellen. Alles, was als geheim eingestuft worden ist, hat das Licht der Öffentlichkeit erreicht. ({2}) Es wurden ja auch schon Strafanträge gestellt. Wir werden sehen, was dabei herauskommt. Nun zu den beiden Erweiterungen. Herr van Essen, ich bin nicht Ihrer Meinung, dass es ein Minderheitenrecht ist, den Auftrag für einen laufenden Untersuchungsausschuss mit zusätzlichen Themen, die mit dem ursprünglich zu untersuchenden Thema nichts zu tun haben, beliebig zu erweitern. ({3}) - Ich bin trotzdem anderer Auffassung, weil ein Untersuchungsausschuss natürlich kein ständiger Ausschuss des Parlaments ist, in den man laufend aktuelle Dinge einspeisen kann. Das ist im Grunde genommen auch die Neigung von Herrn Ströbele. Herr Ströbele möchte immer gerne, dass wir die Zeugen vernehmen, die gerade im Fernsehen gezeigt werden. So kann ein Untersuchungsausschuss aber nicht arbeiten. Dieser hat natürlich erst einmal die Akten zu studieren, auch wenn das weniger lustvoll ist. Er muss sich eine ordentliche Kenntnisbasis verschaffen. Danach müssen die Zeugen vernommen werden, die mit der Sache zu tun haben. Erst am Ende werden politisch verantwortliche Personen vernommen. Ich bin deshalb sehr dankbar, dass wir uns darauf verständigen konnten, im Ausschuss nach Komplexen vorzugehen und nicht hin und her zu springen, wie es ursprünglich der Wunsch von Herrn Ströbele war. Dadurch wird die Seriosität der Arbeit sicherlich gewährleistet. Das ist ein gutes Ergebnis und das war auch einer der Gründe für uns, weshalb wir die Verständigung gesucht haben. Ich muss darauf hinweisen, dass der Gesichtspunkt der Erweiterung des Untersuchungsauftrags im Fall Kurnaz - es geht darum, ob es die Möglichkeit gab, ihn schon vorzeitig aus Guantanamo freizubekommen - bereits im Frühjahr im Bericht der Bundesregierung angesprochen worden ist. ({4}) Sie hätten den Fall bereits in den ursprünglichen Untersuchungsauftrag mit aufnehmen können, wenn Ihnen das Schicksal von Herrn Kurnaz wirklich so wichtig gewesen wäre. Jetzt, da das Medieninteresse in diesem Fall so beachtlich gestiegen ist, entsteht mit einem Male plötzlich auch Ihr Interesse an diesem Aspekt. Wir haben aber überhaupt kein Problem damit, das zu untersuchen. Ich glaube, die Bundesregierung hat nichts zu verbergen und zu verheimlichen. Wir werden feststellen, welche Entscheidungen getroffen worden sind und ob sie zu verantworten waren oder nicht. Ich komme noch zu dem zweiten Gesichtspunkt, dem Schäfer-Bericht. Im Rahmen der so genannten Eigensicherung des BND ist es zur Überwachung von Journalisten gekommen. Das muss natürlich nach Recht und Gesetz geschehen und wird zu untersuchen sein. ({5}) - Ja, die Bundesregierung hat auch angeordnet, dass künftig keine Journalisten mehr überwacht werden dürfen. ({6}) Das darf aber natürlich nicht dazu führen, dass man durch eine nicht geschützte Berufsbezeichnung künftig davor bewahrt werden kann, dass der BND tätig wird. ({7}) Darüber muss natürlich noch einmal in aller Ruhe gesprochen werden. Jeder kann sich hier Journalist nennen, wodurch er nicht mehr Gegenstand von Untersuchungen sein dürfte. ({8}) Potenzielle Terroristen würden sich dann als Erstes einen Presseausweis besorgen. Das kann im Ergebnis natürlich nicht gewollt sein und das hat die Bundesregierung in dieser Form auch nicht angeordnet. Ich bin froh darüber, dass wir uns bezüglich des Schäfer-Berichts auf die Kernfragen verständigen konnten. Es geht darum, wer politisch für diese Praxis verantwortlich gewesen ist. Die Beantwortung dieser Frage wird uns in den nächsten Monaten ohnehin genügend Arbeit bringen. Ursprünglich war einmal davon die Rede, dass dieser Ausschuss seine Arbeit bis zur hinter uns liegenden Sommerpause beendet. Danach haben wir uns stillschweigend auf das Ende des Jahres eingelassen. ({9}) Es wird so sein, dass wir zum Ende des Jahres fertig sein werden, aber es ist im Augenblick völlig unklar, ob es das Jahr 2008 oder 2009 sein wird. ({10}) Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Volker Beck vom Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Oppermann, das größte Ungemach droht dem Untersuchungsausschuss womöglich durch eine verkürzte Wahlperiode. ({0}) Vielleicht wird er deshalb seine Arbeit nicht erfolgreich zu Ende führen können. Das wollen wir zumindest im Interesse des Untersuchungsausschusses nicht hoffen. In anderer Hinsicht kann man dabei durchaus anderer Auffassung sein. Volker Beck ({1}) Ich denke, der Untersuchungsausschuss und die heute vorgesehene Erweiterung des Untersuchungsauftrages zeigen grundsätzlich, dass unsere Demokratie und die parlamentarische Kontrolle funktionieren und wir bei Skandalen wie im Fall Kurnaz, der Totenschändung und der Tätigkeit des KSK in Afghanistan sowie den rechtswidrigen Übergriffen des Bundesnachrichtendienstes auf den Status von Journalisten nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Vielmehr sorgt die parlamentarische Opposition dafür, dass diese Themen aufgearbeitet werden und auf exekutives Fehlverhalten einzelner oder mehrerer Personen auch von politischer Seite entsprechend reagiert werden kann. Das halte ich für ein gutes Zeichen mit Signalwirkung und es unterscheidet uns von Ländern, in denen Rechtsbrüche und menschenrechtswidriges Verhalten durch Gesetzgebungsakte der Regierung im Parlament durchgesetzt werden, wie es in den USA der Fall ist, wo durch den Military Commissions Act das völkerrechts- und menschenrechtswidrige Vorgehen im Antiterrorkampf ausdrücklich legalisiert wird. ({2}) Herr Oppermann, Ihre Rede hat gezeigt, dass Herr Ströbele Sie ganz schön auf Trab hält. ({3}) Dafür danke ich ihm im Namen meiner Fraktion. ({4}) Deshalb haben wir ihn auch in den Untersuchungsausschuss geschickt. Er scheint der richtige Mann dafür zu sein. Das haben Sie ihm gerade bescheinigt. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir heute den Untersuchungsauftrag erweitern; denn wir haben im Laufe des Verfahrens erkannt, dass wir bei der Einsetzung des Untersuchungsausschusses nicht alle Komplexe benennen konnten. Dass wir an dieser Stelle nachbessern und die Komplexe insgesamt aufarbeiten wollen, statt vorschnell zu Schlussfolgerungen zu kommen, weil der Untersuchungsauftrag nicht alle Komplexe umfasst, ist sicherlich ein sehr wichtiger Impuls für den Ausschuss. Der Untersuchungsausschuss ist aber keine Ausrede. Damit komme ich zu Herrn Kaster, der vorhin sozusagen das Weihrauchfass vor dem Bundeskanzleramt geschwungen hat angesichts der Heldentaten von Bundeskanzlerin Angela Merkel ({5}) zu einem Zeitpunkt, als man kein Held sein musste, um Äpfel zu ernten, die schon überreif am Baum hängen. Herr Kollege, es gibt keinen Grund dafür, dass wir nach wie vor nicht wissen, ob die Amerikaner weiter Gefangene über unseren Luftraum hinweg verschleppen, und dass wir uns von den Amerikanern nicht zusichern lassen, dass durch unser nationales Territorium niemand menschenrechtswidrig verschleppt wird. Wir müssen entweder von den Amerikanern klare Angaben zu den an Bord befindlichen Personen erhalten oder wir müssen jede amerikanische Maschine, die den deutschen Luftraum überquert oder auf deutschem Territorium landet, darauf überprüfen, ob verschleppte Gefangene an Bord sind. Das können wir jederzeit regeln. Wenn die Bundeskanzlerin den von Ihnen verschwenkten Weihrauch tatsächlich verdient hat, dann kann sie das gleich nachher telefonisch mit dem amerikanischen Präsidenten besprechen. ({6}) Lassen Sie mich zum Schluss noch zu einer Verfahrensfrage kommen. Herr van Essen hat es dankenswerterweise schon angesprochen. Dass wir den Untersuchungsauftrag erweitern, ist das Recht der parlamentarischen Minderheit. Wir sind trotzdem als Ausdruck des guten Willens und im Interesse eines leistungsfähigen Ausschusses - es besteht kein Dissens mit der Koalition, dass die Fragen konzentriert angegangen werden sollten - der Koalition in einigen Formulierungen entgegengekommen. Das heißt nicht, dass wir dazu verpflichtet gewesen wären; es zeigt nur das gute parlamentarische Miteinander in diesem Zusammenhang. Es ist aber unzweifelhaft unser Recht - das spreche ich an, weil es im Ältestenrat bezweifelt wurde -, den Auftrag einer Minderheitsenquete zu erweitern. Das hat Ihr Kollege Wiefelspütz in seinem Buch „Der Untersuchungsausschuss“ zweifelsfrei - wenn auch mit Bedauern - festgestellt: Nach herrschender Meinung kann im Falle einer Minderheitsenquete die qualifizierte Minderheit eine Ergänzung oder Erweiterung des Untersuchungsgegenstandes verlangen, nachdem der Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde. Recht hat der Kollege Wiefelspütz. Er ist damit nicht alleine. Es gibt noch renommiertere Quellen, ({7}) wie zum Beispiel den Grundgesetzkommentar von Michael Sachs, der eindeutig feststellt: Umgekehrt muss er vom Bundestag auf Antrag der Minderheit verändert werden, wenn dies zur verfassungsmäßigen Durchführung der Untersuchung erforderlich ist. Er zitiert dabei ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das feststellt: Der Minderheit bliebe es in diesem Falle - es war streitig, ob die Erweiterung zulässig ist überlassen, den Beschluss des Bundestages, insoweit er den Änderungsantrag ablehnt, im anhängigen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anzugreifen. Nur zur Erinnerung, damit wir uns in Zukunft nicht mehr über Verfahrensfragen streiten müssen: Zu Beginn der Sitzungswoche gab es keine Tagesordnung, weil die Koalition uns unsere Rechte nicht von Anfang an zugestanden hat.