Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, Punkt 28 - Beratung des Antrags der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Für die unbeschränkte Geltung der Menschenrechte in
Deutschland“ - von der Tagesordnung abzusetzen. Sind
Sie mit dieser Vereinbarung einverstanden? - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Annahme einer Vereinbarung zwischen dem
Deutschen Bundestag und der Bundesregierung über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union
- Drucksache 16/2620 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Michael Roth, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Man ist ja fast versucht, jeden der anwesenden Kollegen
per Handschlag und mit Namen zu begrüßen.
Das geht dann aber von Ihrer Redezeit ab.
Deswegen erspare ich mir das, Herr Präsident. - Ich
glaube nicht, dass dies der Bedeutung der heutigen Debatte gerecht wird. Bundestag und Bundesregierung
schließen heute nämlich eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen
Union, wie es etwas nüchtern heißt. Es geht dabei jedoch
weniger um rein organisatorische und technische Fragen
der europapolitischen Kooperation zwischen Parlament
und Regierung. Vielmehr wagen wir mit dieser Vereinbarung mehr Parlamentarismus und Demokratie. Der
Bundestag kann zukünftig das Gesicht Europas stärker
gestalten als jemals zuvor. Diese Vereinbarung ist längst
überfällig.
({0})
Wir alle, die sich mit Europa beschäftigen, spüren:
Die Idee eines vereinigten Europas hat in den vergangenen Jahren an Strahlkraft verloren, und zwar nicht nur
bei den Bürgerinnen und Bürgern, den Medien und vielen Organisationen, sondern auch bei uns: In allen Fraktionen ist das Unbehagen gegenüber der europäischen
Integration gewachsen. Viele von uns schimpfen über
den Bürokratiekoloss in Brüssel. Nicht wenige schütteln
den Kopf über die vermeintlich weltfremde europäische
Gesetzgebungsmaschinerie. Immer mehr Kolleginnen
und Kollegen bedauern den sinkenden Einfluss nationalen Handelns. Viele sehen keine Spielräume mehr für eigene Akzente und Ideen, wenn es gilt, Richtlinien in nationales Recht umzusetzen. In den Augen einiger von
uns ist die EU nur noch ein Büttel der Globalisierung
und nicht mehr das Instrument, um Globalisierung demokratisch und sozial zu gestalten.
Das ist eine ziemlich deprimierende Zustandsbeschreibung. Ich halte diese Beschreibung aber für falsch.
Auch wir Abgeordnete des Deutschen Bundestages sind
Europa. Wir sind Teil der europäischen Gesetzgebung.
Wir vertreten die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands,
die auch Bürgerinnen und Bürger der Europäischen
Union sind. Auch wir tragen in hohem Maße für dieses
Europa Verantwortung. Daher müssen wir Europa parlamentarisieren. Wir müssen unser Parlament europäisieren.
Auf diesem Weg sind wir mit der Vereinbarung gemeinsam einen großen Schritt vorangekommen.
({1})
Redetext
Michael Roth ({2})
Auch das ist im parlamentarischen Alltag selten. Aber es
ist folgerichtig. Wenn Parlamentsrechte unmittelbar berührt sind, dann sollten die traditionellen Linien zwischen der Opposition einerseits und der Koalitionsmehrheit andererseits verschwimmen.
Ich danke daher ausdrücklich den Kollegen Rainder
Steenblock, Markus Löning, Alexander Ulrich, Thomas
Silberhorn, Michael Stübgen und Axel Schäfer. Ich
danke auch den Vertretern der Bundesregierung, Staatsminister Günter Gloser und Staatssekretär Peter Hintze,
die für die Bundesregierung die Verhandlungen führten.
Bei ihnen hat man das parlamentarische Herz noch sehr
stark schlagen gehört; auch das hat sicherlich zum Erfolg
der Beratungen beigetragen.
({3})
Dank gilt aber auch unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die im Hintergrund engagiert und hoch kompetent zum Erfolg beitrugen.
Der europäische Gesetzgebungsprozess ist bislang
stark von der Exekutive geprägt; im Rat sitzen Ministerinnen und Minister. Unser Auftrag ist es, innerstaatlich
deren Handeln zu kontrollieren und Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen. Zukünftig werden die Informationsrechte des Bundestages erheblich ausgeweitet.
Alle Bundestagsabgeordneten haben Zugang zu allen
Dokumenten und Berichten der EU-Kommission, des
Rates und der Bundesregierung. Endlich befinden wir
uns mit dem Bundesrat auf einer Augenhöhe. Die im
Verhältnis zum Bundestag bedenklich starke Position der
Länderregierungen, zugrunde gelegt im Art. 23 Grundgesetz, war, ist und bleibt für uns ein Ärgernis. Daran hat
auch die Föderalismusreform substanziell nicht viel geändert.
({4})
Im Bereich der originären Bundeszuständigkeiten
- Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Handelspolitik - verfügen wir zukünftig über mehr Informationsrechte
als der Bundesrat. Stellungnahmen des Bundestages werden verbindliche Grundlage für die Verhandlungen der
Bundesregierung im Rat. Abweichen kann die Bundesregierung nur dann, wenn sie es mit außen- oder integrationspolitischen Gründen zu rechtfertigen vermag. Die
Bundesregierung ist verpflichtet, Rechenschaft gegenüber dem Bundestag abzulegen. Bei grundlegenden europäischen Weichenstellungen - Eröffnung von Beitrittsverhandlungen, Vertragsänderungsverfahren - muss
sich die Bundesregierung um ein Einvernehmen mit dem
Bundestag bemühen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gefällt nicht allen. Einige Kommentatoren sprechen von neuer Blockade in der Europapolitik. Ein vermessener Vorwurf!
Kann man von Blockaden sprechen, wenn der Bundestag zu einer besseren Gesetzgebung beizutragen versucht? Kann man von Blockaden sprechen, wenn wir
nicht erst bei der Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht, sondern schon bei deren Erarbeitung Einfluss
zu nehmen versuchen? Kann man von Blockaden sprechen, wenn Abgeordnete die Europapolitik des Bundes
auf ein breiteres Fundament stellen? Parlamente sind
kein überflüssiges Beiwerk, kein Sahnehäubchen, sondern das Fundament unserer Demokratie.
Die Beratungen über die Dienstleistungsrichtlinie zeigen auf eindrucksvolle Weise, wie frühzeitige und umfassende Mitwirkung von Abgeordneten zu besserer
Rechtsetzung führen kann. Lassen wir diesem Beispiel
weitere folgen!
({5})
Wir übernehmen zukünftig verstärkt Verantwortung,
liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Schutzbehauptung
einzelner von uns, man habe nichts gewusst und nichts
gehört, gilt nicht länger. Diese Verantwortung verpflichtet uns zu größerem Einsatz, größerer Aufmerksamkeit,
größerer Sorgfalt und größerer Wertschätzung gegenüber
den Europapolitikerinnen und -politikern im ganzen
Hause.
Europa darf auch nicht länger nur Angelegenheit der
Mitglieder des Europaausschusses sein. Wir brauchen
den Sachverstand aller Fachpolitikerinnen und -politiker. Außerdem müssen dieser Vereinbarung weitere
Schritte folgen: mehr europapolitische Kompetenz in der
Bundestagsverwaltung und in unseren Fraktionen, Änderungen der Geschäftsordnung, die die Zusammenarbeit zwischen Fachausschüssen und EU-Ausschuss verbindlicher regeln, sowie ein Verbindungsbüro des
Bundestages in Brüssel, nicht in Konkurrenz, sondern in
Partnerschaft zu unserer ständigen Vertretung der Bundesrepublik. Dies sollten wir selbstbewusst nach außen
vertreten; schließlich folgen wir damit dem Beispiel fast
aller nationalen Parlamente in der Europäischen Union.
Wir brauchen eine noch engere Kooperation mit
dem Europäischen Parlament in der Gesetzgebung.
Wir alle wissen, wie schwierig es ist, einen kontinuierlichen Kontakt zu unseren Kolleginnen und Kollegen im
Europäischen Parlament zu halten. Dennoch ist dies notwendig, um die Rechtsetzung zu verbessern. Außerdem
brauchen wir hier im Bundestag regelmäßigere Plenardebatten zu aktuellen europapolitischen Projekten.
Wir brauchen schlussendlich eine EU-Verfassung.
Wir brauchen eine europäische Verfassung, weil sie Europa handlungsfähiger und demokratischer macht und
weil sie den nationalen Parlamenten weitere Mitwirkungsrechte eröffnet.
Niemand von uns sollte sich der Illusion hingeben,
dass auf einen Schlag alles besser wird. Aber es gilt nun
die großartige Chance zu nutzen, die uns die zur Diskussion stehende Vereinbarung eröffnet. Auch wenn es
heute nicht danach aussehen mag - wir beraten ja in
überschaubarer Runde -, könnte diese Vereinbarung
durchaus einen bedeutenden Platz im Geschichtsbuch
des Parlamentarismus in Europa finden. Allein, es liegt
in unserer Hand.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Michael Roth ({6})
({7})
Ich erteile das Wort Kollegen Markus Löning, FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir als ersten Satz
aufgeschrieben - so ähnlich hat es auch der Kollege
Roth gerade formuliert -: Das wurde Zeit. Seit 1993
existiert eine solche Vereinbarung zwischen Bundesrat
und Bundesregierung. Zwar möchte ich mich dem berechtigten Lob meiner Vorredner aus vollem Herzen anschließen und hinzufügen, dass wir, die Opposition, von
den Koalitionsfraktionen und den Mitgliedern der Bundesregierung, die das verhandelt haben, sehr fair behandelt wurden. Dafür gebührt ihnen unser Dank, insbesondere den Herren mit den zwei Herzen in der Brust, Herrn
Gloser und Herrn Hintze.
({0})
Dennoch möchte ich kritisch fragen - diese Frage
stellt sich für mich leicht, weil ich dem Bundestag erst
seit 2002 angehöre -, was mit den Kollegen eigentlich
los gewesen ist, die seit 1993 dabei sind und die gewusst
haben, dass der Bundesrat und die Bundesregierung eine
solche Vereinbarung beschlossen haben. Welches Selbstverständnis hatte der Deutsche Bundestag in den letzten
Jahren? Wir, die Abgeordneten, sollten uns also nicht
nur lobend äußern, sondern auch deutlich machen, dass
so etwas nicht wieder passieren darf. Der Bundestag
braucht in Zukunft deutlich mehr Selbstbewusstsein.
Das ist auch das richtige Stichwort im Hinblick auf diese
Vereinbarung.
In der Substanz stimmen wir alle der Vereinbarung
zu. Nun muss diese Vereinbarung aber auch umgesetzt
werden. Dabei wird es verstärkt darauf ankommen, dass
nicht nur wir als Fachabgeordnete, die Europapolitiker,
uns damit beschäftigen, sondern dass auch in den Fachbereichen und den Fachausschüssen - egal ob es nun die
Bereiche Arbeit, Inneres, Justiz oder Finanzen sind; ich
begrüße es deshalb außerordentlich, dass die Bundesregierung mit einer ganzen Reihe von Fachministern vertreten ist - an den europapolitischen Vorlagen zu einem
Zeitpunkt gearbeitet wird, zu dem wir noch Einfluss
nehmen können. Wir müssen unsere Arbeitsweise umstrukturieren und früher in die Prozesse eingreifen. Ich
appelliere insbesondere an die Koalitionsabgeordneten:
Haben Sie die Traute, der Bundesregierung zu sagen, in
welche Richtung sie marschieren soll! Es wird darauf
ankommen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Koalitionsfraktionen, dass Sie der Bundesregierung gegebenenfalls die Leviten lesen und sagen: Wir, die Parlamentarier, bestehen darauf, dass es behandelt wird und
dass ein bestimmter Beschluss gefasst wird. - Sie können sich darauf verlassen, dass wir, die Opposition, das
auf jeden Fall machen werden.
({1})
Die große Chance der Vereinbarung besteht in zwei
Dingen. Zum einen wird das Demokratiedefizit in Europa ein Stück weit abgebaut. Wir haben immer beklagt,
dass Europa zu undemokratisch ist und dass die Parlamentarier zu wenige Mitspracherechte haben. Das ändern wir mit dieser Vereinbarung. Die Parlamentarier
können wieder mitreden, und zwar dann, wenn sie die
Entscheidungen noch beeinflussen können.
Zum anderen versetzt uns die Vereinbarung in die
Lage - das halte ich für fast noch wichtiger -, Debatten
in Europa, die bislang mehr oder weniger unter Ausschluss der nationalen Öffentlichkeit geführt werden, in
den Fokus der nationalen Öffentlichkeit zu rücken. Wir
können Europaangelegenheiten im Deutschen Bundestag thematisieren und so die Aufmerksamkeit der deutschen Bürger und der deutschen Medien darauf lenken.
Wir können hier Europaangelegenheiten, über die bislang in Brüssel hinter verschlossenen Türen beraten
wurde, thematisieren, und zwar zu einem Zeitpunkt, zu
dem wir noch Einfluss ausüben können.
Wir tragen eine große Verantwortung, das auch zu
tun. Nur wenn für die Bürger deutlich wird, dass wir zu
einem Zeitpunkt mitreden können, zu dem noch ein Eingreifen möglich ist, werden wir in der Lage sein, die Europamüdigkeit der Bürger zu bekämpfen und den Bürgern zu zeigen, dass man bei Europa mitreden kann.
Man kann es vielleicht auf folgenden Nenner bringen: Es
wird unsere Aufgabe sein, anhand dieser Vereinbarung
in den nächsten Jahren das Raumschiff Brüssel dazu zu
bringen, öfter hier in Berlin auf dem harten Boden der
Realität zu landen und sich hier mit den Tatsachen vor
Ort auseinander zu setzen. Ich glaube, das ist eine nicht
zu unterschätzende Aufgabe, die in den nächsten Jahren
auf uns zukommt.
Vielen Dank.
({2})
Ich erteile das Wort Kollegen Michael Stübgen, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann mit
Blick auf die nicht übermäßige Präsenz vielleicht auch
formulieren, dass unsere Kolleginnen und Kollegen, die
jetzt nicht hier sind, ein derartig fundamentales Vertrauen in uns haben, dass sie wissen, dass wir das vernünftig und richtig hinbekommen, und sie sich den
wichtigen tagespolitischen Aktivitäten widmen können.
({0})
Wenn wir diese Zusammenarbeitsvereinbarung, über
die wir jetzt beraten und die Gegenstand unseres Antrags
ist, verabschieden und wenn sie in Kraft tritt, ist das eine
entscheidende Wegmarke in einem ungefähr 15 Jahre
währenden Prozess. Wir haben in Deutschland und in Europa mit der Ratifizierung des Maastrichter Vertrages
1992 endgültig die Wende von Außenpolitik in Europa zu
europäischer Innenpolitik eingeleitet. Während des Zeitraums der Ratifizierung des Maastrichter Vertrages hat
sich der Bundesrat richtigerweise - darauf ist schon hingewiesen worden - umfassende Informations- und Mitwirkungsrechte bei der europäischen Rechtsetzung
gesichert. Der Bundestag hat sich damals bei der Ratifizierung des Maastrichter Vertrages - ich war damals nicht
nur dabei, sondern auch Berichterstatter - deutlich weniger Informationsrechte und faktisch keine Mitwirkungsrechte gesichert.
Man könnte lange darüber spekulieren, warum das so
ist und warum es fast 15 Jahre gedauert hat, bis wir eine
Zusammenarbeitsvereinbarung, die der des Bundesrates
gleichwertig ist, abschließen konnten. Auf jeden Fall
war es so, dass dieses Thema in den Ausschüssen des
Bundestages immer wieder beraten worden ist. Das geschah aber nach dem klassischen Schnittmuster, das wir
bei vielen wichtigen Themen kennen. So haben SPDFraktion und Grüne dieses Thema immer wieder aufgegriffen, aber sie haben 1999 gänzlich den Mut verloren,
nachdrückliche Forderungen zu stellen. Ich muss zugeben, dass auch CDU/CSU und FDP diesen Mut, etwas
zu fordern, erst 1999 gewonnen haben. Es ist nun einmal
einfacher, aus der Opposition heraus Forderungen zu
stellen, als wenn man Verantwortung in der Regierungskoalition trägt. Ich sage das deshalb, weil ich unterstreichen möchte, von welch besonderer Bedeutung die Tatsache ist, dass dieser Zusammenarbeitsvereinbarung, die
wir heute beschließen, von allen Fraktionen dieses Hauses zugestimmt worden ist. Ich glaube, das ist ganz entscheidend für die Qualität dieser Vereinbarung.
({1})
Wir werden mit dieser Vereinbarung neue Wege in
der Europapolitik und der Befassung mit Europapolitik
in diesem Bundestag gehen. Wir werden in Zukunft ein
allumfassendes Informationsrecht für alle europäischen Belange haben. Wir werden alle Dokumente und
Berichte der Gemeinschaftsorgane, der Kommission und
ihrer Dienststellen, des Rates und seiner Arbeitsgruppen,
und auch die Dokumente der ständigen Vertretung in
Brüssel zu allen europäischen Aktivitäten bekommen.
Wir werden sie sehr frühzeitig bekommen, nämlich nach
spätestens zehn Tagen. Sofern es sich um Rechtsetzungsakte handelt - das ist ein Punkt, der mir bei den
Verhandlungen besonders wichtig war -, werden wir innerhalb dieser zehn Tage von der Bundesregierung eine
umfassende Folgenabschätzung, eine Prüfung der
Rechtsgrundlage und eine Subsidiaritätsprüfung bekommen. Das ist deshalb wichtig, weil wir im Gegensatz
zum Bundesrat nicht die Expertise haben, das alles in
unserem Haus mit unseren Referenten und Ausschusssekretariaten prüfen zu können. Wir werden in Zukunft
die Möglichkeit haben, auf die Expertise der Bundesregierung und ihrer Europaexperten zurückzugreifen. Es
ist wichtig, dass wir uns auch in diesem Fall umfassend
informieren können.
Es wird in einem zweiten Kernbereich eine entscheidende Weichenstellung geben. Es geht um unsere Mitwirkungsrechte. Jeder weiß, dass in Art. 23 Grundgesetz Mitwirkungsrechte für den Deutschen Bundestag
definiert sind. Jeder von uns weiß auch, wie sie in den
letzten 15 Jahren angewandt oder eher nicht angewandt
worden sind. Wir schaffen mit dieser Vereinbarung nun
Kernbereiche, in denen der Deutsche Bundestag stärker
als bisher und eindeutiger als bisher bei der europäischen
Rechtsetzung mitwirken kann. Ich will kurz auf drei
Kernbereiche eingehen.
Wenn der Deutsche Bundestag in Zukunft nach
Art. 23 des Grundgesetzes einen Beschluss zu einem
europäischen Rechtsetzungsvorhaben fasst, dann wird
dieser Beschluss von der Bundesregierung nicht nur zu
berücksichtigen sein, wie das bisher der Fall ist, sondern
dieser Beschluss wird für die Bundesregierung eine verbindliche Grundlage für ihre Verhandlungen bei den europäischen Räten sein. Wir führen in diesem Zusammenhang ein neues Instrument ein, das auf unsere
Beschlussfassung folgt. Wenn die Bundesregierung bei
ihren Beratungen in den europäischen Räten die wesentlichen Grundlagen unseres Beschlusses nicht umsetzen
kann, was natürlich vorkommen kann, dann wird sie einen Parlamentsvorbehalt einlegen und sich bemühen,
vor der endgültigen Beschlussfassung im Europäischen
Rat Einvernehmen mit dem Bundestag herzustellen. Das
heißt, wir werden in jedem Fall die Möglichkeit haben,
uns mit den neuen Rahmenbedingungen hier im Bundestag zu befassen und uns eine eigene Meinung zu bilden.
({2})
Bei einem anderen Schwerpunkt geht es um, wie ich
es nenne, politisch schwerwiegende Rechtsetzungsvorhaben der Europäischen Union. Ein Beispiel ist die so
genannte Passerelle. Das heißt, der Europäische Rat
kann einstimmig beschließen, dass in bestimmten Politikbereichen der Europäischen Union nicht mehr Einstimmigkeit erforderlich ist, sondern die Mehrheitsentscheidung genügt. Solche Entscheidungen sind politisch
deutlich brisanter, als auch ich mir das vor 15 Jahren
noch vorgestellt habe, als dieses Verfahren eingeführt
wurde. Es geht dabei nämlich darum, dass die Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit verliert, und zwar
endgültig, in diesen Politikbereichen durch ein Veto irgendeine europäische Rechtsetzung, die dann ja auch für
Deutschland verbindlich ist, aufzuhalten.
Die Bundesregierung hatte auf der Grundlage der alten
Zusammenarbeitsvereinbarung bisher die Auffassung,
dass es für diese Vorhaben keine besondere Information
des Bundestages und auch kein Mitentscheidungsrecht
des Bundestages gebe, weil nämlich alle diese Möglichkeiten schon bei der Ratifizierung von europäischen Verträgen ziemlich genau festgelegt worden seien, allerdings
pauschal. Wir legen in dieser Vereinbarung nun fest, dass
es sich dann, wenn solche Vorhaben beraten werden, um
Vorhaben im Sinne dieser Vereinbarung handelt. Das
heißt, wir werden allumfassende Informationsrechte und
die vollen Mitwirkungsrechte haben. Es wird eine öffentliche Debatte dazu geben, sodass auch die Bürger von
solch entscheidenden Vorhaben mehr erfahren.
({3})
In einem weiteren Bereich geht es darum, dass die
Europäische Union bestimmte Beschlüsse fasst, der Europäische Rat zum Beispiel Beitrittsverhandlungen mit
einem assoziierten Land oder Vertragsveränderungsverhandlungen aufnimmt. Wir alle wissen, dass eine
solche Entscheidung im Vorhinein viel wichtiger ist als
letztlich die Ratifizierung, bei der wir nur noch Ja oder
Nein sagen können und faktisch - jedenfalls in der Koalition - eigentlich gar nicht mehr Nein sagen können.
Entscheidend ist, dass wir vor solchen Beschlüssen damit befasst werden.
Hierzu wird geregelt, dass die Bundesregierung in
Zukunft vor Beginn von Beitritts- oder Vertragsveränderungsverhandlungen versucht, Einvernehmen mit dem
Bundestag herzustellen. Auch hierzu werden wir eine
öffentliche Debatte haben. Hierüber können wir uns
ebenfalls eine Meinung bilden. Sowohl die Bundesregierung als auch wir werden der Öffentlichkeit gegenüber
Rechenschaft darüber ablegen müssen und können, warum wir uns für oder gegen solche Entscheidungen aussprechen.
Diese Zusammenarbeitsvereinbarung wird fundamentale Auswirkungen auf unsere tägliche Arbeit, auf die
Arbeit eines jeden Kollegen haben. Es wird sich zum
Beispiel die Menge an Informationen, die uns zur Verfügung stehen, sehr stark verändern. Wir werden in Zukunft eine Informationsflut bekommen, die mir manchmal schon Angst macht. Vor allen Dingen wird für uns
wichtig sein, dass wir in der Lage sind, die wirklich
wichtigen und entscheidenden Informationen rechtzeitig
herauszufiltern und mit ihnen zu arbeiten, um Einfluss
auf die europäische Rechtsetzung nehmen zu können.
Ich sage es unumwunden: Wir brauchen, und zwar
möglichst bald, eine Datenbank für diese Informationen. Ich weiß, der Bundesrat hat viele Jahre an solch einer Datenbank gearbeitet. Es handelt sich dabei auch um
ein sehr komplexes und kompliziertes Verfahren. Ich
will dazu nur sagen: Ich wünsche mir, dass wir es schaffen, gemeinsam mit dem Bundesrat kollegial solch eine
Datenbank zu nutzen. Symbolisch ist das auch sehr vernünftig, weil wir beide ja die Verfassungsorgane sind,
die über europäische Rechtsetzung mitentscheiden können.
({4})
Es wird aber auch etwas Positives passieren. Ich
glaube, fast jeder von Ihnen hat schon das frustrierende
Erlebnis gehabt, dass man Berichterstatter für einen
Richtlinienvorschlag der Europäischen Union geworden
ist, sich dann intensiv damit beschäftigte, aber dann,
wenn man aufs Datum schaute, oft merkte, dass die
Richtlinie zwei bis drei Jahre alt war und in den europäischen Gremien schon längst umgesetzt worden war.
Trotzdem wurde darüber beraten und man musste sich intensiv damit beschäftigen. Zum Schluss konnte man nur
noch mutig „Kenntnisnahme“ empfehlen. Diese frustrierenden Erlebnisse werden der Vergangenheit angehören.
Wir sind jetzt in der Lage, uns bei Rechtsetzungsvorhaben zu einem sehr frühen Zeitpunkt in die Beratungen
einzumischen. Wir werden in der Lage sein, europäische
Rechtsetzung mitzugestalten. Wir müssen dies aber auch
tun.
({5})
Wenn wir uns in Zukunft nicht bewegen, wird sich auch
in der Art und Weise der Behandlung der Europapolitik
nichts ändern.
Das heißt, diese Zusammenarbeitsvereinbarung gibt
uns die Möglichkeit, Europapolitik mitzugestalten. Unsere Aufgabe ist es, dies dann auch zu tun. Wir werden
also in Zukunft hoffentlich die Lust haben, europäische
Politik direkt mitzugestalten. Wir werden aber auch die
Last haben, dass sich das Ausmaß des Aufwands von jedem Einzelnen von uns für die Beschäftigung mit europäischer Politik massiv ausweiten wird.
Danke schön.
({6})
Nun hat Kollege Alexander Ulrich, Fraktion Die
Linke, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Vorredner haben darauf hingewiesen, dass die
Anwesenheit der Abgeordneten bei diesem doch wichtigen Thema sehr bescheiden ist. Es steckt vielleicht auch
eine gewisse Symbolik dahinter, dass mehr Zuschauer,
die ich ganz herzlich begrüße, als Abgeordnete da sind.
Es zeigt nämlich, dass scheinbar die Menschen in diesem Land mehr Interesse an Europa haben, als der Bundestag bisher an den Tag gelegt hat. Das zeigt mir aber
auch - Herr Löning, auch Sie haben das ja kritisiert -,
warum es so lange gedauert hat, bis es zu dieser Vereinbarung gekommen ist.
({0})
- Wir beide waren nicht dabei; da gebe ich Ihnen Recht. Es ist aber auch wichtig, festzuhalten, dass mit dieser
Vereinbarung, die wir heute verabschieden, der Aufruf
an uns alle ergeht, sie mit Leben zu erfüllen. Wir haben
monatelang um diesen interfraktionellen Antrag gerungen, über ihn verhandelt und auch gestritten. Es kommt
jetzt wirklich darauf an, wie die einzelnen Abgeordneten
diese erweiterten Rechte des Bundestages wahrnehmen. Nur dann, wenn das geschieht, entfaltet diese Vereinbarung eine langfristige Wirkung.
Wir von der Fraktion Die Linke begrüßen die vorliegende Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesregierung zur Verbesserung der Europatauglichkeit dieses
Hauses. Es gibt jedoch - das ist angemerkt worden - bereits seit 1993 eine ähnliche Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Länderregierungen. Der 15. Deutsche
Bundestag hatte bereits ein verstärktes Mitwirkungsrecht
in EU-Angelegenheiten angemahnt. Wahrscheinlich
musste jedoch erst die Linke in den Bundestag einziehen
- das ist jetzt etwas scherzhaft gemeint -, um den notwendigen Rückenwind für das Gelingen dieser Vereinbarung zu geben.
({1}) der
Urin, b) die Gedanken!)
Es ist gut, dass es in den Verhandlungen nicht um Partei- und Fraktionsinteressen ging, sondern uns die
Rechte des Bundestages so wichtig waren, dass ein interfraktionelles Handeln möglich wurde.
Die Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesregierung ist ein zentraler Baustein für eine stärkere Einbeziehung des Bundestages in Fragen der Europapolitik.
Der Auftrag des Grundgesetzes, das gesetzgeberische
Handeln der Bundesregierung im Europäischen Rat zu
legitimieren, soll damit weitaus besser als bisher abgesichert werden.
Es geht nicht darum - darin sind sich alle Fraktionen
einig -, neue Blockaden in der Europapolitik zu errichten. Vielmehr geht es darum, die Europapolitik des Bundes auf eine breitere Grundlage zu stellen und innerstaatlich zu einer besseren Gesetzgebung der Europäischen
Union beizutragen.
Was ist das Neue an der Vereinbarung? Die Informationsrechte des Bundestages werden erheblich ausgeweitet, das heißt, die bisherige Informationspraxis wird
um schriftliche Berichte, Bewertungen und Folgenabschätzungen ergänzt. Darüber hinaus geht eine Initiative
der Europäischen Kommission in dieselbe Richtung. Die
nationalen Parlamente sollen und müssen stärker in die
Konzipierung und Durchführung der EU-Politik eingebunden werden.
({2})
Diese Einbeziehung des Bundestages ist wichtig und ein
Fortschritt, gerade in Anbetracht der deutschen Ratspräsidentschaft, die auch eine Präsidentschaft des Bundestags sein sollte.
Neu ist außerdem, dass die Stellungnahmen, die das
Parlament gemäß Art. 23 Grundgesetz abgeben kann,
verbindliche Grundlage für die Verhandlungen der Bundesregierung im Europäischen Rat sein werden. Die
Bundesregierung darf nur aus wichtigen außen- oder integrationspolitischen Gründen von den Stellungnahmen
abweichen. Der Bundestag wird somit zu einem neuen,
besseren politischen Akteur in der europäischen Gesetzgebung und er wird bei Entscheidungen von grundlegender Bedeutung stärker einbezogen.
Die Bundesregierung ist nun verpflichtet, sich vor der
Eröffnung von Vertragsänderungsverfahren oder Beitritten um Einvernehmen mit dem Parlament zu bemühen.
Auch wenn ich nicht glaube, dass die Regierungsfraktionen ihre erweiterten Rechte immer und tatsächlich nutzen werden, wird sich die Fraktion Die Linke auch weiterhin aktiv in die Gestaltung der Europapolitik
einbringen.
({3})
Um die Vorfeldbeobachtung in Brüssel zu gewährleisten, wird eine Vertretung des Bundestages in Brüssel
errichtet. Jede Fraktion wird Beschäftigte nach Brüssel
entsenden. Vielen Dank auch an die Haushälter für die
zusätzlichen finanziellen Mittel!
Verglichen mit anderen Mitgliedstaaten reagiert
Deutschland auf die enorme Wichtigkeit der Europapolitik aber sehr spät. Wir gehören zu den Nachzüglern:
Großbritannien, Schweden und Finnland verfügen bereits seit Jahren über gut ausgebaute, effektive Strukturen in Brüssel. Ich möchte hier nur Dänemark erwähnen.
Dort wurden die Beteiligungsrechte des Parlaments bereits 1973 im Gesetz über den Beitritt zur EWG niedergelegt. Die Union der 25 - bald 27 - Mitgliedstaaten
muss handlungsfähig bleiben. Die Entfremdung der Bürgerinnen und Bürger von Europa ist groß. Das zeigt sich
nicht nur in der Ablehnung des Verfassungsvertrages in
Frankreich und den Niederlanden.
