Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Schönen guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht zur Lage auf dem
Ausbildungsmarkt.
Das Wort für den einleitenden Bericht von fünf Minuten erteile ich dem Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie, Michael Glos.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Das Bundeskabinett hat sich heute, wie Sie richtig gesagt haben, unter anderem mit der Situation auf
dem Ausbildungsmarkt beschäftigt. Auch der Lenkungsausschuss des Nationalen Paktes für Ausbildung und
Fachkräftenachwuchs hat am Montag sehr intensiv über
dieses Thema beraten.
Die Lage ist wesentlich besser, als sie in der Presse
zum Teil dargestellt wird. Allerdings sehe ich sie noch
nicht als zufriedenstellend an. Auf der einen Seite gibt es
zwar deutlich mehr Angebote und Ausbildungsverträge
als im Vorjahr. Auf der anderen Seite gibt es aber auch
mehr unversorgte Bewerber, weil die Zahl der Bewerber
aufgrund der vielen Altfälle stärker angestiegen ist.
Die Wirtschaft hat die im Ausbildungspakt gegebenen
Zusagen in 2006 mehr als erfüllt. 30 000 neue Ausbildungsplätze und 25 000 EQJ-Plätze wurden zugesagt.
Tatsächlich wurden 55 800 neue Ausbildungsplätze eingeworben und 32 600 Plätze für betriebliche Einstiegsqualifizierungen zur Verfügung gestellt. Damit wurden
die versprochenen Zahlen übertroffen. Trotz schwieriger
Beschäftigungslage konnten also mehr Ausbildungsplätze angeboten werden. Das zeigt, dass die kräftige
konjunkturelle Erholung inzwischen auch am Arbeitsmarkt angekommen ist. Die Perspektive für die Wirtschaft sieht heute schon viel erfreulicher aus als vor einem halben Jahr.
Das wurde durch das zusätzliche Engagement aller
Beteiligten möglich. Ich möchte mich herzlich bei allen
Betrieben bedanken, die Ausbildungsplätze angeboten
haben, aber natürlich auch bei den vielen Mitarbeitern
der Kammern, die Klinkenputzen gegangen sind und so
Ausbildungsplätze eingeworben haben. Dank dieses Engagements konnte ein Großteil der Bewerber - wir hatten einen Zuwachs um 22 000 zu verzeichnen - versorgt
werden. Wir verfügen noch über ein erhebliches Potenzial an ungenutzten Möglichkeiten. Knapp 50 000
noch unversorgten Bewerbern stehen weit mehr als
60 000 Angebote zur Verfügung, wobei ich hinzufügen
muss, dass sich die 60 000 Angebote nicht ausschließlich auf die betriebliche Ausbildung beziehen, sondern
auch Schulungsmaßnahmen beinhalten.
Kurzfristig geht es um die Unterstützung der Nachvermittlung im bevorstehenden so genannten fünften Quartal des Ausbildungsjahres. Viele Jugendliche konnten
ihre Lehrstelle nicht antreten oder brachen ihre Ausbildung ab, weil sie feststellten, dass sie sich falsch entschieden haben. Jetzt besteht also die Gelegenheit - mehr
Mobilität vorausgesetzt -, einen Ausbildungsplatz zu finden.
Ziel ist nach wie vor, allen ausbildungsfähigen und
-willigen Jugendlichen ein Angebot zu machen anzubieten und die Zahl der unvermittelten Bewerber bis zum
Jahresende deutlich zu reduzieren. Das ist ein ehrgeiziges, aber realistisches Ziel. Voraussetzung ist, dass alle
mit ganzer Kraft ihren Beitrag dazu leisten: die Betriebe
und Wirtschaftsverbände, die Kammern und Arbeitsagenturen, aber natürlich auch Bund und Länder sowie
jeder, der sich dazu in der Lage sieht.
Seitdem ich Bundesminister für Wirtschaft und Technologie bin, weise ich bei jeder Rede, insbesondere vor
Vertretern der Verbände, zuletzt gestern beim VDMA,
der einer der größten deutschen Wirtschaftsverbände ist,
auf die Notwendigkeit der betrieblichen Ausbildung sowie auf die Tatsache hin, dass dem Auszubildendenbzw. Lehrlingsberg wieder ein Tal folgt, sodass die
Redetext
Fachkräfte, die heute nicht ausgebildet werden, morgen
nicht zur Verfügung stehen.
Es ist nicht leicht, die mittelfristige Herausforderung
zu meistern. Zu den noch unversorgten Jugendlichen gehören deutlich überproportional schwer Vermittelbare
und Bewerber aus früheren Schulentlassjahren. Deswegen nahm die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Frau Böhmer, an der Diskussion im PaktLenkungsausschuss teil. Für Migrantenkinder gibt es
Sondermaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit.
Die Gründe, warum ein Ausbildungsverhältnis oft
nicht zustande kommt, sind mangelhafte Schulabschlüsse, unzulängliche Ausbildungsreife und Defizite
im sozialen Umgang. Das alles sind Politikfelder, die
nicht vom Wirtschaftsminister bearbeitet werden, sondern für die viele andere zuständig sind. Wir müssen
weiter an der Beseitigung dieser Defizite arbeiten. Deswegen ist auch immer die Präsidentin der Kultusministerkonferenz der Länder anwesend. Ich bin der Meinung,
dass man schon sehr früh vor der Schulentlassung zu einer Verzahnung kommen muss, indem man den Schülern
aufzeigt, was die Wirtschaft braucht, und ihnen einen
Einblick in die Wirtschaft ermöglicht.
Ich freue mich auf Ihre Fragen und Anmerkungen.
Vielen Dank. - Die erste Frage stellt die Kollegin
Cornelia Hirsch.
Vielen Dank für die Darstellung. - Angesichts der Sitzung des Lenkungsausschusses wurde unter anderem
von den Gewerkschaften, die nach wie vor nicht am Pakt
beteiligt sind, die Kritik aufgeworfen, dass die Vereinbarungen des Pakts selber nicht genug greifen und die Ausbildungssituation deshalb - das wurde zu Recht bemängelt - immer noch mangelhaft ist. Es wurde auch die
Kritik geäußert, dass der Ausbildungspakt eigentlich nur
eine Umgehung einer gesetzlichen Ausbildungsumlage
ist. Meine Frage lautet: Inwieweit nehmen Sie das zur
Kenntnis, inwieweit wird über dieses Problem überhaupt
diskutiert und welche anderen Vorschläge haben Sie, um
zu verhindern, dass sich die Arbeitgeberseite mit jedem
Jahr weiter aus der betrieblichen Ausbildung zurückzieht?
Erstens. Es gibt kein Zurückziehen der Arbeitgeberseite. Ich habe gerade anhand von Zahlen dargestellt,
dass es verstärkt Angebote - sowohl vonseiten der Mitgliedsbetriebe der Industrie- und Handelskammern als
auch vonseiten der Handwerkskammern - und mehr Vermittlungen gegeben hat als im Vorjahr. Alles, was von
der Wirtschaft versprochen worden ist, wurde eingehalten.
Zweitens. Eine Ausbildungsplatzabgabe schafft keinen neuen Arbeitsplatz, sondern sorgt nur für Verärgerung und Resignation in Teilen der Wirtschaft. Das System, dass sich die Wirtschaft selber engagiert und über
ihre eigenen Organisationen Ausbildungsplätze einwirbt,
hat sich bewährt.
Drittens. Auch unser duales System der Ausbildung
- auf der einen Seite im Betrieb, auf der anderen Seite in
entsprechenden Schulen - hat sich bewährt. Auf der ganzen Welt beneidet man uns darum. Die Tatsache, dass
wir heute Exportweltmeister sind, insbesondere im Maschinen- und Anlagenbau, hängt mit der sehr guten Qualifikation vieler Facharbeiter zusammen. Das möchten
wir für die Zukunft so erhalten.
Viertens. Wenn die Gewerkschaften damit nicht einverstanden sind, dann ist das ein Problem der Gewerkschaften. Daher bitte ich, mit den Gewerkschaften darüber zu diskutieren.
({0})
Als Nächster hat das Wort der Kollege Albert
Rupprecht.
Herr Minister, die entscheidende Frage ist ja: Wird
das Paktziel als solches erreicht? Das Paktziel ist, dass
jedem ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen Jugendlichen ein Angebot unterbreitet wird.
Wir sind sehr optimistisch. Es wird natürlich immer
wieder - selbst in Zeiten, in denen das Angebot an Ausbildungsplätzen sehr viel größer ist als die Nachfrage unvermittelte Bewerber geben. Von dem Gedanken, dass
100 Prozent der Bewerber vermittelt werden, müssen
wir uns verabschieden; denn es gibt viele, die nicht für
eine Ausbildung geeignet oder qualifiziert sind. Manche
wissen auch noch nicht, ob sie eine weiterführende
Schule besuchen wollen oder sich für einen anderen Weg
entscheiden möchten.
Zudem ist nicht bekannt, wie viele Altbewerber noch
auf den Markt kommen. Ich bitte die Arbeitsagenturen
und die Länder sehr dringend, hierzu konkrete Zahlen
vorzulegen. Ich möchte es wiederholen: Es gibt hinreichend viele Angebote für den Jahrgang, der jetzt die
Schule verlassen hat. Unser Problem sind die vielen Altfälle, die zuvor insbesondere an Schulungsmaßnahmen
teilgenommen haben. Das Bundesbildungsministerium
wird zusammen mit den Ländern und der Bundesagentur
für Arbeit eine Erfassung der Altfälle durchführen, damit auch diese Bugwelle abgebaut werden kann.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Priska Hinz.
Herr Minister, ich war etwas verblüfft, dass Sie vorgetragen haben, die Lage sei nicht so schlecht, wie sie öffentlich dargestellt werde. Schließlich haben knapp
Priska Hinz ({0})
50 000 Jugendliche derzeit noch keinen Ausbildungsplatz. Das sind so viele wie in den letzten Jahren nicht.
Ferner haben Sie darauf hingewiesen, es würden noch
viele Plätze zur Verfügung gestellt, um diese Jugendlichen zu versorgen. Dabei wird es sich jedoch vor allen
Dingen um Schulungsmaßnahmen unterschiedlichster
Art handeln. Allerdings kommen die meisten der so genannten Altbewerber - genau die Gruppe, um die sich
die Zahl der Arbeitslosen erhöht hat - geradewegs aus
solchen Schulungsmaßnahmen.
Deswegen frage ich Sie: Welche Vereinbarungen wurden im Rahmen des Ausbildungspaktes getroffen, damit
Schulungsmaßnahmen wie das EQJ insbesondere Altbewerbern - nicht etwa Realschülern oder Absolventen mit
höherem Abschluss - zur Verfügung gestellt werden?
Was wurde vereinbart, damit derartige Qualifizierungsmaßnahmen anerkannt werden und die Jugendlichen einen Qualifikationsnachweis bzw. eine Zertifizierung
erhalten, sodass sie weitere Ausbildungsschritte anschließen und tatsächlich einen Abschluss machen können? Die Jugendlichen von einer Schulungsmaßnahme
zur nächsten zu schicken, ohne dass sie einen Abschluss
machen können, bringt uns und den Jugendlichen überhaupt nichts.
Erstens. Im Bundesbildungsministerium werden derzeit Vorschläge erarbeitet, wie Maßnahmen der schulischen Ausbildung - Sie haben das geschildert - besser
angerechnet und mit der betrieblichen Ausbildung verzahnt werden können. Das kann immer nur im Einvernehmen mit der Wirtschaft geschehen.
Zweitens. Das EQJ ist vor allem für Jugendliche gedacht, die keine hinreichende Qualifizierung und nicht
den erforderlichen Hintergrund - zum Beispiel in
sprachlicher Hinsicht - haben, den man vorweisen können muss, wenn man eine Ausbildung beginnt. 60 Prozent der Jugendlichen, die mit EQJ-Maßnahmen begonnen haben, konnten zu einem späteren Zeitpunkt ein
reguläres Ausbildungsverhältnis vorweisen. Das ist eine
gute Sache.
Am Anfang Ihrer Ausführungen haben Sie die 50 000
Jugendlichen angesprochen, die dem Ausbildungsmarkt
gegenwärtig noch zur Verfügung stehen. Deswegen
möchte ich Ihnen zur Kenntnis geben, wie sich die Bundesagentur für Arbeit, die hier natürlich auch in der Verantwortung steht, zu diesen 50 000 derzeit noch unversorgten Bewerbern äußert. Die Bundesagentur für Arbeit
stellt fest, dass es sich dabei zunächst einmal um 15 000
gemeldete, aber noch unbesetzte Ausbildungsplätze handelt. Diese Ausbildungsplätze konnten aus regionalen
Gründen, aus Gründen mangelnder Mobilität oder aufgrund nicht hinreichender Qualifikation der Bewerber
noch nicht besetzt werden. Das wird man nun in Angriff
nehmen, indem man den Jugendlichen zusätzliche Angebote macht. Darüber hinaus sind in den von Ihnen angesprochenen außerbetrieblichen Ausbildungsprogrammen, zum Beispiel im Migrantenprogramm der
Bundesagentur für Arbeit, noch 17 000 freie Plätze zu
verzeichnen. Zudem hat der Bundesminister für Arbeit
40 000 EQJ-Plätze zur Verfügung gestellt - das sind bedeutend mehr Plätze als im letzten Jahr -; davon sind
34 000 noch nicht besetzt. Wenn Sie diese Zahlen zusammenzählen - 15 000 plus 17 000 plus 34 000 -,
kommen Sie sogar auf eine Zahl von über 60 000, und
das bei 50 000 unversorgten Bewerbern. Das muss man
doch zueinander bringen können.
Die nächste Frage hat der Kollege Willi Brase.
Herr Minister, im Bildungsbericht der Kultusministerkonferenz und des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung ist deutlich dargestellt worden, dass mittlerweile genauso viele junge Leute in berufsvorbereitenden Warteschleifemaßnahmen sind, wie jedes Jahr eine
betriebliche Erstausbildung beginnen. Auf der anderen
Seite hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung festgestellt, dass immer noch zwischen 25 und
27 Prozent der Unternehmen, die sachlich, fachlich und
finanziell fähig sind, auszubilden, nicht ausbilden.
Würde es uns gelingen, diese Unternehmen einzubeziehen, könnten wir den jungen Leuten - auch denen, die
hier auf den Tribünen sitzen - eine ganz andere Bilanz
vorlegen. Was will die Bundesregierung tun, um die Unternehmen, die in der Lage sind, auszubilden, dies aber
nicht tun, dazu zu bewegen?
Wenn ich die Zahl auswendig weiß, waren es
33 000 Betriebe, die bisher nicht ausgebildet haben und
durch Werbemaßnahmen der Arbeitsagentur, aber insbesondere der IHKs und der Handwerkskammern dazu
veranlasst worden sind, nunmehr auszubilden. Sie sehen,
es wird ständig daran gearbeitet, mehr Betriebe dazu zu
bewegen.
Wir versuchen auch, über Ausbildungsverbünde und
dadurch, dass den Betrieben administrative Aufgaben,
die anfallen, wenn man ausbildet, erleichtert oder sogar
abgenommen werden, mehr Betriebe dazu zu bringen,
auszubilden. Zwangsmaßnahmen gibt es selbstverständlich nicht; das würde eine Verstaatlichung der Ausbildung bedeuten. Aus den vorhin geschilderten Gründen
ist es besser, die Ausbildung in den Händen der Wirtschaft zu belassen.
Als Nächster stellt der Kollege Alexander Dobrindt
eine Frage.
Vielen Dank. - Herr Minister, Sie haben deutlich gemacht, dass die Situation zwar schwierig ist, aber nicht
so hoffnungslos, wie wir sie am Anfang des Jahres vielleicht eingeschätzt haben. Das liegt daran, dass man sich
sehr frühzeitig bemüht hat, gemeinsam etwas für die Jugendlichen zu tun. Das Wirtschaftsministerium, auch der
Wirtschaftsminister persönlich, hat in hohem Maße neue
Ausbildungsplätze eingeworben. Aber nicht nur die Betriebe und der Mittelstand, auch der Deutsche Bundestag, die Fraktionen, haben Initiativen gestartet. Die Abgeordneten waren unterwegs, um für zusätzliche
Ausbildungsplätze zu werben. Dass diese gemeinsamen
Bemühungen Früchte getragen haben, ist eine hervorragende Leistung, die man hier durchaus erwähnen kann.
Wir haben in der letzten Wahlperiode gemeinsam
- Kollege Willi Brase, die SPD, die Unionsfraktion - das
Berufsbildungsgesetz novelliert.
({0})
Wir haben in diesem Zusammenhang eine gestufte Ausbildung in allen Ausbildungsberufen vorgesehen. Wir
wollten dadurch einen Ausbildungsweg schaffen, der es
theorieschwächeren Jugendlichen ermöglicht, einen
Ausbildungsstand zu erreichen, auf den in einer weiteren
Stufe mehr Theorie aufgesetzt werden kann, bis der Jugendliche den geltenden Ausbildungsstandard erreicht.
Wir haben darum gebeten, alle Ausbildungsberufe daraufhin zu überprüfen, ob so etwas machbar ist. Wir sind
da auf einem sehr guten Weg: Fast 60 Prozent der Ausbildungsberufe sind inzwischen überprüft; bei einer ganzen Reihe haben wir das schon umgesetzt.
Meine Frage in diesem Zusammenhang: Herr Minister, sehen Sie schon Erfolge bei den verkürzten, „abgespeckten“ Ausbildungsordnungen? Werden zusätzliche
Lehrstellen, gerade für theorieschwächere Jugendliche,
angeboten oder glauben Sie, dass wir hier ein Gesetz auf
den Weg gebracht haben, das wenig erfolgreich ist? Ich
denke, Sie können unter Umständen schon gute Beispiele nennen.
Herr Kollege Dobrindt, zum Ersten bedanke ich mich
vor allem dafür, dass Sie mich daran erinnert haben, dass
ich allen Anlass habe, den Kolleginnen und Kollegen
des Deutschen Bundestages, die selbst tätig geworden
sind - nicht für den Bundeswirtschaftsminister, sondern
für die Jugendlichen, die Ausbildungsplätze brauchen -,
zu danken. Ich finde, es ist auch Aufgabe eines Volksvertreters, dass er den Wählerinnen und Wählern vor Ort
hilft. Wir haben regional, insbesondere in den strukturschwächeren Gebieten, oft große Probleme. Dort zählt
ein Ausbildungsplatz praktisch doppelt.
Zum Zweiten arbeitet mein Haus zusammen mit dem
Bundesministerium für Bildung und Forschung immer
wieder an neuen Ausbildungsordnungen. Wir haben eine
Reihe neuer Berufsbilder kreiert. Daneben haben wir
Ausbildungszeiten von drei Jahre auf zwei Jahre herabgesetzt. Ich habe mich aber vor Ort davon überzeugt,
dass es teilweise nicht genügend Bewerber für die neuen
Berufsbilder gibt. Deswegen haben wir noch einmal für
die Ausbildung in diesen neuen Berufsbildern geworben.
Wir fordern natürlich die Kammern und die Verbände
der Wirtschaft auf, auch darauf hinzuwirken.
Ich bin der Meinung, dass wir noch bei einer Reihe
von Berufen zu einer verkürzten Ausbildung von zwei
Jahren kommen müssen. Dabei soll modulartig aufeinander aufgebaut werden und sich stärker immer wieder
auf ein bestimmtes Modul konzentriert werden können,
wodurch der Übergang - das bezieht sich auch auf die
Anrechnung - zu weiterführenden Bildungseinrichtungen ermöglicht wird. Die Ausbildung muss natürlich mit
den Veränderungen in der Wirtschaft und dem Bedarf
der Wirtschaft einhergehen; denn der Sinn der Ausbildung besteht ja auch darin, dass man anschließend einen
möglichst sicheren Arbeitsplatz erhält.
Das Wort hat der Kollege Patrick Meinhardt.
Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben vorhin die Bedeutung gerade auch der Ausbildungsverbünde hervorgehoben. In diesem Zusammenhang habe ich eine Frage.
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks hat das
Eckpunkteprogramm „5000 Plus“ vorgelegt mit dem
Ziel, insbesondere die überbetriebliche Ausbildung zu
stärken. Meine erste Frage lautet: Auf welche Resonanz
stößt dieses Programm bei der Bundesregierung? Wenn
unsere Informationen richtig sind, hat es dazu schon ein
Fachgespräch gegeben, das bislang bedauerlicherweise
folgenlos geblieben ist.
In diesem Zusammenhang stelle ich noch eine Ergänzungsfrage. Es gibt einen erheblichen Modernisierungsbedarf, insbesondere bei den überbetrieblichen Ausbildungsstätten, in einer Höhe von ungefähr 40 Millionen Euro. Inwieweit sehen Sie es als notwendig an, innerhalb der nächsten zwölf Monate deutlich mehr Maßnahmen für überbetriebliche Ausbildungsstätten in die
Wege zu leiten und damit auch mehr Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen?
Vielen Dank.
Nach meiner Information hat das Fachgespräch stattgefunden, allerdings nicht auf meiner Ebene. Daher kann
ich Ihnen natürlich nicht über alle Einzelheiten des Gesprächs berichten; es wird ausgewertet.
Wir werden bei den Haushaltsberatungen - ich gehe
anschließend in den Haushaltsausschuss - auch für ein
neues Programm werben, das wir auflegen wollen, wenn
der Deutsche Bundestag dies genehmigt, damit in den
Kammern mehr Leute angestellt werden - dies soll auch
mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds finanziert
werden und die von Ihnen angesprochenen Verbünde vorangebracht werden. Der Kontakt zwischen dem Handwerk, also der Praxis, und meinem Haus ist an sich sehr
gut.
Es gibt allerdings ein Problem. Man sorgt sich schon
jetzt ein Stück weit um die Zeit, wenn die geburtenschwächeren Jahrgänge die Schule verlassen; das finde
ich auch richtig so. Wenn jetzt zu viele BildungseinrichBundesminister Michael Glos
tungen geschaffen werden, wird zwischen diesen Einrichtungen quasi eine Konkurrenz um die Ausbildung
der Jugendlichen ausbrechen. Ich bin der Meinung, dass
die praxisnahe Ausbildung in den Ausbildungseinrichtungen der Kammern immer noch Priorität haben muss.
Jetzt fragt die Kollegin Nicolette Kressl.
Herr Minister, ich möchte Sie zunächst bitten, die
Antwort auf die Frage von Herrn Meinhardt um die Information zu ergänzen, dass in den letzten Jahren gerade
die Mittel für die überbetrieblichen Ausbildungsstätten,
die er angesprochen hat, in den Haushalten deutlich erhöht worden sind und dass im Rahmen der gegenwärtigen Beratungen des Haushalts des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung in diesem Bereich eine Steigerung zu erwarten ist.
Verbinden möchte ich diese Anmerkung mit einer
Frage zu den so genannten Altbewerbern - ich halte das
für ein problematisches Wort -, also den jungen Menschen, die sich nach mehreren Warteschleifen erneut um
einen Ausbildungsplatz bemühen. Ich nennen die Zahlen: Zum ersten Mal ist bei den Bewerbern mit Schulabschlüssen in diesem Jahr ein Rückgang um ungefähr
6,6 Prozent zu beobachten; demgegenüber sind die Zahl
der Bewerber mit Schulabschlüssen im letzten Jahr um
8 Prozent und die Zahl der Bewerber mit Schulabschlüssen in noch weiter zurückliegenden Jahren um
15,9 Prozent gestiegen.
Die Analyse zeigt, dass die Bugwelle, die wir schon
seit langem erwartet haben, jetzt auf dem Ausbildungsmarkt angekommen ist. Dieses Problem dürfen wir nicht
nur im Rahmen des Pakts behandeln; hier müssen wir
gesondert vorgehen. Ich bitte Sie, zu beschreiben, worüber dazu im Kabinett diskutiert worden ist und welche
Lösungsansätze Sie sehen.
Zu Ihrem ersten Punkt möchte ich sagen, dass ich es
sehr erfreulich finde, Frau Kollegin, dass die Mittel auf
dem angesprochenen Gebiet erhöht und verstetigt worden sind. Das Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie sieht sich nicht als Konkurrenzbetrieb zum
Bundesbildungsministerium. Die Zusammenarbeit hat
sich, wie ich meine, unter der großen Koalition nochmals verbessert.
Ich komme zum zweiten Punkt. Die Bildungsministerin Frau Schavan hat dargelegt, dass sie zusammen mit
den Ländern und der Bundesagentur für Arbeit ein Programm entwickeln will, um erst einmal die konkreten
Zahlen zu ermitteln, die bisher nirgends vorliegen und
die wir als Bundesregierung nicht einfach abgreifen können; hier sind wir auf andere angewiesen. Wir wollen
wissen, wie groß die Bugwelle wirklich ist. Sie haben
bereits erwähnt, dass inzwischen die Zahl der jungen
Menschen mit Schulabschlüssen in den letzten Jahren,
die sich um einen Arbeitsplatz bemühen, die der Bewerber mit einem Schulabschluss in diesem Jahr übersteigt.
Hier ist die Frage, wer überhaupt noch einen Ausbildungsplatz will. Möglicherweise wurde schon ein Studium begonnen oder hat man sich für einen anderen Weg
entschieden. Diese Zahlen, die nur auf der regionalen
Ebene abgefragt werden können, sind bisher nicht verfügbar. Ich weiß von den Bemühungen meiner Kollegin
Schavan, dies bis zum Frühjahr aufzuarbeiten.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Krista Sager.
