Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/18/2006

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Schönen guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht zur Lage auf dem Ausbildungsmarkt. Das Wort für den einleitenden Bericht von fünf Minuten erteile ich dem Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos.

Michael Glos (Minister:in)

Politiker ID: 11000691

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat sich heute, wie Sie richtig gesagt haben, unter anderem mit der Situation auf dem Ausbildungsmarkt beschäftigt. Auch der Lenkungsausschuss des Nationalen Paktes für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs hat am Montag sehr intensiv über dieses Thema beraten. Die Lage ist wesentlich besser, als sie in der Presse zum Teil dargestellt wird. Allerdings sehe ich sie noch nicht als zufriedenstellend an. Auf der einen Seite gibt es zwar deutlich mehr Angebote und Ausbildungsverträge als im Vorjahr. Auf der anderen Seite gibt es aber auch mehr unversorgte Bewerber, weil die Zahl der Bewerber aufgrund der vielen Altfälle stärker angestiegen ist. Die Wirtschaft hat die im Ausbildungspakt gegebenen Zusagen in 2006 mehr als erfüllt. 30 000 neue Ausbildungsplätze und 25 000 EQJ-Plätze wurden zugesagt. Tatsächlich wurden 55 800 neue Ausbildungsplätze eingeworben und 32 600 Plätze für betriebliche Einstiegsqualifizierungen zur Verfügung gestellt. Damit wurden die versprochenen Zahlen übertroffen. Trotz schwieriger Beschäftigungslage konnten also mehr Ausbildungsplätze angeboten werden. Das zeigt, dass die kräftige konjunkturelle Erholung inzwischen auch am Arbeitsmarkt angekommen ist. Die Perspektive für die Wirtschaft sieht heute schon viel erfreulicher aus als vor einem halben Jahr. Das wurde durch das zusätzliche Engagement aller Beteiligten möglich. Ich möchte mich herzlich bei allen Betrieben bedanken, die Ausbildungsplätze angeboten haben, aber natürlich auch bei den vielen Mitarbeitern der Kammern, die Klinkenputzen gegangen sind und so Ausbildungsplätze eingeworben haben. Dank dieses Engagements konnte ein Großteil der Bewerber - wir hatten einen Zuwachs um 22 000 zu verzeichnen - versorgt werden. Wir verfügen noch über ein erhebliches Potenzial an ungenutzten Möglichkeiten. Knapp 50 000 noch unversorgten Bewerbern stehen weit mehr als 60 000 Angebote zur Verfügung, wobei ich hinzufügen muss, dass sich die 60 000 Angebote nicht ausschließlich auf die betriebliche Ausbildung beziehen, sondern auch Schulungsmaßnahmen beinhalten. Kurzfristig geht es um die Unterstützung der Nachvermittlung im bevorstehenden so genannten fünften Quartal des Ausbildungsjahres. Viele Jugendliche konnten ihre Lehrstelle nicht antreten oder brachen ihre Ausbildung ab, weil sie feststellten, dass sie sich falsch entschieden haben. Jetzt besteht also die Gelegenheit - mehr Mobilität vorausgesetzt -, einen Ausbildungsplatz zu finden. Ziel ist nach wie vor, allen ausbildungsfähigen und -willigen Jugendlichen ein Angebot zu machen anzubieten und die Zahl der unvermittelten Bewerber bis zum Jahresende deutlich zu reduzieren. Das ist ein ehrgeiziges, aber realistisches Ziel. Voraussetzung ist, dass alle mit ganzer Kraft ihren Beitrag dazu leisten: die Betriebe und Wirtschaftsverbände, die Kammern und Arbeitsagenturen, aber natürlich auch Bund und Länder sowie jeder, der sich dazu in der Lage sieht. Seitdem ich Bundesminister für Wirtschaft und Technologie bin, weise ich bei jeder Rede, insbesondere vor Vertretern der Verbände, zuletzt gestern beim VDMA, der einer der größten deutschen Wirtschaftsverbände ist, auf die Notwendigkeit der betrieblichen Ausbildung sowie auf die Tatsache hin, dass dem Auszubildendenbzw. Lehrlingsberg wieder ein Tal folgt, sodass die Redetext Fachkräfte, die heute nicht ausgebildet werden, morgen nicht zur Verfügung stehen. Es ist nicht leicht, die mittelfristige Herausforderung zu meistern. Zu den noch unversorgten Jugendlichen gehören deutlich überproportional schwer Vermittelbare und Bewerber aus früheren Schulentlassjahren. Deswegen nahm die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Frau Böhmer, an der Diskussion im PaktLenkungsausschuss teil. Für Migrantenkinder gibt es Sondermaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit. Die Gründe, warum ein Ausbildungsverhältnis oft nicht zustande kommt, sind mangelhafte Schulabschlüsse, unzulängliche Ausbildungsreife und Defizite im sozialen Umgang. Das alles sind Politikfelder, die nicht vom Wirtschaftsminister bearbeitet werden, sondern für die viele andere zuständig sind. Wir müssen weiter an der Beseitigung dieser Defizite arbeiten. Deswegen ist auch immer die Präsidentin der Kultusministerkonferenz der Länder anwesend. Ich bin der Meinung, dass man schon sehr früh vor der Schulentlassung zu einer Verzahnung kommen muss, indem man den Schülern aufzeigt, was die Wirtschaft braucht, und ihnen einen Einblick in die Wirtschaft ermöglicht. Ich freue mich auf Ihre Fragen und Anmerkungen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Vielen Dank. - Die erste Frage stellt die Kollegin Cornelia Hirsch.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank für die Darstellung. - Angesichts der Sitzung des Lenkungsausschusses wurde unter anderem von den Gewerkschaften, die nach wie vor nicht am Pakt beteiligt sind, die Kritik aufgeworfen, dass die Vereinbarungen des Pakts selber nicht genug greifen und die Ausbildungssituation deshalb - das wurde zu Recht bemängelt - immer noch mangelhaft ist. Es wurde auch die Kritik geäußert, dass der Ausbildungspakt eigentlich nur eine Umgehung einer gesetzlichen Ausbildungsumlage ist. Meine Frage lautet: Inwieweit nehmen Sie das zur Kenntnis, inwieweit wird über dieses Problem überhaupt diskutiert und welche anderen Vorschläge haben Sie, um zu verhindern, dass sich die Arbeitgeberseite mit jedem Jahr weiter aus der betrieblichen Ausbildung zurückzieht?

Michael Glos (Minister:in)

Politiker ID: 11000691

Erstens. Es gibt kein Zurückziehen der Arbeitgeberseite. Ich habe gerade anhand von Zahlen dargestellt, dass es verstärkt Angebote - sowohl vonseiten der Mitgliedsbetriebe der Industrie- und Handelskammern als auch vonseiten der Handwerkskammern - und mehr Vermittlungen gegeben hat als im Vorjahr. Alles, was von der Wirtschaft versprochen worden ist, wurde eingehalten. Zweitens. Eine Ausbildungsplatzabgabe schafft keinen neuen Arbeitsplatz, sondern sorgt nur für Verärgerung und Resignation in Teilen der Wirtschaft. Das System, dass sich die Wirtschaft selber engagiert und über ihre eigenen Organisationen Ausbildungsplätze einwirbt, hat sich bewährt. Drittens. Auch unser duales System der Ausbildung - auf der einen Seite im Betrieb, auf der anderen Seite in entsprechenden Schulen - hat sich bewährt. Auf der ganzen Welt beneidet man uns darum. Die Tatsache, dass wir heute Exportweltmeister sind, insbesondere im Maschinen- und Anlagenbau, hängt mit der sehr guten Qualifikation vieler Facharbeiter zusammen. Das möchten wir für die Zukunft so erhalten. Viertens. Wenn die Gewerkschaften damit nicht einverstanden sind, dann ist das ein Problem der Gewerkschaften. Daher bitte ich, mit den Gewerkschaften darüber zu diskutieren. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächster hat das Wort der Kollege Albert Rupprecht.

Albert Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003620, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, die entscheidende Frage ist ja: Wird das Paktziel als solches erreicht? Das Paktziel ist, dass jedem ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen Jugendlichen ein Angebot unterbreitet wird.

Michael Glos (Minister:in)

Politiker ID: 11000691

Wir sind sehr optimistisch. Es wird natürlich immer wieder - selbst in Zeiten, in denen das Angebot an Ausbildungsplätzen sehr viel größer ist als die Nachfrage unvermittelte Bewerber geben. Von dem Gedanken, dass 100 Prozent der Bewerber vermittelt werden, müssen wir uns verabschieden; denn es gibt viele, die nicht für eine Ausbildung geeignet oder qualifiziert sind. Manche wissen auch noch nicht, ob sie eine weiterführende Schule besuchen wollen oder sich für einen anderen Weg entscheiden möchten. Zudem ist nicht bekannt, wie viele Altbewerber noch auf den Markt kommen. Ich bitte die Arbeitsagenturen und die Länder sehr dringend, hierzu konkrete Zahlen vorzulegen. Ich möchte es wiederholen: Es gibt hinreichend viele Angebote für den Jahrgang, der jetzt die Schule verlassen hat. Unser Problem sind die vielen Altfälle, die zuvor insbesondere an Schulungsmaßnahmen teilgenommen haben. Das Bundesbildungsministerium wird zusammen mit den Ländern und der Bundesagentur für Arbeit eine Erfassung der Altfälle durchführen, damit auch diese Bugwelle abgebaut werden kann.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Frage stellt die Kollegin Priska Hinz.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, ich war etwas verblüfft, dass Sie vorgetragen haben, die Lage sei nicht so schlecht, wie sie öffentlich dargestellt werde. Schließlich haben knapp Priska Hinz ({0}) 50 000 Jugendliche derzeit noch keinen Ausbildungsplatz. Das sind so viele wie in den letzten Jahren nicht. Ferner haben Sie darauf hingewiesen, es würden noch viele Plätze zur Verfügung gestellt, um diese Jugendlichen zu versorgen. Dabei wird es sich jedoch vor allen Dingen um Schulungsmaßnahmen unterschiedlichster Art handeln. Allerdings kommen die meisten der so genannten Altbewerber - genau die Gruppe, um die sich die Zahl der Arbeitslosen erhöht hat - geradewegs aus solchen Schulungsmaßnahmen. Deswegen frage ich Sie: Welche Vereinbarungen wurden im Rahmen des Ausbildungspaktes getroffen, damit Schulungsmaßnahmen wie das EQJ insbesondere Altbewerbern - nicht etwa Realschülern oder Absolventen mit höherem Abschluss - zur Verfügung gestellt werden? Was wurde vereinbart, damit derartige Qualifizierungsmaßnahmen anerkannt werden und die Jugendlichen einen Qualifikationsnachweis bzw. eine Zertifizierung erhalten, sodass sie weitere Ausbildungsschritte anschließen und tatsächlich einen Abschluss machen können? Die Jugendlichen von einer Schulungsmaßnahme zur nächsten zu schicken, ohne dass sie einen Abschluss machen können, bringt uns und den Jugendlichen überhaupt nichts.

Michael Glos (Minister:in)

Politiker ID: 11000691

Erstens. Im Bundesbildungsministerium werden derzeit Vorschläge erarbeitet, wie Maßnahmen der schulischen Ausbildung - Sie haben das geschildert - besser angerechnet und mit der betrieblichen Ausbildung verzahnt werden können. Das kann immer nur im Einvernehmen mit der Wirtschaft geschehen. Zweitens. Das EQJ ist vor allem für Jugendliche gedacht, die keine hinreichende Qualifizierung und nicht den erforderlichen Hintergrund - zum Beispiel in sprachlicher Hinsicht - haben, den man vorweisen können muss, wenn man eine Ausbildung beginnt. 60 Prozent der Jugendlichen, die mit EQJ-Maßnahmen begonnen haben, konnten zu einem späteren Zeitpunkt ein reguläres Ausbildungsverhältnis vorweisen. Das ist eine gute Sache. Am Anfang Ihrer Ausführungen haben Sie die 50 000 Jugendlichen angesprochen, die dem Ausbildungsmarkt gegenwärtig noch zur Verfügung stehen. Deswegen möchte ich Ihnen zur Kenntnis geben, wie sich die Bundesagentur für Arbeit, die hier natürlich auch in der Verantwortung steht, zu diesen 50 000 derzeit noch unversorgten Bewerbern äußert. Die Bundesagentur für Arbeit stellt fest, dass es sich dabei zunächst einmal um 15 000 gemeldete, aber noch unbesetzte Ausbildungsplätze handelt. Diese Ausbildungsplätze konnten aus regionalen Gründen, aus Gründen mangelnder Mobilität oder aufgrund nicht hinreichender Qualifikation der Bewerber noch nicht besetzt werden. Das wird man nun in Angriff nehmen, indem man den Jugendlichen zusätzliche Angebote macht. Darüber hinaus sind in den von Ihnen angesprochenen außerbetrieblichen Ausbildungsprogrammen, zum Beispiel im Migrantenprogramm der Bundesagentur für Arbeit, noch 17 000 freie Plätze zu verzeichnen. Zudem hat der Bundesminister für Arbeit 40 000 EQJ-Plätze zur Verfügung gestellt - das sind bedeutend mehr Plätze als im letzten Jahr -; davon sind 34 000 noch nicht besetzt. Wenn Sie diese Zahlen zusammenzählen - 15 000 plus 17 000 plus 34 000 -, kommen Sie sogar auf eine Zahl von über 60 000, und das bei 50 000 unversorgten Bewerbern. Das muss man doch zueinander bringen können.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Frage hat der Kollege Willi Brase.

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, im Bildungsbericht der Kultusministerkonferenz und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ist deutlich dargestellt worden, dass mittlerweile genauso viele junge Leute in berufsvorbereitenden Warteschleifemaßnahmen sind, wie jedes Jahr eine betriebliche Erstausbildung beginnen. Auf der anderen Seite hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung festgestellt, dass immer noch zwischen 25 und 27 Prozent der Unternehmen, die sachlich, fachlich und finanziell fähig sind, auszubilden, nicht ausbilden. Würde es uns gelingen, diese Unternehmen einzubeziehen, könnten wir den jungen Leuten - auch denen, die hier auf den Tribünen sitzen - eine ganz andere Bilanz vorlegen. Was will die Bundesregierung tun, um die Unternehmen, die in der Lage sind, auszubilden, dies aber nicht tun, dazu zu bewegen?

Michael Glos (Minister:in)

Politiker ID: 11000691

Wenn ich die Zahl auswendig weiß, waren es 33 000 Betriebe, die bisher nicht ausgebildet haben und durch Werbemaßnahmen der Arbeitsagentur, aber insbesondere der IHKs und der Handwerkskammern dazu veranlasst worden sind, nunmehr auszubilden. Sie sehen, es wird ständig daran gearbeitet, mehr Betriebe dazu zu bewegen. Wir versuchen auch, über Ausbildungsverbünde und dadurch, dass den Betrieben administrative Aufgaben, die anfallen, wenn man ausbildet, erleichtert oder sogar abgenommen werden, mehr Betriebe dazu zu bringen, auszubilden. Zwangsmaßnahmen gibt es selbstverständlich nicht; das würde eine Verstaatlichung der Ausbildung bedeuten. Aus den vorhin geschilderten Gründen ist es besser, die Ausbildung in den Händen der Wirtschaft zu belassen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächster stellt der Kollege Alexander Dobrindt eine Frage.

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Herr Minister, Sie haben deutlich gemacht, dass die Situation zwar schwierig ist, aber nicht so hoffnungslos, wie wir sie am Anfang des Jahres vielleicht eingeschätzt haben. Das liegt daran, dass man sich sehr frühzeitig bemüht hat, gemeinsam etwas für die Jugendlichen zu tun. Das Wirtschaftsministerium, auch der Wirtschaftsminister persönlich, hat in hohem Maße neue Ausbildungsplätze eingeworben. Aber nicht nur die Betriebe und der Mittelstand, auch der Deutsche Bundestag, die Fraktionen, haben Initiativen gestartet. Die Abgeordneten waren unterwegs, um für zusätzliche Ausbildungsplätze zu werben. Dass diese gemeinsamen Bemühungen Früchte getragen haben, ist eine hervorragende Leistung, die man hier durchaus erwähnen kann. Wir haben in der letzten Wahlperiode gemeinsam - Kollege Willi Brase, die SPD, die Unionsfraktion - das Berufsbildungsgesetz novelliert. ({0}) Wir haben in diesem Zusammenhang eine gestufte Ausbildung in allen Ausbildungsberufen vorgesehen. Wir wollten dadurch einen Ausbildungsweg schaffen, der es theorieschwächeren Jugendlichen ermöglicht, einen Ausbildungsstand zu erreichen, auf den in einer weiteren Stufe mehr Theorie aufgesetzt werden kann, bis der Jugendliche den geltenden Ausbildungsstandard erreicht. Wir haben darum gebeten, alle Ausbildungsberufe daraufhin zu überprüfen, ob so etwas machbar ist. Wir sind da auf einem sehr guten Weg: Fast 60 Prozent der Ausbildungsberufe sind inzwischen überprüft; bei einer ganzen Reihe haben wir das schon umgesetzt. Meine Frage in diesem Zusammenhang: Herr Minister, sehen Sie schon Erfolge bei den verkürzten, „abgespeckten“ Ausbildungsordnungen? Werden zusätzliche Lehrstellen, gerade für theorieschwächere Jugendliche, angeboten oder glauben Sie, dass wir hier ein Gesetz auf den Weg gebracht haben, das wenig erfolgreich ist? Ich denke, Sie können unter Umständen schon gute Beispiele nennen.

Michael Glos (Minister:in)

Politiker ID: 11000691

Herr Kollege Dobrindt, zum Ersten bedanke ich mich vor allem dafür, dass Sie mich daran erinnert haben, dass ich allen Anlass habe, den Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, die selbst tätig geworden sind - nicht für den Bundeswirtschaftsminister, sondern für die Jugendlichen, die Ausbildungsplätze brauchen -, zu danken. Ich finde, es ist auch Aufgabe eines Volksvertreters, dass er den Wählerinnen und Wählern vor Ort hilft. Wir haben regional, insbesondere in den strukturschwächeren Gebieten, oft große Probleme. Dort zählt ein Ausbildungsplatz praktisch doppelt. Zum Zweiten arbeitet mein Haus zusammen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung immer wieder an neuen Ausbildungsordnungen. Wir haben eine Reihe neuer Berufsbilder kreiert. Daneben haben wir Ausbildungszeiten von drei Jahre auf zwei Jahre herabgesetzt. Ich habe mich aber vor Ort davon überzeugt, dass es teilweise nicht genügend Bewerber für die neuen Berufsbilder gibt. Deswegen haben wir noch einmal für die Ausbildung in diesen neuen Berufsbildern geworben. Wir fordern natürlich die Kammern und die Verbände der Wirtschaft auf, auch darauf hinzuwirken. Ich bin der Meinung, dass wir noch bei einer Reihe von Berufen zu einer verkürzten Ausbildung von zwei Jahren kommen müssen. Dabei soll modulartig aufeinander aufgebaut werden und sich stärker immer wieder auf ein bestimmtes Modul konzentriert werden können, wodurch der Übergang - das bezieht sich auch auf die Anrechnung - zu weiterführenden Bildungseinrichtungen ermöglicht wird. Die Ausbildung muss natürlich mit den Veränderungen in der Wirtschaft und dem Bedarf der Wirtschaft einhergehen; denn der Sinn der Ausbildung besteht ja auch darin, dass man anschließend einen möglichst sicheren Arbeitsplatz erhält.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Patrick Meinhardt.

Patrick Meinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003807, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben vorhin die Bedeutung gerade auch der Ausbildungsverbünde hervorgehoben. In diesem Zusammenhang habe ich eine Frage. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks hat das Eckpunkteprogramm „5000 Plus“ vorgelegt mit dem Ziel, insbesondere die überbetriebliche Ausbildung zu stärken. Meine erste Frage lautet: Auf welche Resonanz stößt dieses Programm bei der Bundesregierung? Wenn unsere Informationen richtig sind, hat es dazu schon ein Fachgespräch gegeben, das bislang bedauerlicherweise folgenlos geblieben ist. In diesem Zusammenhang stelle ich noch eine Ergänzungsfrage. Es gibt einen erheblichen Modernisierungsbedarf, insbesondere bei den überbetrieblichen Ausbildungsstätten, in einer Höhe von ungefähr 40 Millionen Euro. Inwieweit sehen Sie es als notwendig an, innerhalb der nächsten zwölf Monate deutlich mehr Maßnahmen für überbetriebliche Ausbildungsstätten in die Wege zu leiten und damit auch mehr Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen? Vielen Dank.

Michael Glos (Minister:in)

Politiker ID: 11000691

Nach meiner Information hat das Fachgespräch stattgefunden, allerdings nicht auf meiner Ebene. Daher kann ich Ihnen natürlich nicht über alle Einzelheiten des Gesprächs berichten; es wird ausgewertet. Wir werden bei den Haushaltsberatungen - ich gehe anschließend in den Haushaltsausschuss - auch für ein neues Programm werben, das wir auflegen wollen, wenn der Deutsche Bundestag dies genehmigt, damit in den Kammern mehr Leute angestellt werden - dies soll auch mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds finanziert werden und die von Ihnen angesprochenen Verbünde vorangebracht werden. Der Kontakt zwischen dem Handwerk, also der Praxis, und meinem Haus ist an sich sehr gut. Es gibt allerdings ein Problem. Man sorgt sich schon jetzt ein Stück weit um die Zeit, wenn die geburtenschwächeren Jahrgänge die Schule verlassen; das finde ich auch richtig so. Wenn jetzt zu viele BildungseinrichBundesminister Michael Glos tungen geschaffen werden, wird zwischen diesen Einrichtungen quasi eine Konkurrenz um die Ausbildung der Jugendlichen ausbrechen. Ich bin der Meinung, dass die praxisnahe Ausbildung in den Ausbildungseinrichtungen der Kammern immer noch Priorität haben muss.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt fragt die Kollegin Nicolette Kressl.

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ich möchte Sie zunächst bitten, die Antwort auf die Frage von Herrn Meinhardt um die Information zu ergänzen, dass in den letzten Jahren gerade die Mittel für die überbetrieblichen Ausbildungsstätten, die er angesprochen hat, in den Haushalten deutlich erhöht worden sind und dass im Rahmen der gegenwärtigen Beratungen des Haushalts des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in diesem Bereich eine Steigerung zu erwarten ist. Verbinden möchte ich diese Anmerkung mit einer Frage zu den so genannten Altbewerbern - ich halte das für ein problematisches Wort -, also den jungen Menschen, die sich nach mehreren Warteschleifen erneut um einen Ausbildungsplatz bemühen. Ich nennen die Zahlen: Zum ersten Mal ist bei den Bewerbern mit Schulabschlüssen in diesem Jahr ein Rückgang um ungefähr 6,6 Prozent zu beobachten; demgegenüber sind die Zahl der Bewerber mit Schulabschlüssen im letzten Jahr um 8 Prozent und die Zahl der Bewerber mit Schulabschlüssen in noch weiter zurückliegenden Jahren um 15,9 Prozent gestiegen. Die Analyse zeigt, dass die Bugwelle, die wir schon seit langem erwartet haben, jetzt auf dem Ausbildungsmarkt angekommen ist. Dieses Problem dürfen wir nicht nur im Rahmen des Pakts behandeln; hier müssen wir gesondert vorgehen. Ich bitte Sie, zu beschreiben, worüber dazu im Kabinett diskutiert worden ist und welche Lösungsansätze Sie sehen.