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich finde, es ist gut, dass Sie zur Einsicht gekommen sind und die Minderheitenrechte respektieren. Weil Sie sich letztendlich anständig verhalten haben, haben wir das mit konstruktiven Gesprächen über die Ergänzung des Untersuchungsauftrags belohnt. Meine Fraktion wird dem Antrag auf Ergänzung des Untersuchungsauftrages zustimmen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort der Kollege Hermann Gröhe von der CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Hermann Gröhe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002666, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute den Auftrag für den 1. Untersuchungsausschuss in dieser Wahlperiode auf der Grundlage eines Antrags von Abgeordneten der Opposition, aber auch einer einvernehmlich getroffenen Empfehlung des Geschäftsordnungsausschusses gemeinsam erweitern, ist dies auch ein Ergebnis der insgesamt sachlichen Zusammenarbeit in den Sitzungen des Untersuchungsausschusses. Dafür danke ich den Obleuten aller Fraktionen, aber nicht zuletzt unserem Ausschussvorsitzenden Siegfried Kauder. Unser Vorsitzender ist ein unparteilicher Anwalt einer sachlichen und zügigen Erfüllung des Untersuchungsauftrags und der Wahrung der Rechte einschließlich der Minderheitenrechte. ({0}) Auch wenn der Untersuchungsausschuss vor genau 29 Wochen eingesetzt wurde, erscheint es mir trotz mancher vollmundigen Äußerung verfrüht, Bilanz zu ziehen. Richtig ist allerdings: Die Arbeit des Untersuchungsausschusses, die durch sie ausgelöste, aber auch eigenständig vorangetriebene Aufklärungsarbeit der Bundesregierung, die Recherche inländischer und ausländischer Medien sowie das beharrliche Wirken unserer Justiz haben weitere wichtige Informationen zutage gebracht. Dies kann man anerkennen, auch wenn man nach den insgesamt recht umfassenden Arbeiten des Parlamentarischen Kontrollgremiums eine andere Lösung zur Klärung der noch offenen Fragen für effizienter gehalten hätte als die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses. Herr Beck, ich betone ausdrücklich: Wir freuen uns, dass unsere Bundeskanzlerin, Frau Angela Merkel, nach wenigen Monaten Regierungszeit die Freilassung von Herrn Kurnaz erreicht hat. Ich bin sicher, dass die von ihr geschaffene gute Atmosphäre in den Beziehungen mit den USA dies begünstigt hat. ({1}) Herr Beck, Sie sprachen in diesem Zusammenhang von reifen Äpfeln. Wir werden sicherlich bald erfahren, warum Joseph Fischer zur Reifung dieser Äpfel so wenig beigetragen hat. ({2}) Den 1. Untersuchungsausschuss in dieser Legislaturperiode verdanken wir dem Minderheitenrecht. Einmal eingesetzt ist der Untersuchungsausschuss dem gesamten Deutschen Bundestag und dem von ihm erteilten Untersuchungsauftrag verpflichtet. Für die CDU/CSUFraktion sage ich daher sehr deutlich: Wir wollen eine erfolgreiche und zügige Erfüllung des Auftrages des 1. Untersuchungsausschusses in dieser Wahlperiode. Da wir einen Untersuchungsausschuss haben und es insbesondere im Hinblick auf den Fall Kurnaz und die so genannten CIA-Flüge neuere Entwicklungen gibt, ist es gut, dass wir auf jeden Streit darüber verzichten, ob die Behandlung dieser Fragen vom bisherigen Untersuchungsauftrag gedeckt ist. Der heutige Beschluss bringt insoweit zügig Klarheit. Einem Wunsch der Opposition folgend werden wir uns mit einem weiteren, mit dem bisherigen Untersuchungsauftrag nicht in einem Zusammenhang stehenden Fragenkomplex, der so genannten Journalistenausforschung durch den BND, befassen. Angesichts der Tatsache, dass das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse auch im Hinblick auf die Rechtspraxis in diesem Hause fortentwickelt wird, liegt mir allerdings daran, an unserer Auffassung festzuhalten: Es gibt kein Minderheitenrecht zur Auftragserweiterung zu einem völlig anderen Sachgebiet - hier etwa im Fall der Ausforschung von Journalisten -, sondern es gibt lediglich ein Minderheitenrecht zu einer sachlich gebotenen inhaltlichen Arrondierung. Die Opposition - wir haben dies gehört - sieht das anders. Ein Streit - auch mit der möglichen gerichtlichen Klärung - ist aber unnötig, weil wir uns verständigt haben. Die Tatsache, dass wir heute den Untersuchungsauftrag erweitern, aber auch die Erfahrungen der letzten Wochen machen deutlich: Wir müssen das Vernehmungsprogramm straffen, wollen wir in angemessener Zeit unser Ziel, angemessene Sachaufklärung, Diskussion politischer Verantwortlichkeiten und Empfehlungen für die Zukunft, leisten. Die Oppositionsfraktionen haben sehr spät, aber sehr umfänglich Beweisanträge im Untersuchungsausschuss gestellt. Inzwischen haben wir manche wenig ertragreiche Vernehmung erlebt, auf die man nach gewissenhaftem Aktenstudium hätte verzichten können. Wir sollten uns daher bald - und nach Möglichkeit wieder gemeinsam - auf eine Straffung unserer Arbeit verständigen. Unser Ziel ist es, den Fall el-Masri noch in diesem Jahr abzuschließen, was auch die Zeugenvernehmung ehemaliger oder amtierender Bundesminister einschließt. Dabei wird es nicht zuletzt um die Umstände und die Zulässigkeit der Verschwiegenheitszusage von Otto Schily gehen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine allgemeine Bemerkung machen. In allen Themenkomplexen, die in unserem Ausschuss behandelt werden, kommt es immer wieder zu spektakulären Medienberichten, etwa zu bewegenden Auftritten der Opfer im Fernsehen. Das in diesem Zusammenhang entstehende öffentliche Interesse müssen wir bei unserer Arbeit berücksichtigen. ({3}) Es enthebt uns aber keinesfalls - ich hoffe, Sie rufen noch einmal „sehr gut“ - der eigenen Verantwortung, für eine sachgerechte, inhaltlich strukturierte Aufklärung zu sorgen. ({4}) Trotz eindrucksvoller Talkshowauftritte gilt der schlichte Grundsatz: Die Lektüre umfangreicher Akten muss der Vernehmung von Zeugen vorangehen. Sonst wird diese Zeugenvernehmung wenig ertragreich und verkommt zum reinen Showprogramm. Im Hinblick auf das öffentliche Interesse ist - dies überrascht nicht - die Frage der Öffentlichkeit der Zeugenvernehmung immer wieder Gegenstand der Auseinandersetzung. Dies klang auch eben an. Das Bundesverfassungsgericht hat in den Leitsätzen zu seinem Urteil vom 17. Juli 1984 ausgeführt - ich zitiere -: Das Wohl des Bundes oder eines Landes ... ist im parlamentarischen Regierungssystem des Grundgesetzes dem Bundestag und der Bundesregierung gemeinsam anvertraut. Die Berufung auf das Wohl des Bundes gegenüber dem Bundestag kann mithin in aller Regel dann nicht in Betracht kommen, wenn beiderseits wirksame Vorkehrungen gegen das Bekanntwerden von Dienstgeheimnissen getroffen werden. Leider mussten wir in den letzten Monaten erleben, dass sowohl aus geheim eingestuften Dokumenten als auch aus geheimen Sitzungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums Dinge an die Öffentlichkeit drangen. Wer immer wieder in dieser Weise Recht bricht, handelt verantwortungslos und erweist dem Untersuchungsanspruch des Parlaments einen Bärendienst. ({5}) Die im 1. Untersuchungsausschuss im Hinblick auf die Untersuchungsauftragserweiterung beschlossenen Präzisierungen zielen auf eine Beschleunigung der weiteren Arbeit. Deswegen werden wir der Beschlussempfehlung zustimmen. Ich bin sicher, die heutige Beschlussfassung stellt eine gute Grundlage für die weitere Arbeit dar. An dieser weiteren Arbeit wird die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion wie bisher konstruktiv mitwirken. Nichts wird unter den Teppich gekehrt. Fragwürdige Dramatisierungen und Verallgemeinerungen bringen uns aber in der Sache ebenfalls nicht weiter. Dieser Sache, einer sachlichen Aufklärung, bleiben wir weiterhin verpflichtet. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt und weiterer Abgeordneter zur „Ergänzung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersuchungsausschusses“, Drucksache 16/3191. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/3028 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartfrid Wolff ({0}), Ernst Burgbacher, Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP BOS-Digitalfunk neu ausschreiben - Neustart mit transparenter Auftragsvergabe unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes - Drucksache 16/2672 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner gebe ich das Wort dem Kollegen Hartfrid Wolff von der FDPFraktion. ({2})

