Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gibt es einige Mitteilungen zu machen. Die erste freut mich ganz
besonders: Der Kollege Dr. Wiefelspütz feierte am
22. September seinen 60. Geburtstag. Wir gratulieren
herzlich im Namen des Hauses und in Abwesenheit.
({0})
Es stehen einige Wahlen zu Gremien an: Nach dem
Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek vom
22. Juni 2006 benennt der Deutsche Bundestag zwei
Vertreter für den dortigen Verwaltungsrat. Die Fraktion
der CDU/CSU schlägt den Kollegen Johann-Henrich
Krummacher als ordentliches Mitglied und die Kollegin
Renate Blank als Stellvertreterin vor. Für die Fraktion
der SPD sollen der Kollege Siegmund Ehrmann als ordentliches Mitglied und der Kollege Christoph Pries als
Stellvertreter in den Verwaltungsrat. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann sind
die genannten Kollegen und Kolleginnen hiermit in den
Verwaltungsrat der Deutschen Nationalbibliothek gewählt.
Als neues ordentliches Mitglied im Rundfunkrat der
Deutschen Welle hat die Fraktion der CDU/CSU für den
ehemaligen Abgeordneten Günter Nooke den Kollegen
Wolfgang Börnsen vorgesehen. Stellvertretendes Mitglied soll die Kollegin Dorothee Bär werden. Die Fraktion der SPD schlägt für den Rundfunkrat den Kollegen
Fritz Rudolf Körper als ordentliches Mitglied vor. Der
Kollege Hans-Joachim Hacker, der bisher ordentliches
Mitglied war, soll nunmehr Stellvertreter werden.
Im Verwaltungsrat der Deutschen Welle soll der
Kollege Reinhard Grindel von der Fraktion der CDU/
CSU die Kollegin Monika Griefahn als ordentliches Mitglied ablösen. Frau Griefahn wird dem Verwaltungsrat
fortan als stellvertretendes Mitglied angehören.
Sind Sie auch mit diesen Vorschlägen einverstanden? Das ist der Fall. Dann sind die genannten Kolleginnen
und Kollegen in den Rundfunkrat und in den Verwaltungsrat der Deutschen Welle gewählt.
Schließlich hat die Fraktion der CDU/CSU mitgeteilt,
dass der Kollege Wolfgang Bosbach aus dem Kuratorium der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und
Zukunft“ ausscheidet. Als Nachfolger wird der Kollege
Ingo Wellenreuther vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Auch das scheint der Fall zu sein. Dann ist
der Kollege Ingo Wellenreuther in das Kuratorium der
Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ gewählt.
Interfraktionell ist verabredet worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Bisherige Ergebnisse der Koalition zu einer Reform für ein leistungsfähiges Gesundheitswesen
({1})
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({2})
Beratung des Antrags der Abgeordneten Miriam Gruß, Gisela
Piltz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Konkretes und tragfähiges Konzept zur Bekämpfung von
Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus
vorlegen und zeitnah umsetzen
- Drucksache 16/2779 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3})
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
({4})
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD,
der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Das Jahr 2008 zum „Internationalen Jahr der sanitären
Grundversorgung“ der Vereinten Nationen ausrufen
- Drucksache 16/2758 Redetext
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Korruptionsverdacht bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und die Rolle
der Bundesregierung in diesem Zusammenhang
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian Toncar,
Harald Leibrecht, Burkhardt Müller-Sönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für die Ächtung von Landminen und Streumunition
- Drucksache 16/2780 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({5})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth,
Brigitte Pothmer, Irmingard Schewe-Gerigk, Elisabeth
Scharfenberg und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen
weiterentwickeln - Das Bruttoprinzip in der Sozialhilfe
beibehalten und Leistungen aus einer Hand für Menschen
mit Behinderungen ermöglichen
- Drucksache 16/2751 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({6})
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth,
Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({7}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Das Existenzminimum sichern - Sozialhilferegelsätze neu
berechnen und Sofortmaßnahmen für Kinder und
Jugendliche einleiten
- Drucksache 16/2750 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({8})
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Ernst, Katja
Kipping, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Für ein menschenwürdiges Existenzminimum
- Drucksache 16/2743 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({9})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael Meister,
Otto Bernhardt, Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Reinhard
Schultz ({10}), Bernd Scheelen, Ingrid Arndt-Brauer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Deutscher Finanzdienstleistungsmarkt im Wandel Bezeichnungsschutz für Sparkassen erhalten
- Drucksache 16/2748 ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Andreae,
Dr. Thea Dückert, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Deutscher Finanzdienstleistungsmarkt im Wandel Bezeichnungsschutz für Sparkassen erhalten
- Drucksache 16/2752 ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Axel Troost,
Dr. Barbara Höll, Roland Claus, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der LINKEN
Sparkassen-Namensschutz sichern - EU-Recht wahren Parlamentarische Einflussnahme sicherstellen
- Drucksache 16/2745 Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit
erforderlich, abgewichen werden.
Außerdem ist vorgesehen, die Tagesordnungspunkte 9, 10 und 18 abzusetzen, wodurch sich einige Änderungen in der Reihenfolge ergeben. Der Tagesordnungspunkt 16 wird nach dem Tagesordnungspunkt 11
aufgerufen. Die Tagesordnungspunkte 12 und 13 sowie 14
und 15 werden jeweils getauscht. Der Tagesordnungspunkt 22 wird nach dem Tagesordnungspunkt 17 aufgerufen. Die Tagesordnungspunkte 23 und 24 sowie 25
und 26 werden wiederum jeweils getauscht.
Schließlich mache ich auf eine geänderte Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Gesetzentwurf der Fraktion der LINKEN zur
Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen
- Drucksache 16/731 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({11})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Der in der 22. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Rechtsausschuss zur Mitberatung überwiesen werden.
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Bevor ich den ersten Tagesordnungspunkt aufrufe,
möchte ich noch herzlich Kolleginnen und Kollegen
Parlamentarier aus Tansania und Rumänien begrüßen. Herzlich willkommen im Deutschen Bundestag!
({12})
Wir wünschen Ihnen interessante Gespräche und eine
gute Zeit in Berlin.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung
Deutsche Islamkonferenz - Perspektiven für
eine gemeinsame Zukunft
Ich erteile zur Regierungserklärung dem Bundesminister des Innern, Wolfgang Schäuble, das Wort.
({13})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In
Deutschland leben heute zwischen 3,2 und 3,5 Millionen
Muslime. Die meisten von ihnen sind vor Jahrzehnten
mit ihren Traditionen und Gewohnheiten, mit ihrer ReliBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
gion und mit ihrer Kultur in dieses Land gekommen.
Viele von ihnen haben, wie der Regisseur Fatih Akin es
beschrieben hat, „vergessen, zurückzukehren“. Der Islam ist Teil Deutschlands und Teil Europas, er ist Teil
unserer Gegenwart und er ist Teil unserer Zukunft. Muslime sind in Deutschland willkommen. Sie sollen ihre
Talente entfalten und sie sollen unser Land mit weiter
voranbringen.
Um Perspektiven für die gemeinsame Zukunft zu
schaffen, müssen wir versuchen, die Probleme zu lösen,
die das Zusammenleben mit Muslimen in unserem Land
belasten: Religionsunterricht in Koranschulen und an
staatlichen Schulen, Kopftuch, Imamausbildung, die
Rolle der Frauen und Mädchen, das Schächten - um nur
ein paar Stichworte zu nennen. Nicht nur der Bundesregierung bereitet die hohe Arbeitslosigkeit insbesondere
der Muslime der zweiten und dritten Generation, häufig
als Folge eines zu niedrigen Qualifikationsniveaus,
Sorge. Neben solchen Alltagsproblemen führt der islamistische Terror zu Ängsten und Argwohn in der Bevölkerung. Viele Muslime finden sich zu Unrecht unter einen Generalverdacht gestellt, ausgegrenzt und nicht voll
in die deutsche Gesellschaft aufgenommen.
({0})
All diese Sorgen müssen wir ernst nehmen und nehmen wir ernst. Die die Bundesregierung tragenden Parteien und Fraktionen, CDU/CSU und SPD, haben sich
deshalb im Koalitionsvertrag ausdrücklich zum Dialog
mit den Muslimen bekannt. Deshalb habe ich gestern mit
der Deutschen Islamkonferenz in der Orangerie im
Schloss Charlottenburg den ersten institutionalisierten
Dialog zwischen dem deutschen Staat und den in
Deutschland lebenden Muslimen eröffnet. Das Schloss
Charlottenburg - auch das darf man sagen -, Ende des
17. Jahrhunderts erbaut, erinnert an die große Toleranz
der preußischen Dynastie
({1})
- ja, der Bürger, aber auch der Dynastie - und war ein
guter Ort, um diesen Dialog zu eröffnen.
({2})
Aufgabe dieser Deutschen Islamkonferenz soll es
sein, eine Lösung der Probleme des Zusammenlebens
gemeinsam und im Dialog mit den in Deutschland lebenden Muslimen zu suchen. Es ist viel darüber diskutiert
worden, was der Unterschied zwischen der Deutschen
Islamkonferenz und dem Integrationsgipfel sei und ob
man sie nicht verbinden könne. Natürlich gibt es eine
enge Verbindung zwischen der Integration der Muslime
und dem Dialog mit den Muslimen; beides hat viel miteinander zu tun. Trotzdem stehen beim Integrationsgipfel und dem entsprechenden Prozess die Fragen aller in
Deutschland lebenden Menschen, die aus vielerlei Gründen nach Deutschland gekommen sind, im Vordergrund,
während wir uns in der Deutschen Islamkonferenz ausschließlich mit dem Islam und mit den Muslimen beschäftigen.
Im Übrigen unterhält unser Staat geregelte Beziehungen zu den Kirchen. Viele Muslime erwarten zu Recht,
dass so ähnlich, wie der Staat Beziehungen zu den
christlichen Kirchen und zur jüdischen Gemeinschaft
unterhält, er auch Beziehungen zu den Muslimen entwickelt - was insofern komplizierter ist, als die Muslime
nicht so verfasst sind wie die christlichen Kirchen. Einen
Anstoß zu geben, miteinander zu diskutieren, ist einer
der wesentlichen Beweggründe für die Islamkonferenz
und einer der Gründe, warum wir uns entschlossen haben, dafür einen eigenen Prozess ins Leben zu rufen. Die
Deutsche Islamkonferenz ist keine Veranstaltung, die
nur gestern drei Stunden lang stattgefunden hat, sondern
gestern war der Auftakt für einen ständigen Dialog, den
wir zunächst einmal auf einen Zeitraum von etwa zwei
Jahren angelegt haben.
Uns geht es, wie es im Koalitionsvertrag steht, um einen Dialog sui generis mit den Muslimen in Deutschland, die nicht mehr länger eine ausländische Bevölkerungsgruppe darstellen, sondern Bestandteil unserer
Gesellschaft geworden sind.
({3})
Das muss den Muslimen und auch dem nicht muslimischen Teil unserer Gesellschaft vermittelt werden.
Natürlich haben viele gefragt, warum das erst jetzt geschieht. Diese Diskussion führt aber nicht weiter. Besser
jetzt als später oder gar nicht. Vielleicht liegt das auch
daran, dass wir zu lange gedacht haben - übrigens nicht
nur die Deutschen, sondern auch die meisten Zuwanderer, die einstmals als Gastarbeiter zu uns kamen -, dass
sie wieder in ihre Heimat zurückgehen. Irgendwann hat
sich das geändert. Wir wissen, dass die meisten von ihnen in Deutschland geblieben sind. Ihre Kinder und Enkel fühlen sich längst als Deutsche türkischer oder arabischer Herkunft. Auch deswegen war es an der Zeit, mit
dieser Deutschen Islamkonferenz ein Zeichen des Aufbruchs zu einem neuen Miteinander zu setzen.
Die Vertreter des Staates - Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände -, die in der Deutschen Islamkonferenz vertreten sind, haben sehr deutlich gemacht, dass
wir in diesem Dialog auch Erwartungen an die Muslime
haben. Nach der deutschen Rechts- und Werteordnung
verstehen wir den Weg zu einem gedeihlichen Zusammenleben als einen Prozess, in dem kulturelle und religiöse Unterschiede anerkannt werden, in dem aber auch
die vollständige Akzeptanz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verlangt und vorausgesetzt wird.
Die mit dieser freiheitlich-demokratischen Grundordnung geschützten Grundregeln des Zusammenlebens
sind für jeden verbindlich, der in Deutschland lebt. Das
Grundgesetz ist nicht verhandelbar.
({4})
Durch das Grundgesetz wird im Übrigen mehr als durch
viele andere Ordnungen - das war auch gar nicht streitig Raum für ein friedliches, vielfältiges, kulturelles und tolerantes Zusammenleben geboten. Deswegen ist es im Interesse aller, dass das Grundgesetz nicht verhandelbar ist.
In dieser Ordnung, die von christlicher Ethik geprägt
ist - auch das muss gesagt werden, was ich gestern auch
getan habe -, muss der Islam seinen Platz finden. Hier
lebende Muslime können sich Zukunftsperspektiven eröffnen, wenn sie verstärkt Bereitschaft zeigen, unsere
Sprache zu erlernen, Bildungsabschlüsse zu erwerben
und sich an der Entwicklung der Gesellschaft zu beteiligen.
Damit wir die Deutsche Islamkonferenz als Chance
für ein neues Miteinander nutzen können, sind die Muslime aufgefordert, sich zu den Grundlagen eines harmonischen Miteinanders zu bekennen: der deutschen
Rechts- und Werteordnung, der deutschen Sprache, den
in Deutschland gültigen sozialen Konventionen. Dieser
Weg in unsere Gesellschaft wird durch das Motto dieser
Deutschen Islamkonferenz umschrieben: „Muslime in
Deutschland - Deutsche Muslime“.
Ich glaube, dass die meisten, die das gestern verfolgt
haben, in dem Urteil mit mir übereinstimmen werden,
dass der Start gut gelungen ist.
({5})
Es war eine offene Debatte. Wir hatten gar nicht vor,
eine harmonische und nur auf Konsens ausgerichtete
Veranstaltung durchzuführen, sondern wir wollen, dass
innerhalb der Gemeinschaft der Muslime unterschiedliche Auffassungen ausgesprochen werden. Wenn Sie sich
die Teilnehmer anschauen, dann wissen Sie, dass es im
Vorhinein sehr spannend war, wie das überhaupt gehen
sollte. Es ist gut gelungen. Alle haben einander gut zugehört und am Schluss haben auf meine Frage alle gesagt,
dass wir uns genau in dieser Zusammensetzung und auf
dieser Grundlage jetzt auf den Weg machen und so weitermachen sollten. Deswegen ist der Start gut gelungen.
Es war eine offene und in Teilen durchaus kontroverse Debatte. Es wäre unehrlich, etwas anderes zu sagen. Niemand hat auch nur den geringsten Vorbehalt
gegenüber der Gültigkeit unserer Verfassungs- und
Rechtsordnung geäußert. Das war so selbstverständlich
wie nichts anderes. Auch das muss klar gesagt werden.
({6})
Es mag zwar nur ein Randthema gewesen sein, obwohl
es ein wichtiger Punkt ist: Die Tatsache, dass alle 30, die
um diesen Tisch versammelt waren, gesagt haben, dass
es schön wäre, wenn eine bestimmte Operninszenierung bald wieder aufgeführt werden könnte, und dass
wir dann alle miteinander dort hingehen, zeigt etwas von
dem Klima, das es in dieser Konferenz gibt.
({7})
- Ja, Herr Kollege, aber es ist nicht meine Sache als Innenminister, dem Parlament so einen Vorschlag zu unterbreiten. Ich halte das allerdings für einen wichtigen
Schritt.
Ich finde es bezeichnend und gut, dass es gelungen
ist, ein entsprechendes Klima zu schaffen. Damit sind
natürlich nicht alle Probleme gelöst. Ich bin überhaupt
gegen jede Form von Verharmlosung. Das wird ein
schwieriger Weg sein und - das haben alle gesagt - es
liegt viel Arbeit vor uns. Aber wir haben eine gute
Grundlage, diese Arbeit zu bewältigen; das ist eine
wichtige Voraussetzung.
Wir haben uns vorgenommen, Vereinbarungen zu
wichtigen Fragen des Zusammenlebens zu erarbeiten.
Das werden keine Vereinbarungen mit einer Verbindlichkeit in juristischem Sinne sein können. Aber als ergebnisoffener und zielgerichteter Prozess soll die Konferenz
darauf hinarbeiten, einen gemeinsamen Willen herzustellen, der es Bund, Ländern und Kommunen ermöglicht, gemeinsam mit Muslimen zu handeln.
Wir werden auf zwei Ebenen tagen: zum einen in der
Form des Plenums, das wir gestern eröffnet haben; zum
anderen in drei Arbeitsgruppen und einem Gesprächskreis, in dem Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen mit Vertretern der organisierten wie auch der nicht
organisierten Muslime zur Sacharbeit zusammenkommen werden. Dies beginnt am 8. und 9. November in
Nürnberg. Wir haben mit der Geschäftsführung dieses
Dialogs das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
beauftragt. Diese Entscheidung hat allseits große Zustimmung gefunden. Ich bin sehr froh, dass sich das
Bundesamt zu Recht einer so großen Anerkennung erfreut, weil es gute Arbeit leistet.
Ergebnisse sollen aus sorgfältiger Analyse abgeleitete
konkrete Handlungsempfehlungen sein. Im Plenum der
Konferenz wollen wir etwa jedes halbe Jahr die Ergebnisse der Arbeitsgruppen zu einem breit angelegten Konsens zusammenführen.
Ich habe im Übrigen die Teilnehmer für das Plenum
wie für die Arbeitsgruppen nach vielen intensiven Gesprächen und nach reiflicher Überlegung ausgewählt. Es
hat natürlich viele Debatten gegeben; das war unvermeidlich. Aber es war gewollt, dass es darüber schon im
Vorfeld Debatten gegeben hat. Ich habe Vertreter der
mitgliederstärksten muslimischen Dachverbände mit
religiöser Prägung eingeladen. Sie repräsentieren, wenn
man die Mitgliederzahl großzügig schätzt, 15 bis 20 Prozent der bei uns lebenden Muslime. Wenn man in diese
Schätzung die Zahl der regelmäßigen Moscheebesucher
einbezieht, dann kann man hinsichtlich der Repräsentanz
der Verbände sogar mit Wohlwollen auf ein Drittel kommen.
Daraus ergibt sich aber auch, dass die breite Mehrheit
von religiösen und nicht religiösen Muslimen durch die
Verbände nicht hinreichend repräsentiert ist und dass
niemand den Anspruch erheben kann, nur er allein repräsentiere die Muslime. Deswegen habe ich zur Konferenz
bewusst ebenfalls Vertreter der nicht organisierten Muslime eingeladen, die die verschiedensten Facetten der
muslimischen Lebenswirklichkeit in unserem Lande repräsentieren. Auch das ist in der Konferenz sehr deutlich
geworden und es ist am Ende der Konferenz von allen
akzeptiert worden. Das ist innerhalb des Dialogs und innerhalb der Gemeinschaft der Muslime in Deutschland
ein wichtiger Schritt. Natürlich ist das vorher kritisiert
worden, aber auch von vielen positiv erwähnt worden.
Ich glaube, alle, die als Vertreter von Bund, Ländern
und Gemeinden am Tisch gesessen haben, haben in dieser beeindruckenden Gruppe von 15 Repräsentanten
muslimischen Lebens in Deutschland gespürt, dass dies
auch in ihrer Vielfalt eine eindrucksvolle Gruppe war. Es
ist eben wichtig, dass uns allen - unserer Gesellschaft
und damit auch der Öffentlichkeit - die Vielfalt islamischen Lebens in unserem Lande insgesamt bewusst
wird. Es wird, wie ich gesagt habe, ein steiniger Weg
sein - für die Muslime und für den Staat. Aber nur in einer pluralen Auseinandersetzung haben wir eine Chance,
Lösungen zu finden, wie sich der Islam in unserer offenen, freiheitlichen und pluralistischen Demokratie entwickeln kann.
Das Spektrum der konkreten Fragen, die wir in der
Konferenz erörtern werden, ist so breit, wie der Islam in
Deutschland vielfältig ist. Es umfasst als ersten Schwerpunkt die Vereinbarkeit verschiedener islamischer
Strömungen mit der deutschen Gesellschaftsordnung. Ausgehend von den Wesensmerkmalen unserer
pluralistischen Gesellschaft werden wir in der ersten Arbeitsgruppe, die den Namen „Deutsche Gesellschaftsordnung und Wertekonsens“ trägt, über zentrale Werte
sprechen. Dabei geht es nicht allein um die Frage der
Gültigkeit der Grundrechte, sondern wir wollen, dass
sich Muslime in Deutschland entfalten können.
Den zweiten wichtigen Schwerpunkt bildet die Frage,
wie sich der Islam als Religion mit den Strukturen und
Elementen des deutschen Religionsverfassungsrechts
vereinbaren lässt. Wir interpretieren unser Religionsverfassungsrecht nach Art. 4 des Grundgesetzes sehr im
Lichte unserer staatskirchenrechtlichen Erfahrungen mit
den christlichen Kirchen, was zu Problemen mit der Verfasstheit des Islam führt. Deswegen brauchen wir - beispielsweise wenn wir an staatlichen Schulen Islamunterricht einführen wollen - einen Partner, weil es nicht gut
wäre, wenn der Staat dabei allein handeln würde. Dass
uns ein solcher Partner zur Verfügung gestellt wird, ist
eine weitere Erwartung, die wir an die Arbeit der Islamkonferenz haben.
Den dritten Schwerpunkt bildet der Bereich Wirtschaft und Medien. Dabei geht es etwa darum, wie wir
die Defizite in der ökonomischen und sozialen Lage vieler Muslime beheben können, wie wir erreichen können,
dass die Medien stärker als bisher dazu beitragen, dass
Sprachkenntnisse und damit Kommunikation und Integration gefördert werden, und um vieles mehr. Es geht
aber auch um die Erwartungen von Muslimen an
deutschsprachige Printmedien und elektronische Medien. Auch darüber ist gestern schon gesprochen worden.
Wir werden auch über die Bedrohung unserer
freiheitlichen Demokratie durch islamistische Bestrebungen miteinander reden. Es gibt bereits einen Gesprächskreis, in dem schon viele Verbände mit den
Sicherheitsbehörden zusammenwirken. In dem Gesprächskreis „Sicherheit und Islamismus“ der Deutschen
Islamkonferenz wollen wir zu einer besseren Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des gewalttätigen wie
auch des legalistisch vorgehenden Islamismus gelangen.
Wir dürfen nicht hinnehmen, dass Extremisten die Religion des Islams für ihre Taten in Anspruch nehmen können, gerade weil auch die große Mehrzahl der friedliebenden Muslime Angst vor gewalttätigen Extremisten
hat.
({8})
Ich verbinde mit der Eröffnung des Dialogs mit den
Muslimen die Hoffnung, dass alle verstehen, dass Muslime in Deutschland willkommen sind. Damit sie ihre
Potenziale voll entfalten können, müssen wir die Probleme unseres Zusammenlebens und deren Ursachen erkennen und daraus Konsequenzen ziehen. Nur so schaffen wir Perspektiven für eine gemeinsame Zukunft.
Ich hoffe, dass es mit der Deutschen Islamkonferenz
gelingt, nicht nur praktische Lösungen zu finden, sondern auch mehr Verständnis, Sympathie, Friedlichkeit,
Toleranz und vor allen Dingen mehr Kommunikation
und Vielfalt zu schaffen und damit zur Bereicherung in
unserem Land beizutragen.
Ich möchte mit folgenden Worten des in Frankreich
lebenden libanesischen Schriftstellers Amin Maalouf
schließen, die mir sehr gut zu dem zu passen scheinen,
was uns bei der Islamkonferenz bewegt:
Wenn ich mich zu meinem Gastland bekenne, wenn
ich es als das meine betrachte, wenn ich der Ansicht
bin, dass es fortan ein Teil von mir ist wie ich ein
Teil von ihm, und wenn ich mich entsprechend verhalte, dann habe ich das Recht, jeden seiner Aspekte zu kritisieren; umgekehrt, wenn dieses Land
mich respektiert, wenn es meinen Beitrag anerkennt, wenn es mich in meiner Eigenart fortan als
Teil von sich betrachtet, dann hat es das Recht, bestimmte Aspekte meiner Kultur abzulehnen, die mit
seiner Lebensweise oder dem Geist seiner Institutionen unvereinbar sein könnten.
Wenn wir das gemeinsam zur Grundlage machen,
dann können wir in unserem Lande vieles noch besser
zustande bringen, als es bisher der Fall war.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Hartfrid Wolff, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Islamkonferenz war längst überfällig. Allerdings hat Bundesinnenminister Schäuble mit seiner Geheimniskrämerei um Zielsetzung, Teilnehmer und Programm der
Islamkonferenz keinen guten Dienst erwiesen.
({0})
Hartfrid Wolff ({1})
Der Dialog muss vor allem in der Bevölkerung und unter
unmittelbarer Beteiligung der Volksvertretung, des Parlaments, fortgesetzt werden. Dabei könnte eine allgemein akzeptierte Organisation der deutschen Muslime
helfen, die Integration der Muslime in Staat und Gesellschaft zu verbessern.
Schon im Vorfeld haben bestimmte Islamorganisationen Ansprüche auf rechtliche Gleichstellung mit den
Kirchen angemeldet. Für mich wäre eine rechtliche
Gleichstellung des Islam unter klaren Bedingungen
grundsätzlich denkbar. Dazu gehört, dass der Islam die
Grundwerte unserer Gesellschaft ohne Vorbehalt akzeptiert und mitträgt. Unbedingte Gewaltfreiheit und die
Anerkennung der Trennung von Religion und Staat sind
eine wesentliche Voraussetzung dafür. Eine Religionsgemeinschaft, die das Grundgesetz durch die Scharia ersetzen will, kann nicht anerkannt und nicht toleriert werden.
({2})
Eine rechtliche Gleichstellung mit den Kirchen erfordert ohne Wenn und Aber den vornehmlichen Gebrauch
der deutschen Sprache, wie dies die anderen öffentlichrechtlich verfassten Religionsgemeinschaften praktizieren; denn das Beherrschen der deutschen Sprache eröffnet beiden Seiten die Teilhabe am gesellschaftlichen
Diskurs. Die deutsche Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, jederzeit zu verstehen, was von einer öffentlichrechtlich verfassten Religionsgemeinschaft gelehrt wird.
Die Angehörigen dieser Gemeinschaft haben ein Recht
darauf, über ihre Religion in vollem Umfang mit der Gesamtgesellschaft zu kommunizieren. Gerade vor dem
Hintergrund wachsender Ängste ist dies unverzichtbar.
Die Demokratie lebt von solcher Teilhabe und damit von
dem Beherrschen der Landessprache. Wer am hiesigen
gesellschaftlichen Diskurs nicht teilnehmen kann, vielleicht sogar bewusst die Diskursfähigkeit verhindert und
sich oder seine Angehörigen abschottet, der grenzt sich
von der Demokratie ab und aus.
({3})
Deshalb brauchen wir auch in den Moscheen eine größere Offenheit. Die deutsche Sprache muss umfassend
Einzug halten.
Die angestrebte Gleichberechtigung wirft aber noch
andere Fragen auf. Würden muslimische Organisationen
in Deutschland nicht glaubwürdiger, wenn sie ihre Forderungen nach Gleichstellung von Christen und Andersgläubigen auch in islamischen Ländern deutlich erheben
würden?
Von den skizzierten Voraussetzungen scheint mir der
gegenwärtige Islam in Deutschland - jedenfalls zum Teil noch fern zu sein. Nicht die Beteuerungen einzelner
Funktionäre sind dabei entscheidend. Entscheidend ist
vielmehr, was jeden Tag in den Moscheen und Islamvereinen gelehrt und gepredigt wird. Angesichts befürchteter Übergriffe von Islamisten wächst in Deutschland leider ein Klima der Angst und Unsicherheit. Die Freiheit
der Kunst und der Presse sowie die Meinungsfreiheit
sind davon bedroht. Hat nicht schon der Karikaturenstreit die Neigung des aufgeklärten Europas zur Selbstzensur drastisch erhöht? Schon damals wurde weltweit
gegen die Prinzipien der freiheitlich-demokratischen
Grundordnung agitiert.
Die schnelle Kritik muslimischer Verbände am Vortrag Papst Benedikts XVI. in Regensburg hat mich besonders betroffen gemacht. Wer seinen Text unvoreingenommen liest, muss zugeben, dass es dem Papst um das
Verhältnis der Vernunft zur Religion und das aus der
Vernunft abzuleitende Postulat ging, dass Religion gewaltfrei sein müsse. Klarstellungen oder Entschuldigungen, wie sie etwa vom Zentralrat der Muslime in
Deutschland gefordert wurden, waren aus meiner Sicht
eigentlich nicht erforderlich.
({4})
Es ist zwar erfreulich, dass nach dem Bedauern des
Vatikans eine Beruhigung aufseiten der muslimischen
Verbände eingetreten ist. Aber die zuvor inszenierte
Aufregung war unnötig. Hier ist die Frage an bestimmte
Muslime in Deutschland zu richten, wie sie es denn mit
dem vorurteilsfreien Dialog und der Meinungsfreiheit
halten. In Deutschland muss jederzeit auch ein offener
Diskurs über religiöse Meinungen möglich sein.
Die Absetzung der Mozart-Oper „Idomeneo“ vom
Spielplan der Deutschen Oper in Berlin wirkt vor diesem Hintergrund skandalös. Die Deutsche Oper stellt
mit ihrer Begründung den Islam in Deutschland unter
Generalverdacht, und zwar aufgrund von Hinweisen des
Berliner Innensenators Körting. Seine Rolle sollte man
sich noch einmal genauer betrachten. Selbst wenn eine
Bedrohung vorläge, muss man fragen, ob eine solche
Angst vor dem Islamismus nicht den Islamisten in die
Hände spielt. Es ist bezeichnend, dass der Islamrat als
Dachorganisation vor allem für Milli Görüş diese Selbstzensur, diese Kapitulation der Kunstfreiheit ausdrücklich
begrüßt hat. Das Klima der Angst schadet unserer Gesellschaft und schadet allen positiven Bemühungen um
Integration.
({5})
Insofern begrüße ich dieses symbolische Signal, Herr
Innenminister, dass die Teilnehmer der Konferenz zu der
nächsten Opernaufführung gehen wollen.
({6})
Vertreter des Islam haben sich in den letzten Wochen
und Monaten manchmal in einer Weise zu Wort gemeldet, die ich für sehr unglücklich halte. Doch die weit
überwiegende Mehrheit der Muslime in Deutschland ist
nicht fundamentalistisch. Es hat immer wieder Stellungnahmen gegeben, die hoffnungsvoll stimmen, die die Integration eines aufgeklärten Islam in unsere westlichdemokratische Gesellschaft möglich erscheinen lassen.
So hat sich der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde,
Kenan Kolat, für die Kunstfreiheit und gegen die Berliner Opernabsetzung ausgesprochen. Frau Seyran Ateş
hat sich in vorbildlicher Weise gegen reaktionär-unHartfrid Wolff ({7})
menschliche Praktiken wie die so genannten Ehrenmorde und gegen Zwangsheirat engagiert. Der deutsche
Moslem Peter Schütt hat sich überzeugend für ein sinnund zeitgemäßes Verstehen des Koran ausgesprochen.
Viele, sehr viele sind für einen offenen Dialog. Solche Ansätze machen Mut, Muslime in Deutschland willkommen zu heißen. Sie zeigen uns, dass der Islam in
Deutschland differenzierter wahrgenommen werden
muss, als manch aufgeregte Diskussion es suggeriert.
({8})
Ein so verstandener Islam, der sich unserer Gesellschaft,
ihren Werten und ihrer Sprache öffnet, kann unser Zusammenleben sehr bereichern. Eine reaktionäre Gesinnung, die die Aufklärung bekämpft und ein Klima der
Angst verbreiten möchte, hat dagegen keinen Platz in
unserer Mitte.
({9})
Das Wort hat der Kollege Michael Bürsch, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In der Politik wird dieser Tage sehr viel kritisiert und viel zu wenig gelobt.
Deshalb fange ich mit einem deutlichen Lob an. Die Einberufung einer Deutschen Islamkonferenz ist eine sehr
gute Idee. Sie ist ein wichtiges Signal für die Verständigung mit den in Deutschland lebenden Muslimen und
damit auch ein Zeichen dafür, dass der Integrationsgedanke mittlerweile von allen politischen Parteien ernst
genommen wird.
Es ist gut und wichtig, dass wir nicht mehr übereinander, sondern miteinander reden. Es ist wichtig, dass die
Islamkonferenz keine einmalige Veranstaltung ist, sondern als ein langfristiger Prozess angelegt wird.
({0})
Nur durch das dauerhafte und fortgesetzte Gespräch
kann man zu ernsthaften Verabredungen und damit zu
der Chance kommen, mehr Verständnis füreinander zu
entwickeln und Missverständnisse zu beseitigen. Zu einem solchen Dialog hat der Bundesinnenminister in seiner Einladung an die Teilnehmer der Konferenz aufgerufen. Allein darin liegt schon ein wichtiger Schritt in eine
moderne, offene und durch Pluralismus gekennzeichnete Gesellschaft.
Nun komme ich zu der Frage, was die sozialdemokratische Fraktion in diesem Diskurs, in diesem langfristig
angelegten Experiment sieht. Koalitionen leben von
zweierlei, von Einheit und Unterschied. Ich stelle drei
Fragen an die Konferenz und an die Konzeption. Ich verbinde sie mit einigen Aspekten sozialdemokratischer
Integrationspolitik.
Erstens. Wer redet hier eigentlich mit wem? Bei der
Deutschen Islamkonferenz will der Staat mit dem Islam
sprechen, so der Innenminister. Über die eingeladenen
Islamvertreter will ich nicht urteilen, sondern nur darauf
hinweisen, dass lediglich 10 Prozent der Muslime in
Deutschland überhaupt durch Organisationen vertreten
sind. Insofern wird es jeder Gastgeber schwer haben,
15 repräsentative Vertreter des Islam in Deutschland zu
finden. Auf der Seite des Staates sind Vertreter von Ministerien, von Ländern und von Kommunen eingeladen,
etwas zugespitzt gesagt, die „üblichen Verdächtigen“ der
Administration. Abgeordnete sind nicht dabei. Es geht
also, um es deutlich zu sagen, nicht um ein Gespräch
zwischen und mit Bürgerinnen und Bürgern, sondern es
sprechen hochrangige Regierungsvertreter mit einigen
wenigen Vertretern des Islam. Gleichzeitig soll das Ziel
eine verbesserte religions- und gesellschaftspolitische
Integration der muslimischen Bevölkerung sein.
Aus meiner Sicht gilt Folgendes: Ein sinnvoller Dialog, der langfristig zu einer besseren Integration führen
soll, kann nicht zwischen Staat und Islam geführt werden, er muss vielmehr maßgeblich zwischen Bürgerinnen und Bürgern stattfinden.
({1})
Integration ist nämlich eine Aufgabe der Bürgergesellschaft. Der Staat kann aus meiner Sicht Moderator sein.
Er kann die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche
Integration schaffen, beispielsweise ein ausreichendes
Angebot an Sprachkursen.
Zweite Frage: Worüber soll gesprochen werden? Die
Arbeitsbereiche der Konferenz sind - der Innenminister
hat sie vorgestellt -: deutsche Gesellschaftsordnung und
Wertekonsens; Religionsfragen im deutschen Verfassungsverständnis; Wirtschaft und Medien als Brücke; Sicherheit und Islamismus. Ehrlich gesagt, das klingt mir
etwas unvollständig, womöglich etwas einseitig. Diese
Themenwahl ist doch vor allem auf die Frage ausgerichtet, wie sich Muslime nahtlos in die bundesrepublikanische Gesellschaft einpassen können. Sie berücksichtigt
aus meiner Sicht nicht hinreichend, dass die Integration
von Zuwanderern auch von der Aufnahmegesellschaft
etwas erfordert, nämlich auf diejenigen, die kommen,
zuzugehen. Integration ist, richtig verstanden, ein
wechselseitiger Prozess zwischen muslimischen Zuwanderern einerseits und der Aufnahmegesellschaft andererseits. Sie lässt sich auch nicht per Richtlinienkompetenz verordnen. Integration funktioniert ohnehin nicht
- das wissen wir - per Assimilation.
Unbestritten ist: Die Muslime, die dauerhaft in
Deutschland leben wollen, müssen zur Integration bereit
sein, wenn das gesellschaftliche Zusammenleben gelingen soll. Deshalb dürfen wir auch legitime Forderungen stellen: Die Anerkennung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, unserer Rechtsordnung, die
Beherschung der deutschen Sprache, die Bereitschaft zur
aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und die
Bereitschaft zur Toleranz, auch und gerade in Bezug auf
religiöse Fragen und ihre Darstellung in der Kultur. Deshalb ist es wichtig, über die deutsche Gesellschaftsordnung zu sprechen und über Religionsfragen im deutschen Verfassungsverständnis, wie es vorgesehen ist.
Aber Integration verlangt auch der Aufnahmegesellschaft einiges ab, unter anderem die Bereitschaft zur Bekämpfung von Vorurteilen und die Bereitschaft zur Toleranz. Toleranz heißt nicht, dass wir Zwangsehen,
Selbstjustiz oder die Unterdrückung von Frauen akzeptieren.
({2})
Sie setzt aber auf jeden Fall voraus, dass man sich mit
der kulturellen und religiösen Identität des anderen beschäftigt und Vorurteile abbaut.
Um Vorurteile abbauen und Toleranz üben zu können,
muss man zunächst Aufklärung betreiben. Daher vermisse ich einen Arbeitsbereich, Herr Innenminister, in
dem über die - vermutlich nicht unbedingt einheitliche muslimische Sicht der Dinge diskutiert wird und der
über den Islam aufklärt, beispielsweise über das Verhältnis des Islam zur Gleichberechtigung von Mann und
Frau, zu Familie, zu Erziehung und zum Recht muslimischer Kinder und Jugendlicher auf ein Leben in freier
Entfaltung. Es fehlt ein Arbeitsbereich, in dem die Vertreter des Islam über den Inhalt der Scharia aufklären
könnten und über das Verhältnis der Scharia zur demokratischen Rechtsordnung. Vielleicht bietet die Islamkonferenz künftig Raum für diese - aus meiner Sicht notwendigen Betrachtungen.
Ich habe ein weiteres Anliegen - ich habe es schon
angedeutet -: Wir brauchen für die Integration konkrete
Schritte in Richtung Bürgergesellschaft und nicht nur
Wunschkataloge auf Papier. Entscheidend ist aus meiner
Sicht deshalb, über folgende Fragen zu reden: Was findet
vor Ort, in der Gemeinde, im Bezirk, in der Nachbarschaft statt? Aus welchen guten Projekten können wir
lernen?
Nehmen wir als Beispiel Badr Mohammed, der bei
der Auftaktveranstaltung gestern dabei war. Badr
Mohammed aus Berlin betont sehr entschieden die Bedeutung der muslimischen Familie und ihrer Struktur
für den Prozess der Integration. Seine Überzeugung
- die er auch lebt - ist: Integration ist ein Familienprojekt, weil die Familie bei den meisten Muslimen eine ungleich stärkere Bedeutung hat als bei uns weitgehend
säkularisierten Westeuropäern. Vor Ort, in der Nachbarschaft, in der Kommune braucht man deshalb Personen
mit interkultureller Kompetenz, die als Lotsen der Integration Brücken zwischen Muslimen und Nichtmuslimen bauen können, die die Bildungs-, Ausbildungs- und
Teilhabechancen von Angehörigen muslimischer Familien durch Aufklärung, Information und Überzeugungsarbeit erhöhen. Diese Form von Integration ist ein Projekt der Bürgergesellschaft, bei dem der Staat zwar eine
wichtige, aber nicht die zentrale Rolle spielt.
({3})
Dritte Frage: Was ist das Ziel der Islamkonferenz?
Herr Minister, Sie haben erläutert: Ziel der Konferenz
ist eine verbesserte religions- und gesellschaftspolitische
Integration der muslimischen Bevölkerung in Deutschland; dies dient zum einen der Verhinderung von Islamismus und Extremismus, zum anderen wird der
Segmentation von Muslimen in Deutschland entgegengewirkt.
Ich fürchte, dass diese Zielsetzung jedenfalls von
manchen missverstanden werden kann. Wir müssen einen interkulturellen, interreligiösen Dialog mit dem Islam in erster Linie deshalb führen, weil ein relevanter
Teil unserer Bevölkerung muslimisch ist. Wir wollen die
religions- und gesellschaftspolitische Integration der
muslimischen Bevölkerung in Deutschland in erster Linie deshalb fördern, weil wir endlich der Tatsache Rechnung tragen müssen, dass Deutschland - das ist auch
Teil des Zuwanderungskompromisses 2005 gewesen ein Einwanderungsland geworden ist, und weil deshalb
ein zentrales Element unserer Gesellschaftspolitik die
gerechte Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft
sein muss.
Niemand will die Gefahren, die von Islamismus und
Extremismus ausgehen, ausblenden, aber diese Gefahren sollten richtig gewichtet werden. Das Bundesamt für
Verfassungsschutz hat uns darüber aufgeklärt, dass von
den 3,2 bis 3,5 Millionen Muslimen hochgerechnet
1 Prozent Islamisten sind, also solche, die ihren Glauben
mit einer politischen Überzeugung verbinden. Da kann
auch Gefahr, kann auch Gewalt, kann auch Terrorismus
drohen, aber es sind 1 Prozent, über die wir reden. Ich
habe den Eindruck, dass in der öffentlichen Debatte Islam und Islamismus jedenfalls von manchen verwechselt
werden oder diese 1 Prozent - das wären 32 000 bis
35 000 - von manchen vielleicht sogar für das Ganze genommen werden.
Ich betone nochmals: Die Deutsche Islamkonferenz
ist ein ganz wichtiger erster Schritt und als Beginn des
lange fälligen Dialogs mit dem Islam eindeutig zu begrüßen. Der interkulturelle und interreligiöse Dialog ist für
mich eine Grundvoraussetzung für gegenseitiges Verständnis, Toleranz und den Abbau von Vorurteilen. Deshalb sollten wir diesen Dialog ausweiten.
Was spricht dagegen, nicht nur einen Dialog mit dem
Islam zu führen, und zwar nicht nur zwischen Staat und
Islam, sondern in Deutschland auch einen Dialog aller
Weltreligionen - zwischen Christen, Juden und Moslems - zu organisieren? Was spricht dagegen, in der
Frage, wie wir die Werteordnung unseres Grundgesetzes
verstehen und wie wir das Zusammenleben regeln wollen, auch die Atheisten mit einzubeziehen?
Herr Innenminister, Sie haben mit einem Zitat eines
Libanesen geschlossen. Es liegt nahe, dass man bei der
Suche nach Zitaten zu dieser Debatte zu ähnlichen Ergebnissen kommt. Ich möchte mit einem Satz der ägyptisch-libanesischen Autorin Andrée Chedid schließen,
das für mich Leitlinie für den Diskurs sein kann, den wir
in den nächsten Jahren führen wollen. Andrée Chedid
hat in sehr kurzer, aber prägnanter Form gesagt:
Wer auch immer du bist: Ich bin dir viel näher als
fremd!
({4})
Für die Linke hat das Wort der Kollege Dr. Hakki
Keskin.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir diskutieren heute im Bundestag über die
Grundlagen eines gleichberechtigten Zusammenlebens der unterschiedlichen Kulturen und Religionen
in Deutschland. Nach meiner Wahrnehmung besteht unter den im Bundestag vertretenen Fraktionen ein Konsens über folgende Positionen:
Als Demokraten lehnen wir jegliche Art von Gewaltanwendung kategorisch ab. Wir bekennen uns zu den
universalen Menschenrechten und zu den Grundrechten
unserer Verfassung. Hierzu gehören selbstverständlich
auch die Religionsfreiheit sowie die Gleichberechtigung
von Mann und Frau. Wir sind auch der Meinung, Herr
Bundesinnenminister, dass keine Religion für politische,
ökonomische oder auch ideologische Zwecke instrumentalisiert werden darf. Der säkulare Staat ist nicht verhandelbar.
({0})
Wir stimmen darin überein, dass die Beherrschung der
deutschen Sprache von wesentlicher Bedeutung ist.
Das sind die Punkte, die wir alle, glaube ich, interfraktionell teilen, über die also Konsens herrscht.
Leider bestehen in einer Reihe wichtiger Fragen aber
erhebliche Differenzen.
Bundesinnenminister Schäube hat in der „FAZ“ vom
27. September - Herr Bundesinnenminister, ich werde
Sie jetzt zitieren - Folgendes gesagt:
Trennendes erkennen und Verbindendes stärken
kann aber nur der, der sich seiner eigenen Wurzeln
bewußt ist.
Herr Schäuble, Sie haben Recht. Bedauerlicherweise
aber haben insbesondere viele Ihrer Unionskolleginnen
und -kollegen diesen richtigen Grundsatz in Bezug auf
die Migranten und Muslime bis heute ignoriert.
Die Fraktion Die Linke befürwortet die Erhaltung und
Weiterentwicklung der kulturellen Identität der
Migrantinnen und Migranten. Hierzu gehören das Erlernen der eigenen Muttersprache in den Schulen sowie
die Anerkennung des Islam - ich begrüße es, wenn Sie,
Herr Bundesinnenminister, das wirklich ernst meinen als eine gleichberechtigte Religionsgemeinschaft. Neben
dem christlichen Religionsunterricht sollte ein Wahlfach
„Islamkunde“ unter der Aufsicht deutscher Schulbehörden eingeführt werden. Kenntnis der Kulturen ist die Voraussetzung für das Einanderverstehen.
({1})
Für die Linke gehört die rechtliche, politische und
- das ist ganz zentral, meine Damen und Herren - soziale Gleichstellung der kulturellen Minderheiten zu
den Grundvoraussetzungen einer Integrationspolitik.
Dies ist allerdings nur möglich, wenn die deutsche
Staatsbürgerschaft ohne weiteres erworben werden kann,
also die Schwierigkeiten, die es hierbei gibt, behoben
werden.
({2})
Für alle politisch Verantwortlichen steht die Einbürgerung jedoch erst am Ende - das höre ich sehr oft auch
von Unionspolitikern - des Integrationsprozesses. Was
für ein Irrtum! Weite Teile der Union sind noch immer
der Ansicht, dass die Migranten eine Bringschuld haben.
Sie sollen sich der deutschen Mehrheitsgesellschaft unterordnen. Oftmals wird über Integration geredet, leider
jedoch Assimilation gemeint.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe leider den
Eindruck gewonnen, dass die gestrige Islamkonferenz
vor allem aufgrund sicherheitspolitischer Überlegungen
stattfand. Die tatsächlichen Motive dieser Konferenz
hätten eigentlich integrationspolitischer Natur sein müssen. Dennoch begrüße ich die Islamkonferenz auch
heute als Initiative zu einem interkulturellen Dialog.
Ein wirklicher Dialog muss jedoch auf gleicher Augenhöhe und in wechselseitigem Respekt geführt werden.
Die Fraktion Die Linke fordert die Bundesregierung
auf, die bei uns lebenden kulturellen Minderheiten als
gleichberechtigte Bürger endlich in die deutsche Gesellschaft aufzunehmen und sie als ihren festen Bestandteil
anzuerkennen. Dies erfordert, wenn ich resümieren darf,
die Anerkennung der kulturellen Identität von Muslimen
und anderen Minderheiten, die rechtliche, politische und
soziale Gleichstellung durch den erleichterten Erwerb
der deutschen Staatsbürgerschaft,
({3})
tatsächliche Chancengleichheit in den Bereichen Bildung und Ausbildung durch sozial gerechte Reformen
im Bildungswesen sowie die berufliche Integration
durch besseren Zugang zu Beschäftigung in Deutschland
mit menschenwürdigen Einkommen.
Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren,
wenn wir die Integration und die gestrige Islamkonferenz wirklich ernst meinen, müssen diese berechtigten
Forderungen ohne weiteren Zeitverlust umgesetzt und
realisiert werden.
Ich danke Ihnen.
({4})
Das Wort hat Kristina Köhler, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich zunächst Ihnen, Herr Innenminister, sowie Herrn Staatssekretär Altmaier und Herrn Dr. Kerber
herzlich für die umsichtige Art und Weise danken, auf
die Sie den Auftakt der Deutschen Islamkonferenz geplant und vorbereitet haben.
({0})
Diese Konferenz kann für Deutschland eine Zäsur im
Verhältnis von Staat und Muslimen bedeuten, aber nur,
wenn sie keine dieser gängigen Dialogveranstaltungen
wird, bei denen kritische Fragen einfach ausgeklammert,
werden, und wenn sie nicht von inszenierter Betroffenheit und Gekränktheit getragen ist. Denn es ist richtig:
Wer hinter jedem Muslim einen potenziellen Terroristen
vermutet, trägt zum kritischen Dialog nichts bei. Genauso wenig aber trägt derjenige etwas bei, der sich ständig als Muslim diskriminiert fühlt, wenn islamistische
Auswüchse bekämpft werden.
({1})
Deshalb bin ich froh und dankbar über die Auswahl
der Gesprächsteilnehmer. Das Innenministerium hat hier
besondere Sorgfalt und Umsicht walten lassen. Neben
den Vertretern islamischer Verbände waren auch einzelne muslimische Persönlichkeiten aus Wissenschaft,
Kultur und Wirtschaft geladen, darunter etwa Frau
Seyran Ateş oder Frau Dr. Necla Kelek. Anders als bei
vielen Diskussionsveranstaltungen zuvor spiegelt sich
hier endlich die gesellschaftliche Realität wider. Realität ist nämlich, dass der Islam in Deutschland eben nicht
zum Großteil aus Mitgliedern konservativ-orthodoxer
oder gar islamistischer Verbände besteht, sondern vor allem aus säkular orientierten Muslimen, die gerne hier in
Deutschland und unter dem geltenden Grundgesetz leben.
Deshalb geht die Kritik an der Auswahl der Teilnehmer völlig ins Leere. Auch die Vertreter islamischer Verbände müssen sich darüber klar werden, dass die Muslime in Deutschland eben kein monolithischer Block
sind. Wer höchstens 30 Prozent der Muslime in Deutschland vertritt, kann nicht für 100 Prozent sprechen.
Die Konferenz gestern war ein Auftakt für einen Prozess. Was genau am Ende dieses Prozesses stehen wird,
können wir heute noch nicht beantworten. Das Ziel muss
es aber sein, Voraussetzungen für eine Übereinkunft zu
schaffen, die es allen verfassungstreuen muslimischen
Strömungen ermöglicht, ihre Religion hier in Deutschland frei von Ressentiments und frei von extremistischer
Beeinflussung zu leben.
({2})
Diese Übereinkunft ist im Übrigen kein Gesellschaftsvertrag, wie es immer wieder anklang, und zwar
weder einer im Sinne der politischen Philosophie noch
einer im Sinne traditionalistischer islamischer Auffassung. Denn eines muss doch klar sein: Die Muslime in
Deutschland sind bereits Teil dieser Gesellschaft. Wer
hier lebt, hat den Gesellschaftsvertrag schon unterzeichnet und sich damit zu den Grundwerten unserer
Verfassung und den hier geltenden Regeln und Normen
bekannt. Dies muss ein Bekenntnis ohne Vorbehalt sein.
Leider wird dies immer noch von so manchem Verband
anders gesehen. In Publikationen finden Sie beispielsweise Sätze wie: „Das deutsche Recht gilt für Muslime
so lange, solange es dem islamischen Recht nicht widerspricht.“
Diese Diskussion jedoch, meine Damen und Herren,
zielt ins Herz der Islamkonferenz. Sie ist keinesfalls nur
theoretisch, sondern bildet die Grundlage dafür, dass Integration überhaupt möglich ist. Denn lassen Sie es uns
doch ehrlich formulieren: Die Integration bestimmter
muslimischer Gruppen in Deutschland ist nur dann möglich, wenn sich diese vom absoluten Geltungsanspruch
der islamischen Pflichtenlehre, sprich: der Scharia, verabschieden.
Es war daher kein besonders gelungener Beitrag, als
der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime Anfang
dieser Woche den Bundesinnenminister davor warnte
- ich zitiere sinngemäß -, auf der Konferenz eine offene
Wertediskussion anzuzetteln. Die Begründung des Generalsekretärs war, kein Staat könne die traditionellen
Werte der Scharia in Einklang mit dem Grundgesetz und
den Menschenrechten bringen; der Staat sei vielmehr zur
Wertfreiheit verpflichtet und müsse sich „da raus halten“.
Hier liegt ganz offensichtlich ein großes Missverständnis vor. Dieser Staat ist nicht wertfrei. Ganz im Gegenteil: Wie jede andere Gesellschaft auch haben wir einen Kern an gemeinsamen Werten, Normen und
Symbolen, durch die Gemeinschaft erst begründet, erhalten und weiterentwickelt wird.
({3})
Zu diesem Kern gehört das aus unserem europäischen
Erbe geformte und im Grundgesetz verankerte Verständnis von Demokratie und Menschenwürde, Freiheit, Solidarität, der Trennung von Staat und Kirche sowie der
Gleichberechtigung der Geschlechter.
Wer in Deutschland lebt, muss diese zentralen Werte
und Normen annehmen.
({4})
Er muss diese Werte nicht nur begrüßen und anerkennen,
sondern er muss sie annehmen. Hier sehen wir - Herr
Professor Keskin, Sie haben diesen Punkt eben angesprochen - in der Tat eine Bringschuld aller Menschen,
die in Deutschland leben wollen.
({5})
Das heißt nicht, dass diese Menschen ihre Herkunft verleugnen oder ihre Wurzeln aufgeben sollen. Wo aber
Menschenrechte und Demokratie infrage gestellt werden, da gibt es kein Recht auf kulturelle Differenz.
Kristina Köhler ({6})
Hier gibt es viele offene Fragen, die die Islamkonferenz beantworten muss. Wir haben gehört, dass es gestern große Einigkeit gab. Wir haben aber auch gehört,
dass es an einigen Stellen - so sagte es der Innenminister - „knirscht“. Vor allen Dingen hinsichtlich der Rolle
der Frauen und Mädchen gibt es noch Klärungsbedarf.
Es ist wichtig, sich eines zu vergegenwärtigen: Alle in
diesem Problemkreis diskutierten Phänomene - das sind
sehr unterschiedliche Phänomene wie Ehrenmorde und
Zwangsheiraten bis hin zur Abmeldung vom Sportunterricht und zu Zwangsverschleierungen - basieren auf einem bestimmten Ehrbegriff, der unserer westlichen
Welt sehr fremd ist, auf einem Ehrbegriff, der sich wohl
nicht von alleine in unsere freiheitlich-demokratische
Gesellschaft integrieren wird.
Die Islamkonferenz wird daher auch über Folgendes
zu reden haben: Was kann der Islam in Deutschland dazu
beitragen, dass der Aufruf der Autorin Serap Cileli endlich umfassend gehört wird: „Wir sind eure Töchter,
nicht eure Ehre.“?
({7})
Wir als CDU/CSU maßen uns nicht an, uns in theologische Diskussionen über die Auslegung der Scharia
einzumischen. Das wäre absolut nicht unsere Aufgabe.
Aber wird sind als Volksvertreter verpflichtet, unzweideutig klarzustellen: In Deutschland gilt im Konfliktfall
das Grundgesetz, nicht die Scharia. Dies muss Konsens
der Konferenzteilnehmer sein.
({8})
Auf solch einer Basis ist es dann möglich, die Integration des Islams deutlich voranzubringen, sei es in Fragen
des Islamunterrichts oder bei der Ausbildung von Imamen.
Bei aller Diskussion darüber sollten wir jedoch eines
nicht vergessen, nämlich dass große Teile der muslimischen Bevölkerung in Deutschland bereits gut integriert
sind. Diese Menschen wollen gar keinen kulturellen
Sonderstatus. Sie wollen sich überhaupt nicht vom Rest
der Gesellschaft absondern, sondern sie wollen schlichtweg nur, dass sie und ihre Kinder in Deutschland eine
faire Chance bekommen.
({9})
Das Wort hat Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen
Sie mich als Erstes von einer regelmäßig geübten parlamentarischen Gepflogenheit abweichen: Auch ich
möchte im Namen meiner Fraktion ganz ausdrücklich
begrüßen, was Ihnen, Herr Schäuble, beim Aufbauen
und Zustandekommen der Islamkonferenz gelungen ist.
({0})
Da ich schon Gepflogenheiten aufgebe, will ich ohne
falsche Rücksichtnahme zugestehen: Das hätten wir uns
schon von Ihrem Vorgänger gewünscht.
({1})
- Ich habe geahnt, dass Sie da klatschen. - Ich will nicht
die Gründe dafür erörtern, warum dieser das wiederum
nicht wollte, obwohl es auch zu seiner Amtszeit schon
überfällig war.
({2})
Herr Schäuble, ich beglückwünsche Sie dafür, dass
Sie gesagt haben: Muslime sind in unserer Gesellschaft
ein Stück unserer Vergangenheit, unserer Gegenwart und
unserer Zukunft. Wenn ein CDU-Bundesinnenminister
am Rednerpult sagt, dass Muslime Teil unserer Gesellschaft sind und die Zeit der Einschätzung, es handele
sich bei ihnen um Gastarbeiter, zu Ende ist, dann sind
wir in der Gesellschaft einen Schritt weitergekommen;
denn der Gastarbeitermythos gehörte längst abgeschafft.
({3})
Wir wissen längst, dass es in dieser Republik zum Beispiel in der Altenpflegeausbildung Menschen gibt, die
Türkisch lernen müssen. Warum? Weil die erste und
zweite Generation der Gastarbeiter hier geblieben ist.
Hier ist vielleicht ihre zweite Heimat; aber hier ist die
erste Heimat ihrer Kinder und Enkelkinder. Also weg
mit dem Gastarbeitermythos! Sie leben hier so wie viele
andere Migrantinnen und Migranten; sie leben so wie
viele andere Bürgerinnen und Bürger.
({4})
An dieser Stelle will ich auf eines hinweisen, Herr
Schäuble: Sie sagen, Muslima und Muslime seien Teil
unserer Gesellschaft und das wolle man gemeinsam weiterentwickeln. Diesen Satz will ich denklogisch zu Ende
bringen. Das heißt dann auch: Es ist nicht falsch, dass
wir mit der Türkei Verhandlungen im Hinblick auf einen EU-Beitritt führen. Denn auch sie gehört dann zu
Europa, zu unserer Vergangenheit, unserer Gegenwart
und unserer Zukunft.
({5})
Vielleicht sollten wir den Integrationsgipfel und die Islamkonferenz dazu nutzen, zu sagen: Wir haben hier
Bürgerinnen und Bürger, die die unterschiedlichen Religionen und Kulturen kennen und die mehrere Sprachen
- zumindest zwei - können. Herr Schäuble, man könnte
vielleicht ein wirtschaftliches Plus zustande bringen,
wenn Sie auch das angehen würden.
Wir als Bündnisgrüne fordern schon lange die Einbürgerung des Islam. „Einbürgerung des Islam“ soll
heißen: Das ist eine Religion, an die Menschen hier
glauben, die Menschen hier praktizieren, zu der sich
Menschen hier bekennen. Deshalb ist ein Dialog darüber
längst überfällig. Man hätte ihn eigentlich beginnen sollen,
({6})
als Zehntausende Gastarbeiter mit ihrer eigenen Religion
und Kultur nach Deutschland kamen. - Jetzt ruft natürlich von der FDP wieder jemand - das sind immer die
Gleichen - nach den Grünen. Ich danke dafür, dass Sie
darauf verweisen. Das gibt mir die Möglichkeit, zu sagen, wie oft wir einen solchen Dialog eingefordert haben,
({7})
und darauf hinzuweisen, dass wir im Frühjahr dieses
Jahres im Rahmen eines Integrationsvertragskonzeptes,
das verschiedene Standbeine enthält, gesagt haben: Die
Einbürgerung des Islam gehört dazu.
({8})
Herr van Essen, dass wir an der Regierung waren,
weiß ich. Ich habe auf der Regierungsbank gesessen und
immer Ihre traurigen Gesichter gesehen.
({9})
Ich sehe: Ihr Gesicht ist noch immer traurig. Das wird
vielleicht längere Zeit so bleiben.
({10})
Diese Islamkonferenz benötigt als Basis Grundrechte
für das Zusammenleben. Dazu gehören die Gleichberechtigung von Frau und Mann, die Glaubens- und Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst.
Eines möchte ich in diesem Zusammenhang sagen:
Ich habe mich gefreut, zu sehen, wie muslimische Verbände und Schriftstellerinnen und Schriftsteller sich in
den letzten Monaten im gesellschaftlichen Diskurs verhalten haben. Die Reaktion der muslimischen Verbände
in Deutschland darauf, dass der Papst gesagt hat, bei den
Reaktionen auf sein Zitat handele es sich um ein Missverständnis, hat mich sehr gefreut; denn sie haben seine
Erklärung sofort angenommen. Das gilt auch für ihr Verhalten beim Karikaturenstreit und im Hinblick auf die
umstrittene Operninszenierung. Ich glaube, daraus
kann sich etwas entwickeln. In der Erschrockenheit über
die Absage der Operninszenierung und dem Innehalten
und dem Nachdenken darüber, wie weit eigentlich die
Entwicklung gediehen sei, dass nicht mehr jede Form
von Kunst dargestellt werden könne, liegt eine Chance.
Vielleicht finden wir uns alle am Ende bei einer Opernaufführung wieder.
({11})
Herr Schäuble, ich sage Ihnen auch: Zum Thema Integration, zur Einbürgerung des Islam, gehört nicht, dass
wir ausschließlich von den Muslimen fordern, sich zu
bewegen. Es ist vielmehr auch Aufgabe der aufnehmenden Gesellschaft, endlich zu zeigen, dass diese Gesellschaft jahrzehntelang nicht jeden Morgen gesagt hat: Die
muslimische Religion ist hier willkommen. Sie hat auch
nicht jeden Tag geholfen, Integrationsmaßnahmen
durchzuführen oder ihnen, zum Beispiel durch die Vermittlung der deutschen Sprache oder durch Unterstützung bei der Ausbildung, weiterzuhelfen.
Die Vorstellung der Grünen ist es, zu sagen: Wir müssen es als einen Vertrag im rousseauschen Sinne verstehen. Die aufnehmende Gesellschaft und die Migranten
müssen in dieser Beziehung aktiv werden. Beide Seiten
sind gefordert und nicht, Frau Köhler, nur eine Seite.
({12})
Wir haben Erwartungen an diese Konferenz. Wir wollen, dass die besonderen Hindernisse, die der Verleihung
des Körperschaftsstatus für die islamischen Religionsgemeinschaften im Wege stehen, beseitigt werden. Das
müssen die Muslime zum Gutteil selbst tun. Wir wollen
die Einführung des Islamunterrichts auf Deutsch in den
deutschen Schulen; wir wollen Imame in Deutschland
auf Deutsch ausbilden und wir wollen mehr als diese
zwei Lehrstühle für islamische Religion, weil sich am
Ende nur so ein europäischer Islam entwickeln kann, ein
Islam, der eines gelernt hat, nämlich hier auf der Basis
der Grundrechte aktiv zu werden.
Unsere Vorstellung ist es auch, weit über diese Islamkonferenz hinauszugehen - das ist mein letzter Satz an
Sie, Herr Schäuble -: Ich wünsche mir, dass Sie an einer
Stelle nicht mehr blockieren. Sie müssen mit den Migrantinnen und Migranten und den Muslimen auch über
eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, des Ausländerrechts reden. Sie müssen die muslimische Familie,
die Familie von Ausländern genauso schätzen wie die
deutsche Familie. Deshalb sage ich Ihnen: Zur Integration gehört auch, dass wir das Alter für den Familiennachzug bei Frauen und Kindern nicht erhöhen, weil das
im Rahmen all Ihrer Bemühungen das falsche Zeichen
wäre.
Lassen Sie uns also eines vermitteln: Beide Seiten bewegen sich. Dann wird etwas daraus.
({13})
Der Kollege Fritz Rudolf Körper, SPD-Fraktion, hat
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will
eine persönliche Vorbemerkung an Herrn Schäuble richten. Lieber Herr Bundesinnenminister Schäuble, ich will
deutlich unterstreichen: Die Art und Weise, wie Sie mit
diesem Thema umgegangen sind und umgehen, finde ich
richtig, weil sie sachlich, sachbezogen und unaufgeregt
ist. Ich denke, das wird diesem Thema gerecht.
({0})
Ich weiß aus meiner Tätigkeit als Parlamentarischer
Staatssekretär um die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Ich weiß beispielsweise um die Schwierigkeit, die sich mit der Frage der Zusammensetzung und
der Aufstellung der Teilnehmerliste verbindet. Ich weiß
auch, dass es darüber Debatten gegeben hat. Man kann
natürlich darüber streiten: Deckt die Zusammensetzung
der Konferenz 10 Prozent der deutschen Muslime ab,
deckt sie 15 Prozent ab, oder wie viel deckt sie ab?
Nichtsdestotrotz glaube ich, dass es richtig war, dieses
Risiko auf sich zu nehmen und die Zusammensetzung so
vorzusehen, wie Sie es getan haben. Denn es wäre
schlecht gewesen, wenn eine solche Debatte diese Islamkonferenz verhindert hätte. Deswegen muss man an dieser Stelle ein Stück Mut zur Lücke haben. Wenn man
dann im Prozess erkennt, dass das eine oder andere noch
zu verbessern ist, sollte man das einfach unaufgeregt tun.
Ich finde es wichtig, sich auch einmal damit zu beschäftigen, wie sich die Zahl der Muslime - in Deutschland leben rund 3,5 Millionen Muslime - zusammensetzt. Etwa drei Viertel von ihnen sind türkische
Staatsbürger oder Deutsche türkischer Herkunft. Es folgen Bosniaken, Iraner, Marokkaner und Afghanen. Sie
sind also nicht nur türkischer Herkunft. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass gut
die Hälfte aller Muslime in Deutschland länger als
20 Jahre bei uns sind und sie klar ihre Entscheidung getroffen haben, dass Deutschland ein Stück weit ihre Heimat ist. Das sollten wir auch unterstützen.
({1})
Frau Künast, ich finde es richtig, deutlich zu machen,
dass die meisten Muslime als Arbeitsmigranten zu uns
gekommen sind. Das ist vor dem folgenden Hintergrund
wichtig: Wir müssen uns zwar leider mit einem islamistisch orientierten Terrorismus auseinander setzen; es gibt
aber absolut keine Anhaltspunkte für Berührungspunkte
oder Beziehungen zwischen denjenigen, die islamistischen Terrorismus betreiben bzw. in diesem Feld agieren, und den Menschen, die aus dem Bereich der Arbeitsmigration kommen. Diese Erkenntnis ist - lieber
Sebastian, du unterstützt das - für die Debatte in
Deutschland wichtig.
Es ist richtig, dass der Islam als Religion bisher in unserem Land relativ wenig Beachtung fand. Er ist erst im
Zusammenhang mit der Diskussion über den islamistischen Terrorismus in den Mittelpunkt des öffentlichen
Interesses gerückt. Um es aber ganz klar festzuhalten:
Niemand, der sich mit diesem Thema ernsthaft beschäftigt, darf Islam und Islamismus gleichsetzen.
({2})
Man muss allerdings feststellen, dass das Misstrauen
der nicht muslimischen Bevölkerung in Deutschland gegenüber dem Islam in den letzten Jahren, insbesondere
in den letzten Monaten, eher gewachsen als geringer geworden ist. Viele Ängste und Besorgnisse erwachsen aus
mangelnder Kenntnis und Information über den Islam.
Deswegen sind Information und Aufklärung geboten.
Nur so können wir das Verhältnis und das Verständnis
füreinander fördern. Es geht hierbei auch darum, das
Verständnis für die in Deutschland lebenden Muslime zu
fördern.
Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass es
unter den Muslimen auch Anhänger islamistischer Strömungen gibt, die uns Anlass zur Sorge geben. Es ist aber
wichtig, sich das Mengengerüst deutlich zu machen: Ihr
Anteil liegt bei unter 1 Prozent der muslimischen Bevölkerung in Deutschland. - Es ist gut und richtig, dass wir
den Dialog mit dem Islam in Deutschland in Gang setzen. Ich hoffe, dass es möglich ist, auf diesem Weg differenziert vorzugehen.
Wichtig für jede Diskussion über religiöse Fragen ist
für uns der seit der Weimarer Reichsverfassung in
Deutschland endgültig anerkannte Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche. Der Staat darf und soll sich
aus gutem Grund nicht in religiöse Fragen einmischen.
({3})
Umgekehrt dürfen Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht für sich in Anspruch nehmen, staatliches Handeln bestimmen zu dürfen.
({4})
Auf dieser Grundlage hat sich in Deutschland ein von
gegenseitigem Respekt getragenes Verhältnis partnerschaftlicher Kooperation zwischen dem Staat auf der einen Seite und den christlichen Kirchen auf der anderen
Seite entwickelt. Wir in Deutschland dürfen von den hier
lebenden Muslimen und ihren Gemeinschaften erwarten,
dass sie die Trennung von staatlichen und religiösen Fragen beachten, da dies für ein friedliches Miteinander in
Deutschland von entscheidender Bedeutung ist.
Wir achten die Ernsthaftigkeit, mit der viele Muslime
ihren religiösen Pflichten und Bräuchen im Alltagsleben
nachkommen. Wir werden jedoch nicht zulassen können, dass religiöser Eifer und religiöses Eiferertum staatliches Handeln beeinflussen.
Unser Grundgesetz gewährt in Art. 4 die Glaubensund Gewissensfreiheit. Sie umfasst auch das Recht auf
ungestörte Religionsausübung, sei es als Individuum
oder in Gemeinschaft. Zur Religionsausübung gehört
auch die religiöse Vereinigungsfreiheit. Religionsgemeinschaften können daher die Rechtsfähigkeit nach den
allgemeinen Formen des bürgerlichen Rechtes, vor allem
in der Form des eingetragenen Vereins erwerben. Diese
Rechte gelten für alle Menschen in Deutschland, also
auch für muslimische Mitbürgerinnen und Mitbürger,
und zwar unabhängig davon, ob ihre Herkunftsstaaten
ebenso verfahren.
Neben dem Grundrecht auf freie Religionsausübung
gelten die staatskirchenrechtlichen Bestimmungen der
Weimarer Reichsverfassung fort, wonach Religionsgemeinschaften unter bestimmten Voraussetzungen den besonderen Rechtsstatus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erhalten können. Dieser den islamischen
Vereinigungen bisher nicht verliehene besondere Status
vermittelt einer Religionsgemeinschaft ohne Zweifel zusätzliche Vorrechte. Voraussetzung hierfür wäre, dass
sich die Muslime eine Organisationsform in Deutschland
geben, die sie in der Öffentlichkeit wahrnehmbar macht,
so wie dies die christlichen Kirchen oder beispielsweise
die jüdischen Gemeinden tun.
Die initiierte Islamkonferenz und der von ihr ausgehende Arbeitsprozess haben richtigerweise unter anderem den Schwerpunkt, das Thema „Religionsfragen im
deutschen Verfassungsverständnis“ zu erörtern. Wenn
wir die anstehenden Probleme lösen können, können wir
eine ganze Menge der sich daraus ergebenden Fragen,
wie beispielsweise die des Religionsunterrichts, besser
regeln als in der Vergangenheit.
Der mit der gestrigen Veranstaltung eingeleitete Prozess eröffnet uns große Chancen. Wir sollten diese
Chancen für ein friedliches, freiheitliches Miteinander in
Deutschland nutzen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Ich erteile das Wort der Kollegin Sibylle Laurischk,
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Innenminister, Sie haben eine ganz zentrale
Aussage gemacht, die ich für richtig halte. Sie haben gesagt: „Muslime sind in Deutschland willkommen.“ Das
muss gesagt werden; denn das muss bei dieser Diskussion klar sein. Nichts Unterschwelliges darf hier eine
Rolle spielen.
Mir scheint es allerdings so zu sein, dass das Setzen
von Highlights in Form verschiedener Integrationsgipfel
über die sonstigen Schwächen der Koalition hinwegtäuschen soll.
({0})
Tatsächlich ist es so, dass in § 45 des Aufenthaltsgesetzes die Verpflichtung des Innenministers enthalten ist,
ein bundesweites Integrationsprogramm unter Beteiligung der Religionsgemeinschaften zu erarbeiten. Frau
Künast, es wäre vielleicht sinnvoll gewesen, den Bundesinnenminister in der vorherigen Regierung darauf hinzuweisen.
({1})
Wir haben im Bereich der Integration viele Probleme, die wir lösen müssen. Das liegt an Versäumnissen. Wir haben unsere Vorstellungen und Forderungen
gegenüber den zu uns kommenden Menschen in der Vergangenheit nicht hinreichend klar gemacht. Wir haben
sie auch nicht hinreichend unterstützt, in ihrer neuen
Heimat Wurzeln zu schlagen.
Herr Innenminister, Sie haben etwas anderes sehr klar
ausgesprochen, das für uns alle selbstverständlich ist:
„Das Grundgesetz ist nicht verhandelbar.“ Insofern ist
auch das Selbstverständnis, das unsere Gesellschaft
prägt, die Gleichstellung von Mann und Frau, nicht
verhandelbar.
({2})
Das Grundgesetz geht sogar darüber hinaus. In Art. 3
Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes heißt es:
Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der
Gleichberechtigung von Frauen und Männern und
wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile
hin.
Hier fehlt mir vonseiten der Bundesregierung in der heutigen Debatte ein klares Zeichen. Wo ist die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung? Wo ist die Bildungsministerin der Bundesregierung?
({3})
Wo ist die Frauenministerin der Bundesregierung?
({4})
Sie nehmen an dieser Debatte nicht teil, obwohl es um
die Zielsetzung des Grundgesetzes geht, Benachteiligungen im Zusammenhang mit der Gleichberechtigung zu
beseitigen.
Benachteiligungen sind Bildungsnachteile - eine
Problemlage, von der insbesondere Frauen und im Zuge
ihrer Aufgabe als Mütter auch ihre Kinder betroffen
sind. Wir stehen vor großen Bildungsproblemen, die wir
zu lösen haben. Auch diese Themen müssen im Rahmen
von Integrationsgipfel und Islamkonferenz behandelt
werden. Die Mutter-Kind-Sprachkurse beispielsweise
sind immer noch nicht so ausgestaltet, dass den Müttern
ermöglicht wird, in ausreichendem Maße die deutsche
Sprache zu erlernen.
({5})
Das Grundgesetz lässt auch im Hinblick auf Gewalt
in der Familie kein Pardon zu. Die Familienehre ist in
Deutschland kein Rechtfertigungsgrund für Gewalttaten
oder Tötungsdelikte.
({6})
Problematisch erscheint mir allerdings die Vorstellung, von oben bestimmen zu wollen, in welcher Sprache in der Moschee gepredigt wird. Ziel dieser Überlegung ist ja nicht, dass man zum Erlernen bzw. besseren
Verständnis der deutschen Sprache durch die Muslime
beitragen möchte. Vielmehr möchte man das Aufspüren
so genannter Hassprediger erleichtern. Wir dürfen den
gläubigen Muslim aber nicht unter Generalverdacht stellen.
({7})
Auch in Deutschland war der Gebrauch der deutschen
Sprache in der Kirche lange Zeit nicht selbstverständlich. Wir wissen, dass die Bibelübersetzung durch
Martin Luther eine revolutionäre Tat war.
Die grundgesetzlich geschützte Glaubensfreiheit beinhaltet selbstverständlich auch die Freiheit der Wahl der
Sprache. Allerdings würde ich mich sehr freuen, wenn
die muslimischen Gemeinden eine klare Entscheidung
für die deutsche Sprache treffen würden. Das wäre, ganz
pragmatisch gesehen, auch ein Beitrag zur Sprachförderung. Die Hoover-Schule, die eine ähnliche Zielsetzung
verfolgt und solche Impulse gesetzt hat, hat dafür den
Nationalpreis bekommen.
({8})
Ein Integrations- und ein Islamgipfel der Bundesregierung reichen nicht aus, um die Probleme der Integration in den Griff zu bekommen. Es ist an der Zeit, im
Bundestag gemeinsam und überparteilich Wege aus den
Fehlern der Vergangenheit zu suchen. Hierzu eignet sich
eine Enquete-Kommission in hervorragender Weise.
({9})
Die Thematik ist zu wichtig, um die Debatte über Integrationsprobleme und Integrationslösungen auf tagespolitische Schlagzeilen zu verkürzen. Dieser Dialog gehört
ins Parlament. Er muss in den Diskussionsprozess eingebunden werden. Für die FDP ist es nicht hinnehmbar,
dass der notwendige Dialog über Integration und Islam
ausschließlich zwischen Regierung und Verbänden, aber
ohne den Deutschen Bundestag geführt wird.
({10})
Integrationspolitik darf nicht als mediale Veranstaltung
einiger Minister missbraucht werden.
({11})
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. - Wir wollen, dass eine Enquete-Kommission zu Integration und Migration diese
wichtigen Themen anstößt und vertieft. Ich lade alle
Fraktionen ein, zusammen mit der FDP die Möglichkeiten zur Einsetzung einer Enquete-Kommission „Integration und Migration“ auszuloten.
({0})
Das Wort hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege
Dr. Hans-Peter Uhl.
({0})
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Ganz offensichtlich besteht eine überwältigende Einigkeit darüber, dass die gestrige Auftaktveranstaltung der Islamkonferenz ein voller Erfolg war. Deswegen möchte auch ich mich von dieser Stelle aus bei all
denen bedanken, die diese Konferenz vorbereitet und an
ihr teilgenommen haben, vor allem aber bei demjenigen,
der diese Konferenz ins Leben gerufen hat, Herrn Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Danke schön!
({0})
In Art. 4 unseres Grundgesetzes heißt es:
Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die
Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
So weit unser Grundgesetz. Diese Religionsfreiheit
wird bekanntlich nicht nur den christlichen Kirchen,
sondern allen Religionsgemeinschaften gewährt. Doch
auch dieses Freiheitsrecht gilt, wie wir wissen, nicht
grenzenlos. Es findet seine Grenze in den unveräußerlichen Menschenrechten. Niemand hat also das Recht, unter Berufung auf seinen Glauben die vom Grundgesetz
garantierten Rechte anderer zu verletzen.
Das Grundgesetz fordert jedoch nicht, dass die politische Öffentlichkeit eine strikte Äquidistanz zu allen Religionen einnimmt. Es ist sehr wohl erlaubt, der Tatsache
ins Auge zu sehen, dass es substanzielle Unterschiede
zwischen den Religionen gibt.
Alle Christen sind sich heute einig, dass Gewalt,
Kriege und die Verfolgung von Minderheiten mit dem
Evangelium völlig unvereinbar sind.
({1})
Zum Selbstverständnis des Christentums gehört es
heute, die Verbrechen, die im Namen der eigenen
Religion in früheren Zeiten begangen wurden, einzugestehen und entschieden abzulehnen.
({2})
Insofern hat das Christentum hier einen Weg der religiösen Toleranz beschritten. Das friedliche Nebeneinander
der Konfessionen in Deutschland hat dazu geführt, dass
konfessionell geprägte Kulturräume entstanden sind: das
eher katholisch geprägte Süddeutschland und das eher
protestantisch geprägte Norddeutschland. Wir empfinden dies heute als Bereicherung und nicht als Grund,
Konflikte auszutragen.
Blickt man heute in die Welt, so sieht man, dass Religionsfriede und Religionsfreiheit auch im 21. Jahrhundert nichts Selbstverständliches sind. Der Dialog mit den
Gläubigen anderer Religionen, die heute in unserer pluralen Gesellschaft leben, insbesondere der Dialog mit
unseren islamischen Mitbürgern, erfordert zweierlei: das
Wissen um die eigenen Glaubensinhalte, aber auch zumindest ein Basiswissen über die anderen Religionen.
Deswegen ist es wichtig und notwendig, sich mit den
Fragen nach der kulturellen und der religiösen Identität
auseinander zu setzen. Die Religionsfreiheit des Grundgesetzes fordert etwas anderes als Äquidistanz; das
Grundgesetz fordert gegenseitige Achtung.
Papst Benedikt hat dies in seiner Predigt in München
sehr zutreffend zum Ausdruck gebracht. Er sagte:
… Zynismus, der die Verspottung des Heiligen als
Freiheitsrecht ansieht …, ist nicht die Art von Toleranz und von kultureller Offenheit, auf die die Völker warten … Die Toleranz, die wir dringend brauchen, schließt die Ehrfurcht vor Gott ein - die
Ehrfurcht vor dem, was dem anderen heilig ist.
Das ist der Gedanke, der ihm so wichtig ist und auf den
wir uns besinnen müssen: Wenn wir kein Gespür mehr
haben für das, was uns heilig sein muss, wie können wir
dann sensibel sein im Umgang mit dem, was anderen
heilig ist? Das ist die Grundlage echter Toleranz.
({3})
Das heißt, das Ausklammern der Frage, welche prägende
Tradition eine Gesellschaft hat, macht diese Gesellschaft
nicht eo ipso offener und toleranter. Im Gegenteil, kulturelle und religiöse Verwurzelungen ermöglichen erst eine
selbstbewusste Offenheit, ermöglichen erst eine Dialogfähigkeit.
Vor einiger Zeit stellte bei einem Kamingespräch mit
Bischof Huber ein Kollege von uns eine Frage, die mir
am Anfang peinlich war: Sagen Sie, Herr Bischof, sind
Sie der Meinung, dass das Christentum dem Islam überlegen ist? - Mir war diese Frage peinlich, weil ich
dachte: Was soll der arme Bischof dazu sagen? Ohne
nachzudenken aber antwortete er: Selbstverständlich ist
das Christentum dem Islam überlegen, aber ich werde
niemals aufhören, jeden gläubigen Muslim als Person zu
achten und zu respektieren.
({4})
Dies war eine ganz spontane Äußerung eines evangelischen Bischofs. Ich finde, es ist wert, darüber nachzudenken.
({5})
Anerkennung und Achtung der Lebensweise, der Gesetze und der Traditionen des Landes, in dem man lebt,
gehören eben dazu. Jede Seite sollte gegenüber der anderen Wertschätzung empfinden.
({6})
Wer sich aber bewusst selbst abschottet, wie das viele
Muslime derzeit leider tun, und wer Andersgläubige als
Ungläubige ansieht und damit abwertet, wie das manche
Muslime leider auch tun, der kann nur schwer integriert
werden. Vielleicht will er sich dann auch nicht integrieren lassen. Wir fordern also den Respekt unserer Werteordnung und die Achtung unseres Grundgesetzes.
Wer dazu nicht bereit ist, der muss sich fragen lassen,
warum er dann ausgerechnet in unserem Lande leben
will.
Eines muss ganz klar sein - lassen Sie mich das auch
noch sagen -: Es kann nur null Toleranz gegenüber jenen
geben, die gewaltbereit sind, die Hass predigen und die
gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung
eingestellt sind. Eine abwehrbereite Demokratie muss
diesen Versuchen, unsere Grundordnung zu zerstören,
entgegenstehen. Der gewaltbereite Muslim muss aber
auch auf Ablehnung bei den gemäßigten Muslimen stoßen.
({7})
Hier wäre an manchen Stellen vielleicht ein klareres und
tatkräftigeres Bekenntnis gegen Gewalt und Hass wünschenswert.
({8})
Die gestrige Islamkonferenz war der Auftakt zu einem notwendigen und längst überfälligen interkulturellen Dialog. Es war interessant, dass Frau Künast dies
auch so empfindet und eine solche Konferenz von dem
Vorgänger von Herrn Minister Schäuble in ihrer siebenjährigen Regierungszeit eingefordert hat. Diese sieben
Jahre sind auf dem Gebiet aber vertan worden.
({9})
- Frau Kollegin Künast, ich will Sie auch nicht über Gebühr loben. Ihr Gedanke und die Logik, von einem Islamdialog zu einem Automatismus bezüglich der Aufnahme der Türkei in die EU zu kommen, verschließen
sich mir in der Tat.
({10})
Der Dialog, der gestern begonnen hat, wird sich sicher über zwei, drei Jahre fortsetzen und darf nicht einseitig sein. Die Muslime müssen auf uns zugehen und
auch wir müssen uns bewusst machen, dass die Verweigerung des Dialogs angesichts von 3 Millionen Muslimen deren Isolation und die Spaltung unserer Gesellschaft bewirken würde. Wer will dies verantworten?
Dieser Dialog muss von einem festen und eigenen Wertefundament aus geführt werden. Alles andere würde
nicht Toleranz, nicht Integration, sondern Aufgabe unserer kulturellen Wurzeln bedeuten. Wir sollten den Dialog
mit den Muslimen zum Anlass nehmen, veraltete und religionsfeindliche Affekte endlich hinter uns zu lassen.