Fakt ist, Europa geht in die falsche Richtung: weniger
friedlich, weniger sozial und ohne grundlegende Demokratisierung. Mehr als 60 Prozent der Gesetzesinitiativen
haben ihren Ursprung in Brüssel. Dem deutschen Bürger
verbleiben maximal 40 Prozent an demokratischer Einflussnahme. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner berühmten Maastrichtentscheidung die besondere
Bedeutung der Parlamente der Mitgliedstaaten für die
demokratische Legitimation europäischer Politik hervorgehoben - ich zitiere -:
Nimmt ein Verbund demokratischer Staaten hoheitliche Aufgaben wahr und übt dazu hoheitliche Befugnisse aus, sind es zuvörderst die Staatsvölker der
Mitgliedstaaten, die dies über die nationalen Parlamente demokratisch zu legitimieren haben.
Dem wird der Bundestag bisher nicht gerecht. Vielmehr
werden die Bürgerinnen und Bürger systematisch entmündigt und sie büßen politische Macht und Möglichkeiten ein.
Gerade die sozialen Bedürfnisse der europäischen
Bevölkerung werden ständig ignoriert. Als Beispiel
nenne ich bloß die Dienstleistungsrichtlinie, die dem Sozialdumping Tür und Tor öffnen wird. Im Europa der 25
hat sich ein dramatisches Gefälle im Wohlstands- und
wirtschaftlichen Entwicklungsniveau abgezeichnet. Gerade einmal die Hälfte der neuen Mitgliedstaaten erzielt
ein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von mehr als 50 Prozent des EU-15-Durchschnitts.
({4})
Von einer Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen
auf europäischer Ebene ist man, vom derzeitigen Stand
aus gesehen, sehr weit entfernt. Für die Bürgerinnen und
Bürger existiert sie praktisch nicht. Die EU braucht eine
demokratische und handlungsfähige Struktur, das bedeutet, sie braucht nicht mehr undurchschaubare bürokratische Prozesse, sondern transparente, für jeden Bürger
nachvollziehbare Entscheidungen.
Neben der verbesserten Beteiligung des Bundestages
müssen wir bei wichtigen europäischen Fragen aber
auch die Bevölkerung einbeziehen.
({5})
Wir müssen beim Thema Europa mehr direkte Demokratie wagen und die Bevölkerung zum Beispiel über eine
veränderte EU-Verfassung in einer Volksabstimmung
entscheiden lassen.
({6})
Ich begrüße ausdrücklich, dass heute in der „Financial
Times Deutschland“ steht: Merkel offen für geänderten
EU-Vertrag. Ich wünsche mir, dass auch die anderen
Fraktionen im Europaausschuss sagen: Dieser EU-Vertrag muss geändert werden; er muss dem Volk in einer
Volksabstimmung vorgelegt werden.
({7})
Wir, die Linke, fordern, die Politik der geschlossenen
Türen zu beenden. Wer die europäische Krise beenden
will, muss die Angst vor den Bürgerinnen und Bürgern
ablegen. Wir brauchen ein europäisches Bewusstsein
bei den Bürgerinnen und Bürgern.
Einen ersten kleinen Schritt in diese Richtung geht
der Deutsche Bundestag mit der heute zu beschließenden
Vereinbarung. Dies ist übrigens die erste und bisher einzige interfraktionelle parlamentarische Initiative in dieser Legislaturperiode. Wir begrüßen diese Vereinbarung
ausdrücklich und bedanken uns für die konstruktive Zusammenarbeit mit den beteiligten Kolleginnen und Kollegen aus den Fraktionen, in der Bundesregierung und
aus der Verwaltung.
Vielen Dank.
({8})
Ich erteile das Wort Kollegen Rainder Steenblock,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Heute ist ein guter Tag für die Demokratie in Deutschland. Denn wann haben wir in diesem Hohen Hause
schon einmal die Gelegenheit, neue Rechte, die sich das
Parlament gegen die Exekutive erkämpft hat, zu feiern?
Das ist selten; ich weiß nicht, wie oft das in den letzten
20 bis 30 Jahren vorgekommen ist.
Man kann die vorliegende Vereinbarung sicherlich
nicht hoch genug einschätzen. Sie ist ein Lehrstück dafür, wie man demokratische Errungenschaften wie die
Entscheidungs-, Beteiligungs- und Informationsrechte
für die vom Volk direkt gewählten Abgeordneten verankern kann. Allerdings muss man ehrlicherweise zugeben, dass diese Vereinbarung nicht nur aus der Kraft des
Parlaments geboren wurde. Sie ist auch das Ergebnis einer historischen Konstellation, bei der alle Fraktionen
sehr entschieden und engagiert in die gleiche Richtung
gearbeitet haben.
Wie gesagt, die Situation, um zu dieser Vereinbarung
zu kommen, war günstig: Die Unionsfraktion hatte sich,
als sie noch in der Opposition war, in dieser Frage mit einem Papier ausgesprochen weit aus dem Fenster gelehnt;
das hätte sie in der Regierungsverantwortung nie gemacht. Auch nach den Neuwahlen - die Entscheidung
des damaligen Kanzlers für Neuwahlen haben wir nicht
unbedingt begrüßt - war den vier Mitgliedern des Europaausschusses, die an diesem Papier mitgearbeitet hatten
und die dann in die Regierung wechselten, dieses Papier
noch im Kopf. Diese Situation mussten wir nutzen und
wir haben sie genutzt. Dafür möchte ich mich bei den
ehemaligen Mitgliedern des Europaausschusses und jetzigen Regierungsmitgliedern Günter Gloser, Peter
Altmaier, Peter Hintze und Gerd Müller bedanken.
({0})
Nach meiner anderthalbjährigen Mitarbeit in der Föderalismuskommission und nach meiner Mitarbeit an
dieser Vereinbarung weiß ich, wie schwer es ist, Rechte
von Volksvertretern zu verankern, und wie weit wir
schon auf dem Weg in eine Exekutivrepublik sind, in
der es Parlamentarier schwer haben, auf Augenhöhe mit
der Regierung zu sein.
({1})
Lassen Sie uns diesen Erfolg als Beispiel dafür nehmen,
wie wir unsere Rechte als Parlamentarier einfordern
können. Denn wir sind es, die vor den Bürgerinnen und
Bürgern für die getroffenen Entscheidungen gerade zu
stehen haben.
Eine Bemerkung zur Ausstattung der Abgeordneten, über die wir in letzter Zeit häufig diskutiert haben.
Angesichts unserer Arbeit, die wir zu leisten haben, und
angesichts der Informationspflichten, die durch diese
Vereinbarung neu auf uns zukommen, müssen wir eine
andere Mitarbeiterstruktur haben, um entscheidungsfähig zu sein.
Deshalb finde ich es richtig, wenn sich ein Parlament aus
seiner Verantwortung heraus, begründete Entscheidungen zu fällen, die aufgrund von Sachkompetenz zustande
kommen, in der Öffentlichkeit auch in diesen Fragen
stark macht und sagt: Wir sind es, die hier die Entscheidungen fällen und die Regierung kontrollieren. Lassen
Sie uns da weitermachen!
({2})
Die Einzelheiten der von uns getroffenen Vereinbarung will ich, da Sie diese schon von meinen vier Vorrednern gehört haben, nicht ein fünftes Mal erwähnen.
Ich möchte vielmehr an fünf Punkten deutlich machen,
was wir jetzt tun müssen, um diese Vereinbarung mit Leben zu erfüllen.
Der erste Punkt ist: Wir müssen die Debattenkultur
europäisieren. Die Europäische Union legt jedes Jahr im
Frühjahr ein Strategieprogramm vor, in dem die langfristigen Strategien der Europäischen Union aufgezeigt werden. Ich bin sehr dafür, dass dieses Strategieprogramm
eine Grundlage unserer europapolitischen Arbeit wird
und wir jedes Jahr im Frühjahr, wenn dieses Strategieprogramm der Europäischen Union veröffentlicht
wird, im Deutschen Bundestag eine Debatte dazu führen,
damit es nicht untergeht, sondern in den politischen
Raum der nationalen Parlamente gehoben wird. Das
halte ich für ein wichtiges Moment, um handlungsfähig
zu werden.
({3})
Der zweite Punkt betrifft das Legislativprogramm.
Das Legislativprogramm, also die Gesetzgebungsvorhaben der Europäischen Union, wird, ohne dass viele Fachkollegen es merken - das ist kein Vorwurf; ich kenne die
Arbeit in den Fachausschüssen gerade im Verkehrsbereich und im Finanzbereich aus eigener Erfahrung; ich
weiß, wie man da mit Papier zugeschüttet wird -, immer
im Spätherbst veröffentlicht. Ich bin sehr dafür, dass wir
dieses Legislativprogramm ernsthaft durch alle Ausschüsse jagen und sich die Fachleute aller Ausschüsse zu
diesem Legislativprogramm der Europäischen Union
verhalten müssen, um dann nicht hinterher sagen zu können: Wir haben diese Vorlagen viel zu spät erhalten. Wir
müssen uns selber disziplinieren, diese Vorlagen ernst
nehmen und rechtzeitig darüber diskutieren.
({4})
Der dritte Punkt, den ich vorschlagen möchte und der
im Rahmen der Verhandlungen zwischen den Fraktionen
schon zur Diskussion gestellt worden ist, ist die Einführung einer Europafragestunde. Das heißt, in bestimmten Abständen, zum Beispiel jedes Vierteljahr, soll die
Regierung der Bundesrepublik Deutschland ganz konzentriert zu europapolitischen Fragen befragt werden.
Ich glaube, das wäre eine Möglichkeit, die europapolitischen Themen besser in unsere Arbeit zu integrieren und
mit der Bundesregierung ad hoc in einen Dialog zu treten. Der dritte Vorschlag, eine Europafragestunde einzuführen, ist gut praktikabel. Diesen Vorschlag sollten wir
zur Erhöhung unseres eigenen Informationsstandes vernünftigerweise rasch umsetzen.
({5})
Der vierte Punkt ist ein technischer, den wir klären
müssen. Ziel ist - das begrüße ich sehr -, dass in der
konkreten Arbeit in den Fachausschüssen mehr über
Europa und europäische Vorhaben diskutiert wird. Wir
müssen sehen, wie wir in den Fachausschüssen vorgehen
- in einigen Ausschüssen gibt es schon Unterausschüsse
zu europarechtlichen Fragen; ob das immer das beste
Medium ist, um diese Fragen im Ausschuss zu behandeln, müssen die Fachausschüsse sicherlich selber entscheiden; es ist auch darüber nachzudenken, ob feste
Tagesordnungspunkte zu europarechtlichen Fragen festgelegt werden -, um das, was wir hier erreicht haben,
nicht versickern zu lassen. Denn das Schlimmste, was
passieren kann, ist - einige Kollegen haben das schon
angesprochen -, dass wir zwar jetzt Rechte haben, wir
aber nach einem Jahr oder nach zwei Jahren, wenn ein
kluger Journalist recherchiert haben wird, wie wir diese
wahrgenommen haben, aufgrund dieser öffentlichen Recherchen feststellen müssen, dass wir von unseren Rechten zu wenig Gebrauch gemacht haben.
Deshalb stehen wir in der Verpflichtung, die Europaarbeit insbesondere in die Ausschussarbeit zu implementieren. Wir müssen dabei die Arbeit des Europaausschusses als Koordinationsgremium und die konkrete Arbeit
in den Fachausschüssen neu justieren. Das ist ein ganz
praktischer Ansatz. Ich glaube, wenn wir keine gute
Konstellation zwischen den Ausschüssen hinbekommen,
sondern Hakeleien einbauen, dann werden wir es eher
mit Konkurrenzsituationen zu tun haben, als dass wir in
der Sache vorankommen.
Ein letzter Punkt; er ist vom Praktischen her der wichtigste. Wir müssen unsere Bundestagsverwaltung in die
Lage versetzen, dass sie uns in die Lage versetzt, vernünftige Arbeit zu machen.
Es wurden bereits viele Vorarbeiten geleistet, an denen auch die Fraktionen beteiligt waren. Herr Vizepräsident, Sie haben in Ihrer Zeit als Bundestagspräsident im
Rahmen der Strukturierung der neuen Europaabteilung
viele Erfahrungen gemacht. Dieses Vorhaben begleiten
Sie auch weiterhin.
Ich möchte mich an dieser Stelle sehr deutlich für
eine möglichst wenig ausdifferenzierte Verwaltungsstruktur aussprechen. Es sollte vermieden werden - das
möchte ich deutlich sagen -, dass einzelne Einheiten der
Verwaltung gegeneinander arbeiten können. Das ist zwar
kein großes, öffentliches Thema, aber eine Verwaltungsstruktur, die mit internen Abgrenzungsproblemen oder
Kompetenzrangeleien beschäftigt ist, kann uns in unserer Arbeit sehr stark behindern. In diesem Zusammenhang ist auch die Integration des Brüsseler Büros ein
wichtiger Punkt.
Ich sage das zum Abschluss, weil ich den Verhandlungsprozess mit Herzblut begleitet habe und davon
überzeugt bin, dass wir hierbei vorankommen müssen.
Dieser Deutsche Bundestag hat diese Vereinbarung meiner Ansicht nach verdient, weil hier hoch kompetente
Leute sitzen, die darauf warten, an die entscheidenden
Schalthebel zu kommen, die inzwischen immer häufiger
auf europäischer Ebene angesiedelt sind.
Solange das Europäische Parlament nicht die Möglichkeit hat, die demokratische Kontrolle in Gänze zu
realisieren - wir Grünen haben das immer gefordert -, so
lange müssen die nationalen Parlamente sehr viel mehr
Arbeit übernehmen. Ich hoffe, dass wir das zusammen
hinbekommen.
Diese Vereinbarung ist ein guter Ansatz zur Stärkung
von Parlamentsrechten und zur Stärkung der europäischen Arbeit. Dieser Deutsche Bundestag kann dadurch
in Bezug auf die Lösung seiner Aufgaben zukunftsfähiger werden. Ich wünsche uns allen viel Erfolg dabei.
({6})
Als nächster Redner hat Staatsminister Günter Gloser
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ungeachtet aller Erfolge in der Vergangenheit
befindet sich die Europäische Union - einige Redner haben das bereits ausgeführt - in einer schwierigen Lage.
An dieser Stelle wird immer an den Verfassungsprozess
und an die in Frankreich und den Niederlanden gescheiterten Referenden erinnert. Niemand weiß genau, wie
wir den ins Stocken gekommenen Prozess wieder in
Gang setzen können. Wir wissen aber, dass wir ihn wieder in Gang setzen müssen. Die Akzeptanz der Europäischen Union in der Bevölkerung hat gelitten. Wenn man
diesen Zustand mit „Europaskepsis“ umschreibt, ist das
vielleicht nicht ganz treffend; es gibt verschiedenen Facetten.
Wenige Monate vor dem 50. Jahrestag der Römischen
Verträge möchte ich aber - auch wenn ich einige kritische Bemerkungen gemacht habe - betonen, dass die
Europäische Union eine einmalige Erfolgsgeschichte ist
und andere uns darum beneiden, dass wir es geschafft
haben, eine solche Europäische Union auf friedlichem
Wege zu gründen.
({0})
Ich möchte - in einigen Reden klang es so, als wäre
heute ein revolutionärer Tag - auf die Dinge eingehen,
die angesprochen worden sind. Die Menschen in Europa
haben gerade in den letzten Monaten verstanden, dass die
Europäische Union und die von ihr erlassenen Regelungen sie unmittelbar betreffen. Das belegen die intensiven
Diskussionen über die bereits genannte Dienstleistungsrichtlinie, die Gleichstellungsrichtlinie, die Hafenrichtlinie oder über ein so großes Projekt wie die Erweiterung
der Europäischen Union. Auch wenn die Debatten kontrovers geführt wurden und an der EU Kritik geübt wurde
- wer ist die EU? -, ist erfreulich, festzustellen, dass die
Menschen Europa wahrnehmen und über Europa diskutieren. Wir müssen uns aber fragen - mit „wir“ meine ich
die Bundesregierung und uns Parlamentarier -, ob wir
nicht manchmal die falschen Botschaften gesetzt haben,
ob wir nicht manche Gesetzgebungsinitiative durch eine
oft sehr eingeschränkte Wahrnehmung diskreditiert haben. Ich glaube, hier müssen wir behutsam vorgehen,
wenn wir einen offenen Diskurs mit der Bevölkerung
wollen.
Dieses neue, wenn auch häufig kritische Interesse
der Bürger ist gut für die Europäische Union; denn es
erzeugt einen Rechtfertigungsdruck, dem sich die Organe der Europäischen Union, aber auch wir, die Regierung und das Parlament, stellen müssen. Wir müssen
rechtfertigen, warum wir einen Rechtsakt auf europäischer Ebene für notwendig halten. Wir müssen erklären,
was das dem Bürger bringt. Wir müssen auch manchmal
vermitteln, warum etwas im Interesse der Europäischen
Union wichtig ist und warum man nicht nur an die Interessen des eigenen Landes denken sollte.
Das kritische Interesse der Bürger verschafft uns auch
die Chance, die konkreten Vorteile der Europäischen
Union und der von ihr geschaffenen Rechtsakte zu vermitteln. Die Gesetzgebung von Bund und Ländern - wir
haben das vorhin gehört - wird in wachsendem Maße
von Entscheidungen geprägt, die auf der Ebene der Europäischen Union getroffen werden. Gemeinsam mit
dem Dreieck der europäischen Institutionen - Europäisches Parlament, Kommission und Rat in seiner gesetzgebenden Funktion - bilden die nationalen Parlamente
- davon bin ich felsenfest überzeugt - das demokratische
Fundament der europäischen Bürger- und Staatenunion.
Nationale Parlamentarier müssen als Mitgestalter eines Gesetzgebungsprozesses begriffen werden, der immer häufiger von Brüssel aus angestoßen wird. Es ist
vorhin selbstkritisch bespiegelt worden, warum es so
lange gedauert hat. Man muss an diesem Tag objektiv
sagen: Der Deutsche Bundestag verfügte bereits in der
Vergangenheit über einige Rechte, die aber nicht entsprechend ausgestaltet waren. Aufgrund der Defizite gab
es Nachholbedarf. Deshalb gab es die breite Diskussion
über Möglichkeiten zu mehr Beteiligung. Diese nun erzielte Vereinbarung wird die Europapolitik des Bundes
auf eine breitere Grundlage stellen und zur besseren Gesetzgebung der Europäischen Union beitragen.
Die Informations- und Beteiligungsrechte des Bundestages sollen durch diese neue Vereinbarung ausgeweitet werden. Alle von Ihnen angemahnten Dokumente
und Berichte zu europäischen Aktivitäten, sowohl die
der Gemeinschaftsorgane Kommission und Rat als auch
die der Bundesregierung, insbesondere die der Ständigen
Vertretung bei der Europäischen Union, werden dem
Bundestag umfassend vermittelt. Daneben wird eine
Reihe von Unterrichtungsformen, die bereits Praxis sind,
verbessert. Ich denke, diese Vereinbarung ist ein zentraler Baustein für die verbesserte Europatauglichkeit des
Bundestages. Aber gleichzeitig - das hat in den Verhandlungen eine wesentliche Rolle gespielt - lässt diese
Vereinbarung der Bundesregierung den nötigen Spielraum, den sie in den Verhandlungen in Brüssel braucht.
Wenn man die Situation in der Anfangszeit mit der heutigen vergleicht, sieht man, dass sich vieles verändert
hat.
Ich bin der Überzeugung, dass diese Vereinbarung
uns eine Chance bietet, die Legitimität europäischer
Rechtssetzung in Deutschland zu erhöhen. Ich möchte
an dieser Stelle meinen ausdrücklichen Dank sagen an
diejenigen, die für die Fraktionen verhandelt haben, aber
auch an diejenigen, die ihnen zugearbeitet haben, die
auch uns in den Ressorts zugearbeitet haben. Das waren
wichtige Beiträge. Ich danke auch dem Kollegen Peter
Hintze, der mit mir für die Bundesregierung diese Verhandlungen geführt hat, und den anderen Kollegen in der
Regierung, die uns im Hintergrund dabei unterstützt haben. Ich kann Ihnen versichern: Es bleibt bei dem einen
Herz. Aber ich glaube, man braucht Kopf und Herz, um
die Europapolitik voranzubringen. Ich finde es angesichts der Positionen, mit denen die Fraktionen in diese
Debatte gegangen sind - Rainder Steenblock hat darauf
hingewiesen -, bemerkenswert, dass wir einen, so denke
ich, guten Kompromiss gefunden haben.
Wir sollten aber nicht vergessen, dass der Verfassungsvertrag, den ich eingangs erwähnt habe, für die
weitere Einbindung der nationalen Parlamente wichtig
ist. Denn er ist ein wichtiger Schritt, um mehr und früher
beteiligt zu werden. Die Stärkung des Subsidiaritätsprinzips war eine Intention der Bundesregierung. Sie
war im Konvent wie auch auf der Regierungskonferenz
ein besonderes deutsches Anliegen. Nicht zuletzt wegen
der mit dem Vertrag in dieser Hinsicht erzielten Fortschritte setzt sich die Bundesregierung dafür ein, die im
europäischen Verfassungsvertrag gefundenen Lösungen
zu erhalten.
Die Elemente des Verfassungsvertrages machen die
Europäische Union - das ist immer kritisiert worden gerade demokratischer. Sie machen sie handlungsfähiger, effizienter und transparenter. Genau damit erreichen
wir das Ziel, Europa den Bürgerinnen und Bürgern näher
zu bringen. Ich gehe gern darauf ein - das wird auch ein
Thema der Präsidentschaft Deutschlands im nächsten
Jahr sein -, dass wir nicht nur fragen müssen: Welche
Folgen haben bestimmte Gesetzesinitiativen für den Bereich Wirtschaft, für kleine und mittlere Unternehmen?
Genauso wichtig ist natürlich die Frage: Welche sozialen
Folgen hat eine Initiative? Ich denke, das hat die Vergangenheit gezeigt.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ohne dass
man jetzt das Primärrecht ändern müsste, ist die Kommission ohnehin bereits vom Europäischen Rat aufgefordert worden, die nationalen Parlamente frühzeitig einzubeziehen. Wenn wir die Bürgerinnen und Bürger für
Europa gewinnen möchten, sollte unser Ziel sein, dass
sich jeder Europäer ganz selbstverständlich sowohl als
Bürger seiner Stadt und seines Mitgliedstaats als auch
als Bürger der Europäischen Union versteht. Ich bin
- weil ich ja auch Parlamentarier bin - davon überzeugt,
dass die nationalen Parlamente, vor allem der Bundestag, dazu einen wesentlichen Beitrag leisten können. Ich
denke, dass diese Vereinbarung die entsprechenden
Werkzeuge liefert. Ich finde es gut, dass wir die Vereinbarung wenige Wochen vor Beginn der deutschen Präsidentschaft in der Europäischen Union geschaffen haben;
denn ich glaube, dass diese Präsidentschaft durch ein aktives Parlament begleitet werden muss.
Vielen Dank.
({1})
Ich erteile das Wort Kollegen Michael Link, FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Herr Staatsminister Gloser, ich würde nicht ganz so weit
gehen, den heutigen Tag als revolutionär zu bezeichnen.
Natürlich ist das ein guter Tag. Wir gehen nicht nur einen Schritt in die richtige Richtung, sondern ich glaube,
hier wurde die richtige Balance gefunden zwischen den
Mitwirkungsrechten des Bundestages einerseits und der
Bewahrung der Kernbereiche exekutiven Handelns andererseits, die - das verstehen auch wir als Parlament natürlich sein müssen.
Es ist aber schon etwas anderes - das will ich einfach
noch einmal mit Blick auf die Öffentlichkeit sagen -, ob
es, wie im Grundgesetz, das ja bestehen bleibt, heißt, die
Bundesregierung berücksichtigt bei ihren Verhandlungen die Stellungnahmen des Bundestages, oder ob es,
wie jetzt in unserer Vereinbarung, heißt, die Stellungnahmen werden den Verhandlungen der Bundesregierung
zugrunde gelegt. Das ist ein substanzieller Unterschied
und wir begrüßen die Formulierung in der Vereinbarung.
Das ist genau die richtige Balance.
({0})
Alle wichtigen Punkte sind hier bereits angesprochen
worden. Ich will deshalb ein Beispiel nennen. Oft beschworen wird ja das Demokratiedefizit in der Europäischen Union. Meine These ist: In keinem anderen Bereich ist das Demokratiedefizit größer als beim EUHaushalt. In keinem anderen Bereich haben wir gegenwärtig so wenig Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente. Wir werden es nächstes Jahr erleben. Denn im
Laufe des nächsten Jahres soll uns die Ratifizierung des
neuen Eigenmittelbeschlusses vorgelegt werden - ein
schwieriger Prozess -; der Beschluss soll aber bereits ab
1. Januar 2007 gelten. Über welches Recht haben wir da
wirklich noch substanziell mit zu entscheiden?
Umso wichtiger wird sein, dass wir im Vorhinein, vor
den Ratsverhandlungen - das sage ich besonders mit
Blick auf die Kollegen im Haushaltsausschuss -, tätig
werden. Wenn wir uns einmal vor Augen führen, um wie
viel Geld es geht - jährlich über 22, 23 Milliarden Euro
für Deutschland - und für wie lange wir uns mit dem Eigenmittelbeschluss völkerrechtlich verbindlich binden für über sieben Jahre; das heißt, wir können danach nicht
mehr darüber entscheiden -, dann können wir feststellen,
dass es umso wichtiger ist, dass wir in Zukunft ein klares, deutliches Mitspracherecht bei der Formulierung der
Verhandlungsposition der Bundesregierung haben,
was dank dieser Vereinbarung der Fall ist.
Michael Link ({1})
({2})
Gleiches gilt übrigens auch für die - ich sage es einmal salopp - Schattenhaushalte - Europäischer Entwicklungsfonds, Globalisierungsfonds -, die jetzt anstehen. Dort ist das Demokratiedefizit vielleicht noch
größer als bei dem Haupthaushalt der EU; denn der wird
zumindest in der Öffentlichkeit besprochen. Beim Europäischen Entwicklungsfonds mit einem immensen Betrag - gerade für die Bundesrepublik Deutschland geht
es da um sehr viel Geld; wir sind, für diejenigen, die es
noch nicht wissen, jetzt der größte Zahler im Europäischen Entwicklungsfonds; wir haben die Franzosen
überholt, sie liegen jetzt etwas hinter uns - ist das Demokratiedefizit noch größer. Dank der Vereinbarung können wir aber genau bei diesem Punkt in Zukunft vonseiten des Haushaltsausschusses und des Ausschusses für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ganz
konkret vor den Ratsverhandlungen eingreifen. Das ist
ein echter Fortschritt und deshalb ist das heute ein guter
Tag.
({3})
Zeitgleich zu der Vereinbarung, die wir heute beschließen, läuft in der Europäischen Union - Staatsminister Gloser hat es angesprochen - der Prozess der Verstärkung und Verbesserung der Informierung der nationalen
Parlamente seitens der Kommission, Stichwort: Subsidiaritätsprüfung, Subsidiaritätskontrolle. Unser Petitum - ich vermute, ich spreche da auch für viele Kollegen
aus anderen Fraktionen - ist, dass wir dann unverzüglich
Vorlagen bekommen. Wichtig ist aber auch, dass dann
geltendes Recht eingehalten wird, sprich: dass uns die
Vorlagen auch in deutscher Sprache, der dritten Arbeitssprache der Europäischen Kommission, zugestellt
werden. Hier muss die Bundesregierung dringend Druck
ausüben, dass das in Zukunft regelmäßig geschieht.
({4})
Wenn die Subsidiaritätsprüfung tatsächlich erfolgt,
wenn dieser Prozess einmal im Gange sein sollte, sei es
- hoffentlich - mit einem Verfassungsvertrag, sei es mit
einem gesonderten Protokoll, dann spätestens müssen
wir hier im Hause beschließen, wer bei uns federführend
für diese Subsidiaritätsprüfung zuständig ist.
Mein Petitum und das meiner Fraktion ist: Die Fachausschüsse sollen für die Stellungnahmen zu thematischen EU-Vorlagen zuständig sein. Aber die Federführung im Hinblick auf die Subsidiaritätsprüfung sollte
naturgemäß beim Europaausschuss liegen. Das ist ein
wichtiger Punkt. Hier muss der Europaausschuss eine
sehr wichtige Verantwortung für das Gesamtparlament
wahrnehmen.
({5})
Zu guter Letzt - Herr Präsident, ich komme langsam
zum Schluss -: Es ist gut, dass wir neue Rechte bekommen haben. Wir müssen von ihnen aber auch Gebrauch
machen können. Dazu gehört - Herr Steenblock und andere Kollegen haben das angesprochen - eine behutsame
Ausweitung der Personalkapazitäten beim Parlament
und bei der Kommission. Wenn das im Übersetzerstab
beschäftigte Personal etwas aufgestockt würde, damit
die Vorlagen auch in der dritten Arbeitssprache, in
Deutsch, abgefasst werden können, hätte ich nichts dagegen.
Das gilt - das mag Sie überraschen - übrigens auch
für die Bundesregierung. Unsere Zusammenarbeit im
Haushaltsausschuss mit den Kollegen der Europaabteilung im BMF ist exzellent. Sie sind, was ihre Arbeitsbelastung angeht, am Limit. Wenn in Zukunft aufgrund der
Vereinbarung mit uns und angesichts des Informationsaustausches zwischen Brüssel und den nationalen Parlamenten noch mehr Arbeit auf sie zukommt, dann können
sie das irgendwann nicht mehr bewältigen. Wir müssen
uns trotz aller Sparzwänge darüber im Klaren sein: Wir
müssen die personellen Kapazitäten behutsam erweitern,
damit wir das, was wir heute beschließen, mit Leben füllen können.
({6})
In den ersten Jahren, in denen diese neue Vereinbarung angewandt wird, entscheidet sich, was sie wert ist.
Nun kommt es auf uns an. Heute ist der Bundestag europapolitisch erwachsen geworden. Machen wir etwas daraus!
({7})
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Peter Hintze.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Stell dir vor, es geht um Europa, und keiner geht hin.
Dann kommt Europa zu dir und du darfst dich nicht beschweren, wenn dir eine Richtlinie nicht passt.
({0})
Das gilt nicht für die Anwesenden. In der Kirche ist es
zwar immer so, dass die Anwesenden für diejenigen, die
nicht kommen, kritisiert werden. Aber ich glaube, dass
die Zahl der hier Anwesenden entgegengesetzt proportional zur Bedeutung dessen ist, worüber wir heute sprechen und was wir mit unserem Votum ausdrücklich unterstreichen werden.
({1})
Heute ist ein guter Tag für die Demokratie und ein guter
Tag für das Parlament.