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir brauchen schnellstmöglich den Digitalfunk in Deutschland. Das Projekt ist zu wichtig, als dass eine Nichteinführung auf Dauer riskiert werden darf. Allerdings habe ich Zweifel daran, ob der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg zum Ziel führt. ({0}) Denn die Einführung des BOS-Digitalfunks ist in ein technisch, wirtschaftlich und auch politisch unerfreuliches Fahrwasser geraten. ({1}) Ich frage Sie, Herr Altmaier: Hat die Regierung einen Alternativplan, falls ihr bisheriges Vorgehen endgültig scheitern sollte? Hartfrid Wolff ({2}) Das bisherige Auftrags- und Vergabeverfahren der Bundesregierung für den BOS-Digitalfunk ist unverantwortlich und undurchsichtig. ({3}) Die dringend erforderliche Einführung wurde unnötig verzögert und verteuert. Der ursprünglich geplante Weg, das Digitalfunknetz über eine Dienstleistungsausschreibung zu errichten, wurde von der Bundesregierung Ende Januar 2005 verlassen. Der Betrieb wurde ohne Ausschreibung an die Bahntochter DB Telematik vergeben, und zwar einfach so mit telegenem Handschlag. ({4}) Dann passierte Folgendes: Für den Betrieb des BOSDigitalfunks legte die DB Telematik am 31. Juli 2006 ein Angebot in Höhe von 2,6 Milliarden Euro vor; der im Haushalts- und Finanzplan für den Bund veranschlagte Kostenrahmen beträgt aber nur 1,1 Milliarden Euro. ({5}) Das Angebot der DB Telematik war angesichts der Höhe der genannten Richtpreise mit den im Bundeshaushalt bisher veranschlagten Mitteln nicht in Einklang zu bringen. ({6}) Nach einem Ultimatum wird jetzt der Anschein erweckt, als sei die DB Telematik plötzlich doch zu einem Angebot in der Lage, das die Haushaltsvorgaben einhalten könnte. Es drängt sich tatsächlich die Frage auf, wie das innerhalb von zwei Wochen möglich war. Warum der plötzliche Wandel? Sind die Leistungen etwa nicht hinreichend präzise beschrieben oder gibt es Nebenvereinbarungen, von denen wir nichts wissen? Obwohl die Bundesregierung immer wieder das Gegenteil behauptet, wird der Eindruck unabweisbar, dass die Kosten für den Steuerzahler als eine zu vernachlässigende Größe angesehen werden. Die Gegenleistung der DB Telematik wirkt ebenso unbestimmt und diffus. Ähnlich verworren und im Ergebnis fragwürdig verlief die Ausschreibung zur Systemtechnik. Die eigentümlichen Modalitäten dieser Ausschreibung für die Einführung des Digitalfunks, die sinnigerweise zu einem einzigen verbleibenden Bieter geführt haben, der überraschenderweise schließlich auch den Auftrag erhielt, sind - um es vorsichtig auszudrücken - ebenso merkwürdig wie die Vergabe des Betriebs. ({7}) Der Ausschluss sämtlicher Bewerber - außer einem durch das Beschaffungsamt hat mehr als ein Geschmäckle, wie man im Schwäbischen sagen würde. Dass alle anderen Mitbewerber, die allesamt keine Nullachtfünfzehn-Unternehmen waren, ausgeschlossen wurden, zeigt, dass die Ausschreibungsbedingungen nicht nachvollziehbar waren. ({8}) Nicht nachvollziehbar ist auch, dass zwar die Technik ausgeschrieben wird, der Betrieb mit dem Vorwand der Sicherheit aber nicht. Ist die Technik etwa nicht sicherheitsrelevant? ({9}) Warum hat Otto Schily mit Herrn Mehdorn vollendete Tatsachen geschaffen und danach nur eine Teilkomponente des Gesamtpakets unter den Bedingungen der Technik der DB Telematik ausgeschrieben? Die Meinungsbildung und Entscheidungsfindung der Bundesregierung ist durch ein hohes Maß an Intransparenz und Undurchsichtigkeit geprägt. ({10}) Gegen daraus resultierende Mutmaßungen und Verdächtigungen helfen nur Offenheit und Transparenz. ({11}) Herr Staatssekretär, ich möchte Sie dringend auffordern, dem auch nachzukommen. ({12}) Überall schiebt die Bundesregierung für ihre Sparmaßnahmen knappe Kassen vor und ausgerechnet bei diesem Industriegroßauftrag spielt Geld für die Regierung offenbar keine Rolle. Privilegierte Konzerne können Monopolpreise für nicht garantierte Leistungen verlangen. Der Bürger aber wird im Jahr der größten Steuererhöhung der deutschen Nachkriegsgeschichte einfach weiter geschröpft. ({13}) Die Bedingungen der Finanzierung des gesamten Projekts sind für den Bund, aber auch für jedes einzelne Bundesland völlig aus dem Blick geraten. Ein Vertrag zulasten Dritter, zulasten der Bundesländer, ist unzulässig. Die FDP hat erhebliche Bedenken gegen die Art und Weise, wie die Bundesregierung die schnellstmögliche Einführung des Digitalfunks durch mögliches Missmanagement und ein fragwürdiges Vergabeverfahren insgesamt riskiert. ({14}) Wir fordern deshalb: erstens die Verhandlungen über den Betrieb des BOS-Digitalfunks mit der DB Telematik sofort zu stoppen, zweitens den Betrieb des Digitalfunksystems neu auszuschreiben und mit einem transparenten Auftragsvergabeverfahren schnellstmöglich zu realisieren ({15}) und drittens die Errichtung der Bundesanstalt für den Digitalfunk bis zum Abschluss des neuen Vergabeverfahrens auszusetzen. Brauchen wir denn wirklich eine neue Behörde, wenn nicht ansatzweise absehbar ist, wann sie was zu tun hat? ({16}) Hartfrid Wolff ({17}) Eine neue Ausschreibung kann nicht nur die Kosten für den BOS-Digitalfunk reduzieren, sondern die technische Verlässlichkeit und die baldige Einführung sicherstellen, gegebenenfalls sogar beschleunigen; denn das durch und durch unklar und intransparent wirkende Vergabeverfahren zum Digitalfunk hat bislang neben immensen Kosten nur Zeitverzögerungen verursacht. Die jetzigen Nachverhandlungen mit der DB Telematik verzögern die Entscheidungen sogar noch weiter. Wir sollten im Interesse der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger, aber auch der Haushaltslage schnellstmöglich die beste, aber auch wirtschaftlichste Technik in Deutschland umsetzen. ({18}) Wir wollen, dass alle Entscheidungen nachvollziehbar und transparent sind; denn an dem, was in diesem Zusammenhang entschieden wurde - und daran, wie es entschieden wurde -, sind erhebliche Zweifel angebracht sachlich, rechtlich und finanziell. Vielen Dank. ({19})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Helmut Brandt von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Herr Wolff, Sie haben ein paar eher rhetorische Fragen an den Staatssekretär gestellt; ich hoffe, ich werde sie in meinen Ausführungen gleichsam mit beantworten können. ({0}) - Sie werden nicht nur gespannt sein, sondern in vollem Umfang Antworten von mir erhalten, die Sie zufrieden stellen werden. Drei Anträge stellen Sie: erstens die Verhandlungen über den Betrieb des BOS-Digitalfunks mit der DB Telematik zu stoppen, zweitens mit einem transparenten Auftragsvergabeverfahren den Betrieb des Digitalfunksystems neu auszuschreiben und schnellstmöglich zu realisieren - was sich fast ausschließt - und drittens die Errichtung der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben bis zum Abschluss des neuen Vergabeverfahrens auszusetzen. Um es sofort deutlich zu sagen, Herr Wolff: Keine dieser Forderungen ist gerechtfertigt; ganz im Gegenteil. Bei der immer gebotenen sachlichen Prüfung von Anträgen drängt sich hier eher der Schluss auf, dass es sich bei den von Ihnen gestellten Anträgen um reine Showanträge handelt. Die Bedeutung und die Wichtigkeit der Einführung des BOS-Digitalfunks werden auch von Ihnen - das haben Sie einführend selbst gesagt - nicht in Abrede gestellt. Es heißt in Ihrem eigenen Antrag, dass die Realisierung des BOS-Digitalfunks dringend erforderlich sei und bereits seit Jahren einen großen Raum in der politischen Debatte einnehme. So weit, so gut - und so weit auch einvernehmlich. Was die FDP tatsächlich ärgert und umtreibt, ist ja nicht die Einführung des Digitalfunks, sondern allein die Tatsache, dass von der vorherigen Bundesregierung, insbesondere durch den früheren Bundesinnenminister Otto Schily, die Entscheidung getroffen wurde, den Betrieb und Aufbau des Digitalfunknetzes an die Bahntochter DB Telematik zu vergeben. Es ist bekannt - und kann auch von Ihnen als Antragsteller nicht bestritten werden -, dass der so eingeschlagene Weg aufgrund der besonderen Sicherheitsbedürfnisse bei der Einrichtung des Betriebes gerechtfertigt war und ist. ({1}) - Darauf komme ich gleich. - Damit steht die Entscheidung des damaligen Innenministers im Einklang mit § 100 Abs. 2 Buchstabe d des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und wurde und wird deshalb zu Recht von allen prüfenden Seiten als zulässig angesehen. Würde man jetzt die laufenden Verhandlungen über den Betrieb des BOS-Digitalfunks mit der DB Telematik stoppen, wie es in Ihrem Antrag gefordert wird, so hätte dies zur Folge, dass der gesamte, ohnehin schon schwierige Prozess komplett neu mit der nicht vertretbaren Konsequenz gestartet werden müsste, dass sich dann die Einführung des Digitalfunks um mindestens ein Jahr verzögern würde. Dies steht aber dem Ziel der schnellstmöglichen Realisierung, die Sie selbst fordern, absolut entgegen. Bei dieser Betrachtung sind weitere Streckungen zeitlicher Art durch mögliche Nachprüfungsverfahren noch nicht einmal eingerechnet. Überdies dürften sich diese zeitlichen Verzögerungen entgegen Ihren Ausführungen verteuernd auswirken. Dies ist nicht im Interesse des Landes und hätte für die innere Sicherheit nach meiner Auffassung fatale Auswirkungen. Außerdem würde der Konsens zwischen dem Bund und den Ländern infrage gestellt. Auch das kann von Ihnen nicht ernsthaft gewollt sein. Richtig ist allein, dass aufgrund der von der Vorgängerregierung gewählten Vorgehensweise die Verhandlungen mit der DB Telematik, insbesondere was die Höhe der angemessen Kosten anbelangt, als schwierig bezeichnet werden müssen. Das heißt aber nicht, dass sie nicht erfolgversprechend wären. Im Gegenteil: Alles deutet darauf hin, dass die Verhandlungen innerhalb des vorgesehenen Zeitrahmens bis zum 15. Dezember dieses Jahres erfolgreich abgeschlossen werden. Bei dieser Ausgangslage ist der von der FDP-Fraktion gestellte Antrag unverständlich, ja geradezu kontraproduktiv, ({2}) und zwar umso mehr, als Ihnen bekannt ist, dass parallel zu den derzeit geführten Verhandlungen die Zeit bereits genutzt wird, um ein alternatives Vorgehensmodell präsentieren zu können - das ist die Antwort auf eine der von Ihnen gestellten Fragen; Sie wissen selbst, dass im Augenblick daran gearbeitet wird - für den allerdings sehr unwahrscheinlichen Fall, dass die Verhandlungen tatsächlich scheitern sollten und eine Kooperation mit der DB Telematik nicht zustande käme. Dieses parallele Vorgehen ist richtig und wird von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ausdrücklich begrüßt und unterstützt, da es die Position des Bundes bei den Verhandlungen mit der DB Telematik stärkt und deutlich macht, dass selbstverständlich nur ein angemessenes und qualitativ akzeptables Angebot unsere Zustimmung finden wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Brandt, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte, Herr Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich bin als Berichterstatter für den Etat des Innenministeriums mit dieser Problematik im Haushaltsausschuss beschäftigt. Wenn das alles so toll ist, wie Sie das hier schildern: Warum geniert oder schämt sich die Bundesregierung, heute einen Vertreter ans Rednerpult zu schicken? Dann könnte ja dieser klar darlegen, dass alles zum Besten bestellt sei. ({0})