({11})
Die gestrige Islamkonferenz war ein hoffnungsvoller
Anfang. Dieser offene Prozess muss zu einem besseren
Verständnis und zu einem Regelwerk über das Zusammenleben der aufgeklärten deutschen Muslime mit uns
führen. Wenn dieser Dialog dazu führt, dass auch wir
uns wieder bewusster darüber werden, was die christlich-abendländische Kultur im Innersten zusammenhält,
dann wird dieser Dialog von allen Beteiligten mit Sicherheit als große Bereicherung empfunden werden.
Danke schön.
({12})
Für Die Linke hat die Kollegin Sevim Dagdelen das
Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrter Herr Uhl, Sie haben Bischof Huber zitiert. Dazu muss ich sagen: Die christliche
Arroganz, die in diesem Zitat zum Ausdruck kommt, beweist wieder einmal, dass es so wirklich nie zu einem
fairen und gleichberechtigten Miteinander zwischen den
Religionen kommen kann. Das wollte ich vorweg sagen.
({0})
Grundsätzlich begrüßt die Fraktion Die Linke jede
Form der Konfliktvorbeugung, -vermeidung und -bewältigung im Rahmen der gegenseitigen Achtung und eines
offenen, transparenten und regelmäßigen Dialogs. Die
Bundesregierung hat jedoch die gestrige Islamkonferenz
für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert. Migranten
muslimischen Glaubens werden wegen ihrer Religion
per se zu Integrationsunwilligen und -unfähigen erklärt.
Viel schlimmer noch: Sie werden zu potenziellen Unterstützern von Terror und somit zu einer Gefahr für die
freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik erklärt. Mit dieser Begründung werden unter anderem Daten für die Antiterrordatei mit der Angabe der
Religionszugehörigkeit gesammelt.
Wann immer die Themen „Integration“ und „Islam“ in
die öffentliche Debatte gebracht werden, wird suggeriert,
dass Migranten nicht die notwendige demokratische Gesinnung besitzen. Deshalb wird von den Migranten ein
faktisches Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen
Leitkultur verlangt. Dies ist ein eindeutiger Versuch, die
Verfassung zu kulturalisieren, und steht im Gegensatz
zum kulturellen Individualismus und Pluralismus des
aufgeklärten Verfassungsstaats.
Für Die Linke ist Religion Privatsache! Die Unterscheidung von Öffentlich und Privat halten wir für eine
Grundvoraussetzung einer jeden aufgeklärten und emanzipatorischen Gesellschaft.
({1})
- Da lachen Sie, Frau Künast. - Die Zugehörigkeit der
Religion zum Bereich des Privaten ist eine gesellschaftliche Errungenschaft, die man nicht aufgeben kann. Deshalb sollte es auch nicht zu dem Aufgabengebiet des
Bundesinnenministers gehören, einen Euro-Islam oder
gar einen Germano-Islam zu konstruieren oder zu institutionalisieren.
({2})
Das schließt eines jedoch nicht aus: eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit allen Religionen, wenn
es darum geht, dass Grundwerte der Aufklärung beschnitten werden.
Ich muss aber auch sagen, dass die Debatte in das Gesamtbild passt, das wir seit dem 11. September 2001, der
Ermordung des Regisseurs Theo van Gogh 2004 und
dem Karikaturenstreit 2006 haben. Bei jeder mit Glaubensfragen im Zusammenhang stehenden Krise ist man
schnell mit der Behauptung bei der Hand, der Kampf
der Kulturen sei ausgebrochen.
In den letzten Jahren spielt die Frage der Religion in
der Öffentlichkeit eine immer stärkere Rolle. Klassische
Vorstellungen von Säkularisierung verlieren an Relevanz. Länder werden nach der Religionszugehörigkeit
ihrer Bevölkerungsmehrheit definiert und zu so genannten Problemländern erklärt. Herr Kollege Bosbach von
der Union fordert, die Reisefreiheit von Menschen aus
ebendiesen Problemländern einzuschränken. Ich frage
mich, was er sagen würde, wenn Deutschland wegen der
Neonazis, die es bis in die Länderparlamente geschafft
haben, ebenfalls zu einem Problemland erklärt würde.
({3})
Die Bedeutung der Religion an sich hat auch in unserem Land zugenommen. In einem nicht unwesentlich
von Vorurteilen und Angst durchsetzten Klima wird allseits zum Dialog aufgerufen. Inzwischen hat sich der interreligiöse Dialog respektive christlich-islamische Dialog zu einem Knotenpunkt in den interkulturellen
Angelegenheiten entwickelt. Im Rahmen des Diskurses
vom Kampf der Kulturen werden Integrationsfragen
mehr und mehr in Kulturfragen übersetzt und ihre Lösung von einer interreligiösen Verständigung abhängig
gemacht. Der interreligiöse Dialog wird öffentlich mit
der Aufgabe betraut, bei der Integration von muslimischen Einwanderern zu helfen. So hat sich aus dem muslimischen Einwanderer der eingewanderte Muslim entwickelt.
Die politische und gesellschaftliche Anerkennung des
Islam als gleichberechtigte Religion neben allen anderen
Religionen ist auch eine Forderung, welche Die Linke
unterstützt. Die Integration kann jedoch nicht erfolgen,
wenn man sie von sozialen, politischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen isoliert und auf die Fragen der
Religion reduziert.
Sie müssen bitte zum Ende kommen, Frau Kollegin.
Mein letzter Satz, Frau Präsidentin. - Sofern es ein integrationspolitischer Dialog sein soll, wie es auch auf
dem Integrationsgipfel angekündigt worden ist, muss
dieser übergreifend und nicht nur auf Muslime bezogen
geführt werden. Andernfalls wird in der Debatte eben
doch wieder eine einseitige Problemlastigkeit im Islam
suggeriert.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Kollege Omid Nouripour,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir - gerade weil es meine erste Rede vor diesem Hohen Hause ist - eine persönliche Vorbemerkung.
Ich muss feststellen, dass ich dem Deutschen Bundestag,
dem Haus der Freiheit, nur deshalb angehören kann, weil
dieses Haus unter Rot-Grün 1999 das Staatsangehörigkeitsrecht geändert hat. Für die Chance, dieses Land
nicht nur als Heimat zu empfinden, sondern ihm auch
auf diese Weise dienen zu können, bin ich zutiefst dankbar.
({0})
Nun komme ich zur Sache. Meine Fraktion und ich
begrüßen bei aller Kritik an Details die Einrichtung der
Deutschen Islamkonferenz. Sie hat das Potenzial, mehrere richtige, aber auch wichtige Signale zu setzen: an
die Muslime in Deutschland, aber auch an die so genannte Mehrheitsgesellschaft.
Angesichts der lobenswerten medialen Vorarbeit des
Bundesinnenministers kann man sich nur freuen, dass er
sehr viele dieser Signale gegeben hat. Ich hatte den Eindruck, dass er gerade im konservativen Milieu dafür sorgen wollte, dass der Islam in diesem Land als gesellschaftliche Realität anerkannt wird. Das ist ein sehr
gutes Ziel, für das wir Grüne seit Jahrzehnten kämpfen,
Herr Minister. Ich heiße Sie herzlich willkommen auf
der Seite der Realisten in diesem Land.
({1})
Der mit der Islamkonferenz begonnene Dialog bietet
Chancen. Er kann und muss die längst überfällige
Gleichstellung des Islam mit den anderen Religionen in
Deutschland entscheidend voranbringen und schließlich
verwirklichen. Ich wünsche mir sehr, dass am Ende dieses Dialoges ein Staatsvertrag steht, der ganz konkrete
und praktische Fragen wie die Ausbildung von Vorbetern und Imamen - ich hoffe eines Tages auch von Vorbeterinnen und Imaminnen - an deutschen Universitäten, den Islamunterricht an Schulen, die Teilnahme von
Mädchen an Klassenfahrten oder offene Fragen beim
Bau von Moscheen regelt.
Betreffend die rechtliche Verfasstheit des Islam muss
ich feststellen, Herr Minister, dass Ihre Rede leider wenig konkret und ambitioniert war. Hierbei hoffen wir auf
mehr.
Aber auch die innerislamische Debatte kann dadurch
forciert werden. Diese Debatte ist ein Wert an sich und
ein fundamentaler Bestandteil der Einbindung des Islam
in die Moderne.
({2})
Dieser Dialog braucht eine sensible Moderation, die wir
Ihnen zutrauen, Herr Minister. Trotzdem hat es mich irritiert, im Vorfeld lesen zu müssen, dass Sie bisher immer
nur über den Koran, aber nicht den Koran selbst gelesen
haben. Deshalb will ich Ihnen als Vorsitzender der Deutschen Islamkonferenz heute ein Geschenk machen. Ich
hoffe, dass Ihnen diese Koranausgabe bei den weiteren
Beratungen der Konferenz behilflich sein wird.
({3})
- Ich habe selbstverständlich ein Neues Testament zu
Hause und habe es schon häufiger gelesen.
({4})
Sie bekommen das Geschenk als Hilfe für Ihre Arbeit.
Geburtstag hat heute jemand anders, nämlich der bayerische Ministerpräsident. Meine herzlichen Glückwünsche von dieser Stelle aus!
Damit komme ich aber auch zu der unangenehmen
Begleitmusik im Vorfeld der Konferenz. Der bayerische
Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende hat der „Bild“Zeitung am 7. September ein Interview gegeben, das
meiner Ansicht nach immens schädlich war. Ich zitiere:
Das Christentum unterscheidet sich etwa vom Islam
dadurch, dass wir Intoleranz ablehnen, Religionsfreiheit gewähren, die Gleichberechtigung von
Mann und Frau vertreten, Zwangsheiraten ganz entschieden nicht billigen. Für uns ist jeder Mensch
einzigartig, jeder Mensch hat Würde, Freiheitsrechte und ist gleichberechtigt.
So geht es nicht,
({5})
nicht nur deshalb, weil Herr Stoiber den großen Theologen heraushängen lässt, sondern auch, weil er sich - ich
hoffe sehr, unbewusst - eine fundamentalistische Interpretation des Islam aneignet. Er verkennt in Muftimanier
die Tatsache, dass die Pluralität bzw. die Vielfalt der Interpretation im Islam und der Rechtsschulen und vor allem im Rahmen des Grundgesetzes der Schlüssel zur
Moderne ist.
({6})
Diese unqualifizierte einseitige Abgrenzung zwischen
dem guten, toleranten Christen auf der einen Seite und
dem intoleranten, zurückgebliebenen Muslim auf der anderen Seite ist falsch. Wir müssen feststellen, dass der
Graben nicht zwischen Muslimen und Musliminnen auf
der einen und Christen und Christinnen auf der anderen
Seite, sondern zwischen demokratischen, freiheitsliebenden Menschen und den Kräften verläuft, die Demokratie
und Freiheit in diesem Land bekämpfen. So muss man
den Graben ziehen. Sonst hat man keine Chance, an die
Herzen und Köpfe der jungen Menschen heranzukommen, die noch nach Orientierung suchen und die wir gewinnen müssen. Das ist der zentrale Punkt, für den wir
eintreten müssen.
({7})
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich komme zum Schluss. Wir hoffen, dass die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen all das, was
im Vorfeld gesagt wurde, ernst meinen und sich dafür
einsetzen, dass der Dialog kritisch geführt wird. Wir unterstützen sie dabei tatkräftig, aber selbstverständlich mit
der Wachsamkeit einer kritischen Opposition. Wir werden alles daran setzen, dass dieser Dialog fruchtbar wird
und dass letztendlich der Islam als gleichberechtigte Religion in diesem Land anerkannt wird.
Herzlichen Dank.
({0})
Herr Kollege, das war Ihre erste Rede. Wir alle gratulieren Ihnen sehr herzlich und wünschen Ihnen viel Erfolg bei der Arbeit.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Lale Akgün, SPDFraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Schäuble, von
den Komplimenten, die Sie heute bekommen haben,
können Sie in den nächsten Wochen zehren. Ich möchte
mich dem Lob anschließen. Es ist ein schönes Symbol,
dass Sie sich mit den Muslimen getroffen haben. Ich
möchte Sie zu diesem mutigen Schritt beglückwünschen. Sie haben ein heißes Eisen angepackt. Ich freue
mich außerdem zu hören, dass sich die Teilnehmer der
Islamkonferenz entschlossen haben, sich gemeinsam
„Idomeneo“ in der Deutschen Oper anzusehen. Auch
das ist ein schönes Symbol. Wir, die Abgeordneten,
kommen gerne mit, wenn Sie uns einladen.
Wer sollte gegen einen Dialog mit den Muslimen
sein? Der Dialog muss aber zielgerichtet sein. Ich halte
die Prämisse, dass die meisten Muslime in diesem Land
nicht integriert sind, schlicht für falsch. Für ganz typisch, aber für genauso falsch halte ich die Vermischung
der Themen Integration und Islam.
({0})
Zum ersten Punkt: Welche Assoziationen hat man denn
heute bei dem Wort „Moslem“? Ich sage es Ihnen: Der
Moslem sitzt den ganzen Tag in der Moschee und betet.
Er unterdrückt seine Frau und seine Kinder. Ansonsten
ist er arbeitslos, lebt vom Staat und versucht ganz nebenbei, unser Rechtssystem zu unterwandern. Kurz: Er lebt
in einer unerforschten Parallelgesellschaft. Der Moslem
ist heute die Folie für den unintegrierten Ausländer. Dabei ist es ganz anders. Die überwiegende Mehrheit der
Muslime in Deutschland ist gut integriert und steht ganz
selbstverständlich zu den Werten des Grundgesetzes.
Nach der neuesten Studie des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit, IZA, bringen die rund 7 Millionen
Ausländer in Deutschland den Sozialkassen zusätzliche
Einnahmen in Höhe von sage und schreibe 12,8 Milliarden Euro. Der Wissenschaftler Bonin vom IZA sagt
wörtlich: Das Stammtischgerede, dass Ausländer die Sozialsysteme ausplündern, ist blanker Unsinn.
Dieses kleine Beispiel soll belegen, wie wenig die Realitäten der Zugewanderten wahrgenommen werden.
Auch wenn die Debatte manchmal diesen Anschein erwecken mag, sprechen wir nicht von irgendwelchen Außerirdischen. Wir reden vielmehr von Menschen, die
schon seit über 40 Jahren hier leben und zum Teil die
deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Wir sprechen von
Familien, die in zweiter oder dritter Generation ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, von Menschen,
die ihrer Arbeit nachgehen, Unternehmen gründen, Steuern zahlen, deren Kinder die deutschen Schulen besuchen usw. usf. Diese Menschen mit muslimischem Hintergrund sind ein selbstverständlicher Teil der deutschen
Gesellschaft und stehen selbstverständlich zu den Werten des deutschen Grundgesetzes. Die deutschen Muslime, die ständig gefordert werden, gibt es längst. Diese
Bürgerinnen und Bürger sind in allen gesellschaftlichen
Schichten, allen sozialen Milieus - traditionellen und
modernen - vertreten. Manche sind sehr fromm, andere
säkular, wiederum andere bezeichnen sich als Kulturmuslime. Sie haben genauso unterschiedliche Lebensformen wie Deutsche auch. Auch von den Muslimen
sind 10 Prozent homosexuell, auch bei den Muslimen
gibt es Scheidungen, Gewalt, Patriarchat, aber auch
nicht mehr familiären Zusammenhalt als bei deutschen
Familien. Die muslimische Familie, was auch immer sie
sein mag, ist nicht anders als die anderen Familien auch.
Deswegen kann auch der Islam den Deutschen nicht die
Bedeutung von Familie näher bringen. Auch positive
Klischees sind Klischees.
Aber von Klischees haben Muslime eigentlich schon
genug. Was sie stattdessen brauchen, genauso wie jeder
andere Mensch, der in Deutschland lebt, ist Chancengleichheit, die Möglichkeit zur gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
({1})
Das ist für mich Integration. Die soziale Frage müssen
wir ganz klar von Fragen nach dem Islam in Deutschland
trennen.
(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann
({2})
Nicht die Religion ist daran schuld, wenn Migrantenjugendliche geringere Bildungschancen haben oder keinen Ausbildungsplatz bekommen.
({3})
Hat die doppelt so hohe Arbeitslosenrate unter Migranten etwas damit zu tun, dass manche von ihnen an Allah
glauben und andere an den dreieinigen Gott? Wohl eher
nicht. Da werden Sie mir zustimmen. Es entspricht der
Tatsache, dass viele muslimische Migranten aus bildungsfernen und sozial benachteiligten Familien stammen und in den letzten 30 Jahren den Anschluss nicht
geschafft haben. Wir haben eine ethnisch-religiöse Unterschichtung der Gesellschaft. All das sind Fragen von
Integration, also von Chancengleichheit. Sie erfordern
knallharte und greifbare Antworten aus dem Bereich der
Sozial-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik, aber keine
religiösen Erörterungen.
Meine Forderung ist daher: Die Islamkonferenz soll
sich mit dem Islam und der Frage nach den Perspektiven
des Islam in Deutschland beschäftigen und mit nichts anderem. Die Konferenz muss das Ziel haben, das Selbstverständnis der Muslime zu installieren. Aber die Tatsache, dass sich die muslimischen Organisationen
gestern beeilt haben, erst einmal zu sagen, dass sie auf
dem Boden des Grundgesetzes stehen, zeigt, dass es mit
dem Selbstverständnis noch nicht so weit ist. Wären die
katholischen Bischöfe eingeladen gewesen, sie wären
nicht auf die Idee gekommen, sich erst einmal zu den
Werten des Grundgesetzes zu bekennen, weil das selbstverständlich ist.
({4})
Ich wünsche mir dieses Selbstverständnis für alle.
Aufgrund des historisch gewachsenen Verhältnisses
von Staat und Kirche, auf das in diesen Tagen immer
wieder hingewiesen wird, ist in Deutschland die Trennung von Staat und Kirche vorgesehen. Das heißt, dass
Staat und Kirche eben nicht gegenseitig in die Aufgaben
des jeweils anderen hineinreden. Das hat Fritz Rudolf
Körper als Pastor eben sehr gut erklärt. Ich kann es nicht
besser. Aber genauso wie der Staat erwartet, dass sich
die muslimischen Gemeinden nicht in die Angelegenheiten des Staates einmischen, darf sich auch der Staat nicht
in religiöse Fragen, zum Beispiel die nach der Liturgie,
einmischen. Dort aber, wo Gewalt verübt oder dazu aufgerufen wird, muss er einschreiten. An diesem Punkt
sollten die muslimischen Gemeinden nicht anders behandelt werden als die christlichen und die jüdischen.
Das Grundgesetz ist selbstverständliche Grundlage
unseres Zusammenlebens und die rechtliche Gleichstellung der Muslima das Megathema, über das eine Islamkonferenz diskutieren muss. Damit aber eine rechtliche
Gleichstellung möglich wird, muss mit dem Kriterium
der Verfassungstreue ernst gemacht werden. Wir müssen
schon sehr genau fragen, mit wem wir reden und wen
wir als Ansprechpartner akzeptieren. Wir alle wissen,
dass der Islamrat, der mit am Konferenztisch saß, an dieser Stelle ein Problem hat, und zwar insofern, als eines
seiner Mitglieder, nämlich Milli Görüş, vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Wie gehen wir damit um?
Schwören wir sie auf die Demokratie ein und sanktionieren sie ernsthaft bei Wortbruch oder schließen wir sie
aus, weil sie vom Verfassungsschutz beobachtet werden?
Wir müssen uns entscheiden. Ein Sowohl-als-auch geht
nicht.
Es soll auf der Islamkonferenz nicht nur um die großen Wertefragen, sondern auch um das Kopftuch, den Islamunterricht und das Schächten gehen. Das alles sind
sehr wichtige Fragen, die einer Regelung bedürfen. Hier
möchte ich an die Föderalismusreform erinnern, die die
große Koalition nach langem Ringen verabschiedet hat.
Diese Fragen sind nämlich Ländersache. In der Kopftuchfrage zum Beispiel hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig entschieden, dass die Bundesländer
Regelungen treffen sollen. Auch der Islamunterricht unterliegt der Kultushoheit der Länder. Einige erfolgreiche
Modellprojekte haben wir schon in diesem Bereich. Das
haben die Konferenzteilnehmer gestern selbst erwähnt.
Diese Beispiele zeigen: Der Islam ist längst Teil der
deutschen Realität. Allerdings hat er seinen Platz in der
Gesellschaft und in der Rechtsordnung noch nicht gefunden. Genau diesen Platz müssen wir ihm aber analog zu
den christlichen und jüdischen Religionen auch einräumen wollen. Da bin ich dabei. Der deutsche Islam
braucht keine Sonderbehandlung. Der deutsche Islam
braucht eine Perspektive, Anerkennung und Gleichbehandlung, und zwar ganz selbstverständlich und ohne
Rabatt.
({5})
Das Wort hat der Kollege Ralf Göbel, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In Deutschland leben 3,3 Millionen Muslime. Sie sind
unsere Nachbarn, Freunde und Arbeitskollegen. Niemand hat das Recht, sie unter einen Generalverdacht zu
stellen, nur weil sie einer anderen Religion angehören.
({0})
Die Unkenntnis des Islam und auch der Muslime
- Frau Kollegin Akgün hat eben einige Klischees genannt -, vor allen Dingen aber die Instrumentalisierung
des Islam zur Rechtfertigung schwerer Gewalttaten beunruhigt und verunsichert viele Menschen. Es ist daher
höchste Zeit, dass eine Debatte über das Zusammenleben von Muslimen, Christen und Menschen, die ein anderes oder gar kein Bekenntnis haben, geführt wird;
denn nur in einer streitigen Auseinandersetzung können
die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten deutlich
werden und kann der Weg für eine gemeinsame Zukunft
gezeichnet werden.
({1})
Ich danke dem Innenminister sehr dafür, dass er mit der
Islamkonferenz, die gestern begonnen hat, den ersten
Schritt dazu getan hat, diese Debatte zu führen und diesen Weg zu beschreiten.
({2})
Zu Beginn einer umfassenden Bestandsaufnahme
des derzeitigen Zustandes gehört auch, anzusprechen,
was die Ursache für besondere Besorgnisse und Vorurteile ist. Ein ehrlicher Dialog verkommt ohne diese Offenheit schnell zu einem seichten Gerede.
Zu diesen Tatsachen gehört - das ist heute schon erwähnt worden -, dass eine verschwindend geringe, aber
dennoch gefährliche Minderheit der Muslime in
Deutschland den Islam für ihre politischen Zwecke und
für Gewaltanwendung instrumentalisiert. Gegen diese
müssen wir uns gemeinsam wenden, Muslime und
Nichtmuslime in Deutschland.
({3})
Große Sorge bereiten uns die so genannten Hassprediger; auch sie sind angesprochen worden. Dieses Phänomen zeigt auch, wie wichtig die Diskussion um die Ausbildung von Imamen in Deutschland ist. Es zeigt ferner,
wie wichtig es ist, dass wir einen Dialog darüber führen,
wie die deutsche Sprache in islamische Gottesdienste
einzuführen ist.
({4})
Probleme sind auch Geistliche, die große Menschenmassen aufgrund bewusst missverstandener Aussagen
von Politikern oder geistlichen Führern zu Gewalttaten
aufstacheln, wie wir es vor kurzem im Zusammenhang
mit der Äußerung des Papstes erlebt haben. Im Nahen
und im Mittleren Osten, gab es, bereits kurze Zeit nachdem das umstrittene Papstzitat bekannt geworden war,
Demonstrationen mit brennenden Papstpuppen und
brennenden Deutschlandfahnen. Der Islamismus verfügt offensichtlich über ein sehr großes Potenzial, das
schnell aktiviert werden kann. Deshalb war und ist es ein
gutes Zeichen, dass die religiösen Verbände der Muslime
in Deutschland die infolge der Mohammed-Karikaturen
und des Papstzitates entstandenen Gewalttätigkeiten
deutlich verurteilt haben.
({5})
Ein Schlagwort, das immer wieder in die Diskussion
eingebracht wird, lautet: Toleranz. Wer wollte für sich
gelten lassen, dass er nicht tolerant ist? Toleranz setzt
aber voraus, dass man sich selber über die eigenen Wertvorstellungen im Klaren ist. Jede Toleranz hat Grenzen;
sonst wird sie zur Beliebigkeit.
({6})
Diese Grenze ist für mich die Wertordnung, wie sie in
unserem Grundgesetz zum Ausdruck kommt.
({7})
Im Verhältnis zwischen dem Staat und allen Religionen muss eines gelten: Keine Religion darf die staatliche
Ordnung und die Wertentscheidung des Grundgesetzes
infrage stellen. Diese beiden Punkte sind, wie Innenminister Dr. Schäuble zu Recht und unmissverständlich
festgestellt hat, nicht verhandelbar. Die Wertordnung
ist für alle gültig. Im Dialog mit dem Islam müssen wir
betonen, dass auch die Gleichberechtigung von Frau und
Mann zu dieser Wertordnung gehört.
({8})
Die Diskussion um die Absetzung der Mozart-Oper
„Idomeneo“ ist ein Beispiel dafür, wie wichtig das Bewusstsein für unsere Wertordnung ist. Zu unserer Wertordnung gehört die Freiheit der Kunst. Ich will nicht bestreiten, dass die abgeschlagenen Häupter von Jesus oder
des Propheten Mohammed religiöse Gefühle von Christen und Muslimen verletzen können. Niemand muss
diese Inszenierung gut finden. Nach unserem Verständnis muss man aber Kritik sowie die Infragestellung der
eigenen Position und damit auch seiner Religion ein
Stück weit ertragen können.
Wer sich verletzt fühlt, kann seine Kritik offen äußern
und so einen Beitrag zum öffentlichen Diskurs leisten.
Ich bin auch sicher, dass Muslime mit ihren Werten und
Überzeugungen eine Menge zu diesem öffentlichen
Diskurs in unserem Land beitragen können und ihn bereichern werden. Was jedoch nicht hingenommen werden kann, sind Gewalt und die Androhung von Gewalt.
Ich hoffe, dass die Islamkonferenz das Verhältnis von Islam und Gewalt, das von vielen als kritischer Punkt angesehen wird, abschließend und endgültig klärt.
Die Absetzung der Mozart-Oper verdeutlicht auch,
wie gefährlich Islamismus wirken kann. Der Streit um
die Mohammed-Karikaturen und das Papstzitat darf
nicht zu einer Selbstzensur führen. Die Meinungs-,
Presse- und Kunstfreiheit sind für unsere Demokratie
konstituierend. Wenn wir uns im vorauseilenden Gehorsam eine Selbstzensur auferlegen, haben wir viel zu verlieren. Eine kritische Auseinandersetzung mit religiösem
Fanatismus ist dann nämlich nicht mehr möglich. Wir
müssen den Respekt vor unserer Werteordnung dadurch
fördern, denke ich, dass wir selbst zu unseren Werten
stehen und diese auch verteidigen.
({9})
Im Vorfeld der Islamkonferenz kam vielfach die
Frage auf, welche Organisation denn den Islam in
Deutschland vertritt. Die Diskussion darüber - das ist
mehrfach angesprochen worden -, ist bekannt. Es ist klar
geworden, dass es eben keine allgemeine Vertretung
der Muslime in Deutschland gibt. Es ist nach meiner
Auffassung aber nicht die Aufgabe des Staates, hier eine
gemeinsame Basis herzustellen, die eine Vertretung der
Muslime gewährleistet. Dies ist Aufgabe der Religionsgemeinschaften selbst. Deshalb wehre ich mich auch dagegen, den Muslimen in Deutschland vorzuschreiben,
wie sie sich zu organisieren haben.
({10})
Die Frage, ob der Körperschaftsstatus verliehen werden sollte, kann daher nicht am Beginn des zu beschreitenden Weges stehen.
({11})
Es gibt rechtliche Voraussetzungen, die zu erfüllen sind,
um diesen Status zu erlangen.
({12})
Nach meiner Auffassung liegt es also bei den Religionsgemeinschaften selbst, sich diese Voraussetzungen zu erarbeiten. Auch wenn eine einheitliche Vertretung der
Muslime in Deutschland für uns wünschenswert ist, so
liegt der Schlüssel hierfür doch bei den Muslimen selbst.
Wir können diesen Prozess unterstützen, wir können ihn
aber nicht staatlich verordnen.
({13})
Ich schließe mit einem Zitat von Benedikt XVI., der
in den letzten Wochen vor allem wegen einer - missverstandenen - Äußerung Gegenstand vieler Debatten war.
Benedikt XVI. sagt: Vom Dialog zwischen Christen und
Muslimen hängt zum großen Teil unsere Zukunft ab. Ich glaube, das gilt auch in Deutschland. Ich wünsche
uns allen einen fruchtbaren Dialog. Er hat gestern begonnen. Ich wünsche uns auch, dass er viele Jahre dauern möge und dass er uns alle zu guten Ergebnissen
bringt.
Vielen Dank.
({14})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, Jens
Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Modernes Kündigungsschutzrecht und flexible Befristungsregelungen im Interesse der
Arbeitsuchenden
- Drucksache 16/1443 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner
Dreibus, Dr. Barbara Höll, Kornelia Möller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Ausweitung und Stärkung des Kündigungsschutzes
- Drucksache 16/2080 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Heinrich Kolb, FDP-Fraktion.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist in der letzten Zeit in Deutschland und namentlich in
der Union, Herr Kollege Brauksiepe, viel über Lebenslügen gesprochen worden, von denen man sich befreien
müsse. Ich will hier ganz klar sagen: Für mich ist eine
der größten und auch meistverbreiteten Lebenslügen in
der Politik, der Kündigungsschutz habe nichts, aber auch
gar nichts damit zu tun, ob in Deutschland Arbeitsplätze entstehen oder nicht.
Dabei ist aus unserer Sicht die Diagnose bzw. der Befund sehr eindeutig: Wir freuen uns über die heute bekannt gegebene Fortsetzung der positiven Entwicklung
am Arbeitsmarkt in Form von weniger Arbeitslosen und
mehr Erwerbstätigen und einem leichten Anstieg der
Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.
Aber die Tatsache, dass auch in Zeiten eines beginnenden Aufschwungs die wirtschaftliche Dynamik den Arbeitsmarkt nur sehr, sehr gebremst erreicht, offenbart
jedem, der sehen will, die strukturellen Markteintrittsschwellen, die für Arbeitsplatzsuchende durch den bestehenden Kündigungsschutz aufgebaut sind.
({0})
Umgekehrt zeigt ein Blick über die Grenzen hinaus,
etwa in die Schweiz oder nach Dänemark, dass dort, wo
ein mit dem deutschen vergleichbarer Kündigungsschutz
nicht existiert, annähernd Vollbeschäftigung herrscht.
Von Vollbeschäftigung sind wir in Deutschland allerdings noch weit entfernt.
Besonders paradox ist, dass es, obwohl das Kündigungsschutzrecht in Deutschland auf den Bestand des
Arbeitsverhältnisses ausgerichtet ist, nach einer Kündigungsschutzklage in der Praxis nur in wenigen Fällen
tatsächlich zu einer Weiterbeschäftigung kommt. Tatsächlich ist die arbeitsgerichtliche Realität von einem
Feilschen um Abfindungszahlungen und fragwürdigen
Vergleichen gekennzeichnet. Die Arbeitsgerichte werden
durch diese Prozesspraxis - ich sage: unnötigerweise bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit belastet.
({1})
Kleine Unternehmen ohne eigene Personalabteilung
haben nach wie vor große Schwierigkeiten bei der
Anwendung des sehr komplizierten und sehr vielschichtigen Kündigungsrechts. Es ist für viele Betriebsinhaber
immer noch schwer, wenn nicht unmöglich, ohne rechtskundigen Rat eine auch nach dem Kündigungsschutzgesetz wirksame Kündigung auszusprechen. Genau dies,
liebe Kolleginnen und Kollegen, hat dazu geführt, dass
gerade kleine Unternehmen bei einem beginnenden Aufschwung oder bei Nachfragespitzen weiterhin versuchen,
mit der vorhandenen Belegschaft mittels Überstunden
auszukommen, anstatt neue Mitarbeiter einzustellen. Das
Kündigungsschutzrecht hat sich damit von seiner Funktion als soziales Schutzrecht hin zu einer Einstellungshürde für diejenigen verkehrt, die arbeitslos sind und eine
neue Stelle suchen.
({2})
Die FDP-Fraktion will mit ihrem Antrag daher Flexibilität dort schaffen, wo heute verkrustete Strukturen und
ideologische Denkmuster vorherrschen. Dabei sind wir
mit unserer Analyse nicht allein. Wir sehen uns vielmehr
durch das Jahresgutachten 2005/06 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung eindrucksvoll bestätigt. Selbst in einem
„IAB Kurzbericht“ heißt es:
Will man aber mehr Bewegung ins Beschäftigungssystem bringen, bedarf es beim Kündigungsschutz
eines Paradigmenwechsels. Es geht um den Übergang vom Bestandsschutzprinzip zum Abfindungsprinzip.
Auch in der Union wird durchaus Handlungsbedarf gesehen. So hat der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates,
Kurt Lauk, im März dieses Jahres gesagt, wenn der Kündigungsschutz ein Einstellungshindernis sei, dann müsse
er verändert werden. Wörtlich sagte er:
Wir können ja nicht die Arbeit dadurch verhindern,
dass wir gesetzliche Hürden aufbauen.
Recht hat der Mann. Das muss man hier einmal klipp
und klar sagen.
({3})
Doch wie findet das seinen Niederschlag in der Politik der großen Koalition? Anstatt endlich die notwendigen Reformen des Arbeitsmarktes in Angriff zu nehmen,
herrscht in der großen Koalition nur großes Chaos. Ein
Umstand, den die „Berliner Morgenpost“ vor wenigen
Tagen in der Überschrift zusammenfasste: „Chronik des
Scheiterns: Der Kündigungsschutz bleibt“. - Ich stelle
hier unmissverständlich fest: Es ist vor allem die Chronik des Scheiterns der CDU und ihres Generalsekretärs,
Ronald Pofalla. Es offenbart, wie wenig Ahnung ein führender Vertreter der Union davon hat, was den Mittelstand in Deutschland davon abhält, neue Arbeitsplätze
zu schaffen.
({4})
Dass die SPD mit dem Mittelstand nichts am Hut hat,
war seit langem bekannt.
({5})
Dass die CDU zwar viel über die Nöte des Mittelstandes
redet, aber in der Praxis, von wenigen Ausnahmen
- Ernst Hinsken, Peter Rauen und Kollegen Dr. Fuchs abgesehen,
({6})
nichts wirklich dafür tut, diese Nöte zu lindern, wurde
offenbar, als die Regelungen des Koalitionsvertrages
zum Kündigungsschutz bekannt wurden. Man muss
schon sehr wenig Ahnung haben - und davon viel -,
wenn man wie Ronald Pofalla die einschlägigen Passagen des Koalitionsvertrages als größte Reform in den
letzten Jahrzehnten glaubte etikettieren zu müssen.
Tatsache ist: Jeder, der in seinem Leben schon einmal
in der Situation war, einen Arbeitnehmer einzustellen
- als mittelständischer Unternehmer weiß ich hier sehr
genau, wovon ich rede -, hat sofort erkannt, dass es eine
Verschlimmbesserung war, was dort ausgehandelt
wurde. Der Verhandlungsführer der Union, eben Ronald
Pofalla, hatte sich ganz offensichtlich über den Tisch
ziehen lassen. Deswegen war es nur konsequent, dass die
deutschen Unternehmen und die sie vertretenden Verbände in der Folge das vergiftete Geschenk dankend ablehnten.
Nun herrscht große Ratlosigkeit in der Union. Ich
frage Sie: Soll es das jetzt wirklich gewesen sein? Die
FDP-Bundestagsfraktion ist jedenfalls entschieden der
Meinung, dass die Reform des Kündigungsschutzes
nicht einfach ersatzlos ausfallen darf.
({7})
Deswegen legen wir heute einen Antrag vor, der den
Kündigungsschutz reformiert und gleichzeitig das Instrument der befristeten Beschäftigung weiterentwickelt. Denn das war doch der faule Kompromiss, den am
Schluss keiner haben wollte, dass nämlich für eine, noch
dazu bürokratisch ausgestaltete, Änderung der Wartezeit
im Kündigungsschutzgesetz die sachgrundlose Befristung ersatzlos abgeschafft werden sollte. Wir brauchen
aber nicht das eine oder das andere, wir brauchen beides:
Änderung im Kündigungsschutzgesetz und Erhalt der
sachgrundlosen Befristung.
Weil gerade kleine Unternehmen mit der sachgrundlosen Befristung ein unbürokratisches Mittel haben,
Auftragsspitzen mit Neueinstellungen zu bewältigen,
schlagen wir vor, die Dauer der sachgrundlosen Befristung auf vier Jahre zu verlängern, wie sie heute bei Neueinstellungen schon gilt. Wir schlagen vor, dass das Verbot, einen Arbeitnehmer sachgrundlos befristet zu
beschäftigen, wenn er bei dem gleichen Arbeitgeber
schon einmal beschäftigt war, aufgehoben wird. Wir
wollen eine Verlängerung der Wartezeit auf zwei Jahre,
und zwar nicht per Vertrag, sondern per Gesetz. Wir
wollen, dass der Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes auf Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten begrenzt wird; denn ein Mittelständler stellt in der
Regel nicht ein, um zu entlassen, aber er muss dann,
wenn eine konjunkturelle Notlage entsteht, die Chance
haben, auf einen Auftragsrückgang zu reagieren.
({8})
Wir glauben, dass das Lebensalter als Kriterium für
die Sozialauswahl - das ist nämlich das entscheidende
Handicap eines älteren Arbeitnehmers am Arbeitsmarkt gestrichen werden muss. Außerdem wollen wir, wie
auch der Sachverständigenrat, das Vertragsoptionsmodell in das Kündigungsschutzgesetz einarbeiten.
Das sind Vorschläge, die sicherlich nicht alle populär
sind. Aber am Ende wird es ohne einen Paradigmenwechsel nicht gehen. Denn das, was Albert Einstein gesagt hat, gilt auch heute noch: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie
entstanden sind.“
({9})
Ausschlaggebend ist nicht die Sichtweise eines SPDParteitages oder eines CDU-Generalsekretärs, sondern
allein die Sicht desjenigen, der darüber entscheidet, ob
ein Mitarbeiter neu eingestellt wird oder nicht. Wie sich
die Politik dabei fühlt, ist nachrangig. Der Köder muss
dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.
Deswegen laden wir Sie mit dem vorliegenden Antrag heute ein, das Notwendige zu tun. Es geht um Millionen von Menschen in unserem Lande, vor allen Dingen solche mit geringer Qualifikation, die eine Chance
auf die Rückkehr in das Erwerbs- und Arbeitsleben bekommen müssen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Meckelburg,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte zum Kündigungsschutz und die Anträge
von der Linken und der FDP zeigen, dass die Bandbreite,
in der dieses Thema in der Gesellschaft diskutiert wird,
auch hier im Parlament vorhanden ist.
({0})
- Das ist auch gut so. Dennoch muss man im Parlament
immer darauf schauen, wie man zu Mehrheiten kommt.
Das Thema ist aus meiner Sicht ein Symbolthema.
Die einen sagen, besonders sozial sei es, die Grenzen zu
erweitern; die anderen sagen, sie seien Modernisierer,
wenn sie möglichst viele Hürden einreißen. Die Wirklichkeit bewegt sich möglicherweise in der Mitte. Jedermann weiß, dass es bei jeder Koalition bestimmte Bandbreiten und unterschiedliche Schnittmengen gibt. Ich
persönlich glaube nicht, dass der Kündigungsschutz zurzeit das entscheidende Rädchen ist, um den Arbeitsmarkt voranzubringen.
Wir wissen aus der Diskussion der vergangenen
Jahre, dass der Kündigungsschutz immer ein Thema war.
Es gibt verschiedene Stellschrauben: die Höhe des
Schwellenwertes, befristete und unbefristete Arbeitsverhältnisse, längere Einstiegsfristen für Neueinstellungen,
Alternativen zu Kündigungsschutzregelungen, zum Beispiel in der Form von vereinbarten oder angebotenen
Abfindungsregelungen. Wir haben uns in den letzten
Jahren durchaus in die Richtung der Modernisierung bewegt. Schon heute ist es möglich, bis zu viermal befristet
einzustellen.
Als Folge der Arbeit des Vermittlungsausschusses im
Jahre 2003 - es gab schon damals eine Art großer Koalition - gab es ab 1. Januar 2004 Verbesserungen in diesem Bereich. Allerdings konnten wir nicht alles umsetzen. Wir haben aber den Schwellenwert von fünf auf
zehn hochgesetzt. Man kann sich natürlich darüber streiten, ob das genug ist oder ob er nicht auf 20 oder sogar
auf 50, wie Herr Brüderle vor zwei Jahren gefordert hat,
hochgesetzt werden sollte.
Wir haben Änderungen zur flexibleren Gestaltung der
Sozialauswahl eingeführt. Damit kann man zufrieden
sein oder man kann sagen, man könnte noch ein Stück
weitergehen. Der Arbeitgeber hat die Möglichkeit, dem
Arbeitnehmer eine Abfindung anzubieten, der dafür auf
sein Recht verzichtet, gegen seine Kündigung zu klagen.
Man kann sich vorstellen, dass dieser Punkt vor der Einstellung geregelt wird. Außerdem wird es bei Existenzgründungen erleichtert, befristet einzustellen. Die Frist
beträgt inzwischen vier Jahre.
Da ich weiß, was die heute vorliegenden Anträge bedeuten, sage ich: Die Union als Volkspartei ist gut beraten, das Thema Kündigungsschutz von allen Seiten und
differenziert zu betrachten.
({1})
Einerseits gilt, dass vor allem in Großbetrieben der Kündigungsschutz wichtig für die Sicherheit der Arbeitnehmer und deren Motivation ist. Andererseits gilt, dass
Kündigungsschutzregelungen den Einstieg von Arbeitsuchenden in den Arbeitsmarkt nicht behindern dürfen.
Das trifft vor allem auf kleinere und mittlere Betriebe zu.
({2})
Innerhalb der großen Koalition ist die Union im Vergleich zur SPD sicherlich derjenige Partner, der die Notwendigkeit zur Flexibilisierung stärker sieht. Dennoch
sage ich: Die beiden vorliegenden Anträge, also auch der
FDP-Antrag, sind letztlich Schauanträge.
({3})
Es wird in diesem Parlament keine Mehrheit für den Antrag der FDP und für den Antrag der Linksfraktion geben.
({4})
Mit diesen Schauanträgen wollen Sie sich besonders gut
darstellen, obwohl Sie aufgrund der Mehrheitsverhältnisse und der Koalitionsmöglichkeiten in diesem Haus
wissen, dass Sie keine Chance haben, Ihre Anträge zu
realisieren.
({5})
In Ihrem Antrag verweist die FDP auf den Sachverständigenrat und auf eine IAB-Untersuchung. Sie erwecken damit den Eindruck, Ihre Forderungen seien daraus
abgeleitet. Wenn ich mir aber anschaue, was der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten sagt, dann
kann ich zunächst feststellen, dass er fünf Handlungsfelder
skizziert hat. Das zentrale Handlungsfeld ist Lohnersatzleistungen; das zweite Handlungsfeld ist Arbeitsmarktpolitik; das dritte Handlungsfeld ist Tarifvertragsrecht und
das vierte Handlungsfeld ist Kündigungsschutz. Der
Kündigungsschutz steht also nicht herausgehoben an
erster Stelle. Der Sachverständigenrat fordert auch sehr
deutlich ein Gesamtkonzept. Man muss also die Forderungen im Zusammenhang sehen und man darf sie nicht
auf den Kündigungsschutz reduzieren.
Ich erwähne auch das fünfte Handlungsfeld, das wir
häufig vergessen, nämlich den unverzichtbaren Beitrag
der Tarifvertragsparteien zur Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Der IAB-Bericht von 2004 beschäftigte sich unter
der Überschrift „Arbeitsmarkt-Reformen - Betriebe reagieren kaum auf Änderung beim Kündigungsschutz“
mit dem Effekt aufgrund der Änderung des Schwellenwertes. Ganz so einfach darf man es sich also nicht machen, wenn man seine Begründung auf diesen IAB-Bericht stützen will. Es gibt sogar Beispiele aus dem
Ausland, wo es gegenteilige Entwicklungen gab. In Irland war der Kündigungsschutz Ende der 90er-Jahre extrem gering. Trotzdem ist dort die Arbeitslosenquote auf
12 Prozent gestiegen. In Norwegen war die Entwicklung
allerdings umgekehrt. Ich will damit nicht sagen, dass
diese Maßnahme keine Wirkung hat. Aber sie hat nicht
die Wirkung, von der Sie in Ihrem Antrag sprechen.
({6})
Ich will nun etwas zum Antrag der Linken sagen. Im
Antrag der Linken wird gefordert, die Möglichkeit, Arbeitsverhältnisse ohne das Vorliegen sachlicher Gründe
befristen zu können, abzuschaffen. Sie wollen die Wartezeit auf drei Monate verkürzen und den Schwellenwert
wieder heruntersetzen. Mit Ihrem Antrag wollen Sie den
Eindruck erwecken, als ließe sich alles, was es bereits
gibt, zurückdrehen. Außerdem wollen Sie den Eindruck
erwecken, als seien Sie die sozialsten Leute in diesem
Haus. Das Gegenteil ist der Fall.
({7})
Ihre Position ist rückwärts gewandt. Sie wollen um
diejenigen, die Arbeit haben, einen Schutzzaun errichten. Das ist - ich sage es deutlich - sehr unsozial und unsolidarisch; denn Sie errichten eine Mauer um die Betriebe.
({8})
Das ist eine Closed-Shop-Politik; denn diejenigen, die
Arbeit suchen, bekommen keine Arbeit.
Auch Ihnen sage ich: Für diese Vorstellung finden Sie
keinen Partner im Parlament.
({9})
Sie haben keine Chance auf Realisierung und finden in
der gesamten Bevölkerung keinen Zuspruch; auch das
müssen Sie wissen.
({10})
- Ich habe gesagt: in der gesamten Bevölkerung. Denn
jeder, der zumindest mit anderthalb Beinen im Leben
steht, weiß, dass das, was Sie vorschlagen, völlig lebensfremd ist, an der Realität vorbeigeht und so sicherlich
nicht mehr kommt.
({11})
- Das mag so sein. Denjenigen, die das anders sehen,
sage ich: Schaut genau hin. Die schließen die Betriebe
für diejenigen, die einen Arbeitsplatz haben, ab, sodass
diejenigen, die außerhalb der Betriebe sind, nicht hineinkommen. Das ist die Wirkung Ihrer Regelung.
Noch einmal zum FDP-Antrag. Auch Ihr Antrag ist
- das habe ich bereits gesagt - ein Schauantrag. Über
einzelne Punkte könnten wir sicherlich miteinander reden. Das wissen wir; das haben wir in der Vergangenheit
auch getan. Aber schauen Sie sich die Mehrheitsverhältnisse an: Es gibt keine Chance, in die Richtung etwas zu
verändern, wie Sie das wollen.
({12})
Herr Kolb, ich weiß nicht, ob Kollege Brüderle und
andere, die neuerdings mit den Roten flirten - das liest
man ja in den Medien -,
({13})
diesen Antrag schon vorab mit der SPD besprochen haben. Ich glaube, die Chancen auf Realisierung wären
noch geringer. Es geht nicht, einerseits mit den Roten zu
flirten und andererseits einen Antrag einzubringen, bei
dem überhaupt keine Chance besteht, ihn mit der SPD
durchzusetzen.
({14})
Sie von der FDP haben alle, aber auch wirklich alle
Vorschläge, die es zur Lockerung des Kündigungsschutzes gibt oder gegeben hat, in ein Papier geschrieben.
({15})
Ein modernes und in sich stimmiges Modell haben Sie
damit nicht vorgelegt. Denn es fehlt der Gesamtzusammenhang, der Bezug zu anderen Bereichen. Der Kündigungsschutz spielt zwar eine Rolle, aber nicht die zentrale Rolle. Ich glaube, noch andere Dinge sind da
wichtig. Deswegen werden Sie hierzu nicht die Zustimmung der CDU/CSU finden. Wenn Sie über Wartezeiten
nachdenken, besteht zum Beispiel die Frage: Warum sehen Sie vier Jahre und nicht drei oder fünf Jahre vor?
Warum wollen Sie beim Schwellenwert von zehn auf
20 und nicht auf 50 Arbeitnehmer gehen?
({16})
Das alles sind Fragen, über die man einmal reden muss.
So wie Sie diese Dinge vorsehen, sind sie nicht stimmig.
Lassen Sie mich zum Ende festhalten, dass wir in der
Koalitionsvereinbarung vorgesehen haben, bei Neueinstellungen eine Wartezeit von bis zu zwei Jahren bis zur
Begründung des Arbeitsverhältnisses festzulegen. Wir
wissen, dass in der Wirtschaft eher das Interesse vorhanden ist, bei befristeten Arbeitsverhältnissen zu bleiben.
Darüber muss geredet werden. Möglicherweise kommt
man, wenn man sich dazu entscheidet, zu der einen oder
anderen kleinen Regelung.
({17})
Das müssen wir in der großen Koalition ausloten. Denn
wir müssen im Rahmen der Schnittmengen, die bei uns
bestehen, so viel wie möglich an Flexibilisierung durchsetzen. Jedenfalls ist das der Wille der Union in der großen Koalition.
({18})
Ich erteile das Wort Kollegen Werner Dreibus, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will
anders als meine beiden Vorredner versuchen, in diese
Debatte auch ein Stück weit die gesellschaftliche Realität einzubringen.
({0})
Die gesellschaftliche Realität sieht leider so aus: Es vergeht kaum eine Woche ohne Nachrichten über Massenentlassungen. Es vergeht kaum eine Woche, ohne dass
angekündigt und auch vollzogen wird, dass Tausende
Menschen ohne ihr Verschulden ihren Arbeitsplatz verlieren. Ihnen wird gekündigt. Sie dürfen sich in das Heer
der Millionen Arbeitslosen einreihen.
({1})
Nur um eine Größenordnung aus verschiedenen Forschungsergebnissen zu nennen, Herr Dr. Kolb: Jedes
Jahr erhalten über 2 Millionen Beschäftigte eine so genannte arbeitgeberseitige Kündigung.
In dieser Situation - das ist die Realität - meint nun
die FDP, dass es am Besten für die Beschäftigten sei,
wenn der Kündigungsschutz weiter abgebaut wird. Was
soll eigentlich der Ingenieur bei Siemens, die Sachbearbeiterin bei der Allianz, der Elektrotechniker bei der
AEG, die Telefonistin im Callcenter der Telekom, was
sollen diese Menschen von einer solchen Politik halten?
Diese Menschen haben Angst, Angst davor, morgen auf
der Straße zu stehen, und die FDP sagt ihnen: Wir möchten den Unternehmen Entlassungen noch leichter machen. Sie behauptet dann auch noch, dadurch würden
mehr Menschen eingestellt.
({2})
Das ist schlicht und ergreifend grotesk.
({3})
Das ist blanker Zynismus. Dann wundern wir uns an
Wahlsonntagabenden gemeinsam, warum immer weniger Menschen zur Wahl gehen. Wer die Sorgen der Menschen so missachtet, wie es die FDP mit diesem Antrag
tut, der das Ziel hat, das „Hire and Fire“ zu erleichtern,
der leistet der Abkehr der Menschen von der Demokratie
und den demokratischen Parteien wissentlich oder unwissentlich Vorschub.
({4})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kolb?
Aber gern.
Herr Kollege Dreibus, damit keine Missverständnisse
aufkommen: Auch wir bedauern natürlich, wenn Menschen in unserem Lande ihren Arbeitsplatz verlieren, sei
es durch Kündigung, sei es durch Konkurs des Unternehmens. Die entscheidende Frage ist doch, ob es für
diese Menschen eine Chance gibt, erneut in den Arbeitsmarkt zurückzukehren.
({0})
Man muss doch feststellen, dass für bestimmte Personenkreise, beispielsweise ältere Arbeitnehmer, Menschen mit einer geringeren Qualifikation, durch das
Kündigungsschutzgesetz Eintrittsschwellen errichtet
worden sind, die zu überwinden einer großen Zahl von
Menschen schwer fällt. Das hat dazu geführt, dass in den
letzten Jahrzehnten mit jedem Abflachen der Konjunktur
der Sockel an Arbeitslosigkeit in Deutschland erneut zugenommen hat. Diese Analyse muss man ehrlicherweise
vornehmen. Stimmen Sie dieser Auffassung zu?
Nein.
({0})
Herr Dr. Kolb, klar und deutlich: Reden ist das eine;
Schreiben und Handeln ist das andere. Wenn zum Beispiel das, was Sie in Ihrem Einleitungssatz als Bedauern
formuliert haben, in die Situationsanalyse Ihres Antrags
eingegangen wäre, dann könnten wir wenigstens über
die Realität reden. Die blenden Sie jedoch in Ihrem Antrag völlig aus.
({1})
Wer tatsächlich Demokratie will - das ist unsere
feste Überzeugung -, muss dafür sorgen, dass die Demokratie eben nicht am Betriebstor endet. Das erfordert betriebliche Mitbestimmung und das erfordert ebenso
Schutz vor Kündigungen. Und es erfordert einen Blick
auf den Arbeitsmarkt, der eben nicht von solchen ideologischen Vorurteilen - wie das eben auch in Ihrer Frage
zum Ausdruck kam - verstellt ist.
Was hat denn die Aufweichung des Kündigungsschutzes in den letzten Jahren gebracht? Was etwa hat die Heraufsetzung des Schwellenwertes auf zehn Beschäftigte
und die Einschränkung der Sozialauswahl, was hat die
Möglichkeit für Existenzgründer zur grundlosen Befristung von Arbeitsverträgen tatsächlich bewirkt? Die so
genannten Reformen des Kündigungsschutzes haben
nicht zu einem zusätzlichen Arbeitsplatz geführt. Die
Hürde ist - entgegen dem, was Sie behauptet haben nicht niedriger geworden.
({2})
Das verwundert auch nicht - ich schätze Ihre praktische Erfahrung; deswegen wundert es mich, dass Ihr
Blick in Ihren Reden ideologisch verstellt ist; in der Praxis verhalten Sie sich wahrscheinlich ganz anders -, weil
jeder Unternehmer bestätigen kann: Unternehmer schaffen neue Arbeitsplätze, wenn sie Aussicht auf höheren
Absatz und auf höhere Gewinne haben, und nicht, wenn
sie Beschäftigte leichter rauswerfen können.
({3})
Zwischen beiden Sachverhalten besteht doch keine Beziehung.
Die OECD hat mehrfach, in X Studien, herausgestellt,
dass auch ein umfassender Kündigungsschutz kein Beschäftigungshemmnis ist. Es ist vorhin durchaus schon
zu Recht gesagt worden: Der von Ihnen und von der
Mehrheit des Sachverständigenrates - es ist ja nur die
Mehrheit - aus ideologischen Gründen hergestellte Zusammenhang zwischen Beschäftigung und Kündigungsschutz ist wissenschaftlich nicht herleitbar, nicht in
Deutschland und auch nicht in Europa.
({4})
Lesen Sie die Studien der OECD!
({5})
- Es gibt auch andere Wissenschaftler.
Auch ein Blick in die Wirklichkeit der Unternehmen
ist hilfreich.
({6})
Welche Anforderungen stellen denn Unternehmen an
ihre Beschäftigten? Sie wünschen sich motivierte, kreative und flexible Beschäftigte. Wer Angst um seinen Arbeitsplatz hat, weil er von heute auf morgen vor die Tür
gesetzt werden kann, der wird doch nicht motiviert,
kreativ und flexibel sein. Vielmehr wird er in seiner
Leistungsfähigkeit und seiner Motivation massiv eingeschränkt sein. Das kann nicht im Interesse der Unternehmen sein.
({7})
Die Durchsetzung der Rechte von Beschäftigten - die
Einhaltung von Tarifverträgen, die Einhaltung der Gesetze über Arbeitszeit usw. - basiert auf einem Kündigungsschutz, der diese Bezeichnung tatsächlich verdient.
Ohne diesen wären und sind Beschäftigte erpressbar.
Genau auf einen solchen Zustand laufen Ihre Vorschläge
hinaus. Ihr so genanntes Vertragsoptionsmodell suggeriert, dass die Beschäftigen bei Vertragsabschluss zwischen gesetzlichem Kündigungsschutz, Abfindungszahlungen und Weiterbildungsangeboten wählen könnten.
Zu einer Wahl aber gehören tatsächlich gleichwertige
Optionen und das Agieren auf Augenhöhe. Ein betriebliches Weiterbildungsangebot beispielsweise kann niemals auch nur eine ähnliche Sicherheit bieten wie der
Schutz vor ungerechtfertigten Kündigungen. Die Behauptung, Arbeitnehmer und Arbeitgeber seien gleichberechtigte Vertragspartner, ist bei 7 Millionen fehlenden Arbeitsplätzen pure Ideologie.
({8})
Die Begründung Ihres Antrages ist irreführend. Die
Beschäftigten gewinnen eben nicht an Selbstbestimmung hinzu, wenn der Kündigungsschutz geschliffen
wird. Stattdessen würden sie mit den gesetzlich garantierten Rechten den Rückhalt für selbstbestimmtes Handeln verlieren. Allein die gesetzliche Einschränkung der
unternehmerischen Freiheit ermöglicht die Freiheit der
Beschäftigten. Der Antrag der FDP konterkariert diesen
Zusammenhang: Wer den Kündigungsschutz einschränkt, schränkt die Möglichkeiten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein, ihre Interessen wahrzunehmen. Das ist nicht mehr, sondern weniger
Demokratie.
Die Linke will mehr Demokratie. Das bedeutet an
dieser Stelle konkret: Wir brauchen tendenziell eher eine
Ausweitung des Kündigungsschutzes. Das betrifft vor
allem den Geltungsbereich. Die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses und die Zahl der in einem Betrieb
notwendigerweise beschäftigten Menschen, ab der der
Kündigungsschutz greift, diskriminieren bereits heute
über 6 Millionen Beschäftigte. Über 6 Millionen Beschäftigte haben keinen gesetzlichen Kündigungsschutz.
Das ist in etwa so, als würde man Führerscheinanfänger aus dem Geltungsbereich der Straßenverkehrsordnung ausschließen - Drängeln, Schneiden und Vorfahrtnehmen wären bei Anfängern erlaubt -; die Begründung
dafür würde lauten: So finden die Fahranfänger leichter
in den Straßenverkehr hinein und die übrigen Verkehrsteilnehmer können sich flexibler bewegen. Das ist doch
pure Ideologie!
({9})
- Nein, überhaupt nicht. Den habe ich in einem Betrieb
gehört. Da bin ich öfter als Sie.
Wenn Sie meinen, eine solche Begründung wäre absurd, dann bitte ich Sie, einen Blick in das bestehende
Kündigungsschutzgesetz zu werfen. Was verschleiernd
als Wartezeit oder Schwellenwert bezeichnet wird, ist
nichts anderes als der Ausschluss von Millionen Menschen von Schutzregeln mit der Begründung, sie würden
dann leichter in den Arbeitsmarkt hineinfinden.
({10})
Ähnliches gilt - auch das ist ein wichtiges Thema für ältere und kranke Beschäftigte. Während wir diesen
Menschen im Straßenverkehr - um bei diesem Beispiel
zu bleiben - mit besonderer Rücksicht begegnen, meinen Sie - ich spreche die FDP und die Koalition gleichermaßen an -, auf besondere Schutzvorschriften für
Kranke und Ältere auf dem Arbeitsmarkt verzichten zu
können.
Dieser Zustand der Rechtsfreiheit von Millionen Beschäftigten muss aus unserer Sicht beendet werden. Deshalb fordern wir unter anderem die Aufhebung des
Schwellenwerts, die Verbesserung des Kündigungsschutzes für Ältere und Kranke und die Reduzierung
der Wartezeit auf drei Monate; das ist ein Zeitraum, der
nach aller betrieblichen Erfahrung für die Erprobung eines Arbeitsverhältnisses vollkommen ausreichend ist.
Selbstverständlich sind weitere Maßnahmen notwendig,
um die Unsicherheit, die am Arbeitsmarkt herrscht, zurückzudrängen.
Die Regierung Kohl und die Regierung Schröder haben viel dafür getan, das Leben vieler Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unsicherer zu machen.
Die so genannten Arbeitsmarktreformen haben die Arbeitslosigkeit nicht reduziert. Sie bedrohen aber die Zukunftsperspektive von immer mehr Beschäftigten. Wer
zu Hungerlöhnen arbeitet, wer vom Mini- in den 1-EuroJob und wieder zurückwechselt, wer aus einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis entlassen wird, um als
Leiharbeitskraft am selben Arbeitsplatz mit weniger
Lohn und ungewisser Beschäftigungsdauer wieder eingestellt zu werden - all das ist Realität; all das haben wir
mittlerweile -, der verliert die Grundlage für eine Lebensplanung, die über den Tag hinausgeht.
({11})
Die Regierung Merkel führt diese - so sieht es jedenfalls aus - aus unserer Sicht völlig falsche Politik ihrer
Vorgänger nahtlos fort. Gleichzeitig beklagen die alten
neuen Reformer sonntagabends die Verrohung der Gesellschaft, die geringe Geburtenrate, die Finanzmisere
der Sozialversicherungen usw.
Der Arbeitsmarkt ist - darin stimme ich meinem Vorredner durchaus zu - nicht der Generalschlüssel zur Lösung dieser Probleme. Sicher aber ist, dass diese Probleme nicht so gravierend wären, wenn das Credo der so
genannten Arbeitsmarktreformen nicht im Abbau unbefristeter, sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse liegen würde; denn nichts anderes bedeuten
Mini- und Midijobs, Leiharbeit, 1-Euro-Jobs und Co.
Dass diese Instrumente zum Abbau der Arbeitslosigkeit
untauglich sind, hat ein unideologischer Blick auf die
Praxis längst erwiesen.
Wer heute das Problem der Arbeitslosigkeit ernsthaft
angehen will, muss auch die bereits existierende Beschäftigung sicherer machen. Meine Fraktion wird deshalb in den kommenden Monaten weitere Vorschläge zur
Zurückdrängung prekärer Beschäftigung - also Beschäftigung, die keine Arbeitsplätze schafft, aber den
Menschen Einkommen und Zukunftsperspektiven
nimmt - vorlegen. Wir werden dabei unter anderem die
Vorschläge der DGB-Gewerkschaften ernsthaft prüfen,
die beispielsweise die Verlagerung von Standorten und
Kündigungen trotz gut laufender Geschäfte und Profite
einschränken wollen.
({12})
Bevor jetzt all die Marktradikalen wieder aufschreien,
möchte ich einen der erfolgreichsten deutschen Unternehmer zitieren, den Porschechef Wiedeking. Er sagte
vergangene Woche:
Es ist nicht nachzuvollziehen, wenn Konzerne Rekordgewinne melden und zugleich ankündigen,
dass sie Tausende von Arbeitsplätzen streichen …
({13})
Ich sehe in dieser Entwicklung ein Warnzeichen für
die Gesellschaft.
Ich schließe mich diesen Worten eines großen, bedeutenden und sehr erfolgreichen Unternehmers ausdrücklich an.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Das Wort hat nun Kollegin Anette Kramme, SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herzlich willkommen zur Märchenstunde von
Linken und FDP ({0})
oder sollte ich sagen: vom Möchtegern-Robin-Hood und
dem Sheriff von Nottingham?
({1})
Beim Märchen handelt es sich um eine relativ kurze Erzählung mit ausgeprägten surrealen Elementen. Das trifft
ohne Wenn und Aber auf die hier vorliegenden Anträge
zu. Es war einmal die FDP, diese erzählte allen Menschen, dass sie mit einer Abschaffung des Kündigungsschutzes nur dem Wohl der Arbeitnehmer dienen wolle.
Tatsächlich war und ist sie - wie schon immer - der
Wolf im Schafspelz.
({2})
Meine Damen und Herren, Sie sind wie eine leiernde
Schallplatte oder, um es moderner auszudrücken,
({3})
Sie sind wie Spammails. Sie wiederholen sich unendlich
und nerven.
({4})
Ihre Sprücheklopferei kann man nicht mehr hören. Es sei
der rigide Kündigungsschutz, der Arbeitgeber davon abhalte, Neueinstellungen vorzunehmen. Ich weiß gar
nicht, wie viele solche unsinnige Anträge Sie in diesem
Haus schon gestellt haben.
({5})
Eines ist allen Ihren Anträgen gemeinsam: Die Empirie
bleibt außen vor.
({6})
Alle Untersuchungen der OECD oder wissenschaftlicher
Institute im In- und Ausland belegen hinlänglich, dass
ein Abbau der Schutzrechte von Arbeitnehmern die Beschäftigungslage nicht verbessert.
({7})
Wir haben registriert - Herr Kolb, Sie sollten mir zuhören -,
({8})
dass Ihre Forderungen bei Ihren Gedankenspielen im
Hinblick auf eine sozial-liberale Koalition moderater geworden sind. Es ist noch gar nicht so lange her, dass Sie
von einer vierjährigen Wartezeit und einem Schwellenwert von 50 Arbeitnehmern sprachen.
({9})
Aktuell wollen Sie den Schwellenwert von heute zehn
auf nur 20 Arbeitnehmer erhöhen. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der FDP, tatsächlich irgendwann
mit der SPD koalieren wollen,
({10})
müssen Sie sich viel weiter bewegen. Das gilt insbesondere für Sie, Herr Kolb.
({11})
Bei einer Umsetzung Ihres Vorschlags würden
90 Prozent der Betriebe nicht mehr dem Kündigungsschutz unterliegen. 28 Prozent bzw. 9 Millionen Beschäftigte stünden im Falle einer ungerechtfertigten
Kündigung ohne Schutz da. Die Erhöhung des Schwellenwertes hat im Übrigen keinerlei Bedeutung für den
Arbeitsmarkt. Ich erinnere an die großen Erwartungen,
die damals entstanden, als die Regierung Kohl den
Schwellenwert auf zehn heraufgesetzt hat.
({12})
In der Bundestagsdrucksache 13/4612 vom 10. Mai
1996 heißt es:
Es kann davon ausgegangen werden, daß ein Teil
der Betriebe … bei Anhebung des Schwellenwertes
neue Einstellungen vornehmen wird.
({13})
Wenn jeder der Betriebe, die gegenwärtig zwischen
fünf und neun Arbeitnehmer beschäftigen, zusätzlich nur einen Arbeitnehmer einstellt, ergibt das
eine halbe Million möglicher Neueinstellungen.
Kollegin Kramme, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Niebel?
({0})
Aber selbstverständlich. Herr Niebel erfreut mich immer.
({0})
Ich glaube, Kollegin Kramme, Sie machen Ihren Koalitionspartner durch solche Äußerungen außerordentlich
nervös.
({0})
Das macht nichts.
Sie haben gerade die Anhebung des Schwellenwertes
beim Kündigungsschutz auf zehn Arbeitnehmer durch
die Bundesregierung Kohl kritisiert, die Sie durch Ihre
Korrekturgesetze unmittelbar nach dem Regierungsantritt von Rot-Grün im Jahre 1998 rückgängig gemacht
haben. Würden Sie mir zustimmen, dass Sie den gleichen Text fünf Jahre später mit Ihrer rot-grünen Mehrheit exakt wortgleich - Punkt für Punkt und Komma für
Komma - wieder haben Gesetz werden lassen?
({0})
Das stimmt,
({0})
wie Sie wissen, nur zum Teil. Ihnen ist sehr wohl bekannt, dass die Anhebung des Schwellenwertes von fünf
auf zehn Arbeitnehmer auf unseren jetzigen Koalitionspartner zurückgeht.
({1})
Dem haben wir angesichts des Gesamtpakets, um das es
ging, zustimmen müssen. Aber wir wissen - das ist die
Position der SPD -, dass das Ganze nichts bringen wird.
({2})
- Das sehe ich anders.
({3})
Politik bedeutet, Vergleiche einzugehen. Vergleiche einzugehen, heißt immer gegenseitiges Nachgeben.
({4})
Ich komme auf die heute vorliegenden Anträge und
auf die Bundestagsdrucksache aus dem Jahr 1996 zurück, die ich bereits angesprochen habe. Die Rechnung
von damals ist nicht aufgegangen. Selbst der Zentralverband des Deutschen Handwerks räumte ein, dass die entscheidenden Motive im Hinblick auf das Einstellungsverhalten - wie könnte es auch anders sein? - die
konjunkturelle Lage
({5})
und die Beschäftigungserwartungen sind.
({6})
Eine aktuelle Studie der Universität Hamburg - sie
wurde erst gestern veröffentlicht - belegt ebenfalls, dass
der Kündigungsschutz bei Neueinstellungen keine
große Rolle spielt. Nur drei von 41 Personalverantwortlichen waren der Meinung, der Kündigungsschutz spiele
bei Neueinstellungen eine erhebliche Rolle.
({7})
Trotzdem haben wir den Schwellenwert in der vergangenen Legislaturperiode - ich sage an dieser Stelle
ganz klar: aufgrund der Forderung unseres jetzigen Koalitionspartners - auf zehn Arbeitnehmer erhöht. Allerdings erwarten wir nicht, dass sich daraus erkennbar positive Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt ergeben. Die
Evaluierung wird kein anderes Ergebnis bringen.
({8})
Wir dürfen die Unsicherheiten unserer Zeit nicht vergrößern. Wer kauft sich ein Haus oder ein Auto, wenn er
ständig Angst haben muss, seinen Job zu verlieren? Wie
soll sich ein Arbeitnehmer mit seinem Unternehmen
identifizieren, wenn er nicht weiß, wie lange er dort noch
arbeitet?
({9})
Zu den Abfindungsoptionen. Auch Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP, dürfte bekannt sein, dass
es keine Vertragsparität zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gibt. Vertragsfreiheit genießt in der Realität
nur eine Seite: die Arbeitgeberseite. Für den Arbeitnehmer hätte ein Wechsel vom Bestandsschutz zum Abfindungsschutz nur eine Folge: den Verlust des Arbeitsplatzes, selbst wenn die Kündigung des Arbeitgebers nicht
sozial gerechtfertigt wäre.
Auch für den Arbeitgeber wäre die vorgeschlagene
Regelung von Nachteil, weil eine Abfindung auch dann
gezahlt werden müsste, wenn die Kündigung sozial gerechtfertigt wäre und der Arbeitnehmer nach geltendem
Recht gar keinen Abfindungsanspruch hätte. Deshalb
- jetzt sollten Sie aufmerksam sein - beurteilen BDH
und ZDH eine solche Regelung sehr kritisch.
({10})
Eines der Argumente, die in der Diskussion über den
Kündigungsschutz angeführt werden, ist, dass die Betriebe diese Änderung beim Kündigungsschutz dringend
benötigten, weil sie sich von ihren Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern nur mühselig trennen könnten. Von
denjenigen Menschen, die in diesem Lande gekündigt
werden, gehen nur etwa 16 Prozent zum Arbeitsgericht.
Das sind zwar doppelt so viele wie noch 1979. Im gleichen Zeitraum stieg allerdings auch die Arbeitslosigkeit
rapide an. Von allen Gekündigten bekommen lediglich
15 Prozent eine Abfindung. Unkalkulierbare Risiken
birgt das Kündigungsschutzgesetz für den Arbeitgeber
also wahrlich nicht.
Die große Mehrheit der Deutschen steht zum Kündigungsschutz: Laut einer repräsentativen Studie der Universitäten Jena und Hannover möchten 48 Prozent die
bestehenden Regelungen beibehalten. 19 Prozent plädieren sogar für eine Ausweitung. Interessant ist dabei, dass
vor allen Dingen Arbeitslose einen starken Kündigungsschutz bevorzugen. Die These „Lieber Arbeit ohne Kündigungsschutz als arbeitslos mit Kündigungsschutz!“
stimmt also nicht.
({11})
Kommen wir zum anderen Extrem, lassen Sie mich
noch ein Wort zu den Linken verlieren: Der Unterhaltungswert Ihrer Forderungen mag groß sein, mehr als
blanker Populismus ist das jedoch nicht gewesen.
({12})
Den Schwellenwert für den Kündigungsschutz abzuschaffen, bedeutet, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aus den Augen zu verlieren. Ihre Forderung verstößt
gegen das Grundgesetz. Denn durch Art. 12 Grundgesetz werden nicht nur die Interessen des Arbeitnehmers
geschützt, sondern ebenso das Interesse des Kleinunternehmers, in seinem Unternehmen nur Mitarbeiter zu beschäftigen, die seinen Vorstellungen entsprechen. Ich
darf an dieser Stelle aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1998 zitieren:
Auf der anderen Seite ist auch das Kündigungsrecht
des Kleinunternehmers in hohem Maße schutzwürdig. In einem Betrieb mit wenigen Arbeitskräften
hängt der Geschäftserfolg mehr als bei Großbetrieben von jedem einzelnen Arbeitnehmer ab. Auf
seine Leistungsfähigkeit kommt es ebenso an wie
auf Persönlichkeitsmerkmale, die für die Zusammenarbeit, die Außenwirkung und das Betriebsklima von Bedeutung sind.
Trotz einer Störung des Vertrauensverhältnisses dürfte
ein Arbeitgeber seinem einzigen Arbeitnehmer, ginge es
nach dem Vorschlag der PDS, verhaltensbedingt nur
noch dann kündigen, wenn dieser tatsächlich und wahrhaftig den goldenen Löffel klaut.
Im Koalitionsvertrag ist vorgesehen, den Arbeitgebern die Möglichkeit einzuräumen, die gesetzliche Regelwartezeit von 6 auf bis zu 24 Monate auszudehnen.
Dafür wollen wir die Möglichkeit streichen, Arbeitsverträge in den ersten 24 Monaten sachgrundlos zu befristen. Ein letzter Satz: Diese Pläne wurden von den fünf
Wirtschaftsverbänden BDA, BDI, DIHK, HDE und
ZDH gemeinschaftlich abgelehnt. Ich sage ganz klar:
Weiter gehende Änderungen gibt es nicht. Wenn die
Wirtschaft mit diesen Vorschlägen nicht einverstanden
ist, belassen wir es einfach beim Alten. Die SPD braucht
keine Änderung des Kündigungsschutzgesetzes.
({13})
Ich erteile das Wort Kollegin Brigitte Pothmer, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte über den Kündigungsschutz in Deutschland ist eine
hoch ideologisierte Debatte; das zeigen die beiden Anträge, die uns heute vorliegen. Herr Dreibus und Herr
Kolb sind Protagonisten dieser Debatte. Sie führen diese
ideologisierte Debatte, obwohl wir inzwischen wissen
- Sie selbst, Herr Dreibus, haben in Ihrer Rede darauf
hingewiesen und auch im Vorspann Ihres Antrages steht
es sehr deutlich -: Der Kündigungsschutz hat keinen entscheidenden Einfluss darauf, wie viele Leute eingestellt
werden und wie viele Leute entlassen werden. Da fragt
sich doch die geneigte Leserin: Warum trägt diese richtungweisende Erkenntnis nicht den Forderungsteil Ihres
Antrages, warum sprechen Sie dort eine andere Sprache?
({0})
Herr Kolb, noch einmal zu Ihnen: Ich finde es phänomenal, wie stark eine interessengeleitete Einsichtsbarriere wirken kann: Sie sind in der Lage, Studien zu zitieren, die haargenau das Gegenteil von dem beschreiben,
was Sie hier behaupten.
({1})
Sie sagen, die Menschen sind blind und erkennen
nichts - dabei machen Sie beide Augen zu und auch
noch die Hühneraugen!
({2})
Das hilft uns in dieser Debatte nicht weiter.
({3})
Auch wenn der Kündigungsschutz nicht darüber entscheidet, in welchem Umfang eingestellt oder entlassen
wird, muss man zur Kenntnis nehmen, dass es nicht egal
ist, wie der Kündigungsschutz im Einzelnen ausgestaltet
ist. Herr Dreibus, wenn Ihre Forderungen gesellschaftliche Realität werden, dann führt die Regulierungsdichte
tatsächlich zu einem bürokratischen Quantensprung. Das
wird allerdings negative Auswirkungen auf Einstellung
und Beschäftigung haben.
Sie stellen dar, dass Sie zur dreimonatigen Probezeit
zurück wollen.
({4})
- Sie wollen die dreimonatige Probezeit. - Das mag für
einen Industriearbeitsplatz angemessen sein. Dort kann
man in drei Monaten vielleicht erkennen, ob Arbeitgeber
und Arbeitnehmer sowie Arbeitsanforderungen und Potenzial des Arbeitnehmers zusammenpassen. Bei Arbeitsverhältnissen, die ein vielschichtiges Anforderungsprofil
haben, ist das aber ganz anders.
({5})
Ich bin der Auffassung, dass dort eine sechsmonatige
Probezeit völlig richtig und notwendig wäre.
({6})
Ich frage Sie: Wem dient es, wenn an einem Arbeitsplatz
das Potenzial, das eine Arbeitnehmerin bzw. ein Arbeitnehmer mitbringt, und das Anforderungsprofil nicht zusammenpassen? Dann kommt es nämlich zu erheblichen
Schwierigkeiten für beide Seiten. Was spricht also gegen
diese Probezeit von sechs Monaten?
({7})
Sie wollen weiter, dass über eine Umlagefinanzierung
Abfindungen reguliert werden. Ich kann nicht glauben,
dass das Ihr persönlicher Ernst ist, Herr Dreibus. Dafür
halte ich Sie für viel zu vernünftig und zu gescheit. Wie
soll das denn funktionieren? Ein fehlerhaftes Verhalten
einzelner Arbeitgeber sollen andere Arbeitgeber ausbaden. Wie soll diese Umlage denn gestaltet werden? Wer
soll für wen wie viel einzahlen? Ich kann Ihnen sagen:
„Umlageverfahren“ klingt immer schön einfach und
nach Solidarität. Die Umsetzung bedeutet aber einen
hochgradig bürokratischen Akt, der sehr viele Ungerechtigkeiten in sich birgt. Deswegen ist das falsch.
({8})
Die Ausgestaltung des Kündigungsschutzes hat Auswirkungen auf die Struktur der Beschäftigten.
({9})
Wenn der Kündigungsschutz zu weitgehend ist und Arbeitsverhältnisse gewissermaßen zubetoniert werden,
dann hat das tatsächlich die Wirkung, dass die Arbeitgeber auf noch mehr Zeitarbeitsverträge und auf Leiharbeit
ausweichen.
({10})
Das kann gerade nicht im Interesse der Schwächeren am
Arbeitsmarkt sein. Deswegen kommt es auf das richtige
Verhältnis und die richtige Ausgestaltung an.
Herr Kolb, mit Ihrem Antrag zeigen Sie, dass Sie davon noch nie etwas gehört und gesehen haben. Ich will
Ihnen einmal etwas sagen: Auch eine falsche Lockerung
des Kündigungsschutzes kann genau gegenteilige Wirkungen haben.
({11})
Wenn der Kündigungsschutz in einer Situation hoher Arbeitslosigkeit, in der wir uns jetzt ja bekanntermaßen befinden, so weit gelockert wird, dass die Beschäftigten,
die daran interessiert sind, ihr Arbeitsverhältnis zu verändern und zu einer anderen Firma zu gehen, damit rechnen müssen, dass sie eine zweijährige Probezeit haben
und dass ihr Arbeitsvertrag einer vierjährigen sachgrundlosen Befristung unterliegt, dann überlegen sie
sich das sehr gut.
({12})
Das heißt, die Fluktuation auf dem Arbeitsmarkt wird
geringer. Damit zementieren Sie die Strukturen.
({13})
Das ist zumindest in der Situation, in der wir uns jetzt
befinden, in jeder Hinsicht kontraproduktiv.
({14})
Wenn Sie sich mit Ihrer Vorstellung durchsetzen,
dann sind ungefähr 6 Millionen Menschen auf dem Arbeitsmarkt davon betroffen. Das heißt, diese Menschen
werden sich entsprechend vorsichtig verhalten. Das gilt
übrigens auch beim Konsum. Sie produzieren 6 Millionen Angstsparer, Herr Kolb.
({15})
Ich kann Ihnen sagen: Das hat auch Auswirkungen auf
die Konjunktur in diesem Land. Herr Kolb, solche Regelungen haben auch in anderer Weise Wirkungen auf die
Entscheidungen der Menschen.
Wir führen hier endlose und wortreiche Debatten über
die Frage, wie wir junge Paare davon überzeugen können, Kinder in die Welt zu setzen, also Kinder in ihre Zukunftsplanung mit einzubeziehen. Kinder brauchen Verlässlichkeit. Kinder brauchen ein Stück Sicherheit. Wenn
aber der Kündigungsschutz so ausgestaltet wird, wie Sie
das wollen, dann wird das auch Rückflüsse auf solche
gesellschaftlichen Fragen haben. Jedenfalls wird mit
dem, was Sie vorschlagen, die Dynamik auf dem Arbeitsmarkt nicht zu-, sondern eher abnehmen.
({16})
Ihre Einäugigkeit, Herr Kolb, bei Vergleichen mit anderen Ländern ist uns inzwischen vertraut. Sie bringen
als Beispiel Dänemark und erklären, dass dort alles besser ist, weil es dort so gut wie keinen Kündigungsschutz
gibt. Sie sehen aber nicht die andere Seite der Medaille,
Herr Kolb: In Dänemark ist nämlich die Absicherung im
Falle von Arbeitslosigkeit extrem hoch.
({17})
Wo ist denn der Antrag, Herr Kolb, in dem auch das einmal eingefordert wird? In den Niederlanden gibt es einen sehr viel höheren Kündigungsschutz. Das führt dann
aber auch dazu, Herr Dreibus, dass dort die Zahl von
Zeitarbeitsverhältnissen sehr hoch ist. Zusammengenommen zeigt dies, dass es vernünftig ist - ich finde, das
ist in Deutschland inzwischen der Fall -, den Kündigungsschutz und die Bedingungen für Leiharbeit zwischen Flexibilität und Sicherheit ausgewogen zu gestalten.
Wissen Sie, was ich glaube? Wirklicher Handlungsbedarf besteht nicht so sehr im Kündigungsschutz, sondern wirklicher Handlungsbedarf besteht beim Arbeitsrecht.
({18})
Das Arbeitsrecht in Deutschland ist so schlank, dass es
in der Auslegung zum Richterrecht wird. Das verursacht
Probleme. Es lohnt, sich damit auseinander zu setzen.
Ich verspreche Ihnen hier schon einmal, dass wir das tun
werden.
({19})
Noch ein paar Worte zur großen Koalition. Es ist
falsch, sich in der Arbeitsmarktpolitik auf die Debatte um
den Kündigungsschutz zu konzentrieren. Andere Themen
sind viel wichtiger, zum Beispiel die hohe Belastung von
kleinen Einkommen, mangelnde Investitionen in Weiterbildung und lebenslanges Lernen, Lohndumping, Unterbietungskonkurrenz zulasten von Beschäftigten und die
bessere Förderung von Langzeitarbeitslosen. Genau
diese Projekte stehen jetzt an. Damit könnte man wirklich für mehr Beschäftigung sorgen.
Stattdessen gab es bei der großen Koalition unter
Führung des CDU-Generalsekretärs, den ich jetzt gerade
nicht sehe - ist er fahnenflüchtig? -,
({20})
ein Jahr lang ein einziges Hin und Her in Sachen Kündigungsschutz. Ein solcher Murkskurs sucht wirklich seinesgleichen. Auch Sie in der CDU/CSU-Fraktion sehen
dieses arbeitsmarktpolitische Fiasko und feixen darüber.
Gut ist, dass sich der Generalsekretär nicht durchsetzen
konnte. Gut ist das vor allem für die Beschäftigten in unserem Lande.
Ich danke Ihnen.
({21})
Ich erteile das Wort Kollegen Paul Lehrieder, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schluss mit dem Flirten! Die FDP hat sich in den
letzten Wochen unserem in fester Partnerschaft lebenden
Koalitionspartner angenähert. Diese Flirtversuche sind
zwischenzeitlich offensichtlich gescheitert.
({0})
Mit Blick auf die Linkspartei muss ich sagen: Mit den
beiden heutigen Anträgen hat sie gezeigt, dass sie als
Partnerin für Sie denkbar ungeeignet ist. Auch da wird
nichts passieren.
Wenn ich den linken und den rechten Rand des Plenums so vor mir sehe
({1})
- der rechte Rand ist für mich jetzt die FDP -, dann bin
ich froh, dass wir mit dem, was dort ausgebrütet worden
ist, nicht werden leben müssen.
({2})
Davor bewahrt uns Gott sei Dank ein gesunder Mittelweg, den wir als große Koalition mit Augenmaß beschreiten wollen. Vielleicht hat der breite Block in der
Mitte des Plenums nicht nur einen optischen, sondern
tatsächlich auch einen ganz praktischen Effekt. Frau
Pothmer, ich möchte Sie ausdrücklich einbeziehen,
wenngleich mir die letzten Ausführungen Ihrer Rede
nicht sonderlich gefallen haben.
({3})
Aber in vielen Bereichen sind Sie arbeitsmarktpolitisch
nicht auf dem Holzweg.