Michael Glos (Minister:in)

Politiker ID: 11000691

Zu Ihrem ersten Punkt möchte ich sagen, dass ich es sehr erfreulich finde, Frau Kollegin, dass die Mittel auf dem angesprochenen Gebiet erhöht und verstetigt worden sind. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie sieht sich nicht als Konkurrenzbetrieb zum Bundesbildungsministerium. Die Zusammenarbeit hat sich, wie ich meine, unter der großen Koalition nochmals verbessert. Ich komme zum zweiten Punkt. Die Bildungsministerin Frau Schavan hat dargelegt, dass sie zusammen mit den Ländern und der Bundesagentur für Arbeit ein Programm entwickeln will, um erst einmal die konkreten Zahlen zu ermitteln, die bisher nirgends vorliegen und die wir als Bundesregierung nicht einfach abgreifen können; hier sind wir auf andere angewiesen. Wir wollen wissen, wie groß die Bugwelle wirklich ist. Sie haben bereits erwähnt, dass inzwischen die Zahl der jungen Menschen mit Schulabschlüssen in den letzten Jahren, die sich um einen Arbeitsplatz bemühen, die der Bewerber mit einem Schulabschluss in diesem Jahr übersteigt. Hier ist die Frage, wer überhaupt noch einen Ausbildungsplatz will. Möglicherweise wurde schon ein Studium begonnen oder hat man sich für einen anderen Weg entschieden. Diese Zahlen, die nur auf der regionalen Ebene abgefragt werden können, sind bisher nicht verfügbar. Ich weiß von den Bemühungen meiner Kollegin Schavan, dies bis zum Frühjahr aufzuarbeiten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Frage stellt die Kollegin Krista Sager.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Erlauben Sie mir folgende Vorbemerkung: Ich finde es seltsam, wenn hier Mittelerhöhungen abgefeiert werden, die von der großen Koalition im Rahmen der heutigen Haushaltsberatungen in dem zuständigen Ausschuss nicht beantragt worden sind. Herr Minister, von einem Kollegen wurde bereits die Reform des Berufsbildungsgesetzes aus der Zeit der rotgrünen Bundesregierung angesprochen. Durch die Reform des Berufsbildungsgesetzes wurde die Möglichkeit geschaffen, dass auch eine vollzeitschulische berufliche Ausbildung durch eine Kammerprüfung anerkannt werden kann. Bisher machen davon nur vier von 16 Bundesländern Gebrauch, indem sie die dafür notwendigen Verordnungen erlassen haben. Was tun Sie, um diese Möglichkeit in den Ländern bekannter zu machen und die Länder dazu zu bewegen, die notwendigen Verordnungen zu erlassen?

Michael Glos (Minister:in)

Politiker ID: 11000691

Frau Kollegin Sager, niemand feiert hier irgendetwas ab; wir referieren über Tatsachen. Mein Haushalt wird anschließend im Haushaltsausschuss des Bundestages beraten. Ab 14 Uhr werde ich dort sein. - Ich sehe, dass Herr Koppelin, der Mitglied des Haushaltsausschusses ist, nickt. Sein Wohlwollen ist mir also schon sicher. ({0}) Ich hoffe, dass auch andere diesem Thema wohlwollend gegenüberstehen und sich dafür einsetzen werden. Zu den von Ihnen angesprochenen Möglichkeiten der Wirtschaft, vorbetriebliche Ausbildungszeiten bei den Abschlüssen anzurechnen, hat Frau Ministerin Schavan sowohl im Paktlenkungsausschuss als auch heute im Kabinett angekündigt, dass sie bei der Wirtschaft verstärkt dafür werben will. Wir sind in hohem Maße auf die Kammern bzw. auf die Wirtschaft angewiesen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Frage stellt die Kollegin Rita Pawelski.

Rita Pawelski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003607, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, die Begabungen und Talente sind bei den jungen Leuten nicht gleich verteilt. Einige sind eher praktisch veranlagt und könnten dort mehr gefördert werden. Ist es nicht sinnvoll, die praktisch begabten jungen Leute durch entsprechende Ausbildungsangebote stärker zu unterstützen, damit auch sie ihre Fähigkeiten beweisen können?

Michael Glos (Minister:in)

Politiker ID: 11000691

Ich kann das nur bejahen. Dabei sind auch die einzelnen Berufsverbände stark gefordert. Es gibt schon Ausbildungsmöglichkeiten, die auf einem niedrigeren Level ansetzen und eine kürzere Dauer vorsehen. Dabei ist es aber wichtig, dass sie stärker moduliert werden, dass das angerechnet wird und dass darauf aufbauend eine Ausbildung angeboten wird, in der die Theorie stärker berücksichtigt wird.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Frage stellt der Kollege Diether Dehm.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Bundesminister, ich hatte den Eindruck, dass die Fragen sowohl des Kollegen Willi Brase als auch der Kollegin Nele Hirsch nicht zufriedenstellend beantwortet worden sind. Bei einigen Gelegenheiten ist mir aufgefallen, dass Sie, wenn Sie von der Wirtschaft sprechen, offensichtlich nur die Arbeitgeberseite meinen. Denn auf der einen Seite fordern Sie von uns, den Linken, mit den Gewerkschaften zu reden, und auf der anderen Seite sagen Sie, wir sollten die Wirtschaft nicht verärgern. Ist nicht die Angst vor der Verärgerung der Wirtschaft, in diesem eng gefassten Begriff, eine Ursache dafür, dass wir hinsichtlich der Arbeitslosigkeit in die derzeitige Lage geraten sind? Das ist aber nicht meine eigentlich Frage. Ich bitte Sie nur, mit der Sensibilität, die Ihnen zu Eigen ist, darüber nachzudenken, ob der Begriff Wirtschaft nicht auch auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Gewerkschaften ausgedehnt werden soll. Wir beide sind ja Mittelständler. Mit einem entsprechenden Empfinden. Ich unterstelle Ihnen bei Ihrem Appell, freiwillig auszubilden, Gutgläubigkeit. Denn wir beide haben bei ähnlichen Appellen in der Vergangenheit zugesagt, darüber nachzudenken, und dann haben wir auch ausgebildet. Das haben auch viele andere kleine und mittelständische Unternehmer getan. Dann aber haben die Konzerne sozusagen die Sahne von der Milch geschöpft. Was die Konzerne angeht, erscheint der Appell, selbst auszubilden, in manchen Fällen wie eine Aufforderung an den Marder im Blutrausch, sich freiwillig eine Maulsperre einzuziehen. Ich finde, dass der Staat viel zu wenig in seinem Instrumentenköfferchen hat, um uns Mittelständler ständig Vorhaltungen zu machen. Darin sind wir uns einig. Aber sollten wir nicht bei den Konzernen etwas mehr staatlichen Zwang anwenden?

Michael Glos (Minister:in)

Politiker ID: 11000691

Vielen Dank, Herr Kollege. Sie geben mir durch Ihre Bemerkungen Gelegenheit, meine Wirtschaftsphilosophie darzulegen. Ich betrachte mich nicht als Bundesminister der Wirtschaft - wie es beispielsweise einen Bundesminister der Verteidigung gibt -, sondern als Bundesminister für Wirtschaft. Zur Wirtschaft gehören für mich in allererster Linie die Verbraucherinnen und Verbraucher wie auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, egal ob sie organisiert sind oder nicht. Selbstverständlich sind auch die Funktionäre der organisierten Arbeitnehmer Teil der Wirtschaft. Die Gewerkschaften haben sich selbst aus dem Pakt ausgeschlossen, was ich persönlich bedauere. Diese Weichenstellungen sind aber schon vor meiner Zeit erfolgt. Sie haben ein weiteres Thema angesprochen, nämlich dass zu Zeiten, als sich die Konjunktur gut entwickelt hat, im Handwerk gut ausgebildete Fachkräfte von größeren Firmen und Konzernen abgeworben worden sind, die selbst nicht ausgebildet haben. Das war ein Ärgernis. Aber Sie können die Unternehmen nicht mit staatlichen Maßnahmen dazu zwingen auszubilden. Oft hat sich der Bedarf verändert bzw. erst ergeben. Es gibt auch große Firmen - oder Konzerne, wie Sie es ausdrücken -, die in der Ausbildung vorbildlich sind. Es gibt allerdings auch welche, die noch mehr tun könnten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Frage hat der Kollege Ernst Dieter Rossmann.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Sager hat auf die aktuellen Haushaltsberatungen abgehoben. Ich will mir dazu nur die kleine Bemerkung gestatten: Als Rot-Grün zusammen war, haben wir die Mittel für die Berufsbildung tatsächlich erhöht. Aber es gibt ja immer zwei Wege, wie wir an diese Mittel kommen können: Das ist der Bundeshaushalt und das ist die Bundesagentur für Arbeit, die hier in der Solidarität von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen sehr aktiv ist. Man muss beides zusammen sehen. Meine Frage richtet sich auf etwas anderes, nämlich darauf, dass im „Handelsblatt“ jüngst berichtet wurde, dass es einen Zuwachs von jungen Menschen mit Abitur im Bereich der dualen Ausbildungsverhältnisse gibt, und zwar aufgrund der Studiengebühren, die diese jungen Menschen vielleicht davon abhalten könnten, ein Hochschulstudium anzutreten. Wie schätzen Sie das ein, dass wir nicht nur eine große Gruppe von Altbewerbern haben, sondern auch in die Gefahr geraten könnten, eine große Gruppe von verdrängten Jugendlichen mit Hauptund Realschulabschluss zu bekommen, die keinen Zugang zu dem knapper werdenden Gut der dualen Ausbildungsverhältnisse mehr haben werden? Was kann darauf eine Antwort sein, die seitens der Bundesregierung in konzertierter Aktion gegeben wird?

Michael Glos (Minister:in)

Politiker ID: 11000691

Ich habe den gleichen Artikel gelesen, den auch Sie gelesen haben. Es kann durchaus sein, dass es immer wieder Veränderungen bei den Absichten gibt, wie man sich beruflich orientiert, auch nach dem Abitur. Die Abiturzeugnisse fallen ja unterschiedlich aus. Es gibt Ausbildungsberufe im dualen System, die auch für AbituriBundesminister Michael Glos enten durchaus interessant sind. Es ist immer die eigene Lebensentscheidung derjenigen oder desjenigen, in welche Richtung sie oder er sich orientiert. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass die bisher geforderten Studiengebühren - es gibt dafür ja auch Darlehensmöglichkeiten der KfW usw. - dauerhaft jemanden davon abhalten, zu studieren, wenn er die Absicht und die Qualifikation hat, einen akademischen Beruf zu ergreifen, und dass er dann aus diesem Grund in das duale System wechselt. Aber dieses Verhalten müssen wir sicherlich in Zukunft beobachten und dann die nötigen Konsequenzen, falls es so ist, daraus ziehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Vielen Dank. - Damit beende ich die Befragung der Bundesregierung. Fragen zu anderen Themenbereichen sehe ich nicht. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksache 16/2923 Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier bereit. Ich rufe Frage 1 des Abgeordneten Dr. Diether Dehm auf: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die enormen Unterschiede im Einkommen von Vorstandsmitgliedern einerseits und übrigen Angestellten andererseits von rechtsextremen Parteien benutzt werden, wodurch Rechtsradikalismus sowie der Einzug rechtsextremer Parteien in verschiedene Landtage in Deutschland befördert werden?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, Herr Abgeordneter Dehm, wonach rechtsextreme Parteien eine Diskrepanz der Bezüge von Vorstandsmitgliedern und Angestellten thematisiert hätten. Soweit uns bekannt ist, gehörte dies jedenfalls auch nicht zu den Wahlkampfschwerpunkten dieser Parteien in denjenigen Bundesländern, in denen sie den Einzug in den Landtag in letzter Zeit geschafft haben. Sofern Ihnen, Herr Kollege, jedoch Erkenntnisse über entsprechende Vorgehensweisen von rechtsextremen oder auch von linksextremen Parteien vorliegen sollten, sind wir gerne bereit, entsprechenden Hinweisen nachzugehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Dr. Dehm, eine Zusatzfrage.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Auf welche Empirie, außer auf die Wahlkampfveröffentlichungen dieser Parteien, stützen Sie denn die Aussage, dass Ihnen dazu keine Erkenntnisse vorliegen? Den Punkt mit den Linksextremen habe ich jetzt einmal überhört.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Wie Ihnen bekannt ist, Herr Kollege, werden die Aktivitäten - nicht nur die Wahlkampfaktivitäten - von bestimmten rechtsextremen und anderen Parteien von den dafür vorgesehenen Einrichtungen beobachtet. Das sind die Informationsquellen, die auch dem Bundesministerium des Innern zur Verfügung stehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach zur Verfügung. Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Klaus Ernst auf: Wie steht die Bundesregierung zu einer Gesetzesinitiative, die eine Managerhaftung vorsieht, die sich an der entsprechenden Gesetzgebung in den USA und Großbritannien orientiert? Bitte, Herr Staatssekretär.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Ernst, die von Ihnen angesprochene Gesetzesinitiative ist der Bundesregierung bislang nicht bekannt, mögen einzelne Diskussionsbeiträge auch in diese Richtung gehen. Diejenigen, die eine Übernahme von US-amerikanischen oder englischen Managerhaftungsmodellen fordern, übersehen, dass der Vorstand einer deutschen Aktiengesellschaft nach § 93 des Aktiengesetzes bereits - ähnlich wie das Board of Directors in den Vereinigten Staaten - bei Verletzungen von Treue- oder Sorgfaltspflichten, die ihm gegenüber der Gesellschaft obliegen, auf Schadensersatz haftet. Die Möglichkeiten in den USA und in Großbritannien, die Haftung durch vertragliche Vereinbarungen mit der Gesellschaft von vornherein oder im Nachhinein einzuschränken, sind aber im deutschen Recht - anders als im amerikanischen Recht - deutlich begrenzt. Mit dem Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts, dem so genannten UMAG, wurde im letzten Jahr zudem die Durchsetzung von Haftungsansprüchen erleichtert. Nach § 148 Abs. 1 des Aktiengesetzes ist es einer Aktionärsminderheit, die zusammen über 1 Prozent des Grundkapitals oder Anteile zum Nennbetrag in Höhe von 100 000 Euro verfügt, nunmehr möglich, eine Klage beim Landgericht einzureichen mit dem Ziel, Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder oder gegen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder im eigenen Namen geltend zu machen. Hat die Aktionärsminderheit mit ihrem Antrag Erfolg, kann sie bei Kostenübernahme durch die Gesellschaft - das steht in § 148 Abs. 6 des Aktiengesetzes - den Haftungsanspruch gegen den Vorstand selbst und im eigenen Namen sowie mit ihrem eigenen Anwalt durchsetzen. Durch die deutliche Herabsetzung der Schwelle des notwendigen Anteilsbesitzes zur Zulässigkeit der Klage ist es den institutionellen Anlegern sowie größeren Pri5428 vatanlegern jederzeit möglich, eine Haftungsklage gegen den Vorstand anzustrengen, wenn sie einen schweren Pflichtenverstoß des Vorstandes annehmen, den der Aufsichtsrat nicht verfolgen will. Aber auch klagewillige Kleinaktionäre können sich in einem Aktionärsforum des elektronischen Bundesanzeigers sammeln und so Mitstreiter für das Erreichen gesetzlicher Quoren gewinnen, um eine Zulassungsklage einzuleiten. Es bleibt abzuwarten - diese Möglichkeit gibt es, wie gesagt, erst seit dem vergangenen Jahr -, ob sich die Regelungen in der Praxis bewähren und zu einer angemessenen Verfolgung von Haftungsansprüchen gegen den Vorstand und einzelne Vorstandsmitglieder beitragen werden. Derzeit liegt daher aus Sicht der Bundesregierung ein Grund für eine weitere Übernahme US-amerikanischer oder britischer Regelungsvorbilder nicht vor. Aber Sie dürfen versichert sein, dass wir, das Bundesministerium der Justiz, die Entwicklung beobachten werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage, bitte schön, Herr Ernst.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Erste Frage: Teilen Sie die Auffassung, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Haftungsbestimmungen in den USA im Vergleich zu den bei uns geltenden, neuen gesetzlichen Bestimmungen schärfer sind? Zweite Frage: Können Sie sich vorstellen, dass dann, wenn eine solche verschärfte Haftungsregelung gelten würde, möglicherweise Aktivitäten und Entscheidungen von Vorständen unterblieben, die anderenfalls dazu führen, dass massenhaft Boykottmaßnahmen gegen bestimmte Produkte ergriffen werden, weil die Bevölkerung das Agieren von bestimmten Aktiengesellschaften - ich denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an die Deutsche Bank, die AEG und ähnliche Fälle - nicht mehr akzeptiert?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Ernst, zu Ihrer ersten Nachfrage. Ich habe darauf hingewiesen, dass die US-amerikanischen und die britischen Gesellschaften, hier vor allen Dingen die Vorstände, die Möglichkeit haben, im Vorhinein, bei Vertragsschluss, oder auch später, jegliche Haftung auszuschließen. Ich weiß nicht, ob es für uns in Deutschland erstrebenswert wäre, eine solche US-amerikanische Regelung zu übernehmen. Zu Ihrem zweiten Punkt möchte ich Folgendes sagen: Ich glaube, wir können ungetreuen Vorstandsmitgliedern mit den legalen Mitteln des Strafrechts durchaus wirkungsvoll begegnen. Ob und inwieweit zum Beispiel Arbeitgebervertretungen von den ihnen zustehenden Rechten Gebrauch machen oder ob sich einzelne Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer zu irgendwelchen Maßnahmen, die Sie angesprochen haben, zusammenfinden, unterliegt nicht der Beurteilung durch das Bundesministerium der Justiz und die Bundesregierung. Sie haben sicher Verständnis dafür, dass ich mich mit einer Meinungsäußerung nicht in die Angelegenheiten anderer einmischen möchte.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Barbara Hendricks zur Verfügung. Ich rufe die Frage 3 der Abgeordneten Cornelia Hirsch auf: Aus welchem Grund hält es die Bundesregierung für gerechtfertigt, die Anbieter von Nachhilfeunterricht durch Befreiung von der Umsatzsteuer staatlich zu subventionieren und damit auf Steuereinnahmen, die für das öffentliche Bildungswesen verwendet werden könnten, zu verzichten?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Hirsch, mit der Umsatzsteuerbefreiung des Nachhilfeunterrichts durch private Anbieter wird dieser den entsprechenden Leistungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts im Ergebnis gleichgestellt. Die Steuerbefreiung beruht auf der für alle EU-Mitgliedstaaten verbindlichen Vorschrift des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe i der 6. EG-Richtlinie. Eine Aufhebung der Befreiung wäre deshalb ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht. Auch wäre eine partielle Besteuerung der Leistungen privater Anbieter nicht möglich. Einer solchen Regelung steht der auch im Umsatzsteuersystem verankerte Grundsatz entgegen, dass gleichartige Leistungen nicht unterschiedlich besteuert werden dürfen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Hirsch, Sie haben eine Nachfrage?

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, danke schön. - Damit sind wir faktisch in der Situation, dass über das Steuerrecht anerkannt wird, dass das private Anbieten von Nachhilfe quasi Teil des allgemein bildenden Schulsystems ist. An der Stelle stellt sich für mich die Frage, wie die Bundesregierung solch eine Situation mit dem Grundsatz vereinbaren will, dass der Bildungszugang und auch der Bildungserfolg unabhängig vom Geldbeutel der Eltern sein sollten. Die Zahlen, wonach für Nachhilfe teilweise 100 Euro im Monat oder mehr von den Eltern zur Verfügung gestellt werden müssen, sind bekannt. Wie das beispielsweise ALG-II-Empfängerinnen oder -Empfänger bezahlen sollen, ist mir zumindest schleierhaft. Ich wüsste gerne, wie sich die Bundesregierung dazu positioniert.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Sie, Frau Kollegin Hirsch, schließen aus dem Steuerrecht, dass wir die privat erteilte Nachhilfe dem Bildungsauftrag der öffentlichen Hand gleichstellen. Dieser Schlussfolgerung will ich nicht folgen; denn es ist selbstverständlich klar, dass die öffentliche Hand, namentlich die Länder, den Bildungsauftrag, den uns die Verfassung gibt, auszuüben haben. Falls die Länder nicht in der Lage sind, einen Unterricht zu gewährleisten, der tatParl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks sächlich allen Kindern, unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern, gleiche Chancen gibt, so haben die Länder dies abzustellen. Das ist ihre Aufgabe nach der Verfassung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Mir liegt auch die Umsatzsteuerrichtlinie 112 vor. Darin steht ganz klar, dass Anbieter von Nachhilfe den Einrichtungen gleichgestellt sind. Das ist eine Richtlinie, die von Bundesseite eingebracht wurde. Sie haben auf die soziale Problematik aus meiner Sicht keine zufriedenstellende Antwort gegeben. Die zweite Frage, die sich stellt, ist: Wer beurteilt eigentlich, was im Rahmen des Nachhilfeunterrichts gelehrt wird? Im Prinzip ist es so, dass der Bund durch diese Bestimmung im Steuerrecht bestimmten Trägern ermöglicht, Nachhilfeunterricht anzubieten, obwohl die schulpolitische Kompetenz eigentlich auf Landesebene angesiedelt ist. Die Steuergesetze des Bundes stellen darauf aber überhaupt nicht ab. Meine Frage: Wie sieht es mit einer Qualitätssicherung, mit einer politischen Kontrolle in Bezug auf Nachhilfeunterricht aus?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Es gibt - jedenfalls für den Bund - keinerlei Möglichkeit, eine Qualitätssicherung bei privaten Nachhilfeinstituten vorzunehmen. Wenn man dies wollte, wäre dies nach unserer Verfassung wiederum Aufgabe der Länder bzw. der Schulaufsichtsbehörden. Allerdings schließen die Eltern privatrechtliche Verträge zugunsten ihrer Kinder mit einem solchen Institut ab. Dies unterliegt nach meinem Rechtsverständnis nicht der Aufsicht durch den Schulträger, es sei denn, es liegen Verstöße vor, zum Beispiel strafrechtlicher Art; dann müsste der Staat selbstverständlich eingreifen. Im Übrigen gilt: Es sind freie Vertragspartner und es gelten zivilrechtliche Bedingungen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine weitere Nachfrage möchte die Kollegin Enkelmann stellen.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Unabhängig von der Zuständigkeit der Länder gibt es den Bildungsbericht der Bundesregierung. In einer Vorstudie dazu ist dringend angemahnt worden, sich dem Thema Nachhilfe zuzuwenden. Warum spielt das Thema Nachhilfe im Bildungsbericht der Bundesregierung keine Rolle?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin, diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, weil das Bundesministerium der Finanzen für den Bildungsbericht der Bundesregierung nicht zuständig ist. Ich werde aber veranlassen, dass Ihre Frage vom zuständigen Ministerium schriftlich beantwortet wird. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Fragen 4 und 5 der Abgeordneten Bärbel Höhn werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt zur Verfügung. Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Bonde auf: Wann beabsichtigt die Bundesregierung, die ersten bzw. letzten nuklearwaffenfähigen Tornadoflugzeuge außer Dienst zu stellen, und kann die Bundesregierung definitiv ausschließen, dass in dieser Legislaturperiode Entscheidungen getroffen werden, die darauf hinauslaufen, den Eurofighter zum Nuklearwaffenträger nachzurüsten?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege Bonde, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Die Nutzung des Waffensystems Tornado ist in reduzierter Stückzahl bis zum Jahr 2020 geplant. Grundsätzlich sind alle Luftfahrzeuge der Jagdbombervariante des Waffensystems Tornado hinsichtlich der Zielstruktur befähigt, Nuklearwaffen zu tragen. Es ist derzeit nicht geplant und es werden auch keine Vorkehrungen getroffen, das Waffensystem Eurofighter für einen Einsatz mit Nuklearwaffen zu befähigen. Ich darf im Übrigen auf die Antwort der Bundesregierung vom 7. Juli 2004 auf die schriftliche Frage 44, Drucksache 15/3609, sowie auf die Antwort der Bundesregierung auf die Fragen 20 und 21 der Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke vom 6. Februar 2006, Drucksache 16/568, verweisen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Bonde, möchten Sie eine Nachfrage stellen? Bitte schön.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, mich interessiert, inwieweit es zutrifft, dass es in der Koalition Überlegungen gab, den Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe im Weißbuch des Bundesministeriums der Verteidigung festzuschreiben. Falls es diese Überlegungen tatsächlich gab: Warum wurde dies verworfen?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Bonde, Sie stellen eine Frage, die grundsätzlich mit der Frage, die ich im Anschluss zu beantworten habe, zusammenhängt, Stichwort: Weißbuch. Bei der Beantwortung von Frage 6 gerade wollte ich Ihnen erklären, wieso ich über den Inhalt des Weißbuchs heute nichts sage. Ich möchte in meinen Antworten konsistent bleiben. Das gilt auch bezüglich Ihrer Frage zu diesem Sachverhalt. Ich kann nur folgende Ankündigung machen: Das Weißbuch wird dem Parlament nach der Kabinettssitzung nächste Woche - dort soll es vom Bundeskabinett verabschiedet werden - in gedruckter Form zur Verfügung stehen. Zu Ihren Spekulationen über die möglichen Elemente, die in der Diskussionsphase der Erstellung des Weißbuchs eine Rolle gespielt haben, kann ich im Hinblick auf diesen einen Punkt mitteilen, dass das nicht der Fall gewesen ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage des Kollegen Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie selbst haben eben die Lebensdauer der Tornados angesprochen. Können Sie das noch konkreter machen, indem Sie mir die Frage beantworten, mit wie viel Kampfwertsteigerung und mit welchem finanziellen Umfang ich beim Tornado rechnen muss?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Koppelin, Sie wissen, dass die Kampfwertsteigerung der Tornados nicht ursächlich und nicht inhaltlich mit der Frage der Nuklearfähigkeit zu tun hat. ({0}) Die Nuklearfähigkeit, die bereits jetzt bei einem Teil bzw. in der Jagdbomberversion besteht, wird bis zum Jahr 2020 erhalten bleiben. Über die in diesem Zeitraum bis zum Jahr 2020 und darüber hinaus notwendigen Investitionen in den Erhalt des Waffensystems kann ich keine verbindlichen zahlenmäßigen Aussagen machen. Ich verweise darauf, dass wir zu gegebener Zeit, falls solch eine Verbesserung notwendig sein sollte, mit den entsprechenden Anträgen in das Parlament bzw. in den Haushaltsausschuss kommen werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die zweite Nachfrage des Kollegen Bonde.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, nach diesen Ausführungen würde mich interessieren, ob die Bundesregierung die zum Beispiel vom IAEO-Generalsekretär al-Baradei oder auch im jüngsten Blix-Bericht geäußerte Einschätzung teilt, dass es schwierig ist, andere Staaten davon zu überzeugen, auf Atomwaffen zu verzichten, wenn man selbst solche Waffen besitzt, unter deren Schutz steht oder bewusst formuliert, dass man sie für die eigene Sicherheit für unverzichtbar hält.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Bonde, Sie wissen, dass wir Teil eines Verteidigungsbündnisses, der NATO, sind, das eine Strategie hat, bei der, wohl mit rückläufiger Tendenz, auch die Nuklearkomponente eine Rolle spielt. Ich darf die in Ihrer Frage vielleicht vorhandene Unterstellung, die Bundesrepublik Deutschland besitze Nuklearwaffen, allerdings zurückweisen. Das ist nicht der Fall. Eine Veränderung wird sich an dem orientieren, was die Strategie des Bündnisses ist und was die außenpolitischen Interessenlagen für unser Land unter Beachtung des Völkerrechts sind.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt gebe ich das Wort dem Kollegen Koppelin, der einen Antrag zur Geschäftsordnung stellen möchte.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, der Herr Staatssekretär hat angekündigt, dass er zum Weißbuch keine Auskunft geben wird. Auch die bisherigen Auskünfte zu den durchaus interessanten Fragen des Kollegen Bonde waren in keiner Weise ausreichend. Ich beantrage, den Bundesverteidigungsminister herbeizurufen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Gibt es dazu Wortmeldungen? ({0}) Herr Kollege Grund.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich widerspreche für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Antrag des verehrten Kollegen Koppelin, den Bundesverteidigungsminister herbeizuzitieren. Ich empfinde die Darlegungen, die der Staatssekretär beim Bundesverteidigungsministerium gemacht hat, als völlig ausreichend. Ich sehe für meine Fraktion nicht die Notwendigkeit, den Bundesverteidigungsminister herbeizurufen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Enkelmann möchte sich nicht äußern. Bitte schön.