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich beantworte Ihre Frage folgendermaßen: Es gibt für die Bundesregierung keinen Grund, sich dafür zu genieren. Deshalb sehe ich keinen Anlass für Ihre Fragestellung. ({0}) Obwohl ich natürlich nicht für die Bundesregierung spreche, habe ich Ihnen versprochen, dass ich mit meinen Ausführungen - das haben Sie wahrscheinlich schon gemerkt - Ihre gestellten Fragen angemessen beantworten werde. ({1}) - Die Antworten auf Ihre restlichen Fragen kommen jetzt noch. Ein Stoppen der Verhandlungen über den Betrieb des BOS-Digitalfunks mit der DB Telematik kann deshalb derzeit - Herr Wolff, jetzt hören Sie genau zu - von niemandem ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Es ist erfreulich, dass immerhin Ihr eigener FDP-Innenminister Wolf aus Nordrhein-Westfalen dies begriffen hat - das ist übrigens ein sehr guter Mann -; ({2}) denn er hat noch am 27. September dieses Jahres, also vor einem Monat, den Fortgang des Verfahrens gemeinsam mit dem Bund und den übrigen Ländern abgesegnet. ({3}) - Ja, so was. In Ihrem Antrag - das tut mir ein bisschen weh - unterstellen Sie, dass derzeit das Vergabeverfahren nicht transparent sei. Diese Unterstellung muss ich allerdings zurückweisen. Zum einen ist die DB Telematik aufgefordert worden, nach den eindeutigen Vorgaben von Bund und Ländern ein Angebot zu unterbreiten. Dabei haben Bund und Länder die Kalkulation auf das Planungsprogramm STEM gestützt. Zum anderen ist auch zu berücksichtigen, dass die Verhandlungen dazu geführt haben - das ist jedenfalls unser bisheriger Wissensstand -, dass die ursprünglichen Anforderungen nicht mehr in vollem Umfang als notwendig angesehen werden können und damit auch Kostensenkungen einhergehen können und werden. Der Bundesrechnungshof hat im Januar 2005, als die Entscheidung gefällt wurde, bereits die Trennung der Vergabeverfahren in Systemtechnik und Betrieb empfohlen und die von der FDP immer wieder geforderte Dienstleistungsausschreibung nicht favorisiert. Im Zuge eines Nachprüfungsverfahrens wurde der Standpunkt der vorherigen Bundesregierung im Übrigen nochmals bestätigt, den Betrieb des BOS-Digitalfunknetzes aus Sicherheitsgründen freihändig vergeben zu können. Diese Sicherheitsgründe bestehen uneingeschränkt fort, sodass auch in einem neuen Auftragsvergabeverfahren diese erhebliche Einschränkung zu berücksichtigen wäre. ({4}) Das Vergabeverfahren in der gewählten Form ist nach unserer Auffassung - entgegen Ihrer Darstellung - mithin hinreichend transparent und gewährleistet auch einen qualifizierten Vertragsabschluss. Nun noch zum letzten Punkt Ihres Antrags, der darauf zielt, die Errichtung der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben bis zum Abschluss des neuen Vergabeverfahrens auszusetzen. Dazu ist aufgrund meiner bisherigen Ausführungen eigentlich nicht mehr viel zu sagen. Anders als Ihre Forderung nahe legt, müssen wir im Gegenteil alles tun, um sicherzustellen, dass im kommenden Jahr mit dem Ausbau des Betriebsnetzes begonnen werden kann, sodass die Vorgabe, bis zum Jahr 2010 den Betrieb flächendeckend aufzunehmen, auch tatsächlich eingehalten werden kann. Insoweit möchte ich Sie auf den Ihnen ja ebenfalls bekannten Beschluss des 10. Lenkungsausschusses hinweisen. Mit diesem Beschluss wird der Bund gerade gebeten, dafür Sorge zu tragen, dass die Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben spätestens zum 1. März 2007 ihre Arbeit aufnehmen kann. All dies sowie der aktuelle Verhandlungsstand sind Ihnen bestens bekannt, nicht zuletzt aufgrund der Antwort der Bundesregierung vom 9. Februar 2006 auf eine Kleine Anfrage Ihrer Fraktion. Ich komme deshalb zu meiner Eingangsbeurteilung zurück: Ihr Antrag ist ein Showantrag. Wir werden ihm deshalb nicht zustimmen. Danke schön. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Roland Claus von der Fraktion Die Linke. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Noch einmal zur Erinnerung: Worüber reden wir hier? Ein neuer Polizeifunk wird gebraucht. Der bisherige ist veraltet. Mal ganz einfach gesagt: „Tatort“ ist öfter als „Polizeiruf“. Die Investition ist ein großes Vorhaben, das sich Bund und Länder teilen. Deshalb hat sich der Haushaltsausschuss damit auch wiederholt befasst. Wir hatten gerade gestern eine Beratung mit dem Bundesinnenminister. Daher will ich meinem geschätzten Vorredner, Herrn Brandt, sagen: Wenn der Bundesinnenminister uns gegenüber eingesteht, dass er allein sechsmal mit dem Vorstandsvorsitzenden der Bahn AG hat reden müssen - er hat das nicht als vergnügungssteuerpflichtige Veranstaltung bezeichnet -, dann kann da nicht alles paletti sein, wie Sie es hier darzustellen versuchen. ({0}) Wir haben dem Bundesinnenministerium zu verstehen gegeben: Wir sind dabei. Ein solcher Funk wird gebraucht. Aber erspart uns bitte eine Maut Nummer zwei! Nun hat die Bundesregierung mit der Bahn verhandelt, den Vertrag über Systemtechnik mit EADS bereits abgeschlossen und mit der Bahntochter DB Telematik Verhandlungen geführt. Ein Vergabeverfahren fand nicht statt. Als klar war, dass DB Telematik als einzig möglicher Auftragnehmer bleibt, wurde der Preis schlicht fast verdreifacht. Das hat nichts mit Seriosität zu tun; das grenzt an Erpressung. Das wollen wir nicht hinnehmen, meine Damen und Herren. ({1}) Das ist ein Stück aus dem Toll-Collect-Haus. Deshalb ist es auch alles andere als Show, wenn hier im Parlament darüber gesprochen wird. Es war korrekt, dass die FDP ihre Opposition sozusagen ins Parlament getragen hat und solche Forderungen stellt. Ihnen von der FDP muss ich allerdings sagen: Einen großen Haken hat Ihr Antrag. Der Vertrag mit EADS ist bereits geschlossen; aus dem kommen wir nicht mehr heraus. Das Konstrukt, das wir kritisieren, ist, dass Bundesaufträge immer wieder so zugeschnitten werden, dass nur noch einzelne Anbieter bleiben. Sie von der FDP sind ja eigentlich die Chefprivatisierer hier im Hohen Haus. Jetzt kämpfen Sie ein bisschen gegen die Ergebnisse Ihrer Privatisierung. Da kommt ein Linker schon ins Staunen über so viel Antikapitalismus. ({2}) Ich glaube, man muss es etwas deutlicher sagen: Unser Problem heißt: staatsnahe Monopolisten. Sie verhalten sich in Bezug auf den Staat ausgesprochen ambivalent. Auf der einen Seite sind sie Zuwendungsempfänger. Hierbei sind sie so aktiv, dass man sich darüber schon nicht mehr wundert, aber doch staunt. Auf der anderen Seite sind sie als Auftragnehmer des Bundes unberechenbar. Das sind Zustände, bei denen es nicht bleiben darf. ({3}) An anderer Stelle, beispielsweise gegenüber ALG-IIBeziehern, verschärfen Sie die Maßnahmen der Kontrolle - bis hin zur Durchsuchung - immer weiter. Insofern hätten wir es gern, wenn bei der Wirtschaft dieses Landes wenigstens gleiche Maßstäbe angelegt würden. Wenn das der Fall wäre und dem Bahnvorstand die gleiche Härte wie den ALG-II-Beziehern entgegengebracht würde, dann müssten Linksfraktion und FDP hier längst Amnestieanträge stellen. ({4}) In den letzten Tagen ist auch in Fernsehberichten zur Sprache gekommen, wie sich die Lobby der staatsnahen Monopolisten organisiert: Teilweise haben Industrievertreter sogar in Ministerien ihren Platz gefunden. - Das sind Zustände, bei denen es nicht bleiben darf. ({5}) Ich komme auf ein weiteres Detail zu sprechen. Herr Brandt, Sie nannten es einen „unwahrscheinlichen Fall“, dass ein alternativer Plan zum Tragen komme. Damit verschlechtern Sie die Verhandlungsposition des Bundes gegenüber DB Telematik, und zwar in erheblicher Weise. Was ist denn das für eine Botschaft an den bisher vorgesehenen Auftragnehmer? Die Botschaft ist doch: Treibt den Preis weiter in die Höhe! ({6}) - Sie nannten es einen „unwahrscheinlichen Fall“.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Claus, kommen Sie bitte zum Schluss.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der FDP gebührt Dank für den Antrag und dafür, dass sie die Angelegenheit an die Öffentlichkeit gebracht hat. Wie wir uns in der Sache entscheiden, wird sich im Zuge der Beratungen zeigen. Auf jeden Fall werden wir dieses Vorgehen der Bundesregierung nicht akzeptieren. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Gerold Reichenbach von der SPD-Fraktion.