Die Bundesregierung, getragen von der großen Koalition, hat mit dem Bundestag eine große Kooperation in
allen Europafragen vereinbart, und das ist gut so. Kollege Steenblock hat in seiner Rede, der ich mit Freude
zugehört habe, ein gewisses Erstaunen darüber zum
Ausdruck gebracht, dass die Unionsfraktion das, was sie
in der Opposition gesagt hat, in der Regierung tatsächlich verwirklicht. Dieses Erstaunen dürfen Sie gerne ins
Land tragen. Das ist nämlich ein Grundsatz, der uns bestimmt: In der Opposition wie in der Regierung reden
wir gleich.
({2})
Es würde dem Parlament gut anstehen, wenn das generell so wäre.
({3})
- Absolut, Kollege Löning. Da Sie vorhin selbst gesagt
haben, dass Sie zwar noch jung, aber voller Freude dabei
sind, weise ich Sie darauf hin: Die Bundeskanzlerin hat
die Initiative der Opposition zur Stärkung der Mitwirkungsrechte des Parlaments vorangetrieben. Als Verantwortliche auf Unionsseite hat sie darauf gedrungen, dass
dieses Vorhaben in den Koalitionsvertrag aufgenommen
wird. Das haben wir im Parlament umgesetzt. Darauf
können wir gemeinsam stolz sein.
({4})
In der Tat werden nicht zuletzt die Rechte der Opposition gestärkt. Das war damals unser Anliegen. Das ist
auch richtig. Regierungsfraktionen haben immer mehr
informelle Kontakte. Da es um eine sehr wichtige Frage
geht, wollten wir allerdings, dass das gesamte Parlament, Regierung und Opposition, die Chance hat, an diesem europäischen Prozess mitzuwirken, und wir wollten
dafür sorgen, dass es über alle für seine Mitwirkung relevanten Informationen verfügt. Denn es ist unbefriedigend - das haben alle Redner gesagt -, wenn wir hier
ohnmächtig Richtlinien in nationales Recht umsetzen
müssen und nicht politisch beraten, wenn es in Brüssel
um die Erstellung, um die Weichenstellung, um die
Grundsätze dieser Richtlinien geht. Das wollen wir gemeinsam ändern.
({5})
Eben hat ein Redner von „Doppelherz“ gesprochen.
Ich glaube, damit meinte er nicht Gloser im Auswärtigen
Amt und Hintze im Wirtschaftsministerium, sondern dahinter steckte etwas die Sorge, dass nach Karl Marx das
Sein allzu sehr das Bewusstsein bestimmt - mit diesem
Vorwurf mussten wir ja die ganzen Verhandlungen über
leben - und dass wir den Wechsel auf die Regierungsbank nicht ohne Schaden für unser parlamentarisches
Herz verkraftet hätten.
({6})
Ich glaube, das Ergebnis beweist, dass wir unser parlamentarisches Herz auch auf der Regierungsbank behalten haben, auch wenn der eine oder andere Kollege - ein
prominenter sitzt in Reihe eins vorne rechts ({7})
der Auffassung ist, man hätte noch mehr realisieren können, und auf andere Länder verweist.
Deshalb will ich gleich vorwegnehmen: Wir haben in
unserer Vereinbarung die Grenzen, die das Grundgesetz
hier setzt, wirklich parlamentsfreundlich - der FDP-Kollege hat das eben in seinem Beitrag auch so ausgedrückt -,
bis zum äußersten Rand, ausgefüllt. Die Wünsche, die
wir als Opposition geäußert haben, die über diesen Rand
hinausgehen, hätten eine Änderung des Grundgesetzes
vorausgesetzt. Möglicherweise wird diese Debatte einmal kommen; aber im Rahmen der verfassungsmäßigen
Ordnung, die wir jetzt haben und innerhalb derer sich
unsere Vereinbarung zu bewegen hat, sind wir eng an
den Rand gegangen und haben eine parlamentsfreundliche, ja die parlamentsfreundlichste Regelung überhaupt
geschaffen.
Ich will noch etwas Inhaltliches ansprechen. Manche
verweisen auf Skandinavien, dort sei es noch besser, weil
das Parlament die Regierung fesseln, binden könne.
Doch wir wollten eine Regelung, die die Europafähigkeit
des Bundestages stärkt und gleichzeitig die Handlungsfähigkeit Deutschlands in Brüssel in vollem Umfange sichert. Das unterscheidet uns vielleicht. Deutschland hat
ein großes Gewicht und eine große Verantwortung, dass
wir uns diese Handlungsfähigkeit erhalten. Es ist im europäischen Rechtsetzungsprozess unmöglich, gefesselt
am Tisch zu sitzen - so kann man keine Kompromisse
schließen, so kann man keine Lösungen finden.
({8})
- Ehemalige Minister nicken aus der ersten Reihe der
Opposition. Ich freue mich, Herr Trittin, dass Sie diese
Erkenntnis aus der Regierung in die Opposition mitgenommen haben; das ist sehr schön. Wir haben das Ganze
ja auch gemeinsam vereinbart. Deswegen glaube ich,
dass wir insgesamt eine sehr kluge Regelung gefunden
haben.
({9})
Ausgangspunkt des heutigen Tages war das Ja des
Bundestages zur europäischen Verfassung. Damals haben wir mit breiter Mehrheit - alle Fraktionen, die hier
im Parlament vertreten waren - Ja zu ihr gesagt. Ich darf
herzlich bitten, sich nicht von einer Falschüberschrift in
der „Financial Times Deutschland“, die schon durch den
Text unmittelbar darunter nicht gedeckt ist, einreden zu
lassen, wir hätten hier einen Kurswechsel vorgenommen. Der Deutsche Bundestag hat klar Ja zum europäischen Verfassungsvertrag gesagt. Ich glaube, es steht uns
gut an, auch heute klar Ja zu diesem gemeinsamen Projekt zu sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({10})
Denn diese europäische Verfassung bringt, was so viele
Menschen sich wünschen: mehr Transparenz, mehr Effizienz und auch mehr Demokratie in Europa.
Es stimmt: Die Skepsis ist auch gestiegen; eine Langzeitstudie der Stiftung „Wissenschaft und Politik“ zeigt
das. Interessant ist: Die Zahl derer, die Ja zu Europa sagen, ist gleich geblieben. Die Zahl derer, die Nein sagen,
ist gestiegen. Wo kommt das her? Es kommt aus dem
großen Bereich der Bürger, die sich bisher in permissiver
Enthaltung geübt haben, sich also wohlwollend nicht darum gekümmert haben, weil sie meinten: Es wird schon
richtig sein, wie es läuft. - Bei ihnen besteht heute größere Skepsis. Diese können wir nur überwinden, wenn
wir die europäischen Entscheidungsprozesse transparenter machen. Denn wir brauchen eher mehr als weniger
Europa. Die Bürger wissen in ihrem Herzen auch, dass
die Europäische Union die einzig tragfähige Antwort auf
die Herausforderungen der Globalisierung ist.
Mit der Vereinbarung, die wir heute getroffen haben,
schreiben wir einen ganz kleinen Abschnitt im Buch der
europäischen Geschichte fort, nämlich den Abschnitt
über die Parlamentarisierung der Entscheidungsprozesse in der Europäischen Union. Das steht dem Bundestag gut an. Ich bedanke mich bei allen, die daran mitgewirkt haben. Den Politikern ist gedankt worden. Ich will
nun auch den Mitarbeitern danken
({11})
und pars pro toto Christoph Thum von der SPD nennen,
der Mitarbeiter der ersten Stunde war, damals, als schon
böse Schatten über der rot-grünen Regierung hingen, im
Mai des Jahres 2005.
({12})
Die SPD hat damals gedacht: Wer weiß, wofür das gut
ist, wir sollten uns jetzt schon einmal ein bisschen vorbereiten. - Es sah damals ja so aus, dass Sie vielleicht in
der Opposition landen würden. Wir dachten: Wer weiß,
wofür das gut ist, wir wissen ja auch nicht, ob wir in die
Regierung kommen. - Wir haben dann gemeinsam etwas
Gutes daraus gemacht.
Das schöne griechische Wort Krise bedeutet ja im
Grunde Frage bzw. Anfrage. Wir haben die Frage positiv
beantwortet und etwas Gutes aus der Krise gemacht.
Lassen Sie uns das gemeinsam nutzen!
Schönen Dank.
({13})
Ich erteile Kollegen Axel Schäfer, SPD-Fraktion, das
Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europapolitik ist auch Parteipolitik. Deshalb wird es gerade
in der Diskussion, die wir jetzt zusammengefasst vorangebracht haben, darauf ankommen, dass wir in Zukunft
auch die parteipolitischen Unterschiede in der Europapolitik deutlich machen. Nur damit bringen wir Europa
auch inhaltlich ein Stück voran.
Gleichzeitig ist Europa unser gemeinsames Anliegen.
Deshalb war es so wichtig, dass es gelungen ist, sowohl
die Fraktionen der Regierungskoalition als auch alle
Fraktionen der Opposition für diese Vereinbarung zu gewinnen. Das ist in diesem Parlament nicht alltäglich und
das kann auch gar nicht alltäglich sein. Weil es aber so
etwas Besonderes ist, sollten wir dieses Besondere hier
auch einmal ganz besonders unterstreichen.
({0})
Es bleibt unsere Aufgabe, das Parlament gemeinsam
zu europäisieren; denn eines ist auch wahr: Diese Vereinbarung ist nicht das Ergebnis der bereits vollzogenen
Europäisierung des Parlaments und der großen Fortschritte, die über 600 Abgeordnete und alle Ausschüsse
erreicht haben, sondern ein Stück weit das Ergebnis dessen, dass der Europaausschuss als Leitwolf bzw. -wölfin vorangegangen ist. Auch das gehört dazu. Jetzt wird
es darauf ankommen, dass die anderen nicht nur ein Rudel sind, sondern dass es zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung all derjenigen kommt, die hier Verantwortung
tragen. Deshalb sollten wir das an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich unterstreichen.
({1})
Das ist in der Praxis ja auch schon ein Stück weit gelungen. Wir haben in einer wichtigen Frage gesagt, was
wir wollen, was wir also von der Regierung im Rat erwarten. Um die Positionierung des Deutschen Bundestages in Europafragen vor allen Dingen gegenüber der
Bundesregierung geht es ja. Ich erinnere hier an die
Grundrechteagentur, die neu eingerichtet werden soll.
Durch eine gemeinsame Position ist es uns gelungen, die
Kanzlerin und den Außenminister im Rat darauf festzulegen, dass diese Agentur nicht einfach durchgewunken
wird - mit einer Struktur, von der wir nicht sicher wissen, ob sie etwas bringt -, sondern dass an dieser Stelle
weiterhin kritisch gearbeitet wird, bevor die Umsetzung
erfolgt. Das ist ein Erfolg des Bundestages, zu dem es
aufgrund eines gewandelten Bewusstseins und einer verbesserten Handlungsfähigkeit gekommen ist.
({2})
Kolleginnen und Kollegen, es gehört auch zu den
Wahrheiten dieser geschlossenen Vereinbarung, dass
hier eine Reihe von lang gedienten Kolleginnen und
Axel Schäfer ({3})
Kollegen am Ende gesagt haben, dass sie sich eigentlich
mehr hätten vorstellen können. Na ja, denen muss man
sagen, dass sie jetzt seit 25 oder 30 Jahren dabei sind
und wissen müssten, dass man es sich nicht so leicht machen kann. Andere haben - ebenfalls parteiübergreifend;
manche davon in großer Verantwortung - gesagt: Wenn
ich hier hätte entscheiden können, dann hätte ich euch,
dem Europaausschuss bzw. dem Parlament, bezüglich
der Europäisierung nicht so starke Rechte zugestanden. Auch dies zeigt, woran wir noch ein Stück mehr arbeiten
müssen. Das sollte uns eine zusätzliche Motivation für
die Überzeugungsarbeit sein; denn die Arbeit leisten wir
weiterhin hier. Auch wenn wir uns deutlicher in Richtung Brüssel positionieren: Wir positionieren und kontrollieren vor allen Dingen die Bundesregierung und wir
wollen sie auch zu einer Reihe von Dingen verpflichten.
Ich glaube, das ist auch richtig so.
Was wir voranbringen wollen, ist eine Europäisierung. Europäisierung bedeutet immer auch Parlamentarisierung und Parlamentarisierung geht nur mit Demokratisierung. Die Kollegen von der Linksfraktion haben
angesprochen, dass zur Demokratisierung auch die direkte Demokratie gehört. Ich bin sehr dafür und ich
glaube, es gibt auch hier in diesem Hause eine Mehrheit
dafür, dass wir in Konsequenz dieser Diskussion wieder
die Debatte darüber aufgreifen, wie wir über das Instrument der Volksinitiative, des Volksbegehrens und des
Volksentscheids mehr direkte Demokratie in Ergänzung
der repräsentativen Demokratie einführen können.
({4})
- Gerade weil ich jetzt Beifall von der ganz linken Seite
des Hauses bekomme, möchte ich deutlich machen, dass
ein wichtiger Impuls, dies umzusetzen, die europäische
Verfassung ist. Sie nimmt Elemente der direkten Demokratie in ganz Europa auf. Man kann aber nicht mehr direkte Demokratie in Deutschland fordern, wenn man
gleichzeitig eine europäische Verfassung mit mehr direkter Demokratie ablehnt. Das passt nicht zusammen, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Das Wichtigste aber ist: Lasst uns bei all den Diskussionen über die Instrumente, die wir in Zukunft haben
werden und die wir verbessert nutzen wollen, immer
auch über die Inhalte reden. Unser Ziel ist es, in diesem
gemeinsamen Europa besser und erfolgreicher für den
Frieden einzutreten und mehr für soziale Gerechtigkeit
und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu tun. Wir wollen
Bildung und Forschung voranbringen
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Dehm?
- wenn ich den Satz beendet habe - und den Nationalismus bekämpfen.
Jetzt habe ich meinen Satz beendet. Bitte, Kollege
Dehm.
Es scheint heute ein revolutionärer Tag zu sein, weil
sich Konsense andeuten, die gar nicht absehbar waren.
Grund unserer Ablehnung des Verfassungsvertrages
waren nicht die plebiszitären Elemente. Können wir uns
gemeinsam darauf einigen, den Verfassungsvertrag, wie
es jetzt auch Frau Merkel sagt - so die „Financial Times
Deutschland“ von heute -, gründlich zu ändern, die Artikel des Grundgesetzes, die in dem europäischen Verfassungsvertrag nicht genügend berücksichtigt sind, die
Sozialbindung des Eigentums und das Angriffskriegsverbot, darin aufzunehmen und diese Verfassung dann
unserer deutschen Bevölkerung zur Abstimmung zu stellen?
({0})
Lieber Kollege Dehm, diese Verfassung wurde gemeinsam von Abgeordneten und Regierungsvertretern
auch dieses Parlaments sowie des Europäischen Parlaments und der Kommission auf der Basis einer Übereinkunft von 28 Ländern erreicht; das ist eine gute Grundlage. Sie gilt es jetzt zu beschließen und umzusetzen.
Wir müssen also dafür werben, dafür Mehrheiten zu bekommen. Ich möchte Sie an unserer Seite haben, wenn
wir hier über mehr Demokratisierung durch das Grundgesetz reden. Zunächst aber müssen Sie mit uns gemeinsam für Mehrheiten für diese europäische Verfassung
werben. Darin wollen wir Sie überzeugen; wir setzen bestimmte Hoffnungen darauf.
({0})
Kollege Schäfer, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, diesmal des Kollegen Seifert, auch Fraktion Die
Linke?
Ja, die gestatte ich.
Lieber Herr Kollege Schäfer, ist Ihnen vielleicht entgangen, dass wir die europäische Verfassung nicht wegen der plebiszitären Elemente, sondern wegen ihrer
Ausrichtung auf Militarisierung, das heißt: den Zwang
zur Aufrüstung, und wegen der ausdrücklichen Festlegung auf ein neoliberales Wirtschaftskonzept abgelehnt
haben?
({0}): Schon wieder die-
ses Klischee!)
Erstens. Es gibt in der europäischen Verfassung, die
wir gemeinsam wollen, überhaupt keine Festlegung auf
Aufrüstung. Das muss man einfach einmal feststellen.
Axel Schäfer ({0})
({1})
Zweitens. Wir sind für eine soziale Marktwirtschaft
und eine Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Ich bin auch
sehr dafür, dass man den Kapitalismus kritisiert, wo er
bestimmte Auswüchse angenommen hat. Das allerdings
hat mit den Festlegungen in der europäischen Verfassung
nichts zu tun, lieber Kollege.
({2})
Ein Letztes: Wir wollen Europa weiter verbessern,
weil wir in allen Ländern gegen einen zum Teil wachsenden Nationalismus kämpfen. Das gehört zur gemeinsamen europäischen Identität. Unsere gemeinsame Identität
ist das Gegenbild zum Nationalismus. Das wichtigste
Interesse, das wir als Nationalstaaten haben - in Deutschland wie in Frankreich, in Polen wie in Großbritannien
und allen anderen Ländern -, ist die europäische Einigung. Mit dieser gemeinsamen Vereinbarung kommen
wir diesem Ziel einen großen Schritt näher. Ich danke allen, die daran mitgewirkt haben.
({3})
Ich erteile Kollegen Thomas Silberhorn, CDU/CSUFraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich reihe
mich heute gerne ein in den fraktionsübergreifenden
Konsens in diesem Hause. Die Vereinbarung zwischen
Bundestag und Bundesregierung über die Zusammenarbeit in EU-Angelegenheiten ist ein erkennbarer Fortschritt auf unserem Weg, europäischen Angelegenheiten
in Deutschland mehr Gewicht zu verleihen. Dieser Weg
führt über die Beteiligung des Deutschen Bundestages
zu unserem Ziel, mehr Verständnis und Akzeptanz für
europäische Politik zu gewinnen, aber auch dazu, die Legitimationsbasis europäischer Entscheidungen zu stärken, indem in jedem Mitgliedstaat die nationalen Parlamente intensiv damit befasst werden.
({0})
Die Vereinbarung, die wir heute beschließen, bringt
eine erhebliche Ausweitung der Unterrichtungspflichten der Bundesregierung mit sich. Dass es mehr als fünfzig Jahre europäischer Integration bedurfte, um so weit
zu kommen, ist nicht unbedingt ein Ruhmesblatt. Aber
umso mehr freut es mich, dass wir es sind, die diesen
Fortschritt erreicht haben.
({1})
Wir ziehen damit in Bezug auf die Unterrichtung des
Parlamentes mit dem Bundesrat gleich und können zuversichtlich sein, dass die Zeit der Vergangenheit angehört, als wir von den Länderregierungen oft besser unterrichtet wurden als von der eigenen Bundesregierung.
({2})
Allerdings trifft dieser Fortschritt, dass wir mit dem
Bundesrat gleichziehen, nur auf die Unterrichtung zu.
Fraglich ist, was künftig mit Stellungnahmen des Bundestages über die bloße Unterrichtung durch die Bundesregierung hinaus passiert. Immerhin haben wir die Bundesregierung dazu verpflichten können, dass sie künftig
Rechenschaft darüber ablegen muss, inwieweit eine Stellungnahme des Bundestages in den europäischen Gremien umgesetzt werden konnte. Aber es bleibt dabei,
dass Stellungnahmen des Bundestages von der Bundesregierung nicht beachtet, sondern nur zur Kenntnis genommen werden müssen. Kern des Problems ist Art. 23
des Grundgesetzes; das wurde bereits angesprochen.
Ich will in diesem Zusammenhang darauf hinweisen,
dass es in einer Reihe von Mitgliedstaaten der Europäischen Union wesentlich weiter gehende Mitwirkungsrechte gibt, als wir sie heute beschließen. Man muss
dazu nicht einmal auf die skandinavischen Staaten verweisen, lieber Kollege Hintze. Niemand von uns hat gefordert, das skandinavische Modell in Deutschland einzuführen. Warum wir uns allerdings nicht getraut haben,
das österreichische Modell zu probieren, das dort seit
vielen Jahren reibungslos funktioniert, konnte mir bislang niemand erklären.
({3})
Es bleibt also das Problem, dass Art. 23 des Grundgesetzes unsere Handlungsmöglichkeiten etwas beschränkt.
Auch nach der Föderalismusreform ist das die mit Abstand unübersichtlichste Vorschrift des Grundgesetzes,
die noch dazu in ihren praktischen Konsequenzen bescheidene Auswirkungen zeitigt. Ob und wann wir erneut
darüber diskutieren müssen, hängt nach meiner festen
Überzeugung vom Verhalten der Bundesregierung ab.
Wir werden die Bundesregierung daran messen müssen, wie sie künftig mit unseren Stellungnahmen umgeht, und müssen erwarten können, dass sich die Bundesregierung ernsthaft darum bemüht, unsere Positionen
in den europäischen Gremien tatsächlich umzusetzen.
Dazu ist es - dieser Hinweis sei mir gestattet - nicht immer erforderlich, im Ministerrat Mehrheiten zu organisieren. Es gibt auch Gelegenheiten, wo es genügt, seine
Position zu markieren.
Ich darf daran erinnern, dass der Europaausschuss des
Bundestages eine einvernehmliche Haltung zur europäischen Grundrechteagentur kommuniziert hat. Wir haben das höflich - nicht in Form einer Stellungnahme,
sondern eines Briefwechsels - getan. Ich möchte aber
auch darum bitten, dass die Bundesregierung dieses Votum sehr ernst nimmt. Wir werden genau darauf achten,
ob sich die Bundesregierung unserer ablehnenden Haltung anschließt, und zwar nicht, weil wir etwas gegen einen effektiven Grundrechtsschutz hätten, sondern weil
ich persönlich davon überzeugt bin, dass es besser wäre,
den europäischen Menschenrechtsgerichtshof zu stärken,
als eine neue Behörde zu gründen, in der Beamte schöne
Berichte schreiben.
({4})
Ich wünsche mir, dass die Bundesregierung künftig
auch bei europäischen Vorlagen den Bundestag in einer
Form beteiligt, wie wir es von den nationalen Gesetzgebungsvorhaben gewohnt sind. Niemand hindert die Bundesregierung daran - zum Teil wird es schon praktiziert -,
Berichterstattergespräche zu organisieren. Es sollten alle
zuständigen Kollegen aus den Ausschüssen die Gelegenheit erhalten, mit den Beamten, die für die Bundesregierung in Brüssel verhandeln, eine europäische Initiative
zu erörtern. Ich glaube, dass wir es mit einem solchen
Modell versuchen sollten. Ich sehe darin auch eine Gelegenheit, den Parlamentarischen Staatssekretären diese
Aufgabe mit zu übertragen. Es gibt hin und wieder Diskussionen über den Aufgabenbereich der Parlamentarischen Staatssekretäre. Es wäre für sie eine vornehme
Aufgabe, Berichterstattergespräche zu europäischen
Vorlagen zwischen Regierung und Ministerialbeamten
auf der einen Seite und den Mitgliedern dieses Hauses
auf der anderen Seite zu organisieren.
({5})
Auch der Deutsche Bundestag wird seine Arbeitsweise ändern müssen. Wir müssen uns bei europäischen
Vorhaben auch am Fahrplan der Europäischen Union
orientieren. Wir müssen viel stärker als bisher Netzwerke in die europäischen Institutionen hinein knüpfen,
aber auch zu unseren Kollegen aus den anderen Mitgliedstaaten. Außerdem wird es künftig viel stärker Aufgabe jedes einzelnen Abgeordneten sein - dies war es
auch bisher schon -, die europäischen Implikationen seines Fachbereiches zu berücksichtigen und tatsächlich
mit zu bearbeiten.
Durch die Vereinbarung, die wir heute beschließen,
werden wir auch ein Stück weit in Mitverantwortung für
das genommen, was die Bundesregierung in Brüssel mit
berät und mit beschließt. Ich plädiere dafür, dass wir uns
bei EU-Vorhaben auf die vorbereitenden Akte konzentrieren - auf Weißbücher, auf Grünbücher, auf das Jahresarbeitsprogramm der Kommission, auf die Legislativpläne -, damit wir schon im Vorfeld über das orientiert
sind, was auf europäischer Ebene geplant ist, und rechtzeitig eingreifen können. Allerdings werden wir, liebe
Kolleginnen und Kollegen, selbst wenn wir das tun, immer dann, wenn es um eine förmliche Stellungnahme
des Bundestages geht, vor dem Problem stehen, dass die
Bundesregierung schon zwei, drei Jahre in Expertenrunden verhandelt und man uns dann vonseiten der Ministerialbeamten vorhält: Jetzt kommt Ihr Abgeordneten? Wir
sitzen doch schon zwei Jahre daran!
Dazu gehört meines Erachtens auch die Bereitschaft
des Parlaments einschließlich der Regierungsfraktionen,
die Kontrollfunktion des Bundestages gegenüber der
Bundesregierung sehr ernsthaft wahrzunehmen und sich
bei Bedarf einzuschalten.
({6})
Lassen Sie mich noch einen europäischen Aspekt anfügen: Wir sind von der Europäischen Kommission eingeladen, unsere Stellungnahmen auch direkt an die
Kommission zu richten. Ich wünsche mir, dass wir die
Kommission dazu verpflichten, uns auch wirklich zu
antworten,
({7})
denn ich möchte doch, dass ein nationales Parlament,
das einen förmlichen Beschluss fasst, nicht wie ein x-beliebiger Lobbyverband behandelt wird.
({8})
Ich glaube, dass wir die konkrete Chance haben, im
Zuge der Diskussion über den europäischen Verfassungsvertrag auch noch einmal über den Frühwarnmechanismus zu diskutieren und ihn vielleicht zu vereinfachen, aber auch, ihn um den Punkt zu ergänzen, dass die
Kommission uns Antwort geben muss, wenn wir uns als
Parlament an sie wenden.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Ich schließe die Aussprache. - Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU,
der SPD, der FDP, der Linken und des Bündnisses 90/
Die Grünen eingebrachten Antrag zur Annahme einer
Vereinbarung zwischen dem Deutschen Bundestag und
der Bundesregierung über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union. Wer stimmt für den
Antrag auf Drucksache 16/2620? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
({0})
Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten HansKurt Hill, Eva Bulling-Schröter, Lutz Heilmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Energiepreiskontrolle sicherstellen
- Drucksache 16/2505 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Meine Herren, ich würde Sie gerne veranlassen, dem
kommenden Redner die Chance zu geben, zum Pult zu
kommen und dann Gehör zu finden. - Ich eröffne die
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Aussprache und erteile Kollegen Oskar Lafontaine,
Fraktion Die Linke, das Wort.
({2})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Entwicklung der Energiepreise ist ein für die
Bevölkerung erstrangiges Thema. Die Energiepreise haben sich in den letzten Jahren enorm nach oben bewegt;
dabei denke ich natürlich auch an die Veränderungen
nach unten, die wir derzeit in einem Segment sehen.
Aber insgesamt kann gesagt werden, dass sich die Energiepreise in den letzten Jahren sehr stark erhöht haben.
Es gibt den Satz, dass die Energiepreise für die Bevölkerung eine ähnliche Bedeutung haben wie die Brotpreise. Man muss diesen Vergleich nicht unbedingt übernehmen. Aber dass die Energiepreise für die soziale
Situation vieler Menschen in Deutschland eine große
Bedeutung haben, ist, glaube ich, in diesem Hause völlig
unstreitig.
({0})
In diesem Zusammenhang erinnere ich insbesondere
an die Entwicklung der Löhne der großen Mehrheit der
Bevölkerung sowie an die Situation vieler Rentnerinnen
und Rentner. Die Reallöhne sind seit zehn Jahren praktisch nicht mehr gestiegen. Auch in letzter Zeit hat sich
kaum etwas entscheidend verbessert. Ich erinnere des
Weiteren an die Situation derjenigen, die soziale Leistungen empfangen, beispielsweise ALG-II-Empfängerinnen und -Empfänger, der Alleinerziehenden sowie der
Rentnerinnen und Rentner mit geringem Einkommen,
die der Entwicklung der Energiepreise, insbesondere der
Strom- und Gaspreise, vielleicht noch viel hilfloser ausgeliefert sind als der Durchschnittshaushalt. Wenn man
sich die Zahlen vor Augen führt, dann stellt man fest,
dass die Energiepreissteigerungen im letzten Jahr die
Privathaushalte mit 8 Milliarden Euro zusätzlich belastet
haben. Alles, was man bislang abschätzen kann, deutet
darauf hin, dass sich diese Entwicklung fortsetzen wird.
Mittlerweile geht es nicht mehr in erster Linie um
ökologische Belange. Vielmehr verschiebt sich der Akzent zunehmend auf das Soziale.
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir vor fast zehn
Jahren - deshalb habe ich meine Fraktion gebeten, heute
das Wort ergreifen zu dürfen - einen anderen Ansatz hatten. Wir wollten über die Energiepreise den Energieverbrauch steuern. Diese ökologische Abgaben- und Steuerreform wurde 1998 auf den Weg gebracht. Damals war
die Situation aber völlig anders. Die Energiepreise stagnierten eine gewisse Zeit und waren auf einem niedrigeren Niveau. Bereits 1998 - damals regierte Rot-Grün -,
als wir über den Ansatz beraten haben, über die Energiepreise den Energieverbrauch zu steuern, habe ich intern
darauf hingewiesen, dass es wünschenswert wäre, Vorsorge für den Fall zu treffen, dass die Energiepreise
enorm steigen und in sozialer Hinsicht für eine ganze
Reihe von Haushalten zum Problem werden könnten.
Ich konnte mich damals mit diesem Anliegen nicht
durchsetzen. Es ging vor allen Dingen darum, den Gesetzentwurf sehr zügig zu verabschieden. Gleichwohl
glaube ich, dass die intellektuelle Redlichkeit gebietet,
darauf hinzuweisen, dass der damalige Ansatz, den
Energieverbrauch über quasi staatlich verordnete Preissteigerungen zu steuern, ganz anders war, auch wenn es
Ausnahmen, beispielsweise für die Industrie - darüber
wurde heftig diskutiert -, gab.
Dann kam der Ansatz - er wurde hauptsächlich von
der rechten Seite dieses Hauses befürwortet -, die Energiepreise über eine so genannte Deregulierung zu steuern bzw. zu senken, damit sie international konkurrenzfähig würden. Es gab sicherlich gute Argumente dafür.
Auf den ersten Blick ist der Ansatz, dass mehr Wettbewerb zu niedrigeren Preisen und zu günstigeren Angeboten für die Verbraucher führt, nicht ohne weiteres von
der Hand zu weisen. Mittlerweile sieht man aber, dass
die Deregulierung nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt hat. Das müssen auch die Befürworter der
Deregulierung akzeptieren. Heute stellt sich die Frage,
warum die Deregulierung nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt hat. Man muss den Begriff „Deregulierung“ hinterfragen und sich klar machen, was damit
gemeint ist. Es gibt Leute, die Deregulierung mit einer
Gesetzlosenwirtschaft, mit einer völlig deregulierten
Wirtschaft gleichsetzen. Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass dort, wo keine Gesetze
wirken, der Preisgestaltung und damit auch der Gewinngestaltung keine Grenzen gesetzt sind. Ich bin der Meinung, dass eine solche Situation im Energiesektor, insbesondere im Strom- und Gasbereich, in Deutschland
eingetreten ist. Daher ist es erfreulich, dass überall darüber nachgedacht wird, was zu tun ist, um die Preise
wieder in den Griff zu bekommen.