Petra Ernstberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002648, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch nach meiner Auffassung waren die Darlegungen, die der Herr Staatssekretär gemacht hat, so ausführlich und ausreichend, dass der Herr Minister hier nicht unbedingt persönlich anwesend sein muss und die Zitierung eigentlich verzichtbar ist. Die Frage des Herrn Kollegen Koppelin ist entsprechend beantwortet worden. Ich glaube auch nicht, dass der Herr Minister hier eine anPetra Ernstberger dere Position beziehen wird, als es sein Staatssekretär jetzt im Vorfeld getan hat.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich lasse jetzt, da es keine weiteren Wortmeldungen gibt, über den Antrag des Kollegen Koppelin abstimmen. Wer für den Antrag des Kollegen Koppelin ist, der möge bitte seine Hand heben. - Gegenstimmen? ({0}) Das ist sehr eindeutig. Wir erwarten also das Erscheinen des Herrn Verteidigungsministers. Ich unterbreche die Sitzung. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Sitzung ist wieder eröffnet. Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Werner Hoyer.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, die Situation ist ein bisschen schwierig; denn der Minister hat die Antworten, die der Staatssekretär vorhin gegeben hat, nicht hören können. Aber die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung wird so perfekt sein, dass der Minister jetzt trotzdem antworten kann. Der Staatssekretär hatte großen Wert auf Konsistenz gelegt. Die Frage ist: Ist es konsistent, die Nuklearfähigkeit der Tornados bis zu deren Auslaufen 2020 für erforderlich zu halten, während für das Nachfolgemodell Eurofighter von vornherein keinerlei Nuklearfähigkeit für erforderlich gehalten wurde? Ist das nicht inkonsistent? Müsste man nicht erwarten, dass das Weißbuch darüber Aufklärung gibt? ({0})

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Abgeordneter, zunächst möchte ich Sie um Verständnis dafür bitten, dass ich jetzt nicht inhaltlich zum Weißbuch Stellung nehme. Denn Sie wissen, dass die Bundesregierung beabsichtigt, in der nächsten Woche, am 25. Oktober, das erste Mal seit 1994 diesbezüglich eine Entscheidung zu treffen. Danach werden wir im Parlament darüber debattieren. Zu Ihrer konkreten Frage: Die Konzeption ist zurzeit so, dass die Trägerfähigkeit durch vorhandene Flugzeuge, durch Tornados, gewährleistet wird. Auch wenn wir 180 Eurofighter zur Verfügung haben werden, werden wir bei der Bundeswehr weiterhin Tornados einsetzen, um unseren bestehenden internationalen Verpflichtungen nachzukommen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nein. Sie haben nur die Möglichkeit zu einer Nachfrage. ({0}) - Auch Sie haben schon eine Nachfrage zur Frage 6 gestellt. Jetzt kommen wir zur Frage 7 des Kollegen Bonde: Auf welche Ausweitung der Möglichkeiten eines Einsatzes der Bundeswehr im Innern hat sich die Bundesregierung im Weißbuch geeinigt und inwieweit ist dabei vorgesehen, dass die Bundeswehr, zum Beispiel zur Sicherung des Luftoder Seeraums, Waffengewalt anwenden kann und darf?

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Kollege Bonde, ich habe schon darauf hingewiesen, dass die förmliche Verabschiedung des Weißbuchs in der Kabinettssitzung am 25. Oktober vorgesehen ist und wir vorher nicht zu inhaltlichen Themen Stellung nehmen. Wir werden nach dieser Verabschiedung eine Debatte im Parlament über das Weißbuch führen. Diese Debatte wird mit einer Regierungserklärung eingeleitet.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage des Kollegen Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, der Kollege Bonde hatte nachgefragt, worauf sich die Koalition im Weißbuch geeinigt hat. Darf ich erstens aus Ihrer Antwort schließen - sonst würden Sie ja nicht auf diese Art und Weise antworten -, dass sich die Koalition noch nicht geeinigt hat? Darf ich zweitens fragen, wie, da das Weißbuch sicher Ihre Handschrift, das heißt Ihre persönlichen Vorstellungen, beinhalten sollte, Ihre persönlichen Vorstellungen als Minister dazu sind?

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Abgeordneter, ich kann gut verstehen, dass Sie über diesen Weg den Inhalt des Weißbuchs erfragen wollen. Ich bitte Sie aber um Verständnis, dass ich darauf nicht eingehen kann. Ich habe das Weißbuch dem Chef des Kanzleramtes zugeleitet. Daraus ersehen Sie, dass eine Abstimmung stattgefunden hat. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung im Rahmen ihrer Kabinettssitzung am nächsten Mittwoch - es ist beabsichtigt, sie im Bundesverteidigungsministerium durchzuführen - das Weißbuch verabschiedet. Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich vorher nicht zu inhaltlichen Fragen Stellung nehme.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage des Abgeordneten Bonde.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, Sie selbst waren langjähriger Parlamentarier in einem Landtag und Sie wissen, dass in Deutschland die Armee dem Parlament besonders unterstellt ist. Wie hätten Sie persönlich als Mitglied eines Landesparlamentes reagiert, hätte Ihnen die Landesregierung in vergleichbarer Situation mitgeteilt, dass sie die Darlegung ihrer Vorgehensweise bei einem Sachverhalt, der besondere Parlamentsaffinität hat, so lange verweigert, bis die Regierung diesbezüglich etwas beschließt? Finden Sie nicht, dass Sie an dieser Stelle mit dem Parlament etwas offener hätten kommunizieren können?

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Abgeordneter, angesichts der Art, wie der eine oder andere Abgeordnete über dieses Thema spricht, habe ich nicht den Eindruck, dass dieses Thema nicht offen kommuniziert wird. Ein Vergleich mit der Landespolitik ist gerade bei einer solchen bundespolitischen Frage schwer anzustellen. Ich will unterstreichen, dass es - nach meiner Erinnerung - seit 1969 Praxis ist, dass die Bundesregierung in zeitlichen Abständen zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr ein Weißbuch verabschiedet und dass über dieses Dokument der Bundesregierung im Parlament eine Debatte stattfindet. Diese sachliche Form der inhaltlichen Auseinandersetzung wird einer Parlamentsarmee gerecht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Frage der Abgeordneten Birgit Homburger.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, ich möchte direkt an das anschließen, was Sie gerade gesagt haben. Das Weißbuch ist ein außen- und sicherheitspolitisches Grundsatzdokument. Seit 1994 - Sie haben darauf hingewiesen, dass in diesem Jahr das letzte Weißbuch von einer Regierung vorgelegt wurde - hat sich etliches erheblich geändert. Bei der Bundeswehr gab es mehrere Strukturreformen. Vor diesem Hintergrund haben Sie selbst immer wieder öffentlich geäußert, dass es einen dringenden Diskussionsbedarf inhaltlicher Art gibt. Deshalb habe ich folgende Frage an Sie: Warum wird die Diskussion nicht vor der Verabschiedung des Weißbuchs durch die Bundesregierung hier im Parlament geführt? Es macht doch keinen Sinn, etwas zu verabschieden und es anschließend dem Parlament vorzulegen. So können Sie Ihrem eigenen Anspruch, das Parlament und die Öffentlichkeit in eine Diskussion einzubinden, nicht gerecht werden. ({0})

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Frau Abgeordnete, ich denke, dass wir diesem Anspruch gerecht werden können. Es ist selbstverständlich unsere Absicht - das kann ich unterstreichen -, infolge dieses Weißbuchs eine sicherheitspolitische Debatte zu führen. Es handelt sich um ein Dokument der Bundesregierung, über das im Parlament natürlich diskutiert wird. In einem Punkt kann ich das, was Sie gesagt haben, nur unterstützen. 1994 gab es noch keine Auslandseinsätze, weder auf dem Balkan noch am Horn vor Afrika noch in Afghanistan noch im Kongo noch im Libanon. Sie sehen also, dass sich im Hinblick auf die Aufgabenwahrnehmung viel verändert hat. Daher finde ich es gut, wenn die Bundesregierung eine sicherheitspolitische Standortbestimmung vornimmt sowie die Zukunft der Bundeswehr beschreibt und wenn darüber - selbstverständlich nach der Verabschiedung - im Parlament debattiert wird.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Frage des Kollegen Wolfgang Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, meinen Sie nicht auch, dass es besser wäre, wenn man zuerst eine öffentliche Debatte führen würde, in der sich alle Beteiligten, inklusive der Abgeordneten, äußern können, wenn in der Gesellschaft zuerst ein wirklicher Disput darüber stattfinden würde und die Bundesregierung am Ende dieses öffentlichen Prozesses, wenn die Meinungen bekannt sind, zu einer Bewertung, zu einem Urteil kommen und das Weißbuch vorlegen würde? So laufen Sie doch Gefahr, dass andere versuchen, das, was Sie vorlegen, wieder zu verändern. Das wird Ihnen nicht erspart bleiben. Ihr Weg ist nicht transparent und die Debatten werden nicht konstruktiv sein.

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Abgeordneter, ich denke, es ist sinnvoll, das beizubehalten, was in der Bundesrepublik Deutschland schon eine gewisse Tradition hat, nämlich, dass zunächst einmal in der Bundesregierung ein Konsens hergestellt wird, dass dann von der Bundesregierung ein Weißbuch verabschiedet wird und anschließend eine parlamentarische Debatte und ein öffentlicher Disput darüber stattfinden. Sinn und Zweck des Weißbuchs ist, dass wir uns mit den sicherheitspolitischen Themen öffentlich noch etwas stärker auseinander setzen. Das halte ich für notwendig und wichtig. Deshalb wünsche ich mir, dass wir nach der Verabschiedung durch die Bundesregierung eine sicherheitspolitische Debatte führen können.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Frage des Kollegen Königshaus.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesminister, unabhängig von der Art der Entscheidungsfindung frage ich: Wie ist denn nun - darauf bezog sich die ursprüngliche Frage des Kollegen Bonde - Ihre persönliche Haltung zu einem möglichen Einsatz der Bundeswehr im Innern?

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Ich weiß nicht, inwiefern die Fragestunde das weiter trägt. Ich will Ihnen nur sagen, dass wir im Rahmen der Koalition eine klare Vereinbarung getroffen haben, die lautet, dass aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum Luftsicherheitsgesetz gegebenenfalls Klarstellungsbedarf im Hinblick auf eine grundgeBundesminister Dr. Franz Josef Jung setzliche Änderung besteht. Das bezieht sich auf die Luft- und Seesicherheit. Dieser Punkt wird federführend vom Bundesinnenminister - er ist für eine Verfassungsänderung zuständig - bearbeitet. Ich gehe davon aus, dass wir hier noch innerhalb dieses Jahres eine entsprechende Initiative vorlegen können. ({0}) - Die habe ich Ihnen doch gerade deutlich gemacht. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann haben wir noch eine Nachfrage des Kollegen Alexander Bonde.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, ich bin durch Ihre Antwort auf meine Frage und auch durch Ihre Antworten auf die Fragen der Kollegen nicht schlauer geworden und frage daher noch einmal: Welche Position haben Sie als Bundesverteidigungsminister hinsichtlich der Änderung des Grundgesetzes und welche Rolle spielt dabei die Anwendung von Waffengewalt der Bundeswehr zur Sicherung des Luftund Seeraums in der Bundesrepublik Deutschland?

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Abgeordneter, ich will das noch einmal unterstreichen. Dieses Thema geht meines Erachtens ein Stück über die Fragestunde und Ihre Frage zum Weißbuch hinaus. Aber ich will es Ihnen noch einmal darlegen, damit Sie vielleicht - das formulieren Sie ja selbst so - schlauer werden. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass ein Einsatz beispielsweise zur Abwehr terroristischer Angriffe aus der Luft möglich ist, aber dass dafür nach Art. 35 des Grundgesetzes keine militärischen Mittel eingesetzt werden dürfen. Nun hat das Bundesverfassungsgericht es auch als zulässig angesehen, dass zum Beispiel unbemannte oder nur mit Terroristen besetzte Flugzeuge abgeschossen werden dürfen. Das geht mit polizeilichen Mitteln nicht. Deshalb ist, glaube ich, eine grundgesetzliche Änderung notwendig. Dann können in Zukunft zum Schutz der Bevölkerung und zur Abwehr derartiger Angriffe die Fähigkeiten der Bundeswehr eingesetzt werden. Das betrifft die Luft- und Seesicherheit. Darüber haben wir uns in der Koalitionsvereinbarung verständigt. Ich meine, dass wir das Grundgesetz in dieser Richtung ändern sollten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die letzte Frage hat der Kollege Hoyer.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke, Frau Präsidentin. - Ich habe noch eine Nachfrage zur Konsistenz der Argumentation, Herr Minister. Ich habe Verständnis für den Anspruch der Bundesregierung, dass sie im eigenen Verantwortungsbereich zunächst einmal ihre Haltung zum Weißbuch definiert und es dann erst dem Parlament vorlegt. Aber ist es konsistent, dem Parlament und übrigens auch dem Ausschuss die Auseinandersetzung über diese Fragen zu verweigern, wenn gleichzeitig seit heute Morgen um 8.31 Uhr auf der Internetseite der Zeitung „Die Zeit“ der komplette neue Text des Weißbuches steht? ({0})

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Abgeordneter, ich bitte um Verständnis dafür, dass ich dazu keine Stellung nehme. Ich kann nur sagen, dass ich es dem Chef des Bundeskanzleramtes zugeleitet habe, um die Kabinettssitzung vorzubereiten. Ich habe leider Gottes schon im Zusammenhang mit dem ersten Entwurf erfahren müssen, dass Dinge ohne unser Zutun an die Öffentlichkeit gelangt sind. Das ist, wie ich finde, ein bedauerlicher Vorgang, der nicht zu akzeptieren ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Haßelmann auf: Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung nach der von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Verlagerung der Kompetenz für das Heimrecht an die Bundesländer im Zuge der Föderalismusreform zum derzeitigen Stand der Planung und Umsetzung für Heimgesetzgebungen in den einzelnen Ländern und wie bewertet die Bundesregierung diese? Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Sehr geehrte Frau Präsidentin, Frau Kollegin Haßelmann, mit Ihrer Erlaubnis beantworte ich Ihre beiden Fragen aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann rufe ich auch noch die Frage 9 der Kollegin Haßelmann auf: Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Koordinierungsinstrumente oder -prozesse der Länder in Fragen des Heimrechts, die darauf abzielen, dass auch bei der zukünftigen Ausgestaltung der Länderheimgesetze Standards nicht zu sehr voneinander abweichen - ähnlich der bisherigen Vorgehensweise der Bund-Länder-Arbeitsgruppe -, wie es die Antwort auf die Fragen 24 und 25 der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg in der Fragestunde vom 8. März 2006 ({0}) nahe legte?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass das Heimrecht lediglich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 des Grundgesetzes herausgenommen worden ist, das heißt aus dem Bereich der öffentlichen Fürsorge, also aus dem öffentlich-rechtlichen Bereich, und damit nicht vollständig auf die Länder übertragen worden ist. Nach Auffassung der Bundesregierung bedarf es allerdings der raschen Klärung, welche Teile des Heimrechts weiterhin in den Kompetenzbereich des Bundes gehören. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat den notwendigen Dialog mit den Ländern eingeleitet. Am 18. September dieses Jahres hat ein erstes Gespräch in Berlin stattgefunden. Ein weiteres Gespräch ist für Ende November vorgesehen. Nach Kenntnis der Bundesregierung sind die Bundesländer gegenwärtig in Gespräche eingetreten - allerdings noch ohne eine zentrale Koordinierung - mit dem Ziel, sich auf gemeinsame Eckpunkte zur Weiterentwicklung des Heimrechts zu verständigen. Eine Erörterung dieses Themas ist unter anderem im Rahmen der Arbeits- und Sozialministerkonferenz am 16./17. November dieses Jahres vorgesehen. Konkrete Ergebnisse, die Gegenstand einer Bewertung durch die Bundesregierung sein könnten, liegen gegenwärtig logischerweise noch nicht vor.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Haßelmann, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte sehr.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich habe folgende Nachfrage: Welchen Rechtsstatus wird das bisher bundeseinheitliche Heimrecht genießen, sofern nur einige einzelne, jedoch nicht alle Bundesländer von ihrer Gesetzgebungskompetenz in Bezug auf das Heimrecht Gebrauch machen? Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich hatte erwähnt, dass die Zuständigkeit für den öffentlich-rechtlichen Teil des Heimrechts - das betrifft vor allen Dingen die Bestimmungen gewerberechtlicher Natur - an die Länder übertragen worden ist, sodass der Bund hier keine Regelungen mehr treffen kann. Der privatrechtliche Teil des Heimrechts allerdings - das betrifft insbesondere die Regelungen des Heimvertrages verbleibt nach unserer Auffassung in der Kompetenz des Bundes. Da dieser Bereich zur konkurrierenden Gesetzgebung gehört, können die Länder Regelungen treffen, wenn und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht nicht abschließend Gebrauch gemacht hat. Ansonsten ist es Aufgabe der Länder, entsprechende Regelungen zu schaffen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für Ihre Antwort, Herr Staatssekretär. Sie haben in Ihrer Antwort davon gesprochen, dass es dringend geboten ist, zu einer raschen Lösung zu gelangen, da es im Kontext der Föderalismusreform und aufgrund der Komplexität des Heimrechts zu großer Verunsicherung darüber gekommen ist, welche Bereiche demnächst in die Kompetenz des Bundes und welche in die Kompetenz der Länder fallen und wie die einzelnen Rechtsbereiche voneinander abgegrenzt werden. Ich habe zwei Nachfragen: Was tut Ihr Ministerium, um sowohl die betroffenen Menschen, ihre Angehörigen als auch die Träger und Verbände, die von diesen Änderungen im Rahmen der Föderalismusreform betroffen sind, darüber aufzuklären, wie sich die rechtliche Situation im Moment darstellt? Wie gehen Sie mit der entstandenen Verunsicherung um? Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Wir versuchen, erst gar keine Verunsicherung entstehen zu lassen bzw. sie dadurch zu beheben, dass wir zur Koordinierung mit den Ländern eingeladen und unsere Position dargestellt haben. Denn wir meinen in der Tat, dass zunächst einmal geklärt werden muss, wer welche Zuständigkeiten hat. Dieses Treffen hat am 18. September dieses Jahres stattgefunden. Weil es dabei auch um die Klärung komplizierter verfassungsrechtlicher Fragen ging, wurden das BMI und das BMJ beteiligt. Die Länder haben den Wunsch geäußert, unter Einbeziehung ihrer Verfassungsressorts eine gemeinsame Position zu erarbeiten. Das wird eine Zeit lang dauern. Ende November dieses Jahres findet die nächste Besprechung statt. Wir sind guter Dinge, dass wir uns dann auf einen gemeinsamen Weg verständigen können. Wie Sie wissen, ist es im Heimrecht immer üblich gewesen, dass sich Bund und Länder miteinander abstimmen. In diesem Bereich können wir auf eingefahrene Regelungen der Koordinierung zurückgreifen. Von daher glaube ich, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen können. Ich sage ausdrücklich, dass sich die Bundesregierung für möglichst einheitliche Qualitätsstandards im Bereich der stationären Altenpflege einsetzen wird. Ich denke, dieses Signal an die Träger ist wichtig. Des Weiteren haben wir Wert darauf gelegt, die Entbürokratisierung fortzuentwickeln. Natürlich machen wir uns auch Gedanken darüber, wie man das Heimrecht besser an die Praxis anpassen kann. Hierzu führen wir seit längerem Gespräche. Diese müssen im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Bedingungen fortgeführt werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Da Sie, Herr Staatssekretär, beide Fragen der Kollegin Haßelmann zusammen beantwortet haben, hat sie noch eine dritte Nachfrage.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie haben gerade formuliert, dass großes Interesse daran besteht, einheitliche Qualitätsstandards beizubehalten. Das gilt insbesondere für die stationäre Pflege, zum Beispiel in Altenhilfeeinrichtungen. In den vergangenen Wochen und Monaten waren eine ganze Reihe öffentlicher Einlassungen zu vernehmen. Dabei war mein Eindruck, dass man ein ziemlich starkes regionales Gefälle feststellen konnte. Im Kern geht es darum, dass man sich in einzelnen Bundesländern vorstellen könnte, die Fachkraftquote zu senken und darüber hinaus für die Menschen, die Transferleistungen wie Sozialhilfe beziehen, Änderungen im Hinblick auf die Lebenssituation in Heimen und anderen stationären Einrichtungen vorzunehmen, diese beispielsweise in Mehrbettzimmern unterzubringen. Ich will das jetzt nicht im Einzelnen ausführen. Wie bringt sich die Bundesregierung hier ganz konkret mit dem Ziel ein, einheitliche Qualitätsstandards zu erhalten? Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sie haben es selbst wiederholt: Wir legen Wert auf einheitliche Qualitätsstandards und sind diesbezüglich guter Dinge. Wir werden entsprechende Richtlinien mit erarbeiten, an denen man sich orientieren kann. Im Übrigen sollte man zunächst einmal abwarten, ob es nicht auch einen positiven Wettbewerb zwischen den Ländern geben wird, was die Qualität der Betreuung und Unterbringung in Heimen angeht; darüber ist - auch in anderen Zusammenhängen - viel diskutiert worden. Man muss hier differenzieren. Ich gehe davon aus, dass einige Länder beispielhaft zeigen werden, wie man die Dinge im Sinne der Bewohner von Heimen organisieren und regeln kann. Aber ich gebe auch gern zu, dass es offene Fragen gibt, die jetzt angegangen werden müssen und zu denen wir schnellstmöglich Regelungen brauchen, um die für die Träger wie für die Betroffenen in den Heimen denkbaren Unsicherheiten zu beseitigen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Noch eine Nachfrage, bitte schön.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, werden Sie das Parlament bzw. den Fachausschuss, der die Übertragung der Zuständigkeit für das Heimrecht an die Länder insgesamt kritisch gesehen hat, weiterhin von sich aus offensiv - auch über die Bund-Länder-Gespräche - informieren oder werden wir immer wieder im Rahmen von parlamentarischen Initiativen nachfragen müssen? Sehen Sie das als Ihre Aufgabe an? Zum Zweiten: Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob Verbände, Initiativen oder Betroffene nach Beschlussfassung verfassungsrechtliche Bedenken anmelden wollen? Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Von Letzterem habe ich keine Kenntnis. Was das sonstige Verfahren angeht, haben wir eine gute Tradition. Ich will mich hier ausdrücklich verpflichten, dass wir auch von uns aus informieren. Aber der Ausschuss muss das selbstverständlich auch wollen, er muss sich das auf die Tagesordnung setzen. Ich hätte aber auch kein Problem damit, wenn Sie immer wieder nachfragen. Das Parlament ist durchaus auch dazu da, die Regierung immer wieder in die richtige Richtung zu bewegen. Darauf freue ich mich dann. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit verlassen wir diesen Geschäftsbereich und kommen zu dem des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Hintze zur Verfügung. Die Fragen 10 und 11 des Abgeordneten Werner Dreibus werden schriftlich beantwortet. Ich komme zur Frage 12 des Abgeordneten Dr. Diether Dehm: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Vorstandsgehälter teilweise in keinem Verhältnis zur Leistung und Verantwortung - Stichwort Managerhaftung - der Vorstände stehen?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Frau Präsidentin! Lieber Herr Kollege Dr. Dehm, es obliegt nicht der Bundesregierung, einzuschätzen, ob die Vergütung eines Vorstandsmitglieds einer deutschen Aktiengesellschaft in einem angemessenen Verhältnis zu seinen Leistungen steht. Es ist die Aufgabe des Aufsichtsrates, über die Höhe der Vergütung zu entscheiden. Er hat dabei dafür zu sorgen, dass die Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds in einem ausgewogenen Verhältnis zu seinen Aufgaben und zur Lage seiner Gesellschaft stehen. Um die Transparenz für die Aktionäre zu stärken, hat der Gesetzgeber mit dem Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz die Pflicht eingeführt, die Einkünfte der Vorstandsmitglieder börsennotierter Aktiengesellschaften detailliert offen zu legen. Verlangt wird die Aufschlüsselung in erfolgsunabhängige und erfolgsbezogene Komponenten sowie solche mit langfristiger Anreizwirkung wie etwa Aktienoptionen. Die neuen Regelungen sind seit dem 11. August 2005 in Kraft und entsprechend auf die Jahres- und Konzernabschlüsse für die Geschäftsjahre ab dem 1. Januar 2006 anzuwenden. Die Anteilseigner können allerdings auf die individuelle Offenlegung der Einkünfte der Vorstandsmitglieder verzichten. Vergütung und Haftung haben nicht unmittelbar miteinander zu tun. So wird weder nach ausländischem noch nach deutschem Recht für eine nicht gute, der Vergütung nicht angemessene Leistung gehaftet. Gehaftet wird immer für Unredlichkeiten und Sorgfaltspflichtverletzungen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine Nachfrage, bitte schön.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, ich will die Frage einmal auf Sie persönlich - und auch den Minister - zuspitzen: Was glauben Sie, wie es bei den Menschen ankommt, wenn a) Aktienkurssteigerungen dazu führen, dass die Mana- gergehälter steigen, und b) Entlassungen, durch die eine große Zahl von Menschen arbeitslos und ärmer wird, fast automatisch zu eben diesen Kurssteigerungen führen, die sich positiv auf die Managergehälter auswirken? Meinen Sie nicht, dass dieses Unwohlsein und teilweise auch die Feindseligkeit in der Bevölkerung gegenüber den Institutionen dieses Staates und der Demokratie - ich hatte das mit der ersten Frage schon angedeutet den Staat auf den Plan rufen müssten, dass man das also nicht alleine in die Hand der Aktionäre legen sollte? Ich denke, die Zukunft unserer Gattung mit den zwei Beinen auf diesem Planeten liegt zu einem großen Teil in den Händen von Aktionären. Ich finde: zu viel.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Der Gesetzgeber hat damals auf Anregung der Bundesregierung mit dem Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz - meiner Erinnerung nach getragen von allen Fraktionen der Koalition und der Opposition - die Grundlage dafür geschaffen, dass in diesem Bereich mehr Transparenz herrscht. Eine Folge dieser Transparenz ist natürlich, dass in den allermeisten Fällen auch eine Diskussion - betriebsöffentlich oder gesamtgesellschaftlich - über die Angemessenheit der Vergütung stattfindet. Nach unserer Rechtsordnung sind bei einer Unangemessenheit die Konsequenzen durch die Aufsichtsräte zu ziehen. Insofern hat der Gesetzgeber das Seine hierzu getan.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine weitere Nachfrage.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie meinen, das reicht?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Ich glaube, dass der Gesetzgeber damit die ihm obliegenden Pflichten vollumfänglich wahrgenommen hat.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit sind wir bei der Frage 13 des Kollegen Klaus Ernst: Sieht die Bundesregierung gesetzlichen Handlungsbedarf, um die enormen Einkommensunterschiede zwischen Vorstandsmitgliedern und den übrigen Angestellten eines Unternehmens zu verhindern?