Erlauben Sie mir folgende Vorbemerkung: Ich finde
es seltsam, wenn hier Mittelerhöhungen abgefeiert werden, die von der großen Koalition im Rahmen der heutigen Haushaltsberatungen in dem zuständigen Ausschuss
nicht beantragt worden sind.
Herr Minister, von einem Kollegen wurde bereits die
Reform des Berufsbildungsgesetzes aus der Zeit der rotgrünen Bundesregierung angesprochen. Durch die Reform des Berufsbildungsgesetzes wurde die Möglichkeit
geschaffen, dass auch eine vollzeitschulische berufliche
Ausbildung durch eine Kammerprüfung anerkannt werden kann. Bisher machen davon nur vier von 16 Bundesländern Gebrauch, indem sie die dafür notwendigen
Verordnungen erlassen haben. Was tun Sie, um diese
Möglichkeit in den Ländern bekannter zu machen und
die Länder dazu zu bewegen, die notwendigen Verordnungen zu erlassen?
Frau Kollegin Sager, niemand feiert hier irgendetwas
ab; wir referieren über Tatsachen. Mein Haushalt wird
anschließend im Haushaltsausschuss des Bundestages
beraten. Ab 14 Uhr werde ich dort sein. - Ich sehe, dass
Herr Koppelin, der Mitglied des Haushaltsausschusses
ist, nickt. Sein Wohlwollen ist mir also schon sicher.
({0})
Ich hoffe, dass auch andere diesem Thema wohlwollend
gegenüberstehen und sich dafür einsetzen werden.
Zu den von Ihnen angesprochenen Möglichkeiten der
Wirtschaft, vorbetriebliche Ausbildungszeiten bei den
Abschlüssen anzurechnen, hat Frau Ministerin Schavan
sowohl im Paktlenkungsausschuss als auch heute im Kabinett angekündigt, dass sie bei der Wirtschaft verstärkt
dafür werben will. Wir sind in hohem Maße auf die
Kammern bzw. auf die Wirtschaft angewiesen.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Rita Pawelski.
Herr Minister, die Begabungen und Talente sind bei
den jungen Leuten nicht gleich verteilt. Einige sind eher
praktisch veranlagt und könnten dort mehr gefördert
werden. Ist es nicht sinnvoll, die praktisch begabten jungen Leute durch entsprechende Ausbildungsangebote
stärker zu unterstützen, damit auch sie ihre Fähigkeiten
beweisen können?
Ich kann das nur bejahen. Dabei sind auch die einzelnen Berufsverbände stark gefordert. Es gibt schon Ausbildungsmöglichkeiten, die auf einem niedrigeren Level
ansetzen und eine kürzere Dauer vorsehen. Dabei ist es
aber wichtig, dass sie stärker moduliert werden, dass das
angerechnet wird und dass darauf aufbauend eine Ausbildung angeboten wird, in der die Theorie stärker berücksichtigt wird.
Die nächste Frage stellt der Kollege Diether Dehm.
Herr Bundesminister, ich hatte den Eindruck, dass die
Fragen sowohl des Kollegen Willi Brase als auch der
Kollegin Nele Hirsch nicht zufriedenstellend beantwortet worden sind. Bei einigen Gelegenheiten ist mir aufgefallen, dass Sie, wenn Sie von der Wirtschaft sprechen, offensichtlich nur die Arbeitgeberseite meinen.
Denn auf der einen Seite fordern Sie von uns, den Linken, mit den Gewerkschaften zu reden, und auf der anderen Seite sagen Sie, wir sollten die Wirtschaft nicht verärgern. Ist nicht die Angst vor der Verärgerung der
Wirtschaft, in diesem eng gefassten Begriff, eine Ursache dafür, dass wir hinsichtlich der Arbeitslosigkeit in
die derzeitige Lage geraten sind? Das ist aber nicht
meine eigentlich Frage. Ich bitte Sie nur, mit der Sensibilität, die Ihnen zu Eigen ist, darüber nachzudenken, ob
der Begriff Wirtschaft nicht auch auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Gewerkschaften ausgedehnt werden soll.
Wir beide sind ja Mittelständler. Mit einem entsprechenden Empfinden. Ich unterstelle Ihnen bei Ihrem Appell, freiwillig auszubilden, Gutgläubigkeit. Denn wir
beide haben bei ähnlichen Appellen in der Vergangenheit zugesagt, darüber nachzudenken, und dann haben
wir auch ausgebildet. Das haben auch viele andere
kleine und mittelständische Unternehmer getan. Dann
aber haben die Konzerne sozusagen die Sahne von der
Milch geschöpft. Was die Konzerne angeht, erscheint
der Appell, selbst auszubilden, in manchen Fällen wie
eine Aufforderung an den Marder im Blutrausch, sich
freiwillig eine Maulsperre einzuziehen. Ich finde, dass
der Staat viel zu wenig in seinem Instrumentenköfferchen hat, um uns Mittelständler ständig Vorhaltungen zu
machen. Darin sind wir uns einig. Aber sollten wir nicht
bei den Konzernen etwas mehr staatlichen Zwang anwenden?
Vielen Dank, Herr Kollege. Sie geben mir durch Ihre
Bemerkungen Gelegenheit, meine Wirtschaftsphilosophie darzulegen. Ich betrachte mich nicht als Bundesminister der Wirtschaft - wie es beispielsweise einen
Bundesminister der Verteidigung gibt -, sondern als
Bundesminister für Wirtschaft. Zur Wirtschaft gehören
für mich in allererster Linie die Verbraucherinnen und
Verbraucher wie auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, egal ob sie organisiert sind oder nicht.
Selbstverständlich sind auch die Funktionäre der organisierten Arbeitnehmer Teil der Wirtschaft.
Die Gewerkschaften haben sich selbst aus dem Pakt
ausgeschlossen, was ich persönlich bedauere. Diese
Weichenstellungen sind aber schon vor meiner Zeit erfolgt.
Sie haben ein weiteres Thema angesprochen, nämlich
dass zu Zeiten, als sich die Konjunktur gut entwickelt
hat, im Handwerk gut ausgebildete Fachkräfte von größeren Firmen und Konzernen abgeworben worden sind,
die selbst nicht ausgebildet haben. Das war ein Ärgernis.
Aber Sie können die Unternehmen nicht mit staatlichen
Maßnahmen dazu zwingen auszubilden. Oft hat sich der
Bedarf verändert bzw. erst ergeben. Es gibt auch große
Firmen - oder Konzerne, wie Sie es ausdrücken -, die in
der Ausbildung vorbildlich sind. Es gibt allerdings auch
welche, die noch mehr tun könnten.
Die nächste Frage hat der Kollege Ernst Dieter
Rossmann.
Frau Sager hat auf die aktuellen Haushaltsberatungen
abgehoben. Ich will mir dazu nur die kleine Bemerkung
gestatten: Als Rot-Grün zusammen war, haben wir die
Mittel für die Berufsbildung tatsächlich erhöht. Aber es
gibt ja immer zwei Wege, wie wir an diese Mittel kommen können: Das ist der Bundeshaushalt und das ist die
Bundesagentur für Arbeit, die hier in der Solidarität von
Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen sehr aktiv ist.
Man muss beides zusammen sehen.
Meine Frage richtet sich auf etwas anderes, nämlich
darauf, dass im „Handelsblatt“ jüngst berichtet wurde,
dass es einen Zuwachs von jungen Menschen mit Abitur
im Bereich der dualen Ausbildungsverhältnisse gibt, und
zwar aufgrund der Studiengebühren, die diese jungen
Menschen vielleicht davon abhalten könnten, ein Hochschulstudium anzutreten. Wie schätzen Sie das ein, dass
wir nicht nur eine große Gruppe von Altbewerbern haben, sondern auch in die Gefahr geraten könnten, eine
große Gruppe von verdrängten Jugendlichen mit Hauptund Realschulabschluss zu bekommen, die keinen Zugang zu dem knapper werdenden Gut der dualen Ausbildungsverhältnisse mehr haben werden? Was kann darauf
eine Antwort sein, die seitens der Bundesregierung in
konzertierter Aktion gegeben wird?
Ich habe den gleichen Artikel gelesen, den auch Sie
gelesen haben. Es kann durchaus sein, dass es immer
wieder Veränderungen bei den Absichten gibt, wie man
sich beruflich orientiert, auch nach dem Abitur. Die Abiturzeugnisse fallen ja unterschiedlich aus. Es gibt Ausbildungsberufe im dualen System, die auch für AbituriBundesminister Michael Glos
enten durchaus interessant sind. Es ist immer die eigene
Lebensentscheidung derjenigen oder desjenigen, in welche Richtung sie oder er sich orientiert.
Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass die bisher geforderten Studiengebühren - es gibt dafür ja auch
Darlehensmöglichkeiten der KfW usw. - dauerhaft jemanden davon abhalten, zu studieren, wenn er die Absicht und die Qualifikation hat, einen akademischen Beruf zu ergreifen, und dass er dann aus diesem Grund in
das duale System wechselt. Aber dieses Verhalten müssen wir sicherlich in Zukunft beobachten und dann die
nötigen Konsequenzen, falls es so ist, daraus ziehen.
Vielen Dank. - Damit beende ich die Befragung der
Bundesregierung. Fragen zu anderen Themenbereichen
sehe ich nicht.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 16/2923 Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier bereit.
Ich rufe Frage 1 des Abgeordneten Dr. Diether Dehm
auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die enormen Unterschiede im Einkommen von Vorstandsmitgliedern
einerseits und übrigen Angestellten andererseits von rechtsextremen Parteien benutzt werden, wodurch Rechtsradikalismus
sowie der Einzug rechtsextremer Parteien in verschiedene
Landtage in Deutschland befördert werden?
Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor,
Herr Abgeordneter Dehm, wonach rechtsextreme Parteien eine Diskrepanz der Bezüge von Vorstandsmitgliedern und Angestellten thematisiert hätten. Soweit uns
bekannt ist, gehörte dies jedenfalls auch nicht zu den
Wahlkampfschwerpunkten dieser Parteien in denjenigen
Bundesländern, in denen sie den Einzug in den Landtag
in letzter Zeit geschafft haben. Sofern Ihnen, Herr Kollege, jedoch Erkenntnisse über entsprechende Vorgehensweisen von rechtsextremen oder auch von linksextremen Parteien vorliegen sollten, sind wir gerne
bereit, entsprechenden Hinweisen nachzugehen.
Herr Dr. Dehm, eine Zusatzfrage.
Auf welche Empirie, außer auf die Wahlkampfveröffentlichungen dieser Parteien, stützen Sie denn die Aussage, dass Ihnen dazu keine Erkenntnisse vorliegen?
Den Punkt mit den Linksextremen habe ich jetzt einmal
überhört.
Wie Ihnen bekannt ist, Herr Kollege, werden die Aktivitäten - nicht nur die Wahlkampfaktivitäten - von bestimmten rechtsextremen und anderen Parteien von den
dafür vorgesehenen Einrichtungen beobachtet. Das sind
die Informationsquellen, die auch dem Bundesministerium des Innern zur Verfügung stehen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Klaus Ernst
auf:
Wie steht die Bundesregierung zu einer Gesetzesinitiative,
die eine Managerhaftung vorsieht, die sich an der entsprechenden Gesetzgebung in den USA und Großbritannien orientiert?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Ernst, die von Ihnen angesprochene Gesetzesinitiative ist der Bundesregierung bislang nicht bekannt, mögen einzelne Diskussionsbeiträge auch in diese
Richtung gehen. Diejenigen, die eine Übernahme von
US-amerikanischen oder englischen Managerhaftungsmodellen fordern, übersehen, dass der Vorstand einer
deutschen Aktiengesellschaft nach § 93 des Aktiengesetzes bereits - ähnlich wie das Board of Directors in den
Vereinigten Staaten - bei Verletzungen von Treue- oder
Sorgfaltspflichten, die ihm gegenüber der Gesellschaft
obliegen, auf Schadensersatz haftet. Die Möglichkeiten
in den USA und in Großbritannien, die Haftung durch
vertragliche Vereinbarungen mit der Gesellschaft von
vornherein oder im Nachhinein einzuschränken, sind
aber im deutschen Recht - anders als im amerikanischen
Recht - deutlich begrenzt.
Mit dem Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts, dem so genannten
UMAG, wurde im letzten Jahr zudem die Durchsetzung
von Haftungsansprüchen erleichtert. Nach § 148 Abs. 1
des Aktiengesetzes ist es einer Aktionärsminderheit, die
zusammen über 1 Prozent des Grundkapitals oder Anteile zum Nennbetrag in Höhe von 100 000 Euro verfügt, nunmehr möglich, eine Klage beim Landgericht
einzureichen mit dem Ziel, Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder
oder gegen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder im
eigenen Namen geltend zu machen. Hat die Aktionärsminderheit mit ihrem Antrag Erfolg, kann sie bei Kostenübernahme durch die Gesellschaft - das steht in § 148
Abs. 6 des Aktiengesetzes - den Haftungsanspruch gegen den Vorstand selbst und im eigenen Namen sowie
mit ihrem eigenen Anwalt durchsetzen.
Durch die deutliche Herabsetzung der Schwelle des
notwendigen Anteilsbesitzes zur Zulässigkeit der Klage
ist es den institutionellen Anlegern sowie größeren Pri5428
vatanlegern jederzeit möglich, eine Haftungsklage gegen
den Vorstand anzustrengen, wenn sie einen schweren
Pflichtenverstoß des Vorstandes annehmen, den der Aufsichtsrat nicht verfolgen will. Aber auch klagewillige
Kleinaktionäre können sich in einem Aktionärsforum
des elektronischen Bundesanzeigers sammeln und so
Mitstreiter für das Erreichen gesetzlicher Quoren gewinnen, um eine Zulassungsklage einzuleiten.
Es bleibt abzuwarten - diese Möglichkeit gibt es, wie
gesagt, erst seit dem vergangenen Jahr -, ob sich die Regelungen in der Praxis bewähren und zu einer angemessenen Verfolgung von Haftungsansprüchen gegen den
Vorstand und einzelne Vorstandsmitglieder beitragen
werden. Derzeit liegt daher aus Sicht der Bundesregierung ein Grund für eine weitere Übernahme US-amerikanischer oder britischer Regelungsvorbilder nicht vor.
Aber Sie dürfen versichert sein, dass wir, das Bundesministerium der Justiz, die Entwicklung beobachten
werden.
Eine Nachfrage, bitte schön, Herr Ernst.
Erste Frage: Teilen Sie die Auffassung, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Haftungsbestimmungen in
den USA im Vergleich zu den bei uns geltenden, neuen
gesetzlichen Bestimmungen schärfer sind?
Zweite Frage: Können Sie sich vorstellen, dass dann,
wenn eine solche verschärfte Haftungsregelung gelten
würde, möglicherweise Aktivitäten und Entscheidungen
von Vorständen unterblieben, die anderenfalls dazu führen, dass massenhaft Boykottmaßnahmen gegen bestimmte Produkte ergriffen werden, weil die Bevölkerung das Agieren von bestimmten Aktiengesellschaften
- ich denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an
die Deutsche Bank, die AEG und ähnliche Fälle - nicht
mehr akzeptiert?
Herr Kollege Ernst, zu Ihrer ersten Nachfrage. Ich
habe darauf hingewiesen, dass die US-amerikanischen
und die britischen Gesellschaften, hier vor allen Dingen
die Vorstände, die Möglichkeit haben, im Vorhinein, bei
Vertragsschluss, oder auch später, jegliche Haftung auszuschließen. Ich weiß nicht, ob es für uns in Deutschland
erstrebenswert wäre, eine solche US-amerikanische Regelung zu übernehmen.
Zu Ihrem zweiten Punkt möchte ich Folgendes sagen:
Ich glaube, wir können ungetreuen Vorstandsmitgliedern
mit den legalen Mitteln des Strafrechts durchaus wirkungsvoll begegnen. Ob und inwieweit zum Beispiel
Arbeitgebervertretungen von den ihnen zustehenden
Rechten Gebrauch machen oder ob sich einzelne Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer zu irgendwelchen Maßnahmen, die Sie angesprochen haben, zusammenfinden,
unterliegt nicht der Beurteilung durch das Bundesministerium der Justiz und die Bundesregierung. Sie haben sicher Verständnis dafür, dass ich mich mit einer Meinungsäußerung nicht in die Angelegenheiten anderer
einmischen möchte.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Barbara Hendricks zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 der Abgeordneten Cornelia
Hirsch auf:
Aus welchem Grund hält es die Bundesregierung für gerechtfertigt, die Anbieter von Nachhilfeunterricht durch Befreiung von der Umsatzsteuer staatlich zu subventionieren
und damit auf Steuereinnahmen, die für das öffentliche Bildungswesen verwendet werden könnten, zu verzichten?
Frau Kollegin Hirsch, mit der Umsatzsteuerbefreiung
des Nachhilfeunterrichts durch private Anbieter wird dieser den entsprechenden Leistungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts im Ergebnis gleichgestellt.
Die Steuerbefreiung beruht auf der für alle EU-Mitgliedstaaten verbindlichen Vorschrift des Art. 13 Teil A Abs. 1
Buchstabe i der 6. EG-Richtlinie. Eine Aufhebung der
Befreiung wäre deshalb ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht. Auch wäre eine partielle Besteuerung der
Leistungen privater Anbieter nicht möglich. Einer solchen Regelung steht der auch im Umsatzsteuersystem
verankerte Grundsatz entgegen, dass gleichartige Leistungen nicht unterschiedlich besteuert werden dürfen.
Frau Hirsch, Sie haben eine Nachfrage?
Ja, danke schön. - Damit sind wir faktisch in der Situation, dass über das Steuerrecht anerkannt wird, dass das
private Anbieten von Nachhilfe quasi Teil des allgemein
bildenden Schulsystems ist. An der Stelle stellt sich für
mich die Frage, wie die Bundesregierung solch eine Situation mit dem Grundsatz vereinbaren will, dass der
Bildungszugang und auch der Bildungserfolg unabhängig vom Geldbeutel der Eltern sein sollten. Die Zahlen,
wonach für Nachhilfe teilweise 100 Euro im Monat oder
mehr von den Eltern zur Verfügung gestellt werden müssen, sind bekannt. Wie das beispielsweise ALG-II-Empfängerinnen oder -Empfänger bezahlen sollen, ist mir
zumindest schleierhaft. Ich wüsste gerne, wie sich die
Bundesregierung dazu positioniert.
Sie, Frau Kollegin Hirsch, schließen aus dem Steuerrecht, dass wir die privat erteilte Nachhilfe dem Bildungsauftrag der öffentlichen Hand gleichstellen. Dieser
Schlussfolgerung will ich nicht folgen; denn es ist selbstverständlich klar, dass die öffentliche Hand, namentlich
die Länder, den Bildungsauftrag, den uns die Verfassung
gibt, auszuüben haben. Falls die Länder nicht in der
Lage sind, einen Unterricht zu gewährleisten, der tatParl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
sächlich allen Kindern, unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern, gleiche Chancen gibt, so haben die Länder
dies abzustellen. Das ist ihre Aufgabe nach der Verfassung.
Bitte schön.
Mir liegt auch die Umsatzsteuerrichtlinie 112 vor. Darin steht ganz klar, dass Anbieter von Nachhilfe den Einrichtungen gleichgestellt sind. Das ist eine Richtlinie, die
von Bundesseite eingebracht wurde. Sie haben auf die
soziale Problematik aus meiner Sicht keine zufriedenstellende Antwort gegeben. Die zweite Frage, die sich
stellt, ist: Wer beurteilt eigentlich, was im Rahmen des
Nachhilfeunterrichts gelehrt wird? Im Prinzip ist es so,
dass der Bund durch diese Bestimmung im Steuerrecht
bestimmten Trägern ermöglicht, Nachhilfeunterricht anzubieten, obwohl die schulpolitische Kompetenz eigentlich auf Landesebene angesiedelt ist. Die Steuergesetze
des Bundes stellen darauf aber überhaupt nicht ab.
Meine Frage: Wie sieht es mit einer Qualitätssicherung,
mit einer politischen Kontrolle in Bezug auf Nachhilfeunterricht aus?
Es gibt - jedenfalls für den Bund - keinerlei Möglichkeit, eine Qualitätssicherung bei privaten Nachhilfeinstituten vorzunehmen. Wenn man dies wollte, wäre dies
nach unserer Verfassung wiederum Aufgabe der Länder
bzw. der Schulaufsichtsbehörden.
Allerdings schließen die Eltern privatrechtliche Verträge zugunsten ihrer Kinder mit einem solchen Institut
ab. Dies unterliegt nach meinem Rechtsverständnis nicht
der Aufsicht durch den Schulträger, es sei denn, es liegen Verstöße vor, zum Beispiel strafrechtlicher Art; dann
müsste der Staat selbstverständlich eingreifen. Im Übrigen gilt: Es sind freie Vertragspartner und es gelten zivilrechtliche Bedingungen.
Eine weitere Nachfrage möchte die Kollegin
Enkelmann stellen.
Unabhängig von der Zuständigkeit der Länder gibt es
den Bildungsbericht der Bundesregierung. In einer Vorstudie dazu ist dringend angemahnt worden, sich dem
Thema Nachhilfe zuzuwenden. Warum spielt das Thema
Nachhilfe im Bildungsbericht der Bundesregierung
keine Rolle?
Frau Kollegin, diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, weil das Bundesministerium der Finanzen für
den Bildungsbericht der Bundesregierung nicht zuständig ist. Ich werde aber veranlassen, dass Ihre Frage vom
zuständigen Ministerium schriftlich beantwortet wird.
({0})
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Die Fragen 4 und 5 der Abgeordneten Bärbel Höhn
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Bonde auf:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung, die ersten bzw.
letzten nuklearwaffenfähigen Tornadoflugzeuge außer Dienst
zu stellen, und kann die Bundesregierung definitiv ausschließen, dass in dieser Legislaturperiode Entscheidungen getroffen werden, die darauf hinauslaufen, den Eurofighter zum Nuklearwaffenträger nachzurüsten?
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege Bonde,
Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Die Nutzung des
Waffensystems Tornado ist in reduzierter Stückzahl bis
zum Jahr 2020 geplant. Grundsätzlich sind alle Luftfahrzeuge der Jagdbombervariante des Waffensystems Tornado hinsichtlich der Zielstruktur befähigt, Nuklearwaffen zu tragen. Es ist derzeit nicht geplant und es werden
auch keine Vorkehrungen getroffen, das Waffensystem
Eurofighter für einen Einsatz mit Nuklearwaffen zu befähigen.
Ich darf im Übrigen auf die Antwort der Bundesregierung vom 7. Juli 2004 auf die schriftliche Frage 44,
Drucksache 15/3609, sowie auf die Antwort der Bundesregierung auf die Fragen 20 und 21 der Kleinen Anfrage
der Fraktion Die Linke vom 6. Februar 2006, Drucksache 16/568, verweisen.
Herr Bonde, möchten Sie eine Nachfrage stellen? Bitte schön.
Herr Staatssekretär, mich interessiert, inwieweit es
zutrifft, dass es in der Koalition Überlegungen gab, den
Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe im Weißbuch des
Bundesministeriums der Verteidigung festzuschreiben.
Falls es diese Überlegungen tatsächlich gab: Warum
wurde dies verworfen?
Herr Kollege Bonde, Sie stellen eine Frage, die
grundsätzlich mit der Frage, die ich im Anschluss zu beantworten habe, zusammenhängt, Stichwort: Weißbuch.
Bei der Beantwortung von Frage 6 gerade wollte ich Ihnen erklären, wieso ich über den Inhalt des Weißbuchs
heute nichts sage. Ich möchte in meinen Antworten konsistent bleiben. Das gilt auch bezüglich Ihrer Frage zu
diesem Sachverhalt.
Ich kann nur folgende Ankündigung machen: Das
Weißbuch wird dem Parlament nach der Kabinettssitzung nächste Woche - dort soll es vom Bundeskabinett
verabschiedet werden - in gedruckter Form zur Verfügung stehen.
Zu Ihren Spekulationen über die möglichen Elemente,
die in der Diskussionsphase der Erstellung des Weißbuchs eine Rolle gespielt haben, kann ich im Hinblick
auf diesen einen Punkt mitteilen, dass das nicht der Fall
gewesen ist.
Eine Nachfrage des Kollegen Koppelin.
Herr Staatssekretär, Sie selbst haben eben die Lebensdauer der Tornados angesprochen. Können Sie das noch
konkreter machen, indem Sie mir die Frage beantworten,
mit wie viel Kampfwertsteigerung und mit welchem finanziellen Umfang ich beim Tornado rechnen muss?
Herr Kollege Koppelin, Sie wissen, dass die Kampfwertsteigerung der Tornados nicht ursächlich und nicht
inhaltlich mit der Frage der Nuklearfähigkeit zu tun hat.
({0})
Die Nuklearfähigkeit, die bereits jetzt bei einem Teil
bzw. in der Jagdbomberversion besteht, wird bis zum
Jahr 2020 erhalten bleiben. Über die in diesem Zeitraum
bis zum Jahr 2020 und darüber hinaus notwendigen Investitionen in den Erhalt des Waffensystems kann ich
keine verbindlichen zahlenmäßigen Aussagen machen.
Ich verweise darauf, dass wir zu gegebener Zeit, falls
solch eine Verbesserung notwendig sein sollte, mit den
entsprechenden Anträgen in das Parlament bzw. in den
Haushaltsausschuss kommen werden.
Die zweite Nachfrage des Kollegen Bonde.
Herr Staatssekretär, nach diesen Ausführungen würde
mich interessieren, ob die Bundesregierung die zum Beispiel vom IAEO-Generalsekretär al-Baradei oder auch
im jüngsten Blix-Bericht geäußerte Einschätzung teilt,
dass es schwierig ist, andere Staaten davon zu überzeugen, auf Atomwaffen zu verzichten, wenn man selbst
solche Waffen besitzt, unter deren Schutz steht oder bewusst formuliert, dass man sie für die eigene Sicherheit
für unverzichtbar hält.