Wenn sich die Kollegen von der Linkspartei und der
FDP die Mühe gemacht hätten, ihre Anträge einmal vom
jeweils anderen gegenlesen zu lassen, dann wären hier
Tumulte zu befürchten. Spätestens jetzt wird jeder merken, was für ein unverträgliches Gemisch die beiden Anträge zum Tagesordnungspunkt Kündigungsschutz darstellen. Insofern wundert es mich nicht mehr, dass die
FDP aus der Opposition raus will. Die Gemeinsamkeiten
der Oppositionsparteien beschränken sich darauf, dass
keiner von beiden regiert.
So gut wie nichts ist in beiden Anträgen deckungsgleich: Während die Linkspartei keinen belegbaren Zusammenhang zwischen Kündigungsschutz und Beschäftigungsentwicklung sieht, ist er laut FDP für die hohe
Arbeitslosigkeit mit verantwortlich.
Die Linken wollen die Schwelle, ab der das Kündigungsschutzgesetz gilt, von jetzt sechs auf drei Monate
senken. Auf Wunsch der FDP soll es erst nach zweijähriger Betriebszugehörigkeit anwendbar sein, als ob nicht
schon heute eine entsprechende Befristung möglich
wäre.
Ähnlich radikal gehen die Meinungen bei den sachgrundlosen Befristungen auseinander. Die FDP will sie
bis zu vier Jahren ermöglichen, die Linkspartei sie ganz
abschaffen.
Dasselbe Bild bietet sich beim Kündigungsschutz:
Die FDP will die Zahl der Beschäftigten in einem
Betrieb, ab der der Kündigungsschutz eintritt, von zehn
auf 20 erhöhen;
({4})
die Linken wünschen dem Schwellenwert eine Beerdigung erster Klasse. Aus unserer Sicht macht die Grenze
von zehn Beschäftigten schon deshalb Sinn, weil wir
kleinen und mittleren Betrieben entgegenkommen müssen.
Wenn es nach den Linken ginge, würden ordentliche
Kündigungen für Arbeitnehmer ab 55 Jahren und einer
Betriebszugehörigkeit von mehr als zehn Jahren völlig
ausgeschlossen. Ihr Oppositionspartner sieht das etwas
anders: Die Liberalen wollen das Lebensalter als Kriterium für die Sozialauswahl streichen, wenn es um
betriebsbedingte Kündigungen geht, weil es die Einstellungschancen älterer Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt erschwere.
Wie die Einstellungschancen verbessert werden sollen und was sie als Alternative zu bieten haben, sagen
die Liberalen allerdings nicht. Was aber ein Liberaler
- Sie, Herr Niebel - in der vergangenen Wahlperiode gesagt hat, als es schon einmal um einen FDP-Antrag zum
Kündigungsschutz ging, gibt allerdings zu denken. In
der Debatte am 3. April 2003 wurde gesagt:
Denn wir sind durchaus der Überzeugung, dass Arbeitgeber eine soziale Verpflichtung gegenüber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben. Wir
wollen nur die jetzige Situation beenden, in der oftmals die Luschen bleiben können und die Leistungsträger gehen müssen.
({5})
Damals hat Herr Niebel noch für das Lebensalter als
Kriterium der Sozialauswahl plädiert, das in dem aktuellen Antrag bezeichnenderweise gestrichen werden soll.
Ein Schelm ist, wer Schlechtes denkt und als Luschen ältere Mitarbeiter gemeint sieht.
({6})
Die Initiative „50 plus“, die Bundesarbeitsminister
Müntefering kürzlich vorgestellt hat, geht schon sehr
viel weiter als der FDP-Antrag. Darin sind übrigens auch
Befristungsregelungen ab dem 52. Lebensjahr vorgesehen. Die Regierung hat längst etwas getan, was die liberalen Kollegen unter Punkt 1 ihres Antrages fordern.
({7})
Was die Bundesregierung sicherlich nicht umsetzen
wird, ist das, was die Linkspartei unter den Punkten 5
und 6 auf ihrem Wunschzettel fordert: Wir werden die
Sozialauswahl nicht um Kriterien wie Arbeitsmarktchancen oder Mobilitätseinschränkungen erweitern. Welches
Unternehmen soll das wasserdicht überprüfen? Unter
solchen Bedingungen würden betriebsbedingte Kündigungen nachhaltig erschwert. Eine weitere Zunahme der
Klagen vor den Arbeitsgerichten wäre zwangsläufig die
Folge.
Gänzlich widersinnig ist ein anderer linker Wunsch:
Die Linkspartei fordert, die Möglichkeit, Betriebsvereinbarungen zur Sozialauswahl und Namenslisten zu den zu
Kündigenden abzuschließen, zu streichen. Der individuelle Rechtsschutz würde dadurch unzulässig eingeschränkt.
Liebe Kollegen, Ihre Möchtegern-Bündnispartner von
den Gewerkschaften werden sich für diesen Tritt vor das
Schienbein bedanken und es sicherlich nicht gerne sehen, wenn die Rechte der Betriebsräte auf diese Art beschnitten werden. Das müssten Sie aufgrund Ihres beruflichen Hintergrundes sehr wohl wissen, Herr Dreibus.
Sie können zwar gerne sozusagen als Trotzpflaster ein
Verbandsklagerecht fordern; im AGG haben wir das aber
glücklicherweise gerade noch abwenden können.
Beim Kündigungsschutz kann die Opposition keine
tragfähige Alternative bieten. Die Liberalen würden den
Kündigungsschutz wohl am liebsten ganz abschaffen
und den Arbeitsmarkt mit seinen schwächsten Gliedern
dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Das Ergebnis
wäre ein Marktfundamentalismus ohne soziale Rahmenbedingungen.
({8})
Die Linkspartei lädt den Kündigungsschutz ideologisch auf und stellt ihn auf einen Sockel aus falschen Sicherheiten.
({9})
Sie will den Status quo einmauern und Stellschrauben,
die helfen würden, auf Veränderungen am Arbeitsmarkt
flexibel zu reagieren, gleich mit einbetonieren.
Ihr Kündigungsschutz, liebe Kollegen von der Linksfraktion, ist nicht mehr als Besitzstandswahrung für Arbeitsplatzbesitzer. Sie wird den Arbeitslosen dieser Republik nichts bringen.
Für so viele überzogene Forderungen entschädigt der
Blick auf die große Koalition.
({10})
Anders als unsere Opposition wollen wir die Sozialsysteme nicht zerstören
({11})
- ja, die Grünen sitzen in der Mitte; ich habe Sie deshalb
eben zum Teil mit angesprochen, Frau Pothmer -, sondern sie den Realitäten anpassen.
Es gilt, einen verfassungsgemäßen Interessenausgleich zwischen der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite zu gewährleisten. Wir sollten nicht darüber streiten,
ob, sondern wie wir Kündigungsschutz wollen,
({12})
damit zum einen die Menschen geschützt werden und
zum anderen das nötige Maß an Flexibilität gewährt
wird.
Zusammen mit der SPD behalten wir das Machbare
im Auge. Gemeinsam werden wir in Ruhe ausloten, welche Änderungen wann und wie möglich sind.
({13})
Nur so können wir größtmögliche Rechtssicherheit
schaffen und Transparenz gewährleisten. Es wird nicht
einfach, aber der Schlüssel liegt bei uns Politikern. Wir
müssen den Menschen erklären, warum und welche Änderungen beim Kündigungsschutz und welche Arbeitsmarktreformen notwendig sind und wie man die Solidarität zusammen mit der Flexibilität erhalten kann.
Ich habe zwar noch fast zwei Minuten Redezeit.
Diese Zeit schenke ich aber dem Plenum. Ich habe auf
eine Zwischenfrage der FDP gewartet. Leider ist sie
nicht gekommen.
Ich bedanke mich und wünsche Ihnen noch eine gute
Diskussion.
({14})
Ich erteile das Wort Kollegen Jörg Rohde, FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Lehrieder, es hätte mich eher verwundert, wenn Sie
Gemeinsamkeiten zwischen dem Antrag der FDP und
dem der Linken gefunden hätten. Ich denke, der Linksfraktion geht es genauso wie mir. Ich denke, dass wir
alle über die Fraktionsgrenzen hinweg das Ziel im Auge
haben, die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen sowie
Wachstum und Beschäftigung in Deutschland zu fördern.
({0})
Wenn wir die Beschäftigung in Deutschland fördern und
Arbeitslosen zu einem Arbeitsplatz verhelfen wollen,
dann müssen wir für Arbeitgeber und Unternehmer flexible und moderne Rahmenbedingungen schaffen. Alle
gesetzlichen Barrieren, die einen Arbeitgeber heute noch
davon abhalten, neue Jobs zu schaffen, müssen abgeschafft oder minimiert werden. Das ist unsere Aufgabe
im Deutschen Bundestag.
({1})
Das Kündigungsschutzrecht ist nur eines von vielen
Beispielen, die zeigen, wie sich Gesetze gegen die Interessen der Beschäftigten - genauer gesagt: der Nichtbeschäftigten - gewendet haben. Durch den Kündigungsschutz werden Arbeitgeber, die Zweifel haben, ob potenzielle Stellen dauerhaft geschaffen werden können,
davon abgehalten, neue Jobs zu schaffen. Mit dem
besonderen Kündigungsschutz für Behinderte werden
ebenfalls Barrieren für die Betroffenen auf dem ersten
Arbeitsmarkt erzeugt. Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz sind vor einigen Wochen die Chancen
für Behinderte, den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt
zu schaffen, deutlich gesunken. Wenn nun zur ersten
Barriere eine zweite Barriere hinzukommt, dann dürfen
wir uns in Deutschland nicht wundern, wenn sich die Arbeitslosigkeit bei den Schwerbehinderten weiter negativ
entwickelt. Hier müssen wir umsteuern.
({2})
Ich habe als behindertenpolitischer Sprecher der
FDP-Fraktion diese Forderung auch bei Behindertenverbänden offen angesprochen. Dort ist man zwar reserviert, aber auch bereit, über dieses heiße Thema offen zu
diskutieren; denn wenn die Wirtschaft auf einen nachhaltigen Pakt zugunsten der Integration von Menschen
mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt einginge,
dann könnte man im Gegenzug den Kündigungsschutz
für Schwerbehinderte lockern. Das ist ein schönes Betätigungsfeld für die Beauftragte der Bundesregierung für
die Belange behinderter Menschen; das könnte man
doch einmal ausloten. Wir müssen gemeinsam die Barrieren für mehr Beschäftigung in Deutschland abbauen.
Mit dem uns heute vorliegenden Antrag der Linksfraktion auf Ausweitung des Kündigungsschutzes sollen
aber viele neue Beschäftigungsbarrieren errichtet werden. Dieser Antrag geht in die völlig falsche Richtung.
({3})
Bevor ich aber auf einzelne Punkte dieses Antrags eingehe, möchte ich festhalten, dass wir zumindest beim
ersten Satz des Antrages der Linksfraktion übereinstimmen:
Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit ist das drängendste innenpolitische Problem in Deutschland.
({4})
Aus Sicht der FDP ist dies aber auch der einzige Satz in
dem Antrag der Linksfraktion, mit welchem wir übereinstimmen. Sie haben mit Ihren Forderungen ausschließlich die Arbeitsplatzbesitzer im Blick. Die Arbeitslosen
bleiben bei Ihnen durch die Erhöhung der Barrieren für
die Schaffung von Jobs auf der Strecke. Hier schließe ich
mich Herrn Meckelburg und Herrn Lehrieder an. Liberale Politik dagegen berücksichtigt beide Gruppen: Beschäftigte und Jobsuchende.
({5})
Herr Dreibus und Frau Pothmer, Sie müssen Ihren
Blickwinkel einmal um 180 Grad drehen. Wenn wir einen echten flexiblen Arbeitsmarkt hätten, dann müssten
sich Beschäftigte keine Sorgen um eine Kündigung machen, weil sie wüssten, dass sie wieder eine Chance auf
einen neuen Job haben. So wird ein Schuh daraus.
({6})
Während meiner Tätigkeit als ehrenamtlicher Betriebsrat
habe ich fast zwölf Jahre mit vielen Arbeitnehmern und
Chefs gesprochen. Auch als ehrenamtlicher Politiker
und nun als Abgeordneter habe ich mich in dieser Zeit
mit Entscheidern und Betriebsräten beraten. Herr
Dreibus, auch liberale Politiker haben das Ohr in den
Betrieben. Wir reden mit allen Beteiligten.
({7})
Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schaaf?
Ja, bitte.
Bitte schön, Herr Schaaf.
Herr Kollege Rohde, stimmen Sie mit mir überein,
dass dann, wenn Ihre Theorie, dass weniger Kündigungsschutz und weniger Schutzrechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr Arbeitsplätze schafften,
stimmte, gar kein Kündigungsschutz unter Umständen
zu Vollbeschäftigung führen müsste? Das heißt, wie viel
weniger Rechte brauchen die Menschen, damit tatsächlich mehr Arbeitsplätze geschaffen werden? Wenn Sie
diese Theorie tatsächlich aufrechterhalten wollen: Auf
welche Daten berufen Sie sich bei dieser Theorie? Mir
wird überhaupt nicht klar, woher Sie Ihre Erkenntnisse
nehmen; denn alle unsere Erkenntnisse, auch die aus
dem europäischen Ausland, besagen, dass weniger
Schutzrechte nicht mehr Arbeit schaffen. Sagen Sie uns
in diesem Hohen Hause bitte, woher Sie Ihre Erkenntnisse beziehen.
({0})
Herr Schaaf, ich bin Ihnen für die Frage dankbar.
Beim ersten Teil hatte ich schon gehofft, Sie hätten Einsicht in unsere Bemühungen gezeigt. Es gibt wirklich
Unternehmer, die sagen, bei diesen Schwellenwerten
stelle ich nicht ein, weil der Kündigungsschutz für alle
Arbeitnehmer greift, wenn ich einen zusätzlichen Arbeitnehmer einstelle. Deswegen schaffen sie keine neuen
Jobs. Ich habe mehrere Beispiele aus verschiedenen
Branchen. Sie haben es überspitzt dargestellt. Wir wollen nicht gar keinen Kündigungsschutz, sondern wir
brauchen flexiblere Regelungen, wie sie zum Beispiel
im Antrag der FDP gefordert werden.
({0})
Gerade als ehemaliger Betriebsrat setze ich mich für
einen flexiblen Arbeitsmarkt ein. Die FDP ist eben die
echte Arbeitnehmerpartei.
({1})
Wir wissen alle, dass wir in Deutschland ein Problem bei
der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer haben. Das Lebensalter hat Einfluss auf die Gestaltung der Sozialpläne
und daher finden ältere Arbeitslose kaum einen neuen
Job. Die Initiative „50 plus“ von Herrn Müntefering bekämpft hier übrigens nur die Symptome, aber nicht die
Ursachen. Würden wir als Bundestag dem Antrag der
Linken zum Beispiel bei der Ausweitung des Kündigungsschutzes für ältere Arbeitnehmer in Punkt 3 folgen, so hätten schon 45-Jährige ein Problem, einen
neuen Job zu finden. Bei der Forderung in Ihrem
Punkt 8, ein Umlagesystem für Abfindungsansprüche in
kleinen und mittleren Unternehmen einzurichten, sträuben sich mir sogar die Nackenhaare. Sie erfinden ein
neues bürokratisches Monster, welches kleine und mittlere Unternehmen finanziell belastet, und viele schwache Firmen werden zur sofortigen Aufgabe ermuntert.
Eine Rückfrage, liebe Linke: Wie lange müsste ich denn
als Unternehmer in welcher Höhe in das Umlagesystem
einzahlen, damit ich das Recht habe, einem langjährigen
Mitarbeiter zu kündigen und diesem zu einer Abfindung
zu verhelfen? Ihr Vorschlag ist weder praktikabel noch
finanzierbar. Wer befristete Arbeitsverhältnisse nicht erlauben will, der hat auch keine Chance, dass wenigstens
solche Jobs entstehen.
Es wird Sie ebenfalls nicht überraschen, dass die Liberalen das Verbandsklagerecht für Gewerkschaften
ablehnen. Wenn die Sozialauswahl um die von Ihnen geforderten Kriterien erweitert wird, dann wird es etliche
Unternehmensteile geben, die nicht mehr saniert, sondern sofort aufgelöst werden. Wenn die Leistungsträger
der Firma auf die Straße gesetzt werden, dann kann der
Chef den Laden auch gleich zusperren. Das kann doch
nicht wirklich Ziel Ihrer Politik sein. In Deutschland
brauchen wir, wie es auch der Sachverständigenrat gefordert hat, ein Vertragsoptionsmodell. Vorschläge
dazu haben wir vorgelegt.
Ich empfehle daher der Bundesregierung und den beiden Koalitionsfraktionen, den Antrag der FDP anzunehmen und gleichzeitig den Antrag der Linken abzulehnen.
Entfernen Sie Barrieren, damit schnell neue Jobs in
Deutschland entstehen!
Vielen Dank.
({2})
Ich erteile das Wort Kollegen Frank Spieth, Fraktion
Die Linke, zu einer Kurzintervention.
Herr Kollege Rohde, ich habe gehört, dass Sie mit Ihrem Antrag, beim Kündigungsschutzgesetz den Schwellenwert zu erhöhen, die Arbeitslosigkeit bekämpfen wollen. Kennen Sie die IAB-Panels für Ostdeutschland, die
auf der Grundlage von SÖSTRA-Studien seit mittlerweile über zehn Jahren erfasst werden? Wissen Sie, dass
mit der Anhebung des Schwellenwertes auf 20 Beschäftigte - es werden nicht Vollzeitbeschäftigte, sondern
Köpfe gezählt, also auch Teilzeitbeschäftigte - in Ostdeutschland der Kündigungsschutz nur noch in 5 Prozent aller Betriebe überhaupt gelten würde? Das heißt,
95 Prozent aller ostdeutschen Betriebe würden vom
Kündigungsschutzgesetz nicht mehr betroffen sein. Ist
Ihnen das bewusst? Wollen Sie tatsächlich so weit gehen?
({0})
Herr Kollege, der Kündigungsschutz, den wir hier im
Bundestag besprechen, gilt natürlich für ganz Deutschland. Wir wissen, dass in Ostdeutschland ein strukturelles Problem herrscht. Wir haben schon damals zu Beginn, als die neuen Bundesländer hinzukamen, andere
Vorschläge gemacht, zum Beispiel zum Steuerrecht, um
genau diese Situation nicht entstehen zu lassen. Jetzt haben wir leider die Situation, die wir heute vorfinden.
Deswegen müssen wir für die gesamte Wirtschaft - das
Arbeitsrecht gilt ja für Gesamtdeutschland - die Gesetze, die die FDP vorschlägt, einführen. Dann besteht
die Chance, unter anderen Rahmenbedingungen einen
Wirtschaftsaufschwung in Deutschland zu erreichen. Die
Situation in Ostdeutschland ist verfahren. Wir dürfen uns
aber nicht nur regionalen Problemen widmen, sondern
wir müssen die Probleme für ganz Deutschland anpacken.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegin Doris Barnett, SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei
den beiden Anträgen beschleicht mich wie den Kollegen
Lehrieder der Gedanke: Es muss wohl daran liegen, dass
diese beiden Fraktionen am Rande sitzen. Das sage ich,
auch wenn ich sie damit - um Gottes willen - nicht als
Randerscheinung bezeichnen will. Die von ihnen vorgelegten und heute diskutierten Anträge verdienen wirklich
nur ein Prädikat: besonders daneben.
Während die FDP in gewohnter Manier dem Heuern
und Feuern frönt und dabei noch behauptet, sie sei die
wahre Arbeitnehmerpartei,
({0})
fordert die Linke, dass einem 56-jährigen Mitarbeiter in
einem Handwerksbetrieb mit zwei Angestellten, der längere Zeit keine Aufträge hat - dieser Mitarbeiter ist dort
schon zehn Jahre tätig, hat sich über den Chef geärgert
und macht deswegen nur noch Dienst nach Vorschrift -,
nicht gekündigt werden darf, während einem erst 45-jährigen Leistungsträger - er ist in diesem Betrieb drei
Jahre tätig und rackert für zwei - gekündigt werden
muss. Dadurch geht der Betrieb endgültig ein. Sechs
Jahre nach der Jahrtausendwende kann das alles doch
nicht wahr sein.
Seien wir also froh, dass in Deutschland Augenmaß
herrscht und dass wir mit dem bestehenden und bewährten Kündigungsschutz den Bedürfnissen unserer modernen und flexiblen Arbeitswelt entsprechen. Das war
mein Fazit; ich habe es vorweggenommen. Jetzt komme
ich zu den Anträgen.
Zunächst einmal komme ich auf den FDP-Antrag zu
sprechen. Sie verweisen auf den Sachverständigenrat
und sagen, die Liberalisierung des Kündigungsschutzes
sei erforderlich, um die Verfestigung der Arbeitslosigkeit aufzubrechen; dies gelte besonders für Langzeitarbeitslose und Geringverdiener.
({1})
Wenn das alles so wäre, wie Sie es darstellen! Langzeitarbeitslose und Geringverdiener haben doch nicht wegen
des Kündigungsschutzes ein Problem, sondern wegen
ihrer Defizite. Man muss sie erst einmal ordentlich qualifizieren. Warum stecken wir denn so viel Geld in die
Qualifizierung, damit diese Menschen den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt schaffen? Das hat doch mit
Kündigungsschutz überhaupt nichts zu tun. Wenn es einen solchen Zusammenhang gäbe, dann hätte man sämtliche älteren Langzeitarbeitslosen schon längst eingestellt; schließlich ermöglicht dies die Gesetzeslage,
Stichwort „ständige Befristung“.
({2})
- Doch, doch, doch!
In Ihrem Antrag steht, nötig sei der Übergang vom
Bestandsschutz zum Abfindungsprinzip. Die FDP verabschiedet sich damit ganz offensichtlich vom Kündigungsschutz als gesetzlicher Regelung. Sie wollen ein
Kündigungsschutzrecht für eine moderne Wirtschaftsordnung. Wie sieht dieses Recht aus? Es soll entfallen!
Das kann doch alles nicht sein.
Sie wollen ein Vertragsoptionsmodell, das vorsieht,
dass beim Vertragsabschluss die Höhe der Abfindung
vereinbart wird. Ich stelle mir einmal Folgendes vor: Ein
Geringverdiener oder ein Langzeitarbeitsloser - diese
Menschen liegen Ihnen ja am Herzen - versucht, mit einem möglichen Arbeitgeber über die Höhe einer Abfindung zu verhandeln. Ich kann mir das beim besten Willen nicht vorstellen. Offensichtlich glauben Sie, dass der
Arbeitssuchende mit seinem Rechtsanwalt kommt und
eine Abfindungssumme vereinbart. Was Sie hier vorschlagen, das ist doch alles nicht von dieser Welt.
Ganz besonders komisch ist es, dass Sie vorschlagen,
ein Arbeitssuchender könne statt einer Abfindung eine
Weiterbildung vereinbaren. Ich stelle mir jetzt vor: Ein
Fahrer unseres Fahrdienstes verhandelt dahin gehend,
dass er, wenn er zwei, drei oder fünf Jahre angestellt
war, eine Ausbildung bekommt, wobei er selbst Inhalt
und Kosten der Ausbildung bestimmt; der Arbeitgeber
nickt das alles ab. Das ist blanker Unsinn.
Wissen Sie, was dann geschehen würde? Eigentlich
müssten wir uns über die Umsetzung Ihres Vorschlags
freuen, weil die Arbeitsverwaltung dadurch - theoretisch - entlastet würde; schließlich ist sie bisher für die
Eingliederung zuständig. Eine solche Änderung wäre
eine schöne Sache. Ich frage Sie: Warum fordern Sie
nicht Ihre Seite, also die Arbeitgeberseite, auf, das ganze
Geld in die Qualifizierung vor der Kündigung zu investieren, damit die Angestellten erst gar nicht entlassen
werden müssen?
({3})
Dann würde ein Schuh daraus. Aber darüber kann man
mit Ihnen offensichtlich überhaupt nicht sprechen.
Ihren Forderungen liegen ein Menschenbild und ein
Gesellschaftsbild zugrunde, über die man nur den Kopf
schütteln kann. Sie wollen die Sperrzeiten so ändern,
dass es keine Kettenverträge gibt. An und für sich wollen Sie aber Kettenverträge; schließlich fordern Sie die
Möglichkeit von Befristungen ohne sachlichen Grund
bis zu vier Jahren; in den ersten zwei Jahren soll sowieso
kein Kündigungsschutz bestehen. Wenn überhaupt, dann
soll es einen Kündigungsschutz nur für Betriebe ab
20 Arbeitnehmern geben. Aber jetzt kommt es: Die Prorata-temporis-Regelung soll gelten. Wir sprechen also
über eine Grenze von - im schlimmsten Fall - 40 Arbeitnehmern und da sagen Sie, das sei ein moderner Kündigungsschutz in unserem Staat.
({4})
Hinzu kommt noch: Bei der Vertragsoption verlangen
Sie, dass es nicht zu einer Sperrzeit kommen soll, wenn
man sich auf so etwas einlässt. Damit belasten Sie wieder die Kasse der Arbeitslosenversicherung, die es nämlich tragen muss, wenn die Arbeitnehmer ihr Geld einfach bekommen. Das ist eine Besserstellung, wiederum
zulasten Dritter, nämlich hier der Arbeitsverwaltung.
Zum Antrag der Linken ist Folgendes zu sagen: Über
die eine oder andere Formulierung könnte man sich mit
Ihnen verständigen. So sagen Sie, dass der Kündigungsschutz vor unbegründeter Entlassung und willkürlicher
Entscheidung des Arbeitgebers bewahrt. Das ist insoweit
richtig. Aber bei den einzelnen Forderungen von Ihnen
muss ich doch einige Fragezeichen setzen.
Sie sagen, Motivation und Kreativität der Beschäftigten seien höher, wenn sie keine Angst hätten. Angst
ist immer der schlechteste Ratgeber und führt auch im
Arbeitsleben nicht zu mehr Leistung. Wenn man den Beschäftigten einen interessanten Arbeitsplatz gibt und
wenn man sie fortbildet, dann wird ein Schuh daraus.
Wir brauchen deswegen nicht unbedingt nur einen besseren Kündigungsschutz, sondern wir brauchen auch
gute Betriebsräte und gute Tarifverträge, die absichern.
Sie sagen, dass man den Kündigungsschutz unbedingt
braucht, um Rechte durchzusetzen, weil nämlich die
Menschen sonst erpressbar sind. Ich erwidere darauf: Um
Rechte durchzusetzen, braucht man auch einen vernünftigen Betriebsrat, vernünftige Gesetze - ein gutes Betriebsverfassungsgesetz gehört dazu - und Tarifverträge,
die die Arbeitnehmer schützen. Da darf man sich nicht
leicht herausschleichen können.
Ich sehe, dass meine Redezeit abläuft; deswegen kann
ich nur noch Folgendes sagen:
Die Linke will zwar vordergründig durch den Kündigungsschutz die Arbeitnehmer stärken. Leider behindert
der aber massiv Neueinstellungen. Sie von der Linken
scheinen aber auch einen Systemwechsel zu wollen,
nämlich weg von der Interessenvertretung durch Betriebsräte hin zu einer solchen durch Gewerkschaften,
die direkt in Betriebe eingreifen, wie das in Spanien der
Fall ist. Wenn Sie das wollen, dann würde ich Sie schon
auffordern, das dann auch so zu sagen.
Beim Kündigungsschutz geht es um die Art und
Weise, in der wir mit den Arbeitnehmern umgehen. Die
Arbeitnehmer brauchen ein Mindestmaß an Sicherheit,
um ihre Existenz und möglicherweise eine neue, nämlich die einer Familie, zu sichern. Sie wollen vorwärts
kommen und sind bereit - dazu müssen sie auch bereit
sein -, ihre Beschäftigungsfähigkeit durch ständige
Weiterbildung zu gewährleisten. Das nützt ihnen, ihrem
Preis, aber auch den Arbeitgebern; denn nur hoch qualifizierte und motivierte Mitarbeiter bringen die notwendige Innovation. Beide Seiten sind mit ihren Schicksalen
eigentlich so ineinander verwoben und voneinander abhängig, dass nur ein gerechter Ausgleich Ordnung auf
dem Arbeitsmarkt schafft. Deswegen brauchen wir einen
guten Kündigungsschutz. Den haben wir. Den brauchen
wir nicht zu verändern.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat nun Kollege Michael Fuchs, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Kollege Kolb, ich vermisse heute hier eigentlich
den rheinland-pfälzischen Dampfplauderer und Kuschelkursfahrer Rainer Brüderle.
({0})
Es hätte mich sehr gefreut, wenn Sie in dieser Woche
diesen Termin zur Brautschau tatsächlich durchgeführt
hätten
({1})
und Ihren Antrag mitgenommen hätten, um einmal auszuloten, wie groß die Gemeinsamkeiten sind; das kann
man an diesem Antrag sicherlich sehr gut machen.
Verehrte Frau Pothmer, der - inzwischen leider verstorbene - Professor Nipperdey hat sich mit Arbeitsrecht
und dieser Materie insgesamt in Deutschland beschäftigt. Er hat ein dickes Werk dazu verfasst. Es gibt über
90 Gesetze und Verordnungen nur zum Arbeitsrecht. Da
kommt kaum noch ein normaler Jurist mit. Man braucht
hoch spezialisierte Fachjuristen; denn das Arbeitsrecht
ist außerordentlich kompliziert und unübersichtlich. Das
ist sicherlich auch einer der Gründe dafür, dass sich Unternehmer, vor allem kleinere Unternehmer, schwer damit tun, jemanden einzustellen. Das haben wir dann ja
auch in den letzten Tagen, genauer gesagt: gestern, wieder bestätigt bekommen. In einer Studie des World Economic Forum landen wir in puncto Regulierung von
125 Staaten auf Platz 79,
({2})
beim Kündigungsschutz belegen wir sogar Platz 120.
({3})
Wir brauchen also eine grundlegende Vereinfachung
des Arbeitsrechtes in Deutschland.
({4})
Jeder Arbeitgeber sollte Einstellungen und die zusätzliche Beschäftigung von Mitarbeitern als Chance und
nicht als ein unkalkulierbares Risiko ansehen können.
({5})
Es ist, nebenbei gesagt, fast genauso wie im Steuerrecht.
Wir haben da ja auch mittlerweile die Situation, dass nur
noch Experten mit diesem Steuerrecht überhaupt klarkommen. Diese sind dann allerdings in der Lage, die berühmten Nischen zu finden, die wir noch nicht zugemacht haben.
Dank einer verbesserten Auftrags- und Beschäftigungslage, die wir ja Gott sei Dank gemeinsam geschaffen haben - ich bin sehr froh, jetzt Zahlen mitteilen zu
können, die gerade eben aus Nürnberg veröffentlicht
worden sind -, haben wir 409 000 Arbeitslose weniger
als vor einem Jahr - ein echter Beschäftigungsaufwuchs!
Ich freue mich gemeinsam mit unseren Partnern von der
SPD darüber, dass wir da ein ganzes Stück vorangekommen sind. Das ist nämlich eine zentrale Aufgabe für uns
in diesem Hohen Hause.
({6})
Der Antrag der FDP-Fraktion enthält aus meiner
Sicht - das wird Sie vielleicht nicht überraschen - viele
sinnvolle Schritte zur Modernisierung des Arbeitsrechts.
({7})
Über einige Einzelheiten dieses Antrags könnte man
auch intensiv nachdenken. Aber - das ist kein Vorwurf
an die FDP - der Antrag ändert nichts an der Unübersichtlichkeit und Kompliziertheit unseres Arbeitsrechts.
Da müssen wir noch ein ganzes Stück weiterkommen.
({8})
Was wir in Deutschland eigentlich brauchen, ist ein
großer Wurf beim Arbeitsrecht.
({9})
Es gibt in diesem Zusammenhang Gott sei Dank Bemühungen, das zu verändern und ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetzbuch zu schaffen.
({10})
Ich halte die Diskussion darüber für ausgesprochen
wichtig, Herr Kollege Niebel, ob man nicht die über
40 Gesetze, in denen heute das Arbeitsvertragsrecht einschließlich des Kündigungsschutzrechts verstreut ist, in
einem Gesetz zusammenfasst. Das kann ja eigentlich nur
Sinn machen.
({11})
Die Bertelsmann Stiftung hat eine entsprechende Kommission eingesetzt und ein erster Arbeitsentwurf liegt
vor. Damit sollten wir uns beschäftigen. Angesichts der
vielen in den letzten Jahren neu erlassenen Gesetze ist es
sicherlich sinnvoll, hier ein vernünftiges Werk zu schaffen. Das könnten wir dann auch gemeinsam in Gang setzen.
Meine Damen und Herren, es ist kein Geheimnis, dass
es zur Zukunft des Arbeitsrechts in diesem Hohen Hause
immer unterschiedliche Auffassungen gegeben hat und
auch weiterhin geben wird. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat in der letzten Legislaturperiode einen Gesetzentwurf zur Vereinfachung des Arbeitsrechtes und
zur Modernisierung des Kündigungsschutzrechtes vorgelegt. Leider - daraus mache ich jetzt auch keinen Hehl gibt es in der jetzigen Regierungskonstellation und auch
in den Koalitionsfraktionen hierüber keinen Konsens.
Wir werden entsprechend der Koalitionsvereinbarung
eine Nachfolgeregelung für die sachgrundlose Befristung
von Arbeitsverträgen mit älteren Arbeitnehmern, die so
genannte 52er-Regelung, finden müssen. Ich gehe davon
aus, dass wir im Zusammenhang mit der Initiative
„50 plus“ des Arbeitsministers Müntefering jetzt einen
entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen werden, der die
Beschäftigungshemmnisse gerade für ältere Arbeitnehmer abbaut. Das muss unser Ziel sein.
Außerdem sollten wir bei dieser Gelegenheit einen
auf dem Jobgipfel im Jahr 2005 gemachten Vorschlag
aufgreifen. Da wurde vereinbart, das Verbot aufzuheben,
einen ohne sachlichen Grund ehemals befristet Beschäftigten ein zweites Mal befristet einzustellen. Ich halte
das für sinnvoll. Es handelt sich um diese berühmte
Praktikantenregelung. Jemandem, der also einmal ein
Praktikum in einem Betrieb gemacht hat, eine befristete
Einstellung zu verwehren, halte ich für schlicht unsinnig.
Wir werden das hoffentlich gemeinsam angehen. Ich
denke, da besteht Konsens auf allen Seiten des Hauses.
({12})
Den Vorschlag der FDP, zwischen wiederholten Einstellungen nur eine dreimonatige Frist vorzusehen, halte ich
für falsch. Hier sollten wir bei sechs Monaten bleiben,
wie wir es auf dem Jobgipfel diskutiert haben. Ich halte
es für sinnvoll, in diese Richtung zu gehen. Bei einer
Frist von nur drei Monaten ist mir die Gefahr, dass Missbrauch betrieben wird, einfach zu groß.
({13})
Meine Damen und Herren, der Vorschlag aus dem
Koalitionsvertrag, anstelle der sachgrundlosen Befristung eine neue Wartezeitoption einzuführen, hat sich
als nicht sinnvoll umsetzbar erwiesen. Unter anderem
hätten wir einen Sonderkündigungsschutz während einer
24-monatigen Warteoption aufgeben müssen, wenn man
die sachgrundlosen Befristungen durch eine solche Option hätte ersetzen wollen. Rechtlich gesehen wäre das
sehr schwierig geworden. Deswegen wird es so etwas
nicht geben. Wir müssen aber trotzdem an die 52er-Regelung für ältere Arbeitnehmer herangehen. In diesem
Zusammenhang sollten wir auch über den Wegfall des
Verbots der Wiedereinstellung durch den gleichen Arbeitgeber diskutieren.
Wir werden darauf achten - das halte ich für sehr
wichtig -, ob und wie betriebliche Bündnisse für Arbeit im Rahmen der Tarifautonomie genutzt werden.
Auch das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart. Die
tarifvertragliche Öffnung ist für mich ein wichtiges Flexibilisierungsinstrument bei unseren überregulierten
Märkten. Sie funktioniert aber immer noch nicht in allen
Branchen. Ehrlicherweise muss ich hier Gerhard
Schröder loben, der in seiner Agenda 2010 gerade diesen
Punkt aufgegriffen und gesagt hat, dass wir dann, wenn
keine vernünftigen Bündnisse für Arbeit entstehen, über
das Gesetz regeln müssen, dass solche Öffnungen ermöglicht werden. Wir sollten daran herangehen und das
Ganze völlig emotionslos betrachten. Ich glaube, das
wird die große Koalition auch so tun.
({14})
Meine Damen und Herren, ich habe eigentlich überhaupt keine Lust, etwas zu dem zweiten Antrag, dem der
Linken, zu sagen.
({15})
Man merkt, dass die Herrschaften noch nie in Betrieben gewesen sind,
({16})
schon gar nicht in kleinen Betrieben. Sie, Herr Dreibus,
waren vielleicht als Gewerkschaftssekretär der
IG Metall einmal bei irgendwelchen Betriebsratsseminaren.
({17})
Aber mit der wirklichen Arbeit haben Sie noch nie etwas
zu tun gehabt, sonst könnten Sie so einen Unfug gar
nicht erzählen.
({18})
Wenn Sie glauben, den Gewerkschaften ein Verbandsklagerecht bei sozial ungerechtfertigter Kündigung geben zu müssen, frage ich mich, wer eigentlich
feststellt, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt ist:
die Gewerkschaften in ihrer völligen Neutralität? Wie
soll das bitte gehen? Wir schaffen damit ein zusätzliches
Richterrecht, davon haben wir in Deutschland wahrlich
genug.
({19})
Das Arbeitsrecht sollte ein Recht für Arbeit sein und
nicht ein Recht gegen Neueinstellungen.
({20})
Wir schützen oftmals aber diejenigen, die einen Job haben. Aber noch effektiver schützen wir Arbeitslose davor, einen zu bekommen.
Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass weder
unser geltendes Recht noch die vorliegenden Anträge
diesem Ziel endgültig entsprechen und dass wir tiefer
greifende Veränderungen für ein vereinfachtes und
grundlegend modernisiertes Arbeitsrecht brauchen. In
dem Sinne sollten wir vernünftig weiter zusammenarbeiten.
Vielen Dank.
({21})
Ich erteile dem Kollegen Josip Juratovic von der
SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Jahre
wieder kommt der Kündigungsschutz auf die Tagesordnung. Die Mär, der Kündigungsschutz sei ein Beschäftigungshemmnis, hält sich hartnäckig, besonders in den
Reihen der Liberalen. Die Argumente der Liberalen,
warum der Kündigungsschutz aufgeweicht werden
sollte, sind bereits mehrfach widerlegt worden. Ich
werde das Gefühl nicht los, dass der immer wieder beiJosip Juratovic
nahe ideologisch thematisierte Kündigungsschutz nichts
anderes als Augenwischerei und Rechtfertigung der FDP
und einzelner Verbände für ihre Konzeptlosigkeit und
mangelnde Kreativität ist.
Aus meiner Erfahrung sind die Betriebe beschäftigungspolitisch erfolgreich, die in Bildung, Qualifizierung, Innovation und Organisation investieren, und vor
allem diejenigen, die ihr Kapital im Betrieb anlegen und
nicht in Villen und Yachten.
({0})
Zu dem Antrag von PDS und Linken stelle ich fest:
Sie versuchen mit Versprechen, die an der Realität völlig
vorbeigehen, Punkte zu sammeln. Ihr vermeintlicher
Schutz älterer Arbeitnehmer würde in der Realität das
Gegenteil bewirken.
Dazu ein Beispiel aus der Praxis. Nehmen wir einen
Kleinunternehmer mit einem Mitarbeiter, der nach zehn
Jahren Betriebszugehörigkeit 55 Jahre alt ist, die Hälfte
seine Arbeitszeit krankheitsbedingt fehlt und erst mit
65 Jahren in Rente gehen kann: Bei Umsetzung Ihres
Antrages hätten wir nicht eine Beschäftigungssicherung,
sondern zwei Arbeitslose mehr, nämlich den Arbeitnehmer und den Arbeitgeber, da der Kleinunternehmer die
Belastung nicht mehr tragen könnte.
({1})
Es ist in der Tat so, dass das nur jemand fordern kann,
der keine Ahnung von betrieblicher Realität hat oder der
die Menschen mit der reinen Lehre beglücken will.
({2})
Bei der Fülle hochrangiger Gewerkschaftsfunktionäre in
Ihren Reihen grenzt es übrigens an ein Wunder, dass sich
dieser Unsinn bis zum Antrag entwickeln konnte.
({3})
Für uns ist der Kündigungsschutz mehr als nur ein
ökonomischer Wert oder ein betrieblicher Kostenfaktor.
Er gibt den Beschäftigten Sicherheit und Planungsmöglichkeit. Eine Kündigung ist ein tiefer Eingriff in
das Leben eines Menschen, da der Arbeitsplatz die einzige Quelle für seinen Lebensunterhalt ist. Außerdem ist
der Kündigungsschutz mehr als ein Schutz vor dem Arbeitsplatzverlust. Ohne Kündigungsschutz sind auch die
kollektiven Rechte aus der Betriebsverfassung kaum einzufordern, ohne befürchten zu müssen, deshalb den Arbeitsplatz zu verlieren. Ein geringerer Kündigungsschutz
schürt nur Ängste.
Zu beiden Anträgen kann ich aus meiner 22-jährigen
Betriebserfahrung sagen: Die Menschen vor Ort sind
sehr sensibel. Viele bangen um ihren Arbeitsplatz; viele
sind bereits arbeitslos. Doch sie wissen, dass es in der
verstärkt globalisierten Welt keine Patentrezepte gibt.
Deshalb erwarten sie berechtigterweise von uns mehr
Seriosität und ein ernstes Herangehen an ihre Probleme.
Dies trägt zur Sicherheit bei. Diese Sicherheit motiviert
zum Konsum. Kauffreudigkeit stärkt die Beschäftigung.
Das ist das Ziel der großen Koalition.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Ich erteile das Wort Kollegen Clemens Bollen, SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist für mich erstaunlich,
wie locker ein existenzielles Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von der FDP-Fraktion zur Disposition gestellt wird.
({0})
Das, was über Jahrzehnte als Schutz im Rahmen eines
Sozialkonsenses in dieser Gesellschaft erkämpft worden
ist, wird nun umgedeutet als Barriere. Die Menschen, die
arbeitslos sind und die nicht für den Abbau der Rechte
der Beschäftigten missbraucht werden wollen, und auch
die Menschen, die Arbeit haben, fragen sich: Wo leben
eigentlich die, die da jetzt diskutieren?
Alle wissenschaftlichen Untersuchungen - davon war
bereits die Rede; gestern legte das Institut für Öffentliche Wirtschaft und Personalwirtschaft der Universität
Hamburg die neuesten Ergebnisse einer Untersuchung
vor - machen deutlich: Es gibt keinen relevanten Zusammenhang zwischen Einstellungsverhalten der Betriebe
und Kündigungsschutz.
({1})
Marcus Allen, ein amerikanischer Soziologe, sagte sehr
schön: Manche leiden mehr unter ihren Vorstellungen als
unter der Wirklichkeit.
({2})
Die Hamburger Forscher haben erneut mit dem Vorurteil aufgeräumt, dass der Kündigungsschutz Einstellungen verhindert. Im Gegenteil: Schon jetzt zeigt
der Arbeitsmarkt in Deutschland eine hohe Fluktuation.
4 Millionen Menschen wechseln jährlich den Arbeitsplatz. Man muss sich einmal vorstellen, was diese Mobilität aufgrund des Arbeitsplatzwechsels für schulpflichtige Kinder bedeutet! Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer beweisen hohe Flexibilität und hohe Mobilität. Arbeitnehmerrechte wie Kündigungsschutz und
Mitbestimmung unterstützen die Betriebsräte, wenn es
um die Vereinbarung von Sozialplänen geht. Dagegen
sind Abbau von Kündigungsschutz und Ausweitung von
befristeten Verträgen auch aus betriebswirtschaftlicher
Sicht - das sollte besonders die FDP interessieren - problematisch.
Vor wenigen Tagen ist eine neue Kölner Langzeitstudie unter dem Titel „Die hohen Kosten der Angst“ veröffentlicht worden. Die Zahlen sind für alle, die Verantwortung tragen, in der Tat alarmierend und machen
deutlich, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
unsicheren Arbeitssituationen eine dramatisch verringerte Produktivität haben. Ihre prekäre Situation erfüllt
die Menschen mit Zukunftsangst, wodurch sie gelähmt
werden. Angst beeinträchtigt die Motivation, das Engagement und die Kreativität. Dabei sind genau diese Faktoren für die Betriebe wichtig. Aus diesem Grunde ist
ein Drehen am Kündigungsschutz so gefährlich, wenn es
um das Mitziehen der Arbeitnehmer in den Betrieben
geht. Die Kölner Studie - diese Zahlen muss man sich
einmal vor Augen halten - beziffert den Produktivitätsverlust für die Wirtschaft zwischen 50 und 100 Milliarden Euro. Das muss alle alarmieren.
Wir dagegen wollen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich bei ihrer Arbeit engagieren, die sich mit
ihren Betrieben identifizieren und die mit Einsatz und
Kreativität die Produktion und Verwaltung nach vorne
bringen. Was geht in einem Arbeitnehmer vor, der vielleicht morgen seinen Stuhl vor der Tür stehen hat? Wie
soll er sich engagieren? Was geht in einem Arbeitnehmer
vor, der nicht weiß, ob sein Vertrag verlängert wird? Um
dies alles zu verhindern, müssen wir uns für feste Arbeitsverhältnisse einsetzen und benötigen wir Arbeitnehmerrechte und soziale Sicherheit.
Wir brauchen dies aber nicht nur aus betriebswirtschaftlichen Gründen, sondern auch für unsere Gesellschaft. Es wird die alternde Gesellschaft beklagt und
dass es immer weniger Familien mit Kindern gibt. Wir
brauchen eine familienfreundlichere Arbeitswelt. Die
Vorschläge der FDP führen zum genauen Gegenteil. Sie
behauptet, dass ältere und jüngere Arbeitnehmer von einem gelockerten Kündigungsschutz oder von befristeten
Arbeitsverträgen profitieren würden.
({3})
Ich frage Sie ganz ehrlich: Wie sollen jüngere Menschen
eine Familie gründen und ihre Zukunft planen, wenn sie
keine gesicherte wirtschaftliche Grundlage haben, auf
die sie sich verlassen können? Wer vom Praktikum zum
Kurzzeitjob und zum Zeitvertrag wandert, kann keine
Zukunft planen. Zukunftsangst und wirtschaftliche Unsicherheit sind keine Grundlage für eine familiengerechte
Zukunft.
({4})
Deshalb bleibt festzuhalten: Der Antrag der FDP ist
beschäftigungspolitisch wirkungslos, betriebswirtschaftlich kontraproduktiv und sozialpolitisch nicht zu verantworten. Stattdessen müssen und werden wir in der großen Koalition eine Balance zwischen der notwendigen
Flexibilität der Unternehmen und der ebenso notwendigen sozialen und wirtschaftlichen Sicherheit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer halten.
Herzlichen Dank.
({5})
Kollege Bollen, dies war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Herzliche Gratulation und alles Gute
für die weitere Arbeit!
({0})
Ich erteile nun das Wort Kollegen Andreas Steppuhn,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die hier zur Beratung anstehenden Anträge der
Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke zum
Thema Kündigungsschutz könnten wohl kaum unterschiedlicher ausfallen. Sie, meine Damen und Herren
von der FDP, wollen den Kündigungsschutz gänzlich abschaffen.
({0})
Bravo, sage ich da nur; denn damit schärfen Sie erneut
deutlich Ihr Profil als arbeitnehmerfeindlichste Partei
Deutschlands. Herr Kolb, ich schlage Ihnen deshalb vor,
Ihre Partei am besten gleich umzubenennen - ich habe
mir schon einen Namen ausgedacht -, und zwar in
AFPD, in arbeitnehmerfeindlichste Partei Deutschlands,
um damit in Ihrem Namen gleich für alle erkennbar Ihre
Arbeitnehmerfeindlichkeit zum Ausdruck kommen zu
lassen.
({1})
Ich kann Ihnen eines mit auf den Weg geben: Das
Heuern und Feuern von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist mit uns Sozialdemokraten nicht zu machen.
({2})
Im Übrigen empfehle ich an dieser Stelle, einen Blick
nach Italien zu werfen, wo man den Kündigungsschutz
fast vollständig abgeschafft hat und nunmehr feststellt
- wir Sozialdemokraten haben das schon immer gewusst -, dass eine Lockerung des Kündigungsschutzes
gänzlich ohne beschäftigungspolitische Wirkung bleibt.
Nun zu Ihnen, meine Damen und Herren vom ganz
linken Spektrum. Auch Ihr Antrag lässt jeglichen Realitätssinn vermissen, obwohl auch ich finde, dass es beim
Kündigungsschutz durchaus Verbesserungen geben
könnte. Den Menschen jedoch vorzugaukeln, im Himmel sei Jahrmarkt, und mal eben pauschal all das zu fordern, was einem so einfällt, zeugt nicht unbedingt von
Glaubwürdigkeit, sondern hat schon etwas von Populismus.
Sie stellen Forderungen auf, die noch nicht einmal
von den Gewerkschaften zu hören sind. Da fordern Sie
zum Beispiel - das ist ja an sich lobenswert - den absoluten Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer ab
55 Jahre und nach zehn Jahren Betriebszugehörigkeit.
Soll ich Ihnen sagen, wie das werden würde, wenn wir
das so beschließen würden? Alle Unternehmen würden
versuchen, ihren älteren Beschäftigten vor dem 55. Lebensjahr und vor dem Erreichen einer Betriebszugehörigkeit von zehn Jahren zu kündigen, da dies nach Überschreitung dieser beiden Zeitpunkte faktisch nicht mehr
möglich wäre. Die Folge wäre eine noch höhere Arbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmer.
({3})
Wir Sozialdemokraten wollen, dass ältere Arbeitnehmer
wieder mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, und
wollen sie nicht in die Arbeitslosigkeit treiben.
Dann fordern Sie, den Schwellenwert, also die Beschäftigtenzahl eines Unternehmens, ab der der Kündigungsschutz einsetzt, gänzlich abzuschaffen, sodass dieser faktisch beim ersten Beschäftigten einsetzt.
Kollege Steppuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Dreibus?
Ja, gleich. Ich möchte diesen Gedanken noch zu Ende
bringen. - Meine Damen und Herren von der Linkspartei, ich habe einmal nachgeschaut: So etwas hat noch
nicht einmal die alte DKP im alten wilden Westen gefordert.
({0})
Bitte sehr, Herr Dreibus.
Kollege Steppuhn, ist Ihnen bekannt, dass die Regelung, die wir für ältere Beschäftigte ab dem 55. Lebensjahr und nach zehn Jahren Betriebszugehörigkeit im
Sinne eines Schutzes vor ordentlicher Kündigung - das
ist kein vollkommener Kündigungsschutz; ich hoffe,
dass Sie das wissen - vorsehen, bereits seit 40 bis
50 Jahren für Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland gilt, nämlich per Tarifvertrag, und dass es in den Bereichen, in denen dies gilt,
beispielsweise in der Metall- und Elektroindustrie, sehr
viele Menschen gibt, die älter als 55 Jahre sind und einen
Arbeitsplatz haben?
Das ist mir bekannt. Ich habe ja sehr deutlich gesagt,
dass auch wir Sozialdemokraten uns Verbesserungen
vorstellen können. Aber ich halte es für falsch, solche
Regelungen im Kündigungsschutzgesetz flächendeckend
in Deutschland einzuführen.
({0})
Das, was von FDP und der Linken in ihren Anträgen
formuliert worden ist, ist mehr als jenseits von Gut und
Böse. Deshalb bin ich froh, dass wir Sozialdemokraten
für einen wirksamen Kündigungsschutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eintreten und dies auch gegenüber unserem Koalitionspartner beharrlich vertreten.
Wir Sozialdemokraten haben das Ziel, den Kündigungsschutz weiterzuentwickeln, Beschäftigung zu fördern, die Schutzfunktion für bestehende Arbeitsverhältnisse nachhaltig zu sichern und die unbefristete
Beschäftigung gegenüber den befristeten Arbeitsverhältnissen zu stärken.
Die großen Wirtschaftsverbände haben sich gegen das
in der Koalitionsvereinbarung verankerte Vorhaben der
sachgrundlosen Befristung ausgesprochen. Die Gewerkschaften lehnen diese Pläne wegen der Wartezeitverlängerung gänzlich ab. Wir stehen zum Kündigungsschutz, wie er zurzeit existiert, und sind überhaupt nicht
böse darüber, dass der in der Koalitionsvereinbarung
niedergeschriebene Änderungswille nunmehr nicht umgesetzt wird.
Wir Sozialdemokraten sehen keine Veranlassung, den
Kündigungsschutz und das darin enthaltene Befristungsrecht gegen den Willen der Sozialpartner in Deutschland
zu ändern. Eine erneute Debatte über Änderungen im
Kündigungsschutzgesetz und im Befristungsrecht würde
die Wirtschaft, aber auch die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer verunsichern und den beginnenden Aufschwung am Arbeitsmarkt negativ beeinflussen. Wir haben in Deutschland einen Kündigungsschutz, der sich in
der Vergangenheit bewährt hat, und dieses soll auch zukünftig so bleiben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/1443 und 16/2080 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Es folgen nun eine ganze Reihe Abstimmungen.
Ich rufe zunächst die Tagesordnungspunkte 35 a bis
35 o sowie Zusatzpunkt 2 auf:
35 a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der
Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft
- Drucksache 16/513 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur
Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 16/2703 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1})
Rechtsausschuss
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung kraftfahrzeugsteuerlicher und autobahnmautrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 16/2718 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({2})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 1. Juni 2006 zur Änderung des am
29. August 1989 unterzeichneten Abkommens
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und den Vereinigten Staaten von Amerika zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur
Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem
Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen und einiger anderer Steuern
- Drucksache 16/2708 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({3})
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 30. September 2005 zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und der Re-
publik Belarus zur Vermeidung der Doppelbe-
steuerung auf dem Gebiet der Steuern vom
Einkommen und vom Vermögen
- Drucksache 16/2705 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 1. Dezember 2005 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Kirgisi-
schen Republik zur Vermeidung der Doppel-
besteuerung und zur Verhinderung von Steu-
erhinterziehungen auf dem Gebiet der Steuern
vom Einkommen und vom Vermögen
- Drucksache 16/2706 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 3. Mai 2006 zwischen der Bun-
desrepublik Deutschland und der Republik
Slowenien zur Vermeidung der Doppelbe-
steuerung auf dem Gebiet der Steuern vom
Einkommen und vom Vermögen
- Drucksache 16/2707 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Aufbauhilfefondsgesetzes
- Drucksache 16/2704 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({4})
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Sevim Dagdelen, Kersten Naumann,
Petra Pau und der Fraktion der LINKEN
Für die unbeschränkte Geltung der Menschenrechte in Deutschland
- Drucksache 16/1202 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({5})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
j) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, Horst
Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Europäische Bodenschutzstrategie durch eine
sachgerechte Klärschlammverwertung unterstützen
- Drucksache 16/1679 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
k) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Christel Happach-Kasan, Michael Kauch,
Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Biologische Kohlenstoffsenken für den Klimaschutz nutzen
- Drucksache 16/2088 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({7})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Patrick
Döring, Horst Friedrich ({8}), HansMichael Goldmann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Schienenanbindung des Jade-Weser-Port sicherstellen
- Drucksache 16/2091 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({9})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Patrick
Döring, Horst Friedrich ({10}), HansMichael Goldmann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Modellversuch für Wassertaxen in Berlin starten
- Drucksache 16/2519 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({11})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Tourismus
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
n) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Wieland, Volker Beck ({12}), Silke
Stokar von Neuforn, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Bessere Evaluierung der Anti-Terror-Gesetze
- Drucksache 16/2072 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({13})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
o) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Max
Stadler, Gisela Piltz, Ernst Burgbacher, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Evaluierung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes präziser gestalten
- Drucksache 16/2671 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({14})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Miriam
Gruß, Gisela Piltz, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Konkretes und tragfähiges Konzept zur Bekämpfung von Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus vorlegen und zeitnah umsetzen
- Drucksache 16/2779 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 t sowie
Zusatzpunkt 3 auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 36 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der personellen Struktur beim Bundeseisenbahnvermögen und in den Unternehmen der Deutschen Bundespost
- Drucksachen 16/1938, 16/2476 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({15})
- Drucksache 16/2789 Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Fricke
Bettina Hagedorn
Roland Claus
Anja Hajduk
Der Haushaltsausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen
die Stimmen der anderen Fraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Der Gesetzentwurf ist mit den
gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 b:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
12. August 2004 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Ghana zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur
Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem
Gebiet der Steuern vom Einkommen, vom
Vermögen und vom Veräußerungsgewinn
- Drucksache 16/2254 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({16})
- Drucksache 16/2759 Berichterstattung:
Abgeordneter Manfred Kolbe
Der Finanzausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit
den Stimmen des Hauses bei einer gewissen Unklarheit
bei der FDP angenommen.
({17})
Zur Erläuterung: Es gibt nur eine zweite Lesung, da es
ein Vertragsgesetz ist.
Tagesordnungspunkt 36 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Abkommen vom 26. Oktober 2004
zwischen der Europäischen Union, der
Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des
Schengen-Besitzstands
- Drucksache 16/2255 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({18})
- Drucksache 16/2775 Berichterstattung:
Abgeordnete Ralf Göbel
Martin Gerster
Gisela Piltz
Ulla Jelpke
Silke Stokar von Neuforn
Der Innenausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hauses gegen
die Stimmen der Linksfraktion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit wie zuvor angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({19}) zu der
- Verordnung der Bundesregierung
Fünfundsiebzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
- Verordnung der Bundesregierung
Einhundertfünfte Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste
- Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 16/1788, 16/1941 Nr. 2.1, 16/2459,
16/2548 Nr. 2.3, 16/2737 Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz
Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung der Verordnung der Bundesregierung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung auf Drucksache 16/1788 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU,
SPD und FDP bei Enthaltung der Linksfraktion und gegen die Stimmen der Grünen angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss, die Aufhebung
der Verordnung der Bundesregierung zur Änderung der
Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung - auf Drucksache 16/2459 ebenfalls nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses bei
Enthaltung der Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 e:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({20}) zu der
Verordnung der Bundesregierung
Verordnung über Stoffe, die die Ozonschicht
schädigen ({21})
- Drucksachen 16/2209, 16/2548 Nr. 2.1, 16/2654 Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung ({22})
Heinz Schmitt ({23})
Eva Bulling-Schröter
Sylvia Kotting-Uhl
Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf
Drucksache 16/2209 zuzustimmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von
CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Grünen und bei Enthaltung der Linksfraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 f:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({24}) zu der
Verordnung der Bundesregierung
Erste Verordnung zur Änderung der Zweiundzwanzigsten Verordnung zur Durchführung des
Bundes-Immissionsschutzgesetzes ({25})
- Drucksachen 16/2212, 16/2548 Nr. 2.2, 16/2655 Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung ({26})
Detlef Müller ({27})
Angelika Brunkhorst
Sylvia Kotting-Uhl
Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf
Drucksache 16/2212 zuzustimmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der Linksfraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 g:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({28}) zu dem
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, HansJosef Fell, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Verbrennung von Halmgut als Biobrennstoff
in Kleinfeuerungsanlagen neu regeln
- Drucksachen 16/1149, 16/2564 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth
Marko Mühlstein
Angelika Brunkhorst
Hans-Josef Fell
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/1149 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von
CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Linksfraktion und der Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 h:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({29}) zu der Unterrichtung
durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die
strukturelle Unternehmensstatistik
KOM ({30}) 66 endg.; Ratsdok. 6715/06
- Drucksachen 16/1101 Nr. 2.5, 16/2575 Berichterstattung:
Abgeordneter Christian Lange ({31})
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, die Unterrichtung zur Kenntnis zu
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses bei unklarer
Abstimmungslage bei der Linksfraktion angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 i:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({32}) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur
Änderung der Verordnung ({33}) Nr. 2201/2003
im Hinblick auf die Zuständigkeit in Ehesachen und zur Einführung von Vorschriften
betreffend das anwendbare Recht in diesem
Bereich ({34})
KOM ({35}) 399 endg.; Ratsdok. 11818/06
- Drucksachen 16/2555 Nr. 2.115, 16/2784 Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Dirk Manzewski
Christine Lambrecht
Sevim Dagdelen
Der Ausschuss empfiehlt, festzustellen, dass zu dem
Verordnungsvorschlag keine Bedenken hinsichtlich der
gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der Subsidiarität
und der Verhältnismäßigkeit bestehen und im Übrigen
der Verordnungsvorschlag einer späteren Befassung vorbehalten bleibt. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses ({36})
Übersicht 4
über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 16/2761 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 36 k bis
36 t. Es handelt sich um Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 36 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({37})
Sammelübersicht 87 zu Petitionen
- Drucksache 16/2639 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 87 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({38})
Sammelübersicht 88 zu Petitionen
- Drucksache 16/2640 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 88 ist mit den Stimmen
des Hauses bei Ablehnung der Linksfraktion angenommen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Tagesordnungspunkt 36 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({39})
Sammelübersicht 89 zu Petitionen
- Drucksache 16/2641 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 89 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 n:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({40})
Sammelübersicht 90 zu Petitionen
- Drucksache 16/2642 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 90 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 o:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({41})
Sammelübersicht 91 zu Petitionen
- Drucksache 16/2643 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 91 ist mit den Stimmen
des Hauses bei Ablehnung der Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 p:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({42})
Sammelübersicht 93 zu Petitionen
- Drucksache 16/2644 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 93 ist mit den Stimmen
des Hauses bei Ablehnung der FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 q:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({43})
Sammelübersicht 94 zu Petitionen
- Drucksache 16/2645 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 94 ist mit den Stimmen
von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen von
Linksfraktion und Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 r:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({44})
Sammelübersicht 95 zu Petitionen
- Drucksache 16/2646 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 95 auf Drucksache 16/2646
ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von FDP und
Linksfraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 s:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({45})
Sammelübersicht 96 zu Petitionen
- Drucksache 16/2647 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 96 ist mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der drei anderen Fraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 t:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({46})
Sammelübersicht 97 zu Petitionen
- Drucksache 16/2648 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 97 ist mit den Stimmen
von CDU/CSU, SPD und FDP bei Ablehnung durch die
Linksfraktion und bei Enthaltung durch die Grünen angenommen.
Zusatzpunkt 3:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Das Jahr 2008 zum „Internationalen Jahr der
sanitären Grundversorgung“ der Vereinten
Nationen ausrufen
- Drucksache 16/2758 Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 4 auf:
Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Korruptionsverdacht bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und die Rolle der Bundesregierung in diesem Zusammenhang
Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin
Christine Scheel, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt,
weil es vom BMF unterschiedliche und widersprüchliche Aussagen zu den Korruptionsfällen bei der BaFin
gegeben hat und weil wir der Auffassung sind, dass es
uns Parlamentarier und Parlamentarierinnen umtreiben
muss, wenn es in Behörden, die für den Finanzplatz
Deutschland äußerst wichtig sind, zu solchen Vorfällen
kommt.
({0})
Es geht nicht nur um die Frage: Was ist in der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht passiert?
Vielmehr geht es in diesem Zusammenhang immer auch
um die Frage: Wie steht es um die Reputation Deutschlands in der Welt? Denn Korruption ist ein Krebsgeschwür, das wir mit allen Mitteln bekämpfen müssen
und dem wir alle unsere größte Aufmerksamkeit und
Wachsamkeit schenken müssen.
({1})
Vertrauen kann nur durch völlige Transparenz und
Klarheit zurückgewonnen werden. Gerade deshalb haben wir uns sehr gewundert, dass die Spitze des BMF
noch in der letzten Woche in der Sitzung des Finanzausschusses behauptet hat, vom Bericht des Prüfungsamtes
des Bundes vom März 2004 keine Kenntnis gehabt zu
haben.
({2})
Dabei ist es doch nahe liegend, dass man Kenntnis von
diesem Bericht hatte. Denn nach eigenen Angaben hat
das BMF sowohl die Fach- als auch die Rechtsaufsicht.
({3})
Korruption in einer nachgelagerten Behörde ist nun einmal keine Lappalie.
({4})
Die BaFin ist als Finanzdienstleistungsaufsichtsbehörde gegenüber allen Banken, Versicherungen und
Finanzdienstleistern verantwortlich tätig. Wenn in ihrem
eigenen Hause über Jahre hinweg aufgrund mangelhafter
interner Finanzkontrollen Korruptionsfälle möglich waren, dann hat diese Finanzaufsichtsbehörde ein erhebliches Glaubwürdigkeitsproblem.
Bereits im März dieses Jahres hat das Prüfungsamt im
internen Controlling erhebliche Schwachstellen erkannt.
Es hat festgestellt, dass die Auftragsvergabe der BaFin
mangelhaft kontrolliert und dass gegen vergaberechtliche Vorschriften verstoßen wurde. Daraufhin wurden
Prüfberichte der Innenrevision erarbeitet. Dann wurde
im Auftrag des BMF von Pricewaterhouse-Coopers ein
Gutachten angefertigt, in dem man im Grundsatz zu genau den gleichen Ergebnissen kam: dass die Richtlinie
der Bundesregierung zur Korruptionsbekämpfung nicht
rechtzeitig umgesetzt worden ist und die Behördenleitung die Verwaltung nicht ausreichend kontrolliert hat.
In der gestrigen Sitzung des Finanzausschusses
konnte vonseiten des BMF immer noch nicht gesagt
werden, ob und, wenn ja, wann die Antikorruptionsrichtlinie in der BaFin umgesetzt wurde. Wir finden, so nachlässig darf man mit einem solch wichtigen Thema wie
der Korruptionsbekämpfung nicht umgehen.
({5})
Als Parlamentarier und Parlamentarierinnen müssen
wir uns schon fragen, warum das Prüfungsamt des Bundes vor zwei Jahren überhaupt einen Bericht angefertigt
hat. Er führte anscheinend zu keinerlei Konsequenzen.
Dabei hätten alle Alarmglocken schrillen müssen. Die
Lebensrealität zeigt doch: Wo Rauch ist, ist in der Regel
auch Feuer. Wie konnte es sein, dass ein Brand zwei
Jahre schwelt, ohne dass er entdeckt wird? Hier muss es
eine Verantwortungslücke geben, die die mehrjährige
Korruption überhaupt erst möglich machte. Hierfür ist
nicht nur der Chef der BaFin verantwortlich, sondern
auch das BMF hat eine gewisse Verantwortung dafür,
dass solche Korruptionsfälle nicht auftreten.
Wenn der jetzt angeklagte BaFin-Mitarbeiter sagt, es
wurde ihm leicht gemacht, ein Doppelleben in Saus und
Braus zu führen, fällt ein dunkler Schatten auf die Führung der Finanzaufsichtsbehörde. Auch die Innenrevision hat die verschiedenen Kontrollsysteme als entwicklungsbedürftig bezeichnet. Sie hat moniert, dass die
Vorgaben noch nicht umgesetzt worden seien. Das muss
ja wohl schon eine ganze Weile so gewesen sein. Deswegen muss man klar sagen: Wer andere kontrollieren
muss, sollte wenigstens sein eigenes Haus bestellen können. Der Korruptionsbekämpfung muss der Stellenwert
beigemessen werden, der ihr gebührt, um zukünftige
Brände von vornherein auszuschließen.
({6})
Es geht nicht, dass die Führung des BMF erklärt:
Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts.
({7})
Ich kann nur an die Leitung des BMF appellieren: Klären Sie lückenlos auf, verschweigen Sie und beschönigen Sie vor allem nichts und tun Sie alles in Ihrer Macht
Stehende, um solche Vorfälle in Zukunft zu verhindern!
Danke schön.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Otto Bernhardt von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die kriminellen Machenschaften in dieser Bundesbehörde sind ein schlimmer Vorgang; darin stimmen
alle überein, die sich mit diesem Vorfall beschäftigen,
Frau Kollegin Scheel. Die Frage, ob es gut ist, sich mit
einem so komplizierten Vorgang in einer Aktuellen
Stunde zu beschäftigen, wo man sich nur fünfminuten5196
weise damit auseinander setzen kann, kann ich nicht beantworten. Wir haben uns gestern im Finanzausschuss
ausführlich damit beschäftigt. Das ist der richtige Ort für
die Erörterung dieses Vorgangs. Dort kann man die einzelnen Argumente besser würdigen.
({0})
Jeder, der schon einmal eine größere Behörde oder
Firma geleitet hat, wird mir zustimmen, wenn ich sage:
Es gibt leider kriminelle Energien Einzelner. Die bekommen Sie durch das beste System nicht in den Griff; wir
lesen darüber jeden Tag etwas in den Zeitungen. Dennoch: An eine Behörde, die das Finanzwesen beaufsichtigt, legen wir natürlich besonders strenge Maßstäbe an.
Nun müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass noch eine
Reihe von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen laufen. Von daher ist keiner heute in der Lage, den Vorgang
abschließend zu beurteilen. Das war der Grund, warum
der Verwaltungsrat sich nicht in der Lage sah, zu einer
Entlastung zu kommen. Es liegt nichts vor, was einer
Entlastung im Wege stehen würde - das sage ich sehr
deutlich -, aber es laufen noch fünf Verfahren und es
können neue Aspekte hinzukommen.
Im Interesse des Finanzplatzes Deutschland können
wir alle nur daran interessiert sein, dass die Vorgänge
umfassend und möglichst schnell aufgeklärt werden.
Denn natürlich nehmen durch diese Diskussion der
Finanzplatz Deutschland, die Behörde und auch ihr Präsident Schaden; das können wir gar nicht verhindern.
Andererseits wissen wir, dass die Finanzaufsicht in
Deutschland international einen guten Ruf hat; auch das
muss man in dieser Diskussion sagen. Es gibt eigentlich
niemanden, der hier irgendwelche fachlich-kritischen
Fragen stellt. Im Gegenteil, die Diskussion vor Ort läuft
ganz anders. Da heißt es eher, dass die Aufsicht ein bisschen zu viel arbeiten würde, wie so manche kleine Sparkasse oder Volksbank berichtet. Auch Sie werden davon
gehört haben.
Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf geeinigt,
generell über die Arbeit der BaFin zu sprechen, unabhängig von diesen unangenehmen Vorfällen. Im Moment
wird eine große Befragung durchgeführt, an der sich
nach meinen Informationen zwei Drittel der Kreditinstitute beteiligen. Wir werden uns mit dem entsprechenden
Bericht, sobald er vorliegt, sicherlich ausführlich beschäftigen.
Hier wurden drei Institutionen zu einer zusammengelegt. Mit 1 000 Mitarbeitern fing das Ganze an, inzwischen sind es 1 500. Wir haben der Behörde auch immer
neue Aufgaben übertragen, sodass es sicherlich Zeit ist,
sich mit dem Problem generell zu beschäftigen. Ich finde
es auch gut, dass wir in dieser großen Behörde inzwischen einen besonderen Ausschuss eingerichtet haben,
nämlich einen Haushalts- und Kontrollausschuss, damit
sich einige wenige intensiver damit beschäftigen können. Auch dies ist sicher ein richtiger Schritt.
Wir alle sind gut beraten - jeder Einzelne muss sich
daran messen lassen -, alles zu unterlassen, was dieser
Behörde Schaden in der Öffentlichkeit zufügt. Wir haben in Deutschland eine hervorragende Finanzaufsicht.
Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern haben wir
keine Probleme - von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen - mit Banken, Versicherungen usw. Das ist sicher
ein Erfolg unserer guten Aufsicht. Wir müssen jetzt aufpassen, dass wir nicht deshalb, weil einige wenige - drei
oder vier, vielleicht sind es auch nur zwei; von einem
wissen wir es schon - kriminelle Handlungen begangen
haben, nach außen den Eindruck erwecken, in der Behörde gehe alles drunter und drüber. Das stimmt nicht.
({1})
Insofern hoffe ich, dass uns in Kürze die abschließenden Berichte vorliegen, dass wir dann zu den notwendigen Entscheidungen kommen und dass wir gemeinsam
dafür sorgen, dass wir in Deutschland eine gute Finanzdienstleistungsaufsicht behalten.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing
von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben in den letzten Wochen immer wieder den Satz gehört, dass Herr Sanio ein hervorragender Kapitalmarktexperte mit einer hervorragenden Fachkompetenz ist.
Niemand stellt die fachlichen Qualifikationen von Herrn
Sanio infrage, am allerwenigsten die FDP.
({0})
In dieser Affäre aber geht es um etwas ganz anderes.
Hier geht es um die Frage, wie glaubwürdig der oberste
Bankenkontrolleur sein kann, wenn er seine eigene Behörde nicht unter Kontrolle hat.
({1})
Bei dieser Frage geht es auch nicht nur um Rücktritt
oder kein Rücktritt von irgendwelchen Personen und
auch nicht in erster Linie um Herrn Sanio, sondern es
geht um das Ansehen des Finanzplatzes Deutschland.
Herr Kollege Bernhardt, darauf haben Sie zu Recht hingewiesen.
Das bisherige Verhalten der Bundesregierung in diesem Korruptionsskandal war allerdings alles andere als
hilfreich. Erst wurde Herr Sanio kritisiert, dann teilweise
demontiert und schließlich wieder rehabilitiert.
({2})
Ihm wurde das Vertrauen ausgesprochen, die Entlastung
wurde ihm aber verweigert. Dieses wechselhafte Verhalten ist wenig professionell, Frau Staatssekretärin
Hendricks. Mit diesem Krisenmanagement werden Sie
den Aufgaben, die Sie haben - zum Beispiel auch Schaden vom Finanzplatz Deutschland abzuwenden -, nicht
gerecht.
({3})
Dabei steht das Finanzministerium in dieser Sache
keinesfalls gut da. Es stimmt doch nachdenklich, dass
die Staatssekretärin in der letzten Woche in die Sitzung
des Finanzausschusses gekommen ist - wohl wissend,
dass über die BaFin geredet werden sollte - und einfachste Fragen nicht beantworten konnte.
({4})
Frau Hendricks konnte weder sagen, wann sie das erste
Mal von den Vorgängen erfahren hat, noch wusste sie,
ob das Ministerium überhaupt darüber informiert worden ist. Das Bundesfinanzministerium brauchte sage und
schreibe eine Woche, um sich zu erinnern, dass es bereits
2004 von dem Gutachten des Prüfungsamtes in Koblenz
erfahren hat, in dem das mangelhafte Vertrags- und Vergabemanagement der BaFin kritisiert wurde.
({5})
Frau Staatssekretärin Hendricks, selbst damit sind Sie
erst herausgerückt, nachdem die Presse darüber berichtet
hatte.
In dieser Woche haben Sie uns erklärt, dass der zuständige Referatsleiter versetzt und auch ein Personalwechsel in der Unterabteilung vollzogen wurde, was Sie
dem Parlament wiederum nur auf wiederholtes Nachfragen mitgeteilt haben. Dann erklärten Sie uns noch, dass
das selbstverständlich nicht das Geringste mit den Vorfällen in der BaFin zu tun habe.
({6})
Es kommt noch toller. Frau Staatssekretärin
Hendricks hat uns auch noch versichert, es sei absolut in
Ordnung, dass der Bericht des Prüfungsamtes in Koblenz aus dem Jahre 2004 den Schreibtisch des zuständigen Referatsleiters nicht verlassen habe. Es gab keine
Information des Unterabteilungsleiters und keine Information der Hausspitze. Wozu auch?
({7})
Es geht ja offensichtlich nur um kleine Unregelmäßigkeiten. Was ist das schon? Einen Korruptionsverdacht
bei der nationalen Bankenaufsicht erledigt man in Ihrem
Hause offensichtlich auf Beamtenebene. Warum sollte
man damit auch die Politik belästigen?
Dass bei der Organisation der BaFin einiges nicht in
Ordnung war, steht außer Frage. Aber inzwischen vermittelt auch der Finanzminister den Eindruck, dass die
Dinge in seinem Haus ganz schön durcheinander geraten
sind, und zwar just in der für die BaFin zuständigen Abteilung.
Was in dieser Angelegenheit besonders bedauerlich
ist: Die Leitungsebene des Bundesministeriums der Finanzen will offenbar nichts davon wissen, wenn Prüfungsbehörden des Bundes Unregelmäßigkeiten bei der
BaFin feststellen. Sie wollen keine Kontrolle, weil Sie
sonst die Verantwortung übernehmen müssten. Aber wir
werden Sie aus dieser Verantwortung nicht entlassen.
({8})
Sie legen hier ein Desinteresse an den Tag, das ich erstaunlich finde.
({9})
Entschuldigen Sie, Herr Kollege Wissing. Herr Kollege Pronold, Sie haben nachher das Wort. Dann können
Sie Ihre Argumente vortragen. - Bitte schön.
({0})
Ich danke Ihnen, Herr Präsident.
Wenn Untersuchungsberichte des Bundesrechnungshofs zu einer Angelegenheit der Arbeitsebene gemacht
werden - das haben Sie, Frau Hendricks, mit Ihrer Erklärung gemacht -, dann ist das schon ein gefährliches Indiz dafür, dass die politische Kontrolle der Verwaltung
nur noch eingeschränkt stattfindet. Rechnungshofberichte sind nicht irgendwelche Berichte. Sie sollen letztlich verhindern, dass das Geld der Bürgerinnen und Bürger verschwendet wird. Das kann man, Frau
Staatssekretärin Hendricks, nicht zur Angelegenheit der
Arbeitsebene erklären.
({0})
Sie machen das frei nach dem Motto: Die Steuererhöhungen sind Chefsache und um die Ausgabenkontrolle
kümmert sich die Beamtenebene. Das darf es nicht geben, schon gar nicht wenn es um Kritik an der Finanzaufsicht geht. Die Aufsicht der Bundesregierung kann
nicht darin bestehen, dass sie ihre Beamten beauftragt,
Warnhinweise einfach abzuheften, ohne die politische
Führung einzubinden.
Es ist bedauerlich, dass wir uns heute mit diesem
Thema erneut auseinander setzen müssen. Ich bin mir
durchaus im Klaren, dass diese Debatte dem Ansehen
des Finanzplatzes Deutschland nicht förderlich ist. Aber
die Verantwortung dafür, dass wir heute diese Aktuelle
Stunde durchführen müssen, trägt nicht die Opposition.
Die Verantwortung liegt beim Finanzministerium, das
sich an der Aufklärung dieser Affäre bisher nicht gerade
durch aktive Unterstützung ausgezeichnet hat.
({1})
Für die Bundesregierung spricht jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wo Rauch ist, ist auch Feuer, so hat eben Frau
Kollegin Scheel gesagt. Nach dem Motto „Es bleibt immer etwas hängen“ verfahren in dieser Debatte bisher
Frau Kollegin Scheel und Herr Kollege Wissing, und
zwar wider besseres Wissen.
({0})
Wir haben gestern und auch in der vergangenen Woche im Finanzausschuss über diese Angelegenheit sehr
ausführlich debattiert. Ich hatte Sie, Herr Kollege
Wissing, eindringlich darum gebeten, Ihre Falschaussage, die Sie heute wissentlich vor dem Plenum gemacht
haben, nicht zu wiederholen; denn ich habe Sie gestern
darauf hingewiesen, dass die Versetzung der beiden Beamten, die Sie ansprechen, nun wirklich gar nichts mit
dem Thema zu tun hat, weil nämlich beide Beamte in
dem fraglichen Zeitraum 2004 überhaupt nicht zuständig
waren.
Beide waren damals nicht in der entsprechenden
Funktion. Mit Bezug auf das, was Sie vortragen, kann es
überhaupt keinen Anlass geben, die Beamten jetzt zu
versetzen, wenn sie damals für ganz andere Tätigkeitsfelder verantwortlich waren. Der eine war zu der Zeit in
der Haushaltsabteilung und der andere war im Auftrag
des Bundesministeriums der Finanzen im außereuropäischen Ausland tätig. Das habe ich Ihnen gestern erläutert. Dadurch, dass Sie das heute wider besseres Wissen
wiederholen, missachten Sie die Fürsorgepflicht gegenüber Beamten, die auch Sie als Bundestagsabgeordneter
haben.
({1})
Ich nehme im Übrigen zu dem Thema der aufgedeckten Veruntreuung bei der BaFin und den damit zusammenhängenden Fragen, soweit sie das Bundesministerium der Finanzen betreffen könnten, Stellung. Ich will
dabei auf drei Punkte eingehen. Erstens: die Mitteilung
des Prüfungsamtes des Bundes Koblenz über die Prüfung der Auftragsvergaben der BaFin vom 10. März
2004. In diesem Zusammenhang werfen Sie uns Versäumnisse vor. Dies ist aber kein Korruptionsfall, um das
ganz deutlich zu sagen. Zweitens: die Mitteilung des
Bundesrechnungshofes über die Prüfung der Jahresabschlussunterlagen 2003 der BaFin vom 4. Mai 2005.
Drittens: die Korruptionsrichtlinie, zu der ich gestern in
der Tat noch keine abschließende Auskunft geben
konnte. Sie werden sich vorstellen können, dass ein Ministerium über einen großen Aktenbestand verfügt.
Im Folgenden stelle ich den Ablauf der Bearbeitung
zu den beiden genannten Prüfungsmitteilungen dar, wie
er aus den im Bundesministerium der Finanzen vorliegenden Unterlagen ersichtlich ist.
Erstens: Mitteilung des Prüfungsamtes Koblenz aus
2004 zur Prüfung der Auftragsvergaben. Das Prüfungsamt Koblenz hat der BaFin und dem Bundesministerium
der Finanzen mit Schreiben vom 7. Juli 2003 die Prüfung der Auftragsvergaben der BaFin angekündigt. Am
10. März 2004 übersandte das Prüfungsamt Koblenz die
Mitteilung über die Prüfung der Auftragsvergaben der
BaFin an die BaFin. Das Prüfungsamt bat die BaFin, innerhalb von drei Monaten zu den Prüfungsfeststellungen
Stellung zu nehmen. Zeitgleich wurde dem BMF der
Abdruck der Prüfungsmitteilung mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Eingang des Schreibens wurde
am 17. März 2004 im Referat Z A 3 registriert. Das Referat Z A 3 in unserer Zentralabteilung ist im BMF die
zentrale Eingangsstelle für Prüfberichte des Bundesrechnungshofes.
Von dort wurde die Prüfungsmitteilung am
25. März 2004 an das für die Rechts- und Fachaufsicht
über die BaFin zuständige Referat VII B 1 ({2}) - weil es
in der Zwischenzeit eine Umstrukturierung gegeben hat,
die aber nicht aus aktuellem Anlass erfolgt ist, sondern
ohnehin erfolgen sollte, um das deutlich zu machen mit der Bitte um Kenntnisnahme weitergeleitet. Dies ist
der übliche Kommunikationsweg zwischen Referaten
ohne Hierarchieeinbindung.
Im Referat VII B 1 ({3}) wurde der Eingang am
26. März 2004 vom damaligen Referatsleiter mit der
Fragestellung abgezeichnet, ob die Prüfungsmitteilung
in der Sitzung des Verwaltungsrates der BaFin am
18. Mai 2004 behandelt werden sollte. Auf der Tagesordnung dieser Verwaltungsratssitzung war der Punkt
„Berichte des Bundesrechnungshofs“ allgemein vorgesehen. Dem Wortprotokoll und der Niederschrift zur betreffenden Verwaltungsratssitzung ist zu entnehmen,
dass die Mitteilung des Prüfungsamtes Koblenz in der
Sitzung am 18. Mai 2004 nicht angesprochen wurde. Allerdings hatte, wie sich aus einer Anlage zum am
4. Mai 2006 in Auftrag gegebenen Bericht von Pricewaterhouse-Coopers ergibt, die Innenrevision der BaFin für
das Büro der Leitung der BaFin eine Hintergrundinformation mit einem Vorschlag für den Sprechbeitrag zur
Sitzung des Verwaltungsrats am 18. Mai 2004 gefertigt.
Das heißt, die BaFin war auf diesen Tagesordnungspunkt vorbereitet. Er wurde aber nicht abgehandelt.
Soweit aus den Akten ersichtlich, wurde die Prüfungsmitteilung des Prüfungsamtes Koblenz auch nicht
in der Verwaltungsratssitzung verteilt. Es bestand zu der
Zeit Unklarheit, ob der Bundesrechnungshof durch die
Satzung verpflichtet werden kann, seine Berichte dem
Verwaltungsrat zur Verfügung zu stellen. Der Bundesrechnungshof vertrat die Auffassung, dass keine gesetzlichen Verpflichtungen bestünden, dem Verwaltungsrat
zuzuarbeiten; er könne auch nicht durch die Satzung
dazu verpflichtet werden.