Ich will die Debatte auf keinen Fall kontrovers führen; das brächte gar nichts. Vielmehr will ich begrüßen,
dass überall nach Wegen gesucht wird, den Preisanstieg
einzudämmen. So lese ich beispielsweise, dass das Wirtschaftsministerium über das Kartellrecht tätig werden
will. Es ist im Sinne der Verbraucher, wenn es gelingt,
mittels des Kartellrechts eine Preissenkung vorzunehmen. Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen
- darauf habe ich bereits in der letzten Haushaltsdebatte
hingewiesen -, dass einige Bundesländer - unabhängig
von der jeweiligen parteipolitischen Ausrichtung der
Landesregierung - daran denken, die Gültigkeitsdauer
der Preisgenehmigung zu verlängern, die in der Hoffnung auf die preissenkende Wirkung der Deregulierung
außer Kraft gesetzt worden ist. Aber wir können bislang
nicht feststellen, dass die Deregulierung gegriffen hat.
Wir sind vielmehr in der Situation, dass die deutschen
Strom- und Gaspreise mit an der Spitze in der Europäischen Union liegen. Das ist nicht nur eine soziale Frage,
sondern auch eine ökonomische Frage und somit für die
rechte Seite dieses Hauses ein Anlass, etwas zu tun. Es
ist nicht nur die Stahlindustrie, die sich zur Wehr setzt,
und es ist nicht nur beispielsweise die schwedische Industrie insgesamt, die sich dafür ausspricht, die Strompreise zu reregulieren und in diesem Sektor aus Wettbewerbsgründen wieder die öffentliche Verantwortung
einzuführen, sondern es sind auch viele kleine Betriebe,
die von dieser Preisentwicklung in erheblichem Umfang
negativ betroffen sind.
({1})
Es ist überhaupt keine Frage, dass hier etwas geschehen muss. Wir glauben nicht, dass die monopolartige
Struktur kurzfristig verändert werden kann, bei allen Ansätzen, die ich hier vorgetragen habe. Wir glauben, dass
die Länderregierungen Recht haben, die die Preisregulierung wieder einführen und die Höhe der Energiepreise
wieder der öffentlichen Kontrolle unterwerfen wollen.
({2})
Deshalb haben wir unseren Antrag vorgelegt. Dabei
möchte ich durchaus aufgrund meiner eigenen Erfahrungen sagen, dass es nicht unbedingt so sein muss wie bisher, dass ein oder zwei Beamte in den Länderregierungen für die Energiepreisaufsicht zuständig sind. Dies
führt nämlich zu einer sehr starken Nähe der zuständigen
Beamten zu den jeweiligen Regionalunternehmen und
dazu, dass die Energiepreisaufsicht nicht unbedingt in
vollem Umfang funktioniert. Ich möchte sehr wohl dafür
plädieren, dass man so etwas wie eine parlamentarische Kontrolle und eine Verbraucherkontrolle schafft,
die beispielsweise in Großbritannien, wie in unserem
Antrag ausgeführt, eingeführt worden ist und große Wirkung hat. Parlamentarische Kontrolle und Verbraucherkontrolle, das wäre mehr Demokratie im Sinne dessen,
was wir seit vielen Jahren angeregt haben.
({3})
Es kann auf jeden Fall nicht akzeptiert werden - das
möchte ich hier noch einmal sagen -, dass die Energiewirtschaft sagt: Wenn ihr zu solch abstrusen Forderungen kommt, wieder verstärkt die Preise zu kontrollieren,
dann investieren wir nicht mehr in Deutschland. - Das
ist für mich ein Eklat und zeigt, dass sich dort teilweise
monopolartige Strukturen herausgebildet haben, wobei
die Monopole nicht mehr bereit sind, sich parlamentarischer Kontrolle zu unterwerfen. Aber genau das muss
unser Anliegen sein.
({4})
Wenn es ein Argument gibt, so vorzugehen, dann das
Argument, dass Energieunternehmen in nicht zu überbietender Selbstherrlichkeit sagen: Das lassen wir uns
nicht bieten. Wenn ihr das macht, dann investieren wir
nur noch im Ausland.
Im Übrigen glaube ich, dass sehr wohl Investitionen
der Energiewirtschaft in die Modernisierung des Netzes angeregt werden müssten. Wir schlagen alternativ
vor, die Netze in öffentliche Verantwortung zu überführen, weil das Ganze - siehe andere Länder - sonst überhaupt nicht funktioniert.
({5})
Wir haben unseren Antrag vorgelegt, weil wir glauben, dass wir nicht länger tatenlos zusehen können. Wir
greifen alle Ansätze auf, die hier vorgetragen worden
sind. Entscheidend ist aber die Zeit. Die Zeit sollte uns
veranlassen, einen Ansatz zu suchen, der möglichst
schnell realisiert werden kann. Vielleicht ist der von
meiner Fraktion vorgeschlagene Ansatz der Preiskontrolle der beste Ansatz; denn wenn wir einen Zugriff auf
die Preise haben, können wir Auswüchse und Abzocke,
die wir in der letzten Zeit erlebt haben, wirklich stoppen.
Ein letzter Satz noch: Wenn Vorstandsmitglieder von regionalen Energieversorgern sagen, sie brauchten eine
Umsatzrendite - ich bitte Sie, darüber einmal nachzudenken - von 15 Prozent - ich schaue jetzt einen an, der
weiß, wen ich meine -, dann ist für das Parlament wirklich die Zeit gekommen, einzugreifen; denn Umsatzrenditen von 15 Prozent sind schlicht und einfach Abzocke
und Wucher.
({6})
Ich erteile das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Dagmar Wöhrl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich glaube, wir werden heute eine Debatte über
die Energiepreise führen, in der wir nicht sehr viel Dissens haben werden. Wir wissen, dass Energiepolitik
Wirtschaftspolitik ist. Deswegen ist es für die Bundesregierung sehr wichtig, wettbewerbsfähige Energiepreise zu bekommen. Wir wissen um die Problematik
der steigenden Strompreise. Wir wissen, was diese vor
allem für die stromintensive Industrie und ihre Wettbewerbsfähigkeit bedeuten. Das betrifft vor allem den
Wettbewerb mit den Industrien der Nachbarstaaten.
Wir wissen, dass für die Bürger vor Ort die Schmerzgrenze hinsichtlich der Preise erreicht ist.
Ohne Zweifel sind wir bei der Regulierung im
Monopolbereich, beim Netz, im letzten Jahr gut vorangekommen. Inzwischen liegen die ersten Genehmigungsbescheide der Bundesnetzagentur und der Landesregulierungsbehörden vor. Wie wir gesehen haben,
führen sie überwiegend zu einer substanziellen Senkung der Netzentgelte.
Eines muss uns in diesem Zusammenhang aber klar
sein: Auch wenn wir eine Senkung der beantragten
Netzentgelte erreichen, wird das hinsichtlich der Strompreise vor Ort nicht den gewünschten Erfolg bringen.
Bei der Kundengruppe der privaten Haushalte macht
dies nämlich nur einen ganz geringen Anteil aus.
Wenn wir hinsichtlich der Netzentgelte regulieren,
dürfen wir aber nicht nur die Kostensenkung im Blick
haben, sondern wir müssen auch beachten: Wir wollen
Versorgungsqualität. Wir wollen Versorgungssicherheit.
Sichere Netze kosten nun einmal etwas. Sichere Netze
bekommt man nicht umsonst.
({0})
Bei allen Diskussionen um die Beibehaltung von
Preiskontrollen oder sogar die Einführung neuer Preiskontrollen sollten wir eines nicht aus dem Blick verlieParl. Staatssekretärin Dagmar Wöhrl
ren: Die effektivste Form der Preiskontrolle ist immer
noch ein funktionierender Wettbewerb.
({1})
Die Frage für uns ist: Wie schaffen wir es, im Stromund auch im Gasbereich zu einer höheren Wettbewerbsintensität zu kommen? Druck auf die Preise wird
am besten dadurch gewährleistet, dass neue Anbieter in
den Markt eintreten.
({2})
Die Bürger sind mündig. Die Bürger werden durch ihr
Verhalten entscheiden. Sie haben zukünftig mehr Wahlfreiheit. Danach wird sich die Preisobergrenze bestimmen. Schon jetzt besteht die Möglichkeit, den Lieferanten zu wechseln. Leider nehmen die Bürger sie noch
nicht so wahr. Es muss in diesem Zusammenhang vielleicht noch mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden.
Heute Nachmittag liegen im Bundesrat Verordnungen
auf dem Tisch, in denen es noch einmal um Vereinbarungen zum Lieferantenwechsel geht. Wir brauchen auch
für die Haushaltskunden vor Ort ein größeres Angebot
an Lieferanten. Das heißt, wir brauchen neue Erzeuger,
mehr Erzeuger, unabhängige Erzeuger.
({3})
- Wenn Sie mich weiterreden lassen, gebe ich Ihnen die
Antwort darauf.
Wir haben ein Problem, die Marktzugangsbarrieren. Die Frage ist: Wie erreichen wir es, für neue Anbieter einen diskriminierungsfreien Zugang zu schaffen, sodass auch investiert wird? Ein Investor, der ein
Kraftwerk baut, muss nachher auch die Möglichkeit haben, sich an das Netz anzuschließen. Hier sind wir als
Gesetzgeber gefordert. Wir werden die Rechtsverordnung noch in diesem Jahr auf den Weg bringen, um mehr
Rechtssicherheit für einen solchen Kraftwerksbauer zu
schaffen. Wir brauchen in diesem Bereich grünes Licht
für neue Kraftwerksinvestitionen.
({4})
Wir wissen, dass die meisten Maßnahmen, die schon
auf den Weg gebracht worden sind oder die im Ministerium erst noch angedacht werden, nicht von heute auf
morgen wirken können. Es gibt zu wenig Anbieter. Auf
dem Gasmarkt erscheinen zurzeit überhaupt keine neuen
Anbieter. Wenn man sich auf der einen Seite die Großhandelspreise und auf der anderen Seite die Stromerzeugungspreise anschaut, wird natürlich augenfällig - da
sind wir wieder einer Meinung -, dass es dazwischen einen sehr großen Abstand gibt. Die Frage ist also: Wie
verhindern wir, dass die wenigen Anbieter ihre dominierende Marktstellung, die unstrittig vorhanden ist, ausnutzen?
Wir wollen dem Kartellamt befristet ein Instrumentarium an die Hand geben - Sie haben es schon angesprochen, Herr Lafontaine -, um die Missbrauchsaufsicht zukünftig effizienter zu gestalten.
({5})
Mit der Erleichterung beim Nachweis von Preismissbrauch und mit der Beweislastumkehr zuungunsten der
Energieversorgungsunternehmen geben wir dem Kartellamt ein gutes Instrumentarium an die Hand. Dieses
sollte nicht als staatliche Kontrolle angesehen werden,
sondern als effektives Instrumentarium.
({6})
Ich will noch einen weiteren Punkt ansprechen: Wir
brauchen dringend - das wird auch ein wichtiges Anliegen während unserer Ratspräsidentschaft sein - einen
verbesserten grenzüberschreitenden Stromaustausch.
Die EU-Kommission hat schon die ersten Maßnahmen
eingeleitet; allerdings muss die Integration des Energiesektors in den Binnenmarkt noch viel schneller vorangehen. Zugleich sind wir selber gefordert, hier die gesetzlichen Möglichkeiten zu schaffen, damit die geplanten
Infrastrukturmaßnahmen in Zukunft schneller umgesetzt
werden können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich zum Schluss zusammenfassend sagen: Wir haben
eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, von denen die
Industrie - ich nenne als ein Beispiel die Härtefallregelungen -, aber auch die privaten Verbraucher vor Ort
profitieren werden. Wir prüfen darüber hinaus, ob in Zukunft gewisse Anlaufstellen für die Verbraucher geschaffen werden sollen. Die Engländer haben dafür ein schönes Wort: Consumer Watchdogs. Es handelt sich um
Anlaufstellen für die Menschen vor Ort, wohin die Bürger mit ihren Sorgen und Beschwerden hinsichtlich ihrer
Energierechnung gehen können und sich Rat holen können.
All diese Maßnahmen, die wir planen, verfolgen ein
übergeordnetes Ziel, nämlich das Ziel der Schaffung einer größeren Wettbewerbslandschaft, die uns allen eine
sichere und günstige Energieversorgung garantiert.
Vielen Dank.
({7})
Ich erteile das Wort Kollegin Gudrun Kopp, FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen! Der
Antrag der Linken fordert eine Preiskontrolle, und zwar
eine dauerhafte. Ich glaube, dabei geht es insbesondere
um die Frage, ob und wie viele Interventionsmechanismen der Staat in einer freien Marktwirtschaft etablieren
darf. Es stimmt nicht, dass wir zügellosen Wettbewerb
propagieren. Nein, Herr Lafontaine, Sie wissen sehr genau, dass wir einen durch Gesetze und Regeln geordneten
Wettbewerb in Deutschland und keinen zügellosen wünschen. Im Kern geht es bei Ihrem Antrag um die Frage:
Wettbewerb oder Sozialismus? Ich glaube, dass die Antwort sehr leicht ist.
({0})
Ich werde Ihnen ein Beispiel nennen: Herr Lafontaine
hat davon gesprochen, dass es im Energiebereich eine
dauerhafte Preiskontrolle geben solle und das Verfügungsrecht über Energie so ähnlich wie das Recht auf
Brötchen anzusehen sei. Das ist genau der Punkt: Wenn
Sie wollen, dass im Energiebereich dauerhaft vom Staat
Preise vorgegeben werden sollen, dann müsste das auch
für das Grundnahrungsmittel Brot bzw. für Brötchen gelten. Aber auch die Grundnahrungsmittel unterliegen bei
uns dem freien Wettbewerb.
({1})
- Ja, und auch wir wollen, dass sich alle Menschen Energie leisten können. Das ist gar keine Frage. Dafür möchten wir aber den Wettbewerb fördern.
Der Wettbewerb ist im Moment eingeschränkt; das ist
gar keine Frage. Es gibt eine Marktkonzentration und
wir sind hier nicht auf dem richtigen Weg. Deshalb haben wir auch Ja zu einer Regulierungsphase gesagt.
Diese musste sein und sie läuft ja im Augenblick. Sie ist
allerdings bis zum Sommer des kommenden Jahres befristet. Bis dahin, wenn dieser Phase der nächste Schritt
folgt, nämlich die Anreizregulierung, ist unser Anspruch, dafür zu sorgen, dass Markt und Wettbewerb
greifen und Kostensenkungen möglich werden.
({2})
Wir sind gegen staatliche Dauerinterventionen und für
einen freiheitlichen Ansatz.
({3})
Bundeswirtschaftsminister Glos hat gesagt: Wir müssen uns die gesamte Kostenstruktur anschauen und müssen überprüfen, an welcher Stelle Kosten- und Preissenkungen realisierbar sind. Das ist richtig. Allerdings
muss man an diesem Punkt sehen, dass 75 Prozent der
Tarifkundenpreise bereits festgelegt sind. Der eine Teil
dieser Kosten ist staatlich verursacht, wie Steuern und
Abgaben. Hinzu kommt staatlicherseits die Mehrwertsteuererhöhung. Sie ist politisch gewollt, nämlich von
der Mehrheit dieses Hauses. Der andere Teil dieser Kosten - etwa 30 Prozent der Tarifkundenpreise - ist reguliert: die Netzkosten. Es bleibt eine Marge von
25 Prozent. Einige meinen, wir müssten weiter an dieser
Schraube drehen.
Natürlich gibt es in diesem Bereich Oligopolgewinne.
Aber es ist wichtig, dass wir gerade dort Wettbewerb ermöglichen, damit neue Anbieter überhaupt die Chance
haben, denjenigen, die den Markt derzeit beherrschen
- sie haben sehr hohe Margen -, Konkurrenz zu machen.
({4})
Das wäre der richtige Ansatz.
Ich kann Ihnen nur sagen: Es gibt sehr viele neue
Energieanbieter, die verzweifelt sind, weil sie keine
Möglichkeit finden, in den Markt einzutreten.
({5})
- Keine Frage; das ist völlig richtig. Wir müssen dieses
Grundproblem lösen und einen diskriminierungsfreien
Netzzugang gewährleisten. Wir sind im Moment auf
dem Weg, dies zu tun.
({6})
Wir müssen uns die selbst verursachten Kosten, Steuern und Abgaben anschauen. Da müssen wir ansetzen.
Ich sage Ihnen eins, Frau Wöhrl: Wir als Liberale können zum Beispiel nicht verstehen, dass Sie nicht das entsprechende Instrument nutzen, um staatlich verursachte
Kosten zu senken. Warum befürworten Sie nicht, dass
wenigstens 10 Prozent der CO2-Zertifikate versteigert
werden können, damit man mit den Erlösen zum Beispiel die Stromsteuer senken kann? Das wäre ein guter
Ansatz.
({7})
An diesem Punkt bewegen Sie sich aber leider nicht und
das finde ich sehr bedauerlich.
Minister Glos hat gesagt, er wolle das Kartellrecht
dahin gehend ändern, dass die Missbrauchsaufsicht erleichtert wird. Auch das scheint ein richtiger Weg zu
sein - auch wir möchten keinen Missbrauch -; wir kennen die genaue Ausformulierung noch nicht. Frau
Wöhrl, Teil zwei einer solchen Missbrauchsaufsicht
- Teil eins betrifft das Recht - sollte eine entsprechende
Personalausstattung des Bundeskartellamtes regeln.
Ohne sie wird es nicht möglich sein, die Missbrauchskontrolle tatsächlich so durchzuführen, wie es eigentlich
nötig wäre. Daher möchte ich hier an die Bundesregierung appellieren, das Personal zu verstärken. Im Übrigen, es rechnet sich, weil das Bundeskartellamt Bußgelder einnimmt, wodurch Kosten gesenkt werden können.
Wichtig ist - das ist eben schon angesprochen worden -, bei der strikten Regulierung die Grenzkuppelstellen in Europa zu bedenken. Diese Stellen sind eine Art
Flaschenhals. Wenn wir auf dem deutschen Markt neue
Anbieter haben möchten - daran arbeiten wir sehr verzweifelt -, dann müssen wir Anreize für eine Beseitigung dieser Engpässe schaffen.
Ich habe Ihnen eben gesagt, dass es wichtig ist, dass
der Staat die Stromkosten, für die er selbst verantwortlich ist - über 40 Prozent -, senkt. Ich möchte noch etwas hinzufügen. Wir müssen uns natürlich fragen, wie
wir dafür sorgen können, dass Energie auch künftig kostengünstig ist. Ich kann Ihnen nicht vorenthalten, kritisch
anzumerken, dass eine Entscheidung über den künftigen
Energiemix dringend erforderlich ist. Die kostengünstige
und klimaschonende Stromproduktion aus Kernkraft
darf nicht einfach beendet werden.
({8})
Wir müssen die Laufzeiten der Kernkraftwerke vielmehr
verlängern. Über diese Frage schwelt ein dauerhafter
Streit in der Koalition; das wissen wir. Dieser Streit
muss, wie meine Fraktion hofft, zugunsten eines breit
aufgestellten Energiemixes beendet werden.
Wir wollen, dass zukünftig in neueste Technologien
für Kohle- und Gaskraftwerke investiert wird. Dabei
muss auch der Klimaschutz berücksichtigt werden. Dafür müssen wir Investitionsanreize schaffen. Das setzt
aber voraus, dass die Politik den notwendigen Rahmen
setzt. Ich sage es noch einmal, Frau Wöhrl: Es ist katastrophal, dass die Bundesregierung bis heute kein Energieprogramm vorgelegt hat.
({9})
Der gesamte Rahmen muss abgesteckt werden: Wohin wollen Sie? Welche Ziele haben Sie? Das Energieprogramm sollte nicht erst Ende 2007, also nach Ende
der deutschen EU-Ratspräsidentschaft vorgelegt werden,
sondern schon jetzt. Für den deutschen Energiemarkt ist
eine solche Orientierung absolut notwendig.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Bulling-Schröter von der Linksfraktion?
Ja, gerne.
Danke schön, Frau Kollegin Kopp. - Sie haben über
eine zukünftige Verlängerung der Laufzeiten für AKWs
gesprochen. Ihre Fraktion wünscht sich das. Sie haben in
diesem Zusammenhang über Möglichkeiten gesprochen,
Energie günstiger zu produzieren. Ich denke, darin liegt
ein großer Widerspruch. Denn nach wie vor sind die
AKWs nicht oder nur zu einem kleinen Teil haftpflichtversichert. Sie wissen das sicher. Eine Enquete-Kommission hat die tatsächlichen Kosten berechnet. Diese liegen
sehr viel höher als der Anteil, der in den Strompreisen
für AKW-Strom enthalten ist.
Ich denke - auch Sie fordern das -, dass die Kosten in
die Preise einfließen müssen. Es sollte nicht so sein, dass
Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden. Irgendwann müssen - das sagt auch Ihr umweltpolitischer
Sprecher Herr Kauch - diese Kosten in die Preise einfließen. Wie stehen Sie dazu?
Frau Kollegin, es ist richtig, dass anfallende Kosten
einkalkuliert werden müssen. Das werden sie auch.
Denn die Kosten für die Versicherung werden von den
Unternehmen übernommen. Aber bei den kerntechnologischen Anlagen gibt es eine Versicherungshöchstgrenze. Diese Grenze, die es weltweit gibt, existiert auch
für andere Anlagen, beispielsweise für Chemieanlagen.
Die Unternehmen müssen sich aufgrund des internationalen Wettbewerbs im Hinblick auf vertragliche Vereinbarungen so positionieren, dass ihre Wettbewerbsfähigkeit gewährleistet ist. Versicherungsschutz besteht also
und die Kosten dafür sind entsprechend berücksichtigt.
Zum Schluss habe ich eine Bitte an das Wirtschaftsministerium. Ich finde es ganz erfreulich, dass Bundeswirtschaftsminister Glos jetzt in die Offensive gegangen
ist und erklärt hat, dass er sich ganz massiv dafür einsetzen wird, am Standort Deutschland mehr Wettbewerb im
Energiebereich zu ermöglichen. Störend ist allerdings,
dass es innerhalb der Koalition einen Streit - dieser
Streit dringt auch nach außen - zwischen dem Bundesumweltminister und dem Bundeswirtschaftsminister
gibt. Ich wünsche mir, dass es gelingt - auch die Kanzlerin ist hierbei gefordert -, in Deutschland die Weichen in
Richtung einer vernünftigen Wettbewerbspolitik zu stellen. Es darf nicht sein, dass beim Energiegipfel Herr
Gabriel möglicherweise die Chance nutzt, immer mehr
Zuständigkeiten für die deutsche Energiepolitik an sich
zu ziehen. Das würde in der Öffentlichkeit zu Irritationen führen.
Letztlich muss es auch möglich sein, endlich eine
Entscheidung über den Standort eines Endlagers für
Atommüll zu treffen. Wir dürfen solche Entscheidungen
nicht weiter vor uns herschieben.
Es gibt viel zu tun. Der Gipfel wird nicht viel bringen.
Wahrscheinlich wird er nicht mehr sein als eine Gesprächsrunde, die nicht wirklich zu Ergebnissen führen
wird. Es sollte aber vor allen Dingen darum gehen, die
energieintensiven Unternehmen in Deutschland, die immerhin 600 000 Arbeitsplätze unterhalten, tatsächlich
am Standort Deutschland zu halten, damit wir auch in
Zukunft diese Arbeitsplätze und unseren wirtschaftlichen Wohlstand
Frau Kollegin Kopp, Sie müssen bitte zum Schluss
kommen.
- im europäischen und internationalen Wettbewerb
bewahren können.
Vielen Dank.
({0})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege
Manfred Zöllmer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vor kurzem mussten die Verbraucherinnen und Verbraucher wieder einmal lesen, dass die Stromversorger zu Beginn des kommenden Jahres Preiserhöhungen angekündigt
haben. Die Schmerzgrenze ist für die Verbraucherinnen
und Verbraucher und die Wirtschaft längst überschritten.
Blickt man in aktuelle Statistiken, so ist festzustellen,
dass manche Anbieter in Deutschland die Strompreise
seit dem Jahr 2000 um mehr als 50 Prozent angehoben
haben. Auch Preiserhöhungen um 30 Prozent sind keine
Seltenheit.
Dabei reden wir nicht über marginale Belastungen
oder über ein paar Euro mehr oder weniger pro Monat,
die die Verbraucherinnen und Verbraucher gut tragen
können. Millionen Haushalte in Deutschland bekommen
durch die ständigen Energiepreiserhöhungen handfeste
Probleme. Mehr als 5 Millionen Haushalte in Deutschland müssen laut Armutsbericht der Bundesregierung
mit einem Nettoeinkommen zwischen 500 und 900 Euro
monatlich auskommen. Weitere Preiserhöhungen sind da
kaum verkraftbar. Zu Recht hat der Bund der Energieverbraucher darauf hingewiesen, dass nach der Miete die
Energiekosten bei einem steigenden prozentualen Anteil
zum zweitgrößten Ausgabeposten vieler Haushalte werden. Bei weiteren drastischen Erhöhungen sind die Energiekosten in naher Zukunft für viele Menschen in diesem
Land kaum mehr zu tragen.
Dabei stehen den Verbraucherinnen und Verbrauchern
in Anbetracht der Marktsituation kaum Optionen zur
Verfügung, an diesen finanziellen Belastungen etwas ändern zu können. Das, was an individueller Einsparmöglichkeit zur Verfügung steht, wird von vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern bereits genutzt. Trotz aller
neuen Geräte, die uns insbesondere die Kommunikationstechnologie ins Haus gebracht hat, ist der Verbrauch
je Haushalt in den letzten zehn Jahren um etwa 8 Prozent
gestiegen.
Das eigentliche Problem liegt in der Tat an dem zu
geringen Wettbewerb im Energiesektor, der den Verbraucherinnen und Verbrauchern kaum Wahlmöglichkeiten lässt. Derzeit werden 80 Prozent des Energiemarktes
von nur vier Firmen dominiert. Wir haben es hier mit einem monopolistisch oder oligopolistisch strukturierten
Markt zu tun.
({0})
- Zu Ihren Forderungen komme ich gleich.
({1})
- Das ist auch in Ordnung. Das ist die Situation.
Es gibt ein gutes Beispiel dafür, wie der Weg vom
Monopol hin zu einem Wettbewerbsmarkt erfolgreich
beschritten werden kann: Das ist der Telekommunikationsmarkt. Bereits kurz nach Einführung des Wettbewerbs sind die Preise auf diesem Markt drastisch gefallen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher zahlen heute
für ein inländisches Ferngespräch nur noch 5 Prozent
des Betrages, den man vor Jahren dafür zahlen musste.
Ich weiß, dass der Telekommunikationsmarkt und der
Gas- und Strommarkt nicht das Gleiche sind. Die Situation auf diesen Märkten ist unterschiedlich. Aber dieses
Beispiel zeigt: Durch eine gute Regulierung und mit zunehmendem Wettbewerb werden auch die Verbraucherinnen und Verbraucher von sinkenden Preisen profitieren.
Wer Verbraucherinteressen auf diesen Märkten im
Blickfeld hat, darf jedoch nicht nur auf den Preis
schauen. Neben günstigen Preisen muss aus Verbrauchersicht auch die Versorgungssicherheit gewährleistet sein. Der deutsche Verbraucher sitzt pro Jahr im
Durchschnitt 23 Minuten wegen Stromausfalls im Dunkeln.
Die Netzqualität in Deutschland muss auch in Zukunft so gut sein, dass der Inhalt von Tiefkühltruhen
nicht durch längere Stromausfälle verdorben wird und
die Menschen nicht längere Zeit im Dunkeln sitzen. Allein ein niedriger Preis kann uns nicht glücklich machen.
Eine gute Verbraucherpolitik muss günstige Preise und
Versorgungssicherheit miteinander verbinden. Deshalb
brauchen wir politische Rahmenbedingungen, die beides
sicherstellen.
({2})
Es bleibt richtig, die Regulierung der Energienetze
durch die Bundesnetzagentur durchführen zu lassen. Allein die Regulierungsentscheidungen der Bundesnetzagentur aus den letzten Tagen führten dazu, dass die
Netzentgelte bei der EnBW Regional AG in Stuttgart
zum 1. September um 14 Prozent gekürzt wurden und
die Netzentgelte bei der Vattenfall Europe AG in Berlin
und Hamburg um 15 Prozent gesenkt werden. Nach einer Modellrechnung der Bundesnetzagentur können die
Kürzungen einen durchschnittlichen Haushaltskunden in
Stuttgart um rund 37 Euro entlasten. Für Berlin und
Hamburg werden die durchschnittlichen Einsparmöglichkeiten mit circa 31 Euro bzw. 47 Euro angegeben.
Wichtig bleibt, dass die Unternehmen die Senkung der
Netznutzungsgebühren an die Haushalte weitergeben.
Das ist ein ganz entscheidender Punkt.
({3})
Aber auch bei der Netzregulierung darf die Bundesnetzagentur das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.
Kleine Stadtwerke, deren Kosten schon heute unterhalb
der durchschnittlichen Kosten vergleichbarer Unternehmen liegen, dürfen nicht weiter geknebelt werden. Ich
weiß, wovon ich spreche.
({4})
Langfristig würden nur die großen Anbieter profitieren,
wenn viele kleine Stadtwerke in ihrer ökonomischen
Existenz bedroht wären und am Markt nicht weitermachen könnten.
({5})
- Keine Sorge, wir kümmern uns um diese Problematik.
Da können Sie sicher sein. Dieser Hinweis macht eines
deutlich: In diesem Zusammenhang gibt es keine einfachen Lösungen. Das, was Sie mit Ihrem Antrag fordern,
nämlich eine Verlängerung der Preisgenehmigung, ist
schon gar keine einfache Lösung.
({6})
Die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin
Thoben hat die gleiche Forderung erhoben. Am Mittwoch, den 30. August, hat die „Financial Times
Deutschland“ unter der Überschrift „Stromriesen begrüßen Preisaufsicht“ Folgendes geschrieben:
Die Forderung der nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerin Christa Thoben ({7}) nach einer
Verlängerung der staatlichen Aufsicht über den
Strompreis ist bei den Stromkonzernen inoffiziell
auf große Zustimmung gestoßen.
„Preisaufsicht ist klasse“, hieß es am Dienstag bei
den Versorgern hinter vorgehaltener Hand. „Sie ist
ein staatlich beglaubigtes Gütesiegel und schützt
uns vor Vorwürfen, dass wir unsere Preise ungebührlich anheben“, so ein Energie-Manager, der
nicht namentlich genannt werden wollte.
({8})
Sie sehen also: Sie sind mit Ihrer Forderung auf dem
Holzweg. Eine Wiederbelebung der Bundestarifordnung
Elektrizität über das Auslaufen im nächsten Jahr hinaus
ist der falsche Weg.