Herr Kollege Bonde, Sie wissen, dass wir Teil eines
Verteidigungsbündnisses, der NATO, sind, das eine Strategie hat, bei der, wohl mit rückläufiger Tendenz, auch
die Nuklearkomponente eine Rolle spielt. Ich darf die in
Ihrer Frage vielleicht vorhandene Unterstellung, die
Bundesrepublik Deutschland besitze Nuklearwaffen, allerdings zurückweisen. Das ist nicht der Fall. Eine Veränderung wird sich an dem orientieren, was die Strategie
des Bündnisses ist und was die außenpolitischen Interessenlagen für unser Land unter Beachtung des Völkerrechts sind.
Jetzt gebe ich das Wort dem Kollegen Koppelin, der
einen Antrag zur Geschäftsordnung stellen möchte.
Frau Präsidentin, der Herr Staatssekretär hat angekündigt, dass er zum Weißbuch keine Auskunft geben wird.
Auch die bisherigen Auskünfte zu den durchaus interessanten Fragen des Kollegen Bonde waren in keiner
Weise ausreichend. Ich beantrage, den Bundesverteidigungsminister herbeizurufen.
({0})
Gibt es dazu Wortmeldungen?
({0})
Herr Kollege Grund.
Ich widerspreche für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Antrag des verehrten Kollegen Koppelin, den
Bundesverteidigungsminister herbeizuzitieren. Ich empfinde die Darlegungen, die der Staatssekretär beim Bundesverteidigungsministerium gemacht hat, als völlig
ausreichend. Ich sehe für meine Fraktion nicht die Notwendigkeit, den Bundesverteidigungsminister herbeizurufen.
({0})
Die Kollegin Enkelmann möchte sich nicht äußern. Bitte schön.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch nach meiner Auffassung waren die Darlegungen,
die der Herr Staatssekretär gemacht hat, so ausführlich
und ausreichend, dass der Herr Minister hier nicht unbedingt persönlich anwesend sein muss und die Zitierung
eigentlich verzichtbar ist. Die Frage des Herrn Kollegen
Koppelin ist entsprechend beantwortet worden. Ich
glaube auch nicht, dass der Herr Minister hier eine anPetra Ernstberger
dere Position beziehen wird, als es sein Staatssekretär
jetzt im Vorfeld getan hat.
Ich lasse jetzt, da es keine weiteren Wortmeldungen
gibt, über den Antrag des Kollegen Koppelin abstimmen. Wer für den Antrag des Kollegen Koppelin ist, der
möge bitte seine Hand heben. - Gegenstimmen?
({0})
Das ist sehr eindeutig. Wir erwarten also das Erscheinen
des Herrn Verteidigungsministers. Ich unterbreche die
Sitzung.
({1})
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Werner
Hoyer.
Frau Präsidentin, die Situation ist ein bisschen
schwierig; denn der Minister hat die Antworten, die der
Staatssekretär vorhin gegeben hat, nicht hören können.
Aber die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung
wird so perfekt sein, dass der Minister jetzt trotzdem antworten kann.
Der Staatssekretär hatte großen Wert auf Konsistenz
gelegt. Die Frage ist: Ist es konsistent, die Nuklearfähigkeit der Tornados bis zu deren Auslaufen 2020 für erforderlich zu halten, während für das Nachfolgemodell
Eurofighter von vornherein keinerlei Nuklearfähigkeit
für erforderlich gehalten wurde? Ist das nicht inkonsistent? Müsste man nicht erwarten, dass das Weißbuch
darüber Aufklärung gibt?
({0})
Herr Abgeordneter, zunächst möchte ich Sie um Verständnis dafür bitten, dass ich jetzt nicht inhaltlich zum
Weißbuch Stellung nehme. Denn Sie wissen, dass die
Bundesregierung beabsichtigt, in der nächsten Woche,
am 25. Oktober, das erste Mal seit 1994 diesbezüglich
eine Entscheidung zu treffen. Danach werden wir im
Parlament darüber debattieren.
Zu Ihrer konkreten Frage: Die Konzeption ist zurzeit
so, dass die Trägerfähigkeit durch vorhandene Flugzeuge, durch Tornados, gewährleistet wird. Auch wenn
wir 180 Eurofighter zur Verfügung haben werden, werden wir bei der Bundeswehr weiterhin Tornados einsetzen, um unseren bestehenden internationalen Verpflichtungen nachzukommen.
({0})
Nein. Sie haben nur die Möglichkeit zu einer Nachfrage.
({0})
- Auch Sie haben schon eine Nachfrage zur Frage 6 gestellt.
Jetzt kommen wir zur Frage 7 des Kollegen Bonde:
Auf welche Ausweitung der Möglichkeiten eines Einsatzes der Bundeswehr im Innern hat sich die Bundesregierung
im Weißbuch geeinigt und inwieweit ist dabei vorgesehen,
dass die Bundeswehr, zum Beispiel zur Sicherung des Luftoder Seeraums, Waffengewalt anwenden kann und darf?
Herr Kollege Bonde, ich habe schon darauf hingewiesen, dass die förmliche Verabschiedung des Weißbuchs
in der Kabinettssitzung am 25. Oktober vorgesehen ist
und wir vorher nicht zu inhaltlichen Themen Stellung
nehmen. Wir werden nach dieser Verabschiedung eine
Debatte im Parlament über das Weißbuch führen. Diese
Debatte wird mit einer Regierungserklärung eingeleitet.
Eine Nachfrage des Kollegen Koppelin.
Herr Minister, der Kollege Bonde hatte nachgefragt,
worauf sich die Koalition im Weißbuch geeinigt hat.
Darf ich erstens aus Ihrer Antwort schließen - sonst würden Sie ja nicht auf diese Art und Weise antworten -,
dass sich die Koalition noch nicht geeinigt hat? Darf ich
zweitens fragen, wie, da das Weißbuch sicher Ihre Handschrift, das heißt Ihre persönlichen Vorstellungen, beinhalten sollte, Ihre persönlichen Vorstellungen als Minister dazu sind?
Herr Abgeordneter, ich kann gut verstehen, dass Sie
über diesen Weg den Inhalt des Weißbuchs erfragen wollen. Ich bitte Sie aber um Verständnis, dass ich darauf
nicht eingehen kann. Ich habe das Weißbuch dem Chef
des Kanzleramtes zugeleitet. Daraus ersehen Sie, dass
eine Abstimmung stattgefunden hat. Ich gehe davon aus,
dass die Bundesregierung im Rahmen ihrer Kabinettssitzung am nächsten Mittwoch - es ist beabsichtigt, sie im
Bundesverteidigungsministerium durchzuführen - das
Weißbuch verabschiedet. Ich bitte Sie um Verständnis,
dass ich vorher nicht zu inhaltlichen Fragen Stellung
nehme.
Eine Nachfrage des Abgeordneten Bonde.
Herr Minister, Sie selbst waren langjähriger Parlamentarier in einem Landtag und Sie wissen, dass in Deutschland die Armee dem Parlament besonders unterstellt ist.
Wie hätten Sie persönlich als Mitglied eines Landesparlamentes reagiert, hätte Ihnen die Landesregierung in vergleichbarer Situation mitgeteilt, dass sie die Darlegung
ihrer Vorgehensweise bei einem Sachverhalt, der besondere Parlamentsaffinität hat, so lange verweigert, bis die
Regierung diesbezüglich etwas beschließt? Finden Sie
nicht, dass Sie an dieser Stelle mit dem Parlament etwas
offener hätten kommunizieren können?
Herr Abgeordneter, angesichts der Art, wie der eine
oder andere Abgeordnete über dieses Thema spricht,
habe ich nicht den Eindruck, dass dieses Thema nicht offen kommuniziert wird. Ein Vergleich mit der Landespolitik ist gerade bei einer solchen bundespolitischen
Frage schwer anzustellen.
Ich will unterstreichen, dass es - nach meiner Erinnerung - seit 1969 Praxis ist, dass die Bundesregierung in
zeitlichen Abständen zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr ein Weißbuch
verabschiedet und dass über dieses Dokument der Bundesregierung im Parlament eine Debatte stattfindet.
Diese sachliche Form der inhaltlichen Auseinandersetzung wird einer Parlamentsarmee gerecht.
Eine Frage der Abgeordneten Birgit Homburger.
Herr Minister, ich möchte direkt an das anschließen,
was Sie gerade gesagt haben. Das Weißbuch ist ein außen- und sicherheitspolitisches Grundsatzdokument. Seit
1994 - Sie haben darauf hingewiesen, dass in diesem
Jahr das letzte Weißbuch von einer Regierung vorgelegt
wurde - hat sich etliches erheblich geändert. Bei der
Bundeswehr gab es mehrere Strukturreformen. Vor diesem Hintergrund haben Sie selbst immer wieder öffentlich geäußert, dass es einen dringenden Diskussionsbedarf inhaltlicher Art gibt. Deshalb habe ich folgende
Frage an Sie: Warum wird die Diskussion nicht vor der
Verabschiedung des Weißbuchs durch die Bundesregierung hier im Parlament geführt? Es macht doch keinen
Sinn, etwas zu verabschieden und es anschließend dem
Parlament vorzulegen. So können Sie Ihrem eigenen Anspruch, das Parlament und die Öffentlichkeit in eine Diskussion einzubinden, nicht gerecht werden.
({0})
Frau Abgeordnete, ich denke, dass wir diesem Anspruch gerecht werden können. Es ist selbstverständlich
unsere Absicht - das kann ich unterstreichen -, infolge
dieses Weißbuchs eine sicherheitspolitische Debatte zu
führen. Es handelt sich um ein Dokument der Bundesregierung, über das im Parlament natürlich diskutiert wird.
In einem Punkt kann ich das, was Sie gesagt haben,
nur unterstützen. 1994 gab es noch keine Auslandseinsätze, weder auf dem Balkan noch am Horn vor Afrika
noch in Afghanistan noch im Kongo noch im Libanon.
Sie sehen also, dass sich im Hinblick auf die Aufgabenwahrnehmung viel verändert hat. Daher finde ich es gut,
wenn die Bundesregierung eine sicherheitspolitische
Standortbestimmung vornimmt sowie die Zukunft der
Bundeswehr beschreibt und wenn darüber - selbstverständlich nach der Verabschiedung - im Parlament debattiert wird.
Eine Frage des Kollegen Wolfgang Gehrcke.
Herr Minister, meinen Sie nicht auch, dass es besser
wäre, wenn man zuerst eine öffentliche Debatte führen
würde, in der sich alle Beteiligten, inklusive der Abgeordneten, äußern können, wenn in der Gesellschaft zuerst ein wirklicher Disput darüber stattfinden würde und
die Bundesregierung am Ende dieses öffentlichen Prozesses, wenn die Meinungen bekannt sind, zu einer Bewertung, zu einem Urteil kommen und das Weißbuch
vorlegen würde? So laufen Sie doch Gefahr, dass andere
versuchen, das, was Sie vorlegen, wieder zu verändern.
Das wird Ihnen nicht erspart bleiben. Ihr Weg ist nicht
transparent und die Debatten werden nicht konstruktiv
sein.
Herr Abgeordneter, ich denke, es ist sinnvoll, das beizubehalten, was in der Bundesrepublik Deutschland
schon eine gewisse Tradition hat, nämlich, dass zunächst
einmal in der Bundesregierung ein Konsens hergestellt
wird, dass dann von der Bundesregierung ein Weißbuch
verabschiedet wird und anschließend eine parlamentarische Debatte und ein öffentlicher Disput darüber stattfinden. Sinn und Zweck des Weißbuchs ist, dass wir uns
mit den sicherheitspolitischen Themen öffentlich noch
etwas stärker auseinander setzen. Das halte ich für notwendig und wichtig. Deshalb wünsche ich mir, dass wir
nach der Verabschiedung durch die Bundesregierung
eine sicherheitspolitische Debatte führen können.
Eine Frage des Kollegen Königshaus.
Herr Bundesminister, unabhängig von der Art der
Entscheidungsfindung frage ich: Wie ist denn nun - darauf bezog sich die ursprüngliche Frage des Kollegen
Bonde - Ihre persönliche Haltung zu einem möglichen
Einsatz der Bundeswehr im Innern?
Ich weiß nicht, inwiefern die Fragestunde das weiter
trägt. Ich will Ihnen nur sagen, dass wir im Rahmen der
Koalition eine klare Vereinbarung getroffen haben, die
lautet, dass aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum Luftsicherheitsgesetz gegebenenfalls Klarstellungsbedarf im Hinblick auf eine grundgeBundesminister Dr. Franz Josef Jung
setzliche Änderung besteht. Das bezieht sich auf die
Luft- und Seesicherheit. Dieser Punkt wird federführend
vom Bundesinnenminister - er ist für eine Verfassungsänderung zuständig - bearbeitet. Ich gehe davon aus,
dass wir hier noch innerhalb dieses Jahres eine entsprechende Initiative vorlegen können.
({0})
- Die habe ich Ihnen doch gerade deutlich gemacht.
({1})
Dann haben wir noch eine Nachfrage des Kollegen
Alexander Bonde.
Herr Minister, ich bin durch Ihre Antwort auf meine
Frage und auch durch Ihre Antworten auf die Fragen der
Kollegen nicht schlauer geworden und frage daher noch
einmal: Welche Position haben Sie als Bundesverteidigungsminister hinsichtlich der Änderung des Grundgesetzes und welche Rolle spielt dabei die Anwendung von
Waffengewalt der Bundeswehr zur Sicherung des Luftund Seeraums in der Bundesrepublik Deutschland?
Herr Abgeordneter, ich will das noch einmal unterstreichen. Dieses Thema geht meines Erachtens ein
Stück über die Fragestunde und Ihre Frage zum Weißbuch hinaus. Aber ich will es Ihnen noch einmal darlegen, damit Sie vielleicht - das formulieren Sie ja selbst
so - schlauer werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass
ein Einsatz beispielsweise zur Abwehr terroristischer
Angriffe aus der Luft möglich ist, aber dass dafür nach
Art. 35 des Grundgesetzes keine militärischen Mittel
eingesetzt werden dürfen. Nun hat das Bundesverfassungsgericht es auch als zulässig angesehen, dass zum
Beispiel unbemannte oder nur mit Terroristen besetzte
Flugzeuge abgeschossen werden dürfen. Das geht mit
polizeilichen Mitteln nicht. Deshalb ist, glaube ich, eine
grundgesetzliche Änderung notwendig. Dann können in
Zukunft zum Schutz der Bevölkerung und zur Abwehr
derartiger Angriffe die Fähigkeiten der Bundeswehr eingesetzt werden. Das betrifft die Luft- und Seesicherheit.
Darüber haben wir uns in der Koalitionsvereinbarung
verständigt. Ich meine, dass wir das Grundgesetz in dieser Richtung ändern sollten.
Die letzte Frage hat der Kollege Hoyer.
Danke, Frau Präsidentin. - Ich habe noch eine Nachfrage zur Konsistenz der Argumentation, Herr Minister.
Ich habe Verständnis für den Anspruch der Bundesregierung, dass sie im eigenen Verantwortungsbereich zunächst einmal ihre Haltung zum Weißbuch definiert und
es dann erst dem Parlament vorlegt. Aber ist es konsistent, dem Parlament und übrigens auch dem Ausschuss
die Auseinandersetzung über diese Fragen zu verweigern, wenn gleichzeitig seit heute Morgen um 8.31 Uhr
auf der Internetseite der Zeitung „Die Zeit“ der komplette neue Text des Weißbuches steht?
({0})
Herr Abgeordneter, ich bitte um Verständnis dafür,
dass ich dazu keine Stellung nehme. Ich kann nur sagen,
dass ich es dem Chef des Bundeskanzleramtes zugeleitet
habe, um die Kabinettssitzung vorzubereiten. Ich habe
leider Gottes schon im Zusammenhang mit dem ersten
Entwurf erfahren müssen, dass Dinge ohne unser Zutun
an die Öffentlichkeit gelangt sind. Das ist, wie ich finde,
ein bedauerlicher Vorgang, der nicht zu akzeptieren ist.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Haßelmann auf:
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung nach der von
Bundestag und Bundesrat beschlossenen Verlagerung der
Kompetenz für das Heimrecht an die Bundesländer im Zuge
der Föderalismusreform zum derzeitigen Stand der Planung
und Umsetzung für Heimgesetzgebungen in den einzelnen
Ländern und wie bewertet die Bundesregierung diese?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, Frau Kollegin
Haßelmann, mit Ihrer Erlaubnis beantworte ich Ihre beiden Fragen aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam.
Dann rufe ich auch noch die Frage 9 der Kollegin
Haßelmann auf:
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Koordinierungsinstrumente oder -prozesse der Länder in Fragen des
Heimrechts, die darauf abzielen, dass auch bei der zukünftigen Ausgestaltung der Länderheimgesetze Standards nicht zu
sehr voneinander abweichen - ähnlich der bisherigen Vorgehensweise der Bund-Länder-Arbeitsgruppe -, wie es die Antwort auf die Fragen 24 und 25 der Abgeordneten Elisabeth
Scharfenberg in der Fragestunde vom 8. März 2006
({0}) nahe legte?
Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass das
Heimrecht lediglich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 des Grundgesetzes herausgenommen worden ist, das heißt aus dem
Bereich der öffentlichen Fürsorge, also aus dem öffentlich-rechtlichen Bereich, und damit nicht vollständig auf
die Länder übertragen worden ist. Nach Auffassung der
Bundesregierung bedarf es allerdings der raschen Klärung, welche Teile des Heimrechts weiterhin in den
Kompetenzbereich des Bundes gehören.
Das Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend hat den notwendigen Dialog mit den
Ländern eingeleitet. Am 18. September dieses Jahres hat
ein erstes Gespräch in Berlin stattgefunden. Ein weiteres
Gespräch ist für Ende November vorgesehen. Nach
Kenntnis der Bundesregierung sind die Bundesländer
gegenwärtig in Gespräche eingetreten - allerdings noch
ohne eine zentrale Koordinierung - mit dem Ziel, sich
auf gemeinsame Eckpunkte zur Weiterentwicklung des
Heimrechts zu verständigen. Eine Erörterung dieses
Themas ist unter anderem im Rahmen der Arbeits- und
Sozialministerkonferenz am 16./17. November dieses
Jahres vorgesehen. Konkrete Ergebnisse, die Gegenstand einer Bewertung durch die Bundesregierung sein
könnten, liegen gegenwärtig logischerweise noch nicht
vor.
Frau Haßelmann, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte
sehr.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich habe folgende
Nachfrage: Welchen Rechtsstatus wird das bisher bundeseinheitliche Heimrecht genießen, sofern nur einige
einzelne, jedoch nicht alle Bundesländer von ihrer Gesetzgebungskompetenz in Bezug auf das Heimrecht Gebrauch machen?
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Ich hatte erwähnt, dass die Zuständigkeit für den öffentlich-rechtlichen Teil des Heimrechts - das betrifft
vor allen Dingen die Bestimmungen gewerberechtlicher
Natur - an die Länder übertragen worden ist, sodass der
Bund hier keine Regelungen mehr treffen kann. Der privatrechtliche Teil des Heimrechts allerdings - das betrifft insbesondere die Regelungen des Heimvertrages verbleibt nach unserer Auffassung in der Kompetenz des
Bundes. Da dieser Bereich zur konkurrierenden Gesetzgebung gehört, können die Länder Regelungen treffen,
wenn und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht nicht abschließend Gebrauch gemacht hat. Ansonsten ist es Aufgabe der Länder, entsprechende Regelungen zu schaffen.
Sie haben eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.
Vielen Dank für Ihre Antwort, Herr Staatssekretär. Sie haben in Ihrer Antwort davon gesprochen, dass es
dringend geboten ist, zu einer raschen Lösung zu gelangen, da es im Kontext der Föderalismusreform und aufgrund der Komplexität des Heimrechts zu großer Verunsicherung darüber gekommen ist, welche Bereiche
demnächst in die Kompetenz des Bundes und welche in
die Kompetenz der Länder fallen und wie die einzelnen
Rechtsbereiche voneinander abgegrenzt werden.
Ich habe zwei Nachfragen: Was tut Ihr Ministerium,
um sowohl die betroffenen Menschen, ihre Angehörigen
als auch die Träger und Verbände, die von diesen Änderungen im Rahmen der Föderalismusreform betroffen
sind, darüber aufzuklären, wie sich die rechtliche Situation im Moment darstellt? Wie gehen Sie mit der entstandenen Verunsicherung um?
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Wir versuchen, erst gar keine Verunsicherung entstehen zu lassen bzw. sie dadurch zu beheben, dass wir zur
Koordinierung mit den Ländern eingeladen und unsere
Position dargestellt haben. Denn wir meinen in der Tat,
dass zunächst einmal geklärt werden muss, wer welche
Zuständigkeiten hat. Dieses Treffen hat am 18. September dieses Jahres stattgefunden. Weil es dabei auch um
die Klärung komplizierter verfassungsrechtlicher Fragen
ging, wurden das BMI und das BMJ beteiligt.
Die Länder haben den Wunsch geäußert, unter Einbeziehung ihrer Verfassungsressorts eine gemeinsame
Position zu erarbeiten. Das wird eine Zeit lang dauern.
Ende November dieses Jahres findet die nächste Besprechung statt. Wir sind guter Dinge, dass wir uns dann auf
einen gemeinsamen Weg verständigen können. Wie Sie
wissen, ist es im Heimrecht immer üblich gewesen, dass
sich Bund und Länder miteinander abstimmen. In diesem Bereich können wir auf eingefahrene Regelungen
der Koordinierung zurückgreifen. Von daher glaube ich,
dass wir zu einem guten Ergebnis kommen können.
Ich sage ausdrücklich, dass sich die Bundesregierung
für möglichst einheitliche Qualitätsstandards im Bereich
der stationären Altenpflege einsetzen wird. Ich denke,
dieses Signal an die Träger ist wichtig.
Des Weiteren haben wir Wert darauf gelegt, die Entbürokratisierung fortzuentwickeln. Natürlich machen
wir uns auch Gedanken darüber, wie man das Heimrecht
besser an die Praxis anpassen kann. Hierzu führen wir
seit längerem Gespräche. Diese müssen im Hinblick auf
die verfassungsrechtlichen Bedingungen fortgeführt
werden.
Da Sie, Herr Staatssekretär, beide Fragen der Kollegin Haßelmann zusammen beantwortet haben, hat sie
noch eine dritte Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade formuliert, dass
großes Interesse daran besteht, einheitliche Qualitätsstandards beizubehalten. Das gilt insbesondere für die
stationäre Pflege, zum Beispiel in Altenhilfeeinrichtungen. In den vergangenen Wochen und Monaten waren
eine ganze Reihe öffentlicher Einlassungen zu vernehmen. Dabei war mein Eindruck, dass man ein ziemlich
starkes regionales Gefälle feststellen konnte. Im Kern
geht es darum, dass man sich in einzelnen Bundesländern vorstellen könnte, die Fachkraftquote zu senken
und darüber hinaus für die Menschen, die Transferleistungen wie Sozialhilfe beziehen, Änderungen im Hinblick auf die Lebenssituation in Heimen und anderen
stationären Einrichtungen vorzunehmen, diese beispielsweise in Mehrbettzimmern unterzubringen. Ich will das
jetzt nicht im Einzelnen ausführen. Wie bringt sich die
Bundesregierung hier ganz konkret mit dem Ziel ein,
einheitliche Qualitätsstandards zu erhalten?
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Sie haben es selbst wiederholt: Wir legen Wert auf
einheitliche Qualitätsstandards und sind diesbezüglich
guter Dinge. Wir werden entsprechende Richtlinien mit
erarbeiten, an denen man sich orientieren kann. Im Übrigen sollte man zunächst einmal abwarten, ob es nicht
auch einen positiven Wettbewerb zwischen den Ländern
geben wird, was die Qualität der Betreuung und Unterbringung in Heimen angeht; darüber ist - auch in anderen Zusammenhängen - viel diskutiert worden. Man
muss hier differenzieren. Ich gehe davon aus, dass einige
Länder beispielhaft zeigen werden, wie man die Dinge
im Sinne der Bewohner von Heimen organisieren und
regeln kann. Aber ich gebe auch gern zu, dass es offene
Fragen gibt, die jetzt angegangen werden müssen und zu
denen wir schnellstmöglich Regelungen brauchen, um
die für die Träger wie für die Betroffenen in den Heimen
denkbaren Unsicherheiten zu beseitigen.
Noch eine Nachfrage, bitte schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
werden Sie das Parlament bzw. den Fachausschuss, der
die Übertragung der Zuständigkeit für das Heimrecht an
die Länder insgesamt kritisch gesehen hat, weiterhin von
sich aus offensiv - auch über die Bund-Länder-Gespräche - informieren oder werden wir immer wieder im
Rahmen von parlamentarischen Initiativen nachfragen
müssen? Sehen Sie das als Ihre Aufgabe an? Zum Zweiten: Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob Verbände, Initiativen oder Betroffene nach Beschlussfassung verfassungsrechtliche Bedenken anmelden wollen?
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Von Letzterem habe ich keine Kenntnis.
Was das sonstige Verfahren angeht, haben wir eine
gute Tradition. Ich will mich hier ausdrücklich verpflichten, dass wir auch von uns aus informieren. Aber der
Ausschuss muss das selbstverständlich auch wollen, er
muss sich das auf die Tagesordnung setzen. Ich hätte
aber auch kein Problem damit, wenn Sie immer wieder
nachfragen. Das Parlament ist durchaus auch dazu da,
die Regierung immer wieder in die richtige Richtung zu
bewegen. Darauf freue ich mich dann.
