Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/27/2006

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle herzlich. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2006. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht - es gibt offensichtlich dringenden Fragebedarf, schon bevor ich dem Staatssekretär das Wort erteilt habe; das wird ihn sicherlich zusätzlich motivieren - hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Ulrich Kasparick. Bitte schön.

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst herzlichen Dank, dass Sie mir gestatten, diesen Bericht vorzutragen. Üblicherweise macht das der Bundesminister selbst. Er ist aber bei der Trauerfeier für die Opfer des Transrapidunglücks. Wir bitten dafür um Verständnis. Das Kabinett hat heute den Bericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit zustimmend zur Kenntnis genommen. Er bezieht sich auf das Jahr 2005. Es handelt sich um den ersten Bericht der großen Koalition zu diesem wichtigen Thema. Wir haben uns darum bemüht, in dem Bericht keine Schönfärberei zu betreiben, sondern die Dinge beim Namen zu nennen. Im Bericht zum Stand der Deutschen Einheit finden Sie deshalb die beiden wichtigen Trends, die die Situation in den neuen Bundesländern kennzeichnen. Auf der einen Seite wurden in wichtigen Bereichen, zu denen ich gleich nähere Ausführungen machen werde, deutliche Fortschritte gemacht. Gleichzeitig gibt es auf dem Arbeitsmarkt nach wie vor erhebliche Probleme, insbesondere infolge des stärker werdenden demografischen Wandels. Die Darstellung der Trends finden Sie im Einzelnen in dem Bericht, der in drei Teile aufgegliedert ist. Wenn Sie sich mit den konkreten Programmen und Maßnahmen beschäftigen wollen, finden Sie Informationen dazu in der Mitte des Berichts. Die Statistik ist angehängt. Wichtig ist, dass wir die Entwicklung in den neuen Bundesländern realistisch betrachten. Es ist nämlich überhaupt nicht zielführend, sich hinsichtlich der gegenwärtigen Situation etwas vorzumachen. Dennoch ist es wichtig, sich die ermutigenden Trends anzuschauen. Lassen Sie mich in Teil eins meines Berichts ein paar Zahlen dazu anführen. Im Jahr 2005 haben wir insbesondere im verarbeitenden Gewerbe einen deutlichen Produktivitätszuwachs erreicht. Das durchschnittliche Wachstum lag bei 5 bis 6 Prozent; das ist gut. Wenn man die Zahlen für das erste Halbjahr 2006 betrachtet, stellt man fest, dass das Wachstum im verarbeitenden Gewerbe in den ersten sechs Monaten dieses Jahres sogar bei über 11 Prozent lag. Das ist ein wichtiger Impuls. Wenn man sich die Branchen im Einzelnen anschaut, ist festzustellen, dass das Wachstum in den Bereichen chemische Industrie, optische Industrie, Mikroelektronik und Ernährungsgüterwirtschaft deutlich gesteigert werden konnte. Auch im Logistikbereich kommen wir deutlich nach vorne. Denken Sie in diesem Zusammenhang nur an den Standort Halle/Leipzig, wo große Investitionen ins Haus stehen. Damit bin ich beim zweiten Stichwort: Ostdeutschland konnte mehr ausländische Investoren anwerben. Am Standort Dresden beispielsweise investiert ein großes amerikanisches Unternehmen, was den Standort weiter nach vorne bringen wird. Was die gesamtwirtschaftliche Produktivität anbetrifft, besteht immer noch ein großer Abstand zu den alten Bundesländern: Die Produktivität in Ostdeutschland erreicht etwa 80 Prozent des westdeutschen Durchschnitts. Wichtig ist mir der Hinweis auf die Exportquote. Wer in den Unternehmen in Ostdeutschland unterwegs ist, fragt die Unternehmer regelmäßig, wie sie im internationalen Geschäft aufgestellt sind. Die ostdeutschen Redetext Unternehmen haben ihre Exportquote verbessert; sie liegt mittlerweile bei etwa 30 Prozent. Allerdings haben auch die alten Länder deutlich aufgeholt. Ihre Exportquote liegt jetzt bei 44 Prozent. Das heißt, in diesem wichtigen Bereich ist der Abstand zwischen Ost und West stabil geblieben; er hat sich nicht verringert. In Teil zwei meines Berichts möchte ich die Herausforderungen kurz anführen. Sie bestehen in Ostdeutschland insbesondere auf dem Arbeitsmarkt. Wir haben dort knapp 1,6 Millionen Arbeitslose. Im Jahr 2005 war im Vergleich zum Vorjahr eine leichte Steigerung der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen. Bei den Männern stieg die Arbeitslosigkeit; bei den Frauen blieb die Quote nahezu stabil. Ein besonderer Problembereich sind junge Menschen bis 25 Jahre. Etwa 25 000 bzw. - in Prozenten ausgedrückt - 13,8 Prozent der jungen Menschen bis 25 befanden sind im Vergleich zum Jahr 2004 mehr in Arbeitslosigkeit. Das hat ein vielfältiges Bündel von Ursachen. Ich will schließlich auf eine besonders große Problematik hinweisen. In Ostdeutschland findet - das wissen die Fachleute unter Ihnen schon seit langem - bei vielen Entwicklungen sozusagen wie in einem Brennglas eine Vorwegnahme von Prozessen, die auch die alte Republik betreffen werden, statt. Der demografische Wandel ist ein Beispiel dafür. Er stellt in den neuen Bundesländern eine enorme Herausforderung dar, da er insbesondere im ländlichen Bereich zu erheblichen Problemen bei der öffentlichen Daseinsvorsorge führen wird. Wir rechnen - Sie kennen die Prognosen des BBR bis 2020 mit einem Bevölkerungsrückgang von etwa 7,7 Prozent. Das bedeutet: Der Prozess der Regionalisierung, den man schon jetzt beobachten kann, dass es in Ostdeutschland ebenso wie in Westdeutschland stärkere Zentren gibt und daneben sich eher schwächer entwickelnde Gebiete, wird sich verstärken und beschleunigen. Das Geburtendefizit in den neuen Bundesländern ist besonders dramatisch. Sie wissen, dass in der Zeit der Wende der Geburtenrückgang in den neuen Bundesländern stärker war als nach dem Dreißigjährigen Krieg. Dieser enorme Einbruch der Geburtenrate in den neuen Bundesländern wird sich auf die Folgejahre erheblich auswirken, beispielsweise auf die Zahl der Menschen, die der Produktion zur Verfügung stehen und am Arbeitsleben teilhaben können, bis hin zu der Frage, wie viel Steuereinnahmen überhaupt erzielt werden können. Die Herausforderungen, die ich Ihnen kurz skizziert habe, haben dazu geführt, dass wir uns auf sieben Handlungsfelder fokussieren wollen. Ich will sie kurz nennen; wir können sie dann im Rahmen Ihrer Fragen vertiefen. Wir wollen die Auslandsinvestitionen durch eine bessere Investorenwerbung verstärken. Wir wollen uns noch stärker als in der Vergangenheit auf den Mittelstand konzentrieren. Wir wollen die Existenzgründerförderung nach vorne bringen, weil wir schlicht zu wenige Unternehmer haben. Ganz besonders wichtig ist mir - das werden Sie verstehen -, dass wir bei dem Thema Forschung und Entwicklung vorankommen. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen sind noch zu wenig am Innovationsprozess beteiligt. Darauf wollen wir uns konzentrieren. Mein Haus hat jetzt mit einem zusätzlichen Angebot in diesem Bereich reagiert. Wir wollen uns um den Kommunikationsprozess zwischen kleinen und mittelständischen Unternehmen und den Hochschulen besonders kümmern. Wichtig ist, dass wir am zweiten Arbeitsmarkt - das betrifft die Bundesagentur für Arbeit - nach wie vor aktiv bleiben. Knapp 6 Milliarden Euro hat der Bund darin investiert. Wir geben erhebliche Summen dafür aus, merken aber, dass wir bei der Ausbildungsfähigkeit von jungen Menschen an Grenzen stoßen. Hier sind insbesondere die Länder gefragt. Sie müssen sich mit ihrer Schulpolitik besser aufstellen und die Verbindungen zu den Unternehmen verbessern. Das „Ausbildungsprogramm Ost“ wird fortgeführt. Wir wollen uns zusätzlich um die Menschen ab 55 kümmern und ihnen eine Perspektive geben. Die entsprechenden Programme sind in Vorbereitung. Ich komme zum Schluss meiner kurzen Einführung. Die Wahlergebnisse für die Landtage in den neuen Bundesländern zeigen, dass wir in Gesamtdeutschland ein Problem haben, das sich mit dem Stichwort „bürgerschaftliches Engagement“ beschreiben lässt. Wir werben deshalb sehr darum, mit allen demokratischen Kräften, mit allen gesellschaftlichen Gruppen, die uns helfen können, Rechtsradikalismus vor Ort zu bekämpfen, ein neues Bündnis zu schmieden. Wir werden uns in ganz naher Zukunft mit den Akteuren, die in dieser Szene zu Hause sind - angefangen bei den evangelischen und katholischen Akademien über die politischen Stiftungen bis hin zu den kommunalen Initiativen -, zusammensetzen, um zu überlegen, wie wir die Kräfte dort konzentrieren können. Denn wer die Wirtschaft nach vorne bringen will, muss Standorte vorweisen können, wo auch internationale Investoren das Gefühl haben, sie seien willkommen. Daran wollen wir gemeinsam arbeiten. Wie gesagt, dieses gesellschaftspolitische Thema hat nicht zuletzt auch Auswirkungen auf wirtschaftliche Kreisläufe. Der Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit lässt sich wie folgt zusammenfassen: Wir wollen Bewährtes fortsetzen und uns vor allem auf die Projekte konzentrieren, bei denen wir, wie wir glauben, nachsteuern müssen. Neben einer breit angelegten Förderung über die GA und die anderen bereitgestellten Mittel streben wir eine Konzentration auf Wachstumskerne an. Diese beiden großen politischen Maßnahmen stehen nebeneinander und sollen insbesondere dazu beitragen, dass sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt verbessert.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielen Dank. - Erste Nachfrage, Frau Kollegin Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, Sie haben völlig zu Recht gesagt, dass für Schönfärberei keinerlei Anlass besteht. 16 Jahre nach der deutschen Einheit klafft die Schere zwischen Ost und West nach wie vor weit auseinander. Neue Probleme sind entstanden. Ich will nach einem ganz konkreten Segment fragen: In vielen Diskussionen, die im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform geführt wurden, wurde darauf hingewiesen, dass insbesondere im Osten Deutschlands ein eklatanter Ärztemangel besteht. Teilweise hat jemand, der in Mecklenburg-Vorpommern einen Herzinfarkt erleidet, geringere Chancen, entsprechend behandelt zu werden, als jemand, der in einer Großstadt wie Berlin oder in anderen Ländern lebt. Die Ärzte, die in Ostdeutschland ihre Praxen aufgeben, finden kaum Nachfolger. Hat die Bundesregierung ein Programm entwickelt, um den Ärztemangel in Ostdeutschland zu beheben?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Frau Abgeordnete, gestatten Sie mir, zunächst auf Folgendes hinzuweisen: Wir sollten mit unserer Argumentation bei diesem hochsensiblen Thema vorsichtig sein. Öffentlich zu sagen, dass jemand, der in Mecklenburg-Vorpommern einen Herzinfarkt erleidet, schlechter versorgt würde als jemand, dem dies in Berlin widerfährt, halte ich für fahrlässig; ({0}) denn die Gesundheitsversorgung in Deutschland ist auch in der Fläche gut. Allerdings haben Sie dieses Problem zu Recht angesprochen. Der Ärztemangel stellt insbesondere im ländlichen Raum eine sehr große Herausforderung dar. Deswegen - das wissen Sie - führen wir seit längerem Gespräche sowohl mit den Krankenkassen als auch mit den zuständigen Ärzteverbänden. Es gibt für diese Herausforderung keine einfache Lösung. Mit einem Bundesprogramm - ich weiß nicht, was Sie sich darunter konkret vorstellen -, das auf Gehaltszuschüsse oder dergleichen hinauslaufen könnte, wäre es nicht getan. Wanderungsprozesse von Fachleuten sind in ganz Europa zu verzeichnen. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Allerdings lassen sich auf diese Entwicklungen keine einfachen Antworten finden. Der Bund wird mit den Ländern im Gespräch bleiben und alle Möglichkeiten, die ihm zur Verfügung stehen, nutzen, um seinen Beitrag zur Lösung dieses Problems zu leisten. Aber Sie sollten bei diesem Thema keine schnellen und einfachen Antworten erwarten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Fragestellung, Frau Wicklein, bitte.

Andrea Wicklein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003659, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin ausgeführt, wie wichtig Auslandsinvestitionen für Ostdeutschland sind. Meine Frage lautet: Wie ist die aktuelle Entwicklung einzuschätzen und welche Rolle spielt bei der Anwerbung ausländischer Investoren das IIC?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Frau Kollegin Wicklein, wir haben uns entschieden, die zwei Organisationen zur Anwerbung von Auslandsinvestitionen, die es in Deutschland gibt, zu einer schlagkräftigen Organisation zusammenzuführen. Weil wir uns auf dieses Themenfeld besonders fokussieren wollen, haben wir dafür mehr Geld zur Verfügung gestellt. Man muss sich deutlich vor Augen führen, dass Investorenanwerbung ein Thema ist, das den internationalen Wettbewerb betrifft. Deutschland insgesamt - nicht nur Ostdeutschland - steht mit Frankreich, Italien, England, Spanien und den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Wettbewerb um Auslandsinvestitionen. Hier müssen wir unsere Kräfte bündeln. Ich denke, dass die Entscheidung, beide Organisationen zusammenzuführen und ihre Mittelausstattung zu verbessern, die wir gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium getroffen haben, richtig ist. Insbesondere Auslandsinvestitionen helfen uns, in der international arbeitsteiligen Gesellschaft Arbeitsplätze zu schaffen, die möglichst wenig konjunkturabhängig sind. Wie Sie wissen, gibt es im Baugewerbe, das sehr stark von Konjunkturzyklen abhängig ist, ein besonderes Problem. Wir brauchen Hochtechnologiearbeitsplätze, beispielsweise in den Bereichen erneuerbare Energien, Energieeffizienz und neue Logistikkonzepte. Hierfür benötigen wir Auslandsinvestitionen. Dass dieser Weg erfolgreich ist, wird am Beispiel Thalheim in SachsenAnhalt deutlich, der mittlerweile der wichtigste Solarstandort in Deutschland ist. Hier zeigt sich, dass sich eine Konzentration lohnt; denn mittlerweile erfolgen internationale Investitionen an diesem Standort. Unsere Erwartung an die Zusammenführung beider Organisationen ist, dass wir dadurch noch besser aufgestellt sind.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Pieper. - Sie haben so früh mit meiner Großzügigkeit gar nicht gerechnet, wie mir scheint.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. Aber vielen Dank, Herr Präsident. Ich nehme Ihre Großzügigkeit sehr gerne an. Herr Staatssekretär, Sie haben zu Recht auf die Probleme mit dem Rechtsextremismus in Ostdeutschland hingewiesen und wir wissen, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen insbesondere für junge Menschen dort ein zentraler Punkt bleibt. Deshalb meine Frage: Wie steht die Bundesregierung zur Schaffung von Modellregionen für Deregulierung? Sie haben richtigerweise beschrieben, dass wir wegen des demografischen Wandels ganz andere Voraussetzungen in den neuen Ländern benötigen, dass wir mehr Flexibilität brauchen, wenn es um Arbeitsplätze oder Investitionen geht. Welche Chancen bestehen für Modellregionen für Deregulierung, durch die sich die neuen Länder zu Musterregionen für Deutschland entwickeln könnten?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Frau Abgeordnete, wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass Ostdeutschland in vielen Bereichen zum Vorbild geworden ist, zum Beispiel beim „Stadtumbau Ost“. Dieses Programm strahlt mittlerweile auf die alten Länder aus; wir haben es um einen „Stadtumbau West“ erweitert. Wir haben ferner die Beschleunigung der Verkehrswegebauplanung auf die alten Länder ausgeweitet, weil sie sich in Ostdeutschland bewährt hat. Wir werden durch den demografischen Wandel gezwungen werden, beispielsweise über neue Modelle der Finanzierung und der Darstellung des öffentlichen Nahverkehrs in ländlichen Regionen nachzudenken. Die Realität wird uns also zu Flexibilisierungen zwingen; sie wird uns zwingen, etwas Neues auszuprobieren. Ostdeutschland ist in diesem Sinne eine Werkstatt für neue Entwicklungen. Wir haben deswegen in unserem Hause angeregt - darin sind wir uns mit den Kollegen der anderen Ressorts einig -, neue Gespräche zwischen Ost und West ins Leben zu rufen über die Frage, wie sich strukturschwächere Regionen und strukturstärkere Regionen in Deutschland zueinander verhalten. Das ist ein gesamtdeutsches Thema. Insbesondere was die öffentliche Daseinsvorsorge angeht, werden wir zu ganz neuen, flexiblen Lösungen kommen müssen. Ich werbe immer dafür, einen neuen Dialog auch mit den nicht staatlichen Organisationen zu beginnen. Wir müssen vor Ort Kreativität organisieren, beispielsweise im Hinblick auf den öffentlichen Nahverkehr, aber auch im Hinblick auf andere Teile der Daseinsvorsorge. Wir werden auf einen solchen Dialog angewiesen sein, weil die Herausforderungen, die der demografische Wandel uns aufzwingt, so exorbitant sind, dass wir nicht am Status quo festhalten können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin über Wanderungsbewegungen gesprochen. Nun handelt es sich bei der Wanderung von Menschen zwischen Ost- und Westdeutschland nicht um Wanderungsbewegungen, wie wir sie in anderen europäischen Staaten haben. Vor allen Dingen junge, hoch qualifizierte Menschen verlassen die neuen Bundesländer, darunter sehr viele junge Frauen. Gibt es in der Bundesregierung Vorstellungen, hier ein Stück weit gegenzusteuern?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Ja. Aber auch hierauf gibt es keine einfache Antwort. Wenn Sie sich den internationalen Ausbildungsmarkt einmal anschauen, wenn Sie auf die Europakarte schauen oder, besser noch, auf die Weltkarte, dann sehen Sie, dass es Wanderungsbewegungen zwischen dünn besiedelten Regionen und Ballungsräumen gibt. Insbesondere die Hochqualifizierten gehen weg; sie sind die Mobilen. Die chinesischen Studenten, die in Deutschland studieren, haben einen weiten Weg auf sich genommen, ebenso die britischen Doktoranden, die sich am MaxPlanck-Institut in Leipzig ausbilden lassen. Das heißt, die Mobilität von hoch ausgebildeten Spezialisten ist weltweit extrem hoch. Insofern stellen die neuen Bundesländer keine Besonderheit dar. Ostdeutschland ist aber deswegen besonders betroffen, weil sich diese Abwanderungsbewegung noch dadurch verstärkt, dass aus den alten Ländern Menschen nach Ostdeutschland ziehen, die schon im Ruhestand sind. Dadurch verstärkt sich der demografische Wandel in den neuen Ländern. All diese Menschen haben Ansprüche an die Vorsorgesysteme, die unsere Gesellschaft zur Verfügung hält. Insofern stimme ich Ihnen zu: Die Herausforderung für die neuen Bundesländer ist extrem. Wenn Sie sich in der Fachhochschullandschaft auskennen, werden Sie wissen, dass beispielsweise die Fachhochschule Neubrandenburg fast ausschließlich für die alten Bundesländer ausbildet; denn die Absolventen gehen zu fast hundert Prozent in die alten Länder. Das kann man den jungen Menschen nicht verdenken; denn einer, der gut ausgebildet ist, sucht sich natürlich den Arbeitsplatz in Europa, mit dem er gut verdienen kann. Das ist ein europäischer Prozess. Antworten darauf zu finden, ist nicht einfach. Wir wollen diese Lern- und Erfahrungsjahre, die schon immer üblich waren; wir wollen, dass die jungen Leute international Erfahrungen sammeln. Wir müssen ihnen aber gemeinsam mit den Universitäten und Hochschulen sowie den Unternehmen entsprechende Angebote machen, damit sie zurückkehren und hier gute Arbeitsplätze finden. Mein Eindruck ist, dass insbesondere die skandinavischen Länder - denken Sie an Norwegen -, aber auch Großbritannien im Moment noch die attraktiveren Bedingungen für Rückkehrer haben. Auch hier befinden wir uns im Wettbewerb. Wir sind mit den Ländern diesbezüglich in einem sehr engen Gespräch, weil wir die Herausforderung sehen. Wir werden im internationalen Wettbewerb nämlich nur dann bestehen können, wenn es uns gelingt, diese gut ausgebildeten und qualifizierten Leute im Land zu halten. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Fragesteller, Herr Kollege Lämmel.