Die Lösung bestand in einer Änderung der Satzung
von 2004. Zu diesem Zeitpunkt bestanden unterschiedliche Rechtsauffassungen, die durch die Satzung einerseits
und die Bundeshaushaltsordnung andererseits ausgedrückt wurden. Deshalb musste die Satzung 2004 geändert werden, um sie mit der Bundeshaushaltsordnung in
Einklang zu bringen.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Stellungnahmefrist für den Präsidenten noch nicht abgelaufen war und der Präsident - wie sich später herausstellte - die Absicht hatte, den Empfehlungen des Bundesrechnungshofes zu dessen Zufriedenheit zu entsprechen.
Mit Schreiben vom 28. Oktober 2004 teilte der Bundesrechnungshof unter Bezugnahme auf die mit Schreiben
des BaFin-Präsidenten vom 7. Juni 2004 beschriebenen
Maßnahmen den Abschluss des Prüfverfahrens mit.
Den gesamten Vorgang „Prüfungsamt Koblenz“ verfügte der damals neu für die BaFin zuständige Leiter des
Referates VII B 1 am 27. Juli 2004 zu den Akten. Am
3. August 2004 - nach Ablauf der vom Prüfungsamt der
BaFin eingeräumten dreimonatigen Frist zur Stellungnahme - bat das Referat VII B 1 die BaFin per E-Mail
um Übersendung ihrer Stellungnahme zur Prüfungsmitteilung. Daraufhin sandte die BaFin ihre gegenüber dem
Prüfungsamt abgegebene Stellungnahme des Präsidenten vom 7. Juni 2004 am 10. August 2004 an das Referat
VII B 1. Die Stellungnahme des Präsidenten schließt mit
der Feststellung, dass „damit dann alle Voraussetzungen
für eine ordnungsgemäße Durchführung der Vergabeverfahren uneingeschränkt geschaffen“ seien.
Aufgrund dieses Ergebnisses hat ein weiterer Kontakt
zwischen BMF und BaFin in dieser Sache nicht mehr
stattgefunden. Ich weise an dieser Stelle darauf hin, dass
die erwähnte Feststellung des Präsidenten auch Ausdruck seiner Gesamtverantwortung für die Organisation
seiner Behörde ist. Diese Organisationshoheit des Präsidenten ist im Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz verankert.
Wie ausgeführt, bestätigte der Bundesrechnungshof
mit Schreiben vom 28. Oktober 2004, mit dem der Abschluss des Prüfverfahrens bekannt gegeben wurde, die
Auffassung des Präsidenten.
Zu Punkt eins - Prüfungsamt Koblenz - möchte ich
abschließend hervorheben, dass in der Prüfungsmitteilung empfohlen wird, wie die Mängel abgestellt werden
können. Ein strafrechtlicher Bezug wurde vom Prüfungsamt selbst nicht hergestellt. Insofern konnte und
musste der zuständige Referatsleiter davon ausgehen,
dass es sich um einen Routinevorgang handelt, der keine
Leitungsbefassung erforderte. Es wurde ganz offenbar
auch kein Korruptionsvorwurf erhoben; denn die Prüfungsfeststellungen wurden zur Zufriedenheit des Bundesrechnungshofes im Oktober abgeschlossen. Wenn
also irgendjemand hier oder später gegenüber der Öffentlichkeit noch einmal behauptet, dass dies irgendetwas mit Korruption zu tun gehabt haben könnte, tut er
dies wider besseres Wissen und entgegen der Wahrheit.
Darauf mache ich ausdrücklich aufmerksam.
({4})
Zweitens: Mitteilung des Bundesrechnungshofs vom
4. Mai 2005 über die Prüfung der Jahresabschlussunterlagen des Jahres 2003. Mit Schreiben vom 4. Mai 2005
hat der Bundesrechnungshof dem zuständigen Referat
im Bundesministerium der Finanzen die Mitteilung über
die Prüfung der Jahresabschlussunterlagen 2003 der
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht mit der
Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Bundesrechnungshof regt darin zum Prüfungsschwerpunkt „IT-Ausgaben“ an, dass die BaFin die Entwicklung der IT-Ausgaben stärker überwacht, Abweichungsanalysen erstellt
und im Bedarfsfall die Leitung bzw. das Aufsichtsorgan
entsprechend unterrichtet.
Der zuständige Leiter des Referates VII B 1 schrieb
die Prüfungsmitteilung im Hinblick auf eine vorgesehene Befassung des Verwaltungsrates am 24. Mai 2005
zu den Akten. Es war vorgesehen, dass ein Vertreter des
Bundesrechnungshofes unter anderem zur Prüfung der
Jahresrechnung 2003 vorträgt. Da dieser Vertreter des
Bundesrechnungshofes aus terminlichen Gründen nicht
teilnehmen konnte und zudem das kontradiktorische
Verfahren noch nicht abgeschlossen war, wurde auf Vorschlag des Verwaltungsratsvorsitzenden die Aussprache
auf die Herbstsitzung 2005 vertagt.
In der Herbstsitzung am 17. November 2005 verzichtete der Verwaltungsrat auf den Vortrag zur Prüfung der
Jahresrechnung 2003. Dies ist aus Sicht des Bundesministeriums der Finanzen auch deswegen gerechtfertigt,
weil der Bundesrechnungshof zuvor, am 26. September
2005, der BaFin und zeitgleich dem Bundesministerium
der Finanzen zum Prüfungsschwerpunkt „IT-Ausgaben“
Folgendes mitgeteilt hatte - ich zitiere -:
Wir hatten festgestellt, dass die Planansätze einzelner IT-Titel stark von den Istausgaben abwichen.
Wir hatten daher angeregt, dass die BaFin die Entwicklung der Ausgaben stärker überwacht und angemessene Abweichungsanalysen erstellt.
Sie hatten erläutert, dass erst nach Aufstellung des
Haushalts 2003 die genauen IT-technischen Rahmenbedingungen des wesentlich für diese Abweichungen verantwortlichen Verfahrens KONAN bekannt wurden.
Frau Kollegin Hendricks, ich darf Sie unterbrechen.
Sie haben die nach der Geschäftsordnung zulässige Zeit
überschritten. Wenn Sie weitersprechen, kann eine Fraktion einen Antrag auf Eröffnung der Aussprache stellen.
Es liegt in Ihrer Hand, das zu entscheiden.
Das ist mir klar. Ich frage die Fraktionen, ob sie jetzt
eine vollständige Aufklärung wünschen oder nicht.
({0})
- Gut.
Dann fahren Sie bitte fort. Ihre Redezeit wird dann
von der Redezeit der Kollegen aus der SPD-Fraktion abgezogen.
Herr Präsident, ich bitte darum, vor dem Hintergrund
der Geschäftsordnung zu prüfen, ob es unterbleiben
kann, meine Redezeit von der eines Kollegen aus meiner
Fraktion abzuziehen; denn offenbar sind die Fraktionen
an einer vollständigen Aufklärung meinerseits interessiert. Zudem wurde insbesondere von den Oppositionsfraktionen bemängelt, dass es bislang keine vollständige
Unterrichtung gebe. Mir liegt also daran, eine vollständige Unterrichtung zu geben.
({0})
Frau Kollegin, diese Vollmacht habe ich nicht. Die
Geschäftsordnung und die Vereinbarung über die Redezeit sehen das vor. Ich muss die Zeit abziehen.
Ich fahre mit dem Zitat aus der Mitteilung des Bundesrechnungshofes fort:
Aufgrund der gemachten Erfahrungen wurden bereits diverse Maßnahmen ergriffen, um die Qualität
und Belastbarkeit zu optimieren.
Zusammenfassend stellt der Bundesrechnungshof fest:
Wir befürworten, dass Sie bereits erste Maßnahmen
umgesetzt haben und auf die weitere Umsetzung
noch offener Punkte achten wollen. Der Bundesrechnungshof wird sich über die noch offenen
Punkte bzw. über die Wirksamkeit bereits umgesetzter Maßnahmen in späteren Prüfungen informieren.
Im Übrigen kann ich darauf hinweisen, dass auch
Kollegin Christine Scheel dem Verwaltungsrat der BaFin
für den Zeitraum Juli 2002 bis 31. Dezember 2003 angehörte. Wie ausgeführt, befasste sich die Prüfungsmitteilung des Bundesrechnungshofes auch mit den IT-Ausgaben. Das IT-Rahmenkonzept ist Teil der ergänzenden
Unterlagen für jede Haushaltsplanung, zusammen mit
Erläuterungen zum Haushaltsplan selbst und Erläuterungen zum Personalhaushalt für das jeweilige Kalenderjahr. Der Entwurf des Haushaltsplans mit umfangreichen
Angaben zum IT-Haushalt ging und geht jedem Verwaltungsratsmitglied und stellvertretenden Mitglied rechtzeitig vor der Herbstsitzung als Unterlage zur Sitzungsvorbereitung zu. Der Verwaltungsrat ist nach § 4 Abs. 1
Nr. 1 der Satzung zur Feststellung des Haushaltsplans
berufen. Mir ist nicht bekannt, dass Kollegin Christine
Scheel in ihrer Funktion als Verwaltungsratsmitglied den
IT-Rahmenplan kritisch hinterfragt hätte.
({0})
Zu drittens, Korruptionsrichtlinie. Die Richtlinie vom
7. Juli 2004, die nach wie vor gültig ist, wurde mit
Schreiben vom 30. August 2004 von dem in der Zentralabteilung im Bundesministerium der Finanzen zuständigen Referat Z A 7 an alle Abteilungen des BMF zur
Kenntnisnahme und gegebenenfalls zur Bekanntgabe im
Geschäftsbereich des BMF gesandt. Die Kopie des daraufhin in das damals für die Rechts- und Fachaufsicht
zuständige Referat gelangten Schreibens hat der damalige Referatsleiter zu den Akten verfügt. Eine darüber hinausgehende Bearbeitung ergibt sich aus diesem Schriftstück nicht. In der BaFin wurde die Richtlinie spätestens
am 14. Oktober 2004 durch Information der Ansprechpartner für die Korruptionsbekämpfung bekannt gemacht.
So viel zu den bisher offenen Punkten. Ich gehe davon
aus, dass damit alle Fragen beantwortet sind, die möglicherweise gestern in der Finanzausschusssitzung noch
offen geblieben sein könnten, auf die man sich im Zweifelsfall aber natürlich nicht vollständig und umfassend
vorbereiten kann, weil man nicht auf jede Idee kommen
kann, die ein Kollege haben könnte. Insofern bitte ich,
mir das nicht als Versäumnis vorzuhalten. Antworten auf
Fragen, die ich in einer Sitzung nicht beantworten kann,
weil zu ihrer Beantwortung die Akten benötigt werden,
werden entweder schriftlich oder mündlich in der nächsten Sitzung nachgetragen. Dies ist Übung und das werden wir auch in diesem Verfahren so halten. Ich bitte,
dies nicht als Missachtung des Parlamentes zu betrachten.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Axel Troost von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Betrug
muss bekämpft werden, Vetternwirtschaft muss bekämpft werden, völlig klar. Wenn es Betrug, Vetternwirtschaft oder gar Fälle von Bestechung gab, müssen die
Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.
Das ist genauso selbstverständlich. Wenn die Bundesregierung Kenntnis von solchen Machenschaften bei der
BaFin hatte und nicht angemessen gehandelt hat, dann
müssen - das ist auch klar - auch die dortigen Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Der Verwaltungsrat der BaFin muss sich fragen, was vielleicht
in seiner eigenen Arbeit zu verbessern ist. Das werden
alle Mitglieder dieses Hauses unterschreiben. Das ist, so
meine ich zumindest, völlig selbstverständlich.
Über Selbstverständliches zu reden, ist aber etwas
langweilig. Daher lassen Sie mich zu einem Punkt kommen, der für mich nicht so selbstverständlich ist. Ich
werde den Verdacht nicht los, dass einige die Unregelmäßigkeiten in der BaFin nutzen, um eigene Ziele zu
verfolgen, Ziele, die deutlich weiter gehen, als bloß die
aktuellen Betrugsfälle aufzugreifen.
({0})
Ich will ganz konkret werden. Es tobt eine Diskussion
darüber, ob Teile der Finanzaufsicht nicht besser der
Bundesbank zuzuordnen sind. In einer Umfrage haben
die Banken erst kürzlich mehrheitlich gesagt, und zwar
völlig unabhängig von den aktuellen Betrugsfällen: Wir,
die Banken, wollen lieber, dass die Bundesbank AufgaDr. Axel Troost
ben der BaFin übernimmt. - Ich aber sage: Die Bundesbank ist eine undemokratische Behörde. Die Banken
wollen, dass diese undemokratische Behörde mehr Kontrollaufgaben bekommt. Das will ich nicht.
({1})
Ich will, dass wir als Parlament, dass wir als Volksvertreter wenigstens einen minimalen Einfluss auf die Institution ausüben können, die die Finanzmärkte der größten
Volkswirtschaft Europas kontrolliert.
({2})
Die BaFin untersteht der Fachaufsicht durch das
BMF. Natürlich, die aktuellen Fälle zeigen: Es gibt da
möglicherweise Probleme. Vieles muss verbessert werden. Es gibt aber zum Beispiel auch die Möglichkeit,
Herrn Sanio durch den Verwaltungsrat nicht zu entlasten. Obwohl das zunächst einmal streng juristisch genommen ohne weitere Konsequenzen bliebe, ist das wenigstens eine kleine demokratische Einflussmöglichkeit,
und das ist besser als gar nichts.
Die Bundesbank ist dagegen nach einer vollkommen
anderen Philosophie aufgebaut. Sie ist für uns das Musterbeispiel einer Expertokratie. Sie ist das Musterbeispiel einer Behörde, die sich die Aura des - ich sage das
ganz bewusst - scheinbar neutralen Expertentums gibt.
Sie ist das Musterbeispiel einer Behörde, die sogar stolz
darauf ist, dass sie gegen Einflüsse aus der Politik völlig
immun ist.
Wir sagen dagegen: Die Finanzaufsicht muss nicht
nur effizient und kostengünstig sein. Sie muss nicht nur
transparent und ohne Mauscheleien arbeiten. Sie muss
- das ist uns wichtig - auch demokratisch kontrollierbar
sein.
({3})
Wir brauchen eine transparente und demokratisch kontrollierte Finanzaufsicht.
Ich will ergänzen: Wir brauchen die BaFin als starke
Kontrollbehörde, die die internationalen Finanzmärkte
einigermaßen in den Griff bekommt, die die zunehmenden Risiken, Verwerfungen und Probleme auf diesen
Märkten - auch einmal durch unbequeme Regulierungsvorschläge - in den Griff zu bekommen versucht.
({4})
Gerade hier hat sich die BaFin unter Herrn Sanio verdient gemacht. Sanio war es, der öffentlich gesagt hat,
dass Hedge-Fonds die schwarzen Löcher des Weltfinanzsystems sind. Sanio ist es, der ausdrücklich weitere
weltweite Regulierungen der Hedge-Fonds fordert.
Wir brauchen also die nahtlose Aufklärung all dieser
Fälle. Es ist aber auch notwendig - das will ich zum
Schluss ansprechen -, dass der Aufsichtsrat sich auch
mit sonstigen Fällen in der BaFin beschäftigt.
({5})
- Entschuldigung, der Verwaltungsrat. - Es scheint in
der BaFin ein - ich sage es einmal ganz vorsichtig doch recht eigenartiges Klima zwischen Behördenleitung und Beschäftigten zu herrschen. Man wird aufmerksam, wenn man Vokabeln wie „Kriegserklärung“
hört, wenn der Vorwurf der Vorzugsbehandlung engerer
Mitarbeiter im Raum steht und wenn der Vizebehördenchef die Beschäftigten gar als „Nieten“ bezeichnet.
({6})
Der Verwaltungsrat hat eigentlich die Aufgabe, einmal
genauer hinzusehen und darauf hinzuarbeiten, dass es
zur vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Behördenleitung und Personalrat kommt. Das ist eine Forderung, die immerhin Gesetzesrang hat.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Georg Fahrenschon
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir erleben jetzt, was die Fraktionen der Grünen
mit der Beantragung dieser Aktuellen Stunde erreicht
hat: Mittlerweile sprechen wir über das Demokratieprinzip bei der Deutschen Bundesbank. Wenn man einmal
von der ausführlichen Darstellung der Bundesregierung
absieht - sie war notwendig und gut -, dann erkennt
man, dass diese Debatte zur Aufklärung nichts beitragen
wird.
Lieber Herr Troost, die Bundesbank ist unabhängig
und das ist gut so.
({0})
Ich glaube, die überwiegende Mehrheit der deutschen
Bevölkerung ist mit dem Wirken der Notenbanker in
Deutschland zufrieden.
({1})
Man kann und man soll an dieser Stelle nichts beschönigen. Für eine Aufsichtsbehörde und zumal für die
Bankenaufsicht gibt es wohl kaum etwas Schlimmeres
als einen Fall von Veruntreuung in Millionenhöhe im eigenen Haus. Aber man darf an dieser Stelle auch nicht
vergessen: Dieser Fall wurde aufgedeckt, und er hat sich
in der Beschaffung, nicht in der Aufsicht abgespielt.
({2})
Deshalb ist es schon verwunderlich, was die Fraktion der
Grünen auf der Basis eines typischen Mix aus pauschalen Verdächtigungen einerseits und wilden Spekulationen andererseits hier aufbereitet. Es ist auch der Situation unangemessen.
Meine sehr geehrte Kollegin Scheel, Korruption bedeutet im strafrechtlichen Sinne Bestechlichkeit. Der
Fall, mit dem wir uns beschäftigen müssen, ist Untreue.
Das hat mit Korruption im engeren Sinne nichts zu tun.
Dass die Grünen eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema
veranlassen, ist deshalb mehr als verwunderlich: Es ist
ein Stück weit unverantwortlich. Denn als Vorsitzende
des Finanzausschusses
({3})
wissen Sie sehr genau: Es gibt genügend andere Wege,
das nachvollziehbare Informationsbedürfnis der Opposition zu befriedigen.
({4})
Dass aber gerade die Fraktion, die noch bis vor einem
Jahr in der Regierungsverantwortung stand und mit Ihnen, Frau Scheel, auch noch die Vorsitzende des Finanzausschusses stellte, auf diesem Wege heute Fragen nach
der Rolle der Bundesregierung in einer Zeit stellt, in der
sie selbst in der Regierungsverantwortung war, das mutet schon mehr als seltsam an.
({5})
Eigentlich wäre es heute an uns, Ihnen Fragen zu stellen, meine Damen und Herren von der grünen Fraktion.
Wo waren denn Ihre Initiativen im Verwaltungsrat? Wo
haben Sie denn die Haushaltspläne infrage gestellt oder
hinterfragt? Wie haben Sie sich denn mit den Prüfungsmeldungen auseinander gesetzt?
Werte Kollegin Scheel, ich erspare mir hier, gerade
unter der Überschrift „Korruption“ auf Nebengeräusche
einzugehen, die es im Zusammenhang mit Ihrem Rücktritt als Verwaltungsratsmitglied der BaFin aus Ihrer eigenen Fraktion Ende des Jahres 2003 gegeben hat.
({6})
- Ich kann Ihnen zum Stichwort „Korruption“ aus der
„Süddeutschen Zeitung“ vom 2. Dezember 2003 vorlesen:
Die Grünen stören sich plötzlich an Nebentätigkeiten ihrer Finanzexpertin Christine Scheel … Beirat
Barmenia, Verwaltungsrat Deutsche Ausgleichsbank, Beirat Hamburg-Mannheimer, Aufsichtsrat
Nürnberger Krankenversicherung …
({7})
Das war Ausgangspunkt der Niederlegung Ihres Sitzes
im Verwaltungsrat der BaFin. Es hieß, das könne gegebenenfalls ein schlechtes Licht auf Ihre fachliche Arbeit
werfen.
Bei der BaFin scheint es sich um einen besonders gravierenden Fall von krimineller Energie mit immensen
Ausmaßen zu handeln. Doch das muss eigentlich nicht
unser politisches Thema sein. Unser politisches Thema
muss vielmehr sein: Was tut die BaFin jetzt, damit so etwas in Zukunft nicht wieder passieren wird? Nur dann,
wenn die BaFin in Zusammenarbeit mit dem Bundesfinanzministerium schnell und konsequent effektive Kontrollmechanismen entwickelt, die dann auch funktionieren und greifen, wird das Ansehen des Finanz- und vor
allem des Aufsichtsplatzes Deutschland gewahrt bleiben. In diesem Zusammenhang sind die Rolle und die
Zukunft einzelner Personen eigentlich von untergeordneter Bedeutung.
Ein erster wichtiger Schritt ist die Einrichtung eines
Haushaltskontroll- und Prüfungsausschusses,
({8})
wie sie auf Initiative der CDU/CSU am Dienstag in der
Sitzung des Verwaltungsrats der BaFin beschlossen
wurde.
({9})
Der zweite Schritt ist die Auswertung der Ergebnisse
des Gutachtens von Pricewaterhouse-Coopers.
Der dritte Schritt besteht darin, dass man auf der Basis dessen, was man sofort einleiten kann, ein Bündel
von Maßnahmen schnürt, die nach Auffassung der Prüfer, PwC, des Bundesrechnungshofs und der Vertreter
der Branchen, die Mitglieder des Verwaltungsbeirats
stellen, geeignet sind, die Probleme zu lösen. Das haben
wir am Dienstag bereits auf den Weg gebracht.
Zu den ergriffenen Maßnahmen zählen ein zentrales
Vertragsmanagement, neue Zeichnungsbefugnisse und
eine anders organisierte Innenrevision. Des Weiteren
sind Änderungen der Aufbau- und der Ablauforganisation vorgesehen. So werden zum Beispiel verschiedene
Zuständigkeiten in einer neuen Hauptabteilung zusammengefasst und ein integrales internes Kontrollsystem
geschaffen.
Herr Fahrenschon, kommen Sie bitte zum Schluss.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss.
Das, meine Damen und Herren von der grünen Fraktion, ist der Unterschied zwischen Ihrem Beitrag und
dem Beitrag der unionsgeführten Regierung: Wir handeln sofort und im Sinne des Finanzplatzes.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Gerhard Schick
vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte erst kurz sagen, um was es uns nicht geht. Es
geht uns nicht darum, heute die fachliche Arbeit der
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht als Finanzdienstleistungsaufsicht zu bewerten.
({0})
Das werden wir im Rahmen des Evaluierungsberichtes
tun. Ich möchte das strikt trennen. Das sind zwei Paar
Stiefel.
({1})
Uns geht es heute darum, welche Rolle die Bundesregierung
({2})
im Zusammenhang mit den Unregelmäßigkeiten bei der
BaFin gespielt hat, um nichts anderes.
({3})
Es ist die Frage gestellt worden, warum es heute eine
Aktuelle Stunde dazu gibt. Wenn ein Thema dieser Bedeutung für den Finanzplatz Deutschland in den Medien
und in allen Gesprächen in der Branche eine zentrale
Rolle spielt, dann kann es doch nicht daneben sein, es
auch im Parlament zu diskutieren. Da möchte ich ein
paar Vorwürfe ganz eindeutig zurückweisen.
({4})
- Ja, auf diesen Punkt, Herr Dautzenberg, möchte ich gerade jetzt als Zweites eingehen.
Im April 2006 sind die Korruptionsfälle aufgeflogen.
Daraufhin wurde noch einmal ein Gutachten vom BMF
in Auftrag gegeben. Etwa Mitte September ist die Sache
presseöffentlich geworden, wie auch immer das zustande
kam, über ein Mitglied des Verwaltungsrates oder jemand anderen. Wenn meine Fraktion dann am 20. September im Finanzausschuss konkrete Fragen zu diesem
Fall stellt, dann darf ich doch wohl erwarten, dass die
Antworten, die das Finanzministerium uns auf diese zentralen Fragen gibt, besser vorbereitet sind als die, die wir
bekommen haben. Es ist ja nicht so, als wäre dieses
Thema am 20. September zum ersten Mal virulent geworden. Da war es schon viele Tage in der Presse. Intern
ist ja offensichtlich auch die Brisanz des Falles erkannt
worden, sonst hätte man ja nicht extra ein Wirtschaftsprüfergutachten in Auftrag gegeben.
({5})
Natürlich kann es immer sein, dass man noch mal eine
Antwort auf eine gezielte Nachfrage nachreichen muss;
das ist nicht der Punkt. Wenn aber ein Thema schon wochenlang klar ist, in den Medien groß diskutiert wurde
und auf der Tagesordnung des Finanzausschusses steht,
dann erwarte ich, dass auch entsprechende Antworten
gegeben werden. Sie selbst hätten die Aktuelle Stunde
von heute überflüssig machen können, wenn Sie von
Anfang an intern intensiv recherchiert und den Ausschuss entsprechend informiert hätten.
({6})
Insofern möchte ich dem Kollegen Wissing, der davon
sprach, dass er den Eindruck habe, hier herrsche ein gewisses Desinteresse vor, durchaus Recht geben.
Ein Spiel darf nicht stattfinden, nämlich dass man
jetzt alles in Richtung BaFin abschiebt. Natürlich ist es
richtig, von Herrn Sanio zu fordern, darzulegen, welche
Konsequenzen er intern zu ziehen gedenkt. Natürlich ist
das völlig richtig - Herr Fahrenschon hat diese Punkte ja
schon aufgezählt -, was im Verwaltungsrat beschlossen
wurde. Aber entschuldigen Sie bitte: Es geht nicht nur
um die BaFin. In den Grundsätzen über die Ausübung
der Rechts- und Fachaufsicht des Finanzministeriums ist
ganz eindeutig festgelegt, dass das Finanzministerium
die politische Verantwortung für die Tätigkeit der BaFin
trägt. Diese ist nicht auf irgendwelche großen Vorhaben
eingeschränkt, sondern für die gesamte Tätigkeit der
BaFin trägt das Finanzministerium die politische Verantwortung.
Deswegen kann es nicht nur um die Frage gehen, die
Sie gestellt haben, Herr Fahrenschon, was die BaFin tut,
sondern auch um die Frage, die wir als Grüne stellen,
nämlich was das BMF tut. Hier interessiert uns besonders, welche Voraussetzungen geschaffen werden, damit,
wenn in Zukunft etwas passiert - ich stimme Herrn
Bernhardt ausdrücklich zu, dass wir nicht verhindern
können, dass etwas passiert -, sichergestellt ist, dass die
Informationen rechtzeitig an die richtige Ebene gelangen, dass unverzüglich gehandelt und reagiert wird und
dass die Umsetzung von vorhandenen Richtlinien auch
rechtzeitig erfolgt.
In Ihrer Antwort, Frau Staatssekretärin, auf meine
Frage, welche Richtlinien und Anweisungen der Bundesregierung allgemein Gültigkeit für die BaFin haben,
weil sie Teil der Bundesbehörden ist, und welche speziell nur für die BaFin Gültigkeit haben, haben Sie zum
einen gesagt: Es handelt sich um eine solche Vielzahl,
dass man sie nicht darstellen kann. Das nehme ich so zur
Kenntnis. Sie haben aber zum anderen auch gesagt: Die
Umsetzung wird im Einzelfall von der Bundesregierung
nicht geprüft. Das haben Sie in Bezug auf die allgemeinen wie auch auf die speziellen Richtlinien und Anweisungen, die einschlägig für die BaFin sind, gesagt. Wenn
die Umsetzung von entsprechenden Vorgaben nicht
überprüft wird, möchte ich wissen, wie das BMF die
Rechts- und Fachaufsicht, die im Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz festgelegt ist, eigentlich wahrnimmt. Das
diskutieren wir hier. Deshalb weise ich die Vorwürfe,
dass wir hier unverantwortlich eine Aktuelle Stunde beantragt haben, zurück.
Zum Schluss möchte ich noch einmal aus dem Koalitionsvertrag zitieren:
({7})
Die Rechts- und Fachaufsicht des Bundesministeriums der Finanzen … ist zu verstärken.
Das haben Sie selber niedergelegt.
({8})
Da kann es doch nicht falsch sein, dass wir aus aktuellem Anlass hier fragen, wie die Koalition genau dieses
Vorhaben als Konsequenz aus den Fällen, die derzeit in
der Presse diskutiert werden, umzusetzen gedenkt.
Danke schön.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Nina Hauer von der SPDFraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Schick, Sie machen mir Spaß! Sie reden hier
darüber, dass Sie gar nicht die Aufsicht und die Qualität
der Aufsicht infrage stellen oder öffentlich thematisieren
wollen, und dann beantragt Ihre Fraktion eine Aktuelle
Stunde zu Themen, die wir auch im Ausschuss viel sachlicher und sachgemäßer miteinander hätten behandeln
können. Sie haben Nerven! Sie zünden an und sagen hinterher, Sie wollen beim Löschen dabei sein. Die Argumentation, die Sie hier vortragen, ist nicht konsistent.
Wir haben 2002 in der rot-grünen Regierungszeit die
Allfinanzaufsicht gemeinsam gegründet, um den Finanzplatz zu stärken. Wenn man sich anschaut, wie wir international dastehen, auch was die Wertschätzung gegenüber unserer Aufsicht angeht, denke ich, dass es uns
auch gelungen ist, diesen Finanzplatz damit zu stärken.
Die FDP-Fraktion macht immer wilde Vorschläge zu
mehr Altersversorgung in Hedge-Fonds. Das zeigt
schon, wie notwendig es ist, dass wir eine Aufsicht haben, die ihre Qualität vor allem aus ihrer Seriosität und
Transparenz bezieht.
Ich finde, dass wir an dieser Stelle auch einmal sagen
können, dass unser oberster Aufseher, der Leiter der Allfinanzaufsicht, zu diesem internationalen Ruf beigetragen hat. Denken Sie einmal daran, was wir bei den Verhandlungen zu Basel II für den deutschen Mittelstand
erreicht haben. Da haben wir als Bundestag zweimal den
Verhandlungsführer Jochen Sanio aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass wir international bessere Bedingungen für unsere kleinen Unternehmen aushandeln.
Das ist gelungen. Sie wissen selber - das brauche ich Ihnen nicht zu sagen -, dass es ein hartes Pflaster auf dem
Markt gibt, auf dem er dort verhandelt hat. Da brauchen
wir jemanden von internationalem Rang. Ich denke, deshalb müssen wir zwischen dem, was die Qualität und die
Aufgabe der Aufsicht angeht, und dem, was am Ende in
dieser Behörde vor sich geht, unterscheiden.
({0})
Es ist ganz offensichtlich so, dass die Leitung einer
deutschen Behörde, die nach unseren Verwaltungsvorstellungen auch ihre Tücken hat, nicht gleichzeitig so
mit der Aufsicht über einen hochdynamischen Markt in
einer Person zusammengeht, wie wir uns das wünschen.
Nicht umsonst hat deshalb der Verwaltungsrat am Dienstag - ich denke, zu Recht - beschlossen, dass wir sagen:
Wir haben Vertrauen in die Fähigkeiten und in den Willen der Leitung der Aufsicht, genau diese beiden Kulturen so zusammenzubringen, dass es möglich ist, internationaler Finanzaufseher zu sein und gleichzeitig dafür zu
sorgen, dass eine Behörde gut funktioniert.
Dafür ist es notwendig, dass wir im Verwaltungsrat,
aber auch hier im Parlament noch einmal darüber reden,
wie diese Behörde aufgestellt sein muss, wie ihre Struktur sein muss, nicht nur ihr internes Kontrollsystem. Mit
Kontrollsystemen und verschiedenen Zeichnungen sind
wir immer schnell dabei. Aber die vierfachen Durchschläge von vierfachen Prüfberichten werden am Ende
auf dem internationalen Finanzmarkt wenig ausrichten.
Mitarbeiter, die sich in diesem Bereich einer ständigen
Kontrolle unterworfen sehen, werden die Leistungen, die
wir von ihnen brauchen, und die Selbstständigkeit und
die Freiheit, Entscheidungen zu treffen, wahrscheinlich
auch nicht auf einmal bringen können. Deshalb müssen
wir alle gemeinsam - dafür tragen wir auch Verantwortung - dafür Sorge tragen, dass unsere Behörde so gut
funktioniert, dass sie sorgfältig geleitet werden kann,
dass Mitarbeiter Verantwortung und Freiheit in gleichem
Maße haben und wir auch ein Prinzip zwar nicht der
Überwachung, aber der sorgfältigen Überprüfung dessen, was gezeichnet wird, haben. Gleichzeitig muss der
hochdynamische Markt von jemandem beaufsichtigt
werden können, der die Zeit und auch die Freiheit hat,
das zu tun. Ich denke, das ist eine Aufgabe, die wir gemeinsam haben, und eine Konsequenz, die wir aus diesen Vorgängen ziehen müssen.
Liebe Frau Scheel, Sie waren selber bis Ende 2003
Mitglied im Verwaltungsrat. Ihnen ist auch nicht aufgefallen, wie sich der Haushalt an dieser Stelle im IT-Bereich entwickelt.
({1})
Selbst wenn wir den Prüfbericht früher gesehen hätten
- was wir als Verwaltungsrat gar nicht gemusst hätten -,
sage ich Ihnen: Wir hätten die kriminelle Energie, die
hinter diesen Machenschaften steckt, nicht entdecken
können.
({2})
Deshalb sollten wir selber hier nicht so tun, als ob wir
nicht auch die Aufgabe hätten, unsere Finanzmarktaufsicht zu schützen.
Frau Kollegin Hauer, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich denke, es ist richtig, zu sagen, wir haben Vertrauen, wir haben auch unsere eigene Verantwortung,
aber wir müssen unserem Finanzmarkt auch dadurch gerecht werden, dass wir hier in der öffentlichen Debatte
deutlich machen, dass wir eine gute Aufsicht haben. Wir
wollen diese Aufsicht und wir brauchen sie auch, damit
unser Markt im internationalen Wettbewerb bestehen
kann.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der deutsche Finanzmarkt
braucht eine leistungsstarke Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht mit glaubwürdigen Persönlichkeiten an ihrer Spitze.
({0})
Diese Tatsache steht für mich über allen Fragen, die wir
heute diskutiert haben und die wir sicherlich auch noch
in den nächsten Tagen und Wochen weiter diskutieren
werden.
Der aktuelle Untreueverdacht bei der BaFin ist ein
ernstes Thema, mit dem sich der Finanzausschuss intensiv und sehr kritisch befassen muss. Darüber besteht
überhaupt kein Dissens. Ob aber eine Aktuelle Stunde
am heutigen Tage dafür der richtige Rahmen ist, meine
Damen und Herren von der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen, wage ich jedoch zu bezweifeln. Zu der Frage,
ob Sie der richtige Antragsteller für diese Aktuelle
Stunde waren, haben Kollege Fahrenschon und andere
schon einiges gesagt. Frau Kollegin Scheel, es ist schon
kurios, wie Sie sich hier vom Gremiumsmitglied zur
Chefanklägerin entwickeln.
Gerade weil das Thema ernst ist, hätte ich mir eher
eine sachorientierte Selbstbefassung im Ausschuss gewünscht, sobald die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft
- das wird voraussichtlich im Oktober der Fall sein - abgeschlossen sind. Ich persönlich werde mir meine
abschließende Meinung zu dem gesamten Fall und der
Person Sanio jedenfalls erst nach Abschluss der Ermittlungen bilden.
Dennoch ist es richtig - das haben die Beiträge in den
letzten Minuten deutlich gemacht -, dass wir bereits
heute nach der Sitzung des Verwaltungsrates am Dienstag und nach Vorlage des gestrigen und auch des heutigen Berichts in den Reden der Frau Staatssekretärin
Hendricks im Finanzausschuss und hier im Plenum einige Einschätzungen abgeben: erstens zu den Konsequenzen, welche die BaFin als Organisation aus den kriminellen Machenschaften ziehen muss, und zweitens zur
Rolle des Bundesministeriums der Finanzen in der Frage
der Rechts- und Fachaufsicht.
Lassen Sie mich zunächst in aller Kürze auf die Rolle
des Finanzministeriums eingehen. Auch hier - das muss
man der Vollständigkeit halber sagen - fehlen mir letztlich noch einige Informationen, um die Rolle des
Finanzministeriums - wohlgemerkt: zur Zeit der rot-grünen Regierung - umfassend beurteilen zu können.
({1})
Deswegen werde ich mich heute noch nicht abschließend positionieren.
Ebenso wenig werde ich mich an den Verschwörungstheorien von Teilen der Opposition, die hier geäußert
wurden, beteiligen. Wir wissen heute nur, dass ein Mitarbeiter des Finanzministeriums bereits im Jahr 2004
über Unregelmäßigkeiten bei der BaFin informiert war.
Daraus gleich eine Verstrickung der politischen Leitung
in den gesamten Fall zu konstruieren, liegt mir fern und
ist auch abwegig.
Auf dem Stand der aktuellen Informationen kann ich
mir heute also kein abschließendes Urteil über ein Fehlverhalten des damaligen Finanzministeriums erlauben.
Für die Zukunft kann ich mir aber durchaus vorstellen,
dass wir das Ministerium durch eine stärkere Rechtsund Fachaufsicht mit dafür in die Pflicht nehmen. Das ist
der erklärte politische Wille, wie im Koalitionsvertrag
ausdrücklich dargelegt. Aber heute sind erst andere Fragen aufzuwerfen.
Neben der besseren Rechts- und Fachaufsicht sind die
Kontrollmechanismen bei der BaFin selbst in den Vordergrund zu stellen. Dafür hat Herr Sanio vorgestern
dem Verwaltungsrat geeignete Maßnahmen vorgeschlagen: erstens die Einrichtung eines zentralen Vertragsmanagements; zweitens die Neuordnung der Innenrevision
und der Zeichnungsbefugnisse - es ist nämlich mit Blick
auf die Außenwirkung nur schwer nachvollziehbar, dass
von der Bankenaufsicht das Sechsaugenprinzip verlangt
wird, aber intern in manchen Bereichen noch nicht einmal das Vieraugenprinzip angewendet wird - und drittens die Verbesserung des internen Kontrollsystems. Ich
erwarte von der Leitung der BaFin, dass diese Maßnahmen zügig und konsequent umgesetzt werden.
Ebenso unterstütze ich die Forderung des Verwaltungsrates, dass die Innenrevision Herrn Sanio direkt unterstellt wird. Darüber hinaus ist auch die Initiative der
Union durch ihre Vertreter im Verwaltungsrat umgesetzt
worden, über den Haushaltskontroll- und Prüfungsausschuss mit dazu beizutragen, dass Fehlentwicklungen
besser vorgebeugt werden kann. Aber gegen kriminelle
Machenschaften sind auch die beste Organisation und
die beste Leitung manchmal nicht gefeit.
Für die zweite Bedingung wurde bei der Verwaltungsratssitzung am Dienstag der Grundstein gelegt. In den
Bereichen der Ablauforganisation sollen Verbesserungen
erzielt werden, damit Fehlentwicklungen vorgebeugt
wird.
Insgesamt geht es - ich komme zum Schluss - nicht
nur um die Zukunft der BaFin. Es geht nicht nur darum,
ob unter Umständen im Finanzministerium Fehlleistungen festzustellen sind. Unsere Zielsetzung muss vielmehr sein, dass die Funktionsfähigkeit unseres Finanzmarktes und unseres Finanzplatzes weiterhin in guten
Händen ist und zur Verbesserung unserer gesamten wirtschaftlichen Situation beitragen wird.
Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Jörg-Otto Spiller von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Verwaltungsrat der BaFin hat sich am
Dienstag vom Präsidenten Sanio vortragen lassen, welche
organisatorischen Maßnahmen er bereits durchgesetzt
und welche weiteren Umstrukturierungen er eingeleitet
hat, um nach menschlichem Ermessen Vorkommnisse,
zu denen es bedauerlicherweise und unentschuldbar
gekommen ist, für die Zukunft auszuschalten. Der Bundesrechnungshof und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Price Waterhouse waren vertreten. Beide haben
die Maßnahmen, die der Präsident erläutert hat, als angemessen und sachgerecht bezeichnet. Deswegen hat der
Verwaltungsrat sein Vertrauen in die Amtsführung des
Präsidenten ausgedrückt.
Der Kollege Fahrenschon hat völlig zu Recht unterstrichen, dass die Vorkommnisse, um die es sich hier
handelte, nicht die Aufsichtsfunktion der BaFin betroffen haben. Es handelte sich vielmehr um Unkorrektheiten und in einem Falle offensichtlich um wirklich kriminelle Machenschaften bei Beschaffungsvorgängen. Das
ist ein Unterschied. Dass der Verwaltungsrat das Vertrauen in die Amtsführung des Präsidenten bekundet hat,
hängt damit zusammen, dass Präsident Sanio mit seinen
Mitarbeitern in den schwierigen Jahren nach dem
11. September 2001, als die Finanzmärkte international,
aber auch in Deutschland an mehreren Stellen empfindlich getroffen waren, eine hervorragende Arbeit geleistet
hat.
Herr Wissing, Sie haben vorhin mit einem gewissen
Hochmut, der Ihnen vielleicht angemessen erscheint, die
Bemerkung gemacht, dass so etwas nicht passieren darf.
Das stimmt. Es darf eigentlich nicht sein. Es gibt manchmal zu viel Vertrauen. Gegen kriminelle Machenschaften oder auch große Schlampereien war allerdings selbst
die FDP-Fraktion nicht gefeit,
({0})
als sie vor einiger Zeit Schwierigkeiten mit ihren Finanzen hatte. Auch die FDP als Partei hat mit solchen Dingen - das ist nicht sehr lange her - zu kämpfen gehabt;
das kann man natürlich nicht Ihnen persönlich vorwerfen.
({1})
Ich würde aber ein bisschen vorsichtiger sein, wenn der
Leiter einer preußischen Behörde unterstellt, dass die
Mitarbeiter zunächst einmal von Anstand geleitet sind.
Das ist auch in aller Regel der Fall. Es gibt einige wenige, die das Vertrauen gelegentlich missbrauchen. Um
das zu verhindern, brauchen wir entsprechende Strukturen. Aber Hochmut ist nicht angemessen.
({2})
Ich sage noch einmal: In der Aufsichtsfunktion hat
die BaFin eine hervorragende Rolle gespielt. Dies soll
sie auch weiter tun.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Florian Pronold von
der SPD-Fraktion.
({0})
Ich durfte hier ja keine Zurufe machen. - Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Für mich ist
schon aufschlussreich, was hier veranstaltet wird. Denn
in den zwei letzten Finanzausschusssitzungen gab es
eine sehr ausführliche Darstellung der Vorkommnisse,
und dies weitergehend, als es hier möglich ist.
({0})
Da sind alle bestehenden Fragen geklärt worden.
Herr Wissing hat wider besseres Wissen falsche Behauptungen aufgestellt und Vermischungen unterschiedlicher Dinge vorgenommen.
({1})
Darum muss man eines deutlich machen: Die Prüfungsmitteilung aus dem Jahr 2004 hat keinerlei Anhaltspunkt
dafür enthalten, dass es kriminelle Machenschaften gegeben hat.
({2})
Der zuständige Referatsleiter im BMF hat diese Prüfungsmitteilung von der BaFin erhalten. Er hat seine
Rechts- und Fachaufsicht ausgeübt und bei der BaFin
nachgefragt, was denn mit dem Vorgang sei. Die BaFin
hat darauf dem Prüfungsamt und auch dem BMF als
Rechts- und Fachaufsicht geantwortet. Danach hat das
Prüfungsamt den Vorgang für erledigt betrachtet. Jetzt
wird der Vorwurf in den Raum gestellt: Warum hat der
Referatsleiter dieses nicht an die Leitung des Hauses
weitergegeben? Aus der Sicht des Jahres 2004 war der
Vorgang ordnungsgemäß und im Rahmen der üblichen
Verfahrensweisen abgehandelt. Da gibt es nichts hineinzugeheimnissen und es können auch keine Schuldzuweisungen in Richtung BMF konstruiert werden.
Unterschlagungen mit gefälschten Rechnungen bei
Software sind auch nicht so einfach aufzudecken. Denn
diejenigen, die das kontrollieren, müssen fragen: Ist die
Software da? Wo ist sie denn? - Das ist ja vom Prüfungsamt gemacht worden; diese Auskunft ist eingefordert worden. Die Antwort wurde immer wieder verschoben. Nach den formalen Kriterien, die bis dahin auch für
die Beschaffung gegolten haben, ist das Vieraugenprinzip bei diesem Vorgang eingehalten worden. Es ist noch
nicht einmal ein objektiver Systemfehler festzustellen.
Der Fehler in Bezug auf das Vieraugenprinzip liegt bei
der betreffenden Person und bei der Weisungsabhängigkeit. Aber daraus kann man doch nicht im Nachhinein
einen Vorwurf konstruieren; das war ja im Jahr 2004
überhaupt nicht ersichtlich.
Man sollte auch nicht die Entschuldigungen, die der
Täter jetzt öffentlich vorbringt, dass man es ihm nämlich
leicht gemacht habe - das sagt er, um Strafmilderung zu
erreichen; das ist klar; das weiß doch jeder -, für bare
Münze nehmen und daraus einen Vorwurf gegen die Opfer - das sind nämlich die BaFin und das BMF - konstruieren. Das zu machen, ist entweder naiv, liebe Kollegin Scheel, oder ein bisschen böswillig.
Ich kann nur sagen: Wir sollten abwarten, was die
Staatsanwaltschaft herausfindet, die Umsetzung der
Maßnahmen, die im Verwaltungsrat beschlossen worden
sind, beobachten und anschließend den Vorgang seriös
politisch bewerten. Wir sollten nicht versuchen, ihn politisch auszuschlachten, etwa weil man darüber sauer ist,
dass man nicht mehr im Verwaltungsrat sitzt, oder weil
man ein anderes Süppchen kochen will.
Danke schön.
({3})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
Afghanistan unter Führung der NATO auf
Grundlage der Resolutionen 1386 ({1}) vom
20. Dezember 2001, 1413 ({2}) vom 23. Mai
2002, 1444 ({3}) vom 27. November 2002,
1510 ({4}) vom 13. Oktober 2003, 1563 ({5})
vom 17. September 2004, 1623 ({6}) vom
13. September 2005 und 1707 ({7}) vom
12. September 2006 des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen
- Drucksachen 16/2573, 16/2774 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Markus Meckel
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller ({8})
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({9})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/2787 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Alexander Bonde
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({10}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Monika Knoche,
Paul Schäfer ({11}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der LINKEN zu der ersten Beratung
des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
Afghanistan unter Führung der NATO auf
Grundlage der Resolutionen 1386 ({12}) vom
20. Dezember 2001, 1413 ({13}) vom 23. Mai
2002, 1444 ({14}) vom 27. November 2002,
1510 ({15}) vom 13. Oktober 2003, 1563 ({16})
vom 17. September 2004, 1623 ({17}) vom
13. September 2005 und 1707 ({18}) vom
12. September 2006 des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen
- Drucksachen 16/2573, 16/2623, 16/2776 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Markus Meckel
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller ({19})
Zum Antrag der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
vor. Über die Beschlussempfehlung zum Antrag der
Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Bundesaußenminister Dr. FrankWalter Steinmeier.
({20})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn Sie
einen Blick in die heutigen Tageszeitungen werfen, dann
sehen Sie, dass es viele mal wieder ganz genau gewusst
haben: Afghanistan ist verloren. Das ist ein Teil des Tenors in einem Teil der deutschen Tageszeitungen. Die einen sagen es, weil sie schon immer wussten, dass wir in
der Region nichts verloren haben; die anderen sagen es,
weil die internationale Staatengemeinschaft mal wieder
von Anfang an alles falsch gemacht hat; die Dritten sagen es, weil wir zu viel Militär in Afghanistan haben,
und die Vierten sagen es, weil wir zu wenig Militär in
Afghanistan haben. Aus meiner Sicht ist das der entscheidende Satz: Afghanistan ist nur dann verloren,
wenn wir es aufgeben.
({0})
Wahr ist, dass wir alle uns wünschten, nach fünf Jahren Aufbauarbeit weiter zu sein, als wir es sind. Wahr ist
auch, dass es Rückschläge gegeben hat und weiterhin
geben wird, in einzelnen Regionen sogar Rückwärtsentwicklungen; ich werde gleich darauf zurückkommen.
Wahr ist aber auch, dass eine junge Generation, die bis
vor fünf Jahren chancen- und bildungslos war, ihre
ganze Hoffnung auf uns setzt, nicht allein auf die Deutschen, sondern auf die internationale Staatengemeinschaft. Die Zukunft dieser jungen Generation hängt davon ab, ob wir mit unserem begonnenen Engagement
verantwortungsvoll umgehen. Wahr ist am Ende auch,
dass es jenseits des Humanitären Gründe dafür gab, dass
wir den gefahrvollen Weg nach Afghanistan Seite an
Seite mit den anderen Europäern und den Amerikanern
angetreten haben.
Es scheint schon ein wenig in Vergessenheit geraten
zu sein, dass Afghanistan in den Jahren der Menschen
verachtenden Talibanherrschaft zu einer Ausbildungszentrale für den weltweiten Terrorismus geworden
war. Die Gefahren, die daraus entstanden sind, waren
keineswegs nur virtuell. Wir haben erst vor 14 Tagen
- Sie werden sich erinnern - der Opfer des 11. September gedacht. Sie wissen, dass die Blutspur, die aus den
afghanischen Ausbildungslagern herausführte, nicht in
New York endete, sondern Europa nicht unberührt gelassen hat.
Die 22 Jahre Krieg, Bürgerkrieg und Talibanherrschaft haben aber nicht nur eine Trümmerwüste in den
Dörfern und Städten hinterlassen; fast schlimmer, weil
nur mit großer Ausdauer und viel Geduld wieder herstellbar, ist die Zerstörung, die diese 22 Jahre im Alltagsleben, in den Köpfen und Herzen der Menschen angerichtet haben.
({1})
Wie sieht denn die gegenwärtige Situation aus? Viele
von Ihnen werden inzwischen in Afghanistan gewesen
sein. Zwei Generationen von jungen, qualifizierten Arbeitnehmern, die ausgebildet hätten werden können und
müssen, fehlen; sie werden dringend gebraucht. Das
Schlimmste an der Zerstörung in den Herzen und Köpfen, von der ich gesprochen habe, ist, dass es lange dauern wird, bis das Vertrauen in die Autorität von staatlichen, von politischen Institutionen - vor allen Dingen in
die Polizei - wieder hergestellt sein wird. Auch deshalb
werbe ich hier dafür, dass wir den Aufbau, den wir mit
der Petersbergkonferenz in Bonn begonnen haben, mit
Geduld, aber entschlossen fortsetzen. Das gilt nicht nur
für uns, sondern für die ganze internationale Staatengemeinschaft.
({2})
Bei aller Sorge über die Entwicklung der Sicherheitslage, vor allen Dingen im Süden des Landes, die natürlich auch ich teile, dürfen wir die Erfolge nicht übersehen. Viele andere werden gleich noch etwas dazu sagen.
Ich sage nur: 7 Millionen Mädchen und Jungen, die bis
vor fünf Jahren nicht in die Schule gehen durften, haben
heute die Möglichkeit, Unterricht zu genießen. Diese
Entwicklung geht aber - das ist zuzugeben - sicherlich
nicht weit genug. In vielen Teilen des Landes spüren die
Menschen noch nichts von unserem Engagement der
letzten fünf Jahre. Natürlich bin ich mit vielen von Ihnen
darin einig, dass die wachsende Drogenwirtschaft, der
zunehmende Drogenanbau und die damit einhergehende
Korruption die Stabilisierungserfolge gefährden. Da,
wo diese Stabilisierungserfolge ausbleiben, nutzen die
Taliban die Chance, um sich wieder als angebliche Beschützer der Bevölkerung aufzuspielen. Sie setzen
darauf, dass durch ihre gewaltsamen Aktionen die internationale Staatengemeinschaft in ihrem Engagement ermüdet wird.
Wir dürfen uns nicht zurückziehen; das ist meine feste
Überzeugung. Wir müssen unsere Anstrengungen fortsetzen und, wenn möglich, verstärken, und zwar auf der
Grundlage des „Afghanistan Compact“ und entsprechend den Leitlinien des Afghanistanpapiers, über das
gerade in den Gremien des Deutschen Bundestages diskutiert wird.
Bezogen darauf sind mir vier Punkte wichtig, die ich
ganz kurz nennen will:
Erstens. Der weitere politische Aufbau muss unter
Berücksichtigung der soziokulturellen Gegebenheiten
des Landes stattfinden.
Zweitens. Wir wollen und müssen unsere Anstrengungen beim Aufbau und bei der Ausbildung der Polizei - das ist das zentrale Handlungsfeld, für das wir Verantwortung tragen - aufrechterhalten und, wie ich
meine, soweit es in unserer Macht steht, sogar verstärken.
({3})
Wir sollten uns, wenn wir über unsere erweiterten Möglichkeiten reden, dafür einsetzen - das werde ich tun -,
innerhalb der Europäischen Union Partner zu gewinnen,
die uns dabei unterstützen.
Drittens bin ich fest davon überzeugt, dass wir einen
weiteren Schwerpunkt im Bereich der Bildung setzen
sollten. Ich habe es vorhin gesagt: Bürgerkrieg und Talibanherrschaft haben nicht nur die physische, sondern vor
allen Dingen auch die intellektuelle Infrastruktur Afghanistans zerstört. Deshalb bin ich froh darüber, dass so
viele Schulen wieder aufgebaut und eröffnet werden
konnten. Aber das reicht nicht. Es müssen noch viel
mehr werden. Auch in diesem Bereich müssen wir uns
noch stärker engagieren.
({4})
Vierter und letzter Punkt. Es gibt keinen Königsweg
zur Lösung des Drogenproblems; das wissen wir alle.
Ich verspreche Ihnen aber, dass die Bundesregierung das
ihr Mögliche tun wird, um gemeinsam mit der internationalen Staatengemeinschaft künftig gebündelter und
damit auch effektiver zu handeln. Das gilt sowohl für die
Bekämpfung des Drogenanbaus als auch für die Verbesserung der regionalen Zusammenarbeit und den Aufbau
einer gut ausgestatteten afghanischen Grenzpolizei.
Mit Blick auf das, was Deutschland vor allen Dingen
im Norden Afghanistans geleistet hat, können wir trotz
aller Veränderungen, die ich nicht zu beschönigen versuche, stolz sein. Gerade haben wir auf der NATO-Außenministerkonferenz in New York darüber diskutiert, wie
wir das gute Beispiel der zivil-militärischen Zusammenarbeit im Norden Afghanistans auf andere Bereiche
übertragen können. Ich finde, das ist eine Auszeichnung
für das Engagement, das unsere Soldatinnen und Soldaten wie auch die vielen zivilen Helfer dort leisten.
({5})
Ich hoffe auf eine breite Zustimmung zum Antrag der
Bundesregierung auf Verlängerung des Mandates um
weitere zwölf Monate. Das wäre nicht nur ein starkes
Zeichen für die Soldatinnen und Soldaten, sondern auch
für die vielen zivilen Helfer in Afghanistan, die dort in
einem immer noch sehr schwierigen Umfeld arbeiten.
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Werner Hoyer von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
FDP-Bundestagsfraktion stimmt dem Antrag der Bundesregierung zu. Wir hielten es angesichts der Tatarenmeldungen, die uns gegenwärtig ereilen, schlicht für unverantwortlich, einfach zum ungeordneten Rückzug zu
blasen und die Menschen in Afghanistan, für die auch
wir große Verantwortung übernommen haben, jetzt im
Stich zu lassen und einfach wegzugehen. Gleichwohl
muss ich sagen, dass wir dieses Ja mit großem Bauchgrimmen aussprechen, weil es unseres Erachtens sehr
viele Dinge gibt, die uns außerordentlich besorgt machen.
Ich finde übrigens, dass der Kollege Nachtwei seine
Überlegungen in einen sehr klugen Entschließungsantrag zu diesem Thema gegossen hat. Ich kann ihm nicht
in allen Details zustimmen. Deshalb werden wir uns bei
der Abstimmung enthalten. Ich glaube aber, dass in dem
Antrag die richtigen Fragen benannt werden.
Im Übrigen rate ich dringend dazu, diese Debatte im
Bündnis zu führen und nicht auf nationaler Ebene. Hier
darf es keine nationalen Alleingänge geben.
({0})
Die Diskussion, die wir im Bündnis führen, muss auf
den Punkt gebracht werden. Mir gehen die NATO-Parlamentarier-Treffen, an denen ich häufig teilnehme, auf
den Keks, da man sich nur wechselseitig versichert, was
für eine tolle Arbeit in Afghanistan geleistet wird. Ich
bestreite überhaupt nicht, dass die Angehörigen der Bundeswehr, der Polizei und der Entwicklungsdienste hervorragende Arbeit leisten. Dennoch sollten wir einmal
eine Bestandsaufnahme machen und uns fragen, wo wir
eigentlich stehen sowohl im Kampf gegen den Terrorismus als auch in unserem Bemühen um den Aufbau Afghanistans.
({1})
Unser Grundansinnen war, einen substanziellen Beitrag zum Aufbau des Landes zu leisten und dafür einen
hoffentlich nur vorübergehend erforderlichen militärischen Schutz anzubieten. Mittlerweile müssen wir leider
konzedieren, dass das Bild des sympathisch, von der Bevölkerung mit offenen Armen empfangenen deutschen
Soldaten nicht mehr ganz zutreffend ist. Die Tatsache,
dass wir ungeheuer viel in den Schutz unserer Soldaten
investieren müssen, macht deutlich, dass sich die Situation erheblich verändert hat. Der ISAF-Einsatz hat sich
auch im Norden des Landes zu einem veritablen
Kampfeinsatz entwickelt.
({2})
- Lassen Sie uns einmal die Realität zur Kenntnis nehmen! Natürlich haben die Ereignisse im Norden des Landes eine andere Qualität als das, was im Rahmen von
ISAF im Süden und im Rahmen von OEF, Operation
Enduring Freedom, insgesamt geschieht. Aber wir dürfen den militärisch-kämpferischen Teil dieses Einsatzes
unserer Soldaten nicht kleinreden; denn auch in dieser
Hinsicht wird großartige Arbeit geleistet.
({3})
Man muss sich aber fragen, ob nicht viele der Anfangserfolge schon weggebröckelt sind bzw. wegzubröckeln
drohen. Wir haben riesige Erfolge erzielt. Herr Minister,
Sie haben auf die Schülerinnenzahlen hingewiesen; das
ist, wie ich finde, in der Tat der größte Erfolg. Aber diese
Zahlen sind schon wieder rückläufig. Ist es eigentlich die
richtige Strategie, zunächst mit großem Aufwand - er ist
übrigens größer, als ihn manche Fachleute für erforderlich halten - Schulen zu bauen, dann aber nicht dafür zu
sorgen, dass auch Lehrer finanziert werden, die unterrichten? Hier gibt es in der Tat erhebliche Lücken.
({4})
Auch dürfen wir, was in der Vergangenheit geschehen
ist, nicht vergessen. Wir müssen uns die Verbindungslinien, die es gegeben hat und die es nach wie vor gibt, vor
Augen führen, die Verbindung zwischen den Taliban und
der al-Qaida und die Verbindung zu Pakistan. Wenn Pakistan ein Doppelspiel betreibt und die Taliban vielleicht
längst wieder als die zukünftigen Herrscher in Afghanistan betrachtet, dann wird der militärische Kampf gegen
die Taliban meiner Auffassung nach kaum zu gewinnen
sein. In diesem Zusammenhang ist mir eine Formulierung eines hohen Militärs unvergesslich, der neulich
sagte: Wir werden nicht notwendigerweise verlieren. Das ist mir als Begründung eines militärischen Einsatzes, bei dem wir das Leben von Soldaten riskieren, zu
wenig.
({5})
Wenn das, was ich zu Pakistan gesagt habe, auch nur
ansatzweise zutrifft, dann wird das Nation-Building in
Afghanistan sehr schwierig. An diesem Punkt sollten wir
uns etwas mehr Demut auferlegen. Bisweilen habe ich
das Gefühl, dass Nation-Building bei uns wie Blaupausen avantgardistischer Architekturbüros wahrgenommen
wird. Ein bisschen mehr Rücksichtnahme auf kulturelle
Gegebenheiten und Identitäten würde uns, wie ich
glaube, gut tun. Deutschland leistet hier keine schlechte
Arbeit. Aber auch diese Debatte müssen wir im Bündnis
führen.
({6})
Nation-Building wird in Afghanistan nicht dauerhaft
sein, wenn die staatlichen Strukturen nicht funktionieren. Das Überpfropfen von formalen Wahlprozessen als
Etablierung der Demokratie zu definieren, ist falsch.
Ohne ein Mindestmaß an demokratischer Kultur und demokratischer, insbesondere rechtsstaatlicher Absicherung funktioniert Demokratie nicht, ebenso wie keine
Marktwirtschaft ohne eine Kartellbehörde und ein Katasteramt, das die Eigentumsrechte sichert, funktionieren
kann.
({7})
Schließlich komme ich auf einen Schwachpunkt zu
sprechen, den auch Sie, Herr Minister, erwähnt haben.
Ich bekenne: Auch ich habe keine Blaupause für die Lösung des Drogenproblems. Aber wir können zumindest
für uns reklamieren, dass wir das von vornherein gesagt
haben. In der Debatte, die wir im Jahre 2003 zu diesem
Thema geführt haben, habe ich hier gesagt: Durch die
Ausweitung des Einsatzes auf Kunduz und später auf
Faizabad schicken wir unsere Soldaten in eine „Mission
Impossible“, weil sie vor blühenden Mohnfeldern stehen
müssen, ohne etwas dagegen unternehmen zu können.
Das Hauptproblem sind aber nicht die Drogenanbauer, die sich in einer ziemlich aussichtslosen Situation
befinden. Deswegen ist die Fixierung auf sie nicht ganz
richtig. Außerdem hilft man ihnen nicht, indem man ihnen als Nahrungshilfe die Produktionsüberschüsse der
Industrieländer schickt, sodass jedes Incentive für eigene
Agrarproduktion wegfällt.
({8})
Das Hauptproblem sind natürlich die Drogenhändler und
diejenigen, die das Zeug weiterverarbeiten. Dort entstehen gigantische Gewinne. Wir wissen, dass mittlerweile
mehr als ein Drittel des Sozialprodukts Afghanistans daher rührt. Mindestens 90 Prozent von diesem Drittel landen bei diesen Händlern des Todes. Sie sind mittlerweile
in der Lage - nicht nur durch ihre Beziehungen zu Polizeibehörden, Verwaltungen und zu Regierungskreisen,
sondern auch dadurch, dass sie die wirtschaftlichen Assets dieses Landes in den Griff bekommen -, die Geschicke dieses Landes weitgehend zu bestimmen. Ich anerkenne die Bemühungen des Bundesaußenministers in
seinen Gesprächen mit Präsident Karzai auf diesem Gebiet. Wenn es diesem nicht gelingt, hier einigermaßen
durchzugreifen, stehen wir eines Tages möglicherweise
vor einem Desaster. Lassen Sie uns deshalb in den
nächsten Monaten, unabhängig von einer konkreten Entscheidung über ein Mandat, in aller Ruhe und sehr kritisch, auch selbstkritisch, darüber diskutieren und dann
im nächsten Jahr neu entscheiden.
Noch ein letztes Wort zur Operation Enduring Freedom. Ich stelle fest, Herr Bundesminister: Die zuständigen Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses bzw. deren
Obleute sind, seitdem Sie im Amt sind, noch kein einziges Mal über die deutsche Beteiligung an „Enduring
Freedom“ vertraulich unterrichtet worden. Ich lege auf
die Vertraulichkeit sehr viel Wert; ich glaube, wir müssen mit dem, was wir mitgeteilt bekommen, sehr vorsichtig umgehen. Aber wir müssen als Parlamentarier
hier Verantwortung tragen. Dazu benötigen wir ein Mindestmaß an Information.
({9})
Das Wort hat jetzt der Kollege Eckart von Klaeden
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Was von den Vorrednern bereits ausgeführt worden ist,
ist richtig. Es hat in den letzten Wochen und Monaten
Besorgnis erregende Mitteilungen über die Entwicklung
in Afghanistan, die Sicherheitslage, die Steigerung des
Drogenanbaus und das Wiedererstarken der Taliban, gegeben. Aber gleichzeitig ist richtig, dass wir auf große
Erfolge in der Entwicklung Afghanistans zurückschauen
können. Eine Sache macht das besonders deutlich: Die
übergroße Mehrheit der afghanischen, muslimischen Bevölkerung begrüßt den Einsatz der NATO, begrüßt das
Engagement der internationalen Gemeinschaft, vor allem der Deutschen und unserer Bundeswehr.
({0})
Wir müssen uns die Frage stellen, welche Konsequenzen wir aus der Entwicklung der letzten Wochen und
Monate ziehen. Ich meine, wir müssen alles tun, um ein
Scheitern der Mission der internationalen Gemeinschaft,
die auf der Grundlage des internationalen Rechts erfolgt,
zu verhindern. Denn welche Konsequenzen hätte ein
solches Scheitern? Die Folge wäre eine verheerende
Kettenreaktion. Die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung, die auf unserer Seite steht, wäre von uns enttäuscht, wenn wir sie im Stich lassen würden, denn sie
würde Opfer eines neuen Talibanregimes. Wir würden
also zurückfallen in eine Situation, wie sie vor dem
11. September 2001 bestanden hat; möglicherweise wäre
sie dann noch schlimmer. Wir müssten damit rechnen,
dass sich die Region weiter destabilisierte, dass extremistische Islamisten auch in anderen Ländern Erfolg
hätten. Wir müssten damit rechnen, dass so etwas nicht
nur auf die Region begrenzt bliebe. Wir müssten weltweit mit einem Erstarken des islamistischen Extremismus rechnen. Das hätte letztlich auch für die Sicherheit
in unserem eigenen Land Konsequenzen. Schließlich
würde die Glaubwürdigkeit der NATO und der internationalen Organisationen in eine schwere Krise geraten.
Ich will es ganz deutlich sagen: Diejenigen, die sich
jetzt für den Abzug der Bundeswehr einsetzen, hätten
ein solches Scheitern und die geschilderten Konsequenzen zu verantworten.
({1})
Jeder, der heute für den Abzug der Bundeswehr eintritt, muss sich die Frage stellen, ob er sein Verhalten
auch zum Maßstab für das Verhalten des gesamten Hauses machen könnte. Ich will niemandem, der heute gegen
die Mandatsverlängerung stimmt, unterstellen, dass er
das nur deswegen tut, weil er mit der Mehrheit des Hauses für den Einsatz rechnet. Jeder, der dagegen stimmt,
muss sich daher klar machen, dass er das herbeiführen
würde, was er vorgibt, verhindern zu wollen. Sich heute
aus Afghanistan zurückzuziehen, hätte die Qualität eines
Selbstmordes aus Angst vor dem Tode. Deswegen ist die
Fortsetzung unseres Engagements Voraussetzung für das
Gelingen. Das ist aber nicht die einzige Voraussetzung,
sondern wir müssen auch über die Konsequenzen der
Besorgnis erregenden Entwicklung der letzten Wochen
und Monate nachdenken. Dazu werde ich gleich noch etwas ausführen.
Zunächst einmal müssen wir uns doch klar machen,
warum wir überhaupt in Afghanistan sind und warum
die Bundeswehr am Hindukusch steht. Der wesentliche
Grund sind die Gefahren, die vom transnationalen Terrorismus ausgehen und die nach wie vor nicht gebannt
sind. Vor zwei Wochen haben wir der Anschläge des
11. September auf das World Trade Center in New York
und auch der Opfer, die es im Pentagon und in der Nähe
von Pittsburgh gegeben hat, gedacht. „9/11“ ist zur Chiffre für den bisherigen Höhepunkt des internationalen
Terrorismus geworden. Seitdem hat es eine Serie von
Anschlägen auf Einrichtungen der Vereinigten Staaten,
auf Einrichtungen anderer Staaten und vor allem auch
auf unbeteiligte Zivilisten in Indien, Indonesien, Pakistan, Russland und an vielen Orten der arabischen Welt
gegeben, zum Beispiel in Tunesien, wo auch deutsche
Touristen den Anschlägen zum Opfer gefallen sind.
Der Ausgangspunkt für diese Anschläge ist al-Qaida
und der Ausgangspunkt von al-Qaida liegt wiederum in
Afghanistan. Aus Afghanistan haben sich die Metastasen dieses Krebsgeschwürs auf andere Länder ausgebreitet. Das Talibanregime wollte den Schutz für al-Qaida
nicht aufgeben und es will heute wieder ein Regime in
Afghanistan errichten, das Rückzugs-, Schutz- und
Übungsraum für al-Qaida werden kann.
Erst die amerikanische Militärintervention hat das
Talibanregime gestürzt und die Ausbildungslager von
al-Qaida zerstört. Dieses Regime fiel zwar wie ein Kartenhaus zusammen, aber wir wissen, dass sich die Taliban und mit ihnen al-Qaida in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet zurückgezogen haben. Sie haben einen
Großteil ihrer Führungsstrukturen erhalten - mit Mullah
Omar an der Spitze.
Aus diesen Rückzugsgebieten haben die Taliban inzwischen ihre Kampagne gestartet, die zu den heftigen
Gefechten der letzten Wochen und Monaten geführt hat.
Ihre Ziele sind klar, nämlich die Vertreibung der westlichen Soldaten und der Soldaten der internationalen Gemeinschaft sowie der Entwicklungshelfer, die Rückkehr
nach Kabul, der Sturz von Präsident Karzai und die Wiedererrichtung eines islamistischen Regimes. Es wäre die
Rückkehr in das Jahr 2001 und in die Zeit davor. Fünf
Jahre Aufbauarbeit und das Vertrauen der afghanischen
Bevölkerung stehen auf dem Spiel.
Mit dem Sturz des Talibanregimes ging 2001 eine Periode von Krieg und Bürgerkrieg zu Ende, die 27 Jahre
gedauert hat. Am Beginn dieser Tragödie stand ein kommunistischer Putsch, der später den Einmarsch der Roten
Armee nach sich zog. 27 Jahre Krieg und Bürgerkrieg
sowie das Talibanregime haben das zuvor schon arme
Entwicklungsland in jeder Hinsicht ruiniert. Für einen
Vergleich mit Deutschland ist die Zerstörung Deutschlands und Europas nach dem Zweiten Weltkrieg nicht
angemessen. Wir müssen den Vergleich mit dem Zustand Europas nach dem Dreißigjährigen Krieg im
Jahre 1648 ziehen.
Gemessen an dieser Ausgangslage waren der Optimismus und die Aufbruchstimmung der internationalen
Gemeinschaft in den letzten fünf Jahren möglicherweise
zu groß. Deswegen ist es wichtig, dass wir unsere Ziele
jetzt der Realität anpassen und unsere Anstrengungen erheblich erhöhen, damit wir diese Ziele auch erreichen
können.
({2})
Ich bin der Bundesregierung und auch - das will ich
hier deutlich sagen - unserem Botschafter in Kabul für
ihren Einsatz sowie für die realistische und nüchterne
Einschätzung der Lage außerordentlich dankbar.
({3})
Das ist als eine Ehrenerklärung für unseren Botschafter
Hans-Ulrich Seidt zu verstehen;
({4})
denn ich finde es in einem hohen Maße unfair, unkollegial und unehrlich, Zitate aus einer geheimen Sitzung
aus dem Zusammenhang zu reißen, zu entstellen und damit in der Öffentlichkeit einen Eindruck entstehen zu
lassen, der weder von dem Botschafter noch von der
Bundesregierung noch von den sie tragenden Fraktionen
noch von anderen in dem Ausschuss vermittelt worden
ist. Man kann die sinnentstellten Zitate aus einer geheimen Sitzung nicht zurechtrücken - das liegt in der Natur
einer geheimen Sitzung -, weil man sich sonst selber
strafbar machen würde. Deswegen will ich das hier in
dieser Deutlichkeit, aber bedauerlicherweise auch in dieser Allgemeinheit so sagen.
({5})
Auf unsere großen Erfolge - etwa sieben Millionen
Kinder, davon 40 Prozent Mädchen, können heute wieder zur Schule gehen - ist schon hingewiesen worden.
Es ist kein Zufall, dass die Taliban vor allem diesen Fortschritt bekämpfen, dass sie Anschläge auf Schulen verüben, dass sie Lehrer umbringen und dass in diesen Tagen die Frauenbeauftragte der südafghanischen Provinz
Kandahar ermordet worden ist. Wir sollten auch an diese
Menschen denken, die sich unter Einsatz ihres Lebens
engagieren. Wir sollten uns klar machen, dass sie uns
vertrauen und dass wir sie nicht im Stich lassen dürfen.
Ich will hier ganz ausdrücklich unseren Soldatinnen und
Soldaten, aber auch den vielen zivilen Helferinnen und
Helfern danken, die den Namen unseres Landes nach
Afghanistan tragen und unter Einsatz ihres Lebens großartige Arbeit leisten.
({6})
Es gibt eine lange und beeindruckende Verbindung
Deutschlands zu Afghanistan. Es ist kein Zufall, dass
fast die Hälfte der Mitglieder des afghanischen Kabinetts
fließend deutsch spricht. Es wird von uns ein besonderer
Einsatz erwartet und es wird uns ein besonderes Vertrauen entgegengebracht. Diesem besonderen Vertrauen
sollten wir in Zusammenarbeit mit unseren Verbündeten
weiterhin gerecht werden.
Was sind die Konsequenzen aus der Besorgnis erregenden Entwicklung? Erstens. Wir müssen in Zusammenarbeit mit unseren Bündnispartnern unser Konzept
der Entwicklungshilfe überarbeiten. Ich glaube, dass
man zu früh von der Nothilfe auf strukturelle Hilfe umgestiegen ist. Wir müssen uns Gedanken machen, wie
das, was in den letzten Wochen und Monaten an Strukturen zerstört worden ist, wieder aufgebaut werden kann.
Wir brauchen vor allem eine bessere Koordination der
Entwicklungshilfe, die dort von unterschiedlichen Partnern geleistet wird.
Zweitens. Wir brauchen größere Anstrengungen beim
Aufbau der Institutionen in diesem Land. Bisher sieht
das Konzept so aus, dass unterschiedliche Nationen unterschiedliche Verantwortung übernommen haben: die
Briten für die Bekämpfung des Drogenanbaus, wir für
den Aufbau der Polizei, die Amerikaner für den Aufbau
der Armee, andere für den Aufbau der Infrastruktur und
den Aufbau eines Rechtsstaates, für eine korruptionsfreie Administration und für die Entwaffnung der Milizen.
Im Augenblick beginnen die einzelnen Nationen, sich
gegenseitig die Verantwortung für die schwierige Entwicklung in den letzten Wochen und Monaten zuzuschieben. Es ist völlig richtig, dass man bei der Bekämpfung des Drogenanbaus nur dann Erfolg haben kann,
wenn es gleichzeitig eine gut ausgebildete Polizei gibt.
Eine gut ausgebildete Polizei ist auf eine vernünftige Bezahlung und auf eine korruptionsfreie Verwaltung oder
eine Verwaltung, die die Korruption in ihren eigenen
Reihen zumindest bekämpft, angewiesen. Diese Verwaltung wiederum ist auf ein Sicherheitsumfeld angewiesen, das voraussetzt, dass Milizen entwaffnet worden
sind und dass der Aufbau der afghanischen Armee voranschreitet.
Was will ich damit sagen? Das eine hängt mit dem anderen zusammen. Jeder muss sich klar machen, dass der
eigene Beitrag und die eigene Aufgabe für das Gelingen
des Projekts Afghanistan essenziell sind, dass deswegen
alle zusammenarbeiten und ihre Anstrengungen vermehren müssen, ohne mit dem Finger auf den anderen zu
weisen.
({7})
Drittens. Wir müssen dazu übergehen, auch die Nachbarstaaten Afghanistans stärker einzubeziehen. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir zu einem institutionalisierten Konsultationsprozess kommen können, für
den das Nahostquartett oder andere Kontaktgruppen ein
Beispiel sein können. Wir müssen dafür sorgen, dass
zum Beispiel der Dialog zwischen Afghanistan und Pakistan nicht allein dem amerikanischen Präsidenten
überlassen wird.
({8})
Wir müssen dafür sorgen, dass die zentralasiatischen
Staaten, die ein enormes Interesse an dem Auftrag, den
wir in Afghanistan erfüllen, haben und auch einen enormen Beitrag dazu leisten, stärker mit einbezogen werden. Wir müssen auch versuchen, Länder wie Indien und
selbst China stärker in diesen Prozess mit einzubeziehen.
Es geht auch darum, die Demokratisierung Afghanistans im Rahmen eines institutionellen Prozesses zu
begleiten und dabei deutlich zu machen, dass es nicht
nur um die Stabilisierung Afghanistans, sondern der gesamten Region geht und dass wir an der ZusammenarEckart von Klaeden
beit mit denjenigen interessiert sind, die bereit sind, in
der Region Verantwortung zu übernehmen und eigene
Beiträge zu leisten.
({9})
Es geht also um drei Aspekte: erstens die Verbesserung und Überprüfung der internationalen Entwicklungshilfe, zweitens die bessere Koordination der jeweiligen Schlüsselaufgaben, die die einzelnen Nationen
übernommen haben, und drittens die Institutionalisierung eines Konsolidierungsprozesses. Niemand hat den
Stein der Weisen gefunden, was die weitere Entwicklung
in Afghanistan angeht. Aber heute schon durch eine Ablehnung unseres weiteren Engagements dafür zu sorgen,
dass Afghanistan scheitert, wäre verantwortungslos und
letztlich auch mit verheerenden Konsequenzen für die
Sicherheit unseres eigenen Landes verbunden. Deswegen brauchen wir die Fortsetzung und Verbesserung unseres Engagements und vor allem auch eine sorgfältige
und aufmerksame Begleitung der Arbeit der Bundesregierung durch den Deutschen Bundestag.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Norman Paech von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Die heutigen Zeitungsmeldungen stützen Ihre
Position überhaupt nicht, Herr Außenminister. Es gibt
aber schon seit Wochen und Monaten täglich Meldungen
über Anschläge, Selbstmordattentate, Überfälle und
Kampfhandlungen. Es ist erstaunlich, dass Sie das zwar
offensichtlich mit Sorge erfüllt, aber nicht in Ihrer Entscheidung irritiert, den Einsatz der Bundeswehr immer
wieder zu verlängern.
Wir hören von der Bundesregierung seit Monaten nur,
dass die Situation in Afghanistan nicht ruhig und nicht
stabil ist. Sie preist den Aufbau demokratischer Institutionen, gibt aber fairerweise zu, dass diese - kaum entstanden - schon von Korruption durchzogen sind.
In Ihrer Antwort auf die Anfrage der Linksfraktion
versuchen Sie, uns mit einem - ich zitiere - „verbesserten Klima der Sicherheit“ zu beruhigen. Das ist - mit
Verlaub - eine besonders einfältige Form der Schönrednerei.
({0})
Denn aus den Medien erfahren wir täglich, dass sich die
Verluste bei den britischen und amerikanischen Truppen
drastisch erhöht haben und die Taliban die Kampfformen
aus dem Irak übernommen haben und allmählich in den
Norden tragen. Insofern ist es nur zu verständlich, dass
der Verteidigungsminister immer mehr gepanzerte Fahrzeuge vom Typ Dingo anfordert und der Truppe die Weisung erteilt, diese Fahrzeuge und die Lager nicht mehr
zu verlassen.
So sieht keine Erfolgsstory eines fünfjährigen Militäreinsatzes aus, der zu einer Verlängerung drängt.
({1})
Die Bundeswehr klagt selbst über eine dramatisch sinkende Zustimmung der afghanischen Bevölkerung zu ihrem Einsatz. Herr von Klaeden, ich weiß nicht, woher
Sie die anders lautende Information haben. Der Botschafter hat sie gestern in der geheimen Sitzung nicht bestätigt.
Die anfängliche Sympathie für die ISAF ist in weit
gehende Ablehnung und - insbesondere im Süden - in
Hass umgeschlagen. Sie haben Ihr politisches Urteilsvermögen der militärischen Logik geopfert, dass die
NATO das Feld nicht als Verlierer verlassen darf. Aber
Sie erinnern sich sicherlich: Die USA hatte keinen Rückzugsplan aus Vietnam und ist von dort vertrieben worden. Die Sowjets hatten keinen Rückzugsplan für Afghanistan und sind von dort vertrieben worden. Die USA
und ihre Koalition stehen nun im Irak erneut vor einem
Desaster, aus dem sie mit militärischen Mitteln nie herauskommen werden. In Afghanistan droht ihnen dasselbe.
Es ist lobenswert, wenn aus der CDU/CSU-Fraktion
nun die Forderung kommt, Bundeswehreinsätze künftig
nur unter der Bedingung, dass sie befristet sind und dass
es eine Exitstrategie gibt, zu bewilligen. Aber beides
liegt in diesem Fall nicht vor.
({2})
Sie müssten also die Verlängerung ablehnen; denn die
Bundesregierung hat - wir haben ständig nachgefragt keine Vorstellung über die Dauer des Einsatzes. Stattdessen lässt sie im Norden, in der Nähe von Masar-i-Scharif, ein gigantisches militärisches Fort mit der Perspektive von zehn bis 15 Jahren bauen. Sie hat außerdem
gemeinsam mit dem NATO-Rat die ISAF zu einer
Kampftruppe umgewandelt, die nun in den Süden und
den Osten Afghanistans geschickt wird.
Während wir hier reden, tritt ein neuer Beschluss des
NATO-Rates in Kraft, der den Einsatz der ISAF-Truppe
auf den umkämpften Osten Afghanistans ausweitet. Dies
bedeutet, dass künftig rund 13 000 US-amerikanische
Soldaten, und zwar alte Antiterrortruppen, im Osten Afghanistans dem NATO-Kommando der ISAF unterstellt
werden, während die übrig gebliebenen 8 000 US-amerikanischen Soldaten den Antiterrorkampf der von den
USA geführten Operation Enduring Freedom fortsetzen.
Natürlich kann auch die Bundeswehr dorthin geschickt
werden; denn das ist seit einem Jahr Bestandteil des
Mandats. Die NATO will also nun einen Krieg fortsetzen, den die US-amerikanischen Streitkräfte seit fünf
Jahren im Rahmen der Operation Enduring Freedom erfolglos führen. Es ist vollkommen irreführend, zu
behaupten, die Trennung von ISAF und der Antiterrortruppe OEF bestehe weiterhin.
({3})
Die Einsätze sind vielmehr eng verzahnt. Die Infrastruktur wird geteilt. Die Kommandeure sind teilweise identisch.
Blicken Sie doch endlich realistisch auf die tiefe Kluft
zwischen der fortschreitenden Verschlechterung der Sicherheitslage und Ihrem illusionären Afghanistankonzept! Der Grundfehler ist, dass die Stabilisierung und der
Wiederaufbau Afghanistans als Nation-Building, als
eine grundlegende Transformation von Gesellschaft und
Institutionen begriffen werden. Daran waren die Sowjets
schon vor 20 Jahren gescheitert. Erinnern Sie sich daran!
({4})
Die Carnegie-Stiftung hat unlängst 18 Regimewechsel
untersucht, die mit amerikanischen Bodentruppen vorgenommen wurden. Sie kommt zu dem Ergebnis: 13-mal
wurde das Ziel, eine Demokratie oder eine ähnliche Regierungsform zu etablieren, verfehlt. Diese Art des Nation-Building hat im Irak schon mehr als 250 Milliarden
US-Dollar gekostet und sich selbst widerlegt.
Zum Schluss:
({5})
Herr Minister, wir sind mit Ihren Forderungen nach einem politischen Aufbau, der Bildung einer Polizei und
Alternativen zum Drogenanbau vollständig einverstanden. Aber was machen Sie bislang? Sie geben jährlich
80 Millionen Euro für die Entwicklungshilfe aus, aber
fast das Sechsfache, rund 460 Millionen Euro, für das
Militär. Tauschen Sie die Summen aus! Bereiten Sie mit
den 80 Millionen Euro den Rückzug des Militärs vor
und stecken Sie die 460 Millionen Euro in zivile Projekte! Dann werden Sie sich auch wieder ohne Panzerwagen in Afghanistan bewegen können.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen Trittin vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Paech, ich wusste gar nicht, dass Sie etwas mit
George W. Bush gemeinsam haben. Außer Ihnen glaubt
nur noch er, dass die Taliban auf einer Ebene mit der Befreiungsbewegung des Vietcong stehen. Deswegen wäre
ich an Ihrer Stelle mit Vergleichen von Afghanistan mit
Vietnam sehr vorsichtig.
({0})
Ich glaube, dass wir Afghanistan heute weder mit
Schönfärberei noch mit Schwarzmalerei begegnen dürfen. Vielleicht könnte man sich, auch mit Blick auf die
Kollegen der Linken, einfach an Antonio Gramsci halten. Er hat einmal von der Haltung des Optimismus des
Herzens und des Pessimismus des Geistes gesprochen.
Wenn wir uns dieser Haltung befleißigen, dann muss
man feststellen: Es gibt nicht das eine Afghanistan. Es
gibt zwei Afghanistan. Es gibt das Afghanistan des
Nordens. Hier wird gebaut, hier gehen Millionen, auch
Mädchen, wieder zur Schule. Hier gibt es eine positive
Entwicklung und hier wird Nation-Building betrieben.