Lieber Kollege Lafontaine, Sie haben eben ausgeführt, dass man mit einer Verlängerung der Bundestarifordnung Elektrizität in der Lage sei, die - so haben Sie
das genannt - „Abzocke“ wie in der Vergangenheit zu
verhindern. Diese Aussage ist Folge eines Trugschlusses: Bisher gilt diese Genehmigungspflicht; die Probleme, über die wir sprechen, haben wir aber jetzt. Sie
machen einen Denkfehler. Sie sollten über Ihre Forderung einmal nachdenken. Sie gaukeln den Verbraucherinnen und Verbrauchern etwas vor, was Sie nicht erreichen können. Sinkende Preise erreichen wir nur durch
einen funktionierenden Wettbewerb. Dafür müssen wir
die Rahmenbedingungen verbessern.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Lafontaine?
Aber ja.
Bitte.
Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie zur Kenntnis genommen haben, dass ich vorgetragen habe, dass die bisherige
Praxis nicht funktioniert. Das weiß ich, weil ich sie jahrelang verantwortet habe. Daher habe ich vorgeschlagen,
eine parlamentarische Kontrolle vorzusehen. Haben Sie
ferner zur Kenntnis genommen, dass ich auf die erfolgreiche Praxis in Großbritannien verwiesen habe? Wenn
wir schon diskutieren, bitte ich darum, die Argumente,
die der andere anführt, aufzunehmen, sonst ist es nämlich keine Debatte.
Aber gerne, Herr Kollege Lafontaine. Ich gebe Ihnen
nur den Hinweis, die Anträge Ihrer Fraktion vorher etwas genauer zu lesen. Ich darf einmal Ihren Antrag zitieren. Dort heißt es auf der zweiten Seite:
Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Bundesregierung auf,
- die Preiskontrolle nach § 12 BOTElt über den
30. Juni 2007 hinaus beizubehalten …
Das ist die Forderung Ihrer Fraktion. Dazu habe ich
mich eben geäußert.
({0})
Dazu gilt das, was ich gesagt habe.
({1})
- Das ist, denke ich, völlig klar.
Im Zweifel hilft ein genauer Blick in den Antrag, den
Sie selbst gestellt haben.
Kollege Zöllmer, der Kollege Maurer möchte Ihnen
mit einer Zwischenfrage eine Verlängerung Ihrer Redezeit ermöglichen. Lassen Sie das zu?
So viel Großzügigkeit bin ich gar nicht gewohnt.
Aber er darf natürlich eine Zwischenfrage stellen.
Herzlichen Dank, Herr Kollege. - Ich habe die
schlichte Frage an Sie, wie Sie die von Ihnen angekündigte Absenkung der Preise um 37 Euro für den durchschnittlichen Haushaltskunden im Gebiet der EnBW
durchsetzen werden.
({0})
Die geltenden Gesetze versetzen die Bundesnetzagentur in die Lage, die Netzentgelte entsprechend festzusetzen.
({0})
Das ist das eine. Auf der anderen Seite gibt es eine öffentliche Diskussion und einen sehr starken und sehr massiven Druck der Verbraucherinnen und Verbraucher in
Richtung Stromkonzerne. Ich kann das nur begrüßen. Ein
Beispiel ist der Gassektor. Dort gab es viele tausend Klagen von Verbraucherinnen und Verbrauchern unter Bezug
auf die Billigkeitsklausel. Es kam zu sehr interessanten
Gerichtsurteilen, in denen vielen Verbraucherinnen und
Verbrauchern Recht gegeben wurde. Das heißt, auch in
der jetzigen Situation gibt es für die Verbraucherinnen
und Verbraucher durchaus Möglichkeiten, sich gegen
eine unverschämte Abzocke - wenn es sie gibt - zu wehren.
Zusätzlich - das ist ganz wichtig - brauchen wir eine
Stärkung des Wettbewerbs bei Erzeugung und Vertrieb
und damit einen diskriminierungsfreien Netzzugang
für neue Kraftwerke. Wir brauchen Investitionen in
neue Kraftwerke. Das ist aus Verbrauchersicht völlig unverzichtbar. Es gibt eine Reihe von Neubauprojekten.
Diese müssen vorangetrieben werden. Wir brauchen eine
Netzanschlussverordnung, die es möglich macht, zu verbesserten Angeboten zu kommen. Wir diskutieren im
Moment über ein Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz. Auch hier müssen die Weichen so gestellt
werden, dass die Angebotsseite ihr Angebot erhöhen
kann.
Ich begrüße, was der Bundeswirtschaftsminister im
Zusammenhang mit der GWB-Novelle angekündigt hat.
Ich glaube, das ist der richtige Weg, um die Missbrauchsaufsicht zu verschärfen. Das ist die Alternative
zur Kontrolle. Sie muss verschärft werden. Wir brauchen
eine Beweislastumkehr und müssen das Wettbewerbsrecht zeitgemäß mit dem notwendigen Biss versehen.
Das Ministerium ist hier auf einem sehr guten Weg.
Sie fordern im Übrigen in Ihrem Antrag einen Stromsozialtarif. Ich fand das sehr interessant. Warum fordern
Sie eigentlich Sozialpreise nur für Strom, warum nicht
auch für Benzin, Brötchen oder Jeans?
({1})
Überlegen Sie doch einfach einmal, was Sie uns hier mit
Ihrem Antrag vorlegen. Das, was Sie hier dargestellt haben, ist nicht der richtige Weg. Wir müssen den Weg des
Wettbewerbs beschreiten. Er wird den Verbraucherinnen
und Verbrauchern auf Dauer sinkende Preise bescheren.
Das ist der richtige Weg.
Herzlichen Dank.
({2})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Höhn das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sprechen heute über ein reales Problem. Viele Haushalte sind in der Tat total erschrocken, wenn sie ihre
Strom- oder Gasrechnung bekommen. Es gibt viele
Haushalte, für die das eine enorme soziale Belastung ist.
Das betrifft übrigens nicht nur Privathaushalte, sondern
auch Gewerbebetriebe.
({0})
Wir haben hier jetzt über die privaten Haushalte gesprochen. Wir müssen aber auch über die kleinen und mittelständischen Betriebe reden, für die die Energiekosten
immer dramatischer werden.
({1})
- Da Sie die Mehrwertsteuer erhöhen wollen, müssen
wir über Schuld nicht mehr reden. Durch die Erhöhung
der Mehrwertsteuer kommt auf einen Vierpersonenhaushalt eine Belastung von 100 Euro pro Jahr zu,
({2})
und zwar ohne dass Sie das Geld in die Sozialsysteme
stecken, wie wir es gemacht haben. An dieser Stelle
seien Sie also ganz still und tun Sie Buße.
Wir müssen, meine Damen und Herren, klar sehen:
Was sind die Gründe dafür, dass die Preise steigen? Der
erste Grund ist in der Tat, dass Gas und Öl knapper werden. Vor zwei Tagen hat die Börse gejubelt, dass der Ölpreis etwas gesunken ist und das Öl nur noch 60 Dollar
pro Barrel gekostet hat. Aber man muss auch sehen, dass
das Barrel Ende 2001 20 Dollar gekostet hat, dass der
Preis sich also mittlerweile verdreifacht hat. Das hängt
auch mit den knapper werdenden Ressourcen zusammen. Darauf kann man nur reagieren, indem man mehr
auf erneuerbare Energien, Energieeinsparung und Energieeffizienz setzt. Das ist ein ganz notwendiger und
wichtiger Schritt.
({3})
Der zweite Grund für die enorm gestiegenen Energiepreise ist - das hat auch die Linke aufgegriffen -, dass
die Energiekonzerne ihre Macht am Markt missbrauchen.
({4})
Momentan werden die Verbraucherinnen und Verbraucher mit den hohen Energiepreisen wirklich abgezockt.
Wir können es nicht mehr akzeptieren, dass auf der einen
Seite die Energiepreise ins Unendliche steigen und auf
der anderen Seite die Gewinne der Energieunternehmen
in Milliardenhöhe steigen. Das darf man nicht akzeptieren, meine Damen und Herren; denn diese Unternehmen
machen Gewinne auf Kosten der Verbraucherinnen und
Verbraucher.
({5})
Es ist richtig, auf Wettbewerb zu setzen; keine Frage.
Aber genauso muss gefragt werden: Was machen wir, solange es keinen Wettbewerb gibt? Da müssen wir uns die
einzelnen Punkte genau vornehmen. Einen dieser Punkte
haben Sie, Frau Kopp, doch angesprochen, nämlich die
Emissionszertifikate. Ich halte es für eine absolute UnBärbel Höhn
verschämtheit, dass Unternehmen Emissionszertifikate,
die sie umsonst von der Bundesregierung bekommen, in
ihre Bilanzen und damit den Verbrauchern und Kunden
in Rechnung stellen.
({6})
Wir reden hierbei über keine Kleinigkeit, sondern über
5 Milliarden Euro pro Jahr. Rechnen Sie einmal aus, was
das pro Kopf der Bevölkerung bedeutet: Jeder Mensch in
der Bundesrepublik Deutschland muss durchschnittlich
60 Euro pro Jahr bezahlen, nur weil die Unternehmen
Kosten in ihre Bilanzen stellen, die sie gar nicht haben.
Das ist eine absolute Unverschämtheit, mit der wir endlich Schluss machen müssen.
({7})
Bei einem Vierpersonenhaushalt reden wir hier immerhin über 240 Euro pro Jahr. Wenn er um diese Kosten
entlastet werden könnte, wäre das eine Menge für jeden
Haushalt.
Es gibt in diesem Land mittlerweile eine Menge Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich wehren. Eine
halbe Million Menschen klagt inzwischen dagegen, die
Gaspreiserhöhung, die ihnen ins Haus geschickt worden
ist, zahlen zu müssen. Das finde ich richtig, meine Damen und Herren. Wir sollten sie unterstützen.
({8})
Diese halbe Million Menschen gewinnt übrigens jeden
Prozess. Warum? Weil die Richter anerkennen, dass wir
momentan keinen Wettbewerb haben und dass eine Angemessenheit dieser Preiserhöhungen, solange die Unternehmen nicht darlegen, wie die Mehrkosten entstanden sind, nicht gegeben ist.
Deshalb müssen wir alles tun, um hier zu einer Änderung zu kommen. Ich habe eben die Emissionszertifikate
angesprochen. Ich finde es gut, was die Bundesregierung
jetzt erwägt, nämlich die Missbrauchsaufsicht, die Änderung des Kartellrechts. Es ist richtig, dahin zu kommen.
Genauso richtig ist aber, den Verbrauchern über das Verbandsklagerecht mehr Möglichkeiten zu geben, für ihre
Rechte einzutreten und ihren Strom zu angemessenen
Preisen beziehen zu können.
({9})
Der entscheidende Punkt ist aber, dass wir endlich die
Trennung von Netz und Betrieb erreichen müssen.
({10})
Was wir im Energiebereich haben, ist eine absolute Unverschämtheit. Vergleichbar wäre es, wenn ein Teil der
Autobahnen VW, ein Teil Opel und ein Teil Ford gehörte
und Daimler - vielleicht auch umgekehrt - hohe Kosten
zahlen müsste, wenn dessen Fahrzeuge auf diesen Autobahnen fahren wollten. Das darf nicht sein.
({11})
Wir müssen die Trennung von Netz und Betrieb hinbekommen. Das gilt übrigens auch bei der Bahn. Wer will,
dass die Preise im Gleichgewicht bleiben, der muss für
die Trennung von Netz und Betrieb sorgen.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({12})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
Dr. Joachim Pfeiffer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich glaube, es wäre ganz sinnvoll, in dieser Debatte mit Fakten zu argumentieren und die Historie zu
beleuchten, bevor man das Kind mit dem Bade ausschüttet. Der Wettbewerb und die Liberalisierung, die im
Jahre 1998 von der damaligen unionsgeführten Bundesregierung zusammen mit der FDP eingeleitet wurden,
haben dazu geführt, dass es bis heute zu Liberalisierungs- und Rationalisierungseffekten in einer Größenordnung von ungefähr 8,5 Milliarden Euro gekommen
ist.
({0})
- Im Erzeugungsbereich, in dem Überkapazitäten und
Ineffizienzen beseitigt wurden. - Im Gegenzug wurden
im selben Zeitraum zusätzliche staatliche Belastungen in
Höhe von 12 Milliarden Euro induziert.
({1})
Liebe Frau Höhn, ich muss schon sagen: Es ist ziemlich populistisch und dummdreist, wenn Sie sich hier als
Vorkämpferin gegen hohe Strompreise darstellen, obwohl Sie selbst zu verantworten haben, dass diese staatlich administrierte Belastung von 1998 bis 2005 von
2 Milliarden Euro auf 12 Milliarden Euro gestiegen ist.
Das ist die Faktenlage.
Kollege Pfeiffer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Höhn?
Sie hatte gerade Zeit für ihre Ausführungen. Nein.
({0})
Was ist passiert? Die Staatsquote ist von 25 Prozent
auf derzeit über 40 Prozent gestiegen.
({1})
Im Hinblick auf die Strompreise, die die Haushalte zu
zahlen haben - davon haben Sie gesprochen -, beträgt
die Staatsquote weit mehr als 40 Prozent. Das ist der dominierende Faktor.
({2})
Das kann man nicht nur auf die Monopole oder Oligopole, auf die ich gleich eingehe, schieben. Wir sollten
uns vielmehr an die eigene Nase fassen und überlegen,
welche Ursachen die hohen Strompreise wirklich haben.
An dieser Stelle können Sie sich nicht exkulpieren.
({3})
Ich nenne nur folgende Stichworte: Ökosteuer auf
Strom, Erneuerbare-Energien-Gesetz, Kraft-WärmeKopplung, Konzessionsabgabe und Emissionshandel;
auch beim Emissionshandel zeigen sich inzwischen die
Auswirkungen der Regelungen, die Ihr Kollege Trittin
eingeführt hat.
({4})
Die aktuelle Lage sieht also wie folgt aus: Über
40 Prozent sind staatlich induziert, weitere 35 Prozent
sind Netznutzungsentgelte.
Es besteht in der Tat ein natürliches Monopol. Die
Verbändevereinbarung hat nicht funktioniert. Der Sonderweg, den wir auf europäischer Ebene beschritten haben, wurde nicht goutiert. Deshalb haben wir im letzten
Jahr mit der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes die Grundlage geschaffen, dass durch eine Regulierung dieses Monopolmarktes Wettbewerb initiiert und
simuliert wird, zunächst durch eine direkte Kostenregulierung und ab dem Jahre 2008 durch eine Anreizregulierung, die dazu führen wird, dass die Monopolrenditen
in diesem Bereich nicht mehr so stark wie bisher zum
Tragen kommen. Preisdämpfend sind in diesem Zusammenhang auch die Entscheidungen der Bundesnetzagentur, die aus meiner Sicht einen wirklich guten Job macht.
Ihre Entscheidungen gehen in die richtige Richtung.
({5})
Zum Thema Wettbewerb. Es ist völlig richtig, dass es
nicht gelungen ist, die Stromerzeugungskapazitäten von
1998 bis heute im nötigen Umfang zu diversifizieren und
den Wettbewerb zu beleben. Gegenwärtig befinden sich
in diesem Wettbewerbsbereich immer noch, entweder direkt oder indirekt, 80 bis 90 Prozent der Stromerzeugung
in der Hand der vier großen Unternehmen. Das kann
selbstverständlich zu Marktmissbrauch führen. Diese
Determinante macht weniger als 20 Prozent aus; beim
Rest handelt es sich zum Beispiel um Bereiche wie den
Vertrieb, in denen der Wettbewerb nicht funktioniert hat.
Unser Schluss ist ein anderer als der des Antragstellers: Obwohl der Wettbewerb im Moment noch nicht
richtig funktioniert, wollen wir ihn nicht sofort wieder
abschaffen und durch staatliche Reglementierungen ersetzen,
({6})
die dann das Gegenteil dessen, was wir wollen, bewirken
würden. Wir wollen dafür sorgen, dass der Wettbewerb
funktioniert.
({7})
Wie können wir es schaffen, dass der Wettbewerb
funktioniert? Die Frau Staatssekretärin hat es ausgeführt:
In der Tat besteht sofortiger Handlungsbedarf. Wir denken, dass eine marktkonforme, verbesserte Missbrauchskontrolle - die Instrumente wurden genannt - der richtige Ansatz ist,
({8})
nicht etwa die Verlängerung der Tarifpreisgenehmigung,
durch die wir im Erzeugungsbereich reglementierend in
die Preisbildung eingreifen würden.
Damit aber nicht genug, es gibt noch andere Dinge,
die wir tun können. Ich sage ganz klar: Für uns ist die
Grenze der Belastbarkeit erreicht, was die staatliche
Reglementierung und die staatlichen Abgaben anbelangt. Daran müssen wir denken, wenn wir nächstes Jahr
an die Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes
gehen.
({9})
Daran müssen wir denken, wenn wir an die Novellierung
des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes gehen, daran müssen wir denken, wenn wir das Stromsteuergesetz weiterentwickeln. Deshalb müssen wir darüber nachdenken, ob
wir beim Emissionshandel, beim NAP II, die richtigen
Instrumente zum Einsatz bringen; dort haben wir die
Stellgrößen in der Hand. Der Staat hat seinen Beitrag zu
leisten, damit es bei den Energiepreisen mehr Wettbewerb gibt.
Wir müssen des Weiteren dafür sorgen - das kann
nicht nur die Bundesnetzagentur machen, da sind auch
wir entsprechend gefordert -, dass der Markt bezüglich
Handel und Liberalisierung funktioniert, und zwar nicht
nur auf Deutschland beschränkt. Wir brauchen einen
funktionierenden europäischen Markt für Strom und für
Gas. Für Strom haben wir eine Börse; sie muss mit weiterer Liquidität versorgt werden. Wir brauchen so etwas
auch für Gas. Im Oktober wird die Strombörse EEX
auch den Handel mit Gas aufnehmen, was mit Sicherheit
zu höherer Transparenz führen wird.
Wir brauchen eine Verbesserung der Interkonnektoren
- der Übergangsstellen, der Kuppelstellen - für Strom
bzw. Gas ins europäische Ausland, damit der Wettbewerb auf dem Markt besser funktioniert und wir mehr
Liquidität bekommen.
Die Bundesnetzagentur hat diese Woche in der Umsetzung des Energiewirtschaftsgesetzes den wichtigen
Schritt getan, die Ausschreibungsbedingungen für die
Regelenergie in Form der Minutenreserve festzulegen.
Andere werden entsprechend folgen. Wir müssen hier
die Effizienzen stärken; auch das wird preisdämpfend
wirken.
Wir müssen vor allem darauf hinwirken, dass der
Netzzugang für neue Anbieter verbessert wird; da sind
wir im Erzeugungsbereich an der richtigen Stelle. Wir
müssen dafür sorgen, dass neue Anbieter in den Markt
eintreten. Das können dezentrale sein wie Stadtwerke,
die im Übrigen auch Angst haben um die Monopolrenditen, die sie für die Nutzung ihrer Netze einstreichen.
Mir ist es egal, ob es ein privates oder ein öffentliches
Unternehmen ist, das die Monopolrendite verdient - eine
Monopolrendite ist nie der richtige Weg. Deshalb müssen auch durch die Regulierung der Netznutzungsentgelte entsprechende Effizienzreserven gehoben werden.
Die Stadtwerke haben aber auch Chancen: durch die dezentrale Erzeugung von Strom, sei es durch erneuerbare
Energien oder durch konventionelle, sowie durch den
Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung. Auch ausländische Anbieter sind herzlich eingeladen, als Wettbewerber einzusteigen. Das führt zu einer Intensivierung des
Wettbewerbs. Wir müssen sicherstellen, dass diesen
neuen Anbietern der Netzzugang ermöglicht wird.
Kollege Pfeiffer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Bulling-Schröter?
Nein. - Wir müssen den Netzzugang verbessern. Es
ist nicht akzeptabel, dass neue Anbieter über Jahre hinweg mit fragwürdigen Argumenten am Netzzugang gehindert werden.
({0})
Insofern will ich zusammenfassen: Es nützt nichts,
das Kind mit dem Bade auszuschütten und in blinden
Aktionismus zu verfallen, vielmehr brauchen wir ein differenziertes Vorgehen. Wir müssen dort, wo wir handeln
können als Staat, das heißt, bei den Steuern und Abgaben und bei der Missbrauchsaufsicht, im Erzeugungsbereich, unsere Hausaufgaben machen. Wir müssen die
Bedingungen des Marktes so gestalten, dass Wettbewerber in den Markt eintreten können. Hinzu kommen muss
aber, dass die Kunden die Souveränität zeigen, den Anbieter zu wechseln. Viel zu wenige wechseln ihren Gasoder Stromanbieter. Auch das führt zu einer Verschleppung des Wettbewerbes.
Wenn diese Dinge auf die Schiene gebracht sind, werden wir im Ergebnis nicht nur die Strom- und Gaspreise
stabilisieren können, sondern zudem Effizienzgewinne
erzielen. Wir werden für den Verbraucher etwas tun und
wir werden für die Wirtschaft etwas tun, indem wir die
Wettbewerbsfähigkeit erhöhen, aber bitte mit marktwirtschaftlichen Instrumenten und nicht mit staatlichem Dirigismus.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Hill.
Herr Dr. Pfeiffer, gestatten Sie mir kurz folgende Anmerkung: Sie haben eben ganz klar und deutlich gesagt,
dass Sie dagegen sind, die Staatsquote beim Strompreis weiter zu erhöhen. Sie erhöhen die Staatsquote allerdings dadurch, dass Sie die Mehrwertsteuer erhöhen.
Das ist doch wohl richtig.
Da Sie eben die erneuerbaren Energien angesprochen
haben, möchte ich hiermit festhalten: Die Kosten für die
erneuerbaren Energien machen gerade einmal 5 Prozent
des Strompreises aus. Sie erhöhen die Mehrwertsteuer
aber um 3 Prozentpunkte. Ich finde, das muss hier in der
Öffentlichkeit einmal ganz klar gesagt werden. Es wird
der Eindruck erweckt, als ob die erneuerbaren Energien
Schuld daran tragen, dass die Strompreise so hoch sind.
Das ist schlichtweg falsch. Das ist das falsche Signal.
Wir brauchen die erneuerbaren Energien,
({0})
damit wir in Zukunft günstig Strom produzieren und uns
von Uran, Erdöl und Gas unabhängig machen können.
Danke.
({1})
Kollege Pfeiffer, möchten Sie reagieren?
Herr Kollege Hill, ich habe doch überhaupt nicht gegen die erneuerbaren Energien gesprochen. Hätten Sie
mir zugehört,
({0})
dann wüssten Sie, dass ich gesagt habe, dass über
40 Prozent staatlich induziert sind. Hier sind die Ökosteuer auf Strom, die im Wesentlichen unseren grünen
Freunden zu verdanken ist,
({1})
die KWK, die erneuerbaren Energien, die Konzessionsabgabe und die Mehrwertsteuer zu nennen. Dies führt
dazu, dass heute über 40 Prozent des Strompreises staatlich induziert sind. Das ist der Sachverhalt und das können wir auch nicht auf andere abwälzen.
Ich habe gesagt, dass für mich das Ende der Belastbarkeit erreicht ist. Im Hinblick auf die vorhandenen
Stellgrößen müssen wir darüber nachdenken, wie wir
hier zu Entlastungen kommen können und wie wir es auf
jeden Fall schaffen, die Kosten nicht weiter zu erhöhen.
Das habe ich gesagt und das ist überhaupt kein Widerspruch.
({2})
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Rolf
Hempelmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Man sieht, dass diese Debatte die Gemüter bewegt.
Es ist ja auch ein wichtiges Thema und das Problem, das
dem Antrag und dieser Debatte zugrunde liegt, ist auch
nicht zu leugnen. Das ist übrigens ähnlich wie bei der
gestrigen Debatte zum FDP-Antrag, mit dem sie sich auf
das Bundeskartellamt bezog.
Wir befinden uns in der Tat in einer Situation ständig
steigender Energiepreise. Frau Höhn hat eben darauf
hingewiesen: Es ist nicht nur der Strompreis, sondern es
sind die Energiepreise. Offenbar ist es für uns leichter,
eine Kostensteigerung beim Benzin, Heizöl oder Gas zu
akzeptieren, weil hier die Entwicklung der Kosten für
die Primärenergie natürlich sehr viel stärker nachvollziehbar ist als beim Strom, wo dies nur indirekt der Fall
ist und es lediglich um einen Kostenbestandteil geht.
Ich will das jetzt aber nicht relativieren. Auch die Steigerung der Strompreise um 30 Prozent seit 1998 - beim
Heizöl waren es zum Beispiel 200 Prozent - ist eine Belastung für die privaten Haushalte und für das Gewerbe.
Es ist selbstverständlich, dass wir uns Gedanken darüber
machen müssen, wie wir auf diesem Gebiet erfolgreicher
werden, als wir es in der Vergangenheit waren.
Ich sage gleich vorweg: Nach meiner Auffassung
kann es nicht der richtige Weg sein, die staatliche Preiskontrolle auf Dauer beizubehalten, sondern der richtige
Weg kann nur sein, bei der Schaffung von mehr Wettbewerb zügig voranzuschreiten.
Wir sollten in diesem Zusammenhang übrigens nicht
so tun, als würden wir hier bei null anfangen. Das kann
weder im Interesse der FDP, die gestern einen Antrag gestellt hat, noch der Grünen, die sich in dieser Debatte
durchaus unterstützend in Richtung des Antrages geäußert haben, noch im Interesse der Fraktionen der Regierungskoalition sein; denn mit dem Energiewirtschaftsgesetz haben wir im letzten Jahr gemeinsam einen ganz
wichtigen Schritt getan.
Ich glaube, man muss einmal festhalten, dass damit
letztlich alle vier im Vermittlungsausschuss die Basis dafür geschaffen haben, dass wir zumindest in einem wichtigen Teilbereich, den wir nicht geringreden sollten,
nämlich im Bereich der Netze, Wettbewerb oder zumindest wettbewerbsähnliche Situationen in einem natürlichen Monopol schaffen. Wir sind auf diesem Weg
vorangekommen. Die ersten Bescheide der Bundesnetzagentur liegen vor; einige Redner haben das heute erwähnt. Es ist zu zum Teil drastischen Senkungen der
Netzentgelte gekommen, und zwar bei kleinen genauso
wie bei großen Anbietern.
Die Reaktionen zeigen, dass die Unternehmen einige
Schwierigkeiten haben, sich an diese neue Situation zu
gewöhnen. Im Fall von Vattenfall ist es aber tatsächlich
zu Preissenkungen gekommen. Der jüngste Bericht der
Bundesnetzagentur, den ich zur Lektüre empfehle, zeigt,
wie sich die Senkungen der Netzentgelte auf die Strompreise der anderen, auch großen Anbieter auswirken. Da
gibt es komplizierte Verrechnungen zu beachten. Lesen
Sie sich den Bericht einmal durch! Das würde auch die
Frage beantworten, die gerade gestellt wurde: Wie ist eigentlich sichergestellt, dass sich diese Entwicklung am
Ende auch im Strompreis abbildet?
Wir waren auf diesem Weg erfolgreich; es ist zu sinkenden Netzentgelten gekommen. Wir erwarten nun von
der Bundesnetzagentur, dass sie für alle Anbieter einen
diskriminierungsfreien Netzzugang durchsetzt. Ich bin
der festen Überzeugung, dass dies letztlich auch Auswirkungen auf die Stromerzeugung haben wird. Ein diskriminierungsfreier Netzzugang bewirkt, dass ein Anbieter
mit einem günstigeren Angebot bis zum Endkunden
durchdringen kann. Damit wird Druck auf die Konkurrenz, also die anderen Anbieter, erzeugt.
Das reicht natürlich bei weitem nicht. Die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundeswirtschaftsminister hat bereits deutlich gemacht, dass wir darüber hinaus
eine Kraftwerksanschlussverordnung benötigen. Wir
stehen in der Situation - das haben wir uns auch gewünscht -, dass es sehr viele Interessenten gibt, die in
Deutschland Kraftwerke bauen wollen; das sind große
wie kleine, etablierte wie neue Anbieter. Der Gedanke
der Nichtdiskriminierung beinhaltet, dass weder die alten noch die neuen, weder die großen noch die kleinen
Anbieter zu diskriminieren sind. Wir müssen uns vielmehr wünschen, dass alle, die in Deutschland Kraftwerke bauen wollen, auch die Gelegenheit dazu bekommen.
Wir sollten uns hier von der Vokabel „Überkapazität“
trennen, Herr Dr. Pfeiffer. Dieser Begriff stammt aus der
Zeit vor der Liberalisierung und kommt eher aus dem
Bereich der Versorgungsunternehmen. Wir sollten ein
Interesse daran haben, dass das Angebot am Markt höher
ist als die Nachfrage, weil das letztlich einen heilsamen
Druck auch auf die Erzeugerpreise ausübt.
({0})
Insofern ist es wichtig, die Rahmenbedingungen so zu
setzen, dass wir ein möglichst großes Angebot bekommen, also möglichst viele neue Kraftwerke.
Ein Instrument in diesem Zusammenhang ist die
Kraftwerksanschlussverordnung. Sie kann kurzfristig
aber nur sicherstellen, dass die vorhandenen Netzkapazitäten so auf die Anbieter, die mit neuen Kraftwerken auf
diesen Markt wollen, verteilt werden, dass dem Gesichtspunkt der Nichtdiskriminierung Rechnung getraRolf Hempelmann
gen wird, dass also zum Beispiel ein Unternehmen, dessen Schwestergesellschaft das örtliche Netz betreibt,
keinen entsprechenden Vorzug hat. Ich denke, dass wir
alle daran interessiert sind, diese Verordnung möglichst
schnell auf den Tisch zu bekommen, um hier vorwärts zu
kommen.
Ich glaube, dass mit dieser Verordnung noch etwas
geleistet werden muss: Die Bundesnetzagentur muss
mit einem zusätzlichen Instrumentarium ausgestattet
werden. Es muss sichergestellt sein - zum Teil ist das in
den Instrumenten enthalten -, dass sie da, wo sie Engpässe feststellt, die ein Hindernis dafür sind, dass Anbieter mit neuen Kraftwerken auf den Markt kommen, auch
die Möglichkeit hat, über eine Engpassbewirtschaftung
entsprechende Vorgaben zu machen. Aus den Erkenntnissen dieser Engpassbewirtschaftung muss sie dann Lösungen zur Beseitigung der Engpässe herauskristallisieren, und zwar in einer möglichst marktgerechten Form,
die keinen Investitionsdirigismus bedeutet. Wenn wir
das erreichen - wenn also das Netz sukzessive mit dem
Kraftwerkspark wächst -, dann haben wir die große
Chance, dass jede Kilowattstunde aus neu gebauten Anlagen das Angebot nachhaltig vergrößert.