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, die Bundesregierung hat als Ergebnis der Herausforderungen sieben Handlungsfelder in diesem Bericht benannt. Eines davon ist das Thema Forschung und Entwicklung. Am Beispiel Sachsen kann man sehen, dass Forschung und Technologie Grundlage der wirtschaftlichen Entwicklung sind. Sie hatten gesagt, dass in Ihrem Hause das neue Programm „Wirtschaft trifft Wissenschaft“ aufgelegt werden soll. Ich stelle mir die Frage, ob es wirklich sinnvoll ist, dass sich sowohl das Bundesforschungsministerium - zum Beispiel mit dem Programm Inno-Regio oder der Innovationsinitiative „Unternehmen Region“ - als auch das Bundeswirtschaftsministerium - es hat Programme, mit denen ähnliche Ansätze verfolgt werden - mit diesen Dingen befassen. Bedeutet das nicht eine zu große Aufsplitterung der Programme? Auf der einen Seite wollen Sie konzentrieren, das heißt, die gesamte Landschaft übersichtlicher gestalten. Auf der anderen Seite versucht jetzt jedes Ministerium, etwas Neues zu kreieren. Ich frage Sie: Was soll wirklich Inhalt der Programme sein? Sehen Sie dort auch eine Zersplitterung der Kapazitäten?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Vielen Dank für die Frage, weil die Antwort zur Konkretisierung eines seit längerem im Parlament diskutierten Themas beitragen kann. Sie wissen, dass ich im Bundesforschungsministerium gearbeitet habe. Auch hinsichtlich der Programme in den neuen Ländern bin ich einigermaßen kundig. Bei dem Angebot des BMBF an den Fachhochschulen haben wir uns sehr auf die Projektförderung konzentriert. Auch das BMWi konzentriert sich auf die Projektförderung, weil es um das Thema Technologietransfer geht. Mit dem, was das BMVBS jetzt unter dem Programm „Wirtschaft trifft Wissenschaft“ vorschlägt, zielt es auf etwas anderes. Wir zielen nicht auf Projekte, sondern auf den Kommunikationsprozess. Wenn Sie sich beispielsweise mit den Direktoren der Fraunhofer-Institute in Sachsen, der Fachhochschulen oder der Institute, die auf der Blauen Liste stehen, unterhalten und darüber sprechen, wie deren Dialog mit den kleinen und mittelständischen Unternehmen der Region aussieht und was geschehen müsste, damit dieser Dialog verbessert wird, dann merken Sie, dass diese Einrichtungen den üblichen Instrumentenkasten zur Verfügung haben: Man begeht den Tag der offenen Tür, man betreibt Schülerlabore und man führt Tage und manchmal auch Wochen der Wissenschaft durch, mit denen man versucht, Dialogprozesse voranzubringen. Wenn Sie mit international erfahrenen Wissenschaftsförderern sprechen, dann erkennen Sie, dass es an der Schnittstelle der Kommunikation zwischen den Wissenschaftseinrichtungen und dem Umfeld der Wirtschaft neben dem üblicherweise zur Verfügung stehenden Instrumentenkasten sehr viele andere Möglichkeiten gibt. Wir wollen mit diesem relativ kleinen Wettbewerb - er ist mit etwa 20 Millionen Euro dotiert - helfen, dass in den Regionen neue Ideen für diesen Kommunikationsprozess entwickelt werden. Diese wollen wir einer Jury vorlegen. Die besonders Erfolgreichen bekommen eine Auszeichnung und auch finanzielle Unterstützung. Wir wollen, dass der Kommunikationsprozess zwischen den Wissenschaftseinrichtungen und den kleinen und mittelständischen Unternehmen besser wird; denn angesichts der Zahlen, die im Moment vorliegen, sind wir zum Handeln gezwungen. In den neuen Bundesländern kümmern sich inzwischen im Schnitt etwa 90 Prozent der KMU nicht um Innovation. Deswegen müssen wir hier die Mittel konzentrieren, aber in Ergänzung zu den anderen Förderprogrammen, nicht als Konkurrenz.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Fell.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Herr Staatssekretär, Sie haben als Antwort auf die Frage der Kollegin Wicklein schon den Hinweis auf die positiven Entwicklungen im Bereich der Branche erneuerbarer Energien gegeben. Ich teile Ihre Einschätzung, dass dies auch im Osten eine Erfolgsgeschichte ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang zwei Fragen stellen. Erste Frage: Liegt der Bundesregierung ein Überblick vor, wie stark sich dieser Beitrag auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Anwerbung von Investitionen auch aus dem Ausland im Vergleich zu anderen Branchen auswirkt? Daraus ließe sich im Umkehrschluss sagen, wie sich die Situation darstellte, wenn die Rahmenbedingungen, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, die Steuerbefreiung von Biokraftstoff oder die Stärkung der Forschungsförderung, nicht so wären, wie sie sind. Meine zweite Frage. Von der großen Koalition wurde die Besteuerung von reinen Biokraftstoffen beschlossen. Ich möchte Sie fragen, ob es schon einen Überblick darüber gibt, welche Investitionen, die geplant waren, nun nicht getätigt werden, mit entsprechender Auswirkung auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze.

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Vielen Dank für die Fragen. - Lassen Sie mich zunächst einmal zum Themenbereich erneuerbare Energien einige generelle Aussagen treffen. Die neuen Bundesländer können den Wettbewerb nur dann bestehen, wenn sie auf Markt- und Technologiefeldern tätig sind, die in den alten Bundesländern noch nicht so stark besetzt sind. Wir brauchen also Felder, auf denen wir uns im internationalen Wettbewerb neu aufstellen können. Deswegen ist alles, was mit Hochtechnologie und mit neuen Technologien zu tun hat, für Ostdeutschland interessant. Das ist der Grund, weshalb die Konzentration, beispielsweise am Standort Dresden im Bereich der Mikroelektronik und der Materialwissenschaften, vernünftig ist. Dieser Standort ist mittlerweile im Wettbewerb mit anderen europäischen Standorten die Nummer eins; das ist richtig und gut. Gleichzeitig setzen die Wirtschaftsförderer ihre Hoffnung auf die erneuerbaren Energien, etwa die Windenergie, die Photovoltaik und die Erdwärme, die mehr als nur hochinteressante Entwicklungen sind. Wenn wir in diesen Hochtechnologiebereichen nach vorne kommen, dann haben wir eine Chance, neue zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen. Schauen Sie sich Unternehmen wie Enercon in Magdeburg an. Anfang der 90er-Jahre hat es mit zwei Ingenieuren angefangen; inzwischen beschäftigt dieses Unternehmen allein am Standort Magdeburg 2 500 Mitarbeiter. Dies zeigt die enorme Dynamik. Schauen Sie sich den Standort Thalheim an. Anfangs wurden vor Ort Investitionen für etwa 150 Arbeitsplätze getätigt; mittlerweile arbeiten an diesem Standort 2 000 Menschen im Bereich der erneuerbaren Energien. Dort wurden zukunftsfähige Arbeitsplätze geschaffen; das Unternehmen ist international konkurrenzfähig. Unsere Hoffnung ist, dass sich diese Entwicklung fortsetzt. Wenn Sie in den neuen Bundesländern unterwegs sind - ich weiß, Sie sind dort sehr viel unterwegs -, sehen Sie, dass im Grunde genommen alle Wirtschaftsförderer - von den Landratsämtern bis hinein in die Wirtschaftsministerien der Länder - ihre Hoffnung auf die erneuerbaren Energien setzen, weil sie eine Chance für die Schaffung von zukunftsfähigen Arbeitsplätzen sein können. Im Moment ist das Thema Biomasse beim Treibstoff im Trend. Hier gibt es - das bezieht sich auf Ihre zweite Frage - in den neuen Bundesländern sehr große Potenziale, insbesondere aufgrund der Verknüpfung zwischen den Saatzüchtern, die die internationale Konkurrenzfähigkeit, beispielsweise an Standorten wie Gatersleben oder Quedlinburg, sicherstellen können, der Forschung und Entwicklung, beispielsweise in der angewandten Forschung am Institut für Energetik und Umwelt in Halle/Leipzig, und den Verfahren, die Choren und Shell in Sachsen vorantreiben. Nachdem wir die Quotenregelung und die leichte Besteuerung von biogenen Treibstoffen beschlossen hatten, war für mich interessant, zu sehen, dass gerade dann ein Unternehmen wie Nordzucker Investitionen getätigt hat. Die Zuckerproduzenten haben sich gesagt: Jetzt gehen wir auf den Markt, beispielsweise für Bioethanol, weil das Tor weit offen steht. Wir müssen so gewaltige Mengen auf den Spritmarkt bringen, dass sich das Investment lohnt. Ich kenne ebenso die Sorgen insbesondere der kleineren Ölmühlen, den Herstellern von Ölen. Hier haben wir zwei Absprachen getroffen. Die erste lautet: Selbstversorger in der Landwirtschaft, die diese Öle als Treibstoff einsetzen, werden weiterhin von der Steuer befreit. Die zweite ist: Neue innovative Entwicklungen wie die von Choren und auch die, die noch kommen werden, wollen wir auch künftig von der Steuer befreien. Angesichts der erzielten Gewinne von Biounternehmen an den Börsen haben wir eine Entscheidung mit Augenmaß getroffen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Claus.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, wann gedenkt die Bundesregierung ihrer Selbstverpflichtung im Koalitionsvertrag nachzukommen und Vorschläge für die verbesserte Bildung von Eigenkapital und die Zurverfügungstellung von Wagniskapital für mittelständische Unternehmen und Existenzgründerinnen und Existenzgründer zu unterbreiten? Ich darf daran erinnern: Die Selbstverpflichtung, bis Mitte 2006 entsprechende Vorschläge zu erarbeiten, ist die Bundesregierung unter der Überschrift „Aufbau Ost voranbringen“ eingegangen.

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Herr Abgeordneter Claus, Sie sind als Mitglied des Haushaltsausschusses an diesen Gesprächen unmittelbar beteiligt. Von daher wissen Sie, dass die Frage der Bereitstellung von Eigenkapital für kleine und mittelständische Unternehmen höchst komplex ist. Dieses Thema beschäftigt den Deutschen Bundestag seit der Wiedervereinigung. Ein Blick in die Protokolle zeigt, dass es kein Wirtschaftsministerium gegeben hat, das sich nicht insbesondere gegenüber dem Kreditgewerbe um diese Frage bemüht hat. Ich persönlich finde - es sei mir erlaubt, dies öffentlich festzustellen -, dass der Privatsektor im Finanzgewerbe in diesem Zusammenhang unzureichend aktiv ist. Wir wünschten uns, dass auch die Privatbanken ihrer Verantwortung bei der Finanzierung von innovativen mittelständischen Konzepten gerecht würden. ({0}) An dieser Stelle wird nach unserer Auffassung derzeit noch zu starke Zurückhaltung geübt. Auch darüber sind wir intensiv im Gespräch. Die bisherigen Vorschläge - insbesondere das Mittelstandsprogramm der Bundesregierung - zielen in die richtige Richtung, aber wie ich bereits deutlich gemacht habe, sind dabei enorme Herausforderungen zu bewältigen. Wir hoffen, dass wir im Gespräch mit den Banken - insbesondere mit der KfW, bei der der Bund direkte Einflussmöglichkeiten hat - zügig zu weiteren Schritten kommen. Mit besonderer Sorge erfüllt uns, dass die Bereitschaft von Finanzeinrichtungen, in Wagniskapital zu investieren, deshalb so gering ist, weil in den Banken selbst nicht mehr genügend Sachverstand zur Verfügung steht, um beispielsweise Patente beurteilen zu können. In diesem Punkt ist im Bankensektor selbst mehr Unterstützung notwendig, damit unsere Kreditinstitute die Kreditanträge besser beurteilen können. ({1}) - Da haben Sie Recht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das ist offenkundig. - Bevor die Kollegin Gleicke die nächste Frage stellt, möchte ich darauf aufmerksam machen, dass die noch angemeldeten Fragen in den verbleibenden neun Minuten nur dann abgewickelt werden können, wenn sowohl die Fragen als auch die Antworten etwas knapper ausfallen als bisher und nicht durch unnötigen Beifall Zeit in Anspruch genommen wird. ({0})

Iris Gleicke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000687, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Schönen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr Staatssekretär, im Solidarpakt II sind 156 Milliarden Euro Zuwendungen enthalten, die als Finanzhilfen des Bundes an die Länder zugesagt worden sind. Angesichts der Tatsache, dass die Abwanderung von jungen Menschen nur dadurch zu verhindern ist, dass Perspektiven in Ostdeutschland geschaffen werden, und der Zuzug junger Fachkräfte aus den anderen Teilen der BundesIris Gleicke republik Deutschland organisiert wird, möchte ich Sie erstens fragen: Wie bewerten Sie, dass manche Bundesländer wie Thüringen die zur Verfügung gestellten GAMittel nicht vollständig ausschöpfen? Zweitens. Mit welchen konkreten Maßnahmen soll Ostdeutschland in der Phase des Solidarpakts II bis 2019 noch geholfen werden?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube: Ich bin der Auffassung, dass wir diese Mittel, über die wir zurzeit mit den Ländern Gespräche führen, auf den Bereich Forschung und Entwicklung fokussieren sollten. Denn 15 Jahre deutsche Einheit sind ein wunderbares Lehrbeispiel dafür, welche Maßnahmen erfolgreich waren. An den Standorten, an denen man sich insbesondere darum bemüht hat, die Industrieforschung bzw. Forschung und Entwicklung voranzubringen, sind Arbeitsplätze entstanden. Deswegen bin ich sehr gespannt, wie das Gespräch zwischen Bund und Ländern ausgeht. ({0}) Erst kürzlich wurde bei einem Treffen mit den Vertretern der Länder das Gespräch über die Verwendung der Mittel des Korbs II auf den Oktober vertagt. Ich kann verstehen, dass die Länder diese Gespräche nutzen wollen, um höhere Zuwendungen für ihre Länderhaushalte zu erreichen. Das ist durchaus verständlich. Spannend ist aber die Frage, ob wir den politischen Mut aufbringen, die vorhandenen Mittel auf die Bereiche zu fokussieren, von denen wir wissen, dass sie erfolgreich sind. Dass einzelne Länder wie Thüringen beim Einsatz dieser Mittel anders vorgehen als andere Bundesländer, muss ihnen zunächst einmal selbst überlassen bleiben. Ich empfehle in solchen Fällen, nach den Gründen zu fragen. Im Gegensatz zu anderen Regionen verzeichnet Thüringen ein Wachstum im zweistelligen Prozentbereich. Das könnte miteinander zusammenhängen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Günther.

Joachim Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, der Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit ist immer sehr umfangreich und dient in letzter Zeit als gute Analyse. Sie haben sieben Themenbereiche angesprochen. Ich frage Sie konkret: Will das Ministerium in Zukunft auch die in den letzten Jahren formulierten Anregungen wie Modellregionen und Förderstrategien endlich in einer Hand bündeln und als verantwortliches Ministerium in einer entsprechenden Initiative dafür sorgen, dass sich nicht weiter alle Ministerien beim Aufbau Ost verzetteln, sondern dass er von einer Stelle aus vorangetrieben wird?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Vielen Dank für Ihre Frage; denn sie gibt mir noch einmal Gelegenheit, über die strukturelle Verantwortung innerhalb der Bundesregierung zu sprechen. Wie Sie wissen, gibt es nach dem Geschäftsverteilungsplan der Bundesregierung einen Beauftragten für die neuen Bundesländer, der im Wesentlichen eine koordinierende Funktion zwischen den Häusern hat. Es gibt starke Häuser wie beispielsweise das Bundeswirtschaftsministerium, das Bundesforschungsministerium, das Bundeslandwirtschaftsministerium oder das Bundesfinanzministerium, die mit eigenen Maßnahmen in den neuen Bundesländern Akzente und Schwerpunkte setzen; das ist auch sinnvoll. Der entscheidende Punkt ist aber - darum bemühen wir uns -, beispielsweise bei der Neujustierung auf Staatssekretärsebene einen Gesprächsprozess zu organisieren, der uns hilft, die überwiegend regionalen Ansätze so aufeinander abzustimmen, dass wir einen Mehrwert erzeugen. Die Vorstellung aber, alle Förderprogramme, die in den verschiedenen Ministerien laufen, in einem Haus zu konzentrieren, ist nach meiner Überzeugung nicht zielführend. Wenn Sie sich anschauen, mit wie viel Manpower und Fachleuten die Häuser ihre Fachprogramme erarbeiten, dann werden Sie sicherlich verstehen, dass wir diese kritische Masse in den einzelnen Häusern benötigen; denn sonst springen wir bei der Erledigung der Aufgaben in den neuen Bundesländern zu kurz.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Meckel.

Markus Meckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001451, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Präsident! Lieber Kollege Staatssekretär, alle Ihre Antworten machen deutlich, wie groß die Bedeutung von Wissenschaft und Forschung für die Entwicklung in Ostdeutschland ist. Da wir uns mit der Föderalismusreform in gewisser Weise selber ins Knie geschossen haben, ({0}) gibt es nun Schwierigkeiten, das Nötige zu tun. Ich erinnere daran, dass ich der Föderalismusreform nicht zugestimmt habe. Aber das ist jetzt nicht das Thema. Das entscheidende Thema ist vielmehr - das wurde an mancher Stelle schon deutlich -, dass die Bundesregierung trotzdem Möglichkeiten sieht, die Innovationskraft der ostdeutschen Wirtschaft zu stärken. Können Sie hierzu ein paar Beispiele nennen? Ich möchte an einer Stelle konkret werden. Sie sprachen von einem geplanten Programm, mit dem die Zusammenarbeit von Hochschulen sowie kleineren und mittleren Unternehmen verstärkt werden soll. Ist es nicht sinnvoll, in dieses Duo regionale und kommunale Körperschaften einzubeziehen? Denn nach meiner Meinung ist eine Verflechtung von kommunalen Körperschaften, kleinen und mittleren Betrieben sowie der Wissenschaft unabdingbar, um eine ländliche Region zielgerichtet zu fördern.

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Ich kann das nur bestätigen. Mein Petitum ist: 15 Jahre deutsche Einheit, lasst uns aus den eigenen Erfahrungen lernen! Die eigenen Erfahrungen zeigen: Wenn man sich bei Bundesförderprogrammen, kombiniert mit Landesförderprogrammen, auf regionale Ansätze konzentriert, dann kommt man voran. Eine sektorale Förderung ist nicht zielführend. Wir brauchen vielmehr eine regionale Kooperation. Wenn man sich beispielsweise die Förderansätze im BMBF im Rahmen von „Unternehmen Region“ mit fünf Teilprogrammen anschaut, dann stellt man fest, dass es sich ausschließlich um regionale Ansätze handelt. Alle Programme, wie beispielsweise Inno-Watt oder die „Integrierte ländliche Entwicklung“ im Bundeslandwirtschaftsministerium, haben den Fokus auf der regionalen Zusammenarbeit. Wir sehen, dass die Projekte vorankommen, bei denen genau das passiert, was Sie ansprechen, bei denen sich also die Forschung mit der regionalen Politik und den Bundesförderinstrumenten verbündet. Ich möchte noch ein Kriterium hinzufügen. Wir merken, dass die Projekte, insbesondere diejenigen, die vom Bund gefördert werden, erfolgreich sind, die sich von vornherein auf Qualität konzentrieren. Ein regionaler Zusammenschluss ist noch kein Wert an sich. Vielmehr kommt es erst dann zu einer selbsttragenden wirtschaftlichen Entwicklung, wenn man sich in der Produkt- oder der Verfahrensentwicklung von vornherein dem internationalen Wettbewerb stellt. Mein Eindruck ist, dass die Netzwerke in den neuen Bundesländern noch nicht optimal sind. Hier gibt es noch Verbesserungsmöglichkeiten. Um diesen Prozess wollen wir uns kümmern. Wir werben damit: Geld vom Bund gibt es, wenn ihr euch zusammentut und auf internationale Standards achtet.

Markus Meckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001451, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank für die Botschaft.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Hirsch.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Staatssekretär. - Sie sind zu Recht auf die hohe Jugendarbeitslosigkeit und die Probleme auf dem Ausbildungsstellenmarkt eingegangen. Die von Ihnen vorgetragenen Lösungsvorschläge sind aber, wie ich finde, sehr dürftig. Die Chance junger Menschen im Osten Deutschlands auf einen betrieblichen Ausbil- dungsplatz ist ungefähr nur halb so groß wie im Westen. Aber Sie sagen lediglich, Sie wollten das Ausbildungs- platzprogramm Ost - das ist zweifelsohne ein richtiges und sinnvolles Programm; es reicht aber bei weitem nicht aus - fortsetzen. Ich bitte Sie daher, darzulegen, welche konkreten Ansatzpunkte Sie haben und was Sie vorhaben, um die miserable Ausbildungssituation im Osten Deutschlands zu verbessern.