({0})
Damit verlassen wir diesen Geschäftsbereich und
kommen zu dem des Bundesministeriums für Wirtschaft
und Technologie. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Hintze zur Verfügung.
Die Fragen 10 und 11 des Abgeordneten Werner
Dreibus werden schriftlich beantwortet.
Ich komme zur Frage 12 des Abgeordneten
Dr. Diether Dehm:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Vorstandsgehälter teilweise in keinem Verhältnis zur Leistung
und Verantwortung - Stichwort Managerhaftung - der Vorstände stehen?
Frau Präsidentin! Lieber Herr Kollege Dr. Dehm, es
obliegt nicht der Bundesregierung, einzuschätzen, ob die
Vergütung eines Vorstandsmitglieds einer deutschen Aktiengesellschaft in einem angemessenen Verhältnis zu
seinen Leistungen steht. Es ist die Aufgabe des Aufsichtsrates, über die Höhe der Vergütung zu entscheiden.
Er hat dabei dafür zu sorgen, dass die Gesamtbezüge des
einzelnen Vorstandsmitglieds in einem ausgewogenen
Verhältnis zu seinen Aufgaben und zur Lage seiner Gesellschaft stehen.
Um die Transparenz für die Aktionäre zu stärken, hat
der Gesetzgeber mit dem Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz die Pflicht eingeführt, die Einkünfte der
Vorstandsmitglieder börsennotierter Aktiengesellschaften detailliert offen zu legen. Verlangt wird die Aufschlüsselung in erfolgsunabhängige und erfolgsbezogene Komponenten sowie solche mit langfristiger
Anreizwirkung wie etwa Aktienoptionen. Die neuen Regelungen sind seit dem 11. August 2005 in Kraft und
entsprechend auf die Jahres- und Konzernabschlüsse für
die Geschäftsjahre ab dem 1. Januar 2006 anzuwenden.
Die Anteilseigner können allerdings auf die individuelle
Offenlegung der Einkünfte der Vorstandsmitglieder verzichten.
Vergütung und Haftung haben nicht unmittelbar miteinander zu tun. So wird weder nach ausländischem
noch nach deutschem Recht für eine nicht gute, der Vergütung nicht angemessene Leistung gehaftet. Gehaftet
wird immer für Unredlichkeiten und Sorgfaltspflichtverletzungen.
Sie haben eine Nachfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ich will die Frage einmal auf Sie
persönlich - und auch den Minister - zuspitzen: Was
glauben Sie, wie es bei den Menschen ankommt, wenn
a) Aktienkurssteigerungen dazu führen, dass die Mana-
gergehälter steigen, und b) Entlassungen, durch die eine
große Zahl von Menschen arbeitslos und ärmer wird,
fast automatisch zu eben diesen Kurssteigerungen führen, die sich positiv auf die Managergehälter auswirken?
Meinen Sie nicht, dass dieses Unwohlsein und teilweise auch die Feindseligkeit in der Bevölkerung gegenüber den Institutionen dieses Staates und der Demokratie
- ich hatte das mit der ersten Frage schon angedeutet den Staat auf den Plan rufen müssten, dass man das also
nicht alleine in die Hand der Aktionäre legen sollte? Ich
denke, die Zukunft unserer Gattung mit den zwei Beinen
auf diesem Planeten liegt zu einem großen Teil in den
Händen von Aktionären. Ich finde: zu viel.
Der Gesetzgeber hat damals auf Anregung der Bundesregierung mit dem Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz - meiner Erinnerung nach getragen von allen Fraktionen der Koalition und der Opposition - die
Grundlage dafür geschaffen, dass in diesem Bereich
mehr Transparenz herrscht. Eine Folge dieser Transparenz ist natürlich, dass in den allermeisten Fällen auch
eine Diskussion - betriebsöffentlich oder gesamtgesellschaftlich - über die Angemessenheit der Vergütung
stattfindet. Nach unserer Rechtsordnung sind bei einer
Unangemessenheit die Konsequenzen durch die Aufsichtsräte zu ziehen. Insofern hat der Gesetzgeber das
Seine hierzu getan.
Sie haben eine weitere Nachfrage.
Sie meinen, das reicht?
Ich glaube, dass der Gesetzgeber damit die ihm obliegenden Pflichten vollumfänglich wahrgenommen hat.
Damit sind wir bei der Frage 13 des Kollegen Klaus
Ernst:
Sieht die Bundesregierung gesetzlichen Handlungsbedarf,
um die enormen Einkommensunterschiede zwischen Vorstandsmitgliedern und den übrigen Angestellten eines Unternehmens zu verhindern?
Frau Präsidentin, höflichkeitshalber erlaube ich mir,
darauf hinzuweisen, dass die Frage des Kollegen Klaus
Ernst den gleichen Sachverhalt betrifft, sodass sich die
Antwort in dem einen oder anderen Punkt mit der vorhergehenden Antwort deckt, weil die Meinung der Bundesregierung unabhängig vom Fragesteller gleich ist,
wenn die Frage gleich lautet.
Antwort auf die Frage 13: Nach Auffassung der Bundesregierung obliegt es nicht dem Gesetzgeber, die Höhe
der Vergütung eines bestimmten Vorstandsmitglieds einer deutschen Aktiengesellschaft zu regulieren. Es ist zu
Recht Aufgabe des Aufsichtsrates, über die Höhe der
Vergütung zu entscheiden. Er hat dabei dafür zu sorgen,
dass die Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitgliedes in einem ausgewogenen Verhältnis zu seinen Aufgaben und zur Lage der Gesellschaft stehen. Wie ich der
Homepage Ihrer Fraktion entnommen habe, geben Sie
selbst an, Mitglied in einem Aufsichtsrat zu sein. Ich
denke, dass Sie die Pflichten und Aufgaben, die daraus
erwachsen, aus eigener Tätigkeit gut kennen.
Um die Transparenz für die Aktionäre zu stärken, hat
der Gesetzgeber mit dem Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz eine Pflicht zur detaillierten Offenlegung
der Einkünfte von Vorstandsmitgliedern börsennotierter
Aktiengesellschaften eingeführt. Verlangt wird die Aufschlüsselung in erfolgsunabhängige und erfolgsbezogene Komponenten sowie solche mit langfristiger Anreizwirkung, wie etwa Aktienoptionen.
Die neuen Regelungen sind seit dem 11. August 2005
in Kraft und dementsprechend auf die Jahres- und Konzernabschlüsse für die Geschäftsjahre ab dem 1. Januar
2006 anzuwenden. Die Anteilseigner können auf die individuelle Offenlegung der Einkünfte von Vorstandsmitgliedern verzichten.
Herr Ernst, bitte schön.
Herr Kollege Hintze, ich gehe davon aus, dass Ihnen
das Mitbestimmungsrecht und damit auch die Tatsache
bekannt ist, dass die Vertreter der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat wegen der doppelt so vielen Vertreter der Anteilseigner und aufgrund der Tatsache, dass auch Leitende vertreten sind, nie die Mehrheit haben können.
Meine erste Frage lautet: Kann ich Ihre Antwort auf
meine Frage so verstehen, dass Sie beabsichtigen, das
Mitbestimmungsrecht dahin gehend zu ändern, dass die
Mitbestimmung der Arbeitnehmer eine echte Mitbestimmung werden könnte?
({0})
Die rechtlichen Grundlagen sind der Bundesregierung
bekannt. Ihre konkrete Frage beantworte ich mit Nein.
Bitte schön, Sie haben eine zweite Nachfrage.
Ja. - Man kann nachlesen, dass sich Mitglieder der
Bundesregierung in der Öffentlichkeit kritisch darüber
äußern, dass die Vorstandsbezüge bei einigen Unternehmen in den letzten Monaten und Jahren exorbitant gestiegen sind. Ich erwähne zum Beispiel die Deutsche
Bahn, an der der Bund nicht unwesentlich beteiligt ist
und bei der er auch im Aufsichtsrat vertreten ist.
Nachdem ich einerseits kritische Nachfragen der
Bundesregierung zur Kenntnis genommen und andererseits Ihre Antwort in der Weise verstanden habe, dass die
Bundesregierung nicht beabsichtigt, einzugreifen, könnte
ich doch davon ausgehen, dass die Aussagen in der Öffentlichkeit schlichtweg dem widersprechen, was die
Bundesregierung insgesamt wirklich meint.
({0})
Davon können Sie nicht ausgehen, lieber Herr Kollege. Hier sind zwei Sachverhalte scharf voneinander zu
trennen. Das eine ist die Angemessenheit der Vorstandsbezüge in konkreten Fällen, die auf der gesetzlichen
Grundlage des Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetzes logischerweise zu einer solch öffentlichen Diskussion geführt hat. Daran beteiligen sich natürlich auch
Verantwortliche in der Politik. Das andere ist der Aufsichtsrat als Regelungsort, der die Rechte des Unternehmens wahrzunehmen und über die Angemessenheit der
Vergütung zu entscheiden hat.
Eine Nachfrage des Kollegen Alexander Ulrich.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, es sei Aufgabe
des Aufsichtsrates und weniger Aufgabe der Politik,
hierüber zu entscheiden. Nun wissen wir, dass zum Beispiel Ihr Parteifreund Friedrich Merz in einigen Aufsichtsräten vertreten ist. Da die Unterscheidung zwischen
politischen und wirtschaftlichen Aufgaben, die viele Abgeordnete des Bundestages wahrnehmen, verschwimmt,
frage ich: Ist es vorstellbar, dass die Bundesregierung
den Abgeordneten wenigstens eine Empfehlung dazu
gibt, was eine geeignete Vergütung für Vorstände sein
könnte? Das wäre ein Weg, wie Politik indirekt Einfluss
nehmen könnte.
({0})
Eine solche Empfehlung wird die Bundesregierung
nicht abgeben, Herr Kollege.
({0})
Damit sind wir bei der Frage 14 der Abgeordneten
Eva Bulling-Schröter:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass durch unverhältnismäßig hohe Vorstandsgehälter die Ertragskraft eines
Unternehmens und damit dessen langfristige Entwicklung geschwächt werden?
Frau Präsidentin, es geht wieder um denselben Sachverhalt. Das sage ich vorher, damit Sie über eine teilweise wortgleiche Antwort nicht verwundert sind.
Es obliegt nicht der Bundesregierung, einzuschätzen,
ob die Vergütung eines bestimmten Vorstandsmitglieds
einer deutschen Aktiengesellschaft im Vergleich zu seinen Leistungen unverhältnismäßig ist. Es ist die Aufgabe des Aufsichtsrates, über die Höhe der Vergütung zu
entscheiden. Er hat dabei dafür zu sorgen, dass die Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds in einem
ausgewogenen Verhältnis zu seinen Aufgaben und zur
Lage der Gesellschaft stehen. Die gesetzlich berufenen
Organe der Aktiengesellschaft, Vorstand, Aufsichtsrat
und Hauptversammlung, haben bei ihren Entscheidungen das Wohl der Gesellschaft, also auch ihre Ertragskraft und Entwicklung zu berücksichtigen.
Um die Transparenz für die Aktionäre zu stärken, hat
der Gesetzgeber mit dem Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz eine Pflicht zur detaillierten Offenlegung
der Einkünfte von Vorstandsmitgliedern börsennotierter
Aktiengesellschaften eingeführt. Verlangt wird die Aufschlüsselung in erfolgsunabhängige und erfolgsbezogene Komponenten sowie solche mit langfristiger Anreizwirkung, wie etwa Aktienoptionen. Die neuen
Regelungen sind seit dem 11. August 2005 in Kraft und
sind entsprechend auf Jahres- und Konzernabschlüsse
für die Geschäftsjahre ab dem 1. Januar 2006 anzuwenden. Die Anteilseigner können auf die individuelle Offenlegung der Einkünfte von Vorstandsmitgliedern verzichten.
Frau Bulling-Schröter, eine Nachfrage.
Da meine Frage nicht beantwortet wurde, muss ich
nachfragen. Es ging darum, ob die Bundesregierung
nicht meint, dass die langfristige Entwicklung eines Unternehmens durch unverhältnismäßig hohe Gehälter geschwächt wird. Da Sie sich offensichtlich um die Beantwortung dieser Frage drücken, stelle ich meine Frage
noch einmal.
Es geht um ein ganz aktuelles Bespiel. Die SiemensManager verzichten auf 30 Prozent ihres Einkommens,
um für die Tausenden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Firma BenQ, deren Arbeitsplätze vernichtet
werden sollen, wenigstens Geld für einen Sozialplan zur
Verfügung zu stellen. Das ist ein Beweis dafür, dass
diese hohen Gehälter langfristig die Entwicklung von
Unternehmen eben nicht sichern, sondern im Grunde
schädigen.
Die Bundesregierung nimmt erfreut die Entscheidung
von Siemens zur Kenntnis, teilt aber nicht den Schluss,
den Sie daraus ziehen.
Ich komme zu meiner zweiten Frage. Zurzeit wird
von den Unternehmen eine Arbeitszeitverkürzung ohne
Lohnausgleich propagiert und deren Durchsetzung massiv gefördert. Vonseiten der Bundesregierung habe ich
hinsichtlich der Durchsetzung von Lohnkürzungen eher
eine positive statt einer negativen Stellungnahme gehört.
Wenn das so ist, dann bin ich der Meinung, dass die
Bundesregierung diese langfristige Entwicklung in Sachen Löhne von Beschäftigten genauso sieht wie wir,
aber in Sachen Managergehälter eben nicht.
Frau Präsidentin, das war eine Meinungsäußerung.
Ich habe keine Frage herausgehört.
({0})
Die Frage war, ob Sie das so sehen.
Ich habe Ihre Darstellung trotz konzentrierten Zuhörens inhaltlich nicht richtig verstanden. Deswegen habe
ich den Fragegehalt nicht erkannt.
Dann kommt die Frage der Kollegin Enkelmann.
Herr Kollege, Sie haben sehr zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass der Aufsichtsrat eine besondere
Verantwortung wahrnimmt. Mein Kollege Ernst hat
schon darauf verwiesen, dass die Bundesregierung beispielsweise auch im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn
AG vertreten ist.
Halten Sie die sehr drastisch gestiegenen Gehälter des
Vorstandes der DB AG angesichts der Leistung der
DB AG für angemessen, die sich in Fahrpreiserhöhungen, Streckenausdünnung, dem Betrieb des rollenden
Materials auf Verschleiß usw. ausdrückt?
Die Bundesregierung kommentiert die Höhe einzelner Vorstandsbezüge nicht. Das ist allein Angelegenheit
der Gesellschaft.
Eine Frage des Kollegen Dr. Diether Dehm.
Lassen Sie mich anders fragen, Herr Staatssekretär.
Ich kenne Ihre Biografie ein bisschen und weiß, dass bei
Ihnen auch Ethik eine große Rolle spielt. Haben Sie Verständnis dafür, dass es in der Bevölkerung darüber großen Unmut gibt, oder würden Sie das als Sozialneid abtun?
({0})
Ziel des Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetzes
war, für mehr Transparenz zu sorgen. Dass die Transparenz auch zu Diskussionen in der Bevölkerung führt, war
vom Gesetzgeber ebenfalls beabsichtigt und ist damals
von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages für
richtig gehalten worden. Welche Folgerungen daraus in
den einzelnen Unternehmen gezogen werden, bleibt abzuwarten.
Eine Frage des Kollegen Ernst.
Herr Staatssekretär, wir hören auf der einen Seite
- ich habe es bereits angesprochen - sehr drastische
Worte aus der Regierung über die dieser Meinung nach
übertriebenen Gehaltserhöhungen und auf der anderen
Seite Ihre Stellungnahme, die den Eindruck erweckt, als
stünden die öffentlichen Äußerungen in krassem Widerspruch zu dem, was wirklich getan wird. Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um das der Bevölkerung
verständlich zu machen, die zunehmend den Eindruck
hat, dass die Politiker und damit auch die Regierungsmitglieder untätig zuschauen, wie das Volk verarmt,
während sich die Vorstände kräftig bedienen? Welche
Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um in der Bevölkerung zumindest den Eindruck zu erwecken, dass die Regierung etwas tut?
Die Regierung arbeitet sehr konsequent daran, die
wirtschaftliche Entwicklung im Lande, die Chancen auf
dem Arbeitsmarkt und die Stärkung unserer Wirtschaft
insgesamt voranzubringen. Die Zahlen sind erfreulich.
Sie haben sicherlich verfolgt, dass das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr kräftig zunimmt. Die Wachstumsrate wird sich im Verhältnis zum Vorjahr mehr als
verdoppeln. Wir legen im Außenhandel zu. Die Binnennachfrage zieht an. Die Beschäftigungssituation verbessert sich. Die Arbeitslosigkeit geht zurück und die Zahl
der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse zieht an. Wir haben also allen Anlass, der Bevölkerung zu sagen, dass es wirtschaftlich aufwärts geht,
und wir arbeiten auch intensiv daran.
Ich glaube, dass die Vergütung von Vorstandsmitgliedern und die Beschäftigungssituation in der Bevölkerung
in keinem direkten Zusammenhang stehen.
Dann kommen wir zu Frage 15 der Kollegin Eva
Bulling-Schröter:
Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang von extrem hohen Einkommensunterschieden zwischen Vorständen
großer Unternehmen und deren einfachen Angestellten einerseits und der Leistungsbereitschaft der Beschäftigten andererseits?
Die Frage 15 beantworte ich mit Nein.
Haben Sie eine Nachfrage?
Ja, natürlich. - Es geht um die Leistungsbereitschaft
der Beschäftigten in Bezug auf die große Differenz von
Löhnen und Gehältern. Sie sehen also nicht, dass es Probleme mit der Belegschaft gibt. Es gibt immer noch Unternehmen, deren Staatsanteil sehr hoch ist. Die Bundesrepublik Deutschland ist zum Beispiel an der Telekom
und der DB AG beteiligt. Wie sehen Sie die Rolle der
Bundesregierung bezüglich der Gehälter der Aufsichtsratsmitglieder?
Meinen Sie die Vorstandsmitglieder oder die Aufsichtsratsmitglieder?
Beides.
Darf ich die Frage mit Genehmigung der Präsidentin
vorlesen, damit auch die Kollegen im Plenum, denen die
Frage nicht vorliegt, wissen, worüber wir diskutieren?
Ist das zulässig? Dann mache ich das gerne.
({0})
Sie dürfen sie gerne vorlesen.
Die Frage lautet:
Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang
von extrem hohen Einkommensunterschieden zwischen Vorständen großer Unternehmen und deren
einfachen Angestellten einerseits und der Leistungsbereitschaft der Beschäftigten andererseits?
Diese Frage habe ich mit Nein beantwortet; denn
wenn man sie mit Ja beantwortete, würde man einem
Beschäftigten eines Unternehmens unterstellen, dass er
weniger leistungsbereit sei, wenn sein Vorstandsmitglied
mehr verdient, und dass er leistungsbereiter sei - jedenfalls in seiner Funktion -, wenn das Vorstandsmitglied
weniger verdient. Diesen Zusammenhang kann ich nicht
erkennen. Ich finde ihn kühn. Deswegen habe ich die
Frage mit Nein beantwortet, weil ich davon ausgehe,
dass die allerallermeisten Arbeitnehmer mit sehr großer
Leistungsbereitschaft ihre Aufgaben wahrnehmen, und
ich mir nicht vorstellen kann, dass ein Arbeitnehmer
seine Leistungsbereitschaft prozentual oder wie auch immer danach ausrichtet, wie viel seine Vorstände verdienen. Diese Antwort gilt natürlich auch für die von Ihnen
gestellten Nachfragen.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Laut Ihrer Antwort hätte ich mit meiner Frage unterstellt, dass die Belegschaften diese Leistungsbereitschaft
nicht hätten. Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben und
Sie noch einmal fragen, ob so etwas nicht die Leistungsbereitschaft drückt. Wenn zum Beispiel ein Schlosser in
einem Betrieb einen Fehler macht, wird er entlassen.
Wenn ein Aufsichtsratsvorsitzender einen Managementfehler macht, dann wird er entweder mit einer großen
Abfindung entlassen oder er wird eine Stufe höher gelobt und bekommt noch mehr Geld. Das sind die feinen
Unterschiede. Da frage ich Sie, ob das nicht demotivierend auf die Beschäftigten, auf die Belegschaft wirkt.
Ich bin mir sicher, dass ein solcher Vorgang unternehmensintern zu Diskussionen führt und dass das dann in
der Belegschaft diskutiert wird. Ich glaube, dass das mit
Sicherheit auch im Aufsichtsrat und von allen im Aufsichtsrat Vertretenen im Unternehmen diskutiert wird.
Ich erkenne nur keinen Zusammenhang zwischen der
Leistungsbereitschaft des Einzelnen und der Vergütung
der Unternehmensspitze, den Sie Ihrer Frage zugrunde
legen.
Nun gibt es noch eine Zusatzfrage des Kollegen
Ernst.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, es gebe
keinen Zusammenhang zwischen der Vergütung von
Vorstandsmitgliedern und den Arbeitsplätzen, die in einem Unternehmen bestehen. Wir nehmen wahrscheinlich beide zur Kenntnis, dass der Aktienkurs eines Unternehmens in der Regel dann gewaltig steigt, wenn das
Unternehmen bekannt gibt, Arbeitsplätze abzubauen.
Könnten Sie sich vorstellen, dass die Bezahlung von
Vorstandsmitgliedern mit Aktienoptionen, also die Tatsache, dass Vorstandsmitglieder insbesondere dann ihr
Gehalt massiv erhöhen können, wenn sie durch Entlassungen zu einem höheren Kurs ihrer Aktien beitragen,
dazu führt, dass Arbeitsplätze abgebaut werden?
Könnten Sie sich vorstellen, dass das ein Motiv bei den
Vorstandsmitgliedern sein könnte? Wäre es nicht angebracht, das arbeitsgesetzlich zu regeln?
({0})
- Weniger, deutlich weniger, liebe Kollegin.
({1})
Eigentlich war der Herr Staatssekretär zur Antwort
bereit.
Ich bin gerne bereit, die Frage zu beantworten. Zuerst
möchte ich für das Protokoll feststellen, dass die Wiedergabe meiner Position in Ihren einleitenden Sätzen so von
mir nicht geteilt wird. Aber das betrifft Ihre eigentliche
Frage nicht; das ist nicht das Entscheidende.
({0})
Zu Ihrer Frage: Ich glaube, dass das im Unternehmen
selber zu klären ist und auch im Unternehmen geklärt
wird.
({1})
- Ich weiß nicht, ob ich auf einen Zwischenruf eingehen
soll, aber in der Tat unterscheiden wir zwischen den
Aufgaben der Wirtschaft und den Aufgaben der Regierung. Wir sind nicht der Auffassung, dass die Regierung
für alles zuständig ist - jedenfalls in einem demokratischen, sozialen Rechtsstaat.
({2})
Der Kollege Dehm hat noch eine Frage.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, in der ganzen Zeit,
in der Sie uns Ihre charmante Anwesenheit schenken,
höre ich eine Konstante: Dies ist eine reine Entscheidung
der Konzernspitzen. Wir haben vorher den Verteidigungsminister gehört, der in den letzten Monaten etwas
von einer Energieaußenpolitik gesagt hat. Sollten wir
nicht vielleicht auch die Bundeswehr in den Werkschutz
der Energiekonzerne integrieren?
({0})
Ich bin ein friedliebender Mensch, deswegen beantworte ich diese Frage höflich mit Nein.
Danke, Herr Staatssekretär.
({0})
- Es tut mir Leid, Kollege Ernst, aber Sie hatten schon
eine Zusatzfrage zu diesem Bereich. Deshalb danken wir
dem Staatssekretär.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Dr. Anton
Hofreiter vom Bündnis 90/Die Grünen auf:
Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass die
Gründe und die Angemessenheit für die Höhe der Preisanhebung zum 1. Januar 2007 bei der Deutschen Bahn AG,
DB AG, transparent werden und ein Zusammenhang zwischen
der geplanten Teilprivatisierung der DB AG und zusätzlicher
Belastung der Kunden ausgeschlossen werden kann?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Hofreiter, ein Zusammenhang zwischen der Preisgestaltung der Deutschen Bahn AG und der geplanten Teilprivatisierung ist nicht erkennbar. Schon heute ist die
DB AG als Wirtschaftsunternehmen zu führen. Die
Preise aller Eisenbahnverkehrsunternehmen im Schienenpersonenfernverkehr unterliegen nach gesetzlichen
Vorschriften nicht der Genehmigung. Sie bleiben der
unternehmerischen Gestaltungsfreiheit und der wirtschaftlichen Eigenverantwortung dieser Unternehmen
vorbehalten. Es ist folglich alleinige Aufgabe der Unternehmen und liegt im wirtschaftlichen Interesse der Kunden, die Gründe für Preiserhöhungen zu erläutern. Das
muss die DB AG aber von sich aus tun.
Haben Sie noch eine Nachfrage? - Bitte, Herr Kollege Hofreiter.
Ich finde, diese Aussage ist sehr verblüffend; denn
wir alle wissen, dass im Moment versucht wird, eine erfolgreiche Börsenstory zu schreiben, indem ein im Kernbereich de facto tief defizitäres Unternehmen an die
Börse gebracht werden soll. Angesichts dessen ist zu erwarten, dass extrem überproportionale Preiserhöhungen
dazu dienen, dieses Unternehmen für die Börse aufzuhübschen.