Hier gibt es eine wesentlich von Deutschen angeführte
zivil-militärische Kooperation. Natürlich gibt es auch
hier Korruption und es gibt auch Anschläge. Aber niemand wird ernsthaft bestreiten, dass sich die Situation in
dieser Region seit dem Sturz der Taliban zum Besseren
entwickelt hat.
({1})
Man kann es auch so sagen: Im Norden Afghanistans ist
das Glas halb voll. Ich finde, wir müssen alles dafür tun,
dass es voller wird.
Ganz anders ist die Situation im Süden, in den Gebieten der Paschtunen an der Grenze zu Pakistan. Hier dominiert der Krieg. Bewaffnete Aufständische beherrschen weite Teile des Landes. Ein amerikanischer
kommandierender General brachte die Situation mit dem
Satz auf den Punkt: Wo die Straßen enden, herrschen die
Taliban. - Im Süden ist Krieg. Hier ist das Glas nicht
halb voll, hier ist es wahrscheinlich dreiviertel leer und
es leert sich täglich weiter.
Diese Entwicklung ist mit dem Begriff der Irakisierung des Südens beschrieben worden. Man muss zwischen den Ursachen der Konflikte unterscheiden. Sie
sind nicht identisch. Aber die Parallele auf der Ebene der
Phänomene ist doch unübersehbar. Selbstverständlich
hat allein der Krieg gegen den Irak viele Kapazitäten
beispielsweise der USA gebunden, die nun in Afghanistan nicht mehr vorhanden sind. Selbstverständlich ist
auch da zu beobachten - viele Besucher berichten das -,
dass dort private Sicherheitsfirmen dominieren, die teilweise Söldner beschäftigen, die auch für jeden anderen
Warlord arbeiten würden. Selbstverständlich muss man
die Frage stellen, ob es klug ist, Truppen, die vorher im
Kampfeinsatz in einem sehr blutigen Krieg im Irak gewesen sind, anschließend in Afghanistan einzusetzen.
Man braucht sich nicht zu wundern, wenn sie dort ähnliche Methoden anwenden.
Aber unübersehbar ist der Konflikt im Irak auch für
die andere Seite ein Modell für Afghanistan geworden.
Es hat vor dem Krieg im Irak keine Selbstmordattentate
in Afghanistan gegeben, wie sie nun verstärkt vor allem
im Süden stattfinden. Auch die bewaffneten Aufständischen lernen von ihrem Gegner nicht nur über CNN und
al-Dschasira. Auch sie privatisieren mittlerweile den
Krieg. Ihre Day-by-day-Kämpfer erhalten übrigens das
Doppelte des Soldes der Soldaten der afghanischen Armee.
Berücksichtigen wir schließlich, dass die Aufständischen mit den Paschtunengebieten in Pakistan ein offenes Hinterland haben und durch den gewachsenen Drogenanbau über beachtliche Geldressourcen verfügen,
dann verstehen wir, warum beispielsweise „Newsweek“
diese Woche mit dem Titel „Losing Afghanistan“ aufmacht und die Frage aufwirft, ob sich der Sieg hier in
eine Niederlage verwandelt. Wir müssen uns einer Tatsache stellen: Nur militärisch ist dieser Konflikt in Afghanistan nicht zu gewinnen. Deswegen macht es auch
keinen Sinn, blind mehr Truppen in den Süden hineinzuschicken. Das ist übrigens keine Feststellung, die Pazifisten und Friedensfreunde für sich gepachtet haben. Der
Oberkommandierende der NATO bis 2004, Wesley
Clark, schreibt in der gleichen Ausgabe von „Newsweek“ über diesen Krieg: The real war isn’t military. It’s
political and economic. - Er schreibt seiner Regierung
ins Stammbuch, sie müsse endlich anerkennen, dass dort
Nation-Building betrieben werden müsse. Das ist das,
was Deutschland im Norden im Rahmen von ISAF
macht.
({2})
Ich finde, Wesley Clark hat Recht. Wir müssen den
zivilen Aufbau stärken. Wir dürfen nicht mehr kleckern,
sondern wir müssen klotzen. Die Angabe, dass die internationale Gemeinschaft 85 Milliarden für das Militärische und 7 Milliarden für den Aufbau aufgewendet hat,
ist richtig. Dieses Verhältnis muss man verschieben. Das
ist richtig. Nur werden Sie diese Verschiebung nicht hinbekommen, wenn Sie darauf verzichten, den Aufbau militärisch abzusichern. Das ist die Unlogik an dieser
Stelle.
({3})
Es geht dabei nicht nur um mehr Geld; vielmehr muss
man auch darauf achten, dass dieses Geld dort ankommt,
also nicht in dunklen Kanälen versickert, und dass die
Traditionen, die kulturellen Gefühle der Menschen sowie die traditionellen Entscheidungsstrukturen berücksichtigt werden. Es gibt Projekte, die dies tun.
Die internationale Gemeinschaft muss nicht nur im
Norden, sondern in - ich betone - ganz Afghanistan endlich ein nicht nur von Deutschland oder Norwegen, sondern von allen Mitgliedern getragenes, flächendeckendes Konzept einer zivil-militärischen Kooperation
umsetzen.
({4})
Dabei müssen wir auch aus den Fehlern und Erfahrungen lernen. Wenn die Opiumernte trotz Ersatzangeboten und trotz des massenhaften Niederbrennens von
Feldern - das ist nur ein Beispiel - einen Rekordwert erreicht, dann kann man nicht einfach nur stumpf einen
Krieg gegen die Droge weiterführen - ein solcher Krieg
ist schon in Südamerika zum Scheitern verurteilt gewesen -,
({5})
dann muss man sich andere Gedanken machen und dann
auch einmal so frei sein, etwa darüber nachzudenken, ob
es nicht eine Alternative ist, den Bauern das Opium abzukaufen und es zu vernichten, wenn sie ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf anderer landwirtschaftlicher
Produkte nicht bestreiten können.
({6})
Wenn es richtig ist, dass auch im Norden Afghanistans Korruption und staatliche Inkompetenz vorhanden
sind, dann müssen wir sämtliche Anstrengungen unternehmen, damit mehr Polizei im Einsatz ist, und dann
darf es keine weiteren Verzögerungen im Bereich des
Justizaufbaus geben.
Die Bedrohung dieses ganzen Prozesses hängt auch
mit der Unfähigkeit und/oder - ich weiß es nicht - dem
Unwillen der pakistanischen Regierung zusammen, das
Grenzgebiet zu kontrollieren. Welche Konsequenzen
ziehen eigentlich wir, die Bundesrepublik Deutschland,
Europa und die internationale Gemeinschaft aus dieser
Tatsache für die Politik gegenüber Pakistan? Ohne einen verstärkten Polizei- und Justizaufbau, ohne eine andere Drogenpolitik, ohne eine dramatische Änderung der
Pakistanpolitik wird die Afghanistanpolitik scheitern.
Mit der Forderung nach einer notwendigen Änderung
der Politik verbindet die Mehrheit meiner Fraktion ihre
heutige Zustimmung zur Verlängerung des ISAF-Mandats. Wir wissen eines: Ein Abzug von ISAF würde jede
Chance zur Änderung der Afghanistanpolitik zerschlagen. Ein Abzug von ISAF würde das Glas auch im Norden leeren. Es wäre die Irakisierung des gesamten Afghanistans.
({7})
Das kann niemand wollen.
Wir nehmen auch zur Kenntnis, dass die Bundesregierung Änderungsbedarf in der Politik gegenüber Afghanistan sieht. Wir erwarten, dass diese Bereitschaft die
Fragen der Operation „Enduring Freedom“ einschließt.
Wir haben uns immer dafür eingesetzt, dass diese beiden
Einsätze strikt getrennt werden. Die USA und Großbritannien trennen dies nicht.
So richtig es ist, dass der zivile Aufbau ohne ISAF gefährdet ist, so richtig ist aber auch, dass es keine dauerhaft funktionierende Koexistenz geben kann zwischen
einem bloß militärisch verstandenen Kampf gegen den
Terrorismus und einem zivil-militärischen Ansatz, wie
wir ihn - ich finde, erfolgreich - verfolgen.
({8})
Ein solches Nebeneinander kann wiederum zu der befürchteten Irakisierung beitragen. Wir erwarten von der
Bundesregierung, dass sie diesem Haus, bevor sie uns im
Oktober um die Verlängerung des Mandats „Enduring
Freedom“ bittet, hier eine wirkliche Bilanz über Erfolge und Probleme, über die Notwendigkeit und auch
über das Spannungsverhältnis gegenüber ISAF vorlegt.
Wir wollen die Irakisierung ganz Afghanistans verhindern. Deswegen werden wir heute zustimmen. Deswegen werden wir aber auch Ihre Erfahrungen mit „Enduring Freedom“ sehr genau zu prüfen haben.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Ulrich Klose von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Entscheidung zur fortgesetzten Beteiligung der Bundeswehr an der International Security Assistance Force,
ISAF, ist keine Routineentscheidung. Jeder und jede, ob
dem Ja zuneigend oder dem Nein, muss den Antrag der
Bundesregierung genau prüfen, einmal um eigenständig
entscheiden zu können, zum anderen um der Bevölkerung, den Menschen in den Wahlkreisen, erklären zu
können, warum wir uns mit Soldaten in Afghanistan engagieren.
({0})
„Die Bundesrepublik wird auch am Hindukusch verteidigt“, das war die knappe Formel des früheren Verteidigungsministers Peter Struck. Sie ist richtig, überzeugt
aber nur, wenn die Hindukuschmetapher richtig verstanden wird. Sie steht für eine sehr grundsätzliche, wenn
man so will, globale Herausforderung des Westens,
westlicher Lebensweise und westlicher Werte durch religiös motivierte Gotteskrieger, denen es letztlich um die
Vorherrschaft einer bestimmten Lesart des Islam und der
Scharia geht - in Afghanistan und weit darüber hinaus.
Afghanistan - daran muss fünf Jahre nach den Anschlägen von New York und Washington erinnert werden - war
das Gastland, das logistische Zentrum, das ideologische
und kriegerische Trainingscamp von al-Qaida und ist es
grenzüberschreitend nach Pakistan noch immer oder
schon wieder. Das zeigen die jüngsten Kämpfe im Süden
und Osten Afghanistans. Was dort stattfindet, ist die
Fortsetzung eines Krieges, der nie zu Ende geführt
wurde, weil Amerika sich auf einen anderen, den Krieg
im Irak, konzentrierte.
Die jüngsten Angriffe der wiedererstarkten Talibankämpfer richteten sich gegen ISAF-Soldaten, die im Süden und Osten Afghanistans eingesetzt sind, vor allem
Briten und Kanadier. Es sind NATO-Soldaten. Der Unterstützungsauftrag von ISAF ist inzwischen auf ganz
Afghanistan ausgedehnt worden und wird von der
NATO geführt.
Das deutsche ISAF-Kontingent hat seinen Schwerpunkt im Norden des Landes, ist aber zwischenzeitlich
in die Lage versetzt worden, ISAF-Operationen zeitlich
und im Umfang begrenzt auch in anderen Regionen zu
unterstützen, sofern dies - ich zitiere - „zur Erfüllung
des ISAF-Gesamtauftrages unabweisbar ist“. Diese Ausdehnung des Mandats ist mit der Mandatsverlängerung
im September 2005 beschlossen worden. Sie wird im
vorliegenden Antrag der Bundesregierung ausdrücklich
wiederholt.
Ich mache auf diesen Punkt aufmerksam, weil sich
nicht nur im Süden und Osten Afghanistans, aber doch
vor allem dort die Sicherheitslage deutlich verschlechtert
hat. Es ist deshalb nicht völlig auszuschließen, dass ganz
im Sinne des erweiterten Mandats neue Anforderungen
auch an das deutsche ISAF-Kontingent herangetragen
werden. Hierzulande wünscht das niemand. Auszuschließen ist es aber nicht, was mich jedenfalls veranlasst, anknüpfend an eine Aussage von Herrn Dr. Hoyer,
an die Zusage der Bundesregierung zu erinnern, im Rahmen der regelmäßigen Unterrichtung über die Auslandseinsätze der Bundeswehr das Parlament unverzüglich
über Unterstützungsleistungen außerhalb der Nordregion
zu informieren.
({1})
Dies ist umso wichtiger, je unschärfer die Abgrenzung
zwischen Terrorismusbekämpfung einerseits und ISAFUnterstützungsoperationen andererseits wird.
({2})
Die Bundesregierung betont in ihrem Antrag, dass es
bei der klaren Abgrenzung und deshalb auch bei der
Trennung der beiden Mandate, Enduring Freedom und
ISAF, bleibt. Ich unterschreibe das ausdrücklich, habe
aber, wie ich zugebe, wachsende Zweifel, ob diese klare
Abgrenzung noch lange möglich und kommunizierbar
ist.
({3})
Je grimmiger sich der neuerlich aufgeflammte Widerstand im Süden Afghanistans entwickelt, umso ähnlicher
werden sich die beiden Mandate und umso vernehmlicher melden sich in der deutschen Öffentlichkeit die
Zweifler zu Wort, die zum Rückzug blasen.
Ich will nicht schwarzmalen, obwohl oder weil ich
seit einiger Zeit den Eindruck habe, dass die Zahl der
Skeptiker zunimmt. Aber auch das neue Afghanistankonzept der Bundesregierung, Herr Außenminister, ist
alles andere als optimistisch. Man kann es realistisch
nennen; optimistisch nicht. Es werden zu Recht Fortschritte bei der Wiederbegründung afghanischer Staatlichkeit beschrieben, aber immer noch ist das Land weit
entfernt von Stabilität und Good Governance. Eine deutliche Verbesserung der Lebensverhältnisse ist nicht erreicht worden. Die nicht unbeträchtlichen Hilfsmittel,
die die internationale Gemeinschaft zur Verfügung gestellt hat, sind, vorsichtig formuliert, nicht immer bei
den Menschen angekommen. Es hat Geschäftemacherei
und Korruption gegeben und die Sicherheitslage ist nicht
nur durch den Terror gefährdet, sondern auch durch Kriminelle, Warlords und Drogenbarone. Die Taliban profitieren von Enttäuschung und Unsicherheit. Sie sind in
Afghanistan nicht beliebt, aber sie gewinnen an Boden,
weil andere an Sympathie verlieren. Darauf, meine Damen und Herren, haben auch die weiblichen Abgeordneten des afghanischen Parlaments hingewiesen, die uns
kürzlich in Berlin besucht haben. Sie waren allesamt für
die Fortsetzung des ISAF-Mandats,
({4})
weil dessen Beendigung die sofortige Rückkehr der
Warlords und Taliban zur Folge hätte, worunter vor allem die Frauen leiden müssten. Dennoch war auch bei
diesen Abgeordneten eine zunehmende Skepsis vor allem gegenüber Amerika zu spüren.
({5})
Ich will die Schar der Schwarzmaler nicht vergrößern,
im Gegenteil: Ich will, dass die NATO-Länder in Afghanistan erfolgreich sind, damit Afghanistan an Zukunft
gewinnt und die NATO ihre Glaubwürdigkeit behält.
Die NATO darf nicht scheitern. Im Interesse unserer Sicherheit darf die NATO nicht scheitern.
({6})
Sie braucht aber dringlich eine abgestimmte und in den
Prioritäten leicht veränderte Strategie: eine militärische
und eine politische Strategie. Mit militärischen Mitteln
allein ist der Kampf gegen den internationalen Terrorismus nicht zu gewinnen, weder im Irak noch in Afghanistan.
({7})
Darf man diese beiden Länder in einem Atemzug
nennen? Ich denke schon; denn in beiden Ländern zeigt
sich, dass man trotz überlegener militärischer Stärke und
besten Absichten scheitern kann, wenn man die Unterstützung der Bevölkerung verliert. Das scheint jedenfalls
im Süden Afghanistans der Fall zu sein. Wer daran
schuld ist - die Regierung in Kabul, der Nachbar Pakistan, die westliche Führungsmacht -, das ist schwer zu sagen. Verbale Schuldzuweisungen helfen nicht weiter.
Entscheidend ist, dass der Westen aus den bisherigen Erfahrungen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus die richtigen Schlussfolgerungen zieht. Es handelt
sich in erster Linie um einen politischen Kampf. Nicht
die Zahl der getöteten Feinde, sondern die Zahl der für
die eigene Sache gewonnenen Freunde und Partner entscheidet über Erfolg und Misserfolg.
({8})
Nein, meine Damen und Herren, es handelt sich nicht
um eine Routineentscheidung, die wir heute zu treffen
haben. Jeder entscheidet für sich mit Ernst und der nötigen Portion Skepsis, die sich immer einstellen muss,
wenn wir über militärische Auslandseinsätze zu entscheiden haben.
({9})
Wir denken dabei in erster Linie an das Wohl unserer
Soldaten. Wir danken ihnen und den vielen zivilen Helfern für ihren Einsatz in Afghanistan. Sie helfen dem
Land am Hindukusch und sie helfen uns.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger, FDPFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die FDP wird heute der Verlängerung des ISAF-Mandats zustimmen; denn wir sind der Meinung, es wäre
falsch, in der jetzigen Situation die Truppen abzuziehen.
Das würde das Land in ein Chaos stürzen und alle bisherigen Bemühungen und Fortschritte zunichte machen.
Die Bundesregierung muss aber wissen, dass das keinen
Freibrief für die Zukunft darstellt. Diese Zustimmung
gilt nicht unbegrenzt und eine routinemäßige Verlängerung von Bundeswehreinsätzen wird es jedenfalls mit
der FDP nicht geben.
({0})
Der Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten ist
nur dann sinnvoll, wenn er der Durchsetzung eines realistischen politischen Konzepts dient. Daran mangelt es
im Augenblick. Da muss die Bundesregierung aus unserer Sicht auch nacharbeiten. Sie muss alle Anstrengungen unternehmen, um sichtbare Fortschritte bei der Verbesserung der Sicherheitslage und beim Wiederaufbau
des Landes zu erreichen. Die Menschen in Afghanistan
müssen das Gefühl haben, dass sich ihre persönliche Situation verbessert. Aber auch die Bürger in Deutschland
müssen das Gefühl haben, dass es vorangeht und dass
der Einsatz etwas bringt, wenn wir wollen, dass unser
Engagement für die Stabilisierung und Demokratisierung Afghanistans auch in der deutschen Öffentlichkeit
Unterstützung findet.
({1})
Deshalb erfordert die aktuelle Lage eine kritische
Bestandsaufnahme. Nach wie vor bestehen Defizite im
Hinblick auf den Aufbau einer funktionierenden Polizei
und eines funktionsfähigen Justiz- und Strafvollzugsystems. Die Problematik beim Drogenanbau, aber auch die
Probleme in den Beziehungen zwischen Afghanistan
und Pakistan hat mein Kollege Werner Hoyer bereits beschrieben. Dazu kommen Berichte über zunehmende
Bedrohungen durch gewaltbereite Kräfte und vermehrte
Anschläge auf ISAF-Soldaten, auch auf deutsche Soldaten im Norden.
Anfang September hat die Bundesregierung dann ihr
Afghanistankonzept vorgelegt. Immerhin hat die Bundesregierung jetzt ihre Bewertung geändert. Während sie
im April noch davon gesprochen hat, dass im letzten Berichtszeitraum latente Spannungen unter Kontrolle gehalten werden konnten, sagt sie jetzt, dass sich in vielen
Regionen Afghanistans die Sicherheitslage deutlich verschlechtert hat. Damit stellt sich die Bundesregierung
endlich der Realität, die wir vorfinden. Das Konzept,
liebe Kolleginnen und Kollegen, muss jetzt darauf ausgerichtet sein, daraus militärische und politische Konsequenzen zu ziehen.
Die Bundesregierung muss mit den NATO-Partnern
sprechen. Die NATO kann nicht einfach weitermachen
wie bisher. Das fängt mit der Frage an, wie die Soldaten
auftreten, ob sie den Menschen in Afghanistan mit
Respekt begegnen oder ob sie als Besatzer wahrgenommen werden. Da gilt es, alles zu tun, damit der gute Ruf
und die bisherigen Kontakte, die die Bundeswehr zu den
Menschen in Afghanistan hat, aufrechterhalten bleiben.
Herr Minister Jung, deshalb ist auch die Korrektur Ihrer
Haltung, die Anpassung Ihrer Strategie mit der Folge,
dass man angepasst an die jeweilige Gefährdungslage
weiter Fußpatrouillen durchführt, richtig gewesen. Wir
brauchen den Kontakt zu den Menschen und wir müssen
die NATO-Partner dazu bringen, ihr Verhalten ebenfalls
zu ändern.
({2})
Deutschland ist natürlich auch besonders beim Aufbau der Polizei gefordert. Wir haben hier die Verantwortung übernommen. Herr Minister Steinmeier, Sie haben
das auch vorgetragen. Eine funktionierende Polizei ist
eine zentrale Voraussetzung, damit die afghanische Regierung irgendwann selbst in der Lage ist, für Sicherheit
und Ordnung zu sorgen. Die Anstrengungen in diesem
Punkt dürfen nicht etwa eingeschränkt, sondern müssen
eher verstärkt werden, Herr Minister. Dazu gibt es offensichtlich nach wie vor unterschiedliche Vorstellungen innerhalb der Bundesregierung. Deshalb hat die FDP-Bundestagsfraktion auch eine Kleine Anfrage gestellt, mit
der wir genau diese Frage klären wollen. Wir sind nämlich der Meinung, dass das ein ganz wesentliches Element für den weiteren Aufbau Afghanistans ist. Wir wollen Ihnen hier gern die Gelegenheit geben, die Position
der Bundesregierung zu koordinieren.
Die Bundeswehr hat die Verantwortung für die gesamte Nordregion übernommen und leistet damit auch
einen wichtigen Beitrag zum ISAF-Gesamtauftrag. Es
wurde gerade schon von meinem Vorredner zitiert, dass
die Möglichkeit besteht, zeitlich und im Umfang begrenzt auch ISAF-Operationen in anderen Teilen des
Landes zu unterstützen. Dies geht aber nur insofern, als
dies zur Erfüllung des ISAF-Gesamtauftrages unabweisbar ist.
Ich sage klar und deutlich, die FDP-Fraktion trägt
diese Notfallklausel mit. Das ist aber keine Generalermächtigung. Deshalb erwarten wir von der Bundesregierung zunächst einmal eine klare Information des
Parlamentes. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee
und deshalb müssen wir Bescheid wissen, wenn Soldaten außerhalb des Kerngebietes eingesetzt werden.
({3})
Wir erwarten auch, dass das die absolute Ausnahme
bleibt; denn der Norden hat ein latentes Eskalationspotenzial. Die Bundeswehr ist voll und ganz gefordert,
die Situation im Norden stabil zu halten. Dass es schon
heute an der Ausstattung mangelt, dass es einen Mangel
an gepanzerten Fahrzeugen und auch an Lufttransportkapazitäten gibt, zeigt, dass wir uns in der Tat auf den Norden konzentrieren müssen.
Die Bundesregierung hat unsere Unterstützung, wenn
sie keine weitere Ausweitung der Obergrenze der Zahl
der Soldaten vornimmt und auch keine Ausweitung des
Einsatzgebietes nach Osten und Süden. Die Bundeswehr
ist vor dem Hintergrund einer Vielzahl weiterer Auslandseinsätze - inzwischen in fünf Regionen der Erde wirklich an der Grenze der Belastbarkeit angelangt. Sie
ist materiell, personell und finanziell nicht in der Lage,
weitere Auslandseinsätze zu übernehmen oder bestehende Auslandseinsätze drastisch auszuweiten. Wir Parlamentarier müssen wissen, dass unter den derzeit bestehenden Umständen das Ende der Fahnenstange, was
weitere Einsätze angeht, erreicht ist.
Die Bundesregierung will den Bundeswehreinsatz
erst nach Schaffung eines sicheren Umfeldes beenden.
Das ist zwar sicherlich richtig, aber wir brauchen eine
Exit-Strategie. Wir müssen mit unseren Partnern reden,
wie man erreichen kann, dass die Truppen wieder abziehen können. Es müssen politische Zwischenschritte vereinbart werden, die in einem klaren Zeitplan münden.
Wir brauchen ein abgestimmtes politisches Konzept. Ein
solches vorzulegen, ist Ihre Aufgabe, meine Damen und
Herren von der Regierung. Es ist unvorstellbar, dass die
Bundeswehr noch weitere 15 oder 20 Jahre in Afghanistan bleibt.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist deutlich überschritten. Würden Sie bitte zum Ende kommen?
Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin.
Nach der Mandatsverlängerung darf es kein Business
as usual geben. Jetzt werden die Weichen neu gestellt.
Das nächste Jahr des Mandats ist entscheidend für die
Zukunft. Es handelt sich um keine Routineoperation; es
gibt schon gar keinen Automatismus für die Zustimmung zu diesem Einsatz. Deutschland und auch die
NATO müssen aus den veränderten Bedingungen, die
wir derzeit in Afghanistan vorfinden, die Konsequenzen
ziehen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Christian Ruck, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Afghanistan ist nicht nur der Ort des größten Bundeswehreinsatzes, sondern auch der Ort der größten Baustelle deutscher Entwicklungspolitik. Nirgendwo anders als in
Afghanistan zeigt sich so dramatisch: Es gibt keine
Sicherheit ohne Entwicklung und keine Entwicklung
ohne Sicherheit. Mit dem Einsatz unserer Soldaten
schaffen wir ein Zeitfenster für Stabilisierung und Wiederaufbau. Vom Erfolg des Wiederaufbaus hängt wiederum die Sicherheit unserer Soldaten ab.
Es gibt bereits - das wurde schon gesagt - große Erfolge beim Wiederaufbau. Beispielsweise ist das ProKopf-Einkommen um 77 Prozent gestiegen. Die vielen
Schülerinnen und Schüler, die jetzt wieder eine Schule
besuchen können, wurden ebenfalls schon erwähnt. Das
alles ist ein deutlicher Fortschritt im Vergleich zu dem
Zustand vor fünf oder sechs Jahren - Sie erinnern sich
sicher -, als wir bei Null angefangen haben.
Es ist auch richtig: Unsere Soldaten und unsere Entwicklungsexperten genießen einen hervorragenden Ruf.
Das PRT-Konzept, das auch bei uns heftig diskutiert
wurde, war angesichts des riskanten Umfeldes in Afghanistan genau richtig. Diese Position können wir auch
nach außen vertreten.
({0})
Es ist schon völlig richtig dargestellt worden, dass wir
zum ersten Mal nach fünf Jahren eine Situation erleben,
in der es keinen Fortschritt gibt, sondern - im Gegenteil einen dramatischen Rückschritt. Es gibt krisenhafte Erscheinungen, was die Sicherheitslage in weiten Teilen
des Landes angeht. Entwicklungen sind zum Stillstand
gekommen, die Korruption ist auf dem Vormarsch und
die Drogenproduktion erreicht immer neue Rekordstände. Dies alles gefährdet die Gesamtmission Afghanistan. Deswegen ist es richtig, Frau Homburger, dass
wir aus den Analysen und aus den Nachrichten die richtigen Schlüsse ziehen, und zwar ohne Tabus. Das sind
wir unseren Soldaten und unseren Entwicklungshelfern
schuldig.
({1})
Ebenfalls richtig ist, dass die Bundesregierung ihr
Afghanistankonzept überarbeitet. Wir wollen dabei
mitdiskutieren. Ich möchte einige Schlüsse nennen, die
wir ziehen sollten. Da geht es zunächst einmal um unseren eigenen Beritt, nämlich um die Bereiche, in denen
wir Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten übernommen haben. Hier halte ich zwei Punkte für besonders
wichtig:
Erstens. Wir müssen überall dort, wo es möglich ist,
den Übergang von Soforthilfemaßnahmen zu einer langfristigen Aufbauarbeit konsequenter vorantreiben, vor
allem wenn es darum geht, dafür zu sorgen, dass die Afghanen im Verwaltungssystem, im Ausbildungssystem
und im Sicherheitssystem ihre Verantwortung mit hoher
Kompetenz eines Tages selbst übernehmen können.
Zweitens ist der Ausbau unserer Polizeiausbildung
wichtig; darauf wurde schon hingewiesen. Hierbei geht
es nicht nur um eine quantitative Steigerung einer wirklich qualitativ hochwertigen Arbeit, sondern auch um die
Komponente der Bezahlung. Denn auch der am besten
ausgebildete und am höchsten motivierte Polizist wird
schwach, wenn ihm die Warlords das Doppelte des Gehalts von dem anbieten, was ihm die offizielle Regierung
zahlen kann. Diese Komponente ist, glaube ich, genauso
wichtig.
Eine wichtige Erkenntnis aus unseren Schwierigkeiten ist, dass der Aufbau und die Stabilität in Afghanistan ein Mosaik bilden. Wenn einzelne Teile nicht fertig
werden oder herausbrechen, ist das Ganze gefährdet und
bricht das Ganze auseinander. Oder umgekehrt: Wenn
andere mit der Erfüllung ihrer Hausaufgaben, zum Beispiel im Drogenbereich, beim Aufbau der Justiz oder bei
der Entwicklung im Süden, Schwierigkeiten haben, dann
ist der Gesamterfolg und damit auch unser Erfolg, den
wir zweifellos im Norden haben, gefährdet. Das hat für
mich zwei Konsequenzen: Es muss erstens eine bessere
Koordination insgesamt und zweitens eine stärkere
Nachbarschaftshilfe geben.
Zum Stichwort Koordination. Hier ist die dringende
Forderung nach mehr Kontinuität, nach mehr Effizienz
und auch nach mehr Seriosität bei der Tätigkeit mancher
internationaler Organisationen inklusive mancher UNOrganisationen in Betracht zu ziehen.
({2})
Da bauen wir auf Tom Koenigs, unseren Kompatrioten,
der neuer UN-Beauftragter in Afghanistan ist und den
wir bei der Arbeit für mehr Effizienz unterstützen sollten.
({3})
Koordinationsbedürftig ist auch der so wichtige Aufbau der Sicherheitsorgane; das wurde schon gesagt. Wir
bilden die Polizisten - um es einmal etwas überspitzt zu
formulieren - mit deutscher Gründlichkeit zu Bürgern in
Uniform aus, während andere das Ganze im Sheriffcrashkurs in sechs Wochen machen. Das passt natürlich
nicht zusammen.
({4})
Das Ganze gilt auch - das wurde schon angesprochen für ein heikles Thema, nämlich für die unterschiedlichen
Philosophien der verschiedenen Streitkräfte gegenüber
der Zivilbevölkerung in Afghanistan. Auch hier muss
eine stärkere Koordinierung stattfinden. Das ist ein ganz
heikler Punkt, vor dem wir nicht die Augen verschließen
sollten.
Auch sollten wir die Augen nicht vor dem Thema
Nachbarschaftshilfe verschließen, und zwar auch in
Sektoren und Gebieten außerhalb unseres Wirkungsbereiches. Auch ich bin - das sage ich ganz ehrlich - gegen
eine Ausdehnung des Bundeswehreinsatzes in den Süden. Aber es gibt zum Beispiel konkrete Hilfsersuchen
der Kanadier nach unserer Expertise, nach unserem Rat
zu rasch wirksamen und rasch sichtbaren Soforthilfemaßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit, zum
Polizeiaufbau, zur ländlichen Entwicklung und zur Verbesserung der Arbeit ihrer PRTs. Dazu sollten wir Ja sagen. Wir sollten die Kanadier in Kandahar nicht im Stich
lassen, wenn es um solche zivilen Ratschläge und zivilen
Expertisen geht.
Auch ich halte Überlegungen für positiv, die deutsche
Entwicklungszusammenarbeit wieder dort aufzunehmen, wo wir noch vor kurzem sehr erfolgreich tätig
waren, nämlich in Khost und Baktiar, wo wir hoch
angesehen sind und wo uns unter anderem auch die lokalen Stammesfürsten zurückersehnen. Wir sollten uns
überlegen, ob wir hier einen zusätzlichen Beitrag zur
Stabilisierung Afghanistans leisten könnten.
Zum Schluss möchte ich auf das heikle Thema der
Drogenbekämpfung eingehen. Das ist eigentlich Sache
der Briten. Aber es nützt nichts: Wenn die Situation aus
dem Ruder läuft, sind wir alle betroffen und ist unser
Gesamteinsatz gefährdet. Nach einem Hearing unserer
Fraktion, bei dem übrigens auch Spezialisten aus Kolumbien und Thailand anwesend waren, um den Afghanen eventuell Hilfestellung zu geben, sage ich: Dies ist
schwierig, aber nicht unmöglich, wenn man auch auf
neue Ideen kommt und sich vor neuen Ideen nicht
scheut.
In Afghanistan ist eine Kombination von drei Dingen
wichtig:
Erstens. Auch die politische Spitze in Afghanistan
muss hinter der Drogenbekämpfung stehen.
({5})
Das gilt auch für die Personalpolitik, bis hin zum Präsidenten Karzai. Seine Personalentscheidungen in letzter
Zeit, sowohl was die Drogenbekämpfung als auch was
die Besetzung der höchsten Stellen der Polizei anlangt,
haben nicht für Vertrauen gesorgt, auch nicht in der Bevölkerung.
({6})
Zweitens. Die Polizei, auch wenn sie noch so gut ausgebildet ist, kommt nicht in das letzte Bergdorf Afghanistans. Aber die Marktwirtschaft kommt dorthin. Wenn
wir den afghanischen Bauern, die ja nur 1 Prozent des
Erlöses aus dem Drogengeschäft abbekommen, eine
marktwirtschaftliche Lösung inklusive Marktzugang und
einen vernünftigen Preis für ein vernünftiges Produkt garantieren können, dann kann es gelingen, dass sie keinen
Mohn mehr anbauen. Auch darauf zielt ein deutsches
Entwicklungsprojekt - es ist ein Versuchsballon
Herr Kollege, auch Sie muss ich an die Redezeit erinnern.
- jawohl -; das ist unsere Zuckerfabrik.
({0})
- Man muss einfach auf neue Ideen kommen.
Drittens. Wir brauchen die Unterstützung der vernünftigen Mullahs und der vernünftigen Stammesfürsten, die auch zu Talibanzeiten gegen die Drogenproduktion vorgegangen sind, und zwar aus religiösen Gründen.
({1})
Es ist machbar. Wir müssen nur mehr Anstrengungen
als bisher unternehmen. Wir sollten auch - da gebe ich
Ihnen Recht - etwas mehr Demut an den Tag legen.
Herr Kollege, Sie reden auf Kosten Ihres nachfolgenden Kollegen.
Verzeihung.
({0})
Mein Schlusssatz. Wir haben in Afghanistan Verantwortung übernommen und wir dürfen uns, auch im eigenen Interesse, aus dieser Verantwortung nicht davonstehlen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Monika Knoche, Fraktion
Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine werten Herren
und Damen! Herr Klose, Sie haben sehr eindringlich gesagt, die NATO dürfe nicht scheitern. Ich empfinde das
nicht als ein Statement eines gestandenen Realpolitikers,
eben weil uns die Wirklichkeit immer deutlicher vor Augen führt: Der Kampf gegen Terror kann mit Krieg nicht
gewonnen werden.
({0})
Wenn Sie immer noch mehr Militär ins Land bringen,
bringt das nicht mehr Freiheit und auch nicht Frieden in
das Land. Ich erinnere daran: Zu den kriegslegitimierenMonika Knoche
den Gründen zählte nicht nur die Zerschlagung der alQaida, sondern auch die Befreiung der Frau von der
Burka und die Beendigung systematischer Menschenrechtsverletzungen an ihnen.
Diese Woche wurde in einem schrecklichen Anschlag
die Frauenbeauftragte Safiya Omar Jan getötet. Mädchenschulen sind Anschlagsziele. Gerade deshalb sage
ich: Es darf nie das Menschenrecht der afghanischen
Frau zur Disposition gestellt werden.
({1})
Die Frage aber ist, ob es dazu des Militärs oder nicht
doch mehr Polizei bedarf. Das Menschenrecht der Frau
muss von der afghanischen Gesellschaft und ihren staatlichen Institutionen geschützt werden. Die aber sind
schwächer geworden, je länger der Krieg dauert.
({2})
Präsident Karzai verliert seine Unterstützung. Die
afghanische Regierung ist ineffizient; Frauen sind in
ihr nicht vertreten, wohl aber die Warlords. Diese haben
erkennbar kein Interesse an Frauenrechten, an einer Stabilisierung und am Aufbau einer Zivilgesellschaft.
Mir geht es heute darum, eines der Grundübel der innerafghanischen politischen Verhältnisse zu benennen,
ein Übel, das mit Krieg gegen Terror genauso wenig zu
vertreiben ist wie mit Krieg gegen Drogen: Das ist der
Mohnanbau. Er ist Quelle der Finanzierung von Korruption, Quelle der Finanzierung der Warlords und der
archaischen Macht. Dass das so ist, daran hat leider auch
Deutschland Anteil.
In Ermangelung anderer Staatsmänner wurden in der
Ära nach den Taliban die Warlords in die Regierung gebracht und das Ganze wurde als Demokratie bezeichnet.
Bis heute ist der Drogenanbau rasant gestiegen; die Gewinne explodieren. Da hilft auch das Abbrennen der
Mohnfelder nichts, im Gegenteil: Es treibt die bäuerliche
Bevölkerung noch tiefer in den Sumpf der Abhängigkeit.
Die Ursubstanz für Heroin gedeiht; die agrarische Produktion ist dadurch nahezu vollständig ersetzt worden.
Was also ist zu tun? Es ist an der Zeit, das Unorthodoxe zu denken. Es ist an der Zeit, den Drogenanbau in
kontrolliertem Umfang zu legalisieren. Es ist an der Zeit,
den Drogenanbau zu ersetzen. Angesichts der Preise, die
die Bauern dadurch erzielen, scheitert die prinzipielle
Illegalisierung sowieso.
Ein Ausweg ist die massive Subventionierung des
Anbaus agrarischer Produkte. In Europa haben wir uns
längst daran gewöhnt, die Landwirtschaft finanziell zu
unterstützen. Ein weiterer Weg sind ein lizenzierter, legaler, kontrollierter Mohnanbau und der Aufbau eines
staatlichen Monopols zur Aufbereitung für medizinische
Zwecke. Die Welt braucht kostengünstige Schmerzmittel. Das gilt insbesondere für die so genannten Entwicklungsländer. Man muss mutige, neue Wege gehen und
nicht noch mehr vom Falschen verordnen.
({3})
Stellen wir uns doch einfach einmal vor, den Warlords,
den Drogenkönigen, würde der Geldhahn abgedreht, indem ihnen das Schmiermittel für die Korruption und die
Finanzierungsquelle für ihre Milizen abhanden kommen!
Ich höre Ihre ernsten Klagen über die Dimension, die
der Drogenanbau erreicht hat: Afghanistan beliefert die
Welt mit verbotenem Heroin. Das gedeiht unter der massiven internationalen Militärpräsenz. Haben Sie eine
praxistaugliche Antwort? Ich habe heute keine gehört.
Wenden Sie sich einer pragmatischen Position zu, wie
ich sie skizziere.
({4})
Ich bin mir bewusst, dass Sie das jetzt nicht hören mögen. Aber was ist Ihre Alternative? Sie haben keine.
({5})
Eines ist gewiss: Entwicklung und Entwicklungszusammenarbeit können nur gelingen, wenn die Korruptionsbekämpfung wirksam ist. Korruptionsbekämpfung
kann nur durch eine sinnvolle Drogenpolitik gelingen.
Das ist eine klare, einfache Wahrheit. Das Geld für internationales Militär ist besser investiert in Wirtschaftshilfe, Rechtsstaatsbildung, Armutsbekämpfung sowie
den Aufbau von Polizei und sicheren Grenzen. Afghanistan braucht unsere nachhaltige Unterstützung.
Zu einer Exitstrategie gehört nicht nur, den Abzug des
Militärs zu planen, sondern dazu gehört auch, eine ökonomische Perspektive für eine volkswirtschaftliche Gesundung des Landes zu entwickeln. Ein starker Einsatz
von deutschen Soldaten für zivile Aufgaben wird obsolet, wenn starke zivile Kräfte die Zivilgesellschaft stärken.
({6})
Ob das allein die Taliban zurückdrängen wird, weiß
ich nicht sicher. Aber es besteht hinreichend Anlass, davon auszugehen, dass ISAF und Operation Enduring
Freedom sie nicht wirklich schwächen, im Gegenteil.
Haben Sie Mut zu neuen Wegen, denn das Militär befindet sich bereits in einer Sackgasse.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Christel RiemannHanewinckel, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen die
reale Geschichte einer afghanischen Frau erzählen.
Diese Frau hat sich in ihrem Land, in Afghanistan, im
Rahmen einer Ausbildungsmaßnahme, die mit Mitteln
der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gefördert
wurde, zur Polizistin ausbilden lassen. Diese Frau fährt
jeden Tag mit dem Bus zu ihrem Arbeitsplatz; das ist der
Flughafen in Kabul. Ihr Arbeitsplatz dort ist die Sicherheitskontrolle. Sie ist bekleidet mit einer Polizeiuniform.
Darüber trägt sie eine Burka. Die Burka legt sie erst ab,
wenn sie ihren Arbeitsplatz erreicht hat.
Für diese Frau hat sich das Leben nach dem Sturz des
Talibanregimes grundlegend verändert. Sie hat nach
36 Jahren erstmals das Parlament mitwählen können. Sie
kann endlich öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Sie
hat die Möglichkeit bekommen, eine Ausbildung zu machen. Sie hat einen Arbeitsplatz. Sie verdient Geld, um
ihre Familie zu ernähren. Sie erlebt, dass ihre Kenntnisse, ihre Erfahrungen notwendig sind und ihr Tun als
Frau genauso wichtig wie das der Männer ist. Sie nimmt
am öffentlichen Leben teil. Sie ist gefragt. Sie baut die
Gesellschaft mit auf. Diese wichtigen Erfahrungen kann
sie an ihre Familie, an ihre Kinder, an ihre Töchter und
in ihrer Nachbarschaft weitergeben.
Sie erlebt aber auch Einschüchterung und Bedrohung.
Sie trägt die Burka heute nicht mehr, weil sie sie tragen
muss, sondern - so absurd das für uns klingen mag weil sie ihr Schutz gibt. Sie will als Polizistin in der Öffentlichkeit nicht erkannt werden, weil sie sich damit einer tödlichen Gefahr aussetzt.
Dieses Beispiel zeigt: Frauen in Afghanistan gehen
ein hohes persönliches Risiko ein, um sich am Aufbau
ihres Landes zu beteiligen. Sie haben den Mut, sich als
Polizistinnen, als Richterinnen, als Anwältinnen und als
Lehrerinnen ausbilden zu lassen und als solche zu arbeiten. Sie wollen die Rechte, die ihnen die neue afghanische Verfassung gibt, ergreifen und sie mit Leben füllen.
Dieses Beispiel macht deutlich, dass Entwicklung ohne
Sicherheit nicht möglich ist.
({0})
Dauerhafte Sicherheit kann nur dort entstehen, wo
Bildung und Entwicklung gemeinsam wachsen.
({1})
Bildung und Ausbildung von Frauen sind ein Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in
Afghanistan. Pro Jahr werden in Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit 80 Millionen Euro investiert, um
den Aufbau von Staat und Gesellschaft voranzubringen.
Deutsche Entwicklungszusammenarbeit hat dazu beigetragen, dass Mädchen wieder in die Schule gehen können. Denn es darf nicht so bleiben, dass 90 Prozent der
Frauen in Afghanistan Analphabetinnen sind. Das muss
und kann sich durch deutsche Entwicklungszusammenarbeit ändern.
({2})
Die Entwicklungszusammenarbeit hat dazu beigetragen,
dass Frauen Zugang zu medizinischer Versorgung bekommen haben und Rechtsberatung erhalten. Die Entwicklungszusammenarbeit hat auch dazu beigetragen,
dass Frauen Arbeitsplätze, zum Teil mit paralleler Kinderbetreuung, bekommen. Außerdem hat die Entwicklungszusammenarbeit dazu beigetragen, dass sauberes
Wasser, Energie, neue Straßen und Infrastruktur wirtschaftliches Leben ermöglichen.
Dieses Engagement müssen wir fortsetzen. Wir wollen mit unserem Engagement die Mehrheit in Afghanistan stützen. Die Mehrheit in Afghanistan sind die Frauen
und Mädchen, die nämlich wie in nahezu allen Ländern
dieser Welt fast 53 Prozent ausmachen. Sie müssen zum
Entwicklungsmotor in Afghanistan werden.
Wir wollen, dass die Durchführungsorganisationen
vor Ort ein Mindestmaß an Sicherheit haben, gerade
jetzt, da Mord und Gewalt das bisher Erreichte erheblich
gefährden. Die Nichtregierungsorganisation medica
mondiale - viele von Ihnen kennen sie - hat mir geschrieben: Unsere Projekte zur Stärkung, Heilung und
Partizipation von Frauen wären ohne die Präsenz von
ISAF gar nicht möglich.
({3})
Deshalb sind in Afghanistan noch immer deutsche
Fachfrauen und Fachmänner sowie deutsche Soldatinnen
und Soldaten in der Entwicklungszusammenarbeit nötig.
Deshalb - nicht weil wir Krieg führen wollen, sondern
weil wir mit den Fachfrauen und Fachmännern, mit den
Menschen in Afghanistan und mit deutschen Soldatinnen und Soldaten vieles erreichen - bitte ich Sie, der
Verlängerung des ISAF-Mandates zuzustimmen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Ernst-Reinhard Beck,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Auslandseinsätze der Bundeswehr sind
zur Normalität geworden. Aber gerade deshalb dürfen
weder wir als Parlamentarier noch die Öffentlichkeit
diese Einsätze als Alltagsgeschäft behandeln. Es wäre
fatal, wenn der Eindruck entstünde, dass wir leichtfertig,
fast schon routiniert Männer und Frauen in die Krisengebiete dieser Welt schicken. Ich bin mir sicher: Wir sind
uns der Verantwortung voll bewusst und wägen, wie die
Debatte zeigt, bei jeder Mandatsverlängerung Chancen
und Risiken, Auftrag und Mittel sorgfältig ab.
Demnächst stehen nahezu 10 000 deutsche Soldaten,
darunter knapp 10 Prozent Reservisten, weitgehend gut
ausgerüstet und gut ausgebildet, im Einsatz. Dabei sind
Gefahren für Leben und Gesundheit unserer Soldatinnen
Ernst-Reinhard Beck ({0})
und Soldaten immanent. Vor diesem Hintergrund entscheiden wir heute über die Verlängerung des ISAFMandats. Als der Bundestag vor fünf Jahren zum ersten
Mal einen Afghanistaneinsatz beschlossen hat, muss jedem klar gewesen sein, dass dies keine gefahrlose, kurze
Episode sein würde, sondern dass dabei Geduld, Fingerspitzengefühl und ein langer Atem notwendig sein würden - politisch, militärisch und finanziell.
Nach fünf Jahren des ISAF-Einsatzes und des Wiederaufbaus in Afghanistan ist die Bilanz durchwachsen
- meine Vorredner haben schon darauf aufmerksam gemacht -: Einerseits gibt es, nicht zuletzt dank deutscher
Hilfe, Fortschritte im Gesundheits- und Schulwesen, ein
gewähltes Parlament, eine legitime Regierung und Fortschritte beim Aufbau der Polizei. Andererseits nimmt
die Zahl der Anschläge im ganzen Land zu, der Drogenanbau floriert und es werden Rekordernten gemeldet,
die Korruption ist ungebrochen und im Süden herrscht
regelrecht Krieg.
Auch im Norden des Landes hat sich die Lage in kurzer Zeit dramatisch zugespitzt. Die deutschen Feldlager
in Masar-i-Scharif, Kunduz und Faizabad sind regelmäßig unter Raketen- und Gewehrbeschuss. Hinzu kommen die IEDs, versteckte, ferngezündete Bomben, als
ständige Bedrohung unserer Patrouillen sowie Selbstmordattacken und Autobombenanschläge.
Machen wir uns nichts vor: Auch im Norden, im Aufgabenbereich der Bundeswehr, wächst die Frustration
und Enttäuschung der Menschen, die Ablehnung der
Zentralregierung und der internationalen Gemeinschaft.
Auch dort werden unsere Soldaten, so Leid uns das tut
und so sehr uns das schmerzt, mehr und mehr als Besatzer und nicht als Helfer angesehen.
Wir sind derzeit nach Großbritannien der zweitgrößte
Truppensteller. Im Norden des Landes stellen wir
2 200 und in Kabul 580 Soldatinnen und Soldaten; damit
sind wir sowohl in der Fläche als auch in der Hauptstadt
vertreten. Sie leisten unter gefährlichen Bedingungen
hervorragende Arbeit.
({1})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchte
an dieser Stelle ausdrücklich unseren Soldaten in allen
Einsatzgebieten, insbesondere aber denen in Afghanistan, unseren herzlichen Dank sagen.
({2})
Sie verdienen, wie ich meine, nicht nur unseren Dank,
sondern auch unsere volle Unterstützung, wenn es darum geht, ihre materielle Ausstattung zu verbessern, im
Hinblick auf geschützte Fahrzeuge, Hubschrauber, eine
gepanzerte Reserve oder auch beim Schutz der Feldlager.
Mit dem Einsatzversorgungsgesetz haben wir zudem
die Absicherung unserer Soldatinnen und Soldaten entscheidend verbessern können. An dieser Stelle begrüße
ich ausdrücklich die Gesetzesinitiative von Minister
Dr. Jung zur Weiterbeschäftigung von im Einsatz dauerhaft schwer beschädigten Soldatinnen und Soldaten.
({3})
Natürlich dürfen sich unsere Soldaten nicht einigeln. Um
ihren Auftrag zu erfüllen, müssen sie den Kontakt mit
den Menschen halten, auch wenn dies mit Gefahren verbunden ist.
Der Kollege Klose hat darauf hingewiesen: Die Formulierung des Mandats, dass das deutsche Kontingent
die ISAF-Operation zeitlich und im Umfang begrenzt in
anderen Regionen unterstützt, sofern dies zur Erfüllung
des ISAF-Gesamtauftrags unabwendbar ist, lässt genügend Spielraum für verantwortungsbewusste Entscheidungen.
Ich befürworte eine realistische Analyse der Lage. Ich
warne jedoch dringend vor pessimistischen Schlussfolgerungen und davor, bereits jetzt von einem Scheitern
der internationalen Gemeinschaft oder der NATO in Afghanistan zu sprechen.
({4})
Das Afghanistankonzept der Bundesregierung heißt
kurz gefasst: Sicherheit und Wiederaufbau. Dieses Konzept ist richtig und zukunftsweisend. Für Sicherheit und
Stabilität als Grundlage des Wiederaufbaus steht die
PRT-Konzeption von ISAF, für die die Bundeswehr in
der Nordregion die Verantwortung trägt. Aber auch die
Operation Enduring Freedom leistet einen unverzichtbaren Beitrag zur Schaffung von Sicherheit und zur Herstellung stabiler Verhältnisse. Entscheidend wird jedoch
sein, beim Wiederaufbau der Infrastruktur rascher sichtbare Erfolge zu erzielen. Trotz der verschlechterten Sicherheitslage ist eines klar: Wir können nicht weglaufen,
wenn es kritisch wird. Wer jetzt für den Abzug unserer
Soldaten plädiert, lässt die Menschen in Afghanistan im
Stich, übrigens mit unabsehbaren Folgen für unsere eigene Sicherheit, von den Folgen eines Scheiterns für die
NATO ganz zu schweigen.
({5})
Der Kampf um die Herzen und Köpfe der Afghanen
steht auf Messers Schneide, aber er ist nicht verloren.
Wir müssen ihn gewinnen. Wir stimmen deshalb der
Verlängerung des ISAF-Mandats zu.
({6})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Rainer Arnold, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auch die fünfte Verlängerung des Mandates der
Vereinten Nationen zum Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe für Afghanistan ist alles
andere als parlamentarische Routine. Unsere Parlamentsarmee verlangt von uns mehr: weitere Diskussion
über die schwierige, ernste Situation und einen größeren
Beitrag aller Parlamentariergruppen in allen tangierten
Ausschüssen, den wir zur Begleitung der Anstrengungen
der Bundesregierung stärker vernetzen sollten. Insofern
finde ich es schade, dass die Grünen ihren Antrag so
kurzfristig eingebracht haben. Wir hätten uns bestimmt
auf eine gemeinsame Initiative verständigen können.
Das hätte das Thema verdient gehabt.
({0})
Zur parlamentarischen Verantwortung, Frau Kollegin
Homburger, gehört auch, dass die Regierung uns korrekt
informiert. Nur, mit Ihrer Formulierung haben Sie versucht, den Eindruck zu erwecken, die Bundesregierung
tue dies möglicherweise nicht. Deshalb stelle ich hier
fest: Die Bundesregierung hat das Parlament über die
Obleute - auch über Einsätze und Unterstützungsleistungen der Soldaten im Süden Afghanistans - stets korrekt
informiert.
({1})
Wir wissen, die Sicherheitslage hat sich massiv verschlechtert. Im Süden des Landes herrscht eigentlich
Krieg zwischen ISAF und militärisch organisierten Aufständischen. Dort sind auch die internationalen Hilfsorganisationen kaum mehr einsatzfähig. Das alles hat auch
auf den Norden, das Einsatzgebiet der deutschen Soldaten, Auswirkungen. Jetzt in Panik zu verfallen, wäre die
falsche Reaktion. Aber wir müssen in der öffentlichen
Debatte das Risiko für die Bundeswehr, für die Menschen in der Truppe, realistisch darstellen und bewerten,
ohne es allerdings zu verdrängen. Wir haben es mit einer
komplizierten Situation zu tun, bei der es auf die auftauchenden Fragen keine einfachen Antworten gibt. Der
Minister und wir Parlamentarier tun alles, um den Soldaten den notwendigen Schutz zu gewähren. Doch im Zielkonflikt dazu steht die Erfüllung des Auftrages. Deshalb
kann man sich nicht darauf beschränken, mit sicheren
Fahrzeugen durch den Norden Afghanistans zu fahren;
die Soldatinnen und Soldaten müssen aussteigen, mit
den Afghanen kommunizieren, Vertrauen bilden und Informationen weiterleiten.
Angesichts dieses Zielkonfliktes müssen wir die Risiken korrekt analysieren: Afghanistan steht sicherlich auf
der Kippe und es bleibt nicht mehr allzu viel Zeit, um die
Wende zu Sicherheit und sozialer Stabilität zu schaffen.
Ich habe den Eindruck, dass wir uns gelegentlich durch
die sichtbaren, aber vielleicht nur oberflächlichen
Erfolge beim Aufbau der staatlichen Institutionen haben blenden lassen. Diese Institutionen sind geschaffen,
ja, aber sind sie wirklich in den Köpfen der Bevölkerung
angekommen? Es darf uns nicht wundern, dass das
schwierig ist in einem Land, das nie ein gefestigtes
Staatswesen gekannt hat. Wir reden im Hinblick auf Afghanistan nicht von einem Wiederaufbau, wir reden von
einem Neuaufbau des Landes.
Es mehren sich die kritischen Stimmen, die immer
wieder darauf hinweisen, dass Teile der politischen Führung des Landes möglicherweise ein Teil des Problems
darstellen. Wir haben heute vom Polizeiaufbau gehört,
wo sich die Bundesregierung engagiert und gute Ausbildung leistet. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass wichtige Führungspositionen bei der Polizei nach einem
Klientelsystem besetzt werden.
Ich denke, wir Deutschen haben wegen unserer guten
Beziehungen zu Afghanistan eine ganz besondere Verantwortung. Wir tun das aber in dem Bewusstsein, dass
das nur mit einer gemeinsamen Verantwortung der
NATO-Partner für den Norden, den Zentralteil, den Süden und den Osten gelingen kann. Ich fürchte aber, dass
wir noch eine Debatte mit dem Ziel führen müssen, einen wirklich kohärenten Stabilisierungsprozess aller
NATO-Partner zu erreichen.
Dabei müssen wir auch bedenken: Wenn durch die
militärischen Operationen zwar der Terrorismus bekämpft wird, gleichzeitig aber keine Rücksichten auf die
Gefühle und Traditionen der Menschen genommen wird,
dann dürfen wir uns am Ende nicht wundern, wenn die
Gegner des Stabilisierungsprozesses mehr und mehr Unterstützung finden. Wenn es uns in einem Land, in dem
58 Prozent der Menschen unter 18 Jahre alt sind, nicht
gelingt, die Lebensbedingungen gerade der jungen
Menschen schnell zu verbessern, dann dürfen wir uns
nicht wundern, wenn die jungen Männer, die keine Zukunftsperspektive haben, aufgrund der islamistischen
Propaganda nach Pakistan gehen, um dort für ein paar
Dollar am Tag das Terroristenhandwerk zu erlernen.
({2})
Wir brauchen diese strategische Debatte in der NATO
also, um die Bevölkerung, die uns entfremdet ist, wieder
ein Stück weit zurückzugewinnen. Wir brauchen nicht
nur Härte, sondern wir brauchen den Dialog und vor allen Dingen schnell sichtbare und große Kraftanstrengungen: Projekte für Wasser, Straßen, Bildung, Elektrizität
und Gesundheit. Wir müssen die unterschiedlichen PRTKonzepte wirklich evaluieren. Bei keinem Wiederaufbau
eines Landes hatte die internationale Truppe in Relation
zur Gesamtbevölkerung einen so geringen Umfang wie
jetzt in Afghanistan. Trotzdem ist dieses PRT-Konzept
der richtige Weg, weil wir wissen: Allein durch eine
Masse von Soldaten kann dieses Land am Ende nicht
stabilisiert werden. An die Linke gerichtet: Freundliche
Worte und billige Ratschläge allein werden aber natürlich auch nicht langen, um in Afghanistan Vertrauen und
Stabilität wiederherzustellen.
({3})
Ich komme zum Ende. Nur mit diesem abgestimmten
Prozess werden wir die derzeitige Entwicklung noch
umdrehen können, damit Afghanistan nicht in Bürgerkrieg und Chaos zurückfällt. Scheitert Afghanistan, dann
scheitert im Übrigen nicht nur die NATO, sondern dann
scheitert auch die Idee der gesamten Staatengemeinschaft, für den Neuaufbau eines Landes eine gemeinsame Verantwortung zu übernehmen.
Ich denke, die Taliban und alle Terroristen dort sollen
wissen: Wir werden diese Herausforderung beharrlich,
entschlossen und auch mit dem notwendigen Gespür für
die Kultur der Menschen in Afghanistan annehmen. Wir
tun dies mit besonders großem Respekt und mit besonders großer Anerkennung all der Menschen bei der
Truppe und bei den zivilen Organisationen, die stellvertretend für unser ganzes Land dort diese gefährliche Arbeit leisten.
Herzlichen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-
sache 16/2774 zu dem Antrag der Bundesregierung zur
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicher-
heitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung
der NATO.
Mir liegen Erklärungen zur Abstimmung nach § 31
unserer Geschäftsordnung vor, und zwar von den Kolle-
ginnen und Kollegen Bärbel Höhn, Ute Koczy, Ingrid
Arndt-Brauer, Frank Schwabe, Otto Fricke, Jürgen
Koppelin, Gisela Piltz, Winfried Hermann, Hans-
Christian Ströbele und weiteren Kolleginnen und Kolle-
gen aus der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung, den Antrag auf Drucksache 16/2573 anzunehmen.
Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte alle
Kolleginnen und Kollegen, bei der Stimmabgabe darauf
zu achten, dass die Stimmkarten, die sie verwenden,
auch ihren Namen tragen. Ich bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu-
nehmen. - Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? - Das
ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, dass seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.1)
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, wieder ihre
Plätze einzunehmen, damit wir die weiteren Abstim-
mungen vornehmen können.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 16/2778. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun-
gen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der SPD, der CDU/CSU und der Fraktion der Linken bei
Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthal-
tung der FDP abgelehnt.
1) Ergebnis Seite 5226 D
Tagesordnungspunkt 6 c. Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/2776 zu
dem Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke zu
dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte in Afgha-
nistan. Der Ausschuss empfiehlt, den Entschließungsan-
trag auf Drucksache 16/2623 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Ent-
haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und
FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke ange-
nommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten
Nationen im Sudan ({1}) auf Grundlage
der Resolution 1709 ({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 22. September 2006
- Drucksachen 16/2700, 16/2777 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Dr. Werner Hoyer
Kerstin Müller ({3})
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/2786 Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Alexander Bonde
Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Brunhilde Irber, SPD-Fraktion.
({5})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Am 9. Januar 2005 unterzeichneten die sudanesische Regierung und die südsudanesische Rebellenbewegung SPLM das so genannte Comprehensive Peace
Agreement. Mit diesem Friedensabkommen war und
ist die Hoffnung verbunden, einen der längsten Bürgerkriege Afrikas zu beenden. Seit der Mandatierung der
VN-Friedensmission UNMIS mit der Resolution 1590
vom 24. März 2005 und dem vom Bundestag daraufhin
am 22. April 2005 beschlossenen Einsatz von Bundeswehrsoldaten wurden viele Anstrengungen unternommen. Beispiele dafür sind die Bildung der Regierung der
nationalen Einheit, die Übergangsverfassung für den
Südsudan, die Bildung einer Regierung im Südsudan,
die Bemühungen zur Entwaffnung und Eingliederung
von Milizen, die Hilfe für zahllose Flüchtlinge und der
Darfur-Friedensvertrag im Mai dieses Jahres.
Nun steht erneut die Verlängerung des Mandats für
die Bundeswehrsoldaten an. Gemäß der am vergangenen
Freitag verabschiedeten VN-Resolution 1709 soll dies
für zunächst weitere 14 Tage geschehen. Warum nur
14 Tage? Hintergrund ist das Bestreben der Amerikaner,
mit der ständigen Neubefassung des Sicherheitsrats die
sudanesische Regierung zu einer Zustimmung zur
Resolution 1706 zu bewegen. Sie soll den Übergang der
von der Afrikanischen Union geführten und gestellten
Friedensmission in Darfur, AMIS, in die bestehende
Mission der Vereinten Nationen, UNMIS, herbeiführen.
Wir haben es also derzeit mit zwei Missionen zu tun.
Auch dann, wenn Präsident al-Bashir grünes Licht für
den Übergang von AMIS zu UNMIS geben würde,
bliebe es faktisch bei zwei Missionen.
Ohne Zweifel hätten sich die Dinge positiver entwickelt, wenn der Friedensprozess von einer größeren Anzahl der Akteure und Interessengruppen getragen wäre
und wenn die sudanesische Regierung den Prozess tatkräftiger unterstützen würde. Weil dies derzeit nicht der
Fall ist, häufen sich Meldungen über direkte Gefechte
zwischen Rebelleneinheiten und Regierungstruppen. Es
geschieht, was in solchen Situationen immer geschieht:
Es trifft vor allem die Zivilbevölkerung.
Kofi Annan hat am 11. September in seiner Rede vor
dem Sicherheitsrat zu Recht gesagt: „Die Tragödie in
Darfur hat einen kritischen Punkt erreicht.“ Mit Blick
auf das Versagen der Vereinten Nationen in Ruanda
fügte er hinzu: „Es ist keine Zeit für den Mittelweg halbherziger Maßnahmen.“ Deshalb müssen die diplomatischen Bemühungen noch einmal enorm gesteigert werden, um die Konfliktparteien zur Vernunft zu bringen.
Gefordert ist hierbei neben der UN und der Afrikanischen Union vor allem auch China.
Der Friedensprozess muss fortgesetzt werden. Alles
andere wäre eine Katastrophe,
({0})
und zwar für alle: für den Sudan, Afrika, Europa und die
internationale Staatengemeinschaft.
Die UNMIS-Mission im Süden des Sudan - nur darum geht es bei der heutigen Entscheidung - ist ein
wichtiger Bestandteil des Friedensprozesses für den
gesamten Sudan und damit auch ein wichtiges Element
im Hinblick auf den Weg zu einer politischen Lösung
des Konflikts im westsudanesischen Darfur.
Die Entscheidung vom 22. April 2005, deutsche Soldaten an UNMIS zu beteiligen, ist uns nicht leicht gefallen. Auch dies war keine Routineentscheidung. Wir
müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass sich die Rolle
der deutschen Bundeswehr in den letzten Jahren geändert hat. Darüber sollte auf jeden Fall öffentlich stärker
diskutiert werden. Die Bundeswehr genießt hohes Ansehen in Deutschland. Es wäre zu wünschen, dass diese
breite Akzeptanz auch die Auslandseinsätze einschließt.
({1})
Die deutschen Soldaten sollen nach dem heutigen Beschluss ihre Aufgabe zur Unterstützung des Nord-SüdFriedensprozesses weiterhin wahrnehmen. Mit bis zu
75 Militärbeobachtern ist dies in Anbetracht der Problemlage sicherlich ein bescheidener Beitrag. Aber ein
wichtiger ist es allemal. Unser Dank gilt den deutschen
Soldaten in diesem Einsatz.
({2})
Im kommenden Jahr wird Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft und die G-8-Präsidentschaft übernehmen. Die so genannte Neue Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas, der NEPAD-Prozess, wird ein Thema
sein. Die Initiative könnte die Bundesregierung auch für
einen Allparteiendialog außerhalb des Sudan ergreifen.
Wir sind gut beraten, wenn wir mit dem gleichen Engagement, mit dem unsere Soldaten Dienst in der sudanesischen Krisenregion leisten, die soziale und die wirtschaftliche Entwicklung der afrikanischen Staaten
unterstützen. Beides gehört zusammen. Militärische Optionen der internationalen Staatengemeinschaft zur Sicherung des Weltfriedens müssen von infrastrukturellen
Konzepten und Hilfen für den Staatenaufbau begleitet
werden.
Solange die Hoffnung besteht, dass mit einer erweiterten UNMIS-Mission das Leiden Hunderttausender gemildert wird, alle bisherigen Bemühungen nicht umsonst
waren und der Friedensprozess weitergeht, so lange ist
der Einsatz deutscher Soldaten im Süden des Sudan
wertvoll.
({3})
Wir sollten deshalb dem Antrag der Bundesregierung
auf Verlängerung des Mandats mit großer Mehrheit zustimmen.
Herzlichen Dank.
({4})
Ich komme zu Tagesordnungspunkt 6 a zurück und gebe
das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der
Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz in Afghanistan unter Führung der NATO, Drucksachen 16/2573
und 16/2774, bekannt: Abgegebene Stimmen 572. Mit Ja
haben gestimmt 492, mit Nein haben gestimmt 71, Enthaltungen neun. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 572;
davon
ja: 492
nein: 71
enthalten: 9
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
({0})
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Carl-Eduard von Bismarck
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({1})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({2})
Dirk Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({6})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({8})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({9})
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Dr. Maximilian Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({10})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({11})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Bernward Müller ({14})
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({15})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Daniela Raab
Hans Raidel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({16})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht ({17})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({18})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Andreas Schmidt ({19})
Ingo Schmitt ({20})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Thomas Strobl ({21})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({22})
Gerald Weiß ({23})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Gerd Andres
Nils Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Ernst Bahr ({24})
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Volker Blumentritt
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({25})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf ({26})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({27})
Hubertus Heil
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Petra Heß
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({28})
Frank Hofmann ({29})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Johannes Jung ({30})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({31})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Dirk Manzewski
Caren Marks
Katja Mast
Markus Meckel
Petra Merkel ({32})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({33})
Michael Müller ({34})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({35})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({36})
Michael Roth ({37})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({38})
Axel Schäfer ({39})
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({40})
Silvia Schmidt ({41})
Renate Schmidt ({42})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({43})
Carsten Schneider ({44})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({45})
Swen Schulz ({46})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gert Weisskirchen
({47})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({48})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({49})
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({50})
Hans-Michael Goldmann
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({51})
Markus Löning
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({52})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({53})
Martin Zeil
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({54})
Volker Beck ({55})
Cornelia Behm
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Priska Hinz ({56})
Ulrike Höfken
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Fritz Kuhn
Undine Kurth ({57})
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Kerstin Müller ({58})
Winfried Nachtwei
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({59})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({60})
Nein
CDU/CSU
Wolfgang Börnsen
({61})
Dr. Peter Gauweiler
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Henry Nitzsche
Willy Wimmer ({62})
SPD
Gregor Amann
Dr. Peter Danckert
Renate Gradistanac
Reinhold Hemker
Petra Hinz ({63})
Lothar Mark
Hilde Mattheis
FDP
Joachim Günther ({64})
Jürgen Koppelin
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger-Neuling
Dr. Barbara Höll
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kersten Naumann
Petra Pau
Elke Reinke
Paul Schäfer ({65})
Volker Schneider
({66})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Peter Hettlich
Dr. Anton Hofreiter
Sylvia Kotting-Uhl
Monika Lazar
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Enthalten
CDU/CSU
Renate Blank
SPD
Ernst Kranz
Dr. Wilhelm Priesmeier
Frank Schwabe
FDP
Uwe Barth
Dr. Edmund Peter Geisen
Miriam Gruß
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Irmingard Schewe-Gerigk
Nächste Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Marina Schuster, FDP-Fraktion.
({67})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die aktuellen Meldungen aus dem
Sudan sind - wir haben darüber bereits an verschiedenen
Stellen gesprochen - äußerst dramatisch und besorgniserregend. Dennoch leistet der UNMIS-Einsatz einen
wertvollen Beitrag zur Sicherung des Friedens im
Südsudan. Nach 20 Jahren Bürgerkrieg und schätzungsweise über 2 Millionen Toten ist das ComprehensivePeace-Agreement, ist dieser Friedensvertrag ein Meilenstein auf dem Weg zu dauerhaftem Frieden.
Die Bundeswehr leistet bei diesem Einsatz vor Ort
trotz der schwierigen Bedingungen sehr gute Arbeit. Ich
war vor zwei Monaten im Sudan, auch in Juba im Südsudan. Ich konnte sehen, welche Bedingungen dort herrschen: Malariagefahr, sintflutartige Regenfälle, extreme
Hitze, Unmengen an Landminen und Überfälle. Aber ich
habe auch die Herzlichkeit der Menschen erlebt, bei denen die Bundeswehr hohes Ansehen genießt. Ich glaube,
dass ich für alle hier spreche, wenn ich sage: Den Soldaten gilt unser großer Dank und unser ganzer Respekt.
({0})
Ich konnte in Juba sehen, dass die Umsetzung des Friedensvertrags vorankommt, wenn auch deutlich verzögert. Die sudanesische Zentralregierung ist dafür maßgeblich verantwortlich. Die Erdölkommission hat ihre
Arbeit noch nicht aufgenommen. Zudem ist der Grenzkonflikt um Abyei noch nicht entschieden.
Ich könnte weitere Verzögerungen, aber auch wirkliche Erfolge nennen. Entscheidend ist jedoch: Ein Abzug
der UNMIS-Mission aus dem Südsudan wäre zum jetzigen Zeitpunkt fatal; denn das hätte schwere Auswirkungen auf den ganzen Sudan und das Darfur-Peace-Agreement. Wir können beides nicht isoliert voneinander
betrachten.
Deswegen möchte ich kurz auf Darfur eingehen,
auch weil es im Antrag der Bundesregierung erwähnt
wird. Ich meine, wir tun immer gut daran, wenn die Debatte über eine mögliche Lösung auch aus der Perspektive unserer Bündnispartner betrachtet wird. Wir sollten
bei aller Zurückhaltung, die wir uns verständlicherweise
bei der Umsetzung der Resolution 1706 selbst auferlegen, nicht verkennen, dass dieses Thema bei entscheidenden Bündnispartnern schon eine ganz andere Dynamik hat. In den USA und in Großbritannien hat der
Darfurkonflikt eine öffentliche Aufmerksamkeit erreicht, von der wir hier in Deutschland leider meilenweit
entfernt sind. Wir sollten uns klar darüber sein, dass hier
bald Entscheidungen auf uns zukommen können. Ich
würde es sehr begrüßen, wenn wir hierzu im Vorfeld
eine fundierte und eine tiefgehende Diskussion über den
politischen Ansatz führen würden.
({1})
Wir nehmen hier und heute keine Entscheidung über einen Darfureinsatz oder das so genannte Rehatting vorweg. Aber eines muss gesagt sein: Ohne einen DarfurDarfur-Dialog, der alle Konfliktparteien und die Zivilge5230
sellschaft einschließt, werden wir nie einen dauerhaften
Frieden erreichen. Die Menschen - wir reden von mehr
als zwei Millionen Flüchtlingen - brauchen nichts mehr
als Sicherheit. Für die Sicherheit brauchen wir einen
breiten und stabilen Friedensvertrag, einen Vertrag, der
von allen getragen wird, nicht nur von der Rebellengruppe um Minni Minawi.
Wir müssen uns auch die Rolle Chinas im Sudan vor
Augen führen. Diese beunruhigt. China hat dort massive
Interessen. Die Volksrepublik baut Staudämme, Straßen,
sogar Fertighäuser. China schweigt zu Massenvertreibung und zu Menschenrechtsverletzungen in Darfur und
investiert gleichzeitig 2 Milliarden US-Dollar in die Ölindustrie des Landes. Gleichzeitig kommt China als entscheidendem Akteur im Weltsicherheitsrat eine Schlüsselrolle zu. Bislang stellen sich die Chinesen schützend
vor das Regime in Khartum. Ich frage daher die Bundesregierung - Herr Minister Jung kann danach antworten -:
Inwiefern hat sie ihre guten Arbeitsbeziehungen beim
jüngsten Treffen mit Ministerpräsident Wen Jiabao genutzt, um in dieser Frage etwas zu erreichen?
({2})
Es reicht nicht, zu erfahren, dass das Thema dort angesprochen wurde. Was wurde denn konkret vereinbart?
({3})
Wie und mit welchen Mitteln soll das weitere deutsche
Vorgehen gegenüber dem Regime dort im Rahmen der
internationalen Staatengemeinschaft sein? Welche Rolle
wird China dabei spielen? Wir müssen die Chinesen als
einen entscheidenden Akteur im Weltsicherheitsrat in
die Pflicht nehmen, wenn es darum geht, den Worten
und Sicherheitsratsbeschlüssen Taten folgen zu lassen.
({4})
Die Bundeskanzlerin, die leider der Debatte jetzt
nicht beiwohnt, hat in ihrer Rede bei der Generaldebatte
am 6. September - das ist noch gar nicht so lange her an die Verantwortung für Afrika als unseren Nachbarkontinent erinnert. Ich teile ihre Meinung. Nur eines
muss ich hier klarstellen: Ihre Verantwortung ist nicht
damit erledigt, dass wir deutsche Soldaten im Sudan, im
Kongo oder in anderen Ländern haben. Wie wird denn
Afrika und insbesondere der Sudan bei den Präsidentschaftsplanungen berücksichtigt? Deutschland hat eine
Chance, eine aktivere Afrikapolitik bei der EU und der
G 8 zu forcieren. Ich bin der Meinung, wir sollten diese
Chance nutzen.
Ich komme zum Schluss. Die FDP-Fraktion wird diesem Antrag, der ohne inhaltliche Änderung ist, und diesem Mandat zustimmen, weil wir meinen, dass der Friedensprozess unterstützt werden muss. Die entscheidende
Frage aber bleibt für uns offen: Wann definiert die Bundesregierung endlich klar ihre Ziele und Interessen in
Afrika? Denn eine deutsche Afrikapolitik, die nur auf
Zuruf reagiert, ist keine Strategie.
({5})
Das Wort hat der Bundesverteidigungsminister,
Dr. Franz Josef Jung.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Bundesregierung bittet Sie um Zustimmung
zur Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr an der
Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan. An
dieser Friedensmission nehmen derzeit 36 Soldatinnen
und Soldaten teil. Das Bundestagsmandat erlaubt aber
den Einsatz von 75 Soldatinnen und Soldaten zur Militärbeobachtung sowie als Einzelpersonal in den UNMISStäben im Südsudan.
Dieser Einsatz beruht auf einem Beschluss des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Wie sie wissen, war ursprünglich geplant, das Mandat für diesen
Einsatz auf sechs Monate zu beschränken. Die Vereinten
Nationen haben vor kurzem eine Entscheidung für einen
Zeitraum von zwei Wochen getroffen. Das heißt, die
Mission der Vereinten Nationen im Sudan dauert bis
zum 8. Oktober an.
Bevor ich auf die Begründung zu sprechen komme,
will ich darauf hinweisen, dass sich unser Antrag nur auf
diese zwei Wochen bezieht. Ich denke, es ist auch im Interesse des Parlaments, die Dinge nicht in einem Rhythmus von zwei Wochen zu erörtern. In Zukunft sollten
wir einen längeren Zeitraum vereinbaren, um die Beratung effektiv zu betreiben. Wegen der militärischen
Schutzkomponente ist es wichtig, dass es sich hier letztlich um einen bewaffneten militärischen Einsatz handelt.
Deshalb ist auch die Zustimmung des Deutschen Bundestages zu diesem Mandat notwendig.
Was ist der Grund für die Verlängerung der Mission
der Vereinten Nationen um nur zwei Wochen? Tatsache
ist, dass die Vereinten Nationen beabsichtigen, das Mandat UNMIS mit der von der Afrikanischen Union
geführten Mission, AMIS, zu einer VN-geführten
Gesamtmission im Sudan zusammenzulegen. Dies entspricht auch der Bitte der Afrikanischen Union. Wie Sie
wissen, lehnt die sudanesische Regierung diese Absicht
der Vereinten Nationen bisher ab. Es ist notwendig, hier
eine Übereinstimmung zu erzielen. Auch ich bin der
Meinung, dass ein Dialog stattfinden muss, wenn es zu
einer solchen Übereinstimmung kommen soll.
Wahr ist auch: Ungeachtet des Friedensabkommens
vom 5. Mai haben die Zusammenstöße zwischen sudanesischen Regierungskräften und Rebellengruppen sowie Übergriffe auf NGOs oder auf die Zivilbevölkerung
zugenommen. Aufgrund dieser Entwicklung ist es auch
im Interesse der Friedensbemühungen, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen seiner tiefen Sorge Ausdruck verleiht, um so die humanitäre Situation in Darfur
positiv zu beeinflussen und die Beendigung der Gewalt
zu ermöglichen. Diese kurzen Zeitabstände sind letztlich
auch gewählt, um politischen Druck auszuüben, damit
eine friedliche Entwicklung im Sudan insgesamt eingeleitet werden kann. Wir sollten diese Bemühungen des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen tatkräftig unterstützen.
({0})
Unsere Auslandseinsätze - das gilt auch für ein solches Mandat - sind von drei Grundprinzipien geprägt:
von den Überlegungen, die im Einklang mit unseren
Werten stehen, von unseren internationalen Verpflichtungen - gegenüber den Vereinten Nationen, gegenüber
der NATO und gegenüber der Europäischen Union - und
davon, dass diese Einsätze auch in unserem Interesse liegen müssen. Gerade bei einem Einsatz wie diesem müssen Krisenbewältigung, Stabilisierung und Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für den Wiederaufbau
- Sie haben von konkreten Projekten gesprochen - einer
friedlichen Entwicklung dienen. Der Einsatz unserer
Soldatinnen und Soldaten sollte sich daran orientieren.
Wir können Krisen und Konflikten nur dort begegnen, wo sie auch entstehen. Die zahlreichen negativen
Geschehnisse haben notwendigerweise Rückwirkungen
auf unser Land. Wenn wir die Krisen und Konflikte vor
Ort bewältigen, dann dient das auch dem Schutz unserer
Bürgerinnen und Bürger und einer friedlichen und stabilen Entwicklung bei uns. Der eingeschlagene Weg ist
- auch im Hinblick auf das UNMIS-Mandat - richtig.
Unseren Einsatz werden wir dementsprechend fortsetzen.
Ich bitte den Deutschen Bundestag um die entsprechende Unterstützung für dieses Mandat. Ich bitte aber
auch darum, damit einverstanden zu sein, dass wir in Zukunft längerfristige Regelungen - dieses Mandat wird
nur bis zum 8. Oktober gültig sein - treffen. Sie wissen,
dass an dem bisherigen Mandat inhaltlich nichts verändert wird und dass wir dann, wenn im Rahmen des Mandats gegebenenfalls zusätzliche Komponenten in Darfur
berücksichtigt werden müssen, eine zusätzliche Information geben und auch eine Abstimmung mit dem Deutschen Bundestag herbeiführen.
Ich kann nur hoffen und wünschen, dass in Zusammenarbeit der Vereinten Nationen und der sudanesischen
Regierung das Ziel erreicht wird, zu einer gesamtverantwortlichen Mission zu kommen, um in diesem teilweise
geschundenen Land zu einer stabilen und friedlichen
Entwicklung beizutragen. Deshalb bitte ich Sie um Unterstützung für die Verlängerung dieses UNMIS-Mandats.
Besten Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es muss uns doch auffallen, dass wir über Außenpolitik
hier im Hause fast nur noch im Zusammenhang mit
Militäreinsätzen debattieren.
({0})
Ich habe in den letzten Monaten keine außenpolitische
Debatte ohne diese Komponente erlebt. Das kennzeichnet eigentlich die ganze Dramatik in unserer Politik. Außenpolitik kann nicht auf Militärpolitik reduziert werden.
({1})
Es ist schon ein bisschen Absurdistan, finde ich, dass der
Außenminister über Militäreinsätze redet und der Verteidigungsminister über Außenpolitik redet. Das heißt, man
macht Militär zum Mittel der Außenpolitik und verschiebt hier die Achsen.
Dies zeigt auch der Antrag. Ich habe in diesem Hause
viel erlebt, aber ein Antrag, der sich auf 14 Tage bezieht,
das ist neu; das hatten wir noch nicht, Herr Minister.
Wenn sich ein Antrag auf 14 Tage bezieht, dann hat das
einen Hintergrund. Den Hintergrund muss man hier klar
machen. Der Hintergrund ist, dass die Vereinten Nationen beschlossen haben, die Missionen zusammenzulegen und das Militär in Darfur um - nicht auf, sondern
um - 22 500 Soldaten zu erhöhen. Dafür gibt es keine
Zustimmung, bislang jedenfalls nicht, der sudanesischen
Regierung.
Rechtlich ist das, was die UNO beantragt hat, in Ordnung, aber politisch - das sage ich Ihnen - ist ein solches
Vorhaben gegen die sudanesische Regierung und ihre
Machtausübung nicht durchzusetzen. Hier gehen Recht
und Politik auseinander.
({2})
Wer heute dem zustimmt - wir stimmen über einen
konkreten Antrag ab; das weiß ich auch -, der öffnet einen Weg, bei dem man nicht weiß, wo man am Ende ankommt.
({3})
Bei Militäreinsätzen muss man aber sehr genau wissen,
wo man ankommt.
Über Ihren mündlichen Antrag, Herr Jung, dass wir
das jetzt gleich für sechs Monate absegnen, können wir
in den Ausschüssen reden; das steht hier überhaupt nicht
zur Debatte, weil Sie das gar nicht beantragt haben. So
können wir nicht vorgehen.
Aber zur Sache selbst: Man weiß auch nicht, wie sich
Deutschland verhalten wird, was die Stellung von Soldaten angeht, wenn es zu diesem Einsatz kommt. Ich
möchte einmal die Bundeskanzlerin zitieren. Am
6. September hat Frau Merkel hier im Hause ausgeführt:
Ich sehe aber im Augenblick keine Möglichkeit,
dass wir neben unserem Engagement im Kongo ein
zusätzliches Engagement in Darfur übernehmen.
Heißt denn das - das könnten die Kolleginnen und
Kollegen der CDU/CSU einmal erklären -, dass man
dann, wenn der Kongoeinsatz - er soll im Oktober zu
Ende gehen - erledigt ist, Möglichkeiten sieht, auch
deutsche Soldaten nach Darfur zu schicken? Ich sage Ihnen: Sie werden die Unzahl von Militäreinsätzen der Bevölkerung nicht weiter erklären können. Wenn wir
irgendjemanden hier im Haus aufrufen würden - ich
schaue einmal wild in die Reihen - und ihn bitten würden, aufzuzählen, wo überall wir im Moment Mandate
haben, würden wir merken: Man bekommt diese elf
Mandate kaum zusammen. - Da muss man also genau
überlegen, wo man zustimmt oder nicht.
Meine erste Schlussfolgerung ist: Wenn nicht klar ist,
wohin die Reise geht, sollte man besser nicht zustimmen.
({4})
Meine Fraktion wird ablehnen oder sich der Stimme enthalten. Wir diskutieren sehr intensiv über die Inhalte.
Das Zweite - das liegt mir eigentlich noch mehr am
Herzen -: Man muss mehr darüber nachdenken, wie man
diesen unhaltbaren und unmenschlichen Bürgerkriegszustand in Darfur beendet, welche politische Lösung es
dafür gibt. Das muss die Zielsetzung sein.
({5})
Die Regierung des Sudans und die Rebellenorganisationen müssen dazu gebracht werden, die Kämpfe einzustellen. Widersprüche, die reale Widersprüche sind, bei
denen es um Wasser, Boden oder Naturschätze geht, dürfen nicht gewaltsam, sondern müssen friedlich ausgetragen werden. Deswegen muss der politische Druck auf
die Regierung des Sudans wachsen.