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Da gibt es mehrere Ansatzpunkte. Gerade beim Thema Ausbildungsmarkt ist mir persönlich wichtig, dass man die Zuständigkeiten genau beachtet: Was kann der Bund tun, was können die Länder machen, was kön- nen die Kammern tun, was können die Arbeitgeberver- bände tun und was können beispielsweise Schulen im Konzert mit regionalen Bündnissen tun? Der Bund kann im Wesentlichen Geld geben, um insbesondere überbe- triebliche Ausbildung und Arbeitsgelegenheiten zu finanzieren. Schauen Sie sich die Zahlen an. Wir haben im Jahr 2005, über das wir heute reden, einen Anstieg der Ju- gendarbeitslosigkeit um 18 Prozent verzeichnet. Das liegt nicht an der Bundesförderung, sondern das hat seine Ursachen in dem ganzen Räderwerk der Zustän- digkeiten. Ich persönlich komme aus einem Wahlkreis, in dem sich die Handwerkskammern zusammen mit den Industrie- und Handelskammern und den regionalen Bil- dungsanbietern zu Bildungsverbünden zusammenge- schlossen haben. Dort werden gute Erfahrungen aus den neuen Ländern - beispielsweise der Unterrichtstag in der Produktion, den wir noch kennen - umgesetzt. Das führt zu dem interessanten Effekt, dass die jungen Lehrlinge schon frühzeitig wissen, welchen Beruf sie nicht erler- nen wollen. Schon alleine dieser Effekt führt dazu, dass wir geringere Abbrecherquoten haben. Ich will damit nicht sagen, dass das Modell UTP prin- zipiell gut war, sondern dass sich die regionalen Akteure vor Ort zusammensetzen und Synergien erschließen können, die zu besseren und mehr Ausbildungsplätzen führen, ohne dass der Staat mehr Geld geben muss. Das ist ja der Kniff. Deswegen werbe ich auch an dieser Stelle noch einmal dafür, die Erwartungen nicht immer nur an Bundesprogramme oder Landesprogramme zu stellen, sondern sich einmal genau zu überlegen, was man vor Ort im Zusammenwirken beispielsweise von Schulen und Betrieben dazu beitragen kann, damit wir zu mehr Ausbildungsplätzen kommen. Das eigentliche Problem in Ostdeutschland ist, dass wir a) zu wenig Un- ternehmen haben und b) zu wenig Unternehmen haben, die Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen. An der Stelle kann der Staat im Grunde nur indirekt helfen, indem er diejenigen finanziert, die eine überbetriebliche Ausbildung bekommen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die für die Regierungsbefragung eigentlich zur Verfügung stehende Zeit ist nun erschöpft. Ich beabsichtige, die notierten Fragen des Kollegen Barth und der Kolleginnen Wicklein, Lötzsch und Enkelmann noch aufzurufen, zumal die für die mündliche Beantwortung verbleibenden Fragen für die Fragestunde eine überschaubare Lage erkennen lassen. - Ich sehe, Sie sind mit dieser Vorgehensweise einverstanden. Habe ich irgendeine Wortmeldung übersehen? - Nein. Die nächste Frage hat der Kollege Barth.

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident! - Herr Staatssekretär, wir erwarten an den Hochschulen in den nächsten Jahren eine deutliche Erhöhung der Studierendenzahlen, die, zumindest nach jetziger Abschätzung, im Wesentlichen die westdeutschen Hochschulen betrifft. Die Hochschulpaktmittel - die Föderalismusreform ist eben angesprochen und aus meiner Sicht richtig gewürdigt worden -, müssen einvernehmlich mit den Ländern verteilt werden. Mit welche Plänen bzw. Konzepten will Ihr Haus mit Blick auf den Aufbau Ost dafür sorgen, dass die Attraktivität der ostdeutschen Hochschulstandorte vermittelt wird? Wie wollen Sie verhindern, dass in den westdeutschen Ländern öffentliche Mittel - auch die Mittel aus dem Hochschulpakt sind letzten Endes öffentliche Mittel - zum Ausbau von Kapazitäten verwendet werden, während in den ostdeutschen Ländern Kapazitätsüberhänge bestehen?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Ich will eine kurze Antwort versuchen. Erstens. Die Universitäten spielen bei der wirtschaftlichen Entwicklung im internationalen Wettbewerb eine ganz zentrale Rolle, weshalb die Bundesregierung zusätzlich 6 Milliarden Euro für diesen Bereich zur Verfügung stellt. Wir müssen Forschung und Entwicklung in Gesamtdeutschland nach vorne bringen, weil wir im internationalen Wettbewerb stehen. Zweitens. Was bedeutet das für die neuen Bundesländer? Wir haben jetzt mit großen Mehrheiten in beiden Kammern entschieden, dass für dieses Thema zunehmend die Bundesländer die Verantwortung übernehmen. Das bedeutet, dass die Bundesländer jetzt zu einer Prioritätendebatte gezwungen werden und sie sich entscheiden müssen, wofür sie ihre knappen Ressourcen einsetzen. Wir vonseiten des Bundes werben sehr dafür, sich um den Bereich Forschung und Entwicklung besonders zu kümmern, weil wir sehen, dass daraus Erfolge resultieren. Ob das in jedem Bundesland tatsächlich realisiert wird, muss man sehen. Allmählich spricht sich herum, was die Entscheidung der Föderalismuskommission bedeutet. Wir können als Koordinationsministerium für die neuen Länder nicht direkt eingreifen; das wissen Sie. Das Bundesforschungsministerium hilft den Hochschulstandorten sehr aktiv. Die Frage ist: Was kann der Bund dazu beitragen, dass die ostdeutschen Universitäten bei der Exzellenzinitiative besser als beim ersten Call abschneiden? Unser Petitum ist, auch da stärker zu kooperieren. Wir stellen uns vor, dass beispielsweise die Universitäten Halle und Leipzig mit der Universität Dresden zusammenarbeiten. Dann müsste es doch eigentlich gelingen, im Exzellenzwettbewerb stärker als in der Vergangenheit in Erscheinung zu treten. Ich glaube, da sind noch nicht alle Ressourcen ausgeschöpft. Was allerdings die Finanzierung der Hochschulen, im Speziellen der Universitäten, anbetrifft, sind die Länder jetzt besonders gefordert. Wir werben sehr dafür, dass sich die Länder darum kümmern.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Lötzsch, bitte.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich will eine Frage stellen, die im Augenblick vor allen Dingen die ältere Generation betrifft. Gibt es einen Zeitplan, wann der Rentenpunkt Ost genauso viel wert sein wird wie der Rentenpunkt West? Anders gefragt: Wann werden die Ostrenten den Westrenten angeglichen werden?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Frau Kollegin Lötzsch, Sie kennen die Zusammenhänge. So einfach, wie es Ihre Frage nahe legt, ist die Realität nicht. Wir haben uns darauf verständigt, dass es einen Prozess der Angleichung der Renten in Ost und West geben muss, der mit Berechnungspunkten zu tun hat. Wenn man sich die möglichen Rentenhöhen einmal genau anschaut, dann erkennt man, dass man zu einem Urteil kommen könnte, das anders ist als das, worauf Ihre Frage hindeutet. Deswegen empfehle ich, bei der Bewertung des Rentenpunktes mit großer Sorgfalt vorzugehen. Wenn ich auf Veranstaltungen auf regionaler Ebene mit Seniorenklubs und Seniorenverbänden über diese Frage spreche, dann äußere ich mich immer sehr präzise und zeige anhand von Folien, wie beispielsweise das Renteneinkommen der 60-jährigen Frauen in Ostdeutschland im Verhältnis zu dem der 60-jährigen Frauen in der alten Republik ist. Wenn man sich damit beschäftigt, dann sieht man, dass diese Frage sehr viele Facetten hat, weswegen man sie nicht einfach auf die Berechnungshöhe eines Rentenpunktes reduzieren kann. Das eigentliche Problem, dessen Lösung uns bevorsteht, ist nach meiner Überzeugung: Was bedeutet der demografische Wandel für die Ausstattung der Rentenkassen? Dieses Problem lässt sich allein mit der Berechnung von Rentenpunkten nicht mehr beantworten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Wicklein, bitte.

Andrea Wicklein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003659, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Sie haben bereits vorhin die guten Perspektiven für die ländlichen Räume Ostdeutschlands in Bezug auf die Produktion von Biomasse zur Gewinnung von Energie, von Kraftstoffen, aber auch von biobasierten Kunststoffen betont. Durch welche Initiativen der Bundesregierung wird diese positive Entwicklung unterstützt?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Es gibt mehrere Ansätze, die das Bundesverkehrsministerium betreut. Das große Thema heißt: Substitution von fossilen Rohstoffen. Die Fraunhofer-Gesellschaft unterhält ein eigenes Institut, das sich mit der Substitution von Erdöl durch pflanzliche Rohstoffe befasst. Die Automobilindustrie engagiert sich in diesem Bereich sehr. Fast alle Produktionsbereiche in unserer Volkswirtschaft hängen vom Erdöl ab; es gilt, die Frage der enorm steigenden Rohstoffpreise zu beantworten. Die Bundesregierung unterstützt insbesondere Forschung und Entwicklung: Das BMBF hat entsprechende Maßnahmen ergriffen; auch das Bundeslandwirtschaftsministerium hat über die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe eine Menge Initiativen ergriffen; das Bundeswirtschaftsministerium unterstützt den Wandel der Substitution von Rohstoffen mit eigenen Förderprogrammen. Mein Eindruck ist, dass wir bei dem Thema Biomasse im internationalen Wettbewerb zwar gut aufgestellt sind, aber noch nicht so gut, wie wir sein könnten. Wenn man in die Niederlande, in die skandinavischen Länder oder nach Österreich schaut, dann stellt man fest, dass das Thema „Biomasse - Forschung und Entwicklung“ dort einen größeren Stellenwert hat. Wir haben die Einrichtung eines nationalen Biomasseforschungszentrums verabredet. Die Entscheidung darüber wird sehr zeitnah getroffen werden. Wir müssen auch in diesem Bereich international konkurrenzfähig werden. Die Potenziale in Deutschland sind groß; aber wir müssen sie bündeln und wirklich für eine nationale Kraftanstrengung sorgen, damit wir im internationalen Wettbewerb auch auf diesem Gebiet noch stärker werden, als wir schon sind.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzte Frage, Frau Kollegin Enkelmann, bitte.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, ich komme noch einmal auf das Thema Renten zurück. Sie haben gesagt, es gehe um Zusammenhänge, man müsse sich diese präzise anschauen, es gehe nicht um den Durchschnittsrentner. Ich komme auf ein Problem zu sprechen, das Sie zu Recht erwähnt haben, nämlich dass der Anteil Langzeitarbeitsloser in den neuen Bundesländern deutlich höher ist als in den alten Bundesländern. Das wirkt sich auf die aktuelle soziale Situation der Betroffenen aus, es hat aber auch Auswirkungen auf die Rentenhöhe. Gibt es Vorstellungen der Bundesregierung dazu, wie einer bevorstehenden zunehmenden Altersarmut in den neuen Bundesländern begegnet werden kann?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Ja. Man muss sich im Gespräch mit den Bundesländern um die Frage kümmern: Woher speist sich der große Bevölkerungsanteil, aus dem sich nachher die Dauerarbeitslosen rekrutieren? Wenn Sie sich die Bevölkerungsgruppen anschauen, die sozusagen den Pool der Langzeitarbeitslosen speisen, dann erkennen Sie: Es gibt insbesondere starke Zugänge aus der Gruppe der schlecht ausgebildeten Jugendlichen. Das sind Schulabbrecher. Das sind Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten oder solche, die aus sozial schwierigen Familien kommen. Das Thema Dauerarbeitslosigkeit hat also einen direkten Zusammenhang mit dem Thema der Qualität von Schulausbildung. Unsere Antwort ist: mehr individueller Unterricht, mehr individuelle Förderung - nach den Möglichkeiten, die der Bund hat. Sie kennen die Gerichtsurteile, die dazu vorliegen. Die Bundesländer sind sehr stark gefordert, sich weiter um diesen Themenbereich zu kümmern. Es kann nicht sein, dass in einzelnen Bundesländern in Ostdeutschland etwa 17 Prozent eines Jahrgangs die Schule ohne Abschluss verlassen. Diese jungen Menschen wird man früher oder später bei der Bundesagentur für Arbeit wiederfinden. Deswegen sage ich: Wir müssen uns insbesondere um diese Schnittstelle zwischen Schul- und Berufsleben kümmern. Da sind die Möglichkeiten des Bundes allerdings äußerst begrenzt. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Fragen zu weiteren Themen der Kabinettssitzung oder andere Fragen an die Bundesregierung sind mir nicht angezeigt worden. Damit schließe ich die Befragung der Bundesregierung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan ({0}) auf Grundlage der Resolution 1709 ({1}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 22. September 2006 - Drucksache 16/2700 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({2}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Eine Aussprache ist dazu heute nicht vorgesehen. Wir kommen daher gleich zur Abstimmung über den Überweisungsvorschlag. Interfraktionell wird Überweisung dieses Antrags auf der Drucksache 16/2700 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde - Drucksache 16/2670 Die Reihenfolge der Geschäftsbereiche ist Ihnen mitgeteilt worden. Präsident Dr. Norbert Lammert Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister Günter Gloser zur Verfügung. Zunächst rufe ich die Frage 1 des Kollegen Jan Mücke auf: Welche Vorbehalte nach dem Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge hätte die Bundesrepublik Deutschland bei ihrem Beitritt zum Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt völkerrechtlich wirksam erklären können, um der kommunalen Selbstverwaltung den notwendigen Entscheidungsspielraum im Rahmen der Ziele des Übereinkommens zu sichern?

Not found (Gast)

Ich beantworte Ihre Frage wie folgt, Herr Kollege Mücke: Das UNESCO-Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt von 1972 ist nach seinem Art. 33 für die Bundesrepublik Deutschland am 23. November 1976 in Kraft getreten. Bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde hat die Bundesregierung erklärt, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht an die Bestimmung des Art. 16 Abs. 1 gebunden ist. Was sagt diese Bestimmung? Diese Bestimmung verpflichtet die Vertragsstaaten unbeschadet etwaiger zusätzlicher freiwilliger Beiträge zur regelmäßigen Zahlung von Beiträgen in einen Fonds für das Erbe der Welt. Zur Abgabe einer solchen Erklärung werden die Vertragsparteien des Übereinkommens durch den Art. 16 Abs. 2 des Übereinkommens ausdrücklich ermächtigt. Weitere Erklärungen hat die Bundesrepublik Deutschland nicht abgegeben. Vorbehalte zu völkerrechtlichen Verträgen sind gemäß Art. 19 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge unzulässig, erstens wenn der Vertrag den Vorbehalt verbietet, zweitens wenn der Vertrag nur bestimmte Vorbehalte erlaubt - dazu gehört der infrage stehende Vorbehalt allerdings nicht - oder drittens wenn der Vorbehalt mit Ziel und Zweck des Vertrages nicht vereinbar ist. Ansonsten sind Vorbehalte zulässig.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, es ist durchaus üblich, dass bei solchen UNESCO-Konventionen weitere Vorbehalte gemacht werden. Mir ist ein ähnlicher Fall zu einer anderen UNESCO-Konvention bekannt, zu der die Vereinigten Staaten von Amerika und Dänemark Vorbehalte formuliert haben. Ich möchte noch einmal auf den Wortlaut meiner Frage hinweisen: Welche Vorbehalte im Zusammenhang mit der kommunalen Selbstverwaltung und der Sicherung von Entscheidungsmöglichkeiten wären nach diesem Übereinkommen möglich gewesen?

Not found (Gast)

Unabhängig davon, ob man einen solchen Vorbehalt hätte machen können, gilt: Ein Vorbehalt kann zum Beispiel bei Hinterlegung der Ratifizierungsurkunde, nicht aber nachträglich abgegeben werden. Wir alle wissen, dass die Ratifikation schon vor einigen Jahren erfolgt ist. Ein nachträglicher Vorbehalt wäre also unabhängig von der Frage, ob er möglich ist, jetzt nicht mehr zulässig.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zweite Zusatzfrage.

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wäre es denn möglich gewesen, einen entsprechenden Vorbehalt zu formulieren, um die im Grundgesetz vorgesehene kommunale Selbstverwaltung auch völkerrechtlich zur Geltung zu bringen?

Not found (Gast)

Ich habe schon einmal gesagt, dass es verschiedene Tatbestände gibt, bei denen Vorbehalte ausdrücklich zugelassen sind, die dann auch in der Erklärung enthalten sind, und dass dieser Vorbehalt nicht dazuzählt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frage 2 des Kollegen Mücke: Gibt es Möglichkeiten, das Recht der Kommunen, in eigener Verantwortung über Denkmalpflege und Landschaftsschutz in ihrem eigenen Bereich im Rahmen der Gesetze zu entscheiden, noch nachträglich gegenüber der UNESCO zu sichern?

Not found (Gast)

Ich nehme noch einmal Bezug auf die schon angesprochene Frage, wann ein solcher Vorbehalt angebracht werden kann. Die Antwort lautet: Ein Vorbehalt kann bei der Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme oder Genehmigung eines Vertrages oder beim Beitritt angebracht werden. Das heißt also, eine nachträgliche Anbringung eines Vorbehalts ist jetzt nicht mehr möglich.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage?

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Angesichts der Streitigkeiten, die es mit einer Welterbestätte in Deutschland gibt, stellt sich für mich die Frage, ob die Bundesregierung auf internationaler Ebene eine Überarbeitung dieses Übereinkommens anregen wird, um entsprechende Änderungen möglich zu machen.

Not found (Gast)

Bezüglich des Übereinkommens selbst ist sicherlich nichts geplant. Es sind aber derzeit auch keine Überlegungen im Gange, hier in irgendeiner Weise etwas zu ergänzen. Vielleicht darf ich darüber hinaus noch zum Selbstverwaltungsrecht, das Sie, Kollege Mücke, angesprochen haben, ergänzen: Die Stadt Dresden hat ja den Antrag auf Aufnahme in die Liste im Zuge der Selbstverwaltung gestellt, aber damit gleichzeitig auch die Grundlage bzw. die Anforderungen für die Aufnahme anerkannt. Wenn man jetzt im Nachhinein sagen würde, diese Grundlage existiert für mich nicht, ist das eine unzulässige Rechtsauslegung des Standpunktes, den man bei Antragstellung eingenommen hat. Am Anfang hat man ja gesagt: Ich beantrage die Aufnahme in die Liste des Weltkulturerbes und akzeptiere damit auch die Rahmenbedingungen, die diese Konvention vorsieht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zweite Zusatzfrage.

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, stimmen Sie mir zu, dass es normalerweise notwendig ist, eine völkerrechtliche Verpflichtung durch ein Transformationsgesetz in nationales Recht umzusetzen? Stimmen Sie mir auch zu, dass dieses beim Welterbeübereinkommen nicht passiert ist?