Gerold Reichenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003615, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Wolff von der FDP, auch wenn man es hundertmal wiederholt, wird das, was Sie sagen, nicht richtiger. Das Verfahren bei der Auftragsvergabe war korrekt und transparent. ({0}) Einer der unterlegenen Bieter hat überprüfen lassen, ob das Verfahren korrekt vonstatten ging. Bei der Überprüfung kam es zu keinerlei Beanstandung. ({1}) Die Rechtsmittel, die vorher angedroht wurden, weil es angeblich nicht rechtmäßig zugegangen sei, wurden nie eingelegt. Auch das ist aus meiner Sicht ein ziemlich deutlicher Beweis dafür, dass an Ihren Vorwürfen nichts dran ist. Wir haben im Ausschuss oft genug darüber gesprochen - ich möchte es an dieser Stelle noch einmal sagen -: Ernst zu nehmende Sicherheitsaspekte, die zu einer freihändigen Auswahl eines Betreibers für den BOSDigitalfunk geführt haben, haben bestanden und bestehen weiter. Vielleicht kann ich Ihnen bei der Klärung der Frage, was der Unterschied zwischen der Vergabe für die Systemtechnik und der Vergabe an einen Betreiber sei, mit einem Beispiel weiterhelfen: Wir alle sind uns einig, dass für einen Streifenwagen die gleichen technischen Anforderungen gelten müssen wie für einen PKW. Daraus schließen wir aber nicht, dass - entsprechend Ihrer Denkweise - an einen Polizeibeamten die gleichen Anforderungen gestellt werden sollten wie an einen ganz normalen PKW-Fahrer. - Gleiches gilt für den Digitalfunk. Er ist das technische Herzstück unseres polizeilichen und nicht polizeilichen Sicherheitssystems. Deswegen müssen wir bei dieser Lieferleistungsausschreibung andere Maßstäbe anlegen als bei der Lieferung von 35 Dokumentenscannern und 50 Flachbettscannern für den Deutschen Bundestag. Außerdem haben nicht zuletzt wirtschaftliche Überlegungen zu dem Entschluss geführt, das Vergabeverfahren im Bereich der Systemtechnik von der Vergabe an einen geeigneten Betreiber zu trennen. Die von Ihnen favorisierte Gesamtausschreibung der Dienstleistung hätte uns doch in eine dauerhafte Abhängigkeit gebracht. Sie hätte dazu geführt, dass nach der Vergabeentscheidung kein Wettbewerb mehr stattgefunden hätte. ({2}) - In dieser Frage wundert mich Ihr antikapitalistisches Bündnis mit der FDP schon etwas, Herr Claus. - Bei einer Laufzeitfestlegung von mindestens zehn Jahren hätte dann das Konsortium aus Betreiber und Systemlieferant das Monopol auf die während dieser Zeit stattfindende technische Weiterentwicklung des Netzes gehabt. Dieses System- und Betriebsmonopol hätten wir teuer bezahlen müssen. Den Mechanismus kennen wir zur Genüge aus der Rüstungsindustrie, wo die Kosten in der Regel nach der Vergabe noch einmal drastisch anziehen. Darum hat der Bundesrechnungshof der Bundesregierung ausdrücklich zu einer Trennung der Ausschreibung in Bezug auf System und Betrieb geraten; mein Vorredner von der CDU/CSU ist darauf bereits eingegangen. Ich möchte überhaupt nicht verschweigen, dass die derzeit laufenden Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und der DB Telematik in einer sehr schwierigen Phase sind. Lange Zeit schien es so, als würde sich das Unternehmen DB Telematik an die Preisvorgaben halten. Kurz vor der Vertragsunterzeichnung - verzeihen Sie mir den ironischen Unterton - hat man offensichtlich noch einmal nachkalkuliert und plötzlich festgestellt, dass der unternehmerische Gewinn, der zunächst so verlockend erschien, auch ein unternehmerisches Risiko mit sich bringt. Schließlich handelt es sich um eine sicherheitsrelevante Infrastruktur. Dieses unternehmerische Risiko sollte dann über exorbitante Risikozuschläge auf den Auftraggeber - und damit letztlich auf den Steuerzahler - abgewälzt werden. Das erleben wir nicht zum ersten Mal. Public Private Partnership wird hoch gelobt als eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft, von der beide Seiten profitieren. In der Praxis sieht es dann aber oft so aus: die Gewinne für die Unternehmen, die unternehmerischen Risiken für die öffentliche Hand. Dieser Versuchung konnte offensichtlich auch das Staatsunternehmen DB Telematik angesichts des beabsichtigten Börsengangs nicht widerstehen. Aber so funktioniert das nicht. Das haben Bund, Länder und die Koalitionsfraktionen unmissverständlich deutlich gemacht. Es ist deshalb richtig, dass der Bund mit der DB Telematik auf der Grundlage des angepassten Angebots weiter verhandelt. Der neue Vorschlag der DB Telematik, mit den Synergieeffekten eines starken Partners innerhalb des vorgegebenen Finanzrahmens das Projekt realisieren zu können, ist prüfenswert. Allerdings ist auch klar, dass es dabei keine Abstriche bei der Qualität, bei der Verfügbarkeit sowie bei der Sicherheit des Funks geben darf. Es ist auch richtig, dass der Bund parallel zu den weiteren Verhandlungen Alternativmodelle entwickelt, um sich für den Fall der Fälle eine weitere Option offen zu halten. Dies wird auch von den Ländern ausdrücklich so gesehen. Wir sollten uns also parallel zur Vergabe des Betriebs die Alternative des Eigenbetriebs als Möglichkeit offen halten, auch aus den genannten Sicherheitsgründen. Einige Bundesländer denken offenkundig schon darüber nach. Es wäre allerdings fahrlässig, das Kind mit dem Bade auszuschütten und das Verfahren ganz von vorn zu beginnen, so wie Sie von der FDP es fordern. Im Interesse unserer Sicherheit, aber auch im Interesse der Endnutzer - seien es Polizei, Krankenwagen, Leitstellen, Feuerwehren, ehrenamtliche oder hauptamtliche Helfer müssen Bund und Länder jetzt alles daran setzen, dass die Verhandlungen im Dezember erfolgreich zu Ende gebracht werden. Dann, und erst dann, wird die Bundesanstalt BOS-Digitalfunk errichtet, weshalb ich Ihre Forderung nach einem Stopp der Errichtung dieser Bundesanstalt ohnehin nicht verstanden habe. Etwas anderes war doch nie vorgesehen. Mit der Weiterverfolgung des bisherigen Weges bekommen wir einen von der Systemtechnik unabhängigen Betreiber. Wir wollen in diesem Verfahren sicherstellen, dass die Schnittstellen bei den Endgeräten offen sind. Wir haben dann bei den Endgeräten das, was nicht nur die FDP, sondern auch die Regierungsfraktionen allseits begrüßen: Wettbewerb. Dieser Wettbewerb ist im Interesse der Kommunen und Hilfsorganisationen, die im nicht polizeilichen Bereich den größten Teil der Endgeräte und Anwendungen finanzieren. Würden wir Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, folgen, würde sich die Einführung des Digitalfunks - der Kollege von der CDU/CSU hat das deutlich gemacht - nicht nur erneut deutlich verzögern, sondern auch erheblich verteuern. So ist es immer bei der FDP. Sie führt zwar das Wort „Wettbewerb“ im Munde; wenn es aber um die Durchsetzung einseitiger Wirtschaftsinteressen geht, macht sie sich für Konsortiumslösungen stark. ({3}) Dabei wissen auch Sie genau, dass die von Ihnen bevorzugte Dienstleistungsgesamtausschreibung zu einem Quasimonopol führen würde. Nein, die Entscheidung, System und Betrieb getrennt zu vergeben, war und ist richtig. Wir unterstützen die Bundesregierung ausdrücklich in ihrer Absicht, den eingeschlagenen Weg auch im Interesse unserer Sicherheit erfolgreich zu Ende zu führen. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich der Kollegin Silke Stokar von Neuforn, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist in der Politik häufig so, dass man aus den Fehlern der Vergangenheit das Beste zu machen versucht, aber wieder Fehler daraus werden. So ist das ganz offensichtlich auch bei dem Thema BOS-Digitalfunk. Ich möchte nur einige Punkte ansprechen. Ich habe damals als Mitglied einer Regierungsfraktion die Entscheidung des ehemaligen Innenministers Otto Schily hier heftig kritisiert. Er hat damals in Selbstherrlichkeit entschieden, die europäischen Ausschreibungsrichtlinien, die ja auch Schutzrichtlinien sind, außer Kraft zu setzen. Darüber hinaus hat er sowohl das Parlament als auch die Öffentlichkeit getäuscht. Er hat in einer Presseerklärung so getan, als habe er einen Vertrag abgeschlossen. Erst auf Nachfragen - ich bin der neuen Bundesregierung durchaus dankbar, dass sie zumindest zum Teil Transparenz hergestellt hat - kam heraus, dass es keinen Vertrag gegeben hat. Die Pressekonferenz war ein Instrument, die Länder unter Druck zu setzen. Es hatte eine mündliche Zusage ohne Preisverhandlung an die DB Telematik gegeben. Man sollte zu diesen Vorgängen hier die Wahrheit sagen; denn das sind die Fehler, die die neue Bundesregierung übernommen hat. Sie könnten allerdings auch die Entscheidung treffen - ich denke, diese Option muss ernsthaft offen gehalten werden -, diesen Kernfehler zu revidieren und eine vernünftige, korrekte Neuausschreibung vorzunehmen. Was der ehemalige Innenminister gemacht hat, ist für zulässig erklärt worden. Aber der Ablauf der Zeit hat gezeigt, dass es kein sinnvolles Vorgehen gewesen ist. Alle anderen europäischen Länder haben den Auftrag ausgeschrieben. Das hat der Sicherheit in diesen Ländern nicht geschadet. Die Kosten sind geringer und die Lösungen sind besser als in Deutschland. Im Dezember muss die Frage der Neuausschreibung hier inhaltlich ernsthaft diskutiert werden. ({0}) Ich möchte nur auf zwei Punkte der neuen Verhandlungen eingehen, damit einmal deutlich wird, womit sich das Parlament neben all den technischen Begriffen beim Thema BOS-Digitalfunk auseinander setzen muss. Man hat sich, um Kosten zu sparen, jetzt entschieden, für den Polizeifunk nicht viele kleine Funktürme aufzubauen, sondern 30 Meter hohe Funktürme, die dann zum Teil in der freien Landschaft stehen sollen. Irgendjemand kam dann wohl auf die Idee, das könnte ein Sicherheitsrisiko sein oder es könnte Einsprüche von Bürgern geben, die Funkwellen befürchten. Das bedeutet auch eine Verzögerung. Das heißt, die theoretische Kostenersparnis birgt neue Risiken. Richtig lustig finde ich die Entscheidung, sich in den Naturschutzgebieten, wo kaum Menschen unterwegs sind, digitale Funklöcher zu leisten. Ich sage nur: Folgen Sie grüner Politik und bauen Sie die Naturschutzgebiete in Deutschland aus! Dann wird der polizeiliche Digitalfunk am billigsten. Auch das wäre eine Lösung. Aber da begeben wir uns schon in den Bereich der Satire. Meine Bitte und auch Aufforderung an die Bundesregierung - ich finde es bedauerlich, dass heute niemand von der Bundesregierung das Wort ergreift - ist, mehr Information über den Stand der Verhandlungen ins Parlament und in den Innenausschuss zu bringen. Auch wir als Grüne werden uns den Fortgang sehr genau ansehen. Manchmal ist ein Jahr Zeitverlust besser als die Fortsetzung des Murkses eines Vorgängerministers. ({1}) Wichtig ist, zu einer finanzierbaren und vernünftigen Lösung zu kommen. Danke schön. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/2672 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion der LINKEN Für das Recht auf Generalstreik - Drucksache 16/2681 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Innenausschuss Rechtsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Werner Dreibus für die antragstellende Fraktion Die Linke das Wort. ({1})