Wenn Präsident Bush vor den Vereinten Nationen den
Militäreinsatz in Darfur damit begründet, dass das Teil
des Krieges gegen den Terror ist, dann ist das kontraproduktiv.
({6})
Ich habe immer wieder vorgeschlagen - darauf reagiert aber keiner, weil der Verteidigungsminister keine
Außenpolitik machen darf -, sich an die Blockfreien zu
wenden. Sudan ist Teil der Blockfreien. Diese hatten
eine Konferenz mit 128 Staaten. Man weiß, wie eng die
Zusammenarbeit Südafrikas und übrigens auch Kubas
mit dem Sudan ist. Warum setzt man die Regierung Sudans nicht stärker über die Blockfreien unter Druck? Das
wäre eine Aufgabe der Politik.
({7})
Warum blenden wir einfach aus, dass China
70 Prozent der Erdölförderung im Sudan in den Händen
hält? China hat mindestens 1 000 Soldaten im Sudan, die
die Pipelines absichern.
Warum blendet man die drohende Gefahr aus, dass
die Staatlichkeit des Sudans auseinander fällt? Der Süden des Sudans steuert doch auf einen eigenen Staat zu;
bei Darfur ist es nicht anders. Wenn man aber nicht garantieren kann, dass die Staatlichkeit des Sudans erhalten bleibt, muss man sich bewusst sein, dass ein neuer
Konfliktherd von ungeheurer Dimension entstehen
könnte, in dem sich dann viele Soldaten aufhalten. Das
kann doch nicht Absicht vernünftiger Politik sein.
({8})
Deshalb mein Rat: Wenn man sich nicht sicher ist, lieber Nein sagen. Dann kann man nämlich weiter diskutieren.
Danke sehr.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Müller,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann
mich noch sehr gut an die langen und sehr komplizierten
Verhandlungen über das Naviasha-Friedensabkommen
erinnern, an denen ich als Staatsministerin teilgenommen habe. Ich weiß, dass, als dieses Abkommen nach
mehr als 21 Jahren Bürgerkrieg zwischen Norden und
Süden, einem der blutigsten und längsten Bürgerkriege
Afrikas, endlich unter Dach und Fach war, das als sehr
großer Erfolg für die Menschen vor Ort wahrgenommen
wurde.
Lieber Herr Gehrcke, meine Damen und Herren von
der PDS,
({0})
ich kenne auf der internationalen Ebene wirklich niemanden, der ernsthaft die Notwendigkeit von UNMIS
infrage stellt.
({1})
Bei diesem Mandat von einer Militarisierung der deutschen Außenpolitik zu reden, ist einfach völlig absurd.
({2})
Ich will einmal den Versuch machen, Ihnen das zu erklären.
({3})
Zunächst einmal ist Militäreinsatz nicht gleich Militäreinsatz, sehr geehrter Herr Gehrcke. Anders als bei Darfur ist es hier zum Beispiel so, dass beide Konfliktparteien - ich habe diese Gespräche geführt, bevor man
Kerstin Müller ({4})
überhaupt international darüber gesprochen hat - ausdrücklich eine UNO-Mission gewünscht haben.
Wenn man sich den Fahrplan des Abkommens und
die UN-Resolution ansieht, stellt man fest, dass es hier
vor allen Dingen um die politische Absicherung eines
komplizierten Prozesses durch die internationale Gemeinschaft geht. Es geht um den Aufbau von Zivilpolizei, Menschenrechtsförderung, Demobilisierung der
Milizen und Flüchtlingsrückkehr. All das ist in der Resolution enthalten. Vor diesem Hintergrund gehört, wie ich
finde, viel politische Ignoranz dazu, aus einem friedensunterstützenden Mandat ein Kriegsmandat zu konstruieren. Das ist einfach völlig realitätsfern.
({5})
Sie begründen es damit, dass es nach Kapitel VII
mandatiert ist, obwohl es im Kern um ein Überwachungs- und Beobachtungsmandat geht. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, da sind an Ihnen einfach zehn Jahre Debatte um UNO-Peacekeeping
vorbeigegangen. Darüber hat man innerhalb der UNO
diskutiert. Es gibt einen Brahimi-Report. Nach Ruanda
und Srebrenica werden alle Einsätze nach Kapitel VII
mandatiert. Weil es eben zu schwierigen Situationen in
Postkonfliktgesellschaften kommen kann, ist es unverantwortlich, Soldaten in einen Einsatz zu schicken, ohne
diesen nach Kapitel VII zu mandatieren, auch wenn er
im Kern nur der Überwachung dient.
({6})
Meine Fraktion wird jedenfalls der Entsendung von
unbewaffneten Militärbeobachtern - das ist nämlich
der deutsche Beitrag; das haben Sie eben auch unterschlagen, Herr Gehrcke - in diese Mission zustimmen.
Auch ich bin unmittelbar nach dem Krieg im Süden
gewesen. Ich muss sagen, ich habe selten eine so zerstörte Region gesehen. Nach 21 Jahren Bürgerkrieg fangen die Menschen dort bei null an; Sie haben es eben geschildert. Es wurde aber schon jetzt einiges erreicht;
insgesamt wird man aber noch lange für den Aufbau
brauchen.
Immerhin ist der Waffenstillstand stabil; die Demobilisierungsprogramme laufen; es gibt inzwischen eine Regierung der nationalen Einheit; Schulen sind wieder in
Betrieb; Minen werden geräumt und Flüchtlinge kehren
zurück.
Kofi Annan hat aber in seinem Bericht vom September auch Probleme benannt: Bei der Wahlvorbereitung
und bei der Macht- und Ressourcenaufteilung gibt es leider kaum Fortschritte.
Ich möchte mich ganz klar den Forderungen Annans
anschließen, damit dieses Friedensabkommen letztlich
zum Erfolg wird:
Erstens. Beide Parteien müssen sich wirklich strikt an
die Umsetzung des Friedensabkommens halten.
Zweitens. Die internationale Unterstützung des Friedensprozesses muss dringend ausgebaut werden.
Da möchte ich mich an die Bundesregierung wenden:
Eine reine Mandatsverlängerung für die deutschen Militärbeobachter reicht nicht - obwohl man sie braucht -,
sondern wir brauchen einen massiven Ausbau ziviler
Hilfsprogramme im Süden Sudans, zum Beispiel für
die Flüchtlingsrückkehr. Das Flüchtlingshilfswerk der
Vereinten Nationen musste jetzt am 15. September den
Abbruch seiner Programme für den Fall ankündigen,
dass es nicht mehr Mittel erhält. Ich meine, hier wie in
anderen Bereichen muss Deutschland der UNO aktiv
Hilfe anbieten. Ich fordere deshalb die Bundesregierung
auf, zumindest teilweise die 2005 in Oslo in Aussicht gestellten Mittel für die Entwicklung des Südens endlich
freizugeben - nicht für den Norden, aber für den Süden -,
denn der Süden muss die Chance auf Entwicklung haben.
({7})
Der Frieden im Süden steht aber auch auf dem Spiel
- da ist der Zusammenhang -, wenn es nicht gelingt, die
Gewalt in Darfur und übrigens auch in anderen Teilen
des Sudans zu beenden. Wir brauchen deshalb endlich
diplomatische Initiativen der Bundesregierung im Hinblick auf Darfur,
({8})
zum Beispiel mehr Druck auf die Schutzmächte Khartoums, Russland und China. Das ist der Hintergrund,
warum wir nur um 14 Tage verlängern. Die UNO hat
Khartoum eine Frist gesetzt, der Erweiterung von
UNMIS zuzustimmen. Ich muss sagen: Es ist völlig kontraproduktiv, wenn die Bundeskanzlerin, wie in der
Haushaltsdebatte geschehen, offenkundiges Desinteresse
an Darfur zeigt. Wir brauchen jetzt diplomatische Initiativen der Regierung, wir dürfen nicht den Druck von der
sudanesischen Regierung nehmen. Ich erwarte von der
deutschen Bundesregierung, dass sie sich im Fall Darfur
endlich an die Spitze der Bewegung in Europa setzt - da
muss man erst einmal diplomatisch aktiv werden - und
alles tut, um das Drama zu beenden.
Danke schön.
({9})
Das Wort hat der Kollege Christoph Strässer von der
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mit dem schon mehrfach angesprochenen Comprehensive Peace Agreement von Nairobi wurde ein
20 Jahre währender Bürgerkrieg formell beendet. Angesichts der Dauer des Krieges, der zu einer kaum beschreibbaren humanitären Katastrophe mit zwei Millionen Toten und vier Millionen Binnenvertriebenen
geführt hat, stellt das Friedensabkommen zweifelsfrei einen Erfolg dar. Ich glaube, jedem, der sich mit der Sache
befasst hat, ist bewusst, dass dieses Friedensabkommen
nur zustande gekommen ist, weil die Vereinten Nationen
mit dem UNMIS-Mandat klare Unterstützung auch mit
militärischer Komponente zugesagt haben. Ansonsten
könnten wir davon ausgehen, weiter jeden Tag Tod,
Mord und Plünderungen im Südsudan zu erleben. Ich
glaube, das kann niemand in diesem Hohen Hause wollen.
({0})
Wir wissen auch, dass das Friedensabkommen allein
noch nicht bedeutet, dass im Südsudan materiell Frieden
eingetreten ist. Deshalb fordern wir - das ist ein Kern
der Auseinandersetzung, mit der wir es zu tun haben -,
dass im Vordergrund steht, zivile Aufbauhilfe für den
Südsudan zu leisten. Dies geschieht auch; das haben wir
mit eigenen Augen erlebt. Aber sie wird nur dann erfolgreich sein, wenn sie in einem Klima der Sicherheit stattfindet. Für diese Sicherheit ist das UNMIS-Mandat aus
meiner Sicht nach wie vor erforderlich. Ansonsten
würde UNMIS dort versagen. Das wäre ein Versagen der
Völkergemeinschaft, eine Kapitulation vor Völkermord
und anderem. Ich glaube, wir haben lange genug weggeschaut; das dürfen wir nicht weiter hinnehmen.
({1})
Der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe hat vor drei Monaten den Südsudan besucht.
Wir haben feststellen können, dass es dort zwar vorangeht, dass wir aber in der Tat von stabilen Verhältnissen
noch sehr weit entfernt sind. In der Zeit, in der wir dort
gewesen sind, sind in einem Nachbarort von Dschuba
durch Überfälle von Rebellen neun russische Aufbauhelfer getötet worden. Ich glaube, in dieser Situation davon
zu sprechen, man könne dort nur und ausschließlich
Aufbauhilfe leisten, ohne gleichzeitig für die Sicherheit
der Menschen zu sorgen, ist einer der größten Fehler, die
man sich überhaupt vorstellen kann. Dann gehen die
Menschen nämlich nicht mehr dorthin.
({2})
Wir sind auch mit Vertretern der südsudanesischen
Regierung, mit Parlamentariern und mit Vertretern der
Zivilgesellschaft zusammengetroffen. Wenn man mit
diesen Menschen redet, dann bekommt man einen anderen Eindruck als den, der hier zum Teil vermittelt werden soll. Eines ist völlig klar: Uns wurden viel Lob und
Dank für das deutsche Engagement entgegengebracht,
verbunden mit der Bitte, dort zu bleiben, weiterzumachen und mit der internationalen Völkergemeinschaft für
dauerhaften Frieden zu sorgen.
Mein Eindruck ist - das ist der Eindruck aller Ausschussmitglieder; ich glaube, auch des Kollegen der
Linksfraktion -, dass im Südsudan in bestimmten Bereichen durchaus eine Aufbruchstimmung vorhanden ist.
Der Südsudan hat sich eine fortschrittliche Agenda zum
Ziel gesetzt. Das Friedensabkommen von Nairobi sieht
einen Quasistaat Südsudan mit einer weit reichenden
Autonomie vor. Entscheidende Teile des Friedensabkommens wurden auch umgesetzt, zum Beispiel die Verabschiedung der Verfassung. Diese Verfassung enthält
Elemente aus einem modernen Grundrechtekatalog, von
denen viele westliche Demokratien nur träumen können.
Wir sollten entsprechende Anstrengungen, diese Verfassung zu implementieren, massiv unterstützen.
({3})
Die Menschenrechtssituation hat sich gerade im Vergleich zum immer wieder angesprochenen Konflikt in
Darfur deutlich verbessert, wenn auch das Niveau, was
die Menschenrechte betrifft, noch nicht ausreichend ist.
Wir konnten aber zu der Feststellung gelangen, dass zumindest der Südsudan auf einem guten und richtigen
Weg ist. Unterstützung ist notwendig, damit die jahrzehntelang marginalisierte Bevölkerung in dieser Region
endlich Zugang zu dem bekommt, was sie am dringendsten braucht, nämlich Zugang zu einem funktionierenden
Gesundheits- und Bildungssystem. Davon sind wir aber
noch weit entfernt.
Einige Vorstellungen ließen sich leider nicht umsetzen. Es ist schon angesprochen worden, dass sich der
Aufbau jeglicher Infrastruktur noch nahezu am Nullpunkt befindet. Das Land ist nach wie vor zerstört. Die
Entwaffnung und die Wiedereingliederung der Milizen
müssen entschiedener vorangetrieben werden. Viele
junge Menschen in diesem Land - das muss man sich
einmal vorstellen - haben in ihrem Leben bislang nichts
anderes als den Dienst an der Waffe erlebt. Die Waffe
war für sie das, was für andere die Familie ist. Man muss
daher dafür sorgen, dass es eine Kompensation gibt, damit die Menschen in Frieden leben können. Die Entwaffnung kann eben nicht nur mit zivilen Organisationen und
mit zivilen Mitteln durchgeführt werden. Auch dafür
brauchen wir weiterhin die UNMIS-Mission, an der die
Bundeswehr beteiligt ist.
({4})
Wir müssen des Weiteren die Feststellung treffen,
dass der Aufbau im Südsudan mit einer zarten Pflanze zu
vergleichen ist. In diesem krisengeschüttelten Umfeld ist
nach wie vor nichts sicher. Die Bundeswehr leistet - das
ist meine fest Überzeugung; sie steht im Gegensatz zu
dem, was Sie verbreiten - dort keinen Beitrag zu einem
Krieg. Wer die Meinung vertritt, dass sich deutsche Außenpolitik in der letzten Zeit ausschließlich an Bundeswehreinsätzen orientiert, der verbreitet Propaganda, die
hier nicht hingehört. Die Bundeswehr unterstützt den
Aufbau einer zivilen Gesellschaft. Eine solche Politik
brauchen wir und sie ist - davon bin ich fest überzeugt ohne die Bundeswehr nicht möglich.
({5})
Es ist richtig: Es gibt die Verknüpfungen zum Darfurkonflikt. Wer in den letzten Jahren vor Ort gewesen ist,
der kann nicht begreifen, wie man nicht der Auffassung
sein kann, dass die internationale Staatengemeinschaft
mit massiven Kräften einen Völkermord verhindern
muss. Auch hier haben wir zivile Komponenten in die
Diskussion gebracht.
Es ist wichtig, unter Menschenrechtsaspekten noch
folgenden Punkt anzusprechen. Es gibt nach wie vor
- auch Deutschland ist daran sehr aktiv beteiligt - die
angekündigten Maßnahmen des Internationalen Strafgerichtshofs. Wer sagt, wir dürfen ausschließlich mit
Gesprächen Herrn al-Baschir dazu zwingen, sich anders
zu verhalten, der kennt Herrn al-Baschir nicht richtig.
Die Verhandlungen mit sudanesischen Regierungstruppen, die wir geführt haben, zeigen, dass es nur mit Druck
geht. Deswegen muss auch mit deutscher Hilfe die Strafandrohung durch den ICC aufrechterhalten werden. Das
ist eine klare Bewährungsprobe für den Internationalen
Strafgerichtshof. Wenn er an dieser Stelle versagt, dann
wird das internationale Gewaltmonopol der Vereinten
Nationen in noch weitere Ferne rücken, als es ohnehin
schon der Fall ist.
Ich bin unter Menschenrechtsaspekten voller Überzeugung der Meinung, dass das UNMIS-Mandat in der
vorgesehenen Form verlängert werden muss.
Herzlichen Dank.
({6})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Anke Eymer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Über den UNMIS-Einsatz der Vereinten Nationen ist in der Vergangenheit mehrfach in diesem Hause
dabattiert worden. Heute geht es wieder um den deutschen Beitrag an UNMIS, das heißt um den Einsatz von
maximal 75 deutschen Soldaten im Sudan.
UNMIS ist ein wesentlicher Beitrag der internationalen Gemeinschaft zur Unterstützung eines vielschichtigen Friedensprozesses. Zum Frieden haben sich die
Konfliktparteien im Sudan verpflichtet. Es geht im Wesentlichen - das ist in dieser Debatte schon angeklungen um die Umsetzung des Friedensvertrages von Nairobi,
der am 9. Januar 2005 vereinbart worden ist. Im
Frühjahr 2005 hat sich die internationale Gemeinschaft
auf der Grundlage der UN-Resolution 1590 für diese
friedensbildende Mission entschieden. Der Einsatzschwerpunkt ist der Südsudan.
Am 22. April 2005 haben wir im Deutschen Bundestag auf Antrag der Bundesregierung einer deutschen
Beteiligung zugestimmt. Wir haben den deutschen Beitrag zu UNMIS in sechsmonatigen Intervallen verlängert, zunächst im September 2005 und dann im April
2006. Seit dem Beginn von UNMIS ist Deutschland
nicht nur humanitär, sondern auch durch eine militärische Komponente beteiligt, aktuell mit 36 Soldaten. Das
zeigt: Deutschland nimmt in der Welt Verantwortung
wahr. Das entspricht unserer Position in Europa ebenso
wie unserer Position in der internationalen Gemeinschaft. Wir handeln auf der Grundlage einer gemeinsamen Werte- und Interessenlage.
({0})
Wir handeln im Rahmen der internationalen Verpflichtungen, die Deutschland hat.
Der Sudan ist der flächengrößte Staat auf dem afrikanischen Kontinent, siebenmal so groß wie Deutschland.
Im Sudan leben unterschiedlichste Ethnien und treffen
verschiedene Religionen aufeinander. Wie die Konflikte
dort gelöst werden und wie Frieden erreicht werden
kann, hat Auswirkung auf die gesamte Region.
Die Krise im Sudan kostete Millionen von Menschen
das Leben und hat Millionen von Menschen zur Flucht
genötigt. Destabilisierte Staaten bieten Potenziale für
den internationalen Terrorismus, eine Frage, die uns
dann im gleichen Maße betrifft.
Wir sind daher weit über die humanitäre Verantwortung hinaus gefordert. Es gibt die Grundüberzeugung,
dass allein eine militärische Mission nicht dazu geeignet
ist, einen verlässlichen Frieden zu erzielen. Dennoch
wird unsere Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, in Zukunft auch die Bereitschaft zu militärischen
Komponenten beinhalten.
Das Programm von UNMIS ist umfassend ausgerichtet. Es geht um die Umsetzung des Vertrages von Nairobi. Es geht um die Aufklärung der Bevölkerung in diesem Friedensprozess. Es geht aber ebenso um die
Entwaffnung und die Eingliederung der Milizen in nationale Strukturen. Es geht um den Aufbau rechtsstaatlicher
Strukturen mit einer unabhängigen Rechtsprechung und
einer zivilen Polizei.
({1})
Es geht um Hilfe bei der Gewährleistung der beschlossenen sechsjährigen Übergangsphase. Es geht aber auch
um den Schutz der humanitären Hilfe und der Helfer und
um den Schutz der bedrohten Zivilbevölkerung.
Unsere Zustimmung zur deutschen Beteiligung an
UNMIS haben wir im Frühjahr 2005 getroffen. Mit den
UN-Resolutionen 1706 und 1709 hat sich die Situation
geändert. Darauf in einer Debatte hier im Bundestag zu
reagieren und den deutschen Beitrag nicht im vereinfachten Verfahren zu verlängern, ist meines Erachtens
angemessen. Wir zeigen damit unser ungebrochenes Interesse an der Umsetzung des Friedensabkommens von
Nairobi. Wir zeigen aber auch, dass wir mit gleich brennender Sorge auf die Eskalation besonders im Westsudan, in Darfur, blicken, auch wenn es in diesem Gebiet
nicht um einen deutschen Einsatz im Rahmen von
UNMIS geht. Wir legen mehr als nur ein Bekenntnis der
Solidarität mit den Millionen Opfern und den Millionen
Flüchtlingen im Sudan ab. Wir erneuern unsere Zusage,
aktiv zu helfen.
Anke Eymer ({2})
({3})
De facto wird es zukünftig zwei UNMIS-Teilmissionen geben. Der zukünftige deutsche Beitrag im Rahmen
von UNMIS wird voraussichtlich keine Aktionen in der
Region Darfur, also im Westsudan, umfassen; unsere Beteiligung, über die wir hier heute befinden, wird unverändert den Schwerpunkt im Südsudan haben.
Ich bitte um Ihre Zustimmung und danke für die Aufmerksamkeit.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-
sache 16/2777 zu dem Antrag der Bundesregierung auf
Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der
Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/2700
anzunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Plätze an
den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich
die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.1) Wir setzen die Beratungen
fort.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kornelia
Möller, Dr. Axel Troost, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Für eine Ausweitung und eine neue Qualität
öffentlich finanzierter Beschäftigung
- Drucksache 16/2504 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Markus Kurth, Dr. Thea Dückert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren
- Drucksache 16/2652 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
1) Seite 5237 D
Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Kornelia Möller, Fraktion Die Linke.
({2})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Deutschland ist eines der Schlusslichter in Europa bei
der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, vor allem der
Langzeitarbeitslosigkeit. Für einen großen Teil der
2,9 Millionen Langzeitarbeitslosen fehlen Arbeitsplätze, und das augenscheinlich noch für eine lange Zeit.
Hinzu kommen verschiedene Vermittlungshemmnisse.
Fazit: Unter den gegenwärtigen Arbeitsmarktbedingungen haben diese Frauen und Männer auch längerfristig
kaum Chancen auf einen Arbeitsplatz. Sie wurden ausrangiert. Ältere sind besonders hart dran. Entgegen allen
Beteuerungen stellen Betriebe nur selten jemanden aus
dem Personenkreis 50 plus ein.
Mit den Gesetzen für moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt ist es Rot-Grün nicht gelungen, die Arbeitslosigkeit zurückzudrängen. Stattdessen trugen diese
Gesetze und die in diesem Zusammenhang von
Schwarz-Rot auf den Weg gebrachten Gesetze erheblich
zur Verschärfung der sozialen Lage arbeitsloser Menschen bei. Nach dem Bericht des Bundesrechnungshofes
kritisierte „Report Mainz“ am vergangenen Montag,
dem 25. September, dass die Arbeitsagenturen Millionen
von Betroffenen rechtswidrig aussortieren.
({0})
- Ja, ein Skandal erster Güte. So ist es.
Der von uns auf die Tagesordnung gesetzte Antrag
zur Ausweitung und für eine neue Qualität öffentlich
finanzierter Beschäftigung ist sozial gerecht und entspricht einem breiten öffentlichen Bedürfnis.
({1})
Der DGB sowie einige seiner Einzelgewerkschaften, das
Diakonische Werk, die Arbeiterwohlfahrt, aber auch
kleinere Organisationen, zum Beispiel der Kirchenkreis
Bielefeld oder die Berliner Initiative „Kampagne gegen
Hartz IV“, haben in den letzten Wochen und Monaten
Vorschläge und Initiativen zu öffentlich finanzierter Beschäftigung in die Debatte gebracht. Dass es geht, hat
unser Arbeitsminister Helmut Holter in MecklenburgVorpommern gezeigt. 665 Schulsozialarbeiterstellen
wurden dort geschaffen. Gesellschaftlich wichtige Arbeit wird geleistet.
({2})
Weitgehende Übereinstimmung besteht zwischen uns
und den anderen Akteuren auch im wichtigen Bereich
der Finanzierung. Statt Arbeitslosigkeit soll sozialversicherungspflichtige Arbeit auf freiwilliger Basis finanziert werden.
({3})
Möglich wird dies durch eine Bündelung von Finanzmitteln, die gegenwärtig sowieso aufgebracht werden:
für das Arbeitslosengeld II, die Kosten der Unterkunft,
die Beiträge zur Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung, die Mehraufwandsentschädigungen für
1-Euro-Jobs sowie die Mittel, die die Trägereinrichtungen von 1-Euro-Jobs pauschal erhalten. Nach Auffassung der Linksfraktion sollen auch im Bereich der öffentlich finanzierten Beschäftigung Mindestlöhne von
8 Euro plus gezahlt werden.
({4})
Um eine solide Startfinanzierung zu sichern, ist es
notwendig, dass ein Teil der bei der Bundesagentur für
Arbeit in diesem Jahr erzielten Überschüsse in das Jahr
2007 übertragen wird. Weitere Finanzierungsmöglichkeiten resultieren aus Länderprogrammen, aus ESF-Mitteln sowie aus finanziellen Mitteln von Unternehmen,
die sich als Träger an öffentlich geförderter Beschäftigung beteiligen. Sie sehen, meine Damen und Herren der
Koalition: Geld ist da. Ihnen fehlte bislang allein der
Wille zu handeln.
Selbst die Vorstellungen der Bundesagentur für Arbeit
zu alternativen Beschäftigungsformen im Bereich des
SGB II müssen seit Monaten in den Schubladen schmoren, weil die Politik kein Zeichen gibt. Ich erinnere Sie
an Ihre Aussage im Koalitionsvertrag:
Personen, deren Erwerbsfähigkeit eingeschränkt ist
und die keine Arbeit auf dem regulären Arbeitsmarkt finden können, müssen eine Perspektive bekommen.
Was sagen Sie den Langzeitarbeitslosen in Ihrem
Wahlkreis in Vorpommern, Frau Merkel, oder Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen, in Ihren Wahlkreisen? Was
sagen Sie denen, die sich nicht mehr von Ihnen vertreten,
sondern allein gelassen und preisgegeben fühlen - und
dies vielleicht auch wissen -, denen, die sich entmutigt
durch Ihre Politik von der Demokratie abwenden?
({5})
Die Folgen von Langzeitarbeitslosigkeit sind für die
Menschen erheblich. „Arbeitslose sterben früher als Erwerbstätige“ titelte „Die Welt“ am 14. August dieses
Jahres und nahm Bezug auf die Studie der Universität
Leipzig, die darauf aufmerksam macht, dass sich der Gesundheitszustand arbeitsloser Menschen drastisch verschlechtere und sich ihre Lebenserwartung verkürze.
Langzeitarbeitslosigkeit zerstört Familien und entzieht
Menschen eine würdevolle Gegenwart und Zukunft.
Noch einmal: Geld ist da. Handeln Sie endlich!
({6})
Wenn Sie unserem heute vorgelegten Antrag zustimmen, erhalten 500 000 Menschen, die entsprechend unserem Antrag in einem öffentlich finanzierten Sektor
existenzsichernde und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung finden würden, eine Zukunft, die sie mit
Hartz IV nicht haben.
Frau Kollegin.
Denn auch heute gilt: Hartz IV ist ein schlechtes Gesetz. Hartz IV muss weg.
Ich danke Ihnen.
({0})
Ich komme zu Tagesordnungspunkt 7 zurück und
gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der
Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan,
Drucksachen 16/2700 und 16/2777, bekannt: abgegebene Stimmen 564. Mit Ja haben gestimmt 504, mit Nein
haben gestimmt 48, Enthaltungen 12.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 563;
davon
ja: 503
nein: 48
enthalten: 12
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
({0})
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Carl-Eduard von Bismarck
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({1})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({2})
Dirk Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Holger Haibach
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({6})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({8})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({9})
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({10})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({11})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Bernward Müller ({14})
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({15})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Daniela Raab
Hans Raidel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({16})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht ({17})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({18})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Andreas Schmidt ({19})
Ingo Schmitt ({20})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Thomas Strobl ({21})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({22})
Gerald Weiß ({23})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Ernst Bahr ({24})
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Volker Blumentritt
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({25})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({26})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({27})
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Petra Heß
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({28})
Frank Hofmann ({29})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Johannes Jung ({30})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({31})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({32})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({33})
Michael Müller ({34})
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({35})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({36})
Michael Roth ({37})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({38})
Axel Schäfer ({39})
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({40})
Silvia Schmidt ({41})
Renate Schmidt ({42})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({43})
Carsten Schneider ({44})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({45})
Swen Schulz ({46})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gert Weisskirchen
({47})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({48})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({49})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({50})
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({51})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({52})
Markus Löning
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({53})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({54})
Martin Zeil
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({55})
Cornelia Behm
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({56})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Undine Kurth ({57})
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Kerstin Müller ({58})
Winfried Nachtwei
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({59})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Irmingard Schewe-Gerigk
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({60})
Nein
CDU/CSU
Wolfgang Börnsen
({61})
Dr. Peter Gauweiler
Henry Nitzsche
Willy Wimmer ({62})
SPD
Gregor Amann
Petra Hinz ({63})
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Diana Golze
Heike Hänsel
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger-Neuling
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Ulla Lötzer
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kersten Naumann
Elke Reinke
Paul Schäfer ({64})
Volker Schneider
({65})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Kirsten Tackmann
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Enthalten
FDP
Miriam Gruß
Jürgen Koppelin
Gisela Piltz
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Roland Claus
Dr. Gregor Gysi
Dr. Barbara Höll
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Petra Pau
Dr. Petra Sitte
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
({66})
Wir setzen unsere Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Peter Rauen, CDU/CSU-Fraktion.
({67})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit ihrem
Antrag will die Fraktion Die Linke die Arbeitslosigkeit
durch öffentlich finanzierte Beschäftigung bekämpfen,
während der Antrag der Grünen darauf zielt, Beschäftigung für die circa 400 000 Menschen zu organisieren,
die heute Arbeitslosengeld II beziehen, auf dem ersten
Arbeitsmarkt aber vermutlich keine Chance haben.
({0})
Ich komme auf diese Anträge zurück. Zunächst will
ich aber einige Vorbemerkungen machen. Die neue Regierung ist mit zwei großen Zielen angetreten: erstens
die staatlichen Finanzen in Ordnung zu bringen und
zweitens die Arbeitslosigkeit abzubauen bzw. die Zahl
der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse zu erhöhen. Diese Vorgehensweise wurde mit
den Begriffen Investieren, Konsolidieren und Reformieren formuliert.
Trotz aller Schwierigkeiten auf diesem Wege, die ich
gar nicht bestreiten will, gibt es zwei harte Fakten, die
belegen, dass die Regierung auf diesem Wege erfolgreich ist:
({1})
Erstens. Im Mai dieses Jahres waren die tatsächlichen
Steuereinnahmen zum ersten Mal höher als die erwarteten. Das hat es seit fünf Jahren nicht mehr gegeben.
({2})
Ich gehe davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzt und
dass die Maastrichter Stabilitätskriterien entgegen der
zuvor formulierten Erwartung der Regierung am Ende
dieses Jahres möglicherweise doch eingehalten werden
können.
Dies ist deshalb so wichtig, weil nur ein Staat mit
gesunden Finanzen auf Dauer in der Lage ist, in die Zukunft zu investieren: in Infrastruktur, Forschung und Bildung. Wir wollen in die Verbesserung der Infrastruktur
und in die Erhaltung der vorhandenen Infrastruktur investieren. Das sichert sofort Arbeitsplätze und ist allemal besser als irgendein öffentlich finanziertes Beschäftigungsprogramm.
({3})
Zweitens. Die Bundesagentur für Arbeit hat heute vermeldet, dass die Arbeitslosigkeit im September dieses
Jahres gegenüber dem Vorjahresmonat um 409 000 Personen zurückgegangen ist. Das ist höchst ermutigend.
Ferner teilte die Bundesagentur mit, dass auf dem ersten
Arbeitsmarkt 824 000 offene Stellen gemeldet sind; das
sind 180 000 mehr als vor einem Jahr. Besonders erfreulich aber und ein Beweis dafür, dass die Regierung auf
dem richtigen Wege ist, ist die Mitteilung der Bundesagentur, dass mittlerweile der Aufbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung zum Rückgang der Arbeitslosigkeit beiträgt.
Darauf mache ich besonders aufmerksam, weil damit
ein sechsjähriger Negativtrend endlich gebrochen ist.
({4})
Von September 2000 bis einschließlich April 2006 ist
die Zahl der ordentlich Beschäftigten in jedem nur denkbaren Vergleich mit den Vorjahresmonaten zurückgegangen. Insgesamt sind in diesem Zeitraum auf dem ersten
Arbeitsmarkt 1,8 Millionen ordentliche Beschäftigungsverhältnisse verloren gegangen. Im Mai 2006 waren erstmals 103 664 mehr Beschäftigte als im Mai des
Vorjahres zu verzeichnen. Im Juni waren es bereits
128 634 mehr. Heute vermeldet die Bundesagentur, dass
die Zahl der ordentlich Beschäftigten im Juli 2006 um
194 000 höher war als im Juli 2005.
Die Bundesagentur vermeldet ferner - das halte ich
für besonders wichtig -, dass die Zunahme in allen Bundesländern außer dem Saarland stattgefunden hat. Ich
gehe davon aus, dass sich diese Trendumkehr im August
und September fortgesetzt hat, obwohl die Zahlen dazu
noch nicht vorliegen.
({5})
- Ich komme dazu. - Von 28 285 045 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im September 2002 waren
wir auf 25 815 795 im Februar 2006 zurückgefallen.
Dieser Rückgang hatte verheerende Folgen für die Steuereinnahmen und vor allem für die sozialen Sicherungssysteme: Die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
zahlen ja nicht nur Lohnsteuer, sie finanzieren auch - gemeinsam mit den Arbeitgebern - unsere Sozialkassen.
Die nun festzustellende Trendumkehr ist für unsere gesamte Volkswirtschaft, für die Finanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme und für den Arbeitsmarkt von
allergrößter Bedeutung.
Über die grundsätzliche Weichenstellung zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt ist die Bundesregierung vor allem bemüht, die
Langzeit- und Altersarbeitslosigkeit zu reduzieren.
({6})
Deshalb wird die Bundesregierung in der Arbeitsmarktpolitik weitere Weichen stellen. Zwei Ansätze stehen im
Mittelpunkt der Bestrebungen des Bundesministeriums
für Arbeit und Soziales: erstens eine sinnvollere Ordnung im Niedriglohnbereich und zweitens eine effizientere Organisation im SGB II.
({7})
Die Bundesregierung hat daher mit Kabinettsbeschluss
vom 23. August 2006 die Arbeitsgruppe „Arbeitsmarkt“
eingesetzt, die heute in Form einer Anhörung ihre Arbeit
aufgenommen hat. Sie wird neben der effizienteren Umsetzung des SGB II die Themen Kombilohn, Mindestlohn und dritter Arbeitsmarkt ausleuchten und Lösungen
vorlegen.
Des Weiteren hat die Bundesregierung mit den Eckpunkten der Initiative „50 plus“ ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Fokus gerückt. Ein Instrument ist der Kombilohn für Menschen über 50 Jahre. Sie
sollen möglichst schnell wieder in den Arbeitsprozess
eingegliedert werden und, wenn sie weniger Lohn bekommen als auf ihrer letzten Stelle, einen Zuschuss bekommen.
Zum Antrag der Fraktion Die Linke. Diesen Antrag
lehnen wir ab. Wer ihn liest, stellt fest, dass sich Die
Linke von Planwirtschaft und Staatsdirigismus noch immer nicht verabschiedet hat.
({8})
Sie hängen nach wie vor dem Motto an: Der Staat sammelt Geld ein, der Staat verteilt das Geld und alle haben
Arbeit, und sei es staatlich finanzierte. Woher allerdings
das Geld kommen soll, wenn nicht durch Wertschöpfung, sagt von der Linken niemand. Diese Antwort bleiben Sie uns schuldig.
({9})
- Zu der Finanzierung, die Sie vorgeschlagen haben,
komme ich noch.
Zum Antrag des Bündnisses 90/Die Grünen.
({10})
Der Antrag der Grünen ist da schon ganz anders.
({11})
In der Analyse der tatsächlichen Situation liegen wir gar
nicht weit auseinander:
({12})
Eine nicht kleine Gruppe der ALG-II-Bezieher, circa
400 000, hat auf dem ersten Arbeitsmarkt, wie man realistischerweise sagen muss, keine Chance. Sie können
aller Voraussicht nach auf dem regulären Arbeitsmarkt
kein bedarfsdeckendes Einkommen erzielen. Die
Gründe hierfür sind sehr verschieden: mangelnde Qualifikation, lange Arbeitslosigkeit oder andere Vermittlungshemmnisse wie soziale oder seelische Probleme.
Wir wollen die Betroffenen keinesfalls als erwerbsunfähig abschreiben und in die Sozialhilfe abdrängen. Insofern wäre eine dauerhafte Förderung der Betroffenen in
einem dritten Arbeitsmarkt zumindest eine Option, die
geprüft werden muss.
({13})
Doch es darf nicht sein, dass auf der einen Seite
strikte Sanktionen gefordert werden und auf der anderen
Seite derjenige mit einer dauerhaften Beschäftigung „belohnt“ wird, der sich - möglicherweise nachhaltig - der
Jobvermittlung auf dem ersten Arbeitsmarkt entzieht.
({14})
Zudem stellt sich mir die Frage, ob der Zeitpunkt für solche Überlegungen nicht zu früh ist, da die Arbeit in den
Argen und den Optionskommunen derzeit noch nicht
richtig funktioniert. Ich verweise hier auf den Bericht
des Bundesrechnungshofes.
Im Moment sind noch zu viele Empfänger von
ALG II im System, die arbeiten könnten, bisher aber
nicht die entsprechenden Angebote oder Anreize erhalten haben. Es kommt ganz wesentlich auf die korrekte
Umsetzung dieser Idee an: ob sie als richtige Ergänzung
zu den arbeitsmarktorientierten Instrumenten des SGB II
funktioniert oder ob sie diese möglicherweise konterkariert. Diesbezüglich sind zum jetzigen Zeitpunkt zu viele
Fragen offen, die noch beantwortet werden müssen. Deshalb lehnen wir den Antrag der Grünen ebenfalls ab.
({15})
Lassen Sie mich abschließend noch Folgendes feststellen: Durch alle arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen
im Sinne von Arbeitsbewirtschaftung konnte letztendlich nicht verhindert werden, dass wir heute eine viel zu
hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland haben. Das gilt
auch für die letzten 40 Jahre, egal unter welcher Regierung. Deshalb hat diese Regierung zu Recht den Schwerpunkt darauf gelegt, auf dem ersten Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein.
Mit der Mehrwertsteuererhöhung werden die Beiträge
zur Arbeitslosenversicherung um mindestens 2 Prozentpunkte gesenkt.
Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Rauen.
Das führt dazu, dass die Menschen, die arbeiten und
Beiträge zahlen, netto mehr in der Tasche behalten und
gleichzeitig die Arbeitskosten sinken. Das ist das beste
Programm für mehr Beschäftigung in Deutschland.
({0})
Herr Rauen, kommen Sie bitte zum Ende.
Ich komme sofort zum Schluss.
Wenn es die Finanzen der Bundesagentur für Arbeit
dauerhaft hergeben, dann muss die Senkung auch höher
als die genannten 2 Prozentpunkte ausfallen. Die Überschüsse der Bundesagentur müssen an die zurückgegeben werden, denen das Geld gehört. Das sind diejenigen,
die ordentlich arbeiten, und die Unternehmen, für die sie
arbeiten.
({0})
Herr Rauen!
Dies ist allemal zielführender als der Vorschlag der
Linken, dieses Geld in Beschäftigungsprogramme zu
stecken.
Schönen Dank.
({0})
Das Wort für Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin
Brigitte Pothmer.
({0})
Im Gegensatz zu anderen Kollegen hier im Haus habe
ich eben immer noch etwas zu sagen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Raunen,
({1})
schade eigentlich: Sie hatten so gut angesetzt, als es um
den Antrag der Grünen ging.
Entschuldigung, Frau Pothmer, der Kollege heißt
Rauen.
Sagte ich das nicht?
Nein. Ich wollte das nur kurz klarstellen.
Es ging ein Raunen durch das Haus. War es so?
Herr Rauen, ich finde, Sie haben gut angefangen, als
es um den Antrag der Grünen ging. Deswegen war die
Konsequenz, die Sie daraus gezogen haben, aus meiner
Sicht überhaupt nicht logisch.
Natürlich sind wir alle froh, wenn sich der Arbeitsmarkt entspannt. Wenn Sie aber einmal ein bisschen genauer hinschauen würden, dann würden Sie sehen, dass
wir es mit einem sehr gespaltenen Arbeitsmarkt zu tun
haben. Wenn die Arbeitslosigkeit sinkt, dann betrifft das
leider nicht die Langzeitarbeitslosen. Deren Zahl steigt
immer weiter an.
({0})
Herr Rauen, diesem Teil der Betroffenen müssen Sie
ein Angebot machen. Hier reicht es bei weitem nicht aus,
zu sagen, die Argen und die Optionskommunen würden
noch nicht richtig arbeiten, vielleicht aber später einmal.
Ich sage Ihnen: Später kann für viele viel zu spät sein.
Ich glaube, das zeichnet leider auch die Arbeit der
großen Koalition aus. Wenn ein Problem auftaucht, dann
vertagen Sie die Lösung und setzen sich in eine Arbeitsgruppe. Es geht dann nicht weiter. Deswegen haben wir
Ihnen ein Konzept speziell für diese Gruppe vorgelegt,
von der wir ganz sicher sind, dass sie unter den gegebenen Bedingungen - das will ich hier betonen - bis auf
weiteres keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben wird, weil die persönlichen beruflichen Profile dieser Menschen zu stark von den Anforderungen abweichen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt derzeitig gestellt
werden.
Herr Rauen, Sie wissen im Übrigen seit langem, dass
diese Menschen leider auch nicht von Konjunkturaufschwüngen profitieren. Diese Gruppe bleibt leider auch
bei Konjunkturaufschwüngen arbeitslos. Deshalb müssen Sie dort mit anderen Instrumenten herangehen.
({1})
Es nützt dabei überhaupt nichts, sie von einem 1-EuroJob in den nächsten und danach in die nächste Qualifizierung zu stecken. Das ist rausgeschmissenes und nicht
sinnvoll eingesetztes Geld, Herr Rauen. Das frustriert
die Menschen. Es geht darum, diesen Menschen auch
eine langfristige Perspektive zu geben;
({2})
denn auch für sie trifft das zu, was für andere zutrifft:
dass Arbeit sehr viel mehr ist, als Geld zu verdienen. Es
geht auch darum, wieder Anschluss zu finden, eine sinnstiftende Tätigkeit auszuüben und Mitglied in der Gesellschaft zu sein.
({3})
Das dürfen Sie auch diesen Menschen nicht verwehren.
Wir machen hier ein Angebot, das kostenneutral ist.
Wir sagen Ihnen: Es geht auch, ohne dass Sie mehr Geld
in die Hand nehmen. Sie müssen das Geld einfach nur
sinnvoll einsetzen, indem Sie die aktiven und die passiven Leistungen zusammenlegen. Warum schmeißen Sie
das Geld für 1-Euro-Jobs heraus? Warum legen Sie dieses Geld nicht mit dem Geld für die passiven Leistungen
und dem Wohngeld zusammen? Dadurch können Sie für
die Menschen, denen diese Leistungen zugute kommen,
dauerhafte Perspektiven schaffen. Das ist gut für die Betroffenen, das ist aber auch gut für die Träger, bei denen
diese Menschen arbeiten. So können Sie etwas Sinnvolles für die Gesellschaft tun.
({4})
Wir würden gerne noch ein weiteres Instrument einsetzen - Sie kennen das vielleicht nicht, daher sage ich
es Ihnen einmal -, und zwar die Integrationsbetriebe.
Die Integrationsbetriebe sind derzeit ein Instrument für
behinderte Menschen. Warum muss das so bleiben? Da,
wo es Sinn hat, kann man in diesen Betrieben auch
Langzeitarbeitslose, die multiple Vermittlungshemmnisse haben, einsetzen.
Geben Sie sich einmal einen Ruck! Sie haben doch
längst eingesehen, dass unsere Vorschläge gut sind. Wir
beraten darüber noch einmal im Ausschuss. Bis dahin
werden wir bei der Begründung noch etwas nachlegen.
Dann können Sie eigentlich nicht mehr Nein sagen.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller
von der SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir
sprechen über zwei Anträge. Wer diese Anträge gelesen
hat, hat schnell feststellen können: Sie sind von sehr unterschiedlicher Qualität.
Die Zustandsbeschreibung in der Einführung beider
Anträge kritisiere ich nicht; beide schildern die Situation
zutreffend. Dazu wird es hier im Haus auch Zustimmung
geben, zumal sie sich beide auf äußerst seriöse Quellen
beziehen. Sie beschreiben allerdings auch ein Problem,
das die große Koalition sehr ernst nimmt. Daran will ich
gar keinen Zweifel lassen.
Ehrlich gesagt bedurfte es beider Anträge nicht, um
darauf aufmerksam zu machen, dass wir als Politiker
- insbesondere in der großen Koalition - genau für den
Personenkreis, über den wir hier reden, derzeit Antworten entwickeln und Lösungen erarbeiten. Bei diesem
Personenkreis handelt es sich um Menschen, die erwerbsfähig, aber arbeitsmarktfern sind, und die es aufgrund multipler Vermittlungshindernisse schwer haben,
auf dem Arbeitsmarkt integriert zu werden. Genau deshalb braucht dieser Personenkreis unsere Aufmerksamkeit; genau deshalb braucht er auch unsere besondere
Beachtung. Allerdings kann ich da nur sagen: Im Koalitionsvertrag ist das eindeutig als ein Thema festgelegt.
Ich finde, daraus erwächst genau die politische Verpflichtung, der wir nachkommen.
Aus der Zustandsbeschreibung schließe ich allerdings
anderes als zum Beispiel Sie, Kollegin Möller, oder die
Fraktion der Linken. Ihr Antrag liest sich so, als ob die
Bundesregierung in den letzten Jahren keinerlei Arbeitsmarktpolitik betrieben hätte.
({0})
Da kann ich nur sagen: Offenbar haben Sie gar nicht zugehört, nicht hingeschaut und das nicht erlebt.
({1})
Sie gehen darauf gar nicht ein, Frau Möller. Ihr Refrain
„Hartz muss weg!“ langweilt langsam. Denken Sie sich
einmal etwas Neues aus. Das wissen wir alles schon.
({2})
Insofern wäre jetzt eine gute Gelegenheit, intensiver
nach Lösungen zu suchen.
({3})
- Ja, darauf gehe ich gerne ein.
Wenn ich mir anschaue, was Sie als Lösung vorstellen
- da kann ich meinem Kollegen Rauen nur zustimmen -,
dann stelle ich fest, dass Sie im Grunde Ihrem alten Modell von Staat und Politik verhaftet bleiben. Ihre Antwort
ist eigentlich nur: mehr Staat, mehr Politik und wir in
Berlin sollen das richten. Das halte ich für einen absolut
unrealistischen Vorschlag. Ich finde ihn wirklich mager.
Umso bombastischer sind aber die Effekte, die Sie sich
ausrechnen. Sie sagen locker: ab Januar nächsten Jahres
150 000 Arbeitsplätze, bis 2009 weitere 350 000 Arbeitsplätze, also mal eben eine halbe Million Arbeitsplätze.
500 000 Menschen Arbeit zu versprechen und ihnen
noch zu versichern, es sei locker möglich, mit 1 400 Euro
im Monat nach Hause zu gehen, finde ich leichtfertig.
Ich denke, das ist eine Politik, die überhaupt nicht realisierbar ist. Das kritisiere ich nachdrücklich an Ihrem
Vorschlag. Aber so einfach ist das eben in der Opposition.
({4})
Deshalb denke ich auch, dass es vollkommen reicht,
wenn man sich so weit mit Ihrem Antrag auseinander
setzt.
Vollkommen anders sehe ich es allerdings, verehrte
Frau Pothmer, beim Antrag der Grünen. Darauf möchte
ich jetzt eingehen. Ich denke, dass Sie sich in der Tat
dem Thema wesentlich substanzieller nähern.
({5})
Das geht aus dem Antrag und auch aus dem zugrunde
liegenden Positionspapier hervor. Es war mir eine
Freude, das zu lesen. Ich musste allerdings bald erkennen, dass auch das nicht ganz ausreicht. Ich möchte das
gerne - das lässt meine Redezeit noch zu - im Einzelnen
ausführen.
Sie haben zwei gute Lösungswege aufgezeigt. Ein
Weg sieht vor, in Zukunft Integrationsfirmen besser zu
nutzen, um auch dem Personenkreis der Langzeitarbeitslosen Lösungen anzubieten. Ich halte das für sinnvoll,
um zu erkennen, inwieweit man passive und aktive Leistungen zusammenführen kann.
Ich habe aber festgestellt, dass in Ihrem Antrag mehr
Fragen verborgen sind, als er in den Antworten und Lösungsvorschlägen suggeriert.
({6})
Insofern ist er zwar ein guter Start, aber Sie nehmen einen Riesenanlauf und hören dann nach dem ersten
Sprung auf. Ich lade Sie ein: Machen Sie es wie beim
Dreisprung! Lassen Sie uns die zwei weiteren Sprünge
zusammen angehen. Dann kommen wir zu guten Ergebnissen.
Was Ihre Einladung angeht, Frau Pothmer, im Rahmen der Diskussionen im Ausschuss weitere gute Vorschläge zu machen, sehe ich der Zusammenarbeit ausgesprochen gerne entgegen.
Vielen Dank.
({7})
Dirk Niebel hat das Wort für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Forderung der Ausweitung eines öffentlich
geförderten Beschäftigungssektors - vor allem von der
linken Seite des Hauses - ist nicht neu. Sie legt den
Schluss nahe, wenn alle Arbeitslosen beim Staat angestellt würden, dann hätten wir Vollbeschäftigung. Aber
spätestens aus dem Evaluierungsbericht zu den HartzReformen, den die alte Bundesregierung in Auftrag gegeben und die neue Bundesregierung vorgestellt hat,
wird deutlich, dass die Instrumente der letzten Jahrzehnte nicht geeignet sind, die Massenarbeitslosigkeit zu
bekämpfen. In dem Bericht wird im Gegenteil festgestellt, dass sie nicht nur nicht helfen, sondern dass sie sogar häufig denjenigen Schaden zufügen, die mit diesen
Instrumenten „beglückt“ werden.
Insofern ist dieser Weg der Arbeitsmarktpolitik - im
Auftrag der alten Bundesregierung erdacht und von der
neuen Bundesregierung verkündet - nachweislich
falsch. Deswegen sollten wir diesen Weg nicht wieder
beschreiten.
({0})
Die Bundesagentur für Arbeit hat heute die Arbeitsmarktzahlen vorgestellt. Viele - zumindest von politischer Seite - zeigen sich in der Kommentierung glücklich darüber. Auch ich freue mich über jeden Menschen,
der aus der Arbeitslosigkeit herauskommt. Aber nicht
nur im Zweiten Deutschen Fernsehen gilt „Mit dem
Zweiten sieht man besser“, sondern manchmal auch bei
Arbeitslosenstatistiken: Mit dem zweiten Blick sieht
man manches besser.
({1})
Saisonbereinigt ist die Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zum Vormonat um 17 000 zurückgegangen. Das
ist gut. Allerdings ist im Vergleich zum letzten Monat
die Zahl der aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen
um 29 000 - darunter allein 22 000 zusätzliche 1-EuroJobs - gestiegen. Das heißt, es bleibt eine Differenz von
12 000 Menschen, die nicht mehr in der Statistik geführt
werden. Faktisch ist leider im Vergleich zum Vormonat
die Zahl der Arbeitslosen um 12 000 gestiegen, und zwar
mit dem Instrument der 1-Euro-Jobs, einem öffentlich
geförderten Beschäftigungsbereich, der sowohl hinsichtlich der Teilnehmerzahl als auch des Finanzvolumens im
letzten Jahr das umfangreichste arbeitsmarktpolitische
Instrument war. Die Bundesregierung hat 1,1 Milliarden Euro in die so genannte Mehrbeschäftigung investiert, und zwar für 604 000 Teilnehmer.
Der leichtfertige Umgang mit dem Geld anderer
Leute ist bemerkenswert. Denn wie der Bundesrechnungshof festgestellt hat, fehlten bei einem Viertel der
Maßnahmen die Fördervoraussetzungen.
({2})
Es gab keine Zusätzlichkeit, es gab kein öffentliches Interesse und keine Wettbewerbsneutralität. Bei 50 Prozent dieser Maßnahmen wussten die Grundsicherungsstellen nichts über den Inhalt der Maßnahmen. Sie haben
die Maßnahmenträger einfach gewähren lassen - mit
dem Geld, das die Bürgerinnen und Bürger durch ihrer
Hände Arbeit erwirtschaftet haben. Ich meine, es ist der
falsche Weg, diese Instrumente weiter stärken zu wollen,
sei es auf dem völlig abstrusen Weg der PDS oder auf
dem etwas weniger praktikablen Weg, den die Grünen
vorschlagen.
Wir sind der festen Überzeugung, dass man entgegen
den Feststellungen des Bundesrechnungshofs den Menschen, die Probleme haben, Hilfestellung geben sollte.
Sie waren damals noch nicht im Parlament. Wir anderen
aber waren alle zusammen am Vermittlungsverfahren im
Zusammenhang mit den Hartz-Gesetzen beteiligt.
Florian Gerster hat sich damals für die Klassifizierung
der Erwerbsfähigkeit eingesetzt, die sich in Arbeitsmarktnähe und Arbeitsmarktferne unterteilt. Wir waren
uns alle aus guten politischen Gründen einig, nur die
rentenrechtliche Regelung zu übernehmen und von der
arbeitsmarktpolitischen Regelung abzusehen. Diese Regelung ist zwar eventuell arbeitsmarktpolitisch sinnvoll,
weil man damit die Statistik schnell verändern kann. Sie
hilft aber nicht den Menschen. Hier gibt es einen sozialpolitischen Auftrag der Bundesagentur für Arbeit. Deswegen ist es verwerflich, dass durch die Hintertür, auf
dem Verordnungsweg der politische Willen des gesamten Hauses umgangen wird und dass die Bundesagentur
für Arbeit Menschen aus dem Arbeitsmarkt bewusst herausdrängen will.
({3})
Die Menschen brauchen Möglichkeiten, wieder in
Beschäftigung zu kommen. Das heißt, wir müssen Rahmenbedingungen für mehr reguläre Beschäftigung
schaffen. Ich habe verwundert gelesen, dass mancher
meint, die Bundesagentur für Arbeit erwirtschafte
Überschüsse. Dazu möchte ich deutlich sagen: Wenn jemand in Deutschland nichts erwirtschaftet, dann ist es
die Bundesagentur für Arbeit. Das Geld, das dort übrig
ist, ist den Bürgerinnen und Bürgern, den Arbeitnehmern
und den Arbeitgebern, zu viel weggenommen worden.
Das heißt, man muss es ihnen zurückgeben und den Beitragssatz in der Arbeitslosenversicherung deutlich mehr
senken, als bislang geplant. Das macht Arbeit billiger.
Wenn Arbeit billiger wird, wird auch mehr eingestellt.
Wer eingestellt wird, kann Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen.
({4})
Ich möchte noch einen Schritt weiter gehen. Die vermeintlichen Überschüsse, also das dem Bürger zu viel
weggenommene Geld, das bei der Bundesagentur für
Arbeit gesammelt wird, könnten wir zur Senkung der
Arbeitslosenversicherungsbeiträge nutzen. Wir bräuchten dann nicht die von Ihnen geplante arbeitsplatzfeindliche Mehrwertsteuererhöhung, die Sie, meine Damen und
Herren von der SPD, noch im Wahlkampf völlig zu
Recht angegriffen haben.
Die Beitragssenkungsspielräume in der Arbeitslosenversicherung sind im System vorhanden, wenn man nur
noch das fördert, was zur Integration in den ersten Arbeitsmarkt führt, und wenn man das zu viel weggenommene Geld den Arbeitnehmern und Arbeitgebern wieder
zurückgibt. Wir dürfen nicht die Konzepte aus den vergangenen Jahrzehnten wieder aufgreifen, sondern müssen neue Wege für neue Beschäftigung in diesem Land
gehen.
Wir wollen als Partei der sozialen Verantwortung den
Menschen die Chance geben, ihren Lebensunterhalt
selbst zu verdienen. Dafür brauchen wir entsprechende
Rahmenbedingungen. Wir brauchen eine Senkung der
Arbeitskosten, und zwar im Bereich der Sozialversicherung, eine Senkung der Steuerlast der Bürgerinnen und
Bürger sowie der Unternehmer, damit mehr konsumiert
und investiert wird, sowie ein flexibles Arbeitsrecht, das
Einstellungen erleichtert, damit die Menschen die
Chance haben, bei einem kleinen konjunkturellen Aufschwung wie dem momentanen wieder in Beschäftigung
zu kommen.
Vielen herzlichen Dank.
({5})
Für die SPD spricht der Kollege Rolf Stöckel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Niebel, abgesehen davon, dass Sie hier ständig dieselbe
Blaupause vorlegen, gebe ich Ihnen in einem Punkt
Recht: In der Tat ist die Definition der Erwerbsfähigkeit
in Deutschland, was die Integration von benachteiligten
und leistungsgeminderten Menschen in den Arbeitsmarkt angeht, richtig gewählt. Aber wir müssen daraus
die Schlussfolgerung ziehen, dass es im Bereich der weniger qualifizierten Tätigkeiten kaum offizielle Beschäftigungsverhältnisse gibt, weil sich diese aufgrund mangelnder Produktivität nicht rechnen, und dass wir in der
aktiven Sozial- und Arbeitsmarktpolitik Maßnahmen gerade zugunsten ehemaliger Sozialhilfeempfänger und
der Menschen treffen müssen, die schulisch und beruflich schlecht qualifiziert sind. Eine andere Frage ist, welche Maßnahmen wir ergreifen.
Bei allem Streit und angesichts der beiden vorliegenden Anträge können wir festhalten, dass es für die betreffenden Menschen noch immer besser ist, im Rahmen
ihrer Leistungsfähigkeit zu arbeiten, als arbeitslos zu
sein und Sozialleistungen ohne Gegenleistung zu beziehen. Aber das liegt in der Verantwortung nicht nur des
Steuerzahlers und des Staates, sondern auch der gesamten Wirtschaft. Über den Sinn der alten arbeitsmarktpolitischen Instrumente kann man wahrlich streiten. MegaABM, öffentliche Beschäftigung, SAM und das Programm „Arbeit statt Sozialhilfe“ waren sicherlich notwendige Instrumente. Wenn man aber ehrlich ist, muss
man zugeben, dass sie unter dem Strich die Langzeitarbeitslosigkeit nicht abgebaut, sondern eher verfestigt haben, sodass wir nun eine Bugwelle von Unqualifizierten
vor uns herschieben.
Über Begründung und Schlussfolgerung sind wir uns
- auch in der großen Koalition - einig. Wir müssen weiterhin an diesem Thema arbeiten, aber in einem vermutlich viel größeren Zusammenhang - dazu haben wir eine
Arbeitsgruppe eingesetzt -, als Sie das in Ihren Anträgen
darlegen. In der Tat ist entscheidend, welche Anreize für
die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im SGB II gegeben
sind. Sind die Hinzuverdienstregelungen sinnvoll? Wir
stellen jedenfalls fest, dass dort zunehmend weniger Anreize für die Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung, etwa über 400 Euro, gegeben sind und dass sich
die Menschen an der Hinzuverdienstgrenze in Höhe von
160 Euro orientieren und offiziell so viele Stunden arbeiten, bis diese Grenze erreicht ist. Das sind Fragen, die
wir im Zusammenhang mit Kombilöhnen, Mindestlöhnen und einem ergänzenden dritten Arbeitsmarkt zu diskutieren haben.
Sie schreiben, dass es keinen Mechanismus der Verdrängung regulärer Beschäftigung geben darf, aber Sie
sagen nicht, welche Mechanismen greifen sollen. Das ist
eine Frage, die die gesamte Gesellschaft, vor allen Dingen die Wirtschaft, bewegt. Ich finde den Ansatz der
Grünen richtig, wonach wir keine Kriterien für flächendeckende Beschäftigungsprogramme festlegen können
und darüber die Akteure vor Ort, etwa in den Beiräten
der Arge unter Beteiligung der Wirtschaft, insbesondere
des Handwerks und des Mittelstandes, entscheiden sollen. Ich glaube, das ist richtig. Sie müssen aber gleichzeitig klären - die Frage beantworten Sie nicht -, wie
wir eine Kontrolle darüber haben, ob die Bundesmittel,
die wir zahlen sollen, zielgerichtet und im Sinne Ihres
Antrags verwendet werden. Ob es richtig ist, die Mittel
den Kommunen zu geben, daran haben wir nach den anderthalb Jahren Erfahrung, die wir in den Argen und den
Optionskommunen gemacht haben, große Zweifel. Wir
werden uns im Detail darum kümmern, welche Mechanismen dort eingeführt werden müssen.
Es ist für mich als Sozialpolitiker ein wichtiger Aspekt, dass wir mit Mega-AB-Maßnahmen, die für Menschen eingerichtet werden, die das Kriterium des Alters
und womöglich der Benachteiligung erfüllen, eine
Stigmatisierung herbeiführen können. Diese Maßnahmen müssen durchlässig gemacht werden. Außerdem
muss der Qualifizierungsaspekt, der neben der psychosozialen Hilfe, die ebenfalls berücksichtigt werden muss,
ein weiterer wichtiger Aspekt ist, klar definiert werden.
Wir erleben, dass von Landesregierungen Stellen für Sozialberatung wie Schuldnerberatung und Drogenberatung abgebaut werden und dass sich die Argen und Optionskommunen schwer tun, solche Beratungen wieder
bedarfsgerecht anzubieten. Angesichts dieser Tatsache
habe ich Zweifel daran, dass Ihre Anträge, aus denen
vielleicht der Wunsch spricht, in die richtige Richtung zu
gehen, die aber die falschen Instrumente anbieten, das
Ziel erreichen.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.
Ich muss, da ich nur vier Minuten Redezeit hatte, jetzt
schließen.
Jetzt schon fünf.
Ich glaube, dass wir uns im Interesse der Betroffenen
gemeinsam bemühen sollten, an der einen oder anderen
Stelle zusammenzuarbeiten und die Fragen, die heute
aufgeworfen worden sind, zu beantworten.
Herzlichen Dank.
({0})
Interfraktionell ist die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/2504 und 16/2652 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen
worden. - Damit sind Sie offensichtlich alle einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des ErneuerbareEnergien-Gesetzes
- Drucksache 16/2455 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
- Drucksache 16/2760 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth
Michael Kauch
Hans-Josef Fell
Es ist vorgesehen, eine halbe Stunde zu debattieren. Dazu höre ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Sigmar Gabriel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir
sprechen heute über einen Gesetzentwurf, mit dem versucht werden soll, einen vernünftigen Ausgleich zwischen den Vorteilen des Gesetzes über erneuerbare Energien und den volkswirtschaftlichen Lasten, die wir zum
Teil im Zusammenhang mit der Energiepolitik auferlegen, zu erreichen.
Zunächst zur Erfolgsgeschichte des Gesetzes. Wir haben mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz einen unglaublichen Erfolg bei Schritten zu einer stärkeren Unabhängigkeit von Energieimporten, also Importen von
Rohstoffen zur Energiegewinnung wie Uran, Öl oder
Gas, erzielt. Erneuerbare Energien finden wir im eigenen Land. Wir haben die Möglichkeit, Wind, Sonne,
Geothermie und Biomasse zu nutzen. Wir haben vor allem eine Technologieentwicklung in Gang gesetzt, die
nicht nur energiepolitisch und klimapolitisch von Erfolg
gekrönt ist, weil wir CO2 einsparen und die negativen
Auswirkungen des Verbrennens von Kohle, Gas oder Öl
begrenzen; vielmehr hat das Erneuerbare-Energien-Gesetz gleichzeitig dazu geführt, dass Deutschland bei dieser Technologie heute weltweit führend ist.
({0})
Durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz wurden
170 000 Arbeitsplätze in unserem Land geschaffen.
Diese Arbeitsplätze sind übrigens größtenteils in Regionen mit ansonsten großen Strukturschwächen entstanden. Eben gab es eine Debatte über Arbeitslosigkeit.
Dank des Erneuerbare-Energien-Gesetzes sind zum Beispiel in Ostfriesland ein paar Tausend Arbeitsplätze in
der Windenergie entstanden. In Thalheim in Sachsen
gibt es weit über 1 000 Arbeitsplätze in der Solarindustrie.
({1})
- Sorry, in Sachsen-Anhalt. Habe ich „Sachsen“ gesagt?
({2})
- Ich meine Thalheim bei Bitterfeld und das liegt in
Sachsen-Anhalt, gelle? Auch in Sachsen gibt es eine
Menge neuer Arbeitsplätze.
Thalheim ist eine Region, die bisher weit weniger als
zum Beispiel der Großraum Dresden von der wirtschaftlichen Entwicklung profitiert hat. Die Photovoltaikindustrie dort ist ein wichtiger Träger der wirtschaftlichen Entwicklung geworden.
Wir exportieren Produkte aus dem Bereich erneuerbare Energien inzwischen weltweit; es gibt eine unBundesminister Sigmar Gabriel
geheure Nachfrage. Das führende Land auf diesem technologischen Gebiet ist Deutschland geworden, das eine
Hightechstrategie verfolgt hat. Ingenieurwissen, Forschung, Wissenschaft führen zu Arbeitsplätzen. Damit
verbunden sind echte Chancen auch für diejenigen, die
sonst keine Arbeit mehr finden. Ich denke an Menschen,
die klassische Facharbeiterberufe ausüben. Es sind richtig zukunftsfeste Jobs entstanden. Es gibt also eine Winwin-Situation: Umwelt- und Klimaschutz auf der einen
Seite und Arbeitsplätze auf der anderen Seite.
({3})
Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag, den
CDU, CSU und SPD geschlossen haben, die Fortschreibung dieser Erfolgsgeschichte vereinbart. Der Anteil der
erneuerbaren Energien an der Stromversorgung liegt
heute bei etwa 11 Prozent. Wir wollen, dass dieser Anteil auf mindestens 20 Prozent im Jahre 2020 steigt. Der
Anteil der erneuerbaren Energien am gesamten Primärenergiebereich liegt bei knapp 5 Prozent. Wir wollen,
dass dieser Anteil im Jahr 2020 auf 10 Prozent angestiegen ist. Diese Ziele sind vereinbart. Es ist gut, dass über
erneuerbare Energien kein großer politischer Streit mehr
geführt wird.
Aber wir müssen natürlich sehen, dass es sich auch
bei den erneuerbaren Energien um eine neue Technologie handelt, die wir in den Markt einführen mussten. Es
wird gelegentlich darüber diskutiert, wie viel das kostet:
Es macht etwa 3 Prozent des Strompreises aus; die
Netznutzungsentgelte, von denen die Regulierungsbehörde gerade festgestellt hat, dass sie überhöht sind, machen 30 bis 40 Prozent des Strompreises aus. Wir reden
also über einen relativ kleinen Betrag: Erneuerbare Energien kosten einen Drei-Personen-Haushalt pro Monat
1,60 Euro. Man kann sagen: Das ist immer noch zu viel.
Ich sage: Für die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder ist das wirklich ein niedriger Preis.
({4})
Wir müssen natürlich darüber reden, was eigentlich in
den stromintensiven Bereichen der deutschen Industrie
passiert, die einem harten internationalen Wettbewerb
ausgesetzt sind und bei denen relativ hohe Lohnkosten
- wir wollen, dass es bei relativ hohen Löhnen bleibt,
weil in Deutschland auch die Lebenshaltungskosten
hoch sind - anfallen. Neben den hohen Sozialkosten
kommt auf diese Bereiche mit den Energiekosten ein
dritter Faktor hinzu, der Einfluss auf den internationalen
Wettbewerb hat. Wir müssen aufpassen, dass wir zwar
im Bereich der erneuerbaren Energien etwas Gutes machen, was aber dazu beitragen kann, dass die rund 330 im
internationalen Wettbewerb stehenden stromintensiven
Betriebe in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig
sind.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sorgen wir dafür, dass über die Aufhebung des 10-Prozent-Deckels bei
besonders stromintensiven Betrieben die Entlastung - es
gibt sie schon jetzt - von 100 Millionen Euro pro Jahr
auf 400 Millionen Euro pro Jahr gesteigert wird. Das ist
eine gewaltige Entlastung der stromintensiven Betriebe
und des stromintensiven Gewerbes.
Das hat natürlich zur Folge, dass der Strompreis für
diejenigen, die davon nicht profitieren können, etwas
steigt, allerdings nur um 0,02 bis 0,03 Cent pro Kilowattstunde. Es handelt sich also um einen verschwindend geringen Betrag. Ich glaube, dass dieser Gesetzentwurf damit einen guten Kompromiss darstellt. Die
Zuständigkeit des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle für die Überprüfung, wer diese Entlastung
wirklich in Anspruch nehmen darf - es gilt, Trittbrettfahrer zu verhindern -, bedeutet, dass wir einen starken
Kontrolleur haben, sodass wirklich diejenigen entlastet
werden, die es nötig haben, und nicht Unternehmen, die
darauf eigentlich keinen Anspruch haben. Ich glaube,
dies ist ein guter Gesetzentwurf.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Michael Kauch hat das Wort für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf zur Änderung des EEG ist das Eingeständnis
der Bundesregierung, dass das Gesetz über die erneuerbaren Energien eben doch unnötig hohe Kosten nach
sich gezogen hat. Der Weg, den die Bundesregierung mit
diesem Gesetzentwurf beschreitet, ist untauglich, die
Kosten zu senken.
Die Bundesregierung verringert zwar die finanziellen
Lasten für die energieintensiven Unternehmen, doch bedeutet das, dass die Belastungen für alle anderen, die
nämlich nicht privilegiert sind - das sind die Verbraucherinnen und Verbraucher und mittelständische
Unternehmen -, steigen werden. Wenn Sie die Kosten
für die einen senken, dann greifen Sie den anderen in die
Tasche. Die Frage ist, ob das gerecht ist.
({0})
Die FDP ist der Meinung, dass es nicht gerecht ist. Wir
lehnen Ihre Kostenverschiebungspolitik deshalb ab.
Wenn der Minister darlegt, wie gering die Erhöhung
für die Haushalte ist, dann ist das nur ein Teil der Wahrheit. Ein anderer Teil der Wahrheit heißt: Mehrwertsteuererhöhung und Abbau von Steuervergünstigungen ohne
gleichzeitige Senkung der Steuersätze. Ein weiterer Teil
der Wahrheit ist, dass zusätzlich die Benzinpreise steigen
werden, weil Sie Steuern auf Biokraftstoffe erheben und
gleichzeitig einen Beimischungszwang einführen. Das
alles zusammen ergibt die Belastung, die auf die Geringverdiener zukommt, die schon heute unter den staatlich
verteuerten Energiepreisen leiden. Für die FDP ist Umweltpolitik ein Gerechtigkeitsthema. Ich hätte gedacht,
dass das auch für die Sozialdemokratische Partei gilt.
({1})
Mit der Änderung des EEG zeigt sich, in welchem
ordnungspolitischen Dilemma sich die Förderung der
erneuerbaren Energien derzeit befindet. Die Konflikte zu
den Grundsätzen von Markt und Wettbewerb sind offensichtlich. Der Staat maßt sich nicht nur die Bestimmung
des Einspeisepreises für jede Technologie an; auch der
Wettbewerb zwischen den erneuerbaren Energien wird
durch dieses Fördermodell ausgeschaltet.
Aus ökologischer Sicht wären Alternativen zum heutigen EEG wünschenswert. Solange die gesetzliche Förderung unkoordiniert neben dem Emissionshandel eingesetzt
wird, erbringt das keine zusätzlichen CO2-Einsparungen;
denn die Einsparungen durch die erneuerbaren Energien
machen lediglich Zertifikate für andere Emittenten frei,
etwa fossile Kraftwerke. Der Klimaschutz unter dem
Emissionshandelsregime ist im Zusammenhang mit dem
EEG nicht besonders überzeugend.
Die FDP spricht sich deshalb für ein Modell der differenzierten Mengensteuerung aus. Das ist ordnungspolitisch der klarste Weg. Das ist ein Instrument, das im
Einklang mit Markt und Wettbewerb steht. Die Förderung - das sage ich ganz deutlich - ist zusätzlich zum
Emissionshandel notwendig. Ziel ist, die Verknüpfung
von Klimaschutz und Versorgungssicherheit durch heimische erneuerbare Energien zu erreichen.
({2})
Meine Damen und Herren, ich mache Sie noch darauf
aufmerksam, dass wir nicht für eine reine Mengensteuerung eintreten. Wir sehen sehr wohl, dass es zukunftsfähige, aber noch nicht wettbewerbsfähige Technologien
im Bereich der erneuerbaren Energien gibt, die eine zusätzliche Förderung brauchen. Hier ist ganz klar auch
unser Ziel, Technologieförderung zu betreiben. Aber solche Technologieförderung muss aus dem Haushalt bezahlt werden. Zuschüsse aus Steuermitteln zu den Markterlösen halten wir für richtig. Das wäre dann offen im
Haushalt ausgewiesen und transparent. Es ist eben nicht
transparent, wie das EEG heute gestaltet ist, indem nämlich versteckt über die Strompreise die Verbraucherinnen
und Verbraucher die Dinge bezahlen, die aus gesamtwirtschaftlicher Sicht mit dem Ziel der Technologieförderung unterstützt werden sollen.
({3})
Zusammengefasst: Sie reparieren mit Ihrem Gesetzentwurf ein problematisches Fördermodell in einer untauglichen Weise - und das auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher.
({4})
Das Wort hat Dr. Maria Flachsbarth, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Deutschland ist eine hoch technisierte Industrienation,
deren Wohlstand, soziale Sicherheit und sozialer Frieden
unmittelbar von einer sicheren, kostengünstigen und umweltgerechten Energieversorgung abhängig sind. Daher
hat die schwarz-rote Bundesregierung die Erarbeitung
eines nationalen Energiekonzeptes als wichtigen Punkt
auf ihre Agenda geschrieben. Es muss insbesondere festgelegt werden, wie der Energiemix der Zukunft aussehen soll, welchen Anteil die Primärenergieträger erneuerbare Energien, Stein- und Braunkohle, Mineralöl,
Erdgas und Kernenergie haben sollen. Unbestritten gibt
es bezüglich des Energiekonzeptes noch einigen Diskussionsbedarf. Doch in einem Punkt ist sich die große
Koalition einig - ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag -:
Ein wichtiges Element unserer Klimaschutz- und
Energiepolitik ist der ökologisch und ökonomisch
vernünftige Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir
werden daher:
- ambitionierte Ziele für den weiteren Ausbau in
Deutschland verfolgen, unter anderem
- den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung bis 2010 auf mindestens 12,5 % und
bis 2020 auf mindestens 20 % steigern …
({0})
Dabei müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen für
die Nutzung der erneuerbaren Energien so gesetzt werden, dass mit ihrer Nutzung die Ziele der Energiepolitik
der Bundesregierung, nämlich Umweltverträglichkeit,
Versorgungssicherheit und Preiswürdigkeit, erreicht
werden.
Zur Umweltverträglichkeit. Die Notwendigkeit zu
aktivem Klimaschutz und zu verminderter Freisetzung
von Treibhausgasen gehört inzwischen zum Grundkonsens in diesem Land. Geschlossene CO2-Kreisläufe bei
der Nutzung von Biomasse sowie CO2-freie Energien
aus Sonne, Wind, Wasser und Erdwärme liefern unumstritten wichtige Beiträge zur Bekämpfung des Treibhauseffektes und damit zum Schutz unserer Umwelt.
Zur Versorgungssicherheit. Trotz der derzeit rückläufigen Preise an den Energie-, insbesondere den Mineralölmärkten ist langfristig mit steigenden Kosten zu
rechnen. Aufstrebende Wirtschaftsmärkte wie in Indien,
China oder Brasilien haben steigenden Energiebedarf.
Eine verschärfte Nachfragekonkurrenz aufgrund begrenzter fossiler Energieressourcen auf den internationalen Energiemärkten ist die Folge. Erschwerend kommt
hinzu, dass insbesondere Öl und Gas aus politisch eher
labilen Regionen dieser Welt importiert werden. Erneuerbare Energien als heimische Ressource haben daher ihren unbestrittenen Anteil an einer größeren Sicherheit
der Energieversorgung in Deutschland.
({1})
Ohne Zweifel haben diese Vorteile, die ich in Bezug
auf Umweltfreundlichkeit und Versorgungssicherheit genannt habe, ihren Preis. Wie Sie wissen, legt das EEG
den Preis und die bevorzugte Netzeinspeisung des aus
erneuerbaren Energien erzeugten Stroms fest. Wie Sie
ebenfalls wissen, wird die Einspeisevergütung für EEGStrom durch eine Umlage auf den Strompreis finanziert,
die alle Stromkunden gemeinsam zu tragen haben. So
lag die Umlage für Unternehmen und Privathaushalte im
Jahr 2005 grundsätzlich bei 0,56 Cent pro Kilowattstunde.
Um besonders stromintensive Betriebe wie zum
Beispiel die Aluminium-, Zement- oder Stahlindustrie,
deren hoher Stromverbrauch aus produktionstechnischen
Gründen nicht reduziert werden kann, nicht unverhältnismäßig zu belasten, was eben schlimmstenfalls auch
zum Verlust von Arbeitsplätzen führen würde, kennt das
EEG bereits seit 2004 in § 16 eine Härtefallregelung, die
die Höhe der Stromkosten bei besonders hohen Verbräuchen kappt. Für Unternehmen, die besonders viel Energie für ihren Fertigungsprozess benötigen, betrug die
EEG-Umlage deshalb im Jahr 2005 0,1 Cent pro Kilowattstunde. Sie würde allerdings ohne eine Änderung in
diesem Jahr auf 0,2 Cent pro Kilowattstunde ansteigen,
sich also verdoppeln.
Um den Industriestandort Deutschland als Produktionsstandort auch für energieintensive Branchen weiter
wettbewerbsfähig zu erhalten, werden CDU/CSU und
SPD deshalb des Weiteren, wie im Koalitionsvertrag
vereinbart - ich zitiere -,
die EEG-Härtefallregelung unverzüglich so umgestalten, dass die stromintensive Industrie eine verlässlich kalkulierbare Grundlage ({2}) erhält und ihre wirtschaftliche Belastung auf 0,05 Cent pro kWh begrenzt wird …
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir diese Vereinbarung des
Koalitionsvertrages um. Wir stärken die besonders stark
von den Stromkosten betroffenen Betriebe, indem wir
bei ihnen die durch das EEG verursachten Stromkostenanteile auf 0,05 Cent pro Kilowattstunde begrenzen. Daneben geben wir diesen Betrieben Planungssicherheit für
die Zukunft. Die 10-Prozent-Deckel-Regelung hat bislang erschwert, dass Unternehmen sich der auf sie zukommenden Stromkosten sicher sein konnten. Der 10-Prozent-Deckel begrenzte den Härtefallausgleich stark, da
die EEG-Kosten durch die Anwendung der Ausgleichsregelung für alle nicht der Härtefallregelung unterliegenden
Verbraucher um maximal 10 Prozent steigen durften. Mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf und seiner modifizierten Härtefallregelung schaffen wir den 10-Prozent-Deckel und damit die Kalkulationsunsicherheit ab. Durch
die Härtefallregelung werden etwa 330 besonders stromintensive Betriebe entlastet; sie erhalten zudem höhere
Planungssicherheit. Dies schafft Vertrauen und eine verlässliche Grundlage für Investitionsentscheidungen in
der Zukunft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben diesem Fortschritt für energieintensive Unternehmen sagen wir den
Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes auf der anderen
Seite ganz klar - Herr Kauch, Sie haben es angesprochen -,
dass sich die Kosten für die übrigen Stromverbraucher,
die nicht unter die besondere Ausgleichsregelung fallen,
erhöhen werden, wenn auch nur geringfügig.
Bei Abwägung aller Vor- und Nachteile sind wir allerdings zu der Überzeugung gelangt, dass diese Belastung
von 0,02 bis 0,03 Cent pro Kilowattstunde - das hat der
Minister eben auch gesagt - sehr moderat ausfällt und
deshalb vertretbar ist. Ich darf Ihnen das an einem Beispiel vorrechnen: Für einen Durchschnittshaushalt mit
einem Jahresverbrauch von 3 500 Kilowattstunden ergibt das eine Mehrbelastung von lediglich etwa 1 Euro
pro Jahr.
({4})
- Nicht alles, was Herr Trittin gesagt hat, ist falsch.
Manches ist allerdings sehr differenziert zu sehen.
({5})
Wir wissen allerdings um die vielen kleinen Griffe in
die Taschen des Verbrauchers, die sich insgesamt zu einer spürbaren Belastung summieren. Deshalb ist das
zweite große Anliegen dieses Gesetzes eine Stärkung
des Verbraucherschutzes durch mehr Transparenz bei
der Abrechnung der EEG-Kosten im Rahmen der Stromrechnung. Leider ist es bisher tatsächlich nicht auszuschließen, dass es im Zusammenhang mit der Weitergabe der entstehenden Kosten des ErneuerbareEnergien-Gesetzes an die Letztverbraucher zu Rechtsverstößen kommt, denen wir nicht ausreichend mit zivilgerichtlichen Möglichkeiten begegnen können. Deshalb
haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart - ich darf erneut zitieren -,
die Berechnungsmethode zur EEG-Umlage transparent und verbindlich so ({6}) gestalten, dass die
Energieverbraucher nur mit den tatsächlichen Kosten
der EEG-Stromeinspeisungen belastet werden …
({7})
Deshalb, meine lieben Kolleginnen und Kollegen,
sieht das neue Gesetz vor, dass die Bundesnetzagentur in
Zukunft als unabhängige Behörde die gesetzlichen Vorgaben zum Schutz der Verbraucher effektiv überwachen
wird. Deshalb sind Betreiber von Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, Netzbetreiber und
die Elektrizitätsversorgungsunternehmen zukünftig verpflichtet, der Bundesnetzagentur die für den bundesweiten Ausgleich der EEG-Kosten erforderlichen Angaben
mitzuteilen. Damit stellen wir sicher, dass den Stromverbrauchern keine überhöhten Kosten für den EEG-Strom
berechnet werden.
Ich darf zusammenfassen. Mit der Neuregelung des
EEG werden wir somit die gesetzlichen Rahmenbedingungen sowohl für die energieintensiven Betriebe als
auch für alle Stromkunden verbessern. Wir erreichen
eine ökologisch und ökonomisch vorausschauende, sinnvolle Förderung der erneuerbaren Energien, mehr Entlastung und mehr Kalkulationssicherheit für energieintensive Betriebe und schließlich mehr Transparenz für
die Verbraucher und damit für alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Die Unionsfraktion wird daher dem
Gesetzentwurf der Bundesregierung zustimmen.
Herzlichen Dank.
({8})
Ich erteile dem Kollegen Hans-Kurt Hill das Wort für
die Linke.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Was ist eigentlich der
Zweck des Erneuerbare-Energien-Gesetzes? Erstens im
Interesse des Klimaschutzes eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen, zweitens
die volkswirtschaftlichen Kosten der Energieversorgung
zu verringern, drittens einen Beitrag zur Vermeidung
von Konflikten um fossile Energieressourcen zu leisten
und viertens die Weiterentwicklung von Technologien
zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien zu
fördern.
({0})
Zweck des Gesetzes ist es aber auch, den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung bis zum
Jahr 2020 auf mindestens 20 Prozent zu erhöhen.
({1})
Das haben wir eben gehört; das ist alles korrekt und so
steht es in § 1 des EEG.
Aber ich bin der Meinung, dass die große Koalition
offenbar Schwierigkeiten hat, den Sinn des EEG zu erfassen.
({2})
Deshalb war es notwendig, das einmal zu betonen, Herr
Kelber, auch wenn Sie jetzt gähnen. Oder wie sonst ist es
zu verstehen, dass der Gesetzentwurf zur Änderung des
EEG dazu missbraucht wird, Geschenke an die stromintensive Industrie zu verteilen? Das ist völlig unnötig.
({3})
So wird das Gerücht geschürt, erneuerbare Energien
würden Strom teuerer machen. Das ist einfach die falsche Botschaft. Im Gegenteil wirkt sich der Preis bei
Windstrom dämpfend aus und senkt zudem den Importbedarf bei Erdgas. Ein positiver Effekt ist: Die teuren
Gasimporte werden zunehmend durch regenerative
Energien mit stabil sinkenden Preisen ersetzt.
Wenn die Bundesregierung etwas für die großen
Stromkunden tun will, muss sie am Anfang der Preiskette bei den Erzeugern zu Regelungen kommen. So
schafft man Kalkulationssicherheit und Transparenz.