Not found (Gast)

Nein. Erst einmal ist es so, dass nach dem Lindauer Abkommen generell auch die Länder beim Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen beteiligt werden. In diesem Rahmen können sie auch ihre Einwendungen vorbringen. Das ist aber im konkreten Fall nicht passiert. Nachdem Sie schon auf die Transformation abgehoben haben, ist zu ergänzen, dass Gemeinden oder Länder im Zuge der Realisierung an diese Konvention gebunden bleiben, vor allem deswegen, weil die Bundesrepublik Deutschland als Völkerrechtssubjekt diese Dinge vorgetragen hat. Damit besteht für die Gemeinden und Länder im Rahmen der Bundestreue auch eine gewisse Verpflichtung, dies zu akzeptieren.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Fragen dazu gibt es nicht. Vielen Dank, Herr Staatsminister. Die Fragen 3 und 4 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend werden schriftlich beantwortet. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller zur Verfügung. Ich rufe die Frage 5 der Abgeordneten Bärbel Höhn auf: Ist der Bundesregierung eine Entscheidung des Koalitionsausschusses darüber bekannt, ob es ein Endlagersuchgesetz geben wird, und, wenn ja, welchen Inhalt hat dieser Beschluss?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Frau Kollegin Höhn, wie schon in früheren Regierungszeiten, also zum Beispiel in den letzten beiden Legislaturperioden, ist es nicht Aufgabe der Bundesregierung, aus Gesprächen des Koalitionsausschusses zu berichten bzw. sie zu bewerten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dazu gibt es bestimmt eine Zusatzfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, genau.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Frau Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe mir einmal das Protokoll der Sitzung des Niedersächsischen Landtages vom 15. September angeschaut. Da hat der niedersächsische Umweltminister, unser Kollege Hans-Heinrich Sander, zu Protokoll gegeben, dass es am Mittwoch, dem 6. September, im Koalitionsausschuss den Beschluss gegeben habe, dass es mit der CDU/CSU-Fraktion ein Endlagersuchgesetz nicht geben werde. Ist es richtig, dass die Ergebnisse des Koalitionsausschusses jetzt über Länderminister weitergegeben werden, statt von der Bundesregierung den Abgeordneten hier im Bundestag mitgeteilt zu werden?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Frau Kollegin, Sie können ganz sicher sein, dass Herr Sander der Letzte wäre, über den wir das weitergeben. ({0})

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist eine interessante Aussage. Aber ich habe trotzdem noch eine zweite Nachfrage. Wenn es einen solchen Beschluss nicht gegeben hat, kann mir denn der Staatssekretär sagen, wann ein solches Endlagersuchgesetz in den Bundestag eingebracht wird?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Frau Kollegin, wir haben dazu eine Regelung im Koalitionsvertrag. Im Augenblick finden die Beratungen statt. Es bleibt bei der Absicht, in dieser Legislaturperiode ein solches Gesetz vorzulegen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Fell.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Ihnen ist sicherlich nicht verborgen geblieben, dass es einen Besuch der Bundestagsfraktion der Union in Gorleben gegeben hat, wo dann die Aussage getätigt wurde, dass es ein Endlagersuchgesetz nicht geben solle. Ist das die Meinung der Bundesregierung?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Noch einmal: Wir haben hier erstens nicht zu bewerten, was den Koalitionsausschuss betrifft. Zweitens gibt es für die Diskussion mit den Koalitionsfraktionen geordnete Verfahren. Diese werden wir abwarten. Klar ist drittens, dass wir uns im Augenblick in einem SuchproParl. Staatssekretär Michael Müller zess befinden. Bei diesem Suchprozess werden wir als Ministerium natürlich unsere Position vertreten.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Kann ich noch eine Frage stellen?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nein. Aber Sie können vielleicht - wenn ich Ihnen diesen Tipp geben darf - versuchen, eine Nachfrage an die nächste Frage der Kollegin Höhn anzuhängen. Ich rufe jetzt die Frage 6 der Kollegin Höhn auf: Hat die Bundesregierung Informationen beim Kraftwerksbetreiber von Biblis A oder bei der hessischen Atomaufsichtsbehörde darüber eingeholt, ob die Funktionsprüfungen, die am 15. September dieses Jahres zur Schnellabschaltung des Reaktors geführt haben, im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des Störfalls im schwedischen Atomkraftwerk Forsmark standen?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Frau Kollegin Höhn, in der Tat hat es eine Berichtsanforderung der Bundesaufsicht an die hessische Atomaufsichtsbehörde gegeben. Wiesbaden hat uns daraufhin mitgeteilt, dass während des Abfahrens der Anlage zur Revision 2006 bei einer Leistung von 600 MW die so genannte Blockschutzprüfung nach dem Wartungshandbuch durchgeführt wurde. Dann erfolgte ein fehlerhaftes Abschalten einer von zwei Zuleitungen des Blockes A im Umspannwerk Bürstadt. Das auslösende Ereignis ist nicht im Zusammenhang mit dem Ereignis von Forsmark zu sehen. Das zeigt sich schon daran, dass die Wartungsarbeiten ausschließlich nach dem Wartungshandbuch erfolgen; in diesem Rahmen besteht keine Zuständigkeit für sicherheitstechnische Prüfungen. Sie können sicher sein, dass wir bei den Sicherheitsprüfungen gemäß den Fristen und Vorgaben operieren werden.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bezüglich Biblis A gibt es momentan den Antrag von RWE, die Laufzeit zu verlängern. Wie steht die Bundesregierung dazu, dass, wie in der Öffentlichkeit an vielen Stellen nachlesbar ist, Biblis A zu den Atomkraftwerken in Deutschland gehört, die gegen den Absturz von Flugzeugen durch einen terroristischen Angriff am schlechtesten geschützt sind?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Die Fakten sind - da haben Sie Recht - öffentlich bekannt. Aber wir werden diesen Antrag natürlich nach Recht und Gesetz - dafür gilt das Atomgesetz - bewerten und dann zu einer Entscheidung kommen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben eben noch einmal den Störfall bei Biblis A dargelegt und gesagt, da gebe es Fristen. Wie sehen die

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ihnen ist ja bekannt geworden, dass es - das ist auch gestern noch einmal gesagt worden - jetzt eine Prüfung gibt. Diese wird einige Monate in Anspruch nehmen. Aber noch einmal: Der Vorfall von Biblis hatte nichts mit einer Sicherheitsprüfung zu tun; es erfolgten Wartungsarbeiten nach dem Wartungshandbuch.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Fell.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, gestatten Sie mir Folgendes zu sagen: Die Aussage, dass die Überprüfung „einige Monate“ in Anspruch nehmen wird, ist nicht die Festlegung einer Frist, von der Sie gesprochen haben. Uns würde wirklich interessieren, welche Fristen Sie gesetzt haben. Außerdem haben Sie von gewissen Vorgaben gesprochen, unter denen diese Fristen nur noch einzuhalten wären. Was sind das für Vorgaben?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ich wiederhole noch einmal: Der Vorfall von Biblis - darum ging es bei dieser Frage - hatte nichts mit der Sicherheitsüberprüfung zu tun. Wir haben jetzt die veränderte Lage - Frau Höhn hat das angesprochen -, dass seit vorgestern der Antrag auf Laufzeitverlängerung vorliegt. Dieser wird im Rahmen der dafür vorgesehenen Verfahren geprüft und das wird eine entsprechende Zeit in Anspruch nehmen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es gibt keine weiteren Fragen zu diesem Geschäftsbereich. Vielen Dank, Herr Kollege Müller. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm zur Verfügung. Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Cornelia Hirsch auf: Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der „Berliner Rede“ von Bundespräsident Horst Köhler, die er am 21. September 2006 in der Kepler-Schule in Berlin gehalten hat?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Herr Präsident, ich beantworte die Frage der Abgeordneten Hirsch nach den Schlussfolgerungen, die die Bundesregierung aus der „Berliner Rede“ des Bundespräsidenten zieht, wie folgt. Die Bundesregierung begrüßt die „Berliner Rede“ des Bundespräsidenten zum Thema „Bildung für alle“, die eine große gesellschaftliche Resonanz gefunden hat. Den Ausführungen des Bundespräsidenten zur Bedeutung der Bildungschancen als Lebenschancen ist uneingeschränkt zuzustimmen. Ich zitiere aus der Rede: Jeder kann etwas und jeder braucht die Chance, sich durch Bildung weiterzuentwickeln … Bildung ist der Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe und selbstbestimmte Lebensführung ebenso wie für gesellschaftliche Anerkennung und berufliches Fortkommen. Bildung ist damit das Herzstück einer demokratischen Gesellschaft. Verstärkte Bemühungen sind künftig erforderlich, um insbesondere Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund bessere Bildungschancen zu ermöglichen. Um die Qualität unseres Bildungssystems zu verbessern, bedarf es eines breiten gesellschaftlichen Engagements von allen Beteiligten in unserem Land. Nach und neben dem Elternhaus ist der Kindergarten der wichtigste Ort elementarer Bildung. Gerade für Kinder aus sozial benachteiligten Familien, die zum Beispiel aus bildungsfernen Elternhäusern oder aus Migrantenfamilien kommen, sollte sichergestellt sein, dass sie eine frühe individuelle Förderung spätestens im Kindergarten erhalten, damit Chancengerechtigkeit mit Blick auf den weiteren Weg in Schule, Ausbildung und Berufsleben geschaffen wird. Zu den Ausführungen des Bundespräsidenten über Fragen der Schulbildung und des Unterrichts sowie zur Werteerziehung an den Schulen ist generell darauf hinzuweisen, dass hierfür die Zuständigkeit bei den Ländern liegt. Die Bundesregierung wird auch künftig die Länder in ihren Anstrengungen zur Verbesserung des Bildungssystems unterstützen. Grundlage dafür ist der neue Art. 91 b Abs. 2 des Grundgesetzes. Danach können Bund und Länder bei der Feststellung der Leistungsfähigkeit unseres Bildungswesens im internationalen Vergleich und bei der Erstellung diesbezüglicher Berichte und Empfehlungen zusammenwirken. Das Bundesbildungs- und -forschungsministerium und die Kultusministerkonferenz haben sich bereits im Jahr 2004 auf eine gemeinsame Bildungsberichterstattung verständigt. Der erste unabhängige Expertenbericht mit dem Titel „Bildung in Deutschland“ mit dem Schwerpunktthema Migration wurde im Juni 2006 veröffentlicht. Er macht wesentliche Entwicklungen im Bildungsbereich transparent. Darüber hinaus ist mit dem Einstieg in diese Form der Bildungsberichterstattung auch der Anspruch verbunden, bildungspolitische Entscheidungen und die daraus abzuleitenden Maßnahmen auf einer verbesserten Grundlage zu planen und auf ihre tatsächliche Wirkung hin zu überprüfen. Bund und Länder erarbeiten derzeit gemeinsam Schlussfolgerungen aus diesem ersten Bildungsbericht. Da sowohl Assessments als auch die Bildungsberichterstattungen im hohen Maße forschungsbasierte Prozesse sind, besteht eine wichtige Voraussetzung für die Steigerung der Qualität des Bildungswesens in der strukturellen Stärkung der Bildungsforschung. Ziel ist es, die unterschiedlichen Handlungsoptionen des Bundesbildungsministeriums im Bereich der institutionellen Förderung, der Ressortforschung und der Projekt- und Programmforschung so zu bündeln, dass ein kontinuierlich wachsendes Potenzial entsteht. Zentrale Maßnahmen des Bundesbildungs- und -forschungsministeriums zur strukturellen Stärkung der empirischen Bildungsforschung sind die Erarbeitung eines Rahmenprogramms, die gemeinsam mit den Ländern und der Community geplante Etablierung eines nationalen Bildungspanels als ein Schwerpunktprojekt sowie eine Förderinitiative zur technologiebasierten Kompetenzdiagnostik. Angesichts der Herausforderungen der Zukunft müssen die Begabungspotenziale in unserem Land besser ausgeschöpft werden, auch wenn Deutschland, wie es der OECD-Bericht „Bildung auf einen Blick 2006“ zeigt, über einen hohen Bildungsstand verfügt. Dies ist nicht zuletzt angesichts des demografischen Wandels erforderlich. Mehr junge Menschen müssen ein Hochschulstudium aufnehmen. Gleichzeitig steigt in einer älter werdenden Gesellschaft die Bedeutung der berufsbezogenen Fort- und Weiterbildung. Zusammenfassend: Die Bundesregierung wird im Rahmen ihrer Kompetenzen alle erforderlichen Schritte zur Stärkung der Bildungsqualität und zur Förderung der lebensbegleitenden Bildung für alle unternehmen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Storm, ich bin ganz beeindruckt, dass die Schlussfolgerungen der Bundesregierung nicht ganz den Umfang der „Berliner Rede“ des Bundespräsidenten angenommen haben, ({0}) auf die sich die Frage bezog. Nun gibt es dennoch offenkundig eine Zusatzfrage der Kollegin Hirsch.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Besten Dank für die doch sehr ausführliche Antwort. - Meine Zusatzfrage wäre: Sie haben die öffentliche Resonanz angesprochen. Sehr viele Leute haben Bezug auf die Vorschläge des Bundespräsidenten genommen. Im Rahmen dieser Debatte kam von verschiedenster Seite der Vorschlag zu einem so genannten nationalen Bildungspakt, zur Entwicklung einer nationalen Bildungsstrategie. Aus Ihren Ausführungen ist mir noch nicht ganz ersichtlich geworden, inwieweit die Bundesregierung solche Vorschläge ganz bewusst aufgreifen will und ob sie vielleicht eine moderierende Rolle wahrnehmen will, indem sie die verschiedenen direkt am Bildungssystem Beteiligten an einen Tisch holt und man sich überlegt, wie diese ganzen Punkte, die Sie aufgeführt haben, in Zusammenarbeit von Bund und Ländern aufgegriffen werden können und damit ein Vorankommen in unserem Bildungssystem erreicht werden kann.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Vielen Dank. - Herr Bundestagspräsident, gestatten Sie auch mir eine Anmerkung. Praktisch in jeder Sitzungswoche des Deutschen Bundestages beantworte ich Fragen von Kollegen, aber bei weitem noch nie in einer solchen Länge. Die umfassende Rede des Bundespräsidenten hat sehr viele Ressorts betroffen. Meine Antwort ist mit sehr vielen Ressorts der Bundesregierung abgeParl. Staatssekretär Andreas Storm stimmt worden und deshalb ein Stück weit grundsätzlicher ausgefallen. Nun zu Ihrer Nachfrage. Ich darf darauf verweisen, dass wir eine ganze Reihe von Ansatzpunkten haben. Einen habe ich angesprochen: Das ist die gemeinsame Reaktion des Bundesbildungsministeriums und der Kultusministerkonferenz auf den ersten nationalen Bildungsbericht vom Juni dieses Jahres. Wir werden dem zuständigen Fachausschuss noch in diesem Jahr eine gemeinsame Stellungnahme, die voraussichtlich Ende November von der Bundesregierung verabschiedet wird, zuleiten. Sie wird Schlussfolgerungen enthalten und natürlich wesentliche Aspekte, die der Bundespräsident angesprochen hat, aufgreifen. Darüber hinaus wird voraussichtlich während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft eine Entscheidung über den europäischen Qualifikationsrahmen fallen. Beabsichtigt ist, dass wir in Deutschland mit der Erstellung eines nationalen Qualifikationsrahmens beginnen. Dabei geht es um die Ausarbeitung und Einordnung von Qualifikationen, die in den unterschiedlichen Bereichen unseres Bildungssystems erworben werden können. Auch dies ist ein sehr wichtiger, umfassender bildungspolitischer Schritt. Ich nenne zuletzt einen dritten Ansatzpunkt: die derzeitigen Beratungen zwischen Bund und Ländern zum Abschluss eines Hochschulpaktes, mit dem wir den absehbar steigenden Studentenzahlen gerecht werden wollen. Auch hier ist bis Dezember mit einem Ergebnis zu rechnen. Sie sehen daran, dass all die Aspekte, die der Bundespräsident in seiner Rede angesprochen hat, gemeinsam von Bund und Ländern angegangen werden.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine nächste Nachfrage wäre: Es ist ja richtig, dass derzeit bestimmte Aspekte in der Diskussion sind. Aber was uns noch unklar geblieben ist - darüber hatten wir bereits im Ausschuss diskutiert -, ist, wie die konkreten Vorhaben der Bundesregierung aussehen. Das betrifft die zwei Beispiele, die Sie angesprochen haben. Zum einen ist bisher unklar, welche Schwerpunkte und Ziele die Bundesregierung im Hinblick auf den nationalen Qualifikationsrahmen setzt. Zum anderen konnte uns bisher noch nicht erläutert werden, welche Schwerpunkte die Bundesregierung in Bezug auf den Hochschulpakt setzt. Wenn Sie vielleicht noch eine Aussage darüber machen könnten, was Sie konkret vorhaben und wie das genau aussehen soll.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Kollegin, ich darf Sie auf die Ausschussberatungen verweisen und nur zwei wesentliche Stichworte nennen. Bei der Aushandlung des Hochschulpaktes geht es unter anderem darum, dass der Bund den Ländern das Angebot gemacht hat, sich an der Schaffung von Kapazitäten für die Ausweitung der Lehre finanziell zu beteiligen. Der Anstieg der Studierendenzahlen um 25 Prozent in den nächsten sieben Jahren bedeutet, dass wir in der Lehre entsprechende Kapazitäten schaffen müssen, indem wir zum Beispiel - das ist ein Vorschlag des Bundes - so genannte Lecturer- bzw. Dozentenstellen in Deutschland einrichten. Hier wäre der Bund, wenn die Länder diese Stellen schaffen, zu einer Kofinanzierung bereit. Dies ist ein Gedanke, den ich bereits im Ausschuss vorgetragen habe. Beim Thema „europäischer Qualifikationsrahmen und nationaler Qualifikationsrahmen“ ist es sehr im deutschen Interesse und wird deshalb von der Bundesregierung nicht nur auf der europäischen Ebene, sondern auch in Gesprächen mit den Ländern und den Sozialpartnern verfolgt, dass wir qualifizierte Abschlüsse aus dem Bereich der beruflichen Bildung - Stichwort: Meistertitel - dort, wo es angemessen ist, akademischen Abschlüssen gleichstellen. Auch diese Aktivität macht deutlich, dass die Bundesregierung eine wesentliche Rolle in diesem Prozess spielt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die nächste Zusatzfrage stellt der Kollege Gehring.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In der Tat haben wir auch im Ausschuss schon darüber gesprochen. Sie haben jetzt hier angekündigt, dass Sie die Studienplatzkapazitäten, die dringend notwendig sind, aufbauen wollen. Es ist ja davon auszugehen, dass in den nächsten fünf Jahren ein Anstieg um mindestens 20 Prozent erfolgen wird. Die Bundesregierung hat aber in ihren Haushaltsplan für das nächste Jahr für 16 Bundesländer nur 160 Millionen Euro eingestellt. Deshalb wollte ich Sie fragen: Von einem wie hohen möglichen Ausbau von Studienplatzkapazitäten gehen Sie aus? Wir müssen ja gleichzeitig berücksichtigen, dass Sie damit mehrere Schwerpunkte verfolgen. Nach allen Informationen spielt ja der Bereich der Vollkostenfinanzierung eine besondere Rolle. Zum Beispiel geht der Wissenschaftsrat davon aus, dass mindestens 400 Millionen Euro allein für den Ausbau der Studienplatzkapazitäten notwendig seien.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Herr Abgeordneter Gehring, ich darf auf den Zeitplan für die Vereinbarung eines Hochschulpakts zwischen Bund und Ländern hinweisen. Danach soll dieser Hochschulpakt im Dezember fertig gestellt sein und anschließend bei einem Treffen der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin unterzeichnet werden. Zu dem Zeitpunkt, an dem die Vereinbarungen getroffen worden sind, werden die entsprechenden Mittel in den Bundeshaushalt eingestellt. Wir haben derzeit vorsorglich eine Planung vorgenommen, die insbesondere die vom Bund angekündigten Ausgaben zur Stärkung der Forschung bei den Hochschulen mit abdeckt; Stichwort: Einstieg in eine so genannte Overhead-Finanzierung an den Hochschulen. Dies ist neben der möglichen Beteiligung des Bundes an der Finanzierung zusätzlicher Kapazitäten bei der Lehre der zweite wichtige Aspekt; entsprechende Aufwendungen werden sich dann natürlich im Haushalt niederschlagen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun rufe ich Frage 8 des Kollegen Gehring auf: Plant die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Debatte um die „Generation Praktikum“ Änderungen im Berufsbildungsgesetz und, wenn ja, welche?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Herr Abgeordneter Gehring ich beantworte Ihre Frage wie folgt und darf dabei zunächst auf Ihre Frage vom 30. März zu Praktika von Hochschulabsolventen Bezug nehmen. Damals hat sich ergeben, dass auch Hochschulabsolventen unter den Schutzbereich der §§ 26 und 17 Abs. 1 des Berufsbildungsgesetzes bzw. des § 612 Abs. 1 BGB fallen können. Die Bundesregierung missbilligt jede missbräuchliche Ausnutzung von gering oder nicht entlohnten Praktikumsverhältnissen. Derzeit prüft die Bundesregierung, ob und in welchem Handlungsrahmen Aktivitäten zur Frage einer missbräuchlichen Nutzung von Praktika geboten sind. Für die Bewertung der Praxis wird eine Studie, die zu Beginn des Jahres 2007 vorgelegt werden wird, fachliche Hinweise liefern. Im gegenwärtigen Stand des Verfahrens kann daher noch keine abschließende Aussage getroffen werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Erst einmal vielen Dank für Ihre klare Aussage, mit der Sie die Ausbeutung von insbesondere Absolventenpraktikanten missbilligten. Sie haben ja im Rahmen der Fragestunde vom 5. April erklärt, dass der Bundesregierung noch keine gesicherten Zahlen über Hochschulabsolventen in unbezahlten oder gering bezahlten Praktikastellen vorlägen und dass Sie von daher hier kein Problem sähen. Inwieweit hat sich denn die Kenntnislage der gesamten Bundesregierung inzwischen geändert? Ich stelle diese Frage vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Herr Arbeitsminister Müntefering in seiner Bundestagsrede am 7. September klar davon gesprochen hat, dass er sich gegen die Ausbeutung von Praktikanten einsetzen will und dass das ein zunehmendes Problem sei. Falls die Aussage von Herrn Müntefering nicht auf einer geänderten Kenntnislage der Bundesregierung beruht, frage ich: Wann rechnen Sie definitiv mit zusätzlichen Daten und Fakten zu diesem Bereich?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Die gesamte Bundesregierung teilt die Aussage des Bundesarbeitsministers, dass eine missbräuchliche Anwendung im Praktikantenbereich nicht akzeptabel ist, sicherlich voll und ganz. Wir haben derzeit aber noch keine über den Stand des Frühjahrs hinausgehenden Erkenntnisse. Ich darf an dieser Stelle darauf verweisen, dass wir bereits jetzt eine rechtliche Handhabe haben, um gegen offensichtlichen Missbrauch arbeitsrechtlich vorzugehen. Hinsichtlich der Frage, ob es einen neuen Tatbestand gibt, der gegebenenfalls zusätzliche gesetzgeberische Maßnahmen erforderlich macht, sind wir in der Tat auf die Auswertung der Untersuchung angewiesen, die zum Jahresbeginn 2007 vorliegen wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dank, Herr Kollege Storm. Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung der Fragen des Kollegen Hans-Joachim Otto ist Staatsminister Bernd Neumann erschienen. Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Otto auf: Gibt der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsminister Bernd Neumann, die Auffassung der gesamten Bundesregierung wieder, wenn er sich dafür ausspricht, den aktuellen Rundfunkgebührenstaatsvertrag, der Rundfunkgebühren für „neuartige Rundfunkempfangsgeräte“ wie PC und Handy-TV ab 1. Januar 2007 vorsieht, so nicht umzusetzen?