Wir haben nichts davon, wenn neue Kraftwerke gebaut werden, aber nur ein Teil davon ans Netz kommt
oder, falls sie alle ans Netz kommen, nicht in voller Kapazität laufen können, weil Netzbarrieren - möglicherweise nicht nur im unmittelbaren Umfeld des Kraftwerkes, sondern insgesamt im deutschen oder europäischen
Netz - den Stromfluss behindern.
({1})
- Ich spreche in der Tat auch von der Windkraft. Auch
ihr sollte ein diskriminierungsfreier Zugang gewährt
werden. Das gilt insgesamt für die erneuerbaren Energien genauso wie für alle anderen Komponenten im
Kraftwerksmix.
Wir waren beim Thema Kraftwerksanschlussverordnung. Wir müssen in diesem Zusammenhang auch sehen, dass sich die Welt verändert hat. Wir müssen die
neue Situation im Blick behalten, das heißt die Veränderungen, die sich durch das Unbundling - also die Entflechtung bzw. die Trennung zwischen Netzbetreiber
und Kraftwerk - ergeben haben.
Wie war es früher? Früher waren innerhalb eines Gebietsmonopols Netz und Kraftwerke in einer Hand. Der
Betreiber hat selbst geplant, wie er seinen Kraftwerkspark weiterentwickelt und was am Netz verändert werden muss.
Diese Situation gibt es heute nicht mehr, zum einen
aufgrund der Entflechtung, zum anderen aus einem
zweiten Grund: Strom wird nicht mehr nur innerhalb einer bestimmten Region um das jeweilige Kraftwerk geliefert, sondern auch deutschland- oder möglicherweise
sogar europaweit. Der Strom wird zudem an der Börse
gehandelt. Vor diesem Hintergrund müssen alle Instrumente, die wir entwickeln, letztlich zum einen börsentauglich und zum anderen europatauglich sein. Auch in
diesem Zusammenhang muss man bezweifeln, ob eine
Fortsetzung der Preiskontrolle - wie von den Linken gefordert - das richtige europa- und börsentaugliche Instrument ist.
Ich halte es für lohnenswerter, die Aufmerksamkeit
auf die Vorschläge zur Verbesserung der Möglichkeiten
des Bundeskartellamts zur Feststellung des Missbrauchs
einer marktbeherrschenden Stellung zu richten, die aus
dem Bundeswirtschaftsministerium angekündigt worden
sind. Es ist interessant, dass sich das Bundeskartellamt
seit etwa einem Dreivierteljahr mit der Einpreisung kostenlos erhaltener Zertifikate befasst, ohne bisher zu einem Ergebnis gekommen zu sein. Zwar haben Anhörungen stattgefunden und im Wirtschaftsausschuss
wurde zu dem Thema Bericht erstattet, aber das Bundeskartellamt sieht sich offenbar nicht in der Lage, den
Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung justiziabel festzustellen.
Das kann unterschiedliche Gründe haben. Es kann
daran liegen, dass es keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gibt. Das muss man jedenfalls
zunächst einmal objektiv als eine Möglichkeit berücksichtigen. Es kann schließlich sein, dass dies im Emissionshandel systemimmanent vorgesehen ist. Wenn man
aber davon ausgeht, dass Ansätze von Missbrauch erkennbar sind, dann fehlt offenbar das Instrumentarium,
dies den betreffenden Marktakteuren nachzuweisen. Wir
warten darauf, dass uns das Bundeswirtschaftsministerium entsprechende Regelungen vorlegt, durch die die
Missbrauchsaufsicht gestärkt wird.
Allerdings meine auch ich - das wurde eben bereits
gesagt -, dass man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten sollte. Wir wollen nicht die Verlagerung der
Preisaufsicht von der einen auf die andere Behörde,
nämlich auf das Bundeskartellamt. Die bloße Feststellung einer überhöhten Marge - das ist im Übrigen in
rechtlicher Hinsicht ein wenig konkreter Begriff - wird
sicherlich nicht ausreichen, um den Missbrauch einer
marktbeherrschenden Stellung festzustellen. Meines Erachtens benötigen wir hier in der Tat zielführendere Vorschläge aus dem Wirtschaftsministerium.
Ebenso müssen wir vermeiden, dass es am Ende einen
Wettlauf zwischen zwei Regulierungsbehörden gibt,
zwischen der Bundesnetzagentur auf der einen und dem
Bundeskartellamt auf der anderen Seite. Die Zuständigkeiten müssen aufeinander abgestimmt werden. Es muss
deutlich werden, dass die Arbeit der einen Behörde, die
sich immerhin mit einem Drittel des Strompreises befasst, mit der der anderen kompatibel ist.
Es muss auch klar sein, dass es zwischen beiden Behörden keinen Wettlauf um den möglichst niedrigen
Preis, um den billigen Jakob geben darf - es ist nicht von
der Hand zu weisen, dass auch so etwas passieren kann -;
denn eines ist ebenfalls klar: Wir brauchen im Bereich
des Stroms genauso wie in anderen Bereichen hohe Qualität. Hohe Qualität kostet etwas. Sie hat auch etwas mit
Investitionen zu tun. Deswegen muss die Bundesnetzagentur bei ihrem Tun diesen Aspekt ebenfalls immer
mit im Blick haben, aber eben auch das Bundeskartellamt, wenn es entsprechend ausgestattet ist.
Wir wollen den Ausbau der Netze, wir wollen den
Ausbau des Kraftwerkparks. Dazu bedarf es eines anständigen Investitionsklimas. Damit rede ich nicht denjenigen das Wort, die sozusagen wie der pawlowsche
Hund reflexartig immer dann, wenn sich die Politik äußert, davon sprechen, sie stellten die Investitionen ein.
Aber umgekehrt müssen Investitionen natürlich auch am
Kapitalmarkt durchsetzbar sein. Dafür muss man Kredite aufnehmen können. Das hat etwas mit den in Zukunft zu erwartenden Strompreisen und der zu erwartenden Rendite zu tun. Deswegen muss sowohl die Arbeit
der Bundesnetzagentur als auch die des Bundeskartellamts immer beides im Blick haben: einen fairen Preis
genauso wie eine möglichst hohe Qualität.
Dies zeigt, dass die Aufgabe durchaus anspruchsvoll
ist und dass es sich verbietet, den Bürgerinnen und Bürgern vorzugaukeln, es gäbe einfache Lösungen. Diese
einfachen Lösungen gibt es nicht. Es gibt auch nicht die
schnelle Lösung, auch nicht in Form einer Preiskontrolle.
Kollege Hempelmann, Sie müssen zum Schluss kommen.
Lassen Sie uns deswegen die Arbeit der Bundesnetzagentur unterstützend begleiten und die Vorschläge des
Bundeswirtschaftsministeriums, bezogen auf das Bundeskartellamt, möglichst bald zur Kenntnis nehmen.
Darüber sollten wir dann sachgerecht diskutieren.
Vielen Dank.
({0})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Hans-Josef Fell das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Antrag
der Linken und die heutige Debatte um die Energiepreiskontrolle kreisen um einen sehr wichtigen Teilaspekt für
Strom- und Gaspreise. Zu Recht wird auf das Missverhältnis zwischen explodierenden Gewinnen der vier großen Konzerne und ihren zunehmenden Tarifsteigerungswünschen hingewiesen.
Kollegin Höhn hat bereits auf viele Wettbewerbsmaßnahmen hingewiesen; ich will sie nicht wiederholen.
Auch im Antrag der Linken steht sicherlich viel Wichtiges. Aber ich weise auch darauf hin, dass derjenige, der
niedrigere Verbraucherpreise will und die Gewinne von
Großen schröpfen will, aufpassen muss, dass mit diesen
Maßnahmen nicht auch Stadtwerke und neue Energieanbieter getroffen werden. Hierauf müssen wir vorsorglich
achten.
Auch andere Vorschläge, beispielsweise die Tarifaufsicht der Länder zu verlängern, wie sie von Bundesminister Glos vor kurzem vorgetragen wurden, greifen
zu kurz. Zum einen haben die Tarifaufsichten der Länder
in den letzten Jahren die Preissteigerungen nicht verhindern können; so scharf scheint dieses Instrument doch
nicht zu sein. Übrigens ist bezeichnend, dass gerade Ministerpräsident Stoiber hierbei Bundesminister Glos in
den Rücken fällt. Er hat in dieser Woche dessen Vorschläge abgelehnt und stattdessen eine Selbstverpflichtung mit den Konzernen vereinbart. Das mag gut sein,
aber wir wüssten schon gern, was die CSU wirklich will.
Wer tatsächlich Verbraucherschutz und zukünftig bezahlbare Energiepreise haben will, muss die Ursachen
der Strompreissteigerung und der Energiepreissteigerung tiefgründiger hinterfragen. Begründet werden die
vielen Strompreiserhöhungsanträge auch mit gestiegenen Beschaffungskosten. Tatsächlich sind seit 1999 die
Weltmarktpreise drastisch gestiegen. So hat sich der
Preis für Kohle auf über 60 US-Dollar je Tonne bereits
verdoppelt und der Preis für ein Barrel Erdöl seit 1998
auf 60 US-Dollar verfünffacht. Der Preis für Erdgas ist
in Europa seit 1999 verdreifacht worden; in Großbritannien und den USA, wo man sehr viel auf Erdgas setzt,
hat er sich sogar vervierfacht. Der Preis für Uran, Frau
Kopp, hat sich seit 1999 ebenfalls verfünffacht; er beträgt jetzt 100 US-Dollar je Kilogramm.
Wer zukünftig bezahlbare Energiepreise haben will,
muss aus der Nutzung der fossilen und der atomaren
Energien aussteigen. Dies ist die entscheidende Strategie.
({0})
Herr Pfeiffer, Sie haben gesagt, die beantragten
Strompreiserhöhungen seien korrekt, weil ökologische
Maßnahmen zu einem zunehmend höheren Strompreis
führten. Darüber kann ich nur den Kopf schütteln. Wenn
die Verbraucherinnen und Verbraucher endlich die vielen
persönlichen Energieeinsparmöglichkeiten nutzten,
könnten sie ihre Stromrechnung drastisch senken.
({1})
Natürlich kommen durch die Förderung der erneuerbaren Energien über die im EEG festgelegte Umlage
Mehrkosten auf die Stromkunden zu. Aber zum einen
sind diese Mehrkosten sehr gering. Zum anderen sind sie
bereits gesunken, und zwar - hören Sie gut zu, Herr
Dr. Pfeiffer - von 0,54 Cent pro Kilowattstunde im Jahr
2005 auf hochgerechnet 0,50 Cent in diesem Jahr, und
das trotz gestiegener Mengen eingespeisten Stroms. Wir
sehen allerdings - genauso wie die große Koalition - die
Notwendigkeit, der Bundesnetzagentur die Möglichkeit
zur Kontrolle zu geben, damit keine überhöhten Gewinne mit der Umlage erzielt werden. Das ist in der Novelle des EEG, die wir nächste Woche beschließen werden, gut geregelt.
Die Behauptung der Konzerne in ihren Anträgen auf
Strompreiserhöhung, dass Mehrkosten für erneuerbare
Energien aufgebracht werden müssten - hören Sie gut
zu, Herr Dr. Pfeiffer -, fallen wie ein Kartenhaus zusammen. Das Hamburgische Welt-Wirtschafts-Archiv hat in
einer Studie nachgewiesen, dass die Einspeisung von
Windstrom bereits die Stromkosten senkt.
({2})
Nach Berechnungen des BWE auf der Basis dieser Studie gibt es durch die Einspeisung von Windstrom Stromkosteneinsparungen in Höhe von 1 Milliarde Euro im
Jahr. In einer Eon-Studie wird sogar von dreimal so hohen Einsparungen ausgegangen. Damit sind die Spareffekte, die sich insbesondere für die energieintensiven
Industriebetriebe positiv auswirken, höher als die Ausgaben für die Windenergieförderung nach dem EEG. Das
ganze Gerede von teueren erneuerbaren Energien ist also
falsch und entbehrt jeder Grundlage.
({3})
Übrigens beginnen solche Effekte bereits bei anderen
erneuerbaren Energien zu wirken. In diesem Sommer
war der angeblich so sündhaft teure Fotovoltaikstrom an
der Börse kurzzeitig billiger als der Strom aus Kernenergie.
Kollege Fell, die Auswertung dieser Studie müssen
wir leider auf später verschieben.
Ich komme zum Schluss.
Frau Kopp, Sie haben Recht: Wir müssen alles tun,
um die Strompreise zu senken. Helfen Sie mit, dass wir
vollständig auf erneuerbare Energien umsteigen und die
Energieeinsparpotenziale nutzen! Das ist in Zukunft die
entscheidende Möglichkeit, bezahlbare Energiepreise
- auch für die sozial Schwachen - herbeizuführen.
({0})
Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege
Dr. Georg Nüßlein für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen!
Meine Herren! Wir wollen mehr Wettbewerb im Strombereich. Dem stehen die natürlichen Monopole im Netzbereich entgegen. Deshalb müssen wir eine Netzentgeltregulierung praktizieren, was wir momentan tun. Das
ist aber nicht, wie heute manchmal der Eindruck erweckt
wurde, das Ende eines Prozesses, sondern der Anfang,
die Voraussetzung für einen chancengleichen Zugang zu
den Netzen und damit für den von uns angestrebten
Wettbewerb.
Herr Kollege Fell, Sie haben in einem Punkt Recht:
Wir müssen bei diesem Prozess sehr genau darauf achten, dass effiziente Stadtwerke und Mittelständler nicht
bürokratisch erwürgt werden. Schließlich brauchen wir
noch Teilnehmer, die an dem von uns angestrebten Wettbewerb partizipieren.
({0})
Ich bin dankbar für das, was Frau Staatssekretärin
Wöhrl in der heutigen Debatte gesagt hat. Weil sie den
eben beschriebenen Zusammenhang sieht, hat sie davor
gewarnt, zu erwarten, dass eine Netzentgeltregulierung
per se eine Strompreisverbilligung bringt. Vielmehr ist
eine solche Regulierung erst die Voraussetzung für mehr
Wettbewerb und eine marktwirtschaftliche Entwicklung.
Wenn wir dabei sind, der Ehrlichkeit und Offenheit
die Ehre zu geben, dann muss man das wiederholen, was
hier verschiedentlich angeklungen ist. Die Politik des
Staates hat in entscheidender Weise zur Verteuerung der
Strompreise beigetragen. Seit 1998 hat sich die Staatslast
verfünffacht. 40 Prozent der Stromrechnung unserer
Haushalte sind staatliche Abgaben. Übrigens - auch
das räumen wir von der Union ein - entfällt der kleinste
Teil davon auf die Förderung der erneuerbaren Energien.
Es sind 2 Prozent, nicht 5 Prozent. Wenn Sie sich schon
für das Thema einsetzen, dann bleiben Sie bei den richtigen Zahlen. Dann wird manche Diskussion einfacher.
({1})
An der Stelle - da lassen wir uns nichts in die Schuhe
schieben - ist der Koalitionsvertrag völlig klar. Wir stehen zu den erneuerbaren Energien und wir werden,
wie es im EEG steht, im Herbst 2007 überprüfen, wie
das im Detail aussieht. Vorher darüber zu diskutieren, ist
aus meiner Sicht nicht richtig bzw. nicht angemessen,
auch nicht im Sinne der Investoren.
Sie fragen, was mit dem Rest geschieht. Ich sage der
Ehrlichkeit halber, dass der Rest im Staatshaushalt verschwindet. Das mag der eine oder andere bedauern, aber
die Realität ist so, wie sie ist. Der Staatshaushalt ist
schwierig. Wir sind noch nicht am Ende des Sanierungsprozesses. Wir haben zwar die Nettoneuverschuldung
halbiert, aber wir sind noch nicht in der komfortablen
Lage, dass wir jetzt schon über neue Subventionen oder
über Steuersenkungen reden können. Ich sage das den
selbst ernannten Verbraucherschützern - Frau Höhn ist
leider nicht mehr da -, die früher für die ideologisch bedingte Verteuerung eingetreten sind und jetzt in der Debatte „Haltet den Dieb!“ rufen.
({2})
Die Problematik für die Haushalte und für die Wirtschaft wurde aus meiner Sicht heute ausreichend erläutert. Auf die Frage, was zu tun ist, erleben wir bei den
Linken - aber nicht nur links, sondern insgesamt in
Deutschland - einen beliebten Reflex, nämlich den Ruf:
Der Staat muss das jetzt richten. Ich stelle eine Frage.
Wir haben derzeit und noch bis zum 1. Juli 2007 eine
staatliche Kontrolle der Preise.
({3})
Was hat sich denn getan? Wir beklagen auf der einen
Seite den Anstieg der Strompreise und die staatliche
Kontrolle und Sie sagen, ein Mittel dagegen sei die Fortführung der staatlichen Kontrolle. Das kann doch nicht
sein. Das ist vollkommen unlogisch.
({4})
Wenn wir die Preiskontrolle aufrechterhalten, dann gehen auch die sonstigen Maßnahmen, über die wir heute
diskutiert haben, zum Beispiel die, die das Kartellrecht
und die von Ihnen angesprochene Billigkeitskontrolle
nach dem BGB betreffen, in weiten Teilen ins Leere,
weil die Preise staatlich genehmigt sind. Wo soll der
Missbrauch herkommen? Es gibt doch ein staatliches
Zertifikat für diese Preise.
Kollege Nüßlein, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Hill?
Ja.
Vielen Dank, Herr Kollege Nüßlein. - Es ist doch
festzustellen, dass sich der staatliche Anteil am Strompreis in den letzten zwei Jahren nicht erhöht hat. Das bedeutet, dass der Wunsch nach Regulierung vonseiten der
Länder nicht daraus resultiert, dass sich die Staatsquote
erhöht hat, sondern daraus, dass die Gewinne der Konzerne ins Unermessliche gestiegen sind und die Kunden
- sprich: die Haushalte - nicht mehr in der Lage sind, die
momentanen Preise zu bezahlen. Ich frage Sie: Wenn die
Staatsquote nicht gesunken ist, dann hat das doch bisher
funktioniert und wird vielleicht auch in der Zukunft
funktionieren?
Wenn Sie sich anschauen, dass sich insbesondere im
Emissionshandel Gewinne der Stromversorger durch die
Einrechnung von Opportunitätskosten ergeben, dann haben Sie in dem Punkt zwar Recht, aber die Maßnahme
ist die falsche. Wir müssen uns dann überlegen, wie wir
mit dem Emissionshandel umgehen. Ich sage Ihnen auch
ehrlich: Wer für das Instrument des Emissionshandels
eintritt, nämlich die Internalisierung externer Kosten, der
muss mit einem Preisanstieg rechnen. Darum geht es
letztendlich. Es wird gesagt: Die haben die Zertifikate
kostenlos bekommen. - Das ist richtig. Aber die Einpreisung gelingt nur auf Märkten, auf denen entsprechende
Preise letztlich auch durchsetzbar sind. In einem Markt,
in dem der Wettbewerb funktioniert, sähe die Situation
anders aus. Deshalb wollen wir Wettbewerb erreichen
und auf diese Art und Weise das Thema angehen. Wir
wollen nicht staatlich genehmigte Preise oder gar noch
staatlich genehmigte Gewinne einführen.
({0})
Wir wollen natürlich nicht so weit gehen, wie der
Kollege Lafontaine heute angeregt hat, und auch noch
die Netze verstaatlichen. Es wäre viel gewonnen, wenn
Sie, meine Damen und Herren, von diesen alten Kamellen abrücken würden.
({1})
Sie müssen doch sehen, dass der Sozialismus gescheitert
ist. Wenn Sie mal so weit wären, könnten wir miteinander vielleicht einen sinnvolleren Dialog führen.
({2})
Betrachten wir das Problem abschließend noch einmal von einer anderen Seite. Wenden wir uns der Rolle
des Staates zu. 40 Prozent des Preises sind staatlich bedingt. Das setzen ohnehin wir hier fest - übrigens zum
Nachteil der Verbraucherinnen und Verbraucher.
({3})
32 Prozent entfallen auf die Netzentgelte. Das läuft über
die Regulierungsbehörde. Also sind schon gut 70 Prozent staatlich festgelegt. Für den Rest, die Erzeugung,
haben wir eine Börse. Im Hinblick darauf kann man natürlich sagen: Dort spielen die großen vier eine entsprechende Rolle; sie können sich parallel verhalten.
({4})
- Nein! - Die Realität sieht aber anders aus. Die Realität
sieht doch so aus: Es gibt 150 Marktteilnehmer dort. An
der Börse gibt es eine hohe Liquidität. Der Preis an dieser Börse liegt im europäischen Mittel. Sie haben halt
keine Ahnung von Börse und Markt, Herr Kollege.
({5})
Es wäre völlig falsch, auf der einen Seite für Wettbewerb zu sorgen und auf der anderen Seite dann das, was
wirklich Markt ausmacht, nämlich eine Börse, wieder
staatlich zu kontrollieren und die Ergebnisse zu revidieren. Das ist der falsche Ansatz.
({6})
Zum Vertrieb sage ich Ihnen: Man wird am Schluss
eine gewisse Marge brauchen, weil man sonst keine
Wettbewerber findet. Wer soll denn in einen Markt eintreten, auf dem Preis und Kosten gleich hoch sind?
({7})
Welche Motivation soll da vorhanden sein? Auch das ist
Marktwirtschaft. Sie werden das nie lernen.
({8})
Kollege Nüßlein, Sie haben offensichtlich eine sehr
anregende Wirkung in Bezug auf Zwischenfragen. Lassen Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Hill zu?
Vizepräsidentin Petra Pau
({0})
- Das entscheidet der Redner.
Ich hätte es gern getan. Wir klären das anschließend.
({0})
Was wir statt Regulierung über das ohnehin gebotene
Maß hinaus brauchen, ist: Effizienzsteigerung, moderne
Technik, um den Verbrauch zu reduzieren, standortverträgliche Ausgestaltung des Emissionshandels. Darüber
müssen wir uns unterhalten. Auch über das Thema Versteigerung kann man aus meiner Sicht diskutieren. Wir
brauchen einen wohl ausgewogenen Energiemix, bei
dem es von der Wirtschaftlichkeit auf der einen Seite bis
hin zur Umweltverträglichkeit auf der anderen Seite
geht, bei dem es von den erneuerbaren Energien auf der
einen Seite bis hin zur Kernkraft auf der anderen Seite
geht. Wir brauchen vor allem mehr Wettbewerb, europäisch, national und getragen von den Verbraucherinnen
und Verbrauchern, die leider noch nicht in dem Maß bereit sind, ihre Anbieter zu wechseln. Nur 2 Prozent haben bisher von der Möglichkeit Gebrauch gemacht. Ich
würde mir wünschen, dass da Bewegung ins Spiel
kommt.
Abschließend: Der Kompromiss in Bayern, der über
den 1. Juli 2007 hinausreicht, hat deutlich gezeigt, dass
man einiges bewegen kann, und zwar nicht nur auf einer
gesetzlichen Basis, sondern auch in einem vernünftigen
Dialog. Den wünsche ich uns energiepolitisch intern genauso wie draußen mit den Anbietern.
Vielen herzlichen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/2505 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vertragsarztrechts und anderer Gesetze ({0})
- Drucksache 16/2474 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({1})
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Auch dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben heute in Berlin die Situation, dass Ärzte und
Ärztefunktionäre hier demonstrieren und gleichzeitig
wir ein Gesetz beraten, das die Situation der ärztlichen
Versorgung in Deutschland deutlich verbessern wird.
Wir haben Vorschläge aufgegriffen, die schon lange
im Raum standen, und diese in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Es ist leider so, dass im Bereich der
Gesundheitspolitik Streitfragen stärker wahrgenommen
werden als die Fragen, über die man sich einig ist. Wir
sind uns in diesem Haus darüber einig, dass das ärztliche
Berufsrecht entschlackt, verändert und an neue Herausforderungen angepasst werden muss. Wir sind uns in
diesem Haus auch darüber einig, dass es Sinn macht,
dass die ärztlichen Tätigkeitsfelder so neu gestaltet bzw.
verändert werden, dass zum Beispiel Ärzte auch als Angestellte beruflich tätig sein können, dass Ärzte Zweitpraxen eröffnen dürfen und dass mehr Flexibilität in das
System der Niederlassungen gebracht wird.
({0})
Wir haben heute in Deutschland keine generelle Unterversorgung mit ärztlichen Leistungen, sondern wir haben gleichzeitig Überversorgung und Unterversorgung.
So steht beispielsweise in Berlin ein Vertragsarzt für die
Behandlung von 531 Einwohnern zur Verfügung, in
Brandenburg dagegen muss ein Vertragsarzt 825 Patientinnen und Patienten betreuen. Konkret heißt das: Eine
Unterversorgung haben wir in den ostdeutschen Ländern
sowie in den ländlichen Gebieten, mittlerweile im Westen wie im Osten. Eine Überversorgung haben wir in fast
allen Universitätsstädten und in den Ballungszentren;
hier ist eine Maximalversorgung gegeben. Verantwortlich dafür ist zum einen das ärztliche Berufsrecht, das
flexible Lösungen eher verhindert hat, zum anderen
mangelt es aber auch an finanziellen Anreizen. Dieses
Problem werden wir nach Verabschiedung des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes sehr beherzt angehen.
Wir werden nun das ärztliche Berufsrecht deutlich
entschlacken. Wir wollen einen Internisten aus Schöneberg nicht zwingen, nach Rathenow umzuziehen.
({1})
Aber dieses Gesetz ermöglicht es ihm künftig, beispielsweise in Rathenow eine Zweitpraxis zu gründen. Es wird
dafür sorgen, dass künftig Kooperationen möglich werden, und es macht es für Ärzte leichter, andere Ärzte anzustellen.
({2})
Wir brauchen Berufsausübungsgemeinschaften zwischen allen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringern. Dazu ist es Ärztinnen und Ärzten in Zukunft gestattet, auch über die bisherige
Altersgrenze hinaus in von Unterversorgung bedrohten
Regionen zu praktizieren.
In einem weiteren Schritt wird die Koalition die ärztliche Gebührenordnung reformieren. Danach wird es
künftig möglich sein, regionale Zu- und Abschläge zu
gewähren. Auch dies wird dazu beitragen, dass sich für
Ärztinnen und Ärzte in Zukunft die Niederlassung in
ländlichen Räumen wieder mehr lohnt.
({3})
Ein weiterer Aspekt ist mir besonders wichtig: Das
Gesetz beseitigt auch die bestehenden Einkommensunterschiede zwischen Ost und West, insbesondere in drei
Bereichen: bei den privatärztlichen und zahnärztlichen
Leistungen sowie bei freiberuflichen Hebammen.
({4})
Es trägt somit ein Stück zu einem einheitlichen Einkommensniveau in Deutschland bei und sorgt so für mehr
Gerechtigkeit. Angesichts der Herausforderungen der
Zukunft, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es nämlich
notwendig, diese Unterschiede in der gesundheitlichen Versorgung zu beseitigen. Es kann nämlich, wenn
wir ein hohes Niveau bei der Versorgung haben wollen,
nicht angehen, dass wir solche sehr großen Unterschiede
weiterhin tolerieren.
({5})
Sie nicht zu tolerieren, ist, glaube ich, ein Stück Solidarität, aber auch ein Stück Qualität. Es wird dazu führen,
dass wir ärztliche Leistungen für diejenigen Menschen,
die sie brauchen, auf jeden Fall wieder zugänglich machen.
Mit diesem Gesetz gehen wir in die richtige Richtung.
Ich wünsche mir sehr, dass bei allem Dissens und trotz
aller Diskussionen auch zur Kenntnis genommen wird,
dass diese Koalition handelt. Sie hat es in Bezug auf das
Vertragsarztrecht bereits getan. Vielleicht wird auch einmal mehr über positive Aspekte im Gesundheitswesen
berichtet, auch wenn die Medien natürlich eher an der
Skandalisierung anderer Dinge interessiert sind. Lassen
Sie uns zu unserer eigentlichen Aufgabe zurückfinden:
Gesundheit für alle in der Bundesrepublik Deutschland.
({6})
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege
Dr. Konrad Schily.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, dass dieser Gesetzentwurf ein Schritt in die richtige Richtung ist; aber ich habe meine Zweifel daran,
dass die darin enthaltenen zahlreichen Regelungen zielführend sind.
Auch angesichts der heute schon angesprochenen
Ärzteproteste - dabei geht es wirklich um Grundsätzliches, um Existenzen - sollen und wollen wir den Gedanken der Subsidiarität noch stärker in den Vordergrund rücken.
({0})
Wir haben zahlenmäßig überversorgte und wir haben
zahlenmäßig unterversorgte Gebiete. Aber ob das in der
Wirklichkeit immer so ist, ob diese Gebiete also tatsächlich unterversorgt oder überversorgt sind, das weiß man
leider eben immer nur vor Ort. Ich bin immer noch Anfänger in diesem Parlament: Ich habe mit Erstaunen gesehen, dass dieser Gesetzentwurf 43 Seiten hat.
({1})
Nicht alles ist für jemanden, der nur Arzt und kein Jurist
ist, ganz verständlich. Wir sollten in der Ausschussarbeit
darauf hinwirken, möglichst viel Verantwortung vor Ort
anzusiedeln.
Ein Arzt kann mit 58 Jahren befähigt sein; er muss es
nicht. Er kann auch mit 68 Jahren ausgesprochen befähigt sein; er muss es nicht. Ich kann eine solche Angelegenheit nicht generell regeln. Das kann nur eine Verantwortungsgemeinschaft vor Ort. Deswegen muss man
von einer Regelung von oben Abstand nehmen, großzügig sein und ein bisschen Freiheit wagen: Die Verantwortung sollte vor Ort getragen werden; dort sollte die
Qualitätskontrolle stattfinden. Wir haben - noch - Kassenärztliche Vereinigungen. Die dort Beschäftigten müssen die Verantwortung übernehmen.
({2})
Ich denke, es ist etwas Richtiges und Wichtiges angestoßen worden. Ich hoffe, dass dieses Gesetzeswerk verschlankt wird, dass wir mit weniger Paragrafen und mit
weniger Verweisen auskommen, dass es so formuliert
wird, dass man es auch vor Ort verstehen kann und dass
man nicht in langen Auslegungsdebatten verharrt.
Ich weiß, dass die Kompetenten nicht immer begierig
nach der Verantwortung sind. Man delegiert gern zurück,
lässt es die anderen entscheiden und freut sich, wenn der
Gesetzgeber entschieden hat; schließlich war man es
dann nicht selbst, also die Personen vor Ort oder die eigene Gruppe, sondern der Gesetzgeber. Der Gesetzgeber
sollte die Personen vor Ort darauf aufmerksam machen,
dass sie die Kompetenten sind und daher geeigneter
sind, die Verantwortung zu tragen. Insofern hoffe ich,
dass die Beratungen dieses Gesetzes eine Verschlankung
bewirken, die Subsidiarität fördern und daher die ärztliche Versorgung sichern und verbessern helfen. Ich freue
mich auf die Beratungen.
({3})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
Dr. Hans Georg Faust.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vertragsarztrechtsänderungsgesetz - das klingt kompliziert und trocken, es wird am Freitagnachmittag behandelt, dieses Thema ist nur etwas für Spezialisten.