Ich frage nach, wie das Ministerium sicherstellen
will, dass die Preisgestaltung transparent wird. Sie haben
gesagt, die Preisgestaltung sei alleinige Aufgabe des Unternehmens. Aber bei einem Unternehmen, das zu
100 Prozent in Bundesbesitz ist, darf das nicht der Fall
sein. Vielmehr ist die Preisgestaltung gegenüber dem Eigentümer - das sind wir - transparent zu machen.
Herr Kollege Hofreiter, es geht um Preiserhöhungen.
Wie Sie sicherlich wissen, sind diese aufgrund der Gesetzeslage alleinige Sache des Unternehmens, genauso
wie die Kommunikation zwischen dem Unternehmen
auf der einen Seite und der Öffentlichkeit auf der anderen Seite. Wir, die Bundesregierung, werden keinen Einfluss nehmen.
Hinsichtlich der Transparenz gehen wir angesichts
der Zahlen, auf die Sie gerade zu Recht hingewiesen haben, davon aus, dass es Gründe für eine Erhöhung der
Fahrpreise im Fernverkehr gibt. Aber es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, sondern alleinige Aufgabe
des Aufsichtsrates und des Vorstandes der DB AG, Fahrpreiserhöhungen zu prüfen.
Eine weitere Nachfrage, Herr Hofreiter.
Stimmen Sie mir zu, dass die Bundesregierung kein
Interesse hat, für Transparenz innerhalb der Finanzströme der DB AG zu sorgen?
Es geht hier um Fahrpreiserhöhungen und nicht um
Finanzströme, zum Beispiel bei der Finanzierung der Infrastruktur; das ist ein anderes Thema.
Herzlichen Dank. - Da es keine weiteren Nachfragen
gibt, kommen wir zur Frage 17 des Abgeordneten
Dr. Anton Hofreiter:
Wird die Bundesregierung bzw. der Bundesminister für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Falle der Uneinigkeit
der Bundesländer in der Frage der Genehmigungsfähigkeit im
Hinblick auf die Preisanhebung zum 1. Januar 2007 bei der
DB AG das in § 5 Abs. 4 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes
vorgesehene Einvernehmen dahin gehend herstellen, der beantragten Preisanhebung zuzustimmen, und wie lässt sich
nach Auffassung der Bundesregierung die Preisanhebung mit
dem im Vergleich zum Vorjahr verbesserten Betriebsergebnis
der DB AG in Einklang bringen?
Frau Staatssekretärin Roth, Sie haben wieder das
Wort.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Die Zuständigkeit
für die Genehmigung der Tarife, also für Beförderungsbedingungen und -entgelte für den Schienenpersonennahverkehr, liegt bei den Bundesländern. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat
grundsätzlich keine Möglichkeit, auf Tarifentscheidungen im Nahverkehr Einfluss zu nehmen. Lediglich wenn
keine einvernehmliche Genehmigung der Tariferhöhung
durch die Bundesländer erfolgt, hat der Bund auf Antrag
der Bundesländer zu entscheiden. Dabei ist die Zuständigkeit des Bundes bei der Genehmigung von Tarifen
begrenzt. Seine Prüfpflicht beschränkt sich auf eine eingeschränkte Missbrauchsaufsicht. Die Kalkulation der
Tarife unterliegt der DB AG. Es liegen keine Unterlagen
vor, die einen unmittelbaren Zusammenhang zu Betriebsergebnissen der DB AG in den vergangenen Jahren
erkennen lassen.
Ihre Nachfrage, bitte.
Speziell im Nahverkehr, dem einzigen Bereich, der
gewinnträchtig ist, hat die DB AG extrem hohe Gewinne, nämlich rund 500 Millionen Euro. Deshalb wäre
es doch sinnvoll, diese Preiserhöhungen nicht zu genehmigen. Stimmen Sie mir da zu?
Das ist Sache der Länder. Wenn die Länder die Tarife
genehmigen, werden sie ihre Gründe haben.
Danke schön.
Damit kommen wir zur Frage 18 des Abgeordneten
Hans-Kurt Hill von der Fraktion Die Linke:
In welchen einzelnen Punkten ist bei der Bundesregierung
die Einführung eines bedarfsorientierten Gebäudeenergiepasses, so wie ihn Deutscher Mieterbund, Verbraucherzentrale
Bundesverband und Deutsche Umwelthilfe fordern, strittig?
Frau Präsidentin! Kollege Hill, der Referentenentwurf
zur Novellierung der Energieeinsparverordnung wird gegenwärtig in der Bundesregierung abgestimmt. In diesem Zusammenhang wird auch über die Gestaltung des
Energieausweises entschieden.
Ihre Nachfrage, bitte.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für diese kurze
und prägnante Auskunft. Meine Frage geht dahin: Welche Art von Energiepass wird abgestimmt, und zwar von
der Sache her? Wird es ein bedarfsorientierter oder ein
verbrauchsorientierter Energiepass sein?
Das ist die Frage, die im Rahmen der Ressortabstimmung zurzeit geklärt wird. Ich gehe davon aus, dass
diese Klärung rechtzeitig erfolgt.
Kann ich also davon ausgehen, dass die Frage, ob es
einen bedarfsorientierten oder einen verbrauchsorientier5442
ten Energiepass geben wird, in der ganzen Zeit strittig ist
und dass wir deswegen darauf verzichten, einen Energiepass so rechtzeitig einzuführen, dass wir schon heute die
Auswirkungen des Energiepasses insbesondere auf das
Handwerk und auf den Arbeitsmarkt vermerken könnten?
Herr Kollege Hill, wir können feststellen, dass das
CO2-Sanierungsprogramm, also die Energieeinsparungen im Zusammenhang mit den Gebäudesanierungen,
gut angenommen wird. Daher, so denke ich, ist der Zusammenhang zwischen Energieausweis auf der einen
Seite und CO2-Sanierungsprogramm auf der anderen
Seite positiv zu bewerten.
Es ist richtig: Wir diskutieren die Frage der Wahlmöglichkeiten und die der Einführung des Bedarfsausweises oder des Verbrauchsausweises sowie die Frage,
ab wann ein Bedarfsausweis und ab wann ein Verbrauchsausweis vorgeschrieben wird. Wir legen großen Wert
darauf, dass die Wahlfreiheit ermöglicht wird. Aber sie
hat nichts mit der Wirtschaftlichkeit und der Entwicklung der Wirtschaft zu tun. Im Gegenteil: Wir nehmen
gerade wahr, dass die Gebäudesanierung der konjunkturpolitische Renner der Bundesregierung ist.
Da es keine weiteren Nachfragen zu dieser Frage gibt,
kommen wir zur Frage 19 des Abgeordneten Hans-Kurt
Hill:
Wann genau können die Verbraucherinnen und Verbraucher, die unter stark gestiegenen Energiekosten leiden, mit der
Einführung eines Gebäudeenergiepasses rechnen, der nach
EU-Vorgabe bereits im Januar dieses Jahres hätte eingeführt
werden müssen?
Vielen Dank. - Der Energieausweis soll im Zusammenhang mit der Novellierung der Energieeinsparverordnung so rasch wie möglich eingeführt werden. Der
Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der neuen Verordnung
und der Einführung des Energieausweises für Verkaufsund Vermietungsfälle kann aber schon deshalb nicht bestimmt werden, weil die Ressortabstimmung noch nicht
erfolgt ist. Wie gesagt: Wir arbeiten daran.
Sie haben eine Nachfrage, bitte.
Selbstverständlich, Frau Präsidentin. - Ich danke Ihnen wiederum für diese kurze und prägnante Ausführung, die sich inhaltlich eigentlich fast mit dem deckt,
was Sie schon eben gesagt haben. Ich muss trotzdem etwas anmerken und daraus eine Frage entwickeln. Wir
sollten eigentlich den Energiepass seit dem 1. Januar
dieses Jahres zur Verfügung haben. So sehen es die EURahmenrichtlinien vor. Wir haben jetzt Oktober. Woran
liegt es denn, dass es innerhalb der Regierung so lange
dauert, sich darüber zu orientieren, wie und in welcher
Form man zu dem Energiepass kommt? Hängt das vielleicht damit zusammen, dass es in bestimmten Kreisen
Widerstand gegen den bedarfsorientierten Energiepass
gibt, weil der gewisse Konsequenzen insbesondere für
den Vermieter hat?
Wir sind daran interessiert, dass der Gebäudeenergiepass so schnell wie möglich kommt. Dadurch, dass im
letzten Jahr ein neuer Bundestag gewählt worden ist, haben sich die Arbeiten zur Schaffung dieses Ausweises
verzögert. Sie können davon ausgehen, dass die Bundesregierung an einer schnellen Regelung interessiert ist.
Wichtig ist, dass die Gebäudeenergiepässe aussagefähig und kostengünstig sind. Ich denke dabei insbesondere an diejenigen, die sie letztlich bezahlen müssen.
Außerdem sollten diese Pässe Hinweise auf Modernisierungen enthalten.
Das Ganze ist ein wichtiges Projekt im Hinblick auf
Energieeinsparungen im Bereich der Gebäudesanierung.
Wir wissen, dass dort große Potenziale zu heben sind,
insbesondere in Bezug auf Umwelt- und Klimaschutz.
Daran sind sicher auch Sie interessiert. Wir wissen auch,
dass durch Investitionen in diesem Bereich eine erhebliche Anzahl von Arbeitsplätzen geschaffen wird. Insofern
können Sie davon ausgehen, dass die Bundesregierung
sowohl durch den Gebäudeenergiepass als auch durch
das CO2-Gebäudesanierungsprogramm alles tut, um die
Sanierung der Gebäude in dieser Republik zu verbessern, zum Wohle der Wirtschaft, der Arbeit, vor allen
Dingen der Umwelt und damit der künftigen Generationen.
Sie dürfen noch eine Zusatzfrage stellen.
Eine kleine Frage möchte ich noch stellen. - Das hat
mich im Grunde genommen an das erinnert, was der
Kollege Peter Hintze eben über das gesagt hat - ich
glaube, auch Sie haben seinen Worten gelauscht -, was
die Bundesregierung macht, machen will und machen
kann. Können wir davon ausgehen, dass der Gebäudeenergiepass noch in diesem Jahr zur Verfügung steht?
Ich gehe davon aus, dass die Ressortabstimmung
noch in diesem Jahr erfolgt.
Danke schön.
Die Frage 20 des Abgeordneten Wolfgang Börnsen
({0}) wird schriftlich beantwortet.
Vizepräsidentin Petra Pau
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Danke schön, Frau Staatssekretärin.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 21 der Abgeordneten Cornelia
Hirsch von der Fraktion Die Linke auf:
Welche Lösung haben die Bund-Länder-Verhandlungen
zum Hochschulpakt bezüglich der Fortsetzung der Hochschul- und Wissenschaftsprogramme, insbesondere des Programms zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen in
Forschung und Lehre, gefunden bzw. welche Lösung wird
von der Bundesregierung vorgeschlagen?
Frau Kollegin Hirsch, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Das Hochschul- und Wissenschaftsprogramm,
HWP, endet am 31. Dezember dieses Jahres. Eine Fortsetzung ist nicht geplant. Die Grundverantwortung für
die Hochschulen liegt nach der Föderalismusreform bei
den Ländern. Das gilt auch für die Förderbereiche des
HWP. Eine Fortsetzung der Förderung wäre damit Ländersache.
Der Hochschulpakt soll nach derzeitigem Verhandlungsstand auf zwei Säulen beruhen: zum einen auf einem Programm zum Ausbau der Ausbildungsleistung
der Hochschulen, um der steigenden Zahl von Studienanfängerinnen und Studienanfängern ein qualitativ hochwertiges Hochschulstudium zu ermöglichen, insbesondere durch die Schaffung zusätzlicher Stellen, und zum
anderen auf einer Programmkostenpauschale für erfolgreiche Hochschulforschung, die sich im Wettbewerb um
Fördermittel der DFG durchsetzt.
Die konkrete Ausgestaltung des Hochschulpaktes ist
derzeit Gegenstand von Verhandlungen von Bund und
Ländern. Dies betrifft auch die Frage, wie die Länder bei
der Umsetzung der Maßnahmen im Rahmen des Hochschulpakts wichtige strukturelle Gesichtspunkte des
Ausbaus gegebenenfalls berücksichtigen, zum Beispiel
die auch von Ihnen angesprochene Förderung der Chancengleichheit von Frauen in Forschung und Lehre.
Darüber hinaus sollen mit der aktuellen Bekanntmachung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung „Frauen an die Spitze“ Grundlagen für neue
Handlungsansätze zur Förderung der Chancengerechtigkeit und zur Integration von Gender-Fragen in den unterschiedlichen Bereichen der Forschung geschaffen werden. Es sollen Faktoren untersucht werden, die einer
chancengerechten Karriereentwicklung entgegenstehen,
um daraus Handlungsansätze zu entwickeln. Außerdem
sollen strukturelle Ansätze entwickelt werden, die zu einer durchgängigen Betrachtung von Gender-Perspektiven in naturwissenschaftlichen und technischen Forschungsbereichen führen.
Danke, Herr Staatssekretär. - Kollegin Hirsch, Sie haben die Möglichkeit zur Nachfrage.
Wir haben schon heute Morgen im Bildungsausschuss
darüber diskutiert und auch da ist es nicht ganz klar geworden. Sie sagen: Auf der einen Seite stellt der Bund
den Ländern finanzielle Mittel zur Verfügung; auf der
anderen Seite kann er in keiner Weise Einfluss nehmen
oder qualitativ Schwerpunkte setzen. Mir ist nach wie
vor nicht klar, warum es nicht möglich sein sollte, dass
die Bundesregierung beispielsweise gegenüber den Ländern folgende Position vertritt: Das ist unser finanzielles
Angebot; es ist unter anderem daran gekoppelt, dass das
- gerade im Bereich Chancengleichheit von Frauen - erfolgreiche Hochschul- und Wissenschaftsprogramm von
den Bundesländern fortgesetzt wird. Auf dieser Grundlage könnte eine Einigung zur Verteilung der Mittel unter den Bundesländern erfolgen.
Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Hirsch, das haben Sie missverstanden.
Der Prozess der Abstimmung zwischen Bund und Ländern zur Ausarbeitung eines Hochschulpaktes läuft.
Morgen findet die nächste Beratung statt. Was ich angesprochen habe, ist das Angebot des Bundes, über das die
Länder untereinander und morgen gemeinsam mit dem
Bund beraten. Die Frage, inwiefern hierbei zusätzliche
strukturelle Anforderungen, insbesondere auch im Hinblick auf die Verteilung der Mittel und natürlich auch das
gesamte Finanzvolumen, gestellt werden, ist Gegenstand
der Beratungen.
Kollegin Hirsch, Sie haben die Möglichkeit zu einer
weiteren Nachfrage.
Meine Nachfrage betrifft eigentlich das Gleiche, was
ich Sie schon gefragt habe und auf das ich keine Antwort
bekommen habe. Wenn das Gegenstand der Verhandlungen zwischen Bund und Ländern ist, dann muss der Bundesregierung doch klar sein, was ihr politisches Interesse
ist, wo ihre Schwerpunkte liegen und was sie mit dem
Hochschulpakt auch qualitativ erreichen will, abgesehen
von der ersten Säule, Ausbau der Studienplatzkapazitäten. Geht die Bundesregierung also in die Verhandlungen hinein und sagt: „Wir wollen eine soziale Öffnung,
wir wollen die Fortsetzung des HWP, wir wollen die und
die Schwerpunkte“ oder setzt sie sich einfach mit an den
Tisch und sagt: „Dann warten wir mal ab, was die Verhandlungen bringen“? Genau dazu würde ich gerne eine
Auskunft von Ihnen haben.
Frau Abgeordnete Hirsch, Gegenstand dieser Verhandlungen sind zunächst einmal zwei zentrale Fragestellungen. Zum einen ist die Frage: Wie ist es möglich,
ausreichend Kapazitäten in der Lehre zu schaffen zur Si5444
cherstellung einer angemessenen Versorgung bei dem zu
erwartenden deutlichen Anstieg der Zahl der Studierenden? Zum zweiten geht es um die Bereitstellung einer
angemessenen finanziellen Ausstattung für die Forschung an den Universitäten.
Neben diesen beiden zentralen Fragestellungen, die
ich eben dargelegt habe, sind weitere Gegenstände natürlich die Steigerung des Anteils von Frauen in Forschung
und Lehre, aber beispielsweise auch die Stärkung der
Rolle der Fachhochschulen, unter anderem bei der Forschung, nicht nur bei der Lehre, sowie zahlreiche andere
strukturelle Fragen. Alle diese Fragen sind Gegenstand
der laufenden Beratungen. Deshalb kann ich Ihnen darüber erst Auskunft geben, wenn diese Beratungen erfolgreich abgeschlossen sind.
Danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nun zur Frage 22 des Abgeordneten Kai
Gehring für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen:
Aus welchen Gründen sieht das Angebot der Bundesregierung zum Hochschulpakt an die Länder weniger Mittel für die
Förderung von Studienplatzkapazitäten als für die Forschungsförderung vor und wie sollen die Bundesmittel für den
Studienplatzkapazitätsaufbau unter den Bundesländern verteilt werden?
Sie haben das Wort, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Gehring, ich beantworte Ihre Frage - auch sie bezieht
sich auf die Beratungen zum Hochschulpakt - wie folgt:
Für die Schaffung zusätzlicher Studienanfängerplätze
gehen Bund und Länder von der Prognose der Kultusministerkonferenz aus. Dabei wird im Zeitraum von
2007 bis 2010 im Vergleich zur Situation des Jahres
2005 mit insgesamt 90 000 zusätzlichen Studienanfängern gerechnet. Dies wäre mit Gesamtkosten in Höhe
von knapp 2 Milliarden Euro verbunden. Davon werden
bis zum Jahr 2010 insgesamt rund 1,13 Milliarden Euro
finanzwirksam.
Das Bundesbildungs- und -forschungsministerium hat
den Ländern angeboten, dass sich der Bund mit 50 Prozent an diesen Kosten für die zusätzlichen Studienanfänger beteiligt. Für den Bund bedeutet dies, dass in den
Jahren 2007 bis 2010 Kosten in Höhe von insgesamt
rund 565 Millionen Euro anfallen werden. Wie diese
Mittel konkret verteilt werden, ist Gegenstand der derzeit laufenden Verhandlungen.
Für die Forschungsförderung, nämlich die sukzessive
Einführung von Programmkostenpauschalen für DFGgeförderte Forschungsprojekte, wird für den Zeitraum
von 2007 bis 2010 mit Kosten in Höhe von rund
700 Millionen Euro gerechnet. Die Bundesregierung hat
angeboten, diese Kosten für die Stärkung der Forschung
in voller Höhe zu übernehmen.
Sie haben Nachfragen und das Wort.
Meine Frage zielte auf die Verteilung der Bundesmittel auf die einzelnen Bundesländer ab. In der Tat ist die
Frage, mit welchen strategischen Zielsetzungen die Bundesregierung in die morgigen Verhandlungen zum Hochschulpakt einsteigt, völlig unbeantwortet. Wir haben
jetzt über die Möglichkeiten des Studienplatzkapazitätsaufbaus gesprochen und diskutieren seit Wochen darüber. Meine Frage ist, ob die Bundesregierung morgen
auch mit einem Vorschlag zum Kapazitätserhalt, insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern und in den
Stadtstaaten, in die Verhandlungen einsteigt. Außerdem
möchte ich wissen, ob es in diesem Zusammenhang einen Vorschlag seitens der Bundesministerin zu Anreizsystemen und Ausgleichsmechanismen gibt; denn das
liegt ja im gemeinsamen Interesse von Bund und Ländern.
Herr Abgeordneter Gehring, Ihre Frage impliziert zu
Recht, dass wir in den einzelnen Bundesländern in den
nächsten Jahren eine sehr unterschiedliche Entwicklung
zu erwarten haben. Während es nach den Erwartungen
für das Bundesgebiet insgesamt zu einem deutlichen Anstieg der Zahl der Studienanfänger kommen wird, ist bei
einzelnen Bundesländern bis zum Jahr 2013 sogar mit
einem Rückgang zu rechnen. Deswegen ist die Frage, inwieweit hier Anreize gegeben werden können, um die
vorhandenen Kapazitäten in den nächsten Jahren auch in
den Ländern, die nicht von einem Anstieg der Studierendenzahl betroffen sind, besser auszunutzen, ebenfalls
Gegenstand der Beratungen zwischen Bund und Ländern, die morgen fortgesetzt werden.
Kollege Gehring, Sie haben die Möglichkeit einer
weiteren Nachfrage.
Zu diesem Bereich gebe ich es gerade auf, weil da offensichtlich keine Antwort kommt.
Gut, Sie verzichten. - Es gibt aber eine weitere Nachfrage zu dieser Frage, bevor wir zu Ihrer nächsten Frage
kommen. Die Kollegin Hirsch hat jetzt das Wort.
Noch einmal in Richtung strategische Schwerpunkte
der Bundesregierung im Rahmen der Verhandlungen
zum Hochschulpakt, verbunden mit einem Studienplatzkapazitätsaufbau. Man hatte sich im Koalitionsvertrag
darauf verständigt, nicht nur die Kapazitäten zu erhalten
oder die Zahl der Studienanfänger, die Zugang zu den
Hochschulen erhalten sollen, zu erhöhen, sondern auch
ganz direkt die Studierendenquote zu steigern. Da wäre
meine Frage, inwieweit das strategische Ziel der
Bundesregierung bei den Zahlen, die den Berechnungen
bisher zugrunde liegen - es wird in Bezug auf die Abiturienten, die an eine Hochschule gehen, von einer Übergangsquote von, glaube ich, 75 Prozent ausgegangen -,
berücksichtigt ist oder ob nicht der Hochschulpakt finanziell viel zu gering ausgestattet ist, wenn das strategische
Ziel der Steigerung der Studierendenquote nach wie vor
besteht.
Frau Abgeordnete Hirsch, die Beratungen zum Hochschulpakt basieren auf einer Prognose der Kultusministerkonferenz. Es wird von einer Wahrscheinlichkeit von
75 Prozent ausgegangen, was den Übergang von Abiturienten in das Studium betrifft. Das wird auch Gegenstand meiner Antwort auf die nächste Frage sein. Die
Zielsetzung des Hochschulpaktes geht aber weit über das
Jahr 2010 hinaus; sie reicht bis zum Jahr 2020. In diesem Zeitraum ist in der Tat eine Steigerung des Anteils
der jungen Menschen eines Jahrganges, die ein Hochschulstudium aufnehmen, vorgesehen; das heißt, die Studienquote würde damit entsprechend erhöht werden.
Danke schön.
Dann rufe ich die Frage 23 des Abgeordneten Kai
Gehring, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Warum beinhaltet das Angebot der Bundesregierung für
den Hochschulpakt lediglich Finanzierungszusagen für den
Studienplatzkapazitätsaufbau bis zum Jahr 2010, obwohl ein
noch größerer Studienplatzbedarf in den Folgejahren zu erwarten ist, und wie erklärt die Bundesregierung die Differenz
zwischen ihrem Finanzierungsangebot zum Studienplatzkapazitätsaufbau einerseits und dem - selbst bei hälftiger Aufteilung der Finanzierung zwischen Bund und Ländern - für 2007
und die Folgejahre deutlich höheren, vom Wissenschaftsrat
errechneten Finanzbedarf andererseits, den sich die Bundesregierung in Bundestagsdrucksache 16/2258 ausdrücklich zu
Eigen macht?
Frau Präsidentin, die Antwort auf die Frage des Abgeordneten Gehring schließt genau an den schon eben angesprochenen Sachverhalt an. Mit dem Hochschulpakt
soll eine langfristige und verlässliche gemeinsame Verpflichtung von Bund und Ländern zur Sicherung der
Ausbildungs- und Forschungsleistung der deutschen
Hochschulen vereinbart werden. Im Finanzierungszeitraum bis zum Jahr 2010 wird, wie dargelegt, mit insgesamt 90 000 zusätzlichen Studienanfängern gegenüber
dem Basisjahr 2005 gerechnet. In den Jahren des Spitzenbedarfs 2011 bis 2013 rechnen wir mit jeweils circa
40 000 zusätzlichen Studienanfängern im Vergleich zu
2005. Es handelt sich dabei um eine Prognose für eine
erste Abschätzung des Bedarfs. Eine Nachsteuerung eines möglichen Programms wird auf der Basis der tatsächlichen Entwicklung erfolgen.
Der vom Wissenschaftsrat berechnete Finanzbedarf
beinhaltet nicht nur die Kosten für die steigenden Studienanfängerzahlen, sondern auch Kosten, die durch die
Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen im
Rahmen des Bolognaprozesses und die damit verbundene Erhöhung des Betreuungsaufwandes verursacht
werden. Entsprechend der föderalen Aufgabenverteilung
und der Grundverantwortung der Länder für die Hochschulen werden die mit der Bolognareform verbundenen
Kosten von den Ländern zu tragen sein. Die gemeinsamen Maßnahmen von Bund und Ländern im Rahmen
des Hochschulpaktes konzentrieren sich auf die Bereitstellung eines ausreichenden Angebotes an Studienanfängerplätzen sowie auf die bereits angesprochenen
Maßnahmen zur Stärkung der Forschungsförderung.
Herr Kollege Gehring, Sie haben Gelegenheit zur
Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Frage. - Wir haben bereits jetzt die Situation,
dass zahlreiche Studienberechtigte vor verschlossenen
Hörsaaltüren stehen, weil keine ausreichende Zahl von
Studienplätzen zur Verfügung steht. Daher möchte ich
Sie fragen, warum das Angebot von Frau Schavan darauf abzielt, dass der Hochschulpakt erst zum Wintersemester 2007/2008 greifen soll, obwohl in den Prognosen des Wissenschaftsrates deutlich wurde - im Übrigen
hat sich die Bundesregierung diese Prognosen bei vorherigen Anfragen stets zu Eigen gemacht -, dass bereits
zum Sommersemester 2007 ein starker Anstieg der Zahl
der Studierenden und der Studienberechtigten zu verzeichnen ist.