Not found (Gast)

Die Erhebung von Rundfunkgebühren fällt in die Kompetenz der Länder. Deshalb hat sich die Bundesregierung als Ganzes nicht mit dieser Frage befasst. Zur Erhebung von Rundfunkgebühren auf neuartige Rundfunkempfangsgeräte hat der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien als innerhalb der Bundesregierung für Medien verantwortlicher Staatsminister seine Meinung geäußert. Seitens des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie werden das Anliegen und die Position des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen der Ressortverantwortlichkeit unterstützt. Deutlich wurde dies in der Antwort auf die Frage der Abgeordneten Christine Scheel in der Fragestunde am 20. September 2006 zu diesem Themenkomplex.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, nachdem ich jetzt gehört habe, dass die Begründung für die Erhebung dieser Gebühr nach Ihrer Auffassung - das ist eine zutreffende Bewertung - jeder Lebenswirklichkeit entbehrt, frage ich Sie: Haben Sie Schritte unternommen oder werden Sie Schritte unternehmen, um bei den Ländern für Ihre Position und die des Bundeswirtschaftsministers zu werben? Das muss schließlich trotz der Zuständigkeit der Länder zulässig sein.

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich beziehe mich auf meine Aussage, dass für diesen Bereich die Länder verantwortlich sind und sich die Bundesregierung ex officio nicht einmischt. Sie können aber davon ausgehen, dass ich mich zu dieser Frage nicht nur geäußert habe, sondern für Positionen, von denen ich überzeugt bin, auch werbe. Das tue ich immer dort, wo ich Gelegenheit dazu habe, weil ich der Auffassung bin, dass eine Erhebung von Gebühren auf internetfähige Computer, auch wenn sie sich nur auf die Grundgebühr bezieht, zum jetzigen Zeitpunkt falsch wäre.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zweite Zusatzfrage.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

In Ihrer Pressemitteilung vom 18. September 2006 haben Sie sich der Forderung des Ministerpräsidenten Carstensen angeschlossen, das Moratorium bis 2009 zu verlängern. Sie haben geschrieben, dass damit die Möglichkeit gegeben werden solle, eine mögliche Veränderung der Erfassungsgrundlage für Rundfunkgebühren herbeizuführen. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie daran denken, die bisher gerätebezogene Abgabe in eine personenbezogene Abgabe umzuändern? Ist das Ihr Vorschlag?

Not found (Gast)

Das muss nicht so sein. Ich habe nur zum Ausdruck gebracht, dass sich aufgrund der technologischen Entwicklung - auch im Hinblick auf die digitalen Möglichkeiten eine neue Lage ergibt und dass man sich angesichts dessen die Frage stellen muss, ob die gerätebezogene Gebühr im Hinblick auf die Vielfalt von Geräten noch angemessen ist. Dazu gibt es unterschiedliche Vorschläge. Auch die FDP hat sich hierzu geäußert. Ich finde, wenn ein Moratorium stattfände, müsste man die Zeit nutzen, zu überlegen: Gibt es andere, bessere Modelle, die der differenzierten technologischen Entwicklung besser Rechnung tragen? Aber ich bin nicht in der Lage, abschließend zu einem konkreten Modell Stellung zu nehmen, weil ich dazu noch Informationen und Diskussionen benötige.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Otto auf: Kann nach Einschätzung der Bundesregierung die Höhe der monatlichen Gebühr für neuartige Rundfunkempfangsgeräte von 17,03 auf 5,52 Euro ohne eine Änderung des Rundfunkgebührenstaatsvertrages reduziert werden?

Not found (Gast)

Nach Kenntnis der Bundesregierung vertreten einige Länder die Auffassung, dass eine generelle Reduzierung der monatlichen Gebühr für neuartige Rundfunkempfangsgeräte im Sinne des § 5 Abs. 3 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages von 17,03 auf 5,52 Euro eine Änderung dieses Staatsvertrages erfordert. Der Bundesregierung ist bekannt, dass die Landesrundfunkanstalten der Ansicht sind, dass unter Berücksichtigung der tatsächlichen Empfangsmöglichkeiten von Rundfunkprogrammen durch neuartige Rundfunkempfangsgeräte bereits der geltende Rundfunkgebührenstaatsvertrag die Erhebung nur der Grundgebühr in Höhe von 5,52 Euro für diese Geräte zulässt. Derartige Auslegungsfragen gehören in der Tat in die Kompetenz der Rundfunkanstalten wie auch der Länder. Deswegen möchte mich an der Interpretation nicht weiter beteiligen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Da Sie aber eben - ich füge hinzu: zu Recht - darauf hingewiesen haben, dass sich die tatsächlichen Nutzungsgegebenheiten in einer Rundfunkgebühr niederschlagen müssen oder - andersherum gesagt - dass es, wenn es keine ausreichende Nutzung gibt, nicht zu einer Gebühr kommen darf, darf ich Sie fragen, ob es der Bundesregierung bekannt ist, dass laut einer neuen Untersuchung von ARD und ZDF nur rund 4 Prozent aller internetfähigen PCs zur Hörfunknutzung genutzt werden, sodass nach Ihrer Logik eigentlich keine Grundgebühr erhoben werden dürfte.

Not found (Gast)

Herr Kollege, diese Untersuchung ist mir bekannt. Es müsste Ihnen auch bekannt sein, dass sie mir bekannt ist. Denn Sie haben eben aus einer Presseerklärung vorgetragen, in der ich just auf diese Untersuchung hingewiesen habe. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielleicht kann das auch noch einmal schriftlich wechselseitig bestätigt werden. ({0})

Not found (Gast)

Sie ist mir bekannt und sie hat mich dazu gebracht, auf die Fragwürdigkeit jetzt geplanter Gebührenerhöhungen hinzuweisen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Mindestens über die Informationsquellen besteht eine gemeinsame Einschätzung. Weitere Fragen habe ich nicht gesehen. Ich bedanke mich beim Kollegen Neumann. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die eingereichten Fragen 11 bis 17 werden schriftlich beantwortet. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte zur Verfügung. Die Frage 18 wird schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zu den Fragen 19 und 20. - Ich sehe gerade, dass der Kollege Hill nicht anwesend ist. Es wird somit verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Herr Kollege Schauerte, ich bedauere, dass Sie die sicher exzellent vorbereiteten Antworten nicht vor dem Plenum vortragen können. Präsident Dr. Norbert Lammert ({0}) Die Fragen 21 bis 26 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit werden schriftlich beantwortet. Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Fragen 27 und 28 wurden zurückgezogen und die Fragen 29 bis 31 werden schriftlich beantwortet. Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Ich unterbreche die Sitzung bis zum Beginn der Aktuellen Stunde um 15.40 Uhr. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP Bisherige Ergebnisse der Koalition zu einer Reform für ein leistungsfähiges Gesundheitswesen Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Daniel Bahr für die Fraktion der FDP. ({0})

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Frau Bundeskanzlerin hat am Freitag der letzten Woche erklärt, sie sei zuversichtlich, dass dieses Projekt der Koalition - gemeint ist die Gesundheitsreform zu einem guten Ende geführt wird. Angesichts der Äußerungen der letzten Wochen hat man nicht mehr den Eindruck, dass die Bundesregierung wirklich daran arbeitet, eine leistungsfähige Gesundheitsreform auf den Weg zu bringen, die die Zukunftsprobleme unseres Gesundheitswesens löst. Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, geht es doch nur noch darum, Ihr Gesicht zu wahren und möglichst glimpflich aus dem Gesundheitsstreit herauszukommen. ({0}) Herr Stoiber hat gedroht: Wenn dieses Projekt scheitert, ist die Regierung am Ende. Herr Struck hat Mitte September dieses Jahres erklärt: Die Gesundheitsreform ist der Lackmustest dieser Koalition; sie muss gelingen, damit die Koalition bis 2009 hält. Der CDU-Generalsekretär hat vorgestern im „Morgenmagazin“ gesagt: Wir stehen Millimeter vor einer Lösung. Sein Kollege von der CSU hat auf diese Äußerung reagiert, indem er sagte: Wir sind Kilometer voneinander entfernt. - All das hat zur Folge, dass die Bürgerinnen und Bürger zu Recht nicht mehr den Eindruck haben, dass es Ihnen in der Gesundheitspolitik wirklich um die Sache geht. ({1}) Vielmehr glauben sie, dass Sie nicht mehr in der Lage sind, Eckpunkte einer Reform zu erarbeiten, die wirklich tragfähige Lösungen für die Probleme unseres Gesundheitswesens darstellen. Man hat in der Tat das Gefühl, dass die Koalition eine Truppe ist, die nicht mehr an der Sache arbeitet, sondern nur noch daran, im Amt zu bleiben. ({2}) Was waren das für große Erwartungen, die diese Koalition geweckt hat? ({3}) Herr Scholz hat im April 2006 gesagt: Die große Koalition muss mit der Gesundheitsreform ihr Meisterstück abliefern. ({4}) Herr Seehofer sagte: Die Gesundheitsreform muss nicht nur Monate, sondern eine ganze Generation tragen. Frau Schmidt, die Bundesministerin für Gesundheit, hat im November 2005 angekündigt, die gesetzlichen Krankenkassen auch im kommenden Jahr zu Beitragssenkungen drängen zu wollen. ({5}) Schon in Ihrem Koalitionsvertrag haben Sie vereinbart, einen Beitrag dazu leisten zu wollen - dazu haben Sie sich verpflichtet -, dass die Lohnzusatzkosten im Bereich des Gesundheitswesens zumindest stabil bleiben, wenn nicht sogar sinken. ({6}) Was hat die große Koalition nach der Kanzlerrunde im Juli dieses Jahres, an der sieben Leute beteiligt waren, als Erstes angekündigt? Dass die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung im nächsten Jahr um mindestens 0,5 Prozentpunkte steigen werden! ({7}) Frau Bundeskanzlerin hat damals erklärt: Mehr wird es nicht. Angesichts der Ankündigungen der Krankenkassen wissen wir mittlerweile, dass sich die Bürgerinnen und Bürger im nächsten Jahr auf weit stärkere Beitragssatzerhöhungen einstellen müssen. Die Beitragssätze steigen auf ein Rekordniveau von mindestens 14,9 Prozent. So hohe Beitragssätze zur gesetzlichen Krankenversicherung kannten wir in Deutschland bisher nicht. Sie sind dafür verantwortlich, weil Sie Entscheidungen Daniel Bahr ({8}) getroffen haben, die dazu führen, dass die Krankenkassen ihre Beitragssätze im nächsten Jahr so massiv erhöhen müssen. ({9}) - Frau Ferner, nicht wir haben die Mehrwertsteuererhöhung beschlossen, durch die die Krankenkassen im nächsten Jahr um 800 Millionen Euro belastet werden. ({10}) Nicht wir haben den Zuschuss des Bundes aus dem Tabaksteueraufkommen infrage gestellt, was bedeutet, dass im nächsten Jahr diese 4,2 Milliarden Euro den gesetzlichen Krankenkassen eben nicht zugeführt würden. ({11}) Sie, Frau Ferner, die SPD und die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU haben Entscheidungen getroffen, die dazu führen, dass die Beitragssätze im nächsten Jahr deutlich steigen. Ihr Vorschlag, einen Gesundheitsfonds aufzulegen, heißt doch nichts anderes, als einen von der Politik festgelegten Beitragssatz einzuführen. Demnächst soll also die Bundesgesundheitsministerin über die Höhe eines bundesweit einheitlichen Beitragssatzes entscheiden. ({12}) Wissen Sie, wozu dies führen wird, erst recht wenn vorher noch die Krankenkassen entschuldet werden? Dass wir in den nächsten beiden Jahren Beitragssätze von deutlich über 15 Prozent erleben werden. Das zeigt, dass Sie von der großen Koalition nicht einmal Ihre eigenen Maßstäbe, die Maßstäbe, die Sie sich gesetzt haben, einhalten. Dabei haben Sie im Koalitionsvertrag versprochen, die Lohnzusatzkosten zu stabilisieren und sie zu senken. Das wird durch Ihre eigenen Vorschläge Makulatur! Für die Patienten wird das Gesundheitswesen immer teurer, aber bei weitem nicht besser. ({13}) Sie nennen Ihr Gesetz „Wettbewerbsstärkungsgesetz“. Bedeutet es mehr Wettbewerb, wenn die Politik entscheidet, wie hoch der Beitragssatz ist, wenn das Geld, das dann bundesweit eingezogen wird, den Krankenkassen quasi zugeteilt wird? Nein, meine Damen und Herren, das ist dann ein Gesundheitswesen, in dem die Beitragsautonomie der Krankenkassen aufgehoben wird, in dem der Zusammenhang zwischen Beitrag und Leistung verloren geht, ein Gesundheitssystem der Zuteilung von Staates, von Bundesregierungs Gnaden. Das hat nichts mit Wettbewerb zu tun, sondern das ist der Weg in ein staatliches und zentralistisches Gesundheitswesen. Die Folgen eines staatlichen und zentralistischen Gesundheitswesens sind Mangelverwaltung und Wartelisten. Die krassesten Unterschiede einer Zweiklassenmedizin kann sich jeder im Ausland anschauen, in England und in anderen Ländern, wo das Gesundheitssystem staatlich ist. Fragen Sie die Patienten, fragen Sie die Versicherten dort! Gerne würden sie wechseln in ein freiheitliches Gesundheitswesen, welches wir in Deutschland wenigstens in Ansätzen noch haben. Das dürfen Sie nicht kaputtmachen, das müssen wir ausweiten! Herzlichen Dank. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Wolfgang Zöller. ({0})

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Grüß Gott, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich mich bei der FDP recht herzlich bedanken, dass sie uns durch die Aktuelle Stunde die Möglichkeit gibt, endlich einmal die positiven Seiten der Gesundheitsreform darzustellen. ({0}) Sie werden sich wundern; ich werde es an ganz konkreten Punkten klar machen. Zunächst einmal zum Beitragseinzug. Noch in der letzten Woche sind Sie durch die Lande gezogen und haben von einem „bürokratischen Monster“ gesprochen. Ihr Vorwurf geht ins Leere; ({1}) denn es kommt folgende Regelung: Der Beitragseinzug bleibt bei den Krankenkassen, wie bisher. Wo also soll da mehr Bürokratie sein? ({2}) Sie behaupten etwas, obwohl Sie wissen, dass nicht stimmt, was Sie sagen. Zum nächsten Punkt. Da die Kassen wie bisher die Beiträge einziehen, erübrigt sich eine Doppelstruktur zum Einzug einer zusätzlichen Prämie. Auch Ihre Aussage, die Umsetzung unserer Vorschläge würde eine solche Doppelstruktur erfordern, ist also falsch. Die Arbeitgeber können künftig sogar an eine Stelle überweisen; das ist eine Vereinfachung gegenüber bisher. Sie sagen, der Wettbewerb werde eingeschränkt. Zunächst einmal: Wenn Sie einen ehrlichen Wettbewerb wollen, müssen Sie vorher Chancengleichheit herstellen. Nur dann ist Wettbewerb möglich. ({3}) Sie können nicht eine Kasse, bei der sehr viele Arbeitslose und sehr viele Ältere versichert sind, in den Wettbewerb treten lassen mit einer Kasse, bei der nur Junge, Gesunde versichert sind. Wettbewerb setzt Chancengleichheit voraus. ({4}) Sie werden sehen, dass der Wettbewerb der Kassen mit unserem Gesundheitsreformgesetz sogar gestärkt wird: Künftig wird wesentlich weniger auf der Bundesebene gemeinsam und einheitlich entschieden, als das heute mit den sieben Spitzenverbänden der Fall ist. ({5}) Es wird einen Spitzenverband geben, der ein ganz begrenztes Aufgabenfeld bekommt und zudem wettbewerbsneutral ist. ({6}) Teile der Aufgaben, die jetzt die sieben Spitzenverbände auf Bundesebene wahrnehmen, werden heruntergebrochen auf die Landesebene. Dort gibt es keine Spitzenverbände, dort bleibt es bei den bestehenden Strukturen, damit eben noch mehr Wettbewerb möglich ist. ({7}) Sie werden sehen, es wird nicht so, wie Sie sagen. Mit diesem Gesetz wird nicht weniger Wettbewerb, sondern mehr Wettbewerb ermöglicht. Nur stichpunktartig: Wir werden Hausarzttarife, wir werden Kostenerstattungstarife ermöglichen. Da müsste die FDP eigentlich Lobeshymnen singen! ({8}) Wir werden Selbstbehalttarife für alle Versicherten ermöglichen, nicht nur, wie bisher, für die besser verdienenden Versicherten. Wir werden den Kassen ermöglichen, Vertragsverhandlungen mit Arzneimittelherstellern zu führen. Wir werden integrierte Versorgungsverträge abschließen und erstmals auch die Pflegeversicherung mit einbinden. Das heißt, der Versicherte wird in den Mittelpunkt gestellt und nicht wie bisher dort behandelt, wo vom Budget noch etwas übrig ist. Auch das ist ein wesentlicher Vorteil, der zu einer besseren Versorgung der Versicherten führt. ({9}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Leute draußen, die uns zuhören, stellen sich meistens drei Fragen: Erstens. Wird es für mich teurer? ({10}) Zweitens. Gehen sie mit meinen Beiträgen wirtschaftlich und sparsam um? ({11}) Drittens. Bekomme ich noch alles oder was wird gestrichen? ({12}) - Sie können noch so sehr dazwischenrufen, ich sage Ihnen die drei Antworten: Zur ersten Frage: Ohne die Gesundheitsreform wird es wesentlich teurer. ({13}) Die Gesundheitsreform ist notwendig, damit es nicht noch teurer wird. ({14}) Zudem schaffen wir mit diesem Gesetz erstmals die Voraussetzungen dafür, dass die Finanzierung nicht an die Lohnkosten, sondern an die Leistungsfähigkeit gekoppelt wird. Zur zweiten Frage, ob wir mit den Beiträgen sparsam umgehen. Sie werden merken: Je mehr Wettbewerb in dem System ist, desto mehr Wirtschaftlichkeitsreserven können erschlossen werden. Es wird mit diesem Gesetz wesentlich mehr Strukturelemente geben, als das jemals vorher bei einer Gesundheitsreform der Fall war. ({15}) Zur Sparsamkeit gehört natürlich auch, dass alle Beteiligten - angefangen bei den Krankenkassen bis hin zu den Ärzten - den Missbrauch der Versichertenkarten bekämpfen müssen. Zur dritten Frage: Die Versicherten bzw. Bürger wollen hören, ob sie mehr oder weniger bekommen. Ich bin seit 1990 dabei. Dies ist die erste Reform, bei der keine Leistungen für die Versicherten gestrichen werden. Vielen Dank. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr. Martina Bunge für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Martina Bunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003743, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die große Koalition ist angetreten, die Herausforderungen der Zukunft anzupacken und zu bewältigen. ({0}) Die Gesundheitsreform wurde als eine solche Herausforderung, wenn nicht als die wesentliche bezeichnet. Doch wie sieht die aktuelle Situation aus? ({1}) Der Zustand wurde in der letzten Woche durch eine renommierte Zeitung meines Erachtens sehr zutreffend charakterisiert: Rasender Stillstand im Berlin der großen Koalition. - Nicht nur die Gesundheitsreform ist im Moment in der Krise, sondern die gesamten Kompetenzzuweisungen im föderalen System werden hinterfragt und infrage gestellt. In den Medien jagen sich die Ideen mittlerweile nicht nur täglich, sondern stündlich. Nachdem sich mehrere Ministerpräsidenten eingemischt hatten, wird von Spitzenpolitikern jetzt diskutiert, wer wann etwas sagen darf. Ich möchte hier einmal betonen: Wir, die Parlamentarier - der Gesetzgeber -, sind immer noch außen vor. Herr Zöller, deshalb mussten wir eine Aktuelle Stunde beantragen. ({2}) Die Fraktion Die Linke hat ihren Antrag nur um der Zeitökonomie willen zurückgezogen. ({3}) Wir wollen in dieser Stunde, die eigentlich die Stunde des Parlaments ist, neues Offizielles von der Bundesregierung erfahren. Die Vorschläge zur Gesundheitsreform ernten breite Proteste. Warum? - Ich denke, sie ernten deshalb breite Proteste, weil die Akteure im und um das Gesundheitssystem, die Patienten und die Versicherten außen vor bleiben. Nehmen wir den Ärzteprotest in der letzten Woche. Sie haben versprochen, mit der Umstellung der Vergütung von Punktwerten auf Eurobeträge werde es zu einer Angleichung zwischen Ost und West kommen. Wenn die Ärztinnen und Ärzte in den neuen Bundesländern in die noch nicht existierenden Gesetzentwürfe schauen und dort lesen, dass die Eurobeträge nach der regionalen Wirtschaftskraft festgelegt werden, dann fangen sie an zu rechnen. Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt ergibt sich beispielsweise für Mecklenburg-Vorpommern nur ein Wert von 67 Prozent des Bundesdurchschnitts. Wenn Sie vielleicht nachher sagen, Frau Ministerin, das sei falsch interpretiert - ich muss leider vor Ihnen sprechen -, dann kann ich nur sagen: Das Schlimme ist, dass wir nicht miteinander reden. Deshalb kommt es zu solchen Verunsicherungen. Eines ist doch klar: Wenn der Knackpunkt, der nach Medienmeldungen noch nicht geklärt ist und erst nächste Woche angegangen werden soll, nämlich der Finanzausgleich zwischen den finanzstarken Südländern und den finanzschwächeren Nord- und Ostländern, ({4}) und wenn der Risikostrukturausgleich in der morbiditätsorientierten Form nicht bald kommt, dann wird das Vermutete Wirklichkeit werden müssen, weil ansonsten einfach das Geld nicht ausreicht. Die Bevölkerung lehnt Ihre Vorschläge mit übergroßer Mehrheit ab. Warum? Das liegt nicht an Reformunwilligkeit. Sie haben versprochen - das wurde eben wieder gesagt -, dass es keine weiteren Einschränkungen oder Belastungen mehr geben wird. Die Beitragserhöhung für nächstes Jahr ist jedoch schon so gut wie beschlossen. ({5}) Der Zusatzbeitrag ist der zweite Knackpunkt. Die Frage ist: Einigen Sie sich auf eine Deckelung von 1 Prozent des Haushaltseinkommens ({6}) - was ja schon eine Belastung bedeuten würde - und, wenn ja, wird es dabei auch zukünftig bleiben? Sollen die Versicherten tatsächlich glauben, diese 1-Prozent-Regelung bleibt ewig bestehen, wo doch dieser Zusatzbeitrag das einzige Ventil im Gesundheitsfonds ist? Diesen Vertrauensvorschuss haben Sie nicht mehr. Die Bevölkerung steht hinter einer solidarischen, paritätisch finanzierten Krankenversicherung. Daher findet die Idee der Bürgerversicherung breiten Anklang. Auch wir, Die Linke, verfolgen diesen Ansatz. Die Bürgerversicherung reflektiert die Veränderungen in der Gesellschaft und der Arbeitswelt: Beiträge für alle und auf alle Einkommen. Das ist für eine bedarfsgerechte Versorgung ohne Zuzahlung auch in der Zukunft ausreichend. Dahinter steht die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler, denen wir verpflichtet sind. ({7}) Daher fordern wir als Fraktion Die Linke: Packen Sie Ihre missglückte Reform ein! Sichern Sie für 2007 den Status quo im Gesundheitssystem und beginnen Sie einen gesellschaftlichen Diskurs! ({8}) Schauen Sie sich die Niederlande an. Dort ist ein gesellschaftlicher Konsens gesucht und gefunden worden. ({9}) Zum Schluss noch ein Zitat. Albert Einstein hat 1929 gesagt: Die Probleme, die es in der Welt gibt, sind nicht mit der gleichen Denkweise zu lösen, die sie erzeugt haben. Daran sollten wir denken. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt. ({0})