({4})
Ich sage Ihnen: In das EEG einzugreifen, ist der falsche
Weg. Die Preistreiber auf dem Energiemarkt sind die
Vattenfalls, die RWEs und Co. Das sind diejenigen, die
für die hohen Kosten bei den energieintensiven Industrien verantwortlich sind.
({5})
So verhalten sich keine seriösen Energieversorger.
Niemand kann verantworten, Atomreaktoren mit völlig unzureichenden Sicherheitssystemen auch nur einen
Tag länger am Netz zu lassen. Niemand kann ernsthaft
wollen, dass sich ein Stromausfall wie im Münsterland
wiederholt. Niemand kann wollen, dass 5,2 Millionen
arme Haushalte in Deutschland ihre Energierechnung
nicht mehr bezahlen können. Ich frage mich, wie lange
die Bundesregierung dem Treiben noch zusehen will. Sie
lassen sich doch von den Energiekonzernen an der
Nase herumführen!
Wir unterstützen auf jeden Fall die Aktion der Umweltverbände. Unter www.atomausstieg-selber-machen.de
kann jeder der Atomlobby die rote Karte zeigen und zu
Ökostrom wechseln. Statt den großen vier die Flügel zu
stutzen, schieben Sie den schwarzen Peter lieber dem
EEG zu. Die Dummen sind wieder einmal die kleinen
Betriebe und die privaten Haushalte. Sie zahlen die gesamte Ökosteuer und tragen allein das EEG.
Mit Ihren Änderungen im EEG schwächen Sie vor allem die erneuerbaren Energien. Wenn Sie so weitermachen, dann schaffen Sie mit der nächsten Novelle des
Gesetzes sehr wahrscheinlich das, was die FDP will,
nämlich die Abschaffung des EEG. Wenn Sie das wollen,
dann sagen Sie es einfach.
Wenn Sie aber einen Anteil der erneuerbaren Energien von 20 Prozent bis 2020 erreichen wollen, sollten
Sie beizeiten dem Energiekartell Paroli bieten. Ich fordere die Bundesregierung auf, übernächste Woche auf
dem zweiten Energiegipfel für Wind und Sonne klar Position zu beziehen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben einen Anspruch auf eine zukunftsfähige
Energiepolitik, die zu günstigen Energiepreisen führt.
({6})
Das Wort hat der Kollege Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Auch ich wollte meine Rede mit der Erfolgsgeschichte des Erneuerbare-Energien-Gesetzes beginnen.
Der Bundesumweltminister ist mir zuvorgekommen. Ich
kann nur feststellen, dass Sie hervorragend beschrieben
haben, wie erfolgreich die Ziele, die wir mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz angestrebt haben, erreicht wurden. Wir befinden uns auf Erfolgskurs. Wir stimmen an
dieser Stellte jeder Ihrer Aussagen zu und freuen uns,
dass diese gemeinsame rot-grüne Initiative sich so erfolgreich entwickelt hat.
Ich denke, dies war einer der größten Erfolge der rotgrünen Koalition.
({0})
Denn neue Arbeitsplätze sind geschaffen worden. Wir
haben einen neuen Exportartikel geschaffen. Wir haben
neue Technologien auf den Weg gebracht. Wir haben Investitionen auch aus dem Ausland insbesondere in den
Osten Deutschlands, wo sie dringend erforderlich waren,
geholt. Schließlich haben wir damit einen großen Beitrag zum Klimaschutz geleistet. Was wollen wir eigentlich noch mehr, außer dass es auf diesem Gebiet schnell
und effektiv vorangeht? In diesem Ziel weiß ich uns mit
der SPD und mit Bundesminister Gabriel sehr einig.
Auch das freut uns.
Einzig und allein die FDP hat noch nicht verstanden,
warum mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz so viele
Ziele, die Sie selbst in den Mittelpunkt rücken, tatsächlich erreicht werden. Sie hätten wenigstens einmal den
Bericht der EU-Kommission lesen können, in dem Ihre
Argumente widerlegt werden. Das EEG ist besonders
wettbewerbskonform. Wir stimmen darin überein, dass
mehr Wettbewerb ein Ziel ist. Aber wenn Sie, Herr
Kauch, sagen, das EEG sei ein Wettbewerbshemmnis
und es würde den Wettbewerb der erneuerbaren Energien untereinander verhindern, dann müssen Sie klar sagen, was Sie wollen. Sie wollen bisher nur eine einzige,
nämlich die billigste, Technologie auf Basis der erneuerbaren Energien am Markt, aber beispielsweise nicht eine
Technologie wie die Photovoltaik. Wie soll denn heute
die Photovoltaik in einem offenen Wettbewerbsmarkt
mit der Windenergie ökonomisch konkurrieren? Sagen
Sie doch, wenn Sie keine Entwicklung auf dem Gebiet
der Photovoltaik unterstützen wollen. Dann wissen wir
wenigstens Bescheid. Das Gleiche gilt auch für die Geothermie.
Sie sagen, Sie wollen das Instrument der Mengensteuerung. Schauen Sie doch einmal in die Berichte der EUKommission! Dann können Sie erkennen, dass Instrumente wie Zertifikate und Mengensteuerung - ich kann
nicht alle nennen -, die in diese Richtung gehen, in vielen Ländern der Welt ausprobiert wurden und sich als
untauglich erwiesen haben.
Schauen Sie nach Großbritannien. Dort gibt es viel
mehr Wind als in Deutschland, fast keine Windräder,
kaum Windenergieindustrie, wenige Arbeitsplätze in
diesem Bereich und kaum Klimaschutz über Windräder,
obwohl in Großbritannien höhere Preise bei der Windenergie zu erzielen sind. Wenn das Ihr Modell ist, dann
verbreiten Sie es bitte weiter. Ich bin froh, dass diese Gedanken selbst bei der Union angekommen sind und sie
dies inzwischen unterstützt.
({1})
- Das ist keine Polemik. Ich freue mich vielmehr darüber, Frau Flachsbarth, dass Sie das so dargestellt haben.
Nun zum Gesetzentwurf. Wir halten es für sehr positiv, dass hier ein Paragraf vorgesehen ist, der Transparenz ermöglicht, nämlich dass die Netzbehörde in die
Lage versetzt wird, den Umlagemechanismus zu kontrollieren, damit die großen Netzbetreiber, die immer
noch heftig gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz opponieren, nicht auch noch über verschiedenste Methoden
Gewinnmitnahmen erzielen. Es ist gut, dass die Netzbehörde einen Blick darauf werfen kann. Das begrüßen wir
in der vorliegenden Gesetzesnovelle sehr.
Wir denken aber, dass eine weitere Entlastung der
stromintensiven Industrie aus verschiedenen Gründen
nicht mehr gerechtfertigt ist. Deswegen stimmen wir
dem Gesetzentwurf nicht zu. Dies ist nicht im Sinne des
Verbraucherschutzes. Wer die Lasten sehr viel stärker
auf die allgemeinen Verbraucher überträgt, handelt nicht
im Sinne des Verbraucherschutzes. Dabei ist die energieintensive Industrie doch sogar ein Nutznießer. Die
Stahlindustrie hat heute ihren zweitgrößten Absatzmarkt
in der Windindustrie. Warum sie dann das ErneuerbareEnergien-Gesetz immer wieder attackiert, geht mir nicht
in den Kopf. Wir haben doch gehört, wie sehr die jetzigen Stromerzeugungskosten durch das ErneuerbareEnergien-Gesetz gesenkt werden. Das HWWA hat uns
das doch wunderbar vorgerechnet. Der Vorteil aus der
Senkung der Kosten ist höher als die im ErneuerbareEnergien-Gesetz festgelegte Umlage. Also schon heute
tragen die erneuerbaren Energien zur Senkung der
Strompreise bei.
Diesen Weg sollten wir weiter beschreiten, damit wir
ein Ziel übererfüllen können, das auch im Gesetzentwurf
steht. Wir werden nämlich wahrscheinlich schon in diesem oder im nächsten Jahr einen Anteil der erneuerbaren
Energien von 12 Prozent an der Stromerzeugung erreicht
haben. Deswegen werden wir ein ambitionierteres Ziel
ins Auge fassen und bis 2010 nicht nur einen Anteil von
12,5 Prozent erreichen können. Die Erneuerbare-Energien-Branche kann viel mehr leisten. Lassen wir dies mit
der EEG-Novelle im nächsten Jahr auch zu!
({2})
Das Wort hat Marco Bülow für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Die erneuerbaren Energien sind auf dem Vormarsch. Ein
Garant für diesen Vormarsch ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Der Bundesminister hat zu Recht auf einige
Eckpunkte hingewiesen, zum Beispiel darauf, wie viele
Arbeitsplätze in diesem Bereich geschaffen worden sind
oder wie viele Investitionen dort getätigt werden. Ich
will eine Zahl hinzufügen, die sehr wichtig ist - denn in
erster Linie ist dies ein Klimaschutzinstrument, meines
Erachtens sogar das wichtigste -: Wir sparen jährlich
84 Millionen Tonnen CO2 ein, Tendenz steigend. Vielleicht schaffen wir sogar bald die 100 Millionen. Ich
denke, es ist sehr wichtig, das zu erwähnen. Denn ohne
das Erneuerbare-Energien-Gesetz - das müssen wir feststellen - würden wir unser ambitioniertes Klimaschutzziel auf nationaler Ebene nicht erfüllen können. Deswegen ist es wichtig, dass wir das Erneuerbare-EnergienGesetz geschaffen haben und es auch in der großen
Koalition weiterlebt.
({0})
Eines ist klar: Der Klimaschutz ist die wichtigste Herausforderung unserer Gesellschaft in diesem Jahrhundert. Wir werden sie nur bewältigen können, wenn wir
die erneuerbaren Energien fördern und in verschiedenen
Bereichen mehr Energieeffizienz herstellen. Ich will einen weiteren Punkt nennen: Wir müssen insgesamt darauf achten - ich weiß, dass das in Deutschland manchmal ein wenig schwierig ist -, dass die Wälder nicht
weiter abgeholzt werden und dass wir weiter versuchen,
Aufforstungsprogramme zu fördern.
Ich will einen kleinen Schlenker machen; denn beim
Klimaschutz muss man in längeren Zeitdimensionen
denken. Ich glaube nicht, dass es förderlich ist, dass wir
den deutschen Wald - ich weiß, das liegt in der Verantwortung der Länder - verkaufen bzw. privatisieren.
Denn ich bin mir nicht sicher, ob dieser Wald dann auch
über Jahrhunderte geschützt wird. Ich glaube, dass das
ein falscher Weg ist.
({1})
Ich möchte vor allen Dingen etwas zu den Kosten sagen, die ein paarmal erwähnt wurden. Der Bundesminister hat richtig vorgerechnet: 1,60 Euro pro Monat kosten
die erneuerbaren Energien jeden Dreipersonenhaushalt.
Diese Kosten sind immer in den Berechnungen enthalten. Andererseits sollte aber auch berechnet werden, wie
viel wir durch die erneuerbaren Energien sparen. Das
UBA hat vorgerechnet, dass ein normaler Haushalt
durch die erneuerbaren Energien einen Gewinn von
4 Euro erzielt. Es werden nämlich volkswirtschaftliche
Kosten eingespart, weil wir weniger CO2-Energien nutzen müssen. Wir müssen also immer beides gegenüberstellen.
Noch etwas zum Klima: Das Deutsche Institut für
Wirtschaftsforschung hat ausgerechnet, dass eine Klimaerwärmung um nur 1 Grad - mittlerweile hat es schon
eine Klimaerwärmung um 0,7 Grad gegeben; in
Deutschland wird sie wahrscheinlich schon bald um
1 Grad liegen - die Volkswirtschaft 137 Milliarden Euro
kostet. Das ist eine Zahl, die nicht auf der Rechnung
steht, die wir aber immer im Hinterkopf behalten müssen.
({2})
Die FDP postuliert immer wieder - auch das hat mit
Kosten zu tun - das Mengengerüst. Auch Herr Fell hat
es eben angesprochen. Ich möchte Ihnen einmal eine
Zahl nennen: Die Kosten für Windenergie betragen in
Deutschland zwischen 6,2 und 8,5 Cent pro Kilowattstunde. Damit kommen wir der Wettbewerbsfähigkeit
schon nahe; es lässt sich absehen, ab wann die Windenergie wettbewerbsfähig sein wird. Ähnlich ist es in
Spanien, sogar noch ein bisschen günstiger. Sie wenden
das gleiche Prinzip wie in Deutschland an. Die Engländer und die Italiener haben das Mengengerüst, das Sie
immer postulieren, eingeführt. In Großbritannien kostet
Strom aus Windenergie über 10 Cent, in Italien sogar
über 15 Cent. Ich weiß nicht, ob das einen marktwirtschaftlichen Vorsprung darstellen soll. Ich glaube, Sie
sollten überlegen, ob Sie das Gerüst nicht endlich dahin
packen, wo es hingehört, nämlich in den Altpapiercontainer.
({3})
Wir müssen die Erfolgsgeschichte im Zusammenhang
mit den erneuerbaren Energien fortsetzen. Natürlich
müssen wir auch nachjustieren. Das tun wir heute. Wir
drehen an zwei Schrauben - das wurde teilweise von
Frau Flachsbarth und vom Bundesminister angesprochen -,
und zwar im Bereich der Transparenz und im Bereich
der Härtefallregelung.
Wir stehen zu den Änderungen bei der Härtefallregelung. Wir wissen, dass sie zu zusätzlichen Belastungen
für die Verbraucher führen, und sprechen das auch offen
aus. Wir glauben aber, dass die Belastungen vertretbar
sind. Auf der anderen Seite müssen wir aufpassen, dass
es bei einer Härtefallregelung bleibt.
Ich rufe alle, die sich entschieden für die Härtefallregelung eingesetzt haben, auf, nicht auf das EEG zu
schießen mit dem Argument, es verursache insgesamt zu
hohe Kosten für die Verbraucher. Man muss sich schon
entscheiden. Ich glaube, man muss dazu stehen, dass
diese Härtefallregelung neue Kosten verursacht.
Mit der Transparenzregelung wollen wir erreichen,
dass die Bundesnetzagentur unklare Berechnungsdaten
und Umwälzungsmethoden der Netzbetreiber überprüft.
Auf Deutsch: Es darf nicht mehr abgerechnet werden als
die Kosten, die die erneuerbaren Energien tatsächlich
verursachen. Ich glaube, diese Transparenzregelung ist
ein echter Fortschritt.
Abschließend möchte ich dem Minister dafür danken,
dass wir diese Regelung gefunden haben. Ich versehe
den Dank zugleich mit der Bitte, ergänzend zu diesen
Änderungen am Erneuerbare-Energien-Gesetz ein Anlagenregister einzuführen. Wir brauchen es, um festzustellen, wo die erneuerbaren Energien erzeugt wurden,
und damit wir wissen, wohin sie fließen. Ich glaube, wir
brauchen in Zukunft solch ein Register.
Vor allen Dingen ist wichtig - ich bin sehr zufrieden,
dass es die meisten gesagt haben -, dass wir die erneuerbaren Energien brauchen und das Erneuerbare-EnergienGesetz das richtige Instrument ist, um sie zu fördern. Ich
denke, dieser große Konsens, den es bis auf eine Fraktion gibt, ist einen Applaus wert.
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes auf
Drucksache 16/2455. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2760, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen
der gesamten Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögen sich bitte erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das ist nicht
der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf mit demselben
Stimmergebnis wie zuvor angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgitt
Bender, Matthias Berninger, Kerstin Andreae,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Fremd- und Mehrbesitzverbot für Apotheken
aufheben
- Drucksache 16/2506 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Es wurde verabredet, hierüber eine halbe Stunde zu
debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann
ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der
Kollegin Biggi Bender, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das
deutsche Apothekenrecht ist bizarr. Da verhindert ein
Selbstbedienungsverbot, dass die Kundinnen und Kunden selber an das Regal mit verschreibungsfreien Arzneimitteln herantreten, um sich das preiswerteste Präparat herauszusuchen. Da ist der Besitz von Apotheken nur
Apothekern gestattet. Das ist eine Regelung, die es in anderen Bereichen, wo der Verbraucherschutz ebenfalls
eine wichtige Rolle spielt, etwa in Bäckereien oder Supermärkten, nicht gibt und die dort wohl auch jeder für
absurd halten würde.
({0})
Da darf ein Apotheker neben seiner Hauptapotheke
höchstens drei Filialapotheken betreiben, die auch noch
nahe beieinander liegen müssen.
Um solche wettbewerbsbeschränkenden Regelungen
aufrechterhalten zu können, muss man in einer marktwirtschaftlichen Ordnung schon gute Gründe haben.
Hier findet man aber keine. Gerne wird das Fremdbesitzverbot damit begründet, dass die Qualität der Beratung
gewährleistet sein müsse, was als Anforderung zutrifft.
Dafür würde es allerdings reichen, wenn in jeder Apotheke ein Apotheker oder eine Apothekerin beschäftigt
wäre. Für die Qualität der Beratung haben die Besitzverhältnisse doch keinerlei Bedeutung.
Auch für das Mehrbesitzverbot werden höhere
Gründe angeführt. Seine Befürworter behaupten, dass
Kartelle und Monopolisten andernfalls überhöhte Preise
verlangen könnten. Wir haben doch aber Erfahrungen
mit Institutionen, die helfen, die Ausnutzung einer
Marktmacht zu verhindern. Wir haben die Monopolkommission und das Bundeskartellamt. Warum sollten
sie nicht auch auf diesem Markt tätig werden und einen
Machtmissbrauch verhindern können?
Die Aufhebung des Mehrbesitzverbotes wird nicht
zuletzt mit der Begründung abgelehnt, dass dann die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln gefährdet sei. Die entstehenden Apothekenketten, so heißt es,
würden sich nur die Rosinen heraussuchen. In strukturschwachen und ländlichen Regionen, so wird beschworen, gäbe es dann gar keine Apotheke mehr. Das ist kein
gutes Argument; denn schließlich ist die Gründung einer
Apotheke auch heute kein Akt der Nächstenliebe. Ein
Apotheker, der eine Apotheke gründen will, oder eine
Apothekerin, die eine Apotheke übernehmen möchte,
überlegt sich doch sehr genau, ob an diesem Standort
gute Umsätze zu erwarten sind. Das ist übrigens auch
der Grund, warum die Apothekendichte in Deutschland
zwischen Stadt und Land sowie zwischen wohlhabenden
und ärmeren Regionen so unterschiedlich ist. Wir alle
wissen doch, dass es in den Städten inzwischen mehr
Apotheken als Briefkästen gibt. Im ländlichen Raum ist
das nicht so.
({1})
An diesem wirtschaftlichen Kalkül würde sich auf einem freieren Apothekenmarkt nichts ändern. Apotheker
würden sich auch weiterhin außerhalb der Ballungsräume niederlassen; schließlich ist dort die Wettbewerbsintensität geringer. Verändern würden sich aber
- das müssen wir uns angesichts der Diskussion im Rahmen der Gesundheitspolitik überlegen - die Kosten des
Arzneimittelhandels. Aufgrund der Erfahrungen in anderen Ländern rechnen uns Fachleute vor, dass mit Einsparungen zwischen 1 und 2 Milliarden Euro zu rechnen
sei. Angesichts der Anforderungen an die gesetzliche
Krankenversicherung sind das nun wahrlich keine Peanuts. Wir können es uns nicht leisten, solche Wirtschaftlichkeitsreserven nicht zu nutzen.
Im Übrigen wird der deutsche Weg auch im Hinblick
auf das europäische Recht nicht aufrechtzuerhalten sein.
Die Europäische Kommission wendet sich gegen Wettbewerbshindernisse auf den Apothekenmärkten. Sie
sagt, das Fremdbesitzverbot sei zur Wahrung der Volksgesundheit nicht notwendig, stelle deswegen einen Verstoß gegen die europäische Niederlassungsfreiheit dar.
Deswegen hat die Kommission bereits Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich, Italien und Spanien
eingeleitet.
({2})
Kurzum: Die Aufhebung von Mehr- und Fremdbesitzverbot ist erstens wirtschaftlich geboten, zweitens
ordnungspolitisch richtig und hat drittens keine gesundheitspolitischen Auswirkungen, die ihr entgegenstünden.
Angesichts dieser Ausgangslage ist es schon bemerkenswert, dass die Bundesregierung auf diesem Felde so gar
nicht tätig sein will. Das gilt übrigens auch für die FDP,
Herr Bahr. Immerhin führen Sie sich ja gerne als Schild
und Schwert des Liberalismus auf. Aber im Apothekenwesen halten Sie Wettbewerb für Teufelszeug. Das ist bizarr.
({3})
Das Regelungsdickicht im Apothekenwesen ist doch
nur aufgrund guter Lobbyarbeit und enger Klientelbeziehungen entstanden und keinen sachlichen Erwägungen
geschuldet. Die Bundeskanzlerin hat die Losung ausgegeben, dass in der Gesundheitspolitik das Gemeinwohl
Vorrang vor Gruppeninteressen haben müsse. Wenn das
so ist, dann lassen Sie uns dem folgen und eine Liberalisierung des Apothekenmarktes angehen.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolf Bauer, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir haben uns heute mit einer sehr interessanten
Frage zu beschäftigen, nämlich: Welchen Stellenwert hat
die öffentliche Apotheke in unserer Gesellschaft im Allgemeinen und in unserem Gesundheitswesen im Besonderen? Ich glaube, wir sind uns alle darin einig: Zweifellos hat die Apotheke einen sehr hohen Stellenwert, da sie
Garant für die ordnungsgemäße und sichere Arzneimittelversorgung unserer Bevölkerung ist.
({0})
Dabei haben sich insbesondere die mittelständischen
Strukturen und die Freiberuflichkeit bewährt, und das
über viele Jahrhunderte. Über die freien Berufe findet
sich im Partnerschaftsgesellschaftsgesetz eine sehr interessante Aussage. Ich zitiere:
Die Freien Berufe haben im allgemeinen auf der
Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation
oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum
Inhalt.
Nicht umsonst hat der Gesetzgeber die Aufgabe der Arzneimittelversorgung in die Hände der eigenständigen
Apotheken gegeben. Ich meine, wir sollten es dabei belassen.
Mit den Gründen, die Sie, Frau Bender, genannt haben, können wir uns gerne einzeln auseinander setzen.
({1})
Ich lade Sie heute ein, einmal mit mir gemeinsam in eine
Apotheke in Berlin zu gehen.
({2})
Danach können Sie nicht mehr behaupten, man gehe
dort ans Regal und nehme sich einfach etwas heraus. Ich
glaube, Sie müssen einmal sehen, dass das gar nicht so
einfach geht.
Etwas ganz anderes ist es, wenn Kapitalgesellschaften die Erlaubnis erteilt wird, öffentliche Apotheken zu
betreiben. Wir beklagen doch auch in diesem Haus permanent, wie sich Kapitalgesellschaften in unserer Gesellschaft verhalten, wie sie mit ihren Mitarbeitern umgehen.
({3})
Dann sollen wir den Kapitalgesellschaften in diesem
sensiblen Bereich Tür und Tor öffnen? Dieser Vorschlag
kommt ausgerechnet von Ihnen, den Grünen. Aber lassen wir das.
Zum wiederholten Male wurde die Diskussion über
die Entscheidung des Saarlandes angestoßen - das haben
Sie angesprochen -, einer niederländischen Aktiengesellschaft eine Betriebserlaubnis für eine Apotheke in
Saarbrücken zu erteilen.
({4})
Auch wenn es sich vorrangig um eine von Europarecht
geprägte Entscheidung handelt, sollten wir bei der Beurteilung dieses Vorgangs nicht vergessen, dass die Europäische Union nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft
und erst recht nicht nur eine Wettbewerbsgesellschaft,
sondern auch eine Wertegemeinschaft ist. Der Europäische Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang mehrmals festgestellt, dass Leben und Gesundheit in der EU
Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen genießen. Die
Wirtschaft dient den Verbrauchern und nicht umgekehrt.
Dies hat zur Folge, dass die Wirtschaftsordnung auch im
Gemeinschaftsrecht flexibel an die sachlichen und fachlichen Erfordernisse einzelner Sektoren anzupassen ist.
Daher belässt Art. 152 des EG-Vertrages die primäre
Zuständigkeit für die Regelung und Organisation der
Gesundheitsfürsorge bei den Mitgliedstaaten.
({5})
Die Europäische Gemeinschaft beschränkt sich lediglich auf die Ergänzung von Maßnahmen, die Förderung
der Gesundheit und die Koordinierung der Mitgliedstaaten. In diesem Artikel steht auch, dass bei der Tätigkeit
der Gemeinschaft im Bereich der Gesundheit der Bevölkerung die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die
Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in vollem Umfang gewahrt wird. Das
ist letztendlich auch Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips, auf das wir so stolz sind und das im EG-Vertrag
verankert ist.
Die Gegner des deutschen Fremdbesitzverbotes stützen sich auf die unterschiedlichsten Gründe, warum man
es endlich beseitigen muss. Aber ich glaube, das bringt
uns nicht weiter. Zwingende Gründe wie das Gemeinwohl werden angeführt. Ich glaube aber, dass all das
Gründe für die Beibehaltung des Verbots sind. Laut Europäischem Gerichtshof nimmt die Gesundheit - das
muss ich noch einmal betonen ({6})
unter allen Rechtsgütern, die zur Einschränkung der
Grundfreiheiten berechtigen, den ersten Rang ein. Das
Verbot des Fremd- und uneingeschränkten Mehrbesitzes
dient dem Zweck, eine geordnete, verlässliche und kontrollierte Arzneimittelversorgung zu gewährleisten.
({7})
Dazu gehört, dass den besonderen Gefahren des Arzneimittelgebrauchs Rechnung getragen und ein ungehinderter Arzneimittelkonsum verhindert wird.
Gleichwohl wird diese Entscheidung letztlich in der
Hand des Europäischen Gerichtshofes liegen. Wir sollten abwarten, was dabei herauskommt. Es ist allerdings
schade, dass man sich im Saarland auf nur ein Gutachten
gestützt hat.
({8})
Ich kenne auch Gutachten, die das genaue Gegenteil besagen. Sie wissen ja: zwei Juristen, drei Meinungen.
Hier hätte man etwas sorgfältiger vorgehen sollen.
Die Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes
wird mit der Zulassung von mehr Wettbewerb begründet; das haben wir gerade wieder gehört. Im Antrag vom
Bündnis 90/Die Grünen ist von einer Einsparung von bis
zu 2 Milliarden Euro die Rede. Außerdem heißt es, es
fehle an empirischen Belegen dafür, dass eine Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes zu einer Einschränkung der Sicherheit und der Qualität der Arzneimittelversorgung führt. Frau Bender, wenn es schon um
empirische Belege geht, würde es mich natürlich unheimlich freuen, wenn auch eine betriebs- und volkswirtschaftlich nachvollziehbare Berechnung vorgelegt
würde, aus der ein Einsparvolumen von 2 Milliarden
Euro hervorgeht.
({9})
Der Kollege Lauterbach zum Beispiel spricht von Einsparungen in Höhe von lediglich 1 Milliarde Euro. Hier
ist also eine gewaltige Differenz festzustellen.
Zudem bitte ich die Verfasser des Antrags, darzulegen
- möglichst auch empirisch; das ist ja ein schönes Wort -,
in welchen Ländern sich die Sicherheit und die Qualität
der Arzneimittelversorgung durch die Freigabe verbessert hat. Auch das lässt sich nicht nachweisen.
({10})
Da wir gerade bei der Empirie sind: Mich würde
brennend interessieren, in welchen Ländern die Arzneimittelabgabepreise aufgrund der Existenz von Kettenapotheken günstiger wurden. Dass das der Fall ist,
stimmt nämlich auch nicht. Das können Sie in jedem
Gutachten und in vielen anderen Schriftstücken nachlesen.
Ich frage Sie, meine Damen und Herren vom Bündnis 90/Die Grünen: Wollen Sie eigentlich einen Wettbewerb wie in Norwegen? Dort waren 80 Prozent aller
Apotheken innerhalb von zwei Jahren nach Aufhebung
des Mehr- und Fremdbesitzverbotes in der Hand von
vier Ketten. Nur 15 Apotheken stehen nicht unter direktem Ketten- oder Großhandelseinfluss.
({11})
In Norwegen ist es so weit gekommen, dass bei einer
Apothekenkette mittlerweile 45 Prozent der abgegebenen Generika vom zum selben Unternehmen gehörenden
Hersteller stammen. Ist das Wettbewerb?
Interessant ist auch, dass das norwegische Gesundheitsministerium im Jahre 2004 feststellen musste, dass
die Handelskonzerne zwar bei ihren Zulieferern, vor allem bei Generikaherstellern, Rabatte einforderten und
auch erhielten, diese jedoch nicht an die Verbraucher
oder Krankenkassen weitergaben. Ist es das, was Sie
wollen? Das kann es doch auch nicht sein.
Wie kann man - siehe den Antrag vom Bündnis 90/
Die Grünen - einen Wettbewerb zwischen großen Apothekenketten und kleinen, herkömmlichen Apotheken
als segensreich fordern? Nichts anderes besagt folgendes
Zitat aus Ihrem Antrag:
Die kleinteilige Struktur des Apothekenmarkts lässt
einen effizienz- und effektivitätssteigernden Wettbewerb zwischen den Apotheken nicht zu.
Angesichts der Entwicklung in Norwegen, die ich vorhin
angesprochen habe, frage ich Sie: Wollen Sie das wirklich?
Sie sagten, es sei kein Problem, eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen. Aber sie ist in
Gefahr. In Norwegen musste die Regierung den drei
marktbeherrschenden Unternehmen Übernahmegarantien für aufgegebene Landapotheken geben. In Großbritannien subventioniert der Staat mittlerweile jede vierzigste Apotheke, um eine flächendeckende Versorgung
zu gewährleisten. Ist es wirklich das, was Sie wollen?
Anstatt unsere qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung zu zerschlagen, sollten wir zunächst einmal
die Auswirkungen des AVWG und des sich gegenwärtig
in der Diskussion befindlichen GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes abwarten.
({12})
Außerdem bin ich sicher, dass sich auch der Europäische
Gerichtshof noch ausführlich mit dieser Materie auseinander setzen wird. Sie haben es bereits angesprochen:
Gegen Österreich, Italien und Spanien sind bereits Verfahren, die eine ähnliche Thematik betreffen, beim Europäischen Gerichtshof anhängig. Interessant ist in diesem
Zusammenhang, dass gegen Deutschland bisher noch
kein Verfahren vonseiten der EU-Kommission in die
Wege geleitet worden ist.
({13})
Daraus lässt sich schließen, dass unsere Gesetzgebung
durchaus EU-rechtskonform ist.
({14})
Ich appelliere an das Hohe Haus, nicht in vorauseilendem Gehorsam gute, gewachsene Strukturen zu zerstören. Wir werden den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen ablehnen. Ich wiederhole meine Einladung: Lassen Sie uns einmal zusammen in eine Apotheke gehen, damit Sie sich ein Bild von dem umfangreichen Leistungskatalog machen können!
Danke schön.
({15})
Für die FDP hat Daniel Bahr das Wort.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das Fremd- und Mehrbesitzverbot für Apotheken ist ein klassisches Beispiel für einen Interessenkonflikt zwischen verschiedenen Politikfeldern,
zwischen Wirtschaftspolitik auf der einen und Gesundheitspolitik auf der anderen Seite.
Die FDP will einen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen der Gesundheits- und der Wirtschaftspolitik. Aus wirtschaftspolitischer Sicht sind Apotheker gewerbetreibende Kaufleute, die sich am Umsatz
orientieren und Gewinne anstreben. Die Apothekenpreise von Medikamenten kommen allerdings nicht
durch das freie Spiel von Angebot und Nachfrage zustande, sondern durch einen gesetzlich festgelegten, prozentualen Aufschlag auf die Preise des Großhandels. In
der Gesundheitspolitik muss so viel Wettbewerb wie nötig und möglich für Effizienzsteigerungen sorgen; dafür
stehen wir als FDP. Der Gesundheitsmarkt ist aber nach
wie vor ein ganz besonderer Markt, wie hier im Hause
wohl keiner bestreiten wird. Mehr als in anderen Bereichen spiegeln sich die Präferenzen der Kunden eben
nicht im freien Spiel der Kräfte von Angebot und Nachfrage wider. Dieser Bereich unterliegt ganz eigenen Gesetzen.
Die Gesundheitspolitik muss die Arzneimittelversorgung in Deutschland so organisieren, dass sie den Bedürfnissen der Menschen entspricht. Kaum ein anderes
Land hat eine so gute Arzneimittelversorgung wie
Deutschland.
({0})
Was ist gut an der derzeitigen Arzneimittelversorgung?
Erstens. Jeder Bürger hat jederzeit Zugang zu Medikamenten, egal ob er in der Stadt oder auf dem Land
wohnt, egal ob er sie vormittags oder nachts oder am
Wochenende benötigt. Zweitens. Die Arzneimittelversorgung weist einen hohen Grad an Sicherheit auf. Das
Problem, dass Fälschungen aufkommen, hat deshalb
nicht auf die Verbraucher durchschlagen können. Drittens. Der einzelne Apotheker fühlt sich für seine Apotheke und seine Kunden verantwortlich. Teilweise übernimmt er eine Mittlerfunktion zwischen Arzt und
Patient. Wenn die Zeit beim Arzt nicht gereicht hat,
wenn Zusatzinformationen notwendig sind, nimmt sich
der Apotheker die Zeit, entsprechend zu informieren.
Was haben wir davon, wenn die Versorgung qualitativ
schlechter würde? Wer immer etwas an dem bestehenden System ändern will, muss nachweisen, dass das Angestrebte qualitativ besser ist als der Istzustand: Erstens.
Wird die räumliche Versorgung wirklich besser? Zweitens. Wird die Auswahl an Medikamenten wirklich größer? Drittens. Wird die Beratung besser? Viertens. Werden die Arzneimittelpreise niedriger? - Frau Bender, Sie
fordern mit Ihrem Antrag, die rechtlichen Voraussetzungen zu ändern, wer eine Apotheke besitzen darf, mehr
nicht. Dadurch würden die Arzneimittelpreise nicht
niedriger. Doch das steht nicht in Ihrem Antrag. Er ist
deshalb eine Verkürzung dieses Bereiches.
({1})
Nur wenn die Arzneimittelpreisverordnung komplett aufgehoben wird, die Pharmahersteller bei den
Preisen trotz Festbeträgen und Arzneimittelhöchstbeträgen noch nennenswerte Spielräume haben, die nicht
durch die Krankenkassen mit Rabattverträgen ausgeschöpft werden, und - ein ganz wesentlicher Aspekt das Zusammenspiel aus vertikaler und horizontaler Konzentration den Preissetzungsspielraum für die Apothekenketten nicht sogar zulasten der Verbraucher erhöht,
würden Arzneimittel billiger. Sonst würden Apothekenketten nur eines bewirken, nämlich eine Produzentenrente beim Apothekenkettenkonzern, also eine Erhöhung
des Gewinns beim Konzern.
Das Fremd- und Mehrbesitzverbot erklärt sich aus der
heilberuflichen Komponente des Apothekerberufs. Der
Daniel Bahr ({2})
Apotheker galt bisher traditionell als Heilberufler. Das
rechtfertigt die flächendeckende Versorgung mit Apotheken, die wir in Deutschland haben. Diese heilberufliche Komponente des Apothekers wurde mit dem Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz von Anfang
dieses Jahres - Herr Bauer hat es angesprochen - durch
das Verbot von Naturalrabatten noch betont.
({3})
Man muss sich einmal Gedanken machen, was man eigentlich will. Natürlich ist der Apotheker sowohl Heilberufler als auch Kaufmann. Man kann aber nicht, wie es
einem gerade gefällt, das eine Mal betonen, dass der
Apotheker ein Heilberufler ist, und Naturalrabatte verbieten, und dann wieder einfordern, dass er als Kaufmann direkt mit den Kassen oder der Pharmaindustrie
verhandelt. In diesem Zwiespalt befinden wir uns. Deshalb müssen wir uns diese Frage immer wieder stellen.
Nicht Kommerzialismus, sondern die Gesundheitsversorgung soll im Vordergrund stehen. Eine Apothekenkette im Besitz einer Kapitalgesellschaft würde zumindest dies anders gewichten.
Die Grünen betonen in ihrem Antrag allein die wirtschaftspolitische Sicht. Ich vermisse dabei die gesundheitspolitische Komponente. Auch die wirtschaftspolitische Komponente ist nicht konsequent durchdacht.
Wer wirtschaftspolitisch konsequent handeln will, der
muss den gesamten Arzneimittelmarkt marktwirtschaftlich ausrichten.
({4})
Das steht nicht in Ihrem Antrag. Er müsste auch die Abschaffung von Festbeträgen und Festpreisen sowie die
Aufhebung der Importquoten, der gesetzlichen Zwangsrabatte, der Bonus-Malus-Regelung, der Aut-idem-Regelung, des Verbots von Naturalrabatten usw. fordern.
Mit diesen ganzen Fragen beschäftigen Sie sich in Ihrem
Antrag nicht. Sie beschäftigen sich allein mit dem
Fremd- und Mehrbesitzverbot. Es ist deshalb nicht gerechtfertigt, diesem Antrag zuzustimmen.
({5})
All das müsste dem freien Spiel der Kräfte überlassen
werden und sich als Ergebnis des Handelns von Ärzten,
Patienten, Pharmaherstellern, Großhändlern und Apothekern ergeben. Tun wir also nicht so, als ob allein die
Wirtschaftspolitik hier eine Rolle spielt, und führen wir
ernsthaft eine Auseinandersetzung darüber, in welchen
Bereichen der Apotheker in seiner heilberuflichen Verantwortung gestärkt werden muss und in welchen Bereichen rein marktwirtschaftliche Lösungen ohne Verlust
wichtiger gesundheitspolitischer Anliegen möglich und
sinnvoll sind.
Natürlich muss sich der Gesundheitssektor und müssen sich auch die Gesundheitsberufe - Ärzte, Apotheker,
Pflegekräfte - den wandelnden Bedingungen anpassen.
Ziel muss es aber doch sein, die Versorgungsqualität zu
verbessern oder zumindest auf dem heutigen Niveau zu
sichern. Deswegen werden wir als FDP diesen Antrag
der Grünen ablehnen.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Marlies Volkmer, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Die Ausgaben für Medikamente sind ein wichtiger
Kostenfaktor in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Frau Bender, sie stehen von daher sehr im Mittelpunkt
des Interesses und sind häufig Ziel gesetzgeberischer
Maßnahmen.
Eine solche Maßnahme haben wir Anfang dieses Jahres mit dem Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz - AVWG - durchgeführt. Mit diesem Gesetz
waren wir durchaus erfolgreich. Wir haben die Arzneimittelpreise mit diesem Gesetz gesenkt. Die Arzneimittelausgaben im Juli sind gegenüber dem Vorjahr um
3,5 Prozent zurückgegangen.
({0})
Heute beschäftigen wir uns mit einem Antrag der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und es geht um
die Abschaffung des Mehrbesitz- und Fremdbesitzverbots für Apotheken. Sie wollen also, dass ein Nichtapotheker eine unbeschränkte Zahl von Apotheken besitzen
kann - vorausgesetzt, er kann das bezahlen. Sie versprechen sich davon - ich zitiere - „einen effizienz- und effektivitätssteigernden Wettbewerb“ sowie die Erschließung erheblicher Wirtschaftlichkeitsreserven.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
woher nehmen Sie denn die Gewissheit, dass die Zulassung des unbeschränkten Apothekenbesitzes und die damit einhergehende Bildung von Apothekenketten wirklich zu einer höheren Wirtschaftlichkeit und Effizienz
und vor allen Dingen auch zu niedrigeren Kosten für die
gesetzliche Krankenversicherung führt? Es ist vorhin
schon gesagt worden: In Norwegen ist der Markt inzwischen unter drei Apothekenketten aufgeteilt. Die Einzelapotheke ist fast verschwunden. Das hat zur Störung der
flächendeckenden Versorgung geführt. Durch das Beispiel Norwegen wird auch deutlich, dass durch eine
Marktfreigabe des Apothekenbesitzes nicht automatisch
für dauerhaft billigere Arzneimittel gesorgt wird.
Natürlich könnte man sich vorstellen, dass zukünftig
auch in Deutschland zahlungskräftige Nichtapotheker
oder kapitalstarke Unternehmen Apothekenketten besitzen und Apotheker bei sich einstellen.
Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Birgitt Bender zulassen?
Nein. - Zu fragen ist aber, ob das den Kunden oder
nur denjenigen nutzen wird, die heute gern in den lukrativen Markt möchten, aber noch nicht dürfen.
Es gibt im Arzneimittelgroßhandel schon jetzt eine
erhebliche Konzentration. Teilweise bestehen enge Verflechtungen zu Generikaherstellern. Wenn diese Unternehmen nun Apotheken aufkaufen würden, dann führte
das zu einer perfekten vertikalen Konzentration von den
Pharmaherstellern über den Arzneimittelgroßhandel bis
hin zur Apotheke. Das würde die Gefahr mit sich bringen, dass die Apotheke nur noch ein eingeschränktes
und nicht unbedingt das preiswerteste Arzneimittelsortiment vorhalten würde. Zudem wäre es fahrlässig, wenn
die Pharmaindustrie über den Weg der Apothekenkette
einen direkten Zugang zu Patientendaten erhalten würde.
Ich war immer der Ansicht, da seien wir einer Meinung.
Wozu die Konzentration eines Marktes auf wenige Anbieter, also ein so genanntes Oligopol, führen kann, zeigen doch eindeutig der Mineralölmarkt und der Energiemarkt.
Aus meiner Sicht wäre es jedoch ein großer Fehler,
bei diesem Thema nur über Markt, Wirtschaftlichkeit
und Preise zu sprechen. Der Verkauf von Medikamenten
ist eben nicht dasselbe wie der Verkauf von Waschmitteln oder Brot und Brötchen.
({0})
Ein Medikament ist ein Produkt, das neben seiner erwünschten Wirkung auch Risiken und Nebenwirkungen
hat. Jeder kennt den Hinweis aus der Werbung: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder
Apotheker. Die Nebenwirkungen können lebensbedrohlich sein, vor allen Dingen bei der gleichzeitigen Einnahme von vielen Medikamenten, bei chronischen
Erkrankungen und bei Allergien. Es kommt beim Arzneimittel eben nicht nur auf den günstigen Preis an, sondern auch auf die Qualität der Beratung. Die Hausapotheke mit dem direkten Kontakt zu den Patienten ist
deswegen aus unserer Sicht kein Auslaufmodell, sondern ein Zukunftsmodell.
({1})
Ich sage ganz klar: Die SPD steht zum Apotheker als
Heilberuf und sieht in ihm eben nicht nur den einfachen
Arzneimittelkaufmann.
Noch einige Worte zur Vereinbarkeit der deutschen
Regelungen mit dem europäischen Recht. Es ist schon
gesagt worden: Vertragsverletzungsverfahren laufen gegen Österreich, Italien und Spanien, und zwar vor allen
Dingen deswegen, weil die Niederlassungsfreiheit in
diesen Ländern nicht gewährleistet ist. In Deutschland
ist sie gewährleistet.
({2})
Das Wort für die Linksfraktion hat Frank Spieth.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben es gehört: Kein Bereich im deutschen Gesundheitswesen hat höhere Zuwachsraten als der Pharmabereich.
Wir zahlen hier mittlerweile mehr als für die ambulante
ärztliche Versorgung. Darüber sollte man in der Tat einmal nachdenken.
Trotz aller Kostendämpfungsbemühungen sind die
Kosten für die Arzneimittel in den zurückliegenden
Jahren gestiegen. Die Milliarden, die hier ausgegeben
werden, fehlen an anderer Stelle im Gesundheitswesen.
({0})
Gleichzeitig mussten sich die Patientinnen und Patienten
daran gewöhnen, immer höhere Eigenanteile zu zahlen.
Nun kommen die Grünen mit der Idee, durch die
Abschaffung des Fremd- oder Mehrbesitzverbotes für
Apotheken einen besseren Wettbewerb und mehr Wirtschaftlichkeit herstellen zu können und damit unter Umständen round about 2 Milliarden Euro einsparen zu
können. Abgesehen davon, dass ich die Grünen, die einmal für Nachhaltigkeit und lokalen Zusammenhalt eingetreten sind, nicht mehr verstehe, halte ich diesen Ansatz in der Tat für einen schweren Denkfehler.
({1})
Schon heute können Apotheker bis zu drei Filialen
betreiben, Frau Bender; denn Rot-Grün hat damals dafür
gesorgt, dass es die Möglichkeit dieses Mehrbesitzes
gibt. Der Vorschlag der Grünen, das Mehrbesitzverbot
für Apotheken gänzlich aufzuheben, geht aber nach meiner Einschätzung an dem tatsächlichen Problem vorbei:
Die Ausgaben für Arzneimittel haben sich von 1995 bis
2005 von 8,94 Milliarden Euro auf 15,44 Milliarden
Euro erhöht. Im gleichen Zeitraum, Frau Bender, haben
sich die Rohgewinne der Apotheken und des Großhandels in Höhe von 5 Milliarden in 1995 und 4,94 Milliarden in 2005 sogar geringfügig reduziert. Das heißt, nicht
die Apotheken sind die Kostentreiber;
({2})
vielmehr haben die Pharmakonzerne 72 Prozent der
Kostensteigerungen im Bereich der Arzneien zu verantworten. Die Auseinandersetzung über diesen Fakt wird
von Ihnen gescheut. An dieser mächtigen Lobby ist bisher im Kern noch jede Reform gescheitert. Ich befürchte,
dass mit der Einführung von Apothekenketten zwangsläufig die Qualität der unabhängigen Beratung leidet.
Wenn Apothekenketten von Pharmaunternehmen geführt werden, dann ist an eine unabhängige Medikamentenberatung nicht mehr zu denken.
({3})
Aber gerade das sollte unser Ziel sein: die qualifizierte
und hochwertige Arbeit der Pharmazeuten. Es bleibt
nach meiner Erkenntnis - das haben Gespräche mit vieFrank Spieth
len Apothekern bestätigt - die Notwendigkeit, den Apotheker als letztes Korrektiv bei falschen Verschreibungen
einzusetzen.
Es stimmt, dass die meisten Apothekenbesitzer in
Deutschland ein durchaus auskömmliches Nischendasein führen. Daran haben auch die Internetapotheken
und der Versandhandel mit Arzneimitteln nichts geändert. Richtig ist auch, dass die Qualität der Beratung und
der Service mancherorts verbesserungswürdig sind. Darüber können wir reden.
Die Grünen gehen aber von Einsparmöglichkeiten
aus, die ich für irreal halte. Wie soll das funktionieren?
Die Apotheken erhalten unabhängig vom Abgabepreis
des jeweiligen Medikaments eine Pauschale in Höhe von
6,10 Euro. Naturalrabatte, wie sie bis zur Einführung des
Arneimittelverordnungs-Wirtschaftlichkeitsgesetzes gegeben waren, sind mittlerweile verboten. Kurzum: Apothekerinnen und Apotheker haben kein eigenes wirtschaftliches Interesse mehr an den Arzneimittelpreisen.
Deshalb ist dieser Ansatz falsch.
Wie sollen Apothekenketten 2 Milliarden Euro einsparen können, wenn es durch die Politik der letzten
Jahre nicht möglich war? Aus welchem Grund sollen all
die Apothekenketten bereit sein, die Vorteile aus ihren
ausgehandelten Rabatten an die Versichertengemeinschaft weiterzugeben? Ich sehe an dieser Stelle keine
Chance. Die Erfahrungen in den USA - das wurde bereits ausgeführt - und in Norwegen zeigen, dass dieser
Weg in die falsche Richtung führt. Monopole, wie sie
dort entstehen, würden uns das Fürchten lehren.
Sie müssen zum Ende kommen.
Ich komme zum Schluss. - Ich meine, wir sollten einen anderen Weg gehen. Unsere Fraktion wird sich dem
Antrag der Grünen nicht anschließen. Wir lehnen - wie
hoffentlich die Mehrheit des Parlaments - diesen blinden
Neoliberalismus ab.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Margrit Spielmann, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ohne Lobbyistin zu sein,
({0})
habe ich mir erlaubt, den Antrag der Grünen bei Apothekerinnen und Apothekern in meinem Wahlkreis vorzustellen. Ich möchte Ihnen das Ergebnis mitteilen. Alle
Apothekerinnen und Apotheker haben festgestellt, dass
sie in erster Linie Apotheker sind, dass sie persönliche
Verantwortung tragen und in der Haftung stehen und
dass sie Beratung und Betreuung übernehmen wollen,
um damit ihrem Selbstverständnis als Heilberufler
nachzukommen. Sie wollen aber nicht in Zukunft Kaufleute oder Kettenbesitzer sein. Denn sie meinen, dass nur
die unabhängige inhabergeführte Apotheke ihrer Verpflichtung nachkommen kann.
({1})
- Dazu komme ich noch, Frau Kollegin Bender. - Deshalb muss verhindert werden, dass in Deutschland Kettenstrukturen ähnlich wie bei den Lebensmittelketten
oder den von Ihnen angeführten Bäckern etabliert werden. Ich meine, Frau Bender, dass solche Systeme profitorientiert sind. Der Verbraucherschutz und die Heilberuflichkeit treten in den Hintergrund.
Zu Ihrer Frage, Frau Bender: In einer von rein kaufmännischen Interessen geleiteten Kette würden unter
anderem die Versorgungssicherheit und die Qualität
leiden, weil sie zugunsten rein wirtschaftlicher Überlegungen in den Hintergrund treten würden. Ketten würden sich zudem auf bestimmte lukrative Standorte konzentrieren, sodass die flächendeckende Versorgung und
vor allem die Arzneimittelsicherheit nicht mehr gewährleistet werden könnten.
({2})
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, wollen mit Ihrem Antrag die Arzneimittelversorgung von
82 Millionen Menschen mir nichts, dir nichts auf den
Kopf stellen. Ich frage mich, wo dabei die sachliche
Rechtfertigung bleibt, die Sie der bisherigen Versorgungsstruktur absprechen. Sie erwähnen mit keinem
Wort die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den
Apotheken und machen nicht deutlich, was sie erwartet,
wenn die im Antrag enthaltenen Forderungen umgesetzt
würden. Sie sagen auch nichts zu den Leistungen, die
täglich vom Heilberuf des Apothekers erbracht werden.
In Ihrem Antrag gehen Sie auch nicht auf die Konsequenzen ein, die Kettenstrukturen auf die Arbeitsplätze
und die qualitativ hochwertigen Ausbildungsplätze in
Apotheken hätten. Mit Ihrem Antrag wollen Sie die Axt
an ein System legen, das den Menschen eine flächendeckende und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung sichert. Wer heute als Patient oder Patientin mit einem Rezept aus der Arztpraxis kommt, erhält in den
meisten Fällen das verordnete Medikament noch am selben Tag, und dies unabhängig davon, wo er lebt. Außerhalb der üblichen Ladenöffnungszeiten stehen die Apothekerinnen und Apotheker im Not- und Nachtdienst
der Arzneimittelversorgung der Menschen zur Verfügung, und dies in Stadt und Land, Frau Bender. Ich weiß
nicht, wie Sie sich die Not- und vor allem die Nachtversorgung vorstellen.
In Ihrem Antrag behaupten Sie, dass wir erst dann
rechtliche Änderungen vornähmen, wenn wir dazu gezwungen würden, dass wir erst dann tätig würden, wenn
uns der Europäische Gerichtshof dazu zwinge. Ich sage
Ihnen: Wir haben im Apothekenbereich - ich will gar
nicht verschweigen: auch mit Ihrer Unterstützung 5260
wichtige Veränderungen auf den Weg gebracht. Die Vergütung der Apotheker wurde von einem prozentualen,
am Arzneimittelpreis orientierten Zuschlag auf einen
festen Zuschlag umgestellt. Der Mehrbesitz ist erlaubt,
sodass man neben der Hauptapotheke drei Filialen betreiben kann. Der Versandhandel ist zugelassen. Dieses
System funktioniert und muss erhalten bleiben.
({3})
Wir wollen den Apotheker als Heilberufler, der alle
Anstrengungen unternimmt, um die Qualität und die
Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung sicherzustellen. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.
({4})
Es ist vereinbart, die Vorlage auf Drucksache 16/2506
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. - Sie sind damit einverstanden. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über elektronische Handelsregister und
Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister ({0})
- Drucksache 16/960 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1})
- Drucksache 16/2781 Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
Hierfür ist ebenfalls eine halbe Stunde Debatte vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Kollegen
Parlamentarischen Staatssekretär Alfred Hartenbach das
Wort.
Guten Abend, Frau Präsidentin! Guten Abend, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Am 1. Januar 2007 werden
im Justizbereich die Register in Deutschland auf die
elektronische Führung umgestellt. Unternehmen und
Notare können dann per Mausklick den Registergerichten Anmeldungen und Dokumente in elektronischer
Form übermitteln. Damit vereinfachen und beschleunigen wir die Arbeit der Register. Wir sparen Postlaufzeiten und reduzieren die Zahl der Arbeitsschritte. Nutznießer sind aber nicht nur die Registergerichte, sondern vor
allem auch Existenzgründer und Unternehmen, die
schneller und kostengünstiger zu ihrer Eintragung kommen. Nutznießer ist aber auch, wer Informationen aus
dem Handelsregister abrufen möchte. Anders als beim
ortsgebundenen Papierregister kann in das elektronische
Register jederzeit und von jedem Ort aus über das Internet Einsicht genommen werden. Die Recherche im elektronischen Register ist bequemer, schneller und kostet
weniger. Der elektronische Abruf von Handelsregisterbekanntmachungen wird unentgeltlich und ohne vorherige Anmeldung möglich sein. Der elektronische Registerauszug kostet künftig 4,50 Euro, während man früher
für einen nicht beglaubigten Registerauszug 10 Euro
zahlen musste.
So gut und so richtig der Gesetzentwurf ist, so sehr
bedauere ich einige der Änderungen, die an unserem Regierungsentwurf vorgenommen wurden. Es ist schade,
dass Unternehmen in Deutschland noch zwei Jahre länger als eigentlich notwendig mit den Kosten für Tageszeitungsbekanntmachungen belastet werden. Was antworte ich nun einem jungen Existenzgründer aus
meinem Wahlkreis, wenn er mich fragt, warum er bis zu
mehreren Hundert Euro an eine Tageszeitung zahlen
muss, obwohl die Registerbekanntmachung im Internet
steht und dort problemlos eingesehen und abgerufen
werden kann? Vielleicht sage ich ihm: Hol dir dein Geld
bei den Abgeordneten des Deutschen Bundestages!
Diese Übergangsfrist - meine lieben Kolleginnen
und Kollegen, das wissen Sie alle selbst genau - ist wirtschaftsfeindlich und schadet gerade kleinen und mittleren Unternehmen. Sie kostet Geld und nutzt eigentlich
nur den Zeitungsverlegern, die weiterhin von einer staatlich angeordneten Quersubventionierung profitieren.
Mir ist natürlich klar, dass Sie alle unter dem Druck der
massiven Kampagne der Zeitungsverleger standen.
({0})
Ich denke, man hätte darauf hinweisen müssen, was
die Redakteure schreiben. Sie schreiben, man müsse die
Wirtschaft von Bürokratiekosten entlasten, man müsse
die öffentliche Verwaltung modernisieren, Informationstechnologien nutzbar machen und Richtlinien strikt
eins zu eins umsetzen. All das haben wir gemacht.
Für ebenfalls wenig geglückt halte ich die Änderung
bei den Sanktionen für unterlassene Einreichungen
der Jahresabschlüsse. Wir sind europarechtlich dazu
gehalten, diese Bekanntmachungspflichten wirksam
durchzusetzen. Die Unternehmen kennen ihre Pflichten
und wissen, was sie tun müssen. Wenn sie trotzdem
nichts veröffentlichen, dann - so war unsere Meinung ist ein Bußgeldverfahren die richtige und angemessene
Sanktion. Mit dem Ordnungsgeldverfahren, das jetzt
vorgeschlagen wird, schaffen wir demgegenüber neue
Bürokratie und neue Kosten, die letztlich der Steuerzahler zu tragen hat.
Als wir gestern abschließend im Rechtsausschuss beraten haben, da habe ich einen Stoßseufzer losgelassen
und gesagt: Gott sei Dank, dass es zu Ende ist, aber
musste es so schlimm kommen? - Dann kam eine
Stimme aus dem Off und sagte: Sei demütig,
Hartenbach, es hätte viel schlimmer kommen können! In der Tat, wenn wir mit den Grünen, unseren ehemaligen Freunden, regieren würden,
({1})
- natürlich - unserem vorherigen Regierungspartner,
dann wäre jetzt die Veröffentlichungspflicht in den Zeitungen bis 2011 vorgeschrieben. Dann müsste ich dem
jungen Unternehmer aus meinem Wahlkreis sagen: Hol
dir dein Geld bei Jerzy Montag!
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Mechthild Dyckmans,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Der Entwurf eines Gesetzes über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister - EHUG - ist ein begrüßenswerter Schritt auf dem Weg zu mehr Transparenz
und mehr Bürgerfreundlichkeit. Durch die Umstellung
auf die elektronische Registerführung wird die derzeit
auf verschiedene Datenbanken aufgeteilte Unternehmenspublizität in ein zeitgemäßes und benutzerfreundliches System überführt. Dadurch wird es künftig - der
Herr Staatssekretär hat es schon gesagt - sehr viel leichter möglich sein, über das Internet Informationen über
Gesellschaften aus dem Handelsregister zu erhalten, was
zu erheblichen Erleichterungen in der Wirtschaft führen
wird. In vielen europäischen Ländern ist ein elektronisches Handelsregister bereits Standard, zum Beispiel in
England, Österreich, Finnland, Belgien und Italien. Wir
sind insofern also wieder nicht bei den Ersten.
In Deutschland war es bisher gesetzlich vorgeschrieben, die einzutragenden Unternehmensdaten in der öffentlichen Tagespresse und im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Diese Veröffentlichung soll nun durch
elektronische Bekanntmachung abgelöst werden. Dies
führt - darüber waren wir uns alle einig - zu gewissen
Übergangsschwierigkeiten und ruft nach Übergangsfristen.
({0})
Für die FDP kann ich sagen: Ich bin froh, dass sich im
Berichterstattergespräch die Auffassung durchgesetzt
hat, eine für alle Bundesländer gleichermaßen geltende
Übergangsvorschrift festzulegen. Eine Länderöffnungsklausel, wie von der Regierung vorgeschlagen,
hätte zu einer Rechtszersplitterung innerhalb Deutschlands geführt und wäre daher für die Wirtschaft schädlich gewesen.
({1})
Leider scheint es aber zwischen dem Bundesjustizministerium und dem Bundesfinanzministerium keine ausreichende Abstimmung zu geben.
({2})
Anders ist es nämlich nicht zu erklären, dass wir heute
mit dem EHUG in § 72 a der Börsenzulassungs-Verordnung einen neuen Absatz 2 einfügen, der für bestimmte
Veröffentlichungen, nämlich unter anderem für solche
nach § 63 der Verordnung, eine Übergangsfrist vorsieht.
Durch den Entwurf des Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetzes aus dem Bundesfinanzministerium wird
dies jedoch wieder aufgehoben, da die entsprechende
Vorschrift gestrichen werden soll. Auch wenn der Inhalt
der Vorschrift an anderer Stelle, nämlich im Wertpapierhandelsgesetz, geregelt werden soll, wie der Kollege
Hartenbach in seiner Antwort auf meine Frage ausgeführt hat, so fehlt es in dem Entwurf des Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetzes jedenfalls an einer Änderung oder Ergänzung des heute hier zu verabschiedenden
§ 72 a Abs. 2 EHUG, damit die Übergangsvorschrift
wieder zum Tragen kommt.
({3})
Hier muss zweifellos nachgebessert werden, da sonst der
Wille des Gesetzgebers konterkariert wird. Herr
Hartenbach, ich muss Ihnen hier sagen: Sie sind noch
nicht am Ende. Sie müssen zusammen mit dem Bundesfinanzministerium noch nachbessern.
({4})
Ich möchte noch ganz kurz auf die von Ihnen angesprochene Übergangsfrist zu sprechen kommen. Sie haben gesagt, dass die Zeitungsverlage die Hauptnutznießer sind. Nein, es sind nicht nur Zeitungsverlage.
Auch kleine und mittlere Unternehmen bedürfen nämlich dieser längeren Übergangsfrist. Wir halten eine
Übergangsfrist von drei Jahren für angemessen; dementsprechend ist die Regelung in unserem Änderungsantrag. So weist zum Beispiel der Zentralverband des
Deutschen Handwerks in seiner Stellungnahme darauf
hin, dass noch nicht alle Unternehmen mit den gleichen
elektronischen und kommunikativen Mitteln ausgestattet
sind, und fordert etwa eine fünfjährige Übergangsfrist.
Gerade Handwerksbetriebe in ländlichen Gebieten verfügen noch nicht über den für die Teilnahme an der elektronischen Registerführung erforderlichen Internetanschluss.
Zu bedenken ist auch: Sie haben auch die Verbraucher
als Nutznießer dargestellt; sie könnten die Daten durch
einen Blick ins Internet leicht einsehen. Eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit dem Internet ist
noch längst nicht gewährleistet. In vielen Bundesländern
verfügen erst 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung über einen Internetanschluss.
Ich komme zum Schluss. Auch wenn wir von der
FDP uns eine längere Übergangsfrist, nämlich bis 2009,
gewünscht hätten - wir haben einen entsprechenden
Änderungsantrag gestellt, der von der CDU/CSU übrigens nicht befürwortet wurde, obwohl auch die Kollegen
im Bundesrat diese Übergangsfrist vorgeschlagen hatten -, möchte ich hervorheben, dass es sich - wenn die
Ergänzungen vorgenommen worden sein werden - insgesamt um ein gelungenes Werk handelt und für die
Wirtschaft durchaus wichtig ist.
({5})
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Andrea Voßhoff,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Eine Anmerkung, verehrter Herr Staatssekretär
Hartenbach: Meinem Verständnis von Parlamentarismus
entspricht es, dass es durchaus vorkommen kann, dass
das Parlament, der Gesetzgeber, in Teilen anderer Auffassung ist als die Regierung.
({0})
Wir beschließen heute - das ist schon gesagt worden;
ich meine, man kann es zusammenfassen - einen weiteren Meilenstein im elektronischen Rechtsverkehr. Mit
der Schaffung weiterer Rechtsgrundlagen für die flächendeckende elektronische Führung der Handels-, Genossenschafts- und Partnerschaftsregister und mit der
Schaffung eines künftigen Unternehmensregisters mit
einem zentralen digitalen Portal für Wirtschaftsinformationen setzen wir nicht nur EU-Vorgaben um; die große
Koalition modernisiert vielmehr auch weitere Bereiche
der Justizverwaltung im Sinne einer schnelleren und effizienteren Dienstleistung für die am Wirtschaftsleben
Beteiligten.
Ich begrüße es, dass dieses Gesetzgebungsvorhaben
letztlich im Einvernehmen mit fast allen Fraktionen dieses Hauses erfolgen konnte, so wie dies bereits im vergangenen Jahr beim Justizkommunikationsgesetz der
Fall war, mit dem die rechtlichen Grundlagen für die
elektronische Aktenführung geschaffen wurden.
Justiz, so heißt es, ist immer auch ein Standortfaktor.
Mit dem EHUG können künftig Registereintragungen
und alle wesentlichen Unternehmensinformationen im
Wege eines One-Stop-Shops, also über ein zentrales Internetportal, abgerufen werden. Die von vielen Unternehmen oftmals kritisierten langwierigen Verfahren zur
Eintragung in die Register werden durch eine flächendeckende elektronische Führung und weitere Erleichterungen deutlich verkürzt.
({1})
So wird der heute zur Verabschiedung anstehende Gesetzentwurf erheblich und nachhaltig dazu beitragen,
den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken.
({2})
Mit dem Einsatz moderner Techniken vollzieht sich
naturgemäß ein nicht immer unumstrittener Anpassungsprozess. Eine Frage - das ist hier schon angesprochen worden - betraf die Wirkungsweise der digitalen
Publikation von Wirtschaftsinformationen. Es geht dabei
konkret um die Frage, wie mit den bisher im HGB und in
der Börsenzulassungs-Verordnung geregelten Pflichtveröffentlichungen von Unternehmensinformationen in
regionalen Tageszeitungen und Börsenblättern umzugehen ist.
Die künftige Internetveröffentlichung erfüllt sicherlich die rechtlichen Anforderungen an die Publizität von
Registereintragungen und macht die mit zusätzlichen
Kosten verbundene bisherige Veröffentlichung in den
gedruckten Tageszeitungen dauerhaft entbehrlich. Bei
der Frage „Laptop oder Zeitung?“ geht es aber nicht nur
darum, wer welches Medium bevorzugt, wer mit welchem Medium lieber arbeitet; es geht schon auch darum,
sich von einem langjährig bewährten umfassenden Publizitätssystem zu verabschieden und es durch eine neue,
zentral abrufbare digitale Publikation - das sind ganz
neue Dimensionen - zu ersetzen.
Es darf aber nicht verkannt werden, dass für viele bei
der täglichen Lektüre der regionalen Wirtschaftsnachrichten die Tageszeitung das zentrale Medium ist, um
sich über die geschäftlichen Aktivitäten von Kunden und
Konkurrenten zu informieren. Die Informationen werden buchstäblich ins Haus gebracht. Gerade im Bereich
der Börsenpflichtinformationen sorgen begleitende Bewertungen und Informationen der Printpresse für eine
kompakte, umfassende Unterrichtung. Die Internetveröffentlichung dagegen erfordert die gezielte Suche, bei der
vor Erlangung der gewünschten Informationen erst recherchiert werden muss.
Es stellt sich aber auch die Frage, welche Chancen
und Risiken mit der gebündelten digitalen Publizierung
veröffentlichungspflichtiger Informationen verbunden
sein werden. Deshalb empfehle ich uns eine sorgsame
Beobachtung. Ich bin der Auffassung, dass dieses neue
Publizitätssystem letztlich von der Wirtschaft gebraucht
wird, für einen modernen Standort unerlässlich ist,
schnell von der Wirtschaft angenommen wird und sich
auch bewähren wird.
Dann aber ist eine dauerhafte oder langfristige Dualität, also Doppelveröffentlichung, digital und in der
Printpresse, nicht haltbar
({3})
und gegenüber den Unternehmen, die die Kosten für die
zusätzliche Printveröffentlichung zu tragen haben, auch
nicht zu verantworten.
({4})
Unter Abwägung der genannten Bedenken sagen die
Koalitionsfraktionen Ja zur zentralen digitalen Publikation.
Um sich aber auf diese einzustellen, bedarf es eines
Anpassungsprozesses. Herr Hartenbach, ich hätte mir
gewünscht, dass Sie auch darauf eingegangen wären. Es
geht nicht nur um den Druck, der vielleicht durch Zeitungsverlage entstanden ist. Ich sagte es vorhin: Wir verabschieden uns von einem bewährten Publikationssystem.
({5})
Wir wissen auch noch nicht, ob es technisch einwandfrei
laufen wird. Wir haben aber die Verantwortung und die
Verpflichtung - das darf man nicht vergessen -, für eine
ordnungsgemäße Publizität zu sorgen.
({6})
Auf Initiative der CDU/CSU haben sich die Koalitionsfraktionen zur Begleitung und Erleichterung justament dieses Anpassungsprozesses auf eine zweijährige
bundeseinheitliche Beibehaltung der parallelen Veröffentlichung von Registereintragungen und Börsenpflichtinformationen in den Printmedien verständigt.
({7})
Außerdem wollen wir vor Ablauf der Übergangszeit
einen Bericht darüber, ob die technischen Voraussetzungen für die digitale Publizität reibungslos funktionieren
und daher dem gesetzten Anspruch gerecht werden.
({8})
Durch diese bundeseinheitliche zweijährige Übergangsregelung wird verhindert, dass Investoren sich unter Umständen von Gerichtsbezirk zu Gerichtsbezirk mit
unterschiedlichen Bekanntmachungsvorschriften auseinander setzen müssen. Ich sagte es schon: Wir kommen damit auch den Interessen kleiner und mittelständischer Unternehmen entgegen, denen die Möglichkeit
eingeräumt wird, sich in dieser Übergangszeit an die online gesteuerte Informationsbeschaffung zu gewöhnen.
Eine zweite wichtige Frage während der Beratungen
zum EHUG war, mit welchen Sanktionen Verstöße von
Unternehmen gegen die Publizitätspflicht zu ahnden
sind. Es ist zutreffend: Wir können immer wieder feststellen, dass nur eine geringe Anzahl von Unternehmen
dieser Offenlegung unaufgefordert nachkommt. Auffallend ist in dem Zusammenhang übrigens auch, dass von
dem Recht, Anträge auf Offenlegung zu stellen, das derzeit jedem Dritten zusteht, nur geringfügig Gebrauch gemacht wird.
Unstreitig ist aber, dass die Offenlegungspflicht seit
Jahren geltendes Recht ist. Publizitätspflichten von Kapitalgesellschaften sind auch der Preis für die Vorteile
aus der Haftungsbeschränkung. Wer sich einer Rechtsform bedient, die nach geltender Rechtslage Publizitätspflichten fordert, muss ihnen auch nachkommen. Die
Nichtbefolgung des Rechts ist der Autorität des Rechts
nicht förderlich.
Wir standen daher auch vor der Frage, ob die bestehenden Sanktionen nachhaltiger und wirkungsvoller zu
gestalten sind. Es gibt einerseits in der Wirtschaft, insbesondere im Bereich der kleinen und mittelständischen
Unternehmen, so sie denn unter die Veröffentlichungspflichten fallen, immer wieder die Besorgnis, ob und,
wenn ja, inwieweit die Publizierung mit wirtschaftlich
nachteiligen Folgen verbunden ist. Deshalb halte ich es
für nicht angebracht, in jedem Verstoß gegen die Offenlegungspflicht eine böswillige oder absichtliche Auflehnung gegen die Rechtsordnung zu sehen. Andererseits
ist es aber Aufgabe der Rechtspolitik, die Sicherung und
Förderung des Rechtsverkehrs an die größtmögliche Publizität der Registerinformationen zu binden und für deren Einhaltung zu sorgen. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns. Hinzu kommt die neue Dimension der
Publizität, die künftig zentral und digital abrufbar hergestellt werden soll.
Im Lichte dieser Diskussion erschien uns ein Bußgeldverfahren so, wie es der Gesetzentwurf zum EHUG
ursprünglich mit einer Bußgeldandrohung von bis zu
50 000 Euro als Sanktion für den Fall der unterlassenen
Offenlegung von Rechnungslegungsunterlagen vorsah,
zum jetzigen Zeitpunkt unverhältnismäßig. Warum
gleich das scharfe Schwert des Ordnungswidrigkeitenverfahrens hervorholen, wenn das Ziel auch mit einem
Ordnungsgeldverfahren in modifizierter Form erreicht
werden kann? Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich
dem Koalitionspartner SPD, der sich unserer Argumentation nicht verschlossen hat, dass man die Unternehmen
nicht gleichzeitig mit der Einführung des EHUG noch
mit neuen Bußgeldtatbeständen belasten dürfe.
({9})
Ich verhehle nicht, dass es bei der Frage der Sanktionierung in den Beratungen der Koalitionspartner unterschiedliche Positionen gab
({10})
- ich weiß -: von der Beibehaltung des bisherigen Sanktionsverfahrens bis hin zum scharfen Schwert des Bußgeldverfahrens. Wir konnten uns auf einen, wie ich
meine, tragfähigen Kompromiss verständigen. Als Sanktion bleibt ein Ordnungsgeldverfahren mit einer Ordnungsgeldandrohung bis maximal 25 000 Euro, das aber
von Amts wegen eingeleitet werden kann. Im Rahmen
einer Evaluierung wollen wir zudem die Entwicklung in
den nächsten zwei Jahren beobachten.
Ich erlaube mir an dieser Stelle aber auch die Anregung, meine Damen und Herren Kollegen, dass ich es
für notwendig erachte, die uns insbesondere auch durch
die Europäische Union vorgegebenen Publizitätspflichten und die damit verbundenen Offenlegungspflichten
für Unternehmen, die nicht den organisierten Kapitalmarkt in Anspruch nehmen, hinsichtlich Umfang,
Notwendigkeit und ökonomische Risiken gerade für die
davon betroffenen mittelständischen Betriebe, sowohl
auf nationaler wie auf europäischer Ebene, zu thematisieren und zu diskutieren.
Ich sagte eingangs, Justiz ist ein Standortfaktor. Ich
denke, das EHUG in der jetzt zu beschließenden Form
leistet einen wichtigen Beitrag zur Stärkung einer modernen, dienstleistungsfreundlichen Justizverwaltung.
Vielen Dank.
({11})
Die Kollegin Sevim Dagdelen von der Fraktion Die
Linke hat ihre Rede zu Protokoll gegeben.1)
Damit hat der Kollege Jerzy Montag von der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hartenbach, Sie
haben uns heute gezeigt, dass es manchmal sehr schwer
ist, gleichzeitig Parlamentarier und Regierungsmitglied
zu sein. Deswegen empfehle ich Ihnen: Bleiben Sie bei
Ihrem Vorsatz der Demut. Gesetze werden in diesem
Land immer noch vom Parlament und nicht von der
Bundesregierung gemacht.
({0})
- Seien Sie also stolz darauf, Parlamentarier zu sein. -
Sie wissen ganz genau, wir übernehmen für die Gesetze,
die wir hier machen, die politische Verantwortung und
Haftung. Aber die Zeiten, da wir persönlich dafür zur
Kasse gebeten wurden, sind vorbei. Insofern war Ihr an
mich gerichteter Vorschlag vielleicht ein bisschen veral-
tet.
Ihnen, Herr Kollege Dr. Gehb, will ich sagen: Sie
brauchen keine Minute zu warten. Wir Grünen sind für
dieses Gesetz. Wir finden es richtig und werden dafür
stimmen.
Endlich bekommt dieses Land ein elektronisches
Handelsregister, ein elektronisches Genossenschaftsre-
gister und ein elektronisches Unternehmensregister. Es
wird möglich sein, online in diese Register Daten einzu-
stellen, online Einsicht zu nehmen und sie online abzu-
rufen, und zwar nicht nur zu Dienstzeiten, sondern jeder-
zeit, und nicht nur von bestimmten Orten, sondern
weltweit. Wir erfüllen damit die Anforderungen der Pu-
blizitätsrichtlinie und der Transparenzrichtlinie. Die
Umsetzungsfrist läuft Ende des Jahres aus. Deswegen
sei an dieser Stelle auch vermerkt: Fast hätten wir die
Frist nicht eingehalten. In der Praxis wird es bei der Um-
stellung noch Schwierigkeiten geben, weil Sie den Ent-
wurf in den Sommerferien zwischenzeitlich einmal in
der Versenkung haben verschwinden lassen.
1) Anlage 6
Besonders das neue Unternehmensregister, das die
Informationen des elektronischen Handelsregisters und
die des elektronischen Bundesanzeigers zusammenführt,
beendet die Zersplitterung der Unternehmensinformationen in Deutschland und erfüllt insofern auch die Forderung der Regierungskommission von 2001 über Corporate Governance.
Auch die Kosten für Eintragungen und für Abrufe
werden sinken, wenn wir, was ich nicht hoffe, die Gebühren, die jetzt vereinbart wurden, nicht bald drastisch
erhöhen werden. Die Senkung der Gebühren ist damit
ein weiterer mit diesem Gesetz verbundener Vorteil.
Trotzdem handelt es sich nicht um ein völlig problemloses Gesetz. Nicht jeder in Deutschland hat einen Internetanschluss, nicht jeder verfügt über die Kenntnisse
und Fähigkeiten, dieses Medium zu bedienen. Deshalb
hat auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks
- darauf ist schon hingewiesen worden -, der genau die
Menschen vertritt, die mit diesem Medium vielleicht
nicht so vertraut sind, um eine Übergangsfrist gebeten.
Sich mit dieser Forderung zu beschäftigen, ist kein billiger Klientelismus, kein Nachgeben gegenüber einer
Lobby, sondern ein Eingehen auf eine berechtigte Forderung. Wir sind nach vielen Überlegungen auf die Forderung des Zentralverbandes nach einer Übergangszeit von
fünf Jahren nicht eingegangen.
Natürlich müssen auch die Interessen der Zeitungsverleger berücksichtigt werden. In der kurzen Zeit, die
mir noch bleibt, möchte ich sagen: Herr Kollege
Hartenbach, sollten Sie in Ihrem Wahlkreis wirklich einen jungen Unternehmer haben, der sich bei Ihnen über
die 100 Euro beschwert, die er weiterhin an die Zeitungen zahlen muss, dann schicken Sie ihn zu mir. Ich
werde versuchen, ihm das zu erklären. Sie aber scheinen
in Ihrem Wahlkreis keinen Mittelständler mehr zu haben,
der eine Zeitung verlegt. Deshalb sind Ihnen offensichtlich die Probleme, die sich für diese ergeben, fremd. Ich
kann Ihnen sagen: In dem Wahlkreis, in dem ich Wahlkampf gemacht habe und in dem ich lebe und wohne,
gibt es - glaube ich - mehr Jungunternehmer als bei Ihnen und bei mir hat sich kein einziger beschwert.
({1})
Aber der Verband Bayerischer Zeitungsverleger, der
viele mittelständische Zeitungen vertritt - in Bayern haben wir immer noch eine aufgefächerte Zeitungs- und
Zeitschriftenlandschaft -, hat uns darüber berichtet, zu
welchen Friktionen der Übergang führt. Wir als Grüne
haben uns eine längere Übergangszeit gewünscht und
dafür auch gefochten. Die zwei Jahre, die wir bekommen
haben, sind ein Kompromiss, mit dem wir leben können.
Deshalb erklären wir auch, dass wir dem Gesetz, weil es
ein gutes Gesetz ist, zustimmen werden.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Carl-Christian
Dressel für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Guten
Gewissens können wir - auch nach der Erleichterung des
Kollegen Staatssekretär Hartenbach - sagen: Das Gesetz
über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister, das wir
heute verabschieden werden, ist ein Jahrhundertwerk.
Warum ein Jahrhundertwerk? Weil dieses Gesetz das
Handelsregister vom Stand des Jahres 1897, als es mit
Verabschiedung des Handelsgesetzbuches eingeführt
worden ist, auf den Stand des 21. Jahrhunderts bringt.
Das ist gut so. Denn in den letzten 109 Jahren haben sich
ökonomische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen
einschneidend verändert. Das beginnt bei der Kommunikation über das Internet, geht über die Globalisierung
der Ökonomie bis hin zur heute im Vergleich zur damaligen Zeit viel engeren Taktung des Tagesgeschehens.
Man muss sich mit dem 19. Jahrhundert auseinander
setzen. Ich sage: Im 19. Jahrhundert war das Medium
Tageszeitung nicht jedem in dem Maße zugänglich, in
dem es das heute ist. Ebenso ist das Medium Internet
heute - ohne zu übertreiben - in einem Maße verbreitet,
wie es im ausgehenden 19. Jahrhundert die Tageszeitung
war, sodass wir mit der angemessenen Übergangsfrist
von zwei Jahren eine vernünftige und zeitgemäße Methode schaffen, Transparenz im Handels- und Unternehmensregister zu ermöglichen. Ich denke, Transparenz muss im Mittelpunkt des Registers stehen. Um
Transparenz zu ermöglichen, brauchen wir natürlich jemanden, der Daten liefert.
Die entscheidende Frage, die die Kollegin Voßhoff
- bei der ich mich für die gute Zusammenarbeit in der
Berichterstatterrunde ebenfalls sehr herzlich bedanke bereits angesprochen hat, ist die: Wie bringe ich jemanden, der nicht will, dazu, die Daten auf diese Weise einzustellen? Die Koalition hat sich anstelle eines Bußgeldverfahrens für ein Zwangsverfahren entschieden, das
von Amts wegen durchzuführen ist. Es bringt im Gegensatz zu dem Bußgeldverfahren in weiten Teilen eine Entlastung für die Gerichte, die ansonsten in Einspruchsfällen Entscheidungen über Bußgeldbescheide zu treffen
hätten.
Mit dem Zwangsverfahren ist ein gewisser, wenn
auch kleiner Verwaltungsaufwand verbunden. Dieser
Aufwand für die Androhung eines Zwangsgeldes wird
mit der Erhebung einer Gebühr in Höhe von 50 Euro in
Rechnung gestellt. Um es offen zu sagen: 50 Euro sind
nur ein geringer Betrag dafür, dass jemand seiner Verpflichtung nicht nachkommt und dadurch ein Verwaltungsverfahren auslöst. In der von der Kollegin Voßhoff
angesprochenen Evaluation müssen wir uns auch über
die Gebührenhöhe unterhalten.
Insgesamt ist das Gesetz ein tragfähiger Kompromiss
zwischen vielen Interessen, der nach einer zweijährigen
Übergangszeit ein modernes Handelsregister mit viel
Transparenz ermöglicht. Es war ein langes Gesetzgebungsverfahren, dem wir uns unterworfen haben. Dabei
ist ein gutes Gesetz herausgekommen. Ich bitte Sie um
eine möglichst breite Zustimmung.
Danke.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über elek-
tronische Handelsregister und Genossenschaftsregister so-
wie das Unternehmensregister auf Drucksache 16/960.
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/2781, den Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltun-
gen? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der
SPD, der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
wurf ist damit mit der gleichen Mehrheit angenommen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 12 a und
12 b:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Kauch, Horst Friedrich ({0}), Patrick
Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Lärmschutz im Schienenverkehr verbessern Marktwirtschaftliche Anreize nutzen, Schienenbonus überprüfen
- Drucksache 16/675 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Kerstin Andreae, Alexander Bonde,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Aktionsprogramm gegen Schienenlärm auf
den Weg bringen
- Drucksache 16/2074 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({2})
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
FDP sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre dazu keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Michael Kauch für die FDP-Fraktion.
({3})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dauerhafter Lärm belastet die Umwelt und gefährdet die Gesundheit. Auch im Güter- und Personenverkehr auf der
Schiene besteht hier noch Nachholbedarf. Etwa
20 Prozent der deutschen Bevölkerung fühlen sich durch
den Schienenverkehrslärm belästigt; etwa ein Viertel davon schwer. Insbesondere nachts wird der Schlaf durch
Gütertransporte gestört und die Regenerationsphase des
Körpers beeinträchtigt. In puncto Lärmschutz muss auch
auf der Schiene mehr passieren.
({0})
Das Gesetz schützt derzeit nur Anwohner von Neubaustrecken durch Erstattung der Aufwendungen für
passiven Schallschutz. Doch selbst hier besteht Handlungsbedarf, da im Vergleich zu anderen Lärmquellen
mit zweierlei Maß gemessen wird. Der Grund liegt im so
genannten Schienenbonus, wonach - anders als bei anderen Verkehrsträgern - pauschal 5 dB vom gemessenen Schallpegel abgezogen werden, und das sogar in
der Nacht.
Diese Regelung folgt dem Ergebnis sozialwissenschaftlicher Studien, wonach Anlieger an Schienenwegen durch Lärm weniger belastet würden als Anlieger an
Straßen. Nicht nur weil diese Studien aus den 70er- und
80er-Jahren stammen, ist die Begründung heute mehr als
fraglich.
({1})
Die Entwicklung im Schienenverkehr und neue Betriebsformen wie Hochgeschwindigkeitsverkehr und
dichtere Zugfolgen stellen in Zweifel, ob dies noch zeitgemäß ist. Deshalb fordern wir als FDP die Überprüfung
des Schienenbonus.
({2})
Generell brauchen wir mehr Sensibilität für den vorbeugenden Lärmschutz an Neubaustrecken. Wenn die
Bahn zum Beispiel eine neue transeuropäische Güterbahnstrecke am Rhein quer durch die Stadt Offenburg
plant, statt sie um die Stadt herum oder durch einen Tunnel zu führen, dann provozieren Bahn und Planungsbehörden sehenden Auges massive Lärmbelästigungen, die
vermeidbar wären.
({3})
An bestehenden Schienenwegen besteht ein besonders hoher Bedarf an Lärmsanierung. Dabei könnten wir
heute mit dem Einsatz moderner Technik einen erheblichen Beitrag zur Lärmminderung leisten. Beispielsweise
kann durch den Einsatz moderner Kunststoffbremsen
eine Lärmreduzierung von 15 dB erreicht werden.
Weitere Maßnahmen wie Radschallabsorber, dämpfende Federungen oder auch leisere Loks und Drehgestelle könnten helfen, den Lärm zu mindern. Andere
Länder wie Österreich und die Schweiz zeigen, dass das
möglich ist.
({4})
Fest steht: Die Haushaltsmittel zur Lärmsanierung
sind begrenzt. Das freiwillige Lärmsanierungsprogramm
für den Bau von Schallschutzwänden, den Einbau von
Schallschutzfenstern und die Gleispflege reicht bei weitem nicht aus, um den bestehenden Lärmsanierungsbedarf zu decken. Bei den heutigen Haushaltsansätzen dauert die Sanierung etwa drei Jahrzehnte. Deshalb müssen
wir uns stärker dem aktiven, vorbeugenden Schallschutz an der Quelle zuwenden.