Weit gefehlt! Dass sich heute in Berlin erneut Tausende von Ärzten zum Protest versammeln, hat auch viel
mit dem zu tun, was wir endlich mit diesem Gesetz verändern. Wir sollten und wir werden die Sorgen und Nöte
der Ärzte ernst nehmen, genauso wie wir uns um eine
flächendeckende Versorgung durch Krankenhäuser und
um die Arbeits- und Rahmenbedingungen für die Krankenkassen kümmern. Aber im Mittelpunkt unserer Bemühungen steht der Patient, der kranke Mensch.
({0})
Dieser wird in der gesundheitspolitischen Diskussion
nur allzu leicht vergessen.
Im Vertragsarztrechtsänderungsgesetz geht es ganz
entscheidend um den Patienten. In seiner Not wendet er
sich nicht an die Politik, nicht an die Krankenkasse und
auch nicht an die Verbraucherberatung. Nein, er wendet
sich in seiner Not an seinen Arzt. Die Arzt-Patienten-Beziehung ist die wichtigste Beziehung in unserem Gesundheitssystem und diese müssen wir schützen: schützen vor allzu starker Reglementierung durch die Politik,
schützen auch vor bürokratischen Eingriffen durch die
Krankenkassen, schützen aber auch dann, wenn diese
enge Beziehung materiell ausgenutzt wird.
Die Rahmenbedingungen für diese enge, sensible Beziehung sind in Deutschland nach wie vor gut. Wir lassen sie uns auch nicht schlechtreden.
({1})
Insbesondere die Erreichbarkeit und der Zugang zu den
Leistungen des Gesundheitssystems werden in der Wissenschaft übereinstimmend gelobt. Wer über Wartezeiten in deutschen Arztpraxen klagt, sollte sich einmal die
Wartelisten im europäischen Ausland, insbesondere im
sozialen Skandinavien, anschauen.
Die medizinische, die ärztliche Versorgung ist auf hohem Niveau. Zunehmend sind die Leistungen der Hausund Fachärzte qualitätsgesichert, und das Tag und Nacht.
Flächendeckend sind Vertragsärzte auch zu ungünstigen
Zeiten im Einsatz. Das Notarztsystem in Deutschland
sucht international seinesgleichen.
Wie steht es um den anderen Partner in der ArztPatienten-Beziehung, den Arzt? Über 12 000 deutsche
Ärzte arbeiten nach teurer staatlicher Ausbildung im
Ausland; immer mehr ausscheidende Hausärzte, die
keine Praxisnachfolger finden; immer mehr junge Medizinerinnen und Mediziner, die nicht in den eigentlichen
Arztberuf gehen: Das muss uns zum Nachdenken bringen und zum Handeln zwingen.
Die Fragen der Vergütung sollen im Rahmen der anstehenden Gesundheitsreform gelöst werden. Hier müssen wir von den Budgets weg und hin zu vereinbarten
Leistungsvolumina in Menge und Preis, die auch bei
Mehrleistungen Kostendeckung zulassen.
({2})
So wenig wie der Arzt mit seiner Arbeitskraft und seinem Vermögen für Mehrleistungen haften darf, so wenig
dürfen vermeidbare Leistungsausweitungen das Gesamtsystem belasten. Hier sind wir aufgefordert, vernünftige
Rahmenbedingungen zu schaffen und zusammen mit der
Ärzteschaft selbststeuernde Mechanismen zu entwickeln.
Die Debatte darüber, ob Ärzte zu viel, zu wenig oder
richtig verdienen, halte ich für höchst überflüssig. Auch
die Erkenntnis darüber, dass das Durchschnittsjahreseinkommen von Ärzten vor Steuern bei 80 000 Euro liegt,
hilft uns hier nicht weiter. Es gibt die gut verdienenden
Spezialisten in modern ausgestatteten Gemeinschaftspraxen in Großstädten. Es gibt Ärztinnen und Ärzte in
familiärer Tradition in den alten Bundesländern, die die
schuldenfreie Praxisimmobilie über Generationen weitergeben, einen treuen Patientenstamm haben und feststellen, dass ihr Einkommen zwar rückläufig, aber noch
hinreichend ist.
Es gibt aber eine zunehmende Zahl von Ärzten, vornehmlich in den neuen Bundesländern, die sich bei der
Praxisniederlassung hoch verschuldet haben, die in den
dünn besiedelten Gebieten im häufigen Bereitschaftsdienst große Strecken fahren müssen, keinen Privatpatienten in ihrer Kartei haben und denen beim Gedanken an ihre Altersversorgung schlecht wird.
({3})
Unter den Ärzten, die heute in Berlin demonstrieren, finden sich sicher alle Gruppen, am wenigsten aber die von
mir zuerst genannte.
Mit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz lösen wir
die Finanzprobleme der Ärzteschaft nicht. Wir gehen
aber - das ist bei Gesetzgebungsverfahren sicher ungewöhnlich - Hand in Hand mit der Ärzteschaft eine entscheidende Verbesserung der Rahmenbedingungen an.
Insbesondere der 107. Deutsche Ärztetag in Bremen hat
berufsrechtliche Grundlagen geliefert, die wir nun in
Gesetzesform gießen.
({4})
Endlich können Ärzte ohne Begrenzung andere Ärzte
anstellen, endlich können Ärzte neben ihrer Vertragsarzttätigkeit auch als angestellte Ärzte im Krankenhaus
arbeiten und endlich dürfen sie auch außerhalb ihres Sitzes an weiteren Orten vertragsärztlich tätig sein.
({5})
Diese Möglichkeiten sind gar nicht hoch genug einzuschätzen.
Die von mir angesprochenen Versorgungsdefizite in
einzelnen Regionen Deutschlands sollen zum einen
durch zusätzliche Vergütungsanreize und zum anderen
durch die Aufhebung der Altersgrenze für Ärzte in unterversorgten Gebieten beseitigt werden.
({6})
Wenn in einem eng umgrenzten Gebiet örtlich Versorgungsprobleme bestehen, obwohl regional eine ausreichende Versorgung gegeben ist, dann kann in Zukunft
auch hierauf flexibel reagiert werden.
({7})
Zwei wichtige Punkte des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes möchte ich noch ansprechen. Der eine
Punkt ist die Verbesserung der Rechte der Patientenvertreter in den Selbstverwaltungsgremien auf Bundes- und
Landesebene, wobei hier zusätzlich die Finanzierung der
Patientenbeteiligung verbessert wird. Der andere wichtige Punkt ist die Erleichterung bei der Einziehung der
Praxisgebühr. Das bisher aufwendige und teure Rechtsverfahren wird so vereinfacht, wie es auch in anderen
Lebensbereichen bei säumigen Zahlern üblich ist.
Gerade die Erleichterung bei der Einziehung der Praxisgebühr zeigt die Probleme auf, die Ärzte neben Honorarsorgen und verkrusteten Strukturen noch haben: Das
sind die Probleme mit der Bürokratie. Da hilft das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz ein wenig weiter. Ich erhoffe mir aber vieles vom anstehenden Gesundheitsreformgesetz.
Nun kann man den Wert von Disease-ManagementProgrammen sicher nicht am Dokumentationsaufwand
festmachen. Wenn aber nach der Statistik einer von fünf
ausgefüllten Bögen von den Krankenkassen wegen Dokumentationsmängeln zurückgewiesen wird, dann erhöht sich der bürokratische Aufwand für die Ärzte
enorm. Weniger Bögen von weniger Krankenkassen, Zurücksendungen nur bei Inplausibilitäten, mehr gesunder
Menschenverstand und weniger Behördenmentalität
würden aus meiner Sicht entscheidend weiterhelfen.
({8})
Alles in allem wird mit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz berechtigten Forderungen der Ärzteschaft
Rechnung getragen. Mit der anstehenden Gesundheitsreform gehen wir die Ablösung der Budgets und die Erfüllung der Forderungen nach einer angemessenen Honorierung in Euro und Cent an und verlieren die Sorgen
über eine überbordende Bürokratie nicht aus dem Blick.
Den in Berlin demonstrierenden ärztlichen Kollegen
möchte ich sagen: Wir haben Verständnis für ihre berechtigten Anliegen. Das Verhältnis Arzt - Patient ist ein
hohes Gut und verdient jeden Schutz. Aber Gesundheitspolitik ist mehr als das Durchsetzen von Einzelinteressen.
({9})
Neben dem Recht auf Demonstration auf dem Gendarmenmarkt sehe ich als ärztlicher Kollege die deutschen
Ärzte in der Pflicht, im Interesse ihrer Patienten den Dialog mit der Politik, mit uns, fortzusetzen.
({10})
Nun spricht für die Fraktion Die Linke der Kollege
Frank Spieth.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Dr. Faust, weiten Teilen Ihrer Aussagen kann ich zustimmen. Den heute protestierenden Ärzten sollten wir angesichts ihrer Bereitschaft, sich mit dem Gesundheitsreformgesetz kritisch auseinander zu setzen, und der
Diskussion über die Frage, ob das Vertrauensverhältnis
zwischen Arzt und Patient und umgekehrt nicht allmählich zerstört wird, sagen, dass ihre Kritik berechtigt ist
und es in der Tat darauf ankommt, Positionen zu beziehen.
Allerdings möchte ich an dieser Stelle auch darauf
hinweisen, dass sich der Bundesverband der Hausärzte
an diesem Protest ausdrücklich nicht beteiligt, weil er
sagt: Wir als Hausärzte und als Ärzte insgesamt müssen
mehr tun, als nur auf unsere Vergütung zu schauen. Wir
tragen eine Gesamtverantwortung in diesem System. Deshalb möchte ich hier die Gelegenheit nutzen, den
Ärzten zu sagen: Mehr Ethik und nicht nur Monetik! Das
sehen viele Ärzte ebenso.
Nun zum Vertragsarztrechtsänderungsgesetz. Mit diesem Gesetz der Bundesregierung soll eine Abmilderung
drohender hausärztlicher Unterversorgung - um die
geht es im Wesentlichen - erreicht werden. Frau Staatssekretärin, wir unterstützen dieses Anliegen. Wir unterstützen zudem wesentliche Teile der Vorschläge, die in
diesem Gesetz enthalten sind. Unsere Fragen zielen aber
darüber hinaus. Wir haben im Rahmen der Selbstbefassung von Sachverständigen in Bezug auf die Unterversorgungsproblematik die Befürchtung gehört, dass das
nicht ausreicht. Diese Befürchtung teilen wir. Es geht in
der Tat um die Frage, ob wir nur mithilfe von Anreizsystemen erreichen können, dass Ärzte sich künftig in
strukturschwachen Regionen, zum Beispiel in der Eifel,
im Thüringer Wald oder im Bayerischen Wald, niederlassen.
({0})
- Auch im Ostseeraum. Das Problem ist überall das gleiche. Ich könnte Ihnen Beispiele aus Thüringen nennen,
wo wir über Jahre hinweg mit ganz extremen Anreizsystemen versucht haben, Ärzte anzusiedeln, es aber nicht
geschafft haben.
({1})
Deshalb muss tatsächlich darüber nachgedacht werden, ob wir neben den Anreiz- und Bonussystemen auch
Malussysteme einführen. Ganz konkret heißt das, dass
wir in der Debatte über dieses Gesetz darüber nachdenFrank Spieth
ken müssen, ob wir Abschläge erheben, wenn Ärzte in
Gebieten zugelassen werden, in denen Überversorgung
herrscht. Diese Mittel könnten in einem Fonds gesammelt werden, sodass wir mit diesen Geldern in den Gebieten, in denen ein Mangel an Ärzten herrscht, eine
wirksame, zusätzliche Unterstützung leisten könnten.
Ein weiterer Punkt wird meine Kollegen von der FDP,
insbesondere Herrn Dr. Schily, nicht begeistern: Wir
müssen darüber nachdenken, ob wir Ärzten abverlangen,
sich zunächst in unterversorgten Gebieten für fünf Jahre
niederzulassen. Vielleicht müssen wir ein solches neues
Steuerungsinstrument einführen. Ich glaube, eine Debatte darüber wäre des Schweißes der Edlen wert. Viele
Experten sagen, dass dies sehr vernünftig wäre.
Wir dürfen nicht nur liberalisieren, sondern müssen
auch regulierend in den Prozess eingreifen. Dadurch
wollen wir nicht zwangsläufig mehr Bürokratie aufbauen, sondern wir wollen im Sinne der Menschen handeln, die einen Anspruch auf ärztliche Versorgung haben.
Ich komme zum Schluss. Im Gesetzgebungsverfahren
werden wir darüber diskutieren, wie wir den Menschen,
die in den unterversorgten Gebieten tage- oder sogar wochenlang auf eine hausärztliche Leistung warten, helfen
können. Im Namen meiner Fraktion biete ich dabei jede
Unterstützung an.
({2})
Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat
der Kollege Dr. Harald Terpe das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte zu Beginn die Pauschalpolemik nach dem Motto
„Mehr Ethik statt Monetik“ zurückweisen. Das bin ich
meinen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen einfach
schuldig.
({0})
Dem sperrigen Wort „Vertragsarztrechtsänderungsgesetz“ ist nicht auf Anhieb anzumerken, dass es dabei um
Liberalisierung und Flexibilisierung geht. Wer wünschte
sich nicht eine Zunahme von Freiheit? Ich jedenfalls
kenne in meinem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg eine Reihe von Vertragsärzten,
die sich gerne von zunehmend erforderlicher Mehrarbeit
und existenzgefährdender Unterfinanzierung befreien
würden.
Ich denke - das ist schon gesagt worden -, dass der
Gesetzentwurf eine Reihe sinnvoller Regelungen enthält. An einer entscheidenden Stelle versagt der Gesetzentwurf aber: Er geht nicht mit der Einführung einer leistungsgerechten Vergütung einher; die ist leider auf
2009 verschoben worden. Ich denke, es wäre besser,
wenn das Hand in Hand ginge mit den gesetzlichen Regelungen, die jetzt in Bezug auf die Liberalisierung getroffen werden. Natürlich ist es zu begrüßen, wenn
gesetzgeberisch auf inhaltlich begründete neue Versorgungsformen und veränderte Bedingungen im Gesundheitswesen reagiert wird, zumal in diesem Fall durch die
Gremien der ärztlichen Selbstverwaltung eine komfortable Vorarbeit geleistet wurde. Ich bezweifle aber, dass
die Idee, Filialpraxen in unbegrenzter Zahl und räumlich
unbegrenzt zu betreiben, zielführend ist. Das ist eine Regelung, die noch über die Zweigpraxenregelung der
Selbstverwaltung hinausgeht. Die Versorgungslücke Stichwort: Hausarztmangel im Osten - wird sich meiner
Meinung nach damit vermutlich nicht schließen lassen,
sondern es könnte sich eher noch ein Einfallstor für verzerrten oder unlauteren Wettbewerb ergeben.
Prinzipiell kann ich die Kritik der Bundesärztekammer verstehen. Sie sagt, dass der Gesetzentwurf in der
jetzt vorliegenden Fassung mit der berufsrechtlichen Regelung, die in der Vergangenheit auch in die Landesgesetzgebung Einzug gehalten hat, noch nicht kompatibel
ist. Da ist sicherlich noch einiges zu tun.
Es wird immer wieder argumentiert - auch im Zusammenhang mit dem vorliegenden Gesetzentwurf -,
dass mehr Wettbewerb ins System soll. Aus ärztlicher
Sicht ist der Wettbewerb um die beste Qualität zu präferieren. Ich wage die These, dass das Vertragsarztsystem
in marktwirtschaftlicher Hinsicht nur einem eingeschränkten Wettbewerb unterliegen kann - das hängt mit
den regionalen Unterschieden zusammen, die schon angesprochen wurden -, es sei denn, es werden Wettbewerbsverzerrungen in Kauf genommen.
In diesem Zusammenhang muss über die Regelungen
des Gesetzentwurfs zu den Medizinischen Versorgungszentren noch diskutiert werden, insbesondere
über die Nachbesetzungsregelungen und die Unklarheiten hinsichtlich der Finanzierung.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch darauf hinweisen, dass ich persönlich kein Verständnis dafür habe,
wenn fast 16 Jahre nach der Vollendung der deutschen
Einheit immer noch an dem Grundsatz „Gleicher Lohn
für gleiche Arbeit“ gerüttelt wird.
({1})
Ich kann daher nicht nachvollziehen, warum Sie mit Ihrem Gesetzentwurf die ostdeutschen Zahnärzte weiter
benachteiligen wollen. In dieser Frage waren wir mit
dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz schon weiter.
({2})
Sie sehen, es gibt bei diesem Gesetzentwurf reichlich
Diskussionsbedarf.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege
Eike Hovermann für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Als Erstes eine Replik auf Herrn Dr. Terpe und Herrn
Spieth. Ich glaube, wir sollten die unselige Diskussion
„Ethik statt Monetik“ fallen lassen. Es geht um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Ethik und Monetik.
Ethik ohne Monetik ist überhaupt nicht vorstellbar. Diese
unselige Debatte führen wir schon seit Jahrzehnten.
Herr Dr. Faust hat als Hintergrund dieses Gesetzes
den 107. Ärztetag erwähnt. Die bisherigen berufsrechtlichen Regelungen zu verändern, ist völlig richtig. Sehr
wesentlich war auf diesem Ärztekongress natürlich auch
die Debatte über den § 140, die integrierte Versorgung,
um die elendige Versäulung zwischen den Versorgungsebenen endgültig zu überwinden. Darin liegen nämlich
erhebliche strukturelle Probleme. Wir werden sehen, ob
das gelingt.
Wir werden mit dem Gesetz sicherlich vieles erreichen. Das Gesetz ist uneingeschränkt zu begrüßen und in
seinem Vollzug natürlich immer wieder zu begleiten, weil
es sich, Herr Dr. Terpe, wie bei den DRGs um ein lernendes System handelt. Man muss einmal schauen, wenn das
Gesetz in die Realität umgesetzt worden ist, wie sich die
Realität entlang des Gesetzes entwickeln wird.
Sie haben mit Recht den KBV-Vorschlag aufgenommen, das Missverhältnis zwischen Unterversorgung und
Überversorgung durch Zu- und Abschläge zu regulieren. Doch dafür, Herr Spieth, muss auch die Monetik
stimmen. Das heißt, wenn Sie ein Verhältnis zwischen
Abschlägen und Zuschlägen schaffen, muss man genügend Spielräume haben, um das so zu gestalten, dass es
nicht zu einem Kampf zwischen denen, die einen Zuschlag erhalten, und denen, die einen Abschlag erhalten,
kommt.
Natürlich vereinfacht das Gesetz die Gründung von
Medizinischen Versorgungszentren. Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung - es liegt eine gute Sammlung
von Charts vor - hat es da erhebliches Wachstum gegeben. Noch ist das Verhältnis zwischen Gründungen im
ländlichen Bereich und denen in den Ballungszentren relativ ausgewogen. Es wird allerdings auf die Fragen ankommen - hier komme ich auf Ethik und Monetik zurück -, wo es in Zukunft Steigerungsraten geben wird, in
welcher Rechtsform dies stattfindet und wer Geld zur
Verfügung stellt. Denn das wird sehr teuer.
Herr Schily, um offen auf einen Punkt einzugehen,
der mich sehr interessiert hat: Man kann als Arzt sowohl
mit 58 als auch mit 68 Jahren befähigt sein; wahrscheinlich gilt das für Politiker, Klempner und Tankstellenwärter ebenso. Nur, wenn das Gesetz keine Rahmenregelungen vorgibt, wer entscheidet dann eigentlich über die
Frage der Befähigung? Sonst heißt es möglicherweise:
Du musst jetzt raus aus deiner Praxis, du bist nicht befähigt. - Dazu muss es Klarstellungen geben, die, vermute
ich, von der KV nicht so gerne gegeben würden; deshalb
muss der Gesetzgeber sie liefern. Dergleichen muss in
das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz, kurz VÄG genannt, in Zukunft eingeflochten werden.
Vieles ist schon angesprochen worden; ich will das
nicht alles wiederholen. Ich weiß nicht, ob die Verlängerung der Anschubfinanzierung für die integrierte Versorgung schon angesprochen worden ist. Das ist sinnvoll.
Natürlich steht hier, Herr Dr. Faust, der Patient im Mittelpunkt. Aber es muss wohl in Zukunft auch noch
schärfere Regelungen in Bezug auf die Frage geben, was
eine echte integrierte Versorgung ist und was eine Versorgung ist, die sich nur integriert nennt, aber nicht integriert gemacht wird.
({0})
All diese Schritte, die mit diesem Gesetzentwurf intendiert sind, sind uneingeschränkt begrüßenswert.
Gleichwohl gilt zu bedenken, was der Jurist einen Verfassungswunsch nennt, der oft in einem Missverhältnis
zur Verfassungsrealität steht. - Die Präsidentin mahnt
schon. - Wir werden sehen, wie die Umsetzung, die von
der Finanzierung abhängt, vonstatten geht. Beim Fonds
gibt es, jenseits des heroischen und evidenzbasierten
Kampfes um den Einbezug des „s“, noch viele wichtige
Fragen, zum Beispiel bezüglich der 1-Prozent-Obergrenze. Ich bin dennoch guten Mutes, dass wir im Laufe
der Diskussion über dieses Gesetz diese und andere Fragen beantworten werden. Ich bitte Sie zuzustimmen.
Vielen Dank fürs Zuhören und einen schönen Tag
noch.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/2474 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
({0}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung ({1})
TA-Projekt: Zukunftstrends im Tourismus
- Drucksache 16/478 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Vizepräsidentin Petra Pau
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es
dazu Widerspruch? - Ich höre keinen. Dann ist das so
beschlossen.
Die Kollegin Marlene Mortler hat für die Unionsfraktion das Wort.
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Dass es Tourismus gibt, dass wir in Urlaub fahren, dass wir auf Geschäftsreisen unterwegs sind, ist für
viele Menschen in unserem Land selbstverständlich.
Welche Bedeutung der Tourismus hat, was wirklich dahintersteckt, ist allerdings den wenigsten Menschen bewusst. Deshalb bin ich froh und dankbar, dass wir als
Koalitionsfraktionen uns entschieden haben, diese Debatte, auch wenn es Freitagnachmittag ist, zu führen und
über den Tourismus und die TAB-Studie, um die es
heute geht, zu sprechen.
Meine Damen und Herren, kein Geringerer als Zukunftsforscher Opaschowski hat es auf den Punkt gebracht. Er sagt: Die Freizeitwirtschaft ist so wichtig,
dass ich sie in der Rolle einer Leitökonomie sehe. - In
der Tat, die Wachstumsraten in der Freizeitwirtschaft
liegen weit über denen der Gesamtwirtschaft. Damit
wird die Freizeitwirtschaft die Lokomotive sein, die die
Wirtschaft des 21. Jahrhunderts antreibt.
({0})
Der Tourismus hat sich in den letzten zehn Jahren
weltweit rasant entwickelt. Während noch vor zehn Jahren 540 Millionen Menschen unterwegs waren, sind es
heute bereits über 808 Millionen Menschen. Dieser Aufwärtstrend scheint ungebrochen. Der World Travel and
Tourism Council hat von einem Umsatz in der Reisebranche von über 1,5 Billionen US-Dollar gesprochen.
Das heißt, jeder zehnte US-Dollar wird im Bereich Reisen ausgegeben. Diese Zahlen machen die volkswirtschaftliche Bedeutung des Tourismus deutlich. Ich sehe
es als unsere Aufgabe der Zukunft an, da nicht nur mitzuspielen, sondern weiterhin in der Spitze zu sein und
den Stürmer zu spielen.
({1})
Der Tourismusmarkt ist ein Wachstumsmarkt. Fast
alle europäischen Volkswirtschaften profitieren von ihm.
Allein in Europa gibt es in diesem Bereich 25 Millionen
Arbeitsplätze. Auf Deutschland heruntergebrochen entspricht das 2,8 Millionen Menschen, die in diesem Bereich arbeiten. Das klingt nicht gerade weltbewegend.
Aber für mich ist die Tatsache entscheidend, dass Arbeitsplätze im Tourismus nicht exportierbar sind.
Lassen Sie mich im Zusammenhang mit der Situation
in Deutschland einen Blick in die Gegenwart bzw. in die
jüngste Vergangenheit werfen: Womit haben wir uns in
den letzten drei Monaten beschäftigt? Wir hatten ein
traumhaftes Incoming. Das heißt, es sind sehr viele Menschen aus dem Ausland zur Fußballweltmeisterschaft
nach Deutschland gekommen. Unser Ziel war, Deutschland als ein weltoffenes und gastfreundliches Land zu
präsentieren. Ich danke an dieser Stelle allen, die dazu
ihren Beitrag geleistet haben.
({2})
Allen voran danke ich der Deutschen Zentrale für
Tourismus, die eine sehr bedeutende Rolle spielte. Genauso wichtig ist mir, darauf hinzuweisen, dass wir erneut 25 Millionen Euro in den Bundeshaushalt eingestellt haben, um im Ausland und im Inland weiterhin
nachhaltig für unseren Tourismusstandort werben zu
können.
({3})
Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass wir in diesem
Jahr zum ersten Mal die Grenze von 52 Millionen Übernachtungen überschreiten werden, allein was die internationalen Übernachtungen betrifft. Es ist auch keine
Selbstverständlichkeit, dass das so bleibt. Deshalb war
das Motto der Fußball-WM „Die Welt zu Gast bei
Freunden“ sehr wichtig.
Welche Schlussfolgerungen können wir heute ziehen?
Es wurde professionell vorgegangen. Die DZT - ich
habe sie erwähnt - und viele andere waren daran beteiligt. Die Fußball-WM hat dem Image unseres Landes einen zusätzlichen Schub gegeben. Das hat, was die touristische Nachfrage betrifft, eine Langzeitwirkung.
({4})
Im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft haben über
90 Prozent der Menschen gesagt, dass sie Deutschland
weiterempfehlen wollen. Das ist, wie ich finde, eine tolle
Zahl. Aber ich betone: Wir dürfen uns nicht auf diesen
Lorbeeren ausruhen. Wir müssen immer wieder überlegen: Wo stehen wir und wo stehen die anderen? Gibt es
bei uns Defizite? Wo müssen wir hin und wo wollen wir
hin? Denn der internationale Markt schläft nicht.
Es waren aber nicht nur die sportlichen Ereignisse,
die unser Land vorangebracht haben. In der TAB-Studie
wird auch darauf hingewiesen, welche Vorteile die
EU-Osterweiterung unserem Land bringt. Ich finde es
toll und bemerkenswert, dass die TAB-Studie, die DZT
und eine Studie der Fachhochschule Worms zum gleichen Ergebnis kommen: Wenn wir unsere Chancen im
Tourismus nutzen, wird Deutschland Reiseland Nummer
eins für die osteuropäischen Länder. Wir werden voneinander profitieren.
({5})
Es ist sicherlich die räumliche Nähe, die für uns spricht,
aber auch das gute Image, das wir uns in den letzten Monaten aufgebaut haben. Nutzen wir also diese Möglichkeiten!
Ein Manko besteht sicherlich bei der Verkehrsinfrastruktur; hier gibt es Defizite. Wir müssen dringend unsere Hausaufgaben machen bei den Verkehrsverbindungen nach Osten, die wir in den Bundesverkehrswegeplan
aufgenommen haben. Aber auch die osteuropäischen
Staaten müssen beherzt ihre Infrastruktur modernisieren
und erweitern. Ich bin persönlich fest überzeugt davon,
dass wir den stärkeren Tourismus, der sich hier entwickeln soll und auch wird, nicht alleine den Billigfliegern
überlassen können und überlassen sollten.
({6})
Die Tourismusbranche befindet sich im Umbruch.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich bewährte
Geschäftsmodelle nicht mehr bewähren. Sie müssen auf
den Prüfstand, weil sich das Kundenverhalten geändert
hat. Wir müssen auch feststellen, dass die Nachfrage erheblich von der Qualität abhängt. Die Kundenzufriedenheit lässt sich dabei nicht einfach mit den vergebenen
Sternen gleichsetzen.
Ich habe vom Umbruch gesprochen, von der Entwicklung unserer Gesellschaft. Hier spielt die Demografie
eine wichtige Rolle. Den großen Einfluss des demografischen Wandels auf den Tourismus wollen wir am
25. Oktober in einer Anhörung näher beleuchten. Den
alten Menschen, meine Damen und Herren, gibt es nicht:
Die alten Menschen sind materiell, gesundheitlich, geistig ganz unterschiedlich aufgestellt. Der eine hat einen
großen Geldbeutel, der andere einen kleinen. Aber alle
verbindet eines: die nach wie vor ungebrochene Reiselust. Für all diese unterschiedlichen Menschen brauchen
wir Antworten, innovative Ideen und Angebote.
Ich komme zum Schluss. Als dritten Komplex möchte
ich ganz eindringlich die Risiken und Krisen ansprechen. Risiken und Krisen sind von ungebrochener
Aktualität. Ich denke an die in Heathrow vereitelten Anschläge, ich denke aber auch an neue Krankheiten, an
Epidemien, an die Zunahme von Naturkatastrophen und
extremen Wetterereignissen. Entscheidend ist, dass wir
die Menschen in unserem Lande ernst nehmen, wenn es
um die Sicherheit geht.
Kollegin Mortler, das war eigentlich ein sehr schöner
Eine Befragung hat nämlich deutlich gemacht, dass
die Sicherheit für die Menschen inzwischen an erster
Stelle steht, sie kommt vor einem guten Preis-LeistungsVerhältnis.
({0})
Deshalb darf die Sicherheit nicht länger ein Tabuthema
sein. Wir müssen verstärkt auf die Möglichkeiten hinweisen, die das Auswärtige Amt mit seinen Reisewarnungen und Reisehinweisen bietet.
Kollegin Mortler, das ist jetzt wirklich absolut unkollegial.
({0})
Wir müssen mit der Reisebranche verstärkt in einen
Dialog treten, um die Sicherheit der Reisen zu verbessern.
({0})
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Jens
Ackermann das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mit dem Bericht „TA-Projekt: Zukunftstrends im
Tourismus“ werden die vielfältigen Chancen und Herausforderungen gezeigt, denen sich Deutschland im Bereich des Tourismus stellen muss. In dem Bericht werden Trends genannt, die erfreulicherweise stark mit der
EU-Erweiterung in Verbindung gebracht werden. Die
FDP-Fraktion begrüßt diesen Fokus auf unsere östlichen
Nachbarn und die Chancen, die sich daraus ergeben.
({0})
Seit dem Beitritt der neuen Mitgliedstaaten werden
die Möglichkeiten für die deutsche Tourismusbranche
immer offensichtlicher.
({1})
Zum einen können die deutschen Reiseunternehmen
durch das steigende Interesse deutscher Touristen am
östlichen Europa stark profitieren, zum anderen bergen
die neuen EU-Mitgliedsländer insbesondere im Bereich
der Geschäftsreisen und als Messestandort ein hohes
Tourismuspotenzial für Deutschland selber. Das ist ein
Beispiel für eine gute Entwicklung in Europa und ein
Argument gegen die nach wie vor vorhandene Skepsis
hinsichtlich der EU-Erweiterung.