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir kam gerade der Gedanke, dass das, was Sie, Frau Kollegin Bunge, zum Schluss gesagt haben, ein gutes Motto für die Arbeit der PDS wäre. Das zu befolgen täte Ihnen sehr gut. ({0}) Kommen wir zum heutigen Thema. Dafür, dass es doch angeblich keine Beratungsgrundlage gibt und dass auch im Arbeitsentwurf nichts festgelegt sei, gibt es in dieser Republik sehr lautes Geschrei. ({1}) Das verwundert nicht, wenn man sich einmal anschaut, woher die Debatten kommen. ({2}) Sie werden von Besitzstandswahrern angestoßen, die glauben, dass Reformen auf den Weg gebracht werden können, deren Motto lautet: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. ({3}) Das wird hiermit nicht geschehen. Ich kann Sie aber beruhigen: ({4}) Die Koalition wird die notwendigen Entscheidungen treffen. Wir werden im Oktober im Kabinett beraten. ({5}) Dann haben wir ausreichend Zeit, den gesellschaftlichen Diskurs, aber auch die Debatten im Deutschen Bundestag ({6}) - unter anderem in Anhörungen mit den Verbänden und all den anderen Betroffenen - zu führen, sodass das Gesetz zum 1. April 2007 in Kraft treten kann. ({7}) Dass wir hier nicht zu übereinstimmenden Auffassungen kommen, ist klar. Sie als FDP wollen, dass das Gesundheitswesen privatisiert wird und dass Menschen mit geringem Einkommen allenfalls eine staatlich garantierte Basisversorgung erhalten. Das unterscheidet sich fundamental von den Zielen, auf denen die Koalition eine Reform aufbaut. ({8}) Diese Ziele sind: Erstens sorgen wir mit dieser Reform dafür, dass jeder und jede eine gute medizinische Versorgung erhält, und zwar unabhängig vom Einkommen, Wohnort - auch das ist heutzutage ein Thema und Alter. ({9}) Zweitens. Mit dieser Reform wollen wir erreichen, dass Patienten und Versicherte mehr Wahlmöglichkeiten erhalten. Sie sollen auch weiterhin den Arzt und das Krankenhaus frei wählen können; darüber hinaus sollen sie aber auch die Wahlfreiheit gegenüber Krankenkassen erhalten, die bei ihren Tarifen kosten- und gesundheitsbewusstes Verhalten belohnen. Drittens. Eine bedeutende Neuerung dieser Reform ist, dass die Wahlfreiheit für jeden Bürger und jede Bürgerin in diesem Land mit dem Rechtsanspruch einhergeht, in eine Krankenversicherung aufgenommen zu werden, und zwar nicht nur in eine gesetzliche, sondern auch in eine private Krankenversicherung. ({10}) Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie halten das System der privaten Krankenversicherung für überlegen. Mir sind aber erst letzte Woche wieder Zweifel gekommen, ({11}) als ich Folgendes lesen musste: Wenn die Koalition tatsächlich wolle, dass eine private Krankenversicherung auch zur Aufnahme kranker Menschen verpflichtet wird, dann würden die Beiträge um 70 Prozent steigen. ({12}) Eine solche Aussage spricht nicht dafür, dass dieses System überlegen ist; sie spricht vielmehr dafür, das weitere Reformen notwendig sind. Denn die gesetzliche Krankenkasse versichert seit ihrem Bestehen Menschen ohne Ansehen des Risikos, ohne dass von einer Erhöhung der Beiträge um 70 Prozent die Rede ist. ({13}) Viertens. Wir wollen mit der Reform erreichen, dass das System und die Gesundheit für die Menschen bezahlbar bleiben. ({14}) Im Unterschied zu Ihnen verfolgen wir den Weg, dass breitere Schultern mehr tragen als schmale, wobei wir sicherstellen, dass der Einzelne durch unsere Reformen nicht überfordert wird. ({15}) Wir sind mit einem hohen Anspruch an die Reformen herangegangen, weil wir, wie es der Kollege Zöller schon formuliert hat, sicherstellen wollen, dass nicht die Versicherten oder die Kranken über höhere Zuzahlungen oder Leistungsausschlüsse die Last zu tragen haben. Im Gegenteil: Wir erweitern die Leistungen, wo dies notwendig ist und wo es sich aus der bisherigen EntwickBundesministerin Ulla Schmidt lung ergibt. Wir erweitern die Leistungen für ältere und schwerstkranke Menschen wie auch für Väter, Mütter und Kinder, weil wir das für notwendig halten. Wir wollen auch, dass die Bevölkerung insgesamt bis ins hohe Alter gut versorgt ist. Deswegen befassen sich 450 der 500 Seiten, die der Arbeitsentwurf umfasst, mit der Frage, wie das Geld der Versicherten im Gesundheitssystem zielgenau für die Versorgung kranker Menschen eingesetzt werden kann. Darin unterscheiden wir uns. Das sind die Grundlagen, die wir mit dieser Reform auf den Weg bringen. Es wird eine gute Reform. ({16}) Im Rahmen der Gesamtreform - über die wir eine große Debatte führen, Frau Kollegin Bender - bringen wir vier große eigenständige Gesetze auf den Weg. Wir führen die umfassendste Strukturreform der letzten 25 Jahre durch. ({17}) Wir führen darüber hinaus eine große Organisationsreform und eine Finanzreform durch und wir reformieren die private Krankenversicherung. Bei den Strukturen geht es vor allen Dingen darum, wie wir ambulante und stationäre Versorgung besser verzahnen können. Deshalb fördern wir weiterhin die integrierte Versorgung und wir bauen sie aus, indem wir die Pflege und die nicht ärztlichen Berufe einbeziehen. Wir werden die Chronikerversorgung verbessern, indem wir sie besser auf die Patienten, insbesondere auf ältere Menschen, ausrichten. Wir werden die medizinischen Versorgungszentren weiter fördern. Wir werden die Krankenhäuser für die ambulante Versorgung von Schwerstkranken oder Menschen mit seltenen Erkrankungen öffnen; denn wir sind der Meinung, dass auch ein gesetzlich Krankenversicherter das Recht haben soll, sich von Spezialisten im Krankenhaus ambulant behandeln zu lassen. Das darf nicht alleine ein Vorrecht der Privatversicherten in diesem Land bleiben. ({18}) Wir leiten zudem strukturelle Maßnahmen ein, wie die Kosten-Nutzen-Bewertung bei Arzneimitteln und das Vier-Augen-Prinzip bei der Verordnung besonderer Arzneimittel und eine Änderung des ärztlichen Honorarsystems. Bei der Organisationsreform wollen wir das starre System von Krankenkassen und Spitzenverbänden entschlacken und entbürokratisieren. Ich sage ganz deutlich: Für den Wettbewerb brauchen wir keine 250 Krankenkassen. Die sollen sich zusammenschließen. Wir brauchen auch keine sieben Spitzenverbände. Vielmehr wollen wir einen Spitzenverband haben. ({19}) Schließlich geht es um Beitragsgelder, Herr Kollege Bahr. Es sollte auch Ihnen zu denken geben, dass für die Finanzierung von sieben Spitzenverbänden bislang über 350 Millionen Euro an Beitragsgeldern ausgegeben wurden. ({20}) Hier wollen wir beginnen, zu sparen, damit wir nicht bei den kranken Menschen sparen müssen. Wir wollen, Frau Bunge, zudem eine Finanzreform, die daran ansetzt, dass die gesetzliche Krankenversicherung eine Solidargemeinschaft ist. Wir wollen, dass in Gesamtdeutschland die Menschen überall eine gute Versorgung haben und dass Krankenkassen, die viele ältere und kranke Menschen als Mitglieder haben, das Geld haben, um die Versorgung sicherzustellen. Als Letztes: Wir werden die private Krankenversicherung nicht außen vor lassen. Auch sie muss sich dem Wettbewerb stellen und sich an der Versorgung aller beteiligen. Wir werden dafür sorgen, dass die privaten Krankenkassen in Zukunft auch ältere, kranke oder behinderte Menschen versichern. Das ist die große Aufgabe, die wir mit dieser Reform angehen. ({21}) Das ist eine gute Reform. ({22})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht nun die Kollegin Birgitt Bender.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Worte hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. ({0}) Die Ministerin verkündet hier großartig: Wir werden Entscheidungen treffen. - Angesichts des Vorlaufs erinnert mich das an eine Erzählung von Heinrich Böll, in der jemand von Anfang bis Ende sagt: Es wird etwas geschehen. Aber tatsächlich passiert nichts. Was ist denn bislang passiert? Sie haben Eckpunkte vorgelegt, die niemanden überzeugen, am wenigsten Sie selbst, meine Damen und Herren von der Koalition. Sie haben Arbeitsentwürfe vorgelegt, über die die Koalition so sehr streitet, dass sie sich selbst zerlegt. Sie haben zwar nachgearbeitet und nachgebessert. Aber tatsächlich haben Sie nur verschlimmbessert. Der ganze Theaterdonner soll eine gemeinsame Politikfähigkeit simulieren, die die Koalition ganz offensichtlich nicht hat. ({1}) Nun haben wir eben gehört, man sei auf etwas Neues gekommen und alles sei furchtbar schön. Beispiel Beitragseinzug: Herr Kollege Zöller, ich lese wohl, der Beitragseinzug für alle Sozialversicherungszweige verbleibt wie bislang bei den Krankenkassen. ({2}) Anschließend müssen aber die Krankenkassen ihre Beiträge an einen Gesundheitsfonds - daran wird ja festgehalten - abführen. Aus dem Fonds sollen die Krankenkassen einen Einheitsbeitrag mit Zu- oder Abschlägen erhalten. Schon damit dürfte man gut beschäftigt sein. ({3}) Dann müssen die Krankenkassen gegebenenfalls einen Zusatzbeitrag erheben. Dafür brauchen sie individuelle Versichertenkonten und entsprechende Mitarbeiter. Dazu kann ich nur ironisch sagen: Die Koalition tut zweifellos etwas für zusätzliche Arbeitsplätze; denn diese werden dabei sicherlich entstehen. ({4}) Anders gesagt: Die Versicherten zahlen dann nicht nur Zusatzbeiträge, sondern bezahlen auch den zusätzlichen Verwaltungsaufwand der Krankenkassen. Das wird sie teuer zu stehen kommen. Eine solche Reform verdient diesen Namen nicht. ({5}) Dann hören wir, es sei Chancengleichheit im Wettbewerb zwischen den Krankenkassen erforderlich. Wohl wahr! Aber bei diesem Thema haben Sie sich bislang nicht geeinigt. Sie haben doch noch gar keinen krankheitsbezogenen Ausgleich zwischen den Krankenkassen erarbeitet. Genau diese Hausaufgabe liegt noch vor Ihnen. Aber von einer Lösung ist bislang nichts zu sehen. Sie feiern sich dafür, dass es in Zukunft nur noch einen Dachverband auf Bundesebene geben und dass auf Landesebene kein Einheitsverband installiert wird. Schön, aber es bleibt bei einem Einheitsdachverband der Kassen auf Bundesebene, es bleibt bei einem Einheitsbeitrag der Kassen, dieser Einheitsbeitrag wird staatlich verordnet - das ist gerade das Gegenteil von Wettbewerb und er soll die Kosten der Krankenkassen ausdrücklich nicht decken. Also müssen die Kassen eine Kopfpauschale erheben. Die haben Sie gemeinsam in die Welt gesetzt. Jetzt streiten Sie sich über die Überforderungsklausel in Höhe von 1 Prozent des Haushaltseinkommens. Die einen sagen, die Überforderungsklausel in Höhe von 1 Prozent sei nicht praktikabel. Damit haben sie übrigens Recht. Die anderen sagen, etwas anderes sei nicht verhandelbar. Da kann ich nur sagen: Guten Morgen, das hätten Sie bei der Installierung der Kopfpauschale schon merken müssen. ({6}) Es ist eigentlich kein Wunder, dass die Koalition ausgerechnet über die Überforderungsklausel so herzhaft streitet; denn am meisten überfordert ist diese Koalition ganz offensichtlich selber. Wenn Sie noch ein Minimum an Lernfähigkeit haben, dann würde es Ihnen zur Ehre gereichen, wenn Sie wirklich noch einmal von vorne anfangen würden. Vielleicht schaffen Sie es irgendwann, eine überzeugende Reform hinzulegen, obwohl man da so seine Zweifel haben kann. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Heinz Lanfermann hat nun für die FDPFraktion das Wort. ({0})

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn eine Regierung oder eine Koalition das Vertrauen des Volkes verlieren will, dann muss sie sich nur mit der Sprache und der Selbstdarstellung weit genug von der Realität entfernen. Genau das haben wir heute wieder erlebt. Die Frau Ministerin hat uns zwar vieles gesagt, aber nichts zu den wirklich brisanten Themen, die heute auf der Tagesordnung stehen. ({0}) Man muss sich fragen: Was ist denn die Realität? Erstens ist Realität: Die Koalition hat eine Reform versprochen, mit der die Beiträge und damit die Lohnnebenkosten gesenkt werden sollten. Beschlossen wurde als Erstes, dass die Beiträge um mindestens einen halben Prozentpunkt steigen. Ergebnis also: Versprochen, gebrochen. ({1}) Zweitens ist Realität: Seit zehn Monaten erleben wir einen chaotischen Verhandlungsmarathon, der immer weiter in die Sackgasse führt. Mal verhandeln sieben, mal fünf, mal sind es 16, mal wird mit Ländervertretern verhandelt, mal ohne. Bevor dann die aggressiven Gefühle gleich zur Explosion führen, reden - dies sogar ohne die CSU - nur noch zwei miteinander, Frau Merkel und Herr Beck. ({2}) Dann gibt es eine Quickie-Pressekonferenz, auf der auch nicht ein Wort mit Substanz geäußert wurde. Aber man will jetzt Sachverstand hinzuziehen. Das wenigstens hört man gerne. ({3}) Richten Sie sich nach dem Sachverständigen Rürup, der genannt worden ist. Der hat bereits vor Wochen gesagt, dieses Vorhaben ende in einem Fiasko. Sie können die Papierstapel in den Müll werfen; denn erstens überHeinz Lanfermann nimmt für die Papiere nie jemand Verantwortung - es steht nie ein ordentlicher Absender darauf, wenn man es genau nimmt - und zweitens hält sich niemand an den Inhalt. Es wird alles wieder infrage gestellt. Ich weiß gar nicht, wie Sie das miteinander aushalten. Es gibt keine Verlässlichkeit, kein Vertrauen und es gibt keine gemeinsamen Ziele. Was gestern verabredet wurde, gilt heute nicht mehr. Das Wichtigste an der Einigung ist, dass man sich überhaupt einigt, ganz gleich, welcher Murks am Ende im Gesetzblatt steht. ({4}) Drittens ist Realität: Es gibt nur ganz wenige Menschen in Deutschland, die das, was in den so genannten Eckpunkten als Gesundheitsreform bezeichnet wird, wollen. Wer will es denn? Es wollen die um die Macht ihrer Parteien sich sorgenden Spitzenpolitiker der schwarz-roten Koalition, getrieben von Angst vor Gesichts- oder Bedeutungsverlust und vor allem getrieben von der Angst vor Neuwahlen, die sich niemand von Ihnen leisten kann. ({5}) Damit laufen Sie Gefahr, Ihre Partei über die Sache zu stellen. Ich bin überzeugt: Wenn es in diesem Parlament eine Abstimmung gäbe, in der alle Abgeordneten nur nach ihrem Sachurteil abstimmen würden, dann wäre die Ablehnung sogar noch größer als in der Bevölkerung, von der alle Umfragen sagen, dass mindestens 80 Prozent der Bürger diesen zusammengestoppelten Unfug ablehnen. ({6}) Daher kommt die Debatte, Frau Ministerin; denn eines ist doch wirklich bemerkenswert, und das sollte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen in den Regierungsfraktionen, wirklich zu denken geben. Seien Sie einmal ganz ehrlich zu sich selbst: Können Sie sich wirklich erinnern, dass irgendein Gesetzesvorhaben in den letzten 20 oder 30 Jahren so generell abgelehnt wurde wie diese Gesundheitsreform? Alle auch nur irgendwie Betroffenen sind dagegen - diese Menschen protestieren auch -: die Bürger, alle Patienten, die Ärzte - ob niedergelassen, ob im Krankenhaus, ob Fachärzte, wer auch immer -, die Apotheker, die gesetzlichen und die privaten Krankenkassen, die Krankenhäuser, die Hersteller von Medikamenten und Hilfsmitteln. Sie alle sind dagegen. Frau Ferner, wenn Sie die Apotheker und die Ärzte schon nicht so ernst nehmen wollen, dann sollten Sie sich doch wenigstens von der AOK anrühren lassen. ({7}) Kennen Sie auch nur eine ernst zu nehmende Zeitung, einen ernst zu nehmenden Journalisten, der, wenn er darüber schreibt, diese Reform nicht kritisiert? ({8}) Kennen Sie jemanden, der mit einem nachvollziehbaren Argument dargelegt hat, dass der Gesundheitsfonds auch nur eines der anstehenden Probleme lösen wird? Dass das Geld hin und her geschoben wird und dadurch angesichts der Bürokratie sicherlich nicht mehr wird, das kann ja wohl nicht Sinn der Übung sein. Bei Ihnen hörte es sich aber so an. Sie haben über den Gesundheitsfonds übrigens kein Wort verloren. Sie kommen mir vor wie jemand, der ein Auto gegen den Baum fährt und sagt: Aber nun schaut doch einmal, wie schön doch die Fenster geputzt sind, freut euch, dass die Hinterräder noch ganz sind und dass wir sie sogar noch polieren werden. Sie kommen mit lauter - an sich zwar wichtigen - Sachen daher; es handelt sich aber um Peanuts im Vergleich zu all dem, was hier mit dieser Reform falsch gemacht wird. ({9}) Zum Abschluss: Sie alle in der Koalition gehen mit dem Fonds um, wie man mit dem Kaiser in dem Märchen von des Kaisers neuen Kleidern umgeht: So wie jeder sieht, dass der Kaiser gar keine neuen Kleider trägt, sondern dass er nackt ist, so sieht auch jeder, dass der Fonds nichts taugt, sondern nur Bürokratie und Kosten bringt und nur aus taktischen Gründen etabliert wird. Und keiner wagt, es auszusprechen. Nur der Kollege Lauterbach ({10}) übernimmt die Rolle des Kindes, das dann ruft: Der Kaiser hat ja gar nichts an! Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Lanfermann, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen. In Erwartung Ihrer spannenden Fragen habe ich die Kollegin Widmann-Mauz nicht aufgerufen. Daher haben Sie jetzt leider nicht mehr die Möglichkeit, ihr zu antworten. Aber wir werden diese spannende Debatte sowieso an anderer Stelle fortsetzen müssen. Das Wort hat für die Unionsfraktion die Kollegin Widmann-Mauz. ({0})