({5})
Die FDP fordert, dass das Schienenlärmsanierungsprogramm für die Umrüstung von Schienenfahrzeugen
geöffnet wird.
({6})
Auch technische Maßnahmen zur Lärmreduzierung an
der Quelle, wie zum Beispiel der Einbau einer Kunststoffbremse, sollten künftig aus den Mitteln dieses Programmes finanziert werden können. Das wäre ein wirksamerer flächendeckender Lärmschutz für die Betroffenen,
als ausschließlich in Lärmschutzwände zu investieren.
({7})
Damit es keine Missverständnisse gibt: Schallschutzwände und Schallschutzfenster sind notwendig, aber nur
an den Brennpunkten.
Bei der ganzen Diskussion sollten wir nicht vergessen, dass wir es im Güterverkehr nicht nur mit der Deutschen Bahn, sondern auch mit vielen privaten Betreibern
und ausländischen Bahnen zu tun haben. Deshalb reicht
etwa ein Förderprogramm für die Deutsche Bahn nicht
aus. Vielmehr brauchen wir marktwirtschaftliche
Anreize dafür, dass alle Bahngesellschaften, alle diejenigen, die auf dem deutschen Schienennetz Waggons betreiben, einen Anreiz haben, Lärmschutzmaßnahmen
durchzuführen. Hier sind unsere Nachbarländer weiter
als Deutschland; denn in der Schweiz gibt es marktwirtschaftliche Anreize zur Durchführung von Lärmschutzmaßnahmen durch ein lärmabhängiges Trassenpreissystem. Auch die Niederlande und Österreich arbeiten an
der Vorbereitung eines solchen Systems. Nur in
Deutschland, wo wir das theoretisch bzw. eisenbahnrechtlich schon könnten, blockiert die Deutsche Bahn
Netz AG jede Einführung lärmabhängiger Trassenpreise
oder anderer umweltbezogener Differenzierungen.
({8})
Die Bundesregierung als Eigentümer schaut zu. Deshalb
fordern wir die Bundesregierung auf, nicht weiter untätig zuzusehen, sondern marktwirtschaftliche Anreize im
Trassenpreissystem dadurch verpflichtend zu machen,
dass sie die entsprechende Verordnung ändert.
Frei nach dem Werbespruch der Bahn: „Die Bahn
kommt“ - aber zu laut - muss sich auf der Schiene noch
einiges bewegen. Wir als FDP-Bundestagsfraktion haben mit unserem Antrag konkrete Vorschläge auf den
Tisch gelegt: die Öffnung des Lärmschutzprogramms für
den aktiven Schallschutz und lärmdifferenzierte Trassenpreise als marktwirtschaftlichen Anreiz.
Wir laden Sie als Koalition ein, sich mit diesen Vorschlägen auseinander zu setzen und sich ernsthaft Gedanken darüber zu machen, wie der Lärm auf den Schienen Deutschlands verringert werden kann. Denn so
weiterzumachen wie bisher, bedeutet, dass ein umweltfreundlicher Verkehrsträger, zumindest was den Klimaschutz angeht, dadurch diskreditiert wird, dass er in einem anderen Bereich, nämlich bei den Lärmemissionen,
anderen Verkehrsträgern hinterherhinkt.
({9})
Das Wort hat nun der Kollege Enak Ferlemann für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lärmsanierung an Schienenwegen des Bundes ist ein wichtiges
Thema. Ähnlich wie im Straßenbau stellt sich dieses
Problem bei den Schienenverkehrswegen. Es gibt wohl
kein Mitglied im Verkehrsausschuss, das Folgendes
nicht bejahen würde:
Erstens. Verkehrslärm ist ein zentrales Problem mit
vielen Folgewirkungen für die Betroffenen.
Zweitens. Wir würden uns ein schnelleres Vorankommen bei der Lärmsanierung an Schienenwegen wünschen.
Drittens. Die vorhandenen technischen Möglichkeiten
sollten besser genutzt werden.
Viertens. Die EU sollte - bei allem Respekt für die
europäische Richtlinienpolitik - ihre beihilferechtlichen
Vorgaben überdenken.
Ich denke, wir sind uns da sehr einig. Ich begrüße es,
dass zwei Oppositionsfraktionen unterschiedliche Anträge zum gleichen Thema gestellt haben. Meine Fraktion ist sich mit Ihnen einig, dass wir uns um dieses
Thema kümmern müssen. Ich glaube, es gibt gute Chancen, dass wir bei diesem Thema zu einer Lösung kommen.
({0})
Die große Koalition hat deutlich gemacht, wie wichtig ihr dieses Thema ist: Wir haben beschlossen, dass die
Mittel dafür im Haushalt für dieses Jahr erheblich - immerhin von 50 Millionen Euro auf 75 Millionen Euro aufgestockt werden. Damit wollen wir ein deutliches
Zeichen setzen, dass wir in diesem Felde mehr tun wollen. Bei der vorliegenden Haushaltssituation ist das kein
schlechtes Zeichen im Hinblick auf die Lärmsanierung
an bestehenden Schienenwegen. Es geht hier nicht um
die neuen Schienenwege; denn beim Bau neuer Schienenwege wird der Lärmschutz heute stets berücksichtigt.
Es geht also um die bestehenden Strecken.
Ich halte nichts davon, dass wir ewig viel Geld in
Lärmschutzwände, Doppelglasfenster und viele andere
Dinge investieren. Eine Lärmsanierung ist nämlich wesentlich einfacher zu erreichen - das weiß jeder Fachmann -, indem man durch den Einsatz leiserer Fahrzeuge und Wagen den Lärm an der Quelle bekämpft.
({1})
Die Erkenntnis, dass wir den Lärm an der Quelle bekämpfen müssen, steht im klaren Widerspruch zu der
bisher vorgegebenen Politik.
Damit sind wir beim Thema der so genannten K-Sohle.
Natürlich ist es sinnvoll, in alle bestehenden Güterwaggons K-Sohlen einzubauen. Man muss jedoch wissen,
dass eine entsprechende Umrüstung eines Güterwaggons
etwa 4 000 Euro kostet. Da der Umbau nach den Beihilferichtlinien der EU nur zu 30 Prozent gefördert werden darf, muss ein Eisenbahnunternehmen 70 Prozent
selbst aufwenden.
Denken wir nur einmal an die Deutsche Bahn AG.
Derzeit befinden wir uns in den Verhandlungen über die
Frage der Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG.
Die Kapitalausstattung ist nicht so umfangreich, als dass
der Deutschen Bahn eine solche Investition leicht fallen
würde. Das gilt erst recht für andere Eisenbahnunternehmen.
Es muss also auf europäischer Ebene eine Regelung
zu der Frage gefunden werden, wie man mit diesem Problem umgehen will. Es gibt Signale, dass sich die Europäische Union hier öffnen will. Vorhin wurde gefragt,
wie man das finanzieren könne. Aus meiner Sicht ist das
relativ leicht zu machen. Wir haben ermittelt, dass innerhalb von zehn Jahren Kosten in Höhe von etwa
600 Millionen Euro entstehen, wenn wir alle bestehenden Fahrzeuge umrüsteten. Es gibt Berechnungen, dass
sich die Kosten für eine passive Lärmsanierung auf
800 Millionen Euro belaufen würden, die wir dann einsparen würden. Es ist also wirtschaftlich sogar von Vorteil, wenn wir den Lärm an der Quelle bekämpften. Das
Problem ist nur, dass wir nicht ausreichend Mittel haben.
Wenn wir die Lärmsanierung für so wichtig halten, dass
gehandelt werden muss, müssen wir eine Umfinanzierung im allgemeinen Eisenbahntopf vornehmen. Das
kann man machen. Ich denke, wir sollten uns im
Ausschuss in Ruhe darüber unterhalten. Die Überweisung an den Fachausschuss dient auch dazu, dass wir uns
darüber Gedanken machen können.
Ich finde es gut, dass die Grünen der Meinung sind,
das Ganze dürfe nicht nur auf die DB AG begrenzt werden, sondern müsse - das ist ein Unterschied zum FDPAntrag - für alle Eisenbahnunternehmen gelten. Das ist
übrigens ein wichtiges Kriterium für die Europäische
Union: Wir dürfen nicht selektieren; für alle muss die
gleiche Lösung gefunden werden. Insofern begrüße ich
sehr, dass der Antrag der Grünen alle Wettbewerber im
Schienennetz erfasst.
Die Problematik der beihilferechtlichen Beschränkungen betrifft natürlich alle Mitgliedstaaten. Wir können nur eine europaweite Lösung anstreben. Das geht
eben nur, wenn wir auf EU-Ebene eine Änderung der
beihilferechtlichen Vorschriften erreichen. So ergäbe
sich die Möglichkeit, in zehn Jahren mit diesem Thema
abzuschließen. Es macht wesentlich mehr Sinn, in ganz
Deutschland die Lärmbelästigung zu senken, als dies nur
an einzelnen bestehenden Strecken zu tun.
Verehrte Kollegen von den Grünen, weitere Studien
halte ich in diesem Zusammenhang allerdings für überflüssig. Das wäre hinausgeworfenes Geld; denn wir alle
kennen doch das Problem. Ich weiß nicht, warum in Ihrem Antrag weitere Studien gefordert werden. Ich
glaube, Studien führen uns nicht weiter. Wir müssen
vielmehr aus dem Haushalt heraus zu einer Finanzierung
kommen, und zwar ohne den Gesamtansatz zu erhöhen,
und das beihilferechtliche Problem mit der EU lösen.
Das Schweizer Modell - es wurde bereits erwähnt ist ein interessanter Ansatz: lärmbezogene Trassenpreise. Dieses Modell gibt es in Deutschland derzeit
noch nicht. Man muss sich gut überlegen, ob man in dieses Modell einsteigen will. Das kann man natürlich tun;
das hätte aber viele wettbewerbsrechtliche Konsequenzen. Wenn wir Wettbewerb auf der Schiene wollen - ab
dem 1. Januar 2007 gilt in Europa der freie Güterverkehr -,
dann müssen wir aufpassen, dass wir diesen Wettbewerb
nicht durch zu viele Regulierungen einschränken, zum
Beispiel indem wir nur wenigen Unternehmen die Möglichkeit geben, Güterfernverkehr wirtschaftlich zu betreiben, weil die Preise auf den einzelnen Trassen unterschiedlich sind. Die Idee ist vom Grundsatz her
sicherlich richtig. Es gilt aber abzuwägen, da es auf der
anderen Seite auch Probleme gibt.
Insofern freue ich mich auf eine fruchtbare Diskussion über dieses Thema im Ausschuss. Ich glaube, dass
wir noch darüber nachdenken müssen, wie wir der Europäischen Union deutlich machen können, dass der von
ihr bevorzugte Ansatz falsch ist. Deutschland kann sich
dieser europäischen Vorgabe aber nicht entziehen. Wir
brauchen eine gute Lösung, damit wir im Interesse der
Menschen in unserem Land zu einer Verbesserung kommen.
Danke schön.
({2})
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Lutz
Heilmann für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lärm ist für eine Vielzahl von physischen und psychischen Beeinträchtigungen verantwortlich. Lärm entwickelt sich mehr und mehr zu einer Geißel der Zivilisation. Der Kollege Kauch hat bereits darauf hingewiesen,
dass 20 Prozent der Bevölkerung von Schienenlärm betroffen sind. Ganz einfach gesagt: Schienenlärm beeinträchtigt die Lebensqualität der Menschen. Sie können,
um nur einiges zu nennen, nicht ruhig schlafen oder sich
nach getaner Arbeit nicht entsprechend erholen; die Kinder sind mangels gesunden Schlafes in ihrer Entwicklung gehemmt.
60 Prozent der Bevölkerung leiden heute unter Straßenlärm. Dieses Thema aber kehren Sie alle seit Jahren
leider unter den Teppich.
({0})
Und noch eines: Ein Drittel der Bevölkerung leidet unter
Fluglärm. In diesem Zusammenhang habe ich eine Frage
an die FDP - die CDU/CSU muss ich mittlerweile
gleichfalls ansprechen -: Können Sie mir sagen, warum
Sie beim Schienenlärm für aktiven Lärmschutz sind und
beim Fluglärm nicht? Sind die von Fluglärm betroffenen
Bürgerinnen und Bürger für Sie Bürger zweiter Klasse?
Ich sage Ihnen: Der beste und gleichzeitig billigste
Lärmschutz bei jeder Form von Lärm ist, diesen an der
Quelle zu bekämpfen, anstatt nur an den Symptomen herumzudoktern.
({1})
Bleiben wir beim Schienenlärm. Für mich hat die Umrüstung von Güterwagen auf die K-Sohle Vorrang vor
dem Bau von Schallschutzmauern. Dies hilft allen Betroffenen, unabhängig davon, ob ihre Trasse in das
Lärmsanierungsprogramm aufgenommen wurde oder
nicht.
So lässt sich mit vergleichsweise wenig Geld viel erreichen. Die Bahn spricht von Kosten in Höhe von etwa
550 Millionen Euro für alle Güterwagen, auch für die
der Konkurrenz. Das heißt, dass wir mit nur 50 Millionen Euro im Jahr in elf Jahren mehr für die Betroffenen
erreichen würden als mit dem bestehenden Lärmsanierungsprogramm in 30 Jahren. So lange dauert nämlich
- das wurde ebenfalls schon erwähnt - die Sanierung der
Schienentrassen, wenn, wie derzeit, jährlich 75 Millionen Euro zur Verfügung stehen.
Ich bin für eine Erhöhung der Summe um 25 Millionen Euro auf 100 Millionen Euro, damit die Sanierung
schneller vorangeht. Ich fordere, dass das Lärmsanierungsprogramm - diesbezüglich stimme ich den KolleLutz Heilmann
gen von der FDP zu - auch für die Umrüstung von Güterwagen geöffnet wird.
Der Schienenbonus ist für mich übrigens nicht die
entscheidende Frage. Weitere Untersuchungen sind zeitlich sehr aufwendig. Darauf können und dürfen wir im
Interesse der Betroffenen nicht warten.
({2})
Auch die Forderung nach einer verbindlichen Einführung lärmabhängiger Trassenpreise bringt den Betroffenen recht wenig. Lieber Kollege Kauch, Sie beantworten nicht die Frage, wie Sie das praktisch umsetzen
wollen. Sollen an allen Trassen Mautbrücken wie an den
Autobahnen installiert werden? Sollen alle Güterwagen,
auch die ausländischen, mit On Board Units ausgestattet
werden? Fragen über Fragen, die mich im Zusammenhang mit Ihrem Vorschlag beschäftigen!
({3})
Zum anderen hat die Diskussion über emissionsabhängige Trassenpreise in den letzten Jahren mehr
Schaden als Nutzen angerichtet, weil die Lärmsanierung
damit politisch ausgebremst wurde. Außerdem sollen
damit die Kosten für die Umrüstung der Wagen auf die
Unternehmen abgewälzt werden. Eine zusätzliche Belastung des Systems Schiene ist mit uns allerdings nicht zu
machen. Wir dürfen die Schiene im Wettbewerb mit
LKW und Luftverkehr nicht noch weiter benachteiligen.
Nur wenn wir in den Haushaltsberatungen eine Erhöhung der Mittel für das Lärmsanierungsprogramm beschließen und daraus den Einbau der K-Sohle fördern,
sind wir und Sie den Betroffenen gegenüber glaubwürdig. Nur dann können wir weiter über den Schienenbonus und emissionsabhängige Trassenpreise debattieren.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat nun der Kollege Heinz Paula für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie schon wiederholt angesprochen wurde, ist
Lärm zweifelsohne eines der größten unserer Umweltprobleme. Verkehrslärm hat daran einen ganz wesentlichen Anteil. Die Auswirkungen sind hierbei - im Gegensatz zu vielen anderen Umweltproblemen - direkt
spürbar, da zum Beispiel der Schlaf in der Nacht gestört
wird. Wir alle wissen: Lärm stresst, Lärm macht krankt.
Deswegen messen wir dem Lärmschutz eine ganz besondere Bedeutung bei.
Das gilt gerade für den Schienenverkehr. Wir kennen
die rechtliche Situation: Beim Neubau und beim Ausbau
bestehender Strecken gibt es entsprechende Vorgaben für
die Lärmvorsorge. Während allerdings beim Bau von
neuen und bei wesentlichen Änderungen bestehender
Schienenwege Anspruch auf Schallschutz besteht, gibt
es für Maßnahmen an vorhandenen Strecken keine rechtliche Grundlage, um die von Lärm betroffenen Bürgerinnen und Bürger zu schützen.
Trotzdem wurden von unserer Seite aus wichtige und
richtige Weichen gestellt. Das Sonderprogramm
Lärmschutz - es wurde bereits genannt -, welches unter
Gerhard Schröder aufgelegt wurde, hat wesentliche Erfolge gezeigt. Für dieses Programm wurden erstmals
1999 Bundesmittel in Höhe von 51 Millionen Euro jährlich eingestellt.
({0})
Nebenbei bemerkt war es schon immer die SPD-Bundestagsfraktion, die - gerade in den 90er-Jahren - in diesem
Bereich erhebliche Verbesserungen eingefordert hat.
Hier werden keine Probleme unter den Teppich gekehrt, sondern sie werden mit Augenmaß angepackt. Wir
wissen: Der Sanierungsbedarf ist sehr hoch. Versäumnisse der Vergangenheit lassen sich nicht innerhalb weniger Tage nachholen. Deswegen hat die Bundesregierung, hat die Koalition die Mittel deutlich aufgestockt.
({1})
Wir können uns sicher vorstellen, dass weitere Mittel erforderlich werden. Aber diese Aufstockung kann bereits
in vielen Bereichen zu deutlichen Verbesserungen führen.
Wir wissen: Der Gesamtinvestitionsbedarf liegt bei
über 2 Milliarden Euro. Mit dieser Aufstockung erreichen wir zumindest, dass der Zeitrahmen von über
42 Jahren, der ursprünglich angedacht war, deutlich, auf
28 Jahre, reduziert werden kann. Ich wünsche mir für die
zukünftigen Haushaltsberatungen, dass wir die Mittel
weiter aufstocken, sodass wir mehr investieren können
und mit diesem Programm schneller vorankommen.
({2})
Mit diesem Geld wurde von der Bahn in den letzten
sieben Jahren sehr viel Positives bewegt. Ich darf nur ein
paar Stichworte nennen - zu denen mir sicherlich der
eine oder andere gleich vorhalten wird, dass das bei weitem noch nicht ausreiche. Das wissen wir. Deswegen arbeiten wir intensiv weiter daran -: 243 Ortsdurchfahrten
wurden komplett saniert. 115 Kilometer Schallschutzwände entstanden. Über 27 000 Wohnungen erhielten
zusätzlichen Lärmschutz in Form von Schallschutzfenstern. Mehr als 1 000 Kilometer Schiene werden unter
Berücksichtigung des Prinzips „Besonders überwachtes
Gleis“ gepflegt, was ebenfalls zu einer deutlichen Reduzierung des Lärms beitragen kann.
Bei diesen Berechnungen spielt der so genannte
Schienenbonus eine Rolle - vorhin war schon einmal
kurz die Rede davon -, wonach gegenüber dem Straßenlärm ein Abschlag in Höhe von 5 Prozent vorgenommen
wird. Die Abschaffung des Schienenbonus wird in bei5270
den Anträgen gefordert. Wie Sie wissen, ist diese Bonusregelung auf Ergebnisse von Studien aus den 70er- und
80er-Jahren zurückzuführen. Sie wissen auch
({3})
- Kollege Friedrich, ich gebe Ihnen absolut Recht -, dass
momentan neue Studien angefertigt werden, auf deren
Ergebnisse wir sehr gespannt sind. Ob bzw. inwiefern
diese Ergebnisse zu einer neuen Beurteilung führen,
müssen wir abwarten. Dann wird mit Sicherheit entsprechend entschieden und gehandelt.
Die Lärmsanierung an bestehenden Schienen ist allerdings nur ein Teil der Lärmbekämpfung im Bereich des
Schienenverkehrs. Natürlich ist uns bekannt, dass ein erhebliches Potenzial zur Verminderung von Lärm im rollenden Material zu sehen ist. Sie haben beantragt, das
Lärmsanierungsprogramm zur Finanzierung technischer Verbesserungen wie der Umrüstung von Bremsen etc. zu öffnen. Allerdings - das wissen wir alle nur
zu genau - betrifft dieses Thema nicht nur unser Land.
Hier handelt es sich um Probleme, die auf europäischer
Ebene in Angriff genommen werden müssen. Sie alle
wissen, dass es aufgrund von EU-Richtlinien inzwischen
auch auf europäischer Ebene Emissionsgrenzwerte gibt.
Diese Grenzwerte werden mit Sicherheit zur Folge haben, dass kein neuer Wagen mehr gekauft wird, der nicht
über die berühmte K-Sohle verfügt. Ansonsten würden
die Grenzwerte nämlich schlicht und ergreifend nicht
eingehalten.
Der Einsatz neuer Wagen auf neuen Strecken kann
eine Lärmreduzierung um mehr als 15 Dezibel, das zeitnahe Schleifen der Schienen um 3 Dezibel bringen. Im
Netzzustandsbericht wird in Zukunft übrigens auch die
Riffelbildung von Bedeutung sein.
({4})
All diese Maßnahmen gehen auf Initiativen zurück, die
entweder von der Bundesregierung oder auf europäischer Ebene ergriffen wurden. Sie lassen zweifelsohne
positive Auswirkungen auf die Lärmminderung im Bereich des Eisenbahnsystems erwarten.
Obwohl weitere Maßnahmen zur Reduzierung des
Schienenlärms auf den Weg gebracht wurden, kann hier
noch das eine oder andere mehr getan werden. Auch auf
europäischer Ebene wurde eine Reihe von Initiativen ergriffen. All diese Maßnahmen gilt es nun auszugestalten,
übrigens auch die Forderung nach lärmbezogenen
Trassenpreisen. Es wurde schon angesprochen, dass die
lärmabhängigen Trassenpreise sicherlich einen möglichen Weg darstellen, um für die Betreiber marktwirtschaftliche Anreize zu schaffen - darauf kommt es uns
ganz wesentlich an -, die Waggons mit der K-Sohle
nachzurüsten oder andere Lärmminderungsmaßnahmen,
zum Beispiel den Einbau von Scheibenbremsen oder
Radschallabsorbern, durchzuführen.
Die Gestaltung der Trassenpreise - auch das ist uns
bekannt - obliegt nicht dem Bund und nicht diesem Hohen Hause, sondern dem Betreiber der Eisenbahninfrastruktur. Nach § 21 Abs. 2 der EisenbahninfrastrukturBenutzungsverordnung kann das Wegeentgelt einen Entgeltbestandteil umfassen, der den Kosten der umweltbezogenen Auswirkungen des Zugbetriebs Rechnung trägt.
Vor diesem Hintergrund wird derzeit ein Forschungsprogramm des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vorangetrieben, um die
Möglichkeiten der Einführung eines emissionsabhängigen Trassenpreissystems zu untersuchen. Sie sehen:
Auch an dieser Stelle wird gehandelt. Im Gegensatz zu
dem, was mein Vorredner gefordert hat, warten wir allerdings zunächst die Untersuchungsergebnisse ab, um
dann konsequent und zielgerichtet zu handeln.
({5})
Wir sind uns einig, dass Lärm vermieden bzw. reduziert werden muss. Viele Maßnahmen werden bereits
umgesetzt. Neue Erkenntnisse können und werden zu
neuen Maßnahmen führen.
Ich bedanke mich.
({6})
Das Wort hat nun der Kollege Winfried Hermann für
die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Am Ende dieser Debatte kann ich gewissermaßen für alle zusammenfassen: Es liegen zwei gute Anträge - von der FDP und von den Grünen - vor, die in
den Reden fast aller außerordentlich viel Zustimmung
gefunden haben. Darüber freuen wir uns. Das war also
ein guter Anstoß aus der Opposition heraus.
({0})
Alle Redner und Rednerinnen haben betont, dass wir
- ich sage bewusst: wir, die Politik - das Problem des
Schienenlärms im Vergleich zu anderen Lärmarten lange
Zeit vernachlässigt haben, vermutlich auch deswegen,
weil die Bahn ein Staatsbetrieb war. Das gilt übrigens
europaweit: Die Staaten tun sich schwer, bei sich selber
zu reduzieren. Das ist ein deutlicher Hinweis, dass wir
da mehr tun müssen, gerade wenn wir wollen, dass es
mehr Schienenverkehr gibt.
({1})
Die Probleme nehmen zu - Kollege Kauch hat es gesagt -: Überall dort, wo Neubaustrecken geplant sind,
bilden sich Anwohnerinitiativen gegen Schienenverkehr.
Das kann nicht in unserem Interesse liegen. Wenn wir
mehr Schienenverkehr wollen, müssen wir dafür sorgen,
dass dieser umwelt- und sozialverträglich ist.
({2})
Alle Rednerinnen und Redner haben betont, dass das
Lärmsanierungsprogramm ein guter Einstieg war.
Alle haben aber auch gesagt, dass es damit nicht getan
sein kann. Wir können nicht immer mehr Lärmschutzmauern in Deutschland bauen, wir können nicht immer
mehr Schallschutzfenster in die Häuser einbauen. Das ist
verdammt teuer und nicht besonders sinnvoll. Klüger ist
es, an die Quelle zu gehen, dort zu sanieren. Die Technologien dafür sind entwickelt. Alle haben sie beschrieben:
die K-Sohle. Ferner gibt es inzwischen Gestelle, die leise
und leicht sind und deswegen erheblich weniger Lärm
machen. Wenn wir alle technischen Möglichkeiten nutzen, können wir den Schienenverkehrslärm um bis zu
20 Dezibel reduzieren. Das ist sehr viel und würde den
Menschen weit mehr helfen als passive Lärmschutzmaßnahmen; diese bringen nämlich höchstens 10 Dezibel.
Wir haben hier also ein hohes Potenzial, das wir nutzen
sollten.
Ein Skandal ist allerdings, dass die Produzenten und
diejenigen, die Wagen kaufen, immer noch alte Technik
kaufen. Ich war auf der Innotrans.
({3})
- Ihr wart auch da. Dann ist euch vielleicht wie mir gesagt worden, dass immer noch zwei Drittel der neuen
Güterwaggons mit alter Technik verkauft werden. Zwei
Drittel! Das liegt daran, dass die einschlägige europäische Verordnung nichts taugt, oder sagen wir: zu wenig
taugt. Sie ist ausgerichtet auf den Hochgeschwindigkeitsverkehr. Den Lärm machen aber Güterwaggons, die
nur 100 oder 80 fahren. Sie sind von dieser Verordnung
überhaupt nicht erfasst. Deswegen tut sich da nichts. So
nimmt man beim Kauf neuen Wagenmaterials für die
nächsten 20, 30, 40 Jahre Schienenverkehrslärm in Kauf,
der nicht sein müsste. Das ist schlecht, da müssen wir
ran, da müssen wir was tun.
({4})
Unsere beiden Fraktionen schlagen vor, materielle Anreize zu schaffen. Kollege Heilmann, ich war, was die
geistige Flexibilität und die Nachvollziehbarkeit Ihrer
Ausführungen angeht, enttäuscht von Ihrer Rede: Sie sagten, dass man für die Trassen keine lärmbezogene Maut
erheben könne. Es ist doch ein Leichtes, so etwas zu tun!
Die wenige Meter vom Verkehrsministerium entfernte
Technische Universität Berlin hat ein lärmbezogenes
Trassenpreissystem für die Niederlande entwickelt, das
dort eingeführt wird. Der deutsche Verkehrsminister hat
davon nichts gemerkt und auch die PDS/Linkspartei
glaubt nicht, dass so etwas machbar ist. Dabei ist es ein
schneller und guter Weg für alle: für die europäischen
Konkurrenten der DB, für die DB und für die vielen Privatbahnen in Deutschland. Ein solches System gäbe den
Anreiz: Wer lärmarme Waggons fährt, zahlt zukünftig weniger - die anderen legen drauf. Wenn wir ein solches
System geschickt ausgestalten, können wir damit sogar
ein Umrüstungsprogramm finanzieren; über das, was reinkommt, können wir Gelder zur Verfügung stellen für diejenigen, die nachrüsten und umrüsten wollen.
({5})
Fazit: Wir müssen an die Quellen ran. Wir müssen ein
Umrüstprogramm auflegen und wir brauchen lärmabhängige Benutzungsgebühren. Das wird uns weiterbringen und dann kommen wir voran.
Wenn ich das richtig wahrgenommen habe, dann gibt
es in dieser Frage einen großen Konsens. Ich sehe vier
Fraktionen, die dabei mitmachen. Dann muss ja etwas
dabei herauskommen.
Danke.
({6})
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/675 und 16/2074 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit
sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 15:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Laurenz
Meyer ({1}), Thomas Bareiß, Veronika
Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Ludwig Stiegler, Dr. Rainer Wend,
Dr. Angelica Schwall-Düren, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD
Das Nationale Reformprogramm Deutsch-
land und die Lissabon-Strategie weiterfüh-
ren - Wirtschaftswachstum und Beschäfti-
gungspolitik zum Erfolg führen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Thea
Dückert, Matthias Berninger, Brigitte Pothmer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Mehr Ehrgeiz bei der Erreichung der Lissa-
bon-Ziele
- Drucksachen 16/2629, 16/2622, 16/2782 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Martin Zeil
Die Kolleginnen und Kollegen Alexander Dobrindt,
Doris Barnett, Martin Zeil, Alexander Ulrich und
Dr. Thea Dückert haben ihre Reden zu diesem Tagesord-
nungspunkt zu Protokoll gegeben.1) Damit erübrigt sich
eine Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie auf Drucksache 16/2782.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Druck-
1) Anlage 7
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
sache 16/2629 mit dem Titel „Das Nationale Reformprogramm Deutschland und die Lissabon-Strategie weiterführen - Wirtschaftswachstum und Beschäftigungspolitik
zum Erfolg führen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2622 mit
dem Titel „Mehr Ehrgeiz bei der Erreichung der LissabonZiele“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Die Linke und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen angenommen.
Damit kommen wir zum Tagesordnungspunkt 14:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({2})
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gregor
Gysi, Oskar Lafontaine, Werner Dreibus, Petra
Pau und der Fraktion der LINKEN
Gegen die Schließung von 45 Standorten bei
der Deutschen Telekom AG
- Drucksachen 16/845, 16/1797 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Waltraud Lehn
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk
Auch hier haben die vorgesehenen Rednerinnen und
Redner ihre Reden zu Protokoll gegeben. Es handelt sich
um die Kolleginnen und Kollegen Dr. Martina
Krogmann, Waltraud Lehn, Martin Zeil, Werner Dreibus
und Margareta Wolf.1)
Wir kommen damit zur Beschlussempfehlung des
Haushaltsausschusses auf Drucksache 16/1797 zu dem
Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Gegen die
Schließung von 45 Standorten bei der Deutschen Telekom
AG“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 16/845 abzulehnen. Wer stimmt für die Be-
schlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? -
Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen, der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b sowie
Zusatzpunkt 5 auf:
17 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD
Gefährliche Streumunition verbieten - Das
humanitäre Völkerrecht weiterentwickeln
- Drucksache 16/1995 -
1) Anlage 8
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Nachtwei, Alexander Bonde, Volker Beck ({3}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Zivilbevölkerung wirksamer schützen - Streumunition ächten
- Drucksache 16/2749 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({4})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian
Toncar, Harald Leibrecht, Burkhardt MüllerSönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Für die Ächtung von Landminen und Streumunition
- Drucksache 16/2780 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({5})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
Auch hier haben die Kollegen ihre Reden zu Proto-
koll gegeben. Es handelt sich um die Kollegen Hans
Raidel, Andreas Weigel, Florian Toncar, Paul Schäfer
und Winfried Nachtwei.2)
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
Drucksache 16/1995 mit dem Titel „Gefährliche Streu-
munition verbieten - Das humanitäre Völkerrecht wei-
terentwickeln“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer ist
dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der Fraktionen Die Linke und des Bündnisses 90/
Die Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenom-
men.
Tagesordnungspunkt 17 b. Interfraktionell wird vor-
geschlagen, den Antrag auf Drucksache 16/2749 zu
überweisen, zur federführenden Beratung an den Aus-
wärtigen Ausschuss und zur Mitberatung an den Rechts-
ausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technolo-
gie, den Verteidigungsausschuss, den Ausschuss für
Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, den Ausschuss
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
sowie an den Haushaltsausschuss. Gibt es anderweitige
Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen.
2) Anlage 9
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Zusatzpunkt 5. Wir kommen zur Abstimmung über den
Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/2780 mit
dem Titel „Für die Ächtung von Landminen und Streu-
munition“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag ab-
gelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und der
FDP-Fraktion.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Verbraucherinformationsgesetz nachbessern
und das Lebensmittel-Kontrollsystem neu ordnen
- Drucksache 16/2656 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({6})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Gesine Lötzsch,
Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der LINKEN
Bund-Länder-Staatsvertrag - Qualitätsmanagement Lebensmittelqualität
- Drucksache 16/2744 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({7})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Hier haben die Kolleginnen und Kollegen Julia
Klöckner, Elvira Drobinski-Weiß, Michael Goldmann,
Dr. Kirsten Tackmann und Ulrike Höfken ihre Reden zu
Protokoll gegeben.1)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/2656 und 16/2744 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und b auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Maßnahmen auf dem Gebiet der Unfallverhütung
im Straßenverkehr 2004 und 2005 ({8})
- Drucksache 16/2100 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({9})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
1) Anlage 10
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({10}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Aktionsprogramm für Straßenverkehrssicherheit: Halbierung der Zahl der Unfallopfer bis
Entschließung des Europäischen Parlaments
zu dem Europäischen Aktionsprogramm für
die Straßenverkehrssicherheit: Halbierung
der Zahl der Unfallopfer im Straßenverkehr
in der Europäischen Union bis 2010: eine gemeinsame Aufgabe ({11})
({12})
- Drucksachen 16/150 Nr. 1.69, 16/578 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Anton Hofreiter
Hier haben die Kolleginnen und Kollegen Gero
Storjohann, Heidi Wright, Patrick Döring, Dorothée
Menzner und Dr. Anton Hofreiter ihre Reden zu Proto-
koll gegeben.2)
Tagesordnungspunkt 19 a. Interfraktionell wird die
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/2100 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 19 b. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf
Drucksache 16/578 zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung über die Entschließung des Europäischen
Parlaments zu dem Europäischen Aktionsprogramm für
die Straßenverkehrssicherheit. Der Ausschuss empfiehlt,
in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Kersten
Naumann, Dr. Martina Bunge, Dr. Gesine
Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der LINKEN
Aufbewahrungsfrist der Lohnunterlagen von
DDR-Betrieben bis 31. Dezember 2012 verlängern
- Drucksache 16/2746 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({13})
Rechtsausschuss
Hier haben die Kolleginnen und Kollegen Maria
Michalk, Silvia Schmidt, Heinz-Peter Haustein, Kersten
Naumann und Markus Kurth ihre Reden zu Protokoll ge-
geben.3)
2) Anlage 11
3) Anlage 12
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/2746 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Jahressteuergesetzes
2007 ({14})
- Drucksache 16/2712 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({15})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Die Kolleginnen und Kollegen Klaus-Peter Flosbach,
Gabriele Frechen, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Barbara
Höll, Christine Scheel und die Parlamentarische Staats-
sekretärin Dr. Barbara Hendricks haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben. 1)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/2712 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({16})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Heike
Hänsel, Hans-Kurt Hill, Monika Knoche, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der LIN-
KEN
Keine Weltbankkredite für Atomtechnologie
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ute Koczy,
Thilo Hoppe, Dr. Uschi Eid, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Eine Weltbank-Energiepolitik der Zukunft -
Ja zu mehr Effizienz und erneuerbaren
Energien, Nein zur Atomkraft
- Drucksachen 16/1961, 16/1978, 16/2762 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Georg Nüßlein
Gabriele Groneberg
Dr. Karl Addicks
Heike Hänsel
Ute Koczy
Auch hierzu haben die Rednerinnen und Redner ihre
Reden zu Protokoll gegeben. Es sind die Kollegen
Dr. Georg Nüßlein, Gabriele Groneberg, Dr. Karl
Addicks, Heike Hänsel und Ute Koczy.2)
1) Anlage 13
2) Anlage 14
Damit kommen wir zur Beschlussempfehlung des
Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung auf Drucksache 16/2762. Der Ausschuss
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die
Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/1961 mit dem Titel „Keine Weltbankkredite für Atomtechnologie“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist diese Beschlussempfehlung angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und
Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1978
mit dem Titel „Eine Weltbank-Energiepolitik der Zukunft - Ja zu mehr Effizienz und erneuerbaren Energien,
Nein zur Atomkraft“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Dann ist diese Beschlussempfehlung angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der
Europäischen Gesellschaft und zur Änderung
weiterer steuerrechtlicher Vorschriften
({17})
- Drucksache 16/2710 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({18})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Die Kolleginnen und Kollegen Peter Rzepka, Lothar
Binding, Dr. Volker Wissing, Dr. Axel Troost und
Dr. Gerhard Schick haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben.3)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/2710 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Silke
Stokar von Neuforn und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Informationspflicht für Unternehmen bei
Datenschutzpannen einführen
- Drucksache 16/1887 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({19})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Kultur und Medien
3) Anlage 15
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Auch hierzu haben die Rednerinnen und Redner ihre
Reden zu Protokoll gegeben. Es handelt sich um die
Kollegen Beatrix Philipp, Dr. Michael Bürsch, Gisela
Piltz, Jan Korte und Silke Stokar von Neuforn.1)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/1887 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 25:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Biokraftstoffquote durch Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes
und zur Änderung energie- und stromsteuerrechtlicher Vorschriften ({20})
- Drucksache 16/2709 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({21})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Die Kolleginnen und Kollegen Norbert Schindler,
Reinhard Schultz, Marko Mühlstein, Dr. Hermann Otto
Solms, Hans-Kurt Hill und Dr. Reinhard Loske haben
die Reden zu Protokoll gegeben.2)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/2709 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Nun kommen wir zum Tagesordnungspunkt 27 sowie
zu den Zusatzpunkten 6 bis 8:
27 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch
und anderer Gesetze
- Drucksachen 16/2711, 16/2753 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({22})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Brigitte Pothmer, Irmingard Schewe-
Gerigk, Elisabeth Scharfenberg und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Die Eingliederungshilfe für Menschen mit
Behinderungen weiterentwickeln - Das Brut-
toprinzip in der Sozialhilfe beibehalten und
1) Anlage 16
2) Anlage 17
Leistungen aus einer Hand für Menschen mit
Behinderungen ermöglichen
- Drucksache 16/2751 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({23})
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck
({24}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Das Existenzminimum sichern - Sozialhilferegelsätze neu berechnen und Sofortmaßnahmen für Kinder und Jugendliche einleiten
- Drucksache 16/2750 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({25})
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Ernst, Katja Kipping, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Für ein menschenwürdiges Existenzminimum
- Drucksache 16/2743 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({26})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wir haben jetzt das Vergnügen, eine halbe Stunde
Aussprache zu genießen. Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Franz Thönnes.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Die Sozialhilfe ist eine unverzichtbare Säule des Sozialstaates in Deutschland. Um diesem Verfassungsauftrag
gerecht zu werden, werden im Rahmen der Sozialhilfe
den Hilfebedürftigen die erforderlichen Mittel zur Abdeckung eines soziokulturellen Existenzminimums zur
Verfügung gestellt.
Die Basis dafür ist verlässlich, einheitlich und auch
gerecht zu gestalten. Nach diesen Prinzipien sind wir bei
der Behandlung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Jahres 2003 vorgegangen. Dabei handelt es
sich um eine amtliche Statistik, die im Wesentlichen die
Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie das
Verbrauchsverhalten privater Haushalte in Deutschland
feststellt. Das ist die Basis, auf der wir die Regelsätze
neu bemessen haben.
Es ist gut, dass 16 Jahre nach der deutschen Einheit
entschieden wurde, eine Grundlage für einheitliche Regelsätze in Ost- und Westdeutschland zu schaffen,
sodass sich in Zukunft ein einheitlicher Sozialhilfesatz
in der Größenordnung von 345 Euro ergibt. Wir haben
damit das nachvollzogen, was wir im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch praktiziert haben. Wir sind damit im
Kern einer Empfehlung des Ombudsrates für das SGB II
gefolgt und haben vor dem Hintergrund der Lebensverhältnisse in Deutschland die Grundlage für eine gleiche
Praxis geschaffen. Die Bundesländer legen natürlich
weiterhin die Regelsätze fest. Sie sind wie in der Vergangenheit frei, regionale Unterschiede zu berücksichtigen
und so Spielräume zu nutzen, wenn es um die Festsetzung der Regelsätze geht. Nochmals: Es ist gut, 16 Jahre
nach der deutschen Einheit eine gesamtdeutsche Verbrauchsstruktur und einen einheitlichen Regelsatz festzulegen. Wir vollziehen die deutsche Einheit nun auch in
der Sozialhilfe nach, und das ist gut so.
({0})
Seit der letzten Sozialhilfereform am 1. Januar 2005
hat sich einiger Änderungsbedarf ergeben. Ich will auf
zwei, drei Punkte eingehen, die dabei eine Rolle spielen.
Im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt beläuft sich
der Absetzbetrag bei Erwerbstätigkeit derzeit auf
30 Prozent des erzielten Einkommens, ohne Obergrenze.
Dies führt bei hohen Hinzuverdiensten zu nicht zu rechtfertigenden hohen Absetzbeträgen. Um diesem Missstand zu begegnen, wird eine Kappungsgrenze in Höhe
des halben Regelsatzes eingeführt. Ich denke, das ist vertretbar; denn die Sozialhilfe ist eine solidarische Leistung aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
Im Rahmen der Eingliederungshilfe entsprechen wir
nun dem Grundsatz des Nachrangs und der Eigenverantwortlichkeit in der Sozialhilfe. Hiermit folgen wir einem
Votum der Länder, indem wir das Nettoprinzip einführen, wie es bereits im Pflegebereich geschehen ist. Dies
bedeutet, dass künftig die Leistungen, die der Berechtigte von Dritten erhält, bei den Kosten bzw. Aufwendungen, die zum Beispiel bei der Unterbringung in einem Heim anfallen, zu berücksichtigen sind. Der
verbleibende Teil wird dann vom Sozialhilfeträger im
Wege der Eingliederungshilfe erbracht. Damit bleibt es
im Kern dabei, dass der Betroffene wie bisher seine bedarfsdeckenden Leistungen erhält. Wir stellen zudem sicher, dass im Einzelfall wie bisher die erweiterte Hilfe
gewährt werden kann. In der einen oder anderen Einrichtung kann es zu Herausforderungen bei der Umstellung
kommen. Deswegen soll diese gesetzliche Regelung erst
zum 1. Januar 2008 Praxis werden.
Eine weitere Neuregelung ist für Ehepaare vorgesehen, bei denen ein Partner aufgrund von Behinderung
oder Pflegebedürftigkeit stationär betreut werden muss.
Bislang waren aufgrund einer komplexen und veralteten
Heranziehungsvorschrift beispielsweise diejenigen Ehepaare ganz besonders schlecht gestellt, bei denen das
Einkommen überwiegend von dem weiterhin zu Hause
lebenden Ehepartner erzielt wurde. Das wird nun geändert. Wir favorisieren nun eine Regelung, die alle Erwerbsbiografien von Ehepaaren gleichbehandelt und die
dem zu Hause gebliebenen Ehepartner genügend finanzielle Mittel lässt, damit er seinen Lebensunterhalt ohne
Sozialhilfe bestreiten kann. Es ist ehrenwert, diese Ziele
mit dem Änderungsgesetz zu erreichen.
({1})
Uns ist ebenfalls wichtig, dass klargestellt wird, dass
auch die Empfänger von Grundsicherungsleistungen im
Alter und bei Erwerbsminderung in diese Regelung einbezogen sind.
Über die Eckpunkte dieser Neuregelung gibt es erfreulicherweise Konsens zwischen dem Bund, allen
Bundesländern und den kommunalen Spitzenverbänden. Ich hoffe, dass dies auch bei der Umsetzung des
einheitlichen Sozialhilfesatzes in Deutschland der Fall
sein wird.
In diesem Sinne, glaube ich, wird die Sozialhilfe für
die Menschen zielorientiert weiterentwickelt und in Gesamtdeutschland einheitlich gestaltet. Sie wird damit einen Beitrag zu einer gerechten Verteilung der Sozialleistungen in diesem Land leisten.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat nun der Kollege Jörg Rohde für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die FDP unterstützt, wo immer möglich und sinnvoll,
die Maßnahmen zur Reduzierung öffentlicher Bürokratie. Dies gilt selbstverständlich auch für den Bereich der
Sozialgesetzgebung. Deshalb verweigern wir uns auch
nicht, wie die Kolleginnen und Kollegen des Bündnisses 90/Die Grünen, von vornherein kategorisch einer
Umgestaltung des bislang praktizierten Bruttoprinzips in
der Eingliederungshilfe. Vielmehr werden wir uns demnächst mit allen Verantwortlichen an einen Tisch setzen
({0})
und nach dem besten Weg suchen, der den Interessen der
Menschen mit Behinderung, der Einrichtungen und der
Sozialhilfeträger am besten Rechnung trägt.
Maßnahmen zur Verwaltungsvereinfachung dürfen
nicht ohne umfängliche Prüfung möglicher Konsequenzen zulasten Dritter durchgesetzt werden. Dies gilt insbesondere für die Einführung des Nettoprinzips in der
Eingliederungshilfe. Nicht ohne guten Grund treten bislang die Träger der Leistungen in Vorleistung. Dieses
Verfahren stellt sicher, dass notwendige Leistungen auch
bei offenen Fragen einer eventuellen Kostenbeteiligung
des Leistungsempfängers auf jeden Fall erbracht werden. Das Bruttoprinzip verhindert, dass noch ungeklärte
Kostenbeteiligungsfragen auf dem Rücken des Leistungsnehmers ausgetragen werden. Die Ausführung notwendiger Pflege-, Betreuungs- und Rehabilitationsmaßnahmen ist sichergestellt.
Selbstverständlich ist es zutreffend, dass die nachträgliche Einforderung von Kostenbeteiligung einen nicht zu
unterschätzenden bürokratischen Aufwand für die Träger der Sozialhilfe darstellen kann. Auch rechtssystematisch kann man eine Abschaffung des Bruttoprinzips in
Erwägung ziehen, wenngleich der Vorwurf verloren gehender Rechtssicherheit, den das Bündnis 90/Die Grünen erhebt, sicher über das Ziel hinausschießt. Aber eine
Übertragung der Bürokratie auf die die Leistung erbringende Einrichtung und den Leistungsempfänger muss
immer vor dem Hintergrund der Leistungsfähigkeit der
Empfänger und Erbringer der Leistung gesehen werden.
Viele Menschen mit einer Behinderung sind nicht in der
Lage, diese Angelegenheiten alleine für sich selbst zu regeln. Wenn Angehörige fehlen, die einspringen können,
kann es für den Leistungsempfänger schwierig werden.
Ich denke hier vor allem an Menschen mit einer geistigen Behinderung oder an ältere Menschen mit einem
Handicap. Viele von ihnen sind schon jetzt mit der
Durchsetzung ihrer Ansprüche überfordert.
({1})
Der Gesetzentwurf will diesem Problem mit der Möglichkeit begegnen, dass in begründeten Fällen weiterhin
die Vorleistungspflicht des Sozialhilfeträgers bestehen
bleibt. Diese Formulierung wird aber innerhalb des Gesetzestextes nicht weiter spezifiziert. Erst in der Gesetzesbegründung wird näher erläutert, wann dies der Fall
sein soll. Es sollte deshalb im Beratungsprozess der Vorschlag der Lebenshilfe aufgegriffen werden, ob nicht
eine Einfügung des entsprechenden Begründungsteils in
den Gesetzestext eine wünschenswerte Klarstellung leisten kann.
({2})
Am Ende einer Änderung des Bruttoprinzips darf kein
Ergebnis stehen, bei dem die Einrichtungen zur Kompensation neuer Bürokratiekosten den Leistungsumfang
gegenüber Menschen mit Behinderung kürzen oder notwendige Leistungen von den Betroffenen wegen eines
zu hohen bürokratischen Aufwands nicht oder nicht
mehr in vollem Umfang in Anspruch genommen werden. Hier macht die FDP nicht mit.
({3})
Ich komme zu den geplanten Änderungen bei den Regelsätzen. Die Regelsatzbemessung ist seit Jahren ein
hoch umstrittener und ideologisch aufgeladener Punkt.
Einige Verbände und Parteien fordern eine deutliche Erhöhung, andere eine Absenkung oder ein Festhalten am
bisherigen Satz. Die FDP will bei der Regelsatzbemessung vor allem für die Zukunft eine ehrliche und transparente Bemessung erreichen
({4})
und die Realitäten im Blick behalten. Mit der Anwendung der bisherigen Methodik der Regelsatzbemessung
wären die Regelsätze nach Angabe der Bundesregierung
ab 2007 abzusenken. Mit der neuen Regelsatzverordnung verändert man die Berechnungsmethodik aber so,
dass im Westen genau die gleiche Regelsatzhöhe wie
bisher herauskommt und in den neuen Bundesländern
die Regelsätze um 14 Euro erhöht werden können. Hier
wird offensichtlich mit einer politisch motivierten Regelsatzbemessung gearbeitet. So weit ist es schon gekommen.
({5})
An diesem Punkt sollte man das Votum der Bundesratsausschüsse ernst nehmen, die darauf verweisen, dass es
deutliche Unterschiede bei den Lebenshaltungskosten in
Deutschland gibt. Eine Abkoppelung von diesen Realitäten darf nicht stattfinden,
({6})
so sehr sie aus Gründen der politischen Korrektheit auch
erwünscht sein mag. Jedenfalls ist unter diesen Voraussetzungen die Forderung verfehlt, die Regelsätze auch
noch über die bisherigen 345 Euro hinweg anzuheben.
Das Einkommen der Vergleichsgruppe der Regelsatzbezieher ist in den letzten Jahren gesunken. Richtiger ist es
daher, den Ländern wie bisher die Möglichkeit zu geben,
die Regelsatzhöhe den regionalen Gegebenheiten anzupassen. Ein gleicher Regelsatz bei höchst unterschiedlichen Verbrauchskosten je Region stellt eine ungerechte
Gleichbehandlung dar. Viele Menschen werden damit
schlechter gestellt, als sie es verdienen.
({7})
Um solch eine politische Willkür in Zukunft zu vermeiden, sollte das Regelsatzfestlegungsverfahren mehr an
tatsächlichen Zahlen wie der Lohnentwicklung ausgerichtet werden und weniger an zufälligen Prozentwerten
bestimmter Verbrauchsstrukturen.
Ansonsten wird die Regelsatzfestlegung doch - wie
nun in diesem Verfahren der Regelsatzverordnungsänderung - zu etwas Willkürlichem, zu einer politischen
Farce. Die Festlegung der Regelsatzhöhe im Parlament
würde zu einer Politisierung der Regelsatzfestlegung
führen. Besser ist aber eine Depolitisierung der Regelsatzfestlegung.
({8})
Die Koppelung der Regelsatzanpassung an die Veränderung des Rentenwertes kann beibehalten werden, da
sie sinnvoll ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Weiß von der CDU/CSU-Fraktion?
Auch zu dieser späten Stunde, ja.
Herr Weiß, bitte.
Eigentlich wollte ich keine Zwischenfrage stellen, um
die Sitzung nicht unnötig zu verlängern. Herr Kollege
Rohde, wenn man sich zu den Regelsätzen aber so
Peter Weiß ({0})
äußert, wie Sie es in Ihrer Rede getan haben, dann muss
ich Sie einfach Folgendes fragen: Ist Ihnen bekannt, dass
man damals das Warenkorbprinzip abgeschafft hat? Ist
Ihnen bekannt, dass sich die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe - sie ist keine politische Größe schlichtweg am Verbrauchsverhalten derjenigen orientiert, die, was das Einkommen angeht, zu den unteren
20 Prozent in Deutschland gehören? Man wollte nämlich
eine unpolitische und nicht manipulierbare Größe zur
Festsetzung des Regelsatzes finden. Wollen Sie diese,
wie ich finde, sachlich-fachlich gute Regelung wirklich
infrage stellen und durch etwas anderes ersetzen?
Herr Kollege Weiß, Sie haben Recht, wenn Sie sagen,
dass es einen Warenkorb gibt, dessen Zusammensetzung
außerhalb des Parlaments festgelegt wird. Sie haben
auch Recht, wenn Sie sagen, dass es sich dabei um eine
gute Größe handelt. Nur verwundert es mich zutiefst,
dass die Berechnungsgrundlage im Vergleich zu 1998
und zu 2003 geändert wurde und dass im Westen am
Ende exakt derjenige Wert herauskam, der bis dahin gegolten hatte.
({0})
Bei der letzten Festlegung, 1998 - damals begann die
politische Debatte darüber -, wurde politisch ein Regelsatz festgelegt, der über den ermittelten Sätzen lag. Ich
wiederhole: Dieses Mal ist es exakt derjenige Betrag, der
bis dahin gegolten hatte, nämlich 345 Euro. Das verwundert mich und deswegen unterstelle ich ein wenig, dass
man an den Stellschrauben gedreht hat.
({1})
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Weiß?
Nein. Wir haben morgen um 8 Uhr eine Ausschusssitzung. Dann können wir darüber gemeinsam weiterdiskutieren.
Die Koppelung der Regelsatzanpassung an die -
Herr Kollege, Entschuldigung, dass ich Sie noch einmal unterbreche. Es gibt einen weiteren Wunsch nach einer Zwischenfrage, nämlich der Kollegin Kipping.
Na gut, ich kann mich ja gleich revanchieren.
Frau Kipping, bitte.
Lieber Kollege, können Sie sich vorstellen, den Kollegen Weiß darauf hinzuweisen, dass wir bei allen Erörterungen über Vorzüge und Nachteile von Warenkorb
und Statistikmodell jetzt in der schlimmen Situation
sind, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer
weiter auseinander geht und dass deswegen die alleinige
Orientierung am ärmsten Fünftel der Bevölkerung automatisch dazu führt, dass es eine Spirale nach unten gibt
und dass die Verarmung vorangetrieben wird?
Ich kann mich Ihrer Vorstellung nicht anschließen,
den Kollegen Weiß in dieser Richtung zu beraten.
({0})
Trotzdem bin ich über die Ergebnisse der Regelsatzbemessung verwundert. Ich bin auf die morgigen Beratungen im Ausschuss gespannt.
Da wohl kein weiterer Wunsch nach einer Zwischenfrage besteht, versuche ich jetzt, mit meinem Redetext
zum Ende zu kommen.
Im SGB XII werden Zuverdienst und Vermögen
stärker angerechnet als beim ALG II. Beispielsweise
bleiben beim Zuverdienst nur 30 Prozent anrechnungsfrei. Grund dafür ist nach Angabe der Bundesregierung,
dass Menschen mit SGB-XII-Bezug grundsätzlich stärker und dauerhafter auf die Unterstützung der Gemeinschaft angewiesen sind als erwerbsfähige Bezieher von
ALG II. Allerdings übersieht eine solche Argumentation, dass unter das SGB XII auch Menschen fallen, die
nur zeitweise völlig erwerbsgemindert sind. Zudem
übersieht eine solche Bestimmung, dass Menschen im
dauerhaften SGB-XII-Bezug in bestimmten Werkstätten
unter bestimmten Bedingungen Arbeiten verrichten können und dafür etwas Geld erhalten. Diese Motivation
sollte ihnen nicht genommen werden.
Das SGB-XII-Änderungsgesetz sollte hier verbesserte Zuverdienstmöglichkeiten schaffen. Zudem sollte
für den Fall nur zeitweiser vollständiger Erwerbsminderung darüber nachgedacht werden, die Vermögensanrechnung den Regeln des SGB XII anzugleichen.
Ich komme zum Schluss. Positiv wäre ebenfalls, die
von den Bundesratsausschüssen vorgeschlagene Pauschalierung von einmaligen Leistungen auch für Bezieher stationärer Leistungen umzusetzen. Dafür könnte die
Bemessungsgrundlage für den Barbetrag um 2 Prozentpunkte angehoben werden. Dies wäre ein sinnvoller Beitrag für die Entlastung von Verwaltungsaufwand und
würde zugleich den Betroffenen helfen, mit den finanziellen Belastungen besser zurechtzukommen, die für sie
durch die Gesetzesänderungen, etwa im Gesundheitswesen, in den letzten Jahren entstanden sind.
Vielen Dank.
({1})
Nun hat das Wort der Kollege Max Straubinger für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten heute den Entwurf zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze in erster Lesung. Das ist Ausdruck dessen, dass die große
Koalition nach 16 Jahren - der Parlamentarische Staatssekretär hat bereits darauf hingewiesen - in diesem Bereich endlich eine Angleichung vornimmt und keinen
Unterschied mehr zwischen Ost und West macht. Es ist
auch richtig, dass wir zukünftig einen einheitlichen Sozialhilfesatz von 345 Euro haben.
({0})
Wir werden damit unserer sozialpolitischen Verantwortung gerecht. Es ist ohne Zweifel richtig: Wir stehen
bei den Menschen, die in Not geraten sind und sich nicht
selbst helfen können, in der Pflicht, ihnen soziale Sicherheit und Unterstützung zu geben. Dem wird hier in richtiger Weise Rechnung getragen.
({1})
Wir nehmen eine großzügige Anpassung vor. Vorher
war bereits von der Einkommens- und Verbrauchsstatistik die Rede. Wir passen die Regelungen den neuen Gegebenheiten an und bestimmen die Parameter neu. Wenn
wir die alten zugrunde gelegt hätten, wäre es gegenüber
den geltenden Sätzen zu einer Absenkung gekommen.
Auch dies zeigt, dass CDU/CSU und SPD sowie die
Bundesregierung ihre sozialpolitische Verantwortung
wahrnehmen.
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sich hier
um eine staatliche Leistung handelt, die von den Steuerbürgern erwirtschaftet wird und auf die Menschen begrenzt werden muss, die tatsächlich in Not geraten sind
und sich nicht selbst helfen können.
Da es natürlich sehr viele Wünsche gibt, müssen wir
abwägen. Ich halte nichts davon, dass wir den Menschen
in Deutschland weit höhere Sätze versprechen, wie das
im Antrag der Linken vorgesehen ist. Mit 420 Euro fast
eine Rundumversorgung zu gewähren, ist meines Erachtens illusorisch;
({2})
die Heizkosten und die Unterkunftskosten kommen ja
noch hinzu. Das ist auch unter haushalterischen Gesichtspunkten nicht zu leisten.
({3})
- Wir machen auch keine niedrigeren Sätze; das ist überhaupt keine Frage. - Aber 420 Euro im Monat zu gewähren, ist eine utopische Vorstellung, die möglicherweise
nur in manchen Wahlkämpfen begründet ist.
Es ist sicherlich sachgerecht, bei der Anwendung der
Sätze die regionalen Gesichtspunkte zu berücksichtigen.
Bayern macht bisher als einziges Bundesland von dieser
Möglichkeit Gebrauch. Es ist eben ein Unterschied, ob
ich in München, Stuttgart oder Düsseldorf wohne
({4})
oder ob ich in Niederbayern oder an der polnischen
Grenze wohne; denn dort sind die Lebenshaltungskosten
etwas anders. Deshalb ist es meines Erachtens richtig,
dass Anpassungsmöglichkeiten gegeben sind.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kurth?
Ja.
Kollege Straubinger, Sie sprachen davon, dass die Lebenshaltungskosten in München höher sind als anderswo. Das ist zweifellos richtig. Ist es denn auch so,
dass in München ein höherer Regelsatz als 345 Euro gezahlt wird und von der Möglichkeit der regionalen Anpassung der Regelsätze nach oben Gebrauch gemacht
wird, oder ist es nicht vielmehr so, dass in der Regel nur
abgesenkt wird?
Es ist richtig, dass in Bayern der Regelsatz von
345 Euro in zehn Städten, in München, in Nürnberg und
weiteren Städten, eingehalten wird und dass in den
Landkreisen, also in den ländlichen Regionen, ein um
10 Euro geringerer Sozialhilfesatz zugrunde gelegt wird.
Das ist meines Erachtens durchaus sachgerecht und vertretbar. Ich kann nur feststellen, dass in Bayern die soziale Situation der Menschen, die dieser Hilfe bedürfen,
genauso gewährleistet ist wie in anderen Bundesländern.
({0})
Verehrte Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurf wird auch die EU-Richtlinie 2004/38/EG umgesetzt und nun entsprechend der Regelung des SGB II
nun auch im SGB XII ein Ausschluss von Leistungen für
Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem
Zweck der Arbeitssuche ergibt, sowie für deren Familienangehörige vorgesehen. Das ist sachgerecht, weil angesichts der begrenzten Finanzmittel auch darauf zu achten ist, dass Sozialtourismus kein Vorschub geleistet
wird.
Ich würde mir wünschen, dass auch die Vorschläge
des Bundesrates noch in den Gesetzentwurf einfließen.
Im Gesetzgebungsverfahren werden wir diese sicherlich
noch diskutieren. Meines Erachtens wäre es gerechtfertigt, diese mitaufzunehmen.
Lassen Sie mich zum Schluss auf einen der Hauptdiskussionspunkte der letzten Zeit eingehen, nämlich auf
das auch im Gesetzentwurf enthaltene Vorhaben, vom
bisher geltenden Bruttoprinzip auf das Nettoprinzip
umzustellen. Das Bruttoprinzip sorgt bisher dafür, dass
die Sozialhilfeträger die Hilfe zunächst auch insoweit
gewähren, als dem Leistungsberechtigten das Aufbringen
der Mittel aus Einkommen und Vermögen zuzumuten ist.
Beim Nettoprinzip erfolgt, vereinfacht gesagt, vonseiten
des Sozialhilfeträgers nur noch die Zahlung des entsprechenden, von ihm nach Prüfung zu zahlenden Anteils.
Das hätte zur Folge, dass die Einrichtungsträger künftig
nicht mehr ausschließlich mit dem Sozialhilfeträger abrechnen müssten, sondern beispielsweise auch direkt mit
dem Heimbewohner.
Was spricht für die Einführung eines so genannten
Nettoprinzips? Zunächst sicherlich, dass es dieses bereits im Bereich der Pflege gibt. Der Herr Staatssekretär
hat darauf hingewiesen. Auch ordnungspolitische Erwägungen sind nicht von der Hand zu weisen: Jeder Beteiligte soll sich um die eigenen Zahlungsströme kümmern
und die mit einseitigen staatlichen Vorleistungen verbundenen Rückholrisiken werden vermieden. Das scheint
im Hinblick auf das im Sozialhilferecht verankerte
Nachrangprinzip gerechtfertigt. Des Weiteren wird von
den Befürwortern des Nettoprinzips vorgebracht, dass
mit einer größeren Transparenz der Zahlungsströme
auch eine Stärkung der Eigenverantwortung und Selbstbestimmung - unter Zugrundelegung des Gedankens des
persönlichen Budgets - des behinderten Menschen bzw.
seiner Betreuungsperson einhergehe.
({1})
Auch verwaltungstechnische Erleichterungen auf staatlicher Seite sind nicht von der Hand zu weisen.
Andererseits, werte Kolleginnen und Kollegen, führt
die Einführung des Nettoprinzips zu mehr Verwaltungsund Kostenaufwand aufseiten der Einrichtungsträger.
({2})
Diese Frage muss natürlich auch ins Kalkül gezogen
werden. Die doppelte Abrechnung mit Heimbewohnern
und Sozialhilfeträgern wird womöglich zu einer längeren Bearbeitungsdauer führen, da ja vorgeschaltete Einkommens- bzw. Vermögensprüfungen durchzuführen
sind. Ob dagegen auf staatlicher Seite entsprechende
Kostenersparnis und weniger Bürokratieaufwand verzeichnet werden können, wird von den Kritikern bezweifelt. Diesen Punkt müssen wir noch sehr nachhaltig hinterfragen.
({3})
Es sind ja möglicherweise sehr viele Sozialhilfefälle betroffen. Bei diesen müsste dann eine Doppelprüfung
stattfinden, zum einen durch den Heimträger und zum
anderen durch die staatlichen Stellen. Die Frage, ob damit dann überhaupt etwas gewonnen wäre, muss in die
Überlegungen einbezogen werden.
Deshalb hat sich auch der Freistaat Bayern dieser Problematik angenommen und im Bundesrat einen entsprechenden Antrag zur Beibehaltung des Bruttoprinzips
eingebracht, der von vom Land Rheinland-Pfalz unterstützt wurde. Hier hatte man ebenfalls die Überlegung
angestellt, ob die geplante Umstellung praktikabel ist.
Ich glaube, dass wir aufgerufen sind, diese Frage in
den Beratungen sehr intensiv zu beleuchten und dann
entsprechend zu entscheiden. Ich bin davon überzeugt,
dass wir in den kommenden Wochen die Gelegenheit
nutzen werden, nicht nur mit den Einrichtungen zu sprechen, sondern uns darüber hinaus sehr intensiv auch mit
dieser Frage zu beschäftigen. Ich denke, in diesem Sinne
können wir die Beratungen aufnehmen.
({4})
Für mich ist das Entscheidende, dass die Menschen
mit Behinderung in Zukunft sicher sein können, die entsprechenden Leistungen zu bekommen, die es ihnen erlauben, ein möglichst gutes Leben zu führen. Wichtig ist,
dass ihnen hierzu von staatlicher Seite die entsprechende
Unterstützung gegeben wird.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat nun die Kollegin Katja Kipping von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Straubinger, wenn Sie ernsthaft 420 Euro im Monat als
Rundumversorgung bezeichnen, kann ich nur sagen: Sie
haben wohl noch nicht von 420 Euro im Monat leben
und damit auskommen müssen.
({0})
Die Höhe ist natürlich viel zu niedrig bemessen. Sie
wissen genau, dass wir uns, wenn wir von 420 Euro reden, auf solide Berechnungen vom Paritätischen Wohlfahrtsverband stützen. Bei 420 Euro geht es noch nicht
um ein Leben in Wohlstand, da geht es lediglich darum,
dass das Existenzminimum abgesichert ist.
({1})
Das zweite Problem ist - das wissen Sie genauso gut
wie wir -, dass der Regelsatz in seiner weiteren Entwicklung an den Rentenwert gekoppelt ist. Der Rentenwert aber ist an die Lohnentwicklung gekoppelt. Da
frage ich Sie, meine Damen und Herren von SPD und
CDU/CSU, wer von Ihnen bereit wäre, 420 Euro darauf
zu verwetten, dass der Rentenwert in den nächsten Jahren steigen wird. Findet sich hier jemand im Raum, der
dazu bereit wäre? Nein, und ich glaube, Sie sind gut beraten, diese Wette nicht einzugehen.
Ein weiteres Problem ist, dass die Verbrauchsermittlung auf Daten aus dem Jahr 2003 basiert. 2003
gab es aber noch keine Mehrwertsteuererhöhung; 2003
gab es noch keine hohen Zuzahlungen und die Praxisgebühr. Das heißt, der Regelsatz basiert auf alten Zahlen.
Der Regelsatz bleibt die ganze Zeit über gleich niedrig,
die Kosten aber, die die Leute zu decken haben, wandern
munter nach oben.
Im Volksmund gibt es eine Skepsis gegenüber Statistiken. Bei der EVS, der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, zumindest bei der alten, ist diese
Skepsis mehr als berechtigt. So hatte man bei der Berechnung der Bedarfe einfach einmal mit dem Hinweis
darauf einen Abschlag vorgenommen, es könnten sich ja
unter den Verbrauchen des ärmsten Fünftels der Bevölkerung Pelze und Segelboote befinden. In was für einer
Traumwelt muss man leben, wenn man ernsthaft annimmt, dass das ärmste Fünftel der Gesellschaft Pelze
trägt und Segelyachten besitzt!
({2})
- Dieser eklatante Fehler ist jetzt behoben worden, das
stimmt.
({3})
- Natürlich muss man Ihre Fehler erwähnen, weil nur
das Hinweisen auf Fehler überhaupt dazu führt, dass Sachen nachgebessert werden. Wenn wir und die Wohlfahrtsverbände nicht immer darauf hingewiesen hätten,
wäre dieser Fehler von Ihnen bestimmt noch nicht behoben worden.
({4})
Ein weiteres Problem ist, dass beim Regelsatz immer
noch Abschläge angebracht werden und dann vor allem
in den Bereichen Bildungsmaterialien, Nachrichtenübermittlung und Verkehr. Dabei müssen gerade Erwerbslose
heutzutage agil, mobil und bestens informiert sein, um
sich auf die schwere Suche nach einem Arbeitsplatz machen zu können. Mit Ihren Abschlägen beeinträchtigen
Sie das enorm.
({5})
Lassen sie mich auf ein weiteres Problem hinweisen,
die Umstellung auf das Nettoprinzip bei Eingliederungshilfen. Das klingt erst einmal ganz technokratisch
und harmlos. Aber viele Wohlfahrtsverbände weisen
darauf hin, dass das zu einem enormen Problem werden
wird und dieses Vorhaben das Ziel, Menschen mit Behinderung bei der Suche nach Arbeit, bei der Eingliederung, schnellstmöglich Hilfe zukommen zu lassen, konterkariert.
Was sich hinter diesem technokratischen Begriff verbirgt, ist im Grunde nichts weiter, als dass Verwaltungsarbeit, die vorher von sachkundigen Sachbearbeitern geleistet wurde, jetzt outgesourct wird, wodurch Menschen
mit Beeinträchtigungen, also Menschen, die eh schon in
ihren Kapazitäten eingeschränkt sind, besonders betroffen werden.
Weitere Verschlechterungen gibt es bei Ausländerinnen und Ausländern. Die Einschränkung, die Sie hier
vornehmen, zeigt einmal mehr, wie doppelbödig Ihre
Europapolitik ist. Wenn es um die Liberalisierung der
Märkte geht, dann kennt die Freizügigkeit keine Grenzen. Aber wenn es um Menschen geht, dann wollen Sie
von Freizügigkeit nichts mehr wissen.
345 Euro soll der Regelsatz nun betragen. Damit wird
Armut nicht bekämpft; damit wird Armut zementiert.
({6})
Wäre es nach so manchem CDUler oder so manchem
Sachverständigen gegangen, würde der Regelsatz noch
niedriger ausfallen. Dass er bei 345 Euro bleibt, dazu haben auch die immer wieder kritischen Nachfragen vonseiten meiner Fraktion und der Druck von der Straße beigetragen.
Wir werden den hier vorliegenden Gesetzentwurf kritisch begleiten. Wir haben einen eigenen Antrag dazu
eingebracht. Denn uns ist bekannt: 7,5 Millionen Menschen in diesem Land sind angewiesen auf die Leistungen im Rahmen des SGB XII und des SGB II.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich komme zu meiner letzten Bemerkung.
Herr Straubinger und Herr Weiß, bei allen Erörterungen über statistische Effekte dürfen wir eines nicht aus
den Augen verlieren: Der Regelsatz, den wir hier festlegen, wirkt sich ganz konkret auf die Lebenssituation von
7,5 Millionen Menschen in diesem Lande aus.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Nun hat der Kollege Markus Kurth das Wort für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit dem nun vorgelegten Gesetzentwurf schlägt die
Bundesregierung eine Vielzahl von Änderungen im Sozialhilferecht vor. Nicht alle Änderungen sind schlecht.
Aber ich werde die Bundesregierung erst loben, wenn
wir über diesen Gesetzentwurf in zweiter und dritter Beratung zu einer hoffentlich christlicheren Zeit beraten.
({0})
Dann werden auch mehr Menschen zuhören können.
Ich möchte mich jetzt auf zwei Kritikpunkte konzentrieren. In einem von uns eingebrachten Antrag haben
wir die Kritik am Regelsatz wiederholt. Dieser Regelsatz
wird nicht hier im Hause beschlossen, sondern per
Rechtsverordnung zwischen Bund und Ländern. Wir
stellen gleichwohl nach wie vor Schwächen bei der Systematik des Regelsatzes fest. Wir bestehen darauf, dass
darüber hier diskutiert wird und dass diese Schwächen
beseitigt werden. Man sollte allerdings nicht vollmundig
versprechen, dass am Ende ein Betrag in Höhe von
420 Euro herauskommt.
Man sollte aber auf die Schwächen hinweisen, die in
der Bemessung des Regelsatzes liegen. Denn es ist keineswegs so, dass es sich hier um ein rein objektives Verfahren handelt. Der Kollege Weiß versuchte vorhin in
seiner Zwischenfrage an Herrn Rohde zu suggerieren,
dass mit der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ein
objektiver wissenschaftlicher Maßstab gegeben sei. Man
muss sehen, dass danach im Wesentlichen politisch begründete Abschläge bei den einzelnen Verbrauchspositionen vorgenommen werden. Einige hat Frau Kipping
genannt. Frau Kipping, man kann Ihren Antrag in vielen
Punkten kritisieren; aber an dieser Stelle haben Sie
Recht.
Ich möchte den Stromverbrauch als ein Beispiel nennen. Auf die Bezugsgröße, für die die 20 Prozent mit
dem geringsten Einkommen die Grundlage bilden, wird
ein Abschlag von 15 Prozent vorgenommen. Man kann
nicht nachvollziehen, wieso jemand, der langzeitarbeitslos ist - für diese Menschen ist der Regelsatz ebenfalls
relevant -, oder ein Sozialhilfeempfänger 15 Prozent
weniger Strom verbraucht. Weil sich diese Personen länger zu Hause aufhalten, könnte man annehmen, dass sie
mehr Strom verbrauchen. Hier muss politisch nachgesteuert werden. Wir müssen die Regelsatzberechnung,
die auch für steuerliche Freibeträge wichtig ist, auf eine
solide Grundlage stellen.
({1})
Meiner Auffassung nach brauchen wir dringend Öffnungsklauseln, wenn wir sehen, dass es in Härtefallbereichen Defizite gibt. Diese Fälle tauchen weniger im
Bereich der Sozialhilfe auf als im Bereich des
Arbeitslosengeldes II, und dort insbesondere im Bereich
der Kinder und Jugendlichen. Da gibt es Schwächen bei
der Versorgung mit Lernmitteln. Das ist ein Versäumnis
der Länder, wobei die Sozialhilfeträger und die SGB-IITräger keine Möglichkeit haben, korrigierend einzugreifen. Es soll zwar keine rechtlichen Verpflichtungen geben; aber zumindest die Möglichkeit sollte eröffnet werden, Schülerinnen und Schüler zum Beispiel mit
Schulbüchern zu versorgen. Darauf sollten wir achten.
Eine Reihe von Wohlfahrtsverbänden haben im Hinblick auf die Teilnahme an Schulspeisungen vorgeschlagen, den Betrag der häuslichen Ersparnis für die
Schulspeisung einzusetzen, es aber dem Sozialhilfeträger zumindest zu ermöglichen, den darüber hinaus gehenden Betrag zu erstatten, damit Kinder und Jugendliche in den Genuss des Essens in der Schule oder in der
Kindertagesstätte kommen.
({2})
Das Robert-Koch-Institut hat in einer viel beachteten
ersten großen Langzeitstudie zur Gesundheit von Kindern, die erst vor drei Tagen von der Staatssekretärin im
Bundesgesundheitsministerium vorgestellt wurde, festgestellt, dass bei 27 Prozent der Kinder aus sozial
schwachen Familien Fehlernährung vorliegt. Hierauf
muss mithilfe des Sozialhilferechtes reagiert werden.
({3})
Über das Bruttoprinzip werden wir sicherlich im
Rahmen des Ausschusses noch einmal diskutieren. Auch
dazu haben wir einen entsprechenden Antrag vorgelegt,
den ich nicht mehr in Gänze darstellen kann. Ich sage allerdings abschließend eines: Wir müssen sehr darauf
achten, dass wir nicht mithilfe des Sozialhilferechts
genau das, was wir im Sozialgesetzbuch IX, im Behindertenrecht, wollten, nämlich Hilfe aus einer Hand, konterkarieren. Hier muss man sehr aufpassen. Herr
Straubinger hat auf ein paar Schwachpunkte hingewiesen.
({4})
Ich hoffe, dass wir hier zu guten Korrekturen kommen.
Vielen Dank.
({5})
Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat nun das Wort
die Kollegin Gabriele Hiller-Ohm für die Fraktion der
SPD.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Sozialhilfe nach dem SGB XII ist das unterste soziale Netz. Natürlich sind 345 Euro im Monat - das ist
ganz klar, Frau Kollegin Kipping - nicht viel Geld, wenn
man damit haushalten muss. Das ist überhaupt keine
Frage. Sie haben aber vergessen, in Ihrer Rede darauf
hinzuweisen, dass die Menschen nicht allein von diesen
345 Euro im Monat leben müssen.
({0})
Zusätzlich werden natürlich von den Sozialhilfeträgern
die Heizkosten, die Miete und zusätzliche Bedarfe übernommen.
({1})
Es ist gut, dass wir die Sozialhilfe haben. Sie dient der
Sicherung der Existenz der Menschen in Deutschland.
Ich bin froh, dass es sie in Deutschland gibt. Wir werden
alles dafür tun, sie zu erhalten.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf und der parallel
laufenden Regelsatzanpassung passen wir den Regelsatz
der Sozialhilfe, also die Basisleistung zur Existenzsicherung, an die Ergebnisse der letzten Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe an. Die EVS hat ergeben: Ost
und West wachsen weiter zusammen. Das ist gut so.
Deshalb wird der Sozialhilferegelsatz künftig bundesweit einheitlich 345 Euro betragen. Das Gesetz beschränkt sich - wir haben es schon vom Staatssekretär
gehört - nicht nur auf diese Regelsatzanpassung, sondern beinhaltet weitere wichtige Änderungen.
Ich greife eine heraus: die Anrechnung des befristeten
Zuschlags beim Arbeitslosengeld II. Sie wird neu geregelt. Wenn also ein Partner Arbeitslosengeld II und der
andere Partner Leistungen nach dem SGB XII erhält,
wird der Zuschlag künftig nicht mehr gegengerechnet.
Für viele Sozialhilfe empfangende Menschen bedeutet
dies eine deutliche Besserstellung.
Die meisten Änderungen im Gesetz sind bei Betroffenen und Verbänden relativ unumstritten. Wir haben es
aber schon erlebt: Anders sieht es bei der beabsichtigten
Umstellung vom Brutto- auf das Nettoprinzip bei der
Eingliederungshilfe aus. Hierzu liegt uns ein Antrag der
Grünen vor, die einen Verzicht auf diese Umstellung fordern. Auch ich sehe hier noch Diskussionsbedarf. Wir
haben das in unserer Fraktion noch nicht ausdiskutiert.
Dazu wird eine Anhörung stattfinden. In dieser Anhörung wird es die Gelegenheit geben, zu prüfen, ob diese
Umstellung zumutbar ist oder ob sie möglicherweise negative Auswirkungen auf betroffene Menschen in den
Heimen haben wird.
Uns liegen auch zwei Anträge zu Einkommens- und
Verbrauchsstichproben von den Grünen und von der
Linksfraktion vor. Ich finde das schon spannend: Sie fordern eine deutliche Anhebung des Regelsatzes. Natürlich würde auch ich mich freuen, wenn wir das erreichen
würden. Die Antragsteller bleiben aber die Antwort
schuldig, wie das angesichts der finanziellen Lage der
Länder und Kommunen bezahlt werden soll und vor allen Dingen, wie wir hierfür eine Mehrheit im Bundesrat
erreichen können. So einfach kann Opposition sein.
({2})
Auch der Bundesrat hat sich in seiner Sitzung am
letzten Freitag mit dem Gesetzentwurf befasst. Ich finde
es ausgesprochen gut, dass die Angleichung der Sozialhilfe in Ost und West nicht mehr infrage gestellt wurde.
Das sah anfangs etwas anders aus: Einige Bundesländer
wollten offensichtlich hier im Vorwege das Rad zurückdrehen. Das ist jetzt aus der Welt.
Das zweite wichtige Signal, das der Bundesrat gegeben
hat: Sozialhilfe empfangende Menschen in Heimen sollen
endlich eine Entschädigung für den Wegfall der Weihnachtsbeihilfe erhalten. Der Bundesrat schlägt dazu eine
Anhebung des Barbetrages für Sozialhilfe empfangende
Heimbewohner von 26 auf 28 Prozent des Eckregelsatzes
vor. Es wäre schön, wenn es dazu käme. Allerdings werden von den Ländern Kompensationsforderungen gestellt, die derart hoch sind, dass sie in keinem Verhältnis
zu der angebotenen Anhebung des Barbetrages um
2 Prozentpunkte stehen.
Frau Kollegin, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Sie sind zwar am Ende Ihrer Redezeit; aber Kollegin Kipping möchte noch eine Zwischenfrage stellen.
Gestatten Sie sie noch?
({0})
Ich möchte jetzt gern zum Schluss kommen.
Die angebotene Heraufsetzung des Barbetrages um
2 Prozentpunkte würde die Länder etwa 30 Millionen
Euro kosten. Die als Gegenleistung verlangten Streichungs- und Kürzungsforderungen würden den Ländern
und Kommunen hingegen eine Entlastung von rund
200 Millionen Euro bringen. Hier gibt es also eine deutliche Schieflage zulasten der Sozialhilfebezieher. Dies
werden wir auf keinen Fall so mittragen. Die Länder betreiben hier ein falsches Spiel. Sie tun so, als wollten sie
die Lage der Sozialhilfebezieher in Heimen verbessern;
in Wirklichkeit wollen sie bei ihnen sparen. Das werden
wir nicht mitmachen.
Dies ist heute die erste Lesung. Es wird eine Anhörung geben. Wir werden Zeit haben, uns auszutauschen.
Ich freue mich darauf.
Als letzte Rednerin wünsche ich Ihnen einen schönen
Abend.
({0})
Ganz so weit sind wir noch nicht. Die Kollegin
Kipping hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet.
Ich möchte Ihnen hiermit nicht das Recht auf das
letzte Wort streitig machen. Sie haben zu Recht eingefordert, dass gesagt wird, wie die Umsetzung entsprechender Vorschläge finanziert werden soll. Ich möchte nur
darauf hinweisen, dass wir ein eigenes Steuerkonzept erarbeitet haben, das darauf abzielt, die Finanzierung unserer Vorhaben, etwa die Anhebung des Regelsatzes auf
420 Euro, zu gewährleisten. Das Konzept sieht verschiedene Einnahmen durch eine andere Einkommensteuer,
eine andere Vermögensteuer und eine Börsenumsatzsteuer vor, die für die Finanzierung so wichtiger Maßnahmen wie der Erhöhung der Regelsätze notwendig
sind.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Frau Kollegin, wollen Sie antworten?
({0})
Ja.
Bitte sehr.
Frau Kipping, wir werden über die Steuerpolitik sprechen. Die Unternehmensteuerreform liegt vor uns. In
diesem Zusammenhang werden wir über neue Formen
der Umverteilung sprechen. Hinsichtlich der Erbschaftund der Vermögensteuer sind wir im Moment nicht
handlungsfähig, da noch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aussteht. Wenn das Urteil gefallen ist,
werden wir darüber sprechen.
Frau Kipping, ich bin schon sehr erstaunt, für was alles Sie die Einnahmen aus einer Erbschaft- und Vermögensteuer verbrauchen wollen.
({0})
Das ist wirklich enorm! So hoch können die Steuersätze
gar nicht sein, als dass das Geld für alles, wofür Sie es
einsetzen wollen, reichen könnte. Die Rechnung können
Sie uns an anderer Stelle einmal aufmachen.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/2711, 16/2751, 16/2750 und
16/2743 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Zu dem Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf Drucksache 16/2711 liegt inzwischen
die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellung-
nahme des Bundesrates auf Drucksache 16/2753 vor, die
an dieselben Ausschüsse wie der Gesetzentwurf über-
wiesen werden soll. Sind Sie damit einverstanden? - Ich
sehe, das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas
Dörflinger, Thomas Bareiß, Antje Blumenthal,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Marlene
Rupprecht ({0}), Clemens Bollen,
Renate Gradistanac, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD
Öffentliche Verantwortung wahrnehmen Mit fairen Chancen Kinder stark machen
- Drucksache 16/2754 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Diana
Golze, Dr. Barbara Höll, Karin Binder, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Kinderzuschlag sozial gerecht gestalten - Kinderarmut wirksam bekämpfen
- Drucksache 16/2077 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2})
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Die Kolleginnen und Kollegen Thomas Dörflinger,
Marlene Rupprecht, Diana Golze, Ina Lenke und Ekin
Deligöz haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 16/2754 zu Tagesordnungspunkt 28 a zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und zur Mitberatung an den
Rechtsausschuss, den Ausschuss für Arbeit und Soziales, den Ausschuss für Gesundheit, den Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 16/2077 zu Tagesordnungspunkt 28 b soll an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist
nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 29. September 2006,
9 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen allen einen wunderschönen
Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.