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, höflichkeitshalber erlaube ich mir, darauf hinzuweisen, dass die Frage des Kollegen Klaus Ernst den gleichen Sachverhalt betrifft, sodass sich die Antwort in dem einen oder anderen Punkt mit der vorhergehenden Antwort deckt, weil die Meinung der Bundesregierung unabhängig vom Fragesteller gleich ist, wenn die Frage gleich lautet. Antwort auf die Frage 13: Nach Auffassung der Bundesregierung obliegt es nicht dem Gesetzgeber, die Höhe der Vergütung eines bestimmten Vorstandsmitglieds einer deutschen Aktiengesellschaft zu regulieren. Es ist zu Recht Aufgabe des Aufsichtsrates, über die Höhe der Vergütung zu entscheiden. Er hat dabei dafür zu sorgen, dass die Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitgliedes in einem ausgewogenen Verhältnis zu seinen Aufgaben und zur Lage der Gesellschaft stehen. Wie ich der Homepage Ihrer Fraktion entnommen habe, geben Sie selbst an, Mitglied in einem Aufsichtsrat zu sein. Ich denke, dass Sie die Pflichten und Aufgaben, die daraus erwachsen, aus eigener Tätigkeit gut kennen. Um die Transparenz für die Aktionäre zu stärken, hat der Gesetzgeber mit dem Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz eine Pflicht zur detaillierten Offenlegung der Einkünfte von Vorstandsmitgliedern börsennotierter Aktiengesellschaften eingeführt. Verlangt wird die Aufschlüsselung in erfolgsunabhängige und erfolgsbezogene Komponenten sowie solche mit langfristiger Anreizwirkung, wie etwa Aktienoptionen. Die neuen Regelungen sind seit dem 11. August 2005 in Kraft und dementsprechend auf die Jahres- und Konzernabschlüsse für die Geschäftsjahre ab dem 1. Januar 2006 anzuwenden. Die Anteilseigner können auf die individuelle Offenlegung der Einkünfte von Vorstandsmitgliedern verzichten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Ernst, bitte schön.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Hintze, ich gehe davon aus, dass Ihnen das Mitbestimmungsrecht und damit auch die Tatsache bekannt ist, dass die Vertreter der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat wegen der doppelt so vielen Vertreter der Anteilseigner und aufgrund der Tatsache, dass auch Leitende vertreten sind, nie die Mehrheit haben können. Meine erste Frage lautet: Kann ich Ihre Antwort auf meine Frage so verstehen, dass Sie beabsichtigen, das Mitbestimmungsrecht dahin gehend zu ändern, dass die Mitbestimmung der Arbeitnehmer eine echte Mitbestimmung werden könnte? ({0})

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Die rechtlichen Grundlagen sind der Bundesregierung bekannt. Ihre konkrete Frage beantworte ich mit Nein.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön, Sie haben eine zweite Nachfrage.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. - Man kann nachlesen, dass sich Mitglieder der Bundesregierung in der Öffentlichkeit kritisch darüber äußern, dass die Vorstandsbezüge bei einigen Unternehmen in den letzten Monaten und Jahren exorbitant gestiegen sind. Ich erwähne zum Beispiel die Deutsche Bahn, an der der Bund nicht unwesentlich beteiligt ist und bei der er auch im Aufsichtsrat vertreten ist. Nachdem ich einerseits kritische Nachfragen der Bundesregierung zur Kenntnis genommen und andererseits Ihre Antwort in der Weise verstanden habe, dass die Bundesregierung nicht beabsichtigt, einzugreifen, könnte ich doch davon ausgehen, dass die Aussagen in der Öffentlichkeit schlichtweg dem widersprechen, was die Bundesregierung insgesamt wirklich meint. ({0})

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Davon können Sie nicht ausgehen, lieber Herr Kollege. Hier sind zwei Sachverhalte scharf voneinander zu trennen. Das eine ist die Angemessenheit der Vorstandsbezüge in konkreten Fällen, die auf der gesetzlichen Grundlage des Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetzes logischerweise zu einer solch öffentlichen Diskussion geführt hat. Daran beteiligen sich natürlich auch Verantwortliche in der Politik. Das andere ist der Aufsichtsrat als Regelungsort, der die Rechte des Unternehmens wahrzunehmen und über die Angemessenheit der Vergütung zu entscheiden hat.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage des Kollegen Alexander Ulrich.

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, es sei Aufgabe des Aufsichtsrates und weniger Aufgabe der Politik, hierüber zu entscheiden. Nun wissen wir, dass zum Beispiel Ihr Parteifreund Friedrich Merz in einigen Aufsichtsräten vertreten ist. Da die Unterscheidung zwischen politischen und wirtschaftlichen Aufgaben, die viele Abgeordnete des Bundestages wahrnehmen, verschwimmt, frage ich: Ist es vorstellbar, dass die Bundesregierung den Abgeordneten wenigstens eine Empfehlung dazu gibt, was eine geeignete Vergütung für Vorstände sein könnte? Das wäre ein Weg, wie Politik indirekt Einfluss nehmen könnte. ({0})

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Eine solche Empfehlung wird die Bundesregierung nicht abgeben, Herr Kollege. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit sind wir bei der Frage 14 der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass durch unverhältnismäßig hohe Vorstandsgehälter die Ertragskraft eines Unternehmens und damit dessen langfristige Entwicklung geschwächt werden?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Frau Präsidentin, es geht wieder um denselben Sachverhalt. Das sage ich vorher, damit Sie über eine teilweise wortgleiche Antwort nicht verwundert sind. Es obliegt nicht der Bundesregierung, einzuschätzen, ob die Vergütung eines bestimmten Vorstandsmitglieds einer deutschen Aktiengesellschaft im Vergleich zu seinen Leistungen unverhältnismäßig ist. Es ist die Aufgabe des Aufsichtsrates, über die Höhe der Vergütung zu entscheiden. Er hat dabei dafür zu sorgen, dass die Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds in einem ausgewogenen Verhältnis zu seinen Aufgaben und zur Lage der Gesellschaft stehen. Die gesetzlich berufenen Organe der Aktiengesellschaft, Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung, haben bei ihren Entscheidungen das Wohl der Gesellschaft, also auch ihre Ertragskraft und Entwicklung zu berücksichtigen. Um die Transparenz für die Aktionäre zu stärken, hat der Gesetzgeber mit dem Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz eine Pflicht zur detaillierten Offenlegung der Einkünfte von Vorstandsmitgliedern börsennotierter Aktiengesellschaften eingeführt. Verlangt wird die Aufschlüsselung in erfolgsunabhängige und erfolgsbezogene Komponenten sowie solche mit langfristiger Anreizwirkung, wie etwa Aktienoptionen. Die neuen Regelungen sind seit dem 11. August 2005 in Kraft und sind entsprechend auf Jahres- und Konzernabschlüsse für die Geschäftsjahre ab dem 1. Januar 2006 anzuwenden. Die Anteilseigner können auf die individuelle Offenlegung der Einkünfte von Vorstandsmitgliedern verzichten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Bulling-Schröter, eine Nachfrage.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Da meine Frage nicht beantwortet wurde, muss ich nachfragen. Es ging darum, ob die Bundesregierung nicht meint, dass die langfristige Entwicklung eines Unternehmens durch unverhältnismäßig hohe Gehälter geschwächt wird. Da Sie sich offensichtlich um die Beantwortung dieser Frage drücken, stelle ich meine Frage noch einmal. Es geht um ein ganz aktuelles Bespiel. Die SiemensManager verzichten auf 30 Prozent ihres Einkommens, um für die Tausenden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Firma BenQ, deren Arbeitsplätze vernichtet werden sollen, wenigstens Geld für einen Sozialplan zur Verfügung zu stellen. Das ist ein Beweis dafür, dass diese hohen Gehälter langfristig die Entwicklung von Unternehmen eben nicht sichern, sondern im Grunde schädigen.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Die Bundesregierung nimmt erfreut die Entscheidung von Siemens zur Kenntnis, teilt aber nicht den Schluss, den Sie daraus ziehen.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zu meiner zweiten Frage. Zurzeit wird von den Unternehmen eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich propagiert und deren Durchsetzung massiv gefördert. Vonseiten der Bundesregierung habe ich hinsichtlich der Durchsetzung von Lohnkürzungen eher eine positive statt einer negativen Stellungnahme gehört. Wenn das so ist, dann bin ich der Meinung, dass die Bundesregierung diese langfristige Entwicklung in Sachen Löhne von Beschäftigten genauso sieht wie wir, aber in Sachen Managergehälter eben nicht.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Frau Präsidentin, das war eine Meinungsäußerung. Ich habe keine Frage herausgehört. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Frage war, ob Sie das so sehen.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Ich habe Ihre Darstellung trotz konzentrierten Zuhörens inhaltlich nicht richtig verstanden. Deswegen habe ich den Fragegehalt nicht erkannt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann kommt die Frage der Kollegin Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, Sie haben sehr zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass der Aufsichtsrat eine besondere Verantwortung wahrnimmt. Mein Kollege Ernst hat schon darauf verwiesen, dass die Bundesregierung beispielsweise auch im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG vertreten ist. Halten Sie die sehr drastisch gestiegenen Gehälter des Vorstandes der DB AG angesichts der Leistung der DB AG für angemessen, die sich in Fahrpreiserhöhungen, Streckenausdünnung, dem Betrieb des rollenden Materials auf Verschleiß usw. ausdrückt?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Die Bundesregierung kommentiert die Höhe einzelner Vorstandsbezüge nicht. Das ist allein Angelegenheit der Gesellschaft.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Frage des Kollegen Dr. Diether Dehm.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lassen Sie mich anders fragen, Herr Staatssekretär. Ich kenne Ihre Biografie ein bisschen und weiß, dass bei Ihnen auch Ethik eine große Rolle spielt. Haben Sie Verständnis dafür, dass es in der Bevölkerung darüber großen Unmut gibt, oder würden Sie das als Sozialneid abtun? ({0})

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Ziel des Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetzes war, für mehr Transparenz zu sorgen. Dass die Transparenz auch zu Diskussionen in der Bevölkerung führt, war vom Gesetzgeber ebenfalls beabsichtigt und ist damals von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages für richtig gehalten worden. Welche Folgerungen daraus in den einzelnen Unternehmen gezogen werden, bleibt abzuwarten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Frage des Kollegen Ernst.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, wir hören auf der einen Seite - ich habe es bereits angesprochen - sehr drastische Worte aus der Regierung über die dieser Meinung nach übertriebenen Gehaltserhöhungen und auf der anderen Seite Ihre Stellungnahme, die den Eindruck erweckt, als stünden die öffentlichen Äußerungen in krassem Widerspruch zu dem, was wirklich getan wird. Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um das der Bevölkerung verständlich zu machen, die zunehmend den Eindruck hat, dass die Politiker und damit auch die Regierungsmitglieder untätig zuschauen, wie das Volk verarmt, während sich die Vorstände kräftig bedienen? Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um in der Bevölkerung zumindest den Eindruck zu erwecken, dass die Regierung etwas tut?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Die Regierung arbeitet sehr konsequent daran, die wirtschaftliche Entwicklung im Lande, die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und die Stärkung unserer Wirtschaft insgesamt voranzubringen. Die Zahlen sind erfreulich. Sie haben sicherlich verfolgt, dass das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr kräftig zunimmt. Die Wachstumsrate wird sich im Verhältnis zum Vorjahr mehr als verdoppeln. Wir legen im Außenhandel zu. Die Binnennachfrage zieht an. Die Beschäftigungssituation verbessert sich. Die Arbeitslosigkeit geht zurück und die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse zieht an. Wir haben also allen Anlass, der Bevölkerung zu sagen, dass es wirtschaftlich aufwärts geht, und wir arbeiten auch intensiv daran. Ich glaube, dass die Vergütung von Vorstandsmitgliedern und die Beschäftigungssituation in der Bevölkerung in keinem direkten Zusammenhang stehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann kommen wir zu Frage 15 der Kollegin Eva Bulling-Schröter: Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang von extrem hohen Einkommensunterschieden zwischen Vorständen großer Unternehmen und deren einfachen Angestellten einerseits und der Leistungsbereitschaft der Beschäftigten andererseits?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Die Frage 15 beantworte ich mit Nein.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Haben Sie eine Nachfrage?

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, natürlich. - Es geht um die Leistungsbereitschaft der Beschäftigten in Bezug auf die große Differenz von Löhnen und Gehältern. Sie sehen also nicht, dass es Probleme mit der Belegschaft gibt. Es gibt immer noch Unternehmen, deren Staatsanteil sehr hoch ist. Die Bundesrepublik Deutschland ist zum Beispiel an der Telekom und der DB AG beteiligt. Wie sehen Sie die Rolle der Bundesregierung bezüglich der Gehälter der Aufsichtsratsmitglieder?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Meinen Sie die Vorstandsmitglieder oder die Aufsichtsratsmitglieder?

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Beides.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Darf ich die Frage mit Genehmigung der Präsidentin vorlesen, damit auch die Kollegen im Plenum, denen die Frage nicht vorliegt, wissen, worüber wir diskutieren? Ist das zulässig? Dann mache ich das gerne. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie dürfen sie gerne vorlesen.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Die Frage lautet: Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang von extrem hohen Einkommensunterschieden zwischen Vorständen großer Unternehmen und deren einfachen Angestellten einerseits und der Leistungsbereitschaft der Beschäftigten andererseits? Diese Frage habe ich mit Nein beantwortet; denn wenn man sie mit Ja beantwortete, würde man einem Beschäftigten eines Unternehmens unterstellen, dass er weniger leistungsbereit sei, wenn sein Vorstandsmitglied mehr verdient, und dass er leistungsbereiter sei - jedenfalls in seiner Funktion -, wenn das Vorstandsmitglied weniger verdient. Diesen Zusammenhang kann ich nicht erkennen. Ich finde ihn kühn. Deswegen habe ich die Frage mit Nein beantwortet, weil ich davon ausgehe, dass die allerallermeisten Arbeitnehmer mit sehr großer Leistungsbereitschaft ihre Aufgaben wahrnehmen, und ich mir nicht vorstellen kann, dass ein Arbeitnehmer seine Leistungsbereitschaft prozentual oder wie auch immer danach ausrichtet, wie viel seine Vorstände verdienen. Diese Antwort gilt natürlich auch für die von Ihnen gestellten Nachfragen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ihre zweite Zusatzfrage.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Laut Ihrer Antwort hätte ich mit meiner Frage unterstellt, dass die Belegschaften diese Leistungsbereitschaft nicht hätten. Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben und Sie noch einmal fragen, ob so etwas nicht die Leistungsbereitschaft drückt. Wenn zum Beispiel ein Schlosser in einem Betrieb einen Fehler macht, wird er entlassen. Wenn ein Aufsichtsratsvorsitzender einen Managementfehler macht, dann wird er entweder mit einer großen Abfindung entlassen oder er wird eine Stufe höher gelobt und bekommt noch mehr Geld. Das sind die feinen Unterschiede. Da frage ich Sie, ob das nicht demotivierend auf die Beschäftigten, auf die Belegschaft wirkt.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Ich bin mir sicher, dass ein solcher Vorgang unternehmensintern zu Diskussionen führt und dass das dann in der Belegschaft diskutiert wird. Ich glaube, dass das mit Sicherheit auch im Aufsichtsrat und von allen im Aufsichtsrat Vertretenen im Unternehmen diskutiert wird. Ich erkenne nur keinen Zusammenhang zwischen der Leistungsbereitschaft des Einzelnen und der Vergütung der Unternehmensspitze, den Sie Ihrer Frage zugrunde legen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nun gibt es noch eine Zusatzfrage des Kollegen Ernst.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, es gebe keinen Zusammenhang zwischen der Vergütung von Vorstandsmitgliedern und den Arbeitsplätzen, die in einem Unternehmen bestehen. Wir nehmen wahrscheinlich beide zur Kenntnis, dass der Aktienkurs eines Unternehmens in der Regel dann gewaltig steigt, wenn das Unternehmen bekannt gibt, Arbeitsplätze abzubauen. Könnten Sie sich vorstellen, dass die Bezahlung von Vorstandsmitgliedern mit Aktienoptionen, also die Tatsache, dass Vorstandsmitglieder insbesondere dann ihr Gehalt massiv erhöhen können, wenn sie durch Entlassungen zu einem höheren Kurs ihrer Aktien beitragen, dazu führt, dass Arbeitsplätze abgebaut werden? Könnten Sie sich vorstellen, dass das ein Motiv bei den Vorstandsmitgliedern sein könnte? Wäre es nicht angebracht, das arbeitsgesetzlich zu regeln? ({0}) - Weniger, deutlich weniger, liebe Kollegin. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eigentlich war der Herr Staatssekretär zur Antwort bereit.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Ich bin gerne bereit, die Frage zu beantworten. Zuerst möchte ich für das Protokoll feststellen, dass die Wiedergabe meiner Position in Ihren einleitenden Sätzen so von mir nicht geteilt wird. Aber das betrifft Ihre eigentliche Frage nicht; das ist nicht das Entscheidende. ({0}) Zu Ihrer Frage: Ich glaube, dass das im Unternehmen selber zu klären ist und auch im Unternehmen geklärt wird. ({1}) - Ich weiß nicht, ob ich auf einen Zwischenruf eingehen soll, aber in der Tat unterscheiden wir zwischen den Aufgaben der Wirtschaft und den Aufgaben der Regierung. Wir sind nicht der Auffassung, dass die Regierung für alles zuständig ist - jedenfalls in einem demokratischen, sozialen Rechtsstaat. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Dehm hat noch eine Frage.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, in der ganzen Zeit, in der Sie uns Ihre charmante Anwesenheit schenken, höre ich eine Konstante: Dies ist eine reine Entscheidung der Konzernspitzen. Wir haben vorher den Verteidigungsminister gehört, der in den letzten Monaten etwas von einer Energieaußenpolitik gesagt hat. Sollten wir nicht vielleicht auch die Bundeswehr in den Werkschutz der Energiekonzerne integrieren? ({0})

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Ich bin ein friedliebender Mensch, deswegen beantworte ich diese Frage höflich mit Nein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. ({0}) - Es tut mir Leid, Kollege Ernst, aber Sie hatten schon eine Zusatzfrage zu diesem Bereich. Deshalb danken wir dem Staatssekretär. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth zur Verfügung. Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter vom Bündnis 90/Die Grünen auf: Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass die Gründe und die Angemessenheit für die Höhe der Preisanhebung zum 1. Januar 2007 bei der Deutschen Bahn AG, DB AG, transparent werden und ein Zusammenhang zwischen der geplanten Teilprivatisierung der DB AG und zusätzlicher Belastung der Kunden ausgeschlossen werden kann? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Hofreiter, ein Zusammenhang zwischen der Preisgestaltung der Deutschen Bahn AG und der geplanten Teilprivatisierung ist nicht erkennbar. Schon heute ist die DB AG als Wirtschaftsunternehmen zu führen. Die Preise aller Eisenbahnverkehrsunternehmen im Schienenpersonenfernverkehr unterliegen nach gesetzlichen Vorschriften nicht der Genehmigung. Sie bleiben der unternehmerischen Gestaltungsfreiheit und der wirtschaftlichen Eigenverantwortung dieser Unternehmen vorbehalten. Es ist folglich alleinige Aufgabe der Unternehmen und liegt im wirtschaftlichen Interesse der Kunden, die Gründe für Preiserhöhungen zu erläutern. Das muss die DB AG aber von sich aus tun.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie noch eine Nachfrage? - Bitte, Herr Kollege Hofreiter.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich finde, diese Aussage ist sehr verblüffend; denn wir alle wissen, dass im Moment versucht wird, eine erfolgreiche Börsenstory zu schreiben, indem ein im Kernbereich de facto tief defizitäres Unternehmen an die Börse gebracht werden soll. Angesichts dessen ist zu erwarten, dass extrem überproportionale Preiserhöhungen dazu dienen, dieses Unternehmen für die Börse aufzuhübschen. Ich frage nach, wie das Ministerium sicherstellen will, dass die Preisgestaltung transparent wird. Sie haben gesagt, die Preisgestaltung sei alleinige Aufgabe des Unternehmens. Aber bei einem Unternehmen, das zu 100 Prozent in Bundesbesitz ist, darf das nicht der Fall sein. Vielmehr ist die Preisgestaltung gegenüber dem Eigentümer - das sind wir - transparent zu machen.