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Dass die FDP diese Aktuelle Stunde heute beantragt, das kann ich gut verstehen. An ihrer Stelle hätte ich es genauso gemacht; denn es ist die Aufgabe der Opposition, solch wichtige Themen ins Parlament zu bringen. Die Medien berichten täglich. Die Menschen fragen sich: Was ist denn los? Da will natürlich auch die FDP endlich einmal etwas zu sagen haben. ({0}) Das ist doch völlig klar. Aber Folgendes müssen Sie der Koalition durchaus zugestehen. Erstens. Wir erarbeiten hinter verschlossenen Türen ein gemeinsames Konzept. Das macht auch Sinn; denn man sollte nicht mit ungelegten Eiern an die Öffentlichkeit gehen. ({1}) Zweitens. Ein Gesetz sorgfältig vorzubereiten, bevor die Befassung im Parlament beginnt, ist ebenfalls richtig. Frau Ausschussvorsitzende, Sie sollten eigentlich wissen: Das Parlament kann sich erst befassen, wenn ein Gesetzentwurf dem Parlament zugeleitet ist. Das sind unsere Regeln. An die müssen Sie sich wahrscheinlich immer noch gewöhnen. Aber es gehört zum Parlamentarismus dazu. ({2}) Außerdem haben wir gesagt: Sorgfalt geht vor Schnelligkeit. Wir akzeptieren keine Fristverkürzungen und wir wollen die volle Beratungszeit im Parlament in Anspruch nehmen. Ich finde, das ist nicht nur fair, sondern es unterscheidet diese Koalition auch sehr deutlich von der Koalition, die die Vorgängerregierung getragen hat. Damit hat in dieser Republik ein neuer Stil Einzug gehalten. ({3}) Manche Journalisten sprechen von einem Hühnerhaufen. Dazu kann ich nur sagen: Die Hühner haben die Eier in Form der Eckpunkte gelegt. Wir lassen uns nicht aus der Ruhe bringen, wenn es darum geht, die Eier in Ruhe zu Ende zu brüten, mögen auch noch so viele Gockel krähen. ({4}) Ich sage hier jetzt nicht: Alles ist schon gut. Nein, es ist noch nicht alles gut, aber wir kommen Stück für Stück voran und wir arbeiten die Eckpunkte in ein gutes Gesetz um. Wir haben noch wichtige Fragen zu klären. Wir gingen mit den unterschiedlichsten Ausgangskonzepten da hinein und wir haben eine Erblast von Rot-Grün übernommen, liebe Kollegin Bender, ({5}) die Sie völlig ignorieren. Beim Thema Bundeshaushalt war für uns klar: Haushaltskonsolidierung hat die erste Priorität. Es sollte eigentlich auch eine grüne Partei beschäftigen, dass in diesem Haus Nachhaltigkeit wieder Einzug hält. ({6}) Schauen Sie sich die Kassenfinanzen an! 4 Milliarden Euro Restschulden bei den Krankenkassen! Angesichts dessen wundere ich mich schon darüber, dass die FDP hier so tut, als hätte sie damit nichts zu schaffen. Aus Rheinland-Pfalz höre ich, dass dort vor der letzten Landtagswahl die Beitragssätze bei einer großen Kasse nicht erhöht wurden, obwohl es notwendig war, nur weil die dortige Landesregierung dies nicht wollte. Da tragen Sie mit Verantwortung! Da haben Sie nicht nur zugeschaut, sondern mitregiert und mitgemacht! Deshalb sollten Sie erst einmal vor der eigenen Haustür kehren. ({7}) Wir wollen, dass die Maastrichtkriterien eingehalten werden und das gilt nicht nur für den Bundeshaushalt, sondern auch für die Sozialkassen. In der Koalition besteht Einigkeit darüber, Intransparenz und mangelndes Verantwortungsbewusstsein zu bekämpfen. Wie will man denn Verantwortung tragen und Intransparenz beheben, wenn man nicht über Preise spricht? ({8}) Dass Ihr Blick nicht weiter geht als in den Fonds hinein und nicht reicht, um zu sehen, dass am Ende dieses Systems zum ersten Mal Preise stehen, ({9}) die man im Wettbewerb vergleichen kann, das wundert mich. Bei den Grünen wundert mich das nicht; denn für Sie von den Grünen endet der Wettbewerb beim Schlagwort; es geht nicht so weit, dass am Ende die Grundlagen dafür geschaffen werden. Wir schaffen Vertragsmöglichkeiten in allen Bereichen. Dass die FDP dies natürlich stört, ({10}) insbesondere wenn es um Apotheker geht, haben wir in Ihrer Rede wirklich deutlich hören können, Herr Lanfermann. ({11}) Wir haben im AVWG - Sie haben erbittertsten Widerstand dagegen geleistet - die Grundlage dafür geschaffen, dass die Arzneimittelkosten im Juli und im August dieses Jahres zurückgegangen sind. Was Sie hier im Parlament abgeliefert haben, ist Verantwortungslosigkeit. ({12}) Wir tragen dazu bei, dass die Kosten sinken. Nehmen Sie Ihre Verantwortung ernst und hören Sie mit diesem Populismus auf! Wir haben keine Angst vor den Konflikten mit den Besitzstandswahrern. Damit sind wir beim Stichwort Bürokratie. Zu dem, was Sie hier verbreiten - Sie sprechen von einem Monstrum und malen das alles so aus -, kann ich nur sagen: Sie ignorieren völlig die Ergebnisse des gestrigen Tages. ({13}) Ein einfacher Beitragseinzug in den bestehenden Strukturen ist gut. Durch die Zusammenarbeit und die Konzentration werden Synergieeffekte genutzt. Den von Ihnen aufgeblasenen Wasserspieltieren, „Monster“ genannt, geht langsam die Luft aus, und das ist gut so. Lassen Sie mich auch das Stichwort Zentralisierung ansprechen. Das ist ein wichtiger Bereich, in dem die FDP agitiert. Was bleibt denn davon übrig? Ein Spitzenverband statt sieben Spitzenverbänden, ({14}) mehr Kompetenz für die Kassen, als es bislang gibt, weniger gemeinsam und einheitlich, mehr im Einzelwettbewerb auf der Landesebene und in der einzelnen Kasse, ({15}) das ist unsere Politik, die sich an Fakten und nicht an Schlagworten orientiert. Sie wollen doch in Wahrheit nur das Scheitern dieser Reform ({16}) und demonstrieren damit die eigene Unfähigkeit, als es darum ging, in der letzten Koalition Konzepte durchzusetzen, oder die Nichtfinanzierbarkeit Ihrer Vorschläge; denn sonst hätten Sie die schon längst als Gesetz im Parlament einbringen können. ({17}) Wir wollen Lösungen. Wir wollen Antworten. Wir wollen uns an der Verantwortung, die in dieser Frage groß ist, orientieren; denn das sind wir den Patientinnen und Patienten, das sind wir den Menschen schuldig. Herzlichen Dank. ({18})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Dr. Carola Reimann.

Dr. Carola Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Wochen war so einiges von den Herren Ministerpräsidenten der Union zu hören. Wenn man sich die Aussagen dieser Länderfürsten anhört, gewinnt man sehr schnell den Eindruck, dass es gar nicht um die Gesundheitsreform geht. Vielmehr scheint es so manchem um sein eigenes Renommee und um Eigeninteressen zu gehen. ({0}) Sie fordern, dass die Reform einzelnen Bundesländern zugute kommen soll. Diese Reform muss aber zum Ziel haben, dass die Versicherten in ganz Deutschland profitieren. Deshalb wird es keine Bayernrabatte und auch keine Extrawürste geben. ({1}) Es wäre angemessen gewesen - da gebe ich dem Kollegen Recht -, wenn die Herren heute hier anwesend wären und sich nicht immer nur quasi aus dem parlamentarischen Off über die Presse zu Wort melden würden. Verwunderlich ist auch, dass sich einige nicht mehr daran erinnern können, was Anfang Juli beschlossen wurde. ({2}) Ich empfehle die Lektüre des gemeinsamen Eckpunktepapiers. Es reicht auch, wenn Sie sich einfach einmal die Aussagen des CDU-Ministerpräsidenten Böhmer vom vergangenen Wochenende anschauen: Die Ein-Prozent-Klausel ist beschlossen. Und: Wer sie jetzt infrage stellt, hat vorher offensichtlich nicht aufgepasst. Dazu kann ich nur sagen: Danke, Herr Böhmer, endlich spricht das auch einmal ein Vertreter der Länder aus. ({3}) Die Länder saßen ja mit am Tisch, als die Eckpunkte ausgehandelt wurden. Man kann doch nicht einfach daherkommen und von einem Kompromiss, den man beschlossen hat, einzelne Punkte, die man soeben noch mitgetragen hat, infrage stellen. Wenn wir damit anfangen, dann fallen auch mir spontan einige Punkte ein. Dann sind wir allerdings wieder so weit wie im Frühjahr. Dahin will doch allen Ernstes keiner zurück. ({4}) Kolleginnen und Kollegen, die Reform besteht ja nicht nur - das will ich klar sagen - aus der 1-ProzentÜberforderungsklausel und aus dem Fonds. ({5}) Bei den allermeisten Vorhaben, gerade bei der umfassenden Strukturreform - sie ist schon angesprochen worden -, sind wir mit den Eckpunkten ein gutes Stück vorangekommen. Diese Punkte sind innerhalb der Koalition völlig unumstritten. Ich bin sicher, wenn sie bekannter wären, wären sie auch in der Öffentlichkeit völlig unumstritten. Beispiele hierfür sind die Fortsetzung und Erweiterung der integrierten Versorgung, ({6}) die Weiterentwicklung der Chronikerprogramme, gerade um chronisch erkrankten Menschen in unserem Lande zu helfen, ({7}) die weitere Öffnung der Krankenhäuser für spezialärztliche Behandlungen im ambulanten Bereich, ({8}) die Kosten-Nutzen-Bewertung für Arzneimittel sowie ein neues Honorarsystem - auch von Ihnen immer wieder gefordert - für niedergelassene Ärzte und vieles mehr. ({9}) Besonders hervorheben möchte ich die erweiterten Vertragsmöglichkeiten, die für die Krankenkassen geschaffen werden. Herr Zöller hat schon den Tarifbereich angesprochen; dazu gehört aber zum Beispiel auch die Ausschreibung von Arzneimittelwirkstoffen und von Hilfsmitteln. ({10}) Damit wird Wettbewerb möglich; diesen wollen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, doch sonst immer. Auch beim Verhältnis von gesetzlicher und privater Krankenversicherung haben wir einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Wir Sozialdemokraten wären da weitergegangen, aber wir stehen zu den Eckpunkten. ({11}) Die Portabilität der Altersrückstellungen steht ganz konkret in den Eckpunkten; sie steht sogar im Koalitionsvertrag. Ich frage mich: Wer kann allen Ernstes etwas dagegen haben, wenn auch Privatversicherte mit der Möglichkeit zur Mitnahme ihrer Altersrückstellung endlich Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Tarifen bekommen und ihnen Wechselmöglichkeiten zwischen den Unternehmen eröffnet werden? Das müssten doch auch Sie begrüßen. ({12}) Dazu gehört notwendigerweise dann auch der so genannte Basistarif ohne Gesundheitsprüfung. ({13}) Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie haben ja diese Aktuelle Stunde beantragt; deshalb noch ein Wort zu Ihnen: Die Reform, lieber Herr Bahr, wird nicht eingestampft, wie Sie dieser Tage gefordert haben. ({14}) Ohnehin wundere ich mich ein wenig über die widersprüchlichen Aussagen von Ihrer Seite in den letzten Tagen. Da haben Sie sich wohl ein bisschen von den Unionsministerpräsidenten inspirieren lassen. ({15}) Sie fordern einmal die zügige Umsetzung, ein andermal das Einstampfen der Reform. ({16}) Da müssen Sie sich jetzt endlich einmal entscheiden. Ich weiß, dass man in der Opposition in der bequemen Lage ist, viel fordern zu können, aber in sich logisch muss das dann auch sein. ({17}) Kolleginnen und Kollegen, entgegen dem Eindruck, den einige Ministerpräsidenten in den letzten Tagen erweckten, sind wir uns in den Fachberatungen in den meisten Punkten, insbesondere bei denen, die die wichtigen Strukturreformen betreffen, einig geworden. ({18}) Ich bin mir sicher, dass wir auch bei den strittigen Punkten noch eine Einigung erzielen. Wir werden morgen unsere Beratungen fortsetzen - wie bisher konstruktiv und lösungsorientiert. Es wäre wünschenswert, wenn sich auch die Herren Ministerpräsidenten der Union an dieser Arbeitsweise orientieren würden. Wir brauchen jetzt nämlich keine albernen Hahnenkämpfe, sondern seriöse Sacharbeit. ({19}) Dafür steht die Facharbeitsgruppe aus Union und SPD. Das ist auch das, was die Versicherten von uns erwarten. Danke schön. ({20})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Jens Spahn. ({0})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unbestritten ist: Die Diskussion der letzten Tage und Wochen, auch die öffentliche Diskussion, war in der Sache nicht immer hilfreich und bringt uns nicht an allen Stellen immer voran. Klar ist aber auch: Eine intensive Sachdiskussion mit einem Ringen um die richtigen Argumente ist gerade bei einer Frage wie jener der Gesundheitsreform, die so viele Menschen betrifft, notwendig. Ich habe mich - weil in den letzten Wochen, auch in den Medien, viel „ampel-geschwampelt“ und das Ganze von der einen oder anderen Seite fokussiert wurde - angesichts dessen, was der Kollege Bahr hier gerade gesagt hat und was einige andere Kollegen ausgeführt haben, allerdings gefragt, wie die Diskussion, auch in der Öffentlichkeit, aussehen würde, wenn es hier zu anderen Mehrheitsverhältnissen kommen würde. ({0}) Man müsste einmal in einer Debatte herauszufinden versuchen, wie diese Ausführungen mit Leben erfüllt werden sollten. ({1}) Für jeden, der die Wahlprogramme von Union und SPD gelesen hat und der weiß, dass Gesundheitspolitik ganz stark mit Programmatik, Menschenbild und Gesellschaftsbild zu tun hat, musste von Anfang an klar sein, dass es bei diesem Thema natürlich Auseinandersetzungen und Diskussionen, auch innerhalb der Koalition und zwischen den Koalitionspartnern, gibt. Das ist normal und gehört dazu. Entscheidend wäre allerdings, dass alle - damit meine ich nicht nur die Ministerpräsidenten, Frau Kollegin Reimann -, die sich öffentlich dazu äußern, intern genauso viel sagen. Wenn lediglich hier etwas gesagt wird, in den internen Diskussionen aber eher nicht so viel, ist das nur bedingt hilfreich. ({2}) Ich will nun auf das eine oder andere, was hier gerade vom Kollegen Lanfermann angesprochen wurde, eingehen. Die erwartbare Steigerung der Beitragssätze um 0,5 Prozent im nächsten Jahr findet nicht statt, weil wir sie in einem Gesetz beschließen würden, sondern weil die Ausgabenentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung so ist, wie sie ist. Die Dynamik würde in jedem Fall in diese Richtung gehen. Dazu, wie Sie auf die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen reagieren würden, habe ich von Ihnen heute kein einziges Wort gehört. Insofern ist das alles ziemlich populistisch, was an dieser Stelle stattfindet. ({3}) Dann wurden einmal mehr die Umfragen in der Bevölkerung angeführt. 80 Prozent der Menschen würden einen Gesundheitsfonds grundsätzlich ablehnen. Ich behaupte, 90 Prozent haben gar nicht gelesen, was in den Eckpunkten steht. ({4}) Das ist auch nicht transportiert worden, weder medial noch in der Diskussion. Es ist nicht fokussiert worden, was jenseits der 1-Prozent-Regelung - die vermutlich manch Außenstehender nicht versteht, obgleich sie wirklich wichtig ist - für das Funktionieren des Fonds mit der Reform beschlossen würde: Es bleibt das Ziel, die Lohnnebenkosten zu senken und die Dynamik der Kostenentwicklung in den nächsten Jahren nicht den Sozialversicherungsbeiträgen aufzubürden, sondern da zu einer anderen Finanzierung zu kommen. Es bleibt das Ziel, Wettbewerb - wenn Sie sich die Eckpunkte einmal genau anschauen, dann müssten Sie eigentlich an vielen Stellen zufrieden sein - zwischen den Krankenkassen zu ermöglichen, bezogen auf unterschiedliche Tarife, Selbstbehalttarife, Kostenerstattungstarife und vieles andere mehr. ({5}) Das betrifft auch den Wettbewerb auf der Leistungserbringerseite, Ärzte, Apotheker - da gibt es ebenfalls Bewegung innerhalb der FDP, wie mir scheint, wenn ich die Kommentare von Otto Graf Lambsdorff in der „Welt“ lese -, und in vielen anderen Bereichen. Ziel bleibt natürlich auch - da bitte ich, in der Diskussion, auch in der öffentlichen, jedem, der mit verhandelt, zu unterstellen, dass er das nach bestem Wissen und Gewissen macht -, jedem in Deutschland unabhängig von Einkommen, Alter und Ansehen das medizinisch Notwendige zur Verfügung zu stellen. In diesem Sinne und in dieser Absicht führen wir die Diskussion. Man kann darüber streiten, wie man zu diesem Ziel gelangt. Aber man sollte in den öffentlichen Debatten dem anderen Teil nicht unterstellen, dass er das Ziel nicht erreichen wolle. Abschließend möchte ich noch etwas sagen, was mir persönlich wichtig ist: Wir werden am Ende nicht eine Reform machen, nur um eine Reform zu machen. ({6}) Das Gesundheitssystem ist ein System, von dem 82 Millionen Menschen, nämlich jeder Deutsche, betroffen sind. Über dieses System wird sehr emotional diskutiert - das kennen wir alle aus unseren Wahlkreisen -, weil die Sorge besteht, ob man das medizinisch Notwendige und Mögliche auch wirklich zur Verfügung gestellt bekommt, wenn man krank ist. Daher darf es auf diesem Feld keine Reform um ihrer selbst willen geben, sondern nur eine Reform, die am Ende in die richtige Richtung weist. Daran arbeiten wir gerade. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Dr. Margrit Spielmann. ({0})