({2})
Der Bericht ist vom Januar 2006. Vieles, was in der
Vorausschau geschrieben wurde, ist nach wie vor aktuell. Doch seitdem hat sich enorm viel getan - unter anderem seit der Fußballweltmeisterschaft, die der Tourismusbranche viele neue Impulse geliefert hat.
({3})
Wir müssen aber darauf achten, dass diese Impulse, die
die WM gebracht hat, auch nachhaltig sind, sodass wir
auch später noch davon profitieren können. Die WM war
ein großer Erfolg und hat allen gezeigt, zu welchen Leistungen unser Land nicht nur im Sport fähig ist,
({4})
dass Deutschland ohne falsche Bescheidenheit Weltmeister der Herzen genannt werden kann und dass der
Slogan „Zu Gast bei Freunden“ die Atmosphäre im Land
gegenüber den Gästen und Touristen treffend auf den
Punkt gebracht hat.
({5})
An dieser Stelle möchte ich im Namen der FDP-Fraktion der Gastronomie und der Hotellerie in Deutschland für ihr Engagement und ihr beachtliches Arbeitspensum in den heißen Tagen des Juni danken; denn
jeder noch so kleine Schankbetrieb wurde zu einer verlängerten Fankurve in den unterschiedlichsten nationalen Farben und zu einer Visitenkarte Deutschlands.
Um die Stärkung des Tourismusstandorts Deutschland, die durch die WM 2006 erreicht werden konnte,
dauerhaft zu sichern, müssen die Rahmenbedingungen
für den Tourismussektor verbessert werden.
({6})
Damit investieren wir in die wichtigste Dienstleistungsund Wachstumsbranche, die wir haben. Doch welche
Rahmenbedingungen meine ich? Insbesondere für die
Tourismusbranche sind Freiräume, in denen sich Unternehmen entwickeln können, ganz wichtig; denn es sind
vor allem mittelständische Unternehmen, die vom Tourismus leben.
Den Projektbericht vor Augen appelliere ich deshalb
an die Bundesregierung, es den Nachbarn in Europa
gleichzutun und einen reduzierten Mehrwertsteuersatz für die Bereiche Hotellerie und Gastronomie einzuführen.
({7})
Es ist doch nur fair, den deutschen Gastronomen den
gleichen Satz anzubieten, der auch für die Mitbewerber
zehn, 20 Kilometer weiter hinter der Grenze gilt.
({8})
Ohnehin ist es für die gesamte Wirtschaft nicht von Vorteil, die Mehrwertsteuer im nächsten Jahr anzuheben.
({9})
Durch jede Erhöhung der Mehrwertsteuer wird der Konsum gehemmt. Dies schadet letztlich vor allem der Gastronomie.
Ich möchte aber auch noch einen anderen Punkt ansprechen - Kollegin Mortler hat es schon zum Ausdruck
gebracht -: Es geht um die Beschäftigungszahl. Meiner
Meinung nach könnten wir im Bereich des Tourismus
noch mehr Beschäftigung und Ausbildungsplätze als
bisher haben. Hier müssen wir uns aber auch um die
Rahmenbedingungen kümmern. Wenn wir vom Tourismus als wichtigem Zukunftstrend sprechen, dann muss
dies auch an den Beschäftigungszahlen deutlich werden.
Durch Mindestlöhne - egal, in welcher Form sie festgelegt sind - werden die Arbeitsmarktprobleme nicht gelöst, sondern noch viel mehr verschärft. Im Ergebnis
führen sie insbesondere im Bereich der Geringqualifizierten zu einer Verdrängung von Arbeitsplätzen und zu
einer Abwanderung in die Schwarzarbeit.
({10})
Das nutzt erst recht niemandem.
({11})
Außerdem sollten die Ausbildungsmöglichkeiten für
Jugendliche unter 18 Jahren verbessert werden, statt
ständig eine Ausbildungsplatzabgabe zu fordern.
({12})
Wie viel attraktiver wäre die Einstellung eines Jugendlichen unter 18 Jahren, wenn im Bereich des Jugendarbeitsschutzes die zulässige Arbeitszeit für Jugendliche
von 22 Uhr auf 23 Uhr ausgedehnt werden würde!
({13})
Die Chancen für Haupt- und Realschüler auf einen Ausbildungsplatz im Tourismussektor würden steigen.
({14})
- Frau Kollegin Gradistanac, ein junger Mensch, der von
Gesetzes wegen um 22 Uhr mit der Arbeit aufhören
muss, wartet doch auch auf einen Arbeitskollegen, der
um 23 Uhr Feierabend hat, um mit ihm dann in die Disco
zu gehen und bis 4 Uhr morgens zu feiern.
({15})
- Natürlich ist das seine Privatsache. Aber es ist doch
unfair -
Herr Kollege Ackermann, diese Debatte müssten Sie
außerhalb des Plenarsaals fortsetzen.
Das mache ich. - Es geht mir um diejenigen, die einen Ausbildungsplatz haben könnten, diesen aber nicht
bekommen, weil die Politik die Hürden so hoch ansetzt.
({0})
Ein letzter Satz, Frau Präsidentin: Die Ausschussvorsitzende hat bereits angesprochen, dass die Tourismusbranche sehr stark durch höhere Gewalten beeinflusst
wird, durch Klima und Wetter. Wir sollten nicht weitere
Einflüsse durch staatliche Gewalt hinzukommen lassen,
und zwar in unser aller Interesse.
Herzlichen Dank.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe hier nicht
nur einen Knopf, um das Signal „Präsident“ einzuschalten, das normalerweise anzeigt, dass die Redezeit abgelaufen ist. Ich habe noch einen Knopf, den ich noch nie
benutzt habe. Ich hoffe immer noch, dass ich ihn auch
nie benutzen muss. Ich gebe aber zu: Heute strapazieren
Sie meine Geduld sehr.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Renate Gradistanac für die
SPD-Fraktion.
Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass wir
heute über das Thema „Zukunftstrends im Tourismus“
sprechen. Ich habe den Eindruck, manche haben überhaupt nicht gewusst, was heute auf der Tagesordnung
steht.
({0})
Der TA-Bericht geht auf eine Initiative unseres Tourismusausschusses zurück. Ich danke dem Büro für
Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag
für die hervorragende Arbeit, insbesondere Frau Scherz,
Herrn Petermann und Herrn Revermann.
({1})
Der Bericht ist in drei Schwerpunkte gegliedert: erstens der demografische Wandel in Deutschland, zweitens
die EU-Osterweiterung und die Auswirkungen auf den
Tourismus und drittens Reisen angesichts von Krisen
und Risiken.
Die Tourismuswirtschaft gilt weltweit als Leitökonomie der Zukunft; das haben Sie richtig schön herausgestellt, Frau Mortler. Gerade deshalb ist es wichtig, dass
wir in Deutschland, in den Ländern und in den Tourismusregionen relevante Entwicklungen rechtzeitig erkennen und uns darauf einstellen.
({2})
Die Ergebnisse des Berichts liegen seit einiger Zeit
vor und wurden auch bei verschiedenen Gelegenheiten
diskutiert. Bei meinen Veranstaltungen im Schwarzwald,
in Bad Wildbad, und in Munderkingen, am Rande der
Schwäbischen Alb, stießen die Ergebnisse auf großes Interesse.
({3})
Das hat mich besonders gefreut, zeigt es doch, dass
die Mehrheit der Branche interessiert ist, sich auf die
Herausforderungen, aber auch auf die Chancen der Zukunft vorzubereiten.
({4})
In meiner Rede möchte ich insbesondere auf den
demografischen Wandel eingehen, weil wir von der
SPD-Arbeitsgruppe dieses Thema vorgeschlagen haben.
Die Bevölkerungszahl schrumpft, die Gesellschaft altert.
Das lässt sich eindrücklich an den Statistiken, die im Bericht aufgeführt sind, ablesen. Ich möchte einige Zahlen
nennen: 1994 waren 15,4 Prozent der Bevölkerung in
Deutschland über 65 Jahre, Ende 2004 waren es
18,6 Prozent. Im Jahr 2050 sollen 37 Prozent der Bevölkerung über 60 Jahre sein.
Die Reiselust der älteren Menschen wächst stetig. Unter allen Altersgruppen in Deutschland geben sie den
höchsten Anteil ihres Einkommens für Reisen aus. Seniorenhaushalte verwendeten im Jahr 2003 4,1 Prozent ihres Konsumbudgets für Pauschalreisen; der Durchschnitt
aller Altersgruppen lag bei 2,7 Prozent. - Die so genannten Best-Ager, Jungsenioren im Alter von 50 bis 64 - außer Ihnen, Herr Ackermann, gehören wir wahrscheinlich
alle dazu -, machen die meisten Urlaubsreisen. Die Tourismusbranche wird sich daher auf das zunehmende Alter
ihrer Kundinnen und Kunden einstellen müssen. Nicht
nur Marktforscher sind der Meinung, dass die Seniorinnen und Senioren in absehbarer Zeit zum Wachstumsmotor der Branche werden.
Ältere Menschen wollen heutzutage keine Seniorenreise buchen. Sie fühlen sich dazu zu gesund, vital, aktiv
und mobil. Es gilt, vermehrt touristische Angebote zu
entwickeln, die sich auf die Erwartungen der Seniorinnen und Senioren einstellen. Das gilt sowohl für die
Gruppe der Älteren, die viel Geld ausgeben können, als
auch für diejenigen, die gerne reisen, aber über ein kleineres Budget verfügen. Die Branche ist nach meiner
Beobachtung sensibilisiert.
Das nächste Jahr ist zum „Europäischen Jahr der
Chancengleichheit für alle“ erklärt worden. Es stellt
sich die Frage, was verbessert werden muss, um jeder
Zielgruppe gleiche Chancen zu ermöglichen. Das gilt
insbesondere für den barrierefreien Tourismus, bei dem
es noch Nachholbedarf gibt.
({5})
Das wissen wir spätestens seit unserem Wettbewerb „Familienzeit ohne Barrieren“ aus dem Jahr 2003. Die Jury
stieß damals auf ausgezeichnete Angebote, die exzellent
erarbeitet waren. Es gab aber auch Fälle von erschreckender Unkenntnis. Wettbewerbe auf Bundes- und Länderebene stellen positive Beispiele heraus, an denen sich andere orientieren sollten.
Was die Haushaltsberatungen für das Jahr 2007 angeht, freuen wir uns, dass der barrierefreie Tourismus
benannt wird. Wir wünschen uns aber mehr Mittel für
diesen Bereich, um die Barrierefreiheit wirklich voranzubringen.
({6})
Um bis ins höchste Alter fit zu bleiben, gewinnt die
Prävention immer mehr an Bedeutung. Urlaub für die
Gesundheit und kombinierte Fitness- und WellnessangeRenate Gradistanac
bote sind zunehmend gefragt. Besonders medizinische
Wellnessangebote sind ein Wachstumsmarkt. Allerdings
muss das Fachpersonal hierfür hervorragend qualifiziert
sein.
Das Wandern, das lange Zeit als verstaubte Sportart
galt, erlangt eine ungeahnte Renaissance. Bei mir im
Schwarzwald gibt es den „Wanderhimmel Baiersbronn“.
Vielleicht haben Sie Lust, einmal zu kommen. Es ist ein
gelungenes Beispiel, wie das Wandern zu einem ganzheitlichen Erlebnis aus Fitness, Entspannung, Naturerleben und Geselligkeit werden kann.
Lassen Sie mich ein zweites Beispiel aus dem
Schwarzwald nennen - ich bin aber überzeugt, dass Sie
ebenfalls unzählige Beispiele anführen könnten, liebe
Kolleginnen und Kollegen -: Ein Viersternehotel mit angeschlossener Landwirtschaft hat zum Schwarzwälder
Fuchsfest eingeladen. Die regionale Identität wird dort
bewusst gestärkt und herausgestellt. Auffallend war,
dass dort viele Großeltern mit ihren Enkelkindern waren.
Diese haben dort einen besonders schönen Tag erlebt.
Der zweite Schwerpunkt des Berichts bezieht sich auf
die EU-Osterweiterung, die die deutsche Tourismuswirtschaft vor Herausforderungen stellt. Davon war bereits die Rede. Sie bringt aber auch Chancen. Prognosen
kommen zu dem Ergebnis, dass die deutsche Tourismuswirtschaft aller Voraussicht nach mittelfristig zu den Gewinnern der EU-Osterweiterung zählen wird.
Reisen im Angesicht von Risiken und Krisen sind die
dritte Säule des Berichts. Darunter versteht man Gewalt,
Kriminalität, Terror, Gesundheitsrisiken, Naturkatastrophen und den Klimawandel. Der globale Klimawandel
wird weitere ernsthafte Folgen für Wetter und Natur haben. In dem Projekt „Klimawandel - Auswirkungen, Risiken, Anpassung“ - kurz KLARA - sind die Folgen des
Klimawandels für Baden-Württemberg erforscht worden.
Es ist im ureigenen Interesse der Tourismusbranche,
sich mit den Ergebnissen, auf die ich aus Zeitgründen
nicht näher eingehen kann, auseinander zu setzen. Wir
haben die Möglichkeit, in der von uns geplanten Anhörung die einzelnen Punkte zu behandeln.
Klar ist: Bund, Länder und Tourismusbranche sind
gefordert. Der Bericht ist eine hervorragende Grundlage,
die durch die Anhörung ergänzt wird. Ich verbinde damit
die Erwartung, dass die Bundesregierung ein touristisches Leitbild für Deutschland entwickelt.
Ich habe eine Minute meiner Redezeit eingespart.
({7})
Vielen Dank.
({8})
Herzlichen Dank. - Das Wort hat der Kollege Dr. Ilja
Seifert für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Besuchertribünen! Die Technikfolgenabschätzung über touristische
Trends bietet uns eine gute Möglichkeit, wichtige Punkte
darzulegen, die wir für die Zukunft favorisieren wollen.
Für die Linke erlaube ich mir, drei Punkte herauszugreifen: erstens den sozialen Faktor, der mit dem Tourismus
verbunden ist; zweitens den regionalen Gestaltungsfaktor und drittens den arbeitsplatzintensiven Wirtschaftsfaktor.
Erstens ist hier hinsichtlich des sozialen Faktors
schon sehr viel von Menschen gesprochen worden, die
viel Geld haben, und solchen, die über weniger verfügen. Meines Erachtens müssen wir uns mehr auf diejenigen konzentrieren, die weniger Geld haben, also zum
Beispiel darüber reden, was Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosengeld II machen, die fast gar nicht
verreisen können. Brauchen die etwa keine Erholung?
Ich denke, sie brauchen mehr Erholung als manche, die
nicht wissen, wohin mit ihrem Geld.
({0})
Also müssen wir dafür sorgen, dass es entsprechende
Möglichkeiten gibt und dass bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, nicht darüber philosophiert wird, ob sie überhaupt Urlaub machen dürfen.
Ich halte es für sehr gut, dass für diese Menschen zum
Beispiel in der Oberlausitz aufgrund der Zusammenarbeit von DRK und der Tafel die Möglichkeit besteht,
50 Kilometer entfernt von ihrem Heimatort, zumindest
für fünf Tage mit ihren Kindern für sehr wenig Geld Urlaub machen zu können. Solche Beispiele sind zu favorisieren und weiterzuentwickeln.
({1})
Zweitens geht es um den regionalen Gestaltungsfaktor, den Tourismus bietet. Wenn wir alle darin übereinstimmen, dass Tourismus einer der Wirtschaftsfaktoren
der Zukunft ist, dann haben wir doch die Möglichkeit,
hier etwas zu gestalten. Niemand wird sich wundern,
wenn ich an dieser Stelle auf die Barrierefreiheit zu
sprechen komme. Es reicht eben nicht aus, immer mehr
Insellösungen zu haben. Wir brauchen Lösungen, die
grundsätzlich Barrierefreiheit bieten, und zwar nicht nur
für Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer, sondern
selbstverständlich auch für blinde und gehörlose Menschen. Es bringt Nutzen für alle, zum Beispiel auch für
die, die nicht so gut zu Fuß sind oder - wie Kinder kurze Beine haben, wenn wir dies zu einem in der ganzen Region durchgängigen gestalterischen Prinzip machen. Das heißt nicht, dass ich die Alpen planieren will,
sondern nur, dass ich möchte, dass sie dort, wo es geht,
für möglichst alle begehbar, berollbar und benutzbar
sind. Das Gleiche trifft natürlich für mein Zittauer Gebirge wie für jede andere Urlaubsregion in diesem Land
zu.
Drittens komme ich auf den Wirtschaftsfaktor Tourismus und sein Potenzial zu sprechen, Arbeitsplätze zu
schaffen. Hier ist schon mehrfach angesprochen worden,
dass diese Arbeitsplätze erstens nicht exportiert werden
können und sie zweitens mehr werden.
Wenn wir das schon registrieren, dann bitte ich darum, an dieser Stelle auch einmal den Menschen eine
Chance zu geben, die es ohnehin schwerer haben. Hier
treffen also Wirtschaftsfaktor und sozialer Faktor zusammen. Es gibt in der Gastronomie und in der Hotellerie inzwischen mehrere sehr gute Ausbildungsmöglichkeiten
für Menschen mit so genannten Lernschwierigkeiten.
Ich bitte darum, dass diesen Menschen anschließend
die Chance gegeben wird, in diesem Bereich auch wirklich zu arbeiten. Sie können es, sie können es gut; man
muss ihnen nur die Möglichkeit dazu geben. Dazu müssen sie nicht einsteinverdächtig sein und sich mit Atomphysik beschäftigen; vielmehr reicht es aus, wenn sie
Teller ordentlich hin- und wieder wegtragen können,
wenn sie Betten ordentlich machen und die Zimmer ordentlich reinigen können. Das ist der Beruf, den sie erlernt haben, den sie gern ausüben möchten und in dem
sie Selbstbestätigung und dadurch Befriedigung finden
können.
Das sind Wirkungen des Tourismus, die wir brauchen.
Tourismus hat eine Zukunft. Lasst uns auf die sozialen
Aspekte besonders Rücksicht nehmen!
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Undine Kurth für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste auf der Zuschauertribüne, Sie alle haben sicherlich mitbekommen, dass wir hier über die Studie
„Zukunftstrends im Tourismus“, erstellt vom Büro für
Technikfolgenabschätzung, vom Januar dieses Jahres reden. Wir haben damit eine hervorragende wissenschaftliche Zuarbeit erhalten. Es gibt allen Grund, den Kolleginnen und Kollegen herzlich zu danken. Wir, die
Parlamentarier, können sehr stolz sein, über ein solches
Büro zu verfügen. Es ist übrigens weltweit einmalig.
Herzlichen Dank.
({0})
Wir haben mehrfach gehört, wie gut und interessant
die Daten dieser Studie sind, dass es um verschiedene
Bereiche geht und dass es wichtig ist, sich auf die sich
abzeichnenden Entwicklungen einzustellen, weil Planung, insbesondere Infrastrukturplanungen, in jedem
Wirtschaftszweig Zeit benötigen und vorausschauend
sein müssen.
Ein wichtiges Thema ist - darauf wurde mehrfach
hingewiesen - der demografische Wandel. Überall und
allenthalben hören wir, dass wir alle zunehmend älter
werden, dass wir aber im Alter nicht immobil sein wollen, sondern reisen möchten. Das belegen die Zahlen und
wird hundertfach beschrieben. Nun frage ich Sie, wozu
wir eine solche Studie haben, wenn wir uns nicht nach
ihr richten. Es ist zwar nett, dass die Zahlen vorliegen,
und wir haben allen Grund, dankbar zu sein. Nächstes
Jahr ist das Jahr der Chancengleichheit für alle. Es
wurde schon darauf hingewiesen, dass die Senioren aufgrund des demografischen Wandels eine wichtige
Gruppe sind und wie wichtig die Barrierefreiheit ist.
Wenn ich mir aber den vorgelegten Haushaltsentwurf
anschaue, dann stelle ich fest: Dort steht zwar, wie wichtig der barrierefreie Tourismus ist. Aber alle Titel, die
damit zusammenhängen, sind entweder drastisch gekürzt oder auf null zurückgefahren worden. Deshalb
frage ich: Wozu nutzt die Studie, wenn wir uns in unserem Handeln nicht danach richten?
({1})
Im Einzelplan des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung ist eine Kürzung in Höhe von über
2,2 Millionen Euro vorgenommen worden. Im letzten
Jahr belief sich der Etat noch auf 2,5 Millionen Euro.
Nun stehen nur noch 328 000 Euro für Vorhaben betreffend den barrierefreien Tourismus zur Verfügung. Das
bedeutet, dass von ehemals 30 Vorhaben nur noch acht
finanziert werden können. Da die Studie aber belegt, wie
wichtig der barrierefreie Tourismus ist, ist eine solche
Kürzung unverständlich, zumal die Studie vom Januar
dieses Jahres ist. Die Bundesregierung hatte also Zeit,
sich darauf einzustellen.
({2})
Sie haben zum Beispiel den Ansatz für die Innovationsinitiative „Barrierefreie Modellregion für den integrativen Tourismus“ - genau diese Art des Tourismus gilt als
wichtig - auf null zurückgefahren. Dafür ist also gar kein
Geld mehr da. Im letzten Jahr waren es noch 1,8 Millionen Euro. Viele Projekte wurden abgeschlossen. Es gibt
nun Forschungsergebnisse aus 26 Projekten, die nicht
ausgewertet werden. Es ist zwar schön, dass wir sie haben. Wir können uns immer darauf berufen und betonen,
wie wichtig diese Ergebnisse sind. Aber wir machen
nicht weiter.
({3})
- Wenn der Bund solche Ergebnisse generiert, dann müssen wir sie doch auswerten und die entsprechenden Projekte weiter unterstützen. Was haben wir denn davon,
wenn wir das nicht tun?
Im Etat für das Bundesministerium für Gesundheit
wurden zum Beispiel die Zuschüsse für das Reisemagazin „Grenzenlos“ komplett gestrichen. Die Mittel für die
Nationale Koordinationsstelle Tourismus für Alle wurden von 120 000 Euro - das ist sowieso nicht viel; jede
Kürzung tut hier doppelt weh - auf 100 000 Euro zusammengestrichen. Ich habe mir die Mühe gemacht, die Betroffenen anzurufen, und habe festgestellt, dass sie vorUndine Kurth ({4})
her gar nicht gefragt wurden, welche Auswirkungen die
Kürzungen haben werden.
Die Studie wird zu Recht hoch gelobt; denn sie ist
wichtig. Wir können dafür dankbar sein. Aber sie nutzt
uns nur etwas, wenn wir uns mit ihren Ergebnissen auseinander setzen und unsere Entscheidungen danach fällen.
Vielen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/478 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christine Scheel, Birgitt Bender, Ekin Deligöz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Eckpunkte für eine gerechte Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer
- Drucksache 16/2076 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen fünf Minuten
erhalten sollte.
Diese Aussprache werden die Zuschauer und Zuhörer
auf der Tribüne nun nachlesen müssen, weil wir die
Rede des Kollegen von Stetten für die Unionsfraktion zu
Protokoll nehmen, ebenso die Rede von Florian Pronold
für die SPD-Fraktion, die Rede des Kollegen Carl-
Ludwig Thiele für die FDP-Fraktion, den Beitrag der
Kollegin Dr. Barbara Höll für die Fraktion Die Linke
und die Rede von Christine Scheel für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.1)
Damit ist die Aussprache geschlossen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/2076 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
1) Anlage 2
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela
Piltz, Dr. Max Stadler, Patrick Döring, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Gegen Geheimniskrämerei - Entscheidungen
kommunaler Gesellschaften transparent gestalten
- Drucksache 16/395 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. Wir neh-
men die Rede des Kollegen Dr. Günter Krings für die
Unionsfraktion zu Protokoll, ebenso die Rede des Kolle-
gen Klaus Uwe Benneter für die SPD-Fraktion.2)
Die Debatte eröffnet der Kollege Dr. Max Stadler für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Am Ende der heutigen Tagesordnung geht es um
ein Thema, das auf der kommunalen Ebene viele Bürge-
rinnen und Bürger sehr stark bewegt, das aber bisher
noch nicht so recht die Aufmerksamkeit des Deutschen
Bundestages gefunden hat, obwohl wir für die Lösung
des Problems zuständig sind. Deswegen möchte ich trotz
der fortgeschrittenen Stunde am Freitagnachmittag die
Gelegenheit nutzen, Sie mit der Thematik vertraut zu
machen, und vor allem die Kolleginnen und Kollegen
von der SPD und der CDU/CSU einladen, mit den Op-
positionsfraktionen gemeinsam nach einer Lösung zu su-
chen.
Es geht, kurz gesagt, um Folgendes: Nach dem
GmbH-Gesetz und nach dem Aktiengesetz tagen die
Aufsichtsgremien, also die Aufsichtsräte, prinzipiell
nicht öffentlich. Die Mitglieder der Aufsichtsräte sind
zur Verschwiegenheit über das, was in diesen Sitzungen
geschieht, verpflichtet. Das ist auch richtig, soweit es um
echte private Gesellschaften geht. Dafür sind diese Ge-
setze auch geschaffen. Nun hat sich in letzter Zeit die
Tendenz entwickelt, dass immer mehr kommunale Ein-
richtungen, Dienststellen und Verwaltungsstellen eben-
falls in die Rechtsform der GmbH und in größeren Städ-
ten sogar in die der Aktiengesellschaft überführt worden
sind. Dabei handelt es sich aber nicht etwa um eine echte
Privatisierung, sondern nur um eine Organisationsände-
rung, weil die Kommunen zugleich meistens zu 100 Pro-
zent Inhaber dieser Gesellschaften geworden sind.
Damit ändert sich in den Sitzungen der Aufsichtsgre-
mien scheinbar wenig. Es geht um kommunalpolitische
Themen, um Busfahrpläne, um Stromtarife, um die
Frage, ob eine Stadt ein Hallenbad baut, und ähnliches
mehr, also um ganz normale kommunalpolitische Dis-
kussionen und Entscheidungen. Aber eines ändert sich
2) Anlage 3
durch diese Organisationsform: Während das Kommunalrecht die Öffentlichkeit solcher Sitzungen vorsieht,
schreibt, wie schon dargestellt, das Gesellschaftsrecht
gerade die Nichtöffentlichkeit vor. Damit fehlt ein Stück
Transparenz, es fehlt ein Stück demokratischer Diskussionskultur und demokratischer Kontrolle. Das zeigt uns,
dass die Vorschriften, die für private Gesellschaften gedacht sind, auf die kommunalen Gesellschaften nicht
passen.
Nun gibt es zwei höchstrichterliche Entscheidungen aus diesem Jahr, die uns deutlich vorgeben, dass der
Grundsatz der Öffentlichkeit und Transparenz stärker zu
beachten ist. Die erste Entscheidung des Bayerischen
Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Mai 2006 geht auf einen Rechtsstreit zurück, den eine Bürgerinitiative in Passau ausgelöst hat. Die Bürgerinitiative ist nämlich auf
die Idee gekommen, zu verlangen, dass wenigstens die
Tagesordnungen solcher Gremiensitzungen bekannt gegeben werden, damit die Bürgerinnen und Bürger zumindest wissen, worum es geht. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat entschieden, dass diesem Begehren
aufgrund der überragenden Bedeutung des Grundsatzes
der Öffentlichkeit und Transparenz stattzugeben ist.
Aber der Verwaltungsgerichtshof konnte sich natürlich nicht über die bundesgesetzliche Regelung hinwegsetzen, nach der die Sitzungen selbst nicht öffentlich
bleiben müssen. Damit fehlt das Kernstück der öffentlichen Debatte, nämlich die Teilhabe der Bürgerinnen und
Bürger an dem, was in diesen Sitzungen gesprochen und
entschieden wird. Dieses Problem müssen wir lösen.
Eine weitere Entscheidung, nämlich die des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 26. Juli 2006, gibt
uns ebenfalls eine Richtschnur. Da ging es um das Problem, dass der Freistaat Bayern auf parlamentarische
Anfragen hin erklärt hat, er gebe keine Auskunft, und
dies damit begründet hat, dass die Anfragen wiederum
solche Gesellschaften betreffen, die in privater Rechtsform betrieben werden, aber zu 100 Prozent staatlich
sind. Hierzu hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof
gesagt: Egal wie die öffentliche Hand tätig wird, in welcher Form, ob in den hergebrachten öffentlich-rechtlichen Formen oder in der Form privater Gesellschaften die demokratische Kontrolle muss sichergestellt sein.
Die FDP schlägt daher vor, dass wir diese Grundsätze
jetzt auf die Lösung unseres Problems übertragen. Ich
könnte mir beispielsweise vorstellen, dass wir im
GmbH-Gesetz und im Aktiengesetz eine Öffnungsklausel einbauen, die es den Städten, Landkreisen und Gemeinden ermöglicht, diese Gremiensitzungen künftig
genauso öffentlich abzuhalten wie zum Beispiel eine
normale Stadtratsitzung. Natürlich wird es Teile geben,
bei denen es um Interna geht, die nicht öffentlich bleiben
müssen, aber im Grundsatz brauchen wir mehr Transparenz.
Gleichzeitig müssen dann natürlich die Vorschriften
über die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsräte gelockert werden; das passt sonst nicht zusammen.
Wir können uns nicht darauf zurückziehen, dass wir
die Lösung der weiteren Entwicklung in der Rechtsprechung überlassen; denn hier geht es um Bundesgesetze.
Es ist unsere Verantwortung, uns des Themas anzunehmen.
({0})
Ich darf mit dem Hinweis darauf schließen, dass die
Praktiker auf ein Tätigwerden des Deutschen Bundestages warten. Der Passauer Oberbürgermeister Albert
Zankl, der übrigens der CSU angehört, hat am 20. September der Bundesjustizministerin einen Brief geschrieben und darin den Gleichklang von Kommunalrecht, das
von der Öffentlichkeit von Sitzungen ausgeht, und Gesellschaftsrecht für kommunale GmbHs angemahnt. Er
schreibt wörtlich - ich zitiere -:
Ich würde mich sehr freuen, wenn mein Schreiben,
das die Meinung vieler Kommunen widerspiegelt,
eine entsprechende Gesetzesänderung anstoßen
würde.
({1})
Ich bitte Sie, unseren Antrag nicht reflexartig abzulehnen, weil er von der Opposition kommt, und lade Sie
ein, sich mit uns zu bemühen, dieses Problem, das, wie
gesagt, viele Menschen in den Kommunen bewegt, im
Deutschen Bundestag zu lösen.
Vielen Dank.
({2})
Wir haben die Rede der Kollegin Katrin Kunert für
die Fraktion Die Linke und ebenso die Rede des Kolle-
gen Jerzy Montag vom Bündnis 90/Die Grünen zu Pro-
tokoll genommen.1)
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/395 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 27. September 2006, 13 Uhr,
ein.
Ich wünsche Ihnen eine gute Heimreise - soweit notwendig - und ein schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.