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Herr Kollege Hofreiter, es geht um Preiserhöhungen. Wie Sie sicherlich wissen, sind diese aufgrund der Gesetzeslage alleinige Sache des Unternehmens, genauso wie die Kommunikation zwischen dem Unternehmen auf der einen Seite und der Öffentlichkeit auf der anderen Seite. Wir, die Bundesregierung, werden keinen Einfluss nehmen. Hinsichtlich der Transparenz gehen wir angesichts der Zahlen, auf die Sie gerade zu Recht hingewiesen haben, davon aus, dass es Gründe für eine Erhöhung der Fahrpreise im Fernverkehr gibt. Aber es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, sondern alleinige Aufgabe des Aufsichtsrates und des Vorstandes der DB AG, Fahrpreiserhöhungen zu prüfen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Nachfrage, Herr Hofreiter.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Stimmen Sie mir zu, dass die Bundesregierung kein Interesse hat, für Transparenz innerhalb der Finanzströme der DB AG zu sorgen?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Es geht hier um Fahrpreiserhöhungen und nicht um Finanzströme, zum Beispiel bei der Finanzierung der Infrastruktur; das ist ein anderes Thema.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank. - Da es keine weiteren Nachfragen gibt, kommen wir zur Frage 17 des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter: Wird die Bundesregierung bzw. der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Falle der Uneinigkeit der Bundesländer in der Frage der Genehmigungsfähigkeit im Hinblick auf die Preisanhebung zum 1. Januar 2007 bei der DB AG das in § 5 Abs. 4 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes vorgesehene Einvernehmen dahin gehend herstellen, der beantragten Preisanhebung zuzustimmen, und wie lässt sich nach Auffassung der Bundesregierung die Preisanhebung mit dem im Vergleich zum Vorjahr verbesserten Betriebsergebnis der DB AG in Einklang bringen? Frau Staatssekretärin Roth, Sie haben wieder das Wort.

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Danke schön, Frau Präsidentin. - Die Zuständigkeit für die Genehmigung der Tarife, also für Beförderungsbedingungen und -entgelte für den Schienenpersonennahverkehr, liegt bei den Bundesländern. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat grundsätzlich keine Möglichkeit, auf Tarifentscheidungen im Nahverkehr Einfluss zu nehmen. Lediglich wenn keine einvernehmliche Genehmigung der Tariferhöhung durch die Bundesländer erfolgt, hat der Bund auf Antrag der Bundesländer zu entscheiden. Dabei ist die Zuständigkeit des Bundes bei der Genehmigung von Tarifen begrenzt. Seine Prüfpflicht beschränkt sich auf eine eingeschränkte Missbrauchsaufsicht. Die Kalkulation der Tarife unterliegt der DB AG. Es liegen keine Unterlagen vor, die einen unmittelbaren Zusammenhang zu Betriebsergebnissen der DB AG in den vergangenen Jahren erkennen lassen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre Nachfrage, bitte.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Speziell im Nahverkehr, dem einzigen Bereich, der gewinnträchtig ist, hat die DB AG extrem hohe Gewinne, nämlich rund 500 Millionen Euro. Deshalb wäre es doch sinnvoll, diese Preiserhöhungen nicht zu genehmigen. Stimmen Sie mir da zu?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Das ist Sache der Länder. Wenn die Länder die Tarife genehmigen, werden sie ihre Gründe haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke schön. Damit kommen wir zur Frage 18 des Abgeordneten Hans-Kurt Hill von der Fraktion Die Linke: In welchen einzelnen Punkten ist bei der Bundesregierung die Einführung eines bedarfsorientierten Gebäudeenergiepasses, so wie ihn Deutscher Mieterbund, Verbraucherzentrale Bundesverband und Deutsche Umwelthilfe fordern, strittig?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Frau Präsidentin! Kollege Hill, der Referentenentwurf zur Novellierung der Energieeinsparverordnung wird gegenwärtig in der Bundesregierung abgestimmt. In diesem Zusammenhang wird auch über die Gestaltung des Energieausweises entschieden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre Nachfrage, bitte.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für diese kurze und prägnante Auskunft. Meine Frage geht dahin: Welche Art von Energiepass wird abgestimmt, und zwar von der Sache her? Wird es ein bedarfsorientierter oder ein verbrauchsorientierter Energiepass sein?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Das ist die Frage, die im Rahmen der Ressortabstimmung zurzeit geklärt wird. Ich gehe davon aus, dass diese Klärung rechtzeitig erfolgt.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Kann ich also davon ausgehen, dass die Frage, ob es einen bedarfsorientierten oder einen verbrauchsorientier5442 ten Energiepass geben wird, in der ganzen Zeit strittig ist und dass wir deswegen darauf verzichten, einen Energiepass so rechtzeitig einzuführen, dass wir schon heute die Auswirkungen des Energiepasses insbesondere auf das Handwerk und auf den Arbeitsmarkt vermerken könnten?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Herr Kollege Hill, wir können feststellen, dass das CO2-Sanierungsprogramm, also die Energieeinsparungen im Zusammenhang mit den Gebäudesanierungen, gut angenommen wird. Daher, so denke ich, ist der Zusammenhang zwischen Energieausweis auf der einen Seite und CO2-Sanierungsprogramm auf der anderen Seite positiv zu bewerten. Es ist richtig: Wir diskutieren die Frage der Wahlmöglichkeiten und die der Einführung des Bedarfsausweises oder des Verbrauchsausweises sowie die Frage, ab wann ein Bedarfsausweis und ab wann ein Verbrauchsausweis vorgeschrieben wird. Wir legen großen Wert darauf, dass die Wahlfreiheit ermöglicht wird. Aber sie hat nichts mit der Wirtschaftlichkeit und der Entwicklung der Wirtschaft zu tun. Im Gegenteil: Wir nehmen gerade wahr, dass die Gebäudesanierung der konjunkturpolitische Renner der Bundesregierung ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Da es keine weiteren Nachfragen zu dieser Frage gibt, kommen wir zur Frage 19 des Abgeordneten Hans-Kurt Hill: Wann genau können die Verbraucherinnen und Verbraucher, die unter stark gestiegenen Energiekosten leiden, mit der Einführung eines Gebäudeenergiepasses rechnen, der nach EU-Vorgabe bereits im Januar dieses Jahres hätte eingeführt werden müssen?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Vielen Dank. - Der Energieausweis soll im Zusammenhang mit der Novellierung der Energieeinsparverordnung so rasch wie möglich eingeführt werden. Der Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der neuen Verordnung und der Einführung des Energieausweises für Verkaufsund Vermietungsfälle kann aber schon deshalb nicht bestimmt werden, weil die Ressortabstimmung noch nicht erfolgt ist. Wie gesagt: Wir arbeiten daran.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben eine Nachfrage, bitte.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Selbstverständlich, Frau Präsidentin. - Ich danke Ihnen wiederum für diese kurze und prägnante Ausführung, die sich inhaltlich eigentlich fast mit dem deckt, was Sie schon eben gesagt haben. Ich muss trotzdem etwas anmerken und daraus eine Frage entwickeln. Wir sollten eigentlich den Energiepass seit dem 1. Januar dieses Jahres zur Verfügung haben. So sehen es die EURahmenrichtlinien vor. Wir haben jetzt Oktober. Woran liegt es denn, dass es innerhalb der Regierung so lange dauert, sich darüber zu orientieren, wie und in welcher Form man zu dem Energiepass kommt? Hängt das vielleicht damit zusammen, dass es in bestimmten Kreisen Widerstand gegen den bedarfsorientierten Energiepass gibt, weil der gewisse Konsequenzen insbesondere für den Vermieter hat?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Wir sind daran interessiert, dass der Gebäudeenergiepass so schnell wie möglich kommt. Dadurch, dass im letzten Jahr ein neuer Bundestag gewählt worden ist, haben sich die Arbeiten zur Schaffung dieses Ausweises verzögert. Sie können davon ausgehen, dass die Bundesregierung an einer schnellen Regelung interessiert ist. Wichtig ist, dass die Gebäudeenergiepässe aussagefähig und kostengünstig sind. Ich denke dabei insbesondere an diejenigen, die sie letztlich bezahlen müssen. Außerdem sollten diese Pässe Hinweise auf Modernisierungen enthalten. Das Ganze ist ein wichtiges Projekt im Hinblick auf Energieeinsparungen im Bereich der Gebäudesanierung. Wir wissen, dass dort große Potenziale zu heben sind, insbesondere in Bezug auf Umwelt- und Klimaschutz. Daran sind sicher auch Sie interessiert. Wir wissen auch, dass durch Investitionen in diesem Bereich eine erhebliche Anzahl von Arbeitsplätzen geschaffen wird. Insofern können Sie davon ausgehen, dass die Bundesregierung sowohl durch den Gebäudeenergiepass als auch durch das CO2-Gebäudesanierungsprogramm alles tut, um die Sanierung der Gebäude in dieser Republik zu verbessern, zum Wohle der Wirtschaft, der Arbeit, vor allen Dingen der Umwelt und damit der künftigen Generationen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie dürfen noch eine Zusatzfrage stellen.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Eine kleine Frage möchte ich noch stellen. - Das hat mich im Grunde genommen an das erinnert, was der Kollege Peter Hintze eben über das gesagt hat - ich glaube, auch Sie haben seinen Worten gelauscht -, was die Bundesregierung macht, machen will und machen kann. Können wir davon ausgehen, dass der Gebäudeenergiepass noch in diesem Jahr zur Verfügung steht?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Ich gehe davon aus, dass die Ressortabstimmung noch in diesem Jahr erfolgt.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Frage 20 des Abgeordneten Wolfgang Börnsen ({0}) wird schriftlich beantwortet. Vizepräsidentin Petra Pau Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Danke schön, Frau Staatssekretärin. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm zur Verfügung. Ich rufe die Frage 21 der Abgeordneten Cornelia Hirsch von der Fraktion Die Linke auf: Welche Lösung haben die Bund-Länder-Verhandlungen zum Hochschulpakt bezüglich der Fortsetzung der Hochschul- und Wissenschaftsprogramme, insbesondere des Programms zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen in Forschung und Lehre, gefunden bzw. welche Lösung wird von der Bundesregierung vorgeschlagen?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Kollegin Hirsch, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Das Hochschul- und Wissenschaftsprogramm, HWP, endet am 31. Dezember dieses Jahres. Eine Fortsetzung ist nicht geplant. Die Grundverantwortung für die Hochschulen liegt nach der Föderalismusreform bei den Ländern. Das gilt auch für die Förderbereiche des HWP. Eine Fortsetzung der Förderung wäre damit Ländersache. Der Hochschulpakt soll nach derzeitigem Verhandlungsstand auf zwei Säulen beruhen: zum einen auf einem Programm zum Ausbau der Ausbildungsleistung der Hochschulen, um der steigenden Zahl von Studienanfängerinnen und Studienanfängern ein qualitativ hochwertiges Hochschulstudium zu ermöglichen, insbesondere durch die Schaffung zusätzlicher Stellen, und zum anderen auf einer Programmkostenpauschale für erfolgreiche Hochschulforschung, die sich im Wettbewerb um Fördermittel der DFG durchsetzt. Die konkrete Ausgestaltung des Hochschulpaktes ist derzeit Gegenstand von Verhandlungen von Bund und Ländern. Dies betrifft auch die Frage, wie die Länder bei der Umsetzung der Maßnahmen im Rahmen des Hochschulpakts wichtige strukturelle Gesichtspunkte des Ausbaus gegebenenfalls berücksichtigen, zum Beispiel die auch von Ihnen angesprochene Förderung der Chancengleichheit von Frauen in Forschung und Lehre. Darüber hinaus sollen mit der aktuellen Bekanntmachung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung „Frauen an die Spitze“ Grundlagen für neue Handlungsansätze zur Förderung der Chancengerechtigkeit und zur Integration von Gender-Fragen in den unterschiedlichen Bereichen der Forschung geschaffen werden. Es sollen Faktoren untersucht werden, die einer chancengerechten Karriereentwicklung entgegenstehen, um daraus Handlungsansätze zu entwickeln. Außerdem sollen strukturelle Ansätze entwickelt werden, die zu einer durchgängigen Betrachtung von Gender-Perspektiven in naturwissenschaftlichen und technischen Forschungsbereichen führen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. - Kollegin Hirsch, Sie haben die Möglichkeit zur Nachfrage.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir haben schon heute Morgen im Bildungsausschuss darüber diskutiert und auch da ist es nicht ganz klar geworden. Sie sagen: Auf der einen Seite stellt der Bund den Ländern finanzielle Mittel zur Verfügung; auf der anderen Seite kann er in keiner Weise Einfluss nehmen oder qualitativ Schwerpunkte setzen. Mir ist nach wie vor nicht klar, warum es nicht möglich sein sollte, dass die Bundesregierung beispielsweise gegenüber den Ländern folgende Position vertritt: Das ist unser finanzielles Angebot; es ist unter anderem daran gekoppelt, dass das - gerade im Bereich Chancengleichheit von Frauen - erfolgreiche Hochschul- und Wissenschaftsprogramm von den Bundesländern fortgesetzt wird. Auf dieser Grundlage könnte eine Einigung zur Verteilung der Mittel unter den Bundesländern erfolgen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Staatssekretär.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Kollegin Hirsch, das haben Sie missverstanden. Der Prozess der Abstimmung zwischen Bund und Ländern zur Ausarbeitung eines Hochschulpaktes läuft. Morgen findet die nächste Beratung statt. Was ich angesprochen habe, ist das Angebot des Bundes, über das die Länder untereinander und morgen gemeinsam mit dem Bund beraten. Die Frage, inwiefern hierbei zusätzliche strukturelle Anforderungen, insbesondere auch im Hinblick auf die Verteilung der Mittel und natürlich auch das gesamte Finanzvolumen, gestellt werden, ist Gegenstand der Beratungen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Hirsch, Sie haben die Möglichkeit zu einer weiteren Nachfrage.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine Nachfrage betrifft eigentlich das Gleiche, was ich Sie schon gefragt habe und auf das ich keine Antwort bekommen habe. Wenn das Gegenstand der Verhandlungen zwischen Bund und Ländern ist, dann muss der Bundesregierung doch klar sein, was ihr politisches Interesse ist, wo ihre Schwerpunkte liegen und was sie mit dem Hochschulpakt auch qualitativ erreichen will, abgesehen von der ersten Säule, Ausbau der Studienplatzkapazitäten. Geht die Bundesregierung also in die Verhandlungen hinein und sagt: „Wir wollen eine soziale Öffnung, wir wollen die Fortsetzung des HWP, wir wollen die und die Schwerpunkte“ oder setzt sie sich einfach mit an den Tisch und sagt: „Dann warten wir mal ab, was die Verhandlungen bringen“? Genau dazu würde ich gerne eine Auskunft von Ihnen haben.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, Gegenstand dieser Verhandlungen sind zunächst einmal zwei zentrale Fragestellungen. Zum einen ist die Frage: Wie ist es möglich, ausreichend Kapazitäten in der Lehre zu schaffen zur Si5444 cherstellung einer angemessenen Versorgung bei dem zu erwartenden deutlichen Anstieg der Zahl der Studierenden? Zum zweiten geht es um die Bereitstellung einer angemessenen finanziellen Ausstattung für die Forschung an den Universitäten. Neben diesen beiden zentralen Fragestellungen, die ich eben dargelegt habe, sind weitere Gegenstände natürlich die Steigerung des Anteils von Frauen in Forschung und Lehre, aber beispielsweise auch die Stärkung der Rolle der Fachhochschulen, unter anderem bei der Forschung, nicht nur bei der Lehre, sowie zahlreiche andere strukturelle Fragen. Alle diese Fragen sind Gegenstand der laufenden Beratungen. Deshalb kann ich Ihnen darüber erst Auskunft geben, wenn diese Beratungen erfolgreich abgeschlossen sind.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. Wir kommen nun zur Frage 22 des Abgeordneten Kai Gehring für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen: Aus welchen Gründen sieht das Angebot der Bundesregierung zum Hochschulpakt an die Länder weniger Mittel für die Förderung von Studienplatzkapazitäten als für die Forschungsförderung vor und wie sollen die Bundesmittel für den Studienplatzkapazitätsaufbau unter den Bundesländern verteilt werden? Sie haben das Wort, Herr Staatssekretär.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Gehring, ich beantworte Ihre Frage - auch sie bezieht sich auf die Beratungen zum Hochschulpakt - wie folgt: Für die Schaffung zusätzlicher Studienanfängerplätze gehen Bund und Länder von der Prognose der Kultusministerkonferenz aus. Dabei wird im Zeitraum von 2007 bis 2010 im Vergleich zur Situation des Jahres 2005 mit insgesamt 90 000 zusätzlichen Studienanfängern gerechnet. Dies wäre mit Gesamtkosten in Höhe von knapp 2 Milliarden Euro verbunden. Davon werden bis zum Jahr 2010 insgesamt rund 1,13 Milliarden Euro finanzwirksam. Das Bundesbildungs- und -forschungsministerium hat den Ländern angeboten, dass sich der Bund mit 50 Prozent an diesen Kosten für die zusätzlichen Studienanfänger beteiligt. Für den Bund bedeutet dies, dass in den Jahren 2007 bis 2010 Kosten in Höhe von insgesamt rund 565 Millionen Euro anfallen werden. Wie diese Mittel konkret verteilt werden, ist Gegenstand der derzeit laufenden Verhandlungen. Für die Forschungsförderung, nämlich die sukzessive Einführung von Programmkostenpauschalen für DFGgeförderte Forschungsprojekte, wird für den Zeitraum von 2007 bis 2010 mit Kosten in Höhe von rund 700 Millionen Euro gerechnet. Die Bundesregierung hat angeboten, diese Kosten für die Stärkung der Forschung in voller Höhe zu übernehmen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben Nachfragen und das Wort.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Frage zielte auf die Verteilung der Bundesmittel auf die einzelnen Bundesländer ab. In der Tat ist die Frage, mit welchen strategischen Zielsetzungen die Bundesregierung in die morgigen Verhandlungen zum Hochschulpakt einsteigt, völlig unbeantwortet. Wir haben jetzt über die Möglichkeiten des Studienplatzkapazitätsaufbaus gesprochen und diskutieren seit Wochen darüber. Meine Frage ist, ob die Bundesregierung morgen auch mit einem Vorschlag zum Kapazitätserhalt, insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern und in den Stadtstaaten, in die Verhandlungen einsteigt. Außerdem möchte ich wissen, ob es in diesem Zusammenhang einen Vorschlag seitens der Bundesministerin zu Anreizsystemen und Ausgleichsmechanismen gibt; denn das liegt ja im gemeinsamen Interesse von Bund und Ländern.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Herr Abgeordneter Gehring, Ihre Frage impliziert zu Recht, dass wir in den einzelnen Bundesländern in den nächsten Jahren eine sehr unterschiedliche Entwicklung zu erwarten haben. Während es nach den Erwartungen für das Bundesgebiet insgesamt zu einem deutlichen Anstieg der Zahl der Studienanfänger kommen wird, ist bei einzelnen Bundesländern bis zum Jahr 2013 sogar mit einem Rückgang zu rechnen. Deswegen ist die Frage, inwieweit hier Anreize gegeben werden können, um die vorhandenen Kapazitäten in den nächsten Jahren auch in den Ländern, die nicht von einem Anstieg der Studierendenzahl betroffen sind, besser auszunutzen, ebenfalls Gegenstand der Beratungen zwischen Bund und Ländern, die morgen fortgesetzt werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Gehring, Sie haben die Möglichkeit einer weiteren Nachfrage.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zu diesem Bereich gebe ich es gerade auf, weil da offensichtlich keine Antwort kommt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gut, Sie verzichten. - Es gibt aber eine weitere Nachfrage zu dieser Frage, bevor wir zu Ihrer nächsten Frage kommen. Die Kollegin Hirsch hat jetzt das Wort.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Noch einmal in Richtung strategische Schwerpunkte der Bundesregierung im Rahmen der Verhandlungen zum Hochschulpakt, verbunden mit einem Studienplatzkapazitätsaufbau. Man hatte sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, nicht nur die Kapazitäten zu erhalten oder die Zahl der Studienanfänger, die Zugang zu den Hochschulen erhalten sollen, zu erhöhen, sondern auch ganz direkt die Studierendenquote zu steigern. Da wäre meine Frage, inwieweit das strategische Ziel der Bundesregierung bei den Zahlen, die den Berechnungen bisher zugrunde liegen - es wird in Bezug auf die Abiturienten, die an eine Hochschule gehen, von einer Übergangsquote von, glaube ich, 75 Prozent ausgegangen -, berücksichtigt ist oder ob nicht der Hochschulpakt finanziell viel zu gering ausgestattet ist, wenn das strategische Ziel der Steigerung der Studierendenquote nach wie vor besteht.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, die Beratungen zum Hochschulpakt basieren auf einer Prognose der Kultusministerkonferenz. Es wird von einer Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent ausgegangen, was den Übergang von Abiturienten in das Studium betrifft. Das wird auch Gegenstand meiner Antwort auf die nächste Frage sein. Die Zielsetzung des Hochschulpaktes geht aber weit über das Jahr 2010 hinaus; sie reicht bis zum Jahr 2020. In diesem Zeitraum ist in der Tat eine Steigerung des Anteils der jungen Menschen eines Jahrganges, die ein Hochschulstudium aufnehmen, vorgesehen; das heißt, die Studienquote würde damit entsprechend erhöht werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke schön. Dann rufe ich die Frage 23 des Abgeordneten Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen, auf: Warum beinhaltet das Angebot der Bundesregierung für den Hochschulpakt lediglich Finanzierungszusagen für den Studienplatzkapazitätsaufbau bis zum Jahr 2010, obwohl ein noch größerer Studienplatzbedarf in den Folgejahren zu erwarten ist, und wie erklärt die Bundesregierung die Differenz zwischen ihrem Finanzierungsangebot zum Studienplatzkapazitätsaufbau einerseits und dem - selbst bei hälftiger Aufteilung der Finanzierung zwischen Bund und Ländern - für 2007 und die Folgejahre deutlich höheren, vom Wissenschaftsrat errechneten Finanzbedarf andererseits, den sich die Bundesregierung in Bundestagsdrucksache 16/2258 ausdrücklich zu Eigen macht?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Präsidentin, die Antwort auf die Frage des Abgeordneten Gehring schließt genau an den schon eben angesprochenen Sachverhalt an. Mit dem Hochschulpakt soll eine langfristige und verlässliche gemeinsame Verpflichtung von Bund und Ländern zur Sicherung der Ausbildungs- und Forschungsleistung der deutschen Hochschulen vereinbart werden. Im Finanzierungszeitraum bis zum Jahr 2010 wird, wie dargelegt, mit insgesamt 90 000 zusätzlichen Studienanfängern gegenüber dem Basisjahr 2005 gerechnet. In den Jahren des Spitzenbedarfs 2011 bis 2013 rechnen wir mit jeweils circa 40 000 zusätzlichen Studienanfängern im Vergleich zu 2005. Es handelt sich dabei um eine Prognose für eine erste Abschätzung des Bedarfs. Eine Nachsteuerung eines möglichen Programms wird auf der Basis der tatsächlichen Entwicklung erfolgen. Der vom Wissenschaftsrat berechnete Finanzbedarf beinhaltet nicht nur die Kosten für die steigenden Studienanfängerzahlen, sondern auch Kosten, die durch die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen im Rahmen des Bolognaprozesses und die damit verbundene Erhöhung des Betreuungsaufwandes verursacht werden. Entsprechend der föderalen Aufgabenverteilung und der Grundverantwortung der Länder für die Hochschulen werden die mit der Bolognareform verbundenen Kosten von den Ländern zu tragen sein. Die gemeinsamen Maßnahmen von Bund und Ländern im Rahmen des Hochschulpaktes konzentrieren sich auf die Bereitstellung eines ausreichenden Angebotes an Studienanfängerplätzen sowie auf die bereits angesprochenen Maßnahmen zur Stärkung der Forschungsförderung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege Gehring, Sie haben Gelegenheit zur Nachfrage.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Frage. - Wir haben bereits jetzt die Situation, dass zahlreiche Studienberechtigte vor verschlossenen Hörsaaltüren stehen, weil keine ausreichende Zahl von Studienplätzen zur Verfügung steht. Daher möchte ich Sie fragen, warum das Angebot von Frau Schavan darauf abzielt, dass der Hochschulpakt erst zum Wintersemester 2007/2008 greifen soll, obwohl in den Prognosen des Wissenschaftsrates deutlich wurde - im Übrigen hat sich die Bundesregierung diese Prognosen bei vorherigen Anfragen stets zu Eigen gemacht -, dass bereits zum Sommersemester 2007 ein starker Anstieg der Zahl der Studierenden und der Studienberechtigten zu verzeichnen ist.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Herr Abgeordneter Gehring, ich darf Sie darauf hinweisen, dass sich die Bundesregierung diese Prognose des Wissenschaftsrates nicht zu Eigen gemacht hat; denn sie ist nur eine Prognose in einem sehr breiten Spektrum von Prognosen. Den Beratungen zum Hochschulpakt wird die Prognose der Kultusministerkonferenz zugrunde gelegt. Darin wird eine Quote für den Übergang vom Abitur zum Studium von 75 Prozent angenommen. Außerdem gibt es darin entsprechende Annahmen über die Kosten eines Studienplatzes. Die mittelfristig zu erwartende Steigerung der Zahl der Studierenden ist in der Tat insbesondere ab dem Wintersemester 2007/2008 absehbar. Deshalb ist der Zeitraum Wintersemester 2007/2008 bis zum Jahr 2020 Grundlage der Beratungen zur Verbesserung der Kapazitäten in den Hochschulen unseres Landes.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu einer weiteren Nachfrage. - Bitte.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte hinsichtlich des Bereichs der Forschungsförderung im Rahmen des Hochschulpakts nachfragen. Es gibt zurzeit parallel laufende Gespräche: Gespräche über die Forschungsförderung im Rahmen des Hochschulpaktes - da bietet die Bundesregierung 700 Millionen Euro an - und gleichzeitig Gespräche bzw. Verhandlungen über den Beitrag der Länder zur Erreichung des 3-Prozent-Ziel der Bundesregierung. Man will in beiden Bereichen bis zum Ende des Jahres auf der Zielgerade sein. Daher möchte ich fragen: Ergibt es nicht Sinn, diese beiden Prozesse zu verknüpfen, also ein Junktim herzustellen, um damit einen Beitrag der Länder sicherzustellen?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Herr Abgeordneter Gehring, es trifft zu, dass die Lösung der beiden Problemfelder Gegenstand der Konferenz der Ministerpräsidenten bei der Bundeskanzlerin im Dezember sein soll. Bis zu diesem Zeitpunkt soll zum einen ein Hochschulpakt unterzeichnet werden und zum anderen sollen die Maßnahmen dargelegt werden, mit denen die Länder ihren Beitrag zur Erreichung des 3-Prozent-Ziels bei der Forschungsförderung leisten wollen. Die Verhandlungsführung zur Erreichung einer Einigung ist sicherlich nicht Gegenstand dieser Überlegungen. Ich darf an dieser Stelle aber darauf hinweisen, dass die Mehrausgaben zur Verbesserung der Situation in den Hochschulen nur zu einem Teil in die Berechnung des Beitrages zur Erreichung des 3-Prozent-Ziels für Forschung und Entwicklung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, eingehen. Es macht deshalb Sinn, über beide Komplexe parallel zu verhandeln.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Ministeriums für Bildung und Forschung. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Fragen 24 und 25 des Abgeordneten Jürgen Koppelin sowie die Fragen 26 und 27 des Abgeordneten Hans-Joachim Otto ({0}) - beide von der FDP-Fraktion - werden schriftlich beantwortet. Wir können also diese Fragen mit der Staatsministerin Frau Professor Dr. Maria Böhmer heute nicht erörtern. Bis zum Beginn der Aktuellen Stunde um 16 Uhr unterbreche ich die Sitzung. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP Finanzielle Folgen für Beitragszahler und Patienten bei Verwirklichung des von der Koalition vorgelegten Gesetzes zur Gesundheitsreform Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Daniel Bahr für die FDP-Fraktion. ({0})