Dr. Margrit Spielmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich liebe Aktuelle Stunden, weil man so viel, aber auch gar nichts sagen kann. ({0}) - Ich wollte gerade feststellen, dass ich meine fünf Minuten Redezeit dazu nutzen möchte, um sachlich - übrigens auch ganz wach und nicht müde, Herr Niebel - auf einige Eckpunkte aufmerksam zu machen, die für mich als Abgeordnete aus einem ostdeutschen Flächenland besonders wichtig sind und die keine Peanuts sind. Auch Herr Lanfermann - ich sehe ihn leider nicht -, der aus dem gleichen Land kommt, weiß das. ({1}) - Er ist vielleicht müde. ({2}) Erster Punkt. Ich nehme zunächst zur Einführung des Gesundheitsfonds Stellung mit Blick auf die ostdeutschen Länder. Der Gesundheitsfonds führt dazu, dass es für die Kassen keinen Unterschied mehr macht, wie viel der Versicherte verdient. Somit ist ein Rentner der Kasse genauso viel wert wie ein freiwillig Versicherter. Erreicht wird das, wie wir wissen, durch den so genannten 100-prozentigen Finanzausgleich. Regional bedeutet dies, dass die Solidarität wohlhabender Regionen mit einkommensschwächeren Regionen gestärkt wird. ({3}) Faktisch wird davon - ich stelle das ganz sachlich fest, Frau Kollegin Bunge - der Osten profitieren. Denn das Ziel, das wir alle verfolgen, ist die Angleichung der Lebensverhältnisse und das Überwinden von Sozialmauern. Ich denke, das Erreichen dieses Ziels wird durch unser Vorgehen unterstützt. Der zweite Punkt. Der Risikostrukturausgleich soll im Rahmen der Fondszuweisungsberechnung weiterentwickelt werden. Dies ist für den Osten ebenfalls von entscheidender Bedeutung, Frau Kollegin Bunge. Er wird nicht nur einfacher, sondern auch zielgenauer und gerechter und er ist hoffentlich auch risikoadjustiert. ({4}) Unverschuldete Wettbewerbsnachteile einzelner Kassen aufgrund vieler kranker und einkommensschwacher Mitglieder, wie wir sie insbesondere im Osten vorfinden, werden durch den Fonds beseitigt. ({5}) - Wir fangen doch erst an, zu debattieren, Frau Kollegin Bunge. - Ich stelle wiederum ganz sachlich fest, dass der Osten auch von dieser Regelung profitieren wird. Der dritte Punkt, den ich erwähnen möchte, ist die Weiterentwicklung der Honorarsystematik hin zu festen Preisen im Zuge der Gesundheitsreform. Die Honorare werden zwischen Kassen und Regionen angeglichen. Denn es ist für uns alle nicht nachvollziehbar, weshalb unterschiedliche Kassenarten in einzelnen Regionen gänzlich unterschiedliche Vergütungen bekommen. Im Ergebnis - auch dieses muss wieder sachlich festgestellt werden - wird davon der Osten profitieren. Wir wissen, dass die medizinische Versorgung in einigen ostdeutschen Regionen kritisch zu bewerten ist. Allein im Lande Brandenburg - ich komme aus diesem Land - werden bis zum Jahre 2010 mehr als ein Drittel der ambulant praktizierenden Mediziner in den Ruhestand gehen. Die Suche nach Nachfolgern stellt sich als schwierig dar. Daher werden bei der Sicherstellung der Versorgung im neuen Gesetz Zu- und Abschläge bei der Vergütung vorgesehen. Zuschläge gibt es in unterversorgten Regionen, um Anreize zur Niederlassung zu setzen. Auch die generelle Öffnung der Krankenhäuser zur Erbringung der ambulanten Leistung kommt gerade den schwach versorgten Regionen zugute. Zudem konnten in den Verhandlungen die Voraussetzungen für die flexible Erbringung von nicht ärztlichen Leistungen geschaffen werden. Ich möchte an dieser Stelle die Gemeindeschwester - das entsprechende Projekt hat die brandenburgische Ministerin Dagmar Ziegler ins Leben gerufen - besonders erwähnen. ({6}) - Gut, wir hatten das alles schon einmal. Aber ich denke, es ist ein wichtiger Ansatz. ({7}) - Dann sind wir also unterschiedlicher Meinung, wer das Amt der Gemeindeschwester zuerst eingeführt hat. Ich denke, die Eckpunkte weisen in die richtige Richtung, weil wir wichtige medizinische Leistungen - das möchte ich abschließend darstellen - neu in den Leistungskatalog aufgenommen haben. Ich möchte zum Beispiel die Erweiterung des Impfkataloges, die Verbesserung der Palliativmedizin und die Einführung von Mutter-Kind-Kuren - all das sind Leistungen, die noch nicht genannt worden sind und in der Diskussion häufig untergehen - nennen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Dr. Rolf Koschorrek. ({0})

Dr. Rolf Koschorrek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003791, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Wenn man in einer Debatte der Redner Nummer vier der eigenen Fraktion ist, dann ist eigentlich alles gesagt, nur noch nicht von einem selbst. Ich werde zusehen, dass ich ein paar Punkte beleuchte, die noch nicht angesprochen worden sind. ({0}) - Der besondere zahnärztliche Aspekt dieser Reform muss vielleicht nicht erwähnt werden. Zur Generalkritik der Opposition ist natürlich einiges zu sagen. Wenn man die Debatten der letzten Wochen verfolgt hat, hat man ganz unterschiedliche Vorwürfe erlebt. Noch vor wenigen Tagen wurde uns vorgeworfen, dass durch die Reform mindestens 20 000 Arbeitsplätze bei den Kassen verloren gehen. Heute wird beklagt, dass wir 10 000 neue Arbeitsplätze schaffen. ({1}) Dann kommt vom Kollegen Bahr die für den Bereich der Kinderstube durchaus eingängige Idee, ähnlich wie beim Monopoly nach „Los“ zurückzugehen, 4 000 Euro zurückzuzahlen und noch einmal von vorn anzufangen. ({2}) - Stimmt, ich habe wirklich anderes zu tun. Das zu Ende gedacht, brauchten wir natürlich eine gewaltige kollektive Amnesie. Denn all das, was in den letzten Wochen und Monaten gesagt worden ist, liegt nun einmal auf dem Tisch. Wir müssen dies abarbeiten ({3}) und nach vorne schauen; das nützt nun alles nicht. Wir sind mit dieser Reform auf dem guten Weg, einige Dinge wirklich nach vorne zu bringen. Ich will auf solche Aspekte zu sprechen kommen, die noch keine Erwähnung gefunden haben. Wir werden im Bereich des Systems der ärztlichen Honorierung neue Wege beschreiten. Wir werden vom Punktesystem wegkommen. Wir wollen hin zu verständlicher pauschalierter Honorierung. ({4}) - Es wird sich nicht vermeiden lassen, dass über den gesamten Kosten im Gesundheitswesen ein Deckel schwebt. ({5}) Das ist doch völlig unstrittig. Das wollen Sie doch nicht im Ernst bestreiten. Wir wollen aber insgesamt zu verlässlicheren Systemen kommen. Wir werden das auch erreichen. Es wird eine deutlich bessere Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung sowie die konsequente Umsetzung der Möglichkeit geben, ambulante Leistungen auch an Krankenhäusern zu erbringen. Allerdings wird es keine generelle Öffnung der Krankenhäuser zu ambulanten Tätigkeiten geben. Die Ansichten meines Kollegen Lauterbach, der heute leider nicht da ist, ({6}) die niedergelassenen Fachärzte seien zu teuer und zumindest teilweise überflüssig, sind nicht Teil der Diskussion. Ich kann Ihnen versichern: Seitens der Union werden wir dafür sorgen, dass diese Ideen weiterhin keine Chancen zur Umsetzung erhalten. Die Union ist sich mit der Ärzteschaft einig, dass die Diskussion um die so genannte doppelte Facharztschiene völlig überflüssig ist. Was wir vielmehr brauchen, ist eine sinnvolle Vernetzung des ambulanten und des stationären Bereiches, wobei der Patient zu dem Arzt geleitet wird, von dem ihm am besten geholfen wird. Auf gesetzgeberische Maßnahmen können wir dann durchaus verzichten. Die integrierte Versorgung wird ausgebaut. Es wird eine Verlängerung der Anschubfinanzierung und die Einbeziehung nicht ärztlicher Heilberufe geben. Die Prävention soll durch eine Bonus-Malus-Regelung nach dem Vorbild - jetzt kommen wir doch dazu - des zahnärztlichen Bonussystems gestärkt werden. Wir machen den Anfang zu einer teilweisen Steuerfinanzierung von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben in der Krankenversicherung. ({7}) Zentrale Aufgaben der Kassenärztlichen Vereinigungen, die Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung und das Qualitätsmanagement, werden bestehen bleiben. Die Krankenkassen erhalten eine wesentlich größere Vertragsfreiheit. Sie können künftig Vereinbarungen treffen, die über die heute gültigen Kollektivvereinbarungen deutlich hinausgehen. ({8}) Alle Krankenkassen müssen Hausarzttarife anbieten, wobei die Teilnahme für Ärzte und Patienten freiwillig ist. Die Kassen können ihr Angebot gestalten und um besondere Tarife erweitern. Das gilt insbesondere für Wahltarife, Chronikerprogramme und Selbstbehaltsysteme. Auch wollen wir - das sollte die FDP freuen - die Möglichkeit der Kostenerstattung deutlich erweitern und sie nicht mehr strafbewehrt lassen. ({9}) Bei der Festlegung der Erstattungshöchstpreise für innovative Arzneimittel wird die Kosten-Nutzen-Analyse eine zentrale Rolle spielen. Sie ist keine zusätzliche Voraussetzung für die Zulassung neuer Arzneimittel. Entscheidend ist: Neue Präparate können auch künftig verschrieben und erstattet werden, wenn noch keine Kosten-Nutzen-Bewertung vorliegt. Das sind nur einige Bereiche, wo wir zeigen, dass wir vorankommen wollen, dass wir die Systeme mit innovativen Ansätzen entbürokratisieren und für Arzt und Patienten neue Möglichkeiten schaffen, weiterhin überprüfbare und gute Medizin leisten und in Anspruch nehmen zu können. Danke schön. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg.

Dr. Wolfgang Wodarg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich auf einen Punkt beschränken, der mir sehr wichtig ist. Wir haben ja schon viele Gesetze verabschiedet und in diese Gesetze hineingeschrieben, was eigentlich geschehen müsste. Wir haben viel möglich gemacht: die Integrationsversorgung, spezielle Modelle. Auch die Palliativ-Care könnte es schon längst geben; die Verträge dürften gemacht werden. Aber das geschieht nicht; sie werden nicht gemacht. Das ist ein großes Problem. Das heißt, es kommt nicht so sehr darauf an, dass das nur in den Gesetzen steht - dort steht schon sehr viel, zu viel -, sondern es kommt darauf an, dass das Geschriebene gemacht wird. Deshalb muss man sich fragen: Weshalb wurde einiges nicht gemacht? ({0}) Es ist ziemlich eindeutig und in diesem Haus schon häufig angesprochen worden, dass es sich für eine Krankenkasse nicht lohnt, sich für chronisch Kranke einzusetzen, wenn die Krankenkasse, die den Auftrag hat, solche Strukturen vertraglich abzusichern, dafür nicht belohnt wird. ({1}) Wir müssen Anreize installieren, wenn wir es mit all den Dingen wirklich ernst meinen, die wir in das Gesetz jetzt hineinschreiben wollen. Ohne Anreize werden sich die Krankenkassen nicht um chronisch Kranke kümmern. Das ist für mich der Maßstab dieser Reform. Wir können uns nicht damit zufrieden geben, dass man sich auf einen Text einigt. ({2}) Ich möchte den Risikostrukturausgleich noch einmal ansprechen. Er ist für uns essenziell. Er ist von Anfang an mit vereinbart worden. Er ist notwendig, weil mit ihm dafür gesorgt werden soll, dass es Anreize gibt, sich um chronisch kranke, alte und teure Versicherte zu kümmern. ({3}) Wenn wir den Risikostrukturausgleich abschwächen, wenn wir Lücken in dieser Konstruktion schaffen, dann werden diese Lücken mit Sicherheit genutzt werden; das wissen wir doch alle. Wir wissen, dass 80 Prozent der Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen, die wir unter den Grundsatz des Wettbewerbs gestellt haben, von 10 Prozent der Versicherten verursacht werden. Eine Krankenkasse, die sich in dieser Frage besonders anstrengt, ohne dass ihr das honoriert wird, wird im Wettbewerb einfach zugrunde gehen. ({4}) Die Krankenkassen sollen aber nicht zugrunde gehen; sie sollen gute Arbeit leisten. Deshalb müssen wir hier die Messlatte anlegen und das ernst nehmen. ({5}) Ich möchte mich gegen eines wehren: Es wird in diesem Hause der Wettbewerb glorifiziert und in unzulässiger Weise vereinfacht. ({6}) Es wird in einem Satz von dem Wettbewerb der Leistungserbringer und dem Wettbewerb der Krankenkassen gesprochen. Was ist das für ein volkswirtschaftlicher Blödsinn? ({7}) Wer so etwas macht, stellt sich wirklich in die Ecke. Wenn sich Personen in einer Solidargemeinschaft organisieren, so ist das vom Staat gewollt und von uns verantwortet, damit keiner elend krepiert, wie das in anderen Ländern der Fall ist. ({8}) Vielmehr können wir stolz darauf sein, dass wir auch den Menschen helfen, die keine guten Kunden sind, weil sie nämlich kein Geld haben. ({9}) Deshalb müssen wir den Wettbewerb der Kassen untereinander genauer betrachten. Eine private Krankenkasse, die natürlich das Kapital der Anleger vermehren soll, gehorcht anderen Gesetzen als eine Solidargemeinschaft unter staatlichem Schutz. ({10}) Auch wenn in unseren Reihen das Wort von dem fairen Wettbewerb zwischen privaten und Solidarkassen immer wieder benutzt wird - ich kann mir das nicht so richtig vorstellen. Mir fehlen einfach die Dimensionen, um das vergleichen zu können. Ich halte es für irreführend, diesen Ausdruck zu benutzen. Ich bin für einen wirklich starken Wettbewerb der Leistungserbringer; denn wir sind verpflichtet, aus dem Geld der Versicherten alles herauszuholen, damit wir unsere Kranken möglichst effizient versorgen können. ({11}) Dafür brauchen wir den Wettbewerb. Wir müssen den Wettbewerb der Leistungserbringer verschärfen. Wie macht man das denn in der Wirtschaft? ({12}) - Wie macht man das sonst? ({13}) Indem man sich zusammentut und Einkaufsgemeinschaften bildet. So macht das jeder Konzern. Schauen Sie sich doch die großen Krankenhauskonzerne an. Glauben Sie, jedes Krankenhaus kauft einzeln ein und schließt einzeln Verträge ab? Nein, sie können nämlich ganz andere Preise aushandeln, wenn sie sich zusammentun. Warum sollen die gesetzlichen Krankenkassen das nicht auch können? ({14}) Warum sollen die gesetzlichen Krankenversicherungen nicht von uns dazu gebracht werden, gemeinsam als Nachfragemacht aufzutreten? Wer sagt, die Krankenkassen sollten im Wettbewerb gegeneinander arbeiten, der will die Solidargemeinschaft spalten, der hat ganz andere Dinge im Sinn. ({15}) - Hören Sie mit diesem dummen Begriff auf. Dieser Begriff sagt doch überhaupt nichts aus. Es geht um politische Ziele. Weil wir staatlicherseits in der Verantwortung stehen, sind wir verpflichtet, aus den Steuergeldern - Steuern erheben Sie genauso ungern wie wir - das meiste herauszuholen. ({16}) Wir sind verpflichtet, Ausschreibungen vorzunehmen. Es wird nicht so sein wie bei der Bundeswehr, wo jede Kompanie selbst ausschreibt. ({17}) Wir passen auf, dass wir das Geld zusammenhalten und auf eine vernünftige Art und Weise das Notwendige bestellen. Das hat mit „Einheitskasse“ überhaupt nichts zu tun. Wir wollen aus dem Geld der Versicherten nur alles herausholen, was wir herausholen können. ({18}) Deshalb müssen wir eine Lösung finden, die dafür sorgt, dass Alte, Kranke und insbesondere chronisch Kranke all das erhalten, was sie brauchen, um gesund zu bleiben oder wieder gesund zu werden, und zwar auch dann, wenn sie kein Geld haben. ({19})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Als letzte Rednerin in dieser Debatte spricht nun die Kollegin Elke Ferner für die SPD-Fraktion.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Sehr geehrter Herr Kollege Bahr, warum haben Sie diese Aktuelle Stunde eigentlich beantragt? Die zwei Redner Ihrer Fraktion haben nicht einmal in einem Halbsatz gesagt, wie die FDP-Fraktion die Probleme des Gesundheitswesens, vor allen Dingen die Finanzierungsprobleme, lösen will. ({0}) Ich habe nichts dazu gehört. Ich weiß nicht, ob es den übrigen Kolleginnen und Kollegen anders gegangen ist. Das, was Sie gemacht haben, war business as usual. Wir wollen - das stellen wir mit dieser Reform sicher -, dass alle auch in Zukunft die medizinisch notwendige Versorgung erhalten und dass vor allen Dingen alle weiterhin Zugang zum medizinischen Fortschritt haben. Das ist die erste Reform ohne Leistungsausgliederung, ohne eine Verschiebung zulasten der Versicherten. Das sollten Sie anerkennen. ({1}) - Ich komme gleich dazu. Nur Geduld, lieber Herr Kollege. Wenn ich mir die Vorschläge aus Ihrem Wahlprogramm anschaue, ({2}) kann ich nur sagen: Gute Nacht, Deutschland! Mit Blick auf viele Patientinnen und Patienten in diesem Land kann ich nur sagen: Gute Nacht! ({3}) Wir haben viele Verbesserungen im strukturellen Bereich erreicht. Wir haben vieles erreicht, was man uns in dieser Regierungskoalition überhaupt nicht zugetraut hat. ({4}) - Herr Niebel, Sie trauen vor allen Dingen sich selbst alles zu, sonst würden Sie nicht so dazwischenrufen. - Ich will Ihnen eines sagen: Die hinzugekommenen Wettbewerbselemente werden die Effizienz des Systems deutlich steigern. Wenn Sie „Wettbewerb“ sagen, aber gleichzeitig das Apothekermonopol und andere „Gartenzäune“, die es in dieser Republik gibt, erhalten wollen, dann ist das unglaubwürdig. ({5}) Sie wollen den Wettbewerb nur dort, wo er Ihnen recht ist; dort, wo er notwendig wäre, verhindern Sie ihn aber. Das ist die Position der FDP. ({6}) - Schreien Sie doch nicht so dazwischen! Lassen Sie sich doch von Ihrer Fraktion als Redner aufstellen oder beantragen Sie noch eine Aktuelle Stunde. Die Regeln der Aktuellen Stunde sehen leider keine Zwischenfragen vor. Meiner Fraktion und mir wäre es lieber gewesen - auch das muss ich sagen -, wenn wir in der Frage „grundlegende Stabilisierung der Finanzierung und nachhaltige Finanzierung der GKV“ weitergekommen wären. Das ist aber nicht an den Kolleginnen und Kollegen im Haus gescheitert, weder an den Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion noch an denen unserer Fraktion. Ein paar Landesfürsten haben leider plötzlich Angst vor der eigenen Courage bekommen. ({7}) In den letzten Tagen und Wochen wurden aus Kreisen der Unionsministerpräsidenten Nachforderungen gestellt. Das betrifft ausgerechnet immer wieder den Punkt soziale Ausgewogenheit. Ich bin sehr dankbar, dass Frau Merkel heute klargestellt hat, dass sie dafür ist, dass niemand überlastet werden soll. Sie hat gesagt: Das Ganze muss praktikabel sein. Der Auffassung sind auch wir. Sie hat außerdem gesagt, dass die Krankenkassen mit älteren und schlecht verdienenden Mitgliedern nicht in die Insolvenz geführt werden dürfen. Damit sind wir sehr einverstanden. Ich bin mir sicher, dass wir auf dieser Basis diesen einen Punkt auch noch zu einer Lösung führen. Nur kann ich nicht verstehen, dass der neue Gesundheitsexperte Göhner dann heute verlautbart: Der Fonds kommt nur, wenn die 1-Prozent-Regelung wegfällt. Ich glaube, da gibt es noch ein bisschen Klärungsbedarf. ({8}) Für uns ist ganz klar - damit möchte ich auf den Kollegen Wodarg zurückkommen -, dass beim Fondsstart faire Wettbewerbsbedingungen vorhanden sein müssen. Auch Herr Kollege Zöller hat das zu Beginn seiner Rede gesagt. Darüber werden wir morgen noch zu diskutieren haben. Dazu gehört ein sehr zielgenauer Risikostrukturausgleich. Auch das müssen wir gewährleisten. Ich sage hier noch einmal - ich habe das schon an anderer Stelle gesagt -: Für uns ist die Voraussetzung dafür, dass der Fonds starten kann, ein sehr zielgenauer Risikostrukturausgleich, ({9}) die Gleichzeitigkeit des Fondsstartes und des Risikostrukturausgleichs ({10}) und vor allen Dingen auch, dass es eine Belastungsobergrenze von 1 Prozent gibt, wie wir sie gemeinsam in den Eckpunkten vereinbart haben. ({11}) Auf dieser Basis - da bin ich mir sicher - kommen wir hier weiter. ({12}) Noch ein Wort zur FDP. Sie wollen ja gerne das ganze Gesundheitswesen privatisieren. ({13}) Sie wollen alles über private Versicherer machen. Wenn ich mir ansehe, welches Armutszeugnis die privaten Krankenversicherer sich letzte Woche ausgestellt haben mit der Aussage, wenn sie jetzt auch noch Kranke versichern müssten, dann müssten die Beiträge um 70 Prozent erhöht werden, ({14}) dann kann ich wirklich nur sagen, dass jeder gut beraten ist, es sich vier Mal zu überlegen, ob er von der Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung zur privaten Krankenversicherung wechselt. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 28. September 2006, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.