Werner Dreibus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003749, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Was bedeutet ein Generalstreik? Der Duden sagt: Ein Generalstreik ist ein allgemeiner, politischen Zielen dienender Streik der Arbeitnehmer eines Landes. ({0}) - Das sagt der Duden und nicht Sie. - Ein Generalstreik ist somit eine politische Willensbekundung, also ein politischer Streik. In dieser Form kennt und praktiziert ihn die Mehrzahl der europäischen Länder. Außer Deutschland gibt es noch zwei weitere Ausnahmen: Dänemark und Großbritannien. Er ist also in der Mehrzahl der europäischen Länder Teil der demokratischen Willensbildung. Auch die Europäische Union hat ihn mit der Zustimmung Deutschlands in der Europäischen Sozialcharta im Grundsatz der Freiheit des Arbeitskampfes ausdrücklich legitimiert. ({1}) Es wird Zeit, so denke ich, dass wir auch hier europäischer werden. Das Arbeitskampfrecht in Deutschland, entwickelt als Richterrecht, begrenzt den Streik hingegen auf tariflich regelbare Ziele. Das sind vor allem Ziele, die das unmittelbare Verhältnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern betreffen: Arbeitszeit, Entlohnung etc. Wesentliche Bereiche des Arbeitslebens, die für die Beschäftigten ebenfalls von existenzieller Bedeutung sind, werden hingegen vom deutschen „Streikrichterrecht“ ausgeklammert. Ein Beispiel: Die Beschäftigten können heute nicht darüber mitbestimmen, welche Art von Beschäftigungsverhältnissen Unternehmen anbieten. Sie müssen es hinnehmen, wenn die Politik den Unternehmen die Umwandlung beispielsweise sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze in Minijobs ermöglicht und damit der Verunsicherung von Lebensperspektiven den Weg bereitet. Die negativen Folgen solcher Mitbestimmungslücken werden regelmäßig auch in diesem Haus von allen Seiten beklagt: Politikverdrossenheit und mangelndes gesellschaftliches Engagement der Bürger. Aber wir denken, bloße Appelle helfen da nicht weiter. ({2}) Wenn Sie möchten, dass sich die Bürgerinnen und Bürger wieder stärker an der politischen Willensbildung beteiligen und sich für soziale Belange engagieren, dann müssen Sie auch die Möglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger ausweiten, ihre Meinung kundtun zu dürfen, ob es uns Parlamentariern passt oder nicht. ({3}) Indem Sie das tun, tun Sie zugleich auch etwas für die Demokratie: Wer die Möglichkeit hat, in existenziellen Fragen seine Interessen zum Ausdruck zu bringen, entwickelt ein positiveres Verhältnis zu unserer demokratischen Gesellschaftsordnung. ({4}) Dass wir in Deutschland einen Nachholbedarf in Sachen Streikrecht haben, hat nicht nur die EU festgestellt. In einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages heißt es dazu - Sie können das in der Begründung unseres Antrages nachlesen; ich unterstelle einmal, dass einige von Ihnen das tun werden -: … verstößt das deutsche Arbeitskampfrecht mit seiner Begrenzung auf tariflich regelbare Ziele sowie das gewerkschaftliche Streikmonopol gegen die Sozialcharta. ({5}) Die Europäische Sozialcharta ist durch den Deutschen Bundestag ratifiziert worden. Der Bundestag, so füge ich hinzu, hat es bis zum heutigen Tag versäumt, das deutsche Streikrecht den Bestimmungen der Europäischen Sozialcharta anzupassen. ({6}) Schwerer noch als diese europarechtlichen Bedenken gegen das deutsche Streikrecht wiegen die vielfältigen sozialen Proteste gegen den Sozialabbau und die Vernichtung von Arbeitsplätzen. Ob der Protest der Opelaner gegen Werksschließungen, die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV und gegen die Drangsalierung von ALG-II-Beziehern oder das Nein beispielsweise von mehr als 200 000 Menschen am vergangenen Wochenende zu Rentenkürzungen, zur Abschaffung der solidarisch finanzierten Gesundheitsversorgung, zur Jugendarbeitslosigkeit und zur Tatenlosigkeit der Regierung bei der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armutslöhnen all das macht deutlich, dass der politische Streik auch in Deutschland auf der Tagesordnung steht. Wer solche politischen Meinungsäußerungen für Erpressung hält, wie einige Damen und Herren aus diesem Hause anlässlich der Streiks der Bahnbeschäftigten kürzlich erklärt haben, der diffamiert damit ein Instrument der Demokratie und die berechtigten Sorgen und Anliegen weiter Teile der Bevölkerung. ({7}) Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr hat die grundlegenden Sorgen der Bürger in seiner Bevölkerungsumfrage 2005 untersucht und dokumentiert. Auf die Frage, wovon sie sich persönlich bedroht fühlen, antworteten 60 Prozent der Befragten: durch die Kürzung von Sozialleistungen. Jeder Zweite fürchtet eine unzureichende finanzielle Absicherung im Alter, bei Arbeitslosigkeit oder Krankheit. Vier von zehn Menschen haben Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Diese Ängste wirklich ernst zu nehmen, bedeutet auch, den Menschen die Möglichkeit zu geben, krassen politischen Fehlentscheidungen durch einen politischen Streik entgegenzutreten. Wer das nicht tut, der steht im Verdacht, es mit der Forderung nach Demokratie doch nicht ganz so genau zu nehmen und die eigenen Entscheidungen immer für unfehlbar zu halten. Ich freue mich auf einen konstruktiven Dialog und konstruktive Debattenbeiträge. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Gitta Connemann von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor genau einer Woche fand hier eine Debatte zum Thema Mindestlohn statt. Im Verlauf dieser Debatte sah sich der Präsident, Dr. Lammert, gezwungen, dem Vorsitzenden Ihrer Fraktion, meine Damen und Herren von der Linken, folgenden Hinweis zu erteilen: Nach einer Reihe von entsprechenden Äußerungen … gibt es einen hinreichenden Anlass, darauf hinzuweisen, dass Sie natürlich jedes Recht haben, jede Mehrheitsentscheidung dieses Parlamentes zu kritisieren, dass aber die Behauptung, dass das demokratiefeindlich sei, mit unserem Selbstverständnis, dass Mehrheiten darüber entscheiden, was gelten soll, nur schwer zu vereinbaren ist. ({0}) Der Kollege Lafontaine hatte sich in der Debatte einmal mehr darüber ereifert, dass sich die Abgeordneten der anderen Fraktionen seinem politischen Willen nicht beugen wollten und einen Antrag der Linken ablehnten, übrigens mit überwältigender Mehrheit. Er wollte das nicht akzeptieren. Die Entscheidung durch Mehrheiten ist aber das Fundament der Demokratie. In einer parlamentarischen Demokratie ist es die Entscheidung der Mehrheit der Abgeordneten; denn wir sind laut Verfassung der Entscheidungsträger. Wir sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden, nur unserem Gewissen unterworfen. ({1}) Ein Druck, durch wen auch immer, darf auf uns nicht ausgeübt werden. ({2}) Genau diese Möglichkeit der Druckausübung auf Abgeordnete wollen Sie, meine Damen und Herren von der Linken, mit Ihrem Antrag eröffnen. Er zielt nämlich darauf ab, den Generalstreik in unserem Land zu ermöglichen, und zwar - ich zitiere - „maßgeblich unter dem Gesichtspunkt des politischen Streiks“. ({3}) Sie wollen also den politischen Generalstreik. Sie wollen das Tor für Arbeitsniederlegungen mit politischer Zielsetzung öffnen. Das Recht auf Arbeitskampf ist ein hohes Gut. Die CDU/CSU-Fraktion sieht diese Errungenschaft als unverzichtbar an. Zu Recht ist sie grundgesetzlich geschützt. Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes zeigt aber auch Grenzen auf: Der Arbeitskampf muss zur Durchsetzung von Tarifforderungen geführt werden. Dies will der politische Streik aber gerade nicht. Er betrifft politische Forderungen, die sich tarifvertraglich nicht regeln lassen. Nach Ihrem Antrag wären also zukünftig Arbeitskämpfe zulässig, die kein Ziel verfolgen, das mit den Mitteln des kollektiven Arbeitsrechts regelbar wäre. Vielmehr soll der Wille der gesetzgebenden Instanzen und der Regierung durch Kampfdruck gebeugt werden können, um so bestimmte politische Entscheidungen und Regelungen zu erzwingen. Es geht Ihnen um die Einflussnahme auf politische Entscheidungen ohne die Legitimation eines Mandats. ({4}) Sehr deutlich wird dies in einem Interview, das der Kollege Lafontaine der Zeitschrift „Cicero“ gegeben hat und das unter der Überschrift „Ich will den Generalstreik“ erschienen ist. Ich zitiere: „Unser Ziel ist nicht die Regierungsverantwortung. Unser Ziel ist es, die Politik in Deutschland zu verändern“ - und zwar ohne entsprechende parlamentarische Einflussnahme. ({5}) Mit dieser Einstellung, Ihrer Forderung nach dem Recht auf Generalstreik, befinden Sie sich in bemerkenswerter Gesellschaft. So fordert die Antifa: „Generalstreik jetzt!