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was die große Koalition in der Gesundheitspolitik abliefert, ist ein einziges Trauerspiel. Die Art und Weise, wie mit dem Referentenentwurf eines Gesetzes zu dieser Gesundheitsreform umgegangen wird, ist eine Farce. Sachverständige sollen innerhalb von vier Tagen einen Gesetzentwurf von immerhin 542 Seiten mit all seinen Auswirkungen auf unser deutsches Gesundheitssystem beurteilen können. Das Bundesministerium für Gesundheit und die Koalition sind aber an den Ratschlägen und dem Fachwissen von Sachverständigen nicht interessiert. Nach der Anhörung am Montag im Bundesministerium - sie hat immerhin sechs Stunden gedauert - sollte der Entwurf nämlich schon am Dienstag, also am Tag darauf, in den Fraktionen beraten werden. Die Koalition ist stur; sie ist nicht wirklich daran interessiert, dass das Fachwissen und die Ratschläge von Sachverständigen in den Entwurf eines Gesetzes zur Gesundheitsreform eingearbeitet werden. Nein, es geht der Koalition nur noch darum, diese Gesundheitsreform möglichst glimpflich zu überstehen. Sie hat das Interesse daran verloren, das Gesundheitssystem mit der nötigen Sachlichkeit zu reformieren, um die Probleme im Gesundheitswesen zu lösen. Es geht der Koalition doch gar nicht mehr um die Probleme, vor denen das Gesundheitswesen steht. Frau Schmidt und der Bundesregierung geht es nur noch darum, das Gesicht zu wahren. ({0}) Sie haben gar nicht aus den Problemen bei den HartzReformen gelernt. Was hat die Bundeskanzlerin nicht alles gesagt! Sie wollten sich die Zeit nehmen, einen wirklich sachlichen Entwurf auf den Weg zu bringen; Sie wollten etwas auf den Weg bringen, was länger Bestand hat. Mitglieder der Koalition sprachen davon, dass die Gesundheitsreform zum Meisterstück der Koalition werde, die für Jahre halte und zeige, dass die große Koalition zu Dingen fähig sei, zu denen die Vorgängerregierungen nicht fähig gewesen seien. Nein, Sie haben aus den Fehlern bei den Hartz-Reformen überhaupt nicht gelernt. Die Gesundheitsreform ist die Fortsetzung der Hartz-Reformen. Das, was hier entsteht, wird zu Hartz V. ({1}) Diese Reform löst nämlich überhaupt nicht die drängenden Probleme; diese Reform schafft neue Probleme. Sie führt zu keiner Entlastung, weder bei den Lohnzusatzkosten noch der Versicherten. Gesundheitsausgaben und Arbeitskosten werden nicht entkoppelt. Die Reform führt zu keiner Entbürokratisierung; stattdessen kommt mit dem so genannten Gesundheitsfonds ein weiteres bürokratisches Instrument hinzu. Es wird keine Vorsorge im Hinblick auf die steigenden Kosten geben, welche aufgrund der Alterung der Bevölkerung entstehen werden. Es bleibt bei der Umlagefinanzierung zulasten der Daniel Bahr ({2}) jungen Generation. Weder bei den Beiträgen noch bei den Abrechnungen, bei denen am Sachleistungsprinzip festgehalten wird, wird es Transparenz geben. Es gibt nicht mehr Freiheit für die Versicherten, ihren Versicherungsschutz weitgehend selbst zu gestalten, sondern weniger. Ihre Gesundheitsreform ebnet den Weg in ein staatliches, zentralistisches Gesundheitswesen. Schon jetzt ist klar, dass es dabei für den Bürger nur teurer wird, die Versorgung aber nicht besser, sondern eher schlechter wird. Es wird Mangelverwaltung und Wartelisten geben, wir werden die krassen Unterschiede einer Zweiklassenmedizin erleben. Warum? ({3}) Ab 2007 wird es zu massiven, breiten Beitragssatzerhöhungen kommen. 2007 werden wir erstmals einen Rekordbeitragssatz von nahezu 15 Prozent erreichen. Das führt zu einer Mehrbelastung der Versicherten in Deutschland im Umfang von mindestens 8 Milliarden Euro. 2008 und 2009 werden die Beitragssätze weiter steigen, obwohl Sie noch im Koalitionsvertrag das Ziel formuliert haben, die Lohnzusatzkosten zu senken und die Krankenkassenbeiträge zumindest stabil zu halten. Das Ziel, durch eine Festschreibung des Arbeitgeberbeitrages einen Beitrag zur Konsolidierung des Arbeitsmarktes zu leisten, wird mit dieser Reform überhaupt nicht verfolgt. Im Gegenteil: Demnächst werden die Lohnzusatzkosten und damit auch die Arbeitgeberbeiträge massiv steigen; denn Sie, Frau Ministerin Schmidt, und die Bundesregierung werden dann entscheiden, wie viel Geld dem Gesundheitswesen zur Verfügung gestellt wird. Sie werden dann entscheiden, wie hoch der politisch festgelegte, bundesweit einheitliche Beitragssatz ausfallen soll. Die Bundesregierung entscheidet dann also jährlich, wie viel Geld dem Gesundheitswesen im darauf folgenden Jahr zur Verfügung gestellt wird. Das ist Gesundheitspolitik nach Zuteilung und Kassenlage. ({4}) Was passiert denn, wenn das Geld nicht ausreicht? Was passiert denn, wenn der Beitragssatz und damit die Lohnzusatzkosten eigentlich steigen müssten? Dann würde der Arbeitsmarkt belastet. Also wird es sofort den Druck geben, dass das nicht passiert. Was macht dann die Bundesregierung? Sie wird wieder mit einer kurzfristigen Kostendämpfungspolitik auf dem Rücken der Patienten, also zulasten der Versorgung, eine allenfalls kurzfristige Lösung finden. Das heißt, das Gesundheitswesen ist weiterhin chronisch unterfinanziert. Die Folgen werden Mangelverwaltung und Wartelisten sein. Wir, die FDP, stellen uns deshalb mit aller Vehemenz gegen diesen Weg in ein staatliches und zentralistisches Gesundheitswesen. Wir glauben, dass wir ein Gesundheitswesen brauchen, das auf Freiheit und Transparenz aufbaut, ({5}) das den Versicherten mehr Wahlmöglichkeiten bietet und ihnen die Entscheidung darüber überlässt, welchen Versicherungsschutz sie selbst haben möchten. Wir möchten nicht, dass der Staat, die Politik, die Versicherten immer mehr gängelt und immer mehr Vorgaben macht. Ihre Entscheidung für einen politisch festgelegten Beitragssatz und einen Zusatzbeitrag, zu dem es so gut wie nicht kommen wird, weil die Krankenkassen nur in einen Wettbewerb darüber eintreten werden, zu kürzen, und nicht in einen Wettbewerb, zu innovativen Leistungen und innovativen Versorgungsformen zu kommen, wird meiner Meinung nach dazu führen, dass das Gesundheitswesen für die Patienten und Versicherten in Deutschland deutlich schlechter wird. Deswegen wird sich die FDP-Opposition diesem Weg mit aller Kraft entgegenstellen. Kommen Sie zur Einsicht! 90 Prozent der Bevölkerung sind gegen diesen Weg. Es gibt kein anderes Gesetzesvorhaben, gegen das eine so breite Mehrheit der Sachverständigen und der Bevölkerung ist. Da können Sie noch so stur bleiben. Hören Sie sich lieber die Bedenken an! Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Jens Spahn.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Bahr, ich habe es schon bei der letzten Debatte zu diesem Thema gesagt und sage es jetzt noch einmal: ({0}) Wir sollten niemandem, der über dieses Thema diskutiert und um die richtige Lösung ringt, absprechen, das mit bestem Wissen und Gewissen und im Bemühen darum zu machen, dass wir auch in Zukunft für alle in diesem Land unabhängig von ihrem Einkommen eine vernünftige Versorgung sicherstellen können. ({1}) Wir können über die Wege dahin streiten. Aber uns auf die Art und Weise, wie Sie es gerade getan haben, abzusprechen, dass wir genau darum ringen, das sollten Sie nicht tun. ({2}) Nichtsdestotrotz nutzen Sie mittlerweile in jeder Sitzungswoche die Möglichkeit einer Aktuellen Stunde zu diesem Thema. In diesen Zusammenhang passt die Pressemitteilung Ihres Parlamentarischen Geschäftsführers, auf die ich gleich zu sprechen komme. Er hat mittlerweile einen sehr populistischen Ton angeschlagen, wie wir ihn sonst eigentlich nur von der Linkspartei gewohnt sind. Das kennen wir mittlerweile im Hinblick auf die Rente mit 67, die Praxisgebühr und jetzt auch bei diesem Thema. ({3}) Dies hätte ich von der FDP eigentlich nicht erwartet. Sie haben einmal mehr auf die Frage, was Sie jenseits der großen Überschriften, die wir alle kennen, angesichts der Ausgabendynamik, wie sie sich für die nächsten Jahre und insbesondere das nächste Jahr abzeichnet, ({4}) und angesichts steigender Kosten aufgrund des medizinisch-technischen Fortschrittes und der demografischen Entwicklung tun wollen, keine Antwort gegeben. Nur zu schimpfen und ein paar Überschriften zu nennen, reicht nicht, um alle zwei Wochen im Deutschen Bundestag eine Debatte zu diesem Thema zu führen. ({5}) Herr Oppositionsführer, zu einer konstruktiv-kritischen Opposition würde es auch gehören, anzuerkennen, ({6}) dass in den Eckpunkten bzw. im Gesetzentwurf bestimmte Elemente enthalten sind, die der FDP eigentlich gefallen müssen, nämlich die Einführung eines Kostenerstattungstarifes, die Einführung von Wahltarifen und Selbstbehalttarifen sowie die Einführung von mehr Wettbewerb aufseiten der Leistungserbringer, bei den Ärzten. Ich weiß, da ist es mit der liberalen Haltung nicht mehr ganz so weit her. Es wird aber nicht nur bei den Ärzten, sondern auch bei den Apothekern und auf dem Arzneimittelmarkt mehr Wettbewerb geben. Zu all diesen Punkten, die doch eigentlich liberalem Gedankengut entsprechen müssten und die eine konstruktivkritische Opposition anerkennen würde, haben Sie leider kein Wort gesagt und sich in keiner Weise dazu ausgelassen. Das ist eigentlich sehr schade, Herr Kollege Bahr. ({7}) Ich möchte auf das eingehen, was zumindest laut Ihrem Parlamentarischen Geschäftsführer der Anlass zu dieser Aktuellen Stunde ist; Sie, Herr Bahr, haben dazu leider kein Wort gesagt. Auf der Homepage der FDP wird seine Pressemitteilung wiedergegeben: ‚Das künftige Abkassieren von Krebskranken ist zynisch und kaltherzig’... Vor diesem Hintergrund habe seine Fraktion eine Aktuelle Stunde … beantragt. Ich kann Ihnen sagen, was zynisch und kaltherzig ist: Zynisch und kaltherzig ist, die Krebskranken in dieser Debatte als Faustpfand zu nehmen, ({8}) ohne sich auch nur einmal mit den Regelungen, wie sie im Gesetzeswerk stehen sollen, auseinander gesetzt zu haben, und die populistischen Sätze und Forderungen, die am Wochenende in einer bekannten Zeitung gestanden haben, einfach aufzugreifen, ohne sich weiter damit auseinander zu setzen. Es ist schade, dass der Parlamentarische Geschäftsführer, der diese Pressemitteilung gemacht hat und diese Sätze als Begründung für die Beantragung dieser Aktuellen Stunde heranzieht, bei dieser Debatte heute nicht anwesend ist. ({9}) Hinzu kommt, dass der Kerngedanke der Vorsorge dem liberalen Gedankengut, nämlich der Eigenverantwortung, entstammt. Wir verlangen von denen, die dazu in der Lage sind - es geht nicht um diejenigen, die aufgrund ihres Alters oder ihrer Situation gar nicht dazu in der Lage sind -, ab einem bestimmten Alter in regelmäßigen Abständen zur Früherkennungsuntersuchung zu gehen bzw. Vorsorge zu betreiben. Wir verlangen zum Beispiel, dass einmal im Jahr ein kostenloser Arztbesuch wahrgenommen wird. Ich glaube, es ist nicht zu viel verlangt, mit Blick auf die eigene Gesundheit Vorsorge zu betreiben. ({10}) Die Debatte darüber sollten wir einmal vor liberalem Hintergrund führen. Liebe Kollegen von der FDP, lieber Herr Westerwelle, wir können diese Debatte gerne, wie Sie angeboten haben, jede Woche führen. ({11}) Wenn Sie aber jede Woche populistisch irgendwelche Tickermeldungen vom Wochenende aufgreifen, wenn Sie sich mit dem Sachverhalt aber nicht auseinander setzen wollen, wenn Sie die Debatte führen wollen, ohne auch nur eine konkrete Alternative zu bieten, wie wir den Herausforderungen des Gesundheitswesens gerecht werden können, dann sind das Debatten auf sehr niedrigem Niveau. Dann steht es um die gesundheitliche Versorgung der Menschen in diesem Lande schlecht. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke spricht nun der Kollege Frank Spieth. ({0})