Herr Abgeordneter Gehring, ich darf Sie darauf hinweisen, dass sich die Bundesregierung diese Prognose
des Wissenschaftsrates nicht zu Eigen gemacht hat; denn
sie ist nur eine Prognose in einem sehr breiten Spektrum
von Prognosen. Den Beratungen zum Hochschulpakt
wird die Prognose der Kultusministerkonferenz zugrunde gelegt. Darin wird eine Quote für den Übergang
vom Abitur zum Studium von 75 Prozent angenommen.
Außerdem gibt es darin entsprechende Annahmen über
die Kosten eines Studienplatzes.
Die mittelfristig zu erwartende Steigerung der Zahl
der Studierenden ist in der Tat insbesondere ab dem
Wintersemester 2007/2008 absehbar. Deshalb ist der
Zeitraum Wintersemester 2007/2008 bis zum Jahr 2020
Grundlage der Beratungen zur Verbesserung der Kapazitäten in den Hochschulen unseres Landes.
Sie haben die Möglichkeit zu einer weiteren
Nachfrage. - Bitte.
Ich möchte hinsichtlich des Bereichs der Forschungsförderung im Rahmen des Hochschulpakts nachfragen.
Es gibt zurzeit parallel laufende Gespräche: Gespräche
über die Forschungsförderung im Rahmen des Hochschulpaktes - da bietet die Bundesregierung 700 Millionen Euro an - und gleichzeitig Gespräche bzw. Verhandlungen über den Beitrag der Länder zur Erreichung des
3-Prozent-Ziel der Bundesregierung. Man will in beiden
Bereichen bis zum Ende des Jahres auf der Zielgerade
sein. Daher möchte ich fragen: Ergibt es nicht Sinn,
diese beiden Prozesse zu verknüpfen, also ein Junktim
herzustellen, um damit einen Beitrag der Länder sicherzustellen?
Herr Abgeordneter Gehring, es trifft zu, dass die Lösung der beiden Problemfelder Gegenstand der Konferenz der Ministerpräsidenten bei der Bundeskanzlerin im
Dezember sein soll. Bis zu diesem Zeitpunkt soll zum einen ein Hochschulpakt unterzeichnet werden und zum
anderen sollen die Maßnahmen dargelegt werden, mit denen die Länder ihren Beitrag zur Erreichung des 3-Prozent-Ziels bei der Forschungsförderung leisten wollen.
Die Verhandlungsführung zur Erreichung einer Einigung ist sicherlich nicht Gegenstand dieser Überlegungen. Ich darf an dieser Stelle aber darauf hinweisen, dass
die Mehrausgaben zur Verbesserung der Situation in den
Hochschulen nur zu einem Teil in die Berechnung des
Beitrages zur Erreichung des 3-Prozent-Ziels für Forschung und Entwicklung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, eingehen. Es macht deshalb Sinn, über beide
Komplexe parallel zu verhandeln.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Wir sind damit
am Ende des Geschäftsbereichs des Ministeriums für
Bildung und Forschung.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Fragen 24
und 25 des Abgeordneten Jürgen Koppelin sowie die
Fragen 26 und 27 des Abgeordneten Hans-Joachim Otto
({0}) - beide von der FDP-Fraktion - werden
schriftlich beantwortet. Wir können also diese Fragen
mit der Staatsministerin Frau Professor Dr. Maria
Böhmer heute nicht erörtern.
Bis zum Beginn der Aktuellen Stunde um 16 Uhr unterbreche ich die Sitzung.
({1})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP
Finanzielle Folgen für Beitragszahler und Patienten bei Verwirklichung des von der Koalition vorgelegten Gesetzes zur Gesundheitsreform
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Daniel Bahr für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das, was die große Koalition in der Gesundheitspolitik
abliefert, ist ein einziges Trauerspiel. Die Art und Weise,
wie mit dem Referentenentwurf eines Gesetzes zu dieser
Gesundheitsreform umgegangen wird, ist eine Farce.
Sachverständige sollen innerhalb von vier Tagen einen
Gesetzentwurf von immerhin 542 Seiten mit all seinen
Auswirkungen auf unser deutsches Gesundheitssystem
beurteilen können. Das Bundesministerium für Gesundheit und die Koalition sind aber an den Ratschlägen und
dem Fachwissen von Sachverständigen nicht interessiert. Nach der Anhörung am Montag im Bundesministerium - sie hat immerhin sechs Stunden gedauert - sollte
der Entwurf nämlich schon am Dienstag, also am Tag
darauf, in den Fraktionen beraten werden.
Die Koalition ist stur; sie ist nicht wirklich daran interessiert, dass das Fachwissen und die Ratschläge von
Sachverständigen in den Entwurf eines Gesetzes zur Gesundheitsreform eingearbeitet werden. Nein, es geht der
Koalition nur noch darum, diese Gesundheitsreform
möglichst glimpflich zu überstehen. Sie hat das Interesse
daran verloren, das Gesundheitssystem mit der nötigen
Sachlichkeit zu reformieren, um die Probleme im Gesundheitswesen zu lösen. Es geht der Koalition doch gar
nicht mehr um die Probleme, vor denen das Gesundheitswesen steht. Frau Schmidt und der Bundesregierung
geht es nur noch darum, das Gesicht zu wahren.
({0})
Sie haben gar nicht aus den Problemen bei den HartzReformen gelernt. Was hat die Bundeskanzlerin nicht alles gesagt! Sie wollten sich die Zeit nehmen, einen wirklich sachlichen Entwurf auf den Weg zu bringen; Sie
wollten etwas auf den Weg bringen, was länger Bestand
hat. Mitglieder der Koalition sprachen davon, dass die
Gesundheitsreform zum Meisterstück der Koalition
werde, die für Jahre halte und zeige, dass die große Koalition zu Dingen fähig sei, zu denen die Vorgängerregierungen nicht fähig gewesen seien. Nein, Sie haben aus
den Fehlern bei den Hartz-Reformen überhaupt nicht gelernt. Die Gesundheitsreform ist die Fortsetzung der
Hartz-Reformen. Das, was hier entsteht, wird zu
Hartz V.
({1})
Diese Reform löst nämlich überhaupt nicht die drängenden Probleme; diese Reform schafft neue Probleme.
Sie führt zu keiner Entlastung, weder bei den Lohnzusatzkosten noch der Versicherten. Gesundheitsausgaben
und Arbeitskosten werden nicht entkoppelt. Die Reform
führt zu keiner Entbürokratisierung; stattdessen kommt
mit dem so genannten Gesundheitsfonds ein weiteres bürokratisches Instrument hinzu. Es wird keine Vorsorge
im Hinblick auf die steigenden Kosten geben, welche
aufgrund der Alterung der Bevölkerung entstehen werden. Es bleibt bei der Umlagefinanzierung zulasten der
Daniel Bahr ({2})
jungen Generation. Weder bei den Beiträgen noch bei
den Abrechnungen, bei denen am Sachleistungsprinzip
festgehalten wird, wird es Transparenz geben. Es gibt
nicht mehr Freiheit für die Versicherten, ihren Versicherungsschutz weitgehend selbst zu gestalten, sondern weniger.
Ihre Gesundheitsreform ebnet den Weg in ein staatliches, zentralistisches Gesundheitswesen. Schon jetzt ist
klar, dass es dabei für den Bürger nur teurer wird, die
Versorgung aber nicht besser, sondern eher schlechter
wird. Es wird Mangelverwaltung und Wartelisten geben,
wir werden die krassen Unterschiede einer Zweiklassenmedizin erleben. Warum?
({3})
Ab 2007 wird es zu massiven, breiten Beitragssatzerhöhungen kommen. 2007 werden wir erstmals einen Rekordbeitragssatz von nahezu 15 Prozent erreichen. Das
führt zu einer Mehrbelastung der Versicherten in
Deutschland im Umfang von mindestens 8 Milliarden
Euro. 2008 und 2009 werden die Beitragssätze weiter
steigen, obwohl Sie noch im Koalitionsvertrag das Ziel
formuliert haben, die Lohnzusatzkosten zu senken und
die Krankenkassenbeiträge zumindest stabil zu halten.
Das Ziel, durch eine Festschreibung des Arbeitgeberbeitrages einen Beitrag zur Konsolidierung des Arbeitsmarktes zu leisten, wird mit dieser Reform überhaupt
nicht verfolgt. Im Gegenteil: Demnächst werden die
Lohnzusatzkosten und damit auch die Arbeitgeberbeiträge massiv steigen; denn Sie, Frau Ministerin Schmidt,
und die Bundesregierung werden dann entscheiden, wie
viel Geld dem Gesundheitswesen zur Verfügung gestellt
wird. Sie werden dann entscheiden, wie hoch der politisch festgelegte, bundesweit einheitliche Beitragssatz
ausfallen soll. Die Bundesregierung entscheidet dann
also jährlich, wie viel Geld dem Gesundheitswesen im
darauf folgenden Jahr zur Verfügung gestellt wird. Das
ist Gesundheitspolitik nach Zuteilung und Kassenlage.
({4})
Was passiert denn, wenn das Geld nicht ausreicht?
Was passiert denn, wenn der Beitragssatz und damit die
Lohnzusatzkosten eigentlich steigen müssten? Dann
würde der Arbeitsmarkt belastet. Also wird es sofort den
Druck geben, dass das nicht passiert. Was macht dann
die Bundesregierung? Sie wird wieder mit einer kurzfristigen Kostendämpfungspolitik auf dem Rücken der Patienten, also zulasten der Versorgung, eine allenfalls
kurzfristige Lösung finden. Das heißt, das Gesundheitswesen ist weiterhin chronisch unterfinanziert. Die Folgen werden Mangelverwaltung und Wartelisten sein.
Wir, die FDP, stellen uns deshalb mit aller Vehemenz
gegen diesen Weg in ein staatliches und zentralistisches
Gesundheitswesen. Wir glauben, dass wir ein Gesundheitswesen brauchen, das auf Freiheit und Transparenz
aufbaut,
({5})
das den Versicherten mehr Wahlmöglichkeiten bietet
und ihnen die Entscheidung darüber überlässt, welchen
Versicherungsschutz sie selbst haben möchten. Wir
möchten nicht, dass der Staat, die Politik, die Versicherten immer mehr gängelt und immer mehr Vorgaben
macht. Ihre Entscheidung für einen politisch festgelegten Beitragssatz und einen Zusatzbeitrag, zu dem es so
gut wie nicht kommen wird, weil die Krankenkassen nur
in einen Wettbewerb darüber eintreten werden, zu kürzen, und nicht in einen Wettbewerb, zu innovativen Leistungen und innovativen Versorgungsformen zu kommen,
wird meiner Meinung nach dazu führen, dass das Gesundheitswesen für die Patienten und Versicherten in
Deutschland deutlich schlechter wird.
Deswegen wird sich die FDP-Opposition diesem Weg
mit aller Kraft entgegenstellen. Kommen Sie zur Einsicht! 90 Prozent der Bevölkerung sind gegen diesen
Weg. Es gibt kein anderes Gesetzesvorhaben, gegen das
eine so breite Mehrheit der Sachverständigen und der
Bevölkerung ist. Da können Sie noch so stur bleiben.
Hören Sie sich lieber die Bedenken an!
Vielen Dank.
({6})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Jens
Spahn.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Kollege Bahr, ich habe es schon bei der
letzten Debatte zu diesem Thema gesagt und sage es
jetzt noch einmal:
({0})
Wir sollten niemandem, der über dieses Thema diskutiert und um die richtige Lösung ringt, absprechen, das
mit bestem Wissen und Gewissen und im Bemühen darum zu machen, dass wir auch in Zukunft für alle in diesem Land unabhängig von ihrem Einkommen eine vernünftige Versorgung sicherstellen können.
({1})
Wir können über die Wege dahin streiten. Aber uns auf
die Art und Weise, wie Sie es gerade getan haben, abzusprechen, dass wir genau darum ringen, das sollten Sie
nicht tun.
({2})
Nichtsdestotrotz nutzen Sie mittlerweile in jeder Sitzungswoche die Möglichkeit einer Aktuellen Stunde zu
diesem Thema. In diesen Zusammenhang passt die Pressemitteilung Ihres Parlamentarischen Geschäftsführers,
auf die ich gleich zu sprechen komme. Er hat mittlerweile einen sehr populistischen Ton angeschlagen, wie
wir ihn sonst eigentlich nur von der Linkspartei gewohnt
sind. Das kennen wir mittlerweile im Hinblick auf die
Rente mit 67, die Praxisgebühr und jetzt auch bei diesem
Thema.
({3})
Dies hätte ich von der FDP eigentlich nicht erwartet.
Sie haben einmal mehr auf die Frage, was Sie jenseits
der großen Überschriften, die wir alle kennen, angesichts
der Ausgabendynamik, wie sie sich für die nächsten
Jahre und insbesondere das nächste Jahr abzeichnet,
({4})
und angesichts steigender Kosten aufgrund des medizinisch-technischen Fortschrittes und der demografischen
Entwicklung tun wollen, keine Antwort gegeben. Nur zu
schimpfen und ein paar Überschriften zu nennen, reicht
nicht, um alle zwei Wochen im Deutschen Bundestag
eine Debatte zu diesem Thema zu führen.
({5})
Herr Oppositionsführer, zu einer konstruktiv-kritischen Opposition würde es auch gehören, anzuerkennen,
({6})
dass in den Eckpunkten bzw. im Gesetzentwurf bestimmte Elemente enthalten sind, die der FDP eigentlich
gefallen müssen, nämlich die Einführung eines Kostenerstattungstarifes, die Einführung von Wahltarifen und
Selbstbehalttarifen sowie die Einführung von mehr
Wettbewerb aufseiten der Leistungserbringer, bei den
Ärzten. Ich weiß, da ist es mit der liberalen Haltung
nicht mehr ganz so weit her. Es wird aber nicht nur bei
den Ärzten, sondern auch bei den Apothekern und auf
dem Arzneimittelmarkt mehr Wettbewerb geben. Zu all
diesen Punkten, die doch eigentlich liberalem Gedankengut entsprechen müssten und die eine konstruktivkritische Opposition anerkennen würde, haben Sie leider
kein Wort gesagt und sich in keiner Weise dazu ausgelassen. Das ist eigentlich sehr schade, Herr Kollege
Bahr.
({7})
Ich möchte auf das eingehen, was zumindest laut Ihrem Parlamentarischen Geschäftsführer der Anlass zu
dieser Aktuellen Stunde ist; Sie, Herr Bahr, haben dazu
leider kein Wort gesagt. Auf der Homepage der FDP
wird seine Pressemitteilung wiedergegeben:
‚Das künftige Abkassieren von Krebskranken ist
zynisch und kaltherzig’... Vor diesem Hintergrund
habe seine Fraktion eine Aktuelle Stunde … beantragt.
Ich kann Ihnen sagen, was zynisch und kaltherzig ist:
Zynisch und kaltherzig ist, die Krebskranken in dieser
Debatte als Faustpfand zu nehmen,
({8})
ohne sich auch nur einmal mit den Regelungen, wie sie
im Gesetzeswerk stehen sollen, auseinander gesetzt zu
haben, und die populistischen Sätze und Forderungen,
die am Wochenende in einer bekannten Zeitung gestanden haben, einfach aufzugreifen, ohne sich weiter damit
auseinander zu setzen. Es ist schade, dass der Parlamentarische Geschäftsführer, der diese Pressemitteilung gemacht hat und diese Sätze als Begründung für die Beantragung dieser Aktuellen Stunde heranzieht, bei dieser
Debatte heute nicht anwesend ist.
({9})
Hinzu kommt, dass der Kerngedanke der Vorsorge
dem liberalen Gedankengut, nämlich der Eigenverantwortung, entstammt. Wir verlangen von denen, die dazu
in der Lage sind - es geht nicht um diejenigen, die aufgrund ihres Alters oder ihrer Situation gar nicht dazu in
der Lage sind -, ab einem bestimmten Alter in regelmäßigen Abständen zur Früherkennungsuntersuchung zu
gehen bzw. Vorsorge zu betreiben. Wir verlangen zum
Beispiel, dass einmal im Jahr ein kostenloser Arztbesuch
wahrgenommen wird. Ich glaube, es ist nicht zu viel verlangt, mit Blick auf die eigene Gesundheit Vorsorge zu
betreiben.
({10})
Die Debatte darüber sollten wir einmal vor liberalem
Hintergrund führen.
Liebe Kollegen von der FDP, lieber Herr Westerwelle,
wir können diese Debatte gerne, wie Sie angeboten haben, jede Woche führen.
({11})
Wenn Sie aber jede Woche populistisch irgendwelche
Tickermeldungen vom Wochenende aufgreifen, wenn
Sie sich mit dem Sachverhalt aber nicht auseinander setzen wollen, wenn Sie die Debatte führen wollen, ohne
auch nur eine konkrete Alternative zu bieten, wie wir
den Herausforderungen des Gesundheitswesens gerecht
werden können, dann sind das Debatten auf sehr niedrigem Niveau. Dann steht es um die gesundheitliche Versorgung der Menschen in diesem Lande schlecht.
({12})
Für die Fraktion Die Linke spricht nun der Kollege
Frank Spieth.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Das Wettbewerbsstärkungsgesetz - das sagen
alle Fachleute - löst keines der strukturellen Probleme
der gesetzlichen Krankenversicherung. Gestoppt wird
nicht die Erosion der Einnahmebasis der GKV infolge
sinkender Löhne, Gehälter und Renten und alle anderen
Einnahmequellen insbesondere Vermögen werden außer
Acht gelassen.
Dieses Gesetz wird verhängnisvoll sein, weil es
- wiederum - nur ein Spargesetz sein wird. Es greift im
Wesentlichen bei denen zu, die weniger als 3 900 Euro
Einkommen erzielen, und lässt die darüber liegenden
Einkommen außen vor.
({0})
Dieses Wettbewerbsstärkungsgesetz - „W“ wie Wettbewerb, „S“ wie Sterben und „G“ wie Glöckchen - ermöglicht keinen Wettbewerb um eine vernünftige Finanzierung einer solidarischen Krankenversicherung und die
Bereitstellung der notwendigen Leistungen.
({1})
Dieses Gesetz ist gemessen an den Ansprüchen der Koalition nach unserer Auffassung ein Desaster.
({2})
Wir müssen mit einer Beitragserhöhung um 0,5 bis
1 Prozentpunkt schon im nächsten Jahr rechnen. Gleichzeitig werden Sie die Höhe der Arbeitgeberbeiträge deckeln, was zur Folge haben wird, dass die zukünftig entstehenden zusätzlichen Kosten von den Versicherten
allein zu tragen sein werden.
({3})
Die kleine Kopfpauschale, die Sie verschämt „pauschalen Zusatzbeitrag“ nennen, wird Teil des Systems
werden, was zur Konsequenz haben wird, dass die Versicherten zuzahlen müssen. Über die Höhe findet öffentlich ein Wettbewerb statt. Wie viel soll es denn nun sein?
Die CDU will 3 Prozent und die SPD 1 Prozent. Dazu
sagen die Menschen: Lieber 1 Prozent, wie es die SPD
vorschlägt. Natürlich sagen sie das. Es gäbe allerdings
eine Alternative, nämlich überhaupt keine Kopfpauschale festzulegen, sondern endlich die Bürgerinnenund Bürgerversicherung einzuführen. Dann wäre dieser
ganze Unsinn nicht erforderlich.
({4})
Außerdem wollen Sie mit diesem Gesetz einen Teilkaskotarif für die Gesunden einrichten, die es sich leisten können, einen Eigenanteil - beispielsweise in Höhe
von 1 000 Euro pro Jahr - zu zahlen. Für die Kranken
wollen Sie einen Vollkaskotarif einführen.
({5})
„Vollkaskotarif für die Kranken“ heißt in letzter Konsequenz, dass diese Versicherten das, was den anderen als
Entlastung angeboten wird, zu finanzieren haben.
({6})
Im Grunde geben Sie das in Ihrem Gesetzeswerk doch
auch verschämt zu: Sie sagen zwar, dass Sie über die
Pauschale anfangs 100 Prozent der Ausgaben finanzieren wollen; später sollen darüber aber nur noch
95 Prozent finanziert werden. Das zeigt doch, dass Sie
selbst mit einer weiteren Belastung in Höhe von
5 Prozent rechnen. Das ist eine gnadenlose Abzocke derjenigen, die über ein zu geringes Einkommen verfügen,
um sich privat abzusichern. Ich sage Ihnen: Dieses Gesetz mit uns nicht!
({7})
Das Wort hat die Bundesministerin für Gesundheit,
Ulla Schmidt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Bahr, wir können hier jede Woche über Gesundheitsreformen und Gesundheitspolitik diskutieren.
({0})
Ich kann Ihnen sagen: Wir werden nie zusammenkommen, weil das, was Ihre Partei will, und das, was die Koalition will, diametral gegensätzlich zueinander stehen.
({1})
Sie kritisieren, dass wir bei der Umlagefinanzierung
bleiben. Sie sagen, dass das zulasten der jungen Generation geht. Wir halten es für ein bewährtes System,
({2})
dass Menschen für andere Menschen zahlen, dass die
Jungen für die Alten einstehen wie früher die jetzt Alten
für ihre Älteren eingestanden sind,
({3})
dass Gesunde für Kranke einstehen und dass diejenigen
ohne Kinder für diejenigen mit Kindern einstehen. Das
ist der Solidargedanke,
({4})
der dazu führt, dass in unserem Gesundheitswesen - Gott
sei Dank! - viele Menschen viel mehr einzahlen, als sie
jemals in Anspruch nehmen müssen, damit die Menschen, die krank sind, auf der Höhe des medizinischen
Fortschritts das erhalten, was sie brauchen und was medizinisch notwendig ist.
({5})
Ich sage: Das kostet für viele kranke Menschen mehr, als
sie jemals in ihrem Leben einzahlen könnten.
Unsere Ansichten stehen schon in diesem Punkt diametral gegensätzlich zueinander: Ihre Partei will eine
Politik, die die individuellen Lebensrisiken privatisiert,
und wir gehen an die Lösung dieser Probleme heran, indem wir das Solidarprinzip stärken und uns dafür einsetzen, dass alle in dieser Gesellschaft füreinander einstehen.
({6})
Deshalb werden wir nie zu einheitlichen Auffassungen
in der Gesundheitspolitik kommen.
({7})
Wir können jede Woche darüber diskutieren. Es trennen
uns Welten.
({8})
Auch Sie auf der linken Seite des Hauses sollten Welten von der FDP trennen, deren gesundheitspolitische
Konzepte man in zwei kleine Gruppen einteilen könnte.
Erstens fürchtet - Herr Kollege Spahn, deshalb würde
Herr Kollege Bahr nie etwas Positives daran finden, dass
wir Wettbewerb einführen und dass wir die Möglichkeiten der Kassen erweitern, Preisverhandlungen zu führen ({9})
die FDP für ihre Klientel den Wettbewerb mehr als der
Teufel das Weihwasser. Darum geht es hier doch.
({10})
Zweitens hatte diese Partei immer nur eine Antwort.
Ich habe dieses Amt ja schon lange inne
({11})
und wir haben viele Debatten miteinander geführt. Ihre
Partei möchte Ausschlüsse für Versicherte, weil Sie wollen, dass die Versicherten selber für Krankengeld, für
Zahnbehandlung und für Unfälle einstehen.
({12})
Sie wollen ein Kostenerstattungsprinzip und für Arme
eine Notversorgung. Das ist die Politik der FDP. Das
wird die Koalition nicht machen.
({13})
Deshalb kann man sich nur wünschen, dass Sie so
schnell nicht wieder an einer bundespolitischen Regierung beteiligt werden. Ich hoffe, dass die Menschen in
diesem Land entsprechend wählen.
({14})
Jetzt kommen wir einmal zu dem, was am Wochenende passiert ist. Natürlich ist es zynisch, wenn man
nicht davor zurückschreckt, kranke Menschen zur Geisel
einer Politik zu machen. Ich rate Ihnen, Herr Kollege
Westerwelle, schauen Sie doch einmal, ehe wir uns
nächste Woche wieder hier treffen, hinsichtlich der Vorsorge in die Anträge der FDP. Sie hat in der 15. Wahlperiode einen Antrag zum Thema Prävention gestellt.
({15})
Darin steht:
Jeder Einzelne ist dafür verantwortlich, durch eine
gesundheitsbewusste Lebensweise der Entstehung
von Gesundheitsrisiken vorzubeugen, …
({16})
Weiter hinten heißt es:
… setzen die Liberalen auf Anreize zu gesundheitsbewusstem Verhalten.
Genau darum geht es.
({17})
Es geht nicht darum, kranke Menschen zu bestrafen. Es
geht vielmehr darum, dass man, wenn man weiß, dass es
Vorsorgeuntersuchungen gibt, diese nutzt. Wir haben die
Verantwortung, Anreize dafür zu setzen, dass die Menschen die notwendigen Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen. Das ist ein Angebot, das sich vor allem an
junge Menschen richtet. Viele Ältere haben diese
Chance nicht mehr.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Menschen
glücklicherweise immer älter werden. Daher müssen
Prävention und gesundheitsbewusstes Verhalten zu den
tragenden Pfeilern unserer künftigen Gesundheitspolitik
werden. Wir wollen Anreize schaffen, damit die Menschen notwendige Vorsorgeuntersuchungen durchführen
lassen.