“ Etwas später skandiert sie: „Bullen schikanieren!“ So viel zum Kreis Ihrer Bundesgenossen. ({6}) Es gibt in der Rechtsliteratur beachtenswerte Meinungen, nach denen ein politischer Streik in besonderen Fällen den Straftatbestand der Parlamentsnötigung nach § 105 des Strafgesetzbuches erfüllen könnte. ({7}) Unabhängig davon stellt Ihr Antrag den Versuch eines Angriffs auf den Kern der parlamentarischen Demokratie dar. ({8}) Dennoch debattieren wir heute mit Ihnen. Denn unsere Demokratie lebt von der Diskussion über den richtigen Weg. Meine Damen und Herren von der Linken, der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist: Wir sagen Ihnen nicht den Kampf an, nur weil wir eine andere Meinung vertreten. Wir hören Sie an. Das ist Demokratie. Das tun wir, obwohl wir in der Sache eigentlich nicht debattieren müssten; denn die Rechtswidrigkeit Ihres Antrags liegt auf der Hand. ({9}) Sie begründen Ihren Antrag mit einer Empfehlung des Sachverständigenausschusses, dem die Kontrolle der Einhaltung der Europäischen Sozialcharta obliegt, zu Unrecht. Denn Sie wissen, dass diese Empfehlungen für die Mitgliedstaaten keine bindende Wirkung entfalten ({10}) und dass die Charta keine ausdrückliche Garantie eines bestimmten Arbeitskampfmittels enthält. Völkerrechtlich ist die Bundesrepublik Deutschland berechtigt, das Arbeitskampfrecht so zu regeln, wie sie es tut, nämlich im Rahmen der geltenden Verfassung. Auch die koalitionsmäßige Betätigung hat sich innerhalb der Grenzen des Grundgesetzes zu vollziehen. Das tut der politische Streik eben nicht. Aus diesem Grund hat das Bundesverfassungsgericht die Frage, ob Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes die Wahlwerbung einer Gewerkschaft im Betrieb im Vorfeld einer allgemeinen politischen Wahl schützt, verneint. Die Begründung lautete, zur parlamentarischen Demokratie - die Sie, meine Damen und Herren von der Linken, die ganze Zeit belacht haben -, wie sie das Grundgesetz konstituiert, gehöre die prinzipielle Gleichheit aller politischen Kräfte, die auf die Willensbildung des Volkes in Wahlen Einfluss zu nehmen suchen. Die prinzipielle Gleichheit finde ihren verfassungsrechtlichen Ausdruck im Schutz der Werbung vor allgemeinen politischen Wahlen, wie er durch Art. 38, Art. 28 und Art. 5 des Grundgesetzes garantiert sei. Die Annahme eines darüber hinausgehenden, etwa kraft eines Öffentlichkeitsauftrages gewährleisteten verfassungsrechtlichen Schutzes der Wahlwerbung einzelner Gruppen würde auf eine Privilegierung dieser Gruppen hinauslaufen, die im Widerspruch zum Grundprinzip parlamentarischer Demokratie stünde. Also: Dürfen Koalitionen schon bei der Werbung keine Vorrechte für sich beanspruchen, die ihnen eine größere Einflussnahme sichern würden, dann darf es ihnen erst recht nicht gestattet sein, bereits konstituierte Verfassungsorgane mit Arbeitskampfmaßnahmen unter Druck zu setzen. Auch zur Meinungsdemonstration ist der politische Streik nicht notwendig, weil unsere Demokratie darauf ausgerichtet ist, dass jeder Bürger in den politischen Prozess einbezogen werden kann, angefangen vom Wahlrecht bis hin zum Recht auf Meinungsfreiheit. Jeder Bürger in diesem Land kann Demonstrationen veranstalten und an ihnen teilnehmen, aber eben außerhalb der betrieblichen Arbeitszeit. Ein politisches Widerstandsrecht gewährt unsere Verfassung nur in den engen Grenzen des Art. 20 Abs. 4 des Grundgesetzes. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte ich es bei folgendem Urteil belassen: Sie sollten dieses Instrument in der verstaubten Requisitenkammer des Regimes liegen lassen, aus dem Sie zum Teil hervorgegangen sind, ({11}) ein Instrument in der Tradition der sozialistischen Kaderlehre. Aber es ist traurig. Denn Sie verfolgen damit ein weitergehendes Ziel. Stellen wir uns doch einmal das Szenario eines Generalstreiks vor: Eisenbahner gehen auf die Barrikaden, Flugzeuge und Busse stehen still, in Schulen, Behörden und Krankenhäusern trifft man, wenn überhaupt, nur noch die Notdienste an. Wenn für längere Zeit niemand arbeitet, wer löst dann Ihrer Meinung nach die Probleme, die es in unserem Land gibt? ({12}) Was Sie heraufbeschwören wollen, ist Chaos, reines Chaos! ({13}) Ihnen geht es nicht um das viel beschworene Volk. Denn ein politischer Generalstreik dient diesem doch nicht einmal scheinbar. In Wahrheit richtet er sich immer gegen das Volk. ({14}) Ihnen geht es um unheilvolle Unruhe, um Instrumente zur Durchsetzung Ihrer Interessen. Dies sieht, wie ich zu meinem Erstaunen feststellen musste, selbst die „neue internationale“ so. Sie warnt davor - ich zitiere -, dass es „Reformisten wie Gysi und Lafontaine“ ermöglicht wird, „die Bewegung für ihre Zwecke zu missbrauchen …“ ({15}) Meine Damen und Herren von der Linken, Friedrich Nietzsche hat für den Wert demokratischer Einrichtungen wie unseres Parlaments folgendes Bild gewählt - ich zitiere -: Die demokratischen Einrichtungen sind Quarantäneanstalten gegen tyrannenhafte Gelüste. Mit den demokratischen Mitteln dieses Hauses werden wir deshalb Ihren Antrag nach Überweisung in die Ausschüsse ablehnen. Vielen Dank. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist sinnvoll, sich, wenn man über einen Generalstreik spricht, die allgemeinen Grundsätze des Streikrechts in Deutschland in Erinnerung zu rufen. Die Rechtsprechung hat Regeln für die Zulässigkeit von Streiks entwickelt. Wichtig und richtig ist, dass jeder Streik dem Gebot der Verhältnismäßigkeit genügen muss. Er muss in seiner Zielsetzung, auch in der Durchführung, die wirtschaftlichen Möglichkeiten berücksichtigen. Ich stimme dem Bundesarbeitsgericht ausdrücklich zu, das hieraus unter anderem die wesentliche Forderung ableitet, dass der Streik zur Erreichung rechtmäßiger Kampfziele und des nachfolgenden Arbeitsfriedens geeignet und sachlich erforderlich sein muss und nur als letztes Mittel, nach Ausschöpfung aller Verständigungsmöglichkeiten, ergriffen werden darf. Nach unserem heutigen Verständnis müssen Streiks den Abschluss eines Tarifvertrags zur Folge haben. Dabei sollte es auch bleiben. Deshalb muss ich Ihnen klar widersprechen, Kollege Dreibus: In einer parlamentarischen Demokratie muss die politische Willensbildung durch die dafür vorgesehenen Organe erfolgen; darauf hat auch das Bundesarbeitsgericht hingewiesen. Wir können davon ausgehen, dass die Väter des Grundgesetzes bewusst auf eine ausdrückliche Erwähnung des Streikrechts im Grundgesetz verzichtet haben. Sie haben die Europäische Sozialcharta angesprochen. Nach unserer Auffassung lässt Art. 31 Nr. 1 der Europäischen Sozialcharta Einschränkungen und Begrenzungen des Arbeitskampfes zu, wenn diese gesetzlich vorgeschrieben und in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer oder zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Sicherheit des Staates notwendig sind. Dies kann - das hat die Kollegin Connemann zu Recht gesagt im Rahmen der Verfassung ausgestaltet werden. Der Arbeitskampf erfährt durch die Verfassung klare Rechtmäßigkeitsgrenzen. Das Grundgesetz schützt den Streik, der auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet ist. Es schützt auch den Streik gegen den Arbeitgeber zur Erzwingung eines Firmentarifvertrages. Es schützt ebenso einen verhältnismäßigen Warnstreik. Nicht gedeckt von der Verfassung ist der politische Streik, der staatliches Handeln erzwingen will. Ein Arbeitskampf, der den vom Volk demokratisch legitimierten Gesetzgeber, die Verwaltung oder die Rechtsprechung zu Regelungen oder Entscheidungen zwingen will, zerstört nach überwiegend vertretener Auffassung den demokratischen Rahmen der Gesellschaft. In speziellen Fällen kann der politische Erzwingungsstreik sogar den Straftatbestand der Parlamentsnötigung erfüllen, § 105 Strafgesetzbuch. ({0}) Das institutionell gesicherte Recht auf Arbeitskampf ist heute nach vorherrschender Meinung anerkannt. Es wird hergeleitet aus Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz und dem Bekenntnis des Grundgesetzes zum Rechtsstaat. Allerdings bedarf es laut Bundesverfassungsgericht - auch das sagte ich schon - einer bundesgesetzlichen Regelung zu seiner näheren Ausgestaltung. Hier will ich, um unsere Position noch einmal zu verdeutlichen, in Erinnerung rufen, dass die FDP-Fraktion im März dieses Jahres einen Antrag „Innere Sicherheit durch Regelungen zum Arbeitskampfrecht gewährleisten“ vorgelegt hat. In diesem Antrag haben wir deutlich gemacht, dass die ausgedehnten Streiks im öffentlichen Dienst, die zum Teil zu unverhältnismäßigen Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung geführt haben, nicht tragbar sind. Insbesondere das Bestreiken der Müllentsorgung hat zu einer Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit in einem nicht mehr hinnehmbaren Maße geführt. Die unverhältnismäßigen Streiks haben die Kommunen und letztlich auch den Steuerzahler in einer unzumutbaren Weise belastet. ({1}) - Nein, das muss man schon im Kontext sehen. Das, was sich die Linke vorstellt, geht ja noch weit über das hinaus, was wir im Frühjahr dieses Jahres erlebt haben. Für uns steht fest, dass das Gemeinwohl durch einen Arbeitskampf nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt werden darf und dass die Notfallversorgung der Bevölkerung und die innere Sicherheit und Ordnung jederzeit gewährleistet sein müssen. ({2}) Abgesehen von den dargestellten juristischen Bedenken muss ich noch einmal die wirtschaftlichen Auswirkungen eines politischen Generalstreiks ansprechen. Herr Dreibus, durch einen Generalstreik, wie Sie ihn sich hier vorstellen, wird die Wirtschaft aufgrund der Arbeitsniederlegung aller Arbeitnehmer zum Stillstand gebracht. Nach Ihrer Forderung von Mindestlöhnen offenbaren Sie für mich damit erneut, dass Sie in Ihrer Fraktion nur einen ausgeprägt mangelnden ökonomischen Sachverstand haben. ({3}) Dass Sie den Antrag stellen, das Recht auf einen Generalstreik einzuführen, ist populistisch und als pure Ideologie zu bezeichnen. Die Schäden, die ein politischer Generalstreik für die Gesamtwirtschaft nach sich ziehen würde, wären verheerend. Sie, die Linke, nehmen das billigend in Kauf und handeln damit schlicht unverantwortlich. ({4}) Ich will zum Schluss sagen, dass mich der Gedanke beschleicht, dass Ihre Motivation für diesen Antrag allein darin zu suchen ist, die Gewerkschaften stärker an die Linke zu binden. Kollegin Connemann hat das Interview in „Cicero“ ja schon angesprochen. Lafontaine hat auf die Frage, wie die Linke die Gewerkschaften auf ihre Seite ziehen kann, ausdrücklich geantwortet: Das ist einer der Gründe, warum wir das Recht zum Generalstreik fordern. Ich denke, wir werden Ihren Antrag in diesem Hause mit breiter Mehrheit ablehnen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Anette Kramme von der SPD-Fraktion. ({0})