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Wettbewerbsstärkungsgesetz - das sagen alle Fachleute - löst keines der strukturellen Probleme der gesetzlichen Krankenversicherung. Gestoppt wird nicht die Erosion der Einnahmebasis der GKV infolge sinkender Löhne, Gehälter und Renten und alle anderen Einnahmequellen insbesondere Vermögen werden außer Acht gelassen. Dieses Gesetz wird verhängnisvoll sein, weil es - wiederum - nur ein Spargesetz sein wird. Es greift im Wesentlichen bei denen zu, die weniger als 3 900 Euro Einkommen erzielen, und lässt die darüber liegenden Einkommen außen vor. ({0}) Dieses Wettbewerbsstärkungsgesetz - „W“ wie Wettbewerb, „S“ wie Sterben und „G“ wie Glöckchen - ermöglicht keinen Wettbewerb um eine vernünftige Finanzierung einer solidarischen Krankenversicherung und die Bereitstellung der notwendigen Leistungen. ({1}) Dieses Gesetz ist gemessen an den Ansprüchen der Koalition nach unserer Auffassung ein Desaster. ({2}) Wir müssen mit einer Beitragserhöhung um 0,5 bis 1 Prozentpunkt schon im nächsten Jahr rechnen. Gleichzeitig werden Sie die Höhe der Arbeitgeberbeiträge deckeln, was zur Folge haben wird, dass die zukünftig entstehenden zusätzlichen Kosten von den Versicherten allein zu tragen sein werden. ({3}) Die kleine Kopfpauschale, die Sie verschämt „pauschalen Zusatzbeitrag“ nennen, wird Teil des Systems werden, was zur Konsequenz haben wird, dass die Versicherten zuzahlen müssen. Über die Höhe findet öffentlich ein Wettbewerb statt. Wie viel soll es denn nun sein? Die CDU will 3 Prozent und die SPD 1 Prozent. Dazu sagen die Menschen: Lieber 1 Prozent, wie es die SPD vorschlägt. Natürlich sagen sie das. Es gäbe allerdings eine Alternative, nämlich überhaupt keine Kopfpauschale festzulegen, sondern endlich die Bürgerinnenund Bürgerversicherung einzuführen. Dann wäre dieser ganze Unsinn nicht erforderlich. ({4}) Außerdem wollen Sie mit diesem Gesetz einen Teilkaskotarif für die Gesunden einrichten, die es sich leisten können, einen Eigenanteil - beispielsweise in Höhe von 1 000 Euro pro Jahr - zu zahlen. Für die Kranken wollen Sie einen Vollkaskotarif einführen. ({5}) „Vollkaskotarif für die Kranken“ heißt in letzter Konsequenz, dass diese Versicherten das, was den anderen als Entlastung angeboten wird, zu finanzieren haben. ({6}) Im Grunde geben Sie das in Ihrem Gesetzeswerk doch auch verschämt zu: Sie sagen zwar, dass Sie über die Pauschale anfangs 100 Prozent der Ausgaben finanzieren wollen; später sollen darüber aber nur noch 95 Prozent finanziert werden. Das zeigt doch, dass Sie selbst mit einer weiteren Belastung in Höhe von 5 Prozent rechnen. Das ist eine gnadenlose Abzocke derjenigen, die über ein zu geringes Einkommen verfügen, um sich privat abzusichern. Ich sage Ihnen: Dieses Gesetz mit uns nicht! ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Bahr, wir können hier jede Woche über Gesundheitsreformen und Gesundheitspolitik diskutieren. ({0}) Ich kann Ihnen sagen: Wir werden nie zusammenkommen, weil das, was Ihre Partei will, und das, was die Koalition will, diametral gegensätzlich zueinander stehen. ({1}) Sie kritisieren, dass wir bei der Umlagefinanzierung bleiben. Sie sagen, dass das zulasten der jungen Generation geht. Wir halten es für ein bewährtes System, ({2}) dass Menschen für andere Menschen zahlen, dass die Jungen für die Alten einstehen wie früher die jetzt Alten für ihre Älteren eingestanden sind, ({3}) dass Gesunde für Kranke einstehen und dass diejenigen ohne Kinder für diejenigen mit Kindern einstehen. Das ist der Solidargedanke, ({4}) der dazu führt, dass in unserem Gesundheitswesen - Gott sei Dank! - viele Menschen viel mehr einzahlen, als sie jemals in Anspruch nehmen müssen, damit die Menschen, die krank sind, auf der Höhe des medizinischen Fortschritts das erhalten, was sie brauchen und was medizinisch notwendig ist. ({5}) Ich sage: Das kostet für viele kranke Menschen mehr, als sie jemals in ihrem Leben einzahlen könnten. Unsere Ansichten stehen schon in diesem Punkt diametral gegensätzlich zueinander: Ihre Partei will eine Politik, die die individuellen Lebensrisiken privatisiert, und wir gehen an die Lösung dieser Probleme heran, indem wir das Solidarprinzip stärken und uns dafür einsetzen, dass alle in dieser Gesellschaft füreinander einstehen. ({6}) Deshalb werden wir nie zu einheitlichen Auffassungen in der Gesundheitspolitik kommen. ({7}) Wir können jede Woche darüber diskutieren. Es trennen uns Welten. ({8}) Auch Sie auf der linken Seite des Hauses sollten Welten von der FDP trennen, deren gesundheitspolitische Konzepte man in zwei kleine Gruppen einteilen könnte. Erstens fürchtet - Herr Kollege Spahn, deshalb würde Herr Kollege Bahr nie etwas Positives daran finden, dass wir Wettbewerb einführen und dass wir die Möglichkeiten der Kassen erweitern, Preisverhandlungen zu führen ({9}) die FDP für ihre Klientel den Wettbewerb mehr als der Teufel das Weihwasser. Darum geht es hier doch. ({10}) Zweitens hatte diese Partei immer nur eine Antwort. Ich habe dieses Amt ja schon lange inne ({11}) und wir haben viele Debatten miteinander geführt. Ihre Partei möchte Ausschlüsse für Versicherte, weil Sie wollen, dass die Versicherten selber für Krankengeld, für Zahnbehandlung und für Unfälle einstehen. ({12}) Sie wollen ein Kostenerstattungsprinzip und für Arme eine Notversorgung. Das ist die Politik der FDP. Das wird die Koalition nicht machen. ({13}) Deshalb kann man sich nur wünschen, dass Sie so schnell nicht wieder an einer bundespolitischen Regierung beteiligt werden. Ich hoffe, dass die Menschen in diesem Land entsprechend wählen. ({14}) Jetzt kommen wir einmal zu dem, was am Wochenende passiert ist. Natürlich ist es zynisch, wenn man nicht davor zurückschreckt, kranke Menschen zur Geisel einer Politik zu machen. Ich rate Ihnen, Herr Kollege Westerwelle, schauen Sie doch einmal, ehe wir uns nächste Woche wieder hier treffen, hinsichtlich der Vorsorge in die Anträge der FDP. Sie hat in der 15. Wahlperiode einen Antrag zum Thema Prävention gestellt. ({15}) Darin steht: Jeder Einzelne ist dafür verantwortlich, durch eine gesundheitsbewusste Lebensweise der Entstehung von Gesundheitsrisiken vorzubeugen, … ({16}) Weiter hinten heißt es: … setzen die Liberalen auf Anreize zu gesundheitsbewusstem Verhalten. Genau darum geht es. ({17}) Es geht nicht darum, kranke Menschen zu bestrafen. Es geht vielmehr darum, dass man, wenn man weiß, dass es Vorsorgeuntersuchungen gibt, diese nutzt. Wir haben die Verantwortung, Anreize dafür zu setzen, dass die Menschen die notwendigen Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen. Das ist ein Angebot, das sich vor allem an junge Menschen richtet. Viele Ältere haben diese Chance nicht mehr. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Menschen glücklicherweise immer älter werden. Daher müssen Prävention und gesundheitsbewusstes Verhalten zu den tragenden Pfeilern unserer künftigen Gesundheitspolitik werden. Wir wollen Anreize schaffen, damit die Menschen notwendige Vorsorgeuntersuchungen durchführen lassen. ({18}) Diejenigen, die das tun, sollen dafür belohnt werden. Die Richtigkeit dieses Weges zeigt sich auch darin, dass insbesondere die Deutsche Krebsgesellschaft genau diese Regelungen begrüßt. Auch ihrer Meinung nach muss mehr dafür getan werden, dass die Menschen die Untersuchungen, die notwendig sind, um Krankheiten frühzeitig zu erkennen, durchführen lassen. Dazu stehen auch wir und dabei werden wir bleiben. ({19}) Durch das Gesundheitsreformgesetz wird der Wettbewerb gestärkt. Diese Reform setzt bei der Frage an: Welche Versorgung brauchen die Menschen? Sie ist seit langer Zeit die erste Reform, durch die keine reine Kostendämpfungspolitik betrieben wird - das wäre, wenn wir andere Mehrheiten hätten, alles, was wir tun könnten -, sondern eine Reform, mit der wir das Ziel verfolgen, die strukturellen Probleme unseres Gesundheitswesens zu lösen. Dabei geht es unter anderem um die Trennung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung. Die Forderung nach mehr Freiheit ist nicht etwa so zu verstehen, dass die Menschen von jeglicher Verantwortung frei sein sollen. Gemeint ist vielmehr, dass die Krankenkassen den Menschen Angebote für eine sehr gute Gesundheitsversorgung machen sollen, zwischen denen sie wählen können. Ich sage Ihnen, was wir tun werden, weil wir wollen, dass die Menschen wählen bzw. sich frei entscheiden können: ({20}) für einen Arzt, für ein Krankenhaus und für eine Krankenkasse, von der sie glauben, dass sie ihnen gute Versorgungsangebote macht, zum Beispiel für chronisch kranke Menschen oder in Bezug auf alternative Medizin. Das unterscheidet uns von Ihnen. Wir wissen: Zu dieser Freiheit gehört, dass jeder Mensch in diesem Land - jede Frau, jeder Mann und jedes Kind - das Recht haben muss, versichert zu sein. Wir verlangen von den Krankenkassen, auch von den privaten, jeden Menschen ohne Ansehen des individuellen Krankheitsrisikos zu versichern, damit hier jeder Mensch Versicherungsschutz hat. ({21}) Allein dafür, Herr Kollege Spieth, hätten wir von Ihrer Seite ein Lob bekommen müssen. Denn Sie haben es leider noch nie geschafft, ein solches Vorhaben umzusetzen. Wir werden diesen Gesetzentwurf intensiv beraten, sowohl im Kabinett als auch in den Fraktionen, und wir werden genügend Zeit haben, auch hier im Bundestag darüber zu diskutieren. ({22}) Ich rate Ihnen dringend, bei diesem Thema sehr genau hinzuschauen. Wenn man nur das Geschrei der Lobbygruppen zur Kenntnis nimmt, wird die Bewertung dieses Gesetzentwurfs sehr einseitig ausfallen. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, den Umfang der notwendigen Leistungen im Rahmen dieser Reform auszuweiten. Dabei geht es um die Verbesserung der Versorgung von todkranken Menschen, die Ausweitung der Rehabilitationsangebote für Ältere und vieles andere. Wir wollen eine Reform durchführen, die weder Leistungsausschlüsse noch Zuzahlungserhöhungen mit sich bringt. Wenn man das will, dann muss man den Mut haben - wir haben ihn -, sich mit allen Besitzstandswahrern im Gesundheitswesen anzulegen und ihnen deutlich zu machen: Alle müssen sich bewegen, auch die Krankenkassen. - Herr Spieth, ich weiß, dass in Ihrer Brust an dieser Stelle immer zwei Seelen wohnen. - Wir wollen andere Strukturen, eine bessere Zusammenarbeit sowie eine Verschlankung der Verbände und der Krankenkassen. Wir wollen, dass jeder Euro, der in dieses System fließt, so eingesetzt wird, dass er der bestmöglichen Versorgung kranker Menschen zugute kommt. Und wir wollen, dass kein einziger Euro verschleudert wird. Das ist unsere Philosophie. Diesen Weg werden wir weitergehen. Danke schön. ({23})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht nun die Kollegin Birgitt Bender.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, wenn es so ist, dass wir sehr viel Zeit haben, diesen Gesetzentwurf umfassend zu beraten, dann wundere ich mich über das Verfahren, das die Koalition gewählt hat. ({0}) Warum lösen Sie die Vorschrift, dass die Kassen ihre Schulden tilgen müssen, aus dem Gesetzentwurf heraus, knallen heute Morgen im Ausschuss einen Änderungsantrag zu einem laufenden Gesetz auf den Tisch und sagen, das müsse jetzt so sein? Wenn so viel Zeit ist, kann man das im Gesamtkontext der Gesundheitsreform beraten. Offensichtlich gibt es gewisse Panikreaktionen bei der Koalition. ({1}) In einem Punkt haben Sie Recht: darin, dass Sie die FDP dafür kritisieren, dass sie das Solidarsystem zerschlagen will. Mit Ihnen, Herr Kollege Westerwelle, würde das Gesundheitssystem ja insgesamt privatisiert. ({2}) Die Freiheit, von der Sie sprechen, das wird eine Freiheit der Besserverdienenden sein. ({3}) Das ist nicht unser Weg. Frau Ministerin, Ihre großartigen Bekenntnisse zum Solidarsystem sind nicht besonders glaubwürdig. Hier war viel von Zynismus die Rede im Zusammenhang mit der neuen Regelung für chronisch Kranke. Wenn man der Meinung ist, dass es zum Solidarsystem gehört, dass Gesunde für Kranke mit aufkommen - das sehen wir eindeutig so -, dann ist es ein Fehler, zwischen „guten“ und „schlechten“ Kranken zu unterscheiden. ({4}) Ich kann Sie nur warnen, diese abschüssige Ebene zu betreten. Die große Mehrheit der Krankheiten, die Geld kosten, sind solche, die lebensstilbedingt sind. Sie haben etwas zu tun mit falscher Ernährung, mangelnder Bewegung, belastenden Arbeitsplätzen, belasteter Wohnumgebung. An vielen dieser Faktoren können die Menschen selber etwas ändern; man muss sie nur dazu befähigen. Das ist Aufgabe der Politik: für gescheite Prävention zu sorgen. ({5}) Nicht Aufgabe der Gesundheitspolitik ist es, Menschen, die krank sind und behandelt werden müssen, zu sagen: „Hättest du dich vorher gesundheitsbewusst verhalten und das vom Arzt bescheinigen lassen!“ oder „Hättest du rechtzeitig die Möglichkeiten der Labordiagnostik genutzt; jetzt ist eine Strafzahlung fällig!“. Das bedeutet gerade ein Stück Abkehr vom Solidarsystem. Man muss sich wundern, dass ausgerechnet eine sozialdemokratische Ministerin so etwas mitmacht. ({6}) Zu der Reform im Ganzen. Was haben wir zu erwarten? Die Kanzlerin hat ja vordem schon angekündigt: Es wird teurer. Damit hat sie die Wahrheit gesagt. Sie hat nur eine falsche Begründung gegeben. Wir haben zu erwarten, dass die Beitragssätze im nächsten Jahr mit Bestimmtheit auf 15 Prozent steigen. Manche Experten, wie der Leiter des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, sagen bereits: 15,5 Prozent. Diese Steigerungen liegen aber nicht, wie die Kanzlerin gesagt hat, an der Alterung der Gesellschaft und am medizinischen Fortschritt. Mit dieser Reform wird der medizinische Fortschritt nicht befördert und es wird auch niemand länger leben. Das einzige, was passiert, ist doch, dass es teurer wird. ({7}) Dafür ist die Koalition selbst verantwortlich. Sie hat die Entkopplung vom Faktor Arbeit, die, wie alle erkannt haben, ({8}) entscheidend ist, nicht vorgenommen. Sie tun nichts für eine nachhaltige Finanzierung. Steuermittel gibt es am Ende nicht mehr, sondern weniger. ({9}) Dann schreiben Sie auch noch eine Luftbuchung ins Gesetz, gewissermaßen: Demnächst - wenn die Morgenröte kommt? - gibt es mehr Steuermittel. Das ist keine politische Lösung. Sie verschärfen das Finanzierungsproblem, indem Sie den Steuerzuschuss für Familienleistungen - bestritten aus dem Tabaksteueraufkommen - wieder streichen. Die Krankenkassen werden im Jahre 2009 1,2 Milliarden Euro weniger an Steuermitteln zur Verfügung gestellt bekommen als im laufenden Jahr. Das heißt, auf der Finanzierungsseite versagt die Koalition völlig vor der Aufgabe, das System zu reformieren. Heraus kommen höhere Beiträge und ein Zusatzbeitrag, den die Versicherten leisten müssen. Er wird das Problem verschärfen, gerade für die armen Kranken, die einkommensschwachen Versicherten. Ihre 8-Euro-Lösung ist dabei der Gipfel des Zynismus: Ausgerechnet die Ärmsten sollen in Relation am meisten zahlen. ({10}) Schließlich beschließen Sie einen Gesundheitsfonds, von dem niemand von Ihnen erklären kann, wozu er eigentlich gut sein soll. ({11}) Es gibt keine Begründung für diesen Fonds, er ist vollkommen nutzlos. Das Ganze nennen Sie eine Reform. Da kann ich nur sagen: Eine Reform, bei der alle künftigen Kostenrisiken auf die Versicherten abgeladen werden und sonst nichts passiert, die verdient ihren Namen nicht. Deswegen wird es Zeit, dass dieses Trauerspiel vom Spielplan abgesetzt wird. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Hubert Hüppe für die Unionsfraktion.

Hubert Hüppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000975, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach den Beiträgen der Opposition darf ich vielleicht noch einmal daran erinnern, worüber wir sprechen, nämlich über die Folgen für die Beitragszahler und die Patienten. ({0}) Es wird niemanden verwundern, dass ich als Behindertenbeauftragter meiner Fraktion jetzt nicht für die Gruppen spreche, die starke Lobbyisten hinter sich haben und finanziell gut ausgestattet sind, sondern über die Menschen, um die es geht, nämlich über die Schwächsten, die Menschen mit Behinderungen, die alten Menschen, die schwerstkranken Menschen, die chronisch kranken Menschen und die sterbenden Menschen. ({1}) Man kann ja vieles kritisieren - das steht einer Opposition auch zu -, ({2}) aber es wäre natürlich anständiger, wenn Sie nicht nur sagen würden, dass das ein zynischer Gesetzentwurf ist - ich komme noch dazu -, sondern wenn Sie auch darüber reden würden, dass es neue Leistungen geben wird, die diesen Menschen in Zukunft mehr helfen werden. ({3}) Ich nenne Ihnen einfach ein paar Beispiele: Die geriatrische Reha wird in Zukunft finanziert werden. Kein Mensch aus der Opposition erkennt das an. Ich meine, es ist richtig, dass auch alte und pflegebedürftige Menschen ein Recht und einen Anspruch auf Rehabilitation haben. ({4}) Das bedeutet nicht nur, dass der Grundsatz Reha vor Pflege beachtet werden muss - diesen Grundsatz vertreten Sie eigentlich auch, Herr Spieth -, ({5}) sondern dass auch diejenigen, die gepflegt werden, einen Anspruch auf Reha haben. ({6}) Als neuer Anspruch steht in dem Gesetzentwurf, dass Menschen mit Behinderungen, die in Einrichtungen leben, demnächst auch eine häusliche Pflege erhalten. Das ist bisher ein großes Problem für die Einrichtungen, weil die Menschen diese häusliche Hilfe im Moment rein technisch nicht bekommen können. Die Pflege wird von den Einrichtungen wahrgenommen. Gerade die kleinen Einrichtungen, die wir haben wollen - es geht nicht um die großen Einrichtungen -, sind gar nicht in der Lage, diese Hilfe zu leisten. Für diese Menschen tun wir das. Die Leistungen für Schwerstkranke und für die Palliativmedizin - Frau Eichhorn wird gleich noch einmal darauf eingehen - werden gerade im ambulanten Bereich verbessert. Genau das wollen wir. Wir wollen, dass die Menschen - das ist auch der Wunsch der Menschen - zu Hause in ihrer gewohnten Umgebung gepflegt werden und dass sie nicht in Einrichtungen oder Krankenhäusern sterben müssen, sondern dort, wo die meisten Menschen sterben wollen, nämlich in ihrer heimischen Umgebung bei ihren Verwandten. Das ist ein Akt der Nächstenliebe. Krankenhäuser sind nämlich nicht dazu da, dass dort gestorben wird, sondern sie sind dazu da, dass die Menschen dort geheilt werden. Die Menschen sollten dort sterben, wo sie es wollen und wo sie Liebe erfahren. Wir haben diese Regelung vereinbart, um dies zu unterstützen. ({7}) Wichtig ist ferner, dass wir jetzt die Regelung einführen, dass die Krankenversicherungen auch dann Hilfsmittel zahlen, wenn die hundertprozentige Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in Zukunft nicht mehr möglich sein wird. Es gab leider entsprechende Gerichtsurteile und die Krankenkassen haben sie umgesetzt. Auch in meinem Wahlkreis gab es ein Beispiel dafür. Dort wurde einer Frau mit ALS kein Elektrorollstuhl mit einer Kopfsteuerung mehr genehmigt. Man sagte, sie könne ja gar nicht mehr am Verkehr teilnehmen. Damit sei die Teilnahme also nicht mehr gewährleistet. Ich meine, es bedeutet ein Stück Menschenwürde, wenn wir es diesen Menschen auch dann, wenn sie nicht mehr am Straßenverkehr teilnehmen können, gestatten, zum Beispiel in einer Einrichtung Selbstständigkeit wahrzunehmen, sodass sie nicht darauf angewiesen sind, von anderen beispielsweise in die Sonne hinein- oder aus der Sonne herausgeschoben zu werden. Auch das steht in unserem Gesetzentwurf. ({8}) Deswegen finde ich das, was die FDP in ihrer Pressemitteilung geschrieben hat, so perfide. Wir wollen nicht bei den an Krebs Erkrankten abkassieren - wie es heißt -, sondern wir wollen, dass mehr Menschen zur Vorsorge gehen. Es wäre ja auch wirklich eine Idiotie, wenn es uns ums Abkassieren ginge. Wenn wir sagen, dass die Menschen zur Vorsorge gehen sollen, dann wird das im ersten Moment mehr Kosten verursachen, weil mehr Menschen zur Vorsorge gehen. Unser Ziel ist, dass Krankheiten frühzeitig erkannt werden und rechtzeitig eingegriffen werden kann, damit die Menschen länger leben können. ({9}) Ich bitte Sie um Folgendes: Sie können mit uns über alles reden, aber nehmen Sie einen anderen Stil an, damit es für die Menschen zu einer Reform kommt. Wir verfolgen vielleicht unterschiedliche Wege, aber zumindest sollten wir uns nicht unterstellen, dass wir den Menschen nicht helfen wollen. Vielen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Dr. Konrad Schily. ({0})

Dr. Konrad Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003840, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wenn ich noch immer ein bisschen neu im Bundestag bin: Das GKV-Modernisierungsgesetz hat mich von Anfang an begleitet. Ich habe mich immer gefragt: Warum wird dieses Gesetz gegen alle Widerstände durchgepeitscht? ({0}) Ich sehe nur einen Gewinner: die staatliche Verwaltung, den Apparat. ({1}) Dieses Gesetz wird auch mit sozialen Argumenten verteidigt. Um einen Machtzuwachs, nämlich die Staatsmedizin, zu erreichen, ist manchen fast jedes Mittel recht, auch das der Täuschung. Der jetzige Referenten5454 entwurf trägt den Titel „GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz“. Eigentlich aber wird der Wettbewerb aufgehoben. ({2}) Dahinter stehen Zwangsfusion und Gleichschaltung; das kann man so sagen. ({3}) - In der Wirkung ist das so. Wir haben über den Fonds gesprochen und gehört, dass er 2009 eingeführt werden soll. 20 Jahre nachdem das Volk der DDR den Fonds in der DDR beseitigt hat, sind wir beim Wandel durch Rückschritt statt durch Annäherung angekommen. Wir sind auf dem Weg in die Vergangenheit. ({4}) Es wird hier von der Solidargemeinschaft gesprochen. Eine Solidargemeinschaft ist die Vereinigung von Freien und Gleichen. ({5}) Die Solidargemeinschaft, die ich in Ihrem Gesetzentwurf wiederfinde, ist die Kollektivierung von Menschen durch Apparate. Das hatten wir schon. Das hat nichts mit Solidarität zu tun. ({6}) - Nein, eine Staatsmedizin hat sich in der ganzen Welt noch nie bewährt. Die Therapiefreiheit bleibt dabei auf der Strecke. Das freie vertragliche Miteinander der Leistungserbringer wird durch Zwänge ersetzt. ({7}) Die Bürger werden durch höhere Kassenbeiträge, weitere Zuzahlungen und höhere Steuern zur Kasse gebeten. ({8}) Im Klartext bedeutet das: weniger medizinische Leistungen, erheblich höhere Kosten für den Bürger und mehr Verwaltung. Besser wird es dadurch ganz sicher nicht. ({9}) Es ist eine Reform - das habe ich gesagt - in Richtung Vergangenheit. Wenn alle anderer Meinung als der Einzelne sind - dafür gibt es einen psychiatrischen Begriff -, dann kann er sagen: Alle anderen spinnen. Es könnte aber auch sein, dass der Einzelne eine überwertige Idee entwickelt und die anderen gar nicht mehr wahrnehmen kann. ({10}) Wenn ich ein Ideal zu einer Ideologie mache, dann kann die Ideologie eine überwertige Idee werden. Diese ist nach psychiatrischen Begriffen meist krankhaft. ({11}) Der Zug fährt in Richtung Vergangenheit, in ein Zwangssystem. Er fährt nicht in Richtung eines wirklich sozialen Systems, in dem dem Einzelnen tatsächlich geholfen werden kann, Herr Hüppe. Ich weiß, wovon ich rede. ({12}) Ich habe viele Briefe von Privatversicherten bekommen, die mir bestätigt haben, wie gut es ihnen mit ihrer Kasse geht - und zwar von den weniger gut Verdienenden. ({13}) - Hören Sie doch auf! Dass bei den privaten Krankenversicherungen nur Reiche versichert sind, ist wieder eine Ihrer Ideologien. Sie kennen die Zahlen und wissen genau, dass 80 Prozent der Mitglieder der privaten Krankenkassen geringer Verdienende sind. ({14}) Ich denke, der Zug in die Vergangenheit muss aufgehalten werden. Franz Josef Strauß, der sicherlich kein Mann der FDP war, hat einmal gesagt: Wenn der Zug in die falsche Richtung fährt, dann sind alle einzelnen Stationen falsch. Ich hoffe, dass der Widerstand gegen diesen Zug anhält und nachhaltig ist. Einen Zug kann man nicht während der Fahrt wenden, ({15}) man muss ihn aufhalten und neu auf die Schienen setzen, aber in die richtige Richtung. Dafür steht die FDP. Vielen Dank. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Jella Teuchner.

Jella Teuchner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002816, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Es ist keine Frage: Die Gesundheitsreform wird uns in den Gremien noch intensiv beschäftigen. Es besteht - das wird auch heute deutlich - noch gehöriger Beratungsbedarf. ({0}) Spannend ist aber, dass ausgerechnet die FDP die Koppelung der Chronikerregelung mit der Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen so vehement ablehnt. ({1}) Es ist doch Ihr Credo, dass die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen auf das gesundheitlich Notwendigste abgespeckt werden sollten. Sind das die Anreize, die Sie geben wollen? Wer Sport macht und daher gesünder lebt, muss selbst zahlen; eine Vorsorgeuntersuchung kann man nicht verlangen. Was ist das für eine Logik? Ich finde es sehr eigenartig, wie Sie Eigenverantwortung definieren. ({2}) Wie finanzieren wir die Krankenversicherungen? Wer muss welchen Beitrag leisten? Woher kommt das Geld? Das sind die Fragen, die wir beantworten müssen. Eigentlich haben wir eine gute Antwort: Da man auch krank wird, wenn man sich gesund ernährt und Vorsorgeuntersuchungen wahrnimmt, muss das Lebensrisiko Krankheit von allen gemeinsam getragen werden. ({3}) - Ja, das machen wir doch. Die Gesundheitsreform ist keine Spielwiese für Populismen. Die Diskussion darüber darf nicht dazu führen, dass Egoismen zu Gerechtigkeit umdefiniert werden. Es geht darum, die Finanzierung des Lebensrisikos Krankheit auch in Zukunft solidarisch zu organisieren. Die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherungen sind Mitglieder einer Solidargemeinschaft, die auch in Zukunft tragfähig gestaltet werden muss. ({4}) Wenn vorgeschlagen wird, Sportunfälle aus dem Leistungskatalog zu streichen, persönliche Rückstellungen zu bilden und den Zusatzbeitrag über die maximalen 5 Prozent steigen zu lassen, dann ist das keine Generationengerechtigkeit. Es ist schlicht und einfach ein großer Schritt aus der Solidargemeinschaft heraus. ({5}) Das gilt auch dann, wenn wir aus der einen Solidargemeinschaft 16 Ländersolidargemeinschaften machen sollen. Ohne einen Einkommensausgleich und einen funktionierenden Risikostrukturausgleich ist das nicht möglich. Andernfalls wird es einen Wettbewerb um die guten Risiken geben, der der gesetzlichen Krankenversicherung schadet. Gleichzeitig brauchen wir eine kostendeckende Finanzierung. Wenn wir stattdessen auf einen Preiswettbewerb setzen, droht eine Verschlechterung der Leistungen, zum Beispiel durch die Streichung der Satzungsleistungen oder die Einschränkung der im SGB V als Kann- oder Ermessungsleistung definierten Maßnahmen. Es kann auch nicht sein, dass versicherungsfremde Leistungen allein aus dem Beitragsaufkommen der abhängig Beschäftigten finanziert werden. ({6}) Dies würde das System der gesetzlichen Krankenkassen in seinem Bestand gefährden. ({7}) Eine Gesundheitsreform, die zwar das Gebäude der gesetzlichen Krankenversicherung erhält, ihm aber das Fundament entzieht, wird die solidarische Krankenversicherung zum Einstürzen bringen. Es geht im Gegenteil darum, das Fundament zu stärken. Eine Verbreiterung der Beitragsgrundlage wäre sicherlich die sinnvollste Lösung gewesen. Die Alternative ist, über eine spürbare Steuerfinanzierung die Einbeziehung aller in die Solidarität zu organisieren. In diese Richtung müssen wir die Weichen stellen. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion spricht nun die Kollegin Maria Eichhorn. ({0})