({18})
Diejenigen, die das tun, sollen dafür belohnt werden.
Die Richtigkeit dieses Weges zeigt sich auch darin,
dass insbesondere die Deutsche Krebsgesellschaft genau
diese Regelungen begrüßt. Auch ihrer Meinung nach
muss mehr dafür getan werden, dass die Menschen die
Untersuchungen, die notwendig sind, um Krankheiten
frühzeitig zu erkennen, durchführen lassen. Dazu stehen
auch wir und dabei werden wir bleiben.
({19})
Durch das Gesundheitsreformgesetz wird der Wettbewerb gestärkt. Diese Reform setzt bei der Frage an: Welche Versorgung brauchen die Menschen? Sie ist seit langer Zeit die erste Reform, durch die keine reine
Kostendämpfungspolitik betrieben wird - das wäre,
wenn wir andere Mehrheiten hätten, alles, was wir tun
könnten -, sondern eine Reform, mit der wir das Ziel
verfolgen, die strukturellen Probleme unseres Gesundheitswesens zu lösen. Dabei geht es unter anderem um
die Trennung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung. Die Forderung nach mehr Freiheit ist nicht
etwa so zu verstehen, dass die Menschen von jeglicher
Verantwortung frei sein sollen. Gemeint ist vielmehr,
dass die Krankenkassen den Menschen Angebote für
eine sehr gute Gesundheitsversorgung machen sollen,
zwischen denen sie wählen können.
Ich sage Ihnen, was wir tun werden, weil wir wollen,
dass die Menschen wählen bzw. sich frei entscheiden
können:
({20})
für einen Arzt, für ein Krankenhaus und für eine Krankenkasse, von der sie glauben, dass sie ihnen gute Versorgungsangebote macht, zum Beispiel für chronisch
kranke Menschen oder in Bezug auf alternative Medizin.
Das unterscheidet uns von Ihnen.
Wir wissen: Zu dieser Freiheit gehört, dass jeder
Mensch in diesem Land - jede Frau, jeder Mann und jedes Kind - das Recht haben muss, versichert zu sein.
Wir verlangen von den Krankenkassen, auch von den
privaten, jeden Menschen ohne Ansehen des individuellen Krankheitsrisikos zu versichern, damit hier jeder
Mensch Versicherungsschutz hat.
({21})
Allein dafür, Herr Kollege Spieth, hätten wir von Ihrer
Seite ein Lob bekommen müssen. Denn Sie haben es leider noch nie geschafft, ein solches Vorhaben umzusetzen.
Wir werden diesen Gesetzentwurf intensiv beraten,
sowohl im Kabinett als auch in den Fraktionen, und wir
werden genügend Zeit haben, auch hier im Bundestag
darüber zu diskutieren.
({22})
Ich rate Ihnen dringend, bei diesem Thema sehr genau
hinzuschauen. Wenn man nur das Geschrei der Lobbygruppen zur Kenntnis nimmt, wird die Bewertung dieses
Gesetzentwurfs sehr einseitig ausfallen.
Wir haben uns zum Ziel gesetzt, den Umfang der notwendigen Leistungen im Rahmen dieser Reform auszuweiten. Dabei geht es um die Verbesserung der Versorgung von todkranken Menschen, die Ausweitung der
Rehabilitationsangebote für Ältere und vieles andere.
Wir wollen eine Reform durchführen, die weder Leistungsausschlüsse noch Zuzahlungserhöhungen mit sich
bringt.
Wenn man das will, dann muss man den Mut haben
- wir haben ihn -, sich mit allen Besitzstandswahrern im
Gesundheitswesen anzulegen und ihnen deutlich zu machen: Alle müssen sich bewegen, auch die Krankenkassen. - Herr Spieth, ich weiß, dass in Ihrer Brust an dieser
Stelle immer zwei Seelen wohnen. - Wir wollen andere
Strukturen, eine bessere Zusammenarbeit sowie eine
Verschlankung der Verbände und der Krankenkassen.
Wir wollen, dass jeder Euro, der in dieses System fließt,
so eingesetzt wird, dass er der bestmöglichen Versorgung kranker Menschen zugute kommt. Und wir wollen,
dass kein einziger Euro verschleudert wird. Das ist unsere Philosophie. Diesen Weg werden wir weitergehen.
Danke schön.
({23})
Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
spricht nun die Kollegin Birgitt Bender.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Ministerin, wenn es so ist, dass wir sehr viel Zeit haben,
diesen Gesetzentwurf umfassend zu beraten, dann wundere ich mich über das Verfahren, das die Koalition gewählt hat.
({0})
Warum lösen Sie die Vorschrift, dass die Kassen ihre
Schulden tilgen müssen, aus dem Gesetzentwurf heraus,
knallen heute Morgen im Ausschuss einen Änderungsantrag zu einem laufenden Gesetz auf den Tisch und sagen, das müsse jetzt so sein? Wenn so viel Zeit ist, kann
man das im Gesamtkontext der Gesundheitsreform beraten. Offensichtlich gibt es gewisse Panikreaktionen bei
der Koalition.
({1})
In einem Punkt haben Sie Recht: darin, dass Sie die
FDP dafür kritisieren, dass sie das Solidarsystem zerschlagen will. Mit Ihnen, Herr Kollege Westerwelle,
würde das Gesundheitssystem ja insgesamt privatisiert.
({2})
Die Freiheit, von der Sie sprechen, das wird eine Freiheit
der Besserverdienenden sein.
({3})
Das ist nicht unser Weg.
Frau Ministerin, Ihre großartigen Bekenntnisse zum
Solidarsystem sind nicht besonders glaubwürdig. Hier
war viel von Zynismus die Rede im Zusammenhang mit
der neuen Regelung für chronisch Kranke. Wenn man
der Meinung ist, dass es zum Solidarsystem gehört, dass
Gesunde für Kranke mit aufkommen - das sehen wir
eindeutig so -, dann ist es ein Fehler, zwischen „guten“
und „schlechten“ Kranken zu unterscheiden.
({4})
Ich kann Sie nur warnen, diese abschüssige Ebene zu betreten.
Die große Mehrheit der Krankheiten, die Geld kosten,
sind solche, die lebensstilbedingt sind. Sie haben etwas
zu tun mit falscher Ernährung, mangelnder Bewegung,
belastenden Arbeitsplätzen, belasteter Wohnumgebung.
An vielen dieser Faktoren können die Menschen selber
etwas ändern; man muss sie nur dazu befähigen. Das ist
Aufgabe der Politik: für gescheite Prävention zu sorgen.
({5})
Nicht Aufgabe der Gesundheitspolitik ist es, Menschen,
die krank sind und behandelt werden müssen, zu sagen:
„Hättest du dich vorher gesundheitsbewusst verhalten
und das vom Arzt bescheinigen lassen!“ oder „Hättest du
rechtzeitig die Möglichkeiten der Labordiagnostik genutzt; jetzt ist eine Strafzahlung fällig!“. Das bedeutet
gerade ein Stück Abkehr vom Solidarsystem. Man muss
sich wundern, dass ausgerechnet eine sozialdemokratische Ministerin so etwas mitmacht.
({6})
Zu der Reform im Ganzen. Was haben wir zu erwarten? Die Kanzlerin hat ja vordem schon angekündigt: Es
wird teurer. Damit hat sie die Wahrheit gesagt. Sie hat
nur eine falsche Begründung gegeben. Wir haben zu erwarten, dass die Beitragssätze im nächsten Jahr mit Bestimmtheit auf 15 Prozent steigen. Manche Experten,
wie der Leiter des Wissenschaftlichen Instituts der AOK,
sagen bereits: 15,5 Prozent. Diese Steigerungen liegen
aber nicht, wie die Kanzlerin gesagt hat, an der Alterung
der Gesellschaft und am medizinischen Fortschritt. Mit
dieser Reform wird der medizinische Fortschritt nicht
befördert und es wird auch niemand länger leben. Das
einzige, was passiert, ist doch, dass es teurer wird.
({7})
Dafür ist die Koalition selbst verantwortlich. Sie hat die
Entkopplung vom Faktor Arbeit, die, wie alle erkannt
haben,
({8})
entscheidend ist, nicht vorgenommen. Sie tun nichts für
eine nachhaltige Finanzierung. Steuermittel gibt es am
Ende nicht mehr, sondern weniger.
({9})
Dann schreiben Sie auch noch eine Luftbuchung ins Gesetz, gewissermaßen: Demnächst - wenn die Morgenröte
kommt? - gibt es mehr Steuermittel. Das ist keine politische Lösung. Sie verschärfen das Finanzierungsproblem,
indem Sie den Steuerzuschuss für Familienleistungen
- bestritten aus dem Tabaksteueraufkommen - wieder
streichen. Die Krankenkassen werden im Jahre 2009
1,2 Milliarden Euro weniger an Steuermitteln zur Verfügung gestellt bekommen als im laufenden Jahr.
Das heißt, auf der Finanzierungsseite versagt die Koalition völlig vor der Aufgabe, das System zu reformieren. Heraus kommen höhere Beiträge und ein Zusatzbeitrag, den die Versicherten leisten müssen. Er wird das
Problem verschärfen, gerade für die armen Kranken, die
einkommensschwachen Versicherten. Ihre 8-Euro-Lösung ist dabei der Gipfel des Zynismus: Ausgerechnet
die Ärmsten sollen in Relation am meisten zahlen.
({10})
Schließlich beschließen Sie einen Gesundheitsfonds,
von dem niemand von Ihnen erklären kann, wozu er eigentlich gut sein soll.
({11})
Es gibt keine Begründung für diesen Fonds, er ist vollkommen nutzlos. Das Ganze nennen Sie eine Reform.
Da kann ich nur sagen: Eine Reform, bei der alle künftigen Kostenrisiken auf die Versicherten abgeladen werden und sonst nichts passiert, die verdient ihren Namen
nicht. Deswegen wird es Zeit, dass dieses Trauerspiel
vom Spielplan abgesetzt wird.
({12})
Das Wort hat der Kollege Hubert Hüppe für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach
den Beiträgen der Opposition darf ich vielleicht noch
einmal daran erinnern, worüber wir sprechen, nämlich
über die Folgen für die Beitragszahler und die Patienten.
({0})
Es wird niemanden verwundern, dass ich als Behindertenbeauftragter meiner Fraktion jetzt nicht für die
Gruppen spreche, die starke Lobbyisten hinter sich haben und finanziell gut ausgestattet sind, sondern über die
Menschen, um die es geht, nämlich über die Schwächsten, die Menschen mit Behinderungen, die alten Menschen, die schwerstkranken Menschen, die chronisch
kranken Menschen und die sterbenden Menschen.
({1})
Man kann ja vieles kritisieren - das steht einer Opposition auch zu -,
({2})
aber es wäre natürlich anständiger, wenn Sie nicht nur
sagen würden, dass das ein zynischer Gesetzentwurf ist
- ich komme noch dazu -, sondern wenn Sie auch darüber reden würden, dass es neue Leistungen geben
wird, die diesen Menschen in Zukunft mehr helfen werden.
({3})
Ich nenne Ihnen einfach ein paar Beispiele: Die geriatrische Reha wird in Zukunft finanziert werden. Kein
Mensch aus der Opposition erkennt das an. Ich meine, es
ist richtig, dass auch alte und pflegebedürftige Menschen
ein Recht und einen Anspruch auf Rehabilitation haben.
({4})
Das bedeutet nicht nur, dass der Grundsatz Reha vor
Pflege beachtet werden muss - diesen Grundsatz vertreten Sie eigentlich auch, Herr Spieth -,
({5})
sondern dass auch diejenigen, die gepflegt werden, einen
Anspruch auf Reha haben.
({6})
Als neuer Anspruch steht in dem Gesetzentwurf, dass
Menschen mit Behinderungen, die in Einrichtungen leben, demnächst auch eine häusliche Pflege erhalten. Das
ist bisher ein großes Problem für die Einrichtungen, weil
die Menschen diese häusliche Hilfe im Moment rein
technisch nicht bekommen können. Die Pflege wird von
den Einrichtungen wahrgenommen. Gerade die kleinen
Einrichtungen, die wir haben wollen - es geht nicht um
die großen Einrichtungen -, sind gar nicht in der Lage,
diese Hilfe zu leisten. Für diese Menschen tun wir das.
Die Leistungen für Schwerstkranke und für die Palliativmedizin - Frau Eichhorn wird gleich noch einmal darauf eingehen - werden gerade im ambulanten Bereich
verbessert. Genau das wollen wir. Wir wollen, dass die
Menschen - das ist auch der Wunsch der Menschen - zu
Hause in ihrer gewohnten Umgebung gepflegt werden
und dass sie nicht in Einrichtungen oder Krankenhäusern
sterben müssen, sondern dort, wo die meisten Menschen
sterben wollen, nämlich in ihrer heimischen Umgebung
bei ihren Verwandten. Das ist ein Akt der Nächstenliebe.
Krankenhäuser sind nämlich nicht dazu da, dass dort gestorben wird, sondern sie sind dazu da, dass die Menschen dort geheilt werden. Die Menschen sollten dort
sterben, wo sie es wollen und wo sie Liebe erfahren. Wir
haben diese Regelung vereinbart, um dies zu unterstützen.
({7})
Wichtig ist ferner, dass wir jetzt die Regelung einführen, dass die Krankenversicherungen auch dann Hilfsmittel zahlen, wenn die hundertprozentige Teilhabe von
Menschen mit Behinderungen in Zukunft nicht mehr
möglich sein wird. Es gab leider entsprechende Gerichtsurteile und die Krankenkassen haben sie umgesetzt. Auch in meinem Wahlkreis gab es ein Beispiel dafür. Dort wurde einer Frau mit ALS kein Elektrorollstuhl
mit einer Kopfsteuerung mehr genehmigt. Man sagte, sie
könne ja gar nicht mehr am Verkehr teilnehmen. Damit
sei die Teilnahme also nicht mehr gewährleistet.
Ich meine, es bedeutet ein Stück Menschenwürde,
wenn wir es diesen Menschen auch dann, wenn sie nicht
mehr am Straßenverkehr teilnehmen können, gestatten,
zum Beispiel in einer Einrichtung Selbstständigkeit
wahrzunehmen, sodass sie nicht darauf angewiesen sind,
von anderen beispielsweise in die Sonne hinein- oder aus
der Sonne herausgeschoben zu werden. Auch das steht
in unserem Gesetzentwurf.
({8})
Deswegen finde ich das, was die FDP in ihrer Pressemitteilung geschrieben hat, so perfide. Wir wollen nicht
bei den an Krebs Erkrankten abkassieren - wie es heißt -,
sondern wir wollen, dass mehr Menschen zur Vorsorge
gehen. Es wäre ja auch wirklich eine Idiotie, wenn es uns
ums Abkassieren ginge. Wenn wir sagen, dass die Menschen zur Vorsorge gehen sollen, dann wird das im
ersten Moment mehr Kosten verursachen, weil mehr
Menschen zur Vorsorge gehen. Unser Ziel ist, dass
Krankheiten frühzeitig erkannt werden und rechtzeitig
eingegriffen werden kann, damit die Menschen länger
leben können.
({9})
Ich bitte Sie um Folgendes: Sie können mit uns über
alles reden, aber nehmen Sie einen anderen Stil an, damit
es für die Menschen zu einer Reform kommt. Wir verfolgen vielleicht unterschiedliche Wege, aber zumindest
sollten wir uns nicht unterstellen, dass wir den Menschen nicht helfen wollen.
Vielen Dank.
({10})
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege
Dr. Konrad Schily.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch
wenn ich noch immer ein bisschen neu im Bundestag
bin: Das GKV-Modernisierungsgesetz hat mich von Anfang an begleitet. Ich habe mich immer gefragt: Warum
wird dieses Gesetz gegen alle Widerstände durchgepeitscht?
({0})
Ich sehe nur einen Gewinner: die staatliche Verwaltung,
den Apparat.
({1})
Dieses Gesetz wird auch mit sozialen Argumenten
verteidigt. Um einen Machtzuwachs, nämlich die Staatsmedizin, zu erreichen, ist manchen fast jedes Mittel
recht, auch das der Täuschung. Der jetzige Referenten5454
entwurf trägt den Titel „GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz“. Eigentlich aber wird der Wettbewerb aufgehoben.
({2})
Dahinter stehen Zwangsfusion und Gleichschaltung; das
kann man so sagen.
({3})
- In der Wirkung ist das so.
Wir haben über den Fonds gesprochen und gehört,
dass er 2009 eingeführt werden soll. 20 Jahre nachdem
das Volk der DDR den Fonds in der DDR beseitigt hat,
sind wir beim Wandel durch Rückschritt statt durch Annäherung angekommen. Wir sind auf dem Weg in die
Vergangenheit.
({4})
Es wird hier von der Solidargemeinschaft gesprochen.
Eine Solidargemeinschaft ist die Vereinigung von Freien
und Gleichen.
({5})
Die Solidargemeinschaft, die ich in Ihrem Gesetzentwurf
wiederfinde, ist die Kollektivierung von Menschen
durch Apparate. Das hatten wir schon. Das hat nichts mit
Solidarität zu tun.
({6})
- Nein, eine Staatsmedizin hat sich in der ganzen Welt
noch nie bewährt.
Die Therapiefreiheit bleibt dabei auf der Strecke. Das
freie vertragliche Miteinander der Leistungserbringer
wird durch Zwänge ersetzt.
({7})
Die Bürger werden durch höhere Kassenbeiträge, weitere Zuzahlungen und höhere Steuern zur Kasse gebeten.
({8})
Im Klartext bedeutet das: weniger medizinische Leistungen, erheblich höhere Kosten für den Bürger und mehr
Verwaltung. Besser wird es dadurch ganz sicher nicht.
({9})
Es ist eine Reform - das habe ich gesagt - in Richtung Vergangenheit.
Wenn alle anderer Meinung als der Einzelne sind
- dafür gibt es einen psychiatrischen Begriff -, dann
kann er sagen: Alle anderen spinnen. Es könnte aber
auch sein, dass der Einzelne eine überwertige Idee entwickelt und die anderen gar nicht mehr wahrnehmen
kann.
({10})
Wenn ich ein Ideal zu einer Ideologie mache, dann kann
die Ideologie eine überwertige Idee werden. Diese ist
nach psychiatrischen Begriffen meist krankhaft.
({11})
Der Zug fährt in Richtung Vergangenheit, in ein
Zwangssystem. Er fährt nicht in Richtung eines wirklich
sozialen Systems, in dem dem Einzelnen tatsächlich geholfen werden kann, Herr Hüppe. Ich weiß, wovon ich
rede.
({12})
Ich habe viele Briefe von Privatversicherten bekommen,
die mir bestätigt haben, wie gut es ihnen mit ihrer Kasse
geht - und zwar von den weniger gut Verdienenden.
({13})
- Hören Sie doch auf! Dass bei den privaten Krankenversicherungen nur Reiche versichert sind, ist wieder
eine Ihrer Ideologien. Sie kennen die Zahlen und wissen
genau, dass 80 Prozent der Mitglieder der privaten Krankenkassen geringer Verdienende sind.
({14})
Ich denke, der Zug in die Vergangenheit muss aufgehalten werden. Franz Josef Strauß, der sicherlich kein
Mann der FDP war, hat einmal gesagt: Wenn der Zug in
die falsche Richtung fährt, dann sind alle einzelnen Stationen falsch. Ich hoffe, dass der Widerstand gegen diesen Zug anhält und nachhaltig ist. Einen Zug kann man
nicht während der Fahrt wenden,
({15})
man muss ihn aufhalten und neu auf die Schienen setzen,
aber in die richtige Richtung. Dafür steht die FDP.
Vielen Dank.
({16})
Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Jella
Teuchner.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und
Damen! Es ist keine Frage: Die Gesundheitsreform wird
uns in den Gremien noch intensiv beschäftigen. Es besteht - das wird auch heute deutlich - noch gehöriger
Beratungsbedarf.
({0})
Spannend ist aber, dass ausgerechnet die FDP die
Koppelung der Chronikerregelung mit der Teilnahme an
Vorsorgeuntersuchungen so vehement ablehnt.
({1})
Es ist doch Ihr Credo, dass die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen auf das gesundheitlich
Notwendigste abgespeckt werden sollten. Sind das die
Anreize, die Sie geben wollen? Wer Sport macht und daher gesünder lebt, muss selbst zahlen; eine Vorsorgeuntersuchung kann man nicht verlangen. Was ist das für
eine Logik? Ich finde es sehr eigenartig, wie Sie Eigenverantwortung definieren.
({2})
Wie finanzieren wir die Krankenversicherungen? Wer
muss welchen Beitrag leisten? Woher kommt das Geld?
Das sind die Fragen, die wir beantworten müssen.
Eigentlich haben wir eine gute Antwort: Da man auch
krank wird, wenn man sich gesund ernährt und Vorsorgeuntersuchungen wahrnimmt, muss das Lebensrisiko
Krankheit von allen gemeinsam getragen werden.
({3})
- Ja, das machen wir doch.
Die Gesundheitsreform ist keine Spielwiese für Populismen. Die Diskussion darüber darf nicht dazu führen,
dass Egoismen zu Gerechtigkeit umdefiniert werden. Es
geht darum, die Finanzierung des Lebensrisikos Krankheit auch in Zukunft solidarisch zu organisieren. Die
Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherungen
sind Mitglieder einer Solidargemeinschaft, die auch in
Zukunft tragfähig gestaltet werden muss.
({4})
Wenn vorgeschlagen wird, Sportunfälle aus dem Leistungskatalog zu streichen, persönliche Rückstellungen
zu bilden und den Zusatzbeitrag über die maximalen
5 Prozent steigen zu lassen, dann ist das keine Generationengerechtigkeit. Es ist schlicht und einfach ein großer Schritt aus der Solidargemeinschaft heraus.
({5})
Das gilt auch dann, wenn wir aus der einen Solidargemeinschaft 16 Ländersolidargemeinschaften machen
sollen. Ohne einen Einkommensausgleich und einen
funktionierenden Risikostrukturausgleich ist das nicht
möglich. Andernfalls wird es einen Wettbewerb um die
guten Risiken geben, der der gesetzlichen Krankenversicherung schadet.
Gleichzeitig brauchen wir eine kostendeckende
Finanzierung. Wenn wir stattdessen auf einen Preiswettbewerb setzen, droht eine Verschlechterung der Leistungen, zum Beispiel durch die Streichung der Satzungsleistungen oder die Einschränkung der im SGB V als
Kann- oder Ermessungsleistung definierten Maßnahmen. Es kann auch nicht sein, dass versicherungsfremde
Leistungen allein aus dem Beitragsaufkommen der abhängig Beschäftigten finanziert werden.
({6})
Dies würde das System der gesetzlichen Krankenkassen
in seinem Bestand gefährden.
({7})
Eine Gesundheitsreform, die zwar das Gebäude der
gesetzlichen Krankenversicherung erhält, ihm aber das
Fundament entzieht, wird die solidarische Krankenversicherung zum Einstürzen bringen. Es geht im Gegenteil
darum, das Fundament zu stärken. Eine Verbreiterung
der Beitragsgrundlage wäre sicherlich die sinnvollste
Lösung gewesen. Die Alternative ist, über eine spürbare
Steuerfinanzierung die Einbeziehung aller in die Solidarität zu organisieren. In diese Richtung müssen wir die
Weichen stellen.
({8})
Für die Unionsfraktion spricht nun die Kollegin
Maria Eichhorn.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Medizin hat im 20. Jahrhundert ungeheure Fortschritte gemacht. Der medizinisch-technische Fortschritt hat einen
Umfang angenommen und eine Geschwindigkeit entwickelt, die ihn kaum noch kontrollierbar erscheinen lassen. Dieser medizinische Fortschritt hat Chancen gebracht, aber auch Fragen aufgeworfen.
Das Thema Sterben und Tod hat dabei einen neuen
Stellenwert bekommen. Der Entwurf zur Gesundheitsreform trägt dem Rechnung; denn es geht darum, auch unter veränderten Bedingungen ein Sterben in Würde zu
ermöglichen, Sterbenden ein menschenwürdiges Umfeld
zu schaffen und dabei deren Wünsche und Bedürfnisse
in den Mittelpunkt zu stellen.
({0})
Die meisten Menschen wollen zu Hause sterben und
nicht allein gelassen werden. Viele Menschen haben
Angst vor Fremdbestimmung, Einsamkeit und Schmerzen am Ende des Lebens. Aus dieser Angst heraus meinen manche, aktive Sterbehilfe wäre eine Antwort.
Unsere Antwort ist Schmerzlinderung und Sterbebegleitung.
Die Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ forderte in der letzten Legislaturperiode zu Recht die Verbesserung der medizinischen,
pflegerischen und psychologischen Bedingungen in der
letzten Lebensphase. Für CDU und CSU war es daher
sehr wichtig, dass in unserer Koalitionsvereinbarung die
Stärkung von Hospizarbeit und Palliativmedizin festgeschrieben wurde. Dem trägt der jetzt vorliegende Entwurf zur Gesundheitsreform Rechnung.
({1})
Die bisherigen Regelungen im SGB V zur stationären
und ambulanten Hospizarbeit werden entsprechend den
Erfordernissen ergänzt. Wir, die Union, begrüßen sehr,
dass die integrative hospizliche Versorgung in das Gesundheitsreformpaket aufgenommen wurde. Das bedeutet die Erweiterung der Leistungen der Krankenversicherung und baut auf die hervorragende Arbeit der
stationären und ambulanten Hospizdienste auf.