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren dort oben auf den Tribünen! Ich verbringe im Moment die absurdesten neun Minuten meines Lebens. ({0}) Wir diskutieren über ein wirklich aktuelles Thema von höchster Brisanz. Die PDS, die Linke, fordert die Einführung eines Generalstreiks. Die Jahrhundertwende ist noch nicht lange her, aber die, um die es hier konkret geht, ist schon verdammt lange her. ({1}) Es ist in der Tat interessant, wie oft das Streikrecht in dieser Legislaturperiode bereits zum Thema in diesem Hause gemacht worden ist. Die Linke will sich den Gewerkschaften anbiedern und überschlägt sich in ihren Forderungen nach fragwürdigen Verbesserungen. Es erstaunt mich verdammt, dass die FDP heute ohne Antrag bleibt. Die FDP will die Gewerkschaften aber grundsätzlich an die Leine legen. Ihr wäre es am liebsten, ihnen einen Maulkorb zu verpassen und Streiks grundsätzlich unmöglich zu machen. ({2}) Ich denke, es gibt in wunderbarer Weise die politische Meinung der SPD zu diesem Thema wieder, wenn ich an dieser Stelle einfach die entsprechende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Juni 1989 zitiere. ({3}) Dort heißt es: Rechtswidrig ist ein Arbeitskampf, der zur Durchsetzung eines tariflich nicht regelbaren Zieles geführt wird. ({4}) Das Gericht begründet dies in sehr nachvollziehbarer Weise damit, dass an den bestreikten Arbeitgeber selbst bei politischen Streiks keine Forderungen nach Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen gestellt werden, sodass er nicht in der Lage ist, den Arbeitskampf durch ein Nachgeben zu vermeiden oder zu beenden. Von einem gleichen Kräfteverhältnis kann bei einem politischen Streik also keine Rede sein. Vielmehr würde er dem vom BAG geforderten Prinzip der Kampfparität widersprechen und das Risiko des Arbeitskampfes einseitig zugunsten der Arbeitnehmer verringern. Gestatten Sie mir an dieser Stelle, dass ich jetzt einfach aufhöre. Man kann die Zeit besser verbringen, als sich zu diesem Thema zu äußern. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer von Bündnis 90/Die Grünen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms ({0})

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe doch nur vier Minuten Redezeit. Insofern bin ich gezwungen, diesem Beispiel Folge zu leisten. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dreibus, nach Ihrer Rede ist zumindest eines klar: Wenn es noch irgendwo in dieser Republik revolutionäres Potenzial gibt, dann bestimmt nicht in der Linkspartei. So kleinkariert und bürokratisch, wie Sie die Forderungen nach einem Generalstreik begründen, ({0}) sind Sie wohl kaum in der Lage, revolutionäres Potenzial zu erzeugen. Da schlafen die Leute ja schon beim Streik ein. Als ich Ihren Antrag gelesen habe, fiel mir wieder folgende Szene ein: Herr Gysi - seinerzeit noch Wirtschaftssenator in Berlin - bekam unverhofft Besuch von einigen tausend Beschäftigten, die ihm mitteilen wollten, was sie von seiner Amtsführung hielten: nämlich gar nichts. Da stand er mit Trenchcoat und Aktentasche, sicherlich auch mit einem Kloß im Hals und dem Herz in der Hose auf den Stufen seines Amtssitzes und wusste nicht recht, wie er die Streikenden am politischen Meinungsbildungsprozess beteiligen sollte, wie Sie es jetzt mit Ihrem Antrag zum Generalstreik fordern. Diese Menschen wollten keinen Sozialabbau und keine Entlassungen. Herr Gysi hatte ihnen aber leider nichts anderes anzubieten. Ich glaube, so richtig revolutionäre Gefühle sind auch bei ihm damals nicht aufgekommen. Im Gegenteil - wir erinnern uns -: Er ist dann bald vom Amt zurückgetreten. ({1}) Jetzt wollen Sie mit Ihrem Antrag für das Recht auf Generalstreik die Menschen am Meinungsbildungsprozess beteiligen. Wie ist das grundsätzlich in einer Demokratie geregelt? Es gibt ein frei gewähltes Parlament, Pressefreiheit und Demonstrationsfreiheit. ({2}) Das sind die wesentlichen Instrumente für die Kontrolle der Regierung. Was die arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen angeht, haben wir den Tarifparteien die Aufgabe übertragen, diese zu regeln. Ein Mandat - geschweige eine gesetzliche Legitimation -, den Souverän zum Beispiel mit einem Generalstreik politisch zu vertreten, existiert aus gutem Grund nicht. Ich glaube, das haben sich die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes gut überlegt. Was aber wäre bei aller Wertschätzung für die Gewerkschaften demokratisch daran, wenn die knapp 7 Millionen DGB-Mitglieder als Interessenvertretung für 60 Millionen Wahlberechtigte in Deutschland auftreten würden? Das wäre nicht wirklich demokratisch. Herr Dreibus, Generalstreiks ziehen ihre Legitimation nicht daraus, ob sie erlaubt oder verboten sind; sie legitimieren sich vielmehr aus einer gesellschaftlichen Umbruchsituation, die Sie nicht qua Gesetz herbeiführen können. Das müssten Sie doch wissen. Erinnern Sie sich an 1989, als sich in der DDR eine solche Umbruchsituation entwickelt hatte! Ihre Vorgänger waren ja davon betroffen. Ihre Vorstellung von revolutionären Situationen ist sehr deutsch und sie erinnert mich an den Ausspruch Lenins: Wenn die Deutschen eine Revolution machen wollen, dann lösen sie erst einmal eine Bahnsteigkarte. Genau so gehen Sie vor. ({3}) Offen gestanden glaube ich, dass es Ihnen gar nicht um den Generalstreik geht. Ihnen geht es vielmehr um die Stimmung, und zwar nicht nur in der Bevölkerung, sondern vor allem auch in Ihrer eigenen Partei. Bei den letzten Wahlen in Berlin wären Sie beinahe abgewählt worden. Dort konnten Sie nämlich nicht mehr nur über den Klassenkampf schwadronieren, sondern Sie mussten konkrete Krisenbewältigung betreiben. ({4}) Dass das schmerzt, verstehe ich. Das kennen wir auch. Darunter leidet das eigene Selbstverständnis. Deshalb fangen Sie jetzt an, die roten Fahnen noch einmal aufzubügeln. Die Herren Lafontaine, Gysi und Ernst befinden sich sozusagen in vorrevolutionärer Lauerstellung. Sie spielen hier sozusagen Halloween für die Bourgeoisie. Bebel, Lassalle und Liebknecht würden sich im Grabe umdrehen. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/2681 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Winfried Hermann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Wasserverbandsgesetzes - Drucksache 16/1642 6038 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) - Drucksache 16/2806 - Berichterstattung: Abgeordnete Johannes Röring Manfred Zöllmer Dr. Christel Happach-Kasan Cornelia Behm Dr. Kirsten Tackmann Alle Reden sollen zu Protokoll genommen werden. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen und Kolle- gen Dr. Peter Jahr von der CDU/CSU-Fraktion, Manfred Zöllmer von der SPD-Fraktion, Dr. Christel Happach- Kasan von der FDP-Fraktion, Dr. Kirsten Tackmann von der Fraktion Die Linke sowie Cornelia Behm von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.1) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Frak- tion des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Ent- wurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Wasser- verbandsgesetzes, Drucksache 16/1642. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt auf Drucksache 16/2806, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Zustimmung der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen, Gegenstimmen der Koalitionsfraktionen und Enthaltung der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäfts- ordnung die weitere Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: 1) Anlage 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Scheel, Kerstin Andreae, Dr. Gerhard Schick, Margareta Wolf ({1}) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Steuerberatung zukunftsfähig machen - Drucksache 16/1886 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Auch hier sollen alle Reden zu Protokoll genommen werden. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen Antje Tillmann von der CDU/CSU-Frak- tion, Dr. Hans-Ulrich Krüger von der SPD-Fraktion, Dr. Volker Wissing von der FDP-Fraktion, Dr. Barbara Höll von der Fraktion Die Linke und Christine Scheel von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.2) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/1886 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 8. November 2006, 13 Uhr, ein. Ich wünsche ein schönes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.