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Medizin hat im 20. Jahrhundert ungeheure Fortschritte gemacht. Der medizinisch-technische Fortschritt hat einen Umfang angenommen und eine Geschwindigkeit entwickelt, die ihn kaum noch kontrollierbar erscheinen lassen. Dieser medizinische Fortschritt hat Chancen gebracht, aber auch Fragen aufgeworfen. Das Thema Sterben und Tod hat dabei einen neuen Stellenwert bekommen. Der Entwurf zur Gesundheitsreform trägt dem Rechnung; denn es geht darum, auch unter veränderten Bedingungen ein Sterben in Würde zu ermöglichen, Sterbenden ein menschenwürdiges Umfeld zu schaffen und dabei deren Wünsche und Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen. ({0}) Die meisten Menschen wollen zu Hause sterben und nicht allein gelassen werden. Viele Menschen haben Angst vor Fremdbestimmung, Einsamkeit und Schmerzen am Ende des Lebens. Aus dieser Angst heraus meinen manche, aktive Sterbehilfe wäre eine Antwort. Unsere Antwort ist Schmerzlinderung und Sterbebegleitung. Die Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ forderte in der letzten Legislaturperiode zu Recht die Verbesserung der medizinischen, pflegerischen und psychologischen Bedingungen in der letzten Lebensphase. Für CDU und CSU war es daher sehr wichtig, dass in unserer Koalitionsvereinbarung die Stärkung von Hospizarbeit und Palliativmedizin festgeschrieben wurde. Dem trägt der jetzt vorliegende Entwurf zur Gesundheitsreform Rechnung. ({1}) Die bisherigen Regelungen im SGB V zur stationären und ambulanten Hospizarbeit werden entsprechend den Erfordernissen ergänzt. Wir, die Union, begrüßen sehr, dass die integrative hospizliche Versorgung in das Gesundheitsreformpaket aufgenommen wurde. Das bedeutet die Erweiterung der Leistungen der Krankenversicherung und baut auf die hervorragende Arbeit der stationären und ambulanten Hospizdienste auf. In Zukunft erhalten die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung einen eigenständigen Anspruch auf eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung. Es handelt sich hierbei um eine Gesamtleistung mit ärztlichen und pflegerischen Leistungsanteilen. Bei Bedarf kann die Versorgung rund um die Uhr erbracht werden. Damit ist es möglich, den Wunsch zu erfüllen, bis zum Tode in der vertrauten häuslichen Umgebung betreut zu werden. Dieser neue Leistungsanspruch steht Patienten zu, die nur noch eine begrenzte Lebenserwartung haben, aber trotz des besonderen Versorgungsbedarfs zu Hause versorgt werden können. Nach Berechnungen der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin trifft dies auf etwa 10 Prozent aller Sterbenden zu. Die übrigen Palliativpatienten werden weiterhin in den bisherigen Strukturen, zum Beispiel stationär, versorgt. Die Leistung kann nicht nur von Vertragsärzten, sondern auch von entsprechend qualifizierten Krankenhausärzten verordnet werden. Das hat den Vorteil, dass im Anschluss an eine Krankenhausbehandlung ohne zeitliche Verzögerung die spezialisierte ambulante Palliativversorgung ermöglicht wird. So können die Sterbenden wieder aus den Krankenhäusern heraus und in das häusliche oder in ein anderes vergleichbares Umfeld zurückgeholt werden. Mit der gesetzlichen Absicherung des Leistungsanspruchs auf eine bedarfsgerechte Palliativversorgung wird die ambulante Pflege am Lebensende erheblich verbessert und eine Vernetzung der vorhandenen Strukturen erreicht. Die bereits bestehenden Palliativ-Care-Teams haben sich hervorragend bewährt und können nun bedarfsgerecht eingerichtet werden. Das wird vor allem Patienten außerhalb von Ballungsräumen zugute kommen. Auch die Rahmenbedingungen für Kinderhospize werden verbessert. Damit wird eine schon lange bestehende Forderung erfüllt. Darüber hinaus wird künftig die häusliche Krankenpflege in neuen Wohngemeinschaften und Wohnformen sowie in besonderen Ausnahmefällen auch in Heimen als Leistung gewährt. Ein wichtiger Fortschritt ist zudem, dass in Zukunft geriatrische Rehaleistungen als Pflichtleistungen der Krankenkassen erbracht werden. Wir wünschen jedem, dass er bis zu seinem Lebensende gesund bleibt und im Kreise seiner Angehörigen ohne Schmerzen für immer sanft einschläft. Wir wissen aber, dass dies nur einem Teil der Menschen gegönnt ist. Mit der geplanten Gesundheitsreform wird jedoch ermöglicht, dass die segensreiche Arbeit der Palliativmedizin und der Hospize auch den Menschen zugute kommt, deren größter Wunsch es ist, zu Hause sterben zu dürfen. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Karl Lauterbach für die SPD-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte mich eigentlich auf den Bereich der Prävention konzentrieren. Aber ich mache vorab ein paar allgemeine politische Bemerkungen, die mir spontan eingefallen sind. ({0}) Diese richten sich an Sie, Kolleginnen und Kollegen von der Union. Ich muss bei Ihnen Abbitte leisten. Wir haben uns in den Auseinandersetzungen zum Teil nichts geschenkt. Aber sie waren immer von einem konstruktiven Geist getragen. Was man an Ihnen hat, lernt man, wenn man den Populismus, die Niveaulosigkeit und die Herzlosigkeit der FDP sieht. Das ist ohne Wenn und Aber meine Position. ({1}) Herr Kollege Dr. Schily, gerade von Ihnen hätte ich mehr erwartet. Ihre Rede läuft doch darauf hinaus - Herr Bahr, konzentrieren Sie sich! -, ({2}) dass Sie jeden, der mit der Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherung nicht einverstanden ist, als psychisch krank erklären. ({3}) - Doch, darauf läuft es hinaus. - Privatisierung ist alles, was Sie hier zu bieten haben. So weit meine politische Stellungnahme. ({4}) Ich komme zum Sachlichen zurück. ({5}) Ich spreche über die Präventionsregelung, die einer der Gründe ist, warum wir hier diskutieren. Worum geht es überhaupt? Es geht um die Check-up-Untersuchungen der über 35-Jährigen, beispielsweise um die KrebsfrühDr. Karl Lauterbach erkennung bei Männern und Frauen. Wir dürfen das Ausgangsproblem nicht vergessen: Diese sinnvollen Leistungen werden bislang sowohl von Frauen als auch von Männern zu wenig genutzt. Die Check-up-Untersuchung, mit der man Schlaganfälle, Herzinfarkte und Diabetesfälle rechtzeitig erkennt, wird von nur 17 Prozent der Bevölkerung wahrgenommen. Bei der Krebsvorsorge ist es nicht viel besser. Diese Möglichkeit wird von nur 19 Prozent der Männer und 47 Prozent der Frauen wahrgenommen. Das heißt, der allergrößte Teil der Vorsorge wird nicht in Anspruch genommen. Es ist richtig, dass nicht jede Vorsorgeuntersuchung sinnvoll ist; das stimmt ohne Wenn und Aber. ({6}) Zudem wird nicht jede Vorsorgeuntersuchung in guter Qualität angeboten, wohl aber die meisten. Wir haben hier ein riesengroßes Potenzial. Wenn wir die Inanspruchnahme der Vorsorge stärken, dann können wir Zehntausende Herzinfarkte, Schlaganfälle und Komplikationen bei Diabetes pro Jahr verhindern. Hier geht es nicht nur ums Geld, sondern um Menschlichkeit und Qualität. Vergessen Sie nicht: Zwei Drittel der Menschen, die hier sitzen, werden statistisch gesehen an den erwähnten Erkrankungen sterben. Zwei Drittel! Herr Kollege Bahr, daher darf hier nicht die übliche parteipolitische Polemik auf niedrigem Niveau betrieben werden. Dafür ist die Sache zu ernst. ({7}) - Mir wird die Frage gestellt, was die Früherkennung den Männern bringt. Das kann ich beantworten, Frau Bender. ({8}) - Sie haben nach der Früherkennung gefragt. ({9}) - Sie haben zuerst einmal von der Früherkennung gesprochen. Bei der Früherkennung ist es so: Bluthochdruck wird früh erkannt, die Zuckerkrankheit wird früh erkannt und das Risiko eines Schlaganfalls wird früh erkannt. Wichtig ist auch die Früherkennung von Prostatakrebs mittels der Tastuntersuchung. Ich spreche nicht von dem Antigentest, dem PSA-Test. ({10}) - Nein, aber es steht in den Richtlinien. ({11}) Lesen Sie, Frau Bender, bevor Sie kritisieren, und konzentrieren Sie sich auf die Richtlinien des Bundesausschusses! ({12}) Da ist genau dargestellt, dass der von Ihnen kritisierte Antigentest bei der Prostatauntersuchung überhaupt nicht betroffen ist. Der Test ist umstritten. ({13}) - Nein, Sie faseln über etwas, das Sie nicht wissen. Die Wahrheit ist: Sie wussten nicht, dass diese Regelung überhaupt nicht betroffen ist. Das ist doch der Hintergrund. Genauso ist es. ({14}) Ich sage das deshalb, weil es sich hier um einen wichtigen Bereich handelt. Meine Redezeit läuft wegen der unqualifizierten Bemerkungen ab. ({15}) Das Potenzial dieser Regelung darf nicht unterschätzt werden. Hier geht es um Zehntausende Fälle von Schlaganfällen und Herzinfarkten. Ausgerechnet die FDP schwingt sich hier zum Schützer derjenigen auf, die zu viel zuzahlen müssen. Das muss man sich einmal überlegen! ({16}) Die FDP, die noch über die Oettinger-Forderung, dass bis zu 10 Prozent des Einkommens zugezahlt werden sollen, hinausgeht und Zuzahlungen und die Privatversicherung für das alleinige Allheilmittel für die Lösung der Probleme der Krankenversicherung hält, schwingt sich heuchelnd zum Schützer der Einkommensschwachen vor einer Überforderung auf! Das ist nicht überzeugend! ({17}) Hier muss die Regierung die Linie halten. Das ist eine der vernünftigsten Regelungen, die wir eingeführt haben. ({18}) Ich komme zum Schluss: Meine Damen und Herren, bringen Sie sich bei der sinnvollen Gestaltung dieser Regelung ein. Das ist aus meiner Sicht eine Regelung, die mehr Menschen helfen und mehr Kosten senken wird als vieles andere in diesem Gesetz. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({19})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Peter Albach. ({0})

Peter Albach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003730, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Werte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Bahr und Herr Kollege Schily, meinen Sie mit Freiheit und Wettbewerb das System der USA, ein System, in dem 40 Millionen Menschen nicht versichert sind? ({0}) - Dann wäre es günstig, wenn Sie sich einmal dazu erklären würden. Diese Aktuelle Stunde steht unter der Überschrift „Finanzielle Folgen für Beitragszahler und Patienten bei Verwirklichung des von der Koalition vorgelegten Gesetzes zur Gesundheitsreform“. Ich füge ergänzend hinzu: Wir reden über das, was hier als Vorlage kommen wird. Wir reden also ausdrücklich nicht über ein eigenes Projekt der FDP-Fraktion, sofern es dieses denn gäbe. Sie werden auf Dauer im Lichte der kritischen Öffentlichkeit nicht bestehen können, wenn Sie mangels eigener Gedanken und ohne ein eigenes, geistig inspiriertes Gesundheitsprojekt - einmal abgesehen von sehr einfach gehaltenen Zeitungskolumnen - das Koalitionsvorhaben lediglich populistisch attackieren. ({1}) Dass Sie in die Formulierung zum Verlangen der Aktuellen Stunde nun auch noch den Patienten neben den Beitragszahler hineingequetscht haben, passt in Ihre populistisch angelegte Logik, ist aber nicht zielführend. Das Wort „Patient“ ist bekanntermaßen dem Lateinischen entlehnt und bedeutet im ursprünglichen Sinne denjenigen, der leidet, also den Leidenden, auch denjenigen, der erduldet, nicht unbedingt auch den Abgeordneten. Der Patient, werte Kollegen der FDP, ist also ausdrücklich keine fiskalische Kategorie, sondern zuallererst eine menschliche. Dieser Leidende möchte von seinem Leiden befreit werden - auch wenn Sie das nicht verstehen, ich sage es Ihnen trotzdem -, er möchte eine Behandlung nach dem besten Stand des medizinischen Fortschritts, er möchte im Bedarfsfall ein inländisches Krankenhausbett - möglichst wohnort- und zeitnah -, er möchte den schnellstmöglichen Arztbesuch, er möchte Rehamaßnahmen einschließlich Kuren und er möchte zudem Vorsorge und Prävention. Er möchte also Teilhabe an einem Gesundheitswesen und dies vor allem unabhängig von seiner Krankenversicherung und seinem Einkommen. ({2}) Er - natürlich auch sie; es gibt auch weibliche Leidende; ich möchte mit der Gleichstellungsbeauftragten kein Problem bekommen - möchte etwas, womit sich alle zivilisierten Staaten schwer tun und was es in der Gesamtheit so gar nicht gibt, zumindest nicht ohne erhebliche Zuzahlungen. Für eine sachliche Bewertung der Vorgänge hier bei uns in Deutschland sollten wir die Regelungen in anderen Staaten zur Kenntnis nehmen oder wenigstens erwähnen. Sehen wir uns die nordischen Länder an. Unabhängig davon, dass der Mehrwertsteuersatz dort im Regelfall bei 25 Prozent liegt - dieser Umstand allein würde der FDP schon genügen, Deutschlands definitiven Untergang festzustellen und jeden und alles hier und draußen zusammenzuschreien; aber das ist ein anderes Thema -, ({3}) sollten wir schon zur Kenntnis nehmen, dass der Leidende beispielsweise nach den Bestrebungen Schwedens die Möglichkeit erhalten soll - das ist eine Absichtserklärung -, innerhalb einer Woche einen Hausarzt und innerhalb von drei Monaten einen Facharzt aufzusuchen. Wartelisten für Krankenhausbetten sind üblich, und zwar von Dänemark bis Norwegen. Wir dürfen der Öffentlichkeit in diesem Zusammenhang auch nicht vorenthalten, dass es beispielsweise eine „Patientenbrücke Norwegen“ gibt, da Norwegen nicht mehr in der Lage ist, eine ausreichende einheimische Krankenversorgung sicherzustellen. Norwegische Patienten, also zweifelsfrei auch Leidende, werden in zunehmendem Maße im Ausland, sprich: in Deutschland, versorgt. So viel, Herr Kollege Spieth, zu einer Bürgerversicherung. ({4}) Frankreichs Gesundheitswesen ist eines der besten nach der - zugegebenermaßen umstrittenen - Bewertung der WHO. Die gesetzliche Krankenversicherung dort ersetzt nur 75 Prozent der Arztkosten und rund 70 Prozent der Arzneimittelkosten. Das sollte man schon wissen, wenn man über das Gesundheitsreformvorhaben der großen Koalition so abwertend redet. ({5}) - Ich habe leider nur noch wenig Zeit. - Anders als in Deutschland müssen die gesetzlich Versicherten in Frankreich ambulante Leistungen wie Hausarztbesuche vorfinanzieren und können dann einen Rückerstattungsanspruch bei ihren Kassen geltend machen. Dies ist nur ein Beispiel, aber ein signifikantes. Ich plädiere für mehr Sachlichkeit in der Diskussion sowie insbesondere und ausdrücklich für eine gesamtheitliche Betrachtung. Eine solche Betrachtung ist zugegebenermaßen politisch nicht unbedingt opportun, aber hilfreich und nützlich, zumindest im Umgang mit denen, für die wir uns hier alle engagieren, für die Leidenden, sprich: die Patienten. Vor allem ist es auch finanzierbar. Wir reden nämlich über ein System, das 240 bis 250 Milliarden Euro verbraucht. Ich komme nun zum Schluss. Jeder Wandel erzeugt auch Ängste. Das gilt für jeden Bereich unseres menschlichen Daseins. Sie als Opposition - das gilt insbesondere für die FDP - sollten Ihre vornehmste Aufgabe aber nicht darin sehen, diese Ängste zu schüren. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6}) - Mehr Sachlichkeit, Herr Bahr!

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Peter Friedrich von der SPD-Fraktion.

Peter Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003754, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zu Beginn, dem Kollegen Hüppe für seinen Beitrag zu danken. Er hat nämlich in sachlicher und auch eindringlicher Art und Weise geschildert, was die Patienten von dieser Reform wirklich haben werden. Ich glaube, das war sinnvoll und auch die richtige Antwort auf die Fragen, die mit der Ursprungsmotivation zur Beantragung dieser Aktuellen Stunde einhergingen. ({0}) Kollege Bahr und Kollege Schily haben hier ein Bild gemalt, das den Eindruck erweckt, dass dem Wettbewerb mit dieser Reform der Garaus gemacht wird und wir eine Art kollektivistische Staatsmedizin bekommen. ({1}) Der Kollege Spieth wiederum hat behauptet, dass es mit dieser Reform einen gnadenlosen Wettbewerb um den Gesunden gibt. ({2}) Offensichtlich ist keines von beidem richtig. ({3}) Betrachten wir doch einmal die heutige Situation: In der GKV gibt es eine Beitragssatzspreizung von fast 4 Prozent. Der Beitragssatz in der billigsten gesetzlichen Krankenkasse liegt momentan bei 11,3 Prozent, während der Beitragssatz in der teuersten gesetzlichen Krankenkasse bei knapp 15 Prozent liegt. Das heißt, bereits heute ist es so, dass Versicherte für exakt gleiche Leistungen Beiträge bezahlen, die bis zu 50 Euro differieren. Ich wiederhole: für exakt gleiche Leistungen. Ich frage mich, ob dieses System tatsächlich gerecht ist. Allein durch das Wechseln der Kasse aufgrund des unterschiedlichen Beitragssatzes entstehen für die GKV in diesem Jahr Kosten in Höhe von 1 Milliarde Euro. Der Wettbewerb ist lediglich an den Beitragssätzen ausgerichtet. Es gibt bei uns keinen Wettbewerb um Leistungen und Leistungsversorgungen. Diese Reform dient genau dazu, diesen Wettbewerb zu schaffen. ({4}) Wir statten die Kassen mit der Möglichkeit aus, Verträge mit den Leistungserbringern zu schließen - zum ersten Mal in dieser Form. ({5}) Es braucht auch Kollektivverträge - das wissen wir -, ({6}) um einheitliche Maßstäbe zu bekommen. Aber sie werden zum ersten Mal in der Lage sein, tatsächlich Direktverträge mit den Leistungserbringern zu schließen und damit einen Wettbewerb um Leistung, um Qualität zu starten. Wer glaubt, dass das nicht funktioniert, muss sich einmal anschauen, was im Bereich der integrierten Versorgung in den letzten Jahren bereits gewachsen ist. Die Kassen beklagen, dass sie unter gleichen Bedingungen miteinander konkurrieren sollen. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass sie das nicht wollen, sondern das lieber über unterschiedliche Beitragssätze tun wollen. Es kann nicht sein, dass man in einer Debatte über die Frage, wo die Belastungen sind, noch das Hohelied der Rosinenpickerei singt. ({7}) Das kann es doch wirklich nicht sein. Es wird gepredigt, dass die Kasse die beste ist, die es am besten schafft, Risiken, das heißt kranke Versicherte abzuwehren. ({8}) Das ist nicht die beste Kasse. Die beste Kasse ist die, die die Menschen mit ihren Krankheiten richtig versorgt. Darum geht es in dieser Reform. ({9}) Ich möchte noch auf einen speziellen Punkt eingehen, der mich bei der FDP immer wundert. ({10}) Bei der Frage des Wettbewerbs sagen Sie immer, das PKV-System sei dem GKV-System überlegen. Erstens ist es doch seltsam, dass sich die PKV auf genau das kapriziert, was die GKV macht. Es gibt aber noch einen zweiten Punkt, der mich wundert. Wir haben heute ein System, in dem die Versicherten, wenn sie sich in jungen Jahren einmal für eine private Versicherung entschieden haben, ihr Leben lang daran gebunden sind, egal was in der PKV passiert. Genau an dieser Stelle setzen wir an. In Zukunft können sie wechseln, auch zwischen den privaten Kassen. Ich weiß, dass auch Sie das eigentlich wollen. ({11}) Das muss man dann aber auch sagen, wenn man hier pauschal erklärt, es werde keinen Wettbewerb mehr geben. ({12}) Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die Frage der Demografiefestigkeit und der Vorsorge. Ich habe im Bereich Rente immer dafür gekämpft, schon bei den Jusos, dann auch bei der SPD - das war ein harter Kampf -, dass wir zu mehr Kapitaldeckung kommen. ({13}) Im Bereich der Gesundheit muss man aber einmal eine ehrliche Rechnung aufmachen, Herr Kollege Bahr. Im Bereich Gesundheit haben wir es mit zwei Effekten zu tun. Zum einen haben wir schon heute einen extremen Finanzierungsdruck. Da wollen Sie, dass wir heute zusätzlich auch noch Geld für zukünftige Generationen ansparen. ({14}) Was wollen Sie den Menschen heute noch alles zumuten? Sie wissen doch ganz genau, dass die PKV bis heute eine verlässliche Antwort auf die Frage schuldig geblieben ist, ob die Rücklagen überhaupt ausreichen, die Mehrkosten, die durch demografischen Wandel und medizinischen Fortschritt entstehen, zu decken. ({15}) Sie wissen aus den Erfahrungen aus dem Ausland auch, dass die Leistungserbringer ihre Strategie darauf ausrichten, an den Kuchen, der dann definiert ist, auch heranzukommen. ({16}) Deswegen glaube ich auch, dass wir gerade für die junge Generation ein System haben müssen, in dem die Umlagefinanzierung weiterhin enthalten ist. Vielen Dank. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Elke Ferner aus der SPDFraktion. ({0})

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kollegen und Kolleginnen! Herr Bahr, es ist wirklich nett, wie Sie Ihre Aktuellen Stunden immer beantragen. ({0}) Sie haben zu Beginn beklagt, dass die Verbände die Unterlagen so spät bekommen haben und es doch wirklich skandalös ist, dann eine fundierte Stellungnahme zu erwarten. Ich sage Ihnen jetzt einmal Folgendes: Schon vor Montag waren von Verbänden Stellungnahmen zu Vorentwürfen zu hören, ({1}) Angesichts dessen kann ich nicht nachvollziehen, dass Sie die Kürze der Zustellungsfrist kritisieren. Alle Verbände hatten die Unterlagen schon. Der letzte Entwurf ist allerdings - das ist richtig - etwas spät zugestellt worden. ({2}) Wenn ich einen Verband und die Interessen eines Verbandes vertreten müsste, dann wäre ich dahin gegangen und hätte gesagt: Ich kann noch keine abschließende Stellungnahme abgeben. - An vielen Punkten ist aber in der letzten Woche überhaupt nichts mehr geändert worden. Insofern hätten die Verbände zu den anderen Punkten ihre Stellungnahme durchaus abgeben können. ({3}) - Das müssen Sie die Verbände fragen! Zweiter Punkt. Sie haben eben beklagt, dass wir an der Umlagefinanzierung in der gesetzlichen Krankenversicherung festhalten. ({4}) - Sie haben das eben beklagt; Sie können es im Protokoll wahrscheinlich nachlesen. - Wenn Sie Altersrückstellungen auch in der gesetzlichen Krankenversicherung wollen, dann müssen Sie den Menschen bitte schön auch sagen, dass das heißt: höhere Beitragssätze, ({5}) und zwar über das hinaus, was ohnehin notwendig ist, damit die Einnahmen die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung auch decken. ({6}) - Das wissen weder Sie noch ich. ({7}) Aber auch weder Sie noch ich wissen, ob die private Krankenversicherung - die im Moment noch eine etwas günstigere Altersstruktur und ohnehin eine günstigere Versichertenstruktur hat, weil sie als Krankenversicherung bisher immer nur Gesunde aufgenommen hat und nie Kranke - überhaupt in der Lage ist, das, was an Lasten noch auf sie zukommt, über ihre Altersrückstellungen zu finanzieren. ({8}) Ich finde es wirklich zynisch, dass Sie ein Umlagesystem diskreditieren, in dem meine Eltern, als sie jung waren, die Gesundheitskosten für meine Großeltern gezahlt haben, ({9}) meine Generation die Kosten für die Generation meiner Eltern und die jüngere Generation unsere Kosten zahlt. Es gibt nichts Besseres, als dass Menschen für Menschen bezahlen. Kapital für Menschen, das wird auf Dauer nicht funktionieren. ({10}) Wir können ja in ein paar Jahren noch einmal darüber diskutieren. ({11}) Ein weiterer Anwurf war, die Versorgung werde durch diese Reform schlechter. ({12}) - Nein, zynisch ist, was Sie diese Woche auch bei dem Thema Vorsorgeuntersuchungen gemacht haben. Sie propagieren ständig Eigenverantwortung. Wenn Sie Eigenverantwortung sagen, dann meinen Sie, die Versicherten sollen alle Kostensteigerungen der Zukunft alleine bezahlen und sich am besten in einer privaten Krankenversicherung versichern, mit Risikoprüfung und Risikozuschlägen, auch wenn sie krank sind oder Behinderungen haben. Diese Menschen kommen in die private Krankenversicherung heute überhaupt nicht hinein; sie sollen aber alles privat machen. Das ist das, was die FDP meint, wenn sie von Eigenverantwortung spricht. ({13}) Wenn wir von Eigenverantwortung sprechen, meinen wir, dass die Angebote an Vorsorgeuntersuchungen, die es bereits gibt, verstärkt in Anspruch genommen werden sollen. Bei manchen Krankheiten geht es schließlich schlicht darum, ob man sie überlebt, wenn sie früh genug erkannt werden. Das sollten auch Sie eigentlich wissen. Jetzt eine solche Panik zu veranstalten, ist in höchstem Maße unseriös und zynisch. ({14}) Es ist gesagt worden, die Versorgung werde mit dieser Reform schlechter. Dies ist aber die erste Gesundheitsreform seit langem, die ohne Leistungskürzungen auskommt. Es wird keine Leistung aus dem gesetzlichen Leistungskatalog ausgegliedert. ({15}) Im Gegenteil werden zusätzliche Leistungen verankert: Hospize, die Palliativversorgung, die geriatrische Reha, Impfungen, die Eltern-Kind-Kuren, all das kommt neu in den Pflichtleistungskatalog hinein. Denjenigen, die zu Recht sagen, wir bräuchten eine breitere Finanzierungsbasis, kann ich nur sagen: Wir haben derzeit für eine solche breitere Finanzierungsbasis keine Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat. Aber ich kann Ihnen für meine Fraktion genauso wie für meine Partei versichern, dass wir an dem Ziel der Bürgerversicherung ({16}) und auch an einer deutlichen Verbreiterung der Bemessungsgrundlage festhalten. Die Umsetzung ist nur leider jetzt nicht möglich gewesen. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet und wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 19. Oktober 2006, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.