In Zukunft erhalten die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung einen eigenständigen Anspruch auf eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung. Es handelt sich hierbei um eine Gesamtleistung
mit ärztlichen und pflegerischen Leistungsanteilen. Bei
Bedarf kann die Versorgung rund um die Uhr erbracht
werden. Damit ist es möglich, den Wunsch zu erfüllen,
bis zum Tode in der vertrauten häuslichen Umgebung
betreut zu werden. Dieser neue Leistungsanspruch steht
Patienten zu, die nur noch eine begrenzte Lebenserwartung haben, aber trotz des besonderen Versorgungsbedarfs zu Hause versorgt werden können. Nach Berechnungen der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin
trifft dies auf etwa 10 Prozent aller Sterbenden zu. Die
übrigen Palliativpatienten werden weiterhin in den bisherigen Strukturen, zum Beispiel stationär, versorgt.
Die Leistung kann nicht nur von Vertragsärzten, sondern auch von entsprechend qualifizierten Krankenhausärzten verordnet werden. Das hat den Vorteil, dass im
Anschluss an eine Krankenhausbehandlung ohne zeitliche Verzögerung die spezialisierte ambulante Palliativversorgung ermöglicht wird. So können die Sterbenden
wieder aus den Krankenhäusern heraus und in das häusliche oder in ein anderes vergleichbares Umfeld zurückgeholt werden.
Mit der gesetzlichen Absicherung des Leistungsanspruchs auf eine bedarfsgerechte Palliativversorgung
wird die ambulante Pflege am Lebensende erheblich verbessert und eine Vernetzung der vorhandenen Strukturen
erreicht. Die bereits bestehenden Palliativ-Care-Teams
haben sich hervorragend bewährt und können nun bedarfsgerecht eingerichtet werden. Das wird vor allem
Patienten außerhalb von Ballungsräumen zugute kommen.
Auch die Rahmenbedingungen für Kinderhospize
werden verbessert. Damit wird eine schon lange bestehende Forderung erfüllt. Darüber hinaus wird künftig die
häusliche Krankenpflege in neuen Wohngemeinschaften
und Wohnformen sowie in besonderen Ausnahmefällen
auch in Heimen als Leistung gewährt. Ein wichtiger
Fortschritt ist zudem, dass in Zukunft geriatrische Rehaleistungen als Pflichtleistungen der Krankenkassen erbracht werden.
Wir wünschen jedem, dass er bis zu seinem Lebensende gesund bleibt und im Kreise seiner Angehörigen
ohne Schmerzen für immer sanft einschläft. Wir wissen
aber, dass dies nur einem Teil der Menschen gegönnt ist.
Mit der geplanten Gesundheitsreform wird jedoch ermöglicht, dass die segensreiche Arbeit der Palliativmedizin und der Hospize auch den Menschen zugute
kommt, deren größter Wunsch es ist, zu Hause sterben
zu dürfen.
({2})
Das Wort hat der Kollege Dr. Karl Lauterbach für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich wollte mich eigentlich auf den Bereich der
Prävention konzentrieren. Aber ich mache vorab ein
paar allgemeine politische Bemerkungen, die mir spontan eingefallen sind.
({0})
Diese richten sich an Sie, Kolleginnen und Kollegen von
der Union. Ich muss bei Ihnen Abbitte leisten. Wir haben
uns in den Auseinandersetzungen zum Teil nichts geschenkt. Aber sie waren immer von einem konstruktiven
Geist getragen. Was man an Ihnen hat, lernt man, wenn
man den Populismus, die Niveaulosigkeit und die Herzlosigkeit der FDP sieht. Das ist ohne Wenn und Aber
meine Position.
({1})
Herr Kollege Dr. Schily, gerade von Ihnen hätte ich
mehr erwartet. Ihre Rede läuft doch darauf hinaus - Herr
Bahr, konzentrieren Sie sich! -,
({2})
dass Sie jeden, der mit der Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherung nicht einverstanden ist, als
psychisch krank erklären.
({3})
- Doch, darauf läuft es hinaus. - Privatisierung ist alles,
was Sie hier zu bieten haben. So weit meine politische
Stellungnahme.
({4})
Ich komme zum Sachlichen zurück.
({5})
Ich spreche über die Präventionsregelung, die einer der
Gründe ist, warum wir hier diskutieren. Worum geht es
überhaupt? Es geht um die Check-up-Untersuchungen
der über 35-Jährigen, beispielsweise um die KrebsfrühDr. Karl Lauterbach
erkennung bei Männern und Frauen. Wir dürfen das
Ausgangsproblem nicht vergessen: Diese sinnvollen
Leistungen werden bislang sowohl von Frauen als auch
von Männern zu wenig genutzt. Die Check-up-Untersuchung, mit der man Schlaganfälle, Herzinfarkte und Diabetesfälle rechtzeitig erkennt, wird von nur 17 Prozent
der Bevölkerung wahrgenommen. Bei der Krebsvorsorge ist es nicht viel besser. Diese Möglichkeit wird von
nur 19 Prozent der Männer und 47 Prozent der Frauen
wahrgenommen. Das heißt, der allergrößte Teil der Vorsorge wird nicht in Anspruch genommen.
Es ist richtig, dass nicht jede Vorsorgeuntersuchung
sinnvoll ist; das stimmt ohne Wenn und Aber.
({6})
Zudem wird nicht jede Vorsorgeuntersuchung in guter
Qualität angeboten, wohl aber die meisten. Wir haben
hier ein riesengroßes Potenzial. Wenn wir die Inanspruchnahme der Vorsorge stärken, dann können wir
Zehntausende Herzinfarkte, Schlaganfälle und Komplikationen bei Diabetes pro Jahr verhindern. Hier geht es
nicht nur ums Geld, sondern um Menschlichkeit und
Qualität. Vergessen Sie nicht: Zwei Drittel der Menschen, die hier sitzen, werden statistisch gesehen an den
erwähnten Erkrankungen sterben. Zwei Drittel! Herr
Kollege Bahr, daher darf hier nicht die übliche parteipolitische Polemik auf niedrigem Niveau betrieben werden. Dafür ist die Sache zu ernst.
({7})
- Mir wird die Frage gestellt, was die Früherkennung
den Männern bringt. Das kann ich beantworten, Frau
Bender.
({8})
- Sie haben nach der Früherkennung gefragt.
({9})
- Sie haben zuerst einmal von der Früherkennung gesprochen. Bei der Früherkennung ist es so: Bluthochdruck wird früh erkannt, die Zuckerkrankheit wird früh
erkannt und das Risiko eines Schlaganfalls wird früh erkannt. Wichtig ist auch die Früherkennung von Prostatakrebs mittels der Tastuntersuchung. Ich spreche nicht
von dem Antigentest, dem PSA-Test.
({10})
- Nein, aber es steht in den Richtlinien.
({11})
Lesen Sie, Frau Bender, bevor Sie kritisieren, und
konzentrieren Sie sich auf die Richtlinien des Bundesausschusses!
({12})
Da ist genau dargestellt, dass der von Ihnen kritisierte
Antigentest bei der Prostatauntersuchung überhaupt
nicht betroffen ist. Der Test ist umstritten.
({13})
- Nein, Sie faseln über etwas, das Sie nicht wissen. Die
Wahrheit ist: Sie wussten nicht, dass diese Regelung
überhaupt nicht betroffen ist. Das ist doch der Hintergrund. Genauso ist es.
({14})
Ich sage das deshalb, weil es sich hier um einen wichtigen Bereich handelt. Meine Redezeit läuft wegen der
unqualifizierten Bemerkungen ab.
({15})
Das Potenzial dieser Regelung darf nicht unterschätzt
werden. Hier geht es um Zehntausende Fälle von
Schlaganfällen und Herzinfarkten. Ausgerechnet die
FDP schwingt sich hier zum Schützer derjenigen auf, die
zu viel zuzahlen müssen. Das muss man sich einmal
überlegen!
({16})
Die FDP, die noch über die Oettinger-Forderung, dass
bis zu 10 Prozent des Einkommens zugezahlt werden
sollen, hinausgeht und Zuzahlungen und die Privatversicherung für das alleinige Allheilmittel für die Lösung
der Probleme der Krankenversicherung hält, schwingt
sich heuchelnd zum Schützer der Einkommensschwachen vor einer Überforderung auf! Das ist nicht überzeugend!
({17})
Hier muss die Regierung die Linie halten. Das ist eine der
vernünftigsten Regelungen, die wir eingeführt haben.
({18})
Ich komme zum Schluss: Meine Damen und Herren,
bringen Sie sich bei der sinnvollen Gestaltung dieser Regelung ein. Das ist aus meiner Sicht eine Regelung, die
mehr Menschen helfen und mehr Kosten senken wird als
vieles andere in diesem Gesetz.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({19})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Peter
Albach.
({0})
Werte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und
Kollegen! Herr Kollege Bahr und Herr Kollege Schily,
meinen Sie mit Freiheit und Wettbewerb das System der
USA, ein System, in dem 40 Millionen Menschen nicht
versichert sind?
({0})
- Dann wäre es günstig, wenn Sie sich einmal dazu erklären würden.
Diese Aktuelle Stunde steht unter der Überschrift „Finanzielle Folgen für Beitragszahler und Patienten bei
Verwirklichung des von der Koalition vorgelegten Gesetzes zur Gesundheitsreform“. Ich füge ergänzend
hinzu: Wir reden über das, was hier als Vorlage kommen
wird. Wir reden also ausdrücklich nicht über ein eigenes
Projekt der FDP-Fraktion, sofern es dieses denn gäbe.
Sie werden auf Dauer im Lichte der kritischen Öffentlichkeit nicht bestehen können, wenn Sie mangels eigener Gedanken und ohne ein eigenes, geistig inspiriertes
Gesundheitsprojekt - einmal abgesehen von sehr einfach
gehaltenen Zeitungskolumnen - das Koalitionsvorhaben
lediglich populistisch attackieren.
({1})
Dass Sie in die Formulierung zum Verlangen der Aktuellen Stunde nun auch noch den Patienten neben den
Beitragszahler hineingequetscht haben, passt in Ihre
populistisch angelegte Logik, ist aber nicht zielführend.
Das Wort „Patient“ ist bekanntermaßen dem Lateinischen entlehnt und bedeutet im ursprünglichen Sinne
denjenigen, der leidet, also den Leidenden, auch denjenigen, der erduldet, nicht unbedingt auch den Abgeordneten. Der Patient, werte Kollegen der FDP, ist also ausdrücklich keine fiskalische Kategorie, sondern
zuallererst eine menschliche. Dieser Leidende möchte
von seinem Leiden befreit werden - auch wenn Sie das
nicht verstehen, ich sage es Ihnen trotzdem -, er möchte
eine Behandlung nach dem besten Stand des medizinischen Fortschritts, er möchte im Bedarfsfall ein inländisches Krankenhausbett - möglichst wohnort- und zeitnah -, er möchte den schnellstmöglichen Arztbesuch, er
möchte Rehamaßnahmen einschließlich Kuren und er
möchte zudem Vorsorge und Prävention. Er möchte also
Teilhabe an einem Gesundheitswesen und dies vor allem
unabhängig von seiner Krankenversicherung und seinem
Einkommen.
({2})
Er - natürlich auch sie; es gibt auch weibliche Leidende; ich möchte mit der Gleichstellungsbeauftragten
kein Problem bekommen - möchte etwas, womit sich
alle zivilisierten Staaten schwer tun und was es in der
Gesamtheit so gar nicht gibt, zumindest nicht ohne erhebliche Zuzahlungen. Für eine sachliche Bewertung der
Vorgänge hier bei uns in Deutschland sollten wir die Regelungen in anderen Staaten zur Kenntnis nehmen oder
wenigstens erwähnen.
Sehen wir uns die nordischen Länder an. Unabhängig
davon, dass der Mehrwertsteuersatz dort im Regelfall
bei 25 Prozent liegt - dieser Umstand allein würde der
FDP schon genügen, Deutschlands definitiven Untergang festzustellen und jeden und alles hier und draußen
zusammenzuschreien; aber das ist ein anderes Thema -,
({3})
sollten wir schon zur Kenntnis nehmen, dass der Leidende beispielsweise nach den Bestrebungen Schwedens
die Möglichkeit erhalten soll - das ist eine Absichtserklärung -, innerhalb einer Woche einen Hausarzt und innerhalb von drei Monaten einen Facharzt aufzusuchen.
Wartelisten für Krankenhausbetten sind üblich, und zwar
von Dänemark bis Norwegen. Wir dürfen der Öffentlichkeit in diesem Zusammenhang auch nicht vorenthalten,
dass es beispielsweise eine „Patientenbrücke Norwegen“
gibt, da Norwegen nicht mehr in der Lage ist, eine ausreichende einheimische Krankenversorgung sicherzustellen. Norwegische Patienten, also zweifelsfrei auch
Leidende, werden in zunehmendem Maße im Ausland,
sprich: in Deutschland, versorgt. So viel, Herr Kollege
Spieth, zu einer Bürgerversicherung.
({4})
Frankreichs Gesundheitswesen ist eines der besten
nach der - zugegebenermaßen umstrittenen - Bewertung
der WHO. Die gesetzliche Krankenversicherung dort ersetzt nur 75 Prozent der Arztkosten und rund 70 Prozent
der Arzneimittelkosten. Das sollte man schon wissen,
wenn man über das Gesundheitsreformvorhaben der großen Koalition so abwertend redet.
({5})
- Ich habe leider nur noch wenig Zeit. - Anders als in
Deutschland müssen die gesetzlich Versicherten in
Frankreich ambulante Leistungen wie Hausarztbesuche
vorfinanzieren und können dann einen Rückerstattungsanspruch bei ihren Kassen geltend machen. Dies ist nur
ein Beispiel, aber ein signifikantes.
Ich plädiere für mehr Sachlichkeit in der Diskussion
sowie insbesondere und ausdrücklich für eine gesamtheitliche Betrachtung. Eine solche Betrachtung ist zugegebenermaßen politisch nicht unbedingt opportun, aber
hilfreich und nützlich, zumindest im Umgang mit denen,
für die wir uns hier alle engagieren, für die Leidenden,
sprich: die Patienten. Vor allem ist es auch finanzierbar.
Wir reden nämlich über ein System, das 240 bis
250 Milliarden Euro verbraucht.
Ich komme nun zum Schluss. Jeder Wandel erzeugt
auch Ängste. Das gilt für jeden Bereich unseres menschlichen Daseins. Sie als Opposition - das gilt insbesondere für die FDP - sollten Ihre vornehmste Aufgabe aber
nicht darin sehen, diese Ängste zu schüren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
- Mehr Sachlichkeit, Herr Bahr!
Das Wort hat der Kollege Peter Friedrich von der
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Gestatten Sie mir zu Beginn, dem Kollegen
Hüppe für seinen Beitrag zu danken. Er hat nämlich in
sachlicher und auch eindringlicher Art und Weise geschildert, was die Patienten von dieser Reform wirklich
haben werden. Ich glaube, das war sinnvoll und auch die
richtige Antwort auf die Fragen, die mit der Ursprungsmotivation zur Beantragung dieser Aktuellen Stunde
einhergingen.
({0})
Kollege Bahr und Kollege Schily haben hier ein Bild
gemalt, das den Eindruck erweckt, dass dem Wettbewerb
mit dieser Reform der Garaus gemacht wird und wir eine
Art kollektivistische Staatsmedizin bekommen.
({1})
Der Kollege Spieth wiederum hat behauptet, dass es mit
dieser Reform einen gnadenlosen Wettbewerb um den
Gesunden gibt.
({2})
Offensichtlich ist keines von beidem richtig.
({3})
Betrachten wir doch einmal die heutige Situation: In
der GKV gibt es eine Beitragssatzspreizung von fast
4 Prozent. Der Beitragssatz in der billigsten gesetzlichen
Krankenkasse liegt momentan bei 11,3 Prozent, während
der Beitragssatz in der teuersten gesetzlichen Krankenkasse bei knapp 15 Prozent liegt. Das heißt, bereits heute
ist es so, dass Versicherte für exakt gleiche Leistungen
Beiträge bezahlen, die bis zu 50 Euro differieren. Ich
wiederhole: für exakt gleiche Leistungen. Ich frage
mich, ob dieses System tatsächlich gerecht ist. Allein
durch das Wechseln der Kasse aufgrund des unterschiedlichen Beitragssatzes entstehen für die GKV in diesem
Jahr Kosten in Höhe von 1 Milliarde Euro. Der Wettbewerb ist lediglich an den Beitragssätzen ausgerichtet. Es
gibt bei uns keinen Wettbewerb um Leistungen und
Leistungsversorgungen. Diese Reform dient genau dazu,
diesen Wettbewerb zu schaffen.
({4})
Wir statten die Kassen mit der Möglichkeit aus, Verträge mit den Leistungserbringern zu schließen - zum
ersten Mal in dieser Form.
({5})
Es braucht auch Kollektivverträge - das wissen wir -,
({6})
um einheitliche Maßstäbe zu bekommen. Aber sie werden zum ersten Mal in der Lage sein, tatsächlich Direktverträge mit den Leistungserbringern zu schließen und
damit einen Wettbewerb um Leistung, um Qualität zu
starten.
Wer glaubt, dass das nicht funktioniert, muss sich einmal anschauen, was im Bereich der integrierten Versorgung in den letzten Jahren bereits gewachsen ist. Die
Kassen beklagen, dass sie unter gleichen Bedingungen
miteinander konkurrieren sollen. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass sie das nicht wollen, sondern das lieber
über unterschiedliche Beitragssätze tun wollen.
Es kann nicht sein, dass man in einer Debatte über die
Frage, wo die Belastungen sind, noch das Hohelied der
Rosinenpickerei singt.
({7})
Das kann es doch wirklich nicht sein. Es wird gepredigt,
dass die Kasse die beste ist, die es am besten schafft,
Risiken, das heißt kranke Versicherte abzuwehren.
({8})
Das ist nicht die beste Kasse. Die beste Kasse ist die, die
die Menschen mit ihren Krankheiten richtig versorgt.
Darum geht es in dieser Reform.
({9})
Ich möchte noch auf einen speziellen Punkt eingehen,
der mich bei der FDP immer wundert.
({10})
Bei der Frage des Wettbewerbs sagen Sie immer, das
PKV-System sei dem GKV-System überlegen. Erstens
ist es doch seltsam, dass sich die PKV auf genau das kapriziert, was die GKV macht. Es gibt aber noch einen
zweiten Punkt, der mich wundert. Wir haben heute ein
System, in dem die Versicherten, wenn sie sich in jungen
Jahren einmal für eine private Versicherung entschieden
haben, ihr Leben lang daran gebunden sind, egal was in
der PKV passiert. Genau an dieser Stelle setzen wir an.
In Zukunft können sie wechseln, auch zwischen den privaten Kassen. Ich weiß, dass auch Sie das eigentlich
wollen.
({11})
Das muss man dann aber auch sagen, wenn man hier
pauschal erklärt, es werde keinen Wettbewerb mehr geben.
({12})
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die
Frage der Demografiefestigkeit und der Vorsorge. Ich
habe im Bereich Rente immer dafür gekämpft, schon bei
den Jusos, dann auch bei der SPD - das war ein harter
Kampf -, dass wir zu mehr Kapitaldeckung kommen.
({13})
Im Bereich der Gesundheit muss man aber einmal eine
ehrliche Rechnung aufmachen, Herr Kollege Bahr. Im
Bereich Gesundheit haben wir es mit zwei Effekten zu
tun. Zum einen haben wir schon heute einen extremen
Finanzierungsdruck. Da wollen Sie, dass wir heute zusätzlich auch noch Geld für zukünftige Generationen ansparen.
({14})
Was wollen Sie den Menschen heute noch alles zumuten? Sie wissen doch ganz genau, dass die PKV bis heute
eine verlässliche Antwort auf die Frage schuldig geblieben ist, ob die Rücklagen überhaupt ausreichen, die
Mehrkosten, die durch demografischen Wandel und medizinischen Fortschritt entstehen, zu decken.
({15})
Sie wissen aus den Erfahrungen aus dem Ausland auch,
dass die Leistungserbringer ihre Strategie darauf ausrichten, an den Kuchen, der dann definiert ist, auch heranzukommen.
({16})
Deswegen glaube ich auch, dass wir gerade für die junge
Generation ein System haben müssen, in dem die Umlagefinanzierung weiterhin enthalten ist.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat die Kollegin Elke Ferner aus der SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Kollegen und Kolleginnen! Herr Bahr, es ist wirklich
nett, wie Sie Ihre Aktuellen Stunden immer beantragen.
({0})
Sie haben zu Beginn beklagt, dass die Verbände die Unterlagen so spät bekommen haben und es doch wirklich
skandalös ist, dann eine fundierte Stellungnahme zu erwarten. Ich sage Ihnen jetzt einmal Folgendes: Schon
vor Montag waren von Verbänden Stellungnahmen zu
Vorentwürfen zu hören,
({1})
Angesichts dessen kann ich nicht nachvollziehen, dass
Sie die Kürze der Zustellungsfrist kritisieren. Alle Verbände hatten die Unterlagen schon. Der letzte Entwurf
ist allerdings - das ist richtig - etwas spät zugestellt worden.
({2})
Wenn ich einen Verband und die Interessen eines Verbandes vertreten müsste, dann wäre ich dahin gegangen
und hätte gesagt: Ich kann noch keine abschließende
Stellungnahme abgeben. - An vielen Punkten ist aber in
der letzten Woche überhaupt nichts mehr geändert worden. Insofern hätten die Verbände zu den anderen Punkten ihre Stellungnahme durchaus abgeben können.
({3})
- Das müssen Sie die Verbände fragen!
Zweiter Punkt. Sie haben eben beklagt, dass wir an
der Umlagefinanzierung in der gesetzlichen Krankenversicherung festhalten.
({4})
- Sie haben das eben beklagt; Sie können es im Protokoll wahrscheinlich nachlesen. - Wenn Sie Altersrückstellungen auch in der gesetzlichen Krankenversicherung wollen, dann müssen Sie den Menschen bitte schön
auch sagen, dass das heißt: höhere Beitragssätze,
({5})
und zwar über das hinaus, was ohnehin notwendig ist,
damit die Einnahmen die Ausgaben der gesetzlichen
Krankenversicherung auch decken.
({6})
- Das wissen weder Sie noch ich.
({7})
Aber auch weder Sie noch ich wissen, ob die private
Krankenversicherung - die im Moment noch eine etwas
günstigere Altersstruktur und ohnehin eine günstigere
Versichertenstruktur hat, weil sie als Krankenversicherung bisher immer nur Gesunde aufgenommen hat und
nie Kranke - überhaupt in der Lage ist, das, was an Lasten noch auf sie zukommt, über ihre Altersrückstellungen zu finanzieren.
({8})
Ich finde es wirklich zynisch, dass Sie ein Umlagesystem diskreditieren, in dem meine Eltern, als sie jung
waren, die Gesundheitskosten für meine Großeltern gezahlt haben,
({9})
meine Generation die Kosten für die Generation meiner
Eltern und die jüngere Generation unsere Kosten zahlt.
Es gibt nichts Besseres, als dass Menschen für Menschen bezahlen. Kapital für Menschen, das wird auf
Dauer nicht funktionieren.
({10})
Wir können ja in ein paar Jahren noch einmal darüber
diskutieren.
({11})
Ein weiterer Anwurf war, die Versorgung werde
durch diese Reform schlechter.
({12})
- Nein, zynisch ist, was Sie diese Woche auch bei dem
Thema Vorsorgeuntersuchungen gemacht haben. Sie
propagieren ständig Eigenverantwortung. Wenn Sie Eigenverantwortung sagen, dann meinen Sie, die Versicherten sollen alle Kostensteigerungen der Zukunft alleine bezahlen und sich am besten in einer privaten
Krankenversicherung versichern, mit Risikoprüfung und
Risikozuschlägen, auch wenn sie krank sind oder Behinderungen haben. Diese Menschen kommen in die private
Krankenversicherung heute überhaupt nicht hinein; sie
sollen aber alles privat machen. Das ist das, was die FDP
meint, wenn sie von Eigenverantwortung spricht.
({13})
Wenn wir von Eigenverantwortung sprechen, meinen
wir, dass die Angebote an Vorsorgeuntersuchungen, die
es bereits gibt, verstärkt in Anspruch genommen werden
sollen. Bei manchen Krankheiten geht es schließlich
schlicht darum, ob man sie überlebt, wenn sie früh genug
erkannt werden. Das sollten auch Sie eigentlich wissen.
Jetzt eine solche Panik zu veranstalten, ist in höchstem
Maße unseriös und zynisch.
({14})
Es ist gesagt worden, die Versorgung werde mit dieser
Reform schlechter. Dies ist aber die erste Gesundheitsreform seit langem, die ohne Leistungskürzungen auskommt. Es wird keine Leistung aus dem gesetzlichen
Leistungskatalog ausgegliedert.
({15})
Im Gegenteil werden zusätzliche Leistungen verankert:
Hospize, die Palliativversorgung, die geriatrische Reha,
Impfungen, die Eltern-Kind-Kuren, all das kommt neu in
den Pflichtleistungskatalog hinein. Denjenigen, die zu
Recht sagen, wir bräuchten eine breitere Finanzierungsbasis, kann ich nur sagen: Wir haben derzeit für eine solche breitere Finanzierungsbasis keine Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat. Aber ich kann Ihnen für meine
Fraktion genauso wie für meine Partei versichern, dass
wir an dem Ziel der Bürgerversicherung
({16})
und auch an einer deutlichen Verbreiterung der Bemessungsgrundlage festhalten. Die Umsetzung ist nur leider
jetzt nicht möglich gewesen.
({17})
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet und wir sind
am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 19. Oktober 2006,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.